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German Pages 803 [804] Year 2013
Christoph Martin Wieland Oßmannstedter Ausgabe
Wielands Werke Historisch-kritische Ausgabe Herausgegeben von Klaus Manger und Jan Philipp Reemtsma
Wielands Werke Band 17.1
Text
Bearbeitet von Ernst A. Schmidt und Hans-Peter Nowitzki Phaon. Ein Dialog im Elysium / Horazens Briefe aus dem Lateinischen übersezt und mit historischen Einleitungen und andern nöthigen Erläuterungen versehen von C. M. Wieland ¼Mit beigesetztem lateinischen Verstext nach½ Horazens Briefe aus dem Lateinischen übersetzt und mit historischen Einleitungen und andern nöthigen Erläuterungen versehen von C. M. Wieland. 1790 / Gespräche über einige neueste Weltbegebenheiten / Briefe an einen jungen Dichter / Über die Frage: Was ist Hochteutsch? und einige damit verwandten Gegenstände / Anmerkungen / Anzeigen / Rezensionen Januar 1782 — Dezember 1782 [309 — 321] De Gruyter Berlin · Boston
Herausgegeben mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur.
Gestaltung: Friedrich Forssman. Schrift: Prillwitz von Ingo Preuß. Satz: pagina, Tübingen. Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen. Printed in Germany. ¯ Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. © Copyright 2013 by Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
ISBN 978-3-11-034000-6
e-ISBN 978-3-11-034009-9
Inhaltsübersicht Phaon. Ein Dialog im Elysium 4 Horazens Briefe aus dem Lateinischen übersezt und mit historischen Einleitungen und andern nöthigen Erläuterungen versehen von C. M. Wieland ¼Mit beigesetztem lateinischen Verstext nach½ Horazens Briefe aus dem Lateinischen übersetzt und mit historischen Einleitungen und andern nöthigen Erläuterungen versehen von C. M. Wieland. 1790 39 Gespräche über einige neueste Weltbegebenheiten 536 Briefe an einen jungen Dichter 598 Über die Frage: Was ist Hochteutsch? und einige damit verwandten Gegenstände 668 Anmerkungen / Anzeigen / Rezensionen Inhaltsverzeichnis 781
Der Teutsche Merkur vom Jahr 1782. Ihro Römisch-Kayserlichen Majestät zugeeignet. Mit Königl. Preuß. und Churfürstl. Brandenburg. gnädigstem Privilegio.
Erstes Vierteljahr. Weimar.
Der Teutsche Merkur. Eismond 1782.
Phaon. Ein Dialog in Elysium. Die Scene ist in einem Hayn, der mit Spaziergängen und Lauben durchschnitten ist. P h a o n , N i r e u s , hernach S a p p h o , und zuletzt noch A n a k r e o n .
Ph a o n . Schöner Unbekannter — höre mich nur einen Augenblick. Ni r e u s. Was verlangst du von mir? Ph a o n . Sage mir aufrichtig w o bin ich? w e r bin ich? und w a s soll ich hier? Ni r e u s. Welche Fragen! Du — bist im Elysium — wer du bist, kannst du selbst am besten wissen — und was du hier sollst, wird sich geben, wenn du
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eine Zeitlang da gewesen bist. Ph a o n . Ein seltsamer Ort! das muß ich gestehen, und seltsame Einwohner! Wenn ich mir nicht noch ganz genau bewußt wäre, daß ich Phaon bin, so müßt’ ich glauben jemand hätte mir meine eigne Person abgetauscht. Ni r e u s.
vor sich.
abzustreiffen. —
Der Mensch ist noch ganz neu, wie ich sehe, und hat viel Zu P h a o n .
Und wer glaubtest du denn auf der Oberwelt
zu seyn? Ph a o n . Ich glaubte nichts zu seyn als was ich war. Ich wurde einhellig für den schönsten Jüngling meiner Zeit gehalten. Ni r e u s.
Sieht ihn lächelnd an.
Du? — Du warst vermuthlich ein Scythe?
Ph a o n . Eine feine Vermuthung, bey Cythereen! Was für Augen habt ihr im Elysium? Gleichwohl, schön wie du selbst bist, solltest du einen Griechen, und, so wahr mir Amor gnädig sey! dein eignes Bild in mir erkennen. Ni r e u s. Erkennst du das Deinige in m i r ? Ph a o n .
Sieht ihn an und verwirrt sich.
Das ist doch nicht auszuhalten! Lieber
wollt ich dem Sisyphus seinen Stein wälzen oder den Danaiden ihr Faß füllen helfen! Ni r e u s. Was hast du, daß du so unruhig scheinst? Deine Farbe wird immer düstrer, und deine Bildung immer ungestalter!
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D e r Te u t s c h e M e r k u r
(Ende Januar 1782)
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Phao n. Und das schlimmste ist, sobald ich dir in die Augen sehe, so komm ich mir selbst so vor. Ja, der erste beste, der mir in diesem unbegreiflichen Lande begegnet, würkt das nehmliche. Ich begreiffe nichts von dieser seltsamen Bezauberung. Wo ich hinblicke, bin ich von Spiegeln umgeben, die mich häßlich machen; und es giebt einige, deren Anblik ich gar nicht aushalten kann. Gleichwohl bin ich der nehmliche Phaon, der noch vor kurzem der schönste unter allen Griechen hieß. Ni r e u s . Das will ich dir wohl glauben, weil du mirs versicherst. Phaon. Du würdest es dir selbst geglaubt haben, wenn du mich gesehen 10
hättest. Ich war so schön, daß die Leute nicht begreiffen konnten, wie einer, der weder von einem Unsterblichen gezeugt noch von einer Göttin gebohren worden, ohne Wunder so schön seyn könne, und daher auf die Einbildung verfielen, die Mutter der Liebe selbst habe mich zur Belohnung eines ihr geleisteten Diensts mit übernatürlichen Reitzungen begabt. Die Menge meiner Liebhaber war so groß, daß sie mir zur Last wurde; alle Mahler mahlten nur mich; alle Weiber verlohren ihre Ruhe um meinetwillen, und Sappho, die berühmte Sängerin von Lesbos, sogar ihren Verstand: das arme Mädchen stürzte sich aus Verzweiflung, weil sie alle ihre feurigen Lieder an mir verschwendet sah, vom Leukadischen Felsen herab; um dessen Klip-
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pen, wie man sagt, ihre lieblich wehklagende Stimme noch immer in stillen Nächten umher irren, und mit schwachem in Thränen erstiktem Ton Phaon, Phaon! ruffen soll. Ni r e u s . Dafür hat sie büßen müßen. Phaon. Mir selbst gereichte meine Schönheit endlich zum Verderben. Ein brutaler Eifersüchtiger, der mich fand wo er nicht erwartet war, versezte mich mit einem Dolchstoß hieher, wo ein feindseliger Dämon mich angeblasen, und, wie ich nicht mehr zweifeln kann, alle Augen, ohne meine eignen auszunehmen, zu meinem Nachtheil bezaubert hat. Es ist eine sehr unangenehme Veränderung, das kannst du mir glauben!
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Ni r e u s . Armer Phaon, ich begreiffe wie dir zu muthe ist. Was du izt erfährst, hab ich ehmals, da ich hieher kam, auch erfahren. Ich bin N i r e u s . — Phaon. Wie? Du bist Nireus? Nireus, Aglajas Sohn und Sohn des Königs Charopos Nireus der schönste der Männer die gegen Ilion zogen, Nach dem tadellosen Achilleus vor allen der Schönste.
Phaon
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Ni r e u s. Aber weichlich er selbst, und gering die Zahl seiner Streiter. *)
Ph a o n .
mit einer selbstgefälligen Mine.
Nun, so unbescheiden bin ich nicht, daß
ich mich mit Dir vergleichen sollte — wiewohl mirs, beym Castor! nicht an Schmeichlern gefehlt hat, die mich den Nireus meiner Zeit, den zweyten Hyacinthus, und den wieder ins Leben zurükgerufnen Adonis nannten. Und ich will dir sogar gestehen, daß es Augenblicke gab, wo ich mir selbst kaum getraute in einen Brunnen zu sehen, ohne vor dem Schiksal des Narcissus zu erzittern. Ni r e u s.
vor sich.
Der widerliche Mensch!
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Ph a o n . Laß dich umarmen, schöner Nireus! Mir ist, ich erkenne mich selbst wieder in Dir — laß dich umarmen! Du übereilst dich, Phaon!
Ni r e u s.
zurükweichend.
Ph a o n .
als ob er vor sich selbst zurükfahre.
Weh mir! Welch eine plözliche Ver-
wandlung! So wahr mir Venus helfe, ich begreiffe nichts davon. Ni r e u s. I c h begreiff es sehr wohl. Ph a o n . Aber sagtest du nicht, du hättest, als du hieher kamst, eben das erfahren? Gleichwohl hast du deine ganze Schönheit wieder erhalten. O sage mir, schöner Nireus, ist denn keine Hofnung für mich, daß ich wenigstens nur wieder werde was ich gewesen bin?
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Ni r e u s. Davor mögen die guten Götter dich bewahren! Ph a o n . Du bist grausam. Ni r e u s. Und Du verstehst mich nicht. Ph a o n . Ich frage bloß, ob kein Mittel ist, wodurch ich meine natürliche Gestalt wieder erlangen könnte? Ni r e u s. Allerdings giebts ein Mittel. Hier im Elysium giebts Mittel für Alles; denn die U n h e i l b a r e n , wenn welche sind, kommen nicht zu uns. Ph a o n . So beschwör ich dich bey den Grazien, entdeck es mir! Ich vergehe vor Ungeduld, bis du mir sagst was ich thun muß. Ni r e u s. Für D i c h weiß ich nur Ein Mittel — Suche den Aesopus auf, liebe ihn und gewinne seine Gegenliebe! Ph a o n . Wie? den kleinen buklichten Glazköpfigen Zwerg mit der breiten vorgedrükten Stirne? mit den tiefliegenden Augen? Mit der Faunen-Nase, *)
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I l i a s Ges. II. v. 657. u. f. S t o l l b . Ü b e r s .
D e r Te u t s c h e M e r k u r
(Ende Januar 1782)
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und dem weiten Seehundsrachen? — Der vorhin, an die schöne Rhodope gelehnt, bey mir vorbey schlenderte? Ni r e u s . Wie du ihn beschreibst! Er wird dir wohl schöner vorkommen, wenn du genauer mit ihm bekannt wirst. Phao n. Du spottest meiner. Ich habe solche Mißgeschöpfe nie leiden können. Es ist als ob alles um sie her von ihrer Häßlichkeit angestekt würde. Ich versichre dich, da er im Vorübergehn nur einen Blick auf mich warf, war mir einen Augenblik lang als ob ich in einen Affen verwandelt wäre. Ni r e u s . Das ist schon ein gutes Zeichen, Phaon. 10
Phaon.
ungehalten.
Der Vorzug, den du über mich zu haben glaubst, macht
dich übermüthig. Ich dächte doch nicht daß ich dir Ursache gegeben hätte mir s o zu begegnen. Ni r e u s .
Du kannst dich hier noch in nichts finden. Gedulde dich! Es
gelassen.
wird besser gehen, wenn du erst bey uns angewohnt bist. Ich dachte gleich, daß dir mein Mittel widersinnisch vorkommen würde. Aber du wolltest es wissen, und, ich wiederhohle dirs, ich weiß kein anders. Fahrwohl.
Nireus
entfernt sich.
Phao n.
ihm nachsehend, vor sich.
Wie schön er ist! Wenn er sich in dieser
Gestalt zu Olympia zeigte, die Griechen würden ihn für den Merkur oder 20
den ewigjungen Apollo ansehn. — Ich möchte rasend werden! Mit jedem Augenblicke komm’ ich mir ungestalter vor. Es muß mit Zauberey zugehen, anders ists nicht möglich — Ich kann’s nicht länger ertragen.
Er geht
tiefer in den Hayn; indem begegnet ihm S a p p h o , die aus einer Laube hervorkommt.
Aber, wer ist die Nymphe, die, mit so reizendem Anstand, eine Lyra von Elfenbein im schönen Arm, aus jener Laube hervorgeht? — Wie? seh ich recht? — Warlich, beym Castor! es ist die Lesbische Sängerin, es ist Sappho selbst! — Ich muß ihr ausweichen. — Aber sie geht auf mich zu — sie lächelt mir — o! gewiß liebt sie mich noch! — so ist doch wenigstens Eine Person hier, in deren Augen ich noch der schöne Phaon bin — Ich will ihr entgegen 30
gehen — Sa p p h o . Wie? der schöne Phaon auch im Elysium? Phao n.
vor sich.
Dacht ichs nicht! — Willkommen, Dichterin. Du hast mich
wohl nicht sobald in diesen Gegenden zu sehen gehoft? Sa p p h o .
lächelnd.
Hat sich vielleicht eine Grausame gefunden die mich an dir
gerochen hat? Hast du dich auch vom Leukadischen Felsen herabgestürzt?
Phaon
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Ph a o n . Vergieb mir deinen Tod, reizende Sappho — Ich glaubte nicht daß dich die Liebe bis zu einer so ernsthaften Verzweiflung treiben würde. Sa p p h o . Es war ein kindischer Zustand, was wir da oben Leben nannten! Wenn ich izt an meine Lieder denke, Phaon, —
Sie hält die Hand vors Gesicht.
Ph a o n . Laß sie dich nicht gereuen, schöne Sappho! Phaon sieht dich izt mit ganz andern Augen an — Sa p p h o .
ihm schnell ins Wort fallend.
O gewiß nicht mit verschiedenern als
womit Sappho den schönen Phaon ansieht. Ph a o n .
erschrocken.
Wie so? was willst du damit sagen? —
vor sich.
Götter! ich
werde mir doch nicht zuviel geschmeichelt haben?
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Sa p p h o . So gefall ich dir hier würklich besser als zu Mitylene? Ph a o n . Und du — findest du mich so verändert von dem was ich war, als du mein Herz — Venus mußt’ es in ihrem Zorn verhärtet haben! — durch so feurige Lieder in Liebe zu zerschmelzen suchtest? Sa p p h o . Erinnere mich nicht mehr dran! Mir wird gleich so wunderlich hier — Ph a o n . Sa p p h o .
sie legt die Hand auf den Magen.
— Ich finde dich gar nicht verändert.
lebhaft, indem er sie bey der Hand nehmen will. Die Hand zurükziehend.
Würklich nicht?
Ich finde dich noch eben so blond, noch eben
so krauslockig, blauaugig, lilienwangig, kirschenlippig, noch eben so weich und zart, und wie mit lauter Rosen und Küssen aufgefüttert, als ehmals — Kurz, Phaon du bist so schön, daß — mir ganz übel davon wird. —
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Sie bricht
einen Zweig von einem blühenden Citronenbaum ab, und hält ihn vor den Mund.
Ph a o n . Mir sollen die Grazien den Rücken kehren, wenn ich dich verstehe! Sa p p h o . Ich dachte, ich erklärte mich. — Siehst du, schöner Phaon — ich kann mich nicht lange aufhalten — Aber so schöne Herren wie du — sind nun, seit ich hier bin, meine tägliche Gesellschaft. Es sind ihrer nicht weniger als sieben, und immer einer blonder, süßer, zarter, lilienwangiger, geistloser, unbedeutender, leerer, strohartiger als der Andre. Und denke, ich muß sie, diese sieben Monden durch, den ganzen Tag um mich herflattern lassen, ihre gefühllosen Schmeicheleyen, ihren ewigen eintönigen Grillengesang, ihr gedankenloses Elstergeschwäz anhören, und — darf mir weder die Augen verbinden, noch die Ohren verstopfen, noch davon lauffen — und das Alles, schöner Phaon, zur Strafe, weil ich so ein albernes Ding war, mich, aus Ungeduld darüber daß du so wenig Seele hattest, von dem Leucadischen Felsen zu stürzen. Ich versichre dich, mein Zustand würde
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D e r Te u t s c h e M e r k u r
(Ende Januar 1782)
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ärger als ein Plaz im Tartarus gewesen seyn, wenn nicht alle sieben Tage einmal der eisgraue Nestor, und der alte Simonides, und der weise Solon, und andre solche hübsche Leute Erlaubnis gehabt hätten, mich zu besuchen und meines Leides zu ergötzen. Phaon.
vor sich.
Ich möchte von Sinnen kommen.
Sa p p h o . Du glaubst nicht, wieviel dieser alte Homerische Nestor über mein Herz gewonnen hat! Das nenn’ ich einen Mann bey dem einem die Stunden zu Augenblicken werden! Wenn ja noch einer ist, der ihm den Vorzug in meiner Liebe streitig machen kann, so ists Anakreon — der liebenswürdig10
ste, natürlichste, munterste, angenehmste, jugendlichste Greis im ganzen Elysium. Mein guter Phaon! Das sind die Männer, von denen ein Mädchen im Elysium geliebt zu werden stolz seyn mag! Phaon.
vor sich.
Was sie schön wird, indem sie von den alten eisbärtigen
hohlaugigen Flußgöttern spricht! —
laut.
Wenn du das alles nicht bloß sagst
um mich rasend zu machen, so hat der Sturz vom Leucadischen Felsen eine mächtige Veränderung in dir gewürkt. Sa p p h o . Das ist auch noch das einzige weßwegen ich dir von Herzen gut bin, lieber Phaon; und sobald du deine Quarantäne überstanden, und dich zu einem Menschen, der in guter Gesellschaft einen Plaz behaupten kann, ab20
gestreift haben wirst, sollst du keine Ursache finden, mich der Undankbarkeit zu beschuldigen. Inzwischen fahrwohl! — wegzugehen. vor sich.
sie wendet sich von ihm ab um
Ich kann’s nicht länger bey dem widerlichen Menschen
ausdauern. Phaon. Du bist ja sehr eilfertig — Suchst du etwa deinen alten Anakreon, oder den Großvater Nestor auf? — so ersparst du eine Mühe — denn, wenn ich recht sehe, so kommt dir der alte Bacchusbruder von Teos, seine Glatze mit Rosen umkränzt, und den vollen Becher in der Hand, aus jenem Seitengang entgegen.
er weicht auf die Seite.
Sa p p h o . Du hast recht gesehen. — Woher, o Sänger der Grazien, diese un30
verhofte Erscheinung? Anakr e o n . Die seligen Bewohner Elysiums senden mich, schöne Dichterin, dich in ihre Versamlung einzuführen. Deine Buße ist vorbey — und in diesem goldnen Becher, mit Wasser aus Lethe gefüllt, bring ich dir ein ewiges Vergessen aller Thorheiten und Plagen deines Erdelebens. Sa p p h o . Reiche her — Dies trink ich den schönen Lesbierinnen, dem gold-
Phaon
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lockigen Phaon, und den Nymfen des Leucadischen Felsens zu! —
Sie trinkt
aus und wirft sich dem Anakreon in die Arme.
An a k r eo n . Komm, meine Liebe —
Er singt.
aië Moysai ton Ervta dhsasai stefanoisi tvì Kallei paredvkan *) u. s. w. Sie gehen Arm in Arm singend ab.
Ph a o n . Und was aus m i r werden soll, darum bekümmert sich niemand — Ein feines Elysium! W.
*)
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Die Musen banden Amorn mit Blumenkränzen und gaben ihn der Schönheit in Verwahrung.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r
(Ende Januar 1782)
¼Der Philosophische Schuster. … Dem weiblichen Geschlecht war er nicht gut.* ) Er hielt alle Frauensleute für unwissend, roh, niederträchtig und im höchsten Grad eigensüchtig. „So alt sie auch werden, sagte er, und so viel man sie auch trillt, so bleiben sie doch, aufs gelindeste benennet, nur g r o ß e J u n g e n . “ — Der Grobian hätte sie doch wenigstens schöne Jungen nennen sollen.** )½ *) ** )
Desto schlimmer für M e i s t e r T h o m s ! Hier muste einiges im Mscpt. den Grazien aufgeopfert werden.
¼Anmerkungen: Müller½ D e r P h i l o s o p h i s c h e S c h u s t e r
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Der Teutsche Merkur. Hornung 1782.
¼Nachricht an die Freunde der Te u t s c h e n L i t t e r a t u r , eine vorhabende Ausgabe des Alt-Schwäbischen Gedichts, d i e N i b e l u n g e n , betreffend. …½
Wer diese Unternehmung, die keinem Freunde der Teutschen National-Litteratur gleichgültig seyn kann, hier in Weimar, oder in hiesigen Gegenden zu befördern geneigt ist, wird ersucht, sich deshalben an dem H r n . R a t h B e r t u c h allhier zu addressiren. Um den Liebhabern einigen Vorschmak von dem sogenannten Liet der Ni-
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belungen zu geben, rücken wir hier den Anfang desselben ein, den der Herr Prof. Müller auf einem besondern Blatte seiner Anzeige beygelegt hat. ¼Uns ist in alten mären wunders vil geseit Von helden lobebeern von grozzer chunheit. Von fröden hoch geziten von weinen und von klagen Von chuner rechen striten moget ir nu wunder hören sagen.
5. Es wuchs in burgonden ein schöne magedin. Daz in allen landen niht schöners mohte sin. Chriemhild was si geheizzen unde was ein schöne wip. Darumbe mösen degene vil verliesen den lip. Der minnechlichen meide truten wol gezam.
10. In müte köner recken niemen was ir gram. Ane mazen schöne so was ir edel lip. Der iunchfröwen tugende cierten anderiv wip. Ir phlagen dri kunige edel unde rich. Gunthere unde Gernot die recken lobelich.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r
(Anfang März 1782)
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15. Unde Giselher der iunge ein üzerwelter degen. Div fröwe was ir swester die fursten hetens in ir pflegen. Die herren warn milte von arte hoh geborn. Mit krefte unmazzen küne die recken üz erkorn. Daz en burgonden so was ir lant genant.
20. Si frumden starkiv wunder sit in ezelen lant. Ze wormz bi dem rine si wonden mit ir kraft. In diende von ir landen vil stolziv riterschaft. Mit stolzlichen eren unz anir endes zit. 10
Sit storben si iamerliche von zweier edelen fröwen nit.
25. Ein richiv kuniginne frö üte ir müter hiez. Ir vater hiez danchrat der in div erbe liez. Sit nach sime lebne ein ellens richer man. Der öch in siner iugende grozzer eren vil gewan. Die dri kunige waren als ich gesaget han.
30. Von vil hohem ellen in warn undertan. Och die besten rechen von den man hat gesaget. Stark unde vil chüne in allen striten unverzaget. Daz was von trong hagene und öch der brüder sin. 20
Danchwart der vil snelle unde von mecen ortwin.
35. Die zwene marchgrauen gere unde eckewart. Volcker von alzaze mit ganzen ellen wol bewart. Römol der kochenmeister ein özerwelter degen. Sindolt vnd hünolt dise herren müsen pflegen. Des houes und der eren der drier konige man.
40. Si heten noch manigen reken der ich genennen niht enkan. Danchwart der was marschalch do was der neue sin. Truhsäze des koniges von mecen witwin. Sindolt der was schenche ein özerwelter degen. 30
Hunolt was kameräre si chundengrozzer eren pflegen.
¼Zusatz: Müller½ N a c h r i c h t
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45. Von des hoves krefte unde von ir witen kraft. Von ir vil hohen werdecheit unde von ir riterschaft. Der die herren pflagen mit frowden al ir leben. Des en chunde in ze ware niemen gar ein ende geben. Ez trömde chriemhilde in tugenden der si pflach.
50. Wie si einen valchen wilden zuge manigen tach. Den in zwene arn erchlomen daz si daz müste sehen. Ir en chunde in dirre werlde nimmer leider sin geschehen. Den tröm si do sagete ir müter üten. Sin kunde inbaz bescheiden niht der güten.
55. Der valche den du ziuhest daz ist ein edel man. In welle got behüten du müstin schiere verlorn han. Waz saget ir mir von manne vil liebiv müter min. Ane reken minne wil ich immer sin. Sus schöne wil ich beliben unz an minen tot. u. s. w.½
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D e r Te u t s c h e M e r k u r
(Anfang März 1782)
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An die Abonenten des T . M e r k u r s . Die Buchdruckerey, in welcher gegenwärtiges Journal seit 1774 gedruckt wird, ist seit einiger Zeit mit Arbeiten so überhäuft gewesen, daß der Merkur dadurch merklich aufgehalten und aus seinem Gleise gebracht worden. Zu verhindern, daß die Ablieferung nicht mit jedem Monat um 8 Tage später geschehe, sehe ich mich genöthiget, das gegenwärtige, und vielleicht auch das folgende Monatstück, auf fünf Bogen einzuschränken. Ich verspreche aber, daß dieser Abgang in den bevorstehenden Sommer-Monaten unfehlbar nach und nach ersezt, und also dem ganzen Jahrgang an der gewöhnlichen Bogen10
zahl nichts fehlen soll. Weimar, den 28sten Hornung 1782. Wieland.
An die Abonenten des T. Merkurs
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Der Teutsche Merkur. März 1782.
Horazens Dritter Brief an Mäcenas. * ) (der Neunzehnte im Ersten Buch.) Einleitung. Das achte Jahrhundert der Römischen Republik, − dessen erstes Viertel durch die schrecklichsten Revolutionen in ihrer innern Verfassung so merkwürdig geworden, daß die Geschichte keinen andern Zeitraum von gleicher Dauer kennt, der mit diesem zu vergleichen wäre, − war es nicht weniger durch ein wunderbares Zusammentreffen der größten und vorzüglichsten Geister, welche die Grenzen der römischen Sprache und den Ruhm ihrer Litteratur eben so schnell ausdehnten, als die Scipionen und Emile die Macht der Republik
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ausgedehnt hatten; Männer, die, von einem edlen Wetteifer mit den G r i e c h e n , ihren Meistern in den Musenkünsten, angefeuert, durch eine Menge vortreflicher Werke zeigten, was für eine Höhe die Römischen Musen hätten ersteigen können, und wie weit sie vermuthlich ihre Meister selbst hinter sich gelassen hätten, wenn nicht, unglüklicherweise, diese Morgenröthe ihres goldnen Alters in die nämliche Zeit gefallen wäre, wo die Republik unter dem heftigsten Zweykampf zwischen Tyranney und Freyheit, den die Welt jemals gesehen hat, zu Trümmern gieng, und d i e g r ö ß t e n M ä n n e r d e r Z e i t , b e y n a h e m i t d e r g a n z e n B l ü t h e u n d H o f n u n g d e r k ü n f t i g e n , in ihren Untergang hineinzog. Denn die edlen und schönen Geister, welche dem eigentlichen Jahrhundert Augusts so viel Glanz geliehen haben, sind nur als d i e Ü b e r b l e i b s e l e i n e r b e s s e r n Z e i t , als die wenigen, die aus einem schrecklichen Sturm und Schifbruch ihr Leben noch davon gebracht, anzu*)
Man hat für schicklich gehalten, da das Ganze der H o r a z i s c h e n B r i e f e mit dem dazu
gehörigen Commentar zur Einrückung in dieses Periodische Werk nicht qualificiert war, den Publicum wenigstens einen dieser Briefe mit der E i n l e i t u n g und den E r l ä u t e r u n g e n , die dazu gehören, als eine Probe jenes vor etlichen Monaten in unserm Journal angekündigten Werkes, welches auf bevorstehende Messe in 2 Theilen in gr. 8v. erscheinen wird, vorzulegen. W.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r
(Ende März 1782)
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sehen: und selbst die besten unter ihnen, ein Va r i u s , ein H o r a z , ein V i r g i l , ein P o l l i o , ein L i v i u s , waren das n i c h t , k o n n t e n , d u r f t e n das nicht seyn, was sie gewesen wären, wenn es den Verfechtern der Freyheit gelungen wäre, die Republik wieder herzustellen, oder, da das alte Fundament unter der ungeheuren Last ihrer Größe eingesunken war − einen n e u e n Te m p e l d e r F r e y h e i t auf n e u e G r u n d p f e i l e r zu legen, stark genug, ihn vielleicht noch eben soviele Jahrhunderte zu tragen, als der Alte gestanden hatte. Indessen machten die wenigen vortreflichen Köpfe welche die Republik 10
gesehen und überlebt hatten, und die dem nachmaligen Augustus, als das Kostbarste von der Beute der überwältigten Freyheit seines Vaterlandes, gleichsam zugefallen waren, − die vornehmsten Zierden seiner Regierungszeit aus. Sie wurden durch das, was sie zu der glücklichen Veränderung seiner Denkart und Sitten beytrugen, für ihre Zeitgenossen wohlthätig; und sind vielleicht die wahre Ursache, daß die Welt, durch eine Art von Bezauberung immer wieder von neuem vergißt, daß der Tr i u m v i r O c t a v i u s C ä s a r und A u g u s t d e r Va t e r d e s Va t e r l a n d e s − eine und eben dieselbe Person sind. Das Vergnügen, das alle Leute von Geschmack an den Werken dieser Dichter fanden, der Ruhm ihres Namens, der − wiewohl ein bloßes Eccho des Bey-
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falls der kleinern Anzahl aus dem Munde der nachhallenden Menge − doch immer ein beneidenswerther Vortheil scheint; und vornehmlich die Gunst und Achtung, worinn man sie bey den Großen und bey August selbst stehen sah − Alles dies erwekte ihnen in kurzer Zeit eine unendliche Menge Nachahmer und Nebenbuhler, von allerley Graden der Mittelmäßigkeit oder Schlechtigkeit. Mit der Menge der D i c h t e r nahm auch die Menge der L e s e r , und mit beyden die Menge der K u n s t r i c h t e r und K e n n e r zu. Jedermann machte entweder selbst Verse, oder traute sich doch zu, über die Dichter und ihre Werke richterlich abzusprechen. Das neuauflebende C ä s a r i s c h e R o m wimmelte von müßigen Leuten, denen jede Art die Zeit zu tödten willkommen
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war; der Luxus der Reichen und die Dürftigkeit der Armen setzte alle Talente in Bewegung; und, weil Reichthum und Geschmack selten beysammen sind, so fehlte es auch den unbefugtesten Prätendenten an Genie und Wiz nicht leicht an Beschützern und Lobpreisern. Wizling und Kennerling, Dichterling und Leserling, sind von jeher C o r r e l a t a gewesen, deren eines sich in dem andern spiegelt, und eines des an-
Horazens Dritter Brief an Mäcenas. Einleitung
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dern werth ist; und so groß auch, aus mancherley Ursachen, die innerliche Zwietracht des Reichs der Dummheit ist: so ist doch immer etwas, das sie, bey jeder Gelegenheit, gegen den gemeinschaftlichen Feind unter Eine Fahne vereinigt. Daher die mancherley Cotterien und Bureaux d’Esprit, worinn man für oder wider einen berühmten Mann Partey machte; und wo man Abrede nahm, wieviel oder wenig Werth man auf ein neuerschienenes Werk legen wollte; wo es schlechten Schriftstellern nie an Mitteln fehlen konnte sich Bewundrer und Beschützer zu erwerben, und nur die guten, die solcher Unterstützungen nicht nöthig zu haben dachten, sich unvermerkt ohne Freunde und dem unverständigen oder hämischen Tadel eingebildeter Kenner, die sich
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verachtet, oder kleiner Nebenbuhler, die sich verdunkelt glaubten, preisgegeben sahen. Man bildet sich gewöhnlich ein, die Zeitgenossen eines Schriftstellers, dessen Werth und Ruhm eine lange Reihe von Jahrhunderten entschieden haben, hätten eben so von ihm geurtheilt wie wir. Diese gegenwärtige Epistel kann uns, wenigstens was unsern Dichter betrift, eines andern überzeugen. Es war auch in diesem Stücke vor 1800 Jahren zu Rom gerade wie bey uns und − allenthalben. Horaz hatte einen großen Ruf, aber wenig litterarische Freunde. Seinen Namen kannte jedermann, seinen Werth nur die Wenigen, die selbst einen Werth in seinen Augen hatten. Diejenigen, die ihn vielleicht am fleißig-
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sten lasen, d. i. die nehmlichen, die ihn am unverschämtesten bestahlen, thaten öffentlich als ob gar kein solcher Mann wie Horaz in der Welt wäre. Die Kunstrichter vom Handwerk rächeten sich dafür, daß er keine Notiz von ihnen nahm, durch schiefe Urtheile. Die Kennerlinge behaupteten ihr Ansehen, indem sie zu dem gefühlten Beyfall, der ihm da oder dort in ihrer Gegenwart gegeben wurde, die Achseln zukten, und zu verstehen gaben, daß sehr viel darüber zu sagen wäre. Die Nachäffer hätten ihn gerne zu ihresgleichen gemacht: es wäre eben keine so große Kunst, sagten sie, solche Oden zu machen wie Horaz; und er hätte doch das beste darinn von den Griechen die er nachahmte. Die D i l e t t a n t i vermißten in seinen Trinkliedern — die Hoheit des Pindar, in seinen moralischen Empfindungen − das Feuer der Sappho, in seinen heroischen Oden − die Anmuth des Anakreon; und sie schämten sich nicht, den holprichten und schwazhaften Satyren des Lucilius vor seinen Sermonen den Vorzug zu geben. Überhaupt, scheint es, prävalierten sie sich gegen ihn des Umstands, daß die Schönheiten seiner Werke größtentheils zu fein
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waren, um auf den großen Haufen Eindruk zu machen, oder von ihm recht verstanden zu werden. Der Unverstand der Leser ist immer die Sicherheit unverständiger oder übelwollender Tadler; und es ist nichts leichters, als das schiefste Urtheil einer Menge von Leuten einleuchtend zu machen. Einigen war er zu scharf in seinen Satyren, andern hatte er nicht Nerven genug; solcher Verse, sagten sie, könne man tausend in einem Tage machen *). Andre konnten sich nicht in den leichten, launevollen und ironischen Ton seiner Schriften finden; sie wußten immer nicht recht was er eigentlich sagen wolle; sein Salz war zu fein für ihren Gaumen. Kurz Horaz, mit allen seinem Geist, 10
Wiz und Geschmack, war kein Mann für das römische Volk; und, wiewohl es Mode seyn mochte ihn gelesen zu haben, so wurde doch unter allen Dichtern seiner Zeit schwerlich einer − weniger verstanden. Spuren von allen diesem finden sich an vielen Orten seiner Sermonen und Episteln; und er selbst war so überzeugt davon, daß er gar keinen Anspruch auf den Beyfall der Menge machte, und sich, scherzweise, mit der Tänzerin A r b u s c u l a verglich welche, da sie von dem Volke ausgezischt wurde, sich damit tröstete, daß ihr doch d i e R i t t e r geklatscht hätten **). Aber eben dieser humoristische Ton, womit er von seiner eignen Poeterey sprach, und der geringe Werth den er darauf legte, war vielen Leuten anstößig. Bald konnten
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sie nicht glauben daß es ihm Ernst sey, und gaben ihm zu verstehen er spräche nur so, um desto weidlicher gelobt zu werden; bald hielten sie es für ein Bekenntniß, das ihm von seinem Gewissen wider Willen ausgepreßt würde, nahmens utiliter an daß nicht viel hinter ihm seyn müsse weil er selbst so wenig von sich halte, und stellten sich, als ob sie weder den Genie noch die Feile an seinen Werken merkten. Sagte er, um ihrer loß zu werden, er gebe sich gar für keinen Meister vom Handwerk, er habe seine ersten Verse aus Desperation ***), und die übrigen ohne alle Prätension, aus bloßer Liebhaberey ****) oder weil er nicht schlafen könne *****) gemacht: so antworteten sie, er spotte, und *)
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Satyr. II. 1.
**)
Satyr. I. 10. A r b u s c u l a konnte sich nicht nur auf den Beyfall des R i t t e r s t a n d e s was zu gute thun: sie gefiel sogar dem großen C i c e r o . Quaeris de A r b u s c u l a ? (schreibt er seinem A t t i c u s ) v a l d e p l a c u i t . IV. 15. wiewohl dies vielleicht auch nur soviel sagen soll: s i e h a t grossen Beyfall erhalten. ***)
Paupertas impulit audax ut versus facerem. E p i s t . II. 2. v. 51.
**** ) *****)
Me pedibus delectat claudere verba. S a t . II. 1. v. 28. Ne faciam, inquis, omnino versus − Peream male, si non optimum erat. ibid. v. 5.
Horazens Dritter Brief an Mäcenas. Einleitung
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spreche nur so, weil er andere Leute verachte, und sich einbilde es könne niemand etwas Gutes machen als er − und was dergleichen mehr war. Horaz liebte seine Ruhe zu sehr, und kannte das Wespenartige Geschlecht der Wizlinge und Poetaster zu gut, um sich mit ihnen in einen Streit einzulassen, wobey man immer besudelt wird, man verliere oder gewinne. Aber, da er izt im Begriff war ein Buch Episteln herauszugeben, wollte er doch diese Gelegenheit nicht vorbeylassen, der Welt ein paar Worte von sich selbst, von seinen Nachahmern, von seinen Tadlern und Neidern, und von der Ursache zu sagen, warum das Publikum − ungeachtet der Begierde womit seine Werke gesucht und gelesen würden − gleichwohl so kaltsinnig davon spreche, und so
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wenig guten Willen gegen den Verfasser spüren lasse. Und an wen konnte er eine Entladung dessen, was er über diesen Punkt auf dem Herzen hatte, schiklicher addressiren, als an den ersten Freund seiner Muse, an den Mann, dem er das stille Glück seines Lebens schuldig war, der ihn besser als irgend ein andrer kannte, und dessen e i g n e n D i c h t e r er sich im siebenten Briefe zu nennen liebt? So entstand diese dritte Epistel an Mäcenas, worinn er, unter dem Schein eines kaltblütigen vertraulichen Gesprächs mit seinem großen Freunde, das besagte Problem auf eine Art auflößt, die zwar nicht sehr schmeichelhaft für die Herren ist, d e r e n G u n s t e r s i c h m i t e i n e r M a h l z e i t o d e r e i n e m
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a b g e t r a g n e n R o c k z u e r k a u f e n g e t r a u t e , aber sonst jeden Vernünftigen befriedigen muß. Die Laune, womit er es thut, besonders die Wendung die er nimmt, um den Mäcen unvermerkt auf das was er eigentlich sagen wollte zu bringen, und der gute Ton, auf den der ganze Brief gestimmt ist, werden sich dem Leser von Geschmack von selbst empfehlen. Nur Schade, daß die körnichte K ü r z e , die eine Hauptschönheit des Originals ist, in der Übersetzung der Deutlichkeit aufgeopfert werden mußte. * * *
Wenn du, gelehrter Freund, dem alten Komiker Kratinus (1) glaubst, so können keine Verse lange gefallen oder leben, die von Wassertrinkern geschrieben worden. In der That ist nicht zu läugnen, daß, seitdem der Gott der Reben
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das schwärmerische Dichtervolk den Satyrn und Faunen zugesellt (2), der Musen süsser Athem wohl gar Frühmorgens schon nach Weine riecht. Homerus pries den Rebensaft zu gerna) um nicht der Weinsucht sehr verdächtig sich gemacht zu haben. Selbst der Vater Ennius sprang nie als wohlbezecht hervor, die Thaten der Helden Roms zu singen. − „Allen Nüchternen weis’ ich den Marktplatz und das Puteal 10
des Libons (3) an, und allen Finsterlingen soll, Kraft dieß, die Dichterey zu Rechten niedergelegt seyn!“ − Seit der Alteb) dies Edict ergehen ließ (4), ermangelten die Herr’n vom Handwerk nicht, von früh bis in die Nacht und wieder an den Morgen, in die Wette zu trinken, und nach schlechten Wein zu duften. Gerad als wenn sich einer dünken ließe es brauche nur ein trutziges Gesicht, und ungekämmt, in einem kurzen Rocke
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von grobem Tuche, baarfuß übern Markt einherzusteigen, um die hohe Tugend des C a t o darzustellen. Aber was gewann der Maure C o r d u s , da er, seine große Urbanität zu zeigen, über Kraft Gewalt sich anthat, dem bewunderten Timagenes im declamieren nachzueifern? − Nichts als − einen Bruch. (5) Ein Muster wird auf seiner schwachen Seite am leichtsten nachgeahmt, und steckt gewöhnlich
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durch seine Fehler an. Verlöhr ich ungefehr die Farb’, ich wette gleich sie tränken Kümmelwasser a) Durch die Beywörter die er immer dem Wein giebt, so oft er dessen erwähnt, und die immer von seiner s t ä r k e n d e n , b e g e i s t e r n d e n , h e r z e r f r e u e n d e n Tugend, oder von seiner schönen Farbe, hergenommen sind. b) Nämlich, E n n i u s , der Homer der Römer.
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um blaß zu werden. O du leidige Nachahmer-Schaar, zum Tragen und zum Folgen gebohrnes Vieh! Wie oft hat euer Lermen und Jahnen bald zum Lachen mich und bald zur Ungeduld gereizt! − I c h habe meinen Weg durch einen Strich des Helikons, wo kein Lateiner mir vorangieng, selbst gebahnt, nicht meinen Fuß in andrer Tritt gesezt. Wer sichs nur zutraut, führt den ganzen Schwarm. Ich bin der erste, der die Jamben des
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Archilochus nach Latium gebracht; ich habe seine Versart, seinen Geist, nicht Wort’ und Sachen, eigen mir gemacht. (6) Noch wirst du meines Epheukranzes mich drum minder würdig halten, weil ich mich gescheut auch seine Versart abzuändern: Denn auch die feuervolle S a p p h o , auch A l c ä u s borgt ihm seinen Rhythmus ab, wiewohl vermischt mit andern, und an Inhalt verschieden; denn erc) sucht sich keinen Schwiegervater
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um ihn mit schwarzen Versen anzuschmitzen, noch knüpft er durch ein schmacherfülltes Lied den Strik womit sich seine Braut erdroßle. D e r ist es,d) den ich (was in unsrer Sprache von keinem noch versucht war) als der erste Lateinische Liederdichter, unserm Volke bekannt gemacht; und − warum sollt ichs nicht gestehn? Mir schmeichelts, wenn ich meine Lieder, durch den Reiz der Neuheit wenigstens, zu Rom empfohlen, mit Lust gelesen seh’, und in den Händen von Allen finde − deren Beyfall ehrt.
c) A l c ä u s . d) Nämlich, A r c h i l o c h u s .
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Frägst du mich aber, wie es komme, daß der undankbare Leser meine Kleinigkeiten zu Hause ließt und liebt, hingegen auswärts die Achseln kritisch zükt, und höchstens − schweigt? Nichts ist begreiflicher. Ich gebe mir nicht die geringste Müh die holen Stimmen des Pöbels unsrer leichten Dichterlinge und windichten Entscheider zu erjagen; wiewohl sie mir ein Abendessen, oder 10
ein abgetragner Rock erkauffen könnte.e) Ließt einer unsrer angesehenen Schriftsteller irgendwo mit großem Pomp sein neues Werk, (7) so − weiß ich nichts davon, und bin nicht da, um mitzuklatschen, oder mich zu seinem Herold und Verfechter gegen den Zoilus dienstfreundlich aufzuwerfen; bin weder Haupt noch Glied von keinem C l u b , und würdige unsrer hochgelahrten Meister der freyen Künste keinen, mich zu seinem Stuhl
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zu drängen, oder seinen Beyfall zu briguiren. (8) D a l i e g t d e r H u n d b e g r a b e n ! f ) — Sag ich dann zu einem dieses Schlags: ich schäme mich vor einem großen Auditorium mit meinen Kleinigkeiten zu erscheinen, als dächt ich mehr Gewicht, als solche Dinge in meinen Augen haben, drauf zu legen: so zieht der Mann das Maul und spricht: „Der Herr beliebt zu scherzen, wie ich merk’, und spart für Jovisg) Ohren seine Sachen auf;
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e) Ein unbarmherziger Hieb auf die armen Schelme, die das doppelte Unglück hatten, schlechte Verse zu machen und zu hungern. f) Hinc illae lacrymae! Eine Anspielung auf eine bekannte Stelle in der A n d r i a des Terenz, die, wie es scheint, zum Sprüchwort geworden war. g) Eine von den Griechen entlehnte Sprüchwörtliche Redensart, welche von Leuten gebraucht wurde, die aus ihren Sachen ein Geheimnis zu machen affectierten. Hier kann sie füglich auf
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er denkt der Musen Honig fließe keinem sonst als ihm, und ist sich selber schön genug um unsers schlechten Beyfalls zu entbehren.“ Was ist zu thun? Ihm eine spitzige Antwort zu geben scheu ich mich; denn diese Wespen sind furchtbar − kurz, um seinen Stachel nicht noch mehr zu fühlen, wind’ ich mich von ihm mit der Entschuldigung los, der vorgeschlagne Ort mißfalle mir − und bitt’ um Galgenfrist.h) In einen Kampf auf Wiz mit diesen Leuten
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sich einzulassen, ist nicht rathsam. Erst ists bloßes Spiel; allmählich wird man warm, die Galle steigt, der Scherz wird immer bittrer, zulezt erboßt man sich und hört mit Schlachten auf.
Erläuterungen. (1) K r a t i n u s − einer der ersten, welche dem rohen Possenspiel des Thespis eine bessere Gestalt gaben, und dasjenige daraus machten was man zu Athen die a l t e K o m ö d i e hieß, hatte zu seiner Behauptung, daß kein Wassertrinker ein guter Dichter seyn könne, einen sehr persönlichen Grund; denn er war ein so eifriger Client des Weingotts, daß er’s mit dem alten Silenus
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selbst hätte aufnehmen können, und trieb’s soweit, daß seine Matrazen, *) auf eine Art die seiner Urbanität wenig Ehre macht, zum Sprüchwort wurden. A r i s t o p h a n e s bedient sich dessen in seinen R i t t e r n zu einem Bon-Mot, das eine starke Lungen-Erschütterung in dem Atheniensischen Parterre er-
August gezogen werden, der damals, wenigstens in den Provinzen (denen die Römer schon einen Grad von Niederträchtigkeit mehr erlaubten als sich selbst) bereits Altäre hatte, und öffentlich auf Münzen und Denkmälern unser H e r r G o t t A u g u s t gescholten wurde. h) D i l u d i a p o s c o . Diludia hießen bey den Römern die Rasttage die man den Gladiatoren, zwischen den Tagen wo sie fechten mußten, bewilligte. Weil diese Unglücklichen auf Leben und Tod fechten mußten, so ist Galgenfrist ein ziemlich gleichbedeutender Ausdruk. *)
Kvdiai, eigentlich, Schaffelle, auf welchen zu Athen Leute von diesem Schlage, statt der
Polster, zu liegen pflegten.
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regen mußte, weil die meisten Zuhörer den Kratinus persönlich gekannt hatten − Ei se mh misv, sagt der erzürnte K l e o n zum A g o r a k r i t u s , genoimhn en Kratinoy kvdivn ! (Sc. III. Act. I.) We n n i c h d i c h n i c h t h a s s e , s o − (anstatt zu sagen so will ich gehangen seyn, oder so was,) s o w i l l i c h i n K r a t i n u s F e l l e n l i e g e n ! − Ein eben so komischer aber feinerer Zug über die Weinsucht dieses Dichters findet sich im F r i e d e n s s c h l u ß des G r i e c h i schen Moliere : Mer k ur. Und Kratinus, der Weise, was macht denn der? 10
Tr y g ä u s. Der ist beym Einfall der Lakonen *) gar gestorben. Mer k ur. Woran denn? Tr y g . An Kummer; das Herz brach ihm, Da er einen Krug voll Weins zerschlagen sah. Übrigens ist mit den sämtlichen Werken dieses alten komischen Dichters (wovon nur unbedeutende Fragmente übrig sind) auch die Stelle, auf welche Horaz hier anspielt, verlohren gegangen: doch hat sie sich in einem artigen Epi-
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gramm eines Unbekannten erhalten, welches ich in der B r u n k i s c h e n S a m m l u n g vergebens gesucht habe, und also um so lieber aus dem B e n t l e y abschreiben will:
Oinow toi xarienti pelei taxyw iëppow aoidvì, yëdvr de pinvn xrhston oyden an tekoiw. TaytÆ elegen, Dionyse, kai epneen oyxÆ eënow askoy K r a t i n o w , alla pantow vdodvw piuoy. Toigarti stefanvn domow ebryen, eixe de kittvì metvpon, oiëa kai sy, kekrokvmenon. *)
Lacedämonier.
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Wein ist dem fröhlichen Sänger das wahre Flügelpferd, Wer Wasser trinkt wird nie was Gutes machen! So rief K r a t i n , o Bacchus, nicht duftend etwa nur von einem Schlauch, er roch ein ganzes Faß: Drum wimmelt von Kränzen sein Haus, und seine Stirn ist, deiner gleich, von Epheu gelbgefärbt.
(2) Ut male sanos adscripsit L i b e r Satyris Faunisque poe¨tas − Alle Schwärmerey, also auch die Dichtrische, stund bey den Griechen unter dem Einfluß des Weingotts. Dichter, welche sich nicht gerne in so guter Gesellschaft als Satyrn und Faunen sind, befinden, haben also alle Ursache, auf dem
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Unterschied zwischen S c h w ä r m e r e y und E n t h u s i a s m u s zu bestehen, was auch die D e m o k r i t e dagegen einwenden mögen. (3) Wer über dieses P u t e a l d e s L i b o irgend einen Philologen oder Antiquarier v o r d e m S a l m a s i u s zu Rathe ziehen wollte, dem können wir, aus Erfahrung, melden, daß er ihn verwirren und irre führen wird. S a l m a s i u s ist der erste, der die Sache auseinander gesezt *), und gezeigt hat: daß das P u t e a l i m C o m i t i o (nahe bey der C u r i a , dem heiligen Feigenbaum, und der Bildsäule des A t t i u s N a v i u s ) unter welchem das berühmte Scheermesser, womit dieser Augur, zu Beschämung des unglaubigen Königs Tarquinius Priscus, einen Schleifstein entzweygeschnitten, nebst besagtem Schleifstein
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vergraben lag, **) und das Puteal Libonis, wovon bey Horaz die Rede ist, zwey ganz verschiedene Dinge sind. Denn, nach der Anzeige des Grammatikers F e s t u s * * * ) stund L i b o n s P u t e a l , zwar auch auf dem Foro Romano, wie jenes, aber weit davon entfernt, ohnweit der Vorhalle des Minerven Tempels. Soviel man aus dem kurzen ziemlich undeutlichen Bericht des Festus abnehmen kann, war die Stelle, wo dieses Puteal stand, schon vor Alters ein Sacellum, d. i. ein eingemaurter heiliger Plaz gewesen, aber, wie es scheint, durch den Bliz getroffen und beschädigt worden, und mit der Zeit ganz zusammen gefallen. Die Römer hatten eine besondre Religion für die vom Bliz getrofne Örter; es war ein Sacrilegium, einen solchen Ort zu betreten, zu überbauen,
*)
Exercitat. in Solin. p. 801. seq.
**)
C i c . de Divinat. L. I. c. 17. D i o n y s . H a l i c . Antiqu. Rom. L. IV. p. 204. edit. Sylb.
***)
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de Verbor. Signif. L. XVII. p. 487. edit. Dacier.
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oder irgend etwas Menschliches darauf zu verrichten. Da nun einst (Festus sagt nicht, wann solches geschehen) der Senat dem S c r i b o n i u s L i b o aufgetragen, alle vom Bliz getrofnen Örter zu untersuchen und das nöthige dabey vorzukehren, so kam er auch an dieses; und, weil der Ort ehmals schon heilig gewesen, und es durch den Wetterstral zwiefach worden war, so errichtete er ein P u t e a l , d. i. eine Art von Brunnenähnlichem Gemäuer ohne Dach, in Form eines Altars, darauf. Dieß hieß nun von dieser Zeit an das P u t e a l d e s L i b o , und in Form eines Altars erscheint es auch auf einigen Münzen, die den Namen L i b o führen, und in allen bekannten Numismatischen Sammlungen, 10
wie auch in N a r d i n i s Roma Antiqua, und im Tom. III. der Memoir. de Litterat. abgebildet zu sehen sind. Da es aber der Scribonius Libo, welche öffentliche Würden zu Rom verwaltet haben, vom L. Scribonius Libo an, der im Jahr 560. Aedilis Curulis, und 562. Prätor war, bis zu dem Libo gleiches Namens, der im Jahr 720. zum Consulat gelangte, mehrere gehabt: so fragt sich, welcher von ihnen derjenige gewesen, nach welchem das besagte Puteal benennt wurde? Hierüber aber lassen uns die Gelehrten, die davon geschrieben haben, im Dunkeln. Übrigens ist noch zu bemerken, daß (wie S a u m a i s e l. c. bewiesen hat) die Foeneratores, d. i. die Herren die auf Procente liehen, in der Gegend dieses Puteals zusammen kamen: und der Sinn des Verses, der diese
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Erläuterung veranlaßt hat, ist also dieser: die Wassertrinker mögen sich mit den troknen, ernsthaften und nüchternen Geschäften, die man auf dem F o r u m und bey Libons Puteal treibt, abgeben! Das ist i h r Fach: aber die Poeterey, wozu ein ganz andrer Fluß von Lebensgeistern gehört, sollen sie müßig gehen! (4) Die gelehrtesten Ausleger unsers Dichters haben sich in einer wunderbaren Verlegenheit befunden, da sie sich die Frage beantworten wollten: wer denn der P o e t i s c h e P r ä t o r sey, der dies Edict habe ergehen lassen? Man findet eine lange Recension aller ihrer, zum Theil (quod pace tantorum Virorum dixerim!) erbärmlichen Hypothesen in B e n t l e y s Ausgabe, der ihnen
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aber auch dafür harte Nüsse aufzuknacken giebt. Er selbst ist, mit To r r e n t i u s , der Meynung, daß man e d i x i lesen müsse, und beruft sich auf vier bis fünf Handschriften, wo − die Abschreiber das t vergessen haben. C r u q u i u s hingegen läßt es bey dem gewöhnlichen e d i x i t , und glaubt die Rede sey vom Ennius. Er hat hierinn B a x t e r n zum Nachfolger, der eine feinere Spürkraft für den Wiz und Humor unsers Dichters hat als alle vor ihm. G e ß n e r hin-
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gegen hälts mit B e n t l e y e n , dessen Hauptgrund ist: E n n i u s sey schon über Hundert Jahre todt und begraben gewesen, ehe Libons Puteal existiert habe. Es wäre freundlich gewesen, wenn er uns gesagt hätte, woher er dies wisse: denn daß er seiner Sache gewiß zu seyn geglaubt, erhellt aus dem Naserümpfen, womit er dem Torrentius und seinen Anhängern vorwirft, sie hätten sich s c h ä n d l i c h v e r g a n g e n (turpiter peccasse.) Wie es auch damit bewandt seyn mag, non nostrum est tantas componere lites! Weil aber ein Übersetzer doch eine Meynung haben m u ß : so habe ich mich einfältiglich an die gemeine Lesart gehalten, und glaube mit Cruquius und Baxtern: Horaz lege dies Humoristische Edict d e m Va t e r E n n i u s in den Mund − und dies glaube ich
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(mit Addisons Ve l l u m zu reden) aus d r e y Rationibus − E r s t e n s : Weil es vermöge des Zusammenhangs der natürlichste Sinn ist, auf den jedermann beym ersten Anblik verfallen muß. − Z w e y t e n s : Weil Horaz auch im Scherzen das feine Gefühl des Anständigen nicht leicht zu verlieren pflegt, und sich also gewiß, auch nicht zum Spaß, die Mine gegeben hat, E d i c t e auf dem Parnaß ergehen zu lassen. B e n t l e y meynt zwar in dem folgenden − „ v e r l ö h r i c h o h n g e f e h r d i e F a r b e u. s. w.“ etwas zu seinem Behuf zu finden: aber gerade in dem poco più und poco meno, wofür die Horazen soviel und die Bentley’s so wenig Sinn haben, liegt der Unterschied − D r i t t e n s und leztens: Weil, auch im Falle daß zu Ennius Zeiten, d. i. im sechsten Jahrhundert der
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Stadt Rom, Libons Puteal noch nicht existiert hätte, Horaz in einem scherzhaften Edict, das er dem Obmann und Erzvater der Römischen Poeten in den Mund legt, sich aus einem Anachronismus dieser Art schwerlich mehr Bedenken gemacht hätte, als Virgil aus einem weit wichtigern in seiner Aeneis. (5) Auch hier suchen einige Ausleger mehr Finesse, als Horaz vermuthlich in Gedanken hatte. Der Scholiast des Cruquius hilft uns auf die Spur, uns von der Anekdote, auf welche Horaz anspielt, die rechte Vorstellung zu machen. Vermuthlich war die Geschichte dem Mäcenas schon bekannt, und der Dichter brauchte also nicht so umständlich dabey zu seyn, als wenn er f ü r u n s geschrieben hätte. Die Geschiklichkeit im Declamieren wurde damals (und ich wünschte es wäre bey uns auch so!) für eine sehr nothwendige Eigenschaft eines Menschen von Erziehung und Lebensart gehalten; und es wimmelte in Rom von Graeculis, welche Unterweisung in dieser schönen Kunst gaben. Unter diesen war der Rhetor Timagenes einer der Beliebtesten, und wurde, wie es scheint, öfters zu Gastmälern eingeladen, um sich mit Proben seiner
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Kunst hören zu lassen. Ein gewisser Mauritanier − vermuthlich ein neuer Römischer Bürger − Namens C o r d u s * ) der bey einer solchen Gelegenheit zugegen war, wurde (wie die Leute seiner Nation leicht Feuer fangen und der stärksten Eifersucht fähig sind) von dem Beyfall den sich Timagenes erworben hatte so gereizt, daß er sich unmöglich halten konnte, auch auf der Stelle eine Probe abzulegen, daß er, seiner Maurischen Abkunft ungeachtet, in den Eigenschaften, die zu einem u r b a n e n Römer gehörten, keinem weiche. Er ließ sich ebenfalls hören, und griff sich, weil er’s dem Griechen noch zuvor thun wollte, über Vermögen und mit solcher Unvorsichtigkeit an, daß er sich 10
eine Ader zersprengte oder einen Bruch bekam − denn rupit kann hier, däucht mich, beydes heissen. (6) A r c h i l o c h u s wird vom Plutarch für den Erfinder mehrerer Versarten und auch besonders derjenigen angegeben, welche man E p o d e n nannte, **) und womit Horaz seine ersten Lyrischen Versuche machte. Er blühete ungefehr zwischen der 15ten und 30sten Olympiade, und war wegen seines Talents für die Lyrische Poesie eben so berühmt, als verschreyt wegen des bösen Gebrauchs den er öfters von seinem Witze machte, dessen Pfeile so spitzig oder vielmehr so giftig waren, daß er diejenigen, die er zum Ziel derselben nahm, bis zur Verzweiflung trieb. Wenigstens war dies das Schiksal eines gewissen
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Lykambes, um dessen Tochter Kleobule er sich beworben hatte. Der Vater hatte sie ihm anfangs zugestanden, hernach aber seine Gedanken geändert und das Mädchen einem andern gegeben. Archilochus rächte sich dieser Beleidigung wegen an der ganzen Familie durch so grausame Jamben, daß Lykambes, Kleobule und ihre zwoo Schwestern, die Schande, die er ihnen dadurch zugezogen, nicht überleben wollten, und sich alle vier erhängten − wenn die w a h r h a f t e n Griechen die Sache nicht übertrieben haben. Die Mühe, welche Horaz sich in dieser ganzen Stelle giebt, sich gegen den Vorwurf der Nachahmung zu vertheidigen und seine O r i g i n a l i t ä t unter den Lateinischen Dichtern zu behaupten, ist einiger Erläuterung werth. Ho-
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raz hatte, wie es scheint (und wie es nicht anders zu erwarten war) eine Menge Nachahmer oder Nachäffer von der Art, die er serva pecora nennt, die sich *)
Horaz nennt ihn scherzweise, einen J a r b i t e n , d. i. einen Abkömmling des Maurischen
Königs J a r b a s , der in Virgils Aeneis vorkömmt. **)
S. die XXVIIIte Note des Hrn. B ü r e t t e zu P l u t a r c h s Abhandlung von der Musik, im
14ten Bande der Memoir. de Litterat. p. 379. seqq.
Horazens Dritter Brief an Mäcenas. Erläuterungen
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nicht begnügten a u c h Lyrische Gedichte zu machen, nachdem er ihnen gewiesen hatte, wie sie es ungefehr angreiffen müßten: sondern die ihm sogar den Inhalt seiner Oden, seine Wendungen und seine Ausdrücke stahlen, kurz, wie die Krähe in der Fabel, sich mit seinen Federn schmükten, und dann in den Chor der Vögel mischten, und auch als Sänger mitflogen. Diese Leute scheint es, glaubten sich damit zu rechtfertigen, wenn sie sagten: Horaz sey ja selbst nur ein Nachahmer − der Griechen nämlich; denn daß er der erste Lyrische Dichter der Römer war, wenigstens der erste, der eine Vergleichung mit den Griechischen aushalten konnte, war unläugbar. Um nun dem Römischen Publico, das sich so gut durch Worte täuschen ließ als jedes andre, im
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Vorbeygehen den Unterschied zwischen Nachahmung und Nachahmung zu zeigen, beruft er sich darauf, daß er nicht m e h r Nachahmer des Archilochus sey als A l c ä u s und S a p p h o auch; daß er die Versarten des Griechen ( n u m e r o s ) und seinen Geist, sein Feuer ( a n i m o s q u e ) sich eigen gemacht aber nicht ihm die Sachen und Worte (non r e s et v e r b a ) abgestohlen und für Sein gegeben habe. − Verehrer des Horaz hätten vielleicht Ursache zu wünschen, daß er sich zu einer solchen Apologie gar nicht herabgelassen haben möchte. Jeder wahre Künstler ahmt, in gewissem Sinne, seine Vorgänger nach; aber Virgil ist, ungeachtet alles dessen was er vom Homer geborgt oder nachgeahmt, noch immer ein großer, und, selbst durch die Art der Nachah-
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mung, ein originaler Dichter. Ein P f u s c h e r o h n e a l l e s Ta l e n t könnte ein höchstelendes Werk von 50 Gesängen, der E r f i n d u n g und g a n z e n A u s f ü h r u n g nach aus seinem eignen schalen Kopf gezogen und keinen Menschen nachgeahmt haben, und würde dadurch doch weiter nichts als ein o r i g i n a l e r P f u s c h e r seyn. Hingegen könnte ein großer Dichter nicht nur das Süjet, sondern, wenn ers für gut fände, den ganzen Plan seines Werkes von einem andern nehmen, und d u r c h d i e A r t d e r A u s f ü h r u n g ein Neues und Vortrefliches aus einem schlechten erschaffen. Das was den wahren Meister macht, ist nicht die Erfindung eines unerhörten Süjets, unerhörter Sachen, Charakter, Situationen u. s. f. sondern der lebendige Odem und Geist, den er seinem Werk einzublasen vermag, und die Schönheit und Anmuth die er darüber auszugießen weiß. Es ist mit den Dichtern hierinn wie mit den Mahlern und andern Künstlern. Alle vortreflichen Mahler haben M a r i e n b i l d e r und h e i l i g e F a m i l i e n gemahlt: der Inhalt ist der nämliche, die Charakter sind die nehmlichen, die Farben auf dem Palet sinds auch: gleich-
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wohl hat jeder ebendenselben Gegenstand auf eine i h m e i g e n e A r t behandelt; und so viele vortrefliche M a d o n n e n schon da sind, so wird sich doch gewiß kein künftiger großer Mahler dadurch abschrecken lassen, auch d i e S e i n i g e hinzuzuthun. − Es ist aber, selbst für einen H o r a z , so schwer von seinen eignen Arbeiten mit dem Publico zu sprechen, und es ist so gewöhnlich, in solchen Fällen zu wenig oder zuviel zu sagen: daß die beste Partie, die man gegen den Z o i l u s nehmen kann, immer die ist – gar nichts zu sagen, und das Werk für sich selbst und für seinen Meister sprechen zu lassen. Ist es gut, so legt es ein Zeugnis ab, welches, wo nicht von den Zeitgenossen, doch gewiß von 10
der Nachwelt, gehört, verstanden, und bestättigt werden wird. (7) Das öffentliche Vorlesen seiner Werke, welches der Gönner Virgils, A s i n i u s P o l l i o , in Rom zuerst aufgebracht haben soll, fieng schon zu Horazens Zeiten an Mode zu werden; und diese Mode nahm in der Folge, mit der Mode Schriftsteller zu seyn, so sehr überhand, daß es eine ordentliche Gesellschaftspflicht − eine Pflicht, von der man sich, ohne alle Gesetze der guten Lebensart zu übertreten, gar nicht dispensiren konnte − wurde, solchen Vorlesungen beyzuwohnen. Man wurde (wie wir aus den Briefen des Plinius sehen) ordentlich dazu eingeladen; die Gesellschaft versammelte sich in einem großen Saal; der Autor bestieg eine Art von Tribüne und declamirte sein Werk, und wenn er
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fertig war, stieg er unter dem lauten Geklatsch der höflichen Zuhörer wieder herunter, sammelte sein Allmosen an Lob von Reyhe zu Reyhe ein, bedankte sich, versicherte das Reciprocum, und stellte sich den nächsten Tag bey einem andern ein, um Wort zu halten. Was die Litteratur bey dieser ungemein höflichen Einrichtung gewonnen habe, läßt sich leicht errathen. (8) Es gab zwar damals noch keine Journale und gelehrte Zeitungen, die sich im Namen des Publicums, kraft einer stillschweigenden Commission, des Rechts über alle neue Schriften und ihre Verfasser Peinliches Gericht zu halten, angemaßt hätten: aber die Sprachlehrer und R h e t o r e n (d. i. Lehrer der schönen Wissenschaften, die sich besonders auch mit Erklärung und Analy-
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sirung der alten Dichter abgaben) ersetzten diesen Abgang reichlich, sowohl durch ihre Menge, als durch den Einfluß den ihnen der Umstand gab, daß die litterarische Erziehung der Römischen Jugend gänzlich in ihren Händen war. Die Schriftsteller à la Douzaine hatten also alle Ursache, sich bey diesen wichtigen Herren um Gunst, Nachsicht und Schutz zu bewerben. Horaz glaubte sich dieser Ceremonie überheben zu können, und wir, seine itzigen
Horazens Dritter Brief an Mäcenas. Erläuterungen
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Leser, glauben das auch: aber bey seinen Lebzeiten war es ein anders. Der Geist der gelehrten Republik arbeitet immer unter seinen zugleichlebenden Gliedern die gehörige Gleichheit zu erhalten, und stuzt oder rekt mit Gewalt, wo die Natur sich nicht fügen wollte. Das lesende und urtheilende Publikum glaubt, wie das Römische Volk, seine F a s c e s g e b e n , und w i d e r n e h m e n zu können, w e m und w a n n es will. Der vortreflichste Schriftsteller muß seine Vorzüglichkeit oft wie ein Verbrechen büßen − und wird, wie Aristides, bloß deßwegen, ostracisiert, weil er gut ist. Horaz machte zu seiner Zeit die Erfahrung davon; und wer nennt mir unter den berühmtesten Todten einen einzigen, der sie nicht gemacht hätte? W.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r
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¼Historische Zweifel über das Buch: „Versuch über die Beschuldigungen, welche dem Tempelherrnorden gemacht worden, und über dessen Geheimniß; nebst einem Anhange über das Entstehen der Freimäurergesellschaft, von Friedrich Nicolai.“ … Damit war nun freilich auf die armen Tempelherren gebracht, was man nur auf sie bringen konnte. „Sie b e t e n d e n M a h o m e d a n , sie verläugnen Christum: sie schreibens nicht Chri10
sto sondern Mahomed zu, daß e r s i e s e e l i g , d i e E r d e g r ü n , d i e B ä u m e w a c h s e n d m a c h e “ u. s. f. — d i e Menschen mußten verbrannt und ihre Güter eingezogen werden. Ob aber diese Beschuldigungen Wahrscheinlichkeiten? Ob der Kopf, den man Mahomed taufte, nicht einen ganz andern Ursprung gehabt? ob die Tempelherren, wie unser Autor vorgiebt, m e h r e r e R e c e p t i o n e n , und überhaupt ein We i s h e i t g e h e i m n i ß in ihrem Orden gehabt haben? — Hätten Sie wohl Lust mich darüber ein andermal zu hören?* ) Sie werden freylich keine Gnostische Geheimnisse, aber doch auch sonderbare Sachen lesen. Leben Sie wohl.½ *)
Sehr große Lust! und gewiß alle Leser des T. M. mit mir. d. H.
¼Anmerkung: Herder½ H i s t o r i s c h e Z w e i f e l
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Horazens Briefe aus dem Lateinischen übersezt und mit historischen Einleitungen und andern nöthigen Erläuterungen versehen von C. M. Wieland. Erster Theil. Laden-Preis 1 Thlr. 11 Gr. Dessau, auf Kosten der Verlags-Kasse und zu finden in der Buchhandlung der Gelehrten. 1782.
An den Durchlauchtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Carl August, Herzog zu Sachsen etc. etc. Regierenden Herzog zu Weimar und Eisenach. Gnädigster Herr! Ich erneuere eine alte Gewohnheit, die, wie alle menschliche Dinge zum Mißbrauch worden ist, aber in ihrer ursprünglichen Lauterkeit, wie so viele andere Gewohnheiten der Alten, fromm und löblich war: indem E w . D u r c h l a u c h t ich hiemit öffentlich mit einem Werke huldige, das I h n e n aus einem gedoppelten Grunde zugehört. 10
Was auch der einzige ganz unpartheiische und unbestechliche Richter aller menschlichen Dinge, die Zeit, über diese und andere Beschäftigungen meiner einsamen Stunden für einen Ausspruch thun mag: so habe ich es für Pflicht gehalten, ihr D e n g r o ß m ü t h i g e n F ü r s t e n zu nennen, D e m ich die glückliche Ruhe und Freyheit schuldig bin, in deren Schooße sie entstanden sind; Früchte jener edlen Studien, die von den Alten mit so vielem Rechte die Menschlichen und Liberalen genennt wurden, und zu welchen eine unwiderstehliche Neigung mich von der ersten Jugend an hingezogen hat. Wenn aber gleich, in diesem Betracht, alles was die Muse, die mir beym Eintritt ins Leben zur unzertrennlichen Gefährtin zugegeben worden, unter
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E w . D u r c h l a u c h t Auspizien mich zu unternehmen getrieben hat, und noch ferner treiben mag, I h n e n zugehört: so gilt dies doch ganz besonders und vorzüglich von gegenwärtigem Werke, als welches dem Beyfall, womit E w . D u r c h l a u c h t dessen erste Probe aufgemuntert, und meinem Verlangen, das Vergnügen so S i e daran fanden vollständig zu machen, sein Daseyn ganz allein zu danken hat. Geruhen S i e also, G n ä d i g s t e r H e r r , diese Briefe, das Beste was uns von einem der edelsten und schönsten Geister des alten Roms übrig ist, in der teutschen Einkleidung die ich selbigen zu geben versucht habe, mit I h r e r gewohnten Huld und Güte aufzunehmen; und betrachten S i e die Zueignung
An den Durchlauchtigsten Fürsten
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derselben als Würkung eines von seinen Empfindungen schon lange gepreßten Herzens, das sich zu erleichtern wünscht, und aus Mangel eines Eigenthums das I h r e r würdig genug wäre, I h n e n die Copey eines fremden Werkes darbietet, dessen ursprünglicher Werth groß genug ist, um nach allem, was es unter der zweyten Hand verlohren haben kann, noch immer geschikt zu seyn, E w . D u r c h l a u c h t , in Augenblicken, welche S i e nicht unter die verlohrnen rechnen, eine angenehme und nüzliche Unterhaltung zu geben. So gewogen auch die Grazien, deren ganz eigner Liebling Horaz unter den Römischen Schriftstellern war, seinem Übersetzer seyn möchten: so würden doch diese Briefe, um des bloßen Unterschieds der Sprachen und Zeiten wil-
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len, von jener Zierlichkeit, und Urbanität, die dem Original eigen sind, immer sehr viel verlieren müssen. Kein Gefühl, keine Kenntnisse, und kein Fleiß können die Schwierigkeiten gänzlich überwinden, die einem Übersetzer auf dieser Seite trotz bieten. Aber, wie wenig ich mir auch über diesen Punct schmeichle, so getraue ich mir doch zu sagen: daß E w . D u r c h l a u c h t von dem was an Horaz das schätzbarste ist, von seinem Geist, und selbst von der eignen Laune und Manier, die ihn so besonders vor allen Alten und Neuern Schriftstellern auszeichnet, in der teutschen Copey soviel wieder finden werden, als man von einem Übersetzer erwarten und fordern kann, der sich mit seinem Original bekannt
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genug gemacht hat, um alle seine Schönheiten zu fühlen, in alle seine Launen einzugehen, seinen oft mit Fleiß räthselhaft ausgedrukten Sinn zu errathen, und die Stimmung seines Gemüths, und die geheimern Absichten, die dieses oder jenes dictiert haben mögen, zu ahnen, wo es nicht möglich war sich ganz gewiß davon zu machen. Ein Commentar ist vielleicht bey keinem Product der alten Litteratur weniger entbehrlich als bey den Horazischen Episteln. Nicht nur der Umstand, daß es gröstentheils wirkliche Briefe sind, an Personen, mit denen er in besondern Verhältnissen stund, und meistens aus besondern Veranlassungen und mit besondern Absichten geschrieben, macht einige Kenntnis dieser Personen und Umstände nothwendig, um das Individuelle darinn aufzufinden, das sehr oft der Schlüssel zu dem wahren Sinn und den geheimern Schönheiten derselben ist: selbst dasjenige was man in den schönsten Zeiten von Rom unter dem Wort U r b a n i t ä t begriff, diesen Geschmak der Hauptstadt und diese feine Tinktur von Gelehrsamkeit, Weltkenntniß und Politesse, die man
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H o r a z e n s B r i e f e (Mitte/Ende April 1782)
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aus dem Lesen der besten Schriftsteller, und aus dem Umgang der cultiviertesten und vorzüglichsten Personen in einem sehr verfeinerten Zeitalter, unvermerkt annimmt, — selbst diese Urbanität an einem Schriftsteller gehörig zu empfinden, sezt eine Menge Kenntnisse voraus, die auch dem gelehrtern Theile der Leser nicht allezeit gegenwärtig sind. Ich hoffe daher daß die Bemühungen die ich mir zu diesem Ende gegeben, und die, ungeachtet alles dessen was mir von vielen gelehrten Auslegern des Horaz vorgearbeitet worden, nicht der leichteste Theil meiner Arbeit waren, wenigstens den Vorwurf der Überflüßigkeit nicht zu befürchten haben; und ich wünsche nur, das sie 10
eben so glüklich befunden werden möchten, als sie nothwendig waren. Vielleicht sollte ich noch Die Unternehmung selbst, die Horazischen Briefe in unsre Sprache umzusetzen, rechtfertigen? Aber das erleuchtete Urtheil, das E w . D u r c h l a u c h t von dem Werth und Unwerth dieser Art von Litterarischen Arbeiten fällen, überhebt mich dieser Mühe; da es sich auf den Gesichtspunkt gründet, woraus die Einsichtsvollesten Männer, von jeher und bey allen cultivierten Völkern, diese Sache angesehen haben. Was gegen den Nutzen der Übersetzungen aus fremden Sprachen eingewendet zu werden pflegt, gehört unter die Einwendungen, die man gegen alle Menschlichen Dinge machen kann, und ist mit denselben völlig von einerley Schlage. Ganz Eu-
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ropa antwortet dem Hrn. L i n g u e t , der uns bewies daß wir kein Brod essen sollten, dadurch — daß es Brod ißt. Die einzige Art die Verächter der Übersetzungen der Alten zu widerlegen, ist, daß man gute Übersetzungen liefre. Möchte diejenige, G n ä d i g s t e r H e r z o g , die ich E w . D u r c h l a u c h t hiemit weyhe, der Meynung entsprechen, welche S i e , nach dem ersten Versuch, von dem was geleistet werden könnte, faßten! Möchte sie lange genug zu dauern verdienen, um noch von der Nachwelt als ein Opfer angesehen zu werden, das die Musen durch meine Hand einem Teutschen Fürsten dargebracht, der sie ehrt und liebt; einem Fürsten, der jedes Talent, jedes Verdienst zu schätzen weiß, und dadurch verdient, sie um S i c h her versammelt zu sehen.
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Wie vieles, was ich hier noch sagen möchte, und sagen müßte, um nur die bloße Wahrheit zu sagen, versiegelt der Genius des Schweigens auf meinen Lippen. Und was bedarf es eines — in Vieler Augen immer verdächtigen — Lobes, wo die Sache selbst laut genug spricht? Alles Gute kündigt, gleich dem Lichte, sich selbst an indem es da ist; und läßt wohlthätige und glänzende Spuren hinter sich, auch wenn es nicht mehr ist.
An den Durchlauchtigsten Fürsten
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S i e haben, G n ä d i g s t e r H e r r , schon den Morgen eines Lebens, dessen Anfang die Freude und Hofnung so vieler Tausend Menschen war, mit Handlungen bezeichnet, die den s c h ö n s t e n Ta g versprechen. In der Tageszeit, der ich mich unvermerkt nähere, liebt man auch das Gute vorauszusehen, das noch geschehen wird; und, indem wir selbst herabsteigen, ist uns der Anblik derer, die mit noch voller Kraft und Munterkeit zu allem was edel, groß und gut ist emporstreben, ein herzerhöhendes Schauspiel. Möchten S i e , T h e u e r s t e r F ü r s t , im vollesten Maaß des Glückes theilhaftig werden, in dem schönen Würkungskreise, in dessen Mittelpunct die Vorsehung S i e gesetzt hat, ungehemmt, und unter dem Einfluß der günstigsten Sterne, jeden edeln Wunsch I h r e s großen Herzens zu befriedigen! Geschrieben zu Weimar, den 12ten April 1782.
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Die Briefe des Horaz. Erstes Buch. Erster Brief. An C. Cilnius Mäcenas. Einleitung. Über den Charakter des Mäcenas. Mäcenas, der Gönner und Beschützer Virgils und Horazens, der Mann dem diese berühmten Dichter den Zutritt bey August, und die glükliche Muße wovon ihre besten Werke die Früchte waren, zu danken hatten, hat sich dadurch eine so allgemeine Hochachtung in der neuern gelehrten Welt, besonders unter uns Teutschen erworben, daß sein Name, eh er durch allzuhäuffige 10
und unedle Anwendung abgewürdigt worden, nicht anders als mit einer Art von religiöser Ehrerbietung ausgesprochen wurde. Die Litteratoren machten’s mit ihm wie die Clerisey mit Constantin dem Großen, und die Juristen mit ihrem D i v u s J u s t i n i a n u s : sie behandelten es ordentlich als Pflicht, den Mann der den Virgilen und Horazen Landgüter geschenkt hatte, und dessen Haus und Tisch den Gelehrten seiner Zeit offen gestanden, nicht nur als den Musarum Evergetem Optimum Maximum (wie ihn sein andächtigster Verehrer M e i b o m nennt) sondern auch als ein Muster aller Regenten- und Minister-Tugenden abzuschildern, und gegen alles was etwa einen Schatten auf seinen Charakter werfen könnte, besonders gegen die böslichen An-
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schwärzungen des tadelsüchtigen S e n e c a , mit Faust und Ferse zu vertheidigen. Auch wo sie mit allem Krümmen und Winden seine schwache Seite doch nicht ganz verbergen können, geben sie sich soviele Mühe sie zu bemänteln, und bringen soviel Entschuldigungen vor, warum sie ihn am Ende doch leider! nicht von allen den Fehlern und Gebrechen freysprechen können, ohne die er — nicht Mäcenas gewesen wäre: daß man glauben sollte, es sey der Welt und den Wissenschaften unendlich daran gelegen, daß der große Musenwohlthäter durch alle Prädicamente und Rubriken einer Leichenrede ein Muster aller Tugenden gewesen seyn müßte. Wenn man bedenkt, daß diese Herren am
¼1. Buch. 1. Brief½ E i n l e i t u n g
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Ende doch wohl keinen andern Beweggrund dazu gehabt haben, als ihm für Wohlthaten, welche nicht sie, sondern Leute die schon viele Hundert Jahre todt und verwest sind, von ihm empfangen, ihre Dankbarkeit zu bezeugen; so kann man nicht umhin zu gestehen, daß die Gelehrten eine sehr gutherzige Art von Menschen sind; und die lobbegierigen Großen unsrer Zeit haben alle Ursache sich dies alles zum Beweggrunde dienen zu laßen, dem g u t e n K a y s e r August und seinem t u g e n d h a f t e n M i n i s t e r Mäcen in ihrer Freygebigkeit und Achtung gegen so dankbare Seelen rühmlichst nachzuahmen. Bey allem dem, und wiewohl man wenig berühmte Namen des Alterthums öfter und mit einem günstigern Vorurtheil genennt findet, scheint es doch, als
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ob die Vorstellung die man sich gewöhnlich von seinem Charakter und von der Rolle, die er in Augusts merkwürdiger Regierung spielte, zu machen pflegt, nicht die richtigste sey. So ist, z. B. ganz irrig, wenn er, wie häufig geschieht, ein M i n i s t e r , oder gar, wie ein gewißer H e i n r i c h S a l m u t h in seinen Notis ad Panciroll. de Nov. Invent. gethan hat, ein S t a a t s - C a n z l e r Augusts genennt wird. Es ist wahr, daß er diesem Fürsten, dem es so schwer ist seinen wahren Nahmen zu geben, — so lange er noch Cäsar Octavianus hieß, bis zum Jahr der Stadt Rom 727, wo ihm die Oberherrschaft unter gewissen von ihm selbst klüglich vorgeschlagnen Modificationen übertragen wurde, weil niemand mehr da war, der Muth und Kräfte gehabt hätte sie ihm streittig zu
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machen – viele wichtige Dienste leistete. Er theilte in dieser Zeit mit Agrippa, dem nachmaligen Tochtermann Augusts, das unumschränkteste Vertrauen des jungen Cäsars: er war ihm bey allen entscheidenden Gelegenheiten zur Seite; und es ist sehr wahrscheinlich, daß Octavianus ohne den Beystand dieser beyden Männer das Ziel seiner Wünsche nie erreicht hätte. August selbst fühlte so stark, wie unentbehrlich ihm ein Freund wie Mäcenas war, daß er, einige Jahre nach dessen Tode, im Verdruß über die Folgen der heftigen Partie die er gegen seine Tochter Julia genommen hatte, schmerzlich ausrief: das wäre mir nicht begegnet wenn Mäcenas noch lebte! Gleichwohl machen alle diese guten Dienste den Günstling Augusts so wenig zu seinem Minister, als ihn das Privatsiegel desselben, welches ihm eine Zeitlang anvertraut war, zu seinem Canzler macht. *) Er that in diesem Allem bloß was ein Freund für *)
Die Praefectura Urbis et Italiae, die ihm Octavian nach dem Siege bey Actium auf einige
Zeit anvertraute, war eine bloße P r i v a t - C o m m i s s i o n , keine öffentliche Staatsbedienung.
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einen Freund thut, dessen Partie er ergriffen hat, dem er persönlich ergeben, und mit dessen Interesse sein eignes aufs engeste verbunden ist. Er blieb dabey immer im Privatstande, verwaltete nie eine öffentliche Staatsbedienung, begnügte sich mit dem Ansehen das ihm sein persönliches Verhältnis zu Augusten gab, und war zufrieden, unter zehntausend andern Römischen Rittern nur um eine einzige Stufe höher zu stehen, als der gemeine Mann in Rom. Gesezt aber auch, man wollte ihn wegen seines Einflusses auf August, eben so uneigentlich, wie man Diesen den ersten oder zweyten Römischen Kayser zu nennen pflegt, dessen Minister heissen (wiewohl solche Vermengungen der 10
Namen immer auch Unrichtigkeit in den Begriffen nach sich ziehen) so scheint doch das große Aufheben, das die Neuern von ihm als dem größten aller M u s a g e t e n machen, und was seinen Namen zum höchsten Ehrentitel aller Staatsmänner die den Gelehrten günstig sind, gestempelt hat, mehr auf übertriebenen Vorstellungen zu beruhen als auf Wahrheit. Daß er Dichter, Witzige Köpfe, und Gelehrte aller Arten (wenn sie Leute von guter Gesellschaft waren) gerne um sich leiden mochte, und sie gelegenheitlich dem August empfahl, hatte, fürs Erste, einen sehr in die Augen fallenden Politischen Grund; und dann, was war es mehr, als was sich bey jeder nicht ganz barbarischen Nation beynahe von jedem Manne von seinem Stand und Vermögen
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sagen läßt? „Seine Tafel stund diesen Herren, deren Ordinaire oft nicht das regelmäßigste ist, offen.“ — Dafür war sie auch (wie August zwischen Scherz und Ernst sagte) eine mensa parasitica, wo die N o m e n t a n e , B a l a t h r o n e n , und B a t h y l l e n eben so gut ihren Plaz fanden als Virgil und Varius, kurz — was die Tafeln der Großen und Reichen von jeher waren. – „Aber, er schenkte ja dem Horaz ein Landgütchen, und machte daß August gegen Virgilen die nemliche Freygebigkeit bewies.“ — Gut! Was den Horaz betrift, so liebte er diesen ganz vorzüglich; das Geschenk war auch an sich eben nicht beträchtlich *), und von einem Manne, den August aus der Beute der Proscriptionen und Bürgerkriege unermeßlich reich gemacht hatte, eine Kleinigkeit.
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Und für Virgilen, der durch Octavian selbst während dem schändlichsten und grausamsten aller Triumvirate um sein väterliches Erbgut gekommen war, was konnte Octavian für einen Dichter wie Virgil weniger thun als ihm wiedergeben, was ihm mit Ungebühr genommen worden war? Und wenn auch *)
Wie man aus dem 16ten Briefe sehen wird.
¼1. Buch. 1. Brief½ E i n l e i t u n g
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Horaz und Virgil eine Art von kleinem Glücke, womit nur so unschuldige und genügsame Leute als ihres gleichen zufrieden zu seyn pflegen, durch Mäcens Vermittlung gemacht hätten: was hat Mäcen hierinn vor einer Menge andrer seiner Art, vor und nach ihm, voraus? Nie ist vielleicht, wenn man die Sache genau untersuchen wollte, ein größrer Ruhm wohlfeiler erkauft worden, als der seinige. Man hat ihm zum Verdienst angerechnet, was der Zufall f ü r i h n , ja sogar was er für s i c h s e l b s t that: und am Ende ist es doch weit weniger sein eignes Licht, als der Glanz der von den Verdiensten und dem Ruhm seiner Freunde auf ihn zurückfiel, woraus der Nimbus entstanden ist, in welchem die Nachwelt diesen vermeynten Musageten zu sehen gewohnt ist.
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Wie wenig übrigens den Meisten daran gelegen seyn mag, ihre Begriffe von einem Manne, der seine Rolle längst ausgespielt hat und ihnen weder Böses noch Gutes thun kann, mehr oder weniger zu berichtigen: so darf dies doch weder dem Übersetzer der Horazischen Briefe, noch den Lesern denen es darum zu thun ist sie besser zu verstehen und einen Sinn für ihre feinsten Schönheiten zu bekommen, gleichgültig seyn. Ich bin mit S h a f t e s b u r y * ) völlig überzeugt, daß man, ohne mit den Charaktern eines August, Mäcen, Florus, Lollius, u. s. w. genauer bekannt zu seyn, an den Briefen, die an sie gerichtet sind, den Geschmack nicht finden könne, den sie sonst für jeden Leser, der zum zartern Gefühl des Wahren und Schönen organisirt ist, haben
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müssen. Und da dies die hauptsächliche Ursache ist, warum ich mir die Arbeit der gegenwärtigen Übersetzung durch eine jedem Briefe vorangeschikte Einleitung mit Vergnügen erschwehrt habe: so wird das engere und besondere Verhältnis, worinn unser Dichter mit dem Mäcenas gestanden, mich um so mehr rechtfertigen, wenn ich noch einige Blätter dazu anwende, den Charakter dieses berühmten Mannes in soviel Licht zu setzen, als zu einer richtigern Vorstellung von diesem Verhältnis, und zu besserm Verständnis der an ihn geschriebnen Briefe dienlich seyn kann. Mäcenas hatte, ungeachtet seiner Abstammung von alten Etrurischen L u c u m o n e n , weder einen von Voreltern geerbten Ruhm zu behaupten, noch scheint ihn die Natur mit der Anlage zu dem was man einen g r o ß e n M a n n nennt, beschenkt zu haben. Desto mehr hatte er hingegen dem Glück zu danken, welches ihn gerade in die Umstände sezte, worinn er sich am meisten *)
Characteristiks Vol. III. Misc. I. c. 3.
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geltend machen konnte; und gerade darinn, daß er aus diesen günstigen Umständen den möglichsten Vortheil zu ziehen wußte, scheint sein größtes Verdienst bestanden zu haben. Ohne starke Leidenschaften, ohne Ambition, aber mit feinen Sinnen und hellem Kopfe, lebhaft genug um in entscheidenden Augenblicken thätig zu seyn, klug und kaltblütig genug um alles was er auf sich genommen recht und ganz zu thun, sanguinisch genug um sich immer einen guten Erfolg zu versprechen und nicht leicht vor Schwierigkeiten zu erschrecken, aber zu bequem und wollüstig um die Geschäfte zu lieben und zu suchen wenn ihn keine Nothwendigkeit dazu trieb *) — angenehm von Person, 10
jovialisch im Umgang, mit einem guten Theil Gefälligkeit und Bonhommie — gleich geduldig über sich scherzen zu lassen als geneigt über andre zu scherzen — auf eine angenehme Art, auch wohl bis zum Seltsamen, sonderbar in Kleinigkeiten, aber desto gründlicher in wichtigen Dingen — fein und geschmeidig, um andre zu seinen Absichten zu gebrauchen, geschikt von allen Arten von Menschen Partie zu ziehen, aber behutsam in der Wahl seiner engern Freunde, treu und standhaft sobald er gewählt hatte, und im Nothfall jeder Aufopferung fähig — mit allen diesen Eigenschaften scheint Mäcenas recht ausdrüklich zu einem Vertrauten des Augusts gemacht, und der Mann gewesen zu seyn, den dieses eitle und ehrgeizige, aber schwache, furchtsame,
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unentschloßne, und demungeachtet der größten Übereilungen fähige Schooskind des Glüks vonnöthen hatte. — Mit d i e s e n Eigenschaften wußte er ihm, vom Anfang ihrer Verbindung an, ein Zutrauen einzuflößen, welches (eine einzige vorübergehende Erkältung ausgenommen) sich bis an seinen Tod immer gleich erhielt. Bey seinem Freunde Mäcen war Augusten immer wohl; denn er fand da immer alles woran es ihm gerade fehlte, Rath, Auswege, Entschlossenheit, guten Muth, frohe Laune — und (was in Verbindungen dieser Art nicht das unwesentlichste ist) auch immer etwas, worinn er sich selbst stärker und weiser fühlte, womit er seinen Freund aufziehen konnte, ohne daß dieser dadurch von seiner guten Meynung verlohr. August spottete gern über
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Mäcens Weichlichkeit, über seine Liebe zu Raritäten, Edelsteinen, Gemmen, über seine Affectation alte H e t r u r i s c h e Wörter ins Römische zu mengen, oder neue Wörter zu machen; dafür aber durfte auch dieser das bekannte *)
Vir, ubi res vigiliam exigeret, sane exsomnis providens atque agendi sciens &. Ve l l e j .
L. II. 88.
¼1. Buch. 1. Brief½ E i n l e i t u n g
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Surge tandem Carnifex *) wagen, ohne Furcht daß ein so kräftiger Lakonismus beleidigen werde. Mäcen, der unter andern Umständen nie etwas anders als was die Engländer einen Man of Wit and Pleasure nennen gewesen wäre, — da er durch die Umstände zum Vertrauten eines jungen Mannes wurde, der vielleicht die schwerste Rolle die einem Staatsmann aufgegeben werden kann zu spielen hatte, war eben deßwegen, weil W i t z u n d L i e b e z u m Ve r g n ü g e n die Hauptzüge seiner Sinnesart waren, kein Mann der sich im Politischen Leben jemals einen E p a m i n o n d a s oder C a t o zum Muster vorgesezt haben würde. Der Heroismus der Tugend, der immer bereit ist das Edelste zu thun, und
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einer hohen Idee von moralischer Schönheit oder Größe jedes Opfer zu bringen, sezt eine Energie der Seele, und eine Stimmung ihres reinesten Organs voraus, die nicht die seinige war. Er glaubte, daß Octavianus (da die Frage war, ob er die höchste Gewalt behalten oder dem Römischen Senat und Volk zurükgeben sollte?) nicht das, was in gewissem Sinn das e d e l s t e , sondern was f ü r d e n S t a a t , nach seinen damaligen Bedürfnissen, das n ü z l i c h s t e , und zugleich für s e i n e e i g n e P e r s o n das s i c h e r s t e sey, thun müße. Die Gründe, warum er gegen die von Agrippa angerathene Zurückgabe stimmte, und der Regierungsplan, den er dem Octavianus bey dieser Gelegenheit vorzeichnete **), beweisen beyde, daß Mäcen von dem, was nach damaliger Be-
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schaffenheit der Menschen und Zeiten, und in Betrachtung der ungeheuren Größe des Römischen Reichs, dem Staat das Nüzlichste und für den Erben Cäsars das Sicherste war, sehr richtig geurtheilt habe. In der That wurde in den lezten Zeiten der freyen Republik das Interesse des Staats immer als Beweggrund und Zweck im Munde geführt: aber gewiß nie mit mehr Wahrheit und Würde als wie es Mäcen bey dieser Gelegenheit that. Sein Plan würde das Römische Reich so glüklich gemacht haben, als es möglicher weise seyn konn*)
Octavius saß einmals (noch in den Zeiten des Triumvirats) vor Gericht um eine Menge Leute
zum Tode zu verurtheilen. Mäcenas, der davon benachrichtigt wurde, und besorgte er möchte der Sache zuviel thun, hätte ihm gerne was ins Ohr sagen mögen: weil er aber vor der Menge des umstehenden Volkes nicht bis zum Richtstuhl dringen konnte, so schrieb er nur die drey Worte: S o s t e h d o c h e i n m a l a u f , S c h a r f r i c h t e r ! auf seine Schreibtafel, und ließ sie durch die Umstehenden aus einer Hand in die andre dem Octavius überreichen. D i o n . B. 55. **)
S. D i o n . L. 52. Ungeachtet die Avthenticität der Rede welche dieser Geschichtschreiber
dem Mäcen in den Mund legt, aus guten Gründen bezweifelt werden kann, so ist doch sehr wahrscheinlich, daß das Wesentliche des erwähnten Regierungsplans würklich von Mäcen hergerührt.
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H o r a z e n s B r i e f e (Mitte/Ende April 1782)
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te, und glüklicher als es unter der immer in sich selbst erschütterten, oder die übrige Welt verheerenden Republik nie gewesen war: wenn es nicht im Buche der Schicksale geschrieben gewesen wäre, daß die Welt durch die Tiberen und Caligula und Neronen und Domitiane erst gezüchtigt werden müße, ehe sie der Titus, Trajanen und Antoninen werth sey. Man hat dem Günstling Augusts die Bescheidenheit, womit er auf alle Ehrenstellen im Staat Verzicht gethan, um als ein bloßer Römischer Ritter in der Dunkelheit des Privatstandes ein Leben zuzubringen, welches er so leicht durch Consulate und Triumphe hätte glänzend machen können, als eine große 10
Tugend angerechnet. Ich zweifle sehr, daß diese Tugend etwas anders als sein Temperament, seine Liebe zum Müßiggang und Vergnügen, und vielleicht auch seine Klugheit zur Quelle gehabt habe. Er besaß das S o l i d e , das Ohr und Herz Augusts, die Liebe des Volks, unermeßliche Reichthümer, und alles was einem Manne von seiner Denkart das Privatleben angenehm machen konnte: was kümmerte ihn also, ob sein Rock mit einer schmalen oder breiten Purpurstreiffe besetzt war? Für ihn selbst war kein s i c h e r e r s Mittel, sich zu gleicher Zeit in der Gunst des Fürsten und des Volkes zu erhalten, als diese Mäßigung, die ihn von allen gefährlichen Collisionen, von aller Verantwortung, von allen Gelegenheiten mißfällig zu werden, entfernte.
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Man rühmt seine Gutherzigkeit, seine Unschuld: Tausenden hatte er Gutes, Niemanden jemals durch seinen Einfluß Übels gethan *). Sein Verhältniß gegen August erlaubte ihm alle verhaßten Dienste auszuweichen; er behielt sich nur d i e b e l i e b t e n vor. Er empfahl, würkte Gnaden aus, rieth immer zur Gelindigkeit und Milde; auf diese Weise hatte sein Ansehen eine P o p u l a r i t ä t , wobey er weder dem Fürsten verdächtig, noch den Männern, mit denen er seine Gewalt theilte, furchtbar werden konnte. Würde er sich in diesen Schranken haben erhalten können, wenn er dem Privatstand entsagt hätte? — Aber auch für August, den er so herzlich liebte als er etwas ausser sich selbst lieben konnte, war Mäcens Privatleben gerade die Lage worinn ihm
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dieser am nüzlichsten seyn konnte. Eine gewisse Entfernung von den öffentlichen Geschäften ist gerade der Standpunct, wo ein Mann, dem es weder an Welt noch Menschenkenntniß fehlt, über die Geschäfte und die Personen, die *)
Omnia cum posses tanto tam carus amico, Te sensit nemo velle nocere tamen. P e d o in Epiced. Maec. dist. 5. ¼1. Buch. 1. Brief½ E i n l e i t u n g
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darinn verwickelt sind, am richtigsten urtheilen kann; und ein solcher Mann schickt sich in dieser Stellung am besten zum Rathgeber und Erinnerer dessen, der in dem Gedräng’ und der Hitze des activen Lebens nie Augen und Ohren – noch weniger, innere Stille und Unbefangenheit genug hat, um keines Erinnerers zu bedürfen *). Überdies, wo hätte August sich so gut erhohlen, aufheitern, wieder aufziehen, oder so bequem und angenehm unpäßlich seyn können **) als im Hause des glücklichen und sorgenfreyen Mäcen? Wie wichtig war für ihn ein Freund, an dessen selbst ruhigem Busen er wenigstens Augenblicke von Ruhe finden, in dessen Hause er den Beherrscher der Welt vergessen und einige Stunden wieder Octavius seyn konnte?
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Wir haben den Mäcen von der Seite angesehen, wo er sich am vortheilhaftesten ausnimmt. Sein Verhältniß gegen August, die Art, wie er sich seines Einflusses über ihn bediente, macht ihn liebenswürdig. Wenigstens verliert er in meinen Augen wenig dadurch, wenn er diesem Fürsten auch aus keinem andern Grunde so ergeben gewesen wäre, als weil er im ganzen Römischen Reich keinen andern kannte, der unter denen, welche einander die Oberherrschaft noch streitig machen konnten, mehr gute Eigenschaften, erträglichere Fehler, mehr Anlage zu dem was ein Mann, der die Römische Republik unvermerkt in eine Art von Monarchie umschmelzen sollte, seyn mußte — und (was doch jeder Günstling eines Fürsten in petto hat) mehr Gelehrigkeit sich
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von i h m leiten zu lassen, gehabt, kurz, der zu Mäcens eignen Plan von Glückseligkeit besser gestimmt hätte — als August. Was Mäcen in seinem eigentlichen Privatleben, in seinem Hause, in seiner Lebensweise, in seinem Geschmak, in der Wahl seiner Gesellschafter, und in seinen Vergnügungen war, wird uns vielleicht über das was wir (mit einem Wort, das nicht D u n s oder O c c a m sondern kein geringerer als Cicero selbst ***) erfunden hat) seine M ä c e n i t ä t nennen möchten, noch nähere Aufschlüße geben. Das Haus eines Römers vom Stande und großen Reichthümern glich damals mehr einer prächtigen Hofhaltung als der Wohnung eines Privatmannes; *)
S p e c u l a t u s e s t per s u m m a m q u i e t e m ac d i s s i m u l a t i o n e m praecipitis consilia
Iuvenis ( O c t a v i a n i ) etc. Ve l l e j . ibid. **)
August hatte eine sehr schwächliche Gesundheit, und erwählte allemal das Haus des Mä-
cenas, um darinn seine Unpäßlichkeiten abzuwarten. S u e t o n . ***)
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Ep. ad Famil. L. VII. 3.
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und Mäcen hielt vielleicht ein größeres Haus als irgend ein andrer Römer, gewiß ein weit größeres als August selbst. Wir lassen uns hier weder in die Vorwürfe ein, die ihm S e n e c a — unter allen Sterblichen der, aus dessen Munde diese Vorwürfe am anstößigsten sind — wegen seiner Üppigkeit macht, noch in die Rechtfertigungen oder Entschuldigungen, womit seine Lebensbeschreiber solche abzulehnen suchen. Genug, daß der Grund jener Vorwürfe nicht geläugnet werden kann. Mäcen baute sich auf den Exquilien einen Palast, eine Art von C o l o s s e u m (molem vicinam nubibus arduis, nennts H o r a z ) der, vermuthlich seiner 10
Thurmähnlichen Höhe wegen, gewöhnlich der T h u r m d e s M ä c e n s genennt wurde. Man findet eine Abbildung davon auf dem 104ten Blat des IIten Theils von L a u r i Splendor antiquae Urbis, die wenigstens eine wahrscheinliche Idee giebt, wie dieses Wundergebäude ausgesehen haben mag. Mäcen hatte daraus die Aussicht über die ganze Stadt und Gegend von Rom, bis nach Tivoli, Tusculum, Palästrina u. s. w. die herrlichste, die sich denken läßt, und die ihm, mitten in den wollüstigen Gärten, zu welchen er den vorher höchst ungesunden Exquilinischen Berg umgeschaffen hatte, die größten Annehmlichkeiten der schönsten Villa zu genießen gab. Hier überließ er sich, nach den Arbeiten und Unruhen der Bürgerkriege, und nachdem er endlich den Zweck
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aller seiner Bemühungen im 727sten J. R. (welches ungefehr das vierzigste seines Lebens seyn mochte) erreicht, und Augusten in ruhigen Besiz einer Macht und Würde, welche gewissermaßen s e i n We r k war, gesezt sah — hier überließ er sich nun gänzlich seinem natürlichen Hang zur Ruhe, zum Vergnügen, und zu den Künsten, welche Töchter und Mütter des Vergnügens sind. Sein Haus, seine Tafel, seine Gärten waren der Sammelplaz aller witzigen Köpfe, Virtuosen, Baladins, fröhlichen Brüder, und angenehmen Müssiggänger in Rom. Alles athmete da Freude, Scherz und Wohlleben. Es war eine Art von H o f d e s A l c i n o u s , wo jeder willkommen war der zum Vergnügen des Patrons und der Gesellschaft etwas beyzutragen hatte. Mäcen war der Epi-
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kurischen Philosophie zugethan, sagen die M e i b o m e . Dies mag von einem Theil der T h e o r i e des Epikurs gelten. Sie war die natürlichste für Günstlinge des Glücks, die ihr Leben so sanft als möglich über die Blumen des Vergnügens hinrinnen lassen wollten, und auch im Philosophieren die B e q u e m l i c h k e i t liebten. Aber in der Ausübung raffinierte er die Wollust gewiß ganz anders als sein angeblicher Meister, der seine Mahlzeit mit etwas Brod und
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Käse hielt, und die Wollust, die ihm eine so schlimme Reputation gemacht hat, in die bloße Freyheit von Schmerzen sezte. Mäcen glaubte vermuthlich, daß Epikur an s e i n e m Platze sich selbst eben so verstanden haben würde wie Er. Er dehnte die n e g a t i v e Wollust bis auf Freyheit von allem Zwang dessen was nach den ältern Römischen Sitten Anständigkeit geheissen hatte, und bis auf die ausgesuchtesten Gemächlichkeiten aus: und er that noch so viel von der P o s i t i v e n hinzu, als er dienlich glaubte den Geschmack des Lebens zu erhöhen und zu mannichfaltigen, ohne sich eben sehr genau an das goldne Ne qvid nimis zu binden. Üppigkeit und Frivolität bezeichnen auf eine sehr augenscheinliche Art den Character seiner liebsten Ergötzungen und Zeitver-
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treibe. Unter allen Schauspielen zog er die Pantomimischen Tänze vor. Er war’s der sie zuerst öffentlich in Rom einführte, und der seiner Kunst und Schönheit wegen berühmte B a t h y l l u s war sein Liebling *). — Wir sehen aus einer Stelle des Plinius, daß sogar die C u l i n a r i s c h e Philosophie (worinn der Philosoph Catius ein so großer Meister war, daß ihn Horaz in einer eignen Satyre deswegen verewigt hat) ihm eine neue Erfindung zu danken hatte; denn er war der erste, der auf den Einfall kam, Füllen von Eselinnen **) als ein leckerhaftes Gerichte auf die Tafel zu bringen. Die Schlaffheit des Geistes, welche die natürliche Folge eines wollüstigen Müssiggangs ist, und die sich beym Mäcen sogar in seiner Kleidung, seinem Gang, in der Art wie er seinen
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Kopf trug, äusserte, war auch — in seiner Schreibart. Mäcen machte zum Zeitvertreib, Prose und Verse; aber der Umgang mit den besten Schriftstellern des goldnen Alters der Römischen Litteratur hatte wenig Einfluß auf seine Art zu schreiben. Sein Geschmack, sein Styl, seine Affectation sich ungewöhnlich auszudrücken, veraltete Wörter ohne Noth zu brauchen, und neue zu schmieden, sich Freyheiten gegen die Sprache zu erlauben, sein labris columbari und dergl., verrathen (wie Seneca ***) sagt) den Weichling, der sich auf öffentlichem Markte den Kopf mit seinem Pallio bedekte, und mitten in den Unruhen des Bürgerlichen Krieges, da die ganze Stadt bewafnet war, in einem weiten ungegürteten Rocke, mit zween C a s t r a t e n zu seiner ganzen Bedeckung, in den *)
Indulserat ei ludicro ( H i s t r i o n u m ) Augustus, dum Maecenati obtemperat, e f f u s o i n
a m o r e m B a t h y l l i , sagt Ta c i t u s A n n a l . I . c. 54. mit einer Stärke von Ausdruck, die ich sehr gemäßigt habe. **)
Pullos asinarum epulari Maecenas instituit. H. N. VIII. 43.
***)
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Im 114ten seiner Briefe.
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Straßen von Rom herumgieng. Es ist sehr möglich, daß Seneca ihm gerade diese beyden Kleinigkeiten schlimmer aufnimmt als sie gemeynt waren. J e n e s konnte wohl eine nothwendige Aufmerksamkeit auf seine Gesundheit zur Ursache haben, weil er (wenn Plinius *) Glauben verdient) sein ganzes Leben durch mit einem ununterbrochnen Fieber behaftet war; und mit d i e s e m konnte er bloß zeigen wollen, wie sicher er sich, im Vertrauen auf seine gute Sache, mitten in den Verwirrungen der Republik halte, und wie stark er auf die Zuneigung des Volks rechne. Indeßen ist nichts gewißer, als daß Mäcen ein ausgemachter Wollüstling war **), und daß sein Beyspiel zu der großen Verän10
derung in den Römischen Sitten, die (nach Tacitus Bemerkung) unter Augusts Regierung vorgieng, vieles beygetragen — wiewohl man weder einen Sallust, noch Cicero, noch Plutarch gelesen haben müßte, wenn man ihn (wie Seneca zu thun scheint) für den ersten und eigentlichen Verderber der Sitten in Rom halten wollte. Aber etwas, das bey einigem Nachdenken Jedem einleuchten muß, ist die Betrachtung: daß in allem diesem die Politik des Mäcenas mit seinem eignen natürlichen Hang in Einem Punct zusammengetroffen sey. Eine so große Veränderung in der Staatsverfassung, wie er dem August hatte bewürken helfen, machte eine allgemeine Abspannung der Sitten, bis auf einen gewissen Grad, politisch nothwendig; und es wäre ungereimt gewesen,
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wenn man vor dem, was in der freyen Republik a n s t ä n d i g geheissen hatte, mehr Respect hätte tragen wollen als vor den Gesetzen selbst. Die Römer, welche nun dem Willen eines Einzigen gehorchen lernen, ihrer ehmaligen Rechte und Wichtigkeit vergessen, und bis auf den Begriff des W i d e r s t e h e n s verlieren sollten, mußten unter allen Arten von Ergötzungen und Zerstreuungen abgeartet, weichlich gemacht, und zu dem Kindischen, Parasitischen und Sclavischen Charakter umgestimmt werden, den der passive Gehorsam voraussetzt. Das unbeschreibliche allgemeine Verlangen nach bloßer Sicherheit des Lebens und Eigenthums, die bloße Ungeduld von allen den zahllosen Drangsalen der bürgerlichen Unruhen endlich befreyt zu werden,
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hatte schon viel gethan, ihren ungelehrigen Nacken geschmeidiger zu machen: und August, von den Eingebungen Mäcens geleitet, ließ ihnen, in Absicht der S t a a t s v e r f a s s u n g , alles, was sie in der Täuschung, daß die Re*) **)
Hist. nat. L. VII. c. 51. Otio ac mollitiis pene ultra foeminam fluens Ve l l e j . l. c.
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publik noch stehe, erhalten konnte — Eadem Magistratuum v o c a b u l a , sagt Tacitus — Aber in Absicht der S i t t e n mußte alles je bälder je lieber ein neues Gepräge und das Ansehen einer angenehmen Veränderung bekommen: und was man im Senat, im Forum, und im Campus Martius an Freyheit verlohren hatte, mußte an Befreyung vom Zwang des strengern Wohlstands, an Freyheit nach seinem eignen Belieben leben und d e m G e n i u s i n d u l g i e r e n zu dürfen, ersetzt werden. Das waren freylich keine Maximen, die man pro Rostris ankündigte, oder in den Schulen lehren lassen konnte. Aber Mäcen lehrte sie durch sein Beyspiel; und die Römer waren so gelehrig, und übertrafen hierinn ihren Meister in kurzem so weit: daß der Luxus, den ihm S e n e c a mit so viel
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Declamation vorwirft, in Vergleichung mit demjenigen, wovon er in seinem 95sten Briefe als Augenzeuge spricht, sich in die Einfalt des Saturnischen Weltalters verliert. Was ich bisher von Mäcenas gesagt habe, und wovon man noch mehr Beweise in der Compilation des Meibomius, wiewohl in sehr schlechter Ordnung, zusammengeworfen finden kann, scheint mir hinreichend zu seyn, jedem Leser begreiflich zu machen: wie diejenigen, die als Freunde mit ihm lebten, und aus günstigem Vorurtheil, oder Sympathie, oder Dankbarkeit, oder aus allen diesen Ursachen zusammengenommen, ihn nur von der schönen Seite sehen w o l l t e n (in welchem Falle unser Dichter sich mit ihm befand) ja wie selbst
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ein P e d o , der ihm wie es scheint nicht einmal von Person bekannt war, von dem Liebenswürdigen seines Characters eingenommen, sich beeyfern konnten seine Schwachheiten zu entschuldigen. Ich kan mir nichts sonderliches dabey denken, wenn ihm Seneca um des einzigen Verses willen Nec tumulum curo, sepelit Natura relictos,
worinn ich nichts als das Sentiment eines ächten Epikurers sehen kann, einen g r o ß e n u n d m ä n n l i c h e n G e i s t zuschreibt, wofern er ihn nur nicht, zugleich mit seiner Person, e n t g ü r t e t hätte *). Aber, wenn man keine Ursache hat, ihn einen großen, geschweige (wie der gelehrte Rodomont J u l . C ä s a r S c a l i g e r thut) einen göttlichen Mann zu nennen; so kann man hingegen schwerlich irren, wenn man sich ihn als einen Mann vorstellt, der alle Eigen*)
Epist. 92. am Schluße. Habuit ingenium grande et virile, nisi illud secum d i s c i n x i s s e t .
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schaften besaß die ihm das Herz seiner Freunde gewinnen, und sein großes Glück, was sonst den Neid zu reizen pflegt, zu einem neuen Beweggrunde des Wohlwollens für alle die ihn kannten, machen konnten. Horaz rühmt ihn nie anders, als wegen der Eigenschaften seines Geistes und Herzens, wegen der Offenheit und Munterkeit seines Umgangs, wegen seiner Bekanntschaft mit der Litteratur beyder Sprachen, wegen seiner Bescheidenheit in einem so schimmernden Glück, wegen des edeln, freyen und von allen Intriguen gänzlich entfernten Fußes, wie man in seinem Hause lebte u. dergl. Aber wer hatte auch mehr Ursache als Horaz, ihn zu lieben, und das Beste von ihm zu sagen, 10
was sich ohne Schmeicheley sagen ließ? Indessen däucht mich doch aus dem Bilde das wir uns von ihm gemacht haben, und welches das Resultat aller bis zu uns gekommnen Züge seines Charakters ist, sey auch soviel klar: daß man sich ihn, mit allem dem, in Rücksicht auf die Gelehrten deren Freund und Gönner er war, nicht viel anders denken müsse, als wie Personen von seinen Umständen auch in unsern Zeiten zu seyn pflegen. Er war mehr Weltmann als Philosoph, mehr Liebhaber als Kenner, hatte mehr Wiz als Geschmak, und war zu gelehrt in der Kenntnis der Smaragde und Beryllen und Perlen *), um für die sublimen Schönheiten der Werke des Genies einen vorzüglichen Sinn zu haben. Ein Mann der die P y l a d e n und B a t h y l l e n so ungemessen liebte,
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konnte schwerlich den ganzen Werth eines Va r i u s fühlen. Kurz, Eitelkeit, Bedürfnis sich selbst zu amüsieren, und politische Rüksicht auf die Vortheile, welche August in mehr als Einer Betrachtung von einem liberalen Betragen gegen die besten Köpfe, besonders die Geschichtschreiber und Dichter seiner Zeit ziehen konnte, hatten, nach aller Wahrscheinlichkeit, wenigstens eben soviel Antheil an seiner Freundschaft für die M e r k u r i a l i s c h e n M ä n n e r (wie Horaz sich und seinesgleichen nennt **)) als seine würkliche Theilnehmung an ihren Personen und sein Geschmak an ihren Werken. Wenn etwa eine Ausnahme hierinn zu machen ist, so wäre es für unsern Dichter: zu welchem Mäcenas, wie es scheint, eine besondre und persönliche Zuneigung trug, und
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von welchem er hinwieder zärtlich geliebt wurde: wie die schöne Ode Cur me querelis exanimas tuis einem jeden beweisen muß, der nicht alles, was ein Dichter in dem wärmsten Ton des Gefühls sagt, für Täuschung der Phantasie *) **)
S u e t o n . vita Horat. Od. II. 17.
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und Aufwallung des Augenblicks hält. Horaz, scheint es, würde ihm, wenn er auch kein so guter Odendichter gewesen wäre, durch die Eleganz seines Geistes und seiner Sitten, durch seinen Wiz, seine angenehme Laune, kurz durch alles das, weswegen ihn S h a f t e s b u r y the most G e n t l e m a n - l i k e of Roman Poets *) nennt, noch immer wohl genug gefallen haben, um ihn zu seinem Freunde zu machen, und ihn zu der Art von Vertraulichkeit zu berechtigen, die wir, verbunden mit der feinsten Urbanität, in allen seinen an Mäcenas gerichteten Werken herrschen sehen. Ob der Brief, welcher unter den dreyen a n M ä c e n a s den ersten Plaz einnimmt, und die Stelle einer Zueignung und Vorrede zu vertreten scheint,
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würklich erst damals, da Horaz das erste Buch seiner Briefe herausgeben wollte, zu d i e s e m Ende verfertigt worden — wie man sowohl aus dem Inhalt, als aus der Überschrift, ad Maecenatem Adlocutio, welche To r r e n t i u s in einer sehr alten Handschrift gefunden, schließen könnte: oder ob er schon zuvor, als eine Art von Apologie für die Unthätigkeit seiner Muse, in Antwort auf einige freundliche Vorwürfe welche ihm Mäcenas deswegen gemacht, geschrieben worden sey, — läßt sich schwerlich ausmachen, und thut auch nichts zur Sache. Wahrscheinlich scheint es immer, daß die Freunde unsers Dichters, zumal diejenigen, welche sich ein näheres Recht an ihn erworben zu haben glaubten, von dem Succeß seiner S a t y r e n , E p o d e n und O d e n , und von
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der großen Meynung, die man daraus von seinen Fähigkeiten gefaßt hatte, Gelegenheit genommen, seiner Muse m e h r z u z u m u t h e n , und größere Dinge von ihr zu erwarten als er zu leisten Beruf und Neigung in sich fühlte. Vermuthlich glaubte man auch damals, Dichtern, welche das Glück oder Unglück hatten z u g e f a l l e n , ein gar schmeichelhaftes Compliment zu machen, wenn man, soviel sie auch schon gegeben haben mochten, dennoch nie zufrieden war, sondern immer mehr erwartete; eine Art von Compliment, womit man dem Schriftsteller, wiewohl auf eine höfliche Art (damit er sich für die Beleidigung noch bedanken müße) zu verstehen giebt, daß er am Ende doch nur ein Leibeigner des Publikums sey: wie etwa die B a l a d i n s und G l a d i a t o r e n zu Rom, welche man als Leute ansah, die für das Bißchen Antheil an den 4 Elementen, das man ihnen gönnte, und für die Ehre eines Beyfalls der nicht immer vor Hunger schüzt, nie genug für das Vergnügen des müßigen *)
Characteristiks Vol. I. p. 328.
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Theils der Welt arbeiten könnten. Horaz scheint sich im Eingang der gegenwärtigen Epistel diese demüthigende Vergleichung gefallen zu lassen; aber er wendet sie sogleich zu seinem Vortheil an, indem er behauptet: daß er alt genug sey, um auf das Privilegium der Gladiatoren, wenn sie lange genug gedient mit dem Stäbchen der Entlassung (rude) beschenkt zu werden, Anspruch zu machen: Seine besten Jahre, die Zeit der Scherze und Spiele, seyen vorüber, und er finde nöthig, das was er noch zu leben habe nicht der Dichtkunst, die ihm nie was anders als ein Spiel gewesen sey, sondern der Philosophie des Lebens, der Verbesserung und dem Genusse Seiner Selbst, zu wid10
men. Der Contrast dieser Art zu denken mit derjenigen, welche zu seiner Zeit, zumal unter jenen Personen herrschte, die durch ihre Ta l e n t e und die G u n s t d e r G r o ß e n ihr Glück (wie man’s nennt) zu machen hoffen konnten, macht den Hauptinnhalt dieses Briefes aus; und die Wendungen, welche Horaz dabey nimmt, sind mit vieler Feinheit gewählt, um, zu eben der Zeit da sie den Witz seines hohen Freundes belustigten, die Partie der Entfernung von Rom und der Philosophischen Muße, welche er selbst ergriffen hatte, in das vortheilhafteste Licht zu stellen. Etwas das die Briefe a n M ä c e n ganz besonders auszeichnet, ist eine gewisse leichte Farbe von P e r s i f f l a g e , welches (nach allem was wir von ihm wissen) der Ton war, der in dem Hause dieses
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reichen und üppigen Günstlings Augusts herrschte; und der auch unserm Dichter so natürlich war, daß er oft bey den ernsthaftesten Gegenständen, gleichsam unvermerkt, davon überrascht wird. Immer hören wir den feinen Weltmann, der mit dem Wiz, als einer Art von Waffen wovon er vollkommen Meister ist, so frey und sicher spielt, als ob er alle Augenblicke verwunden wollte; aber immer nur spielt, nie verwundet; und eben dadurch, daß er die andern nie seine ganze Stärke fühlen läßt, dem Schicksal der meisten witzigen Köpfe, bewundert und gehaßt zu werden, glücklich zu entgehen weiß. * * *
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Du, dem mein erstes Lied gewidmet war, und nun auch meiner Muse lezte Frucht gebührt, warum, Mäcen, mich, den man lange schon genug gesehn und fernern Diensts entlassen, von neuem zu dem alten Spiel zurük zu nöthigen? Ich bin an Jahren und an Sinnesart nicht mehr der Vorige. Vejanius, um nicht so oft am Ziel des Fechterplans dem Volk um seine Freyheit von Neuem flehn zu müssen, hieng sein Schwert
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an Herkuls Pfosten auf, (1) und stekt vergraben in seinem Mayerhof. (2) Auch mir, Mäcen, raunt oft ich weiß nicht welche Stimm’ ins Ohr: (3) Sey klug, und spann den alten Klepper noch in Zeiten aus, bevor er, auf der Bahn wo einst der Sieg ihn krönte, lahm und keuchend nicht weiter kann, und zum Gelächter wird. Gehorsam dieser Warnung hab ich nun der Verse mich und alles andern Spielwerks (4) entschlagen, und, was Wahr und Schön, beschäftigt
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mich ganz und gar; ich leb und webe drinn, Prima dicte mihi, summa dicende Camoena, Spectatum satis et donatum iam rude quaeris, Maecenas, iterum antiquo me includere ludo. Non eadem est aetas, non mens. Vejanius, armis Herculis ad postem fixis, latet abditus agro, ne populum extrema toties exoret arena. Est mihi purgatam crebro qui personet aurem: solve senescentem mature sanus equum, ne peccet ad extremum ridendus et ilia ducat. Nunc itaque versus et caetera ludicra pono, quid Verum atque Decens curo et rogo et omnis in hoc sum,
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bemüht mir einen Vorrath einzusammeln wovon ich bald im Winter zehren könne.a) Fragst du, in welche von den Weisheits-Schulen Athens ich eingeschrieben sey (5) – so wisse, in Keine. Frey, und ohne auf die Worte von einem Meister, wer er sey, zu schwören,b) bin ich, wie einer der zu Wasser reist, bald hier bald da, wohin der Wind mich wirft. Bald, lauter Thatkraft, treib ich in den Wogen 10
des thätigen weltbürgerlichen Lebens, und strenge Tugend, die kein Haarbreit weicht von Recht und Pflicht, ist meine große Göttin; bald sink ich unvermerkt in Aristipps System zurük, und, statt mich selbst den D i n g e n zu unterwerfen, seh ich wie ichs mache sie unter m i c h zu kriegen. (6) Wie die Nacht Dem mächtig lang dünkt, dem ein schelmisch Mädchen Condo et compono quae mox depromere possim. Ac ne forte roges quo me duce, quo lare tuter,
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nullius addictus iurare in verba magistri quo me cunque rapit tempestas deferor hospes. Nunc agilis fio et mersor civilibus undis, Virtutis verae custos rigidusve satelles: Nunc in Aristippi furtim praecepta relabor, et mihi res, non me rebus, submittere conor. Ut nox longa quibus mentitur amica, diesque
a) Anspielung auf die bekannte Fabel von der Grille, und der Ameise. Horaz begegnet dadurch dem Einwurf, daß er noch nicht so alt sey, um den Spielen der Musen aus Unvermögen entsagen zu müssen. 30
b) Anspielung an das Aytow efa (Er hats gesagt) der Pythagoräer, oder wenn man lieber will, auf die Soldaten die durch den Eyd, den sie ihrem General, nach der Formel die er ihnen vorsagte, schwuren, sich ihm gänzlich zu eigen gaben.
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1—38/1—20
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gelogen hatc), und lang der Tag dem Fröhner, und träg das Jahr dem Minderjährgen, den die Vormundschaft der strengen Mutter drükt: so schleichen langsam und verhaßt die Zeiten mir dahin, die meinen Plan und meine Hofnung hemmen, mit Ernst zu treiben was dem Armen gleich als wie dem Reichen nüzt, und was, versäumt, dem Jungen wie dem Alten Schaden bringt. Indeß behelf ich bis auf beßre Zeiten mich mit dem ABC der Weisheit, ungefähr
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wie folgt, und spreche: Weil du freylich nie ein Lynceusd) werden dürftest, wolltest du dich, wenn du an den Augen leidest, drum longa videtur opus debentibus, ut piger annus pupillis, quos dura premit custodia matrum: sic mihi tarda fluunt ingrataque tempora, quae spem consiliumque morantur agendi gnaviter id quod aeque pauperibus prodest, locupletibus aeque, aeque neglectum pueris senibusque nocebit. Restat ut his ego me ipse regam solerque elementis:
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non possis oculo quantum contendere Lynceus, non tamen idcirco contemnas lippus inungi;
c) S a n a d o n ist zwar eher zu loben als zu tadeln, daß er in seiner Übersetzung des Horaz viele Stellen um der Jugend zu schonen gänzlich weggelassen hat. Aber ne quid nimis! Wenn er sogar dem quibus mentitur amica sein plattes und unlateinisches quibus somni est pars nulla unterschiebt: so ist er ungerecht gegen seinen Autor, unvorsichtig gegen seine Schüler, und lächerlich oben drein. d) Das Wundergesicht dieses Argonauten wurde bey den Alten zum Sprüchwort. P l u t a r c h und S t r a b o n erwähnen auch eines n e u e r n Lynceus, der von dem Lilybeischen Vorgebürg in Sicilien die Schiffe, die aus dem Hafen zu Karthago ausgelauffen, habe zählen können — welches viel ist!
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der Salbe weigern? Oder, weil die Muskeln des nie besiegten Glyckonse) dir versagt sind, dich vor dem knotenreichen Chiragra nicht wenigstens nach Möglichkeit verwahren? Man geht so weit man kann wenn weiter nicht möglich ist. Brennt dich die Habsucht, macht Begierlichkeit dich elend? Nur getrost! Wir haben Zauberlieder, welche dir die Schmerzen lindern werden, wenn sie auch 10
das Übel nicht von Grund aus heilen sollten. (7) Schwillst du von Ruhmsucht? gut, wir können dir ein Büchlein reichen, das, mit reingewaschnen Augen zum drittenmal gelesen, viel Erleichtrung dir verschaffen wird. Ein Mann sey noch so neidisch, zornmüthig, faul, verbuhlt, dem Trunk ergeben, S o wild ist niemand, daß er durch Kultur nicht milder werden könnte, wenn er nur die Hand nicht von sich stößt die seiner pflegt. nec quia desperes invicti membra Glyconis
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nodosa corpus nolis prohibere cheragra? Est quadam prodire tenus, si non datur ultra. Fervet avaritia miseroque cupidine pectus? Sunt verba et voces, quibus hunc lenire dolorem possis, et magnam morbi deponere partem. Laudis amore tumes? Sunt certa piacula, quae te ter pure lecto poterunt recreare libello. Invidus, iracundus, iners, vinosus, amator, Nemo adeo ferus est ut non mitescere possit, si modo culturae patientem commodet aurem.
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e) Vermuthlich ein berühmter Athlete oder Fechter zu Horazens Zeiten, dessen aber sonst nirgends Meldung geschieht.
¼1. Buch. 1. Brief½
39—69/21—40
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Das Laster meiden ist schon Tugend, frey von Thorheit seyn — der Weisheit erste Stufe. Wie strengst duf) alle deine Nerven, bis zum Kopfweh, an, und sinnest, rechnest, wachest die Nächte durch, den Übeln zu entgehen die dir die größten scheinen, ohne Würde und Rang zu seyn, und wenig zu versteuern. Wie unverdrossen rennst du dem Gewinn bis an den Ganges nach, fliehst ärger vor der Armut als vor dem Tod durch Klippen, Fluth und Feuer!g)
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Warum nicht lieber dem der besser denkt Gehör gegeben, und das all’ entbehren gelernt, was du aus Unverstand bewunderst? Wer wollte lieber sich mit Gassenjungen in Dörfern und auf ofnen Straßen balgen, Virtus est vitium fugere, et sapientia prima stultitia caruisse. Vides quae maxima credis esse mala, exiguum censum turpemque repulsam, quanto devites animi capitisque labore! Impiger extremos curris mercator ad Indos
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per mare pauperiem fugiens, per saxa, per ignes: ne cures ea, quae stulte miraris et optas, discere et audire et meliori credere non vis. Quis circum pagos et circum compita pugnax
f) Horaz fährt immer fort mit sich selbst zu sprechen, oder vielmehr, unter Begünstigung dieser Fiction, dem großen Hauffen seiner Zeitgenossen (treff’ es dann wen es wolle!) in S e i n e r P e r s o n die Lection zu lesen; und diese Wendung geht durch den ganzen Brief, bis zu der Stelle: S o l l t e ü b r i g e n s d a s R ö m s c h e Vo l k e t c . g) Durchs Feuer — ist entweder eine, auch bey uns übliche, Sprüchwörtliche Redensart der Griechen — oder es bedeutet, wie B a x t e r meynt, die Zonam torridam, von welcher man bey den Alten gar schrekliche Dinge erzählte, ohne daß sich die Gewinnsucht der Römer dadurch abhalten ließ, ihr wenigstens sehr nahe zu kommen.
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als zu Olympia gekrönt sich sehn, zumal wenn ihm die Palme ohne Staub (8) geboten würde? Muß an Werth das Silber dem Golde weichen, wie viel mehr das Gold der Tugend? — Freylich nicht zu Rom! Da geht’s aus einem andern Ton: Ihr Herr’n und Bürger, zuerst für Geld gesorgt, für baares Geld, dann giebt sichs mit der Tugend wohl von selbst! So ruft vom untern bis zum obern Ende 10
uns Janus (9) zu: so sangen unsre Alten; nun singen wir’s, die Rechentafel und den Beutel unterm Arm, der lieben Jugend vor. Denn, fehlt an sechzehntausend Thalern dirh) nur eins bis zwey vom Hundert — sey an Geist und Sitten noch so edel, sey beredt und treu und gut, so viel du willst — du bist und bleibst doch P ö b e l (10) — Gleichwohl hören wir die Kinder singen: w e r’ s a m b e s t e n m a c h t magna coronari contemnat Olympia, cui spes
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cui sit conditio dulcis sine pulvere palmae? Vilius argentum est auro, virtutibus aurum. O cives, cives, quaerenda pecunia primum est Virtus post nummos! Haec Ianus summus ab imo prodocet, haec recinunt iuvenes dictata senesque laevo suspensi loculos tabulamque lacerto. Si quadringentis sex, septem millia desunt, est animus tibi, sunt mores et lingua fidesque, plebs eris! At pueri ludentes, R e x e r i s , aiunt, s i r e c t e f a c i e s . Hic murus aheneus esto
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nil conscire sibi, nulla pallescere culpa! h) Ich habe diese runde Summe dem Verse zu gefallen setzen müssen. Eigentlich mußte man, um zum Römischen Ritterstand qualificiert zu seyn, 400,000 S e s t e r t i o s im Vermögen haben, welches, vier Sestertios auf einen Denarius, gerechnet, und diesen einer Attischen Drachma gleich geschäzt, 16666 2/3 Thaler beträgt.
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s o l l K ö n i g s e y n ! i ) Nun sprich, wer hat mehr Recht (11) das Roscische Gesez, das einen Mann nach s o und s o viel tausend Thalern schäzt und anschlägt, oder unser Kinderspiel das dem Verdienst die Krone zuerkennt? dasselbe Lied, das unsre C u r i e r und C a m i l l e r einst als Männer täglich sangen! Wer rathet dir am besten, Der dich Geld erwerben heißt — in Ehren freylich, wenn sichs thun läßt — doch, wo nicht, auf welche Art! nur Geld!
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um näher bey den Thränenreichen Stücken (12) des Pupius zu sitzenk) — oder Der, der dich durch Lehr und Beyspiel tüchtig machtl) Fortunens Übermuth den edeln Stolz von einer heitern freyen Seel’ entgegenRoscia, dic sodes, melior lex, an puerorum est naenia, quae regnum recte facientibus offert, et maribus Curiis et decantata Camillis? Is ne tibi melius suadet, qui rem facias, rem, si possis, recte, si non, quocunque modo rem,
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ut propius spectes lacrimosa poe¨mata Pupıˆ, an qui fortunae te responsare superbae liberum et erectum praesens hortatur et aptat?
i) Das Kinderspiel, wovon Horaz hier zur Beschämung der alten Kinder Gebrauch macht, war eine Art von Ballspiel. Wer nie fehlte war K ö n i g : wer immer fehlte, hieß der E s e l , und mußte während die andern fortspielten, sitzen bleiben und zusehen. k) Es war vermöge des Roscischen Gesetzes eine von den Vorzüglichkeiten der Römischen Ritter, daß sie bey den Schauspielen in den Circis und Amphitheater ihre eigenen Sitze hatten und dem Schauspiel näher waren als der Pöbel. l) Ich folge der Leseart: qui te præsens hortatur et aptat, und glaube daß der Sinn des Worts p r æ s e n s hortatur &. die Übersetzung durch Lehr und B e y s p i e l hinlänglich rechtfertigen könne.
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zu stellen? — Sollte übrigens das Römsche Volk mich kleinen Bürger etwa fragen wollen: Warum ich anders von den Dingen denke als meine Obern, und nicht auch, Was sie begehren oder fliehn, begehr’ und fliehe? So würd’ ich ihm aus Reinkens schlauem Munde die Antwort geben, der zum kranken Löwen sprach: Die Spuren schrecken mich, die alle Einwärts in deine Höle gehen, keine wieder 10
zurük. — Du bist ein Thier mit vielen Köpfen,m) wem soll ich folgen? Einer zieht mich da — ein Andrer dort hinaus. Die einen lüstern nach Pachtungen des Staats, brigieren Contracte (wo ein Tempel aufzuführen, ein Sumpf zu troknen, ein Canal zu graben, ein Leichbegängnis anzuordnen ist.) (13) Noch andre suchen alte geizge Wittwen ins Garn zu locken, oder reiche Greise Quod si me populus Romanus forte roget, cur
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non, ut porticibus, sic iudiciis fruar iisdem, non sequar aut fugiam quae diligit ipse vel odit? olim quod vulpes aegroto cauta leoni respondit, referam: quia me vestigia terrent omnia te adversum spectantia, nulla retrorsum. Bellua multorum es capitum: nam quid sequar aut quem? Pars hominum gestit conducere publica: sunt, qui crustis et pomis viduas venentur avaras, excipiantque senes, quos in vivaria mittant:
m) Die Gründe, warum B e n t l e y , der mit seinen Verbesserungen des Horaz so oft verunglükt, 30
est statt es gelesen wissen will, sind erbärmlich. Muß denn das F i g ü r l i c h e Thier, auf welches Horaz die Rede des Fuchses an den Löwen (in einer bekannten Äsopischen Fabel) anwendet, gerade auch ein L ö w e seyn? Und warum sollte Horaz zu seinem Figürlichen Thiere kein Wort mehr sagen dürfen als der Fuchs in der Fabel zum Löwen sagt?
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einander wegzuangeln; wieder andre macht unbemerkt geheimer Wucher fett. Doch, daß Verschiedne auf verschiednen Wegen ihr Glük verfolgen, und der eine dies Der andre jenes liebt, begreift sich. Aber wenn ein Mann nicht eine Stund’ in seinem Wege bleibt, wie dann? Ein Reicher spreche: „in der Welt ist doch kein Winkel, der an Anmuth Dem von Bajä gleicht“: straks wird das nahe Meer und der Lucrinersee die feur’ge Liebe des raschen Herrn empfinden: (14) Übernacht kriecht durch die Leber ihm ich weiß nicht was; so spricht er Morgen zu den Arbeitsleuten: Führt euern Werkzeug nach Theanum ab.n) Wird auf die nächste Nacht sein Brautbett aufgeschmükt, so geht, nach ihm, nichts über ledig seyn: ist er’s, so schwört er hoch, der Ehstand sey der einz’ge Stand worinn man glüklich lebe. Mit welchem Knoten soll ich fest ihn halten, den Proteus, der nicht einen Augenblik multis occulto crescit res foenore. Verum esto aliis alios rebus studiisque teneri; Iidem eadem possunt horam durare probantes? Nullus in orbe sinus Bajis praelucet amoenis, si dixit dives, lacus et mare sentit amorem festinantis heri; cui si vitiosa libido fecerit auspicium, cras ferramenta Theanum tolletis, fabri! Lectus genialis in aula est? Nil ait esse prius, melius nil coelibe vita: si non est, iurat bene solis esse maritis. Quo teneam vultus mutantem Protea nodo? n) Eine Stadt am Nordostlichen Ende von Campanien, über 30 Römische Meilen von Bajä entfernt.
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derselbe bleibt? — Sogar der Arme (lache nur!) verändert wenigstens, so oft er kann, sein Stübchen unterm Dach, sein hartes Bette, Barbier und Bad, und macht in einem Marktschiff, worinn er seinen Plaz um wenig Dreyer bezahlt, den Zärtlichen, troz einem Reichen in seiner eigenen dreyrudrigen Galeere. Wohin nun, fragst du mich, mit aller dieser Philosophie? — Das sollst du gleich erfahren.o) 10
Begegn’ ich etwa dir einmal mit übel verschnittnen Haaren auf dem Markt, so lachst du; sizt mir die Toga ungleich auf den Schultern, gukt unter meinem wollenreichen Rocke ein abgetragnes Wamms hervor — so werd’ ich ausgelacht. (15) Hingegen mag’s im Innern so schlecht stehn, meine Seele mit sich selbst so uneins seyn als möglich, lieben was sie kaum gehaßt, verschmähen was sie kaum noch liebte, nach keiner Regel, keinem Endzwek leben,
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Quid pauper? ride! mutat coenacula, lectos, balnea, tonsores; conducto navigio aeque nauseat ac locuples quem ducit priva triremis. Si curtatus inaequali tonsore capillos occurri, rides: si forte subucula pexae trita subest tunicae, vel si toga dissidet impar, rides: quid, mea cum pugnet sententia secum? quod petiit, spernit, repetit quod nuper omisit? aestuat et vitae disconvenit ordine toto?
o) Diese zween Verse stehen zwar nicht anders als virtualiter im Texte; aber sie schienen 30
nöthig, um dem teutschen Leser, der zu den S p r ü n g e n des Horaz sich manchmal zu schwer fühlen möchte, eine kleine Brücke zu bauen.
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izt etwas baun, dann wieder niederreißen, dann plözlich runden was sonst eckigt war: da lachst du nicht! — Es ist was Allgemeines, heißts dann: dir fällt nicht ein, daß ich des Arztes bedürfe, oder daß der Prätor mich bevogten sollte. Gleichwohl nimmst du Theil an mir, als einem Freunde, der so ganz an deinen Augen hängt, und – warmen Antheil! Denn, wenn ein Nagel nur an mir nicht recht geschnitten ist, so steigt dir schon die Galle.p)
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Und also, kurz und gut — der We i s e ist nach Jupitern der Zweyte in der Welt; ist reich und edel, frey und schön, und König der Könige, und, sonderlich, gesund — (16) versteht sich, wenn ihn nicht der Schnuppen plagt. diruit, aedificat, mutat quadrata rotundis? Insanire putas solennia me, neque rides, nec Medici credis nec curatoris egere a Praetore dati, rerum tutela mearum cum sis, et prave sectum stomacheris ob unguem
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de te pendentis, te respicientis amici. Ad summam, S a p i e n s uno minor est Iove, dives, liber, honoratus, pulcher, rex denique regum, praecipue sanus, nisi cum pituita molesta est. * * *
p) Auch hier bricht Horaz wieder auf einmal ab, um seinem hohen Freunde nicht deutlicher zu sagen, was er ihm gleichwohl mit allem diesem sagen w o l l t e , nehmlich: daß ihm, bey so bewandten Umständen, und da Mäcen selbst in Sachen die den innerlichen Wohlstand beträfen nicht viel richtiger denke als die viri optimi, ad medium Janum sedentes, kein andres Mittel übrig bleibe, als sich selbst zu helfen so gut er könne.
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Erläuterungen. (1) Jede Profession hatte bey den Alten ihren Patron unter den Göttern; und wer eine Kunst, die er mit Ruhm getrieben hatte, aufgeben wollte, hieng die Werkzeuge derselben in einem Tempel des Schuzgottes auf. Daß die Gladiatoren unter dem Schutze des Herkules gestanden, wie Tu r n e b u s meynt, ist vielleicht nicht erweislich: aber wenigstens war dieser vergötterte Athlete sehr wohl dazu qualificiert, oder Vejan konnte ihn zu seinem besondern Schuzpatron erwählt haben; und so widmete er ihm nun sein S c h w e r t , wie die L a i s des Dichters Plato, in der Anthologie, der Liebesgöttin ihren S p i e 10
gel. (2) Der Ve j a n i u s , mit welchem Horaz sich hier vergleicht, hat den gelehrtesten Auslegern viele Mühe gemacht. Wer war er? Gehörte er unter die gewöhnlichen Gladiatoren, welche sich zu diesem blutigen Handwerk selbst verkauft hatten? Oder war er einer von den seltnern, die ihrer außerordentlichen Leibesstärke und Geschicklichkeit wegen, weniger aus Noth als aus Ruhmbegier und Liebe zur Kunst, Profeßion davon machten? War er ein guter oder ein schlechter Fechter? War er schlecht, wie kam er zu der Ehre, daß ihn das Volk, auch nachdem er schon mehr als einmal entlassen worden war, immer wieder sehen wollte? War er gut, wie konnte er so oft in den Fall kommen, das
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Volk u m s e i n L e b e n bitten zu müssen? — Alles genau erwogen hab’ ich nöthig gefunden, von der Meynung, die ich in meinem ersten Versuch einer Übersetzung dieser Epistel geäußert, und wodurch ich zwischen allen diesen Klippen am besten durchzukommen glaubte, abzugehen, und der Auslegung des To r r e n t i u s zu folgen, der in Auflösung der knotigen Stellen unsers Autors fast immer am glücklichsten ist. Horaz sagt nicht, daß Vejan das Volk um sein L e b e n gebeten habe (das e x t r e m à a r e n à populum exorare läßt ohne Zwang auch eine andre Deutung zu) — er bat nur, endlich einmal im Ernst entlassen, oder, er verbat sich inständigst die Ehre, immer wieder von neuem aufgefordert zu werden; weil er des gefährlichen Spiels müde war, und, so ein
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großer Meister der Kunst er auch seyn mochte, doch immer Gefahr lief von einem jüngern und rüstigern Nebenbuler endlich überwältigt, und so, durch die Indiscretion des Volks, dessen Liebling er schon lange gewesen war, zuletzt in seinem Alter auf einmal um einen sauer erworbenen Ruhm gebracht zu
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werden. Um diesem Schicksal zu entgehen, hieng Vejan sein Fechterschwert im Tempel des Herkules auf, entfernte sich von Rom, und verbarg sich in irgend einer Italiänischen Provinz in seinen Meyerhof. Durch diese Auslegung paßt nun auch die Vergleichung so gut auf unsern Dichter daß es überflüßig wäre ein Wort mehr davon zu sagen. (3) Dieser ganze Brief ist so voller Anspielungen, daß es wohl möglich ist, daß Horaz hier den D ä m o n d e s S o k r a t e s , oder irgend eine Stelle vom Plato oder einem andern Griechen im Auge gehabt haben mag. C r u q u i u s führt den H e r o d o t , der (ich weiß nicht wo) von dem Deus in nobis, dem was die Griechen, im Gegensatz mit der sinnlichen Seele, den verständigen und
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göttlichen Theil der menschlichen Natur nannten, sage: e r h a b e s e i n e n S i z i n d e n O h r e n (en vsi tvn anurvpvn oikeei) L a m b i n u s erinnert sich hiebey der Stelle des Platonischen K r i t o n s , wo Socrates, nachdem er die Gesetze und Republik von Athen personificiert und redend eingeführt hat, wie sie ihm die Gründe vorhalten, warum es ihn nicht erlaubt sey zu fliehen, da er, wiewohl ( s e i n e m Urtheil nach) schuldlos von ihnen zum Tode verurtheilt worden — hinzusezt: „ e r g l a u b e a l l e s d i e s e b e n s o z u h ö r e n w i e P e r s o n e n d i e m i t d e r K o r y b a n t i s c h e n Wu t h b e f a l l e n s e y e n e i n G e t ö n von Flöten zu hören glauben ; und der Laut dieser Reden halle so s t a r k i n i h m , d a ß e r n i c h t s a n d e r s d a v o r h ö r e n k ö n n e “ . — Übri-
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gens war’s nicht wohl möglich, weder die Schönheit des Worts personare, noch das scherzhafte, das (wie ich vermuthe) in dem Wort p u r g a t a m aurem liegt, im Teutschen schicklich auszudrücken. Denn ich glaube nicht, daß Horaz bey seinem g e r e i n i g t e n O h r an die Philosophische Reinigung der Seele, qua proprio et innato nobis vigore assumto ad similitudinem Dei traducimur, wovon C r u q u i u s hier träumt, gedacht habe, sondern daß er nur einer etwa zu besorgenden mauvaise plaisanterie des Mäcen auf eine gleich scherzhafte Art habe zuvorkommen wollen. (4) Man würde unrecht haben, wenn man dieses vermeyntliche eigne Geständnis unsers Dichters für die Meynung derjenigen anführen wollte, welche die Poesie für bloßes Spielwerk, und eines weisen Mannes, besonders in einem gewissen Alter, unwürdig halten. Denn daß Horaz die Übung der Dichtkunst mit dem Quid Verum atque Decens curare sehr wohl habe zusammenreimen können, sieht man aus seiner Epistel an den L o l l i u s , aus der Sokratischen Philosophie die er den jungen Dichtern in der Epistel an d i e P i s o n e n emp-
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fiehlt, und aus vielen andern Stellen seiner Werke. Die meisten Ausleger fehlen darinn, daß sie ihm alles was er sagt immer zu ernsthaft, zu dogmatisch nehmen, und oft ganz zu vergessen scheinen, zu wem, unter welchen Umständen, in welcher Stimmung, und in welcher Absicht er etwas sagt. Hier war’s ihm hauptsächlich darum zu thun, sich von den Zudringlichkeiten eines Römischen Großen loßzumachen, der zwar sein Freund, aber doch zugleich ein Mann war welcher Ansprüche an ihn zu haben glaubte. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Mäcenas den Ruhm, den sich Horaz durch seine lyrische Gedichte erworben, als einen Beweggrund bey ihm geltend machen wollen, in 10
dieser Laufbahn fortzufahren; und er mag sich leicht so ausgedruckt haben, als ob aus diesem Beyfall eine Art von Ve r b i n d l i c h k e i t erwachse, die E r w a r t u n g des Publikums und seiner Freunde durch neue Werke zu befriedigen. Horaz liebte seine Freyheit und das Sacrosanto F a r N i e n t e zu sehr, um sich nicht gegen so beschwerliche Anmaßungen auf alle Weise sicher zu stellen. Er spricht also von seinen Poesien mit einer Verachtung, die ihm eben nicht sehr von Herzen gieng, als von bloßer Versemacherey, von Spielwerk (was sie denn auch zum Theil waren) und behauptet, daß es sich für sein Alter nicht mehr schicken wolle, sich damit abzugeben. Wir werden aus andern Briefen, und besonders aus dem zweyten an seinen Freund J u l i u s F l o r u s ,
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sehen, wieviel Ursache ein Mann von seiner feinen Sinnesart hatte, kein BelEsprit von Profession nach damaligem Schnitt seyn zu wollen; und je mehr wir ihn kennen lernen, je weniger werden wir auffallend finden, wenn er, ungeachtet er seinen Ruhm, die Gunst des Mäcenas, und die glückliche Muße seines Lebens hauptsächlich seinem Poetischen Talente zu danken hatte, doch so ungern für ein ordentliches Mitglied der Dichterzunft seiner Zeit angesehen seyn wollte, daß er sogar kein Bedenken trägt zu versichern, die bloße Noth habe ihn angetrieben, Verse zu machen; und nun, da er zu essen habe, würde ihn alle Nießewurz der Welt nicht genug ausreinigen können, wenn er sein Leben nicht lieber mit S c h l a f e n als Versemachen zubringen wollte. *)
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*)
„Sag was ich thun soll? N i c h t s ! d a s Ve r s e m a c h e n a u f g e b e n . Nun, ich will gehangen seyn, wofern dies nicht das Beste wäre — aber, Freund, ich kann nicht schlafen. —“
S a t y r e a n d e n Tr e b a t .
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Daß übrigens in dergleichen Stellen mehr L a u n e d e s A u g e n b l i c k s als Ernst und Wahrheit gewesen sey, zeigt sich schon genugsam daraus, weil mitten unter seinen ewigen Versicherungen, daß er k e i n e Verse mache, die Liebhaberey gleichwohl stärker war als sein Vorsaz: Ipse ego, qui nullos me affirmo scribere versus, invenior Parthis mendacior etc. —
(5) Die Philosophie, als die K u n s t z u l e b e n , wurde bey den Griechen gleich andern schönen Künsten behandelt; sie hatte ihre Meister und Schulen wie die Bildnerey und Mahlerey. S o k r a t e s machte zwar selbst keine Secte — eben weil er Sokrates war: aber alle nach ihm entstandne Philosophische
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Schulen und Secten wurden von irgend einem der S e i n i g e n gestiftet oder veranlaßt. P l a t o , der berühmteste unter seinen Anhängern, stiftete die A k a d e m i e , A r i s t o t e l e s , der größte Kopf unter Platons Schülern, das L y c e u m . A r i s t i p p machte sich zwar sein eignes System, aber kann, so wenig als Sokrates, für das Haupt einer Schule gehalten werden, wiewohl man ihn dazu gemacht hat. A n t i s t h e n e s ein andrer Jünger des Weisesten der Griechen, wurde der Vater einer Secte, die unter dem wenig rühmlichen Nahmen der H ü n d i s c h e n sich gleichwohl in einiges Ansehen zu setzen wußte, und unter den Philosophen das war, was die Franciscaner unter den Mönchen. Hundert Jahre nach Sokrates Tode wurden Z e n o und E p i k u r , indem Jener die Welt-
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bürgerschaft des Antisthenes, Dieser den Egoismus des Aristippus zu rectificiren suchte, die Stifter zwoer neuen Schulen, welche in kurzem über alle übrigen hervorragten, aber in allen ihren Begriffen und Grundsätzen Antipoden waren. Die lezte, die den Nahmen ihres Stifters erhielt, empfahl sich durch die größte Freyheit im denken, durch den ofnen Krieg den sie dem Aberglauben, dem Fanatismus, und allen Vorurtheilen ankündigte, und durch eine Sittenlehre, die den meisten einleuchten mußte, weil sie, mit dem wenigsten Aufwand von Anstrengung, ein heitres und schmerzenfreyes Leben versprach. Jene erhielt, von der großen Stoa oder Halle zu Athen, wo ihr Stifter und seine Nachfolger zu lehren pflegten, den Nahmen der Stoischen. Sie zeichnete sich auf der einen Seite durch eine Naturlehre aus, die sich mit der herrschenden Religion weit besser vertrug als die der übrigen Secten: auf der andern durch eine Moral, die den Menschen veredelte, indem sie die vollkom-
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menste Ausübung der Tugend, und die angestrengteste Thätigkeit zum besten des Vaterlands und der allgemeinen menschlichen Gesellschaft, zur einzigen Bedingung der Glückseligkeit machte. Sollte man nicht denken, die tugendhaftesten Männer, zumal unter denen, welche den immer zunehmenden Verfall der Griechischen Freystaaten noch aufzuhalten suchten, müßten sich in der Stoa gebildet haben? Gleichwohl weiß man davon nichts; vielmehr machte ihnen Plutarch in einem eignen Tractat den Vorwurf, daß sie die Thätigkeit zum besten des Staats zwar in ihren Schulen und Schriften lehrten, die Ausübung ihrer Grundsätze aber andern überließen — ein Vorwurf, der in gewis10
ser Maßen allen andern Secten gilt. Zwischen diesen angesehenern Familien der Griechischen Philosophie erhielt sich die C y n i s c h e , als die Mutter der Stoischen, oder vielmehr als eine Art von Philosophischem Orden, der in d e r F r e y h e i t von allen Gesellschaftlichen Banden die höchste Glückseligkeit, und in der Entbehrung aller Dinge, die nicht schlechterdings zum Daseyn unentbehrlich sind, die höchste Vollkommenheit des Menschen sezte. Mit der Folge der Zeit nahm auch die A k a d e m i e verschiedene neue Gestalten an, welche ihr unter einem so müßigen, neugierigen, und alles schöne Geschwätze so sehr liebenden Volke, wie die Griechen waren, wieder Zulauf verschaften. Sie empfahl sich durch die Scharfsinnigkeit und Beredsamkeit ihrer Leh-
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rer, und durch den großen Grundsatz der Ungewißheit aller Menschlichen Erkenntnis, der ihnen Gelegenheit gab, über alles f ü r und w i d e r zu reden; und da die K u n s t z u r e d e n , und eine Sache von allen ihren Seiten oder, von welcher Seite man es zu seiner Absicht nöthig fand, zu zeigen, in den damaligen Freystaaten das unentbehrlichste We r k z e u g des S t a a t s m a n n s war: so wurde es zur guten Erziehung eines jungen Menschen von Stande für eben so nothwendig gehalten, sich in der neuen Akademie zum Redner als in der Stoa zu einem wohlgesitteten und rechtschafnen Manne bilden zu lassen. Dies ist ungefehr das ins Kurze zusammengezogne Gemählde der Verfassung worinn sich die Philosophischen Schulen der Griechen befanden, als die
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ungelehrten Römer mit ihnen bekannter zu werden anfiengen. Nichts kann wohl ungleichartiger seyn als der Geist und Charakter der Römer und der Griechen, selbst noch um die Zeit der berühmten Gesandtschaft des K a r n e a d e s * ) , *)
Des Stifters der sogenannten N e u e n A k a d e m i e . Er wurde zugleich mit dem Stoiker
D i o g e n e s , und dem Peripatetiker K r i t o l a u s in Angelegenheiten der Stadt Athen nach Rom abgeschickt. ¼1. Buch. 1. Brief½ E r l ä u t e r u n g e n
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welche die Epoke ist, worinn die Griechische Philosophie und Redekunst, die nur wenige Jahre zuvor durch ein Edict des Senats aus Rom verwiesen worden war, mit dem Ansehen einer öffentlichen Gesandschaft bekleidet zurück kam, um eine Art von Triumph über die Beherrscher der halben Welt innerhalb ihrer eignen Ringmauern zu erhalten. Ungeachtet des lebhaften Eindruks, den diese drey Philosophen (besonders K a r n e a d e s , der wizigste und redseligste aller Griechen seines Jahrhunderts) auf die edle Römische Jugend machten, währte es noch eine geraume Zeit, bis der rauhe Römische Genius sich gewöhnen konnte, die Attischen Musen für etwas bessers als eine Art Griechischer Buhlerinnen anzusehen, mit denen man sich wohl ein paar mü-
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ßige Stunden vertreiben könne, die aber einer ernsthaften Zuneigung nicht würdig seyen. Die Wissenschaften und Künste der Griechen wurden als Gegenstände des Luxus betrachtet, welche dazu gemacht wären den Herren der Welt zu dienen, nicht über sie zu herrschen; die Großen von Rom hatten Griechische Baumeister, Griechische Mahler, Griechische Steinschneider, Griechische Vorleser, Griechische Tänzer und Baladins, in ihren Diensten, liessen ihre Weiber von Griechischen Mädchen coeffieren, ihre Kinder von Griechischen Pädagogen erziehen, u. s. w. Aber so lange noch ein Antiochus und Mithridates zu bekämpfen war, und so lange sie sich noch unter einander selbst über die wichtige Preisfrage zankten, wer von ihnen Meister über alle übrigen
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bleiben würde? blieb ihnen wenig Zeit zu subtilen und müßigen Speculationen: und erst nachdem Julius Cäsar jene große Frage entschieden hatte, sehen wir einen C i c e r o , in der unfreywilligen Einsamkeit seines Tusculanum, auf Akademische Betrachtungen einen Werth legen, und in Verpflanzung der Platonischen und Stoischen Philosophie auf Römischen Boden Unterhaltung und Trost *) gegen den Unbestand des Glüks und die Trübsale des Lebens suchen. Indessen ist nicht zu läugnen, daß schon in dem lezten halben Jahrhundert des f r e y e n Roms, die Philosophie von verschiednen edeln Römern, besonders unter denen, welche sich mehr durch Beredsamkeit und Geschiklichkeit in den Bürgerlichen Rechten als durch Kriegerische Talente den Weg zu den höchsten Ehrenstufen bahnen wollten, als ein Hülfsmittel zu ihrem Zweck,
*)
Cic. ad Familiar. L. IX. Epist. 2. Modo nobis stet illud (schreibt er an Va r r o ) uná vivere in
studiis nostris, a quibus antea d e l e c t a t i o n e m m o d o petebamus, n u n c v e r o etiam s a l u tem.
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mit einigem Ernste getrieben wurde. Da sie aber als eine von den G r i e c h i s c h e n K ü n s t e n angesehen wurde: so war auch das Vorurtheil ganz natürlich, daß man sie aus d e r Q u e l l e schöpfen, d. i. von den Griechen lernen, und sich also zu irgend einer von ihren Schulen bekennen müsse. Ein Philosoph — oder ein Akademiker, oder Stoiker, oder Epikuräer seyn, war in ihren Augen einerley; und es schien ihnen bequemer, die Theorien, die sie schon gemacht und fertig in den Philosophischen Buden der Griechen liegen fanden, zu dem Gebrauch, den sie davon machen konnten, anzuwenden, als sich selbst eigne zu machen. Bey dem allem aber war es wohl den wenigsten darum zu 10
thun, die Philosophie, zu der sie sich bekannten, in ihrem L e b e n auszudrükken; und wenn ein C a t u l u s , C a t o und B r u t u s hievon Ausnahme machten, so kam es schwehrlich aus anderm Grunde her, als weil sie, auch ohne Akademie und Stoa, das gewesen wären was sie waren. Aber mit dem Tode dieser großen Männer und mit der Revolution, die darauf erfolgte, veränderte sich auch der Geist der römischen Philosophie. Das Jahrhundert der Cäsarn konnte Catonen weder mehr hervorbringen noch ertragen. Indem die Republik sich unvermerkt in das Phantom einer Aristokratie verwandelte von welcher ein Einziger die Seele war: so hörte auch die Beredsamkeit auf, die mächtigste Triebfeder des Staats zu seyn, und der beste Bürger war nun der, der am
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besten g e h o r c h e n konnte. Die Philosophie sank also gar bald von der Würde herab, zu welcher sie von einigen großen Staatsmännern in Rom war erhoben worden. Sie wurde nun auch in der Hauptstadt der Welt was sie zu Athen schon lange gewesen war, eine müßige Kunst zu grübeln, und zu declamiren. Man mußte allenfalls einen Anstrich davon haben, weil es zum guten Ton gehörte, von Litteratur und Philosophie, so wie von Gemählden und Statuen schwatzen zu können; aber P h i l o s o p h i e z u l e b e n würde in den Augen der meisten Weltleute Unsinn, und bey den Billigsten wenigstens eine seltsame Art von Sonderlichkeit gewesen seyn. Bey dem allen konnte es gleichwohl nicht fehlen, daß es in einer Epoke wie
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die Regierung des Augustus in Rom machte, nicht hier und da einen solchen Sonderling gegeben hätte, der in der Muße eines glücklichen Mittelstandes zwischen Überfluß und Dürftigkeit, mit mehr Liebe zur Freyheit als Ehrgeiz oder Begierlichkeit, sich bloß zu seinem eignen Vortheil, ein Geschäfte daraus machte, richtiger von dem Menschen und seinen Angelegenheiten zu urtheilen, und nach bewährtern Grundsätzen zu leben als der große Haufe. Horaz,
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indem er sich in diesem Briefe an seinen großen Freund, für einen dieser Sonderlinge bekennt, der die Philosophie, ohne alle Prätension an Bart und Mantel, bloß als eine ökonomische Angelegenheit, wenn man so sagen darf, und u m s i c h b e s s e r z u b e f i n d e n , treibe: erklärt sich zugleich, daß er eben darum in keine der Philosophischen Schulen eingeschrieben sey, auf keines Meisters Worte geschworen habe; sondern wie ein Reisender, bald da bald dort anlände oder absteige, und von jedem nur gerade soviel nehme als er zu seinem Gebrauch nöthig habe. Es geht, wenn mich mein Gefühl nicht täuscht, durch diese ganze Stelle eine sehr feine Schattierung von Laune (Humour) wodurch er dem erwarteten Spott des Mäcenas zuvorkommt, und das
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Lächerliche von sich ablehnt, das die Weltleute auf einen Philosophen von Profession zu werfen geneigt sind. Doch glaube ich nicht, daß das Persifflage soweit gehe, als es B a t t e u x in seiner Erklärung dieser Stelle auszudehnen scheint. Denn daß es Horazen mit der Philosophie, die er in diesem Briefe vorträgt, Ernst sey, ist schon daraus klar genug, weil es die nehmliche ist, die aus allen seinen Werken athmet. Er läßt der Stoa Gerechtigkeit wiederfahren, indem er ziemlich deutlich zu verstehen giebt, daß er, sobald er sich (in Gedanken nehmlich) i n d i e Wo g e n d e s b ü r g e r l i c h e n L e b e n s s t ü r z e , die Anhänglichkeit an eine strenge unerschütterliche Tugend für die beste Parthey halte, die alsdann zu nehmen sey. Aber er giebt auch gleich wieder auf
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eine feine Art zu verstehen, daß für einen Mann wie er — der doch wahrlich, wenn er auch den Cato oder Brutus hätte machen wollen, der Republik nichts damit geholfen hätte — das schicklichste sey, die Sachen zu lassen wie sie sind; und nur sich selbst in eine solche innerliche Verfassung zu setzen, daß er — in einem Staat wo die Politische Freyheit verlohren und die Bürgerliche sehr beschränkt war — wenigstens der Persönlichen und Moralischen, der Freyheit von thörichten Begierden und quälenden Leidenschaften, nicht durch eigne Schuld verlustig werde. (6) Horaz sezt in dieser schönen Stelle die Stoische Philosophie der Aristippischen entgegen, weniger um sie mit einander contrastiren zu lassen, als um den Grund anzudeuten, warum er die leztere seiner eignen Lage und Verfassung angemeßner finde. Die Stoische war, seiner Meynung nach, die Philosophie eines Staats- und Geschäftmanns, der als Patriot und Weltbürger seine ganze Thätigkeit dazu anwendet, das allgemeine Beste zu befördern. Die Aristippische hingegen schikte sich für einen Privatmann, der sich zu keiner so
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hohen Bestimmung berufen fühlt, und, in der Ruhe eines unschuldigen Müßiggangs, zufrieden ist, sich selbst frey und glüklich zu erhalten. Was Horaz mit dem Verse Et mihi res, non me rebus, submittere conor
eigentlich habe sagen wollen, scheint den meisten Auslegern nicht klar genug gewesen zu seyn. S a n a d o n wußte sich nicht anders zu helfen, als daß er, eigenmächtig und gegen alle Handschriften, die Ordnung der Zeilen änderte, und die eben angeführte der unmittelbar vorgehenden Nunc in Aristippi furtim praecepta relabor
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vorsezte; weil er sich einbildete, daß es just umgekehrt sey. Die Stoiker, meynt er, wären ja eben diejenige welche lehrten, daß, ein Weiser die Dinge s i c h , und nicht sich d e n D i n g e n unterwerfen müsse: dies leztere hingegen sey gerade das worinn Aristipps ganze Philosophie bestanden. Aber Sanadon irrte sich in beydem. Just so wie die vier Verse im Original in allen Handschriften stehen, machen sie den schönsten Sinn, und drücken das Charakteristische der Stoischen und Aristippischen Philosophie aufs richtigste aus. Der Hauptgrundsaz der S t o i k e r war: der Weise u n t e r w i r f t sich immer und in allem den ewigen und nothwendigen Gesetzen der N a t u r d e r D i n g e ; er bildet seine Art zu denken und zu handeln einzig nach dieser Richt-
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schnur; und seine höchste Freyheit besteht darinn, daß er will was er m u ß , thut was er s o l l . Die unveränderliche Natur der Dinge, dieses einzige aber indispensable Gesez des Weisen, schreibt ihm in jedem Augenblik und Verhältnis des Lebens vor was r e c h t ist, und was er also zu w o l l e n und zu t h u n hat; und bloß um zu w i s s e n was recht ist, damit er immer r e c h t h a n d l e , bemüht er sich die Dinge so zu erkennen, nicht wie sie dem verfälschten Auge des Vorurtheils und der Leidenschaften s c h e i n e n , sondern wie sie in den Augen der r e i n e n Ve r n u n f t , d. i. wie sie w ü r k l i c h sind. Der Weise sieht sich daher immer als einen Theil des Ganzen an, der bloß um Desselben willen da ist, und dessen Wohlstand und Vollkommenheit mit dem seinigen so noth-
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wendig verbunden ist, daß er nur in s o fern seiner Natur gemäß lebt und vollkommen ist, in so fern er zur Vollkommenheit des Ganzen mit würkt. S o
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lehrten die Stoiker, und s o ist klar, warum Horaz das se rebus submittere, S i c h s e l b s t d e n D i n g e n u n t e r w e r f e n , zum unterscheidenden Zeichen eines Stoikers macht. Denn daß in den beyden ersten Versen von ihnen die Rede sey, wiewohl er sie nicht ausdrüklich nennt, ist keinem Zweifel unterworfen. Von dem eigentlichen System des A r i s t i p p u s wissen wir nur sehr wenig zuverläßiges; denn seine Schriften sind verlohren gegangen, und von den sogenannten C y r e n ä e r n , seinen angeblichen Nachfolgern, läßt sich kein sichrer Schluß auf ihn selbst machen. In Dem was Diogenes Laertius von ihm zusammengestoppelt hat, sind die Anekdoten und Bons-Mots das Beste, wie-
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wohl darunter einige von verdächtigem Schlage vorkommen. Aber, wenn wir auch nichts von ihm wüßten, als was uns Horaz selbst in seinem Briefe an S c ä v a und in einer Stelle seiner Satyren sagt: so würde dies, mit etlichen Zügen, die sich im C i c e r o , P l u t a r c h , und A t h e n ä u s finden, schon hinlänglich seyn, uns von der Denkart dieses Philosophen, der so wenig dazu gemacht war gute Nachahmer zu haben, einen ziemlich reinen Begrif zu geben. Der Grund seiner ganzen Philosophie scheint folgendes Raisonnement gewesen zu seyn. Der Mensch weiß nichts gewisser als daß e r i s t ; d e n n d i e s f ü h l t e r ; und eben dies Gefühl sagt ihm alle Augenblicke, w a s er ist, nämlich ein Wesen, dessen Existenz eine Kette von angenehmen oder unangeneh-
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men Empfindungen ist, die ihm entweder von aussenher kommen, oder die es sich selbst macht. Aus jenen erkennt er zwar, daß eine unendliche Menge von Dingen a u s s e r i h m sind; aber was diese Dinge für sich selbst sind, weiß er nicht; und da es ihn im Grunde nichts angeht, so soll er sich auch nichts darum kümmern. Aber was er gewiß weiß, w e i l e r s f ü h l t , ist: daß ihm diese Dinge theils geradezu Lust oder Unlust machen, theils Gelegenheit geben, daß er sich selbst ihrentwegen plagt. Das leztere zu vermeiden, hängt sehr von seinem Willen oder doch von seiner Weisheit ab; denn seine E i n b i l d u n g e n und L e i d e n s c h a f t e n sind i n i h m s e l b s t , und er kann also, wenn er will und es recht angreift, sehr wohl Meister über sie werden. Was die Dinge a u s s e r i h m betrift, so mag er (wenn er kann) diejenigen v e r m e i d e n , die ihm Unlust machen, und diejenigen s u c h e n , die ihm wohlthun. Kann er jene nicht vermeiden, ohne sich g r ö ß r e r Unlust auszusetzen: so duldet er, wenn er weise ist, das kleinere Übel um des größern Guten willen; und eben so unterläßt er lieber ein Vergnügen zu suchen, wenn er weiß oder sehr wahr-
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scheinlich vermuthen kann, daß es mit mehr Unlust verbunden sey als das Gute daran werth ist. Unvermeidliche Übel erleichtert er sich durch Geduld; alles Angenehme aber genießt er wenn es gleich mit einiger geringen Unlust verbunden ist; aber genießt es als etwas entbehrliches, wie einer eine Rose pflükt die an seinem Wege blüht; und da die meisten Dinge uns nicht durch das was sie s i n d , sondern durch das w a s w i r i h n e n g e b e n , oder durch unsre Vorstellungsart, glüklich oder unglüklich machen: so gewöhnt sich ein weiser Mann die Dinge ausser ihm von der angenehmsten oder doch leidlichsten Seite anzusehen. Durch diese Art zu denken erhält er sich f r e y und 10
u n a b h ä n g i g , während daß die ganze Welt s e i n ist. Er verschaft sich jedes Gute um den wohlfeilsten Preis, denn er giebt nichts Bessers darum hin; wird es ihm entzogen, so betrachtet er’s als etwas d a s n i e s e i n w a r . Kurz, er kann Alles genießen, Alles entbehren, sich in Alles schicken; und die Dinge ausser ihm werden nie Herr über ihn, sondern er ist und bleibt Herr über sie. — — Das ist’s, denke ich, worinn Horaz dem Aristipp ähnlich zu werden suchte, worinn er ihm würklich sehr ähnlich war, und was er durch sein et m i h i r e s , non me rebus, sagen wollte. Ich untersuche hier nicht, ob diese ziemlich u n p o e t i s c h e Art zu philosophieren die Beste sey: ich sage nur, d i e s w a r A r i s t i p p s P h i l o s o p h i e ;
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und Alles was wir von seinem Leben wissen ist der Beweis davon. A r i s t i p p und A n t i s t h e n e s giengen von Einem Grundsaz aus. Das Größte, was mir meine Tochter A r e t e zu danken hat, sagte Aristipp, ist: daß ich sie gelehrt habe, a u f n i c h t s e n t b e h r l i c h e s e i n e n We r t h z u l e g e n . Aristipp wußte es z. B. immer so zu machen, daß es ihm nie an Geld fehlte, ohne daß das Geld jemals mehr in seinen Augen galt, als das was er darum haben konnte. Er bezahlte einsmals ein Rebhuhn um funfzig Drachmen, oder ungefehr drey Ducaten unsers Gelds. Einer von seinen Freunden hielt ihm eine große Strafpredigt über eine so verschwenderische Naschhaftigkeit. Du hättest das Rebhuhn also doch auch gekauft wenn es nur einen Dreyer geko-
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stet hätte? fragte der Philosoph. Nun freylich, dann wohl, erwiederte der Freund. Gut, versezte jener, wenn mir nun funfzig Drachmen nicht mehr sind als dir ein Dreyer, wie dann? Ein andermal, da er auf einer Reise war, beklagte sich der Sclave, der sein Gepäk und seine Casse trug, daß ihm die Last zu schwehr werde. So wirf davon weg, was dir zu viel ist, sagte Aristipp.
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Welcher von unsern Lesern hat nicht die schöne L a i s nennen gehört Vor deren Thür das ganze Gräcien lag *)
Aristipp ließ sichs nicht wenig kosten, an den Gunstbezeugungen dieser Tochter der Schönheitsgöttin, die in ihrer Art so einzig war als er in der seinigen, Antheil zu haben. Jemand, der vermuthlich lieber selbst an seinem Plaz gewesen wäre, schwazte ihm viel davon vor, daß er sich übel betröge, wenn er glaube L a i s l i e b e i h n . Was geht mich das an, sagte Aristipp: Die Fische die ich esse lieben mich auch nicht und ich esse sie doch. Ein andrer guter Freund wollte ihm einen Vorwurf daraus machen, daß ein so Weiser Mann sich in den Netzen einer Lais habe fangen lassen. Da irrst du dich, antwortete der Philo-
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soph; ich habe S i e , aber Sie hat M i c h n i c h t . (Er konnte das in s e i n e r Sprache mit drey Worten sagen, exv oyk exomai, und so klangs freylich noch besser.) — Ohne Zweifel hatte Horaz diese und ähnliche Züge im Auge, da er die Philosophie des Aristipps in die zwey Worte mihi res zusammenfaßte. — Aber genug von Aristipp, da uns doch die Epistel an den Scäva wieder auf ihn bringen wird. (7) Lange zuvor, eh die Hippokratische Schule die Heilkunst auf einen vernünftigen Grund baute, und auch ungeachtet dessen (denn wer k a n n die Menschen von ihrer natürlichsten Krankheit, der T h o r h e i t heilen, und wer w o l l t e es, wenn er auch könnte?) gieng bey den Griechen, wie bey den Mor-
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genländern, und bey allen andern Völkern der Welt bis auf diesen Tag, eine aberglaubische Heilkunst im Schwange, die, unter andern, auch durch Z a u b e r w o r t e und B e s c h w ö r u n g e n , die Krankheiten vertrieb, die man für Würkungen böser Geister oder erzürnter Gottheiten hielt, welche entweder v e r j a g t oder b e s ä n f t i g t werden mußten. Dergleichen Zauberworte waren z. B. die sogenannten M i l e s i s c h e n , Milhsia grammata, B e d y , Z o p h , C h t o n , P l e k t o n , S p h i n x , K n a x z b i , C h t h e p t y s , P h l e g m o s und D r o p s ; ingleichen die E p h e s i s c h e n G r a m m a t a , A s k i , K e t a s k i , A i x , Te t r a x , D a m n a m e n e u s , und A i s i o n , welchen der Aberglaube bey den Griechen große Gewalt über die bösen Geister zuschrieb. Horaz bedient sich hier, in seiner gewöhnlichen anspielenden Manier, lau*)
Propert. Eleg. II. 6.
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ter solcher Redensarten, die von dieser M a g i s c h e n H e i l k u n s t entlehnt sind; und giebt durch die Anwendung derselben auf die Philosophie, als die H e i l k u n s t d e r S e e l e , seiner ernsthaften Moral die durchsichtige Farbe von feinem Scherz, die niemand mit einer leichtern Hand aufzutragen weiß als er. Übrigens scheint er besonders die Stelle aus des Euripides P h ä d r a im Auge gehabt zu haben, wo die mitleidige Amme ihrer liebeskranken Königin sagt: Eisin d’ epvdai kai logoi uelkthrioi, etc. e s g i e b t Z a u b e r l i e d e r (Beschwörungen) u n d s c h m e r z b e s ä n f t i g e n d e Wo r t e — wovon das Horazische S u n t v e r b a e t v o c e s etc. beynahe eine wörtliche Übersetzung ist. 10
(8) In den Wettkämpfen zu Olympia den Sieg davon getragen zu haben, war bekannter maßen unter den Griechen beynahe das höchste Ziel, wornach der Ehrgeiz eines Privatmannes streben konnte, und was ihm selbst von Fürsten streitig gemacht wurde. Da der Kampfplaz der Fechter, eben so wie die Rennbahnen, mit einem sehr feinen Sand bedeckt waren, so gieng es gewöhnlich nicht ohne vielen Staub ab. Aber man hatte doch auch Beyspiele, daß der Preis
akonitiÁ, o h n e S t a u b , erhalten worden; nehmlich, wenn sich niemand fand, der einem zum Kampfe sich darstellenden Athleten entgegen zu stehen sich getraute. Pausanias erzählt daß dies einem gewissen Drombeus von Mantinea zuerst geschehen sey; aber schon lange vor ihm hatte Herkules den Preis in 20
allen Gattungen von Wettkämpfen erhalten, weil niemand sich mit einem Kämpfer von dieser Stärke hatte einlassen wollen. — Die Anwendung des Gleichnisses, die vielleicht nicht jedem Leser sogleich in die Augen fällt, ist diese: Wer sich um den Preis des Reichthums, und der Vortheile die damit verbunden sind, bewirbt, wie viel Unruhe, Arbeit und Gefahr muß er nicht untergehen, und was für v e r ä c h t l i c h e L e u t e hat er nicht zu N e b e n b u h l e r n ? Wer wollte sich nicht lieber um den unendlich edlern Preis der Weisheit und Tugend bewerben, zumal da er so l e i c h t zu erhalten ist, indem es dabey am Ende doch blos auf unser eignes ernstliches Wollen ankommt? — Noch ein Wort von den Palmen der Sieger. Die K r o n e womit sie gekrönt wurden, war
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bey den O l y m p i s c h e n Spielen ein Kranz von wildem Ölbaum, bey den I s t h m i s c h e n von Fichten, bey den N e m e i s c h e n von Epheu, bey den P y t h i s c h e n von Lorbeer: Aber mit dem Kranz empfieng der Sieger zugleich einen Palmenzweig in seine Hand. Diese Gewohnheit war allen Arten von Kampfspielen gemein, und scheint aus den Morgenländern und dem höchsten Alterthum zu den Griechen gekommen zu seyn.
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(9) D. i. Man hört auf der Börse zu Rom von einem Ende zum andern nichts als das. J a n u s , (eine alte lateinische Gottheit, welcher schon Romulus einen Tempel auf dem Berge J a n i c u l u s gesezt hatte) war der Schuzpatron alles Ein- und Ausgangs, und besonders wurden die großen gewölbten Durchgänge an öffentlichen oder Privatgebäuden, wodurch man in andre Straßen kommen konnte, Jani genennt. Es befanden sich an dem mit bedekten Hallen und Buden eingeschloßnen Römischen Markte drey solche J a n i , welche durch die Nahmen, der o b e r e , m i t t l e r e und u n t e r e J a n u s unterschieden wurden. Diese drey Jani machten die Börse von Rom aus; besonders hatten die Wechselherren ad Janum medium ihre Tische und Schreibstuben, wie unter
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andern aus einer Stelle in Cicero’s Offic. L. II. 25. zu ersehen ist — de quaerenda, de collocanda pecunia, etiam de utenda, commodius a quibusdam o p t i m i s V i r i s a d m e d i u m J a n u m s e d e n t i b u s quam ab ullis Philosophis ulla in schola disputatur. (10) Romulus theilte alle seine Römer in drey Stände; den ersten machten die Senatoren aus, den andern die Ritter; wer keines von beyden war gehörte zum gemeinem Volke (Plebs) oder, zum Tiers-Etat. In der Folge kam noch eine andre auf, vermöge welcher alle Römer, die nicht P a t r i z i e r waren, d. i. nicht von den ersten hundert Rathsherren oder Patribus conscriptis, welche Romulus gesezt, oder von denen, welche unter den folgenden Königen hinzuge-
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kommen waren, abstammten, P l e b e j e r genannt wurden. Hier wird das Wort Plebs in der ersten und gemeinsten Bedeutung genommen, welche zu Horazens Zeiten, wo niemand mehr Plebs seyn wollte, wie bey uns das Wort Pöbel, etwas verächtliches mit sich führte. (11) Hier habe ich eine kleine Freyheit zu entschuldigen, die einzige in ihrer Art die ich mir mit meinem Text zu nehmen gewagt habe. Es folgt nehmlich unmittelbar auf die Worte: Rex eris si recte facies! folgende Sentenz: — — hic murus aheneus esto Nil conscire sibi, nulla pallescere culpa! — Dis sey die wahre Mauer von Erzt — nichts Böses sich bewußt seyn und von keiner Schuld erblassen!
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Das Sentiment ist schön, scheint mir aber hier keine gute Würkung zu thun, und, außerdem daß der Pompose Ton mit dem Ton des vorgehenden und nachfolgenden merklich dissoniert, auch den lebhaften Dialog des Dichters mit sich selbst auf eine unangenehme Art zu unterbrechen. Ich weiß nicht, ob die Sache dadurch besser wird, wenn die eherne Mauer (wie L a m b i n u s meynt) eine Anspielung auf ein paar Verse eines vom P l a t o (im 6ten Buche von d e n G e s e t z e n ) angeführten alten Dichters ist, welcher sagt: „es sey besser wenn eine Stadt mit e h e r n e n u n d e i s e r n e n M a u e r n (nehmlich von gewafneten tapfern Bürgern) als mit i r d e n e n beschüzt sey.“ Es ist möglich daß ir10
gend so etwas unserm Autor ganz frisch im Gedächtniß war. Dem sey wie ihm wolle, diese zween halben Verse würden dem prächtigsten Heldengedicht Ehre machen: aber eben darum, däucht mich, machen sie neben der puerorum naenia einen widrigen Effect. (12) P u p i u s war der Name einer bekannten Consularischen Familie. Von dem Tragödienschreiber Pupius (wie er auch zu seinem vornehmen Namen gekommen seyn mag) würden wir hingegen nichts wissen, wenn H o r a z seiner hier nicht, und zwar (wie es scheint) nur spottweise, erwähnt, und dadurch dem Scholiasten A k r o n Gelegenheit gegeben hätte, uns seine Grabschrift mitzutheilen, die uns wenigstens die Mühe erspart, den Verlust seiner t h r ä -
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n e n r e i c h e n Trauerspiele zu beweinen. Sie lautet also: Flebunt amici & bene noti mortem meam, Nam populus in me vivo lacrumavit satis. Meine Freunde und Bekannte mögen meinen Tod beweinen, denn dem Römschen Volke hab ich l e b e n d Thränen gnug gekostet.
Man sieht hieraus, warum Horaz seine Stücke lacrymosa nennt. Der gute Mann gehörte unter die Dichter, welche die Vortreflichkeit eines Trauerspiels darinn setzen wenn es weinen und schluchzen macht; und aus dem Schiksal der seinigen (von denen schon zu Q u i n t i l i a n s Zeiten nicht mehr die Rede war) können sich diejenige das ihrige weissagen, die sich auf die Thränenbä30
che soviel zu gute thun, die man, wie die Rede geht, bey ihren Stücken in gewissen Teutschen Hauptstädten vergossen haben soll. (13) Die inclavierten Verse stehen nicht im Original, sondern sind eine bloße Auslegung dessen was Horaz mit den zwey Worten conducere publica sagt;
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sie waren aber nöthig, um diese zwey Worte den Lesern verständlich zu machen, und sind aus folgender Stelle in J u v e n a l s dritter Satyre entlehnt, wo er seinen aus Rom nach Cumä ziehenden Freund, N i g r i t i u s , redend einführt, wie er die Ursachen angiebt, warum ers nicht länger in Rom aushalten könne. D i e mögen bleiben, sagt er, die schwarz zu weiß machen können, und denen es leicht ist — Aedem conducere, flumina, portus siccandam eluviem, portandum ad busta cadaver, u. s. w.
Schon zu Horazens Zeiten (und das war noch eine goldne Zeit, in Absicht der Sitten, gegen die Zeiten Juvenals) wimmelte es, wie natürlich, in der Haupt-
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stadt der Welt von Leuten die i h r G l ü c k m a c h e n wollten; und eine der volkreichsten Straßen, die zum Tempel dieser Göttin führten, war das Pachten der Zölle und anderer Staatseinkünfte, und aller Arten von Entreprisen, wo ein nahmhafter Schnitt zu machen war. Zu diesen leztern gehörten auch die Leichenbegängniße, wo die Vornehmen und Reichen in Rom große Summen aufgehen zu lassen pflegten, und welche gewöhnlich von einer Art von Entreprenneurs, die man Designatores nannte, um eine gewisse accordierte Summe besorgt wurden. Alle diese Ehrenmänner nahmen es nun freylich mit der Redlichkeit nicht immer so genau wie der ehrliche Mann der Stoiker, mit dem man auch im dunkeln Gerad oder Ungerade spielen kann; Ihnen roch
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aller Gewinn gut, so mephitisch auch seine Quelle seyn mochte. Dafür wurden sie aber auch reich, machten alsdann ein Haus, gaben zu essen, hatten prächtige Villen, lebten mit den Großen, wurden vom Pöbel angestaunt, und sahen auf so einen ehrlichen Schlucker wie N i g r i t i u s und seines gleichen als auf arme Teufel herab, die nicht Verstand genug gehabt hatten i h r e n We g z u m a c h e n . — Dies sind Grundzüge, worinn sich die Menschen in den Hauptstädten großer Reiche immer ähnlich gesehen haben, und aller Philosophie und Aufklärung zu troz, immer ähnlich bleiben werden. (14) Alles was reich und groß in Rom war, wollte in dem schönen C a m p a n i e n , besonders in der Gegend von Neapel, Bajä, Puteoli, einer der anmuthigsten Seeküsten in der Welt, Landhäuser haben. Über alle diese ragte die berühmte V i l l a d e s L u c u l l u s hervor, die eher das Ansehen einer prächtigen Stadt als eines Landguts hatte. Hier ließ dieser R ö m i s c h e X e r -
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x e s * ) Berge durchhölen, um das Meer in einen See, den er darinn hatte graben lassen, zu leiten, und, dagegen ganze Buchten im Meer mit Dämmen ausfüllen, um sie mit marmornen Gebäuden zu überdecken. Dieser übermüthige Luxus im Bauen, dessen Horaz in verschiednen Stellen seiner Lyrischen Gedichte gedenkt, wurde unter der Regierung Augusts immer weiter, und vielleicht von niemand höher getrieben, als von Mäcenas selbst. (15) Mäcenas, bey allen den Eigenschaften, die ihn geschikt machten, seinem Freunde Octavius Cäsar die wichtigsten Dienste zu leisten, war in allem was seine Person und Lebensart betraf so elegant, und nahm es mit allen 10
Kleinigkeiten dieser Art so genau, als der müßigste Stutzer von Rom nur immer thun konnte. Diese übertriebne Affectation von Zierlichkeit und Raffinement zog ihm häufige Spöttereyen von August zu, der in solchen Dingen eher dem entgegengesetzten Extrem zu nahe kam; und wir sehen hier, daß auch Horaz kein Bedenken trägt, sich über die minutiöse Aufmerksamkeit seines hohen Gönners auf die Aussenseite seiner Freunde ein wenig lustig zu machen. (16) Horaz, als ob er sich auf einmal besonnen hätte a n w e n er schreibe, schließt entweder aus Gefälligkeit gegen den Mäcenas, dem vermuthlich Spöttereyen über eine Art von Menschen deren Gegenfüßler er war, immer gele-
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gen kamen, oder auch weil er selbst nicht gern eine Gelegenheit die Stoiker zu necken vorbeyließ, mit einer ironischen Behauptung der bekannten P a r a d o x e n , auf welchen als einer sehr bequemen Art von Gemeinplätzen sich die Stoiker von Profeßion, mehr zur Belustigung als Erbauung ihrer Zuhörer, herumzutummeln pflegten; als da ist, daß der Weise allein schön, edel, gesund, reich, frey, König, u. s. w. sey — widersinnisch klingende Sätze, welche freylich gar leicht einer vernünftigen Ausdeutung fähig waren, aber es den Spöttern eben so leicht machten, mit der ganzen ehrwürdigen Stoa Narrentheidung zu treiben. Die Wendung, die er durch das brüske ad summam ( m i t e i n e m Wo r t ,
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oder k u r z u n d g u t ) nimmt, scheint freylich das Lächerliche auf die ganze Moral, die er bisher mit so vielem Eifer gepredigt, zu werfen; und also alles
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Lucullus — profusae hujus in aedificiis convictibusque et apparatibus Luxuriae primus
auctor fuit; quem ob injectas moles mari et receptum suffossis montibus in terras mare, Magnus Pompejus X e r x e n t o g a t u m vocare consuevit. Ve l l e j . II. 33.
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gute, was er beym Mäcen hätte damit ausrichten können, auf einmal wieder wegzulachen. Aber Horaz kannte die Menschen und den Mann mit dem er’s zu thun hatte zu gut, um ihm eine neue Vorstellungsart, die ihm in seiner Lage nicht natürlich seyn konnte, geben zu wollen. Seine Absicht war nicht den Mäcenas zu bekehren, sondern ihm zu sagen, wie e r für sich selbst denke; und ihm mit guter Art zu verstehen zu geben: daß von einem Menschen von seiner Denkart nicht zu vermuthen sey, daß er bloß zur Belustigung der Großen in Rom dazuseyn glauben werde. Daß es unserm Dichter, bey aller seiner Scherzhaftigkeit, mit seiner Philosophie sehr Ernst gewesen, ist wohl keinem Zweifel unterworfen; diese ganze Folge von Briefen enthält davon den vollständigsten Beweis. Aber eben darum geziemte es seiner Urbanität, mit einem Manne wie Mäcenas nicht den Pedanten zu machen; zumal da er vermuthlich so gut als Sokrates und Shaftesbury überzeugt war, daß die Art von Licht, worinn alles Falsche, Übertriebne, und Unschikliche lächerlich wird, die natürliche Schönheit der Wahrheit nur desto mehr erhebt, oder, genauer zu reden, nur in den S c h a t t e n r i s s e n von ihrem S c h a t t e n b i l d e , womit wir uns statt ihrer selbst behelfen müssen, das Unrichtige, Verschobne, Verschnittne und Übermäßige auffallend macht.
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Zweyter Brief. An Maximus Lollius. Einleitung. Unter den vornehmen Römern, an welche Horaz seine Werke richtete, befinden sich zween L o l l i u s . Der eine, an welchen die Neunte Ode des Vierten Buchs überschrieben ist, war M a r c u s L o l l i u s P a l i c a n u s , der als Proprätor von Galatien sich das Vertrauen des Augusts zu erwerben wußte, und im Jahr der Stadt Rom 733 (nach P e t a u s Zeitrechnung) mit Q. Lepidus das Consulat verwaltete. Etliche Jahre hernach hatte er das Unglück, als Proconsul von Gallien, in einem Treffen mit einigen Germanischen Horden die in 10
seine Provinz eingefallen waren, den Adler der fünften Legion zu verlieren. Er mußte sich aber in der Folge, entweder durch die gute Art wie er diesen Schimpf wieder auslöschte, oder auf andre Weise bey August wieder in Achtung und Vertrauen zu setzen gewußt haben, weil er im Jahre 752 dem jungen C a j u s C ä s a r , Augusts adoptiertem Sohn und präsumtivem Nachfolger, der von seinem Vater zu Beylegung der im Orient entstandnen Unruhen abgeschikt worden, als eine Art von Gouverneur ( v e l u t i Moderator Juventae, sagt P a t e r c u l u s ) zugegeben wurde. Er zog sich aber in diesem wichtigen Posten durch Intriguen, welche die Befriedigung eines unersättlichen Geizes zur Absicht hatten, eine I n f a m i e zu, von welcher unser Dichter wohl nichts
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geahnt zu haben scheint, als er zu ihm sagte: — — — est animus tibi Vindex avarae fraudis et abstinens Ducentis ad se cuncta pecuniae.
Der junge Cäsar dem die Ränke und schlechten Handlungen seines seynsollenden Mentors endlich zu Ohren kamen, wurde darüber so aufgebracht, daß er ihm alle Freundschaft aufkündigte; und bald darauf gieng Lollius auf eine so hastige Art aus der Welt, daß es ungewiß blieb, ob er auf Befehl des Prinzen Gift bekommen, oder aus Gram sich selbst vergiftet habe.
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Von seiner Enkelin L o l l i a P a u l l i n a , welche eine kurze Zeitlang die gefährliche Ehre hatte eine der Gemahlinnen des tollen C a l i g u l a * ) zu seyn, erzählt P l i n i u s : er habe sie, an einem bloßen Verlöbnis-Mahl, und zwar in keinem der vornehmern Häuser, von Kopf zu Fuß mit Perlen und Juwelen überdekt gesehen, welche auf 40 Millionen Sesterzien, oder über 1600 000 Thaler unsers Geldes geschäzt worden; und sie habe diesen ungeheuren Schaz von Juwelen nicht etwa von dem Kayser, ihrem Gemahl, geschenkt bekommen, sondern es seyen avitae opes, provinciarum spoliis partae, d i e B e u t e g a n z e r v o n i h r e m G r o s v a t e r a u s g e r a u b t e r P r o v i n z e n gewesen. „Wohl verlohnte sichs (sezt er hinzu) daß Maximus Lollius, mit der Schande
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von allen Königen des Orients unermeßliche Geschenke erpreßt oder erschlichen zu haben, aus Gram über den Verlust der Freundschaft des Cajus Cäsars, sich selbst vergiftete, damit seine Enkelin einst bey Kerzenlicht über und über von Edelsteinen funkeln könne!“ Daß nun der Lollius, an welchen diese und vermuthlich auch die 18te Epistel gerichtet ist, nicht der Consular M. Lollius gewesen sey, wie To r r e n t i u s , B a x t e r , und andre ohne einigen Grund vorgeben, ist aus dem ganzen Inhalt und Ton dieser Briefe zu ersehen. Offenbar sind sie an einen jungen Menschen geschrieben, der sich damals noch zu Rom im declamiren übte: da hingegen M. Lollius um diese Zeit schon Proconsul in Gallien und also wohl kein Mann
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war, dem Horaz sagen konnte: — — N u n c adbibe puro pectore verba p u e r , nunc te melioribus offer.
To r r e n t i u s meynt zwar, der Dichter hätte alle diese Lebensregeln und Maximen, die er dem vermeynten M. Lollius einschärfe, bloß an den z u k ü n f *)
Lollia war erst an einen der vornehmsten Römer, den C. Memmius, vermählt. Nun hörte
Kaligula einst von ungefehr sagen, die Großmutter dieser Lollia sey außerordentlich schön gewesen. Augenblicklich wandelt den Tollkopf die Begierlichkeit an, die Enkelin einer so schönen Person zur Frau zu haben. Er läßt sie eilends aus der Provinz, wo ihr Gemahl damals Befehlshaber war, abholen, zwingt diesen daß er ihm seine Frau abtreten und in dem Heurathsbriefe sich für ihrem Vater angeben muß, heurathet sie, und verstößt sie bald darauf wieder, mit einem Verbot, welches dem gelehrten B e r o a l d u s das grausamste däucht, das einer Römischen Dame dieser Zeit nur immer auferlegt werden konnte.
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t i g e n Mentor des jungen C . C ä s a r , gleichsam zur Instruction des leztern, gerichtet: er hat aber nicht bedacht, daß unser Dichter in diesem Fall einen Wahrsagergeist zu Diensten gehabt haben müßte. Denn die Briefe des ersten Buchs sind wenigstens nicht später als in seinem 46 und 47sten Jahre geschrieben worden, da C. Cäsar, (der älteste Sohn des Agrippa und der Julia, Augusts Tochter) ein Kind von zwey bis drey Jahren war; und Horaz war schon über fünf Jahre tod, als M. Lollius dem besagten Prinzen bey seiner Verschikkung nach Armenien als Rector Juventutis zugegeben wurde. Der junge Lollius, an welchen die beyden Briefe geschrieben sind, scheint 10
also ein Sohn oder Neffe des Consularen dieses Namens, und vielleicht der Vater der vorerwähnten Lollia *) gewesen zu seyn. Das Beywort m a x i m e Lolli womit ihn Horaz anredet, war vermuthlich ein Beynahme, der ihm zur Unterscheidung von jüngern Brüdern gegeben worden war. Ausser dem, was sich aus unserm Dichter abnehmen läßt, ist nichts von ihm bekannt, es wäre denn daß man seiner auch noch in Pedo’s Gedicht auf Mäcens Tod erwähnt findet. Denn allem Ansehen nach ist der L o l l i u s , der ihn zu diesem Gedichte veranlaßt haben soll, kein andrer als der unsrige. Wir sehen aus dem 2ten Briefe an ihn, daß er sich sowohl in den Gymnastischen Übungen als in den Musenkünsten hervorgethan, daß er gerne Verse gemacht (doch, wer machte damals
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nicht Verse?) daß er noch sehr jung (puer) seinen ersten Feldzug, unter dem August selbst, gegen die C a n t a b r e r * * ) (im Jahre der Stadt Rom 729) gethan, und also, da Horaz an ihn schrieb, etwa 22 Jahre alt gewesen, u. s. w. Der Ton, worinn die Briefe an diesen jungen Römer geschrieben sind, beweiset, daß Horaz in dem Hause des M. Lollius, den das Vertrauen des Augusts zu einem wichtigen Manne in Rom machte, auf einen freundschaftlichen Fuß gestanden, und daß er an dem jungen Manne, wegen seiner viel versprechenden Eigenschaften, besondern Antheil genommen. Es ist der Ton eines Vaters, *)
P l i n i u s , der diese Dame von Person gekannt, nennt sie (im IX. B. 35. Cap. seiner N. G.) eine
Enkelin des Consularen M. Lollius: Ta c i t u s hingegen (im XII. B. der Annalen, 1. C.) dessen 30
Tochter. Einer von beyden muß sich wohl geirrt haben. Wenn Tacitus Recht hätte, so müste Lollia, als sie ihrem Gemahl vom Caligula weggenommen wurde, (nehmlich A. V. 791. s. C u s p i n i a n . in C a s s i o d . Fast. Consular. p. 314.) wenn sie auch erst im Jahre, wo ihr angeblicher Vater gestorben (nehmlich 754) gebohren worden, schon 37, und als sie nach M e s s a l i n e n s Ermordung (A. V. 801.) neben Agrippinen beym Cäsar Claudius in Vorschlag kam, schon 47 Jahre alt gewesen seyn; welches, wenigstens, nicht wahrscheinlich ist. **)
So hiessen damals die Bewohner des heutigen B i s c a y a .
¼1. Buch. 2. Brief½ E i n l e i t u n g
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der einen geliebten und Hofnungsvollen Sohn, den er allen Gefahren der Jugend, der Verführung, und des allgemeinen Beyspiels einer verdorbnen Zeit ausgesezt sieht, durch guten Rath und heilsame Warnungen, soviel an ihm ist, verwahren möchte. Die Gedichte Homers, die er in der Einsamkeit zu Präneste wieder durchlaß, geben ihm hiezu eine Gelegenheit, welche alle seine Moral, ganz ungezwungen und gleichsam ohne Absicht, herbeyführt. Er betrachtet den Vater der Dichter aus einem Gesichtspunkt, woraus wir heut zu Tage, da wir nichts als Poesie in ihm suchen, seine Werke zu wenig zu benutzen pflegen, als einen S i t t e n l e h r e r , der durch seine I l i a s und O d y s s e e , als zwey g r o ß e S y s t e m e v o n B e y s p i e l e n , uns besser lehre was den Einzel-
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nen sowohl als dem gemeinen Wesen schädlich oder nüzlich sey, als die subtilsten Moralisten von Profession. Er führt einige dieser Beyspiele an, macht die Anwendung davon auf seine Römer, und berührt, mit raschen aber scharfen Zügen, die schädlichen Folgen ungebändigter Leidenschaften, und besonders der unmäßigen Begierde nach Reichthum, des herrschenden Lasters seiner Zeit. Seine Sittenlehren scheinen, sonderlich in den zwanzig lezten Versen, nur wie Moralische A p h o r i s m e n ohne Ordnung hingeworfen, sind aber alle durch einen feinen Faden verbunden, und lauffen in Einem Puncte zusammen. Der ihm sonst so gewöhnliche ironische Ton ist aus diesem Briefe, wo er keine gute Würkung thun konnte, gänzlich verbannt. Der Ton, der darinn
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herrscht, nähert sich etlichemal dem Satyrischen, aber ohne Bitterkeit; man glaubt den S o k r a t e s mit seinen j u n g e n F r e u n d e n sprechen zu hören. Immer ist seine Vo r s t e l l u n g s a r t die natürlichste, seine P h i l o s o p h i e das bloße reine Resultat allgemeiner Erfahrung; sein Vo r t r a g sinnreich, ohne die Antithesen zu suchen, noch sie auszuweichen wenn sie ihm gleichsam in die Hände gelaufen kommen, und gedrungen ohne räthselhafte Dunkelheit; seine D i c t i o n ungezwungen zierlich, und von jedem Fehler frey; seine Ve r s i f i c a t i o n , bey einer Leichtigkeit ut sibi quivis speret i d e m , wohlklingend, numeros, und sorgfältiger gearbeitet, als diejenige zu merken fähig sind, welche Leichtigkeit so gerne mit Nachläßigkeit verwechseln. Aber — ach! wieviel geht, unsers ernstlichsten Fleißes ungeachtet, beym Übertragen aus der Römischen Sprache in eine ihr so ungleichartige, von diesem allem verlohren! * * *
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H o r a z e n s B r i e f e (Mitte/Ende April 1782)
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Indessen Du zu Rom dich in der Kunst der Ciceronen übest, (1) edler Lollius, hab’ ich, in meinem stillen Winkel zu Präneste, den Dichter des Trojanschen Krieges wieder gelesen, — Der was Schön ist oder Schlecht, was Nüzlich oder nicht, uns faßlichera) und besser lehrt als Krantor und Chrysipp (2). Warum ich dieser Meynung sey, vernimm wofern du Muße hast. Bethörter Fürsten 10
und blöder Völker tolle Hitze schildert die Fabel uns, (3) worinn wir Griechenland und Barbarey, zwey schöner Augen wegen, in zehenjährigem Krieg zusammenstoßen sehn. Antenor räth, das Übel an der Wurzel zu schneiden und die Frau zurükzugeben. Was wird nun Paris? O! der schwört, es soll ihn Niemand zwingen — glüklich und in Ruhe auf seinem Thron zu sitzen. Nestor eilt Trojani belli scriptorem, Maxime Lolli,
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dum tu declamas Romae, Praeneste relegi, qui quid sit pulchrum, quid turpe, quid utile, quid non, planius ac melius Chrysippo et Crantore dicit. Cur ita crediderim, nisi quid te detinet, audi. Fabula, qua Paridis propter narratur amorem Graecia Barbariae lento collisa duello stultorum regum et populorum continet aestus. Antenor censet belli praecidere causam. Quid Paris? ut salvus regnet vivatque beatus cogi posse negat. Nestor componere lites
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a) Planius, nach B e n t l e y s Lesart, dem wir gerne folgen, wo er recht hat, und nur die Abschreiber, nicht den Horaz selbst verbessern will; wie er in dieser Epistel bey dem Verse Quid Paris? auf eine sehr unglückliche Weise versucht hat.
¼1. Buch. 2. Brief½
1—18/1—11
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die Händel zwischen dem Peliden und dem Sohn des Atreus gütlich beyzulegen. Vergebens! Diesen brennt die Liebe zu des Priesters Tochter, Beyde Zorn und Stolz; und was die Fürsten rasen, immer büßens die Griechen aus. Inn- und außerhalb der Mauern Ilions ist Zwietracht und Betrug Begier und Zorn die Quelle alles Übels. Im Gegentheil, was Tugend und was Weisheit vermögend sey, davon stellt uns Homer ein nüzlich Beyspiel in Ulysses auf, dem Sieger Trojas, der, umhergetrieben vom Schiksal, vieler Völker Staat und Sitten behutsam forschte, und, indem er unverrükt sein großes Ziel verfolgt — sich und den Seinen die Wiederkehr ins liebe Vaterland zu schaffen — Ungemachs und Elends viel erdulden mußte: aber, wie ihn auch die Wogen niederdrükten, immer sich empor arbeitend nie den Sinn verlohr, nie die Geduld. Die Klippen der Syrenen sind dir bekannt und Circens Zauberbecher. inter Pelidem festinat et inter Atridem: hunc amor, ira quidem communiter urit utrumque; quicquid delirant Reges, plectuntur Achivi. Seditione, dolis, scelere atque libidine et ira Iliacos intra muros peccatur et extra. Rursus quid Virtus et quid Sapientia possit utile proposuit nobis exemplar Ulyssem, qui domitor Trojae multorum providus urbes et mores hominum inspexit, latumque per aequor dum sibi, dum sociis reditum parat, aspera multa pertulit, adversis rerum immersabilis undis. Sirenum voces et Circae pocula nosti;
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Hätt’ er, wie seine unverständigen Gefährten, blindlings auch daraus getrunken, was war die Folge? Nun sein Lebenlang verdammt zu seyn in einer Buhlerin ehrlosem Dienst zu kriechen, ohne Herz, ein geiler Hund, ein unflahtliebend Schwein.b) Welch einen Spiegel hält dies Buch uns vor! Was sind wir als ein Hauffen ohne Namen, (4) bloß zum verzehren gut, Penelopeens 10
Sponsierer, Taugnichts, und Hofgesindel Alcinous — ein Völkchen, das sonst nichts zu thun hat als des glatten Fells zu pflegen, hinein zu schlafen in den hellen Tag, und, wie ein ernsterer Gedank sich blicken läßt, ihn flugs beym Klang der Citharn wegzutanzen. (5) Auf Andrer Leben laurend wacht der Räuber die Nächte durch: und du, dich zu erhalten, quae si cum sociis stultus cupidusque bibisset sub domina meretrice fuisset turpis et excors,
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vixisset canis immundus, aut amica luto sus. Nos numerus sumus, fruges consumere nati, sponsi Penelopae, nebulones, Alcinoique in cute curanda plus aequo operata juventus; cui pulchrum fuit in medios dormire dies et ad strepitum citharae cessatum ducere curas. Ut jugulent homines surgunt de nocte latrones; ut te ipsum serves non expergisceris? Atqui
b) Ich setze voraus, daß H o m e r zu allgemein bekannt unter dem lesenden Theil der Nation ist, als daß Anmerkungen zu den Stellen, die sich auf seine Werke beziehen, nöthig seyn sollten.
¼1. Buch. 2. Brief½
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erwachst nicht? Willst nicht lieber, um gesund zu bleiben, dir Bewegung machen, als wassersüchtig, auf Befehl des Arztes, mit doppelter Beschwerde lauffen müssen? (6) Wenn du vor Tag nicht Licht und Buch verlangst (7) um deinen Geist auf edle Gegenstände zu heften, was gewinnest du damit? Daß Liebe oder Neid um deinen Schlaf dich bringen und noch quälen obendrein. Wie eilest du, wenn etwa dir ein Splitter
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ins Auge fiel, ihn flugs heraus zu kriegen: Warum denn, wenn ein Krebs an deiner Seele nagt, die Heilung Jahrelang hinaus zu schieben? Frisch angefangen ist schon halb gethan. Was säumst du? Wag es auf der Stelle We i s e z u s e y n ! Wer recht zu leben eine Stunde nur versäumt, gleicht jenem Bäurleinc), das am Flusse geduldig stehen blieb, zu warten bis das Wasser abgeflossen wäre. Thor, die Zeit die du verlierst, wie dort der Strom,
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läuft fort, und läuft, und ewig wird sie lauffen, si noles sanus, curres hydropicus; et ni posces ante diem librum cum lumine, si non intendes animum studiis et rebus honestis, invidia vel amore vigil torquebere. Nam cur quae laedunt oculum, festinas demere; si quid est animum, differs curandi tempus in annum? Dimidium facti qui coepit habet. Sapere aude, incipe! Qui recte vivendi prorogat horam Rusticus expectat dum defluat amnis; at ille labitur, et labetur in omne volubilis aevum.
c) In der Äsopischen Fabel.
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nur nie zurück! — Allein, zum Unglück, hat man soviel nöthigers zu thun! Fürs Erste wird Geld gesucht, dann eine Frau, die uns dazu die Erben schaffe, und wenn nichts mehr übrig ist, so pflügt man Wälder um. Wer was Genug ist hatd), der wünsche sich nicht Mehr. Haus, Güter, Hauffen Goldes und Silbers, können des Besitzers Blut vom Fieber nicht befreyen, noch von Sorgen 10
sein Herz: Gesund muß der zuförderst seyn, der des gehäuften Guts sich freuen will. Plagt ihn Begierde oder Furcht, so hilft ihm Haus und Hof soviel als Mahlereyen dem Triefaug, Bähungen dem Zipperlein, und Geigen dem der an den Ohren leidet. Ist dein Gefäß nicht rein, so würde Nektar zu Eßig drinn. Verschmäh die Jugendlüste: Mit Schmerz erkauft ist Wollust theures Gift. Quaeritur argentum, puerisque beata creandis
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uxor, et incultae pacantur vomere sylvae. Quod satis est cui contigit, hic nil amplius optet. Non domus et fundus, non aeris acervus et auri aegroto domini deduxit corpore febres, non animo curas. Valeat possessor oportet si comportatis rebus bene cogitat uti. Qui cupit aut metuit, juvat illum sic domus et res ut lippum pictae tabulae, fomenta podagram, auriculas citharae collecta sorde dolentes. Sincerum est nisi vas, quodcunque infundis acescit.
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Sperne voluptates, nocet emta dolore voluptas.
d) Aber was ist g e n u g ? dies muß die Vernunft entscheiden, nicht die Begierlichkeit die nie genug hat.
¼1. Buch. 2. Brief½
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Zieh einen engen Kreis um deine Wünsche. Der Geizige darbet ewig, und der Neid wird magrer wie sein Nachbar fetter wird. Der schlimmste der Sicilischen Tyrannen hat keine größre Pein erfunden als der Neid.e) Wer seinen Zorn nicht bändigt, wird zu spät bereuen was die rasche Rachbegier ihm eingab. Zorn ist kurze Raserey. Regiere deine Leidenschaften, bändige sie mit Ketten und Gebiß; wofern sie dir
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nicht dienstbar sind, so sind sie deine Herren. Jung lernt das Roß die noch gelehrige biegsame Scheitel unter seinen Meister zu schmiegen, und den Weg zu gehn, den ihm der Reuter weißt. Das junge Windspiel jagt die Wälder rastlos durch, sobald’s im Vorhof die ausgestopfte Hirschhaut anzubellen Semper avarus eget; certum voto pete finem. Invidus alterius macrescit rebus opimis: invidia Siculi non invenere tyranni majus tormentum. Qui non moderabitur irae, infectum volet esse dolor quod suaserit et mens, dum poenas odio per vim festinat inulto. Ira furor brevis est; animum rege! qui, nisi paret imperat; hunc fraenis, hunc tu compesce catena! Fingit equum tenera docilem cervice magister, ire viam qua monstret eques. Venaticus, ex quo tempore cervinam pellem latravit in aula,
e) Anspielung an den bekannten O c h s e n d e s P h a l a r i s .
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gelernt hat. Izt, o Jüngling, suche Die durch die du besser werden kannst, izt sauge mit reiner Brust der Weisheit Lehren ein! Ein Topf verliert den Wohlgeruch nicht leicht womit er neu durchbalsamt worden ist. Nun, wie du wilst! Geh fürder, oder bleib zurük; Ich werde meines Weges gehen, und weder auf dich warten wenn du säumst, noch, wenn du mir zuvor eilst, schneller lauffen. 10
militat in sylvis catulus. Nunc adbibe puro pectore verba puer, nunc te melioribus offer! Quo semel est imbuta recens servabit odorem testa diu. Quod si cessas, aut strenuus anteis, Nec tardum opperior, nec praecedentibus insto. * * *
Erläuterungen. (1) Eigentlich, i m D e k l a m i e r e n übest. Denn die Meynung scheint hier nicht sowohl von würklich vor Gerichte gehaltnen Reden zu seyn, als von den Rednerischen Übungen, welche, seit der Zeit, wo Cicero (während die ganze 20
Republik in Jul. Cäsars Händen war) eine Art von Redner-Akademie in seinem Hause errichtet hatte *), eine sehr gewöhnliche Beschäftigung junger Leute von Stand und Erziehung waren. Man hielt diese Declamationen entweder öffentlich, wie Nero, da er schon Imperator war, öfters that **); oder doch vor einer ausdrüklich dazu eingeladnen Zuhörerschaft — auf eben die Art, wie es um diese Zeit Mode wurde seine Werke vorzulesen. Horaz hielt sich, da er an *)
S. In Cicerons Briefen an seine Freunde, den 33sten des VII. Buchs, und besonders den 18ten
im IX. wo er gar artig über seine neue Schulmeisterschaft scherzt. Er nennt deswegen den H i r t i u s und D o l a b e l l a seine S c h ü l e r , wiewohl sie damals als Günstlinge Cäsars vielbedeutende Männer waren. 30
**)
S u e t o n , in Ner. X. 9.
¼1. Buch. 2. Brief½
97—122/56—71
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Lollius schrieb, zu P r ä n e s t e auf, einer von den kleinen Städten in der Nähe von Rom, wohin sich vornehme und müßige Römer im Sommer gerne zu retiriren pflegten, und die beym F l o r u s (I. 11.) deßwegen aestivae Deliciae heißt. (2) K r a n t o r , ein Schüler des berühmten X e n o k r a t e s , behauptete (nach Cicerons Zeugnis, Tuscul. Quaest. III. 6.) eine vorzügliche Stelle unter den vornehmsten Lehrern der a l t e n A k a d e m i e . C h r y s i p p u s stand in dem Ruf, eine der größten Stützen der Stoa gewesen zu seyn. Plutarch spricht von seinem Buche, Tr o s t g r ü n d e i m L e i d e n genannt, als von einem zwar kleinen aber ganz goldnen Büchlein, welches auswendig gelernt zu werden ver-
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diene. Da Horaz diese beyden Philosophen statt aller andern nennen wollte, so war es natürlich, zween der berühmtesten aus den beyden angesehensten Schulen zu nennen. (3) Das Wort Fabel oder Mährchen (myuow, fabula) hatte bey den Alten eine sehr weite Bedeutung, und bezeichnete ebensowohl eine Iliade oder einen Ödipus als eine Fabel vom Äsop. Die Fabel, d. i. die künstliche Zusammensetzung erdichteter Umstände, zu lebhafter Darstellung einer Handlung welche eben durch diese künstliche Zusammensetzung und lebhafte Darstellung das T ä u s c h e n d e oder Wa h r s c h e i n l i c h e (denn dem Dichter sind dies gleichbedeutende Worte) erhält, macht das Wesen der Epischen und Dramatischen
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Dichterwerke aus — und weder die Größe und Hoheit des Sujets, noch die Historische Wahrheit der Personen und Begebenheiten, noch die Wahrscheinlichkeit derselben, sind nothwendige Erfordernisse dieser Dichtarten; am wenigsten die leztere. Denn das Unglaubliche glaublich zu machen, wie P i n d a r sagt, ist gerade das was des Dichters höchster Triumph ist. Die ganze Odyssee ist ein Gewebe von M ä h r c h e n wenn je eines gewesen ist; aber weil alles so erzählt ist, daß wir immer sehen, hören, fühlen, was der Dichter will, so müssen wir ja wohl unsern eignen Sinnen glauben. (4) Nos Numerus sumus, eigentlich, wir m a c h e n b l o ß d i e Z a h l v o l l ; wir sind, nach Moralischer Schätzung, was die capite censi in Rom nach der Politischen waren, sine nomine vulgus, Leute, deren man immer so und soviel Tausend zusammen nehmen, und ohne Gefahr zu irren voraussetzen kann, daß, im Durchschnitt genommen, einer ungefehr soviel werth ist als der Andre. Das ist nun freylich nicht viel, sagt L a m b i n u s ; aber nullo numero esse, wie es die Alten nannten, gar nicht mit in Rechnung kommen, ist doch noch
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schlimmer. In diesem Falle waren, unter den Griechen, die Bürger der kleinen Republik Megarä *), denen der Gott zu Delphi einsmals, da er über den respectiven Werth der verschiednen Griechischen Völkerschaften befragt wurde, das schlimme Compliment machte: „Ihr, Megarer, seyd weder die dritten noch vierten, noch zwölften, weder an Zahl noch Wiz.“ —
(5) Ad strepitum citharae cessatum ducere curam. Es ist erbärmlich zu lesen, wie einige Viri Doctissimi sich zerarbeitet haben, den natürlichen schönen Sinn dieses Verses in Plattheit zu verkehren. Einige meynten man müsse 10
cessantem lesen: J o s e p h S c a l i g e r , der Großfürst der Philologen seiner Zeit (wie sie ihn hiessen) schlug cessatam vor. Beyde Verbesserungen machen den Ausdruk schülerhaft und abgeschmakt. B e n t l e y , dem in der gewöhnlichen Lesart weder d e r G e d a n k e noch d e r A u s d r u k gefällt, wiewohl nichts schalers seyn kann als die Gründe warum? — meynt man könne den Vers füglich s o verbessern: ad strepitum citharae c e r t a t i m ducere n o c t e m — Doch entscheidet er sich zulezt für c e s s a n t e m ducere s o m n u m , und verschwendet, pro more, viel Belesenheit, seine Verbesserung durch ähnliche Verse aus andern Dichtern und Horazen selbst, zu rechtfertigen. — Wir haben uns, wie fast immer, an die gemeine Lesart gehalten, und stellen die
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Scaligers und Bentleys hier nur zum Beyspiel auf, wie übel einem Dichter oft mit gespielt wird, wenn seine Ausleger an Wortwiz und Verbesserungssucht zuviel haben, was ihnen an Geschmak und gesundem Verstand abgeht. — Unser J . M . G e ß n e r , der an Gelehrsamkeit keinem wich, und an Gefühl für den Geist unsers Dichters viele übertraf, führt aus dem R u t h g e r s die Niederteutsche Redensart, Syn sorge spelen leiden, S e i n e S o r g e s p i e l e n f ü h r e n , an, als eine die mit Horazens Ausdruk sehr gut zusammentrift. (6) L a m b i n u s versteht unter curres hydropicus, d u w i r s t z u m A r z t l a u f f e n m ü s s e n . Gegen seine Gewohnheit muß er hier vergessen haben, daß vieles Gehen, und gehen bis zum L a u f f e n , zu der Lebensordnung ge-
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hörte, welche die Ärzte damals den Wassersüchtigen vorschrieben. Si nondum *)
S. B l a n c h a r d Recherches sur la Ville de Megare, im XXVsten Theil der Memoir. de
Litterature.
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nimis occupavit (morbus) — multum ambulandum, c u r r e n d u m aliquando. C e l s u s de Re Medica L. III. 24. Der Sinn ist also: Wenn du aus Trägheit dir keine Bewegung machen willst, so wirst du, mit der Wassersucht am Halse, g e z w u n g e n (aus Vorschrift des Arztes) sogar l a u f f e n müssen: und was wird dann deine Trägheit dabey gewonnen haben? — Übrigens braucht der verständige Leser nicht erinnert zu werden, daß hier alles Allegorie und Bild ist; oder man müßte dies beym Horaz alle Augenblicke erinnern. (7) Nach alter Römischer Sitte stund jedermann mit Anbruch des Tages auf, um sich an seine Geschäfte zu machen. In den Tag hinein zu schlafen, wie die Hofleute des Alcinous, würde einem Ehrenmann eben so schimpflich gewesen seyn, als betrunken auf der Straße gefunden zu werden, oder das Haus eines Mädchenmäklers zu stürmen. Noch v o r Ta g e aufzuwachen, um seinem Geist durch Lesen und Betrachtung auf den ganzen Tag Schwung und Richtung zu geben, war also nicht zuviel von einem Jüngling gefordert, der, wie Lollius, eine edlere Rolle zu spielen bestimmt, durch Angewöhnung an eine Lebensart, die das Gegentheil von dem üppigen Müßiggang des besagten Hofgesindels war, sich zu derselbigen vorbereiten sollte.
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H o r a z e n s B r i e f e (Mitte/Ende April 1782)
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Dritter Brief. An Julius Florus. Einleitung. Die Großen in Rom pflegten, noch in den Zeiten der freyen Republik, und um so mehr unter den Cäsarn, besonders wenn sie in ihre Gouvernemens zogen oder sonst in Geschäften des Staats Reisen machten, außer ihren Freygelaßnen und Sclaven eine Anzahl freygebohrner Leute um sich zu haben, die sich ihnen besonders gewidmet hatten, und, als eine Art von unterthänigen pflichtgehorsamsten Freunden, auf einen vertraulichen Fuß behandelt, und zum Theil, außer den honorabeln Diensten wozu sie gezogen wurden, gelegenheit10
lich auch wohl etwa mit geheimen Aufträgen und Diensten von einer minder ehrenvollen Art beladen wurden. Diese Herren hießen Comites, Amici, C o h o r s Amicorum, auch Contubernales und Commensales, und bestunden theils aus Personen, die ein gewisses Amt bey dem Patron hatten, als Geheimschreiber, Ärzte, Cassierer u. dergl. theils (vornehmlich in den Zeiten wovon hier die Rede ist) aus solchen, die ein großer Herr mehr zum Staat und zu Vermehrung seiner Tischgesellschaft als zum Bedürfnis mit sich führte, und die seiner Wohlthaten mehr vonnöthen hatten als Er ihrer Dienste. Da diese Leute, durch die häuffige Gelegenheit sich dem Großen Herrn angenehm zu machen oder sein Vertrauen zu erwerben, nicht selten ein ansehnliches Glück
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machten: so ist leicht zu erachten, wie ansehnlich eine Stelle in der Cohorte eines Prinzen seyn mußte, der zur Familie des Augustus gehörte, und also dem großen Ocean aller Gnaden, Ehrenstellen und Reichthümer nahe genug war, um reichliche Ausflüsse davon auf seine F r e u n d e ableiten zu können. J u l i u s F l o r u s , an welchen der gegenwärtige Brief und der 2te im zweyten Buche geschrieben ist, und der den Nahmen J u l i u s vermuthlich als ein Client des Julischen Hauses führte, übrigens aber eine unbekannte Person ist, befand sich damals in der C o h o r t e der Freunde des Tiberius Claudius Nero, Stiefsohn des Augusts durch seine Gemahlin Livia, als derselbe im Jahre 734 nach Armenien abgeschickt wurde, um den Tigranes in die Königliche Würde
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daselbst einzusetzen. Aber, was ihm in den Augen der Nachwelt eine ganz
¼1. Buch. 3. Brief½ E i n l e i t u n g
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andre Ehre macht, ist, daß er, wie es scheint, keine geringe Stelle unter den Freunden des Horaz einnahm, dessen Nahme durch die Zeit eben so glänzend — als der Nahme Tibers mit Schande gebrandmarkt worden ist. Wie wenig beneidenswürdig der Plaz gewesen, welchen dieser Jul. Florus, nebst den übrigen schönen Geistern nach welchen sich Horaz in diesem Briefe erkundigt, an der Tafel des finstern, mißtrauischen, tückischen, und mit kaltem Blute grausamen Tiberius, eingenommen, werden wir uns bey einer andern Gelegenheit vom Sueton sagen lassen. Indessen machte man sich doch damals von diesem Prinzen weit beßre Hofnungen als die Zeit in der Folge rechtfertigte. Er befand sich erst in seinem
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21 oder 22sten Jahre, und, sowohl die Furcht vor August als die Begierde sich die Hochachtung der Römer zu erwerben, nöthigte ihn, die Verstellungskunst zu seinem besondern Studium zu machen, und seine Laster unter die Larve der entgegengesezten Tugenden zu verstecken. Überdies gab er sich auch viel mit der Litteratur beyder Sprachen ab, und affectierte immer einen Hof von Gelehrten um sich zu haben, die seinem Hause das Ansehen einer Akademie gaben, und die Meynung von ihm erwekten, daß er seine Erhohlungsstunden mit den Musen zubringe; wiewohl die wichtigsten Preisfragen, die er mit seinen gelehrten Tafelgenossen zu verhandeln pflegte, nicht bedeutender waren, als z. B. wie Hekuba’s Mutter geheissen? was Achill, da er noch im Gynäceum
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der Laodamia für ein Mädchen passierte, für einen Nahmen gehabt u. dergl. *). Etwas, das, wie mich däucht, angemerkt zu werden verdient, ist dies: daß weder von Julius Florus selbst, noch von dem angeblichen Römischen Pindar und Aeschylus, T i t i u s , bekannt ist, daß sie das ihnen von Horaz beygelegte Lob durch ihre Werke gerechtfertigt hätten. Man findet ihrer sonst nirgendswo erwähnt; und schon das Stillschweigen Q u i n t i l i a n s , der sie in seiner Recension der Römischen Dichter **) gewiß nicht vergessen hätte, wenn sie jemals unter die vorzüglichern der Zeit Augusts gerechnet worden wären, scheint ein entscheidendes Zeugnis gegen ihren poetischen Werth und Ruhm abzulegen. Es ist also zu glauben, daß Horaz entweder aus Freundschaft oder aus Bescheidenheit günstiger von ihnen geurtheilt habe als die Nachwelt; und *) **)
S u e t o n . in Tib. c. 70. Instit. Orat. L. X. 1.
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ich glaube daß er deßwegen eher Lob als Tadel verdiene. Ihm, der in keinem billigen Verdacht stehen konnte, weder daß er sich dadurch Lobredner seiner eignen Talente habe erkauffen wollen, noch daß er solche Prätendenten an den dichterischen Epheu nur darum erhoben habe, um selbst desto mehr unter ihnen hervorzuglänzen — ihm, der seines eignen Vorzugs so gewiß seyn konnte und so wenig stolz darauf war, geziemte es, schwächere Talente aufzumuntern, und auch Versuchen, die vielleicht Vorübungen zu künftigen Meisterstücken seyn konnten, seinen Beyfall zu schenken. In Absicht des Titius Septimius waltete noch ein andrer Grund vor, dessen wir an einem andern Orte 10
zu erwähnen Gelegenheit haben werden. Die Urbanität, die der Character aller Horazischen Werke ist, sieht in diesem Briefe der Gutherzigkeit so ähnlich, daß man sich nicht erwehren kann, sie dafür zu halten. In seinen Urtheilen scheint zwar der Freund vorzuschlagen; aber man hört doch daß sein Lob das Lob eines Meisters ist, der die Kunst liebt und k e n n t , und auf eine eben so feine als bescheidne Art die Fehler andeutet, vor denen sich der Gelobte zu hüten hat. Daß es ihm nicht an Freymüthigkeit fehlte, seinen Freunden auch unangenehme Wahrheiten zu sagen, beweist die Warnung die er an den Celsus ergehen läßt, und die, ungeachtet sie in das drolligste Gleichnis eingewickelt ist, dem Dichterling nicht sehr ange-
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nehm zu verschlucken seyn mochte; die er aber auch verdiente, weil er sich schon so oft vergebens hatte warnen lassen. Übrigens ist sowohl die liebreiche Art, wie er dem Julius Florus zu verstehen giebt, was ihn eigentlich aufhalte größre Fortschritte zur Vollkommenheit zu thun, als die Wärme, womit er das zerrißne Band der Freundschaft zwischen ihm und seinem Freund oder Verwandten Munatius wieder zusammenzuziehen sucht, ein Beweis, daß er an diesen beyden jungen Männern mehr als gemeinen Antheil genommen. * * *
In welchen Gegenden der Welt Tiber Augustus Stiefsohn, (1) seine Adler zeige? 30
Iuli Flore, quibus terrarum militet oris Claudius Augusti privignus, scire laboro;
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Ob Thrazien, und der Hebrus, dessen Fuß des Winters Fesseln nachschleppt, oder der Canal der zwischen Abydos und Sestos hinläuft, oder die fetten Hügel und die lachenden Gefilde des schönen Asiens euch haltena), bald von dir mein lieber Florus, zu erfahren, ist wornach ich ungedultig bin. Was treiben die Musensöhne unter euch? Auch das wünsch ich zu wissen. Welcher wählt die Thaten Augusts sich aus, und seiner Siege Frucht,
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den Frieden, dessen unter ihm die Welt genoß, der späten Zukunft vorzusingen? (2) Wie stehts um T i t i u s , (3) dessen Nahme bald auf unsrer Römer Lippen schweben wird, der, die gemeinen Bächlein und die Teiche wo alles schöpft verachtend, zuversichtlich sich einen Weg zu jenen Felsen brach, aus welchen Pindars hohe Quelle rauscht. Wie lebt er? Denkt er noch an uns? Und was Thraca ne vos, Hebrusque nivali compede vinctus
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an freta vicinas inter currentia turres an pingues Asiae campi collesque morantur? Quid studiosa cohors operum struit? haec quoque curo; quis sibi res gestas Augusti scribere sumit? Bella quis et paces longum diffundit in aevum? Quid T i t i u s , Romana brevi venturus in ora, Pindarici fontis qui non expalluit haustus, fastidire lacus et rivos ausus apertos? Ut valet? ut meminit nostri? fidibus ne latinis
a) aufhalten, zum Verweilen reizen. Man könnte aus diesen ersten Versen schließen, daß Tiber seinen Weg durch Macedonien und Thrazien genommen, und daß dieser Brief im Frühling des Jahrs der St. R. 735 geschrieben worden.
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beschäftigt ihn? Stimmt eine Muse, die ihm hold ist, ihm die Lateinische Lyra zu des mächtigen Thebaners Weisen? Oder wüthet, schäumt und sprudelt er im Tragischen Kothurn? (4) Was macht mein C e l s u s ? (5) den ich oft ermahnt und noch ermahnen muß ein Eigenthum sich anzuschaffen, und die Schriften unberupft zu lassen, die der Palatinsche Gott (6) in seinen ofnen Schaz gelegt: damit, 10
wenn einst die Schaar der Vögel ihre Federn zurükzufordern kömmt, nicht unversehns von ihrer Farbenpracht entblößt und kahl die kleine Krähe zum Gelächter werde.b) Du selbst, mein Julius, was hast du vor? Um welche Sommerblumen schwärmest du der Biene gleich? Dir ward ein schöner Boden zu theil: du hast ihn angebaut, und nicht Thebanos aptare modos studet auspice Musa? An tragica desaevit et ampullatur in arte?
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Quid mihi Celsus agit? monitus multumque monendus privatas ut quaerat opes et tangere vitet scripta, Palatinus quaecunque recepit Apollo: ne si forte suas repetitum venerit olim grex avium plumas, moveat cornicula risum furtivis nudata coloribus. Ipse quid audes? Quae circum volitas agilis thyma? Non tibi parvum ingenium, non incultum est, nec turpiter hirtum.
b) Anspielung auf eine bekannte Aesopische Fabel. Das dem Horaz eigene Weglassen der Vergleichungswörter und Unterschieben des Subjects der Vergleichung an die Stelle des Objects giebt 30
seinen Metaphern, Anspielungen und Gleichnissen eine sonderbare Anmuth, und gehört unter die feinsten Eleganzien seines Styls.
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verwildern lassen. Dich wird stets der Epheu des Sieges krönen, sey es daß du dich als Redner übest, oder uns die Knoten des Bürgerrechtes lösest, oder Liebe und leichte Scherze singst. Und könntest du der Sorgen, die den Geist erkälten, dich entschlagen — o! Du giengst soweit als jemals die Weisheit einen Sterblichen geführt. Dies ist die ernste Angelegenheit, auf die wir allesamt, die Kleinen wie die Großen, uns mit Eifer legen sollten, so fern dem Vaterlande wir, so fern wir uns einander theuer werden wollen. (7)
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Vergiß auch nicht zu schreiben, ob M u n a z (8) Dir wieder, was er billig seyn soll, ist? Ist eure Freundschaft völlig ausgeheilt und zugewachsen, oder droht die Wunde bald wieder aufzubrechen?c) Sey es Wärme des Blutes, sey es Unerfahrenheit Seu linguam causis acuis, seu civica iura respondere paras, seu condis amabile carmen, prima feres hederae victricis praemia. Quod si frigida curarum fomenta relinquere posses, quo te coelestis sapientia duceret isses. Hoc opus, hoc studium parvi properemus et ampli, si patriae volumus, si nobis vivere cari. Debes hoc etiam rescribere, si tibi curae quantae conveniat Munatius? An male sarta gratia nequicquam coit et rescinditur? At vos seu calidus sanguis, seu rerum inscitia vexat, c) Das male sarta braucht, däucht mich, eben nicht aus einer Schneiderwerkstatt gehohlt zu seyn, wie Baxter meynt; die ganze Dilogie paßt auf eine Wunde eben so gut.
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was euch erhizt (denn ungebändigt ist noch beyder Nacken) aber, wo ihr lebt, wo wollt ihr beßre Freunde finden als euch selbst? Ihr habt den Bruderbund geschworen, und seyd, ihn nie zu brechen, beyde werth. Kommt bald zurük! Es weidet unterdessen auf meiner Flur, den Freundschaftsgöttern heilig ein jährig Kalb, auf eure Wiederkunft. indomita cervice feros, ubicunque locorum 10
vivitis indigni fraternum rumpere foedus. Pascitur in vestrum reditum votiva juvenca. * * *
Erläuterungen. (1) Tiberius heißt hier bloß der Stiefsohn Augusts, weil er erst nach dem Tode des Cajus und Lucius Cäsars, als der Tochtersöhne des Imperators, im Jahr 757 zum Sohne von ihm angenommen wurde. (2) Horaz, der zuviel Gefühl für seine Ehre hatte, um jemals des Verhältnisses zu vergessen, worinn er in seiner Jugend mit d e n l e t z t e n f r e y e n R ö m e r n , Brutus und Cassius, gestanden, wich immer mit so guter Art als 20
möglich und so lang er konnte, die zweydeutige Ehre aus, die Thaten des Augusts zum Gegenstand seiner Muse zu machen, wie Mäcenas, und August selbst, ohne Zweifel gerne gesehen hätten. Er entschuldigte sich immer damit, daß er für ein so großes Werk nicht Athem genug habe, und es einem Dichter von größern Fähigkeiten überlassen müsse. Die wahre Ursache ist leicht zu erachten: Indessen würde es sich auf keine Weise für ihn geschikt haben, sie zu verstehen zu geben. Im Gegentheil er war ein zu guter Hofmann, um nicht, bey jeder Gelegenheit, wenigstens seinen guten Willen zu zeigen. Daher fängt er auch hier seine Erkundigung nach den Beschäftigungen der g e l e h r t e n C o h o r t e des Tiberius mit der Frage an: welcher von ihnen sich
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die Thaten Augusts zu besingen erwähle? — Dies klingt doch immer als ob er sich dafür interessiere, und nichts so sehr wünsche, als von andern ausge-
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führt zu sehen, was er, aus Mangel an Kräften, nicht selbst unternehmen könne. (3) Eine Glosse in einer alten Handschrift nennt ihn Titius S e p t i m i u s (welches vielleicht Septiminus heissen soll) und versichert daß ein Römischer Ritter dieses Namens um diese Zeit gelebt habe, der Tragödien und Lyrische Gedichte geschrieben, von dem aber nichts vorhanden sey. Die Familie T i t i a war in Rom nicht ohne Glanz. C i c e r o spricht mit großem Ruhm von den Reden eines C a j u s T i t i u s . Aber weder dieser, noch vier oder fünf Titii, die in seinen Briefen genennt werden, noch der M . T i t i u s der aus P l u t a r c h und D i o n * ) bekannt ist, und in den Zeiten des Triumvirats immer auf der
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Seite des Glüks war, sind der, von welchem hier die Rede ist. Daß Dieser aber ein Sohn des besagten Marcus gewesen, wäre vielleicht wahrscheinlich zu machen, wenn jemanden etwas daran gelegen seyn könnte. (4) Daß Horaz bey dem Worte ampullatur (dessen ganzen Nachdruk ich durch zwey Teutsche dennoch nur mangelhaft auszudrucken vermochte) an das Griechische lhkyuizein gedacht haben könne, wie Lambinus und Torrentius glauben, kann sehr wohl seyn: aber daß er sich bey ampullari was anders gedacht, als das Griechische Wort bedeutet, darinn halte ichs sehr mit dem leztern. Horaz war gewiß vermöge seiner ganzen Vorstellungsart weit entfernt die großen Blasen und Ellenlange Wörter, wodurch die Römischen Tra-
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gödienschreiber zu eben so vielen A e s c h y l u s s e n zu werden glaubten, herrlich zu finden: und mich däucht daher, daß unter dem ampullatur eine leise Ironie bedekt liege, und daß er den jungen Titius, vor der Gefahr über die Grenze des wahren Erhabenen auszuschweiffen, welcher er als ein Bewunderer und Nachahmer Pindars um so näher war, auf eine indirecte Art habe warnen wollen. Überhaupt lobt Horaz mehr d i e K ü h n h e i t des jungen Dichters, sich zu einem Römischen Pindar aufwerfen zu wollen, als die That selbst; und daß es ihm nicht gelungen, ist auch aus dem Anfang der Ode 2. im IVten Buche, zu schließen, welche mehrere Jahre nach dieser Epistel geschrieben zuseyn scheint. (5) Vermuthlich eben der Celsus von Albinova, an welchen der achte Brief geschrieben ist, und der damals einer von Tibers Secretären war.
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P l u t a r c h in Anton. D i o n L. 50. p. 402. 420. edit Leuncl.
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(6) Drey Jahre nach der Schlacht bey Actium (A. V. 726.) dedicierte August dem Apollo in seinem Hause auf dem Palatinischen Berge einen Tempel mit einer grossen Gallerie, in welcher eine Griechische und eine Lateinische Bibliothek den Gelehrten offen stund. Daß August die prächtige Bibliothek des L u c u l l u s , in welcher alle Griechen, die nach Rom kamen, sich (nach Plutarchs Ausdruk) wie in einem Prytaneo oder gelehrtem Rathhause zusammen fanden, in diese Palatinische habe bringen lassen, ist (nach näherer Erkundigung) eine bloße, wiewohl wahrscheinliche, Vermuthung: aber daß er auch die Colossalische 30 Ellen hohe Bildsäule des Apollo, welche von Lucullus aus 10
Apollonia im Pontus nach Rom ins Capitolium geschaft worden, in der Palatinischen Bibliothek aufgestellt habe, wie der Abt Belley versichert *) und sich deßwegen auf das 7. Cap. des XXXIV. Buchs des Plinius beruft, davon sagt Plinius kein Wort. (7) Diese Stelle, in einem bloßen Gelegenheitsbriefe an einen Commensalen des Tiberius, scheint mir ganz vorzüglich merkwürdig. Sie beweiset, däucht mich, daß die Tugend dem Horaz mehr am Herzen gelegen sey, als man sich, bey dem gemeinen Vorurtheil gegen seine Grundsätze, vorzustellen pflegt. Da er noch einer von den Römern war, welche die Republik gesehen und ihre Erhaltung eifrig gewünscht hatten: so konnt er sich an die große Veränderung,
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welche N i h i l p r i s c i et i n t e g r i m o r i s übrig ließ, nie recht gewöhnen; und alle Augenblicke entwischt ihm, so zu sagen, ein Gedanke, eine Gesinnung, die für eine so verderbte Zeit zu edel, zu altrömisch, und also nicht mehr de saison war. Er kann sich nicht von der Illusion trennen, daß ein Römer noch ein Va t e r l a n d habe, und er fühlt noch nichts lächerliches dabey, einem jungen Höfling — von Weisheit und Tugend mit Wärme, und mit eben dem Ton von Gewißheit zu sprechen, wie ein erfahrner Arzt einem Kranken von der Lebensordnung spricht, die er zu halten, und von den Arzneyen, die er zu nehmen habe. Dies macht, däucht mich, dem Herzen unsers Dichters Ehre, und um so mehr Ehre, weil man, mit einem mäßigen Theil von Aufmerksam-
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keit und Sinn, diese Art zu denken durch alle seine Werke scheinen sieht. (8) Wer dieser M u n a t i u s gewesen, ob ein Sohn, Neffe oder sonst ein Anverwandter des L . M u n a t i u s P l a n c u s , der einer von den Anhängern Julius Cäsars, nach dessen Tode im Jahr 712 Consul, hierauf Proconsul in Gallia Co*)
Memoir. de Litteratur. Tom. 45. p. 14.
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mata, in der Folge einer der ansehnlichsten Partisans des Antonius, und, nachdem er diesen verlassen und zu Octavius übergegangen, bey dem leztern sehr beliebt, und im Jahr 742 mit Aemilius Lepidus Censor gewesen — oder ob er den Nahmen des Munatischen Hauses aus andern, bey den Römern gewöhnlichen, Ursachen geführt? — ist eben so unbekannt als unerheblich.
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Vierter Brief. An Albius Tibullus. Einleitung. Daß dieser Tibull eben derjenige sey, der uns den Abdruck seiner sanften, und, wie von den Grazien selbst, zu zarten Empfindungen und wollüstig melancholischer Schwärmerey gebildeten Seele in seinen Elegien hinterlassen hat, ist, ungeachtet des S c r u p e l s des gelehrten C r u q u i u s keinem Zweifel unterworfen. Von der Freundschaft unsers Dichters zu ihm befinden sich in dessen Werken zwey Denkmale, die 33ste Ode des ersten Buchs, und der gegenwärtige Brief, dessen eigentliches Datum sich zwar nicht gewiß bestim10
men läßt, der aber doch einige Jahre nach jener Ode, wiewohl vielleicht früher als die meisten übrigen Episteln, geschrieben zu seyn scheint. Wie das gelehrte Chor der Ausleger auf den Einfall verfallen konnte, diesen kleinen vertraulichen Brief für ein Tr o s t s c h r e i b e n zu erklären, worinn Horaz seinen kummervollen Freund durch eine liebliche Ansprache seines Leids habe ergötzen wollen, wäre schwer zu begreiffen: wenn man nicht aus so vielen Beyspielen wüßte, daß diese Herren oft den Wald vor den Bäumen nicht sehen können. In dem ganzen Briefchen ist zwar keine Spur von der vorgeblichen Schwermuth des Tibullus. Aber es kam den Herren doch gar nicht natürlich vor, daß ein Dichter, der, laut seiner noch vorhandnen Elegien, so-
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viel angenehmes mit den D e l i e n und N e ä r e n zu verkehren gehabt hatte, auf einmal so still und einsam in Wäldern herum kriechen, und sich in moralische Betrachtungen vertiefen sollte. Nun fiel ihnen ein, daß Tibull in seinem heroischen Gedicht an Messalla Corvinus von sehr großen Reichthümern spricht, deren er durch die Unbeständigkeit des Glücks beraubt worden sey, und daß er gleich die erste seiner Elegien damit anfängt, sich für a r m zu erklären. Dies, glaubten sie, mache nun alles sehr begreiflich: denn natürlicherweise habe einer, der aus einem reichen Mann ein armer Mann geworden, alle Ursache von der Welt, den Kopf hängen zu lassen, u. s. w. Sie vergassen aber, daß Tibull, an eben dem Orte, wo er von seinen verlohrnen Reichthü-
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mern spricht, auch zu verstehen giebt, daß er noch Etwas zu verlieren habe;
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und daß die Armuth, die er in der ganzen ersten Elegie mit sehr anmuthigen Farben schildert, und bey welcher er sich höchst glücklich preißt, bloß vergleichungsweise mit den Reichthümern eines M ä c e n s oder M e s s a l l a oder C n e u s L e n t u l u s , diesen Nahmen verdiente; kurz, daß es eine Art von Armuth war, wobey kein gesunddenkender Mensch den besagten Cneus Lentulus um die fünf und zwanzig Millionen Gulden beneiden wird die er (nach Seneca’s Versicherung *)) besaß, ohne sie genießen zu können, und grossentheils wieder verlohr, ohne zu wissen, wie es damit zugegangen. Das Wahre von Tibulls Umständen scheint dies gewesen zu seyn. Er verlohr in den bürgerlichen Unruhen (wahrscheinlich unter dem lezten Triumvirat) in seiner
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ersten Jugend die beträchtlichen Güther, welche seine Vorfahren als Römische Ritter vermuthlich durch Staatspachtungen gewonnen hatten. Er bekam aber, da August die verderblichen Folgen der Bürgerkriege wieder möglichst zu vergüten suchte, soviel davon zurük, oder rettete wenigstens noch soviel aus dem Schiffbruch, als er brauchte, um, bey nicht allzuausschweifenden Wünschen, unabhängig und angenehm leben zu können. Dies leztere bezeugt der gegenwärtige Brief von Horaz, und in Tibulls eignen Gedichten ist nichts, was nicht damit übereinstimmte. Seine Anhänglichkeit an Messalla Corvinus beweiset nichts für die vermeynte Dürftigkeit des Tibulls. Denn jeder Römer von mittelmäßigem Stand und Vermögen hatte unter den Großen seinen P a -
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t r o n , dessen C l i e n t er war. Dieses Verhältnis war der Kütt, womit der Stifter Roms sein politisches Gebäude zusammengefügt hatte; und in dem Zeitpunkt, da die Republik sich unvermerkt in eine Monarchie verwandelte, war es nothwendiger als jemals, einen Freund und Beschützer zu haben, der Demjenigen nahe wäre, von welchem alles abhieng. Aber dies Verhältnis verhinderte nicht, sondern beförderte vielmehr die Freyheit und sichre Muße, worinn Tibull jenen wohlthätigen Gottheiten diente, zu deren Dienst der Weise S o l o n noch in seinem hohen Alter sich bekannte, und von denen, wie er sagt, alle Freuden der Sterblichen kommen. Tibull liebte mit seiner Phantasie in den goldnen Zeiten Saturns und in Elysischen Gefilden herumzuschweifen; er liebte, wie Horaz, Freyheit und gelehrten Müßiggang: daher lebte er auch, wie *)
S e n e c a , de Benefic. II. 27. Er war, sagt Seneca, das höchste Beyspiel von Reichthum bey
Privatleuten, denn er sah sich, durch die liberalitatem Augusti im Besiz von 400 Millionen Sestertien. Wenn vier Sestertien auf einen Denar, und Sechs Denare auf einen Reichsthaler gerechnet werden, so giebt dies die obige Summe.
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Horaz, am liebsten auf dem Lande, und dieses Briefchen ist an ihn geschrieben, da er sich auf seinem Gute in der Gegend von Pedum aufhielt. Unser Dichter, der durch ähnliche Neigungen und Studien mit ihm verbunden war, aber doch meistens von ihm entfernt und in einem andern Zirkel lebte, scheint dabey keine andre Absicht gehabt zu haben, als sich einmal wieder nach dem Befinden seines Freundes zu erkundigen, ihn auf eine vertraulich höfliche, wiewohl eben nicht ernstliche Art, zu sich einzuladen, und ihm bey dieser Gelegenheit für die gute Art, wie Tibull von seinen Sermonen geurtheilt hatte, ein Gegenkompliment zu machen. Die Urbanität, die über den ganzen Brief 10
ausgegossen ist, kann besser empfunden als beschrieben oder nachgeahmt werden. Nichts geht über die Delicatesse, womit er dem Lobe des Tibulls eine solche Wendung giebt, daß es zugleich ein schönes Characterbild eines liebenswürdigen und glüklichgebohrnen Menschen, und eine feine indirecte Erinnerung wird, an allem dem was Natur und Glück für ihn gethan sich genügen zu lassen, und sich sein Wo h l b e f i n d e n nicht etwa durch unruhige Bemühungen um sich B e s s e r z u b e f i n d e n , selber zu verkümmern. Auch die Bescheidenheit verdient bemerkt zu werden, womit er den Tibull, der doch unstreitig in mehr als Einer Betrachtung u n t e r i h m war, nicht nur als Seinesgleichen behandelt, sondern durch den Werth, den er auf dessen günstiges
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Urtheil von seinen S e r m o n e n legt, ihn gewissermaßen über sich selbst erhebt. In dieser l i b e r a l e n Art, der Eigenliebe der Personen mit denen man zu thun hat, ohne Schmeicheley und u n e d l e Selbsterniedrigung, gütlich zu thun, hat Horaz etwas ganz eigenes: und man begreift dadurch um so eher, wie er mit so vielen Nebenbulern aus einer Klasse von Menschen, die er sonst mit bestem Fug genus irritabile nennt, immer in gutem Vernehmen leben konnte. Aus dem Umstand, daß er in dem ersten Verse nur seiner S e r m o n e n (d. i. seiner S a t y r e n ) gedenkt, welche die ersten Werke waren die er publicierte, verglichen mit dem scherzhaften Schlusse, worinn er sich pinguem et bene curatà cute nitidum Epicuri porcum nennt — wird ziemlich wahrschein-
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lich, daß dieser kleine Gelegenheits-Brief mehrere Jahre vor den übrigen geschrieben worden. Denn wiewohl B e n t l e y die Jahre, in welchen Horaz seine Werke nach und nach verfertigt und herausgegeben, ziemlich richtig angegeben zu haben scheint; so läßt sich doch daraus, daß er das erste Buch seiner Briefe nicht vor seinem sechs und vierzig- oder sieben und vierzigsten Jahre p u b l i c i e r t , auf keine Weise schließen, daß sie darum a l l e erst um diese
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Zeit geschrieben worden — wiewohl die Logik, in welcher diese Art von Schlüssen gilt, den meisten Auslegern der Alten sehr gewöhnlich ist. * * *
Du milder Richter meiner unbedeutenden Sermonen, wie genießest du, Tibull dein Leben auf dem Landea)? Dichtest du vielleicht, was selbst den anmuthsvollen Kleinigkeiten des Cassius von Parma (1) länger nicht den Vorzug lasse: oder schleichest still und einsam im gesunden Wald umher,
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und suchst in deinem eignen Herzen — was des Weisen und des Guten würdig ist? Du warst nicht bloß ein schönes Bild, dem nichts im Busen schlägt. Die Götter gaben dir zur Schönheit Reichthum, gaben dir zu beydem die seltne Kunst des Lebens zu genießen. Was kann die beste Amme ihrem lieben Zögling noch größers wünschen, wenn er, unverdorben an Kopf und Herz, die Gabe was er denkt A l b i , nostrorum sermonum candide judex,
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quid nunc te dicam facere in regione Pedana? Scribere quod Cassıˆ Parmensis opuscula vincat? An tacitum silvas inter reptare salubres, curantem quicquid dignum sapiente bonoque est? Non tu corpus eras sine pectore. Dıˆ tibi formam, Dıˆ tibi divitias dederunt, artemque fruendi. Quid voveat dulci nutricula maius alumno qui sapere et fari possit quae sentiat, et cui
a) Regione Pedana. Pedum war eine kleine Stadt zwischen Tibur und Präneste, in deren Revier Tibull vermuthlich ein Landguth hatte.
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zu sagen mit der Gabe zu gefallen zu gatten weiß, und Gunst und Ruhms genug, auch einen Überfluß an frischem Blut, ein reinlichs Hausb), und immer noch für jeden bescheidnen Wunsch soviel im Beutel hat als nöthig ist? Dies Glück, Tibull, ist dein. (2) Indeß das Leben andern zwischen hoffen und wünschen, zwischen Furcht und Zorn entschlüpft, nimm du den Tag der anbricht für den lezten: 10
so wird dir jede unverhofte Stunde die noch hinzukommt, desto werther kommen. Mich wirst du wohl beleibt, mit glattem Fell und runden Backen finden, wenn dir einfällt, über ein wohlgepflegtes Schwein aus Epikurs verschrienem Stalle lustig dich zu machen. (3) gratia, fama, valetudo contingat abunde, et mundus victus non deficiente crumena. Inter spem curamque, timores inter et iras, omnem crede diem tibi diluxisse supremum;
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grata superveniet quae non sperabitur hora. Me pinguem et nitidum bene curata cute vises cum ridere voles Epicuri de grege porcum. * * *
Erläuterungen. (1) C a s s i u s v o n P a r m a , einer von den Zusammenverschwornen, welche durch Jul. Cäsars Tod die Republik wieder herzustellen hoften, war bey dem lezten Bruch zwischen Octavianus und Antonius von der Partey des leztern, und hatte eine Befehlhabersstelle in dem Treffen bey Actium. Nach dessen b) Ich übersetze so, wiewohl ich mundum victum, und nicht, mit Bentley, et victum et domum 30
lese.
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bekanntem Ausgang floh er nach Athen, und wurde dort auf Befehl Octavians, von Q. Varus, an seinem Schreibepult ermordet *). Der a l t e S c h o l i a s t beym Cruquius vermengt in seinem Berichte von diesem Cassius die Schlacht bey Actium mit der bey Philippi, wiewohl mehr als zehen Jahre zwischen beyden sind, und den Q u i n t u s Va r u s , der sich zum Meuchelmörder brauchen ließ, mit dem L u c i u s Va r i u s , der in der Tragischen Dichtart durch seinen Thyest den besten Griechen gleich kam **), und in der Epischen vielleicht nur dem Virgil wich, und welchen Horaz mit Virgil in dem schönen Lobspruch verbindet, wo er von beyden sagt, — Animas, quales neque c a n d i d i o r e s
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Terra tulit, neque quıˆs me sit devinctior alter.
Gleichwohl macht ihn dieser schale Glossierer nicht nur zum Meuchelmörder, sondern giebt auch durch ein innuendo zu verstehen, er habe dem Cassius von Parma das Trauerspiel T h y e s t bey dieser Gelegenheit gestohlen, und hernach als sein eigen Werk in die Welt geschikt. Viele Leute, sagt er, hätten es deswegen geglaubt, weil Varus den Cassius an seinem Schreibtisch ermordet, und den Pult samt den Schriften mit sich genommen hätte, Cassius aber viele Tragödien geschrieben habe. Der Beweis würde immer noch schlecht seyn, wenn auch Q. Varus und L. Varius der Dichter die nehmliche Person gewesen wären: so aber, da zween verschiedne Nahmen natürlicher-
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weise auch zwey verschiedne Personen bezeichnen, straft die Anekdote sich selbst Lügen, und gehört offenbar zu so vielen andern, welche Neid und Bosheit zu allen Zeiten erfunden, und Dummheit ohne Beweis angenommen und fortgepflanzt hat, um den Ruhm der treflichsten Menschen zu beflecken. — Ich würde mich mit dieser Rechtfertigung eines Dichters, der, wiewohl eine der ersten Zierden der schönsten Zeit der Römischen Litteratur, uns, die wir nichts mehr von ihm besitzen, gleichgültig worden ist, nicht aufgehalten haben, wenn ich dieses schändliche Scholium des Unbekannten Glossieres nicht in den besten Ausgaben unsers Dichters, sogar von einem Baxter und Geßner, angeführt sähe, ohne daß einer von ihnen ein paar Zeilen daran *) **)
Va l e r . M a x . I. c. 7. §. 7. Ve l l e j . P a t e r c . Q u i n t i l i a n . X. c. 1. Va r i i Thyestes Cuilibet Graecorum comparari potest.
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gewendet hätte, sich der Ehre eines unschuldig verläumdeten Todten anzunehmen. Horaz spricht hier bloß von opusculis des Cassius von Parma, und giebt uns einen hinlänglichen Begriff von dem Fache, in welches sie gehörten, da er sie mit Tibulls opusculis zusammenstellt, und diesem ein großes Compliment zu machen glaubt, wenn er ihm zutraue jenen sogar übertreffen zu können. Die Ausleger der Alten verfehlen oft bloß dadurch des wahren Sinnes, daß sie dem Autor, als ob er zu wenig an seinem eignen Wiz habe, auch noch von dem ihrigen leyhen wollen, der nicht immer von der besten Sorte ist. C r u 10
q u i u s wittert hier eine I r o n i e , wo gewiß niemand eine finden wird; und B a x t e r meynt, opuscula habe hier einen ganz besondern Nachdruck, und wolle soviel sagen, als Werke die mit Gold aufgewogen zu werden verdienen. Als ob opuscula, wo die Rede von kleinen, leichten, gelegenheitlichen, scherzhaften, oder erotischen Gedichten ist, etwas anders als opuscula seyn müßten! Vorzüglich bemerkenswürdig ist übrigens, daß Horaz freymüthig genug w a r und seyn d u r f t e , eines ehmahligen Freundes seiner Jugendjahre nahmentlich und rühmlich zu erwähnen, der einer von den Mördern Cäsars, ein Anhänger des M. Brutus, und so sehr ein Feind der Julischen Partey und des nachmaligen Augusts gewesen war: daß er, nach Brutus und Cassius Tode,
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sich in einer Art von Verzweiflung lieber zum Antonius schlagen als dem Octavius ergeben wollen. Auch dies ist ein Zug, der uns mit dem sittlichen Character unsers von dieser Seite zu wenig gekannten Dichters vertrauter machen hilft. Wir werden in der Folge noch auf mehr solche Instanzen stoßen, welche beweisen, daß er, mitten unter den eigennützigen oder wollüstigen Höflingen eines allesvermögenden und bey aller seiner Mäßigung und affectierten Bescheidenheit nicht immer ungefährlichen Usurpators, das Recht z u s a g e n w a s e r d a c h t e (fari quae sentiat) sehr gut zu behaupten wußte. Denjenigen, der vielleicht hinzusetzen wollte, daß dies dem August eben soviel Ehre mache als dem Horaz, würde ich an eine Anekdote erinnern, die uns
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S u e t o n aufbehalten hat, und die so völlig im Charakter des erstern ist, daß man sie sogar einem alten Glossator glauben dürfte. Ein gewisser Aemilius Aelianus von Corduba war verschiedener Verbrechen halber angeklagt worden, welche August selbst untersuchen wollte. Der Kläger, um seinen übrigen Beschuldigungen desto mehr Gewicht zu geben, machte hauptsächlich diese gelten: Aelianus pflege sich sehr ungebührliche Reden über den August zu
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erlauben. „Das sollst du mir gleich beweisen, fiel ihm August mit angenommener Hitze ins Wort: ich will dem Aelianus zeigen, daß ich auch eine Zunge habe! Ich will noch mehr über ihn sagen, als er über mich.“ Und da Tiberius in einem Schreiben an seinen Stiefvater sich über eben diesen Gegenstand sehr heftig ereyferte, antwortete ihm August: er möchte seiner Jugendhitze nicht zu viel erlauben, und nicht so sehr ungehalten darüber werden, daß Jemand übel von ihm s p r e c h e : E s i s t g e n u g , sezte er hinzu, d a ß w i r ’ s d a h i n g e b r a c h t h a b e n , d a ß u n s n i e m a n d n i c h t s ü b e l s t h u n k a n n . — Octavianus hatte sich den Weg zur höchsten Gewalt durch so schändliche und grausame Mittel gebahnt, daß es nun bloße Klugheit vom A u g u s t u s war,
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mit Gelindigkeit zu regieren, und mit dem schönen Glanze dieses neuen lauter Gutes zusagenden Nahmens die Verbrechen zuzudecken, womit sein voriger besudelt war. (2) Eine innere Nothwendigkeit zwingt uns immer unvermerkt, uns selbst, unsre eigne Art zu denken und zu leben, zum Maasstab anzunehmen, es sey daß wir einem andern etwas recht sehr schönes sagen, oder ihm mit guter Art zu verstehen geben wollen, wie wir glauben daß er seyn sollte. Horaz scheint in dieser ganzen Epistel immer s i c h an Tibulls Plaz gesezt zu haben. Würklich war viele Ähnlichkeit zwischen ihnen, zumal in der Neigung zum unabhängigen und müßigen Landleben, und in der wünschenswürdigen Armuth (wie
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sie es beyde nennen) gerade so reich zu seyn, und nicht reicher, als zu Befriedigung dieser Neigung nöthig war. Aber die Verschiedenheit, in der Modification derselben, und selbst in den Grundzügen ihres Geistes, scheint doch weit größer gewesen zu seyn als jene Ähnlichkeit: und wiewohl man in den Elegien des Tibulls ziemlich häufig Gedanken und Bilder von der größten Zartheit antrift: so findet sich doch, meines Erinnerns, nichts darinn von dem Philosophischen Geiste, der durch die Horazischen Werke athmet und ihnen einen so eignen Charakter von Scharfsinn und verfeinertem Sensus communis giebt. T i b u l l s eigner Character ist, mehr — oder fast ganz allein — v e r f e i n e r t e S e n s u a l i t ä t * ) . Nur diese, von einem romantischen Schwung der Phantasie gehoben, konnte ihm die erste seiner Elegien, die auch die schönste ist, und diese rührende Vermengung von Schwärmerey der Liebe und Todes*)
Ich brauche dieses Wort, weil Sensualität zu S i n n l i c h k e i t sich verhält wie Licenz zu
Freyheit und also nicht gleichbedeutend ist.
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Bildern eingeben: aber nichts kann uns glauben machen, daß ein Bild wie dieses, — Tacitum sylvas interreptare salubres Curantem quicquid dignum sapiente bonoque est,
auf ihn hätte passen, oder so ein Wunsch wie dieser: Sit mihi quod nunc est, etiam minus: ut m i h i v i v a m Quod super est aevi etc.
jemals in seine Seele gekommen sey. Für ihn sind seine Auen und Gebüsche und Lauben nichts als Scenen seiner verliebten Neigungen; und allen Reiz, den 10
sie für ihn haben, empfangen sie von der Gegenwart seiner Delia. Für H o r a z ist sein kleiner Meyerhof der Ort, der ihn sich selber wieder giebt,
und wenn er mit einer so herzlichen Ausdehnung der Brust, ausruft, O du mein liebes Feld, wenn werd ich dich einst wieder sehn? Wenn wirds so gut mir werden bald mit Homer und Plato, bald in freyer Zweckloser Träumerey und ungestörtem Schlummer ein liebliches Vergessen aller Plage und Eitelkeit des Lebens einzuathmen! *)
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so braucht er nicht, wie T i b u l l , seine Wiesen und Anger durch die Magie seine Einbildung in ein w o l l ü s t i g e s E l y s i u m zu verwandeln, wo — Juvenum series teneris immista puellis ludit, et assidue proelia miscet Amor **).
*) **)
Sat. II. 6, 60. Tibull. L. I. 3.
¼1. Buch. 4. Brief½ E r l ä u t e r u n g e n
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D i e s e r läßt, mitten im Anpreisen seines itzigen unscheinbaren Wohlstands, manchen verstohlnen Blick, nicht ohne kaum zurückgehaltne Seufzer, auf das glänzendere Glück, das er nie genossen aber zu genießen gebohren war, fallen; und er scheint angenehmer Zerstreuungen als eines Nepenthe zu bedürfen, der ihn vor schmerzlichen Erinnerungen bewahre. H o r a z hingegen sieht, im Genusse seines kleinen Glüks, seine Wünsche ü b e r t r o f f e n * ) — er hat nichts mehr zu wünschen als daß ihm bleibe was er hat, und es könnte weniger seyn, ohne daß er etwas verlohren zu haben glaubte. T i b u l l s Leben war ein Tr a u m , und sein Glük eine süße Berauschung der Seele. H o r a z hatte w a c h e n d gelebt, und durch seine Erfahrung zween große Schätze gewonnen, Weltkentnis und Kentnis seiner selbst. Zwar hatte er a u c h
gespielt **)
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und
schämte sich dessen nicht; aber er wußte aufzuhören, und der Tumult des Lebens und der Ergötzungen hatte sein Ohr nicht stumpf gemacht, die leise Stimme seines Genius, seines b e s s e r n S e l b s t zu hören, die ihn ermahnte, mit sich selbst zu leben, und i n s i c h zu suchen, was die Menschen sonst überall suchen, als da wo sie es finden würden; und sich dann verwundern oder ärgern, daß es nicht zu finden sey. Horaz hat also, allem Ansehen nach, dem Tibull zuviel Ehre angethan, wenn er ihn in der Stelle, Quid dulci voveat nutricula majus alumno, gleichsam an seinen eignen Plaz sezte; ja vielleicht schon zuviel, wenn er ihn nur für
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weise genug hielt, sich den feinen Wink, den er ihm dadurch gab, zu Nutze zu machen. Tibull hatte das Alles, weswegen ihn sein Freund glüklich preißt; nur mit dem Sapere scheint es nicht so ganz richtig bey ihm gewesen zu seyn; und das wars doch gerade was alles übrige erst gut machen mußte. (3) Schade daß Horaz die Verlegenheit nicht voraussehen konnte, in welche diese Stelle, nach vielen hundert Jahren, so manchen wackern Mann setzen würde, der sich gern Mühe geben möchte, einen Autor, der so schönes Latein schreibt, und den man doch der Jugend in die Hände zu geben nicht wohl vermeiden kann, von der häßlichen Makel des Epikurismus zu retten ***). Es ist zwar nur sein Scherz mit dem fetten, glänzenden, wohlgenährten — Epikuri*)
Hoc erat in votis etc. Auctius atque Di melius fecere, l. c.
**)
Nec lusisse pudet sed non incidere ludum. E p i s t . XIV.
***)
Der gute J . H . M e i b o m weiß sich und ihm nicht anders zu helfen, als für porcum
p a r c u m zu lesen — wodurch zwar d e r S p a ß verlohren geht, aber doch (seiner Meynung nach) d e r M a n n bey Ehren bleibt.
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schen Schweine; das sehen die Herren wohl: aber man sollte doch so was ärgerliches auch nicht im Scherze sagen! — Horaz ist (wir können es nicht läugnen) bey aller seiner ernsthaften Moral zuweilen etwas leichtsinnig: das Haus des scherzreichen Mäcenas, und Kaiser Augustus selbst, der diesen Ton liebte, hatten ihn, was das betrift, nicht besser gemacht; und freylich, wer gern tanzt dem ist gut geigen. — „Aber könnte er denn sich hier nicht in eben dem ironischen Sinne einen Epicuri de grege porcum genennt haben, wie Sokrates in Platons Apologie und bey andern Gelegenheiten sich für einen u n w i s s e n d e n L a y e n ausgab?“ — Die Ausflucht wäre nicht so übel, wenn 10
Horaz hier nur eine so gute Ursache zu einer solchen Ironie hätte wie Sokrates. Aber davon zeigt sich keine Spur. Kurz, wenn die Viri barbatissimi unserm Dichter — in billiger Rüksicht auf die böse Gesellschaft der Auguste, Mäcenen, Pollionen, Messalen, Lamien, u. s. f. (die leichtfertige C y n a r a und die L a l a g e , Der Lachen und Schwatzen sowohl anstund *), nicht zu vergessen) in welcher er zu leben das Unglück hatte — keinen Scherz zu gut halten können: so müssen wir ihn dem Urtheil, welches sie von seiner — Philosophie fällen wollen, überlassen, und er mag für seinen Muthwillen büßen! Doch, um der Leser willen, die mit den Alten nicht bekannt genug sind, um das Salz dieser Pläsanterie so fein zu finden als es Tibull vermuthlich fand, sey uns noch
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erlaubt ein paar Worte hinzuzuthun. Die Epikurische Philosophie, welche das Wort Wo l l u s t — ein den Römern von jeher verhaßtes Wort — gebrauchte, um das Ideal dessen worinn sie d i e G l ü c k s e l i g k e i t d e s We i s e n sezte zu bezeichnen, hatte, blos um dieses Wortes willen, ein allgemeines Vorurtheil wieder sich. Denn mitten unter der zügellosesten Verdorbenheit d e r S i t t e n wollten die Römer doch nicht dafür angesehen seyn, daß sie auch der D e n k a r t , oder wenigstens d e r S p r a c h e ihrer edlen Vorfahren entsagt hätten. Überhaupt dachte man sich unter einem Epikuräer einen Freygeist, einen Menschen dem Religion und Tugend nur leere Nahmen wären; und sowohl die Declamationen des Cicero, als die Aufführung einiger vornehmen Römer die-
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ser Zeiten, die, um doch auch eine Philosophie zu haben, die Epikurische affischiert hatten, schienen das ärgste was man von ihr denken wollte zu rechtfertigen. In Augusts Zeiten wurde zwar vieles in einem minder strengen Lichte betrachtet als ehmals; aber der gemeine Begriff, den man sich von einem *)
Dulce ridentem — dulce loquentem Od. XXII. L. I.
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Epikuräer zu machen gewohnt war, blieb noch immer; und wiewohl Leute, die eine polite Erziehung genoßen und ihre Studien in Griechenland gemacht hatten, ganz wohl wußten was an der Sache war: so nahmen sie doch das Wort, wenigstens im Scherze, wie mans im gemeinen Leben zu nehmen pflegte. Wenn sich also Horaz, um dem Tibull auf eine scherzhafte Art zu sagen, er werde ihn durch den müßigen Aufenthalt auf dem Lande fetter und runder finden als zuvor, sich, mit einer ihm gewöhnlichen Dilogie, ein Epikurisches Schwein nennt, so geschieht es ohne alle Consequenz für diese Secte — weil eine solche Benennung in seinem Munde nichts anders als indirecter Spott über ein vulgares Vorurtheil seyn konnte; aber auch ohne Consequenz für ihn
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selbst — weil er, um dieses vermeynten Selbstgeständnisses willen (wofür B r u c k e r und andre es ihm in vollem Ernst aufnehmen) nicht um ein Haar mehr Epikuräer war als Cicero da er an seinen jovialischen Freund Pätus schrieb *): Illa mea, quae solebas antea laudare „o hominem facilem! o hospitem non gravem!“ abierunt. — I n E p i c u r i n o s adversarii nostri c a s t r a c o n j e c i m u s etc. „Mit den Lobsprüchen, die du ehmals meiner Begnügsamkeit zu ertheilen pflegtest, ists nun vorbey. Ich bin der bequeme Gast nicht mehr, der sich alles gefallen läßt, mit allem vorlieb nimmt, mein guter Pätus! Wir sind ins Lager unsers ehmaligen Feindes Epikurs übergeg a n g e n . Nicht als ob wir den Eifer für unsre neue Partey schon soweit trie-
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ben, wie die bekannten Häupter derselben: vor der Hand begnügen wir uns noch an der g e s c h m a k v o l l e n E l e g a n z , zu der du selbst dich bekanntest wie es noch wohl um deine Finanzen stund. — Mache dich also immer auf einen Gast von großem Appetit gefaßt, und der in der Theorie des guten Essens schon ansehnliche Progressen gemacht hat, u. s. w.“ – Es ist für die Ciceronen und Horaze traurig, wenn sie Leser haben denen man erst sagen muß w a s S c h e r z i s t ; aber die Leser, die weder Scherz verstehen noch leiden können, sind doch noch schlimmer dran! Sie sollten mit ihrem Arzt aus der Sache sprechen.
*)
Ep. 20. L. IX. ad Famil.
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Fünfter Brief. An Manlius Torquatus. Einleitung. Der Torquatus, an den diese Einladung zu einem freundschaftlichen Gastmal geschrieben ist, kann ein Sohn des L. Manlius Torquatus, unter dessen Consulat (A. V. 689.) Horaz gebohren wurde, gewesen seyn; und ist ohnezweifel der nemliche, den die 7te Ode des Vierten Buchs aufmuntert des Lebens besser zu genießen. Er stammte aus einem der edelsten und ältesten Römischen Häuser, und wurde unter die ersten Redner seiner Zeit gezählt. Horaz fügt zu diesen Vorzügen noch das Lob der Rechtschaffenheit hinzu, indem er in der 10
angezogenen Ode von ihm sagt: Cum Semel occideris et d e t e s p l e n d i d a Minos fecerit a r b i t r i a , Non, Torquate, g e n u s , non te f a c u n d i a , non te restituet p i e t a s .
Er nennt ihn im 10ten seiner S e r m o n e n unter denjenigen Freunden, auf deren Beyfall er seinen ganzen Ehrgeiz einschränke; und dies ist ein Titel, dessen Werth das schönste Ehrendenkmal aufwiegt. Die Aristippische Moral, welche Horaz in diese seine Einladung halb lachend halb im Ernst eingewebt hat, scheint sich auf einen entgegengesezten 20
Fehler seines Freundes zu beziehen; und dies wird beynahe zur Gewißheit, wenn wir uns erinnern, daß die nemliche Thorheit, f ü r l a c h e n d e E r b e n z u g e i t z e n , die er in dieser Epistel rügt, schon in besagter Ode an Torquat wiewohl nur sanft berührt wird, *) und wenn man dazu nimmt, daß dieser Torquat (soviel ich finden kann) der lezte seines Geschlechts ist dessen die Geschichte oder andre Schriftsteller erwähnen — Denn die Torquati Asprenates sind eine ganz andre und erst vom August mit diesem Beynamen beschenkte Familie. **) *) **)
Cuncta manus avidas fugiunt haeredis, amico quae dederis animo. S u e t o n in Augusto c. 45. ¼1. Buch. 5. Brief½ E i n l e i t u n g
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Übrigens hat diese Epistel etwas vorzüglich interessantes, weil wir unsern Dichter darinn gleichsam im Hausrocke und mitten in seiner kleinen Hagestolzen-Wirthschaft kennen lernen. Es ist angenehm ihn auf alle Kleinigkeiten aufmerksam, und mit der Reinlichkeit seines Tischgeräthes und seinen Spiegelhellen Krügen und Schüsseln so bürgerlich und mit solcher Behaglichkeit stolzieren zu sehen. Das sind die Züge, die Plutarch so fleißig aufsuchte, und mit denen er uns seine Biographien und seine Helden so interessant macht. Ich weiß nicht, wie viele hierinn mit mir sympathisieren werden: aber mir macht die Einfalt der Sitten, der häusliche Sinn, der Genuß, den der Dichter davon hat daß er seinen Freunden ein kleines Gastmal geben kann, kurz, daß
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er sich in seinem prachtlosen eingeschränkten Hauswesen so reich und glüklich findet, und die muntre Laune, die dies Gefühl in den ganzen Brief ergießt — alles dies macht ihn mir hochachtungswürdiger, und zeigt mir seinen moralischen Charakter in einem schönern Lichte, als irgend etwas, das er im dogmatischen oder begeisterten Ton eines Virtuosen und Weisen hätte schreiben können. * * *
Wenn du auf Ruhebetten, die kein größrer Meister als Archias geschnizt hat (1), dich behelfen kannst, und eine mäßige Schüssel voll Gemüse,
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zum ganzen Tractament, dir nicht zuwider ist; so werd ich heute bis zum lezten Stral der Abendsonne dich, Torquat, erwarten. (2) Der Wein von dem du trinken wirst, ist zwischen dem sumpfigten Minternä und Petrina) gewachsen, und (dir nichts zu bergen) erst in Taurus zweyten Consulat gefaßt. (3) Si potes Archiacis conviva recumbere lectis nec modica coenare times olus omne patella, supremo te sole domi, Torquate, manebo. Vina bibes iterum Tauro diffusa, palustres inter Minturnas Sinuessanumque Petrinum.
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Hast du was bessers, gut, so bin ich auch dabey: wo nicht, so nimm mit mir vorlieb. Schon lang ist Heerd und Hausgeräth auf dich gescheurt und glänzend. Laß die luftigen Sorgen der Ehrsucht ruhen, und die leidigen Fehden um Mein und Dein, und den Proceß des Moschus. (4) Denn Cäsars Fest erlaubt uns ungestraft, die Sommernacht vertraulich wegzuplaudern, und dann soviel vom Tage zu verschlafen 10
als uns beliebt. (5) Was hälfe mir mein Glück, wenn’s zu genießen mir verboten wäre? Wer seinen Erben an sich selber spart, braucht, wenn er etwa einen Thoren suchte, nicht weit zu gehen. Sey es um den Vorwurf des Leichtsinns! Ich will mir nun einmal was zu lieb thun, trinken, und zu Händen voll die Blumen um mich streun. Es geht doch, traun! die Menschheit zu veredeln, in der Welt nichts über Trunkenheit! Sie schließt die Herzen
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Sin melius quid habes, arcesse, vel imperium fer. Iam dudum splendet focus et tibi munda supellex. Mitte leves spes et certamina divitiarum et M o s c h i causam: cras nato Caesare Festus dat veniam somnumque dies; impune licebit aestivam sermone benigno tendere noctem. Quo mihi fortunam, si non conceditur uti? Parcus ob haeredis curam nimiumque severus Assidet insano. Potare et spargere flores incipiam, patiarque vel inconsultus haberi!
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Quid non ebrietas designat? Operta recludit,
a) Einem Dorf bey Sinuessa.
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weit auf, bestättigt alles was wir hoffen, nimmt allen Kummer dem Betrübten ab, und stürzt den Feigen mitten in die Feinde. Wo ist die Tugend, wo die Kunst, wozu der Wein uns nicht das Selbstvertrauen giebt? Wen machen volle Becher nicht beredt? Und welcher I r u s trinkt sich arm mit ihnen? (6) Was dich bey mir erwartet, ist nicht viel, doch ists was ich vermag und gerne gebe. Dafür ist wenigstens gesorgt, daß weder
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das Tischgeräthe noch die Polsterdecken dir die Nas’ in Falten ziehn, und daß aus allen Kannen und Schüsseln dir dein Bild entgegen spiegle: auch daß sich Gleich und Gleich zusammenfinde, und, was wir unter Freunden sprechen, kein Verräther oder Schwätzer weiter trage. Ich habe dir den B u t r a , den S e p t i z , und, wenn er nicht versagt ist, oder ihn ein Mädchen das ihm mehr am Herzen liegt uns wegfischt, den S a b i n dazu gebeten: (7)
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auch ist für mehr als Einen Schatten Plaz:b) spes jubet esse ratas, in proelia trudit inertem, sollicitis animis onus eximit, addocet artes. Foecundi calices quem non fecere disertum? contracta quem non in paupertate solutum? Haec ego procurare et idoneus imperor et non invitus, ne turpe toral, ne sordida mappa corruget nares, ne non et cantharus et lanx ostendat tibi te, ne fidos inter amicos sit qui dicta foras eliminet, ut coe¨at par jungaturque pari. Butram tibi Septiciumque et nisi coena prior potiorque puella Sabinum detinet, assumam; locus est et pluribus umbris;
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wiewohl das gar zu drang bey Tische sitzen gewisse Ungemächlichkeiten hat.c) Du, schreibe doch zurük, wie zahlreich du zu kommen denkst, und, daß dich ja nichts halte, entschleiche dem Clienten, der im Vorhaus auf seinem Posten wacht, durchs Hinterthürchen. sed nimis arcta premunt olidae convivia caprae. Tu quotus esse velis rescribe, et rebus omissis, Atria servantem postico falle clientem. 10
* * *
Erläuterungen. (1) Der Tischler A r c h i a s , den Horaz hier von ungefehr in die Nachwelt mit sich geschleppt hat, machte, wie es scheint, nur gemeine bürgerliche Arbeit. Freylich waren Tische und Ruhebetten von zierlichem Schnizwerk mit silbernen oder elfenbeinernen Füßen, u. s. w. in Rom sehr gewöhnlich; aber doch nur bey Reichen, oder für reich geltenwollenden Leuten. Bey unserm Dichter war Alles wie es zu seinen Umständen paßte, und er schämte sich nicht daß weder Elfenbein noch Gold 20
in seinem Hause glänzte — Ode 18. im 2ten Buch.
(2) Die gewöhnliche Zeit der Mahlzeit welche bey den Römern coena hieß, und die eigentliche Hauptmahlzeit war zu welcher Freunde gebeten wurden, war post nonam, d. i. nach unserer Art die Stunden zu zählen, nach drey oder b) S c h a t t e n hiessen scherzweise die ungeladnen Personen, die ein vornehmer Gast als seine gute Freunde mitbrachte. c) Horaz nennt die Sache bey ihrem rechten Namen, wie die Römer in mehrern Fällen zu thun pflegten, wo unser strengerer Wohlstand nicht verzeyhen würde es ihnen nachzuthun.
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vier Nachmittags *). Die Ursache, warum Horaz seinen vornehmen Gast erst mit Sonnen-Untergang erwartet, oder vielmehr bis dahin auf ihn warten will, scheint nicht (wie Baxter meynt) von seiner besondern Frugalität herzukommen: sondern bloß daher, weil er ihm Zeit genug lassen wollte, seine Geschäfte vorher abzuthun, und weil die ganze Nacht in geselliger Fröhlichkeit zugebracht werden sollte. (3) Daß Horaz seinen Freund, um allen Irrthum zu verhüten, so genau unterrichtet, was er ihm für einen Wein vorsetzen werde, hat die Ausleger aufmerksam und zweifelhaft gemacht. Lambinus und Cruquius schließen sowohl aus der Gegend als dem Alter, daß der Wein wohl ziemlich schlecht gewesen
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seyn möge: Baxter und Geßner bemerken dagegen, es sey doch wenigstens F a l e r n e r gewesen, der unter den edeln Weinen, die in Italien gebaut werden, damals noch die erste Stelle hatte. Denn weil S i n u e s s a am Fuße des Berges M a s s i c u s (auch F a l e r n u s genannt) lag, und die ganze Gegend auf dieser Seite des Berges, gegen Minturnä hin, ager Falernus hieß **), so konnte ein Wein, der zwischen Minturnä und Sinuessa gewachsen war, immer noch für Falerner passiren, wenn es gleich keiner vom ersten Rang war. Unsre Chorographische Kenntniß von dieser Gegend ist nicht exact genug, daß sich diese wichtige önologische Frage genauer entscheiden ließe. Aber aus allen Umständen ist zu vermuthen, daß Horaz sein Getränke nur deßwegen so genau
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charakterisiert habe, damit sein Freund von der Mäßigkeit des Tractaments nicht etwa einen nachtheiligen Schluß auf den Wein mache. Denn daß ein so feiner Mann, wie unser Dichter war, e i n e m M a n l i u s hätte zumuthen können, sich mit ihm in schlechtem Weine zu berauschen, das soll uns kein Commentator weiß machen! Auch mit dem Alter des Weins stund es so übel nicht als L. und C. meynen. Denn, nach Horazens Angabe war er unter dem zweyten Consulat des S t a t i l i u s Ta u r u s , d. i. im Jahre 728 auf Krüge gezogen worden, folglich um die Zeit da dieser Brief geschrieben wurde wenigstens Sechs bis Sieben Jahre alt; welches bey einem Italiänischen Wein, zumal aus dieser Gegend, ein hübsches Alter war. (4) Dieser M o s c h u s soll nach der Versicherung eines alten Scholiasten ein wohlbekannter Rhetor von Pergamus gewesen seyn, der der Giftmischerey *) **)
C o u t u r e de la Vie Privée des Romains Part. III. n. 1. C e l l a r . Geogr. Ant. L. II. c. 9. p. 848.
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angeklagt worden, und dessen Sachwalter in diesem bösen Handel Asinius Pollio und unser Torquatus, als zween der größten damaligen Redner, gewesen. (5) Das Fest, dessen Vorabend Horaz mit einem fröhlichen Gastmal feyren wollte, war der Geburtstag des vergötterten Julius Cäsars, der nach der Versicherung eines alten Scholiasten an den I d i b u s J u l i i s in Rom feyerlich begangen wurde. An einem solchen Festtage ruheten alle Geschäfte, und Torquat konnte also ohne Bedenken mit seinem Freund eine Sommernacht bey kleinen Sokratischen Bechern verplaudern. Denn daß es, ungeachtet der Hu10
moristischen Lobrede auf die Trunkenheit (in welcher, bey allem Scherz, soviel Wahres ist) nicht auf ein Bachanal abgesehen gewesen sey, braucht wohl nicht erst bewiesen zu werden. (6) Horaz scheint hier eine ähnliche scherzhafte Lobrede auf den Wein aus der ersten Scene in A r i s t o p h a n e s R i t t e r n im Sinne gehabt zu haben: Was? du erfrechest dich den Wein zu schelten? Wo wolltest du mir einen rüstigern Geschäftsbefördrer finden als den Wein? Siehst du, sobald die Leute trinken, wie sie gleich so reich und glücklich wie die Götter sind,
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wie ihnen alles leicht wird, alles gleich zu Stande kommt, wie ihre Freunde nur verlangen dürfen was sie wollen, ihre Processe alle flugs gewonnen sind, u. s. w.
(7) Die Gesellschaft, welche der Dichter seinem Freunde zu Ehren mitgeladen, kömmt im Horaz sonst nirgends vor; daher um so glaublicher ist, daß er sie bloß als gute Freunde des Torquatus dazu genommen. Der Scholiast des Cruquius, der den B u t r a für ein Mädchen hält und B r u t a nennt, und die Neuern, welche auch aus dem Septicius eine S e p t i m i a gemacht, haben ihrer Imagination zuviel erlaubt. Ich bin der Lesart der meisten Handschriften und 30
dem Ansehen der verständigsten Ausleger gefolgt. Die P e r s o n e n dieses B u t r a und S e p t i z sind unbekannt, die N a h m e n nicht. Denn der letztere findet sich (nach B e n t l e y s Anmerkung) in verschiedenen alten Schriftstellern, und der erste in einer Aufschrift beym G r u t e r . Ob der S a b i n u s
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Ty r o , der dem Mäcenas ein Gedicht vom Gartenbau unter dem Nahmen Caepurica (Koipoyrika) zugeeignet, und dessen der einzige Plinius im 10ten Cap. des XIX. Buchs erwähnt, derjenige gewesen von welchem hier die Rede ist, können wir nicht sagen; es ist zu vermuthen. Aber wer er auch gewesen seyn mag, dafür ist gesorgt daß uns sein Charakter nicht unbekannt ist. Der einzige Vers, nisi prior coena potiorque puella Sabinum detinet, zeichnet ihn so gut, daß wir keine Mühe haben, uns den ganzen Menschen, wie er leibte und lebte, so lebendig vorzumahlen, als ob wir selber beym Horaz, in Gesellschaft der schönen Cynara, mit ihm zu Nacht gegessen hätten.
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Sechster Brief. An Numicius. Einleitung. Diese Epistel gehört unter diejenigen, die mit Briefen in der eigentlichen Bedeutung weiter nichts gemein haben, als die Anrede an eine gewisse Person, das Va l e am Schluß, und den Anschein, ohne Prätension an Methode, Kunst und mühsames Ausfeilen, so zufällig wie Gedanken und Ausdruck sich dem Schreiber angeboten, hingeworfen zu seyn. Es ist ein Discurs in Versen, der eben so gut, ja noch schiklicher, einen Plaz bey den Sermonen oder Satyren unsers Dichters hätte einnehmen können, als die Epistel an Mäcenas, welche 10
die 6te Stelle unter den Satyren des ersten Buchs erhalten hat. Warum Horaz diesen Discurs gerade an einen N u m i c i u s gerichtet, den weder die Geschichte kennt noch die übrigen Werke unsers Dichters nennen, ist aus dem Inhalt nirgends deutlich zu ersehen. Numicius ist zwar der Nahme einer uralten Patricischen Familie in Rom, aus welcher vielleicht dieser hier abstammte: sie scheint aber nicht reich an Männern die sich hervorgethan gewesen, und schon von langem her in Verfall und Dunkelheit gerathen zu seyn; denn die Geschichte nennt in einem Zeitlauf von mehr als 500 Jahren, meines Wissens, nur zween, den T. Numicius Priscus, der im Jahr 285 Consul war *), und Numicius Thermus, der unter Claudius oder Nero die Prätur bekleidete,
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und vom leztern der Rache seines Günstlings Tigellin aufgeopfert wurde **). Da es bey so bewandten Umständen erlaubt ist, sich mit seiner Imagination zu helfen: so stelle ich mir den Numicius, mit welchem sich unser Dichter hier bespricht (um doch Etwas bey seinem Nahmen zu d e n k e n ) als einem Mann vor, der, ohne weder durch das Ansehen seiner Vorfahren, noch durch persönliche Vorzüge, noch durch ein großes Vermögen zu irgend einer hervorstechenden Rolle berufen zu seyn, gleichwohl in einer Zeit, wo soviel Leute ihr Glück machten, auch nicht der lezte hätte bleiben mögen, und nur nicht recht *) **)
P e t a v . Doctr. Tempor. T. II. p. 314. Ta c i t . Annal. L. XVI. c. 20.
¼1. Buch. 6. Brief½ E i n l e i t u n g
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mit sich selbst einig werden konnte, wie ers anfangen wollte. Der Mann, scheint es, hatte seine Stunden, wo er einen Anstoß von Philosophie, wie man’s nennen möchte, bekam, wo er Moral schwazte, den Verfall der alten guten Sitten beklagte, und große Lust zeigte, wenigstens für seine Person nicht mit dem Strome schwimmen zu wollen. Aber dann war er, auf der andern Seite, doch auch ein Mann nach der Mode, ein Liebhaber schöner Künste, schöner Mädchen, und anderer schönen Dinge; zuweilen, in Augenblicken von Ehrgeiz und Eitelkeit, fiel ihm auch wohl ein, daß einer seiner Vorfahren vor 500 Jahren Consul gewesen war, u. dergl. Wenn er dann in Häuser kam, wo alles von Gold und Elfenbein, prächtigem Hausgeräthe und Werken griechi-
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scher Kunst schimmerte; oder wenn er hörte, daß irgend ein Mensch von gestern her durch Speculation oder durch eine reiche Heyrath ein g r o ß e r M a n n geworden; oder wenn er einen, der wenigstens n i c h t b e s s e r w a r a l s e r , durch die Gunst des Volks zu irgend einer C u r u l i s c h e n Würde erhoben sah: so kam ihm auf einmal wieder vor, daß die Philosophie nur eine Närrin sey; es däuchte ihm dann doch gar schön, ein prächtiges Haus und Alles vollauf zu haben, so und so viel L i c t o r e n vor sich her treten zu sehen, und zwey Stufen höher als die übrige Welt in einem Lehnsessel von Elfenbein Audienz zu geben. Dies Hin- und Wiederschwanken zwischen diesen verschiednen Vorstellungsarten und Gemüthsstellungen gab nun dem guten Numicius den un-
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bestimmten Charakter eines Menschen, der selbst nicht recht weiß was er will, der in allem immer nur halb, und am Ende bloß darum unglücklich ist, weil er sich nicht entschließen kann, auf w e l c h e A r t er glücklich seyn wolle. Horaz erbarmte sich also seiner, und erwieß ihm die Ehre (die seiner Eitelkeit nicht wenig schmeicheln mußte) ihm eine kleine philosophische Lection zuzuschreiben, um ihn, wo möglich, zu überzeugen, daß man — was freylich die Menschen gewöhnlich nicht zu seyn pflegen — mit sich selbst einig seyn, irgend eine gewisse Parthey ergreiffen, und dann dabey bleiben, also das was man seyn will g a n z seyn, oder den Anspruch an Glückseligkeit mit dem an den Nahmen eines vernünftigen Wesens zugleich aufgeben müsse. Dies ist, däucht mich, der Schlüssel zu dieser Epistel; und so fällt das Anstößige weg, das aus dem moralischen Skepticismus, der darinn zu herrschen scheint, und bloße Sokratische I r o n i e ist, entstehen könnte. Horaz sagt nicht: es ist g l e i c h v i e l , ob du es mit der Philosophie des M i m n e r m u s , oder mit der Philosophie der E h r e n m ä n n e r ad Janum medium, oder mit den Leuten die
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alles was gleißt bewundern und haben möchten, oder mit denen hältst die ihren Kopf heiter und ihr Herz frey zu erhalten suchen: er sagt nur: Erkläre dich für Eins und bleibe dabey! Denn, besser du denkst und lebst nach dem Grundsaz, nach der Regel, die du ein für allemal geprüft und deiner eignen Natur angemessen befunden hast — als du urtheilst heute so, morgen wieder anders, bewunderst heute was du gestern verachtet, lässest dich morgen wieder reuen was du heute gethan, und kannst durch diesen ewigen Streit mit dir selbst zu keiner Ruhe, keinem Genuß des Lebens kommen. — Ich weiß nicht ob ich dem N u m i c i u s durch die Vorstellung, die ich mir von ihm mache, 10
unrecht thue: aber dieß weiß ich, daß es von solchen Numiciern, wie ich mir ihn denke, in der Welt wimmelt, und daß es also nicht am Horaz liegen wird, wenn niemand durch diese Epistel weiser werden sollte. * * *
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Das Erste, Freund, wo nicht das Einzige was glüklich machen und erhalten kann, ist Nichts bewundern. (1) Wenn es Leute giebt, die diese Sonne selbst, und diese Sterne, dies große Uhrwerk der Natur, wodurch die Zeiten sich in stetem Kreislauf drehen, gesezt und ohne Schaudern ansehn können: (2) Wie meynst du wird ein solcher Mann die Schätze der Erde und des Meers, ein Klümpchen Gold, ein Häufchen runder Perlen, oder wie den lauten Beyfall, Gauklern, Fechtern, Sängern im Circus oder Schauspiel zugeklatscht, und was der Ehrgeiz von der Volksgunst bettelt, (3)
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N i l a d m i r a r i prope res est una, Numici, solaque quae possit facere et servare beatum. Hunc solem et stellas et decedentia certis tempora momentis, sunt qui formidine nulla imbuti spectent: quid censes munera terrae, quid maris, extremos Arabas ditantis et Indos? Ludicra quid, plausus, et amici dona Quiritis?
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mit welchem Sinn, mit welchen Augen wird er dies alles ansehn? — Wer das Gegentheil von diesen Dingen fürchtet, und wer vor Begier sie zu besitzen brennt, bewundern beyde auf gleiche Weise; beyde quält die Furcht vor’m nemlichen Gespenst. Ob einer krank an Freude oder Unmuth ist, an Furcht sein Alles zu verliehren, oder an Verlangen nach dem geträumten Gut — was liegt daran, wenn was er über oder unter seiner Hofnung
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erblikt, ihm plözlich Muth und Lebensfreude entzieht, und ihn an Leib und Seele lähmt? Der Weise zieht den Namen eines Thoren sich zu, und Aristid wird ungerecht sobald er selbst die Tugend weiter treibt als recht ist. Geh mir nun, und lüstre Silber und Marmorbilder an von alter Kunst, bewundre mir Korinthische Gefäße, und seltne Gemmen und Sidon’sche Zeuge von hohenFarben! (4) Thu dir was darauf
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zu gut, daß tausend Augen wenn du sprichst Quo spectanda modo, quo sensu credis et ore? Qui timet his adversa, fere miratur eodem quo cupiens pacto: pavor est utrobique molestus, improvisa simul species exterret utrumque. Gaudeat an doleat, cupiat metuatne, quid ad rem, si, quicquid vidit melius peiusve sua spe defixis oculis animoque et corpore torpet? Insani sapiens nomen ferat, aequus iniqui, ultra quam satis est virtutem si petat ipsam. I nunc, argentum et marmor vetus, aeraque et artes suspice, cum gemmis Tyrios mirare colores! gaude quod spectant oculi te mille loquentem!
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auf dich geheftet sind? Sey stets der erste im F o r u m , und der Lezte der des Abends nach Hause geht, damit du ja das Unglück nicht erleben müssest, daß ein Kerl wie M u t u s , dir hinterm Rücken, eine reiche Erbin erschnappe, deren Geld ihn auf der Stelle zu deinem Bessern macht! Denn freylich wärs ganz unausstehlich, wenn ein solcher Mensch, von s o l c h e r Herkunft, einem Mann wie du 10
den Vorsprung abgewönne, und du Ihn b e w u n d e r n müßtest, nicht er Dich! — Wie schwach! Kannst du der Zeit verwehren, daß sie nicht ans Licht hervorzieh was izt noch mit Erde bedekt ist, und was izt im vollen Sonnenschein uns anglänzt einst in tieffem Schutt begrabe? Und wenn der Säulengang Agrippas und die Straße des Appius dich noch so gut gekannt, (5) am Ende must du doch dahin, wo Numa und Ancus. — Wenn ein körperlicher Schmerz
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dich peinigt, rufst du gleich den Arzt herbey, und suchst des Übels loß zu werden. Gut! Wer etwas will muß auch die Mittel wollen. Du möchtest glüklich seyn? Wer will das nicht? gnavus mane forum et vespertinus pete tectum, ne plus frumenti dotalibus emetat agris M u t u s , et (indignum, quod sit peioribus ortus!) hic tibi sit potius, quam tu mirabilis illi. Quicquid sub terra est, in apricum proferet aetas defodiet condetque nitentia. Cum bene notum
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Porticus A g r i p p a e et Via te conspexerit A p p ˆı ire tamen restat N u m a quo devenit et A n c u s . Si latus aut renes morbo tentantur acuto, quaere fugam morbi. Vis recte vivere? Quis non?
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Und wenn die Tugend nun, und sie allein, dich glüklich machen kann: wohlan! so laß es Ernst dir seyn, entschließe dich der Tugend dich ganz zu weyhn, und weg mit allen Üppigkeiten! Hältst du hingegen sie für einen bloßen Namen, wie einen heilgen Hayn für bloßes Holz: (6) dann alle Segel aufgespannt, der erste zu seyn, damit kein andrer früher komme die Cibyratischen und Bithynischen Geschäfte (7) dir vor dem Munde wegzufischen! Ruhe nicht bis du dir eine Million zusammengeründet hast; dann wieder eine, und dann noch die dritte! Kannst du sie quadriren um soviel besser! Geld ist Königin der Welt, schaft alles dir, ein reiches Weib, Kredit und Freunde, Schönheit, Adel, Alles! Die Überredung wohnt auf deinen Lippen, und Venus schmükt mit ihrem Gürtel dich. Der Kappadocier König ist an Sclaven reich und arm an Geld — wolltst du um diesen Preis ein König seyn? Lucullus, sagt man, sey einsmal gebeten worden, ob er nicht
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zu einem Schauspiel hundert Purpurröcke Si Virtus hoc una potest dare, fortis omissis hoc age deliciis! Virtutem verba putas ut lucum ligna? Cave, ne portus occupet alter, ne Cibyratica, ne Bithyna negocia perdas! Mille talenta rotundentur, totidem altera porro, tertia succedant et quae pars quadret acervum. Scilicet uxorem cum dote, fidemque et amicos et genus et formam regina pecunia donat, ac bene nummatum decorat Suadela Venusque. Mancipiis locuples eget aeris Cappadocum rex; ne fueris hic tu! Chlamydes Lucullus, ut aiunt, si posset centum scenae praebere rogatus,
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dem Prätor leyhen könnte. — Hundert? habe Lucull versezt, wie käm’ ich zu so vielen? Indessen will ich nachsehn lassen; was sich findet, steht zu Dienst. Nach einem Weilchen hab er zurükgeschrieben: es hätten sich Fünftausend Purpurröck’ in seinem Hause gefunden, und sie könnten nur so viel sie brauchten oder Alle hohlen lassen. So recht! Das ist ein armes Haus, das nicht von Sachen strozt wovon der Hausherr selbst nichts weiß, und die den Dieben nur zu statten kommen. Wenn also, wie gesagt, bloß Geld und Gut uns glüklich machen und erhalten kann: so laß dies deine erste Sorge beym Erwachen, und wenn du schlafen gehst die lezte seyn! Ists Gunst beym Volk, Befördrung, Ansehn, Rang: so kauffen wir uns einen Sclaven, der ganz Rom auswendig weiß, (8) und, wenn wir durch die Straßen gehn, uns in die Seiten bohrt, um über einen Karr’n voll Steine, oder zwischen emporgezognen Balken, Diesem bald bald Jenem Biedermann die Hand zu reichen: „ D e r dort vermag ein Großes in der F a b i s c h e n qui possum tot? ait: tamen et quaeram et quod habebo mittam. Post paullo scribit, sibi millia quinque esse domi chlamydum; partem, vel tolleret omnes. Exilis domus est ubi non et multa supersunt et dominum fallunt et prosunt furibus. Ergo, si res sola potest facere et servare beatum, hoc primus repetas opus, hoc postremus omittas. Si fortunatum species et gratia praestat, mercemur servum qui dictet nomina, laevum qui fodicet latus, et cogat trans pondera dextram porrigere: „hic multum in Fabia valet, ille Velina,
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D e r in der C l a u d i s c h e n Zunft; und D i e s e r hier Der giebt die Fasces wem er will und mag, und wem er übel will, der mache sich nur keine Hofnung zum Curulschen Throne!“ Nur allen Leuten freundlich zugenikt, und Bruder, Vater, wie’s das Alter giebt, hinzugethan! gleich jeden auf der Stelle frisch adoptiert! In einem Tragesessel von Elfenbein im Pomp zu Rath geschaukelt zu werden, lohnt sich schon der Mühe!
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Lebt aber der nur wohl der treflich ißt? Wohlan! Es tagt — auf! Wo der Gaum uns hinführt! Zur Jagd, zum Fischen! Machten wirs auch nur wie dort G a r g i l , der einen langen Zug von Jägersburschen, Eseln, Tüchern, Netzen und Knebelspießen morgens übern Markt, wo sichs am dichtsten drängte, ziehen ließ, damit der Pöbel gaffend früge, wem der Jagdzeug zugehör’, und sähe — wie ein einzig Maulthier, stolz auf seine Ladung,
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die baar gekaufte Sau nach Hause trug. (9) Mit Einem Wort, ist Fressenslust die Losung, nun dann, so wollen wir bey immer vollen Magen nie wieder aus dem warmen Bade kommen! cuilibet is fasces dabit, eripietque curule cui volet importunus ebur: f r a t e r , p a t e r adde, ut cuique est aetas, ita quemque facetus adopta. Si bene qui coenat bene vivit, lucet, eamus quo ducit gula, piscemur, venemur! Ut olim Gargilius, qui mane plagas, venabula, servos, differtum transire forum populumque iubebat, unus ut e multis populo spectante referret emtum mulus aprum. Crudi tumidique lavemur,
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Wir habens mit den Censorn einmal schon verdorben, sind, und sind es gerne, Ulyssens Schifsvolk, das des Vaterlandes uneingedenk, aus Circens Zauberbecher zum Vieh sich säuft, sich an den Sonngeweyhten Rindern zu Tode frißt, und aller Warnung lacht. Ist endlich, wie Mimnerm, der Dichter, meynt kein glüklich Leben ohne Scherz und Liebe, (10) so leb in Scherz und Liebe! — Und hiemit 10
gehab dich wohl. — Weißt du was Besseres, so theil mirs unverhohlen mit: wo nicht, so reicht wohl dieses für uns beyde zu. quid deceat quid non obliti, Caerite cera digni, remigium vitiosum Ithacensis Ulyssei, cui potior patria fuit interdicta voluptas. Si, M i m n e r m u s uti censet, sine amore iocisque nil est iucundum, vivas in amore iocisque! Vive, vale! Si quid novisti rectius istis, candidus imperti: si non, his utere mecum!
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* * *
Erläuterungen. (1) Die gelehrte Schazkammer des L a m b i n u s könnte mich zur Erläuterung dieses Briefs mit einem schönen Vorrath versehen. Seine Belesenheit oder seine Collectaneen lassen ihn nicht leicht im Stich, wenn dem Horaz ein Wort oder Spruch entfährt, wobey ihm eine ähnliche oder unähnliche Stelle aus irgend einem Griechischen Philosophen oder Dichter einfällt. Sein sey also alle Ehre, die mir aus folgender Citation des P y t h a g o r a s und P l a t o hätte erwachsen können — und die Anwendung davon das einzige was ich mir 30
vorbehalte. Pythagoras nämlich soll (wie Plutarch in seinem Tractat peri akoyein &c. versichert) gesagt haben, er hätte dies der Philosophie zu dan-
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ken, d a ß e r n i c h t s b e w u n d r e . Plato hingegen, der Gott der Philosophen, wie ihn Cicero nennt, sagt in seinem T h e ä t e t u s mit klaren Worten: E s s e y k e i n e P h i l o s o p h i s c h e r e L e i d e n s c h a f t a l s B e w u n d e r n ; denn von Bewundern fange alle Philosophie an. Wie reimt sich nun dies zusammen? — Sehr gut, däucht mich. Es ist klar, daß sich die beyden Philosophen n i c h t widersprechen. Der eine f ä n g t mit Bewundern a n , der andre h ö r t mit Nichtbewundern a u f . Jenen reizt die Bewunderung den Gegenstand zu betrachten, zu untersuchen, zu ergründen; und sobald er ihn genau kennt, und begreift w i e und w a r u m das Ding s o ist wie es ist, so begreift er, daß es, w e n n e s s e y n s o l l t e , gerade s o seyn m ü ß t e . Während dieser Operation
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stirbt die Bewundrung ab — gerade wie die Leidenschaft eines Liebhabers ersterben würde, wenn man ihm seine Schöne vorzergliederte — und da ist nun der ehmalige Bewunderer auf dem nemlichen Puncte, wo Pythagoras am Ende seines Philosophierens war. Das einzige was man diesem lezterm (weil doch das Aytow efa bey uns nicht mehr gilt) zum Vorwurf machen könnte, ist: daß er die Grenzen s e i n e r K e n n t n i s s e zu den Grenzen der N a t u r und K u n s t zu machen scheint: Denn diese hatten doch wohl keine Schuld daran, wenn ihm am Ende seines Lebens nichts mehr zu bewundern übrig blieb. — Doch, es wäre nicht artig, wann wir länger mit einem Worte spielen wollten, um Citationen und Gelehrsamkeit auszukramen. Wenn Plato das Bewundern
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(to uaymazein) einen Philosophischen Affect nennt, so denkt er was ganz anders dabey als Horaz wenn er das N i c h t b e w u n d e r n zur Bedingung der Glükseligkeit macht. Die P l a t o n i s c h e B e w u n d e r u n g ist, wie die P l a t o n i s c h e L i e b e , eine Leidenschaft, die sich weder lehren noch auf andre Weise mittheilen läßt. Man muß von der Natur ausdrüklich d a z u o r g a n i s i e r t und gestimmt seyn: und nur sehr wenige Sterbliche sind so glüklich organisiert und so rein gestimmt. Die Bewundrung hingegen, die uns Horaz verbietet und wovon uns die Weisheit heilt, ist die Leidenschaft, womit Kinder, und alle Menschen ohne Ausnahme die am Verstande Kinder geblieben sind, ihrer Unwissenheit und Sinnlichkeit wegen, Alles anstaunen was glänzt, und bunt und ungewöhnlich oder sonst in ihren Augen herrlich und begehrenswerth ist: und da diese Leidenschaft bey ihnen nicht etwa den edeln Trieb die Sache philosophisch zu u n t e r s u c h e n , sondern bloß eine heftige Begierde sie zu besitzen erzeugt: so ist klar, daß N i c h t s b e w u n d e r n für die Gemüthsruhe und Zufriedenheit eines Menschen eine sehr erspriesliche Sache,
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und vorausgesezt daß es die reiffe Frucht der Weisheit, und nicht bloße mechanische Würkung von Dumpfheit oder Gefühllosigkeit sey, wenigstens in den Jahren des Schreibers dieser Epistel und seines Übersetzers, ein sehr wünschenswürdiger Zustand ist. Übrigens bemerke ich nur noch im Vorbeygehen, daß in einem noch höhern und philosophischern Sinn — den unser Dichter hier besonders im Auge zu haben scheint — N i c h t s b e w u n d e r n eine Grundlehre der A r i s t i p p i s c h e n Philosophie ist, die (wie beym ersten Briefe schon gezeigt worden) die Glückseligkeit des Weisen in der Unabhängligkeit der Seele sucht, und also 10
eine erklärte Gegnerin aller Leidenschaften ist, wodurch irgend einem Gegenstand u n b e s t i m m t e G e w a l t über uns eingeräumt wird. (2) Die aberglaubische Furcht vor den Gestirnen, vor Sonnen- und Mondsfinsternissen, und vor jedem nicht ganz gewöhnlichen Meteor, war eine Krankheit der Einbildung, womit alle alten Völker, und die Römer so sehr als die rohesten Barbaren, behaftet waren, und worinn sie durch die Religion des Staats selbst, aus politischen Ursachen, unterhalten wurden. Denn bey den Griechen und Römern war es gar keine Frage: ob es erlaubt sey das Volk zu seinem eignen Besten zu hintergehen; und sie würden sich begnügt haben, dem der diese Frage aufgeworfen hätte mit der Gegenfrage zu antworten: ob
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es erlaubt sey, den Rand eines Arzneybechers für Kinder mit Honig zu bestreichen? — Die Römischen Geschichtschreiber sind, bekanntermaßen, voll von Beyspielen dieser aberglaubischen Denkart ihrer Nation. Noch in Augusts Zeiten, wo die Irreligion unter einer gewissen Classe vielleicht so gemein war als in der Unsrigen, herrschte gleichwohl der Aberglaube unter dem großen Haufen mehr als jemals, und August selbst war nicht frey von den lächerlichsten Symptomen dieser Schwachheit *). Ein Komet, eine Sonnenfinsterniß, ein Ring um die Sonne, eine leuchtende Kugel die durch die Luft fuhr, war genug das ganze Volk in zitternde Erwartung irgend eines großen Unglücks zu setzen. Die Philosophen, welche durch Physische und Astronomische Kenntnisse
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von diesen eingebildeten Übeln frey waren, wurden, wie noch immer geschieht, von den guten Seelen, die im glauben lieber zuviel als zu wenig thun wollen, für Leute die keine Religion hätten angesehen. Aber Horaz dachte *)
Wenn ihm sein Kammerdiener des Morgens den rechten Fuß von ungefehr in den linken
Schuh sezte, hielte ers für ein sehr böses Anzeichen (ut d i r u m ) S u e t o n . in Aug. c. 92.
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wohl wenig daran, ihnen deßwegen, wie Torrentius meynt, hier einen Stich geben zu wollen. Er schließt bloß ad hominem, vom Großen aufs Kleine: einem Manne, der die Sonne selbst, eine so mächtige und furchtbare Gottheit in den Augen der meisten Erdebewohner! mit kaltblütiger Ruhe beobachten kann — wie klein und kindisch müssen dem die Gegenstände der heftigsten menschlichen Leidenschaften vorkommen? Mit welcher Gleichgültigkeit wird er einen Klumpen Goldes, eine in schimmernde Steinchen gefaßte und mit großen Perlen behangene M e t e l l a , oder den Beyfall des Volks, der einem Gladiator, einem Gaukler, eben so laut als dem verdienstvollesten Manne zugeklatscht wird, ansehen?
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(3) Ungeachtet bekannt genug ist, daß August bey der großen Veränderung, die er in der Verfassung des Römischen Staats machte, die ganze Fassade des alten Republicanischen Gebäudes stehen ließe: so muß es doch als etwas sonderbares auffallen, daß Horaz in diesem Briefe überall, wo er die politische Verfassung Roms berührt, gerade so davon spricht als ob er ein halbes Jahrhundert früher gelebt hätte. Die höchsten Ehrenstellen im Staat heissen ihm amici dona Quiritis, alles kömmt auf die Vo l k s g u n s t an, und der gemeinste Bürger ist noch von solcher Wichtigkeit, daß dieser oder jener, den man nicht dafür ansehen sollte, die Mehrheit der Stimmen in den Z u n f t - C o m i t i e n auf welche Seite er will lenken kann — Cuilibet is fasces dabit. Von K a y s e r
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August und seinem Allesüberwiegenden Ansehen und Einfluß ist so wenig die Rede, als ob damals gar kein solcher Mann existiert hätte. Mich wundert, daß diese anscheinende Unfüglichkeit keinem Ausleger bemerkenswerth geschienen hat. Mir ist sie stark genug aufgefallen, um der wahrscheinlichen Ursache nachzuforschen; und ich glaube, der Knoten löse sich, durch folgende Darstellung der öffentlichen Angelegenheiten in den Zeiten da dieser Brief geschrieben wurde, auf eine sehr befriedigende Weise auf. O c t a v i a n u s hatte, nachdem er durch den Tod des Antonius zum ruhigen Besitz der vollen Avtokratie im Römischen Reiche gelangt war, einem Plan zufolge, den der Abbe d e l a B l e t e r i e in seinen bekannten Dissertationen sehr gut entwickelt hat *) dem Senat und dem Volke alle von ihm empfangne Triumviralische Gewalt zurückgegeben, und die Römer dadurch, dem Schein nach, oder auf einen *)
V. Memoir. de Litterat. T. XXXI. p. 234. seq. und die ganze Folge von Abhandlungen über
die Gewalt der Kayser in verschiednen folgenden Theilen dieser Sammlung.
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Augenblick wenigstens, in den vollständigen Besiz ihrer alten Freyheit zurückgesezt. Nun machte zwar der Senat, dessen größter Theil aus Geschöpfen seiner eignen Hand bestund, und das Volk, welches von einer ganz schwärmerischen Leidenschaft für ihn besessen war, keinen andern Gebrauch von dieser Freyheit, als daß sie ihm Alles was er ihnen s o g r o ß m ü t h i g g e s c h e n k t hatte auf Einmal wiedergeben wollten. Octavianus aber, oder, wie er nun hieß, A u g u s t u s , zu vorsichtig die monarchische Gewalt, den eifrigsten Wunsch seines Herzens, auf einen so sandigen Grund zu bauen, hielt es für sichrer, sich alle Zweige derselben nach und nach wieder geben zu lassen; und nahm 10
damals, nach langem Wiederstande, außer der Tribunizischen die er schon hatte, nur die Consularische Gewalt (wie gewöhnlich) auf ein Jahr, und die Oberfeldherrn-Stelle auf zehn Jahre an: mit dem ausdrüklichen Vorbehalt, solche noch eher niederzulegen, wenn die ihm zugetheilten Provinzen in kürzerer Zeit vollkommen beruhigt werden könnten. Seit dieser Zeit schien nun alles wieder in Rom seinen gesezmäßigen Gang zu gehen: der Senat in sein altes Ansehen, das Volk in alle seine hohen Vorrechte wieder eingesezt. Das leztere hielt seine Comitia wie in den Zeiten der Scipionen und Emile, wählte Zunftmeister, Aedilen, Prätoren und Consuln; kurz, die Römer wähnten noch immer Römer zu seyn, und sahen in A u g u s t , der hinter der Scene alle Faden
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des ganzen Puppenspiels in der Hand hatte, nur den Schuzgott ihrer Freyheit, den Wiederhersteller des Friedens und der allgemeinen Glückseligkeit. Aber konnte der furchtsame August — bey allen seinen Kunstgriffen die Augen der Römer so zu bezaubern, daß sie nicht sehen w o l l t e n was sie sogar mit Händen greiffen konnten — konnte er hoffen, daß eine so grobe Illusion von langer Dauer seyn werde? Daß seine M i t b ü r g e r nicht übernacht nüchtern genug werden könnten, um zu merken, daß ein Mann, der die Würden eines F ü r s t e n d e s S e n a t s , eines O b e r z u n f t m e i s t e r s , eines C o n s u l s , und eines O b e r f e l d h e r r n m i t u n b e s c h r ä n k t e r G e w a l t , in seiner Person vereinigte, alles im Staat könne was er wolle; daß die Republik ein bloßer Nahme,
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und der Sohn des R a t h s h e r r n C . O c t a v i u s und der Dame A t i a , ohne den Nahmen eines Königs, im Grunde so gut König über Rom, Italien, und das ganze Reich sey, als der König von Kappadocien über seine Sclaven? Eine solche Bemerkung, wenn sie bey abgekühltem Blute von dem größern Theile der Römer gemacht worden wäre, konnte gefährlich werden. August mußte also einen neuen Schritt thun, neue Blendwerke machen, um die Illusion zu
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verstärken; und wenn ers gar soweit bringen könnte, daß die Römer durch neue Erfahrungen fühlbar überzeugt würden, daß die alte Freyheit ihrer Vorfahren kein Gut mehr für sie sey, und daß es also immer noch am besten gethan sey, die gemeine Wohlfahrt einem so guten und weisen Regenten, wie August sich seit dem Ende des Triumvirats bewiesen hatte, gänzlich anzuvertrauen: so glaubte er (und betrog sich nicht in seiner Meynung) daß sogar eine noch ausgedehntere und unumschränktere Gewalt, als diejenige in deren Besiz er schon war, nichts verhaßtes mehr haben würde. Zu diesem Ende dankte August, im Jahre 731, das Consulat, welches er nun 9 Jahre hinter einander geführt hatte, feyerlichst ab; und so groß war noch immer der Begrif den die
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Römer mit dem Namen eines Consuls verbanden, daß August durch die Ablegung dieser Würde, ungeachtet er noch unter vielen andern Titeln Meister von der Republik blieb, in ihren Augen in den Privatstand zurückgetreten war. Zwar überfiel bald darauf, bey der großen Noth in welcher die Stadt durch Epidemische Seuchen, Ergießung der Tyber und Mangel an Lebensmitteln gesezt wurde, die Römer eine große Reue, daß sie diese Abdankung angenommen hatten; und zu Vergütung der Sünde, die sie dadurch an dem göttlichen August begangen zu haben glaubten, wollten sie ihm die höchste Würde eines immerwährenden Dictators mit Gewalt aufdringen. Aber August erinnerte sich an das Schicksal seines Groß-Oheims, und lehnte diese Würkungen einer
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unmäßigen momentanen Aufwallung auf eine solche Art von sich ab, die ihn noch immer mehr zum Abgott des Volks machen mußte. Er konnte (und w o l l t e auch gewißlich nicht!) die Entschädigung nicht auch von sich weisen, die ihm das Volk dafür aufzwang: aber, um ihnen zu zeigen, wie sehr es sein Ernst sey, die Freyheit der Republik durch alle die Vorrechte, womit man ihn überhäuft hatte, nicht zu beschränken, entfernte er sich im Jahre 732, unter einem scheinbaren Vorwand, aus Italien, und brachte beynahe drey Jahre in Sicilien, Griechenland und Asien zu, die Majestät des Römischen Namens in den Provinzen dieses weitläufigen Reichs und unter den auswärtigen Nationen auf eine Art zu behaupten, die zu gleicher Zeit seinen Ruhm befestigte, und der Welt darüber, wer eigentlich ihr Beherrscher sey, keinen Zweifel übrig ließ. Diese drey Jahre, da die Stadt Rom seiner Gegenwart beraubt und gleichsam sich selbst überlassen war, können in gewissem Sinne als die lezten angesehen werden, worinn die Römer der Illusion noch frey zu seyn würklich genossen; und wo ein Ausländer, der, ohne von der wahren Lage der Sachen unterrichtet
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zu seyn, in diese Hauptstadt der Welt gekommen wäre, wenig oder nichts von der Veränderung, die seit 25 Jahren mit ihr vorgegangen, hätte gewahr werden können. August selbst hatte seine geheime Absicht, warum er sie in diesem berauschenden Freyheitswahne nicht stören wollte; und sein ganzes Betragen in Rüksicht auf die innern Angelegenheiten Roms während dieser langen Abwesenheit *), würde unerklärbar seyn, wenn man nicht annähme, daß er die Römer bloß deswegen sich selbst überlassen habe, um ihnen zu zeigen, wie wenig sie seiner entbehren könnten. Der Erfolg rechtfertigte die Politik seines Betragens; und er erreichte seine Absicht, ohne daß er sich die mindeste Be10
wegung dabey zu geben schien, aufs vollständigste. Die Römer, die schon zu lange verlernt hatten durch den bloßen Respect der Gesetze in Schranken gehalten zu werden, bedienten sich der Freyheit der Comitial-Versammlungen und des Wahlrechts ihrer höchsten Obrigkeiten auf eine so übermüthige und tumultuarische Art, daß die Stadt in Factionen getheilt und mehr als einmal durch gewaltsame Ausbrüche in Gefahr gesezt wurde. Aber so groß war in diesen Augenblicken die Täuschung des Freyheitswahns: daß ein gewisser E g n a t i u s F l a c c u s , durch die bloße Gunst in die er sich als Aedilis beym Volke gesezt, gegen alle Ordnung die Prätur erhalten hatte, und unmittelbar nach Verfluß derselben durch eben dieses Mittel das Consulat an sich zu
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reißen suchte, ohne sich um die Folgen der aufrührischen Scenen, die er dadurch veranlaßte, zu bekümmern — daß der damalige Consul S e n t i u s S a t u r n i n u s , der sich diesen widergesezlichen Anmaßungen mit einer Standhaftigkeit und einem Ernst, die der alten Zeiten würdig waren **) entgegen sezte, kein Bedenken trug öffentlich zu erklären: wenn Egnatius auch vom Volk erwählt würde, so werde er doch nie dahin gebracht werden die Wahl für gültig zu erkennen und anzuzeigen — daß eben dieser Saturninus die Candidaten zur Q u ä s t u r , die er als unwürdig ausgeschlossen hatte, und die, ohne sich daran zu kehren, in ihren Bewerbungen beym Volke eifrig fortfuhren, ganz im Ton eines alt-Römischen Oberhaupts der Republik, mit den Strafen
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wozu ihm das Consulat die Macht gebe (consulari vindicta) bedrohte — und daß der Senat, als es mit den Egnatianischen Unruhen ernsthafter zu werden
*)
L a B l é t e r i e III. Memoire sur la Nature du Gouvernement Romain &c. au Tom. XL. des
M e m o i r . d e L i t t e r . p. 233. seq. **)
Ve l l e j . L. II. c. 92.
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anfieng, dem Saturninus den Alt-Republikanischen Auftrag: videret Consul ne quid Respublica detrimenti capiat, machte, wodurch ihm eine ausserordentliche Gewalt übertragen wurde, die keine andre Grenzen hatte als sein eignes Urtheil über das was zum Heil des Staats nothwendig sey. Diese Facta beweisen, däucht mich, sehr einleuchtend, daß weder das Volk, noch Egnatius, noch Saturninus, noch der Senat, in den Augenblicken, da sie so handelten, sich erinnerten, daß sie einen O b e r h e r r n hätten. — Die Illusion konnte zwar, nach so heftigen Convulsionen, nicht lange mehr dauren: aber genug, sie hatte doch etliche Jahre gedauert; und, da der gegenwärtige Brief, nach Bentleys sehr wahrscheinlicher Berechnung, nicht vor dem Jahre 735 ge-
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schrieben ist: so erläutert sich durch das bisher gesagte, warum Horaz von den allvermögenden Würkungen der Volksgunst und von der Art die höchsten Ehrenstellen zu brigiren, in einem Tone spricht, der nur wenige Jahre später nicht mehr schiklich gewesen seyn würde. Damals, da er so sprach, paßten seine Ausdrücke sehr gut zu dem was vor seinen Augen geschah: und es sey nun daß er selbst durch das Blendwerk von Freyheit, womit August die Römer zur Vollendung seines ehrgeizigen Plans anköderte, hintergangen worden: oder (welches eher zu glauben ist) daß er scharfsinnig genug gewesen, den leisen und geheimen Gang dieses Meisters in den schlauesten Wendungen der Staatskunst von ferne zu wittern: so war, in beyden Fällen, die Art wie er sich
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ausdrükte, für den Augenblik schiklich — welches alles ist, was ich mit dieser historischen Erläuterung beweisen wollte. (4) Horaz faßt hier alles zusammen, worauf die Reichen damals am meisten erpicht waren. Ihre Pracht und Verschwendung in kostbarem Silbergeschirr übersteigt beynahe die Einbildungskraft. Ein Paar Jahrhunderte zuvor war noch so wenig Silber in Rom, daß die vornehmen Leute einander ihr Silbergeschirr liehen, wenn ein großes Gastmal auszurichten war. Die Römer leben doch recht vertraulich unter einander, sagten einsmal die Gesandten von Karthago: wir haben nach und nach in ganz Rom herum gespeißt, und überall auf dem nämlichen Silber *). Aber seitdem S c i p i o A f r i c a n u s die Beute von Karthago und Numantia, und L u c i u s S c i p i o die Schätze Antiochus des Großen nach Rom gebracht, hatten sich die Sachen sehr geändert: und man sah izt mehr Silber und Gold auf der Tafel und den Schenktischen eines einzigen *)
P l i n . Hist. Nat. L. XXXIII. c. II.
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vornehmen Römers, als ehmals in der ganzen Republik aufzutreiben gewesen wäre. Man wetteyferte nun, es einander an Schönheit der Stücke zuvor zu thun, und man gieng endlich so weit: daß an Werken eines A k r a g a s oder M y s , auch nachdem die Zeit beynahe alle Spur des Meissels daran ausgelöscht hatte, der bloße Name des Künstlers mit schwerem Gelde bezahlt wurde. Schon L . C r a s s u s , der berühmte Redner, hatte silberne Gefäße wovon ihn das Pfund Hundert und sechs und sechzig Thaler kostete, und ein Paar von dem Künstler M e n t o r gearbeitete Becher, die er mit mehr als Viertausend Thlr. bezahlt hatte. Etwas später wurden zween Becher mit erhabnen Figuren, 10
von der Arbeit des Z o p i r u s , um Fünftausend Thaler verkauft. Auch in der G r ö ß e der Gefäße stieg die Pracht immer weiter, bis D r u s i l l a n u s R o t u n d u s , ein Leibeigner des Claudius, den Übermuth so weit trieb, eine Schüssel von 500 Pfund, und noch acht Kleine, jede von funfzig Pfund, gießen zu lassen, zu deren Verfertigung eine eigne Werkstatt erbaut werden mußte. Noch höher als Gold selbst wurden die Trinkgeschirre und andre Gefäße geschäzt, die aus dem sogenannten K o r i n t h i s c h e n Erzt von berühmten alten Meistern verfertigt waren: und die Eleganten Herren dieser Zeit wußten sich sehr viel auf die Feinheit ihres Geschmaks in Unterscheidung des Alters und der Ächtheit solcher Stücke, und der Hand des Meisters dem sie zugeschrieben wurden,
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wiewohl ihre Einbildung das meiste dabey that. *) — Die Leidenschaft der Römer, für geschnittne Steine, Trinkgeschirre aus Onyx mit erhobnen Bildern, Juwelen und Perlen u. s. w. schrieb sich von den Zeiten her, da Pompejus seinen Triumf über den Mithridates hielt, und stieg in kurzem auf eben den Grad von Ausschweiffung wie alle übrige Zweige ihres ungeheuren Luxus. Man mußte g o l d n e B e t t e n u n d e i n e n e d e l s t e i n e r n e n H a u s r a t h (wie S e n e c a sich ausdrukt **)) haben, um sich über das Gewöhnliche zu erheben. Unter den kostbarsten Trinkgeschirren, die in diesen Zeiten Mode waren, findet man auch häufig einer Gattung erwähnt, welche sie Murrhina nannten, und die man, bey dem wenig befriedigenden Bericht, den P l i n i u s davon
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giebt, nicht ohne Wahrscheinlichkeit mit dem gelehrten S a u m a i s e * * * ) für *)
Mihi major pars eorum simulare eam scientiam videtur ad segregandos se a caeteris
magis, quam intelligere aliquid ibi subtilius, Plin. L. XXXIV. c. 2. Wie es noch immer zu gehen pflegt! **) ***)
Ep. 110. Exercit. Plinian. p. 144. conf. M a r i e t t e Recueil des Pierres grav. du Cab. du Roi p. 218.
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eine Art von Porcellan halten könnte. Denn daß die Römer sie aus den entferntesten Morgenländern zogen, sagt Plinius selbst, und dies ist das einzige Begreifliche was er davon sagt. Daß aber diese M u r r h i n a dem Golde an Werth vorgiengen, ist außer Zweifel. P e t r o n i u s A r b i t e r , als er vom Nero genöthiget wurde aus der Welt zu gehen, zerbrach vorher, um den Tyrannen des schönsten Stüks seiner Verlassenschaft zu berauben, eine große Vase von dieser Art (trullam murrhinam) welche über 12000 Thaler gekostet hatte. — Alles dies machte nun freylich einen ungeheuren Contrast mit jenen Zeiten, wo die Ersten Männer im Staat noch aus Schüsseln von Campanischer Töpferarbeit assen; wo der Consul, A e l i u s C a t u s , das Silbergeschirr, das
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ihm die Gesandten der Ätolier (die ihn bey irdnen Schüsseln angetroffen) zum Geschenke machen wollten, wieder zurükschikte; und wo ein S c i p i o A f r i c a n u s selbst, der bey seinem Triumf über Karthago 470000 Pfund Silbers ins Capitolium eingeführt hatte, nicht mehr als 32 Pfund an Silbergeschirr hinterließ *), — und doch, nach damaligem Maasstab, als ein reicher Mann starb. (5) M . V i p s a n i u s A g r i p p a , der Mann, dem August seine Größe zu danken hatte, und der durch seine Vermählung mit dessen Tochter Julia der zweyte in Rom wurde — ein Mann von niedriger Herkunft, aber von desto größrer Seele, und, nach Seneca’s Urtheil, **) unter allen die durch die Bürgerlichen
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Kriege mächtig geworden der einzige, der es zum Glük des Staats war. — Dieser Agrippa, verherrlichte die Stadt Rom durch eine Menge großer Denkmäler, mehr als Jemand vor oder nach ihm gethan hat, wie der angeführte Schriftsteller sagt. ***) Wenn August sich rühmen konnte, daß er aus dem hölzernen Rom ein Marmornes gemacht habe, so hatte Agrippa wohl das meiste dazu beygetragen. Der P o r t i c u s dessen Horaz hier erwähnt ist vermuthlich die prächtige Halle, womit Agrippa das von ihm im Jahr 727 erbaute P a n t h e o n , eines der herrlichsten Werke des alten Roms, auszierte. Diese Halle und die dazu gehörige Area, war, wie es scheint, damals der öffentliche Ort, wo die große Welt in Rom am gewöhnlichsten beysammen gesehen wurde: so wie die Via Appia die Straße war, wo man sie am häuffigsten fahren sah; *)
P l i n . XXXIII. 11.
**) ***)
Ep. 94. De Benefic. 32. Denn von dem Göttergleichen Werke, dem C o l o s s e u m , konnte Seneca
noch nichts wissen.
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vermuthlich, weil sie die schönste und breiteste aller Römischen Straßen war, und weil die meisten Großen ihre Landgüter in Campanien hatten, wohin sie führte. (6) Virtutem verba putas ut lucum ligna? Mich dünkt, es ist sehr klar, daß Horaz hier auf die Vorstellungsart der damaligen Freygeister ziele, denen ein alter den Göttern geweyhter Hayn (Lucus) weiter nichts als Bäume d. i. ein Wald wie ein andrer Wald, war; wiewohl religiose Personen den Begriff von Etwas Göttlichem damit verbanden, und daher nicht anders als mit Schaudern in das heilige Dunkel eines solchen Hayns traten, der seiner Unverlez10
lichkeit wegen, natürlicher weise, verwachsner, kühler, finstrer, als ein gemeiner Wald, und also sehr geschikt war, das schauderliche Gefühl zu erregen, welches der geheimen Gegenwart einer Gottheit beygemessen wurde. — Horaz sezt (glaube ich,) diese beyden Prädicate, die Tugend für einen bloßen Namen und einen Hayn für bloßes Holz halten, gerade deßwegen zusammen: weil, ordentlicher Weise, derjenige der nicht an die Tugend auch nicht an die Religion glaubt: wer aber an beydes nicht glaubt, muß entweder ein sehr übel zusammenhängender Mensch seyn, oder er kann kein höheres Gut kennen als den Reichthum, der ihm alles übrige giebt was einen Werth in seinen Augen hat. Dies ists was Horaz sagen will, und womit er, glaube ich, sehr viel gesagt
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hat. (7) Was Horaz unter diesen C i b y r a t i s c h e n und B i t h y n i s c h e n Geschäften (Negocia) eigentlich verstanden, darüber lassen uns seine Ausleger ziemlich im dunkeln. Von der Stadt Cibyra hat zwar der Abt B e l l e y eine eigne Abhandlung geschrieben *); es ist ihm aber darinn bloß um die Erklärung einiger Cibyratischen Münzen zu thun; und er hat sich dieser Stelle unsers Dichters gar nicht dabey erinnert. Diese Stadt welche schon lange zuvor, eh sie unter die Römische Oberherrschaft kam, sehr ansehnlich gewesen war, wurde es noch mehr, weil sie zum gewöhnlichsten Sitz eines Diöcesan- oder Landgerichts über 25 Städte, unter denen Laodicea die vornehmste war, ge-
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macht wurde. Der Abt Belley läßt den S t r a b o * * ) sagen, daß sie große Einkünfte aus ihren Eisenbergwerken gezogen habe; Strabo sagt aber kein Wort mehr als: Die Stadt Cibyra habe den Vorzug, daß die feinsten ausgestochnen *)
S. Memoir. de Litterature Tome XXXIX. p. 378. seq.
**)
Am Ende des 13ten Buchs seiner Erdbeschreibung.
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Arbeiten * ) in Eisen sehr gut dazu gemacht wurden. Einer von den Gästen in des A t h e n ä u s Sophistengastmal erwähnt auch der Cibyratischen S c h i n k e n , die, wie er sagt den G a l l i s c h e n nichts nachgeben — und auch dies ist für den Abt Belley schon hinlänglich, uns zu versichern, daß die Stadt Cibyra ein commerce c o n s i d e r a b l e mit Schinken getrieben habe. Wenn es aber auch nicht so considerabel gewesen wäre, so bleibt immer wahrscheinlich, daß Cibyra eine der ansehnlichsten Handelsstädte in demjenigen Theil von Klein-Asien gewesen, der damals vorzugsweise die P r o v i n z A s i e n hieß, und, nebst B i t h y n i e n , zu den Provinzen gehörte, deren Verwaltung Augustus dem Senat überlassen hatte, und die daher die Senatorischen hießen.
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Diese beyden Provinzen, machten einen beträchtlichen Theil des kleinen Asiens aus, und die zum Bithynischen Gouvernement gehörigen Städte, Chalcedon, Apamea, Astacus, Prusa, Nikomedia, Olbia, Heraklea, Amastris, Cimolis, Sinope, welche alle theils an dem Thrazischen Bosporus theils an dem Pontus Euxinus lagen, waren eben so viele Handelsplätze, durch deren Hände der große Handlungszweig gieng, der in diesen Zeiten auf dem schwarzen Meere getrieben wurde. Hier war also ein weites Feld für die Speculationen der Römischen Ritter, und übrigen Entreprenneurs, welche sich dadurch bereicherten, daß sie die Staatseinkünfte in den Provinzen pachteten, die öffentlichen Werke in Accord nahmen, und die Gegenstände der unermeßlichen
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Bedürfnisse der Stadt Rom aus allen Gegenden der Welt zusammenschleppten. (8) Ein Sclave, der das wundervolle Talent hatte, in einer Stadt wie Rom alle Leute mit Namen nennen zu können, hieß ein Nomenclator, und war ein sehr unentbehrliches Hausrathstück im Hause eines vornehmen Römers, dem an Volksgunst etwas gelegen war. Denn weil die Candidaten sich auch den gemeinsten Bürgern persönlich empfehlen, sie freundlich bey der Hand nehmen und mit ihrem Nahmen anreden mußten: so war es, bey den Spaziergängen die ein Candidat zu solchem Ende zu machen hatte, unumgänglich nothwendig, einen Nomenclator an der Seite zu haben, der ihm in die Ohren raunte, wie der Zimmermeister oder Steinmetz, oder was es sonst war, hieß, den er um seine Stimme begrüßen wollte, und der sich dann natürlicher Weise *)
To ton sidhron toreyeuai radivw, ferrum c a e l a r i facile, nicht tornari, wie der lat. Über-
setzer sagt.
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sehr dadurch beehrt fand, einem so vornehmen Herrn so wohl bekannt zu seyn. Aber dies war nicht das einzige Amt der Nomenclatoren: denn ich sehe aus dem Seneca *), daß die damaligen Großen in Rom ihre Dienste auch vonnöthen hatten, wenn ihnen etwa einfiel wissen zu wollen, wie dieser oder jener unter der Menge, die in ihrem Vorzimmer aufwarteten, hieße; daß sie ordentliche Register über die F r e u n d e und Clienten ihres Herrn halten mußten, und daß es zuweilen dem Nomenclator überlassen wurde wer zu Tische gebeten werden sollte. In diesen Zeiten war der Luxus so hoch gestiegen, daß eine gewisse Art von übermüthigen Schlemmern sogar Nomenclatoren bey 10
Gastmälern hatten, welche den Gästen die Schüsseln nennen, und was dabey merkwürdig war vordocieren mußten **). Die allerseltsamste Art von Nomenclatoren aber waren unstreitig diejenigen, die sich zu Seneca’s Zeiten ein gewisser C a l v i s i u s S a b i n u s hielt. Der Mann war, wie damals und noch izt so viele seiner Art, per fas et nefas mächtig reich geworden; und da er nun, Kraft seiner O p u l e n z , zu den Leuten gehörte bey denen man eine gewisse Erziehung voraussetzt, und die bey Gelegenheit zeigen müssen daß sie g e l e s e n haben: so kaufte er sich, um kurz aus der Sache zu kommen, eine Anzahl griechischer Sclaven, wovon der eine seinen Homer, ein andrer seinen Hesiodus, neun andre die neun Lyrischen Dichter, kurz jeder seinen eignen Autor
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auswendig gelernt haben mußte. Von dem Tage an, da Calvisius diese lebendige Bibliothek beysammen hatte, war es, sagt Seneca, vor lauter Litteratur gar nicht mehr an seiner Tafel auszuhalten. Indessen bewunderte man doch seine Sclaven. Das denke ich wohl, sagte Calvisius: das Stück kostet mich aber auch viertausend Thaler schwer Geld! Kurz, der Mann hatte in seinem Kopfe, weil die Sclaven sein wären, so sey auch alles was sie wüßten sein, und war sehr glücklich durch die Meynung, daß er sich nun, was die Litterarischen Kenntnisse betreffe, vor keinem reichen Manne in ganz Rom fürchten dürfe ***). (9) Diese kleine Abschweifung scheint auf eine komische Scene anzuspielen,
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die der Praler Gargil damals eben dem Publico zum besten gegeben haben *)
Epist. 19. it. de Benef. L. VI. c. 33.
**)
Plinius erwähnt einer großen Art Austern, die der Nomenclator eines gewissen Bon-Vivant
mit Tr i d a c n a ausgerufen hätte, weil sie so groß wären, daß man drey Bissen aus einer machen könnte. L. XXXII. c. 6. ***)
Seneca. Ep. 27.
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mochte, und die unserm Dichter noch so frisch im Gedächtnis war, daß sie ihm gleichsam aus der Feder fiel. (10) M i m n e r m u s , ein E r o t i s c h e r Dichter, von Kolophon gebürtig und ein Zeitgenosse und Freund des weisen Solon, erhielt wegen der ungemeinen Lieblichkeit seiner Verse den Namen Ligyastadhw. Hermesianax, sein Landsmann und ein Priester der Erato wie er, macht ihn bloß deswegen zum Erfinder der Elegie, weil er dieser Versart alle die Anmuth und Musik gab deren sie fähig ist, und weil er der erste war, der sie anwandte die Freuden und Schmerzen der Liebe zu singen. Seine Gedichte athmeten nichts anders, und sein ganzes Leben war, wie es scheint, zwischen diese beyde Beschäftigungen ge-
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theilt, der Liebe zu pflegen, und die Liebe zu singen. Sein Wunsch war immer, Laß mich bey frischem Blut und sorgenfrey Sechzig erreichen, Aber, o Parze, dann flugs! schneide den Faden mir ab.
S o l o n , der noch in einem weit höhern Alter seine Scheitel wie Anakreon mit Rosen kränzte, schrieb ihm: Ändre mir das und singe dafür: mit achtzig, o Parze, (immer noch frühe genug) schneide den Faden mir ab *).
Aber die Parze strafte den Dichter, der, nicht so weise wie Solon, versäumt hatte, in den schönen Zeiten des Lebens für den Winter zu sorgen. Er wurde älter als sechzig, und kränkelte noch in diesem Alter an Liebe für eine schöne
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junge Flötenspielerin, die ihm wenig Ursache gab sich für ihre Gütigkeiten zu bedanken. Indessen waren doch die Elegien, womit er sie in ein liebliches Vergessen seiner grauen Haare einzusingen suchte, so schön, daß man noch zu Athenäus Zeiten nicht müde werden konnte sie nachzusingen **). Es sind nur wenige Fragmente von seinen Gesängen bis auf uns gekommen, die man in den B r u n k i s c h e n A n a l e k t e n beysammen findet: aber so wenig ihrer sind, so ists doch genug, das Vergnügen begreiflich zu machen, das die Alten aus
*) **)
Diogen. Laert. in vita Solon. Ich verweise wegen aller dieser Umstände auf die schönen Abhandlungen des Abts S o u -
c h a y über die E l e g i s c h e n D i c h t e r im Xten Theil der Memoir. de Litterat.
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seinen Elegien schöpften. Zufälliger weise ist auch der Vers darunter, auf welchen Horaz besonders zu deuten scheint: Tiw de biow, ti de terpnon ater xryshw Afrodithw ; teunaihn, oëte moi mhketi tayta meloi !
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Der siebente Brief. An Mäcenas. Einleitung. So schön und köstlich Horazens kleinster Brief in meinen Augen ist: so gestehe ich doch, daß ich D i e s e m , in seiner Art, nichts zu vergleichen weiß. Die edelste Freymüthigkeit erscheint darinn von der gefälligsten Laune, wie von der leichten Hand einer Grazie, in die feinste Höflichkeit gekleidet; aber gekleidet wie die Schönheit, die nur das Vorurtheil zu schonen, nicht sich selbst zu verbergen Ursache hat; gerade nur soviel, um durch Naktheit nicht anstößig zu werden. Wie wahr und passend gilt von dieser Epistel das Omne vafer vitium ridentis F l a c c u s amici
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tangit et admissus circum praecordia ludit,
welches der liebenswürdige P e r s i u s zum Charakter unsers Dichters macht! Es ist ein Brief wie nur ein Horaz an einen Mäcenas schreiben konnte: aber er scheint ihn im Namen aller seiner Mitbrüder an alle Mäcenaten geschrieben zu haben. Mäcenas hatte ohne Zweifel mitten in seinem ungeheuren Palast, von dessen Thurmähnlicher Höhe er die Beherrscherin der Welt in aller ihrer Herrlichkeit ringsum sich ausgebreitet liegen sah, mitten in seinen Wollusthauchenden Gärten, und mitten an seiner P a r a s i t i s c h e n Fürstentafel — doch zuweilen mächtig Langeweile. Übermaas von Glükseligkeit ist schon eine Art von Elend: aber es fehlte diesem so weichlichen, so zartfühlenden Glüklichen auch außerdem nicht an würklichen oder eingebildeten Quellen von unangenehmen Empfindungen. Die Erkältung des August, die Andern vielleicht kaum merklich war, die er selbst aber immer mehr zu fühlen glaubte, je schneller und sichrer dieser Prinz zu einer Größe emporstieg, wo er auch ohne seinen Beystand sich erhalten konnte *) — eine Gemahlin m i t welcher und *)
Aetate provecta s p e c i e m magis in amicitia Principis quam v i m tenuit, sagt Ta c i t u s
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o h n e welche er nicht leben konnte *) — die zunehmenden Beschwerden eines Körpers, der die natürliche Strafe eines allzuweichlichen Lebens zu fühlen anfieng — der Mangel an Schlaf, der ihn dahin brachte, beym sanftverlohrnen Getön weit entfernter Symphonien, oder beym abgemeßnen Gemurmel künstlicher Wasserfälle, nach einer Stunde leisen Schlummers zu haschen **) — die Leerheit einer von allen Arten Genusses erschlappten Seele, die seine gewöhnliche Parasiten und Freunde nicht immer auszufüllen wußten — Alles dies macht es sehr begreiflich, daß Mäcenas von Zeit zu Zeit nach dem Umgang eines so liebenswürdigen Gesellschafters, als Horaz in jüngern 10
Jahren für ihn gewesen war, mit aller Ungeduld eines Großen der nicht gewohnt ist Hindernisse und Entschuldigungen gegen seine Wünsche gelten zu lassen, sich sehnen mochte. Und was für Entschuldigungen konnte denn auch unser Dichter, der in der vollkommensten Muße lebte, anzuführen haben? oder wie konnte er sich weigern, einen Theil dieser Muße demjenigen aufzuopfern, dem er sie zu danken hatte? Horaz fühlte ohnezweifel dies alles sehr wohl; aber unglüklicher weise stimmten weder seine Neigungen noch seine Bedürfnisse mit den Wünschen seines hohen Freundes überein. Je weiter er im Leben fortrükte, je nöthiger wurde ihm die Freyheit, m i t s i c h s e l b s t u n d f ü r s i c h s e l b s t zu leben;
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und um so viel mehr kosteten ihn die Aufopferungen, die ihm in jüngern Jahren leichter gewesen waren, weil ihn sein Hang zum Vergnügen und zu geselligen Ergötzungen im Hause des Mäcenas sehr reichliche Entschädigungen (nach seiner damaligen Vorstellungsart) für das was er hingab finden ließ. Izt aber, da er, ohne sichs eben sehr leid seyn zu lassen, sagen mußte, Non sum qualis eram bonæ sub regno Cynaræ,
izt da seine zärtliche Gesundheit ihm die Landluft und eine regelmäßigere Diät immer unentbehrlicher machte; da ihm sein Leben, je schneller es ihm 30
von einem andern Günstling und Vertrauten des Augusts, und sezt unmittelbar hinzu: i d q u e e t M a e c e n a t i a c c i d e r a t . Annal. IV. c. 24. *)
S e n e c a Epist. 114.
**)
I d . de Provid. c. 3.
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gleichsam unter den Händen entschlüpfte, desto kostbarer wurde; izt, da sein Blut abgekühlt war, und das Leere, das die Zerstreuungen und Ergötzungen der großen Welt in seiner Seele zurükließen, es ihm zum unentbehrlichen Bedürfnis machten, auf seine eigne Weise (und das war eine Weise die von der Lebensart im Hause Mäcens sehr stark abstach) glüklich zu seyn: – izt fühlte er das Mühselige und Drückende jener Aufopferungen zu stark, um es länger zu ertragen. Die Blumen, womit man seine Ketten umwunden hatte, waren verwelkt; und nun fühlte er daß es eiserne Ketten waren, die seine nach Freyheit dürstende Seele unwillig von sich schüttelte. Kurz, die Zeiten der Täuschung waren vorbey; und so gern er auch, aus Neigung, dem Manne den er in
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seiner Jugend so sehr geliebt hatte noch immer gefällig hätte seyn mögen, so sehr er sich aus Dankbarkeit dazu verbunden fühlte: so stark fühlte er auch die Nothwendigkeit, wofern er nicht ganz das Opfer seiner Dankbarkeit werden sollte, die Pflichten der Freundschaft mit dem was er sich selbst schuldig war, so viel möglich, ins Gleichgewicht zu setzen. Der ganze Ton dieses gegenwärtigen Briefes, und besonders einige Stellen desselben, scheinen voraus zu setzen, daß ihm Mäcenas entweder selbst in einem Briefe, worauf dieser die Antwort ist, oder vielleicht durch einen gemeinschaftlichen Freund etwas insinuiert habe, das einem Vorwurf von Undankbarkeit ähnlich sah. Mich däucht, die Wärme, womit er sich über diesen
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Punct erklärt, beweise ganz deutlich, daß sein Herz voll war, und daß es in einer Bewegung, die er nicht zurükhalten konnte, sich in stärkere Ausdrücke ergoß, als er bey kältern Blute gewählt haben würde. Wenigstens kann ich mir das, was er ihm vom Z u r ü k g e b e n d e s s e n w a s e r v o n i h m e m p f a n g e n sagt, nicht anders erklären. So etwas konnte ein Horaz einem Manne wie Mäcen nur in einer unfreywilligen Überwallung des Herzens, in einem Moment von Hitze, wo er nöthig fand sich ein für allemal mit ihm ins klare zu setzen, sagen. Denn, wiewohl ers ihm mit aller möglichen Zärtlichkeit und mit so vieler Schonung sagt, als die Bitterkeit eines edlen Herzens, das sich unbillig behandelt fühlt, nur immer zuläßt: so ist doch auch so viel Ernst und Entschlossenheit in dem Antrag — „ M ä c e n s o l l t e i h n n u r a u f d i e P r o b e s t e l l e n “ — daß er, wenn er weniger warm gewesen wäre, das Beleidigende desselben nothwendig hätte fühlen müssen. Wir begnügen uns hiermit blos den Gesichtspunct angegeben zu haben, aus welchem diese Epistel gesehen werden muß, und überlassen nun dem
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Leser das Vergnügen, seine eigenen Betrachtungen hinzuzuthun. Keiner von allen Briefen unsers Dichters verdient es mehr; denn in keinem, wenn ich nicht sehr irre, drükt sich der individuelle Charakter seines Geistes und Herzens stärker und wahrer aus; und keiner ist in einer so delicaten Lage geschrieben. Sein Verhältnis mit Mäcen — ein Verhältnis wovon doch immer die Glükseligkeit seines Lebens abhieng — war aufs äußerste gespannt; es konnte s o nicht bleiben; und da es darüber ein für allemal zur Sprache kommen mußte: so befand sich Horaz in einem entscheidenden Moment, worinn sein moralischer Charakter, seine gute Lebensart und die Ruhe seines übrigen 10
Lebens, in gleicher Wage, auf der Spitze einer Nadel schwankten. Mich dünkt, die Art wie er sich aus dieser Schwierigkeit gezogen, mache seinem Verstand, seinem Herzen und seiner Urbanität gleichviel Ehre — wiewohl nicht zu läugnen ist, daß er mit einem Manne, wie wir den Mäcenas kennen, weniger Gefahr lief, als, unter gleichen Umständen, mit irgend einem andern dieser Classe. * * *
Fünf Tage nur, Mäcen, versprach ich dir auf meinem Gütchen frische Luft zu schöpfen, nun läßt den ganzen Erntemonat durch 20
der lügenhafte Mensch vergebens sich erwarten! Und gleichwohl, wenn du gerne mich gesund und guten Muthes sehn willst, wirst du schon die Nachsicht, die du mit dem Kranken trügest, dem Krank zu werden Fürchtenden so lange zu statten kommen lassen, als die Hitze Quinque dies tibi pollicitus me rure futurum Sextilem totum mendax desideror. Atqui si me vivere vis recteque videre valentem; quam mihi das aegro, dabis aegrotare timenti,
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M a e c e n a s , veniam; dum ficus prima calorque
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die erste Feige reiffet, und der Designatora) mit seinem Zug von schwarzen Amtstrabanten zu Rom die große Rolle spielt (1) — die Zeit wo jeder Vater, jedes Mütterchen für seine Kinder zittert, und die eifrige Geflissenheit, Patronen und Clienten (2) genug zu thun, von bösen Gallenfiebern begleitet wird und Testamente öfnet. Und kaum ist diese schlimme Zeit vorüber, so, weist du, geht für deinen armen Dichter
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schon eine andre an. Denn wie der erste Frost Albaniens Gefilde übertüncht: So muß er sich aus seinen kalten Bergen zum wärmern Meereb) ziehn, und taugt nun sonst zu nichts als sich zu schonen, und, zusammengeschrumpft, die langen Nächte sich mit lesen zu kürzen. Aber mit dem ersten milden Lüftchen, der ersten Schwalbe, kommt er, süßer Freund, wenn du’s erlaubst, dich wieder zu besuchen. designatorem decorat lictoribus atris;
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dum pueris omnis pater et matercula pallet, officiosaque sedulitas et opella forensis adducit febres et testamenta resignat. Quod si bruma nives Albanis illinet agris ad mare descendet vates tuus, et sibi parcet, contractusque leget. Te, dulcis Amice, reviset cum Zephyris, si concedes, et hirundine prima.
a) Leichenbesorger. b) Nach Surrent oder Velia, oder nach Tarent, ubi tepidas praebet Jupiter brumas —
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Du hast mich so nicht reich gemacht, wie mein Kalabrier (3) den Gast von seinen Birnen zu essen nöthigt. — „Lang er zu, Herr Nachbar!“ — Ich habe satt — „So steck er immer ein soviel er will“ — Ich danke schönstens. — „I! so nehm er doch! Er kanns ja seinen Kleinen zum Gruß nach Hause bringen“ — Sehr verbunden! Es soll so seyn als ob ich schwer beladen davon gegangen wäre — „Wies beliebt! 10
Uns spart er nichts, es bleibt nur für die Schweine.“ So giebt die plumpe unverständige Gutherzigkeit mit vollen Händen weg was keinen Werth in ihren Augen hat; und dies ist eine Saat, die immer Undankbare getragen hat und ewig tragen wird. Wer weis’ und gut zugleich ist, stehet Jedem der’s würdig ist, bereit, und weiß gleichwohl Theatergold sehr gut von ächtem Gelde zu unterscheiden. Würdig will auch Ich
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des Beyfalls eines Freundes, der soviel um mich verdient hat, immer mich erhalten. Doch, sollt ich niemals mich entfernen dürfen, Non quo more pyris vesci Calaber iubet hospes tu me fecisti locupletem. — Vescere sodes! J a m s a t i s e s t . — At tu quantumvis tolle! B e n i g n e . Non invisa feres pueris munuscula parvis. Ta m t e n e o r d o n o q u a m s i d i m i t t a r o n u s t u s . „Ut libet; haec porcis hodie comedenda relinquis.“ Prodigus et stultus donat quae spernit et odit.
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Haec seges ingratos tulit et feret omnibus annis. Vir bonus et sapiens dignis ait esse paratus, nec tamen ignorat quid distent aera lupinis. Dignum praestabo me etiam pro laude merentis. Quod si me noles unquam discedere, reddes
¼1. Buch. 7. Brief½
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so müßtest du die Jugendstärke auch mir wiedergeben können, und den Busch von schwarzen Locken um die schmalec) Stirne, den leichten Wiz, die frohe Laune wieder mir geben können, der das Lachen ansteht, und machen daß mirs noch, wie ehmals, ziemte beym Trinkgelag des Schelmenmädchens Flucht, das leise sich davon schlich, zu bejammern. (4) Es war einmal ein Mäuschen, das in einen vollen Getraidekasten sich durch eine kleine Spalte hineingeschlichen und sich dick und rund darinn gefressen hatte: aber wie es wieder heraus sich pressen wollte, war’s umsonst. Da rief ein Wiesel ihm von ferne zu; Mein gutes Mäuschen, zu entfliehn ist hier ein einzig Mittel; mager schlupftest du hinein, nun schlupfe mager wieder ’raus. Gilt diese Fabel mir, so geb ich Alles wieder. Denn, wenn ich mir den guten derben Schlaf der Armen lobe, ists nicht — weil ich satt von Ortolanen und Kapaunen bin, forte latus, nigros angusta fronte capillos, reddes dulce loqui, reddes ridere decorum et inter vina fugam Cynarae moerere protervae. Forte per angustam tenuis nitedula rimam repserat in cumeram frumenti, pastaque rursus ire foras pleno tendebat corpore frustra: cui mustela procul: si vis, ait, effugere istinc, macra cavum repetes arctum, quod macra subisti. Hac ego si compellor imagine, cuncta resigno; nec somnum plebis laudo satur altilium, nec c) Von den dichten Locken beynahe verdekte.
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noch würd’ ich meine unumschränkte Muße um alles Gold Arabiens vertauschen. Oft hast du meine leichtgenügsame Bescheidenheit gerühmt: auch bist du es an mir gewohnt mein König und mein Vater zu heissen, und ich bin nicht sparsamer mit solchen Namen wenn du ferne bist. Versuch es, ob ich was du mir geschenkt mit frohem Muth zurücke geben könne! Nicht übel spricht dort Telemach, der Sohn des duldsamen Ulyssesd) — „Ithaka taugt nicht zur Pferdezucht; es mangelt uns an weiten Ebnen und an guter Weide. Behalt, Atride, dein Geschenk, du kannst es besser nützen“ — Kleinen Leuten steht was klein ist, an. Das königliche Rom ist mir zu groß: dafür gefällt hingegen das stille Tibur mir, das friedsame Tarent. (5) Der edle M a r c i u s P h i l i p p u s war bekanntlich einer der beredtesten und Rechtsgelehrtsten Männer seiner Zeit. (6) otia divitiis Arabum liberrima muto. Saepe verecundum laudasti, rexque paterque audisti coram, nec verbo parcius absens: inspice si possum donata reponere laetus. Haud male Telemachus, proles patientis Ulyssei: non est aptus equis Ithace locus, ut neque planis porrectus spatiis, neque multae prodigus herbae: Atride, magis apta tibi tua dona relinquam. Parvum parva decent: mihi iam non regia Roma sed vacuum Tibur placet aut imbelle Tarentum. Strenuus et fortis causisque P h i l i p p u s agendis d) Odyss. IV. 601. seq.
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Einst, da er um die achte Stunde, von Geschäften nach Hause gieng, (7) und, als ein ziemlich schon bejahrter Mann, den Weg vom großen Markte nach seinem Hause zu Carinä, (8) sehr beschwehrlich fand, — erblikt er, sagt man, einen gewissen Glattgeschohrnen, (9) der in eines leeren Barbierschopfs Schatten sehr gelassen sich mit einem Messerchen die Nägel stuzte. Geh, spricht Philipp zum Sclaven der ihm folgt, und der in seines Herren Laune sich nicht übel zu schicken wußte, geh, Demetrius, frag und bringe mir die Antwort, wer er sey? Was für ein Landsmann? Welchen Standes? Wie sein Vater heisse oder sein Patron? Der Diener geht und bringt die Nachricht: Mena Vultejus nenn’ er sich, sey seines Zeichens ein Mäkler, steure wenig, übrigens ein wohlbekannter unbescholtner Mann, betriebsam wo was zu verdienen sey, um sich dafür in müßigen Stunden wieder mit frohen Brüdern seines Sinns und Standes am kleinen Heerde was zu lieb zu thun; clarus, ab officiis octavam circiter horam dum redit atque Foro nimium distare Carinas iam grandis natu queritur, conspexit, ut aiunt, adrasum quendam vacua tonsoris in umbra cultello proprios purgantem leniter ungues. Demetri (puer hic non laeve iussa Philippi accipiebat) abi, quaere et refer, unde domo, quis, cuius fortunae, quo sit patre, quove Patrono? It, redit et narrat: Vultejum nomine Menam, praeconem, tenui censu, sine crimine notum, et properare loco et cessare et quaerere et uti, gaudentem parvisque sodalibus et lare certo,
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versäume nebenher nicht leicht ein Schauspiel, und finde, Abends nach geendigten Geschäften, richtig sich im Campus ein. (10) „Das alles muß ich vom ihm selber hören: Sag ihm, er soll zum Essen zu mir kommen!“ — Mein Mena stuzt wie er den Antrag hört; das kann nicht Ernst seyn, denkt er, da muß was dahinter stecken — kurz, der Mann bedankt sich und schleicht davon. — „Er will nicht kommen, sagst du?“ — 10
Nicht anders; aus zu wenig oder aus zuviel Respect beharrt der Schuft dabey er komme nicht: — Den nächsten Morgen trift Philippus seinen Mann bey einem Völkchen in Linnen-Kittelne) an, der ihnen Trödel verkauft — geht auf ihn zu, und grüßt ihn. Jener entschuldigt sich aufs beste, daß er gestern nicht aufgewartet — sey verdingt gewesen — und bitte um Verzeyhung, daß er ihn nicht gleich gewahr geworden. — „Soll ich dir
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et ludis et post decisa negocia Campo. Scitari libet ex ipso quaecunque refers, dic ad coenam veniat. Non sane credere Mena, mirari secum tacitus. Quid multa? benigne, respondet. — N e g e t i l l e m i h i ? — Negat improbus et te negligit aut horret. — Vultejum mane Philippus vilia vendentem tunicato scruta popello, occupat et salvere iubet prior. Ille Philippo excusare laborem et mercenaria vincla quod non mane domum venisset, denique quod non
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providisset eum. — S i c i g n o v i s s e p u t a t o
e) Bauren — tunicato popello — die Römischen Bauern trugen nur eine kurze Tu n i c a ohne Toga; ungefehr wie die unsern auch.
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verzeyhn, so ists auf die Bedingung, daß du heute mein Gast zu seyn versprechest.“ — Auf Befehl! „So komm nach Neun. Indessen mache deine Geschäft’, und Glück zu einem guten Zug!“ Mein Mena stellt sich ein, schwazt was sich schikt und nicht schikt, läßt sichs treflich wohl belieben, und wird zulezt mit schwehrem Haupt zu Bette gebracht. Von nun an schien der Fisch von selbst dem unsichtbaren Hamen zuzuschwimmen. Vultei, der als Client sich alle Morgen
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im Vorgemach und jeden Abend richtig bey Tafel einfand, kriegt zulezt, aus Anlaß der nächsten Ferien (11), Befehle, den Patron auf seine Güter zu begleiten. Ausser sich vor Wohlbehagen rollt in ofnem Wagen mein Mann, dem hohen Freunde gegen über, daher und kann nicht sattsam Worte finden die große Schönheit des Sabinischen Himmels und Landes anzupreisen. Marcius, (der ihm ins Herz sieht und bey Laune ist
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sich zu belustigen, oder auch vielleicht mit guter Art des Menschen loß zu werden) me tibi si coenas hodie mecum, — Ut libet. — Ergo post nonam venies. Nunc i, rem strenuus auge ! Ut ventum ad coenam est, dicenda tacenda locutus tandem dormitum dimittitur. Hinc, ubi saepe occultum visus decurrere piscis ad hamum, mane cliens et iam certus conviva, iubetur rura suburbana indictis comes ire Latinis. Impositus mannis arvum coelumque Sabinum non cessat laudare. Videt ridetque Philippus, et sibi dum requiem dum risus undique quaerit,
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indem er ihm dreyhundert Thaler schenkt und noch dreyhundert anzuleyhn verspricht, beredet ihn ein Gütchen sich zu kauffen. Der Kauf wird richtig, und (um nicht zu lange dich aufzuziehn) der schmucke Städter wird ein Bauer, klappert nun von nichts als Äckern und Rebeland, sezt Ulmen,f) sät und pflanzt, berechnet stündlich Einnahm und Gewinn, und wird, vor Hunger immer mehr zu haben, 10
in kurzer Frist blaß, hager, alt und grau. Allein wie erst die Unglücksfälle kommen auf die er nicht gerechnet, seine Schaafe gestolen werden, seine Ziegen sterben, die Ernte fehlt, sein Ochs am Pfluge fällt: schwingt mitten in der Nacht mein Mena sich in voller Wuth auf seinen dürren Klepper und sporenstreichs dem Consular vors Haus. Ey, ey, spricht dieser, da er ihn so schmutzig und ungeschoren sieht, du thust der Sache
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zuviel, Vultei! bist gar zu häuslich und dum septem donat sestertia, mutua septem promittit, persuadet uti mercetur agellum. Mercatur — Ne te longis ambagibus ultra quam satis est morer, ex nitido fit rusticus atque sulcos et vineta crepat mera, praeparat ulmos, immoritur studiis et amore senescit habendi. Verum ubi oves furto, morbo periere capellae, spem mentita seges, bos est enectus arando: offensus damnis media de nocte caballum
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arripit, iratusque Philippi tendit ad aedes. Quem simul aspexit scabrum intonsumque Philippus, durus ait, Vultei, nimis attentusque videris f) An welche man in Italien die Reben zu setzen pflegte, wie noch geschieht.
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dir selbst zu hart! — Bey Gott, Patron, ruft jener, Wenn ihr mir meinen rechten Nahmen geben wollt, so nennt mich einen armen Teufel: Denn der bin ich! Und bey euerm Genius, (12) bey dieser Hand, und euers hohen Hauses Schuzgöttern, bitt ich und beschwör ich euch, Sezt mich in meinen alten Stand zurük. Wer einmal eingesehn, wieviel was er zurüklies besser ist als was er suchte, der kehr in Zeiten um. Das Wahre ist
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ein jeder messe sich mit S e i n e m Fuße! esse mihi. Pol, me miserum, Patrone, vocares, si velles, inquit, verum mihi ponere nomen. Quod te per genium dextramque Deosque Penates obsecro et obtestor, vitae me redde priori! Qui semel aspexit quantum dimissa petitis praestent, mature redeat, repetatque relicta. Metiri se quemque suo modulo ac pede, verum est! * * *
Erläuterungen.
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(1) Im Monat Sextil, der nachher dem August zu Ehren diesen lezten Nahmen bekam, pflegten in Rom bösartige Fieber fast alle Jahre zu herrschen und viele Menschen wegzuraffen. Weil nun die Leichenbesorger in dieser Zeit am meisten zu thun hatten, so macht sie Horaz, indem er ihre Handlanger schwarze L i c t o r e n nennt, scherzweise zu Amtspersonen vom ersten Rang, deren Gewalt um diese Zeit auch den Consuln und Prätoren furchtbar war. (2) Man kann sagen daß in Rom jedermann entweder Patron oder Client war. Alle Personen die zum Volke gehörten, hatten ordentlicherweise unter den Patriziern oder (in den spätern Zeiten) überhaupt unter den Mächtigen,
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von welchem Rang sie sonst seyn mochten, einen Patron, den sie sich entweder selbst gewählt oder von ihren Voreltern geerbt hatten; denn das Verhältniß von Patronat und Clientel war erblich. Nichts war heiliger in den ersten Zeiten des Römischen Staats als dieses Verhältnis. Der Client wurde in gewisser Betrachtung wie ein Pupill seines Patrons betrachtet; er war, als vom Staat selbst, der Treue und Fürsorge desselben anvertraut, und einen vorsezlichen Betrug an seinem Clienten zu begehen war ein Verbrechen, das den Thäter alles Schutzes der Gesetze beraubte, und ihn, nach unsrer Art zu reden, Vogelfrey machte. Patronus si Clienti fraudem faxit, Sacer esto! sagt das Gesetz der 10
zwölf Tafeln. Der Patron war verbunden die Rechtshändel seines Clienten zu führen, ihn in allen vorkommenden Fällen, gegenwärtig oder abwesend, zu schützen, und ihm in allem, was seine bürgerlichen Verhältnisse betraf mit seinem Ansehen, mit seiner Rechtswissenschaft, mit seiner Fürsprache, kurz mit Rath und That beyzustehen. Dafür waren hinwieder die Clienten verbunden, ihres Beutels zum Dienst des Patrons, wo es die Noth oder seine D i g n i t ä t erforderte, nicht zu schonen; zu seinem Lösegeld, wenn er in Kriegsgefangenschaft gerathen war, oder zur standsmäßigen Morgengabe seiner Töchter, wenn es dem Vater an Vermögen fehlte, beyzutragen, u. s. w. Alle Freygelaßnen, mit ihren Kindern und Kindeskindern, lebten unter dem Schuze ihres
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ehmaligen H e r r n , als ihres natürlichen Patrons: und in den Zeiten, da der größte Theil des Erdbodens (wenigstens nach Römischer Ästimation) die Herrschaft dieser wundervollen Republik anerkannte, bewarben sich ganze Städte und Provinzen um den Vortheil, in der Clientel gewisser mächtiger Häuser oder Personen in Rom zu stehen. — Unter die Pflichten der Clienten gegen ihre Patronen gehörten auch die Aufwartungen. Man gieng des Morgens früh den Patron zu g r ü ß e n , man machte ihm Cortege, wenn er in Amtsgeschäften ausgieng oder nach Hause kehrte, man briguirte für ihn, wenn er sich um eine Staatswürde bewarb, — Kurz, die Gelegenheiten waren unzählich, wo die gegenseitige Verbindung und Theilnehmung zwischen Pa-
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tron und Client ins Spiel kam. — Alles dies erklärt uns, was Horaz hier mit der officiosa sedulitas und opella forensis sagen will, welche während der heissen Jahrszeit den Römern oft so theuer zu stehen komme, und giebt den Grund an, warum ich diese Ausdrücke durch „Geflissenheit Patronen und Clienten genug zu thun“ übersezt habe. (3) Dieser drollichte Complimenten-Wechsel zwischen einem Calabrischen
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Landmann und seinem Gaste ist so erzählt, daß man glauben muß die Sache sey dem Dichter selbst begegnet. Aber wie kam da Horaz, dessen Gut im Sabinerlande, wenige Meilen von Rom gelegen war, zu einem Nachbar aus Calabrien? Die meisten Ausleger behelfen sich damit, der Calabrier stehe hier für jeden andern ungeschlifnen Bauer. Aber Horaz ist sonst nicht der Mann, der um seiner bloßen Bequemlichkeit willen quid pro quo hinsezt. Ich denke, man könne ganz wahrscheinlich annehmen, daß er bey einer kleinen Herumwanderung in der schönen Landschaft von Tarent, wo er sich mehrmals aufgehalten zu haben scheint, Gelegenheit gefunden habe, diese Erfahrung von der Höflichkeit der Calabrischen Landleute zu machen.
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(4) Das schelmische Mädchen wovon hier die Rede ist, hieß C i n a r a , und war von der Classe derjenigen, welche, nach damaliger Römischer Sitte zu den Gastmälern der Reichen eingeladen wurden, wenn man einen Abend den Göttern der Freude opfern wollte. Unser Dichter, der sie einst geliebt, und keine Ursache gehabt hatte, sich weder über Unempfindlichkeit noch Eigennutz von ihrer Seite zu beklagen *), scheint auch lange nachdem sie nicht mehr war (denn er beklagt ihren frühzeitigen Tod in einer Stelle der 13ten Ode des vierten Buchs) sich ihrer noch immer mit Vergnügen erinnert zu haben. Das größte Lob, das er, in der eben angezogenen Ode, der L y c e (einer andern ehmaligen Liebschaft) beylegt, ist, daß sie n a c h C i n a r a das reizendste Mädchen
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ihrer Zeit gewesen sey: und in dem Liede, wo er die Göttin der Liebe um Verschonung bittet, sagt er, nicht ohne einen traurigen Blick in die ehmaligen guten Zeiten non sum qualis eram b o n a e s u b r e g n o C i n a r a e — Ich bin nicht der ich war unter dem Regiment der guten Cinara —
Die Scene, an die er den Mäcen hier erinnert, hatte sich, wie es scheint, im Hause desselben bey einer solchen fröhlichen Gelegenheit zugetragen: und es ist nicht unwahrscheinlich, daß der Streich, der dem verliebten, aber zwischen Bacchus und Amor allzusorglos getheilten Dichter gespielt wurde, ein
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Wie aus einer Stelle des Briefs an seinen Gutsverwalter erhellet.
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von Mäcenas selbst heimlich mit Cinara angestellter Handel war, um sich und die Gesellschaft an den poßierlichen Klagliedern, die er bey Entdeckung ihrer Flucht anstimmen würde, zu erlustigen. (5) Die Werke unsers Dichters enthalten viele Spuren von seiner vorzüglichen Liebe zu diesen beyden Orten. Möchte doch, sagt er in der schönen Ode an Septimius (welche mehrere Jahre vor diesem Briefe geschrieben ist) möchte doch einst T i b u r der Sitz meines Alters seyn! Oder wenn die Parzen mir so günstig nicht seyn wollen, so sey es Ta r e n t ! Dieser Winkel der Erde lacht mir vor allen andern — — —
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Lang ist da durch Jupiters Gunst der Frühling u n d d e r W i n t e r s o l a u ! Auch braucht, vom Weingott hochbegünstigt, der Aulon den Falernus nicht zu beneiden *).
Die Beywörter v a c u u m Tibur und i m b e l l e Tarentum sind hier so wenig unbedeutend als irgend ein Beywort im ganzen Horaz. T i b u r war, an sich, ein kleiner unbevölkerter Ort, wiewohl die umliegende Gegend eine der anmuthigsten in der Welt ist, und mit Landhäusern der Großen in Rom angefüllt war, welche in der heißen Jahrszeit die reinere und frischere Luft suchten die 20
man da athmete. — Ta r e n t , ehmals die ansehnlichste Stadt in Groß-Griechenland, war schon in den Zeiten ihres größten Flors wegen der Weichlichkeit ihrer Bewohner verschreyt. Das Spartanische Blut ihrer alten Vorfahrn war gar bald unter dem wollüstigen Himmel dieser Gegenden ausgeartet. Die Lage der Tarentiner bestimmte sie zu einer weit ausgebreiteten Handelschaft; sie erwarben auf diesem Wege große Reichthümer, und wetteiferten nun mit den Sybariten selbst um den Vorzug der Üppigkeit. Die übrigen Menschen, sagten sie, verliehren unter ewiger Arbeit und Anstrengung ihre Zeit mit lauter A n s t a l t e n z u m L e b e n : wir sind die einzigen die nicht zu leben h o f f e n , sondern w ü r k l i c h l e b e n — oy mellein all’ hdh bivnai **). Mit einer
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solchen Art zu denken bekümmert man sich wenig um die Nachkommen*) **)
L. II. od. 6. conf. L. I. od. 7. v. 10 – 14. A t h e n a e u s IV. c. 19.
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schaft; und diese wars auch, die für die guten Tage ihrer Vorfahren büßen mußte. Zu Horazens Zeit war Tarent sehr heruntergekommen: aber der sanfte gesellige Freudenliebende Charakter war ihnen geblieben; und es ist also sehr begreiflich, wie die Vorstellung, unter einem so milden Himmel mit so gutartigen Menschenkindern sein Alter hinzubringen, für einen Philosophen von Seinem Temperament soviel Reiz haben konnte. (6) Vermuthlich ist die Rede von L . M a r c i u s P h i l i p p u s , der im Jahr der Stadt Rom 693 Consul und im Jahr 698 Censor war. Was Horaz hier von seiner Beredtsamkeit sagt, bestätigen mehrere Stellen des competentesten Richters in diesem Fache, Cicero. Er charakterisiert ihn besonders als facetum, d. i. als
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einen Mann, der gerne bons mots sagte; und das Histörchen, das Horaz hier von ihm erzählt, beweißt, daß er auch gerne seinen Spaß mit Leuten hatte, die dazu zu gebrauchen waren. Der Ton der Römischen Sitten war in diesen Zeiten schon um vieles von der alten Strenge herabgestimmt; die ersten Männer der Republik schämten sich bereits eines Luxus nicht, den hundert Jahre zuvor die Censoren notirt haben würden; und Marcius Philippus wiewohl selbst ein Vir Consularis und Censorius, trieb z. B. die Leckerhaftigkeit bereits so weit, daß er nur die Meer- und Tiber-Fische für Fische gelten ließe. Einsmals, da er zu Casino bey einem Clienten seines Hauses speisete, kam ein Hecht aus einem benachbarten Fluße auf die Tafel. Philippus kostete davon, spuckte
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aber den Bissen gleich wieder aus: Ich will des Todes seyn, sagt er, wenn ich nicht dachte es sey ein Fisch *). (7) Die Römer behalfen sich 480 Jahre mit der natürlichen Eintheilung des Tages, in Morgen, Mittag und Abend. Erst gegen Ende des 6ten Jahrhunderts der Stadt Rom bestimmte eine von Scipio Nasica gestiftete öffentliche Wasseruhr die Stunden des Tages, deren zwölf, aber nach Beschaffenheit der Jahrszeit von ungleicher Länge, festgesetzt wurde. Man fieng mit Aufgang der Sonne zu zählen an, die sechste fiel in den Mittag, und die zwölfte endete mit Sonnen Untergang. Der Mangel der Glockenuhren oder eigner Hausuhren wurde in jedem guten Hause durch einen Sclaven ersezt, der sonst nichts zu thun hatte, als die Stunden zu beobachten und
anzuzeigen **).
(8) Eine Gegend des alten Roms zwischen den Exquilien, dem Palatium und *) **)
C o l u m e l l a de Re Rust. VIII. 16. Memoir. de Litterat. T. I. p. 409. s.
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dem Berge Cölius, *) in welcher auch Pompejus und Cicero ihre Häuser hatten. Ich bequeme mich nach der Römischen Art zu reden, wenn ich H ä u s e r sage; denn was für Häuser das waren, worinn schon damals die Magnaten der Republik wohnten, kann man daraus schließen, weil Cicero, der doch bey weitem keiner von den reichsten seiner Zeit war, das seinige um mehr als 145000 Thaler gekauft hatte. **) (9) Ob das Beywort adrasus scherzweise die Prätension dieses Pflastertreters an eine gewisse Hauptstädtische Eleganz, (wie ichs mit Torrentius verstanden habe) oder ob es seine Sparsamkeit andeute (wie Geßner meynt) oder 10
ob es eine Satyre auf das schlechte Scheermesser sey womit der ehrliche Mann sich etwa selbst rasiert haben mochte (wie es Baxtern beliebt) — videant Grammatici! (10) Im C a m p u s M a r t i u s , wo sich die Römischen Bürger um diese Tageszeit in großer Menge einzufinden pflegten, um von Stadtneuigkeiten, Staatssachen, Wahlgeschäften, theuren Zeiten und dergleichen sich unter einander zu besprechen, den ritterlichen Spielen der edlen Römischen Jugend zuzusehen, u. s. f. (11) Der Text sagt, als die L a t e i n i s c h e n F e r i e n angekündigt wurden — nämlich vom Consul, von dessen Willkühr es abhieng, die eigentliche Zeit
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dieser vom Ta r q u i n i u s S u p e r b u s eingesezten Ferien zu bestimmen. Sie dauerten etliche Tage. Beschäftigte Männer, wie der Consular Philippus war, pflegten sich solcher Gelegenheiten zu bedienen, etliche Tage auf ihren Landgütern zuzubringen. (12) Bey dem Genius ihres Herrn pflegten eigentlich nur die Leibeignen zu schwören; es wurde aber in der Folge ein Compliment, das auch Clienten ihrem Patron machten.
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Alex. D o n a t i de Urbe Roma. L. III. c. 10. Ep. ad Fam. V. 6.
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Achter Brief. An Celsus Albinovanus. Einleitung. Celsus war der Zuname zweyer bekannter Römischen Familien, nämlich eines Zweigs der P a p i e r , und eines der C o r n e l i e r . Es läßt sich aber, bekanntermaßen, daraus allein nichts auf die Abstammung dieses Celsus schließen. To r r e n t i u s spricht von einem Q u i n a r i u s * ) den er besitze, der auf einer Seite einen Merkurius Petasatus, mit der Umschrift L. Papi. Celsi, und auf der andern eine Lyra zeige: er läßt aber billig dahingestellt, ob es dem Celsus Albinovanus gelte, an den diese kleine Epistel, und in dem Briefe an J u l i u s F l o r u s die scherzhafte Warnung vor dem Schiksal der Äsopischen Krähe
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gerichtet ist, und dessen Lyra, wie ich damals schon bemerkt, weder seine Zeitgenossen noch die Nachwelt sonderlich bezaubert zu haben scheint. Was wir von diesem Celsus gewiß wissen, ist also lediglich was uns Horaz selbst von ihm sagt. Er scheint einer von den E x o t e r i s c h e n Freunden unsers Dichters gewesen zu seyn; ich meyne, von der Art guter Freunde, mit denen man weder bekannt, noch — bis auf einen gewissen Grad — vertraut zu werden vermeiden kann: die wir gefunden haben weil sie uns suchten, und beybehalten, damit sie uns nicht schaden; deren Freundschaft wir uns nicht gerne rühmen, wiewohl sie gelegenheitlich mit der unsrigen groß thun; kurz, mit denen wir unser ganzes Leben durch umgehen, ihnen Dienste erweisen und wieder von ihnen empfangen, und von aller Welt unter ihre Freunde gezählt werden, ohne daß sie jemals unserm Herzen nahe gekommen sind. Celsus hatte die Eitelkeit, in einer Zeit wo Varius, Virgil, Horaz, Catull, Ovid, Tibull und Properz allen Seinesgleichen den Muth hätten niederschlagen sollen, auch für einen Dichter passiren zu wollen, und besaß als Geheimschreiber des Tiberius das Ohr eines der ersten Männer im Staat. Diese beyden Titel waren hinlänglich, ihm eine Art von Achtung, und von unserm Dichter (der seine Ruhe liebte und es nicht gerne mit den We s p e n verdarb, die zwar *)
Ein halber Denarius.
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keinen Honig machen aber sehr gut s t e c h e n können) einen Brief zuzuziehen, der genug von der Mine der Vertraulichkeit hat, um bey einem Menschen wie Celsus für einen freundschaftlichen zu gelten. Der alte Commentator des Cruquius, dem es vermuthlich anstößig war daß Horaz in diesem Briefe soviel Böses von sich selbst sagen sollte, hat in diesen allem I r o n i e gewittert, und sich eingebildet, Horaz habe bloß darum s i c h s e l b s t Ohrfeigen gegeben, damit C e l s u s sie fühlte. Die meisten Neuern Ausleger stimmen ihm hierinn ohne weitere Untersuchung bey. B a x t e r ist (wenn ich nicht irre) der erste, der in allem was unser Dichter von seiner 10
schlimmen Laune sagt, die Symptomen der Melancholie, oder, wie ich lieber sagen wollte, der H y p o c h o n d r i e , wahrnahm; denn die Ärzte werden, denke ich, gestehen, daß man die Würkungen, welche dieses Übel auf das Gemüth, zumal bey Personen von zartem Nervengewebe, thut, nicht besser beschreiben kann. Indessen halte ich für nicht unwahrscheinlich, daß der Zug f i d i s o f f e n d a r m e d i c i s , i r a s c a r a m i c i s &c. dem Celsus gelte: und daß Horaz ihm diese ganze vertrauliche Eröfnung seines damaligen Leibes- und Seelenzustandes bloß deßwegen gemacht habe, um diesen kleinen Stich anzubringen, den der junge Herr vielleicht durch unzeitige Empfindlichkeit über das was unser Dichter einige Zeit vorher an den Julius Florus zu seinen Han-
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den geschrieben hatte, verdient haben mochte. * * *
Geh, Muse, wenn ich bitten darf, und bring dem Celsus, Nerons Freund und Schreiber, meinen Gruß, und meine besten Wünsche. Fragt er dich wie mirs ergeh, so sag ihm: daß ich, bey den schönsten Entschließungen doch weder für die Weisheit noch fürs Vergnügen lebe — nicht, weil etwa C e l s o gaudere et bene rem gerere A l b i n o v a n o Musa rogata refer, comiti scribaeque Neronis; 30
si quaeret quid agam, dic, multa et pulchra minantem vivere nec recte nec suaviter: haud quia grando
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der Hagel meinen Wein zerschlagen, oder die Hitze meinen Ölbaum ausgedorrt, und unter meinen Heerden, die den Klee entlegner Fluren mäh’n, die Seuche wüthet — bloß, weil ich schwach am ganzen Leib’, und leider! noch schwächer am Gemüth, nichts hören will was etwa meine Krankheit lindern könnte, mich von der Ärzte gutem Rath gar sehr beleidigt find’, und meinen Freunden zürne die mir den schlimmen Dienst erweisen und
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aus meiner Schlafsucht mich zu rütteln suchen: kurz, alles haben will was, aus Erfahrung, mir Schaden thut, und alles flieh, wovon ich glaube daß mirs dienlich sey — zu Rom nach Tibur hin mich sehne, und zu Tibur (1) nach Rom. Dann, liebe Muse, frag ihn wie Er sich befinde, wie er seine Sachen treibe, und wie er mit dem Fürstensohne, wie mit seinen Kameraden stehe? Spricht er, wohl: so sag ihm daß michs freue; doch, vergiß
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mir ja nicht, diese kleine Lehre ihm contuderit vites oleamve momorderit aestus, nec quia longinquis armentum aegrotet in agris; sed quia mente minus validus quam corpore toto, nil audire velim nil discere quod levet aegrum, fidis offendar medicis, irascar amicis, cur me funesto properent arcere veterno? Quae nocuere sequar, fugiam quae profore credam; Romae Tibur amem ventosus, Tibure Romam. Post haec ut valeat? quo pacto rem gerat et se? Ut placeat iuveni percontare utque cohorti? Si dicat, recte; primum gaudere, subinde praeceptum auriculis hoc instillare memento:
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ins Ohr zu flüstern: So wie du das Glück, so werden wir, Freund Celsus, dich ertragen! (2) ut tu fortunam, sic nos te, Celse, feremus. * * *
Erläuterungen. (1) Den Vorwurf, den Horaz hier sich selbst in eigener Person macht, hatte er schon viele Jahre zuvor, in der 7ten Satyre des zweyten Buchs einem seiner Leibeignen in den Mund gelegt Romae rus optas, absentem rusticus urbem 10
Tollis ad astra, levis.
Die Hypochondrische Laune, über die er hier klagt, war ihm also nichts Neues — wiewohl sich die Sache auch ohne Hypochondrie, und ohne daß Horaz deßwegen einer unmännlichen Veränderlichkeit schuldig wird, sehr natürlich erklären ließe. Übrigens ist noch, als die Ursache warum er hier gerade T i b u r nennt, zu bemerken, daß er vermuthlich in dieser schönen Gegend einige Grundstücke, oder eine kleine Meyerey, die zu seinem Sabinischen Gute gehörte, besaß — und so ist die Stelle in seinem dem Sueton zugeschriebnen Leben zu verstehen, wo gesagt wird, daß er ausser der Sabinischen Villa auch eine zu Tibur gehabt habe — welchem, wenn es nicht auf diese Weise erklärt 20
wird, Horazens eigne Worte in der 10ten Ode des zweiten Buchs widersprechen würden. (2) Baxter, der, vor lauter Sorgfalt dem Horaz zu geben was Horazens ist, ihm auch wohl von seinem eignen leyht, meynt, er habe hier eigentlich den Tiberius und dessen übrige Comites im Sinne gehabt, und bloß aus Urbanität w i r gesagt, um der Moral, die er dem Celsus ins Ohr flüstert, das auffallende zu benehmen. Mich dünkt aber, er habe weder mehr noch weniger sagen wollen, als was Jedermann, der die Sprache versteht, bey seinen Worten denken muß. W i r bedeutet im Gegensaz mit D u , die ganze übrige Welt: „Wie D u das G l ü c k , das dir zu lachen scheint ertragen wirst, so wird d i e We l t D i c h
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ertragen; wirst du dich bescheiden darinn finden, so wird der Neid schweigen müssen und du wirst den Beyfall deiner Freunde und die Achtung der Welt davontragen: lässest du dich übermüthig dadurch machen, und verliehrst den Kopf dabey, so wirst du jedermann gegen dich haben, deine besten Freunde werden sich zurükziehen, und die übrigen an deinem Fall arbeiten, u. s. w.“
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Neunter Brief. An Claudius Tiberius Nero. Einleitung. Diese kleine Epistel, so wie die vorgehende, scheint geschrieben zu seyn, während daß Tiberius sich, in Geschäften die ihm vom August übertragen worden waren, in dem morgenländischen Theile des Römischen Reiches aufhielt. Sie ist das vollkommenste Muster eines Empfehlungsschreibens an einen Großen, das ich kenne; sie hat einen Ton, den nur die große Welt geben kann, und, bey dem Anschein der größten Unbefangenheit und Offenheit, ist jedes Wort wie auf einer Diamantwage abgewogen. Niemand wußte jemals besser als Horaz, 10
was sich für ihn selbst, für die Person, mit der ers zu thun hatte, und für denjenigen, dem er Dienste leisten wollte, ziemte. Je mehr es ihm (wie man aus dem Schluß des Briefes sieht) mit seiner Empfehlung Ernst war: um so mehr mußte er bey einem jungen Manne von Tibers Gemüthsart, mit Delicatesse zu Werke gehen. Allzuviel Diensteifer, ein allzuwarmes Lob würde seinem jungen Freunde nur geschadet haben: denn Kälte, Stolz, Zurückhaltung und Mißtrauen waren immer Grundzüge im Charakter des Tiberius gewesen; auch in seiner Jugend, wo er am besten war, und wo die Rüksichten, die er von allen Seiten zu nehmen hatte, seine natürlichen Laster gleichsam in Respect erhielten und in sein Innerstes zurückschrekten. Eben so wenig würde sichs für
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Horaz geschikt haben, gegen diesen jungen Magnaten, der wiewohl von der Hofnung dem August im Reiche zu folgen noch weit entfernt, gleichwohl als der älteste Sohn der Allesvermögenden Livia eine der ersten Personen im Staat war, sich ein wichtiges Ansehen und die Mine zu geben, als ob er wegen seiner Verbindung mit verschiednen Großen und weil er bey August selbst wohl gelitten war, ein Mann zu seyn glaube, dessen Empfehlung etwas zu bedeuten habe. Aber dies war noch nicht alles was Horaz in acht zu nehmen hatte. Natürlicherweise mußte er dem Tiber bey dieser Gelegenheit etwas sagen, das seiner Eigenliebe schmeichelte ohne wie eine Schmeicheley auszusehen: und Horaz, der bey aller seiner Aristippischen Geschicklichkeit mit dem Großen
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umzugehen, sich immer von dem Niedrigen Charakter eines Schmeichlers
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rein zu erhalten gewußt hatte, w o l l t e auch nichts sagen, als was am Ende ganz Rom für Wahrheit anerkennen mußte. Die Wendung die er nimmt, um bey allen diesen Klippen glücklich vorbeyzukommen, ist, däucht mich, die beste die ihm sein Genius nur immer eingeben konnte; und die Simplicität dieser Wendung gerade das was am meisten Bewunderung verdient. Er kleidet die ganze Sache in eine n a i v e E r z ä h l u n g ein, wie es zugegangen, daß sein junger Freund Septimius soviel über seine Schaamhaftigkeit *) vermocht habe, ihn zu einem Schritte zu bringen, der ihm das Ansehen gebe, als ob er beym Tiberius viel zu gelten glaube. Die Art wie er sich hierüber ausdrückt, ist von Affectation und Niederträchtigkeit gleich entfernt. — Alles was er zur Emp-
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fehlung seines Freundes sagt, sind die zween lezten Worte des Briefes; aber in diesen Worten schreibt er ihm gerade die zwo Eigenschaften zu, welche Tiberius am meisten zu schätzen das Ansehn haben wollte. Alles was er diesen Prinzen selbst schmeichelhaftes sagt, liegt in dem einzigen Verse: dignum mente domoque legentis honesta Neronis, — des Herzens und Hauses Nerons, wo der Zutritt nur Verdiensten offen ist, nicht unwerth —
Unstreitig ist dies viel Lob in wenig Worten: aber es würde in Vergleichung mit der großen Meynung, welche Rom vom Tiberius gefaßt, und mit der öffent-
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lichen Achtung, die er sich durch seine Sitten und sein kluges Betragen erworben hatte **), eher zu wenig seyn: wenn man nicht glauben könnte, eben dies, daß der Dichter so sparsam und zurückhaltend mit seinem Lobe ist, sey die feinste Art einem Prinzen zu schmeicheln, der sehr wesentliche politische Ursachen hatte, einen tödtlichen Haß gegen alle Schmeicheley zu affectieren. Von dem S e p t i m i u s , welcher ihm in diesem Briefe zur Stelle eines C o m e s empfohlen wird, haben wir wenig zu sagen. B a x t e r versichert, daß er Titus Septimius geheissen habe, ein Römischer Ritter und ein treflicher Dich*)
Der gemeine Gebrauch sezt der Bedeutung dieses Wortes zu enge Grenzen unter uns. Bey
den Römern s c h ä m t e man sich auch – unhöflich zu seyn, sich zuviel herauszunehmen, zur Unzeit zu reden, kurz irgend etwas zu thun d a s s i c h n i c h t s c h i k t e ; und ich sehe nicht warum es bey uns nicht auch so seyn sollte. **)
Egregius vità famàque quoad privatus vel in imperiis sub Augusto fuit. Ta c i t . Annal. VI. 51.
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ter auch ehedem ein Commilito des Horaz gewesen. G e ß n e r sezt hinzu: es sey eben der, an welchem die sechste Ode im zweyten Buche gerichtet sey. Wenn diese Vermuthung Grund hätte, so wäre er einer von den vertrautesten Freunden unsers Dichters gewesen, und die anscheinende Kälte, womit er ihn dem kalten und mißtrauischen Nero empfiehlt, wäre als ein sehr starker Zug seiner feinen Menschenkenntniß anzusehen. Denn das sicherste Mittel seinen Freunden bey einem Großen von dieser Gemüthsart zu schaden, ist wenn man sie mit Wärme und Eifer lobt oder empfiehlt. Wie glücklich übrigens unser Dichter mit dieser Empfehlung gewesen sey, 10
können wir nicht sagen. Auf allen Fall belehrt uns Suetonius, daß die Ehre von der Cohorte des Tiberius zuseyn eben nichts so wünschenswürdiges war, als Septimius und sein Freund Horaz sich damals einbilden mochten; wenigstens nicht von Seiten des Ertrags *). Denn er gab seinen Commensalen, gegen die gemeine Gewohnheit, keinen ordentlichen Gehalt, machte ihnen auch sonst keine Geschenke; ein einzigesmal ausgenommen, wo Augustus, (der seine angehörige keiner Art von Vorwurf gerne ausgesezt sehen mochte) seinen eignen Beutel aufthat und unter dem Nahmen seines Stiefsohns eine Gratification unter die Cohorte desselben austheilte, welche, um die Dankbarkeit dieser Herren stark zu erregen, sehr mäßige Wünsche bey ihnen voraussezte **). * * *
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Septim ist wohl der einzge, Claudius, der das Geheimnis ausgefunden hat wieviel ich bey dir gelte: Wenigstens indem er mich ersucht und durch sein Bitten Septimius, C l a u d i , nimirum intelligit unus quanti me facias. Nam cum rogat et prece cogit *) **)
S u e t o n . in Tiberio c. 46. Die ganze Summe betrug ungefehr 50,000 Thaler. Tiberius machte drey Classen. Unter die
erste, die aus Personen von Distinction bestand, theilte er 25000, und unter die zweyte 16666⅓ 30
aus. Die dritte Classe machten die g r i e c h i s c h e n G e l e h r t e n aus, die er, der Mode zu gefallen, mit sich schleppte, wiewohl er weder ihre Nation noch ihre Sprache liebte. Er nannte sie nie seine F r e u n d e , wie die übrigen, sondern nur (verächtlicherweise) seine G r i e c h e n ; und diese mußten sich an dem Rest begnügen lassen. ¼1. Buch. 9. Brief½
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mich nöthigt, dir von ihm zu sprechen, und ihn dir als einen zu empfehlen, der des Herzens und Hauses Nerons, wo der Zutritt nur Verdiensten offen ist, nicht unwerth sey, indem er also mich für einen deiner Vertrauten hält, so sieht und weiß er freylich was ich vermag weit besser als ich selbst. Nun hab ich alles zwar hervorgesucht den Auftrag von mir abzulehnen: doch aus Furcht, er könnte denken, daß ich meinen
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Credit aus bloßem Eigennutz verläugne, und mich ärmer stelle als ich würklich sey: so blieb mir endlich nichts als mit dem Vorzug der Stirne eines Manns von Lebensarta) mir durchzuhelfen. Solltest du indessen die einem Freund zu lieb hintangesezte Scham verzeyhlich oder gar verdienstlich finden: so schreibe diesen in die Zahl der Deinen, und nimm ihn, auf mein Wort, für brav und gut. scilicet ut tibi se laudare et tradere coner,
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dignum mente domoque legentis honesta Neronis, munere cum fungi propioris censet amici, quid possim videt ac novit me valdius ipso. Multa quidem dixi cur excusatus abirem; sed timui mea ne finxisse minora putaret dissimulator opis propriae, mihi commodus uni. Sic ergo, maioris fugiens opprobria culpae, frontis ad urbanae descendi praemia. Quod si depositum laudas ob amici iussa pudorem, scribe tui gregis hunc, et fortem crede bonumque.
a) Dies Räthsel bedarf doch wohl keiner nähern Erklärung?
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Zehnter Brief. An Fuscus Aristius. Einleitung. Die Scholiasten und Ausleger sind nicht einig was sie aus diesem A r i s t i u s machen sollen. Dem einen ist er ein Komischer, dem andern ein Tragischer Dichter, dem dritten ein berühmter Rhetor, dem vierten ein Schulmeister wie er selbst. Am besten wirds vielleicht derjenige errathen haben, der sich ihn als einen Mann vorstellt, der weder sehr reich noch sehr arm, weder sehr vornehm noch sehr niedrig, aber in jeder Betrachtung vorzüglich genug war, um einen Plaz in der auserlesensten Gesellschaft in Rom zu behaupten. Denn in 10
diese sezt ihn Horaz, am Schluß der zehnten Satyre des ersten Buchs, und zwar unmittelbar neben den nachmaligen August *); was er schwerlich gethan hätte, wenn Aristius nicht gewohnt gewesen wäre, sich in so guter Gesellschaft zu befinden. Die kleine zufällige Rolle die er eben diesen Fuscus Aristius in der vorgehenden 9ten Satyre spielen läßt, zeigt ihn als einen Mann von Jovialischer Gemüthsart, oder was die Römer hominem facetum nannten: und wenn wir das alles, und die Ode, die Horaz in seinen jüngern Jahren an ihn richtete **) und besonders einige Züge des gegenwärtigen Briefes zusammen nehmen: haben wir hinlänglichen Grund uns diesen Aristius als den vertrautesten und liebsten der Freunde unsers Dichters, als den eigentlichen F r e u n d s e i -
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n e s H e r z e n s , zu denken. Mich dünkt dies sagt uns gerade soviel von ihm, als wir brauchen um jede Zeile dieses Briefes doppelt interessant zu finden, und es ist die beste Silhouette und ein so gutes Bildnis, als irgend ein damaliger Porträtmahler mahlen konnte, werth. Übrigens ist aus dem Briefe selbst zu schliessen, daß Aristius, — der sich, nach einer allen gebohrnen Bürgern der Hauptstädte der Welt gewöhnlichen Vorstellungsart nichts glücklichers denken konnte als in Rom zu leben, — von den Vergrößrungs- oder Bereichrungs-Projecten, welche die Epidemische *) **)
probet haec O c t a v i u s optimus, atque F u s c u s — Die 22te im 1sten Buch.
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Krankheit der damaligen Römer war, nicht ganz frey, und in dieser Absicht mit den Großen verwickelt genug gewesen: daß Horaz, der alle diese Dinge mit viel gleichgültigern Augen ansah, und h i e r i n n a l l e i n anders dachte als sein Freund, eine k l e i n e und äusserst sanft beygebrachte Wa r n u n g nicht für überflüßig halten mochte. * * *
Dem Freund der Stadt Aristius entbieten wir Landliebhaber unsern Gruß — hierinn, und nur hierinn allein, verschieden, sonst in allem andern wahre Zwillingsbrüder;
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was Einer will, dem nikt der andre zu, zween trauten Taubern ähnlich, die in Einem Schlag beysammen alt geworden. Du dort hütest das Nest: ich lobe mir das Feld, den Bach, den Moos umwebten Felsen und den Wald. Mir ists nun so: Ich leb und bin ein König sobald ich alle jene Herrlichkeiten verlassen habe, die ihr bis zum Himmel mit Einem tausendstimmigen Schall erhebt. Wie jener Knecht, der aus des Priesters Haus
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entlief, verbitt ich mir die ewigen Honigfladen: (1) Urbis amatorem F u s c u m salvere iubemus ruris amatores, hac in re scilicet una multum dissimiles, ad caetera pene gemelli, fraternis animis, quicquid negat alter, et alter, annuimus pariter vetuli notique columbi. Tu nidum servas, ego laudo ruris amoeni rivos, et musco circumlita saxa, nemusque. Quid quaeris? Vivo et regno simul ista reliqui quae vos ad coelum effertis rumore secundo, utque sacerdotis fugitivus, liba recuso;
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ich brauche gutes Hausgebaknes Brodt, das baß mir schmekt als alle eure Kuchen. Wenn n a c h N a t u r z u l e b e n Weisheit ist, und wer ein Haus sich bauen will zuförderst um einen guten Grund sich umsehen muß: So sprich, wo kennst du einen bessern Ort zum Glüklichleben als das Land? Wo sind die Wintertage lauer? Wo die Lüfte frischer, des Hundssterns Wuth zu mildern und den Grimm 10
des Löwen, den der Sonne schärfster Pfeil getroffen hat? Wo unterbricht den Schlaf die Sorge minder? Glänzt das Wiesengras und duftets etwa schlechter als die bunten Steinchen womit Ihr euer Estrich einlegt? Oder ist das Wasser reiner, das in euern Plätzen das enge Bley zu sprengen sucht, als das den Bach hinab mit sanftem Murmeln rieselt? Ihr selber pflanzt ja zwischen Marmorsäulen Gebüsche — lobt ein Haus, je freyer es
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pane egeo iam mellitis potiore placentis. Vivere Naturae si convenienter oportet, ponendaeque domo quaerenda est area primum; novistine locum potiorem rure beato? Est ubi plus tepeant hiemes? ubi gratior aura leniat et rabiem Canis et momenta Leonis cum semel accepit solem furibundus acutum? Est ubi divellat somnos minus invida cura? Deterius Lybicis olet aut nitet herba lapillis? Purior in vicis aqua tendit rumpere plombum
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quam quae per pronum trepidat cum murmure rivum? Nempe inter varias nutritur silva columnas, laudaturque domus longos quae prospicit agros;
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ins Feld hinaussieht? — Wie verächtlich ihr sie von euch stoßt, die stärkere Natur kommt immer unversehns zurück, und dringt durch euern falschen Eckel siegreich durch. Kein Kaufmann, der den Purpur von Aquinum nicht vom Sidonischen zu unterscheiden (2) gelernt, wird sich gewisser Schaden thun und bittrer seinen Unverstand bereuen, als wer im Leben nicht den Schein vom Wahren zu unterscheiden weiß. Je reizender die Gunst des Glüks in deinen Augen ist, je stärker wird sein Wechsel dich erschüttern. Was man bewundert läßt man ungern fahren. Flieh alles Große! Unter armem Dache kannst du an wahrem Leben Könige und ihre Freunde weit zurücke lassen. (3)
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Der überlegne Hirsch vertrieb das Pferd,a) das ihm an Streitbarkeit nicht gleich war, vom Naturam expelles furca, tamen usque recurret, et mala perrumpet furtim fastidia victrix. Non qui Sidonio contendere callidus ostro nescit Aquinatem potantia vellera succum certius accipiet damnum propiusve medullis, quam qui non poterit vero distinguere falsum. Quem res plus aequo delectavere secundae, mutatae quatient. Si quid mirabere, pones invitus. Fuge magna! Licet sub paupere tecto reges et regum vita praecurrere amicos. Cervus equum pugna melior communibus herbis a) Dies ist die berühmte Fabel, womit der Dichter S t e s i c h o r u s den Himerensern, seinen Landesleuten, die Thorheit zu verstehen gab, die sie dadurch begangen hatten, daß sie den Fürsten von Agrigent, Phalaris, den sie gegen ihre Nachbarn zu Hülfe gerufen, zum Feldherrn mit unbeschränkter Gewalt erwählt hatten.
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gemeinen Weidplaz; bis das schwächre Roß beym Menschen Hülfe sucht’ und sich den Zaum gefallen ließ: Nun kam es zwar als Sieger voll Übermuth zurück von seinem Feind; allein ihm blieb dafür, trotz allem Schütteln, der Zaum im Maul, der Reiter auf dem Rücken. So, wer aus Furcht der Armuth seiner Freyheit entsagt, die kein Metall bezahlen kann, so muß auch er nun einen Herren tragen: 10
Vergebens beißt er mit geheimen Grimm in sein Gebiß; er ist auf ewig dienstbar, zur Strafe, daß er sich an wenigem nicht gnügen ließ. Wem was er hat nicht reicht, dem geht’s wie Jenem einst mit seinem Schuh: der war zu eng und brennt’; er ließ ihn ändern, nun war der Schuh zu weit, er schwamm darinn und lag beym ersten Anstoß auf der Nase. Du, mein Aristius, bist weise gnug mit deinem Loos vergnügt zu seyn, und wirst
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nicht unbestraft mich lassen, wenn dir däucht ich sammle mehr als nöthig ist, und wisse pellebat, donec minor in certamine longo imploravit opes hominis fraenumque recepit: sed postquam victor violens discessit ab hoste, non equitem dorso, non fraenum depulit ore. Sic qui, pauperiem veritus, potiore metallis libertate caret, dominum vehet improbus, atque serviet aeternum, quia parvo nesciet uti. Cui non conveniet sua res, ut calceus olim,
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si pede maior erit, subvertet, si minor, uret. Laetus sorte tua vives sapienter, Aristi, nec me dimittes incastigatum, ubi plura cogere quam satis est ac non cessare videbor.
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nicht aufzuhören. (4) Unser Geld, wenn Wir nicht seiner Meister sind, wird’s über Uns, und zieht den Strick worans gezogen werden sollte. (5) Dies, Freund, dictiert’ ich, an der guten Göttin Vacuna halbzerfallener Capelle (6) ins Gras gestrekt, und, außer daß ich Dich nicht bey mir hatte, übrigens vergnügt. Imperat aut servit collecta pecunia cuique, tortum digna sequi potius quam ducere funem. Haec tibi dictabam post fanum putre Vacunae, excepto quod non simul esses, caetera laetus.
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* * *
Erläuterungen. (1) Dieser Zug sieht einer Anspielung auf ein Geschichtchen dieser Art ähnlich, das sich damals vor kurzem zugetragen haben mochte, und dem Aristius so bekannt war als dem Horaz. Liba, oder eine Art von Kuchen aus Mehl und Honig zubereitet, wurden fast bey allen Opfern, und besonders dem Bacchus, dem Pan und den übrigen Feldgöttern gewöhnlich dargebracht. Sie blieben den Priestern zu ihrem Antheil; und die Honigfladen mußten sich in den Häusern dieser Herren stark anhäuffen, weil die Sclaven statt des Brodts damit gefüttert wurden. (2) Die Alten, welche die Purpurfarben so hoch schäzten, hatten deren vielerley Arten, die an Schönheit und Preis sehr verschieden waren. Zu Anfang des Augustischen Jahrhunderts kostete ein Pfund mit Tyrischem Purpur doppelt gefärbter Wolle mehr als 1000 Denarien, das ist über 165 Rthlr. und doch war der Gebrauch derselben unter den Großen in Rom schon so gemein, daß P . L e n t u l u s S p i n t e r , wie er A e d i l i s wurde, diese Art von Purpur nicht gut genug fand seine Toga damit zu verbrämen; denn, sagte er, wer hat izt nicht Polsterdecken von diesem Purpur? *) Der immer steigende Luxus nö*)
Plin. H. N. IX. 39.
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thigte also die Fabricanten auch immer feinere und theurere Nüancen der Purpurfarben zu erfinden, um die üppige Eleganz der Reichen zu befriedigen; und natürlicher weise reizte dies die Gewinnsucht, durch Verfälschung der Farben, die am meisten gesucht und also am besten bezahlt wurden, die unvorsichtige Eitelkeit in Contribution zu setzen. (3) Dies war also das Resultat, was Horaz, der soviel mit Großen umgegangen war, aus seiner Erfahrung gezogen hatte? — Auch der Ausdruck K ö n i g e und F r e u n d e d e r K ö n i g e ist hier merkwürdig, und in Rüksicht auf die damalige Römische Verfassung von grösserer Bedeutung als wenn man diesen 10
Vers nur wie eine allgemeine Sentenz ließt. Horaz ließ sich nicht durch N a m e n und Republicanisches P u p p e n s p i e l täuschen; er sah durch alle die Blendwerke durch, womit August den Römern zu verbergen wußte, daß sie e i n e m K ö n i g e dienten — wiewohl die Wendung, womit er dies zu verstehen giebt, behutsam genug ist, daß er sich nicht fürchten durfte, auch diesen an einen vertrauten Freund vertraulich geschriebnen Brief bekannt werden zu lassen. (4) Die ungemeine Delicatesse, mit welcher Horaz seinen Freund behandelt, die Bescheidenheit, womit er ihm seinen Rath giebt, die Behutsamkeit, womit er den leichtesten Anschein einer Anmaßung und eingebildeten höhern
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Vollkommenheit an Einsicht und Klugheit zu vermeiden weiß, verdient, däucht mich, des Lesers besondere Aufmerksamkeit. Wie schön ist die Wendung die er hier nimmt, um allem, was er bisher in der Absicht den Aristius zu erinnern und zu warnen vorgebracht, das Ansehen zu geben, als ob ers eben so wohl s i c h s e l b s t als seinem Freunde gesagt hätte — indem er diesen bittet, wohl auf ihn acht zu geben, und ihn nicht unbestraft zu lassen, wenn er ihn auf dem Wege sehen sollte, seinen eignen Maximen zuwider zu handeln. Es ist in allem diesem, wie in dem ganzen Ton des Briefes, etwas das sich besser empfinden, als beschreiben und in Regeln bringen läßt. Es ist nicht die Behutsamkeit der kalten Höflichkeit, nicht die Zurükhaltung der Furcht zu beleidi-
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gen — es ist die Behutsamkeit der Liebe, der Hochachtung, der wahren Bescheidenheit — eine Delicatesse, die der Freundschaft edler Gemüther wesentlich ist, ohne die, im Grunde gar keine wahre Freundschaft bestehen kann, und die man daher auch bey a l t e n b e w ä h r t e n Freunden allezeit wahrnehmen wird.
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(5) Woher das Bild, in welches der Gedanke hier eingekleidet ist, eigentlich genommen sey, haben die Ausleger noch nicht unter sich ausmachen können. Immer ists der Natur der Sache gemäß, daß das Subject, das an einem Stricke gehen soll (es sey Mensch oder Vieh) demjenigen folge der es führt; das Gegentheil ist widersinnisch, und hat, auf welche Art es auch begegnet, allemal mißbeliebige Folgen. (6) Daß Va c u n a eine alte Göttin der alten Sabiner, in deren Lande Horazens Mayerhof lag, gewesen, ist außer Widerspruch: ob sie aber bey diesem Volke die Stelle der Minerva, Diana oder Ceres vertreten habe, oder nicht vielmehr eine Göttin für sich gewesen sey, welcher die Landleute, nach Voll-
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endung aller Feldarbeiten, zu opfern pflegten: ist eben so wenig auszumachen, als, ob Horaz das Datum seines Briefes bloß darum hinter den verfalnen Tempel der angeblichen G ö t t i n d e s M ü ß i g g a n g s gesezt habe, um (wie Torrentius meynt) über seine eigne Müßiggängerey zu scherzen. Ich nehme seine Worte im buchstäblichen Verstande. Die Vacuna hatte in der Gegend des Horazischen Landguts noch uralte geheiligte Hayne (Plin. L. III. c. 12) und, wie es scheint, auch eine alte Capelle, welche, weil sie von niemand in baulichen Ehren erhalten wurde, nach und nach zusammengefallen war. Ich stelle mir unsern Dichter vor, wie er hier in einer anmuthigwilden einsamen Gegend, neben dieser halbzerfallenen bäurischen Capelle, im Grase sizt, und seinem abwesenden Freunde Gedanken mittheilt, die einer solchen Scene angemessen sind; und ich finde dies Bild angenehmer als den Scherz des Torrentius.
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Eilfter Brief. An Bullatius. Einleitung. Der Nahme und die Person dieses B u l l a t i u s sind beyde gänzlich unbekannt. Daß er ein guter Freund unsers Dichters, und, ungeachtet der Dunkelheit seines Nahmens, wenigstens sein eigner Herr, und nicht ohne Vermögen gewesen, wäre aus dem Ton dieses Briefs und verschiedenen Umständen zu vermuthen, wenn man Lust hätte, den Abgang historischer Nachrichten durch Vermuthungen zu ersetzen. Er scheint durch fehlgeschlagne Hofnungen, oder (wie ich fast eher glauben möchte) vielleicht bloß durch eine hypochondrische 10
Verstimmung, und weil es ihm beschwerlich zu werden anfieng, daß ihm gar zu wohl war, — einen Guignon gegen Rom gefaßt zu haben, und auf den Entschluß, eine Reise nach Griechenland und Asien zu thun, gekommen, ja sogar mit dem Gedanken, sich in irgend einer hübschen Stadt dieser schönen Weltgegend fest zu setzen, umgegangen zu seyn. Horaz, der seinen Mann ohne Zweifel genauer kannte, hat in diesem Briefe die Absicht, ohne geradezu gegen seine Laune anzustossen, ihn von der Ausführung eines solchen milzsüchtigen Einfalls, unvermerkt abzulenken. Er sucht ihn deswegen zu überzeugen, daß einer sogar zu Ulubrä — wohin gebohrne Römer nicht weit zu reisen hatten — so gut als zu Rhodus oder in der schönen Mitylene im Verborgnen
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glücklich seyn könnte — sofern er nur in der i n n e r l i c h e n Verfassung sey i r g e n d w o glücklich zu seyn. Diese Moral wird in einem so leichten muntern Ton mit so vieler Anmuth herbeygeführt, daß es dem Bullaz seyn mußte als habe er sich die lezten Verse selbst gesagt: und dies ist die gute Art zu moralisieren, die unser Dichter dem Sokrates und dem S o k r a t i s c h e n A r i s t i p p abgelernt hat, und worinn ihm, meines Wissens, kein Andrer gleich gekommen ist. * * *
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Wie hat, mein lieber Wandrer, Chios, wie die Stadt der Sapphoa), wie die schöne Samos, wie Sardis, weiland Königs Krösus Siz, wie Smyrna dir und Kolophon gefallen? (1) Hast du sie über oder unter ihrem Ruhm gefunden? Scheint dir gegen Rom und gegen des Tibers prächtige Ufer alles andre klein und unbedeutend? Oder hat von A t t a l u s berühmten Städten (2) Eine Reiz genug dich fest zu halten? Oder bist du etwa
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des Meeres und der Landesstraßen schon so überdrüßig, daß es dir sogar in L e b e d o s gefällt (3). – Du kennest ja das arme Lebedos? Und doch, wiewohl Fidenä und Gabii dagegen Volkreich sind; noch wollt’ ich, müßt’ es seyn, mein ganzes Leben, der Meinigen vergessend und von ihnen wieder vergessen, dort verleben, wärs auch nur der Wuth des zürnenden Neptuns auf festem Land gefahrlos zuzusehen!
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Quid tibi visa Chios, Bullati, notaque Lesbos, quid concinna Samos, quid Croesi regia Sardis, Smyrna quid et Colophon? maiora minorane fama? Cunctane prae Campo et Tiberino flumine sordent? An venit in votum Attalicis ex urbibus una? An Lebedum laudas odio maris atque viarum? Scis Lebedus quid sit? Gabiis desertior atque Fidenis vicus; tamen illic vivere vellem oblitusque meorum obliviscendus et illis Neptunum procul e terra spectare furentem.
a) Mitylene in der Insel Lesbos.
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Und doch wird Niemand, den auf einer Reise von Capua nach Rom ein Regenguß durchnäßt und wohl besprützt zum ersten besten willkommnen Wirthshaus trieb, deswegen gleich auf Lebenslang sich drein vermiethen wollen: und wer vom Frost gelitten, preiset Öfen und Bäder drum nicht als das einzige an was glücklich mache: oder, wenn dich etwa der Südwind tüchtig im Ägeermeer 10
herumgeworfen, wirst du drum sogleich im ersten Port dein Schif verkauffen wollen? Wem ohnehin schon wohl ist, dem hilft Rhodus und Mitylen, die Schöne, (4) just soviel als freyes Feld bey Schneeluft, als ein Überrock zur Zeit der Sonnenwende, als der Tiber im Winter, und im Augstmond ein Camin. So lang das Glück uns anlacht, bleiben wir zu Rom, und loben uns die schönen Inseln alle von ferne! Nimm du jede frohe Stunde,
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Sed neque qui Capua Romam petit, imbre lutoque aspersus volet in caupona vivere; nec qui frigus collegit furnos et balnea laudat ut fortunatam plene praestantia vitam; nec si te validus iactaverit Auster in alto idcirco navem trans Aegeum mare vendas. Incolumi Rhodos et Mitylene pulchra facit quod paenula solstitio, campestre nivalibus auris, per brumam Tiberis, Sextili mense caminus. Dum licet et vultum servat Fortuna benignum,
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Romae laudetur Samos et Chios et Rhodus absens. Tu quamcunque Deus tibi fortunaverit horam
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die Gott dir schenkt, mit Dank an, und verliehre nie das Gegenwärtige durch Entwürfe von Vergnügen fürs Künftige; sondern richte so dich ein, daß, Wo du immer lebst, du gern gelebt zu haben sagen könnest. (5) Denn wofern Vernunft und Klugheit, nicht ein Ort der weit umher das Meer beherrscht, die Sorgen von uns nimmt: so ändern jene nur die Luft, nicht ihren Sinn, die übers Meer der Langeweil’ entlauffen. Wie sauer lassen wirs uns werden — Nichts
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zu thun! Man jagt zu Wagen und zu Schiffe dem Glüklichleben nach, und — was du suchst ist hier, sogar zu Ulubrä, (6) wenn nur dein eigen Herz dich nicht im Stiche läßt. grata sume manu, nec dulcia differ in annum: ut quocunque loco fueris vixisse libenter te dicas. Nam si ratio et prudentia curas, non locus effusi late maris arbiter, aufert, coelum non animum mutant qui trans mare currunt. Strenua nos exercet inertia; navibus atque
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quadrigis petimus bene vivere: quod petis h i c est, est Ulubris, animus si te non deficit aequus. * * *
Erläuterungen. (1) Horaz nennt hier einige der ältesten, berühmtesten und ihrer Lage, ihres Bodens und Klima’s wegen anmuthigsten Griechischen Inseln und Städte, welche Bullatius auf seiner Reise zu besuchen hatte. Es ist keine darunter, von deren Merkwürdigkeiten nicht ein Buch geschrieben war, oder hätte geschrieben werden können; und dies ist gerade Ursache genug hier nichts weiter von ihnen zu sagen.
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(2) Eine von den Städten die zum Reiche der Könige von Pergamus gehörten, welches A t t a l u s I I I . , da er im Jahr der Stadt Rom 621 ohne Leibeserben verstarb, der Römischen Republik vermachte, nachdem die Attaliden solches 154 Jahr besessen hatten. Pergamus, Myndus, Apollonia, Tralles, Thyatira, und andere waren die beträchtlichsten Städte dieses Königreichs, welches sich über verschiedne Provinzen des Westlichen Theils von KleinAsien erstrekte. (3) Dieses Lebedos, ungefehr vier Meilen von Kolophon, an der Ionischen Küste gelegen, war zu Herodots Zeiten eine von den zwölf vornehmsten Städ10
ten des schönen Ioniens, berühmt wegen eines alten Tempels des A p o l l o C l a r i u s , und eines jährlichen Fests des Bacchus, wo die sogenannten Texnh-
tai dieses Gottes, d. i. Dichter, Musici, und Schauspieler, aus ganz Ionien zu einem öffentlichen Wettstreit zusammen kamen *). Torrentius wundert sich daher, wie Horaz einen solchen Ort mit dem unbewohnten G a b i i habe vergleichen können: würde dies aber sehr natürlich gefunden haben, wenn er sich aus dem P a u s a n i a s **) erinnert hätte, daß L y s i m a c h u s diese Stadt zerstört und die Einwohner nach Ephesus versezt hatte: so daß sie zu unsers Dichters Zeiten nichts bessers als ein armseliges menschenleeres Örtchen war, dem durch die Vergleichung mit Gabii und Fidenä noch Ehre angethan 20
wurde. — Übrigens bemerke ich nur noch, daß in allen diesen O d e r , welche Horaz hier auf einander häuft, eine feine Ironie über seines Freundes unruhige und unbeständige Sinnesart verstekt liegt. Ein Mensch der sich einbildet, es werde ihm besser werden wenn er den Ort verändre, wiewohl er die Ursache, warum ihm nicht wohl ist, mit sich nimmt, — fühlt an dem ersten fremden Orte, der ihm gefällt, sogleich eine Neigung in sich, ewig dort zu bleiben: allein kaum hat er sich ein wenig da umgesehen, so spürt er wieder daß ihm etwas fehlt, was er dort nicht findet. Er geht also weiter, trift von ungefehr anderswo an was ihm dort fehlte, und glaubt nun den rechten Ort gefunden zu haben; aber nicht lange, so regt sich seine Unruhe wieder: ihm fehlt nun was
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anders, das er anderswo suchen muß; und so macht er einen Versuch nach dem andern, und wird seines Irthums immer nur gewahr um einen neuen zu begehen. Dies war, wie es scheint, das Übel des guten Bullatius, und dies ists, *) **)
P l i n . H . N . L. V. c. 29. S t r a b o L. 14. In A t t i c . c. 9.
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was ihm Horaz durch alle die folgenden Inductionen, mit einer gutherzigen Art von Scherz, zu verstehen geben will. (4) M i t y l e n e hieß Vorzugsweise d i e S c h ö n e , Megalh kai kalh (Longi Pastoral. l. 1.) sowohl wegen ihrer herrlichen Lage und anmuthigen Gegend, als wegen der Schönheit ihrer Bauart und Gebäude (Cicero II. de Lege Agrar. c. 16.) Sie war seit den Zeiten ihrer berühmten Bürgerin Sappho immer ein Sitz der Musen und der Künste gewesen, und befand sich damals, als Horaz dies schrieb, wieder in sehr blühendem Zustande; ungeachtet sie von dem grausamen L. Sulla, dem Triumvir, vor ungefehr sechzig Jahren, beynahe gänzlich zerstört worden war.
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(5) Dies ist die Moral, auf die Horaz immer zurükkömmt, und in der sich seine ganze Philosophie concentriert; die Regel, nach welcher er lebte, das Arcanum, dem er seine Glükseligkeit zu danken hatte, und die einzige Ars semper gaudendi, welche die Erfahrung bisher bewährt hat. Nur Schade, daß sie, wie G e s c h m a c k , wie L i e b e , wie Bona Mens, für alle die sie nicht würklich schon besitzen ein Geheimniß ist; und daß zu einem Menschen, der nicht empfinden, nicht lieben, und nicht genießen kann, zu sagen: empfinde, liebe, genieße! — gerade soviel ist, als einen Gichtbrüchigen zum Tanz und einen Blinden zum Anschauen eines prächtigen Sonnenaufgangs einzuladen. Horaz war nach Seele und Leib zu dieser glüklichen Philosophie des Lebens gestimmt: Bullatius, wie zehntausend andre seiner Gattung, war’s nicht; er suchte immer was er bloß darum nie finden konnte, w e i l ers suchte, oder so weit suchte was ihm so nahe war. (6) Ulubrä, ein kleiner Ort, in der Gegend der Pomtinischen Sümpfe, war ungefehr so ein Ding wie Lebedos, so klein, leer, und unbedeutend, daß es eine Schande wäre mehr davon zu sagen.
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H o r a z e n s B r i e f e (Mitte/Ende April 1782)
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Zwölfter Brief. An Iccius. Einleitung. Die historische Nachricht, die wir von den U m s t ä n d e n des Mannes, an den diese Epistel geschrieben ist, geben können, läuft auf sehr wenig hinaus: aber von seinem C h a r a c t e r läßt sich, aus Vergleichung derselben mit der 29sten Ode des ersten Buchs, die ebenfalls an ihn gerichtet ist, verschiedenes entdekken, das über diesen Brief ein Licht verbreitet, ohne welches uns die feinsten Schönheiten desselben unbemerklich bleiben würden. Dieser I c c i u s also scheint einer von den Freunden unsers Dichters v o n d e r z w e y t e n O r d 10
n u n g gewesen zu seyn; von denjenigen, mit denen man sich in der Jugend zusammentrift, und, indem man eine Zeitlang ungefehr einerley Weg mit ihnen geht, unvermerkt vertraulich genug wird, um sein übriges Leben durch auf dem Fuß einer alten Cameradschaft mit ihnen zu stehen. I c c i u s legte sich in seiner Jugend mit großem Eifer auf das was man damals Philosophie nannte, kaufte alle Bücher der S o k r a t i s c h e n S c h u l e und des berühmten Stoikers P a n ä t i u s zusammen, und schien, nach den Anstalten die er machte zu schließen, nichts geringers im Schilde zu führen, als die C i c e r o n e n und Va r r o n e n in diesem Fache verdunkeln zu wollen. Inzwischen wurde, einige Jahre nachdem Cäsar Octavianus die Regierung des ganzen Reichs an sich gebracht
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und der Welt einen allgemeinen Frieden gegeben hatte, in Rom stark davon gesprochen, daß nun nichts mehr übrig sey, als die grausame Schmach zu rächen die der Römische Nahme unter M . C r a s s u s von den Parthern erlitten hatte; und man erwartete von dem Erben Cäsars und Eroberer Egyptens, daß er auch noch dieses mächtige Reich, nebst Arabien und den übrigen Morgenländern, deren für unermeßlich gehaltne Reichthümer der Römer schon lange mit lüsternen Augen ansah, der Römischen Oberherrschaft unterwerfen werde. Augustus schien diese Wünsche eines Volkes von dem er angebetet wurde, und dem unter seiner Anführung und mit seinem Glücke alles möglich schien, zu billigen; und da im Jahre 729 würklich der Gouverneur von Egypten, Aelius
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Gallus, einen Feldzug gegen den König des glüklichen Arabiens unternahm: so
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glaubte nun jedermann daß die Ausführung der schimmernden Entwürfe, womit die müßigen Quiriten ihre Einbildung zeither geweidet hatten, vor der Thüre sey. Auf einmal drehte sich auch die Vorstellungsart d e s P h i l o s o p h e n I c c i u s um. Er überlegte, wie vortheilhaft es für ihn seyn könnte, an einer Unternehmung theil zu haben, wo der geringste Officier wahrscheinlicherweise sein Glück auf immer machen würde: und er fand soviel mehr Realität in dem Gedanken, durch einen einzigen Feldzug reich zu werden, als in den nüchternen Spekulationen der Philosophie, die uns immer nur durch Entbehren glüklich machen will — daß er stehendes Fußes alle seine Platonen und Panätiusse wieder verkaufte, sich einen tüchtigen Tarraconischen Panzer da-
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für anschafte, und (wie Horaz in der besagten Ode spottend sagt) sich zu einem gewaltigen Kriege gegen die Arabischen Fürsten und ihre Schazkammern rüstete. Da aber, wider alles Verhoffen, die Unternehmung des Aelius Gallus gleich in der Geburt verunglückte, so wurden auch die feurigen Hofnungen des Iccius eben so schnell wieder zu Wasser. Indessen, da nun einmal die Schneide seines Verstandes auf Bereicherungs-Projecte gekehrt war: so nahm er, in Erwartung beßrer Zeiten, mit einer Intendanten-Stelle über die weitläufigen Güter, welche M. Agrippa (um diese Zeit der größte Römische Herr nach Augustus) in Sicilien besaß, vorlieb; und in diesem Posten befand er sich noch, als Horaz die gegenwärtige Epistel an ihn abgehen ließ.
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Aus dieser sehen wir, daß I c c i u s noch immer Ansprüche an den Titel eines Philosophen machte, aber auch noch immer seine fehlgeschlagnen Anschläge auf die Schätze der morgenländischen Könige nicht verschmerzen konnte. Der Intendant des Agrippa geizte nach dem Ruhm eines aufgeklärten Geistes; aber bey allen seinen Speculationen stund es in seinem Innwendigen nichts desto besser; Geldgeiz und Habsucht blieben seine herrschenden Leidenschaften: und wenn er den Stoiker spielte, und sich die Mine gab als ob er ihren großen Grundsaz „daß die Tugend sich selbst genugsam sey“ zur Regel seines Lebens machte: so geschah es (wie ihm Horaz auf eine sehr feine Art zu verstehen giebt) blos um seine Kargheit zu maskieren, und seinem LieblingsLaster einen schönen Namen zu geben. Kurz, Iccius, machte den Philosophen, wie eine feige Memme den Eisenfresser macht; aber seine Ohren gukten doch immer aus der Löwenhaut hervor, und er verrieth sich durch seine Unzufriedenheit und ewigen Klagen, womit, wie es scheint, auch der Brief angefüllt war, auf welchen dieser Horazische die Antwort ist.
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Das feine, dem flüchtigen Blik fast unmerkliche, aber doch, wenn mans schärfer betrachtet, noch ziemlich deutliche P e r s i f f l a g e , das in diesem Briefe herrscht, ist ein Muster in dieser Art: die Ironie streift so leicht an der Eigenliebe des Verspotteten hin, daß Iccius selbst, wenn er’s auch fühlte, wenigstens am besten that sich nichts davon anmerken zu lassen. — Es ist angenehm diesen Brief und die beyden vorgehenden, — da es in allen dreyen darum zu thun ist, an Personen die man schonen will etwas zu tadeln, — in Absicht d e s To n s mit einander zu vergleichen. In dem Briefe an A r i s t i u s ist der Tadel so bescheiden, freundlich und mild, daß er kaum diesen Nahmen ver10
dient: in dem an B u l l a t i u s ist er mit gutlaunigem Scherz umwickelt: nur d i e s e m h i e r ist etwas Salz beygemischt, das zwar vom feinsten Attischen ist, aber doch einen flüchtigen Geschmack von etwas das nahe an die Verachtung gränzt, bey sich führt. Man sieht daß er den Aristius hochschäzt, dem Bullatius gerne helfen möchte, und den Iccius zum Besten hat. * * *
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Wofern du deines Antheils an Agrippa’s Sicilischen Früchten, die du sammelst, nur recht zu genießen weist, mein Iccius, so seh ich nicht wie Zevs dich reicher machen könnte. Laß ab von Klagen, Freund! Der ist nicht arm wer reichlich hat was er zum Leben braucht. So lange deinem Magen, deiner Hüfte und deinen Füßen wohl ist, könnten Königsschätzea) nichts bessers, nichts von größerm Werth hinzu thun. Fructibus Agrippae Siculis, quos colligis, Icci, si recte frueris, non est ut copia maior ab Iove donari possit tibi: tolle querelas! Pauper enim non est cui rerum suppetit usus. Si ventri bene, si lateri est pedibusque tuis, nil divitiae poterunt regales addere maius. a) Horaz erinnerte sich vielleicht an die beatas Arabum Gazas, womit er den Iccius schon ehmals in der Ode an ihn aufgezogen hatte.
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Wenn du im Überfluß, der dich umfliest, vielleicht von Kräutern und von Nesseln lebst, (1) du würdest, glaube mir, nicht anders leben wenn dich Fortuna straks bis an den Hals in einen Goldstrom sezte: sey es nun weil Reichthum die Natur nicht ändert, oder weil einem Stoiker, wie du, die Tugend zum Glück genug und über Alles ist. (2) Wenn Demokrit, derweil sein Geist, vom Körper abwesend, ins Ideenland hinüber
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geflogen ist, dem Vieh der Nachbarn seine Äcker und Gärten preißgiebt, (3) wundern wir uns dessen? Da, mitten in der allgemeinen Seuche von Üppigkeit und schäbichter Gewinnsucht, Du, statt der Dinge die den kleinen Seelen so wichtig als sie Dir verächtlich sind, noch um so hohe Fragen dich bekümmerst, (4) als: was das Meer in seinen Schranken halte? Woher der Jahreszeiten Ordnung? Ob von selber die Planeten oder aus
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Gehorsam so verwirrt und doch so richtig irren? Si forte, in medio positorum abstemius, herbis vivis et urtica, sic vives protinus ut te confestim liquidus Fortunae rivus inauret: vel quia naturam mutare pecunia nescit, vel quia cuncta putas una virtute minora. Miramur si Democriti pecus edit agellos cultaque, dum peregre est animus sine corpore velox, cum tu inter scabiem tantam et contagia lucri nil parvum sapias et adhuc sublimia cures? Quae mare compescant causae? quid temperet annum? Stellae sponte sua iussaene vagentur et errent?
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Warum des Mondes Scheibe wechselsweise bald ab bald zunimmt? — Kurz, den ganzen Plan der Zwietrachtvollen Eintracht der Natur, und wer von beyden, der Pythagoräer von Agrigentum,b) oder der subtile Stertinius — nicht wisse was er sagt? (5)
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Indessen, sey’ es daß du Fische, oder nur Lauch und Zwiebeln w ü r g e s t ( 6 ) — Laß den Grosphus dir empfohlen seyn, (7) und komme, falls er was begehrt, gefällig ihm entgegen. Grosphus kann nichts wollen als was recht und billig ist. Man kauft die Freunde wohlfeil wenns den Guten woran gebricht. Zulezt, um auch was Neues vom Staat zu schreiben, wisse daß der wilde Cantabrer endlich durch Agrippa’s, und Armenien durch Nerons Tapferkeit bezwungen ist: Kniefällig anerkennt Phraates Cäsars Oberherrlichkeit; (8) und über ganz Italien hat die Fülle ihr goldnes Fruchthorn gänzlich ausgeleert. (9) Quid premat obscurum lunae, quid proferat orbem? Quid velit et possit rerum concordia discors? E m p e d o c l e s an S t e r t i n i u m deliret acumen? Verum, seu pisces seu porrum et caepe trucidas, utere Pompeio Grospho, et si quid petet ultro defer; nil Grosphus, nisi verum orabit et aequum. Vilis amicorum est annona, bonis ubi quid de’st. Ne tamen ignores quo sit Romana loco res, Cantaber Agrippae Claudi virtute Neronis Armenius cecidit; ius imperiumque Phrahates Caesaris accepit genibus minor; aurea fruges Italiae pleno defudit copia cornu. * * * b) E m p e d o k l e s .
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(1) Daß Nesseln, und zwar nicht bloß die taube (Lamium) sondern die eigentliche Brenn-Nessel, unter den Gemüsen waren, womit sich in Rom — arme und gemeine Leute wenigstens — behalfen, ist aus einer Stelle des Plinius klar. *) Man aß sie zwar nur im Frühjahr, wenn sie noch zart waren: aber Horaz bestimmt auch keine Zeit wenn Iccius Nesseln esse; und überdies stehen die Nesseln hier bloß für jede schlechte Kost. Der Umstand, daß dieser Brief im Herbst geschrieben worden, ist also kein Grund, warum wir mit Geßnern glauben sollten, die Rede sey hier nicht von Brenn-Nesseln sondern von dem F i s c h e U r t i c a . Da es keinen eigentlich so genannten Fisch dieses Namens giebt, so meynt dieser gelehrte Ausleger vermuthlich die sogenannte
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Seenessel (Urtica Marina) ein sehr weitläuftiges Geschlecht Polypenartiger Seegeschöpfe, welche fast in allen Meeren zu finden sind, und wovon Plinius **) eine Beschreibung giebt, die von unsern Neuesten Naturforschern theils vermehrt theils berichtigt worden ist. Wer indessen den weisen Iccius lieber See-Nesseln als Brenn-Nesseln essen lassen will, mit dem werde ich um so weniger hadern, da mich der Xte Theil des N. Schauplatzes der Natur belehrt: daß wenigstens Eine Gattung dieser See-Nesseln, (auch See-Qualm und Rozfisch genannt) gut zu essen sey, und in der Nordsee und dem Eismeere den Seefahrern oft sehr zu statten kommt. ***) (2) Horaz, um sich über die Philosophische Prätension des Iccius auf eine
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feine Art lustig zu machen, giebt sich scherzweise die Mine als ob er auch zum Handwerk gehöre, und wartet ihm hier mit einem Dilemma auf, in welchem mehr Schalkheit, als es scheint, verborgen liegt. Ich verstehe es so: Wie? du bist ein Weiser, und klagst daß du nicht reicher bist? Und wenn nun auf einmal alles was du anrührst zu Golde würde, was hättest du davon? Würdest du dann weniger von Kraut und Brenn-Nesseln leben als izt, da du im Überfluß der besten Lebensmittel darbest? Ganz gewiß nicht! Denn, entweder ist deine itzige Lebensart die Frucht deiner natürlichen Sinnesart, oder deiner Philo*)
L. XXI. c. 25. In der großen Theurung von 1771 und 72. lehrte die eiserne Noth auch in
manchen Gegenden Teutschlands den Hunger mit dieser ungewöhnlichen Art von Gemüse zu besänftigen. **) ***)
L. IX c. 45. Ich finde auch beym P a u l J o v i u s de Romanor. Piscibus c. 41. einer Art von Urtica
erwähnt, die am Ufer von Civita Vecchia häuffig gefunden, und unter die Delicias der Römischen Tafeln gerechnet werde. Von dieser kann also wenigstens hier nicht die Rede seyn.
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sophie: ist Jenes, so wird Geld deine Natur nicht ändern — (teutsch herausgesagt: wo ist jemals ein Filz durch Reichthum von seiner Kargheit geheilt worden?) Ist dieses, so ist dir, als einem erklärten Stoiker, die Tugend allein zum Glüklichleben genugsam, und du achtest alles übrige nichts: Also u. s. w. Q. E. D. Der gelehrte G e ß n e r muß nicht heiter gewesen seyn, da es ihm vorkam, er könne in allem diesem keine Spur von Ironie wahrnehmen, er sehe nichts als ingenuum laudatorem amici et virtutis. Gerade dies ists, was ich mit aller Anstrengung meiner Augen n i c h t sehen kann. Ein ächter Stoiker, der im ganzen Ernst sein Glück in die Tugend, und in sie allein, sezt, und es in 10
ihr g e f u n d e n hat, ist der Zufriedenste aller Sterblichen; er klagt nicht, wie Iccius, daß er arm sey, zumal wenn er an allem Nöthigen Überfluß hat; Er ist nicht arm, sondern die sind es (nach s e i n e r Art zu denken) die das alles nicht entbehren können, was er weder vermißt noch wünscht. Wenn also Horaz von einem solchen Menschen als einem Weisen spricht, so ists doch wohl Ironie, oder — Horaz ist h i e r etwas was er in seinem ganzen Leben nie gewesen ist. (3) C i c e r o bestättigt diese Anekdote auf eine zu entscheidende Weise, als daß B r u c k e r s Machtspruch: non audiendi sunt Horatius et Cicero etc. *) dagegen gehört werden könnte. Democritus (vere falsone quaereremus) dicitur oculis se privasse: c e r t e , ut quam minime animus à cogitationibus
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abduceretur, patrimonium neglexit, agros deseruit incultos. D e F i n i b . V. 29. Daß in der Anwendung welche Horaz von diesem Beyspiel auf den Iccius macht, und in der schalkhaften Wendung — „W i e ? w i r w u n d e r n u n s über den Demokritus u. s. w. Da wir doch das große Beyspiel, das d u u n s g i e b s t , v o r A u g e n h a b e n “ — eine Ironie liege, die sogar Iccius bey allem seinen Dünkel merken mußte: dies hat schon Torrentius gesehen, wiewohl Geßner noch immer nichts sehen kann. (4) Um einen Schriftsteller recht zu verstehen, muß man ihn durch sich selbst auslegen. Horaz, als ein ächter Jünger der Sokratischen und Aristippischen Schule, kannte, schäzte, und trieb keine andre Philosophie, als die wel-
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che sich auf die Kunst zu leben und zu genießen einschränkt. Wa s ü b e r u n s i s t , dachte er, g e h t u n s n i c h t s a n . Ob mit Recht oder Unrecht, ist hier nicht die Frage: genug, daß er so gedacht habe, wird Niemand, der mit seinen Schriften vertraut ist, bezweifeln. Es ist also abermals Ironie, wenn er sich *)
Histor. Crit. Philos. T. I. p. 1173.
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stellt als ob er den Iccius wegen seinem Vorwitz nach dem W i e und Wa r u m der Körperwelt und ihrer innern Ökonomie, so sehr bewundre. Hätte Iccius in diesen Wissenschaften würklich etwas gethan das der Rede werth wäre, so wär’ es ein anders; aber da wäre doch wohl was davon bis zu uns gekommen, und man fände eine Spur davon in andern Schriftstellern, gesezt auch seine eignen Werke wären verlohren gegangen. Allein, aller Wahrscheinlichkeit nach, war mehr Eitelkeit und Windmacherey als Realität in seinen s u b l i m e n Studien; und so hatte Horaz eine doppelte Ursache seiner zu spotten: einmal, weil es an einem Intendanten über die Landgüter des Agrippa, und an einem Manne der selbst so sehr nach Reichthum dürstete, lächerlich war,
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seine Zeit mit Speculationen über den Weltbau zu verliehren; und endlich, weil ers nicht einmal soweit darinn brachte, um sich in diesem Fach einen Namen zu machen. (5) Dieser Vers: E m p e d o c l e s , an S t e r t i n i u m deliret a c u m e n ? sezt das Ironische der ganzen Stelle außer allen Zweifel. S t e r t i n i u s war, wie es scheint, ein damaliger Pfuscher in der Stoischen Philosophie, der von Leuten, die sich von einem dicken übelgekämten Bart, einem guten Cynischen Mundstück, und einer unverschämten Fertigkeit über Weidsprüche zu declamiren, in Respect setzen lassen, für einen großen Mann gehalten wurde; und dies um so mehr, da er (nach Versichrung des Cruckischen alten Commentators) ein
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Werk über die Stoische Philosophie in Z w e y h u n d e r t u n d Z w a n z i g B ü c h e r n geschrieben hatte — das vermuthlich seinen Vater nicht überlebt hat; denn, außer Horazen, der ihn spottweise in der 3ten Satyre des zweyten Buchs den a c h t e n We i s e n nennt, ist kein alter Schriftsteller, dem seine Existenz bekannt oder der Erwähnung werth geschienen hätte. Horaz persifliert zugleich die Sache selbst — indem er einen alten Pythagoräer von so berühmten Namen wie Empedokles mit einem Stertinius zusammenstellt, und zu einer Frage macht, welcher von beyden am ärgsten radottire, — und den Iccius, der sich viel damit wußte, zwischen zween so subtilen Philosophen den Richter machen zu können. (6) Eine feine Wendung, um dergleichen zu thun als ob alles vorgehende auch nur ein so harmloser Scherz, wie dieser hier, gewesen sey. Die Pythagoräer, und namentlich E m p e d o k l e s (der vermuhtlich beym Iccius in besonderm Ansehn stund) glaubten, daß die menschlichen Seelen nicht nur in alle Arten von thierischen Körpern, sondern auch i n d i e P f l a n z e n übergehen,
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und dieselben eine Zeitlang b e l e b e n müßten. Empedokles trieb die Sache soweit, daß er versicherte, er erinnere sich noch ganz wohl, ein Mädchen, eine Pflanze, ein Fisch und ein Vogel gewesen zu seyn *). Auf diese Philosophische Extravaganz spielt Horaz mit dem Worte w ü r g e n (trucidare) an. G e ß n e r n steigen hier bey den F i s c h e n seine See-Nesseln wieder auf: aber gewiß dachte Horaz desto weniger daran. Fische machten bey den Römern die vornehmsten Schüsseln auf den Tafeln der Reichen und Wollüstigen aus; er sezt sie also der s c h l e c h t e n K o s t entgegen, wozu er oben die Urticas gerechnet hatte. (7) Pompejus Grosphus war ein Römischer Ritter, der in Sicilien ansehnli10
che Güter besaß, wie wir aus der 16ten Ode des IIten Buchs sehen, worinn ihm Horaz sagt: Hundert Heerden Sicilischer Kühe brüllen Dir entgegen, dir wiehern zum Wettlauf schnelle Stuten, und Wolle mit Getulischem Purpur doppelt gefärbet Kleidet dich —
(8) In dieser demüthigen Stellung können wir diesen Parthischen Fürsten noch auf Münzen des Augustus sehen. To r r e n t . Va i l l a n t führt deren eine an p. 23. Tom. II. Numismat. Imp. Praestantior. edit. 1694. (9) Dieser Brief ist also im Herbst des Jahrs 735. geschrieben. S. P e t a v . 20
Doctr. Temp. Tom. II. p. 369.
*)
Diog. Laert. VIII. 78.
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Die Dreyzehnte Epistel. An Vinius Asella. Einleitung. Daß der ehrliche Mann, an den dies Briefchen gerichtet ist, nicht Vinnius, sondern V i n i u s geheissen habe, wollen wir dem Bentley gerne glauben, ohne mit ihm darüber zu hadern, ob sein Grund „man kenne zwar eine Römische Familie Vinia, aber keine Vinnia “ Stich hält; denn dieser Vinius wenigstens scheint kein Mann von Familie gewesen zu seyn. Er nannte sich eigentlich C . V i n i u s F r o n t o , sagt der alte Scholiast des Cruquius; weil aber sein Vater den Beynahmen Asina (Eselin) führte, so erbte dieser Nahme mit der Veränderung in Asella (kleine oder junge Eselin) auf den Sohn fort. Was seine Her-
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kunft und Condition betrift, so zweifle ich keinen Augenblick, daß Torrentius mit der Spitze einer Nadel darauf getroffen hat, wenn er vermuthet, daß V i n i u s oder V i n n i u s E s e l e i n weder mehr noch weniger als ein ehrlicher Sabinischer Landmann aus Horazens Nachbarschaft gewesen, welchem er seine Briefe nach Rom mitzugeben pflegte, und den er diesesmal mit dem besondern Auftrag abschikte, dem August ein Exemplar seiner sämtlichen Werke zu überbringen. Der ganze Brief dreht sich um ein scherzhaftes Wortspiel mit dem Nahmen A s e l l a , wozu die tölpelhaft-naive, treuherzige und kurzsinnige Sabinische Plumpheit des guten Vinius den Stoff, und seine Übernahme nur die Einklei-
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dung gegeben zu haben scheint. Es ist eine Instruction, wie sich Asella bey diesem Geschäfte zu benehmen habe; aber, mit einer possierlichen Ernsthaftigkeit, und mit einer gutherzigen Mine ihn vor Fehlern zu warnen, gerade so verfaßt, wie Horaz sie hätte machen müssen, wenn er einen würklichen Esel, der vor seinen Mitbrüdern nur die Gabe der Sprache und zwey Arme statt der Vorderbeine voraus gehabt hätte, nach Rom hätte abordnen wollen. Ich kenne nichts drollichters in dieser Art, in der es so leicht ist zu verunglücken, und worinn es nur Leuten, die ihres Witzes völlig sicher sind, in einem Augenblick von Laune gelingen kann. Aber ich erinnere mich dessen was Cicero den Cäsar irgendwo sagen läßt: ego omni de re facetius puto posse ab homine non inur-
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bano quam de ipsis facetiis, disputari. Da es also gefährlicher ist über einen guten Scherz zu dissertieren als selbst gut zu scherzen: so sey es dem Leser überlassen, wieviel oder wenig Geschmak er dieser Horazischen F a z e z i e abgewinnen könne. * * *
Was ich beym Abschied, lieber Vinius, so oft und Stück vor Stück dir eingeschärft, sey nochmals bestens dir hiermit empfohlen. Du übergiebst A u g u s t e n meine Schriften (1) 10
versiegelt, aber ja nicht anders als sofern er wohl und munter ist, und sie verlangt. Nimm ja dich wohl in Acht, damit du nicht vor lauter Eifer es recht gut zu machen, die Waare die du trägst in Unwerth bringest! Falls etwa dich des Päkchens Schwere drükte, wirfs lieber weg, als daß du da, wohin du’s tragen solltest, plump und ungebührlich mit deinen Körben anprellst, deinen väterlichen Zunamen zum Gelächter und dich selbst
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zur Fabel machst. Brauch deine Kräfte bey den Hügeln, Flüssen und Morästen, die Ut proficiscentem docui te saepe diuque Augusto reddes signata volumina, Vini, si validus, si laetus erit, si denique poscet; Ne studio nostri pecces, odiumque libellis sedulus importes, opera vehemente minister. Si te forte meae gravis uret sarcina chartae abiicito potius, quam quo perferre iuberis clitellas ferus impingas, Asinaeque paternum
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cognomen vertas in risum et fabula fias. Viribus uteris per clivos, flumina, lamas.
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du zu passiren hast: und bist du nun an Ort und Stelle glüklich angelangt und möchtest des Gepäks dich gern entladen, so trags nicht etwa unterm Arm daher als wie der Baur ein Milchlamm, oder wie die alte Weinflasche Pyrrhia ihr gestohlnes Garn, (2) noch wie der Landmann, den sein Zünfter in der Stadt zu Tisch gebeten, die Pantoffeln. (3) Auch erzähle nicht den Leuten auf der Straße, was du habest schwitzen müssen, Cäsarn Verse
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zu bringen, die gar großen Spas ihm machen würden; und, wie das wundergierige Völkchen auch dich bitten möchte, (4) schüttle du die Ohren und dringe vorwärts. Nun, hiemit fahrwohl! Glük auf die Reise! Hüte dich vorm straucheln, und brich mir ja an meinem Auftrag nichts! Victor propositi simulac perveneris illuc sic positum servabis onus, ne forte sub ala fasciculum portes librorum ut rusticus agnum, ut vinosa glomos furtivae Pyrrhia lanae,
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ut cum pileolo soleas conviva tribulis. Ne vulgo narres te sudavisse ferendo carmina quae possint oculos auresque morari Caesaris; oratus multa prece nitere porro, Vade, vale, cave ne titubes mandataque frangas. * * *
Erläuterungen. (1) Die zwey Bücher seiner Sermonen, das Buch der Epoden, und die drey Bücher der Oden, als worinn alle seine damals schon publicierten Werke bestunden. Es ist nicht zu glauben, (wiewohl es sehr möglich ist) daß August diese Werke nicht einzeln schon gesehen haben sollte: aber da er sie nicht alle
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beysammen hatte, so hatte er vermuthlich den Wunsch geäussert, ein vollständig Exemplar zu haben, und — es von ihm selbst zu haben, wiewohl Horazens Schriften bey den damaligen S o s i i s um billigen Preis zu kauffen waren. (2) Anspielung an eine niedrig komische Person in einem damals bekannten Possenspiel, welche die zwoo Untugenden hatte, gerne zu trinken und gerne zu stehlen. Sie hatte in der Trunkenheit etliche Stränge Garn gemaußt; wie aber der Wein zutraulich und unbesonnen macht, so vergaß sie daß ihr Garn gestohlen war, und trugs so öffentlich unterm Arm daher, daß sie, zu großer 10
Freude des zuschauenden tunicati popelli, nothwendig gleich entdekt werden mußte. (3) Da die mehresten Zünfte der Römischen Bürgerschaft Tribus r u s t i c æ waren, und ein großer Theil dieser Zunftgenossen würklich als Bauren auf dem Lande lebten, so behielten sie auch die alte Einfalt der Sitten am längsten bey. Wenn z. B. ein solcher Biedermann von einem vornehmen Zunftgenossen in der Stadt etwa zu Tische gebeten wurde: so gieng er baarfuß, und trug seine Pantoffeln, um sie nicht schmutzig zu machen, unterm Arm. Wenn man also einen römischen Landmann mit den Pantoffeln unterm Arm einherschreiten sah, so wußte jedermann, daß er zu Gaste gebeten war; und hierinn liegt das
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tertium comparationis. (4) Geßnern verläßt Horazens Geist schon wieder. Oratus multa prece, nitere porro, — welches ich, dem Zusammenhang und Ton der ganzen Stelle gemäß, mit Baxtern so verstehe: wie sehr dich die Leute auch bitten möchten, ihnen zu sagen was du zu thun habest, laß dich nicht verführen, sondern dränge dich stillschweigend durch sie fort — heißt ihm: „ich habe dich nun genug gebeten: laß du dirs nun angelegen seyn dein bestes zu thun.“ — Der Leser, qui nasum habet, mag entscheiden! — Daß porro auch soviel als v o r w ä r t s bedeute, ist bekannt.
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Der vierzehnte Brief. An den Verwalter seines Landguts. Einleitung. Der Verwalter eines Landgutes (villa rustica) hieß bey den Römern der Villicus; er war selbst ein Leibeigner Knecht (mancipium) sollte aber, von Rechtswegen, bey den Feldarbeiten aufgewachsen seyn, und von der ganzen Landwirthschaft eine vollständige praktische Erfahrenheit haben. Sein Amt war, das Gut auf alle mögliche Weise geltend zu machen, zu erhalten, und zu verbessern. Alle übrige Knechte und Taglöhner, und alle Theile der Wirthschaft stunden unter ihm; er hatte alle Einnahmen und Ausgaben zu besorgen, legte
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dem Herrn des Gutes die Rechnung ab, und regierte, mit einem Wort, unter den Befehlen desselben, die ganze villam rusticam. Horaz scheint mit dem Seinigen nicht zum Besten versehen gewesen zu seyn. Der Mensch hatte in Rom eine Zeitlang was wir Lakeyen-Dienste nennen gethan; es wollte ihm daher, da er wieder aufs Land versezt wurde, nicht recht dort gefallen; er sehnte sich immer wieder nach der Stadt, und es lag nicht an ihm, wenn sein Herr dem Landleben nicht völlig entsagte. Er konnte gar nicht begreiffen, was ein Mann, der es doch in der Hauptstadt so gut haben könnte, alle Tage mit großen Herren schmausen könne u. s. w. an dem Aufenthalt in einem so abgelegnen, einsamen, leidigen Baurengut für Vergnügen finde. Ho-
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raz nimmt hievon Gelegenheit, ihm mit seiner gewöhnlichen Jovialität den Text zu lesen: Indessen scheint er doch diesen Brief weniger für seinen Villicus als zu seinem eignen Zeitvertreib, während eines wider seine Neigung verlängerten Aufenthalts in der Stadt, und vielleicht auch nicht ohne Rücksicht auf das Publikum geschrieben zu haben; dem er, bey jedem guten Anlaß, seine Art über die Angelegenheiten des Lebens zu denken, und den eigentlichen Grund seiner Liebe zum einsamen Landleben — die vielleicht dem größten Theil seiner Stadtfreunde eben so wenig als seinem Villicus einleuchten wollte — gerne begreiflich gemacht hätte. * * *
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Verwalter meiner Waldungen und meines mir selbst mich wiedergebenden mir nicht zu kleinen Gutes, das hingegen dir so verächtlich ist, wiewohl’s in alten Zeiten fünf Feuerstellen hatte, und nach Varia fünf dorten zünftige wakre Männer schikte: (1) auf, laß uns eifern, welcher von uns beyden, Du meine Felder, oder ich mein Herz von Dorn und Disteln besser säubern könne, 10
und ob das Landgut oder ob sein Herr in besserm Stande sey? — Was mich betrift, wiewohl mein L a m i a , a ) der seinen Bruder betraurt, (2) um den verlohrnen Bruder Tag und Nacht untröstbar weint, mich noch in Rom zurükhält: so zieht mein Herz doch immer mich dorthin, und strebt mit Sehnsucht die verhaßten Schranken, die meine Freyheit hemmen, durchzubrechen. Ich preise den der auf dem Lande lebt, Du nennst den Städter glüklich: Freylich muß
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dann jedem dem des Andern Loos gefällt Villice silvarum, et mihi me reddentis agelli, quem tu fastidis, habitatum quinque focis et quinque bonos solitum Variam dimittere patres: certemus spinas animone ego fortius an tu evellas agro, et melior sit Horatius an res! Me quamvis Lamiae pietas et cura moratur, fratrem moerentis, rapto de fratre dolentis insolabiliter, tamen istuc mens animusque fert et amat spatiis obstantia rumpere claustra.
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Rure ego viventem, tu dicis in urbe beatum; cui placet alterius, sua nimirum est odio sors. a) Das Wort m e i n steht zwar hier nicht im Text, aber es findet sich in der 26sten Ode des I. Buchs — necte m e o Lamiae coronas.
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verhaßt sein eignes seyn. Mit Unrecht klagen wir den Ort, der keine Schuld hat, an: die Schuld liegt bloß am Herzen, das sich selber nirgends entfliehen kann. Als Hausknecht in der Stadt wie seufztest du dich immerfort aufs Land! Izt da dein Wunsch erfüllt ist, sehnest du dich nach der Stadt zurück, und ihren Spielen und Bädern. I c h bin (wie du weist) zum mindsten mir selber gleich. (3) Du siehst mich immer traurig und bösen Muths, so oft als die verhaßten
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Geschäfte mit Gewalt nach Rom mich ziehen. Wir lieben nicht die gleichen Dinge: dies macht zwischen dir und mir den Unterschied. Was du für öde rauhe Wildnis hälst hat hohen Reiz für mich und meinesgleichen: dafür ist uns hingegen auch zuwider was dir das angenehmste däucht. Bordell und Schenke, merk’ ich wohl, das ists was dir die große Sehnsucht nach der Stadt erwekt, (4) und daß in unserm Winkel eher Weyhrauch
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und Pfeffer reiffen wird, als eine Traube, Stultus uterque locum immeritum causatur inique, in culpa est animus qui se non effugit unquam. Tu mediastinus tacita prece rura petebas, nunc urbem et ludos et balnea villicus optas. Me constare mihi scis et discedere tristem quandocunque trahunt invisa negocia Romam. Non eadem miramur; eo disconvenit inter meque et te: nam quae deserta et inhospita tesqua credis, amoena vocat mecum qui sentit et odit quae tu pulchra putas. Fornix tibi et uncta popina incutiunt urbis desiderium, video, et quod angulus iste feret piper et thus ocius uva,
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und daß kein Wirthshaus in der Nähe ist worinn du dich erhohlen, keine willige Sakpfeifferin, zu deren lärmendem Gedudel du die Erde stampfen könntest. Indessen fehlts, die Grillen zu vertreiben, dir, wie du selber sagst, an Arbeit nicht. Da sind noch wüste Lehden aufzubrechen, und kömmt der müde Stier nach Haus, so muß frisch abgestreiftes Laub zu seinem Futter 10
bereit seyn: auch ist da, zum Überfluß ein Bach, der deiner Trägheit viel zu thun macht, und nur durch Damm auf Damm bey Regengüssen gezwungen wird der Wiesen zu verschonen. Nun höre noch, warum ich nicht mit dir aus Einem Tone sing! Ich weiß die Zeit so gut wie du, da leichte dünne Röcke und eingesalbte Locken mir noch ziemten, die guten Tage, da ich unentgeltlich der räuberischen Cinara gefiel,b)
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nec vicina subest vinum praebere taberna quae possit tibi, nec meretrix tibicina, cuius ad strepitum salias terrae gravis. Et tamen urgues iam pridem non tacta ligonibus arva, bovemque disiunctum curas et strictis frondibus exples; addit opus pigro rivus si decidit imber, multa mole docendus aprico parcere prato. Nunc age quid nostrum concentum dividat, audi. Quem tenues decuere togae nitidique capilli, quem scis immunem Cinarae placuisse rapaci,
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b) Das Beywort rapaci, welches er dieser Cinara, deren er sich so gerne erinnerte, hier giebt, ist nicht da, um Böses von ihr zu sagen; sondern bloß um das u n e n t g e l t l i c h (immunem) desto mehr zu heben.
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und mirs ein leichtes war, beym Trinkgelag, vom hellen Mittag an, Ein goldnes Fläschchen Falerners nach dem andern auszuschlürfen. Izt aber lieb ich eine kurze Mahlzeit und nah am Kieselbach ein Mittagsschläfchen im hohen Grase; nicht, als schämt’ ich mich gespielt zu haben: aber Schande wär’s zu rechter Zeit das Spiel nicht abzubrechen. Dortc) nagt kein scheeles Aug’ an meinem Wohlstand, kein unbekannter Feind vergiftet dort
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mit leisem Biß mein unbemerktes Leben. Das schlimmste, was mir meine Nachbarn thun, ist, wenn sie Stein und Schollen aus den Furchen mich stoßen sehn, des fleißigen Wirths zu lachen. (5) Du bist nun einmal auf die Stadt erpicht, und möchtest lieber dort mit andern Knechten an schmalen Bissen nagen, als hier reichlich leben: dagegen neidet dir der Stadtbediente das freye Holz, den Garten, und die Heerde die du gebrauchen darfst. So wünscht der träge Stier
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den Sattel, und der Klepper möchte pflügen. quem bibulum liquidi media de luce Falerni, coena brevis iuvat et prope rivum somnus in herba; nec lusisse pudet, sed non incidere ludum. Non istic obliquo oculo mea commoda quisquam limat, non odio obscuro morsuque venenat: rident vicini glebas et saxa moventem. Cum servis urbana diaria rodere mavis, horum tu in numerum voto ruis: invidet usum lignorum et pecoris tibi calo argutus, et horti. Optat ephippia bos piger, optat arare caballus;
c) Nämlich zu Ustica, auf meinem Gute.
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Am besten, däucht mich, ists, ein jeder treibe das Handwerk das er kann, und treib es gerne. quam scit uterque, libens, censebo, exerceat artem. * * *
Erläuterungen. (1) Varia war eine kleine Municipalstadt am Anio (Teverone) ungefehr wo noch izt der Flecken Va r o liegt. In den alten Zeiten, — da Italien noch ungleich bevölkerter war, als es seyn konnte, nachdem es durch den Krieg mit den Bundesgenossen (bellum Sociale) und die darauf folgende sämtliche Bür10
gerkriege entvölkert worden, und nachdem die Großen und Reichen in Rom beynahe alles urbare Land an sich gebracht und in prächtige Villa’s verwandelt hatten, — machte das einzige, eben nicht sehr beträchtliche Gut unsers Dichters einen kleinen Weiler aus, der für fünf Familien zureichte, die in dem benachbarten Va r i a zünftig waren. Horaz scheint dieses Umstandes mit einem Vergnügen zu erwähnen, in welches ein Tropfen unschuldiger Eitelkeit gemischt ist. Es ist ein zu seltner Fall, daß ein Dichter von seinem Landgute sprechen kann, als daß man den Wenigen, die seit dem armen Homer in diesem Falle gewesen sind, das Vergnügen gern davon zu sprechen übel nehmen könnte.
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(2) Dieser L a m i a , an welchem Horaz soviel Antheil nimmt, scheint der nämliche zu seyn dem die 26ste Ode im Ersten und die 17te im Dritten Buche gewidmet ist. Torrentius sagt, man finde in diesem Zeitpuncte nur Zween L a m i a von den Geschichtschreibern erwähnt, einen Q. Aelius Lamia, der unterm August im Cantabrischen Kriege commandirt und sich sehr hervor gethan haben soll, (wovon ich aber keinen Beweis finde) und einen Lucius Lamia, der im Jahr 755. das Consulat verwaltet hat. Va i l l a n t in seinen N u m i s A n t i q u i s F a m i l i a r . R o m . T. I. p. 19. beweiset aus Münzen, daß jener Triumvir Monetalis *) unter dem August, und daß Beyde, Söhne des L . A e l i a *)
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So hiessen in diesen Zeiten die Oberaufseher über das Münzwesen. Drey derselben bestellte
der Senat, der das Recht Kupfermünzen zu schlagen behielt: und drey, welche August bestellte,
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Lamia gewesen, der im Jahr 711. die Prätur bekleidete und von welchem C i c e r o in einem Briefe an M. Brutus als einem seiner ergebensten und angenehmsten Freunde spricht. (Familiar. XI. 16.) Es ist also kein Zweifel daß es Quintus Lamia war, dessen Tod sein Bruder Lucius, der Freund unsers Dichters, so schmerzlich beweinte. (3) Geßner kann es nicht recht leiden, daß Horaz sich hier mit seiner Beständigkeit in seiner Vorneigung zum Landleben groß machen soll, und verweiset uns deßwegen auf die 7te Satyre des Zweyten Buchs, worinn er sich von seinem Sclaven Davus vorwerfen läßt: Romae rus optas, absentem rusticus urbem
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tollis ad astra levis, u. s. w.
Zu Rom ists stets das ewige Geseufze, ach, wär ich auf dem Land! — Kaum bist du da so wird die Stadt bis an die Stern erhoben. Trift sichs, zufälliger weise, daß du nirgends zum Essen eingeladen bist: da geht bey dir Nichts über Hausmannskost — „Man bleibt so hübsch gesund dabey und schläft so sanft!“ Wer dächte nicht wie wohl dir wäre, daß du nirgends zechen müssest! Aber laß
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nur einen Lauffer kommen, der dich auf die Nacht, sobald die ersten Lichter brennen, bey M ä c e n zur Tafel bittet — Himmel! welcher Lerm da gleich im Hause aufgeht! Wie du zappelst, tobst, und ein Geschrey erhebst, wenn nicht gleich alles da ist was du, dich schön zu machen, nöthig hast, u. s. w.
Wir werden eine ähnliche Stelle im funfzehnten Briefe finden, auf die sich Geßner mit noch besserm Grunde berufen konnte: aber er hätte nicht verges-
verwalteten für ihn das Recht das er hatte, sowohl Kupfer als Gold und Silber münzen zu lassen. Diese heissen deßwegen auf den Münzen Triumviri A. A. A. F. F. d. i. aere, argento, auro, flando, feriundo; v. G r a e v i i Thes. Tom. XI. pag. 766. L a m i a war einer von diesen leztern.
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sen sollen, daß man sich, weder in Scherz noch Ernst, der Fehler anklagt die man würklich hat. Die entschiedne Liebe unsers Dichters zum Landleben spricht allzulaut aus allen seinen Werken, als daß er nicht mit Wahrheit hätte sagen können, er sey sich in diesem Stücke selber gleich. Vorübergehende Launen sind keine Charakterzüge: und wenn mans immer so scharf, wie Geßner hier mit Horazen, nehmen wollte, so würde weder Sokrates noch Cato von ähnlichen Vorwürfen frey seyn. (4) Horaz hatte, da er einen seiner Stadtbedienten zum Villicus machte, eine Regel aus der Acht gelassen, welche Columella den Gutsherren sehr emp10
fiehlt: ne Villicum ex eo ordine instituant, qui urbanas ac delicatas artes instituerunt. Denn, sagt er, socors et somniculosum genus id Mancipiorum, otiis, campo, circo, theatris, aleae, popinis, lupanaribus consuetum, u. s. w. *) Aber freylich hatte auch Horaz unter der kleinen Anzahl seiner Sclaven nicht viel zu wählen; und dann läßt sich aus einigen Stellen dieses Briefes und dem Ton des Ganzen schließen, daß ehedem, da er noch mehrentheils in der Stadt wohnte, dieser Verwalter sein Homme de confiance gewesen seyn mochte. (5) Die Eigenschaft, aus einem kleinen unbedeutend scheinenden Umstande, durch Bemerkung seiner feinern Beziehungen, und jener dem schärfsten Auge kaum sichtbaren Faden, wodurch er mit andern entferntern Umständen
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zusammenhängt, diese leztern zu errathen, — diese seltne und schäzbare Gabe, welche wir mit einem aus Noth den Römern abgeborgten Worte, S a g a c i t ä t nennen, ist beynahe keinem Gelehrten nöthiger als dem Alterthumsforscher. Wie aber alle Sinne an der Grenze ihres äussersten Umkreises unzuverläßig werden: so ist auch nichts, was leichter in Irrthum führen kann, als diese Sagacität, wenn sie nicht mit einem eben so feinen Wa h r h e i t s s i n n verbunden ist, und von einer geübten Vernunft gegen Trugschlüsse und falsche Inductionen gesichert wird. Beyspiele hievon sind in den Schriften der meisten Alterthumsforscher nicht selten: aber schwerlich wird man in irgend einem ein Lustigeres finden, als dasjenige, das uns der gelehrte Abbe C a p -
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m a r t i n d e C h a u p y in seinem voluminosen Werke ü b e r H o r a z e n s L a n d g u t bey Gelegenheit dieser Stelle — rident vicini glebas et saxa moventem — von einer Sagacität, welche sieht was sonst kein Mensch sehen kann, gegeben hat. Wer sollte sich auch nur im Traum haben einfallen lassen, daß *)
De Re Rustica I. 8. p. 129. Edit. Gesneri.
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man aus diesen Worten, deren wahrer Sinn so offen zu Tage liegt und ein so naives charakteristisches Bild macht, den Schluß ziehen könne: H o r a z h a b e e i n e n s c h ö n e n G a r t e n g e h a b t ? Horace, sagt der überscharfsinnige Franzose *) se represente a ˆ sa Campagne comme remuant la terre et en otant les pierres; c e n’ e t o i t p o i n t s a n s d o u t e n i d a n s l e s c h a m p s n i d a n s l e s v i g n e s qu’il se livroit à cet exercice penible, mais dans son jardin. La culture de cette portion si agreable d’une possession a dequoi plaire à tout le monde, — und nun (denn wie wollte ein solcher Autor dem Reiz eines so schönen Lieu-commun widerstehen können?) ergießt er sich in ein Lob der Annehmlichkeiten des Gartenbaus, erinnert sich der großen Männer des Alter-
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thums, die ihr Vergnügen daran gefunden, schwazt von dem Spectacle interessant de la Nature, und endigt mit der feinen Anmerkung, l e H o y a u ne doit donc pas plus nous surprendre que l a p l u m e dans les mains d’Horace. Und das Alles bey Gelegenheit einer Stelle, wo Horaz so wenig an einen Garten und eine Radehacke und ein exercice penible gedacht, als an den Babylonischen Thurm! Das rident vicini hätte dem Herrn Abt so leicht auf die rechte Spur helfen können — Aber er hatte nun einmal sein e l e g a n t e s Chateau d’Horace im Kopfe, und das Chateau mußte ja freylich auch einen s c h ö n e n G a r t e n à la l e N o t r e haben, er mochte herkommen wo er wollte.
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Decouverte de la Maison de Camp. d’Horace, Vol. I. P. 349.
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Funfzehnter Brief. An Numonius Vala. Einleitung. Man findet beym Va i l l a n t in seinen Numis Familiar. Romanar. einen Denarius, der auf der einen Seite einen Römischen Kopf mit der Umschrift C. Numonius Vaala, und auf der andern Seite zween Soldaten, die eine Verschanzung gegen einen dritten, der sie von aussen angreift, vertheidigen. Vaillant glaubt, C. Numonius Vala, oder Vaala, habe diese Münze schlagen lassen, um seine Soldaten damit zu bezahlen, da er unter dem bekannten Q u i n t i l i u s Va r u s in Germanien, als dessen L e g a t u s , commandierte *). Jeder10
mann kennt das unglückliche Schicksal dieses Römischen Feldherrn und seiner Legionen, welches weder der Treue noch Tapferkeit des Cheruskers Arminius Ehre macht. Numonius Vala, dem P a t e r c u l u s übrigens das Zeugnis eines ruhigen und redlichen Mannes giebt, bewies bey dieser Gelegenheit weder die Gegenwart des Geistes, die man von einem r u h i g e n , noch den Muth, den man von einem Rechtschafnen Manne erwarten konnte. Er glaubte, wie es scheint, durch einen eilfertigen Rückzug wenigstens die Reuterey noch retten zu können; aber das Glück betrog seine Hofnung; er rettete nichts, und ihn überlebte die Schande, durch eine voreilige Flucht den Untergang seiner Mitbürger befördert zu haben.
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F u l v i u s U r s i n u s , und andere halten diesen N u m o n i u s Va l a für denjenigen, an welchen die gegenwärtige Epistel gerichtet sey. Es ist nicht unmöglich, aber auch nicht erweislich. Alles was sich aus dem Briefe selbst ergiebt, ist, daß es ein Mann von ansehnlichem Vermögen gewesen, und daß Horaz auf einem Fuße von Vertraulichkeit mit ihm gelebt, welcher gewöhnlich eine nicht sehr große Verschiedenheit in den Jahren vermuthen läßt. Er scheint in Campanien und Lucanien Landgüter gehabt zu haben; und Horaz, dem sein Arzt gerathen hatte, auf den Gebrauch kalter Bäder, den Winter in einem mildern Klima als das Römische und Sabinische zuzubringen, sucht *)
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also vor allen Dingen von den beyden Orten, zwischen denen seine Wahl noch schwebte, die nähern Erkundigungen einzuziehen. Der ganze Brief ist in einer sehr Jovialischen Stimmung geschrieben, und hat mehr als die meisten übrigen von der anmuthsvollen Nachläßigkeit, welche den Nachahmern so leicht scheint, und gerade von allen Schreibarten die unnachahmlichste ist. Gleichwohl ist es nicht die Negligentia diligens, wovon C i c e r o in einem Capitel seines R e d n e r s a n M . B r u t u s spricht; nicht die schlaue Nachlässigkeit, wo die Begierde zu gefallen gleichsam im Hinterhalt liegt, und die Kunst sich nur versteckt um desto sichrer zu überraschen. Es scheint vielmehr die von aller Kunst und Absicht entblößte Nachläßigkeit des
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Witzes und der Laune zu seyn, wo man anfängt ohne zu wissen wie man aufhören wird; wo die Feder von sich selbst zu gehen scheint, Gedanken und Ausdrücke so wie sie sich darstellen ohne Untersuchung passiren, und der Schreiber in der leichtsinnigen Fröhlichkeit seines Herzens sich von keiner Möglichkeit, daß ihm etwas übel genommen werden könne, träumen läßt. Diese Art von Tr i s t r a m - S h a n d i s c h e r Nachläßigkeit — die freylich nur Leuten wohl anstehen kann quibus ingeni benigna vena est, — herrscht hier bis in dem Mechanischen Theil des Styls, in der Construction der Perioden; und es findet sich gleich vom zweyten Vers an (in der Übersetzung der Vierte) ein sogenanntes H y p e r b a t o n von mehr als zwanzig Zeilen, wo die Paren-
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thesen in einander stecken wie Zwiebelhäute. Man wird schwerlich im ganzen Tristram eine so seltsam construirte Stelle finden, und sie würde ohne die Wendung die ich genommen habe im Teutschen nicht erträglich gewesen seyn — wiewohl sie im Original die Grazie eines glüklich gewagten Salto mortale hat. * * *
Wie mild zu Velia der Winter sey, wie zu Salern die Luft? (1) Und was das Land für eine Art von Menschen trag’? Und wie der Weg dahin — Doch, eh ich weiter frage, Quae sit hiems Veliae, quod coelum, Vala, Salerni, quorum hominum regio, et qualis via — nam mihi Bajas
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mein lieber Vala, wisse, daß mir Musa Antonius (2) das warme Bad zu Bajä (3) soviel als unnütz hält, und mit den dortigen Leuten mich ganz entzweyt hat — die sich ordentlich ereifern, wenn sie mich zu dieser frostigen Jahrszeit noch gar in kaltem Wasser baden sehen. Denn, daß ein Kranker ihre Myrtenwäldchen verlassen, ihre weit und breit für Gicht und Podagra gepriesnen Schwefelquellen 10
verachten und ein solcher Waghals seyn kann, den Quellen Clusiumsa) seinen Kopf und Magen zu unterstellen, und das kalte Land der Gabierb) ihrem milden vorzuziehen: ist freylich eine That, worüber billig der ganze Flecken seufzt. Gleichwohl kann’s nun nicht anders seyn. Wir müssen weiter reisen, und bey den wohlbekannten Ruhestellen vorbey den Klepper treiben. „Nun, wohin? Musa supervacuas Antonius, et tamen illis
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me facit invisum gelida cum perluor unda per medium frigus; sane myrteta relinqui dictaque cessantem nervis elidere morbum sulphura contemni, vicus gemit, invidus aegris qui caput et stomachum supponere fontibus audent Clusinis, Gabiosque petunt et frigida rura. Mutandus locus est, et diversoria nota praeteragendus equus. Quo tendis? non mihi Cumas
a) In den alten Zeiten eine der Hauptstädte Hetruriens und der Sitz des berühmten Lucumons P o r s e n n a . Ihre kalten Quellen kamen durch den Arzt M u s a in Credit. 30
b) Die Gegend um Gabii, einem damals schlechten Ort zwischen Rom und Präneste. Sie war gebirgig, und Horaz scheint sie damals um der reinern Luft willen besucht zu haben.
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Der Weg geht nicht nach Bajä oder Cumä“ wird ihm vergebens mit dem linken Zügel der ungehaltne Reuter sagen: das Pferd hat seine Ohren im Gebiß. Um also, Freund, zurück zu meinen Fragen zu kommen — melde mir (denn deine Antwort wird meine Wahl entscheiden) wo von beyden besagten Orten sichs wohlfeiler lebt? Auch, ob sie Regenwasser trinken oder lebendiges Brunnenwasser? Nach dem Wein
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in dieser Gegend ist nicht Noth zu fragen. Auf meinem Gütchen kann ich mich mit allem behelfen: komm ich aber an die Küste, da muß ich edle milde Weine haben, Wein, der den Spleen verjagt — mich, wie er durch die Adern rinnt, mit Muth und Hofnung schwellt, und schwazhaft mich und beym Lucanischen Mädchen zum Jüngling macht. Auch möcht ich wissen, welche von beyden Gegenden mehr Hasen, welche mehr wilde Schweine nährt? Und wo die See
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an Fischen und an Austern reicher ist? (4) est iter aut Bajas; laeva stomachosus habena dicet eques; sed equi fraenato est auris in ore — maior utrum populum frumenti copia pascat? collectosne bibant imbres puteosne perennes iugis aquae? nam vina nil moror illius orae. Rure meo possum quidvis perferre patique: ad mare cum veni generosum et lene requiro, quod curas abigat, quod cum spe divite manet in venas animumque meum, quod verba ministret, quod me Lucanae juvenem commendet amicae. Tractus uter plures lepores, uter educet apros, utra magis pisces et echinos aequora celent,
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Denn meine Absicht ist, hübsch glatt und als e i n ä c h t e r P h ä a z i e r c ) von dort zurük zu kommen. Zu Rom war ein gewisser Mänius, der, als er all sein Erbgut, Mütterlichs und Väterlichs, baldmöglichst durch die Gurgel gejagt, für einen Mann von Wiz und Laune und guten Tischfreund zu passiren anfieng; ein Vagabund, der sich an keine eigne gewisse Krippe hielt, allein, bey leerem Magen, 10
den Freund vom Feind nicht unterschied, und grimmig auf jeden loßgieng der gegessen hatte; die Scylla und Charybdis aller Fleischerbänke! was ihm in Wurf kam, stürzte, wie in einen grundlosen Strudel, straks in seinen Bauch. Geschah’s nun, daß er den gewöhnlichen Patronen solcher Vögeld) und den Furchtsamene) pinguis ut inde domum possim Phaeaxque reverti, scribere te nobis, tibi nos accredere par est. Maenius, ut rebus maternis atque paternis
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fortiter absumtis, urbanus coepit haberi, scurra vagus, non qui certum praesepe teneret, impransus non qui civem dignosceret hoste, quaelibet in quemvis opprobria fingere saevus, pernicies et tempestas barathrumque macelli, quicquid quaesierat ventri donabat avaro. Hic ubi nequitiae fautoribus et timidis nil
c) Das ist, wie ein glatter wohlgenährter Höfling des A l c i n o u s . S. die z w e y t e Epistel. d) Den reichen Prassern. e) Die solchen Burschen aus Furcht vor ihrem losen Maule zuweilen etwas in den Rachen 30
warfen.
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Nichts oder wenig abgejagt: so fraß er dir ganze Schüsseln voll Caldaunen auf, und so viel Schaffleisch, daß drey Bären satt davon geworden wären; zog dabey als wie ein zweyter Bestiusf) auf die Prasser loß: Man sollte, sagt’ er, allen solchen Buben ein glühend Eisen auf die Bäuche brennen. Doch eben dieser Mänius, wenn ihm irgend einmal ein größrer Fisch ins Garn gegangen, und alles wieder flugs in Rauch und Asche
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verwandelt war — Beym großen Herkules, Mich nimmts nicht Wunder, sprach er, wenn ich Leute all ihr Vermögen essen seh: es geht doch in der Welt nichts über eine fette Drossel, nichts über einen guten Schwartenmagen! (5) So einer, lieber Valla, bin auch ich. (6) Gewöhnlich ist mein Wahlspruch: Klein und sicher! Und weil ich m u ß , so kann ich, wie ein andrer, bey Hausmannskost den Philosophen machen. Doch stößt mir etwas bessers auf: sogleich
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aut paulum abstulerat, patinas coenabat omasi, vilis et agninae, tribus ursis quod satis esset, scilicet ut ventres lamna candente nepotum diceret urendos corrector Bestius. Idem, si quid erat nactus praedae maioris, ubi omne verterat in fumum et cinerem, non hercule! miror, aiebat, si qui comedunt bona, cum sit obeso nil melius turdo, nil vulva pulchrius ampla. Nimirum hic ego sum; nam tuta et parvula laudo cum res deficiunt, satis inter vilia fortis: verum ubi quid melius contingit et unctius, idem f) Ein damals wohlbekannter reicher Geizhals, der, wie alle Harpagons, ein großer Lobredner der Mäßigkeit und ein strenger Censor aller Laster war welche — Geld kosten.
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wird umgestimmt, und nun behaupt ich laut, daß niemand weise sey und wohl zu leben versteh’, als nur ihr andern, deren wohlbegründete fruchtbare Capitale aus fetten Gütern uns entgegen glänzen. vos sapere et solos aio bene vivere, quorum conspicitur nitidis fundata pecunia villis. * * *
Erläuterungen. 10
(1) Salern und Velia (auch Elea, Helia, und Hyela genannt) waren zwo kleine Städte, jene am nordlichen, diese am östlichen Ufer des größern Busens, den das Tyrhenische Meer zwischen den Vorgebürgen der Minerva und des Palinurus macht. Jene wurde zur Picentinischen Landschaft (ager Picentinus) welche die Küste des glüklichen Campanien von Lucanien scheidet. So wenig diese Orte sonst bedeuteten, so geschikt waren sie durch ihre Lage zu der Absicht, weswegen sich Horaz nach ihnen erkundigt. (2) A n t o n i u s M u s a hat seinen Namen durch die berühmte Cur verewiget, die er im Jahr 731. am Augustus verrichtete, dessen L i b e r t u s er war. Denn die Ärzte der Großen waren damals meistens Sclaven, welche man die
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Heilkunst für den Gebrauch des Hauses, dem sie angehörten, lernen ließ. Die Krankheit des Imperators war eine Art von hartnäckigem Gichtfluß mit Verstopfung und Abmergelung begleitet, welche die gänzliche Auszehrung befürchten ließ. Sein Leibarzt A e m i l i u s hatte seinen Kopf darauf gesezt, das Übel durch Bäder und Schwizstuben auszutreiben. Er gieng so weit, daß er sogar die Decke des Schlafzimmers des Kranken mit Pelzwerk ausfüttern ließ. Aber das Übel wurde immer ärger; und August war schon so weit, daß er sein Haus bestellte: als Antonius Musa auf den glüklichen Einfall kam, da das warme Wasser nichts geholfen hatte, es mit dem kalten zu versuchen. Das allgemeine Vorurtheil stund ihm entgegen: aber die Umstände des
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Kranken machten izt auch den verzweifeltesten Versuch erlaubt. Musa schlug also gerade den seinem Vorgänger entgegengesezten Weg ein; er verordnete
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dem Kranken eine erfrischende Diät, ließ ihn beynahe nichts als Lattich essen, kalt trinken, und fleißig mit kaltem Wasser begießen, und er bewürkte damit soviel, daß Augustus in kurzer Zeit wieder hergestellt wurde, und seiner schwächlichen Gesundheit ungeachtet noch 36 Jahre lebte *). Musa erhielt, nebst einer grosen Summe Gelds vom August und vom Senat, eine Statue, mit dem Recht einen goldnen Ring zu tragen, der ihm die Vorzüge des Ritterstandes gab; und das kalte Wasser kam durch ihn und mit ihm in einen Ruf, der den warmen Bädern zu Bajä nicht wenig Abbruch that. Horaz, der, um die Zeit da er diesen Brief schrieb, 46 oder 47 Jahre hatte, fieng auch an von Flüssen, besonders an den Augen, mehr als sonst zu leiden; und da ihm die Bäder zu
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Bajä keine Leichterung verschaften, ließ er sich von dem Leibarzt Musa ebenfalls bereden, es mit den kalten Bädern zu Clusium und Gabii zu versuchen; **) und dies geschah mit so gutem Erfolg (wie aus dem muntern Ton dieses ganzen Briefes zu schließen ist) daß er, um sich vor einem Rükfall sicher zu stellen, nun für weiter nichts als ein wärmeres Winterquartier zu sorgen hatte. (3) B a j ä war um diese Zeit in Italien was Bath und Tunbridge in England sind. Die Gesunden suchten da Vergnügen, wo die Kranken Gesundheit suchten; und wie jene oft unter den D e l i z i e n von Bajä Gelegenheit fanden krank zu werden, so verlohren diese, um sich besser zu befinden, oft auch den Rest
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von Gesundheit, den sie mitgebracht hatten. Schon vor den Zeiten der Cäsarn war Bajä der Ort wo die vornehmen Römer sich berechtigt hielten, den Zwang der republikanischen Heucheley abzulegen, um sich ohne Scheu den Ergötzungen und Wollüsten zu überlassen, welche diese bezauberte Gegend in so bösen Ruf brachte, daß P r o p e r z sein Mädchen nicht schnell genug von dort zurükrufen kann, ***) und C i c e r o , in seiner Vertheidigung des jungen M. Cölius, für nöthig hält, vor allen Dingen sich selbst zu rechtfertigen, daß er einen Menschen in seinen Schuz nehme, der — B a j ä g e s e h e n h a b e * * * * ) . Übri*)
S u e t o n . in Aug. c. 59. et 81. P l i n . Hist. Nat. L. XXIX. c. 1. D i o n . Hist. L. III. p. 517.
**)
Vetus Comment. Cruquii ad h. l.
***)
Tu modo quam primum corruptas desere Bajas! Multis ista dabunt littora dissidium, Littora quae fuerant castis inimica puellis. Ah! pereant Bajae, crimen amoris, aquae.
****)
C i c . pro M. Coel. c. XI.
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gens bemerken wir aus einem der Briefe des letztern an den Dolabella, daß die Gegend um Bajä schon vor 1800 Jahren, da sie die Verwüstungen noch nicht erlitten hatte welche die Zeit in ihr angerichtet, für nichts weniger als der Gesundheit zuträglich gehalten worden. *) Diese Stelle, wiewohl in Beziehung auf den Dolabella bloßes Persifflage, ist doch ein entscheidender Beweis, daß die Ungesundheit des schönen und anmuthigen Bajä damals etwas ausgemachtes war; und dies macht um so begreiflicher, warum Antonius Musa für nöthig gehalten, unsern Dichter aus diesem Paradiese zu vertreiben. (4)
Denn jede See ist nicht an edelm Schaalfisch fruchtbar. Die schlechtste Muschel, im L u c r i n genährt,
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ist besser als Bajanische Purpurschnecken. Am Cap der Circe giebts die schönsten Austern, die besten Wasser-Igel am Misenum, und stolz auf seine ofnen Muscheln ist das weichliche Tarent —
wie der berühmte Professor der Küchen-Philosophie, C a t i u s , in Horazens vierter Satyre des 2ten Buchs lehrt. Plinius sagt von den Ufern des glükseligen Campaniens, hæc littora præter cætera in toto mari conchylio et pisce nobili annotantur.**) Aber Horaz, der sich vorgesezt hatte diesen Winter durch ein 20
recht P h ä a c i s c h e s Leben zu führen, begnügte sich nicht an dem allgemeinen guten Ruf der Tyrhenischen Ufer; und weil er, außer der mehrern oder mindern Mildigkeit des Klimas, keinen andern Grund hatte sich für einen von den beyden in der Wahl stehenden Orten zu bestimmen, als die Frage, wo man am besten esse? so erkundigt’ er sich um so genauer nach jedem Artickel des Culinarischen Theils ihrer Naturgeschichte. (5) Es war keine Möglichkeit, den Römischen Leckerbissen, der hier im Text genannt ist, dem teutschen Leser mit Anständigkeit aufzutischen; ich hoffe also daß das quid pro quo Verzeyhung finden werde. Unter mehrern Deliciis *)
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Gratulor Bajis nostris: siquidem, ut scribis, S a l u b r e s repente factae sunt: nisi forte te
amant et tibi assentantur, et tamdiu quam tu ades s u n t o b l i t a e s u i . Quod quidem si ita est, minime miror c o e l u m etiam e t t e r r a s v i m s u a m , si tibi ita conveniat, d i m i t t e r e . F a m i l i a r . IX. 12. **)
L. III. c. 5.
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der Alten, die (soviel ich weiß) aus der Mode gekommen sind, war auch das Gerichte, wovon Horaz den Schwelger Mänius mit solchem Entzücken reden läßt. Die Römer, die in allen Befriedigungen der Üppigkeit nur Räuber oder Nachahmer der Griechen waren, scheinen auch diese von ihnen erbeutet zu haben; wenigstens erhellet aus den Stellen, welche Athenäus aus verschiednen Griechischen Comödienschreibern anführt, daß es lange zuvor eh die Römer ihre alte Sitte und Lebensart mit den Ausschweiffungen des besiegten Asiens vertauschten, von den Gourmands zu Athen für etwas sehr Leckerhaftes gehalten worden. Wer neugierig ist kann bey eben diesem Autor *) Nachricht von den verschiednen Arten, wie die mhtra yëeia zubereitet wurde, finden.
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(6) Es bedarf wohl kaum der Erinnerung, daß dieses Humoristische Nimirum hic ego sum, der guten Meynung des teutschen Lesers von unserm Dichter in keine Wege nachtheilig seyn dürfe, weil Horaz im Grunde weder mehr noch weniger damit sagen will, als: s o s i n d w i r M e n s c h e n . Der Ausnahmen werden so wenige seyn, daß sie in Absicht der unendlichen Zahl, die mit gutem Gewissen sagen können: s o e i n e r b i n a u c h i c h — in keine Betrachtung kommen. Die Noth-Philosophie der wackern Leute, die, mit Diogenes, nichts als Pferdbohnen und Brunnenkresse zur Nahrung, ein Stück Capuzinertuch zur Bekleidung, und eine Tonne oder einen Hundestall zur Wohnung bedürfen, ist — i n d e r N o t h gut: aber Wenige unter ihnen würden wohl Lust haben, den Cynismus so weit zu treiben, daß sie das Glück abwiesen, wenn es ihnen in Gestalt einer guten Fee, ihrer Trägheit und Liebe zur Unabhänglichkeit unbeschadet, ein Paar von Numonius Vallas fetten Landgütern aufdringen wollte.
*)
D e i p n o s o p h . L. III. p. 100. 101.
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Sechzehnter Brief. An Quinctius. Einleitung. Die Familie Q u i n c t i a gehörte unter die ältesten Patriciats-Geschlechter in Rom, und war, wie gewöhnlich, in mehrere Zweige getheilt, die sich durch besondere Zunahmen unterschieden. In den Zeiten unsers Dichters findet sich von dieser Familie ein Titus Quinctius Flamininus der die Stelle eines Tr i u m v i r M o n e t a l i s bekleidete *), und auf welchen vielleicht einige Züge dieses Briefes passen könnten. Allein der Ton des Ganzen scheint eine alte Cameradschaft, und eine Art von Familiarität, die nur unter Personen glei10
ches Standes schiklich ist, vorauszusetzen. Es ist also eher zu vermuthen, daß der Freund, mit welchem Horaz in dieser Epistel so ernstlich und ohne alle Complimente moralisiert, der H i r p i n u s gewesen, an welchen er, mehrere Jahre zuvor, eine Ode von der vertraulichsten Art **) gerichtet hatte. Der Beynahme H i r p i n u s ist ein hinlänglicher Beweis, daß dieser Quinctius nicht von der edlen Familie dieses Namens, sondern ursprünglich ein H i r p i n e r gewesen ***) der (nach Römischer Sitte) jenen Namen nur deswegen geführt, weil er oder einer seiner Voreltern durch Vermittlung eines Quinctius das Römische Bürgerrecht erhalten. Was er aber in Rom eigentlich vorgestellt, und wie er dazu gekommen, daß ihn, wie Horaz sagt, g a n z R o m u n t e r
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s e i n e G l ü c k l i c h e n g e z ä h l t , ist nicht bekannt. Wenn man die besagte Ode mit diesem Briefe vergleicht, so wird sehr wahrscheinlich, daß er einer von denen gewesen, die durch Gönner, Speculation, und Klugheit zu Reichthum und Ansehen gekommen, oder, nach der gemeinen Sprechart, ihr Glück gemacht hatten. Daß dies damals, da Horaz die Ode an ihn schrieb, sein Plan und großes Geschäfte gewesen, scheinen die Züge —
*)
Va i l l a n t Numism. Famil. Roman. Vol. II. p. 329.
**) ***)
Die 11te im 2ten Buch. So hieß ein kleines Volk, Samnitischen Ursprungs, welches die Landschaft zwischen dem
Picentenischen, dem Appennin und dem Lande der Samniter inne hatte.
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nec t r e p i d e s in usum poscentis aevi pauca — quid aeternis minorem consiliis animum fatigas? — eben so deutlich zu verrathen, als verschiedene in dem gegenwärtigen Briefe, daß ihm jener Plan gelungen sey — und daß er, unter andern Mitteln, besonders auch den Ruf eines ehrlichen unbescholtnen Mannes zu einer Leiter seines Glückes zu machen gewußt habe. Ich stelle mir diesen Quinctius als einen von den wackern Leuten vor, die dadurch, daß sie C o n d u i t e und R e c h t s c h a f f e n h e i t für einerley nehmen, die Welt, und vielleicht auch zulezt sich selbst überreden, sie für besser zu halten als sie sind; als Einen Mann, der vorsichtig genug ist, immer seine beste Seite herauszukehren, und seinen Handlungen immer einen schönen Beweggrund, seinen
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Beweggründen immer einen schönen Namen zu geben; der sich immer so beträgt, daß jedermann mit ihm zufrieden seyn kann, es mit dem Bösen eben so wenig als mit den Guten verderben will, und, wenn er auf diesem Wege sein Glück gemacht hat, sich zugleich, mit sehr wenigen Kosten, im Besiz eines allgemeinen guten Rufs befindet, ohne im Grunde besser zu seyn als Millionen andre, denen nur sein Glück und seine Geschmeidigkeit fehlt, um, mit eben so wenig innerlichem Werth, in einem eben so günstigen Lichte zu erscheinen. Die Art, wie ihm Horaz an den Puls greift, scheint mir diese Vorstellung von seinem Charakter nothwendig zu machen. Denn die Pedanterey, jedem guten Freunde, oder dem ersten dem Besten der ihm in den Wurf kommt, mit einer
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strengen moralischen Predigt auf den Leib zu rücken, wird unserm Dichter niemand zutrauen der ihn halbweg kennt. Einem alten Cameraden hingegen, dem wir uns selber immer in puris Naturalibus gezeigt haben, läßt sich bey Gelegenheit schon so ein vertraulich Wort ins Ohr sagen; und es geziemt der Freundschaft sehr wohl, wenn man den Freund von seinem guten Genius verlassen sieht, die Stelle desselben zu vertreten, und den Selbstbetrognen aus einem Schlummer aufzurütteln, der ihm gefährlich werden könnte. Die Moral, die den größten Theil dieser schönen Epistel ausmacht, ist in dem einzigen Verse des Aeschylus eingeschlossen, wo er von Amphiaraus, einem d e r s i e b e n H e l d e n g e g e n T h e b e n , sagt: Oy gar dokein aristow all’ einai uelei *) Er will der Wackerste nicht scheinen, sondern seyn.
*)
v. 598.
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Menschen, die nicht Muth genug haben, der Stimme des G o t t e s i n i h n e n getreu zu seyn, dessen Beyfall uns allein Ruhe und Gewißheit, daß wir sind was wir seyn sollen, geben kann, suchen sich eine Art von Ersaz dadurch zu verschaffen, wenn sie von andern für das gehalten werden was sie nicht sind, aber gerne seyn möchten — und bedienen sich der guten Meynung, die sie von der Welt e r z w i n g e n , e r s c h l e i c h e n , oder e r b e t t e l n , als einer Art von Beglaubigungsbrief gegen ihr eignes Bewußtseyn. Sie suchen E h r e , sagt Aristoteles, um auf andrer Leute Wort zu glauben, daß sie selbst etwas werth seyen. Horaz, der niemand für weise und gut gelten lassen will, der nicht 10
gewiß weiß daß ers ist, wenn gleich die ganze Welt das Gegentheil behauptete, ist darum nicht mehr Stoiker als alle andern Rechtschafnen Leute, die von jeher das nehmliche gesagt haben, nicht weil es ein Stoischer Grundsaz, sondern weil es Natur der Sache ist. Weisheit und Tugend ist, seiner Meynung nach, eines jeden eigne Angelegenheit; andre hierinn betrügen heißt sich selbst betrügen; und wenn wir jenes auch so meisterlich könnten, daß der Betrug immer verborgen bliebe: so würden doch am Ende nicht andre, sondern wir selbst, die Narren im Spiele seyn. Sein ganzes Räsonnement ist ächt S o k r a t i s c h , sowohl in Begriffen, als in der Art sie vorzutragen. „Warum scheinen wollen, was du nicht das Herz hast zu seyn? Andrer Leute Meynung
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kann dich zu nichts machen was du nicht bist: Sey würklich ein rechtschafner Mann — oder laß auch den Schein fahren. Willst du jenes seyn, so sey es g a n z ; so lebe nach der Regel in deinem Herzen, nicht nach dem Urtheil der Welt; so mache dich f r e y von allem, was dir den heitern ruhigen Selbstgenuß, den einzigen, der dem Weisen und Rechtschafnen ausschließlich eigen ist, rauben oder verkümmern würde. Fühlst du, daß du dazu nicht Kraft genug hast: nun, so entsage auch dem Anspruch, ein edler freyer Mann zu seyn. Sclaven sind auch noch zu vielem zu brauchen, und können in ihrer Art ganz glückliche Leute seyn. Aber den Nahmen, womit man in der Welt so freygebig ist, den Namen eines rechtschafnen Mannes, verdient nur, wer, sobald es auf Wahr-
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heit und Recht oder auf die Behauptung seines eignen Charakters ankömmt, nichts was ihm Menschen rauben können, für ein Gut, nichts was sie ihn leiden machen können, für ein Übel achtet.“ — Dies ist die Moral dieser Epistel, und ich kenne keine bessere. Übrigens hat der Dichter diesen Brief auch noch durch die im Eingang vorkommende Beschreibung seines Landguts für diejenigen interessant ge-
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macht, die einen Mann, der vor 1800 Jahren gelebt hat, lieb genug gewinnen können, um an Etwas, was er selbst für ein großes Stück seiner Glückseligkeit rechnete, noch Antheil zu nehmen, und es, so zu sagen, unter die Besizthümer ihrer Einbildungskraft zu zählen. Die eigentliche Lage des Horazischen Sabinums, hat seit Wiederherstellung der alten Litteratur viele Gelehrte beschäftigt — Sie haben aber mit aller ihrer Mühe nichts mehr davon herausbringen können, als was uns Horaz selbst davon sagt — nehmlich, daß sein Gut in den Gebürgen des Sabinerlandes, wenige Meilen über Tibur an dem kleinen Fluße D i g e n t i a , zwischen den Bergen L u c r e t i l i s und U s t i c a und dem Dorfe M a n d e l a , ohnweit dem Städtchen Va r i a , gelegen gewesen, daß ein
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alter zerfallner Te m p e l d e r Va c u n a in dieser Gegend gestanden, u. dgl. Man kann leicht erachten, daß die achtzehn Jahrhunderte, die zwischen Uns und Horazen liegen, und in welchen sich die ganze Gestalt von Rom, Latium, Campanien u. s. w. so mächtig verändert hat, auch von Horazens Meyerhof nicht viel übrig gelassen haben werden. Indessen hat sich der bereits angezogene Abbe Capmartin de Chaupy dadurch nicht abhalten lassen, in diesen Gegenden selbst so lange nachzuforschen, bis er endlich herausgebracht hat, daß das alte Va r i a das heutige Dorf V i c o - Va r o , der Berg Lucretilis der itzige M o n t e G e n n a r o , die alte Digentia die heutige L i c e n z a , und die verfallne Capelle der Vacuna die noch vorhandnen Trümmern eines von Ves-
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pasian wiederhergestellten F o r t u n e n Te m p e l s seyen, u. s. w. Das ganze Thal heißt izt Va l l e d i L i c e n z a und gehört dem Prinzen B o r g h e s e . Diese Entdeckung ist dem Herrn Abt C a p M a r t i n v o n C h a u p y so wichtig gewesen, daß er, mit Hülfe des allgemeinen Zusammenhangs der Dinge, (der es ihm an reichen Quellen und Minen zu Nebenuntersuchungen nicht fehlen ließ) ein Werk in drey großen dicken Octavbänden davon geschrieben hat, welches (soviel man ohne selbst am Orte gewesen zu seyn urtheilen kann) den Alterthums-Liebhabern, denen etwa eben soviel an dieser Entdeckung gelegen seyn möchte als ihm, wenig zu erinnern übrig läßt, als daß — sein Buch sich — lesen lassen möchte. * * *
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Um dir die Fragen, ob mein kleines Gut mit Feldbau seinen Herrn ernähre, oder bereichre mit Oliven? Ob in Obst, in Wiesen, oder Weinumschlungnen Ulmen sein Hauptertrag bestehe, zu ersparen: soll, bester Quinctius, Natur und Lage des Gutes dir genau beschrieben werden. Stell’ eine Kette dir von Bergen vor, durch ein gekrümmtes Schattenvolles Thala) 10
gebrochen, so, daß von der Morgensonne die rechte Seite, von der Abendsonne die link’ erwärmt und leicht umdünstet wird. Zum mindsten würde dir die milde Luft gefallen. Und säh’st du dann noch überdies die Hecken von denen alles voll ist, statt der Schlehen die du erwartetest, mit dunkelrothen Kornellen und mit Pflaumen reich beladen, und allenthalben Eichenb) beyder Art mit vieler Frucht dem Vieh, mit vielem Schatten
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Ne perconteris, fundus meus, optime Quincti, arvo pascat herum, an baccis opulentet olivae pomisve, an pratis, an amicta vitibus ulmo? scribetur tibi forma loquaciter et situs agri. Continui montes, nisi dissocientur opaca valle; sed ut veniens dextrum latus aspiciat sol, laevum decedens curru fugiente vaporet. Temperiem laudes. Quid si rubicunda benigne corna vepres et pruna ferunt? si quercus et ilex multa fruge pecus, multa dominum iuvet umbra?
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a) Dieses Thal, nebst dem daran liegenden Berge, hieß U s t i c a — izt Valle di Licenza. b) Winter- und Sommereichen, quercus et ilex.
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dem Gutsbesitzer dienen: traun, es dünkte dir Tarent, herbeygerükt, vor deinen Augen grünen zu sehn. Auch fehlt es nicht an einer Quellec) die ihren Namen einem Bach zu geben zu klein nicht ist, dabey so kalt und rein, daß kälter nicht noch reiner sich der Hebrus um Thrazien schlingt, auch treflich Kopf und Magen zu stärken. Kurz, mein Aufenthalt in dieser verborgnen, mir so lieben, und (wie du vielleicht nun selbst gestehst) so anmuthsvollen
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Einöde, ists was in den fieberreichen Septembertagen mich gesund erhält. (1) Was Dich betrift, sey würklich — was du immer dich nennen hörst, so lebst du sicherlich so wie man soll. Schon lange preist ganz Rom dich laut als einen seiner Glüklichen. Und doch besorg’ ich, daß du Andern mehr in diesem Stücke glaubest als dir selbst. Es ist bey dir so ausgemacht wohl nicht daß nur der We i s’ u n d G u t e glüklich ist:
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dicas adductum propius frondere Tarentum. Fons etiam rivo dare nomen idoneus, ut nec frigidior Thracam nec purior ambiat Hebrus, infirmo capiti fluit utilis, utilis alvo. Hae latebrae dulces et iam, si credis, amoenae, incolumem tibi me praestant septembribus horis. Tu recte vivis si curas esse quod audis. Iactamus iam pridem omnis te Roma beatum, sed vereor ne cui de te plus quam t i b i credas, neve putes alium sapiente bonoque beatum;
c) Vermuthlich die Hauptquelle des kleinen Flusses D i g e n t i a .
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und da die Leute dir soviel von deiner Gesundheit schwatzen, und wie herrlich wohl dir sey, — wer weiß ob dirs vielleicht nicht gar wie dem ergeht, der ein geheimes Fieber zur Tafelzeit verheelt, bis ihm vor Zittern der Bissen aus den glatten Händen fällt. Ein Thor verschweigt aus falscher Schaam dem Arzt sein Übel bis es ganz unheilbar wird. Wenn einer dir von Siegen säng, erfochten 10
zu Wasser und zu Land, und kitzelte mit diesen Worten deine müßigen Ohren: „Ob feuriger dich der Römer liebe, oder du dein Rom, das wolle Zevs zu unserm Heil und Deinem ewig unentschieden lassen!“ sogleich erkenntest du das Lob Augusts. (2) Doch, wenn du leidest, daß die Leute weis’ und tugendhaft dich nennen — Lieber, sage antwortest du in deinem eignen Namen? „Nun freylich, sprichst du, hört man gern, und du
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so gut als ich, sich klug und bieder nennen —“ neu si te populus sanum recteque valentem dictitet, occultam febrem sub tempus edendi dissimules, donec manibus tremor incidat unctis. Stultorum incurata pudor malus ulcera celat. Si quis bella tibi terra pugnata marique dicat et his verbis vacuas permulceat aures: „Tene magis salvum populus velit, an populum Tu, servet in ambiguo qui consulit et tibi et urbi Iupiter“ — Augusti laudes agnoscere possis:
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cum pateris sapiens emendatusque vocari respondesne tuo, dic sodes, nomine? — N e m p e vir bonus et prudens dici delector, ego ac tu.
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Wenns also nur auf fremde Meynung ankömmt, so kann das Volk, das diese Namen heute dir übertrug, sie morgen wieder nehmen, just, wie es einem, dem es unverdient die F a s c e s gab, sie wieder nehmen kann. Sprichts, sie sind mein, leg ab! — so leg ich ab, und schleiche traurig fort. Und wenn nun dies besagte Volk für einen Ehebrecher und Dieb mich ausschrie’, mir ins Angesicht behauptete, ich habe meinen Vater
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erdrosselt, — soll ich mich entfärben und die Lügen mir das Herz durchschneiden lassen? Unächte Ehre, unverdiente Schmach, befriedigt, oder schrekt — nur einen schwachen des Arzts bedürftigen Mann. — „Wer ist denn also e i n B i e d e r m a n n ? “ Gewöhnlich ist die Antwort gleich bey der Hand: „Wer den Gesetzen und Verordnungen der Obrigkeit sich fügt; wer oft als Richter Händel von Belang geschlichtet; wessen Wort, er spreche nun
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als Bürge oder Zeug’, entscheidend ist.“ Qui dedit hoc hodie, cras, si volet, auferet, ut si detulerit fasces indigno, detrahet idem. Pone, meum est, inquit: pono tristisque recedo. Idem si clamet furem, neget esse pudicum, contendat laqueo collum pressisse paternum, mordear opprobriis falsis mutemve colorem? Falsus honor iuvat et mendax infamia terret quem nisi mendosum et medicandum? V i r b o n u s e s t q u i s ? „qui consulta Patrum, qui leges iuraque servat; quo multae magnaeque secantur iudice lites; quo res sponsore et quo causae teste tenentur.“
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Gleichwohl kennt manchen, dem dies Alles paßt, sein Haus und seine ganze Nachbarschaft für einen der die Tugend nur als Maske, den innern Schalk zu decken, um sich hieng. Sagt mir ein Sclav: „ i c h h a b e n i c h t g e s t o h l e n , b i n n i c h t e n t l a u f f e n “ — Gut, ist meine Antwort, dafür hast du zum Lohne daß du nicht gestäupt wirst — „ h a b e k e i n e n M o r d b e g a n g e n “ — So wirst du nicht am Kreuz die Raben weiden! 10
„ I c h b i n e i n B i e d e r m a n n “ — Halt, ruft der kleine Sabiner, (3) halt, dies läugn’ ich schlechterdings. Denn auch der schlaue Wolf scheut vor der Grube, der Hühnerweyh vor der verdächtigen Schlinge, der Hecht vor dem verborgnen Hamen sich. Des Guten Haß der Sünd’ ist seine Tugendliebe; d u nimmst dich vor der Strafe nur in Acht, und, wie du unentdekt zu bleiben hoftest, ist nichts zu heilig, nichts zu schändlich dir: denn, wenn du mir von hundert Metzen Bohnen
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Sed videt hunc omnis domus et vicinia tota introrsum turpem, speciosum pelle decora. N e c f u r t u m f e c i n e c f u g i , si mihi dicat servus; habes pretium, loris non ureris, ajo; n o n h o m i n e m o c c i d i : non pasces in cruce corvos; s u m b o n u s e t f r u g i : renuit negat atque Sabellus. Cautus enim metuit foveam lupus, accipiterque suspectos laqueos, et opertum miluus hamum. Oderunt peccare boni Virtutis amore: tu nihil admittes in te formidine poenae;
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sit spes fallendi, miscebis sacra profanis. Nam de mille fabae modiis cum surripis unum,
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nur Eine stielst,d) so ist mein Schaden freylich geringer, doch nicht kleiner deine Schuld. Der Ehrenmann von dem wir eben sprachen, wenn er im Angesicht des ganzen Volkes mit einem Ochsen oder Schwein die Götter sich günstig macht, und erst aus voller Brust sein Va t e r J a n u s feyrlich angestimmt hat, bewegt hernach, aus Furcht gehört zu werden, die Lippen bloß, und betet fort: o schöne Laverna, (4) gieb zu meinem falschen Spiele
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mir ferner Glück! Verleyh mir tadellos zu scheinen und gerecht! Mach’s wenn ich sündige Nacht um mich her, und wirf wie einen Schild die dikste Wolke meiner Schalkheit vor! Warum der Filz, der sich auf ofner Straße um einen Dreyer aus dem Koth zu heben zur Erde bükt, warum er besser, freyer als jeder Sclave sey, begreif ich nicht. Wen Habsucht plagt, der fürchtet zu verlieren, damnum est non facinus mihi pacto lenius isto.
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Vir bonus, omne Forum quem spectat, omne tribunal, quandocunque Deos vel porco vel bove placat, I a n e p a t e r , clare, clare cum dixit A p o l l o , labra movet, metuens audiri: pulchra L a v e r n a , da mihi fallere, da iustum sanctumque videri, noctem peccatis et fraudibus obiice nubem! Quıˆ melior servo, qui liberior sit avarus in triviis fixum cum se demittit ob assem, non video: nam qui cupiet, metuet quoque, porro d) Horaz philosophiert noch immer mit seinem Sclaven: die Anwendung überläßt er dem Quinctius.
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und wer sich fürchtet, heißt mir nimmermehr ein freyer Mann. Wer immer läuft und rennt um Geld auf Geld zu häuffen, bis er drunter zu Boden sinkt, ist mir kein beßrer Mann als wer am Tag der Schlacht die Waffen von sich warf; Er hat die Tugend, seinen angewiesnen Posten, verlassen, Ehr’ und Freyheit ist verwürkt; doch laß ihn leben, wie man dem Gefangnen der noch verkäuflich ist das Leben läßt! 10
Er kann als Sclave gute Dienste thun, ist abgehärtet Arbeit Frost und Hunger zu dulden; laß ihn schanzen, oder Schweine hüten! Er taugt sehr gut als Kaufmann, um Gewinn, durch Sturm und Wellen seine Haut zu wagen, die Lebensmittel uns bey gutem Preis erhalten zu helfen, Korn und übriges Bedürfnis als lastbar Thier dem Markte zuzutragen. (5) Der wahre Biedermann, der wahre Weise ist der, der einem P e n t h e u s sagen darf:
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König von Theben, was Unwürdiges k a n n s t d u z u l e i d e n o d e r t h u n m i c h z w i n g e n ? (6) „Ich nehme dir, spricht jener, deine Güter“ — qui metuens vivet, liber mihi non erit unquam; perdidit arma, locum virtutis deseruit, qui semper in augenda festinat et obruitur re. Vendere cum possis captivum, occidere noli: serviet utiliter, sine pascat durus aretque, naviget ac mediis hiemet mercator in undis, annonae prosit, portet frumenta penusque.
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Vir bonus et sapiens audebit dicere: Pentheu, rector Thebarum, quid me perferre patique indignum coges? „ A d i m a m b o n a . “ Nempe pecus, rem,
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Du meynst, mein Vieh, mein Feld, mein Hausgeräth u n d S i l b e r ? N i m m s ! — „Ich lasse dich, mit Fesseln an Hand und Fuß in einen Kerker werfen aus dem dich niemand retten soll.“ — G o t t s e l b s t so bald ich will, wird meine Bande lösen. Vermuthlich will er sagen: ich kann sterben. In Allem ist der lezte Strich — der Tod. lectos, argentum? tollas licet. „ I n m a n i c i s e t compedibus saevo te sub custode tenebo.“ Ipse Deus, simul atque volam, me solvet. Opinor
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hoc sentit: moriar! mors ultima linea rerum est. * * *
Erläuterungen. (1) Wenn wir die Beschreibung, welche Horaz hier von seinem Gute macht, mit dem Briefe an seinen V i l l i c u s , und einigen andern Stellen vergleichen, so muß uns, däucht mich, sehr klar werden, daß gerade soviel Gefühl für kunstlose Natur, soviel Liebe zu Ruhe und Freyheit, soviel Bescheidenheit und Genügsamkeit, kurz ein so philosophischer Kopf und ein so fröhliches Herz, als ihm zu Theil worden war, dazu gehörte, um soviel Freude an seinem Sabinum zu haben wie er. Man würde sich sehr irren, wenn man sich eine V i l l a , wie
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jene zierlichen kleinen Landgüter des Cicero, die er in einem Briefe an seinen Atticus Italiae o c e l l o s *) nennt, oder eine im Geschmack der P l i n i a n i s c h e n , von welchen uns Hr. Robert C a s t e l l in seinem prächtigen Werke, The Villa’s of the Ancients illustrated, eine so schöne Darstellung giebt — dabey denken wollte. Eine solche Villa würde weder zu Horazens Stand und Vermögen noch zu seiner Gemüthsart gepaßt haben; und Mäcenas wußte bes-
*)
Ep. 6. L. XVI. Der Abbé M o n g a u l t hätte die Schönheit dieses Ausdrucks, wiewohl er
unübersetzlich ist, wenigstens fühlen sollen. Cicero nennt seine schönen villulas nicht s e i n e sondern I t a l i e n s ocellos, und der Ausdruck sagt also, daß sie aus allen andern in Italien so hervorgeglänzt wie schöne Augen aus einem anmuthigen Gesichte.
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ser was sich für seinen Dichter schikte. Es war im Grunde nur ein Sabinisches Bauergut, eines von den Praediis rusticis, deren Mäcen ohne Zweifel mehr hatte als er selbst wußte, in keiner der fruchtbarsten Gegenden gelegen, und von sehr mittelmäßigem Ertrag: aber es hatte alles was es haben mußte, um Horazen so glücklich zu machen, daß er sich nichts weiters wünschte. Weder Elfenbein noch goldne Decken glänzen in meinem Hause; keine Balken von Hymettus drücken Marmorsäulen da, die im entferntsten Africa gehauen wurden.
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Keines Attals Burg und Königsschätze hab ich, ohne Recht und Titel, wie ein A n d r o n i k u s angefallen, noch sind meiner Schuzverwandten wackre Hausfraun Tag und Nacht beschäftigt Kleider aus dem feinsten Purpur mir zu würken: aber ein treues Herz und eine Ader muntern Geistes wurde mir zu Theil, und, beyderwegen sucht der Reichere mich Armen.
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Auch verlang ich vom Himmel nichts mehr, heische Meinem mächtigen Freund kein größres Loos; mein kleines einziges Sabinum füllet alle meine Wünsche *).
Ich bin, sagt er in einer andern Ode, seinem m ä c h t i g e n F r e u n d e * * ) Ich bin reicher durch das was ich entbehre, reicher dadurch daß ich nicht reicher seyn will, als wenn ganz Appulien meine Scheunen, ohne mein Herz zu sättigen, füllte.
//
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*) **)
Od. 18. L. II. Od. 16. L. III.
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Wenig Morgen Waldes, ein Bach mit reinem Wasser, und meiner Saaten ungetäuschte Hofnung, macht mich glücklicher als den Herrscher Libyens seine goldnen Auen.
Sammlen gleich für mich Calabrische Bienen Keinen Honig, altert in meinen Tonnen gleich kein Formianischer Wein, und tragen Gallische Schaaffe mir keine Wolle:
Gleichwohl bin ich nicht arm, mir fehlt’s an keinem Dinge das ich bedarf, und wollt ich Mehrers
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würdest Du auch mirs nicht versagen, u. s. w.
aber wofür — sollt ich mit meinem Sabinischen Thale Mühsamern Reichthum vertauschen wollen? *)
Unter der unendlichen Menge von Villa’s und Landgütern der edlen Römer dieser Zeiten finden wir Tiburtinische, Pränestinische, Albanische, Tusculanische, Bajanische, Formianische u. s. w. in großer Zahl; jede schöne Gegend von Latium und die ganze zauberische Küste von Campanien waren damit überdekt — Aber ein S a b i n u m zu haben, und sich daran genügen zu lassen, sich gerne da aufzuhalten, sich darinn glücklich zu fühlen — das konnte nur von Horaz gesagt werden. Die einzige Gegend um R e a t e und den Velinischen See ausgenommen, — welche wegen ihrer Anmuth Rosea genennt wurde, und worauf sich die Einwohner soviel zu gut thaten, daß sie davon als von dem Sabinischen Te m p e * * ) sprachen, war das eigentliche Sabinerland rauh, gebirgicht, und größtentheils so beschaffen, daß ein so frugales, arbeitduldendes und genügsames Volk wie die Sabiner dazu gehörte, ihm den nothdürftigen Unterhalt durch ihren Fleiß abzuzwingen. Aber Horaz, dessen Sinnesart *) **)
Od. 1. L. III. Cicero ad Attic. ep. 15. L. IV.
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war, alles was nicht in seiner Willkühr stund von der besten Seite anzusehen, wußte auch in seinem Ustica Schönheiten zu finden, die weder Tibur noch Bajä aufzuweisen hatte. Was du für öde rauhe Wildniß hältst hat hohen Reiz für mich und meines Gleichen,
sagt er zu seinem Villicus: und, bey aller seiner Urbanität und Gewohnheit in der auserlesensten Gesellschaft von Rom zu leben, gefiel er sich doch nirgends besser als unter seinen biederherzigen Sabinern, die, an Leib und Gemüth unverdorben, noch die alte Einfalt der Sitten beybehalten hatten; wo die Wei10
ber noch keusch waren, und der Mann weder zweifelte noch zu zweifeln Ursach hatte daß er seiner Kinder Vater sey. Seine Schriften sind voll kleiner Züge, welche sein Gefallen an dieser guten unverfälschten Menschen Art, bey denen er sein Herz noch an einem Überrest des goldnen Saturnischen Alters erquicken konnte, zu erkennen geben *) — und es sind nicht die wollüstigen Soupés bey Mäcenas oder Sallustius, nicht die Soupés, wo die Frage war ob L e p o s zierlich oder übel tanze?
sondern seine kleinen Abendmahlzeiten, im Angesicht seiner eignen Hausgötter, unter seinen Sabinischen Nachbarn, wo die Rede nur von Dingen war, die uns was angehn, und die nicht zu wissen ein Übel ist —
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nur diese sinds, denen er in einem seiner schönsten S e r m o n e n mit so vieler Sehnsucht o noctes coenaeque Deum! O s c h ö n e N ä c h t e ! o w a h r e G ö t t e r m ä h l e r ! entgegengeruft. — In diesem Lichte, däucht mich, muß man unsern Dichter mit seinem Sabinum betrachten. Der gute Abt C a p m a r t i n v o n C h a u p y , der es, unter beständigen Versicherungen des Gegentheils, doch immer gern in eine e l e g a n t e V i l l a verwandeln möchte, und alle Augenblicke vom Chatea ˆu d’Ho*)
E p o d . 2. v. 39. seq. — od. 3. L. III. —
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race spricht, scheint von seiner wahren Sinnesart wenig geahndet zu haben. Überhaupt geht nichts über den Don Quichotisme, womit die würkliche oder eingebildete Entdeckung der Ruinen des Horazischen Landhauses das Gehirn dieses gelehrten Mannes eingenommen hat. Seine Art zu beweisen hat dadurch eine ganz eigne Wendung bekommen. Um nur ein paar Beyspiele zu geben, so versichert er uns z. E. Horazens Gut sey ein Domaine considerable, und nicht etwa nur so ein Meyerhof oder Bauergut, wie die französischen Ausleger davon sprächen, sondern une petite Terre, e i n e k l e i n e H e r r s c h a f t gewesen: und zum Beweis davon führt er an, Horaz sage ja selbst in der Epistel an seinen Verwalter, s i e b e s t e h e a u s f ü n f F e u e r s t e l l e n . Das
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sagt aber Horaz nicht; er sagt nur, sein Gut habe vor alten Zeiten, nemlich eh es in ein einziges Landgut zusammengeschmolzen, aus fünf Feuerstellen bestanden. (man sehe unsre erste Erläuterung zum 14ten Brief) Diesen Sinn giebt der ganze Zusammenhang, und man muß seltsame Begriffe von der damaligen Verfassung Italiens hegen, um sich die Besitzer der Landgüter als Erb- Lehns- und Gerichtsherren zu denken, wie Hr. Cap Martin zu thun scheint. Gleich darauf kömmts noch besser. Horaz, sagt er, geht mit uns in ein sehr genaues Detail der besondern Beschaffenheit aller Theile seiner Herrschaft. Er läßt sich zum Exempel in der 3ten Satyre des zweyten Buchs der Sermonen von Damasippus sagen:
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Und gleichwohl gabst du dir die wichtige Mine als würdest du wer weiß wie viele und nahmhafte Dinge wagen, wann nur erst dein Meyerhöfchen unter’s warme Dach dich aufgenommen hätte —
Das Original sagt: si vacuum t e p i d o cepisset v i l l u l a t e c t o . Und was heißt nun dies dem Herrn Abt CapMartin? Il represente l’habitation, sagt er, sous les traits d’ u n p e t i t C h a t e a u b i e n c l o s — Aber (sezt er hinzu) „das muß auch nur in Vergleichung mit königlichen Häusern und mit den Palästen der Könige von Persien verstanden werden; denn daß sein Schloß an sich selbst so unbeträchtlich nicht gewesen, beweisen zween Texte unsers Dichters.“ — Doch, aus Furcht man möchte glauben ich thue dem guten Mann zuviel, mag er seine eigne Sprache reden. „Le premier est, ou Horace confesse à Maecene
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le peu d’Accord qu’il y avoit souvent entre ses maximes et sa conduite; dont il apporte pour exemple l e c a p r i c e d o n t i l d e t r u i s o i t c e q u ’ i l a v o i t ba ˆ t i , par le seul motif de donner aux parties de son edifice des formes plus agreables.“ — Und w o sagt Horaz alles dies? Wer sollte vermuthen, daß dies der Sinn der folgenden Verse in der ersten Epistel an Mäcenas sey? Quid? mea cum pugnat sententia secum, — D i r u i t , a e d i f i c a t , m u t a t q u a d r a t a r o t u n d i s &c.
Hingegen mags im Innern so schlecht stehn, meine Seele mit sich selbst so uneins seyn als möglich, lieben was sie kaum
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gehaßt, verschmähen was sie kaum noch liebte, izt etwas bauen, dann wieder niederreißen, dann plözlich runden was erst eckicht war, da sagst du nichts u. s. w.
Gesezt, was eben noch nicht erwiesen ist, Horaz rede hier nicht bloß ex hypothesi, und habe nicht, wie Dichter oft thun, die gegenwärtige für die b e d i n g t e Zeit gebraucht; gesezt, was noch weniger zu erweisen ist, die Bilder, deren er sich hier bedient, seyen im Buchstäblichen Sinne zu nehmen: was bewiese diese Stelle am Ende für die Beträchtlichkeit des Chateau d’Ho20
race? — Gerade soviel als der zweyte Text, wo ihm Damasippus (d. i. Er sich selbst) in der Recension seiner Thorheiten vorwirft: Fürs erste — du b a u s t , das ist, du ahmest den Langen nach, du, der vom Boden bis zur Scheitel kaum vier Spangen mißt u. s. w. Und wenn Mäcenas etwas thut, geziemt sichs drum gleich, daß Du es nachmachst, und, so winzig du gegen I h n bist, mit so einem großen Manne dich messen willst? — *)
*)
Satyr. L. II. 3.
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Horaz baute dies und das an seiner Villula, welche, aller Wahrscheinlichkeit nach, nie was bessers als ein gewöhnlicher Pachthof gewesen war, und vielleicht, bloß in Rüksicht auf seine Bequemlichkeit, mancher Veränderung nöthig hatte. Und wenn er denn auch einiges der Verschönerung wegen gethan hätte; so hätte er, nach s e i n e m Maasstab etwas ganz artiges aus seiner Villula machen können, und sie wäre gegen jene Ciceronianischen Ocellos Italiae doch immer nur ein Meyerhof geblieben. „Aber Horaz beschuldigt sich ja selbst, daß er mit dem Mäcenas habe in die Wette bauen wollen?“ — Und eben dies, sage ich, beweißt, daß er klüger war als ihn Hr. Cap Martin, wiewohl sein geschworner Bewundrer, vermuthet. Solche öffentliche S e l b s t - A n k l a g e n
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aus dem Munde eines Andern, sind v e r k a p p t e R e c h t f e r t i g u n g e n . Horaz wußte daß es ihm an guten Freunden nicht fehle, die ihm vor der Welt, und vielleicht beym Mäcenas selbst, das R i d i c ü l e geben würden, d a ß e r b a u e . Er durfte nur eine größere Hausthüre setzen, oder einen bessern Fußboden legen lassen, so konnt’ er darauf rechnen, daß ihn seine Verehrer, die T i g e l l i u s , P a n t i l i u s , und Compagnie, in Rom für einen k l e i n e n L u c u l l u s ausrufen würden. Das sicherste Mittel, allen möglichen Mißdeutungen vorzubeugen, war, wenn er selbst über seinen Baugeist scherzte; und er brauchte nur die albernen Beschuldigungen, als ob er’s dem Mäcenas nachthun wolle, so einem Narren wie Damasippus in den Mund zu legen, um ihre Ungereimt-
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heit einem jeden fühlbar zu machen. Diese Probe, wie Hr. Cap Martin die Texte des Horaz zum Vortheil des S c h l o s s e s , womit seine Einbildung bezaubert ist, anzuwenden weiß, könnte, mit dem was ich oben bereits von seiner Entdeckung der Horazischen Gärten angeführt habe, mehr als genug seyn, uns die Vorstellungsart dieses neuen Auslegers kennen zu lehren: wenn ich nicht gewissermaaßen genöthigt wäre, die gewöhnliche Auslegung der ersten Verse dieser Epistel, welcher ich in meiner Übersetzung gefolget bin, gegen seine Vorwürfe zu rechtfertigen, und zu zeigen, wie ihn auch hier seine vorgefaßte Meynung irre geführt hat. — „Wir sehen, sagt er, aus diesem Texte, daß es Horazens Landgut an nichts, was zu einem wohlconditionierten Gut gehörte, fehlte; es hatte Fluren, die theils zum Kornbau eingerichtet, theils mit Obst- und Oliven-Bäumen besezt waren; es hatte Weinberge, Wiesen, Holz, Gebüsche, und Weiden für alle Arten von Vieh“ — „Alle bisherigen Ausleger, sezt er hinzu, haben diesen Text nicht verstan-
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den. Sie haben sich eingebildet, die ersten drey Verse bestünden in einer bloßen kahlen Aufzählung der Fragen des Quinctius, auf welche die folgenden, bis zum Vierzehnten, Horazens Antwort enthielten: sie haben aber nicht gemerkt, daß Horaz in den drey ersten Versen von Kornfeldern, Oliven, Weinbergen und Wiesen spricht, deren im folgenden mit keinem Wort wieder gedacht wird, und daß er also die Fragen seines Freundes nur angeführt hätte, um sie unbeantwortet zu lassen“ — welches nicht höflich wäre. „Aber das wäre gleichwohl, wie er meynt, noch nicht das schlimmste: denn wenn die Ausleger den Text recht verstanden hätten, so folgte — daß der Ertrag des Horazischen 10
Gutes bloß in Schlehen, Cornellen, Eicheln und Schatten bestanden habe“ — welches auch für den Begnügsamsten aller Poeten zu wenig wäre. Er meynt also, man müsse diese Stelle so übersetzen: „Ne me demandez pas meˆme, *) si ma Campagne porte assez de grains pour ma provision, ou assez d’olives, de fruits, de vin, de foins, non seulement pour me dispenser d’en acheter, mais pour me mettre dans le cas d’en vendre. Il n’est pas jusqu’à mes brüieres, ou le noir des prunelles ne se marie agreablement et non inutilement avec le rouge des cornouilles. Mais ce qui abonde le plus chez moy, c’est le cheˆne noir et verd, non pareils soit par le fruit qu’ils fournissent au betail qui en vit, soit par l’ombre qu’ils procurent à celui à qui ils apartiennent, &c.“
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Was dünkte unsre Leser zu einer Übersetzung des ganzen Horaz in d i e s e m Geschmack? — Doch die Rede ist hier nicht von dem Mangel an Eleganz, sondern von etwas noch Wesentlicherem, woran es unserm gelehrten A b b é stark zu mangeln scheint. C’est l a h a r d i e s s e d u t r a i t , qui a empeché d’en saisir le finesse, fährt der unbegreifliche Mann fort. Horace, semblable à ce Peintre Antique, qui en faisoit plus entendre qu’il ne sembloit en representer, renferme souvent plusieurs choses dans les memes paroles. D a n s c e l l e s - c i i l r a p p o r t e et i l r e s o u t e n m eˆ m e t e m s t o u t e s l e s q u e s t i o n s d e Q u i n c t i u s . Il n’auroit eu besoin que de ces trois premiers vers, s’il avoit voulu se borner à rapporter et à donner les eclaircissemens de-
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mandés. Mais aux notices, que leur qualité avoit rendues l’objet naturel de la *)
Zu teutsch: E s i s t g a r k e i n e F r a g e o b m e i n G u t a n F r ü c h t e n , O l i v e n , We i n , e t c .
soviel ertrage, als ich brauche, und um noch davon verkauffen zu können — Das versteht sich von selbst. ¼1. Buch. 16. Brief½ E r l ä u t e r u n g e n
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curiosité de Quinctius, Horace voulut ajouter celles, qui étoient de nature à ne lui etre pas venues dans la pensée, u. s. f. *) — Was ist über eine solche Vorstellungsart zu sagen? Orandum est ut sit mens sana — Eine solche Auslegung anführen, heißt sie wiederlegen; wenigstens wird niemand, der ein wenig Latein weiß und von Horazens Verstand nur eine leidliche Meynung hat, mehr verlangen. Hätte Herr C a p M a r t i n d e C h a u p y seinen Kopf von den Olivenbäumen und Weinbergen, die er nun einmal es koste was es wolle in Horazens Landgut sehen will, weniger voll gehabt, so hätte er sich vielleicht erinnert, daß Horaz schon in der 14ten Epistel seinen Ve r w a l t e r (der das Gut doch wohl am besten kennen mußte) davon als von einer rauhen Wildnis spre-
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chen läßt; und daß er selbst, wiewohl gerade diese Wildheit das war was ihm am besten gefiel, doch unverhohlen gesteht, sein Boden würde eher Weyhrauch und Pfeffer als eine Tr a u b e hervorbringen. Wo sollten also in einem solchen Boden die O l i v e n herkommen? — Das Ganze von der Sache ist, daß Horaz dem Freund Quinctius, in dessen Fragen er vielleicht ein wenig Bosheit roch, keine directe Antwort geben w o l l t e . Der Gesichtspunct, woraus sie beyde die Sachen ansahen, war auf keine Weise der nämliche. Q u i n c t i u s , nach s e i n e r Art zu denken, schäzte ein Landgut bloß nach dem Ertrag: H o r a z hingegen liebte das seinige, wiewohl es wenig ertrug. — Q u i n c t i u s fragte, ob das Gut seinen Herrn mit Öl und Wein b e r e i c h r e ? — Horaz antwor-
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tet ihm: daß es zwar nur Pflaumen und Kornellen trage, und, seiner ganzen Lage und Qualität nach, auch nicht viel mehr tragen könne: er rühmt aber daran, daß es die Morgen- und Abendsonne habe, daß Luft und Wasser gut sey, daß es hauptsächlich zur Viehzucht tauge, und, weil es voller Gebüsche und schattichter Plätze sey, sich sehr gut dazu schicke einen von den wackern Leuten, qui amant nemus, **) zum Besitzer zu haben. Man muß seltsam geblendet seyn, um nicht zu sehen, daß es Horazens Meynung gar nicht ist, dem Quinctius den Ertrag seines Gutes genau, mit Inventarium und Jahrsrechnung in der Hand, vorzurechnen: sondern daß es ihm bloß darum zu thun ist, den Contrast ihrer beyderseitigen Denkungsart auf eine feine Art zu relevieren; daß er an seinem Sabinum mit allem Fleiß gerade auf die Eigenschaften, die in des Andern Augen wenig zu bedeuten hatten, den meisten Werth legt; *) **)
Decouverte de la M. de C. d’Horace, Tome I. p. 355. &c. Ep. 2. L. II. v. 77.
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und daß überhaupt Alles was er in diesen Artikel sagt, nur Einleitung und Vorbereitung zu dem vertraulichen M o r a l i s c h e n E x a m e n ist, welches er mit diesem v e r m e y n t e n G l ü k l i c h e n anstellen wollte. (2) Vielleicht ist niemals einem Fürsten eine schönere und feinere Schmeicheley gesagt worden als diese. Aber das Wunderbarste bey der Sache ist, daß Horaz hier nichts sagt, was nicht b u c h s t ä b l i c h w a h r gewesen wäre. Die Römer liebten Augusten würklich, von dem Jahre 727. an, mit einer Schwärmerey, die an Stärke und Dauer schwerlich ihres gleichen in der Geschichte hat: und August spielte seine Rolle eines Vaters und Schuzgottes so gut, daß er 10
sich endlich wohl selbst einbilden mochte, er liebe die Römer hinwieder so zärtlich, als er sie immer davon zu überzeugen suchte. (3) Horaz meynt unter dem Sabellus ohnezweifel sich selbst; und wenn er den Sabinern, zumal an einer Stelle wo es um Bestimmung des Begrifs der Rechtschaffenheit zu thun ist, dadurch Ehre erwieß, so glaubte er gewiß sich selbst nicht weniger zu ehren, indem er sich zum naturalisierten Landsmanne eines so tugendlichen Volkes machte. Daß er damit auf den angeblichen Sabinischen Ursprung der Ve n u s i n e r , unter denen er gebohren war, ausdrüklich habe deuten wollen, wie die Scholiasten meynen, scheint mir nicht in seiner Manier zu seyn. — Der Utopische Philosoph Sabellus, welchen Torren-
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tius hier träumt, kommt in gar keine Betrachtung. (4) Dies heimliche Gebet an die Göttin der Diebe, welches Horaz seinem Heuchler auf eine so humoristische Art in den Mund legt, war wenigstens nicht anstößiger als der lange Rosenkranz in den Klauen der alten graubärtigen Sünder von S e n n o r M o n i p o d i o’ s Bande, in einer von C e r v a n t e s Erzählungen. *) — Da übrigens bey dem Römischen Pöbel alles seinen besondern Schuzgott hatte, so ist sehr begreiflich, wie die gute Nymphe Laverna, in deren heiligen Hayn die ersten Römer unter Romulus ihren gemachten Raub in Sicherheit zu bringen pflegten, in der Folge zu der Ehre gekommen, von den Dieben und ihresgleichens zu ihrer Patronin erhoben zu werden. — Wer etwas
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sehr abgeschmaktes zu lesen Lust hat, dem empfehlen wir die Abhandlung des Hrn. von F o n c e m a g n e ü b e r d i e s e G ö t t i n im 7ten Theil der Memoires de Litterature. *)
Novella III. R i c o n e t e y C o r t a d i l l o , im I. Theil der N o v e l l a s E x e m p l a r e s dieses
sinnreichen Schriftstellers.
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(5) Man war zu Horazens Zeiten noch weit davon entfernt, vom Commerz und denen die es treiben so ehrenvolle Begriffe zu hegen, wie in unsern Zeiten aus guten Ursachen geschieht. Die Sache hat mehr als Eine Seite, und der Gesichtspunct, woraus die alten Philosophen sie ansahen, ist den Handelsleuten eben nicht günstig. Überdies ist auch hier nur von dem bloß mechanischen und lastbaren Theil der zu dieser Classe gehörigen Personen die Rede. (6) Horaz fand hier eine Stelle in den B a c c h a n t i n n e n des Euripides, die er mit einigen Veränderungen gebrauchen konnte, um das Bild vom Rechtschafnen Mann — wodurch er seinen Freund Quinctius zu gehöriger Selbsterkenntniß zu bringen sucht — mit dem lezten Zug zu vollenden. Im Euripides
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ist es Dionysos ( B a c c h u s ) der mit dem König Pentheus von Theben hadert, weil dieser (wie jeder andre vernünftige Regent auch gethan hätte) das angebliche Göttliche in den Nächtlichen Mysterien, welche Bacchus mit den Thebanischen Frauen begieng, nicht anerkennen wollte. Der König, der alle Ursache zu haben glaubt, den schönen jungen Menschen der vor ihm steht für einen Betrüger zu halten, droht ihm daß er ihn für seine Frechheit bestrafen wolle. So sage dann antwortet ihm Di o n y s o s . Was muß ich leiden? Nenne mir das Schrecklichste, das du mir anthun kannst?
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Pen th . Fürs erste werd ich dir den schönen Traubengleichen Bart herunterschneiden. Di o n y s. Mein Bart ist heilig, ich nähre ihn dem Gott. Pe n th . Dann werd ich diesen Thyrsos aus der Hand dir reissen — Di o n y s. Nimm ihn hin, er ist des Dionysos, der ihn mir gegeben.
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Pe n t h. Dich selber will ich hier in Fesseln halten. Di o n y s . Sobald ich will, wird sie der Gott mir selber lösen. Da Dionysos der Gott selbst war, von dem er spricht, und an dessen Gottheit der größte Theil der Zuschauer glaubte, so sieht man leicht, worinn das Interessante dieses Dialogs für das griechische Parterre lag. Aber damit hat Horaz hier nichts zu schaffen; und die Stelle hat dadurch, daß er einen rechtschafnen Mann an die Stelle des Gottes in Menschengestalt sezt, an Erhabenheit mehr 10
gewonnen als verlohren. Auch die Auslegung, die er n a c h d e n G r u n d s ä t z e n d e r S t o i k e r von den lezten Worten des Bacchus macht, ist sinnreich und schicklich: i c h k a n n s t e r b e n ; dies ist ein Befreyungsmittel, welches Gott (ein Synonymum für N a t u r bey den Stoikern) immer in meine Macht gestellt hat, und wodurch ich dem ärgsten, was du mir thun kannst, immer zuvorkommen kann.
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Siebzehnter Brief. An Scäva. Einleitung. Ausser dem wenigen was sich aus diesem Briefe selbst abnehmen läßt, ist von der Person des Mannes, an den er geschrieben ist, nicht das mindeste bekannt. Man kann wahrscheinlicherweise vermuthen, daß er von keiner ganz unansehnlichen Herkunft gewesen (vielleicht ein Sohn des tapfern C a s s i u s S c ä v a , dessen Jul. Cäsar im 53. Cap. des III. Buchs der Geschichte seines Bürgerkriegs so rühmlich erwähnt *) — daß er sich bisher, wiewohl mit keinem sonderlichen Erfolg, an einen der Großen in Rom angeschlossen; daß ihn die wenige Hofnung, seine Glücksumstände auf diesem Wege zu verbessern, mißmuthig und unschlüßig gemacht, ob er fortfahren oder sich zurükziehen sollte: und daß Horaz u n t e r d i e s e n U m s t ä n d e n an ihn geschrieben, um ihn aufzumuntern — ihm das was jener in seinem Unmuth vielleicht D i e n s t b a r k e i t genannt hatte, in einem ganz andern Lichte zu zeigen — und ihm zugleich, mit guter Art, zu verstehen zu geben, worinn er es vielleicht versehen, und wovor er sich mit den Großen am meisten in Acht zu nehmen habe. Der bekannte Streit zwischen Diogenes und Aristippus giebt ihm hiezu einen Stoff, den er zu seiner besondern Absicht aufs feinste zu verarbeiten weiß: indem er in Aristippus das Muster und Ideal eines P h i l o s o p h e n a m H o f e darstellt, einen Mann der mit Königen zu leben weiß, ohne weder seine Freyheit noch seinen Charakter aufzugeben; und indem er seinen Freund zu überzeugen sucht, daß es noch mehr Tu g e n d , d. i. mehr Verstand, Klugheit, Muth, Festigkeit, Gewalt über sich selbst, und Kraft zum Ausdauern erfodre, die Rolle eines Aristipps als die eines Diogenes, gut zu spielen.
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* * * *)
Er war einer von den vier Centurionen in Cäsars Armee, welche einen befestigten Posten bey
Dürrhachium mit einer Hartnäckigkeit, die fast ohne Beyspiel ist, vertheidigten; ungeachtet der Angriff so heftig war, daß sich der Schild dieses Scäva von 230 Pfeilschüssen durchbohrt befand. Cäsar beschenkte ihn für die Tapferkeit, die er an diesem entscheidenden Tage bewiesen hatte, mit 6000 Thalern, und beförderte ihn vom achten zum ersten Rang in seiner Cohorte.
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Wiewohl du, Scäva, dir genugsam selbst zu rathen weißt, und keines Unterrichts, wie mit den Großen umzugehn, bedarfst: So höre doch zu allem Überfluß was über diesen Punct dein kleiner Freund zu sagen hat: wie etwa, wenn ein Blinder zum Führer einem Blinden sich erböte. Laß seyn! Wer weiß, ich sage doch vielleicht noch etwas, das du gern dir eigen machst. 10
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Wenn du die Ruhe liebst, und deinem Schlaf nicht gerne abbrichst, auch den Straßenstaub nicht wohl ertragen kannst, und wenn das Knarren der Wagenräder und das Übernachten im Gasthof dir zuwider ist: so laß die Großen wo sie sind, und ziehe dich in dein stilles Ferentin zurücke. (1) Die Reichen sinds ja nicht allein die sich zu freuen wissen, und wer unbemerkt sich in die Welt hinein — und wieder hinausgeschlichen, hat nicht schlimm gelebt. So fern du aber deinen Angehörigen, dich nüzlich machen, auch ein wenig gütlicher Quamvis, S c a e v a , satis per te tibi consulis et scis quo tandem pacto deceat melioribus uti: disce, docendus adhuc quae censet amiculus, ut si caecus iter monstrare velit. Tamen aspice si quid et nos quod cures proprium fecisse loquamur. Si te grata quies et primam somnus in horam delectat; si te pulvis strepitusque rotarum,
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si laedit caupona, Ferentinum ire iubebo: nam neque divitibus contingunt gaudia solis, nec vixit male qui natus moriensque fefellit. Si prodesse tuis pauloque benignius ipsum
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Dir selber thun willst — nun, so halte dich an einen, der dich fetter machen kann. „Wenn Aristippusa) sich mit einer Mahlzeit von Kohl behelfen könnte, würd’ er nicht mit Königen leben wollen“ — U n d w e n n d e r , d e r m i r d e n Vo r w u r f m a c h t , m i t K ö n i g e n sich zu betragen wüßte, würde Kohl i h m l o s e S p e i s e s e y n . (2) — Nun sprich, mein Scäva, wer unter diesen beyden scheint dir Recht zu haben? — Oder, weil du doch
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der Jüngre bist, vernimm von mir, warum die Meynung Aristipps die Beßre sey. Doch hör’ ihn lieber selbst, und wie geschmeidig er dem bißigen Cyniker, der ihn schon fest zu halten glaubte, sich entwunden haben soll. „Wenn ich den Lustigmacher spiele, thu ich es mir selbst zu lieb und weiß wofür; hingegen machst d u mit deiner Weisheit dich dem Pöbel, für den sie Posse ist, zum Narr’n — um nichts. Was ist nun klüger und was schikt sich besser te tractare voles, accedes siccus ad unctum. Si pranderet olus patienter, regibus uti nollet Aristippus. — „Si sciret regibus uti fastidiret olus qui me notat.“ Utrius horum verba probes et facta, doce, vel iunior audi cur sit Aristippi potior sententia. Namque mordacem Cynicum sic eludebat, ut aiunt: „Scurror ego ipse mihi, populo tu: rectius hoc et
a) So sagt Diogenes, der Cyniker. Das Geschichtchen ist jedermann bekannt.
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für einen Ehrenmann? Der König giebt mir seine Tafel und ein hübsches Pferd aus seinem Stall; dafür verricht ich meinen Dienst: (3) D u schnappst, wenn dich der Hunger kirre macht, nach einem Stücke schimlicht Brodt, das dir ein schmuziger Kerl wie einem Hunde zuwirft, und pralest noch mit deinem Nichtsbedürfen?“ Was mir an Aristipp gefällt, ist, daß ihm jede Farbe gut ließ, jedes Glück. 10
Arm oder reich, im netten Hofkleid oder im schlechten Überrocke, blieb er immer sich selber ähnlich, immer wie er war just eben recht, doch so, daß auch nichts bessers für ihn zu gut war. (4) Wundern sollte michs hingegen wenn Diesen, den die Noth-Philosophie in Zwilch verhüllt, ein Hofrock auch so gut gekleidet hätte. Jener wartet dir auf keinen Purpur, geht, wenn just nichts bessers zur Hand ist, auch in seinem schlechtsten Rocke
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dir mitten auf den großen Plaz der Stadt, so unbeschämt als ob’s sein bester wäre. Er spielt was an ihn kömmt, den Höfling oder den Philosophen, wie sichs fügt, und wann splendidius multo est, equus ut me portet, alat Rex; officium facio: tu poscis vilia rerum dante minor, quamvis fers te nullius egentem.“ Omnis Aristippum decuit et color et status et res, tentantem maiora fere, praesentibus aequum. Contra, quem duplici panno patientia velat
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mirabor vitae via si conversa decebit. Alter purpureum non expectabit amictum, quidlibet indutus celeberrima per loca vadet, personamque feret non inconcinnus utramque.
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und wo sichs schikt. Hingegen läuft der Andre vor einem reichen Kleid wie vor der Pest; eh friert er sich zu Tode, wenn du ihm nicht seinen groben Kittel wiedergiebst. So gieb ihn dann, und laß den Narren lauffen! Des Staats Geschäfte thun, besiegte Feinde dem Volk in Fesseln zeigen, heißt sich Bahn zum Himmel machen, und an Jovis Thron schon mit dem Kopfe stoßen. Aber auch den Ersten im Staat gefallen, ist schon ehrenwerth.
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Die Schiffarth nach Korinth ist keine Sache für jedermann. (5) Wer des Versuchs sich nicht getraut, bleibt wo er ist, und thut sehr wohl daran: doch wer’s einmal gewagt, und ist nun glüklich angeländet, hat sich Der nicht als ein Mann gehalten? Was wir suchen ist dorten oder nirgends. Jener weicht die Bürde aus, die seinem kleinen Körper und seinem kleinen Muth zu groß ist: Dieser hält frisch den Rücken hin und trägt sie fort.
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Entweder, was ihr Tugend nennt ist bloß Alter Mileti textam cane peius et angue vitabit chlamydem; morietur frigore si non retuleris pannum. Refer, et sine vivat ineptus. Res gerere et captos ostendere civibus hostes attingit solium Iovis et coelestia tentat: principibus placuisse viris non ultima laus est. Non cuivis homini contingit adire Corinthum: sedit qui timuit ne non succederet; esto! Quid, qui pervenit, fecitne viriliter? Atqui hic est aut nusquam quod quaerimus: hic onus horret ut parvis animis et parvo corpore maius; hic subit et perfert. Aut Virtus nomen inane est,
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ein leerer Name, oder Ruhm und Glück gebührt dem Mann der alles dran gesezt. (6) Noch eins zum Schluße. Wer vor seinem Herrn von seiner Armuth schweigt — trägt mehr davon als wer mit seiner Bittschrift alle Tage im Vorgemach erscheint. Ob du verschämt und dankbar annimmst, oder hastig zugreifst, macht einen großen mächtigen Unterschied. „Es liegt mir eine unversorgte Schwester 10
und eine arme Mutter auf dem Halse — mein Gut ist unverkäuflich, gleichwohl reichts zu meiner Nothdurft nicht“ — wer s o spricht, thäte gleich so wohl, er schrie überlaut u m B r o d t . Auch läuft ein andrer straks und ruft: Halbpart! Daß doch der Rabe seinen Fraß nicht schweigend verzehren kann!b) Er hätte minder Neid und mehr zu essen. — Wer mit einem Großen die Reise nach Brundusium, oder nach aut decus et pretium recte petit experiens vir.
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Coram rege suo de paupertate tacentes plus poscente ferent: distat, sumasne pudenter an rapias; atqui rerum caput hoc erat, hic fons. „Indotata mihi soror est, paupercula mater, et fundus nec vendibilis, nec pascere firmus,“ qui dicit, clamat, v i c t u m d a t e ! succinit alter: „et mihi dividuo findetur munere quadra!“ Sed tacitus pasci si possit corvus, haberet plus dapis et rixae multo minus invidiaeque. Brundusium comes aut Surrentum ductus amoenum,
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b) Anspielung auf die Fabel vom Raben, der seines Käses bloß dadurch verlustig wurde, weil er seine Stimme hören ließ.
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dem reizenden Surrentum macht, und über die schlimmen Wege, über rauhe Luft und Regen wehklagt, oder daß sein Kuffer erbrochen, und Geräth und Reisegeld daraus gestohlen worden, macht damit sich bloß des alten Pfiffs der Buhlerin verdächtig, die gleichfalls immer was verlohren hat, und bald ihr Armband, bald ihr schönes Hündchen, das ihr gestohlen sey, betraurt, und drum auch keinen Glauben findet wenn sie würklich
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zu Schaden kam und wahre Thränen weint. Dann gehts ihm wie dem Bettler, der die Leute mit falschem Beinbruch einmal um ihr Mitleid betrogen hat: nun liegt der arme Schelm dort mitten in der Straß und hat sein Bein im Ernst gebrochen, ohne daß ein Mensch nur einen Finger rührt, wiewohl die hellen Thränen ihm von den Backen rinnen: „Lieben Leute um Gottes willen, helft mir armen lahmen Mann! Ach glaubt mir doch! B e y m h e i l i g e n O s i r i s , ( 7 )
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ich spaße nicht!“ — Das mach du andern weiß, schreyt ihm die heisre Nachbarschaft entgegen. qui queritur salebras, et acerbum frigus et imbres, aut cistam effractam aut subducta viatica plorat, nota refert meretricis acumina, saepe catellam saepe periscelidem raptam sibi flentis; uti mox nulla fides damnis verisque doloribus adsit. Nec semel irrisus triviis attollere curat fracto crure planum; licet illi plurima manet lacryma, per sanctum iuratus dicat Osirim: credite, non ludo, crudeles, tollite claudum! Quaere peregrinum, vicinia rauca reclamat. * * *
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Erläuterungen. (1) Die Geographen nennen uns drey Orte, welche den Namen Ferentinum führten, wovon das bekannteste an der Via Latina 7 Italiänische Meilen über A n a g n i lag, und diesen Namen noch izt trägt. Vermuthlich hatte Scäva dort ein kleines Gut. Der Rath, den ihm Horaz allenfalls giebt, wenn er seine Gemächlichkeit und Freyheit liebe, dahin zurükzuziehen, scheint eben nicht die Parthey gewesen zu seyn, die, seiner Meynung nach, dem Scäva die angemessenste war. Daher schlüpft er auch nur ganz leicht darüber hin, um sich desto länger bey demjenigen aufzuhalten was er ihm eigentlich sagen wollte. Ver10
muthlich kannte er seinen Freund Scäva genug, um zu sehen, daß er, mit einer tüchtigen Entschließung und mit Hülfe eines erfahrnern Erinnerers, noch einen ganz leidlichen Hofmann, aber daß er auf alle Fälle nur einen schlechten Philosophen in der Einsamkeit abgeben würde. (2) Nämlich, „er würde, um des schnöden Gewinns willen — besser zu essen und eine hübschere Figur in der Welt zu machen — sich nicht gefallen lassen, was — (in der Cynischen Sprache) der S c u r r a , oder höflicher zu reden, der F r e u n d eines Königs — w i e D i o n y s i u s — sich gefallen lassen muß.“ Dies ists was Diogenes dem schmucken, wohlgenährten, in Purpur gekleideten Aristipp vorrükte. — Ich vermuthe, Scäva hatte in einem Anstoß von böser
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Laune — in einem von den Augenblicken wo sich jedermann für einen Philosophen hält, über die Großen und die Mühseligkeit ihres Dienstes — gegen Horazen so etwas in diesem Tone fallen lassen: „Wozu brauch ich das Alles? Kann ich nicht von Kohl und Wurzeln leben so gut wie Diogenes? Und wenn ich d a s kann, was hab ich nöthig mich von einem Großen hudeln zu lassen?“ — Gut! antwortete ihm sein Freund: aber wenn du mit den Großen umzugehen wüßtest, so würdest du — weniger gehudelt, und brauchtest nicht von Kohl zu leben. Ich geb es zu, es ist eine Kunst von Kohl zu leben und glüklich zu seyn: Aber mit Königen zu leben ist auch eine Kunst. Jede hat ihre Ungemächlichkeiten, jede ihre Vortheile. Die Frage ist nur: bey welcher wirst
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du deine Rechnung am besten finden? (3) Officium facio — Aristipp tractirt sein Amt, dem König die Langeweile zu vertreiben, als einen H o f d i e n s t . Es giebt deren so viele, welche reichlich mit der gegentheiligen Tugend begabt sind, daß es kein Wunder ist, wenn die
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Könige auf die Dienste im Aristippischen Geschmack einen Werth legen, wovon ihre Schazmeister nicht immer so überzeugt sind, als sie selbst. Indessen giengs dem Dionysius mit seinem Spasmacher, wie M o n t a i g n e n m i t s e i n e r K a t z e . Scurror ipse mihi, sagt Aristipp: der König meynt, er treibe den Narren mit m i r ; aber um Vergebung — wenn ich Ihm Kurzweil mache, so ists bloß, weil er Mir gute Tage macht; und sobald ich selbst aufhöre den Spaß angenehm zu finden, sind wir geschiedene Leute. Unser Dichter befand sich mit August und Mäcen ungefehr in dem nehmlichen Falle — aber das sonderbarste dabey ist, daß er kein Bedenken trug, einen Brief, worinn er soviel von seinem Geheimniß ausplaudert, publik zu machen. Experti in arte werden
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vielleicht daraus folgern, daß er sich Gerechtigkeit habe wiederfahren lassen, da er im Eingang dieses Briefs nur ein sehr kleiner Meister in Hofkünsten zu seyn bekennt. Immer machts Augusten und Mäcenen Ehre, daß sie groß genug waren auf solche Dinge nicht zu achten, und daß Horaz ihnen d a s zutrauen durfte. (4) Ich glaube nicht, daß irgend ein andrer den Charakter Aristipps, dessen Philosophie so individuell ist als sein Charakter, besser ins Auge gefaßt, und feiner gezeichnet habe, als Horaz in dieser schönen Stelle. Man hat den Philosophen von Cyrene meistens so schief beurtheilet, als man gewöhnlich jeden zu beurtheilen pflegt, der seine eigne Art zu existieren hat, und nichts anders
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vorstellen will, als s i c h s e l b s t . Der Philosoph Demonax pflegte zu sagen: ich v e r e h r e den Sokrates, b e w u n d r e den Diogenes, und l i e b e den Aristippus. *) Wenn man bewundern soll was das seltenste und ausserordentlichste ist, so verdient Aristippus die Bewunderung: Denn so selten auch die wahren Diogenesse von jeher gewesen sind, so wird man ihrer doch zehn gegen Einen Aristippus finden. Zwar läßt sich die Art wie er dachte und lebte in ein System bringen, und ein System läßt sich lernen: aber die Geschicklichkeit, der gute Anstand, womit ers ausübte, d a s läßt sich in kein System bringen und mit keinem Formular umschreiben: und gerade dieses Wohlanstehende im Handeln, welches er, wie Apelles seine Grazie, vor andern seinesgleichen voraus hatte, war’s, was ihn zu einem so seltnen Mann machte, und ihm so große Vorrechte gab. Diogenes selbst war nicht freyer mit der Zunge, als er. Aristipp durfte alles sagen, alles thun, weil er immer alles auf die rechte Art *)
L u c i a n im Leben des Demonax.
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und zur rechten Zeit sagte und that, immer im Moment fühlte was sich schickte oder nicht schickte, wie weit er gehen konnte, und w a s G e n u g w a r — ein Gefühl, das in der K u n s t d e s L e b e n s , so gut wie in allen andern Künsten, den wahren Meister auszeichnet. Daher konnte er zu Syracus den Höfling spielen, den Dionysius belustigen, Geschenke von ihm annehmen, ja sich wohl gar zuweilen übel von ihm begegnen lassen, ohne seine Würde dabey zu verlieren, und dem Hofe, oder dem Fürsten selbst verächtlich zu werden. Daher konnte er, je nachdem sichs für ihn schikte, in einem zierlichen oder schlechten Aufzug erscheinen, ohne in jenem einem Gecken oder in diesem einem 10
schlechten Menschen ähnlich zu sehen. Daher kam es, daß er nie verlegen war, was er zu sagen oder zu thun hätte, in welchen Umständen er sich auch befand, oder wes Standes, Geschlechts, und Charakters die Personen seyn mochten, mit denen ers zu thun hatte; daher war er überall einheimisch, überall in seinem eignen Elemente; wickelte sich aus jeder Schwierigkeit, machte jeden Vortheil gelten, fand immer an jedem Dinge die gute oder wenigstens die leidliche Seite, wurde durch keinen Verlust muthlos, durch kein Glück übermüthig, kurz, daher war das Exv oyk exomai der Schlüssel zu seinem ganzen Leben. Wo hätte Horaz zu seiner itzigen Absicht ein vollkommneres Urbild finden können, um es seinem Freunde Scäva — als einen Spiegel vorzuhalten?
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(5) Dies war ein bekanntes Sprüchwort *) um dessen Ursprung wir uns hier nicht bekümmern wollen; genug, daß es von Unternehmungen gebraucht wurde, wozu Geschiklichkeit und Herz gehörte, und daß es Horaz hier in diesem Sinne nimmt. Sein Räsonnement läuft, däucht mich, darauf hinaus: „Die erste Frage ist, ob du zu Korinth was zu suchen hast das der Mühe werth ist, oder nicht? Ich setze den ersten Fall: so ist nun die zweyte Frage: ob du dir dahin zu kommen getraust? Denn die Sache hat ihre Schwierigkeiten. Schrekken dich diese ab; fühlst du voraus daß du stecken bleiben würdest: so thust du am besten du bleibst zu Hause. Da ist aber ein andrer, der eben das in Korinth zu suchen hat, was du, und der sich durch die Gefahr nicht erschrecken läßt.
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Er sagt sich selbst: was ich suche ist nun einmal zu Korinth und sonst nirgends; ich muß also nach Korinth es koste was es wolle: und damit wagt ers, kommt glüklich hinein, erhält was er gesucht hat, und Ehre und Preis noch oben drein.“ — Die Anwendung von dem Gleichnis auf die Angelegenheiten *)
S. E r a s m i Adag. IV. 4. 68.
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des Freundes Scäva macht sich von selbst. Das Glück, das er durch die Gunst eines Großen machen wollte, war für ihn die R e i s e n a c h K o r i n t h . (6) Torrentius meynt, Horaz werfe hier einen spottenden Seitenblik auf den Saz der Stoiker: d a ß d i e Tu g e n d s i c h s e l b s t g e n u g s a m s e y : — Der gute Bischoff nennt dies ein p r a e d u r u m dictum, und es verdiente einen noch härteren Namen, wenn es so weit ausgedehnt würde, daß niemand tugendhaft heißen könnte, als wer die übrigen Güter dieses Lebens gar keiner Mühe werth schäzt. Ich glaube, was Horaz hier mit den wenigen Worten, die er dazu braucht, sagen wollte, ist dies: „Diogenes würde es dem Aristipp nicht eingestehen wollen, daß mehr Tugend dazu gehöre, ein gewisses Glük zu ma-
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chen und sich darinn zu erhalten, als, es entbehren zu können. Gleichwohl ist nichts gewisser. Es ist wie mit der Schiffarth nach Korinth. Zu Hause zu bleiben ist keine große Kunst; und wenn derjenige, der nichts hat, weil er nicht Unverdrossenheit und Thätigkeit genug hatte etwas zu erwerben, mit seinem Zustand zufrieden ist: so erspart er sich bloß die Beschämung, noch dazu ausgelacht zu werden; denn über wen wollte er murren als über sich selbst? Also, entweder ihr wißt nicht was ihr mit eurer Tugend wollt: oder ihr müßt zugeben, daß ein Mann, der die Entschlossenheit, die Geduld, die Standhaftigkeit, die Klugheit, kurz alle die Tugenden, die zu Erreichung seines Endzweks nöthig sind, mit gutem Erfolg angewandt hat, die Ehre und die Vortheile, die
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ihm daher zugewachsen, als eine verdiente Belohnung ansehen könne.“ — Man sieht, daß Horaz seinem Freunde Scäva d i e S c h i f f a r t h n a c h K o r i n t h von der schönsten Seite zeigen wollte. (7) Ungeachtet Augustus, oder Agrippa an seiner statt, die Egyptischen Winkel-Gottesdienste aus Rom und 500 Schritte weit von den Vorstädten dieser Hauptstadt verbannt hatte *), so ließ sich doch das gemeine Volk, zumal das herumstreichende Gesindel, wovon es in Rom wimmelte, seine Andacht zu den neumodischen Göttern O s i r i s , I s i s , und A n u b i s nicht nehmen, und Horaz beobachtet also das Costum der Leute dieses Gelichters, wenn er den landstreichenden Bettler, dem niemand glauben will daß er sein Bein im Ernst gebrochen habe, zu Bezeugung seines höchsten Ernsts, beym h e i l i g e n O s i r i s schwören läßt.
*)
Dion. L. 52.
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Achtzehnter Brief. An Lollius. Einleitung. Es ist kein einleuchtender Grund vorhanden, warum wir diesen L o l l i u s nicht für eben denselben halten sollten, an den der zweyte Brief geschrieben ist, nehmlich für einen Sohn oder Neffen des M. Lollius der im J. 733 Consul gewesen war, und nicht für diesen Consularen selbst, wie Torrentius gethan hat. B a x t e r , der sich geneigt bekennt zu glauben, daß der L o l l i u s dieses Briefes und der S c ä v a des 17ten eine und eben dieselbe Person sey, und G e ß n e r , der ihm beystimmt, berufen sich theils auf die unbedeutende Autorität 10
eines nahmenlosen alten Scholiasten, der den besagten Scäva Scævam Lollium Equitem Romanum nennt, theils auf die Verwandtschaft des Inhalts beyder Briefe, welche vermuthlich auch die Ursache war, warum der Scholiast, mit der gewöhnlichen Dreistigkeit dieser Leute, beyde Namen zusammengeworfen und Einen Mann daraus gemacht hat. So schwache Gründe fallen von sich selbst. Man braucht nur beyde Briefe zu lesen und zu vergleichen, um zu sehen, daß Scäva und Lollius zwoo sehr verschiedne Personen sind, und die Briefe selbst sind es, ihrer Verwandtschaft ungeachtet, nicht weniger. Da ich für schicklich halte, dem Leser das Vergnügen dieser Vergleichung selbst zu überlassen, so begnüge ich mich, Folgendes nur überhaupt anzu-
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merken. Seitdem August den Römern von ihrer alten Verfassung nichts als die Namen übrig gelassen, und im Grunde alle Macht zwischen ihm und seinem Tochtermann Agrippa getheilt war (wiewohl D i e s e r Klugheit genug hatte sich mit dem zweyten Rang im Staat und mit einem, dem Schein nach, bloß geborgten Glanze zu begnügen) — von dieser Zeit an, da die Julische Familie in Rom Alles war, hatten junge Leute von gutem Hause keinen andern ordentlichen Weg zu Ansehen und Einfluß zu gelangen vor sich, als sich an einen von denjenigen anzuschliessen, die entweder durch die Gunst Augusts, oder durch ihre nahe Verwandtschaft mit ihm, die Wichtigsten Personen im Reiche vorstellten. Was in der Sprache eines Römers der die bessern Zeiten der Republik
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noch gesehen geradezu Sclaverey geheissen hätte, galt izt für ein würkliches
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Vorrecht. So war nun auch der junge L o l l i u s dazu gebohren, mit den Großen des Staats zu leben, um durch die Verdienste die er sich um ihre Personen machte, dahin zu kommen, wohin man ehmals nur durch Verdienste um das Vaterland gelangen konnte: und er hatte sich zu diesem Ende, nach Römischer Sitte, einen P a t r o n , oder M ä c h t i g e n F r e u n d , erwählt, dem er noch auf eine besondere Art zugethan und verpflichtet war. Daß Lollius damals in dieser Lage gewesen, wiewohl sein Patron nicht genennt wird, ist aus dem ganzen Briefe klar; und aus dem Zuge, tu, d u m t u a n a v i s i n a l t o e s t , hoc age, &c. läßt sich schließen, daß er — zumal als der Sohn oder nahe Verwandte eines Consularen auf welchen Augustus selbst Vertrauen sezte — schon sehr
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gute Aussichten gehabt habe. Horaz scheint daher auch als eine Sache, die sich von selbst verstehe, vorauszusetzen, daß sein junger Freund dazu berufen sey, gern oder ungern, auf diesem Meere fortzusegeln; und daß es nur bloß darauf ankomme, den Klippen und Sandbäncken auszuweichen, an welche ihn entweder seine Unerfahrenheit, oder die Hitze und Ungeschmeidigkeit seiner natürlichen Gemüthsart treiben möchte. Die Erinnerungen, welche er ihm — als ein alter Freund seines Hauses — mit sichtbaren Merkmalen einer besondern Theilnehmung, aus dem Schatze seiner Erfahrenheit mittheilt, sind alle so beschaffen, daß ein Mann vom Stande des Lollius ihrer gleichstark vonnöthen hatte, er mochte als ein bloßer
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Privatmann leben, oder sich im Staat hervorthun wollen. Immer mußte er mit Größern und Mächtigern leben als Er war; immer hatte er einen angestammten Namen und Vermögen, kurz, Vorzüge zu behaupten, die in der neuen Verfassung täglich precärer zu werden schienen; immer hatte er also mächtige Freunde vonnöthen, auf deren Gunst und Schutz er sich verlassen konnte. Der junge Lollius schien eines Erinnerers noch um so mehr zu bedürfen, weil noch etwas von republicanischem Blute in seinen Adern wallte — zwar nicht soviel, um die Erben Cäsars mit einem zweyten Brutus oder Cassius zu bedrohen; aber eben genug um keinen sehr geschmeidigen Hofmann zu versprechen: was er doch seyn mußte, wenn er i m n e u e n R o m d e r C ä s a r n auch nur eine leidliche Figur machen wollte. Denn wiewohl der Name und der äusserliche Glanz eines H o f e s unter August noch nicht statt fand: so war doch die Sache da; und ein edler Römer, der mehr Lust hatte seinen eignen Neigungen nachzuhängen, als sich den Großen gefällig zu machen, konnte so sicher als in der entschiedensten Monarchie darauf rechnen, daß man seiner Verdienste
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beym Austheilen der Belohnungen immer vergessen, und bey unangenehmen Gelegenheiten sich seiner Fehler sehr genau erinnern werde. Horaz fängt zwar seine Instruction mit einer Warnung vor dem verächtlichen Charakter eines S c u r r a an; unter welchem Worte die Römer alles zusammen faßten, was wir mit den verschiednen Namen, Schmeichler, Schmarotzer, Speichellecker, und Hofnarr sagen wollen: aber man sieht wohl, daß es nur geschieht, um mit guter Art auf den entgegengesezten Exceß zu kommen, vor welchem Lollius, nach seiner freyen, runden, und hitzigen Gemüthsart, sich weit mehr in Acht zu nehmen hatte. Überhaupt können wir sicher voraussetzen, daß 10
unser Dichter von den besondern Umständen seines Freundes gut genug unterrichtet gewesen, um nichts zu vergessen was ihm vorzüglich nöthig war; wiewohl er auch Weisheit und Lebensart genug hatte, allen Schein eines directen Tadels zu vermeiden, und das, was er bloß i h m ins Ohr sagen wollte, mit dem Allgemeinen so geschikt zu versetzen wußte, daß seine Erinnerungen nichts auffallendes haben konnten. Man kann daher diesen Brief als ein kleines Praktisches Handbuch der Kunst mit den Großen zu leben ansehen, welches jeder Jüngling, den sein Schiksal auf die schlüpfrige Bahn des Hofes gesezt hat, mit goldnen Buchstaben geschrieben und an seinen Calender oder sein Memoranden-Buch gebun-
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den, bey sich führen, und worinn er täglich als in seinem B r e v i e r beten sollte; des Morgens, um die weisen Maximen wohl zu meditiren, die er den Tag über zu beobachten haben wird: und Abends vor schlafen gehen, um dem Horaz, als einem getreuen Mentor, seine begangnen Fehler zu bekennen, und, durch eigne Erfahrung von der Weisheit seiner Lehren überführt, ihm verdoppelte Aufmerksamkeit und neuen Gehorsam für den künftigen Tag anzugeloben. Wenigstens halten wir uns versichert, die erfahrensten Meister werden einen Adepten ihrer Geheimnisse in ihm erkennen: und vielleicht werden manche eben so verwundert seyn, seine Maximen, ohne es selbst zu wissen, immer ganz genau befolgt zu haben, wie es Hr. J o u r d a i n war, daß er un-
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wissender weise sein ganzes Lebenlang Prose gesprochen hatte. * * *
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Wofern ich, wakrer Lollius, nicht sehr an dir mich irre, wirst du wohl dich hüten, da, wo du dich zur Rolle eines Freundes bekannt hast, den geringsten Schein der Schmeicheley dir zuzuziehn. Ein keusches Weib ist nicht an Puz und Anstand von der feilen Dirne verschiedner, als der Freund vom Schmeichler ist. Das Gegentheil von diesem Laster, und beynah das schlimmre, ist die ungeschlifne Strenge, die durch den kurzgeschornen Kopf und schwarze Zähne
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sich zu empfehlen glaubt, und ohne Schaam sich über Lebensart und Wohlstand wegzusetzen für baare Freyheit und für ächte Tugend verkauffen will. Die wahre Tugend, Freund, liegt zwischen zweyen Lastern, gleich von beyden zurükgezogen, richtig in der Mitte. (1) Der eine, — immer mehr als recht ist nachzugeben geneigt, und dem, der ihm zu essen giebt, mit seinem Lachen aufzuwarten — trägt soviel Respect vorm bloßen Wink des hohen Gönners,
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Si bene te novi, metues, liberrime Lolli, scurrantis speciem praebere professus amicum. Ut matrona meretrici dispar erit atque discolor, infido scurrae distabit amicus. Est huic diversum vitio vitium prope maius, asperitas agrestis et inconcinna gravisque quae se commendat tonsa cute, dentibus atris, dum vult libertas dici mera veraque virtus. V i r t u s est medium vitiorum et utrinque reductum. Alter in obsequium plus aequo pronus et imi derisor lecti, sic nutum divitis horret,
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hallt so gefällig seine Späße nach, schnappt jedes Wort das ihm entfiel im Fallen so hastig auf, daß dir nicht anders ist als ob du einen Jungen vor der Ruthe des Meisters zittern sähest, oder auf dem Schauplaz, mit aller Demut, die dem subalternen Talent geziemt, die zweyte Rolle spielen hörest. Im Gegentheil erhebt der andre oft den größten Zank mit dir — um Ziegenwolle, und kämpfte, eh er sich ergäbe, lieber
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mit baarem Unsinn. — „Was? ich sollte dir mehr glauben als mir selbst? Ich sollte nicht was ich denke von der Leber frisch wegbellen dürfen? Nein, das laß’ ich mir nicht nehmen, wenns mein Leben doppelt gälte!“ — Der Streit betrift auch freylich eine Frage von Wichtigkeit! Ob C a s t o r oder D o l i c h o s a ) sein Handwerk besser wisse? ob die Straße, des Appius oder des Minucius 20
//
uns etwas bälder nach Brundusium führe? sic iterat voces et verba cadentia tollit ut puerum saevo credas dictata magistro reddere, vel partes mimum tractare secundas: alter rixatur de lana saepe caprina, propugnat nugis armatus; „scilicet, ut non sit m i h i prima fides et vere quod placet ut non acriter elatrem, pretium aetas altera sordet. Ambigitur quid enim? Castor sciat an Dolichos plus? Brundusium Minucıˆ melius via ducat an Appıˆ?
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a) Zween damalige G l a d i a t o r e n , von welchen viel gesprochen wurde.
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Die Gunst der Großen wird nicht selten bloß dadurch verlohren, daß man ihnen sich zu ähnlich stellt. Wer sich durch Tänzerinnen und Würfel ruiniert, aus eitler Hoffart sich über sein Vermögen trägt, sich schämt für ärmer als ein andrer angesehn zu seyn, und unersättlich stets nach Golde hungert, kann sicher rechnen, daß sein hoher Freund, wiewohl vielleicht um zehen Laster reicher als er, ihn hassen oder wenigstens
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fürbaß hofmeistern werde. Er ist hierinn den Müttern gleich, die ihre Töchter weiser und tugendhafter haben wollen, als sie selber sind — und spricht, nicht ohne Schein von Wahrheit: „wenn ich tolles Zeug beginne, Freund, so bin ich reich genug ein Narr zu seyn; D u must nach deiner Decke dich strecken, und ein Rock mit engen Falten ist, wenn du mich begleitest, gut genug für dich; hör’ auf mit mir dich messen
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zu wollen!“ — Wenn’s Eutrapelus (2) recht schlimm mit einem meynte, gab er ihm Quem damnosa Venus, quem praeceps alea nudat, gloria quem supra vires et vestit et ungit, quem tenet argenti sitis importuna famesque, quem paupertatis pudor et fuga, dives amicus saepe decem vitiis instructior, odit et horret, aut si non odit, regit; ac veluti pia mater, plus quam se sapere et virtutibus esse priorem vult, et ait prope vera: meae (contendere noli) stultitiam patiuntur opes; tibi parvula res est, arcta decet sanum comitem toga; desine mecum certare. E u t r a p e l u s cuicunque nocere volebat vestimenta dabat pretiosa: beatus enim iam
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nur reiche Kleider. (3) Mit dem schönen Rocke wird (dacht’ er) nun der Geck, wer weiß wie wichtig in seinem Wahn, auch seine Denkensart verändern, wird von Glüksentwürfen und gefundnen Schätzen träumend seine Morgenstunden verschlafen, seiner Bulschaft Pflicht und Ehre nachsetzen, wird auf große Zinsen borgen, und, wenn er endlich fertig ist, damit beschließen, in den Fechterplatz sich zu 10
verkauffen, oder eines Gärtners blinden Schimmel um Taglohn traurig vor sich her zu treiben. D u wirst dir zum Gesetze machen, weder nach deines hohen Freunds Geheimnissen zu forschen, noch, wofern er etwas dir von selbst vertraut, es zu verrathen, wenn du gleich mit Wein und Zorn gefoltert würdest. Auch wirst du niemals D e i n e n Neigungen den Vorzug geben und die seinen tadeln; noch, wenn er auf die Jagd will, dich damit
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entschuldigen, du müssest Verse machen. Man sagt die Harmonie der beyden berühmten Zwillingsbrüder, Zethus und cum pulchris tunicis sumet nova consilia et spes, dormiet in lucem, scorto postponet honestum officium, nummos alienos pascet, ad imum Threx erit, aut olitoris aget mercede caballum. Arcanum neque tu scrutaberis illius unquam, commissumque teges et vino tortus et ira; nec tua laudabis studia aut aliena reprendes,
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nec, cum venari volet ille, pöemata panges. Gratia sic fratrum geminorum, Amphionis atque
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Amphion, sey aus keiner größern Ursach zerrissen worden; bis der sanftere Amphion, dem Humor des rauhern Bruders nachgebend, seine Leyer schweigen hieß. (4) So mach es auch. Betrachte stets die Bitten des mächtigen Freunds als mildere Befehle: und hat er seinen Jagdzeug mit den Koppeln vorausgeschikt, so spring du hurtig auf, entrunzle die gedankenvolle Stirn der ungefälligen Muse, und zeig’ ein heitres
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Gesicht; die Wildpastete, die dir Müh und Schweis gekostet, wird nur baß dir schmecken. Die Jagd stund immer in gar hohen Ehren bey unsern Römern, ist dem guten Ruf b) und der Gesundheit nütz, und stärkt die Glieder: Auch ziemt sie dir besonders, da du Schnelligkeit um einen Hund zu überlaufen, Kräfte um einen Eber zu bezwingen, hast. Zethi, dissiluit, donec suspecta severo conticuit lyra; fraternis cessisse putatur
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moribus Amphion: tu cede potentis amici lenibus imperiis, quotiesque educet in agros aetolis onerata plagis iumenta canesque, surge, et inhumanae senium depone Camoenae, cœnes ut pariter pulmenta laboribus emta; Romanis sollenne viris opus, utile famae vitaeque et membris, praesertim cum valeas et vel cursu superare canem vel viribus aprum
b) Weichliche Jünglinge, die eine feine Haut zu schonen haben, und sich vor Frost und Hitze fürchten, sind keine Liebhaber der Jagd. Nach den alten Römischen Sitten klebte dem Charakter eines Weichlings eine Art von Infamie an; die Liebe zur Jagd, als ein Zeichen eines männlichen Temperaments und daß ein junger Mann noch nicht ganz aus der Art der Voreltern geschlagen, war in sofern dem guten Ruf förderlich.
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Und wer hat mit den Waffen umzugehen mehr Anstand? Wem wird in den Kriegesspielen des C a m p u s M a r t i u s lauter zugeklatscht? Und dientest du nicht, schon, beynah als Knabe, im Zuge gegen die Cantabrer, unter dem Feldherrn, der uns aus der Parther Tempeln die Adler wiedergab, und izt was etwa noch zurück ist unsern Waffen unterwirft? (5) Und, um dir alle Ausflucht abzuschneiden, 10
so weiß man ja, daß du, wiewohl du nichts unschiklichesc) zu thun beflissen bist, auf deinem väterlichen Gut mit unter auch Kurzweil treibst. Da werden, zum Exempel, aus kleinen Fischerkähnen zwoo Schlachtordnungen formiert, und unter deiner Anführung, wie in vollem Ernst, das Treffen bey Actium von deinen Hausgenossen im Kleinen vorgestellt. (6) Dein Bruder ist der Feind, dein Gartenteich das Adriatische Meer;
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possis. Adde, virilia quod speciosius arma non est qui tractet; scis quo clamore coronae proelia sustineas campestria: denique saevam militiam puer et Cantabrica bella tulisti, sub duce qui templis Parthorum signa refigit nunc, et si quid abest, Italis adiudicat armis. Ac ne te retrahas et inexcusabilis abstes, quamvis nil extra numerum fecisse modumque curas, interdum nugaris rure paterno: partitur lintres exercitus, Actia pugna
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te duce per pueros hostili more refertur; adversarius est frater, lacus Adria, donec c) Nil extra numerumque modumque, eine Nachahmung der griechischen Redensart para melow. Horaz hat sich der Freyheit häufig bedient, seine Sprache aus der Griechischen zu bereichern. ¼1. Buch. 18. Brief½
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so wird gefochten bis die leichtbeschwingte Victoria des Siegers Schläfe kränzt: Und niemand, wer dir gleiche Billigkeit für seine Launend) zutraut, wird die deinen tadeln. Sodann, und weil ich einmal am Erinnern bin, (wofern du je Erinnerns nöthig hast) Bedenke wohl und oft, w a s du von jedem und z u w e m du sprichst. Den F r a g e r weiche aus, er ist ein S c h w ä t z e r : Ohren, welche immer weit offen stehen, lassen leicht entfallen
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was ihnen anvertraut war, und ist dir einmal ein Wort entschlüpft, so fliegts davon und läßt nie wieder sich zurücke rufen. Nicht minder hüte dich daß innerhalb der Marmorschwelle deines großen Freundes ja keiner seiner schönen Sclaven, keine von seinen Mädchen, die er selbst vielleicht sich vorbehielt, die Leber dir entzünde: alterutrum velox Victoria fronde coronet. Consentire suis studiis qui crediderit te
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fautor utroque tuum laudabit pollice ludum. Protinus ut moneam (si quid monitoris eges tu) quid de quoque viro, et cui dicas, saepe videto! Percontatorem fugito, nam garrulus idem est, nec retinent patulae commissa fideliter aures, et semel emissum volat irrevocabile verbum. Non ancilla tuum iecur ulceret ulla puerve intra marmoreum venerandi limen amici: ne dominus pueri pulchri caraeve puellae
d) Im Original, Studia; die Rede ist aber hier von den s t e c k e n p f e r d i s c h e n Neigungen. Es fehlte einem Römischen Dichter oft auch in seiner Sprache an dem e i g e n t l i c h e n Worte, wie uns noch öfters in der unsrigen.
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damit er keinen Anlaß habe, weder mit einem unbedeutenden Geschenk dich abzufinden, oder, wenn er deinen Wünschen zuwider ist, sie dir zur Quaal zu machen. Den Mann, den du empfehlen willst, besieh erst recht genau und oft, von allen Seiten, damit nicht unversehens fremde Fehler dich schaamroth machen. Doch bleibts immer möglich daß wir aus Irthum gut für Jemand sagen, der dessen wenig werth erfunden wird.
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In diesem Fall, und wenn er seine Schuld nicht läugnen kann, entzieh ihm deinen Schuz. Ist aber der, den böse Zungen stechen, dir ganz genau bekannt: so halte fest, und stelle dich dem Mann zur Brustwehr dar der seine Zuversicht auf dich gesetzt hat. Darf ihn der Lästrung Zahn vor deinen Augen benagen, ohne daß dein Herz dir sagt bald könne dich was ihm begegnet treffen? Brennt deines Nachbars Wand so gilts auch dir,
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und Unsinn wärs, mit Löschen warten bis //
das ganze Haus in hellen Flammen stünde. munere te parvo beet, aut incommodus angat. Qualem commendes etiam atque etiam aspice, ne mox incutient aliena tibi peccata pudorem. Fallimur et quondam non dignum tradimus: ergo quem sua culpa premet deceptus omitte tueri, ut penitus notum si tentent crimina serves tuterisque tuo fidentem praesidio; qui
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dente Theonino cum circumroditur, ecquid ad te post paullo ventura pericula sentis? Nam tua res agitur paries cum proximus ardet, et neglecta solent incendia sumere vires.
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Um eines Mächtigen Gunst zu buhlen däucht dem Unerfahrnen süß, gefährlich dem Erfahrnen. Du, dessen Schif bereits im hohen Meer mit muntern Wimpeln geht, wend’ alles an daß dich kein Gegenwind zurück ans Ufer werfe. Die Großen lieben sehr an ihren Freunden den Widerschein von ihrer eignen Laune zu sehen. Sind sie düster, mißvergnügt, so hassen sie den Muntern — sind sie lustig, den Ernsten. Einem raschen ist der sanfte
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gesezte, einem trägen Herrn hingegen der rüstige und geschäftige Mensch zuwider: und dem, der mit Falerner Nächte durch sich gern beträuffelt, würdest du dich schlecht empfehlen, wenn du dir den dargebotnen Becher verbitten wolltest, schwürst du gleich beym Barte des Aesculap, dein Kopf und Magen könne des späten Weindunsts Hitze nicht vertragen. Zerstreu’ die Wolk um deine Augenbrauen! Sehr oft wird, um der Mine willen bloß,
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Bescheidenheit für düstern Sinn, und Stille für hämische Misanthropie gehalten.
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Dulcis inexpertis cultura potentis amici, expertus metuit. Tu, dum tua navis in alto est hoc age, ne mutata retrorsum te ferat aura. Oderunt hilarem tristes, tristemque iocosi, sedatum celeres, agilem gnavumque remissi; potores bibuli media de nocte Falerni oderunt porrecta negantem pocula, quamvis nocturnos iures te formidare vapores. Deme supercilio nubem; plerumque modestus occupat obscuri speciem, taciturnus acerbi.
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Vor allem forsche von den Weisen, Todten und Lebenden, wie du es machen sollst um sanft des Lebens Strom hinab zu gleiten, damit nicht immer dich die dürftige Begierde, nicht die Furcht dich quäle, noch die Hofnung solcher Dinge deren Nutzen ein Kluger leicht entbehret: Forsch’ und lerne von ihnen was dich besser macht, — ob Tugend als Gabe der Natur uns angebohren, oder 10
durch Unterricht und Fleiß erworben werde? Was deiner Sorgen Anzahl mindre? Was Dir selbst zum Freund dich mach’, und wahre Ruh dir schaff’? — Ob Ehre oder Reichthum, oder ob ein unbemerkter schmaler Pfad durchs Leben. (7) So oft der kalte Bach Digentia mich erfrischet,e) den das kleine frostige Dorf Mandela trinkt, was meynst du daß ich denke? was glaubst du, Freund, daß ich die Götter bitte? Inter cuncta leges et percunctabere doctos
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qua ratione queas traducere leniter aevum, ne te semper inops agitet vexetque cupido, ne pavor et rerum mediocriter utilium spes: virtutem doctrina paret, naturane donet? quid minuat curas? quid te tibi reddat amicum? quid pure tranquillet, honos an dulce lucellum, an secretum iter et fallentis semita vitae? Me quoties reficit gelidus Digentia rivus, quem Mandela bibit, rugosus frigore pagus, quid sentire putas? quid credis, amice, precari?
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e) d. i. so oft ich auf meinem Sabinischen Gute lebe, an welchem der kleine Fluß D i g e n t i a vorbeyfloß.
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„Laßt mir nur was ich hab’, und wärs auch minder, und was ihr etwa noch von Lebenszeit mir zugedacht, laßt mich mir selber leben! Laßt mirs an Büchern nicht, auch nicht an Vorrath, was auf ein Jahr vonnöthen ist, gebrechen, damit die ungewisse Zukunft im Genuß des Gegenwärtigen mich nicht stören müsse!“ (8) Es ist genug, um Dinge die er giebt und wieder nimmt den Jupiter zu bitten: er gebe Leben nur und Nothdurft mir,
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ein ruhig Herz will ich schon selbst mir schaffen! Sit mihi quod nunc est, etiam minus, et mihi vivam quod superest aevi, siquid superesse volunt Dii; sit bona librorum et provisae frugis in annum copia, neu fluitem dubiae spe pendulus horae. Sed satis est orare Iovem quae donat et aufert: det vitam, det opes, aequum mıˆ animum ipse parabo. * * *
Erläuterungen. (1) Dies ist nach den ächten Grundsätzen der S o k r a t i s c h e n und P e r i p a -
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t e t i s c h e n Schule gesprochen. So wohl das agauon als das kalon, das Materiale und das Formale jeder Tugend liegt nach denselben mitten zwischen z u w e n i g und z u v i e l ; man n ä h e r t sich ihr um soviel, als man sich auf beyden Seiten von dem entgegenstehenden D e f e c t oder E x c e ß entfernet: aber, genau zu sprechen, ist immer in jedem Falle nur E i n e Art r e c h t z u t h u n , und u n z ä h l i c h e zu f e h l e n , d. i. die Linie zu verfehlen, die (nach dem Ausdruck des A r i s t o t e l e s ) zwischen der H y p e r b o l e und der E l l i p s e der m o r a l i s c h e n U n r i c h t i g k e i t mitten durchgeht, und die Linie der Tu g e n d ist. *) Dies gilt überhaupt von jeder menschlichen Vollkommenheit. Jede *)
Mesothw tiw estin hë areth — eti to men aëmartanein pollaxvw esti — to de katoruoyn monaxvw.
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M u s e , jede Ve n u s , und G r a z i e , hat ihre bestimmte Form, ihren eignen Ton, Gang und Anstand, ihren Rhythmus und ihre Mensur. In dem feinen schnellen und richtigen Gefühl von allen diesem, und in der sichern, zum Instinct gewordenen Fertigkeit es diesem Gefühl gemäß in Ausübung zu bringen, besteht alle V i r t u o s i t ä t . Was Wunder also, daß in allen Künsten, und in der schwersten und verwickeltsten von allen, d e r K u n s t d e s L e b e n s , am meisten — nichts vollkommnes unter der Sonne ist, und d a s S c h ö n e , nach welchem alle Virtuosen streben, so selten erreicht, oder wo es erreicht worden, nur von so Wenigen gesehen und empfunden wird? 10
(2) Ohnezweifel ist hier der Römische Ritter Vo l u m n i u s E u t r a p e l u s gemeynt, der von Cicero in der Dreyzehnten P h i l i p p i c a unter den Vertrauten oder Collusoribus et Sodalibus (wie er sie nennt) des Triumvirs M a r c u s A n t o n i u s obenan gesezt wird. Er war einer von den Elegans dieser Zeit, und war es so sehr, daß er den Beynahmen E u t r a p e l u s daher bekam, der einen Menschen bezeichnet, dessen Vorzug in allen Eigenschaften eines angenehmen Gesellschafters, besonders in der Gabe Bons-Mots zu machen, liegt. Man kann die Bons-Mots in Ve r b a l e und R e a l e eintheilen: von der leztern Art ist der Zug der hier von ihm erzählt wird. Am Schluße des siebenten Buchs der Briefe Cicero’s ad Familiares, befinden sich ein paar an diesen Vo l u m n i u s
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E u t r a p e l u s , woraus man sich einen sehr guten Begriff von ihm machen kann. „Da ich, (schreibt ihm Cicero) deinen Brief nur so schlechtweg, wie unter vertrauten Freunden gewöhnlich ist, Volumnius Ciceroni, überschrieben sah, vermuthete ich anfangs, daß er von dem S e n a t o r Volumnius sey, mit dem ich auf einem sehr vertrauten Fuß lebe: aber die eytrapelia (der launische scherzhafte Ton) des Briefes machte mich gleich merken, daß er von Dir kommen müße. Alles war mir darinn ausnehmend angenehm, das einzige ausgenommen, daß du, wie ich sehe, eben nicht der fleißigste P r o c u r a t o r bist, mich i m B e s i z meiner S a l z g r u b e n * ) zu m a n u t e n i e r e n . Denn du sagst, ich hätte der Stadt kaum den Rücken gekehrt, so würde schon alles was
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wie ein Bon-Mot klinge, sogar die vom S e s t i u s , auf meine Rechnung gesezt. Wie? Und das läßest du so geschehen? Nimmst dich meiner nicht an? Wehrst Xalepon de to epityxein. Kai dia tayt’ oyn thw men k a k i a w hë yë p e r b o l h kai hë e l l e i p s i w , thw de a r e t h w hë m e s o t h w . A r i s t o t e l . Ethic. ad Nicomach. L. II. c. 5. *)
Quod parum diligenter possessio s a l i n a r u m m e a r u m a te procuratore defenditur. So
nennt er, scherzweise, das Talent Bons-mots zu sagen, weswegen er so berühmt war.
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dich nicht für mich? Ich glaubte, ich hätte doch meinen Bons-Mots einen so kennbaren Stempel aufgedrückt, daß eine Verwechslung gar nicht möglich seyn sollte. Aber weil der Geschmak zu Rom, wie es scheint, in solchen Verfall gerathen ist, daß sich nichts so Un-Cytherisches *) denken läßt, das nicht bey jemand für was feines paßierte: so wirf dich, wenn du mein Freund bist, von nun an zu meinem Verfechter auf, und wenn die A m p h i b o l i e * * ) nicht sinnreich, die H y p e r b o l e nicht elegant, das P a r a g r a m m a * * * ) nicht drollicht, das L ä c h e r l i c h e nicht unerwartet, kurz, wenn alle Arten von Scherzen, wovon ich in meinem zweyten Buche de Oratore in der Person des Antonius gesprochen habe, nicht k u n s t m ä s i g und scharfsinnig sind, so kannst du
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getrost einen körperlichen Eid ablegen, daß sie nicht von mir kommen. Was die Prätendenten an Beredsamkeit betrift, über die du dich beschwehrst, daß sie seit meiner Entfernung vom F o r u m Besiz genommen hätten, d i e fechten mich weit weniger an. Meinetwegen mögen alle Beklagten bey den Füßen geschleift werden, und mag S e l i u s selbst beredt genug seyn, um beweisen zu können daß er kein Schurke sey: Das kümmert mich nichts. Aber im Besiz der U r b a n i t ä t , mein Lieber, müßen wir uns erhalten, es koste was es wolle — wiewohl ich dir gestehen muß, daß ich mir darinn vor keinem andern Mitbewerber fürchte als vor — D i r s e l b s t “ u. s. w. Dieser Brief ist wie ein Spiegel, der uns das Bild dessen zurükwirft an den er geschrieben ist. Wer noch ein
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paar Züge mehr dazu haben will, kann sie im 26sten des IXten Buchs der Briefe Cicero’s finden; wo von einem so eleganten Soupé bey diesem Eutrapelus die Rede ist, daß Cicero für nöthig hält, sich sogar bey einem Manne wie sein Freund P ä t u s zu entschuldigen, dabey gewesen zu seyn. (3) C r u q u i u s meynt, dabat heisse hier soviel als o p t a b a t ; Eutrapelus habe denen, die er gern hätte ruinieren mögen, kostbare Kleider g e -
*)
Der Nachdruck dieses Wortes ist auf keine andre Art übersezlich, und konnte von ihm mit
keinem Lateinischen gegeben werden. In C y t h e r e , dem gewöhnlichen Sitz der Ve n u s , der G r a z i e n und ihres ganzen Gefolges von S c h e r z e n und F r e u d e n , athmet alles Schönheit, Anmuth und Lieblichkeit. Das Widerspiel von diesem allen ist Acytheron, und Cicero sezt es daher dem Venustum entgegen, welches, seiner Abstammung gemäß, alles was eine Ve n u s , d. i. wahre Schönheit und Anmuth in sich hat, bezeichnet. **) ***)
Spiel mit dem Doppelsinn eines Wortes. Eine Art von Wortspiel, wo der Scherz durch Weglassung oder Veränderung des ersten
Buchstabens entsteht.
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w ü n s c h t , nicht geschenkt — oder sonst (sezt er hinzu) müßte Eutrapelus mächtig reich gewesen seyn. — Das war er aber auch, aller Wahrscheinlichkeit nach; Und dann war’s zum Gebrauch unsers Dichters genug, wenn Eutrapelus sich diesen boshaftsinnreichen Spaß nur mit einem oder zween albernen Gesellen gemacht hätte. Übrigens fällt dem besagten Commentator hier eine Stelle aus dem Aristoteles bey, wo die Maliz, deren Horaz den Eutrapelus beschuldigt, den Göttern selbst beygemessen wird. „Vielen, sagt der Fürst der Philosophen *), giebt Gott großes Glück, nicht aus Wohlwollen, sondern damit die Unfälle, die ihnen bevorstehen, desto schrecklicher werden.“ — Ich zweifle 10
sehr daran, ob irgend etwas, das man zu Rechtfertigung dieses Gedankens sagen könnte, hinreichend seyn würde. (4) W i n k e l m a n n führt in seiner Geschichte der Kunst ein altes Denkmal von erhobener Arbeit in der V i l l a B o r g h e s e an, welches dieser Stelle Licht giebt und von ihr wieder empfängt. Sie scheint sich auf eine verlohren gegangne Tragödie des Euripides zu beziehen, wovon A n t i o p e , die Mutter dieser beyden Göttersöhne, die Heldin war. Derjenige den die schöne Antiope als den Vater ihrer beyden Knaben angab, war kein geringerer als Jupiter selbst. Da sie aber, auch in der Heldenzeit, nicht mehr Glauben fand, als ein heutiges Mädchen finden würde, welches in einer Verlegenheit dieser Art einen Heili-
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gen aus dem Calender angeben wollte: so sah sie sich genöthigt, ihre Zwillinge an eine Landstraße auszusetzen, und dem Schicksal zu überlassen. Die Knaben wurden von einem Hirten gefunden und unter Hirten auferzogen: Z e t h u s ergriff die nehmliche Lebensart; aber A m p h i o n legte sich auf die Musik, und erhielt (wie die Fabel sagt) von Apollo eine so wunderthätige Lyra, daß sie sogar die Steine tanzen und sich zusammenfügen machte. Gleichwohl, sagt unser Dichter, sey diese nemliche Lyra eine Quelle von Zwiespalt und Mißverständnis unter den beyden Brüdern geworden. Er scheint damit auf eine Scene in der Antiope anzuspielen, aus welcher ein alter Scholiast des Plato folgenden Vers aufbehalten hat: Wirf die Leyer weg, und widme dich den Waffen! **)
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*) **)
Rhetoric. L. II. W i n k e l m . Gesch. der Kunst, I. Th. S. 597. u. f. (nach der Wiener Ausgabe.)
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Vermuthlich konnte Zethus nicht leiden, daß sein Bruder aus Liebe zur Musik alle andre Beschäftigungen vernachläßigte, und sein einziges Geschäfte aus demjenigen machte, was, nach den Sitten der Heroischen Zeiten, nur ein Zeitvertreib der Krieger war. Das Denkmal, welches Winkelmann in seinen Monumenti Inediti bekannt gemacht, stellt die von Horaz hier angerühmte Nachgiebigkeit des sanften Amphions, auf eine eben so einfache als sinnreiche Weise, dar. Antiope ist darauf zwischen ihren beyden Söhnen abgebildet: Zethus ist durch einen Hut, das Zeichen des Landlebens, kenntlich gemacht: Amphion hat einen Helm auf dem Kopf, und hält die dem Bruder verhaßte Lyra halbverdekt unter seinem Kriegskleide.
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(5) Diese Stelle entdekt uns das Alter worinn Lollius damals war, als Horaz diesen Brief an ihn geschrieben, so deutlich, daß man nicht begreift wie gelehrte Ausleger sich darinn haben irren können. Der Feldzug, welchen August in eigner Person gegen die Cantabrer unternahm, fällt in das Jahr der Stadt Rom 729. Lollius machte solchen in seiner ersten Jugend mit, noch ein K n a b e , wie Horaz sich ausdrükt, d. i. da er kaum die P r ä t e x t a abgelegt hatte. Da dies nicht leicht vor dem achtzehnten Jahre geschah, (wiewohl man unter August, auch in diesem Stücke, immer mehr von den alten Sitten nachließ) so kann man füglich annehmen, daß Lollius, als er, um dem Augustus die Cour zu machen, seinen ersten Feldzug unter Ihm selbst thun wollte, nicht über
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achtzehn Jahre alt gewesen. Da nun dieser Brief (wie Horaz andeutet) bald n a c h d e r Z u r ü k g a b e d e r C r a s s i s c h e n A d l e r , d. i. im Jahr 734 oder 735 geschrieben worden, so konnte Lollius, als er ihn empfieng, nicht über vier bis fünf und zwanzig Jahre haben; und dies stimmt auch zu dem Inhalt des ganzen Briefes, und besonders zu dem Umstand — wem wird in den Kriegesspielen des Campus Martius lauter zugeklatscht?
Denn, wiewohl auch M ä n n e r , sogar alte Consularen und Feldherren, zuweilen noch an diesen Militarischen Ritter-Spielen, die ein uraltes und den Römern eignes Institut waren, Antheil nahmen: so waren sie doch eigentlich für die Jugend bestimmt, und wurden als kriegerische Vo r ü b u n g e n betrachtet, wodurch sie theils die nöthigen Fertigkeiten erwerben, theils öffentlich zeigen konnten, was man sich von ihrer Fähigkeit und ihrem Muth zu versprechen habe.
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(6) Die Schlacht bey Actium entschied das Schiksal der damaligen Welt, indem Sie den Cäsar Octavianus zum einzigen Beherrscher des Römischen Reichs machte. Sie wurde die Epoke einer besondern Zeitrechnung die unter dem Namen Aera Actiaca bekannt ist; und die zu ihrem Andenken erneuerten öffentlichen Spiele des A p o l l o v o n A c t i u m wurden, nach den C a p i t o l i n i s c h e n , die berühmtesten und herrlichsten in der Römischen Welt. Man kann sich also leicht vorstellen, wie lebhaft der Eindruck, den der entscheidende Augenblick einer so großen Revolution auf die Gemüther der Römer gemacht hatte, in den Zeiten worinn Horaz diesen Brief schrieb noch seyn 10
mußte: und aus dieser Betrachtung wird es sehr begreiflich, wie der junge Lollius auf den Einfall kommen konnte, sich mit seinem Bruder auf dem Gute ihres Vaters eine Art von kriegerischer Kurzweil aus einer gleichsam dramatischen Nachahmung dieses berühmten Seetreffens zu machen. Aber Horaz scheint, nebenher, noch eine verdektere, wiewohl seinem jungen Freunde nicht unmerkliche, Absicht gehabt zu haben, warum er ihn, gerade bey d i e s e r Gelegenheit, an diese P o s s e n (nugas) wie er sie nennt, erinnerte. Der junge Lollius war aus einem dem Cäsar Augustus besonders ergebenen Hause entsprungen; und die Vermuthung, daß er demselben durch dieses Spiel auf eine feine Art die Cour habe machen wollen, ist so natürlich, daß man glauben
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kann, sie werde damals einem Jeden in den Sinn gekommen seyn. Indessen hätte der junge Lollius, wenn es ihm so Ernst war nichts Unschikliches zu beginnen, gar wohl merken können, daß die Wohlgesinnten in Rom, und Augustus selbst, lieber alles was eine Erinnerung an die unseligen Zeiten des Triumvirats mit sich führte, aus dem öffentlichen Andenken hätten verbannt wissen mögen. Da er nun demungeachtet soviel vom Hofmann in sich hatte, um, in der Meynung sich dem August gefällig zu machen, über die Besorgnis ungleicher Beurtheilungen hinaus zu gehen: was konnte er, um sich selbst gleich zu bleiben, wider die unschuldigen Attentionen und Gefälligkeiten gegen seinen mächtigen Freund, die ihm Horaz zumuthete, noch einzuwenden
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haben? Daher sagt er ihm, er erinnere ihn an diese seine H o f m ä n n i s c h e Kurzweil, u m i h m a l l e A u s r e d e u n d A u s f l u c h t a b z u s c h n e i d e n — und beschließt damit, es werde niemand, für dessen Steckenpferd E r die gehörige Nachsicht trage, sich weigern dem s e i n i g e n allen Beyfall zu geben; eine Wendung, womit er ihm deutlich genug sagt: er könne eine solche Gefälligkeit nicht wohl anders als erga Reciprocum erwarten.
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(7) Nichts beweiset stärker, wieviel würklichen Antheil unser Dichter an dem jungen Lollius genommen und wie gut er von ihm gedacht, als diese Stelle. Ein Mann von seiner feinen Lebensart ist unfähig solche Gesinnungen — die den meisten Weltleuten entweder ganz unverständlich, oder, halb- und schiefverstanden, lächerlich sind — irgend Jemanden sehen zu lassen bey dem sie übel angebracht wären; und nur eine sehr warme Freundschaft kann ihn bewegen, seine Fürsorge bis auf das i n n e r e als das einzige wahre Wohl eines Andern zu erstrecken. Horaz, der für sich selbst ausser dem traducere leniter aevum ( d e n B a c h d e s L e b e n s s a n f t h i n a b z u g l e i t e n ) und dem u n b e m e r k t e n P f a d d u r c h s L e b e n (fallentis semita vitae) keine Glükselig-
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keit kannte, kommt, sobald er mit einem vertrautern und edlern Freunde spricht, immer auf diesen Punct zurük. Er hätte geglaubt, mit allen den Klugheitsregeln, die er dem edeln jungen Römer giebt, die Pflicht der Freundschaft nur halb erfüllt zu haben, wenn er ihn nicht an das E i n z i g e N o t h w e n d i g e d e r We i s e n , an die Sorge für die i n n e r l i c h e F r e y h e i t , R u h e und Z u f r i e d e n h e i t d e s H e r z e n s , erinnert hätte — Das einzige was den Menschen u n a b h ä n g i g von dem was ausser ihm ist, was ihn s i c h s e l b s t z u m F r e u n d e — was ihm, außer der Nothdurft des Lebens, alles übrige e n t b e h r l i c h macht. Horaz fand ohnezweifel seinem jungen Freund um so nöthiger, eine gute Provision von dieser Philosophie des Lebens auf die Zu-
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kunft zu machen: weil seine rasche, Freyheitliebende, und wenig geschmeidige Sinnesart ihn, mehr als Hundert andre seines gleichen, in Gefahr sezte, entweder das, was man in der Welt Glück nennt, auf halbem Wege zu verfehlen, oder sich wenigstens nicht lange darinn zu erhalten. — Unsre Leser wünschen vielleicht zu wissen, wie der junge Lollius sich alle diese Lehren seines freundschaftlichen Mentors zu Nutze gemacht habe. Aber wir befinden uns hierüber ohne alle historische Nachrichten; und eben dieses gänzliche Stillschweigen der Geschichte von ihm, bringt uns auf die Vermuthung, entweder, daß er nicht lange genug gelebt habe, um sich auf dem Schauplaz der Geschäfte hervorzuthun; oder daß er, nach der von Horaz ihm angerathnen scharfen Prüfung, was wahre Ruhe schaff’, ob Ehre, Reichthum, oder ein unbemerkter schmaler Pfad durchs Leben?
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das Leztere für sich am zuträglichsten befunden, und also in dem Stillschweigen der Geschichte von ihm — gerade seinen Endzweck erreicht habe. (8) Das Herz unsers liebenswürdigen Dichters spricht in dieser Rükkehr auf sich selbst so schön, daß wir hier nichts zu thun haben, als die Leser ihrer eignen Empfindung zu überlassen.
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Neunzehnter Brief. An Mäcenas. Einleitung. Das achte Jahrhundert der Römischen Republik, — dessen erstes Viertel durch die schrecklichsten Revolutionen in ihrer innern Verfassung so merkwürdig geworden, daß die Geschichte keinen andern Zeitraum von gleicher Dauer kennt, der mit diesem zu vergleichen wäre, — war es nicht weniger durch ein wunderbares Zusammentreffen der größten und vorzüglichsten Geister, welche die Grenzen der römischen Sprache und den Ruhm ihrer Litteratur eben so schnell ausdehnten, als die Scipionen und Emile die Macht der Republik ausgedehnt hatten; Männer, die, von einem edlen Wetteifer mit den
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G r i e c h e n , ihren Meistern in den Musenkünsten, angefeuert, durch eine Menge vortreflicher Werke zeigten, was für eine Höhe die Römischen Musen hätten ersteigen können, und wie weit sie vermuthlich ihre Meister selbst hinter sich gelassen hätten, wenn nicht, unglüklicherweise, diese Morgenröthe ihres goldnen Alters in die nämliche Zeit gefallen wäre, wo die Republik unter dem heftigsten Zweykampf zwischen Tyranney und Freyheit, den die Welt jemals gesehen hat, zu Trümmern gieng, und d i e g r ö ß t e n M ä n n e r der Zeit, beynahe mit der ganzen Blüthe und Hofnung der künft i g e n , in ihren Untergang hineinzog. Denn die edlen und schönen Geister, welche dem eigentlichen Jahrhundert Augusts so viel Glanz geliehen haben,
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sind nur als d i e Ü b e r b l e i b s e l e i n e r b e s s e r n Z e i t , als die wenigen, die aus einem schrecklichen Sturm und Schifbruch ihr Leben noch davon gebracht, anzusehen: und selbst die besten unter ihnen, ein Va r i u s , ein H o r a z , ein V i r g i l , ein P o l l i o , ein L i v i u s , waren das n i c h t , k o n n t e n , d u r f t e n das nicht seyn, was sie gewesen wären, wenn es den Verfechtern der Freyheit gelungen wäre, die Republik wieder herzustellen, oder, da das alte Fundament unter der ungeheuren Last ihrer Größe eingesunken war — einen n e u e n Te m p e l d e r F r e y h e i t auf n e u e G r u n d p f e i l e r zu legen, stark genug, ihn vielleicht noch eben soviele Jahrhunderte zu tragen, als der Alte gestanden hatte.
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Indessen machten die wenigen vortreflichen Köpfe, welche die Republik gesehen und überlebt hatten, und die dem nachmaligen Augustus als das Kostbarste von der Beute der überwältigten Freyheit seines Vaterlandes, gleichsam zugefallen waren, — die vornehmsten Zierden seiner Regierungszeit aus. Sie wurden durch Das, was sie zu der glücklichen Veränderung seiner Denkart und Sitten beytrugen, für ihre Zeitgenossen wohlthätig; und sind vielleicht die wahre Ursache, daß die Welt, durch eine Art von Bezauberung immer wieder von neuem vergißt, daß der Tr i u m v i r O c t a v i u s C ä s a r und A u g u s t d e r Va t e r d e s Va t e r l a n d e s — eine und eben dieselbe Person sind. 10
Das Vergnügen, das alle Leute von Geschmack an den Werken dieser Dichter fanden, der Ruhm ihres Namens, der — wiewohl ein bloßes Eccho des Beyfalls der kleinern Anzahl aus dem Munde der nachhallenden Menge — doch immer ein beneidenswerther Vortheil scheint; und vornehmlich die Gunst und Achtung, worinn man sie bey den Großen und bey August selbst stehen sah — Alles dies erwekte ihnen in kurzer Zeit eine unendliche Menge Nachahmer und Nebenbuhler, von allerley Graden der Mittelmäßigkeit oder Schlechtigkeit. Mit der Menge der D i c h t e r nahm auch die Menge der L e s e r , und mit beyden die Menge der K u n s t r i c h t e r und K e n n e r zu. Jedermann machte entweder selbst Verse, oder traute sich doch zu, über die
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Dichter und ihre Werke richterlich abzusprechen. Das neuauflebende C ä s a r i s c h e R o m wimmelte von müßigen Leuten, denen jede Art die Zeit zu tödten willkommen war; der Luxus der Reichen und die Dürftigkeit der Armen setzte alle Talente in Bewegung; und, weil Reichthum und Geschmack selten beysammen sind, so fehlte es auch den unbefugtesten Prätendenten an Genie und Wiz nicht leicht an Beschützern und Lobpreisern. Wizling und Kennerling, Dichterling und Leserling, sind von jeher C o r r e l a t a gewesen, deren eines sich in dem andern spiegelt, und eines des andern werth ist; und so groß auch, aus mancherley Ursachen, die innerliche Zwietracht des Reichs der Dummheit ist: so ist doch immer etwas, das sie, bey
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jeder Gelegenheit, gegen den gemeinschaftlichen Feind unter Eine Fahne vereinigt. Daher die mancherley Cotterien und Bureaux d’Esprit, worinn man für oder wider einen berühmten Mann Partey machte; und wo man Abrede nahm, wieviel oder wenig Werth man auf ein neuerschienenes Werk legen wollte; wo es schlechten Schriftstellern nie an Mitteln fehlen konnte sich Bewundrer und Beschützer zu erwerben, und nur die guten, die solcher Unter-
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stützungen nicht nöthig zu haben dachten, sich unvermerkt ohne Freunde und dem unverständigen oder hämischen Tadel eingebildeter Kenner, die sich verachtet, oder kleiner Nebenbuhler, die sich verdunkelt glaubten, preisgegeben sahen. Man bildet sich gewöhnlich ein, die Zeitgenossen eines Schriftstellers, dessen Werth und Ruhm eine lange Reihe von Jahrhunderten entschieden haben, hätten eben so von ihm geurtheilt wie wir. Diese gegenwärtige Epistel kann uns, wenigstens was unsern Dichter betrift, eines andern überzeugen. Es war auch in diesem Stücke vor 1800 Jahren zu Rom gerade wie bey uns und — allenthalben. Horaz hatte einen großen Ruf, aber wenig litterarische Freunde.
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Seinen Namen kannte jedermann, seinen Werth nur die Wenigen, die selbst einen Werth in seinen Augen hatten. Diejenigen, die ihn vielleicht am fleißigsten lasen, d. i. die nehmlichen, die ihn am unverschämtesten bestahlen, thaten öffentlich als ob gar kein solcher Mann wie Horaz in der Welt wäre. Die Kunstrichter vom Handwerk rächeten sich dafür, daß er keine Notiz von ihnen nahm, durch schiefe Urtheile. Die Kennerlinge behaupteten ihr Ansehen, indem sie zu dem gefühlten Beyfall, der ihm da oder dort in ihrer Gegenwart gegeben wurde, die Achseln zukten, und zu verstehen gaben, daß sehr viel darüber zu sagen wäre. Die Nachäffer hätten ihn gerne zu ihresgleichen gemacht: es wäre eben keine so große Kunst, sagten sie, solche Oden zu machen
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wie Horaz; und er hätte doch das beste darinn von den Griechen die er nachahmte. Die D i l e t t a n t i vermißten in seinen Trinkliedern — die Hoheit des Pindar, an seinen moralischen Empfindungen — das Feuer der Sappho, an seinen heroischen Oden — die Anmuth des Anakreon; und sie schämten sich nicht, den holprichten und schwazhaften Satyren des Lucilius vor seinen Sermonen den Vorzug zu geben. Überhaupt, scheint es, prävalierten sie sich gegen ihn des Umstands, daß die Schönheiten seiner Werke größtentheils zu fein waren, um auf den großen Haufen Eindruk zu machen, oder von ihm recht verstanden zu werden. Der Unverstand der Leser ist immer die Sicherheit unverständiger oder übelwollender Tadler; und es ist nichts leichters, als das schiefste Urtheil einer Menge von Leuten einleuchtend zu machen. Einigen war er zu scharf in seinen Satyren, andern hatte er nicht Nerven genug; solcher Verse, sagten sie, könne man tausend in einem Tage machen *). Andre *)
Satyr. II. 1.
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konnten sich nicht in den leichten, launevollen und ironischen Ton seiner Schriften finden; sie wußten immer nicht recht was er eigentlich sagen wolle; sein Salz war zu fein für ihren Gaumen. Kurz Horaz, mit allen seinem Geist, Wiz und Geschmack, war kein Mann für das römische Volk, und, wiewohl es Mode seyn mochte ihn gelesen zu haben, so wurde doch unter allen Dichtern seiner Zeit schwerlich einer — weniger verstanden. Spuren von allen diesem finden sich an vielen Orten seiner Sermonen und Episteln; und er selbst war so überzeugt davon, daß er gar keinen Anspruch auf den Beyfall der Menge machte, und sich, scherzweise, mit der Tänzerin 10
A r b u s c u l a verglich welche, da sie von dem Volke ausgezischt wurde, sich damit tröstete, daß ihr doch d i e R i t t e r geklatscht hätten *). Aber eben dieser humoristische Ton, womit er von seiner eignen Poeterey sprach, und der geringe Werth den er darauf legte, war vielen Leuten anstößig. Bald konnten sie nicht glauben daß es ihm Ernst sey, und gaben ihm zu verstehen, er spräche nur so, um desto weidlicher gelobt zu werden; bald hielten sie es für ein Bekenntniß, das ihm von seinem Gewissen wider Willen ausgepreßt würde, nahmens utiliter an daß nicht viel hinter ihm seyn müsse weil er selbst so wenig von sich halte, und stellten sich, als ob sie weder den Genie noch die Feile an seinen Werken merkten. Sagte er, um ihrer loß zu werden, er gebe sich gar für
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keinen Meister vom Handwerk, er habe seine ersten Verse aus Desperation **), und die übrigen ohne alle Prätension, aus bloßer Liebhaberey ***) oder weil er nicht schlafen könne ****) gemacht: so antworteten sie, er spotte, und spreche nur so, weil er andere Leute verachte, und sich einbilde es könne niemand etwas Gutes machen als er — und was dergleichen mehr war. Horaz liebte seine Ruhe zu sehr, und kannte das Wespenartige Geschlecht der Wizlinge und Poetaster zu gut, um sich mit ihnen in einen Streit einzulassen, wobey man immer besudelt wird, man verliere oder gewinne. Aber, da er izt im Begriff war ein Buch Episteln herauszugeben, wollte er doch diese Ge*)
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Satyr. I. 10. A r b u s c u l a konnte sich nicht nur auf den Beyfall des R i t t e r s t a n d e s was zu
gute thun: sie gefiel sogar dem großen Cicero. Quaeris de A r b u s c u l a ? (schreibt er seinem A t t i c u s ) v a l d e p l a c u i t . IV. 15. wiewohl dies vielleicht auch nur soviel sagen soll: s i e h a t grossen Beyfall erhalten. **)
Paupertas impulit audax ut versus facerem. E p i s t . II. 2. v. 51.
***) **** )
Me pedibus delectat claudere verba. S a t . II. 1. v. 28. Ne faciam, inquis, omnino versus − Peream male, si non optimum erat. ibid. v. 5.
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legenheit nicht vorbeylassen, der Welt ein paar Worte von sich selbst, von seinen Nachahmern, von seinen Tadlern und Neidern, und von der Ursache zu sagen, warum das Publikum — ungeachtet der Begierde womit seine Werke gesucht und gelesen würden — gleichwohl so kaltsinnig davon spreche, und so wenig guten Willen gegen den Verfasser spüren lasse. Und an wen konnte er eine Entladung dessen, was er über diesen Punkt auf dem Herzen hatte, schiklicher addressiren, als an den ersten Freund seiner Muse, an den Mann, dem er das stille Glück seines Lebens schuldig war, der ihn besser als irgend ein andrer kannte, und dessen e i g n e n D i c h t e r er sich im siebenten Briefe zu nennen liebt?
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So entstand diese dritte Epistel an Mäcenas, worinn er, unter dem Schein eines kaltblütigen vertraulichen Gesprächs mit seinem großen Freunde, das besagte Problem auf eine Art auflößt, die zwar nicht sehr schmeichelhaft für die Herren ist, d e r e n G u n s t e r s i c h m i t e i n e r M a h l z e i t o d e r e i n e m a b g e t r a g n e n R o c k z u e r k a u f e n g e t r a u t e , aber sonst jeden Vernünftigen befriedigen muß. Die Laune, womit er es thut, besonders die Wendung die er nimmt, um den Mäcen unvermerkt auf das was er eigentlich sagen wollte zu bringen, und der gute Ton, auf den der ganze Brief gestimmt ist, werden sich dem Leser von Geschmack von selbst empfehlen. Nur Schade, daß die körnichte K ü r z e , die eine Hauptschönheit des Originals ist, in der Über-
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setzung der Deutlichkeit aufgeopfert werden mußte. * * * Wenn du, gelehrter Freund, dem alten Komiker Kratinus (1) glaubst, so können keine Verse lange gefallen oder leben, die von Wassertrinkern geschrieben worden. In der That ist nicht zu läugnen, daß, seitdem der Gott der Reben das schwärmerische Dichtervolk den Satyrn Prisco si credis, Maecenas docte, Cratino, nulla placere diu nec vivere carmina possunt quae scribuntur aquae potoribus. Ut male sanos adscripsit L i b e r Satyris Faunisque poe¨tas,
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und Faunen zugesellt (2), der Musen süsser Athem wohl gar Frühmorgens schon nach Weine riecht. Homerus pries den Rebensaft zu gerna) um nicht der Weinsucht sehr verdächtig sich gemacht zu haben. Selbst der Vater Ennius sprang nie als wohlbezecht hervor, die Thaten der Helden Roms zu singen. — „Allen Nüchternen weis’ ich den Marktplatz und das Puteal des Libons (3) an, und allen Finsterlingen soll, 10
Kraft dieß, die Dichterey zu Rechten niedergelegt seyn!“ — Seit der Alteb) dies Edict ergehen ließ (4), ermangelten die Herr’n vom Handwerk nicht, von früh bis in die Nacht und wieder an den Morgen, in die Wette zu trinken und nach schlechten Wein zu duften. Gerad als wenn sich einer dünken ließe es brauche nur ein trutziges Gesicht, und ungekämmt, in einem kurzen Rocke von grobem Tuche, baarfuß übern Markt
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einherzusteigen, um die hohe Tugend vina fere dulces oluerunt mane Camœnae. Laudibus arguitur vini vinosus Homerus; Ennius ipse pater nunquam nisi potus ad arma prosiluit dicenda. — „Forum, putealque Libonis mandabo siccis, adimam cantare severis“ hoc simul edixi, non cessavere poe¨tae nocturno certare mero, putere diurno. Quid, si quis vultu torvo ferus et pede nudo exiguaeque togae simulet textore Catonem,
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virtutemne repraesentet moresque Catonis? a) Durch die Beywörter die er immer dem Wein giebt, so oft er dessen erwähnt, und die immer von seiner s t ä r k e n d e n , b e g e i s t e r n d e n , h e r z e r f r e u e n d e n Tugend, oder von seiner schönen Farbe, hergenommen sind. b) Nämlich, E n n i u s , der Homer der Römer.
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des C a t o darzustellen. Aber was gewann der Maure C o r d u s , da er, seine große Urbanität zu zeigen, über Kraft Gewalt sich anthat, dem bewunderten Timagenes im declamieren nachzueifern? — Nichts als — einen Bruch. (5) Ein Muster wird auf seiner schwachen Seite am leichtsten nachgeahmt, und steckt gewöhnlich durch seine Fehler an. Verlöhr ich ungefehr die Farb’, ich wette gleich sie tränken Kümmelwasser
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um blaß zu werden. O du leidige Nachahmer-Schaar, zum Tragen und zum Folgen gebohrnes Vieh! Wie oft hat euer Lermen und Jahnen bald zum Lachen mich und bald zur Ungeduld gereizt! — I c h habe meinen Weg durch einen Strich des Helikons, wo kein Lateiner mir vorangieng, selbst gebahnt, nicht meinen Fuß in andrer Tritt gesezt. Wer sichs nur zutraut, führt den ganzen Schwarm. Ich bin der erste, der die Jamben des
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Archilochus nach Latium gebracht; ich habe seine Versart, seinen Geist, nicht Wort’ und Sachen, eigen mir gemacht. (6) Rupit Iarbitam Timagenis aemula lingua dum studet urbanus tenditque disertus haberi. Decipit exemplar vitiis imitabile; quod si pallerem casu, biberent exangue cuminum. O Imitatores, servum pecus, ut mihi saepe bilem, saepe iocum vestri movere tumultus! Libera per vacuum posui vestigia princeps, non aliena meo pressi pede; qui sibi fidit Dux regit examen. Parios ego primus Iambos ostendi Latio, numeros animosque secutus Archilochi, non res et agentia verba Lycamben.
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Noch wirst du meines Epheukranzes mich drum minder würdig halten, weil ich mich gescheut auch seine Versart abzuändern: Denn auch die feuervolle S a p p h o , auch A l c ä u s borgt ihm seinen Rhythmus ab, wiewohl vermischt mit andern, und an Inhalt verschieden; denn erc) sucht sich keinen Schwiegervater um ihn mit schwarzen Versen anzuschmitzen, noch knüpft er durch ein schmacherfülltes Lied 10
den Strik womit sich seine Braut erdroßle. D e r ist es,d) den ich (was in unsrer Sprache von keinem noch versucht war) als der erste Lateinische Liederdichter, unserm Volke bekannt gemacht; und — warum sollt ichs nicht gestehn? Mir schmeichelts, wenn ich meine Lieder, durch den Reiz der Neuheit wenigstens, zu Rom empfohlen, mit Lust gelesen seh’, und in den Händen von Allen finde — deren Beyfall ehrt. Frägst du mich aber, wie es komme, daß
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der undankbare Leser meine Kleinigkeiten Ac ne me foliis ideo brevioribus ornes quod timui mutare modos et carminis artem: temperat Archilochi musam pede mascula Sappho, temperat Alcaeus, sed rebus et ordine dispar, nec socerum quaerit quem versibus oblinat atris nec sponsae laqueum famoso carmine nectit. Hunc ego, non alio dictum prius ore, Latinus vulgavi fidicen; iuvat immemorata ferentem ingenuis oculisque legi manibusque teneri.
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Scire velis mea cur ingratus opuscula lector c) A l c ä u s . d) Nämlich, A r c h i l o c h u s .
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zu Hause ließt und liebt, hingegen auswärts die Achseln kritisch zükt, und höchstens — schweigt? Nichts ist begreiflicher. Ich gebe mir nicht die geringste Müh die holen Stimmen des Pöbels unsrer leichten Dichterlinge und windichten Entscheider zu erjagen; wiewohl sie mir ein Abendessen, oder ein abgetragner Rock erkauffen könnte.e) Ließt einer unsrer angesehenen Schriftsteller irgendwo mit großem Pomp sein neues Werk, (7) so — weiß ich nichts davon, und bin nicht da, um mitzuklatschen, oder mich zu seinem Herold und Verfechter gegen den Zoilus dienstfreundlich aufzuwerfen; bin weder Haupt noch Glied von keinem C l u b , und würdige unsrer hochgelahrten Meister der freyen Künste keinen, mich zu seinem Stuhl zu drängen, oder seinen Beyfall zu briguiren. (8) D a l i e g t d e r H u n d b e g r a b e n ! f ) — Sag ich dann zu einem dieses Schlags: ich schäme mich vor einem großen Auditorium mit meinen Kleinigkeiten zu erscheinen, als dächt ich mehr Gewicht, als solche Dinge in meinen Augen haben, drauf zu legen: laudet ametque domi, premat extra limen iniquus? Non ego ventosae plebis suffragia venor impensis coenarum et tritae munere vestis; non ego nobilium scriptorum auditor et ultor Grammaticas ambire tribus et pulpita dignor; hinc illae lacrymae! Spissis indigna theatris scripta pudet recitare et nugis addere pondus, e) Ein unbarmherziger Hieb auf die armen Schelme, die das doppelte Unglück hatten, schlechte Verse zu machen und zu hungern. f) Hinc illae lacrymae! Eine Anspielung auf eine bekannte Stelle in der A n d r i a des Terenz, die, wie es scheint, zum Sprüchwort geworden war.
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so zieht der Mann das Maul und spricht: „Der Herr beliebt zu scherzen, wie ich merk’, und spart für Jovisg) Ohren seine Sachen auf; er denkt der Musen Honig fließe keinem sonst als ihm, und ist sich selber schön genug um unsers schlechten Beyfalls zu entbehren.“ Was ist zu thun? Ihm eine spitzige Antwort zu geben scheu ich mich; denn diese Wespen sind furchtbar — kurz, um seinen Stachel nicht 10
noch mehr zu fühlen, wind’ ich mich von ihm mit der Entschuldigung los, der vorgeschlagne Ort mißfalle mir — und bitt’ um Galgenfrist.h) In einen Kampf auf Wiz mit diesen Leuten sich einzulassen, ist nicht rathsam. Erst ists bloßes Spiel; allmählich wird man warm, die Galle steigt, der Scherz wird immer bittrer, zulezt erboßt man sich und hört mit Schlachten auf. si dixi: rides, ait, et Iovis auribus ista servas; fidis enim manare poetica mella
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te solum, tibi pulcher. Ad haec ego naribus uti formido, et luctantis acuto ne secer ungui displicet iste locus, clamo, et diludia posco. Ludus enim genuit trepidum certamen et iram, ira truces inimicitias et funebre bellum. * * *
g) Eine von den Griechen entlehnte Sprüchwörtliche Redensart, welche von Leuten gebraucht wurde, die aus ihren Sachen ein Geheimnis zu machen affectierten. Hier kann sie füglich auf August gezogen werden, der damals, wenigstens in den Provinzen (denen die Römer schon einen Grad von Niederträchtigkeit mehr erlaubten als sich selbst) bereits Altäre hatte, und öffentlich auf Münzen und Denkmälern unser H e r r G o t t A u g u s t gescholten wurde. 30
h) D i l u d i a p o s c o . Diludia hießen bey den Römern die Rasttage die man den Gladiatoren, zwischen den Tagen wo sie fechten mußten, bewilligte. Weil diese Unglücklichen auf Leben und Tod fechten mußten, so ist Galgenfrist ein ziemlich gleichbedeutender Ausdruk.
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Erläuterungen. (1) K r a t i n u s — einer der ersten, welche dem rohen Possenspiel des Thespis eine bessere Gestalt gaben, und dasjenige daraus machten was man zu Athen die a l t e K o m ö d i e hieß, hatte zu seiner Behauptung, daß kein Wassertrinker ein guter Dichter seyn könne, einen sehr persönlichen Grund; denn er war ein so eifriger Client des Weingotts, daß er’s mit dem alten Silenus selbst hätte aufnehmen können; und trieb die Völlerey soweit, daß seine Matrazen, *) auf eine Art die seiner Urbanität wenig Ehre macht, zum Sprüchwort wurden. A r i s t o p h a n e s bedient sich dessen in seinen R i t t e r n zu einem Bon-Mot, das eine starke Lungen-Erschütterung in dem Atheniensischen Par-
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terre erregen mußte, weil die meisten Zuhörer den Kratinus persönlich gekannt hatten — Ei se mh misv, sagt der erzürnte K l e o n zum A g o r a k r i t u s ,
genoimhn en Kratinoy kvdivn ! (Sc. III. Act. I.) We n n i c h d i c h n i c h t h a s s e , s o — (anstatt zu sagen, so will ich gehangen seyn, oder so was,) s o w i l l i c h i n K r a t i n u s F e l l e n l i e g e n ! — Ein eben so komischer aber feinerer Zug über die Weinsucht dieses Dichters findet sich im F r i e d e n s s c h l u ß des G r i e chischen Moliere : Me r k u r. Und Kratinus, der Weise, was macht den der? Tr y g ä u s . Der ist beym Einfall der
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Lakonen **)
gar gestorben.
Me r k u r. Woran denn? Tr y g . An Kummer; das Herz brach ihm, Da er einen Krug voll Weins zerschlagen sah. *)
Kvdiai, eigentlich, Schaffelle, auf welchen zu Athen Leute von diesem Schlage, statt der
Polster, zu liegen pflegten. **)
Lacedämonier.
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Übrigens ist mit den sämtlichen Werken dieses alten komischen Dichters (wovon nur unbedeutende Fragmente übrig sind) auch die Stelle, auf welche Horaz hier anspielt, verlohren gegangen: doch hat sie sich in einem artigen Epigramm eines Unbekannten erhalten, welches ich in der B r u n k i s c h e n S a m m l u n g vergebens gesucht habe, und also um so lieber aus dem B e n t l e y abschreiben will: Oinow toi xarienti pelei taxyw iëppow aoidvì, yëdvr de pinvn xrhston oyden an tekoiw. Tayt’ elegen, Dionyse, kai epneen oyx’ eënow askoy K r a t i n o w , alla pantow vdodvw piuoy.
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Toigarti stefanvn domow ebryen, eixe de kittvì metvpon, oiëa kai sy, kekrokvmenon.
Wein ist dem fröhlichen Sänger das wahre Flügelpferd, Wer Wasser trinkt wird nie was Gutes machen! So rief K r a t i n , o Bacchus, nicht duftend etwa nur von einem Schlauch, er roch ein ganzes Faß: Drum wimmelt von Kränzen sein Haus, und seine Stirn ist, deiner gleich, von Epheu gelbgefärbt.
(2) Ut male sanos adscripsit L i b e r Satyris Faunisque poe¨tas — Alle 20
Schwärmerey, also auch die Dichtrische, stund bey den Griechen unter dem Einfluß des Weingotts. Dichter, welche sich nicht gerne in so guter Gesellschaft als Satyrn und Faunen sind, befinden, haben also alle Ursache, auf dem Unterschied zwischen S c h w ä r m e r e y und E n t h u s i a s m u s zu bestehen, was auch die D e m o k r i t e dagegen einwenden mögen. (3) Wer über dieses P u t e a l d e s L i b o irgend einen Philologen oder Antiquarier v o r d e m S a l m a s i u s zu Rathe ziehen wollte, dem können wir, aus Erfahrung, melden, daß er ihn verwirren und irre führen wird. S a l m a s i u s ist der erste, der die Sache auseinander gesezt *), und gezeigt hat: daß das P u t e a l i m Comitio (nahe bey der Curia, dem heiligen Feigenbaum, und der
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Bildsäule des A t t i u s N a v i u s ) unter welchem das berühmte Scheermesser, *)
Exercitat. in Solin. p. 801. seq.
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womit dieser Augur zu Beschämung des unglaubigen Königs Tarquinius Priscus einen Schleifstein entzweygeschnitten, nebst besagtem Schleifstein vergraben lag, *) und das Puteal Libonis, wovon bey Horaz die Rede ist, zwey ganz verschiedene Dinge sind. Denn, nach der Anzeige des Grammatikers F e s t u s * * ) stund L i b o n s P u t e a l , zwar auch auf dem Foro Romano, wie jenes, aber weit davon entfernt, ohnweit der Vorhalle des Minerven Tempels. Soviel man aus dem kurzen ziemlich undeutlichen Bericht des Festus abnehmen kan, war die Stelle, wo dieses Puteal stand, schon vor Alters ein Sacellum, d. i. ein eingemaurter heiliger Plaz gewesen, aber, wie es scheint, durch den Bliz getroffen und beschädigt worden, und mit der Zeit ganz zusammengefallen.
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Die Römer hatten eine besondre Religion für die vom Bliz getrofne Örter; es war ein Sacrilegium, einen solchen Ort zu betreten, zu überbauen, oder irgend etwas Menschliches darauf zu verrichten. Da nun einst (Festus sagt nicht, wann solches geschehen) der Senat dem S c r i b o n i u s L i b o aufgetragen, alle vom Bliz getrofnen Örter zu untersuchen und das nöthige dabey vorzukehren, so kam er auch an dieses; und, weil der Ort ehmals schon heilig gewesen und es durch den Wetterstral zwiefach worden war, so errichtete er ein P u t e a l , d. i. eine Art von Brunnenähnlichem Gemäuer ohne Dach, in Form eines Altars, darauf. Dieß hieß nun von dieser Zeit an das P u t e a l d e s L i b o , und in Form eines Altars erscheint es auch auf einigen Münzen, die den Namen L i b o füh-
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ren, und in allen bekannten Numismatischen Sammlungen, wie auch in N a r d i n i s Roma Antiqua, und im Tom. III. der Memoir. de Litterat. abgebildet zu sehen sind. Da es aber der Scribonius Libo, welche öffentliche Würden zu Rom verwaltet haben, vom L. Scribonius Libo an, der im Jahr 560. Aedilis Curulis, und 562. Prätor war, bis zu dem Libo gleiches Namens, der im Jahr 720. zum Consulat gelangte, mehrere gehabt: so fragt sich, welcher von ihnen derjenige gewesen, nach welchem das besagte Puteal benennt wurde? Hierüber aber lassen uns die Gelehrten, die davon geschrieben haben, im Dunkeln. Übrigens ist noch zu bemerken, daß (wie S a u m a i s e l. c. bewiesen hat) die Foeneratores, d. i. die Herren die auf Procente liehen, in der Gegend dieses Puteals zusammen kamen: und der Sinn des Verses, der diese Erläuterung veranlaßt hat, ist also dieser: die Wassertrinker mögen sich mit den troknen, ernsthaften *) **)
C i c . de Divinat. L. I. c. 17. D i o n y s . H a l i c . Antiqu. Rom. L. IV. p. 204. edit. Sylb. de Verbor. Signif. L. XVII. p. 487. edit. Dacier.
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und nüchternen Geschäften, die man auf dem F o r u m und bey Libons Puteal treibt, abgeben! Das ist ihr Fach: aber die Poeterey, wozu ein ganz andrer Fluß von Lebensgeistern gehört, sollen sie müßig gehen. (4) Die gelehrtesten Ausleger unsers Dichters haben sich in einer wunderbaren Verlegenheit befunden, da sie sich die Frage beantworten wollten: wer denn der P o e t i s c h e P r ä t o r sey, der dies Edict habe ergehen lassen? Man findet eine lange Recension aller ihrer, zum Theil (quod pace tantorum Virorum dixerim!) erbärmlichen Hypothesen in B e n t l e y s Ausgabe, der ihnen aber auch dafür harte Nüsse aufzuknacken giebt. Er selbst ist, mit To r r e n 10
t i u s , der Meynung, daß man edixi lesen müsse, und beruft sich auf vier bis fünf Handschriften, wo — die Abschreiber das t vergessen haben. C r u q u i u s hingegen läßt es bey dem gewöhnlichen edixit, und glaubt die Rede sey vom Ennius. Er hat hierinn B a x t e r n zum Nachfolger, der eine feinere Spürkraft für den Wiz und Humor unsers Dichters hat als alle vor ihm. G e ß n e r hingegen hälts mit B e n t l e y e n , dessen Hauptgrund ist: E n n i u s sey schon über Hundert Jahre todt und begraben gewesen, ehe Libons Puteal existiert habe. Es wäre freundlich gewesen, wenn er uns gesagt hätte, woher er dies wisse: denn daß er seiner Sache gewiß zu seyn geglaubt, erhellt aus dem Naserümpfen, womit er dem Torrentius und seinen Anhängern vorwirft, sie hätten sich
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s c h ä n d l i c h v e r g a n g e n (turpiter peccasse.) Wie es auch damit bewandt seyn mag, non nostrum est tantas componere lites! Weil aber ein Übersetzer doch eine Meynung haben m u ß : so habe ich mich einfältiglich an die gemeine Lesart gehalten, und glaube mit Cruquius und Baxtern: Horaz lege dies Humoristische Edict d e m Va t e r E n n i u s in den Mund — und dies glaube ich (mit Addisons Vellum zu reden) aus d r e y Rationibus — E r s t e n s : Weil es vermöge des Zusammenhangs der natürlichste Sinn ist, auf den jedermann beym ersten Anblik verfallen muß. — Z w e y t e n s : Weil Horaz auch im Scherzen das feine Gefühl des Anständigen nicht leicht zu verlieren pflegt, und sich also gewiß, auch nicht zum Spaß, die Mine gegeben hat, E d i c t e auf dem
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Parnaß ergehen zu lassen. B e n t l e y meynt zwar in dem folgenden — „ v e r l ö h r i c h o h n g e f e h r d i e F a r b e u . s . w . “ etwas zu seinem Behuf zu finden: aber gerade in dem poco più und poco meno, wofür die Horazen soviel und die Bentley’s so wenig Sinn haben, liegt der Unterschied — D r i t t e n s und leztens: Weil, auch im Falle daß zu Ennius Zeiten, d. i. im sechsten Jahrhundert der Stadt Rom, Libons Puteal noch nicht existiert hätte, Horaz in einem
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scherzhaften Edict, das er dem Obmann und Erzvater der Römischen Poeten in den Mund legt, sich aus einem Anachronismus dieser Art schwerlich mehr Bedenken gemacht hätte, als Virgil aus einem weit wichtigern in seiner Aeneis. (5) Auch hier suchen einige Ausleger mehr Finesse, als Horaz vermuthlich in Gedanken hatte. Der Scholiast des Cruquius hilft uns auf die Spur, uns von der Anekdote, auf welche Horaz anspielt, die rechte Vorstellung zu machen. Vermuthlich war die Geschichte dem Mäcenas schon bekannt, und der Dichter brauchte also nicht so umständlich dabey zu seyn, als wenn er f ü r u n s geschrieben hätte. Die Geschiklichkeit im Declamieren wurde damals (und
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ich wünschte es wäre bey uns auch so!) für eine sehr nothwendige Eigenschaft eines Menschen von Erziehung und Lebensart gehalten; und es wimmelte in Rom von Graeculis, welche Unterweisung in dieser schönen Kunst gaben. Unter diesen war der Rhetor Timagenes einer der Beliebtesten, und wurde, wie es scheint, öfters zu Gastmälern eingeladen, um sich mit Proben seiner Kunst hören zu lassen. Ein gewisser Mauritanier — vermuthlich ein neuer Römischer Bürger — Namens C o r d u s * ) der bey einer solchen Gelegenheit zugegen war, wurde (wie die Leute seiner Nation leicht Feuer fangen und der stärksten Eifersucht fähig sind) von dem Beyfall den sich Timagenes erworben hatte so gereizt, daß er sich unmöglich halten konnte, auch auf der Stelle
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eine Probe abzulegen, daß er, seiner Maurischen Abkunft ungeachtet, in den Eigenschaften die zu einem u r b a n e n Römer gehörten keinem weiche. Er ließ sich ebenfalls hören, und griff sich, weil er’s dem Griechen noch zuvor thun wollte, über Vermögen und mit solcher Unvorsichtigkeit an, daß er sich eine Ader zersprengte oder einen Bruch bekam — denn rupit kann hier, däucht mich, beydes heissen. (6) A r c h i l o c h u s wird vom Plutarch für den Erfinder mehrerer Versarten und auch besonders derjenigen angegeben, welche man E p o d e n nannte, **) und womit Horaz seine ersten Lyrischen Versuche machte. Er blühete ungefehr zwischen der 15ten und 30sten Olympiade, und war wegen seines Talents für die Lyrische Poesie eben so berühmt, als verschreyt wegen des bösen Ge*)
Horaz nennt ihn scherzweise, einen J a r b i t e n , d. i. einen Abkömmling des Maurischen
Königs J a r b a s , der in Virgils Aeneis vorkömmt. **)
S. die XXVIIIte Note des Hrn. B ü r e t t e zu P l u t a r c h s Abhandlung von der Musik, im
14ten Bande der Memoir. de Litterat. p. 379. seqq.
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brauchs den er öfters von seinem Witze machte, dessen Pfeile so spitzig oder vielmehr so giftig waren, daß er diejenigen, die er zum Ziel derselben nahm, bis zur Verzweiflung trieb. Wenigstens war dies das Schiksal eines gewissen Lykambes, um dessen Tochter Kleobule er sich beworben hatte. Der Vater hatte sie ihm anfangs zugestanden, hernach aber seine Gedanken geändert und das Mädchen einen andern gegeben. Archilochus rächte sich dieser Beleidigung wegen an der ganzen Familie durch so grausame Jamben, daß Lykambes, Kleobule und ihre zwoo Schwestern, die Schande, die er ihnen dadurch zugezogen, nicht überleben wollten, und sich alle vier erhängten — 10
wenn die w a h r h a f t e n Griechen die Sache nicht übertrieben haben. Die Mühe, welche Horaz sich in dieser ganzen Stelle giebt, sich gegen den Vorwurf der Nachahmung zu vertheidigen und seine O r i g i n a l i t ä t unter den Lateinischen Dichtern zu behaupten, ist einiger Erläuterung werth. Horaz hatte, wie es scheint (und wie es nicht anders zu erwarten war) eine Menge Nachahmer oder Nachäffer von der Art, die er serva pecora nennt, die sich nicht begnügten a u c h Lyrische Gedichte zu machen, nachdem er ihnen gewiesen hatte, wie sie es ungefehr angreiffen müßten: sondern die ihm sogar den Inhalt seiner Oden, seine Wendungen und seine Ausdrücke stahlen, kurz, wie die Krähe in der Fabel, sich mit seinen Federn schmükten und dann in den
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Chor der Vögel mischten, und auch als Sänger mitflogen. Diese Leute scheint es, glaubten sich damit zu rechtfertigen, wenn sie sagten: Horaz sey ja selbst nur ein Nachahmer — der Griechen nämlich; denn daß er der erste Lyrische Dichter der Römer war, wenigstens der erste der eine Vergleichung mit den Griechischen aushalten konnte, war unläugbar. Um nun dem Römischen Publico, das sich so gut durch Worte täuschen ließ als jedes andre, im Vorbeygehen den Unterschied zwischen Nachahmung und Nachahmung zu zeigen, beruft er sich darauf, daß er nicht m e h r Nachahmer des Archilochus sey als A l c ä u s und S a p p h o auch; daß er die Versarten des Griechen (numeros) und seinen Geist, sein Feuer (animosque) sich eigen gemacht aber nicht ihm die
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Sachen und Worte (non r e s et v e r b a ) abgestohlen und für sein gegeben habe. — Verehrer des Horaz hätten vielleicht Ursache zu wünschen, daß er sich zu einer solchen Apologie gar nicht herabgelassen haben möchte. Jeder wahre Künstler ahmt, in gewissem Sinne, seine Vorgänger nach; aber Virgil ist, ungeachtet alles dessen was er vom Homer geborgt oder nachgeahmt, noch immer ein großer, und selbst durch die Art der Nachahmung, ein ori-
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ginaler Dichter. Ein P f u s c h e r o h n e a l l e s Ta l e n t könnte ein höchstelendes Werk von 50 Gesängen, der E r f i n d u n g und g a n z e n A u s f ü h r u n g nach aus seinem eignen schalen Kopf gezogen und keinen Menschen nachgeahmt haben, und würde dadurch doch weiter nichts als ein o r i g i n a l e r P f u s c h e r seyn: Hingegen könnte ein großer Dichter nicht nur das Süjet, sondern, wenn ers für gut fände, den ganzen Plan seines Werkes von einem andern nehmen, und d u r c h d i e A r t d e r A u s f ü h r u n g ein Neues und Vortrefliches aus einem schlechten erschaffen. Das was den wahren Meister macht, ist nicht die Erfindung eines unerhörten Süjets, unerhörter Sachen, Charakter, Situationen u. s. f. sondern der lebendige Odem und Geist, den er seinem Werk
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einzublasen vermag, und die Schönheit und Anmuth die er darüber auszugießen weiß. Es ist mit den Dichtern hierinn wie mit den Mahlern und andern Künstlern. Alle vortreflichen Mahler haben M a r i e n b i l d e r und h e i l i g e F a m i l i e n gemahlt: der Inhalt ist der nehmliche, die Charakter sind die nehmlichen, die Farben auf dem Palet sinds auch: gleichwohl hat jeder eben denselben Gegenstand auf eine i h m e i g e n e A r t behandelt; und so viele vortrefliche M a d o n n e n schon da sind, so wird sich doch gewiß kein künftiger großer Mahler dadurch abschrecken lassen auch d i e S e i n i g e hinzuzuthun. — Es ist aber, selbst für einen H o r a z , so schwer von seinen eignen Arbeiten mit dem Publico zu sprechen, und es ist so gewöhnlich, in solchen
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Fällen zu wenig oder zuviel zu sagen: daß die beste Partie, die man gegen den Z o i l u s nehmen kann, immer die ist, gar nichts zu sagen, und das Werk für sich selbst und für seinen Meister sprechen zu lassen. Ist es gut, so legt es ein Zeugnis ab, welches, wo nicht von den Zeitgenossen, doch gewiß von der Nachwelt, gehört, verstanden, und bestättigt werden wird. (7) Das öffentliche Vorlesen seiner Werke, welches der Gönner Virgils A s i n i u s P o l l i o in Rom zuerst aufgebracht haben soll, fieng schon zu Horazens Zeiten an Mode zu werden, und diese Mode nahm in der Folge, mit der Mode Schriftsteller zu seyn, so sehr überhand, daß es eine ordentliche Gesellschaftspflicht — eine Pflicht, von der man sich, ohne alle Gesetze der guten Lebensart zu übertreten, gar nicht dispensiren konnte — wurde, solchen Vorlesungen beyzuwohnen. Man wurde (wie wir aus den Briefen des Plinius sehen) ordentlich dazu eingeladen; die Gesellschaft versammelte sich in einem großen Saal; der Autor bestieg eine Art von Tribüne und declamirte sein Werk, und wenn er fertig war, stieg er unter dem lauten Geklatsch der höflichen Zuhörer wieder
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herunter, sammelte sein Allmosen an Lob von Reyhe zu Reyhe ein, bedankte sich, versicherte das Reciprocum, und stellte sich den nächsten Tag bey einem andern ein, um Wort zu halten. Was die Litteratur bey dieser ungemein höflichen Einrichtung gewonnen habe, läßt sich leicht errathen. (8) Es gab zwar damals noch keine Journale und gelehrte Zeitungen, die sich im Nahmen des Publicums, kraft einer stillschweigenden Commißion, des Rechts über alle neue Schriften und ihre Verfasser Peinliches Gericht zu halten, angemaßt hätten: aber die Sprachlehrer und R h e t o r e n (d. i. Lehrer der schönen Wissenschaften, die sich besonders auch mit Erklärung und Analy10
sirung der alten Dichter abgaben) ersetzten diesen Abgang reichlich, sowohl durch ihre Menge, als durch den Einfluß den ihnen der Umstand gab, daß die litterarische Erziehung der Römischen Jugend gänzlich in ihren Händen war. Die Schriftsteller à la Douzaine hatten also alle Ursache, sich bey diesen wichtigen Herren um Gunst, Nachsicht und Schutz zu bewerben. Horaz glaubte sich dieser Ceremonie überheben zu können, und wir, seine itzigen Leser, glauben das auch: aber bey seinen Lebzeiten war es ein anders. Der Geist der gelehrten Republik arbeitet immer unter seinen zugleichlebenden Gliedern die gehörige Gleichheit zu erhalten, und stuzt oder rekt mit Gewalt, wo die Natur sich nicht fügen wollte. Das lesende und urtheilende Publikum
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glaubt, wie das Römische Volk, seine F a s c e s g e b e n , und w i d e r n e h m e n zu können, w e m und w a n n es will. Der vortreflichste Schriftsteller muß seine Vorzüglichkeit oft wie ein Verbrechen büßen — und wird, wie Aristides, bloß deßwegen, ostracisiert, weil er gut ist. Horaz machte zu seiner Zeit die Erfahrung davon; und wer nennt mir unter den berühmtesten Todten einen einzigen, der sie nicht gemacht hätte? * * *
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Zwanzigster Brief. An Sein Buch. Einleitung. Es ist ein zweydeutiger Vorzug der Leute von Verstand, in allen menschlichen Dingen klärer zu sehen als andere, und dem ungeachtet im Leben selbst selten klüger zu h a n d e l n , als die andern d e n k e n . Es ist wahr, wenn Diese und Jene einerley thun, so ists drum nicht einerley: aber wenn der Mann von Verstand und der S o t einerley S o t t i s e begehen, so ist der Nachtheil augenscheinlich auf des erstern Seite. Denn was hilfts ihm am Ende, daß er nur eben so viel Weisheit hat, um sich bey den Sottisen, die er macht, gerade das Beste, nämlich die I l l u s i o n , wegzuräsonniren? — diesen süssen und tröstlichen
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Wahn, lauter löbliche, gute und verdienstliche Thaten gethan zu haben, — der das Völklein das im Nebel wandelt — gleich dem Wahnsinnigen, der sein zerlumptes Hemde für einen Königlichen Mantel ansieht — mit der wonniglichsten Selbstzufriedenheit erfüllt! Von dieser Seite (wir könnens nicht läugnen) sind die Vortheile der Thoren vor den Weisen unermeßlich. Um die Anwendung hier bloß auf die Schriftsteller zu machen: wie viel hat nicht, in dieser Rüksicht, der mittelmäsige und elende Scribent vor dem Guten voraus? J e n e r weidet sich nicht nur an dem betrügerischen Bewustseyn seines Eigendünkels; Er genießt auch in vollem Maas des eingebildeten Danks und Beyfalls der Welt, um die er sich mächtig
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verdient gemacht zu haben glaubt. Jedes erschlichene, erkaufte oder erbettelte öffentliche Lob, jedes Compliment, das ihm von gefälligen Freunden, oder demüthigen Clienten, oder von noch elendern Scribenten als Er ist, gemacht wird, ist ihm ein vollgültiges Zeugnis seines wohlerworbnen Ruhms, und ein sicheres Pfand der Litterarischen Unsterblichkeit. — Der g u t e Schriftsteller, wenn er auch alles gethan hat was er schuldig war, hält sich noch immer nur für einen unnützen Knecht, sieht sich immer unter der Vollkommenheit der er nachgestellet hat, und gelangt also nie zu der Befriedigung, etwas hervorgebracht zu haben, das ihm selbst eine Genüge thäte. Dies allein wäre hinlänglich, ihm den wenigen flüchtigen Genuß zu verbittern, den der Beyfall, der
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ihm etwa hier und da zugeklatscht, zugelächelt, zugenickt und zugegähnt, — zuweilen auch von den B i l e a m e n , d i e l i e b e r f l u c h e n m ö c h t e n , z u g e g r i n ß t wird, — seiner Eitelkeit hätte gewähren können. Allein da kommt noch die leidige D u r c h s i c h t i g k e i t hinzu, in welcher die menschlichen Dinge, gleich dünnen wesenlosen Schatten, vor seinen Augen herumflattern — das fatale Wissen, was jenes Klatschen, Lächeln, Nicken, und Grinßen eigentlich bedeute! Nichts von dem allen macht ihm Illusion. Er kennt die Welt zu gut, um sich einzubilden, daß was I h m wichtig genug war, um eine Zeitlang seine Existenz zu absorbieren, nun auch I h r wichtig seyn werde; und 10
er ist zu billig, um den Menschen B e s t ä n d i g k e i t i n i h r e n U r t h e i l e n und Neigungen, oder D a n k b a r k e i t f ü r u n g e b e t n e D i e n s t e , zuzumuthen. Er weis zu wohl, w i e alles ist und w a r u m es so ist, um sich das mindeste auf einen Beyfall einzubilden, den er mit so vielen Unwürdigen theilt — von dem er weiß, wie leer, eingeschränkt und unbeständig er ist, wie wenig davon wahres Gefühl oder Einsicht ist, wieviel blos dem Augenblik der Neuheit, zufälligen Nebenumständen, dem Einfluß derer die hier und da den Ton angeben, der Eitelkeit der Leser, und hundert andern Ursachen dieses Schlags beyzumessen ist; und wie bald ihm eben dieser izt vielleicht noch so schwärmerische Beyfall, von dem ersten besten, der aus einem andern Tone spielt,
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oder ein paar Daumen höher springt und mehr entrecha ˆts in einer Secunde macht, wieder entzogen werden kann. Kurz, er hat den unglüklichen Vortheil, seinem Werke, — das ihm denn doch, mit allen seinen Mängeln, als sein eigen Fleisch und Blut, lieb ist — sein ganzes Schiksal so genau vorhersagen zu können, daß seiner Eigenliebe, von allem was sie dabey hätte gewinnen sollen, kaum soviel übrig bleibt, als die Kosten und Schaden eines einzigen hämischen Zeitungsurtheils übertragen mag: und bey allem dem begeht er wissentlich die Thorheit, und publicirt sein Werk doch! — Unser Dichter scheint, da er im Begriff war das erste Buch seiner Episteln in die Welt zu schicken, alles dies sehr lebhaft voraus gefühlt zu haben: aber die Art, wie er sich, durch diesen
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Launevollen E p i l o g u s a n s e i n B u c h , aus der Sache zieht, ist eine neue Probe, daß er eine Sottise, die er nicht lassen konnte, wenigstens mit der besten Art, die sich nur denken läßt, zu machen wußte. Es ist in einem solchen Falle, wo man sich selbst mit so vollkommner Gewisheit eine so leidige Nativität stellen kann, eine Art von Satisfaction, die man sich gegen das Publicum giebt, wenn man ihm zeigt, daß man wenigstens nicht Dupe im Spiel sey,
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sondern, weils nun doch einmal verlohren seyn müsse, de gayeté de coeur verliere. Die Wendung, welche Horaz in diesem Epilogus genommen hat, um seiner kleinen Eitelkeit diese Befriedigung zu verschaffen, mit der Laune, die in der ganzen Ausführung herrscht, macht es in meinen Augen zu dem feinsten und witzigsten kleinen Stücke, das ich aus dem ganzen Alterthum kenne. Das bekannte Bild, um das Verhältniß eines Autors zu seinem Werke zu bezeichnen, das Bild von Vater und Kind, ist darinn mit einem andern, welches die Schiksale eines Buchs andeutet, insofern es durch die Publication der beliebigen Behandlung, den Launen, Lüsten und Mishandlungen des Publicums preis-
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gegeben wird, gar fein verschlungen, und in die passendste Allegorie ausgewebt. Alle Ausdrücke sind von einem armen aber ehrlichen Vater entlehnt, der seinem leichtsinnigen Mädchen, das der Einsperrung und Eingezogenheit in dem väterlichen Hause überdrüßig ist, und sein Glük in der Welt versuchen möchte, als ein Mann der den Lauf derselben besser kennt als das unerfahrne Ding, von Stük zu Stük vorhersagt, wie es ihr ergehen werde. B a x t e r hat diese D i l o g i e , wie ers nennt, (die auch zuvor schon dem Torrentius nicht unbemerkt geblieben) von Schritt zu Schritt verfolgt; ein Vergnügen, welches wir diesmal lieber dem Leser sichs selbst zu geben überlassen wollen. G e ß n e r — dessen Kopf zu dieser Art von Pläsanterien nicht gestimmt war, und
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dem sie vielleicht nicht so unschuldig vorkam als sie würklich ist — wird über die Freude, welche Baxter daran hat, beynahe ungehalten. Tota haec dilogia mihi non placet, sagt der gute Mann. Indessen ist sie nun einmal im Original, und die Delicatesse, womit die ganze Allegorie nüancirt ist, gleicht dem schönsten Gewand, womit jemals die Grazien einen L y s i p p u s gelehrt haben die keusche Schönheit der Natur, wie mit einem zarten Nebel, zu bekleiden. Desto schlimmer für den, welchen bey einem solchen Anblik sein Auge ärgert! Er mag es ausreissen, wenn er will: aber das schöne Werk der Natur und Kunst soll er uns unverhudelt lassen! * * *
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Mein liebes Buch, ich sehe wohl warum du so verstohlen nach dem Janus und Vertumnus (1) schielst: du kannst es kaum erwarten, von den G e b r ü d e r n S o s i e r n (2) fein glatt und schmuk herausgepuzt, dich ausgekramt zu sehen. Die gute Zeit, da du verschämt und züchtig vor fremden Augen dich in meinem Pult verstektest, ist vorbey; du hassest Schloß und Siegel, keuchst nach Freyheit, grämest dich 10
so wenig Leuten nur gezeigt zu werden. S o bist du nicht erzogen worden! Aber, weil du’s dann nicht besser haben willst, so geh wohin so weh dir ist! Die Reue wird dich nur zu bald ergreiffen, aber leider! dann zu spät. Einmal hinaus, so ist kein Wiederkommen für dich. — Was hab ich dummes Ding gethan? Was hatt’ ichs Noth? — wirst du dann, wenn dich jemand beleidigt, schreyn — und nirgends Mitleid finden. Auch weist du, daß du dich gar enge wieder
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zusammenschrumpfen mußt, sobald der gähnende Liebhaber deiner satt geworden. Soll ich, (wenn anders mich die böse Laune nicht zum falschen Augur macht) dir sagen, Kind, Vertumnum Ianumque, Liber, spectare videris, scilicet ut prostes Sosiorum pumice mundus! Odisti claves et grata sigilla pudico; paucis ostendi gemis, et communia laudas, non ita nutritus. Fuge, quo descendere gestis non erit emisso reditus tibi. Quid miser egi?
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quid volui? dices ubi quis te laeserit, et scis in breve te cogi plenus cum languet amator. Quod si non odio peccantis desipit augur,
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wie dirs ergehen wird? Du wirst, so lange du jung und etwas Neues bist, zu Rom gefallen: bist du aber endlich bis zum Pöbel herabgesunken und der feinen Welt zum Ekel worden — dann, du armes Buch, wirst du in irgend einem finstern Winkel, leidend, der Motten Hunger stillen; oder, willt du diesen entgehn, nach U t i c a dich flüchten, oder gar gebunden, wie ein Sclave, nach I l e r d a (3) dich verschicken lassen müssen. Ich, der dirs
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vorhergesagt, ich lache dann dazu, wie jener da er seinen eigensinn’gen Esel im Zorn in einen gähen Abgrund jagte und rief: so brich dir dann den Hals, weil du so große Lust dazu hast! (4) — Auch noch dies erwartet dich zulezt, daß in der Vorstadt, in einem abgelegnen Winkel, sich ein alter stammelnder Schulmeister deiner bemächtigt, und, die Ruthe in der Hand, dich nöthigt seine Knaben im Syntax zu üben.
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Indessen, wenn ein lauer Sonnentag mehr Ohren um dich her versammeln wird, sag ihnen: daß ich, eines Freygelaßnen Enkel, carus eris Romae donec te deserat aetas: contrectatus ubi manibus sordescere vulgi coeperis, aut tineas pasces taciturnus inertes, aut fugies Uticam aut vinctus mitteris Ilerdam. Ridebit monitor non exauditus, ut ille qui male parentem in rupes protrufit asellum iratus; quis enim invitum servare laboret? Hoc quoque te manet, ut pueros elementa docentem occupet extremis in vicis balba senectus. Cum tibi sol tepidus plures admoverit aures, me libertino natum patre et in tenui re
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mit magerm Erbtheil, meine Federn über mein kleines Nest herausgestrekt — und, kurz, was mir an Ahnen abgeht, gieb mir immer an eignem Werth, und setze noch hinzu, ich sey den ersten Männern Roms, im Krieg und Frieden, lieb gewesen; übrigens von Körper klein, und vor den Jahren grau, ein großer Freund der Sonne, schnell zum Zorn, doch leicht und bald auch wieder Gut zu machen. 10
Fragt etwa jemand dich nach meinem Alter, so sprich: ich hätte viermal eilf December zurükgelegt im Jahr da Lollius das Consulat mit Lepidus geführta). maiores pennas nido extendisse loqueris; ut quantum generi demas, virtutibus addas: me primis Urbis belli placuisse domique, corporis exigui, praecanum, solibus aptum, irasci celerem, tamen ut placabilis essem. Forte meum si quis te percontabitur aevum,
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me quater undenos sciat implevisse Decembres collegam Lepidum quo duxit Lollius anno. * * *
Erläuterungen. (1) Ve r t u m n u s eine Hetrurische Gottheit, die von den Römern, ihrer staatsklugen Gewohnheit nach, bey Eroberung Hetruriens, unter die ihrigen aufgenommen worden — war der Patron aller Geschäfte wobey es auf Tausch und Verkauf ankommt. Die Buchhändler zu Rom hatten wie es scheint, ihre Buden nicht weit von dem Tempel oder einer Bildsäule dieses Gottes, welche beyde in der Tu s c i s c h e n S t r a ß e (Vicus Thuscus oder Turarius) anzutref30
a) d. i. im Jahr 733.
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fen waren. *) In einem Winkel dieser Straße hatten auch die Kuppler (Lenones), Pueri Meretricii und dergleichen Gesindel ihre Niederlage, auf welche unser Dichter mit den Worten Thusci turba impia vici, in einer seiner Satyren **) und Plautus in seinem C u r c u l i o * * * ) zu deuten scheint. Dieser Umstand giebt wie B a x t e r meynt, den ersten Zug zu der D i l o g i e die durch dieses ganze Stük geht. (2) D i e G e b r ü d e r Sosii waren damals renommierte Buchhändler, sagt der Scholiast des Cruquius. Horaz erwähnt ihrer noch einmal in der Epistel an die Pisonen; und wir sehen aus dieser Stelle, daß sie s e i n e Ve r l e g e r waren. (3) U t i c a und I l e r d a , jenes in Africa, dieses in Spanien, waren ein paar
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Örter, die in Rom kaum durch einen andern Umstand bekannt waren, als, jenes durch den Tod des Cato, und dieses durch einen Sieg des Cäsar über die Parthey des Pompejus. Es mag seyn, daß die Morgenröthe der Cultur damals auch in diesen barbarischen Provinzen des Römischen Reichs aufzugehen anfieng: aber aus dem ganzen Zusammenhang ist augenscheinlich, daß unser Dichter weit entfernt war, sich auf die Versendung nach Utica und Ilerda was zu gute zu thun, wie Geßner, aus Haß gegen die D i l o g i e ohne welche man den ganzen Sinn dieses Stüks verfehlt, sich gerne bereden möchte. (4) Ein eben so feiner als drollichter Scherz über seine eigne Thorheit, sein Buch herauszugeben, ohngeachtet er die leidigen Schiksale, die ihm bevor-
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stunden, vorhersah. „Ich werde dann dazu lachen, sagt er, aber freylich nur mit halbem Munde, wie jener, da er seinen Esel, der mit aller Gewalt immer an den Rand des gähen Absturzes auswich, aus Zorn endlich gar hinunter jagte. Der Esel brach nun zwar den Hals, und der Herr des Esels genoß einen Augenblik lang die Befriedigung der Schadenfreude: aber freylich nicht länger, als bis sein Zorn vorüber war, und er nun fühlte, daß er selbst am meisten dabey verlohr. * * *
*)
N a r d i n i Roma Vetus L. V. cap. 5.
**) ***)
L. II. Satyr. 3. v. 228. Actu IV. Sc. I. v. 21. In Tusco Vico, ibi sunt homines, qui se ipsos venditant.
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Errata. S. 36. Z. 18. leset d i e statt der. S. 121. Z. 10. von unten auf, müssen die Worte z u m l e t z t e n m a l ausgestrichen werden.
¼1. Buch½ E r r a t a
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Horazens Briefe aus dem Lateinischen übersezt und mit historischen Einleitungen und andern nöthigen Erläuterungen versehen von C. M. Wieland. Zweyter Theil. Dessau, auf Kosten der Verlags-Kasse und zu finden in der Buchhandlung der Gelehrten. 1782.
Horazens Briefe. Zweytes Buch. Erster Brief. An Augustus. Einleitung. Die Veranlassung dieses an August gerichteten Discurses wird von einem neuen Schriftsteller so erzählt: — „Augustus, bezaubert von den Sermonen des Horaz die ihm Mäcenas zu lesen gegeben, und überzeugt, daß sie sich bis in die späteste Nachwelt erhalten würden, ließ eine Menge Abschriften davon machen, und wünschte seinen Namen darinn zu sehen. Er erwies sogar dem Dichter die Ehre 10
ihm ein Handbriefchen zu schicken, worinn er, nachdem er sehr rühmlich von seinen Werken gesprochen, ihm einige Unzufriedenheit darüber bezeigt, daß sie nicht an ihn gerichtet seyen. Warum, schreibt ihm August, willst du mir keine Stelle in deinen Dialogen gönnen? Besorgst du etwa, die Nachwelt möchte dirs übel nehmen, wenn du sie sehen liessest, daß du auf einem freundschaftlichen Fuß mit mir gestanden?“ *) Wir wissen nicht, was für geheime Nachrichten die Verfasser dieses Werkes (dem übrigens durch diese Anführung an seinem verdienten Ruhm nichts benommen seyn soll) gehabt haben können; oder vielmehr, wir wissen ganz gewiß, daß sie hier aus keiner andern Quelle schöpfen konnten, als aus der
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bekannten kleinen Lebensbeschreibung unsers Dichters, welche den Namen des Suetonius an der Stirne führt, und, wenn auch kein unterschobenes, doch gewiß ein ziemlich verunstaltetes Werk dieses berühmten Biographen der zwölf ersten Cäsarn ist. Wer jene Erzählung des Neuern Autors mit dieser ihrer Quelle vergleicht, kann sie als ein Beyspiel ansehen, wie die Neuern gewöhnlich mit der alten Geschichte zu verfahren pflegen; und wieviel die Z u v e r l ä ß i g k e i t dabey verliert, wenn ein Verfasser, d e s l e b h a f t e r n Vo r t r a g s w e g e n , seiner *)
M e m o i r e s d e l a C o u r d’ A u g u s t e , edit. de 1781. Tome II. p. 465.
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Einbildungskraft erlaubt, den Mangel Historischer Nachrichten mit willkührlichen Dichtungen auszufüllen. Denn Alles was Suetonius von der Sache sagt, besteht bloß in folgendem: „August, nachdem er einige von Horazens S e r m o n e n gelesen, habe sich darüber daß seiner nicht darinn erwähnt worden, folgendermaßen beschwert: F ü r c h t e s t d u e t w a , e s m ö c h t e D i r bey der Nachwelt zur Schande gereichen, für einen meiner gut e n F r e u n d e g e h a l t e n z u w e r d e n ? * ) “ — Durch diesen Vorwurf, meynt der Verfasser der Vita Horatii, habe August unserm Dichter die gegenwärtige Epistel a b g e d r u k t ; und in der That, wenn die Ächtheit dieser Anekdote außer Zweifel wäre, so könnte man wohl sagen, er habe dem armen Dichter
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diese Epistel mit dem Dolch auf der Brust abgezwungen. Indessen scheint nichts unwahrscheinlicher, als daß Augustus, der sich, um diese Zeit, ohne übertriebne Einbildung als die erste Person in der Welt ansehen konnte, sich eines so auffallenden Ausdruks gegen unsern Dichter bedient haben sollte. Denn, wann sollte er so gesprochen oder geschrieben haben? In den Zeiten des Triumvirats könnte ihm sein Gewissen vielleicht noch wohl in einem unbewachten Augenblick einen solchen Gedanken — aber, wenn auch einen solchen Gedanken, doch gewiß keinen solchen A u s d r u c k — abgenöthigt haben. Allein diese Epistel ist, unstreitig, wenigstens acht Jahre nach der Epoke geschrieben, wo die große Verwandlung des U s u r -
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p a t o r s O c t a v i u s C ä s a r in den g e s e z m ä ß i g r e g i e r e n d e n A u g u s t vorgegangen war. Wenn sie also als eine unmittelbare Frucht des Vorwurfs, den er unserm Dichter gemacht haben soll, anzusehen wäre: so müßte dieser Fürst, zu einer Zeit, da die Dankbarkeit der Römer für das gegenwärtige Gute, das sie als S e i n e Wo h l t h a t ansahen, alle Erinnerungen des vergangnen Elends, mit dessen Schuld sie die Zeit und den bösen Dämon der Republik belasteten, verschlungen hatte — zu einer Zeit, da er im eigentlichen Verstand der Abgott der Römer war, und gleichsam in der Atmosphäre des Weyhrauchs lebte, der täglich von tausend Altären zu ihm aufstieg, und ihn mit der süssen Illusion, geliebt und angebetet zu seyn, berauschte — fähig gewesen seyn, sich selbst auf eine so seltsame Art zu vergessen, und zu einem Ausdruck herabzusinken, der nur einem Tyrannen der seine Infamie in der Nachwelt voraus*)
Iratum me tibi scito, quod non in plerisque ejusmodi scriptis mecum potissimum loquaris.
An vereris, ne apud posteros i n f a m e sit quod videaris familiaris nobis esse?
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fühlt, und auch einem solchen nur in einer starken Abwesenheit des Geistes, entwischen zu können scheint. Kann etwas unglaublichers seyn? Man könnte allenfalls dieser anscheinenden Ungereimtheit dadurch entgehen, wenn man annähme, daß die Anekdote nur zur Hälfte wahr sey. August, dessen Eitelkeit nach allen Arten von Verherrlichung geizte, könnte gar wohl, zwischen Scherz und Ernst, einige Empfindlichkeit darüber geäussert haben, daß Horaz keinen von seinen sogenannten S e r m o n e n an ihn gerichtet, oder (was sich noch eher glauben ließe) er könnte einige Verwunderung darüber gezeigt haben, daß ein so vorzüglicher Dichter, wie Horaz ihm ver10
muthlich von Mäcenas, Pollio, und andern angepriesen worden war, sein Talent nicht auf eine P a t r i o t i s c h e r e A r t anwende — sich nicht, nach dem Beyspiel eines Va r i u s und V i r g i l , unmittelbarer um den S t a a t verdient mache, und die alten Helden der Römischen Republik, oder die großen Begebenheiten seiner eignen Zeit zum Gegenstand seiner Muse wähle. Horaz, könnte man sagen, habe den Wink verstanden: da er aber entschlossen gewesen seinen eignen Weg zu gehen, und keiner andern Muse zu folgen als seiner Laune oder dem lebhaften Gefühl des Augenbliks, kurz, da er aus guten Ursachen sich in kein großes Werk, am wenigsten von d e r A r t , wie ihm August oder Mäcenas gerne zugemuthet hätten, einlassen wollen: so habe sichs we-
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nigstens geziemt, daß er seine Entschuldigung an Augusten selbst gerichtet; und er habe sich vermuthlich um so lieber dazu bequemt, weil er dadurch eine gute Gelegenheit bekommen, die Begriffe dieses Fürsten von der Römischen Litteratur in manchen Stücken zu berichtigen, und so, unter dem Schein als ob dies der Hauptgegenstand seines Discurses sey, die Entschuldigungen, die es würklich waren, auf eine ungezwungne Art herbeyzuführen. So scheinbar diese Auflösung des Knotens beym ersten Anblik seyn möchte, so wird sich doch eine andre, die mit dem Text des Suetonius besser zusammenstimmt, von selbst ergeben, wenn wir das wahre Verhältnis zwischen unserm Dichter und August genauer bestimmt, und zu diesem Ende einige Be-
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trachtungen über den Charakter des leztern, und seinen Einfluß auf die Litteratur seiner Zeit überhaupt, vorausgeschikt haben werden; — eine Arbeit, der wir uns in der Einleitung zu dieser Epistel um so weniger entziehen können, da sich daraus ein Licht über sie verbreiten wird, ohne welches vielleicht manche von ihren feinern Schönheiten unempfunden bleiben würde. Ich weiß nicht, ob die Geschichte in ihrem ganzen Umfang einen Sterbli-
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chen aufzuweisen hat, dessen Charakter zweydeutiger, räthselhafter, und schwerer unter einen Hauptbegriff zu fassen wäre, als eben dieser Augustus, von welchem, als der Hauptfigur in dem großen Gemählde dieser Zeit, in gegenwärtigem Werke schon so oft die Rede gewesen ist. Wer, der die Begebenheiten der funfzehn Jahre seines Triumvirats, u n t e r d e m N a m e n O c t a v i a n u s , und die Geschichte der übrigen zwey und vierzig Jahre seiner Regierung, in einem andern Buche u n t e r d e m N a m e n A u g u s t s gelesen hätte, könnte sich vorstellen, daß er das Leben einer und ebenderselben Person gelesen habe? Daß der feigherzige, undankbare, treulose, kaltblütiggrausame junge Bösewicht, dem keine Bande der Natur, keine Gesetze der mensch-
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lichen Gesellschaft, keine Verhältnisse des Lebens, mit Einem Wort, dem nichts Göttliches noch Menschliches heilig, dem zu Beruhigung seiner furchtsamen mißtrauischen Gemüthsart, und zu Erreichung seiner ehrsüchtigen Plane kein Bubenstük zu schändlich war, — eben derjenige sey, der unter dem Namen A u g u s t eine den Römern von jeher so verhaßte Autokratie durch eine Mäßigung, eine Klugheit, eine Aufmerksamkeit und Thätigkeit für das allgemeine Beste, die fast ohne Beyspiel ist, beliebt und zu einer Wohlthat für die Welt gemacht — eben derjenige sey, mit dessen Namen die Römer ihre folgenden Beherrscher zu jeder Tugend eines guten Fürsten, eines allgemeinen Vaters, eines wohlthätigen Genius, zu verpflichten und einzuweyhen
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glaubten? — Es scheint unbegreiflich, und doch ist nichts gewisser, als daß der nemliche Mann in verschiedenen Perioden seines Lebens beydes war. Die Geschichte der Menschheit kennt kein andres Beyspiel einer solchen Verwandlung; die Natur scheint, ohne ein Wunder, welches hier schwerlich jemand annehmen wird, keine solche Verwandlung zuzulassen; und diese seltsamste unter allen seltsamen Erscheinungen würde immer ein unauflößliches Räthsel bleiben, wenn wir nicht den Schlüssel dazu gebrauchten, den uns Augustus selbst in dem einzigen aufrichtigen Augenblick seines Lebens — i n s e i n e m l e z t e n — gegeben hat. N u n , sagte er zu seinen umstehenden Vertrauten, d ü n k t e u c h d a ß i c h d e n M i m u s * ) d e s L e b e n s l e i d l i c h gespielt *)
habe? **)
G e b e r d e n s p i e l , oder, wie wirs nennen, Pantomime. Tragische und komische Süjets wur-
den in diesem Lieblingsschauspiel der Römer, wo nicht bloß, doch hauptsächlich durch Geberden und Bewegungen gespielt, oder g e t a n z t , wie man es damals hieß, weil alles seinen gewissen Rhythmus hatte und mit Musik begleitet war.
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August hätte sich nicht deutlicher, über das was wir von seinen so hoch gepriesenen Tugenden zu denken haben, erklären können, als durch diesen Ausdruck. Es würde uns zuweit von unserm Vorhaben abführen dies umständlich zu entwickeln. Genug, daß durch diesen Aufschluß alle löblichen Handlungen seines Lebens in ihr wahres Licht gestellt, alle die schönen Gestalten unter welchen er sich, von seinem vier und dreißigsten Jahre an, der Welt zeigte, begreiflich werden, und nichts Bewundernswürdiges mehr an ihm übrig bleibt, als die Kunst, womit er die Rolle, die ihn Mäcenas und Agrippa spielen gelehrt hatten, über vierzig Jahre auszuhalten wußte. Und auch da 10
verliert sich noch viel von unsrer Bewunderung, wenn wir den mitwürkenden Ursachen — der Geschiklichkeit seiner Vertrauten, seiner eignen Schwäche und nie gänzlich schlummernden Furcht vor dem Schiksal Julius Cäsars, seiner Eifersucht über die großen Eigenschaften des Agrippa und die vielversprechenden Tugenden des jungen Marcellus, seines Schwester-Sohns, *) — und endlich, da er alle Freunde seiner schönsten Jahre überlebt hatte, dem Einfluß der staatsklugen Livia, und der Gewohnheit die zur andern Natur wird — soviel Würkung zuschreiben, als jede dieser Ursachen natürlicherweise auf ihn machen mußte. Augustus spielte also, seine ganze glorwürdige Regierung durch, nur Ko-
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mödie mit den albernen Römern. Er war nur Komödiant, wenn er sich die unbeschränkte Herrschaft, die er schon besaß und nie im Ernst abzutreten Lust hatte, stückweise und nach und nach, unter allen möglichen legalen Ti-
**) *)
Ecquid iis videretur Mimum vitae commode transegisse? S u e t o n . in Aug. c. 100. Ich bin überzeugt, daß die Welt, in den ersten Jahren seiner alleinigen Oberherrschaft über
das Römische Reich, der blossen natürlichen Würkung, welche ein so großer Mann wie A g r i p p a und ein so hofnungsvoller Jüngling wie M a r c e l l u s auf den zaghaften und soviel Böses sich bewußten Usurpator machen mußte, — mehr, als man gewöhnlich in Anschlag bringt, von seinen Tugenden zu danken gehabt habe. Alle Augen waren mit Bewundrung und Vertrauen auf d i e s e n M a n n , mit Liebe und Hofnung auf d i e s e n Jüngling geheftet, dessen im Jahr 731. erfolgter 30
frühzeitiger Tod als eine das ganze Reich betroffne Calamität beweint wurde. Augustus mußte wenigstens zu seyn s c h e i n e n was Jene w a r e n ; mußte alle die Tugenden, die ihre Namen den Römern so werth machten, zu e h r e n und zu l i e b e n s c h e i n e n , wenn die Römer g a n z und a u f i m m e r vergessen sollten was er g e w e s e n w a r . Wie leicht hätten sie nicht einmal unversehens gewahr werden können, daß Agrippa des ersten Platzes in der Welt würdiger sey als Er? Oder wie leicht konnte sie ein präsumtiver Erbe wie Marcellus ungeduldig machen, die Zeit seiner Succession abzukürzen?
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teln, vom Senat und Volk aufzwingen ließ; er war Komödiant, wenn er die Mäßigung eines Privatmanns affectierte, und doch erlaubte daß ihm Altäre gebaut und Tempel gewidmet wurden; Komödiant, wenn er einen bis auf die unbedeutendsten Kleinigkeiten ausgedehnten Respect gegen die alten Gesetze und Formen spielte, die er doch alle Augenblicke zu eludiren sich erlaubte; Komödiant, wie er die Mailänder, bey Erblickung einer dem M . B r u t u s , ihrem ehmaligen Patron, errichteten Bildsäule, wegen dieses Beweises ihrer Dankbarkeit und Treue gegen das Andenken eines unglücklichen Freundes, öffentlich lobte. Und er, der eine so große Leichtigkeit hatte alle Arten von Regenten-Tugenden zu agieren, sollte er nicht auch Komödiant gewesen seyn,
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wenn er mit e i n e r L i e b e d e r M u s e n Parade machte, die gewiß nie in eine so kalte, falsche und selbstische Seele wie die Seinige gekommen ist, noch jemals kommen wird? Die gelehrte Erziehung, die er in seiner ersten Jugend zu A p o l l o n i a erhielt, war entweder nicht darauf gerichtet die Untugenden seiner natürlichen Sinnesart zu verbessern, und das feinere Gefühl des Schönen und Guten in ihm zu entwickeln, welches die wahre Grundlage der Tugend und der so nahe mit ihr verschwisterten Liebe der Musen ist — oder sie wurde durch den Tod seines Groß-Oheims, dessen Erbe er war, zu früh unterbrochen, um von merklichem Nutzen zu seyn. Wenige Monate, in dem neuen Element worein er auf
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einmal geworfen wurde, in dem raschen Wirbel der Staatsangelegenheiten, in den er sich, ohne zu wissen wie ihm geschah, hineingezogen fand, in dem schwindlichten Taumel einer Größe und Wichtigkeit, wozu er mit Gewalt erhoben wurde ohne sie ertragen zu können — eine sehr kurze Zeit in solchen Umständen war weit mehr als es brauchte, um das wenige Gute, was die Mode-Erziehung eines jungen Römers von Stand und großen Erwartungen bewürken konnte, wieder auszulöschen. Der alte Cicero, der sich geschmeichelt hatte der Mentor dieses Telemachs zu seyn, sah sich gar bald in einer so unwahrscheinlichen Hofnung aufs grausamste betrogen, und bezahlte die Schuld, die er an der Gesezwidrigen Erhebung dieses zweydeutigen Knaben zu einem Protector der Republik hatte, mit seinem grauen Kopfe. Der junge Octavius Cäsar überließ sich, sobald er sich nur von ihm loßwickeln konnte, seinem natürlichen Hang, warf sich dem Antonius in die Arme, verlohr in der Gesellschaft des Abschaums von Rom jeden Rest von Schaam und Zurükhaltung, und entfaltete in den ersten Jahren des berüchtigten Triumvirats einen
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natürlichen Charakter, dem nichts als Muth und Stärke fehlte, um ihn zu einen zweyten Sulla zu machen. Eine schwächliche Leibesbeschaffenheit, die schon in seinem ein und zwanzigsten Jahre den Folgen seiner Ausschweiffungen unterlag, und eine natürliche Furchtsamkeit, die allen seinen thätigen Leidenschaften die Waage hielt, rettete Rom vom gänzlichen Untergang, und ihn selbst von der Schande, der Nachwelt bloß als der Zerstörer seines Vaterlandes bekannt zu seyn. Die Schreknisse des allgemeinen Hasses, dessen er sich würdig fühlte, zwangen ihm den Wunsch ab, Liebe zu verdienen, und das Verlangen nach seiner eignen 10
Sicherheit wurde die Sicherheit des Staats. — Aber wie viel Gutes mußte er thun, um die Folgen des Bösen, das er nicht wieder ungeschehen machen konnte, zu vergüten! Was für Pflichten legte ihm eine solche Entschliessung auf! Niemals würde er fähig gewesen seyn, ihr getreu zu bleiben, wenn er in der Ausführung seinen eignen Kräften überlassen gewesen wäre. Allein, da er weiter nichts zu thun hatte, als zu dem was ein Agrippa, ein Mäcenas, ein Pollio, ein Messala, an seiner statt d a c h t e und t h a t , seinen N a m e n herzuleihen; da er die sichre Bahn, die ihm diese Männer v o r z e i c h n e t e n und b a h n t e n , nur z u g e h e n , die Talente und Tugenden, die sie h a t t e n , nur z u h e u c h e l n , und von i h r e n Arbeiten, i h r e n Gefahren, i h r e n Verdien-
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sten nur d i e F r ü c h t e e i n z u e r n t e n brauchte: so fühlte er sich durch die Leichtigkeit der Ausführung so aufgemuntert, durch die fremden Kräfte, die ihm geliehen wurden, so gestärkt, durch den über alle seine Hofnung glüklichen Erfolg mit soviel Vertrauen auf seinen Genius, natale comes qui temperat astrum, erfüllt — daß er Lust zum Werke bekam, und alle seine Aufmerksamkeit anstrengte, die Bemühungen seiner Freunde durch seine eignen zu unterstützen. Er studierte die Rolle, die sie ihn spielen lehrten, mit unermüdetem Fleiße; und, da er nicht ohne Talent zur H y p o k r i t i s c h e n Kunst war, lernte er sie so gut spielen, daß sie ihm endlich natürlich wurde. Er schien würklich der Mann zu seyn den er vorstellte; die zu ihrem eignen Glücke
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getäuschten Römer erleichterten ihm die Mühe sie zu betrügen, indem sie die Augen freywillig zuschloßen; und, so groß wird die mit der Zeit vermehrte Kraft der Gewohnheit, daß er zulezt selbst den künstlichen Charakter, den er so lange nur als Maske getragen hatte, wenigstens in gewissen Momenten, mit seinem eignen verwechselte, und wahre Thränen weinte, als ihm, an dem schönsten Tage seines Lebens, der glorreiche Name Va t e r d e s Va t e r l a n -
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d e s , von einem Volke das sich würklich glüklich durch ihn fühlte, mit schwärmerischer Liebe aufgedrungen wurde. A g r i p p a und M ä c e n a s , denen die Welt für diese wundersame Verwandlung eines tyrannischen Usurpators in einen der besten Fürsten, hauptsächlich verpflichtet war, hatten sich in ihren Einfluß so getheilt, daß j e n e r an der Staatsverwaltung öffentlich und unmittelbar Antheil nahm, d i e s e r hingegen, ohne sich jemals des Vortheils seines Privatstandes zu begeben, sich der Freund und Vertraute des Fürsten zu seyn begnügte. Im Charakter des E r s t e n zeichnete sich eine angebohrne Neigung zum Großen, in dem des A n d e r n die Liebe des Schönen aus. J e n e r besaß alle Talente und Tugenden des
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Feldherrn und Staatsmannes, d i e s e r alle Eigenschaften des feinen Weltmanns und angenehmen Gesellschafters. Beyde liebten die Künste: aber j e n e r wendete sie hauptsächlich zur Verherrlichung der Stadt Rom, durch große öffentliche Werke, d i e s e r mehr zur Verschönerung des geselligen Lebens an. A g r i p p a beeiferte sich der Regierung des neuen Augusts Stärke, Festigkeit und Majestät zu verschaffen; M ä c e n a s sie den Römern angenehm und liebenswürdig zu machen: und während j e n e r preiswürdige Thaten verrichtete, munterte d i e s e r diejenigen auf, welche sie würdig zu besingen fähig waren. — Alles aber kam auf Rechnung desjenigen, unter deßen Auspizien und zu dessen Vortheil sie, jeder in seinem besondern Kreise, würkten.
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Das Glük, welches vielleicht niemals für einen Sterblichen soviel als für Augusten gethan hat, hatte fast zu gleicher Zeit mit ihm einige von den seltnen Günstlingen der Natur gebohren werden lassen, welche dazu gemacht sind, die Zeit in der sie leben bey der spätesten Nachwelt als Epoke auszuzeichnen. Es schikte den V i r g i l nur sieben, den H o r a z nur zwey Jahre vor ihm her, als Herolde, welche dereinst seine Regierung den Zeitgenossen als das große Werk des Schiksals, woran die Götter von Jahrhunderten her gearbeitet, und als den Anfang eines neuen bessern Weltalters, anpreisen sollten. Gleichwohl würde August diese Dichter vielleicht nie bemerkt, oder doch gewiß so hoch nicht geschäzt haben, wenn ihn P o l l i o und M ä c e n a s nicht von den Vortheilen zu überzeugen gewußt hätten, die er von ihren Talenten ziehen könne. Weder seine natürliche Sinnesart, noch der immerwährende Taumel, worinn er seine Jugend zugebracht, noch die Größe und Weitläufigkeit der Sorgen, in welche ihn die Regierung des kaum übersehbaren Römischen Reiches verwikkelte, waren mit der zarten Empfindlichkeit und reinern Stimmung der Seele
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verträglich, die erfodert werden, um einen wahren Sinn für die Composition eines Virgils und ein Ohr f ü r den Zauber seiner Verse zu haben. — Allein, an den Platze wo Augustus stund, hätte er noch weniger Geschmak haben können als er vielleicht würklich hatte, ohne darum weniger ein Beschützer und Belohner von Talenten zu seyn, die ihm von seinen Vertrauten angepriesen wurden, die der öffentliche Ruf anerkannte, und die er sich durch ein edles und großmüthiges Betragen auf eine seiner Regierung und seinem Nachruhm so vortheilhafte Weise verbinden konnte. Es war auf alle Fälle hinreichend, wenn er nur begriff, daß es wenigstens eben so sehr s e i n Interresse sey, sie zu 10
Clienten, als das i h r i g e , ihn zum Patron zu haben: und es konnte ihnen sehr gleichgültig seyn, ob er den Werth ihrer Werke würklich fühlte, wenn er nur so handelte als ob er ihn fühlte. August, wiewohl er das Ansehen haben wollte, daß er den Talenten dieser Art eine allgemeine Protection angedeyhen lasse, *) war doch nicht gleichgültig, wie und von wem er besungen werde. Er hätte, natürlicher Weise, gern die eminentesten Köpfe zu Anhängern und Herolden gehabt. Aber gerade unter diesen befand sich einer, den weder die Eifersucht über das Ansehen, so sich ein Virgil durch seine A e n e i d e erworben, noch die Belohnungen, die ihm dafür geworden waren, hatten erhitzen können; einer, dessen Talenten man
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Alles zutraute, und der doch wenig oder nichts für seine Zeit, und für Den, um dessen Gunst sich die ganze Welt bewarb, gethan zu haben schien; kurz einer, der mitten in Rom und im wollüstigen Hause des Mäcenas, das dem Hofe des Homerischen Alcinous so ähnlich sah, immer von Retraite sprach, und — mitten unter Leuten, die um Gunst und Reichthum in die Wette buhlten, und um diesen Preis alles zu thun und zu leiden bereit waren — kein Geheimnis daraus machte, daß er anders denke als sie, und eine Mittelmäsigkeit, die nach dem gemeinen Maasstab nichts mehr als Armuth wahr, mit Unabhängligkeit und Selbstgenuß, allem was Könige geben könnten vorziehe — Dieser einzige war — unser Dichter selbst.
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Doch, seine Begnügsamkeit und Liebe zur Unabhängigkeit, Eigenschaften, welche zu allen Zeiten die Viros Mercuriales charakterisiert haben, war ihm vermuthlich noch mit mehrern Dichtern seiner Zeit gemein. Aber was ihn vor ihnen allen auszeichnete, war ein andrer Umstand, der Augusten weit weniger *)
Ingenia seculi sui omnibus modis fovit. S u e t o n . in A u g . c. 89.
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gleichgültig seyn konnte. Virgil und Ovid, z. E. waren nie etwas anders als Dichter gewesen, und trieben die Kunst der Musen als ein Talent, wozu sie sich von der Natur berufen fühlten, und dessen Cultur sie zum Geschäfte ihres Lebens machten. Horaz hingegen hatte in seiner Jugend eine Laufbahn betreten, die ihn, wenn das Schiksal seiner Partey günstiger gewesen wäre, zu einem ganz andern Ziel geführt haben könnte. Man weiß nicht, wie Horaz, als ein junger Mensch ohne Geburt und Vermögen, der sich Studierens wegen zu Athen aufhielt, und noch keine Proben von militarischen Fähigkeiten gegeben hatte, zu der Ehre kam, unter einem so großen Feldherrn wie B r u t u s Obrister über eine Legion zu werden. L e s -
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s i n g schloß aber, bloß daraus w e i l e s g e s c h a h , sehr richtig, daß Brutus persönliche Eigenschaften an ihm müsse gesehen haben, die ihn eines solchen Postens würdig gemacht; und ich glaube, mit S h a f t e s b u r y nicht zu irren, wenn ich den Zug in dem kleinen Gedicht a n s e i n B u c h , Me Primis Vrbis B e l l i placuisse domique
für eine Andeutung ansehe, daß er dem Brutus vorzüglich werth gewesen, und eines nähern Zutritts und vertrautern Umgangs von diesem großen Manne gewürdiget worden. Allem Ansehen nach war es nicht nur die Schönheit und feine Cultur seines Geistes, die ihn für Personen von ähnlicher Art zum angenehmsten Gesellschafter machte: sondern vornehmlich seine edle Art zu den-
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ken, sein Haß gegen die Tyrannie und Eifer für die gute Sache der Republik, was ihm eine so ansehnliche, und, ohne dies, ganz unbegreifliche Unterscheidung vor tausend Andern seines Alters und Standes bey den Häuptern der Republicanischen Partey verdiente. Denn es fehlte ihnen damals an nichts weniger als an jungen Männern von Familie und Vermögen, und es war gewiß nicht die Noth, die den Brutus zwang bis zum Sohn eines Freygelaßnen und Zollbedienten von Venusium herabzusteigen, um seine Legionen mit Befehlshabern zu versehen. Ohnezweifel ahnete dem Horaz, als er seine besten Abende noch im Gezelt des Brutus zubrachte, wenig davon, daß er in den Fall kommen würde, diesem jungen Octavius, gegen dem er zu Felde lag, nach fünf und zwanzig Jahren in einer Poetischen Epistel das Compliment zu machen.
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Gerecht und weis’ ist deines Volkes Urtheil, indem es vor der Griechen Feldherrn Dir und vor den Unsrigen den Vorzug giebt —
Aber vielleicht hatte auch August, da er diese Verse laß, noch nicht ganz vergessen, daß es vor fünf und zwanzig Jahren nicht an Horazens gutem Willen gelegen hatte, wenn das Schiksal des Brutus und Cassius nicht das Seinige geworden war. Nach dem unglüklichen Ausgang der Schlachten bey Philippi, und dem Tode dieser l e z t e n R ö m e r stund es bey Horaz — ob er, wie viele andre, zu 10
dem j u n g e n P o m p e j u s flüchten, oder wie noch mehrere thaten, unter Antonius oder Octavius Dienste nehmen wollte. Zum leztern war er zu edelmüthig, und zum ersten zu klug; denn daß es um die Republik nunmehr geschehen sey, war mit einer mäßigern Kenntnis der Lage der Sachen, als man bey ihm voraussetzen kann, leicht vorher zu sehen. Es blieb ihm also keine andre Wahl übrig, als fürs erste bloß seine Person in Sicherheit zu bringen, und — man weiß nicht wie, oder durch wessen Vermittlung *) — von den Siegern wenigstens soviel zu erhalten, daß man ihn existieren ließ. Die Frage war aber, wovon? Denn sein kleines väterliches Erbgut war dem Triumviralischen Fiscus angefallen. Für einen Mann von seiner Denkart und in seiner Lage würde
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es schwer gewesen seyn, einen Ausweg zu finden, wenn die Musen, zu deren Dienst er erzogen worden war, ihn nicht in ihren Schuz genommen hätten. Ob von den ersten Versuchen, wodurch er sich zu Rom hervorgethan, etwas bis auf uns gekommen sey, läßt sich nicht wohl entscheiden. Wir sehen aber aus einem seiner Sermonen, daß er seiner Freundschaft mit den Dichtern V i r g i l und Va r i u s die erste Bekantschaft mit Mäcenas zu danken gehabt. **) *)
Die gemeine Meynung ist zwar, M ä c e n a s habe unserm Dichter unmittelbar nach der
Schlacht bey Philippi das Leben erhalten. Ich weiß nicht ob sie einen andern Grund hat als das unbedeutende Zeugnis des S i d o n i u s A p o l l i n a r i s : aber ich habe für meine Meynung das Zeugnis eines Mannes, der am besten von der Sache unterrichtet seyn mußte, und das ist Horaz 30
selbst, der die Geschichte seiner Bekanntschaft mit Mäcen im 6ten der S e r m o n e n des 1. Buchs deutlich genug erzählt, um keinem Zweifel über diesen Punct Raum zu lassen. **)
Nulla — mihi te fors obtulit. Optimus o l i m Virgilius, p o s t h u n c Varius dixere quid essem.
Man sieht hieraus, daß es mehr als Einen Angriff auf den Liebling und Vertrauten des Octavius brauchte, bis er sich entschließen konnte, den Dichter, der sich ihm vermuthlich empfehlen wollte, vorzulassen. ¼2. Buch. 1. Brief½ E i n l e i t u n g
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Neun Monate darauf befand er sich unter die vertrautern Clienten, oder Freunde, desselben aufgenommen: *) und erhielt vermuthlich erst nach einigen Jahren von der Freygebigkeit dieses fürstlichen Privatmanns, dessen Herz er gewonnen hatte, das Sabinische Gut, wovon so oft die Rede in seinen Werken ist. Es scheint nicht, daß er während der ganzen Zeit des Triumvirats mit dem Octavius oder nachmaligen Augustus in nähere Bekantschaft gekommen sey; und außer einer einzigen, vielleicht noch zweifelhaften Stelle, wo er ihn unter denjenigen nennt, deren Beyfall ihm schmeichelhaft seyn würde **), findet sich in allem was er v o r d e r S c h l a c h t b e y A c t i u m geschrieben, nichts,
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das einige nähere Beziehung auf denselben hätte, oder zu erkennen gäbe, daß er sich für die Person oder Sache dieses Triumvirs interessiere. Die ansehnliche wiewohl kurze Rolle, die er unter der A n t i - C ä s a r i s c h e n P a r t e y gespielt hatte, würde in den abhänglichen Umständen, worinn er sich izt befand, schon bloß um seiner Ehre und Sicherheit willen, diese Zurükhaltung erfodert haben. Aber eine Menge l e i s e r W i n k e , die keinem aufmerksamen Leser in seinen ältern Werken entgehen können, machen es glaublich, daß sein Herz wenigstens eben soviel Antheil daran gehabt habe als seine Klug-
*)
— revocas nono post mense, jubesque Esse in amicorum numero — I b i d .
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C r u q u i u s und B a x t e r finden es zwar nicht im mindesten zweifelhaft; aber andre Aus-
leger, denen auch Geßner beytritt, können nicht glauben, daß ein Homuncio wie Horaz den Caesarem Divi Filium so sans fac¸on unter seinen F r e u n d e n und dazu noch schlechtweg unter dem Namen Octavius genennt haben sollte — und wollen lieber zu irgend einem unbekannten Octavius ihre Zuflucht nehmen. Man könnte aber dagegen sagen: daß der junge Cäsar Divi Filius damals noch nicht A u g u s t u s geheissen, und seinen Geschlechtsnamen Octavius schwerlich für eine Beleidigung werde aufgenommen haben; daß er überdies sich noch in einem u n e n t s c h i e d n e n Zustand befunden, und ungeachtet er die unbestimmte Gewalt eines Triumviri Reipublicae constituendae noch immer an sich behalten, gleichwohl, um das Verhaßte dieser Tyrannischen Gewalt zu mildern, viele Popularität affectiert, und in Sachen die das Gouvernement nicht betrafen, sich keiner Vorrechte vor andern Römern seines Standes angemaßt; und endlich, daß Horaz in der Stelle, wovon die Rede ist, aller Wahrscheinlichkeit nach, die vornehmsten Glieder der Gesellschaft nenne, die sich im Hause Mäcens zusammenzufinden pflegte und aus den qualificiertesten Männern und besten Köpfen in Rom bestund, und daß es dem jungen Cäsar, der von Seiten der Sitten und des Geistes sich erst noch eine Reputation zu machen hatte, sehr viel Ehre war, in solcher Gesellschaft zu erscheinen, und unter den Personen, deren Beyfall Horaz ambitionierte, genennt zu werden.
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heit; und daß er nicht anders als mit Mühe, und nach langer Zeit, von sich habe erhalten können, dem Haupte der Partey, für welche die Götter sich erklärt hatten, öffentlich Weyhrauch zu streuen. Ich finde sogar in der d r e y z e h n t e n E p o d e einen Zug, den man für nichts anders als einen, gleichsam wider Willen, seiner Brust entflohenen, aber ziemlich lauten und nicht hofnunglosen Wunsch die Republik wiederhergestellt zu sehen, nehmen kann. Er muntert einen seiner Freunde auf, sich einen fröhlichen Tag mit ihm zu machen, — — rapiamus, amici, 10
occasionem de Die, dumque virent genua Et decet, obducta solvatur fronte senectus. Tu vina Torquato move Consule pressa meo!
Und nun sezt er, gleichsam um allen Einwürfen, die sein Freund von d e m U n g l ü c k d e r Z e i t e n hernehmen könnte, zuvorzukommen, hinzu: C e t e r a mitte loqui! Deus h a e c fortasse benigna r e d u c e t i n s e d e m vice: nunc et Achaemenia Perfundi nardo juvat, et fide Cyllenea levare diris pectora sollicitudinibus.
halbräthselhafte Worte, die in unsers Dichters Munde keinen andern Sinn 20
haben können als diesen: „Schlage dir die politischen Angelegenheiten aus dem Sinne! Kein Wort von unangenehmen Dingen! Vielleicht wendet sich noch das Blat, und ein Gott, der sich auf unsre Seite schlägt, stellt Alles wieder in den vorigen Stand her. Izt, Freund, wollen wir uns reichlich mit Narden salben, und mit Gesang und Sayten den Kummer verjagen, zu dem wir so ungeheure Ursache haben, und der uns doch so wenig helfen würde.“ — In der s i e b e n t e n E p o d e an das Römische Volk, Quo nunc, Scelesti, ruitis? und in der s e c h z e h n t e n , Altera jam teritur bellis civilibus aetas, suis et ipsa Roma ruit viribus,
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macht er den Römern, mit einer Leidenschaft, die nicht wie bloße Poetische Begeistrung klingt, mit der vollen Ergießung eines Herzens, dessen geschwellte Empfindungen alle Dämme der Klugheit durchbrechen, die bittersten Vorwürfe. In beyden ist freylich kein directes Wort gegen den jungen Cäsar; aber auch kein Laut, der die mindeste Affection zu seiner Sache verriethe. In der leztern geht er gar soweit, seine Mitbürger, oder wenigstens den bessern Theil derselben, aufzufodern, nach dem alten Beyspiel der Phocäer *), das dem Verderben geweyhte Rom zu verlassen **) und soweit ihre Füße sie tragen, oder soweit irgend ein Wind sie treiben würde, nach einem neuen Wohnort zu gehen: aber sich auch vorher, wie die Phocäer, durch einen hohen
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Eyd alle Freyheit, jemals wieder zurückzukehren, zu benehmen. Diese ganze Ode ist in einem Geist von Unmuth und Überdruß über den heillosen Zustand der Republik geschrieben, der wahrlich keinen Dichter, der dem Octavius die Cour machen will, verräth! Selbst in der ersten Epode, wo er sich s e i n e m g e l i e b t e n M ä c e n a s mit aller möglichen Wärme der Freundschaft zum Gefährten in die Schlacht bey Actium aufdringt, — ja sogar in der 9ten, wo er eben diesem Freunde seine Freude über den erhaltenen Sieg bezeugt, hat er nicht daran gedacht, eine so natürliche Gelegenheit zu ergreiffen, demjenigen, den dieser Sieg zum Herrn der Welt machte, etwas schmeichelhaftes zu sagen. Kurz, so lange Octavius noch als e i n b l o ß e r U s u r p a t o r angesehen
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werden konnte, blieb Horaz dem was er in bessern Zeiten gewesen war getreu; und erst, nachdem Jener alle triumviralische Gewalt dem Römischen Senat und Volke feyerlich zurükgegeben hatte, aber von allen Ständen des nach Ruhe lechzenden Roms mit der wärmsten Schwärmerey erbeten worden war, eine rechtmäßige Gewalt aus ihren Händen wieder anzunehmen — vereinigt er in der z w e y t e n Ode des e r s t e n Buchs seine Stimme mit der allgemeinen, um den neuen August als denjenigen anzuerkennen, den die Götter ausersehen hätten, die Welt für soviel erlittenes Elend zu trösten, und beschließt, wie von der epidemischen Liebesschwärmerey der Römer mit ergriffen, mit diesen im Original so schönen Strophen: *)
Als sie ihr Vaterland auf ewig verließen, und nach Gallien zogen, wo sie die Stifter der so
lange blühenden Republik M a s s i l i a wurden, deren Stelle das heutige Marseille einnimmt. **)
Eamus o m n i s exsecrata civitas Aut p a r s indocili m e l i o r grege: mollis et exspes inominata perprimat cubilia, etc.
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Möchtest du doch späte gen Himmel wiederkehren, lange fröhlich verweilen bey Quirinus Volke! Daß du nicht, von unsern Lastern beleidigt, schnell uns entschwindest!
Laß dir hier vielmehr die hohen Triumphe, Laß, uns Vater und Fürst zu heissen, lieber dir gefallen —
Von diesem Zeitpunct an finden sich in den drey ersten Odenbüchern noch einige wenige, worinn des Augusts auf eine ehrenvolle Art gedacht ist, aber 10
nicht eine einzige, die geradezu an ihn selbst gerichtet wäre, oder als ein Lobgesang auf ihn angesehen werden könnte. Denn daß die z w ö l f t e im ersten Buche ad Augustum überschrieben ist, daran ist Horaz eben so unschuldig, als daß die v i e r z e h n t e eben dieses Buchs in einigen Ausgaben die unverständige Aufschrift in Brutum bellum civile parantem führt. Diese zwölfte Ode ist eigentlich nichts als eine lange Aufzählung vieler theils Mythologischer theils Alt-Römischer Helden, die er alle gern auf einmal besingen möchte, und eben darum keinen besingt. Er nennt den R e g u l u s , die S c a u r e n , den A e m i l i u s Paulus, den F a b r i c i u s und C u r i u s u. s. w. und endigt endlich mit dem Complimente:
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— micat inter omnes J u l i u m S i d u s , velut inter ignes Luna minores.
Aber alles, was er in den drey folgenden Strophen, die an den Vater der Götter gerichtet sind, hinzusezt, ist die Nachricht: daß die Regierung des Olympus und des Erdkreises zwischen ihm und August getheilt sey, und d i e s e r , sofern er noch die Parther, Indier und Serer unterworfen haben werde, n u r n a c h J u p i t e r n d e r z w e y t e , die ganze weite Welt regieren werde. Te minor latum reget aequus orbem.
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Dies war vielmehr eine T h a t s a c h e als eine Schmeicheley; und die ganze Ode verliert, denke ich, einen guten Theil dessen was sie dem August hätte angenehm machen können, durch die U n g e w i s h e i t des Dichters, w e n e r b e s i n g e n s o l l , und durch die kühne Stelle: — — an quietum Pompili regnum memorem, a n s u p e r b i Ta r q u i n i f a s c e s , an Catonis nobile lethum?
Überhaupt hat diese Ode, ungeachtet des schönen Pindarischen Schwungs womit sie sich anhebt, ziemlich die Mine, als ob sie den E n t s c h u l d i g u n g e n
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zur Beylage dienen sollte, die er in der s e c h s t e n des E r s t e n Buchs dem großen A g r i p p a , und in der z w ö l f t e n des Z w e y t e n Buchs dem M ä c e n a s , über sein vorgebliches U n v e r m ö g e n die Thaten Cäsar Augusts würdig zu singen, macht: — Entschuldigungen, die allem Ansehen nach e i n e g e g e b n e Ve r a n l a s s u n g gehabt haben, und mit denenjenigen völlig einerley sind, womit er in gegenwärtiger Epistel den Augustus selbst abfindet. Die wahre Ursache lag weder in dem Unvermögen noch in der Trägheit des Dichters, noch in dem frivolen Vorwande, *) den er sich nicht scheute einem Manne wie Agrippa vorzugeben — Nos convivia, nos proelia virginum
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sectis in juvenes unguibus acrium cantamus, —
sondern in dem Gefühl, daß es sich nicht für ihn schicke, den Thaten des Mannes Lob zu singen, gegen den er, als gegen den Unterdrücker der Römischen Freyheit, einst gefochten hatte, und von dessen Händen alle aqua *)
Etwas Politik mochte doch wohl dabey seyn, wenn er durch diese Affectation von Frivolität,
und den Beysaz, — Vacui, sive, quid urimur, Non praeter solitum leves, bey Agrippa lieber für einen leichtsinnigen, arglosen und bloß seinem Vergnügen nachhängenden Flattergeist, als für einen M i ß v e r g n ü g t e n passieren wollte.
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lustralis in der Welt das Blut eines Brutus und Cassius und so vieler andrer Edler Römer, die als Opfer seiner Herschsucht gefallen waren, nicht abwaschen konnte. Es würde Unsinn gewesen seyn, solche Gesinnungen ö f f e n t l i c h und g e r a d e z u von sich zu geben: aber er ließ doch bey jeder Gelegenheit, sogar den ansehnlichsten Männern des Staats, mehr davon merken, als er gethan haben würde, wenn seine Gesinnungen über diesen Punct weniger h a b i t u e l l gewesen wären, und ihre Lebhaftigkeit ihn nicht zuweilen über die Grenzen einer furchtsamen Klugheit fortgerissen hätte. Proben hiervon glaube ich insonderheit in der schönen Ode an den Consularen A s i n i u s P o l 10
l i o (der e r s t e n im zweyten Buche) zu sehen, wo er von dem lezten Triumvirat und den daher entstandnen Bürgerkriegen, deren Geschichte Pollio zu schreiben im Begriff war, in einem Tone spricht, der gewiß keinen Cäsarianer verräth; und wo diese einzige Strophe, Audire magnos iam videor Duces non indecoro pulvere sordidos, et cuncta terrarum subacta praeter atrocem animum Catonis
das schönste Denkmal werth ist, welches dem unbezwingbarn C a t o , und den übrigen edeln Männern, die für die Freyheit bluteten, gesezt werden konnte. 20
Man begreift leicht, daß unser Dichter — bey so warmen und wenig verheelten Gesinnungen für die Verfechter der alten guten Sache, und bey so vieler Kälte für denjenigen, dem seine Verbrechen und das Schicksal die Oberhand gegeben hatten, — alle seine Amönität im Umgang, alle seine Talente, und alle Freundschaft des Mäcenas, die er dadurch gewonnen, nöthig hatte, um nicht auf eine oder andre Art in den Verdacht einer geheimen Abneigung gegen die neue Staatsverfassung zu fallen. Aber man begreift auch, wie nöthig ihm die Entfernung vom geschäftigen Leben und von Rom, die Einsamkeit in seinem Sabinum, und die Gleichgültigkeit gegen ein grösseres Glük war, und die Bereitwilligkeit, auch das wenige was er hatte fahren zu lassen, die er dem
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Mäcen so oft bezeugt, und die er besonders in der 29sten Ode des dritten Buches, mit der Wärme und Wahrheit eines Mannes, der so große Beyspiele des Unbestands der menschlichen Dinge erlebt hatte, in diesen Strophen ausdrükt:
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Fortuna, saevo laeta negotio, et ludum insolentem ludere pertinax, transmittit incertos honores, nunc mihi, nunc alii benigna.
Laudo manentem: si celeres quatit pennas, resigno quae dedit, et mea virtute me involvo, probamque pauperiem sine dote quaero.
Man wird sich schwerlich irren, wenn man in dieser Denkart und Gemüthsverfassung unsers Dichters den wahren Grund sucht, warum er den Antrag,
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den ihm August durch den Mäcenas thun ließ, in seine Dienste zu treten und die Besorgung seiner Privat-Correspondenz zu übernehmen, *) — unter dem *)
Augustus ei epistolarum officium obtulit, ut hoc ad Maecenatem scripto significat: Ante
ipse sufficiebam scribendis Epistolis Amicorum: nunc occupatissimus et infirmus, Horatium nostrum te cupio adducere. Veniet igitur ab ista p a r a s i t i c a m e n s a ad hanc r e g i a m , et nos in epistolis scribendis adjuvabit. S u e t o n . in Vita Horat. Man kann nicht wohl bestimmen, wann dem Horaz dieser Antrag gethan worden; es ist aber zu vermuthen, daß es bald nach der Zeit, wo der Erbe Cäsars mit dem gloriosen Namen A u g u s t u s beehrt worden, etwa um das Jahr 729. geschehen seyn möchte. Es ist nicht zu bergen daß der Ausdruck — „Laß ihn also von jener (nehmlich deiner) Parasitischen Tafel an d i e s e K ö n i g l i c h e übergehen“ — die ganze Sache
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verdächtig machen könnte, wenn man sich erinnert, daß Octavius, ehe ihm das Prädicat A u g u s t u s beygelegt wurde, von dem Gedanken, sich R o m u l u s nennen zu lassen, bloß deswegen abgestanden, weil er wahrgenommen, wie sehr er den Römern durch einen Namen, wodurch er die ihnen so verhaßte K ö n i g l i c h e W ü r d e zu affectieren schien, mißfallen würde. ( D i o n . L. 53.) Was für eine Wahrscheinlichkeit, daß August seinen Tisch einen K ö n i g l i c h e n genennt habe; er, der durch ein Edict verbot, ihm nur den Namen Dominus zu geben, und nicht einmal von seinen Enkeln und adoptierten Söhnen sich, weder im Scherz noch Ernst, Herr nennen ließ? ( S u e t o n . Aug. c. 53.) Gleichwohl dünkt mich nicht, daß die Authenticität des von Sueton angezognen Briefes deswegen zu bezweifeln sey; und August, der mit Mäcenas immer zu scherzen und zu witzeln gewohnt war, könnte sich, bey aller seiner Vorsichtigkeit, dieses Ausdruks doch wohl zum Scherz, und um durch die mensa r e g i a eine Antithese mit der parasitica zu machen, bedient haben, zumal in einem Handbriefchen an einen Vertrauten, wovon er sich gewiß nicht vorstellte, daß es jemals in fremde Hände fallen, oder doch gewiß war, daß es bey seinem Leben nicht unter die Leute kommen würde. Daß Sueton eine ganze Sammlung von Familiar-Briefen des Augusts (die vielleicht in der Bibliotheca Palatina verwahrt wurden) in Händen gehabt, ist aus seinem Leben dieses Prinzen zu schliessen — und der Brief, von welchem hier die Rede ist, wird noch, zum Überfluß, durch einen andern a n H o r a z s e l b s t bestätigt, welchen S u e t o n im
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Vorwand seiner schlechten Gesundheitsumstände von sich abgelehnt. Ich glaube nicht daß man einen stärkern Beweis verlangen kann, daß Horaz weder von seinen Zeitgenossen noch von der Nachwelt so nahe bey der Person des Unterdrückers seiner ehmaligen Partey und der ganzen Republik gesehen seyn wollte; und daß es ihm weder an Muth fehlte, die Gefahr zu untergehen dem August mißfällig und verdächtig zu werden, noch an Tugend, eine Stelle auszuschlagen, die ihm, aller Wahrscheinlichkeit nach, Ansehen, Einfluß, und Gelegenheit seine Glücksumstände unendlichmal glänzender zu machen, verschaft haben würde. Denn daß er keine bessere Bewegursache zu seiner Wei10
gerung gehabt haben sollte als Liebe zu Bequemlichkeit und Müßiggang, wird sich Niemand einfallen lassen, der seinen Charakter mit einiger Aufmerksamkeit in seinen Werken studiert hat, und der selbst edel genug ist, um gegen einen edeln Menschen gerecht seyn zu können. Wessen Wünsche nicht über den Mittelstand zwischen Überfluß und Dürftigkeit — das Nothwendige eines Ehrenmannes — hinausgehen, der kann freylich bey dieser seiner Denkart sehr glücklich seyn; aber Niemand, in dessen Willkühr die Mittel zu Reichthum und Ansehen zu gelangen gestellt werden, h a t diese Denkart, wenn er kein besseres Principium seines Thuns und Lassens in sich trägt, als Trägheit und Wollust.
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August merkte ohne Zweifel Horazens wahren Beweggrund; aber er hatte sich, seitdem er die Römische Welt in Ruhe und allein beherrschte, zum unverbrüchlichen Gesez gemacht, in allem was sein Privatleben betraf, sich nichts über andere Römer herauszunehmen, und die Freyheit der einzelnen Glieder zu respectieren, damit der Halfter, den er dem ganzen Staat angelegt, weniger gefühlt werden möchte. Einem Antrag von d e r Art, wie er dem Horaz gethan, einem Tiberius oder Domitian abzuschlagen, möchte gefährlich gewesen seyn: August hingegen nahm die Entschuldigungen des Dichters nicht nur gut auf, sondern affectierte noch, von dieser Zeit an, ihm mehr als jemals Merkmale seiner Achtung zu geben. Je weiter sich Horaz in ehrerbie-
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tige Entfernung zurückzog, je verbindlicher und beynahe aufdringender wurde August: es war als fehlte ihm etwas zur völligen Befriedigung die ihm seine Größe geben sollte, wenn er nicht auch das Herz dieses sonderbaren Menfolgenden excerpiert hat. Was für ein Interesse hätte jemand haben können, diese Briefe zu erdichten? Oder würde zu Suetons Zeiten der Betrug nicht schon offenbar gewesen seyn?
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schen gewinnen könnte, der, unter dem äußern Ansehen eines Man of Wit and Pleasure, Gesinnungen und Tugenden in seinem Herzen trug, die mit dem Stempel der erhabnen Freunde seiner Jugend bezeichnet waren, und ihn beßrer Zeiten würdig machten. August hatte so manchen hitzigen ehmaligen Pompejaner geschmeidig zu machen gewußt, und Horaz allein sollte nicht zu einem warmen und eifrigen Anhänger seiner Person und Regierung verführt werden können? — Die drey kleinen Handbriefe, wovon uns Sueton Auszüge erhalten hat, beweisen augenscheinlich, daß Augusten dieser Punct nicht gleichgültig war. Er sezt immer wieder an, versucht es bald im affectuosen bald im scherzhaften Ton, und, da nichts verfangen wollte, endlich mit einer
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Art von Empfindlichkeit, die dem Dichter keinen Ausweg mehr übrig ließ. — „Glaube doch, schreibt er ihm, daß du dir eben soviel Recht bey mir herausnehmen kannst, als ob du wirklich einer meiner Commensalen wärest; du weist, wie gerne ich mir dies Verhältniß mit dir hätte geben wollen, wofern es deine Gesundheits-Umstände zuließen“ *). — Einige Zeit hernach scheint er ihm, unter einer scherzhaften Wendung, zu verstehen zu geben, daß er seine vorgeschüzte Entschuldigung für das nehme was sie war, — „Wie wohl du in meinem Andenken stehest, kannst du auch von unserm gemeinschaftlichen Freunde S e p t i m i u s vernehmen, in dessen Gegenwart ich Gelegenheit fand deiner zu erwähnen; denn du must nicht glauben, weil du stolz genug gewesen
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bist unsre Freundschaft zu verachten, daß wir deswegen aus gerechter Rache auch eben so stolzerhaben über dich hinwegsehen. **) “ Dieser Brief scheint während dem Aufenthalt Augusts in Spanien im Jahre 729. geschrieben zu seyn. Der Stich war scharf genug; es scheint aber nicht daß er bey Horaz mehr gewürkt habe, als, ihm etwa die v i e r z e h n t e O d e im d r i t t e n Buche abzunöthigen, worin er die Römer zur Freude über die bevorstehende siegreiche Zurückkunft ihres Fürsten von dem Feldzuge gegen die Asturier und Biscayer auffodert. August hatte während desselben eine beschwerliche Krankheit aus*)
Sume tibi aliquid juris apud me, tanquam si convictor mihi fueris; quoniam id usus mihi
tecum esse volui, si per valetudinem tuam f i e r i p o s s i t . S u e t o n . l. c. Die lezten Worte geben deutlich zu verstehen, daß er ihm die Pforte noch immer offen lassen wollte. **)
Tui qualem habeam memoriam poteris ex Septimio quoque nostro audire; nam incidit ut
coram illo fieret à me tui mentio. Neque enim si Tu superbus amicitiam nostram sprevisti, ideo Nos quoque antyperhfanoymen. I b i d . Zehn teutsche Worte reichen noch nicht zu, den komischen Nachdruk dieses lezten griechischen Wortes auszudrücken.
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gestanden, und war in Rom sogar todt gesagt worden. Die ängstlichen Bewegungen die dieses Gerüchte unter dem Volke verbreitete, und die Beweise, die August bey dieser Gelegenheit von der Zuneigung der Römer erhielt, gaben dem Dichter die natürlichste Gelegenheit zu rührenden Gemälden; und in welch ein schönes Licht konnte er, ohne sich den mindesten Vorwurf von Schmeicheley und Übertreibung zuzuziehen, das Bild des Fürsten stellen? *) Aber Horaz konnte sich nicht überwinden, den Dichter auf Unkosten seines Herzens zu machen; oder vielmehr sein Herz hatte so wenig Antheil an dieser Ode, daß er sogar weit unter der historischen Wahrheit blieb. Was kann fro10
stiger seyn als dieser Anfang: Herculis ritu modo dictus, o P l e b s , morte venalem petiisse laurum Caesar, Hispanà repetit Penates Victor ab ora ˆ.
Und das ist alles, was er über einen, auch bloß aus Poetischem Gesichtspunkt betrachtet, so interessanten Gegenstand zu sagen hatte! Fehlte es ihm an Fähigkeit? Dies wird sich niemand, der ihn kennt, einfallen lassen. Es fehlte ihm also bloß am Willen. — In der ganzen Ode ist ausser der kalten und zwangsvollen Anrede an den Römischen P ö b e l , nichts, das einem Compliment für 20
August ähnlich sähe, als die vierte Strophe Hic dies, vere mihi festus, atras eximet curas: e g o n e c t u m u l t u m nec mori per vim metuam, tenente Caesare terras.
Deutlicher und bestimmter hätte Horaz die einzige Ursache, warum er und alle übrige ehemalige Verfechter der Republik sich bey ihrem itzigen Zustan*)
Der Verfasser der Memoires de la Cour d’Auguste meynt, es sey bey d i e s e r Gelegenheit,
daß Horaz die schöne Ode Divis Orte Bonis (die 5te im v i e r t e n Buche) gesungen habe. Es ist aber in der Ode selbst kein Wort zu finden, daß sich auf d i e s e Gelegenheit besonders bezöge; und man 30
hat hingegen sehr guten Grund zu glauben, daß sie, mehrere Jahre später, nehmlich vor Augusts Zurückkunft von seiner im Jahre 736. nach Gallien gethanen Reise, geschrieben worden.
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de b e r u h i g t e n , schwerlich angeben können — aber war das genug, ich will nicht sagen für den H ö f l i n g , sondern nur für den D i c h t e r , der mit einem weniger widerspenstigen Herzen soviel Schönes über diesen Punct sagen konnte? — anstatt daß er beynahe die Hälfte der Ode dazu verwendet, seinem Bedienten zu befehlen, daß er Zurüstungen zu einem Abendschmaus mache, und die Sängerin Neära hohle, wenn sie anders nicht schon besprochen sey. Und wer sollte denken, daß er sogar in diesem nämlichen Stück, in einer Ode auf Augusts Zurükkunft — aus der andern Welt, wohin ihn das Gerüchte schon versezt hatte, Gelegenheit finden würde, sich d e s J a h r e s , w o r i n n e r d i e Wa f f e n g e g e n A u g u s t g e t r a g e n , mit einer gewissen E x u l t a t i o n zu
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erinnern? — „Wenn dich Neärens Thürhüter nicht vorlassen will, sagt er, so geh und laß es gut seyn. In meinem Alter vergeht die Lust zu muthwilligen Händeln. So was hätt ich freylich nicht gelitten, da ich u n t e r d e m C o n s u l P l a n c u s (im Jahr 712) noch im vollen Feuer der Jugend stund!“ — Vermuthlich war diese Ode nicht für Augusts Augen bestimmt; oder, wenn sie ihm je zu Gesicht kam, so konnte er sie doch wohl schwerlich für eine besondere Probe von Horazens Ergebenheit gegen seine Person aufnehmen. Man erlaube mir — weil der Punct den ich hier abhandle doch einen sehr wesentlichen Zug des noch nicht genug gekannten, oder vielmehr durch die vorgefaßten Meynungen der Ausleger in ein ganz falsches Licht gesezten Cha-
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rakters unsers Dichters betrift — diesen Beyspielen von seiner wahren Gesinnung gegen August nur noch diese einzige Betrachtung beyzufügen. Beynahe in allen seinen Gedichten schwimmt Horaz g e g e n d e n S t r o m s e i n e r Z e i t . Bey aller Gelegenheit, und selbst in eigenen dazu bestimmten Stücken, bestraft er ihre Verdorbenheit, ihren ausschweifenden Luxus, ihre Ausartung von den Gesinnungen und Tugenden ihrer Vorfahren. Nie wird er wärmer, nie ist er erhabner, als wenn ihn der Gedanke an die e h m a l i g e n g r o ß e n M ä n n e r der freyen Republik, die Erinnerung dessen was Rom g e w e s e n war, das Herz aufschwellt. Sogar in Stücken, die sich mit einem k a l t e n , z w e y d e u t i g e n , oder h y p e r b o l i s c h e n Lob des Augusts anfangen oder enden, überläßt er sich dieser N e i g u n g s e i n e s
*)
Herzens*)
so wie es immer in den
Man sehe, unter andern, nur die f ü n f t e O d e im 3ten Buch, wo er, nachdem er (als ein
guter Bürger, der nicht, wo es zu nichts helfen kann, den Non-Conformisten machen will) der neuen D i v i n i t ä t des Augusts mit zwey Zeilen den schuldigen Weyhrauch gestreut, sich sobald
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Stücken an Mäcenas ist, wo er seine Liebe zur Freyheit, seine Gleichgültigkeit gegen ein Glük, das von der Meynung Andrer abhängt, und seine Zufriedenheit mit einer Armuth, worinn er sich noch immer ü b e r s e i n e W ü n s c h e reich befand, *) am lebhaftesten ausdrükt. Und dies waren nicht etwann nur Gesinnungen, womit er in Gedichten P a r a d e m a c h t e : so war er, so lebte er, und man müßte vorsezlich ungerecht gegen ihn seyn, wenn man dies länger verkennen wollte. Glauben wir aber, daß Horaz auch d a d u r c h dem August Cour zu machen vermeynt habe? Glauben wir, daß er, der die Welt und das menschliche Herz so gut kannte, einfältig genug gewesen sey, sich durch die 10
anscheinenden Bemühungen dieses schlauen Fürsten um die Verbesserung der Römischen Sitten, t ä u s c h e n z u l a s s e n ? Oder können wir uns einbilden, August habe an dem altrömischen Geist, der so häufig aus den Werken unsers Dichters hervorblizt, ein wahres Wohlgefallen finden, und denjenigen für einen Freund seiner Regierung halten können, der seine republicanischen Gesinnungen so wenig verbirgt, und so oft deutlich genug zu verstehen giebt, daß nur die gerechte Furcht vor noch größern Übeln ihn nöthige, den gegenwärtigen Zustand für ein Gut zu halten. Indessen beobachtete der Dichter doch d a s D e c o r u m gut genug, um einem Prinzen, der die Welt durch eine milde und wohlthätige Regierung
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gleichsam mit sich aussöhnen wollte, keine Ursache zu geben, bey ihm eine Ausnahme zu machen; und August mußte, natürlicher Weise, unter den Sorgen des Staats, und unter den unzählichen und fast grenzenlosen Beweisen von Unterwürfigkeit und Anbetung, die er von allen Seiten und aus allen Enden der Welt erhielt, einen einzelnen, in der Masse des Ganzen so wenig bedeutenden Menschen öfters aus den Augen verlieren. Allein er verlohr ihn doch nicht ganz; und es konnte ihm weder an Gelegenheit fehlen, die wenige Beeiferung unsers Dichters, sich Verdienste bey ihm zu machen, wahrzunehmen, noch an Ursache, empfindlich darüber zu seyn. Diese Empfindlichkeit, — die er in seinem lezten, vom Sueton angeführten, Billiet an Horaz zwar
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möglich von ihm wegwendet, um beynahe die ganze Ode mit dem grossen Bilde der Tugend und freywilligen Aufopferung des R e g u l u s auszufüllen. *)
Hoc erat in votis, modus agri non ita magnus &c. — — Auctius atque Dii melius fecere. Bene est, nihil amplius ore &c.
S e r m . II. 6.
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in einem scherzhaften Ton, aber doch lebhaft genug geäußert hatte, um erwarten zu können, daß Horaz den Stich fühlen würde, — konnte nicht anders als zunehmen, da er aus der Abschrift der sämtlichen damals vorhandenen Werke des Dichters, die dieser ihm durch den Vinius Asella *) auf Begehren überreichen ließ, ersehen hatte, wie wenig die Horazische Muse noch für ihn gethan. Unter so vielen Sermonen, so vielen Episteln k e i n e e i n z i g e — a n A u g u s t . Unter so vielen Oden — nur so wenige, wo er, wie gezwungen und mit abgewandtem Gesicht, im Vorbeygehen ein paar Weyhrauchkörner auf seinen Altar wirft! Kein einziges Werk, dem Ruhm des Imperators und der Verherrlichung seiner Zeiten gewidmet wenigstens keines, das zugleich seiner
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und des Dichters würdig, und Leben genug zu haben schien, die Nachwelt zu erreichen! Dies war mehr als die Eitelkeit Augusts ertragen konnte. Er wurde im Ernst ungehalten, und in der ersten Bewegung seines Unwillens entfuhr ihm das oben aus dem Sueton angeführte Handbriefchen, worinn er dem Dichter näher auf den Leib rükt, und ihn in die Nothwendigkeit sezt, entweder sein Betragen zu ändern, oder stillschweigend einzugestehen, daß August die wahre Ursache desselben errathen habe. Mich dünkt, diese auf lauter Thatsachen gegründete Darstellung mache sehr begreiflich, daß August, unter diesen Umständen, und mit einem Temperament, das ihn von seinen ersten Bewegungen nicht immer Meister seyn
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ließ, gar wohl fähig gewesen sey, sich eines Ausdrucks zu bedienen, der, so auffallend er auch klingt, doch das kürzeste und unfehlbarste Mittel war, seinen Zweck bey Horazen zu erhalten. Die Ächtheit des mehr erwähnten Handschreibens kann also dieses Ausdruks wegen mit keinem hinlänglichen Grunde angefochten werden, und es ist gar nicht zu zweifeln, daß die g e f ä h r l i c h e Frage, an vereris ne apud posteros i n f a m e sit, quod videaris familiaris nobis esse, dem guten Dichter die etwas hochgetriebne Complimente in der gegenwärtigen Epistel, und in einigen Oden des vierten Buchs (die erst nach dieser Zeit geschrieben sind) abgedrungen habe. — Es würde ihm, auch ohne einen andern Beweggrund als diesen, nicht zu verdenken seyn, daß ers mit einem Fürsten nicht aufs äusserste treiben wollen, dessen angenommener sanfter und leutseliger Charakter, in den Augen derjenigen, die ihn in den Zeiten der P r o s c r i p t i o n e n gekannt hatten, nicht n a t ü r l i c h g e n u g *)
S. den d r e y z e h n t e n Brief im Ersten Theile.
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scheinen konnte, um sie immer vor dem heimlichen Grauen zu bewahren, womit man die Liebkosungen eines zahmgemachten Wolfs erwiedert. Doch, wir wollen nicht ungerecht gegen Augusten seyn, der die Infamie der ersten zwölf Jahre seines Lebens, durch eine beynahe viermal so lange milde und ruhmwürdige Regierung so reichlich zu vergüten, und beynahe auszulöschen gewußt hat. Mit jedem Jahre wurde ihm die schöne Rolle, die er spielte, natürlicher; mit jedem Jahre vermehrten sich seine Verdienste um Rom, dessen zweyter Stifter er gewissermaßen war, und welches ihm immer lieber wurde, je mehr er Recht erlangte, es als sein eigen Werk anzusehen. Horaz — 10
der, als Augenzeuge aller dieser so großen, so schnellen, so wunderbaren Veränderungen, d e r I l l u s i o n d e s M o m e n t s doch wohl nicht immer widerstehen konnte — müßte nicht das Herz eines Dichters gehabt haben, um nicht zuweilen von seinem gegenwärtigen Gefühl hingerissen zu werden, nicht wenigstens auf einige Augenblicke das Vergangne zu vergessen, und in Augusten nur den Wiederhersteller der öffentlichen Sicherheit und Ruhe, nur den wohlthätigen Genius eines unter ihm wieder aufblühenden neuen Zeitalters, zu sehen. In solchen Augenblicken von Wärme konnte er, ohne den Vorwurf einer kaltblütigen Schmeicheley zu verdienen, von ihm singen, *) Quo nihil majus meliusve terris Fata donavere bonique Divi,
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Nec dabunt, quamvis redeant in aurum Tempora priscum.
In einem solchen Augenblik konnte er wohl in diese affectuose Anrede ausbrechen: **) Quae cura Patrum quaeve Quiritium, Plenis honorum muneribus Tuas, A u g u s t e , virtutes in aevum per titulos memoresque fastos aeternet? —
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*) **)
Carm. IV. 2. L. IV. 14.
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Indessen bestehen doch die Oden an August, die man die schmeichelhaftesten im V i e r t e n B u c h e nennen könnte, die f ü n f t e , und f u n f z e h n t e , im Grunde bloß in einer historischwahren Aufzählung aller der Vortheile, welche die Welt unter der neuen Regierung würklich genoß; und, wenn man sie auch als a b g e n ö t h i g t e Loblieder ansehen wollte, so müste man doch gestehen, daß Horaz das, was er Augusten nicht länger verweigern konnte, mit dem, was er seinem eignen Charakter schuldig war, sehr gut zu vereinigen wußte. Die gegenwärtige Epistel scheint also würklich auf die von Sueton angegebne Veranlassung geschrieben zu seyn, und wir haben nun, däucht mich, den
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Gesichtspunkt, woraus sie betrachtet werden muß. August, — der bey aller seiner Eitelkeit Verstand genug hatte, zu sehen, wie unendlichmal mehr Glanz der Beyfall der vorzüglichsten Geister seiner Zeit ihm bey der Nachwelt geben würde, als alle Ehrenbezeugungen, deren unermüdete Erfindung beynahe das einzige Geschäfte des Senats war — August wollte, daß Horaz wenigstens Eines seiner größern Werke unmittelbar an Ihn richten sollte: und der Dichter, der sich dieser Pflicht nicht länger entziehen konnte, fühlte ohne Zweifel die ganze Schwierigkeit und Delicatesse einer solchen Unternehmung. Er sollte ein Werk hervorbringen, das A u g u s t s würdig, aber S e i n e r s e l b s t nicht unwürdig, für J e n e n nicht zu klein, für I h n nicht zu groß, kurz, das so
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beschaffen wäre, daß der Imperator zufrieden seyn könnte, ohne daß Horaz sich dadurch weder vor sich selbst noch vor der Nachwelt mehr, als er verantworten könnte, auflasten müßte. Das Süjet mußte eben so unverfänglich, als interessant, und dabey fähig seyn, in der M a n i e r seiner Sermonen und Episteln, mit der ihm eignen L a u n e , behandelt zu werden. Es muste ihm eine Mannigfaltigkeit von Sachen darbieten, die sich in ein schönes Ganzes verarbeiten liessen; die den erhabnen Leser, dem es besonders gewidmet war, unterrichteten, indem sie ihn bloß zu unterhalten schienen; und die zugleich dem Dichter Gelegenheit gäben, seine Eitelkeit auf eine so feine Art zu kitzeln, daß die Annehmlichkeit des Ve h i c u l u m s die darein gemischte Medicin unmerklich machte. Horaz hätte schwerlich ein Süjet wählen können, das alle diese Eigenschaften so vollkommen in sich vereinigt, und zugleich der von ihm selbst gegebnen Regel
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Sumite materiam vestris qui scribitis aequam viribus —
besser entsprochen hätte, als dasjenige, das er in diesem poetischen Discurs ausgeführt hat. August, der in seiner ersten Jugend v o n Griechen und u n t e r Griechen erzogen worden war, und in dem unermeßlichen Wirbel von Geschäften und Zerstreuungen, worinn er sich seit seinem neunzehnten Jahre herumtrieb, wenig Zeit gehabt hatte, sich mit der R ö m i s c h e n L i t t e r a t u r genauer bekannt zu machen, konnte nicht anders als Vergnügen daran finden, daß ihm von einem so zuverläßigen Kenner als Horaz die Geschichte dersel10
ben in einem einzigen leicht zu übersehenden Gemählde dargestellt, und zugleich die Ursachen angezeigt wurden, warum die Römer in den verschiedenen Fächern der Poetischen Kunst noch soweit hinter den Griechen zurükgeblieben. Horaz erhielt dadurch Gelegenheit dem August die Dichtkunst in ihrem wahren Lichte, in ihrem Verhältniß zur Kultur und Einfluß auf die Sitten der Nation zu zeigen, und ihm begreiflich zu machen, daß der Zustand des Geschmacks in den Musenkünsten dem Beherrscher eines Staats, auch bloß um seiner eignen Ehre willen, nicht ganz gleichgültig seyn dürfe. In dieser Rüksicht kan man sagen, daß dieser Brief a n a l l e A u g u s t e , so wie der siebente im ersten Buch, a n a l l e M ä c e n e der folgenden Zeiten geschrieben
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sey. Er konnte sich über diesen Punct um so anständiger erklären, da er, theils aus Bescheidenheit und Lebensart, theils um seinen am Schlusse dieser Epistel auf eine gar ungezwungne Art angebrachten Entschuldigungen nicht selbst die Kraft zu benehmen, sich gar nicht die Mine giebt, als ob er, für seinen eignen Theil, sonderlich bey der Sache interessiert wäre. Was B l a c k w e l l in seinem schon mehrmals angezognen Werke von den Schriften unsers Dichters überhaupt sagt: „daß die Kunst in seinen Planen zu fein sey und zu verstekt liege, um von dem gemeinen Mann in der gelehrten Welt wahrgenommen zu werden“ *) — das gilt ganz vorzüglich von dem gegenwärtigen Stücke, worinne der Dichter seinen Plan und die besondern Absich-
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ten desselben, durch die Laune des Vortrags, und die ungemein feinen und leisen Übergänge, gar meisterlich zu verbergen gewußt hat. Daß aber darum nicht weniger überdachter und zwekmäsiger Zusammenhang im Ganzen sey, *)
Memoir. de la Cour d’Auguste Vol. II. p. 460.
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wird durch folgende kurze Exposition jedem sichtbar werden. Wer sodann diesen Grundriß, der gleichsam nur den Knochenbau des Ganzen darstellt, mit dem Werke selbst vergleichen will: wird ein für seinen Geschmak nicht unnüzliches Studium machen, wenn er mit eignen Augen forschen wird — wie der Dichter dieses Knochengebäude mit Muskeln bekleidet, wie symmetrisch er alle Theile zusammenordnet, wie schiklich und ungezwungen alles zusammenhängt, in welchen leichten, anmuthigen Schwüngen die Übergänge dahinfließen, und durch wie feine Bande die vivida vis animi alle Elemente und Glieder in Ein lebendiges Ganzes zusammenwebt. Nach einer kurzen Anrede, worinn er einen eben so ehrerbietigen als un-
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verwerflichen Grund angiebt, warum er e i n z u g u t e r B ü r g e r sey, um den August mit einem langen Discurse zu belästigen — fängt er mit der Bemerkung an: daß die größten und um das menschliche Geschlecht verdientesten Helden des Alterthums erst von der Nachwelt an ihren verdienten Plaz gestellet worden, bey ihrem Leben hingegen nichts als Neid und Undank erfahren hätten. „Du allein, August, fährt er fort, machst hievon die Ausnahme; wir setzen dir schon bey deinem Leben die Altäre, bey denen, wenn du einst, wie jene Heroen, unter die vergötterten Menschen aufgenommen seyn wirst, unsre Nachkommen schwören werden, und wir bekennen dadurch, daß die Welt deinesgleichen nie gesehen hat. In diesem Stücke, ich gestehe es, urtheilt dein
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Volk gerecht und billig; aber — sobald die Rede von Werken unsrer Zeit, von iztlebenden Verfassern ist, wird es ungerecht, weicht von jener Regel ab, und will nichts für gut gelten lassen, was nicht mit dem Rost des Alterthums überzogen ist.“ Dies lezte war es eigentlich womit Horaz seinen Discours anfangen wollte. Aber wie geschikt hat er es so zu wenden gewußt, daß er, ohne daß man errathen kann wo er hinaus will, von R o m u l u s und L i b e r P a t e r anfängt; und wie fein hat er sogar von der Ungerechtigkeit der Römer gegen die Dichter ihrer Zeit Gelegenheit zu nehmen gewußt, dem August eine Schmeicheley zu sagen, die so arg ist, daß jeder andrer als — Er, dem nicht leicht zu grob geschmeichelt werden konnte, sie für — Spott aufgenommen hätte! Nachdem er das Lächerliche der Vorneigung der Römer für ihre alte Litteratur im Allgemeinen mit vieler Laune durchgezogen, geht er ihre ältern Dichter d. i. alle die noch vor Anfang seines Jahrhunderts gestorben waren, vom Vater Ennius, ihren angeblichen Homer, an, der Reyhe nach durch, macht einen jeden im
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Vorbeygehen mit Einem Zug kenntlich, wirft ihnen Härte, Mangel an Correctheit und Geschmak vor, und geräth in einen komischen Eifer darüber, daß man für solche Anfänger — nicht Nachsicht, welches billig wäre, sondern Bewunderung fodre. Und warum das? „Der wahre Grund kann freylich nicht in einer Vortreflichkeit liegen, die sie — nicht haben: aber dafür liegt er in einer Eigenschaft des menschlichen Herzens, die den schlimmen Geschmak bey denen, die damit behaftet sind, unheilbar macht — in der natürlichen Eigenliebe, welche macht, daß niemand sich gerne selbst ein Démenti giebt; daß man im Alter nicht leicht über sich erhält, für schlecht zu erkennen was man 10
in der Jugend schön gefunden hat; und daß man sich nicht entbrechen kann einen gewissen Groll auf diejenigen zu werfen, die sich unterstehen, es besser zu machen als diejenige, die wir einmal in Affection genommen haben.“ Gleichwohl, fährt er fort, liegen in den Umständen, in welchen unsre Litteratur angefangen hat, in den Hindernissen, die ihr unsre Verfassung, unsre Sitten, unsre immerwährenden Kriege in den Weg legten, und selbst in unserm National-Charakter sehr wesentliche Ursachen, warum es gar nicht möglich ist, daß sie bis zu der Zeit, die zunächst an die unsrige reicht, große Fortschritte thun, geschweige die Vollkommenheit hätte erreichen können. Wir haben die Griechen, unsre Lehrer und Muster, zu spät kennen gelernt,
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und auch, nachdem wir nach ihnen zu arbeiten angefangen, hat uns unser Feuer, unsre Ungeduld, unsre Scheu vor der Feile, verhindert, ächte We r k e d e r K u n s t hervorzubringen, Werke, die eine Vergleichung mit unsern Mustern aushalten könnten. Dies, ist der Inhalt des großen Stüks dieser Epistel vom 90sten Vers bis zum 167sten des Originals — aber mit welcher geheimen Kunst hat der Dichter, um immer den natürlichen Conversations-Ton, und den Schein eines kunstlosen unstudierten Gangs seiner Gedanken beyzubehalten, das Methodische im Vortrag zu vermeiden gewußt! Ein unvermerkter Übergang — die ganz simple Frage: wenn die Griechen das Neue so gering geachtet hätten wie wir, was
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wäre izt alt? — führt ihn auf d i e G r i e c h e n , als die wahren Erfinder der Musenkünste, und er zeichnet den Charakter ihres Kunst-Genie’s, ihres Geschmaks und ihrer Werke, in acht Versen, mit flüchtiger Hand, aber mit der treffendsten Wahrheit, indem er bloß die Zeitumstände, unter welchen sie sich dem Hang zu ihren Wettspielen und schönen Künsten überliessen, angeben zu wollen scheint. Jedes Wort in diesen acht Versen ist ein bedeutungsvol-
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ler Zug. Mit diesem Bilde der Griechen, welche die Künste als S p i e l e trieben, aber mit der Leidenschaft trieben, womit ein Mädchen seine Puppen oder ein Knabe seine Leibesübungen behandelt, stellt er die alten Römer und die Römer seiner Zeit in einem d o p p e l t e n C o n t r a s t . Unsre Vorfahren, sagt er, hatten von allen diesen Genie-Spielen der Griechen keinen Begriff, oder doch gewiß weder Zeit noch Lust dazu: sie beschäftigten sich, wie Männer, mit ihrem Hauswesen und mit ihrem Glücke; von Innen mit Erhaltung des Gleichgewichts in der Republik; von Aussen mit den Kriegen, die den Umkreis ihrer Macht und ihrer Sorgen immer weiter ausdehnten. Aber izt, fährt er fort, wie plözlich hat sich der Charakter unsers Volks umgekehrt! Ehmals
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hatten wir gar keine Dichter: izt macht die ganze Stadt Verse. Niemand läßt sich einfallen, daß Kunst, Wissenschaft und Studium dazu gehöre; wir sind alle gebohrne Poeten. Unsre Vorfahren waren zu ernsthaft, um Poeterey zu treiben; von uns sollte man denken, wir trieben sie, weil wir vor Alter, wieder kindisch geworden wären. Eine von den natürlichen Folgen einer solchen Epidemischen Versewuth ist diese, daß, auf eine Zeitlang wenigstens, die Kunst selbst verächtlich wird, und die wahren Künstler sich unter der ungeheuren Menge der Prätendenten verliehren, und mit ihnen verächtlich werden. Horaz wollte nicht, daß der Mißbrauch, der von den Musenkünsten zu Rom gemacht wurde, der Kunst selbst
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bey Augusten Schaden thun sollte. Er lenkt also wieder mit einer ganz leichten Wendung auf die andere Seite. „Es ist eine Art von Tollheit um dies Versefieber, womit ganz Rom angestekt ist, sagt er: aber es ist nicht nur eine u n s c h u l d i g e Tollheit, sie hat sogar ihren Nutzen.“ — Und nun scherzt er, in seiner Shandeischen Manier *) über gewisse a n g e b l i c h e n Vortheile, die dem Staat aus der Meng so h a r m l o s e r und u n g e f ä h r l i c h e r Leutchen als die Versemacher seyen, zuwüchsen — und so schlüpft er unvermerkt, ohne den Ton verändern zu müssen, zu den w ü r k l i c h e n Vortheilen über, welche die Dichtkunst der menschlichen Gesellschaft bringt; und von dieser, bey aller Kürze doch sehr vollständigen und richtigen Darstellung, kommt er, so zu sagen, auf die N a t u r g e s c h i c h t e der Poesie oder vielmehr eines ihrer *)
Wiewohl wir ihn deßwegen für keinen N a c h a h m e r von Tr i s t r a m S h a n d y ausgegeben
haben wollen: so wie es auch daraus daß Sterne, weil er 1800 Jahre nach Horaz gekommen ist, nicht folgt, daß er Horazen nachgeahmt habe, wenn er gleich an W i t z , L a u n e und M a n i e r viel Ähnliches mit ihm hat.
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Hauptzweige, bey den Römern; schildert sie in ihrem ersten rohen Zustand, und zeigt wie sie sich allmählich verfeinert, und endlich, durch Nacheiferung der Griechen, zu dem, was sie izt sey, gehoben habe. Das D r a m a t i s c h e F a c h der Poesie ist, bey jedem Volke das eine Schaubühne hat, das, was am stärksten und allgemeinsten interessiert. Horaz schränkt sich daher vorzüglich auf dasselbe ein, und bemerkt die Ursachen warum es den Römern in der Tragödie besser als in der Komödie gelungen sey. Unvermerkt leitet ihn dies auf die allgemeinen Hindernisse, die dem Fortgang der Dramatischen Dichtkunst bey den Römern entgegenstunden — auf 10
das Unangenehme von den Launen des Volks abzuhangen — auf den schlimmen Geschmack des großen Hauffens, und die Neigung zu bloßem Schaugepräng, neuen und seltsamen Decorationen, pompösen Aufzügen, prächtigen Kleidern, u. s. w. die sich auch des vornehmern Theils der Zuschauer so sehr bemächtigt hätten, daß auf das Stück selbst gar nicht gehört, und auch der beste Schauspieler nicht mehr applaudiert werde, weil er gut agiere, sondern weil sein Kleid gefalle. — Die verstellte Besorgnis, August möchte es einer eigennützigen Ursache zuschreiben, daß ihm Horaz das Römische Theater in einem so wenig vortheilhaften Licht gezeigt, giebt ihm Gelegenheit, diesen Absatz seines Dis-
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curses mit vier Versen zum Lobe der Tragödie zu schliessen, worinn er das E r h a b n e dieser Kunst, und die großen Wirkungen desselben auf eine Art bezeichnet, daß er niemand als Aeschylus und Sophocles im Sinne gehabt haben kann; und zu erkennen giebt, daß ein Mann, der dies könne, in seinen Augen das Non plus ultra der Musenkünste erreicht habe. Indessen wünscht er doch, daß August diejenigen Dichter, die nicht für Zuschauer sondern für L e s e r arbeiten, seiner Aufmerksamkeit nicht unwürdig achte. Er sprach von einer großen Heerschaar, indem er auf diese Classe von Dichtern kam; und er fängt deßwegen (um Augusten durch einen komischen Nebenweg auf die kleine Lehre, die er ihm geben wollte, zu führen) mit einer drollichten Recension
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aller der Umstände an, wodurch die guten Musensöhne, bald aus Mangel an Lebensart, bald aus zu großer, wiewohl oft gerechter Empfindlichkeit, bald aus überspannten Hofnungen, sich lächerlich und lästig zu machen das Unglück hätten — eine Stelle, die ausser der naiven Wahrheit, womit sie die schwache Seite seiner Mitbrüder darstellt, noch die geheime Schönheit hat, daß sie zugleich — die feinste Satyre über die hohen Beschützer der Musen ist,
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und dem August, mit der besten Art von der Welt zu verstehen giebt — wie traurig am Ende doch auch wieder das Loos der Schriftsteller sey, wenn sie Personen a m ü s i e r e n sollen, die von ihnen amüsiert zu werden e r w a r t e n und doch nicht a m u s a b e l sind. Es ist dies einer von den so häuffig vorkommenden Fällen, wo beyde Theile Recht haben. Dem August ist’s wahrlich in keine Weise übel zu nehmen, wenn er sich bey einem Buche ennuyiert, das ihn unmöglich interessieren kann; es sey nun, daß er (wie gewöhnlich der Fall ist) ganz andre Dinge im Kopfe hat, oder nicht recht versteht was er ließt, oder vermöge der Natur seines Standes nicht mitempfinden, nicht theilnehmen kann, u. s. w. Hingegen ist von dem armen Schelm von Dichter auch nicht zu
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erwarten, daß es ihm Vergnügen mache, wenn er seinen August, gerade bey der Stelle seiner Composition, die ihm am meisten Mühe gekostet, oder bey dem was er selbst für das Beste daran erkennt, gähnen, oder mit seinem kleinen Maurischen Zwerg *) spielen sieht. Horaz ist, wie wir sehen, der billigste Mensch von der Welt: indessen nimmt er sich die Erlaubnis, mit aller nur ersinnlichen Bescheidenheit und — Freymüthigkeit, dem August zu Gemüthe zu führen: daß es, bey allem dem, einem großen Herrn nicht ganz gleichgültig seyn dürfe, wenn er (etwa um seine eignen Thaten der Nachwelt vorsingen zu lassen) nach einem Dichter gegriffen, und von ungefähr statt eines Guten einen Schlechten erwischt hätte. Glüklicherweise kommt ihm hier das be-
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rüchtigte Beyspiel Alexanders des Großen zu statten, den er, weil er — ein K ö n i g , und schon seit dreyhundert Jahren begraben war, so lächerlich machen durfte als er wollte; zumal nach dem feinen Compliment, das er Augusten wegen seiner Vorneigung zu V i r g i l und Va r i u s — die um diese Zeit schon vom Schauplatz abgetreten waren — gemacht hatte. Daß Horaz diese Gelegenheit nicht unbenuzt werde gelassen haben, z u b e w e i s e n „daß die Partey die er selbst genommen, sich gar nicht an ein so erhabnes Sujet, als d i e *)
August war ein besondrer Liebhaber von artigen jungen Zwergen, die er aus allen Enden der
Welt, besonders aus Mauritanien und Syrien, zusammensuchen ließ. Sie musten aber bey der möglichsten Kleinheit vollkommen wohl gebildet, schön und lebhaft seyn. Er ergözte sich an ihren Plaudereyen, spielte mit ihnen um Nüsse, und vergaß so, indem er das Kind mit ihnen machte, seiner natürlichen Traurigkeit, und der — Sorgen für die Welt. S u e t o n . in A u g . c . 8 3 . Aus dem D i o n wissen wir, daß auch die vornehmen Römischen Damen damals in dem Geschmack gewesen, schöne kleine Knäbchen, die ausdrüklich dazu dressiert wurden, d e r A u g e n l u s t w e g e n , in ihren Zimmern nackend herumlaufen zu lassen. Hist. Rom. L. 48.
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T h a t e n A u g u s t s , zu wagen, für I h r e r b e y d e r E h r e die beste sey“ — ist, nach allem, was wir bereits von der Disposition unsers Dichters in Absicht dieses Puncts gesagt haben, leicht zu vermuthen. Dies ist nun also das Skelet dieses interessantesten unter allen S e r m o n e n unsers dichterischen Philosophen; und es ist, denke ich, alles, was wir nöthig haben können, um von der Wahrheit dessen, was ich über den Plan des Stüks gesagt habe, überzeugt zu werden. In der Ausführung vereinigen sich alle die charakteristischen Schönheiten, welche machen, daß H o r a z , bey aller seiner anscheinenden Simplicität und 10
Leichtigkeit, seit so vielen Jahrhunderten der Einzige in seiner Art geblieben ist; und in keinem andern seiner Werke sehen wir so zu sagen alle F a ß e t t e n s e i n e s G e i s t e s so schön zusammen spielen als in diesem. Besonders geht durch die ganze Epistel eine Art von ungezwungner Zurükhaltung, und immerwährende Beobachtung des rechten Tons, der sich für ihn gegen den Allgewaltigen, aber immer die Bescheidenheit eines bloßen Privatmanns affectirenden August schikte; eine schöne Mittel-Tinte zwischen Erniedrigung und Gleichheit, zwischen Ernsthaftigkeit und Pläsanterie, zwischen kriechender Schmeicheley und unschiklicher Affectation den Cato mit demjenigen zu spielen, in dessen Händen nun einmal die Welt war — kurz, eine so glükliche
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Mischung von Philosophie, Wiz und Laune, mit Imagination, Verstand und Lebensart, daß vielleicht nichts vollkomners in dieser Art existirt. Was ich hier sage, ist, wiewohl ichs aus eignem Gefühl sage, immer das Urtheil der feinsten Köpfe aller gelehrten Nationen gewesen; und wenn der Leser — vorausgesezt, was immer vorausgesezt werden muß, daß die Schuld n i c h t a n s e i n e n A u g e n l i e g e — nicht alles dies in der Übersetzung wiederfinden sollte: so ist wenigstens Horaz unschuldig; und der Teutsche, der sich mit ungleichen Kräften und mit einer der Römischen so ungleichartigen Sprache, an ein solches Original gewagt hat, trage die Strafe seiner Verwegenheit allein! * * *
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Da du so viel und großen Dingen ganz allein die Schultern unterstellst, Italien mit Waffen schützest und mit Sitten schmükst, und heilsamer Gesetze weisen Ernst dem Strom der Üppigkeit entgegendämmest, O C ä s a r , glaubt’ ich am gemeinen Wohl mich zu verschulden, wenn ich deine Zeit mit langen Reden Dir entwenden wollte (1). Der große Romulus, und Vater Bacchus, und mit seinem Brudera) Pollux, Jovis Sohn,
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um ihrer Thaten willen in die Tempel der Götter aufgenommen — als sie noch auf Erden lebend Gutes um die Menschen verdienten, ihren wilden blutigen Fehden ein Ende machten, und des Friedens Süßigkeit sie kosten ließen, ihnen Eigenthum und Recht und Künste gaben, und in Städte sie sammelten, des menschlichen Geschlechtes Wohlthäter! — klagten oft mit bitterm Schmerz, daß, Dank dem undankbaren Erdenvolk
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Cum tot sustineas et tanta negotia solus, res Italas armis tuteris, moribus ornes, legibus emendes, in publica commoda peccem si longo sermone morer tua tempora C a e s a r . Romulus et Liber Pater et cum Castore Pollux, post ingentia facta deorum in templa recepti, dum terras hominumque colunt genus, aspera bella componunt, agros assignant, oppida condunt, ploravere suis non respondere favorem
a) Kastor.
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abzuverdienen, alle ihre Arbeit vergeblich sey. Sogar der Schlangentilger, Alcidb), der von so manchem Ungeheuer die Welt befreyt, erfuhr daß nur der Tod der Ungeheuer giftigstes, den Neid, bezwingen mag. Der Mann, der über seine Zeit zu hoch emporgestiegen, brennt durch seinen Glanz: laß ihn verlöschen, und er wird geliebt! Dir aber, großer Cäsar, bringen wir, 10
noch weil du bey uns bist, die Ehren dar die du verdienst. Wir setzen die Altäre im Leben Dir, bey denen unsre Enkel einst schwören werden, und bekennen laut dadurch, daß deines Gleichen nie zuvor die Welt gesehn noch künftig sehen wird (2). Gerecht und weis’ ist deines Volkes Urtheil, indem es vor der Griechen Helden Dir und vor den unsrigen den Vorzug giebt; speratum meritis. Diram qui contudit Hydram
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notaque fatali portenta labore subegit, comperit invidiam supremo fine domari: urit enim fulgore suo qui praegravat artes infra se positas, exstinctus amabitur idem. Praesenti tibi maturos largimur honores, jurandasque tuum per nomen ponimus aras, Nil oriturum alias nil ortum tale fatentes. Sed tuus hic populus sapiens et justus in uno; te nostris ducibus, te Graiis anteferendo,
b) Herkules.
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in diesem einzigen Punct, in andern nicht: Da schätzen sie den Werth der Sachen ganz nach einer andern Regel, ekeln alles an was Unsre Zeit in unserm eignen Boden hervorgebracht; sind so verliebt in Alles was Alt ist, daß sogar die S a t z u n g e n d e r Z e h n e r c ) , oder weiland unsrer Könige geschloßne Bünde mit den Gabiern und mit den vesten ehrsamen Sabinern, der Pontifexe graue Zeitregister (3) und die betagten Blätter unsrer alten Propheten (4) vom Alband) herab (in ihrem Wahn) die Musen selbst uns zugesungen haben.
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„Der Griechen ältste Werke sind die Besten,“ Ich geb es zu: Doch, sollen nun darum auch unsre Dichter auf derselben Waage caetera nequaquam simili ratione modoque aestimat, et, nisi quae terris semota suisque temporibus defuncta videt; fastidit et odit. Sic fautor veterum, ut tabulas peccare vetantes, quas bis quinque viri sanxerunt, foedera regum vel Gabiis, vel cum rigidis aequata Sabinis, pontificum libros, annosa volumina vatum, dictitet Albano musas in monte locutas. Si quia Graecorum sunt antiquissima quaeque scripta vel optima, Romani pensantur eadem scriptores trutina, non est quod multa loquamur;
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c) Die Gesetze der z w ö l f Ta f e l n , die im J. d. St. R. 303 und 304 von den dazu erwählten Z e h n m ä n n e r n , oder Z e h n e r n verfaßt wurden. d) Vom A l b a n i s c h e n Berge; als ob die Musen d e n P a r n a ß verlassen und ihre Wohnung auf dem Albanischen Berge aufgeschlagen hätten, der bey den lateinischen Völkern von uralten Zeiten her, wegen der vielen Wunderdinge die sich auf demselben zutrugen, in einer Art von religiösen Ansehen stund, und auch die Scene der geheimen Unterredungen war, welche der König N u m a mit der Nymfe E g e r i a zu haben vorgab.
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gewogen werden? — So behaupte man Das Harte an der Frucht des Ölbaums sey nicht innerlich, nicht an der Nuße) von aussen; So sage man, wir haben nun in allem den Gipfel schon erreicht, wir singen, mahlen, ringen sogar, gelehrter als die kunstgeübten Griechen! (5) Doch wenn’s die Jahre sind, die, wie die Weine, auch die Gedichte bessern: möcht ich wohl belehrt seyn, welches Jahr denn eigentlich 10
die Güte eines Werks entscheiden soll? Ein Autor der vor hundert Jahren starb gehört er zu d e n A l t e n — das ist, zu d e n G u t e n — oder zu uns Schlechten N e u e n ? Sezt eine runde Zahl, die allem Hader ein Ende mache! — „Gut! Ein jeder Autor der seine hundert Jahre richtig zählt ist Alt und Gut.“ — Wie aber, wenn nun einer nur einen Monat, oder allenfalls nil intra est oleam, nil extra est in nuce duri;
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venimus ad summum fortunae, pingimus atque psallimus, et luctamur Achivis doctius unctis. Si meliora dies, ut vina, poemata reddit, scire velim, praetium chartis quotus arroget annus? scriptor ab hinc annos centum qui decidit inter perfectos veteresque referri debet? an inter viles atque novos? excludat jurgia finis! „Est vetus atque probus centum qui perficit annos.“ Quid, qui deperiit minor uno mense, vel anno,
e) D. i. So wenig man daher, weil das Harte an der Nuß von außen, und das Genießbare, der 30
Kern, inwendig ist, den Schluß ziehen kann, es müsse bey der Olive eben so seyn: so wenig folgt es, daß die Werke der ältesten Römischen Dichter den Vorzug vor den Neuern haben, weil es diese Bewandtnis bey den Griechischen hat.
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ein Jährchen später starb? Wohin mit dem? Wird er den Alten zugerechnet? Oder ist bey uns und bey der Nachwelt gar kein Raum für solchen Spätling? — „Nun, wem nur ein Monat, und wär es auch ein Jahr, am hundert fehlt, der nimmt noch billig bey den Alten Plaz.“ Dank für den Nachlaß! Und nun zupf ich euch, wie jener aus dem Pferdschweif, (6) Jahr vor Jahr so lange aus, bis von den hundert Jahren nichts in der Hand euch bleibt, und der, wie billig, sich schämen muß, der Tugend und Talent nach Jahren mißt, und nichts bewundern will dem nicht des Todtengräbersf) Spaten erst den Stempel seines Werthes aufgedrukt.
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Der weise kräftige E n n i u s , der zweyte Homer — (so sagen wenigstens die Kritiker) scheint sich um seines Pythagorischen Traums Erfüllung (7) nicht viel zu kümmern: Und was hätt’ ers Noth? Wir glaubens ihm aufs Wort — er sagts ja selbst! inter quos referendus erit? veteresne poetas, an quos et praesens et postera respuet aetas? „Iste quidem veteres inter ponetur honeste, qui vel mense brevi vel tota est junior anno.“ Utor permisso, caudaeque pilos ut equinae, paulatim vello, et demo unum, demo etiam unum, dum cadat elusus ratione ruentis acervi, qui redit ad fastos, et virtutem aestimat annis, miraturque nihil nisi quod Libitina sacravit. Ennius, et sapiens et fortis, et alter Homerus, ut critici dicunt, leviter curare videtur quo promissa cadant, et somnia Pythagorea.
f) Ich habe diesen Ausdruk einem w ö r t l i c h e n vorgezogen, weil die Leichengöttin L i b i t i n a unsrer Einbildungskraft gar zu fremd ist.
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Ein N ä v i u s , wiewohl aus allen Händen verschwunden, sizt, beynah so frisch als wie von gestern her, in allen Köpfen noch. (8) So heilig macht das bloße Alterthum Uns alle Dichterey! Man hört noch immer die Frage: ob P a c u v , ob A c c i u s (9) im Trauerspiel der größre Meister sey? Und immer fällt der Kenner Urtheil aus: G e l e h r t e r war der gute Greis Pacuv, 10
e r h a b n e r Accius. — Ist von Komödien die Rede, straks wird uns A f r a n citirt; (10) „Menander selber, hätte seiner Stücke sich nicht zu schämen. — P l a u t u s heißt mit Recht Roms Epicharmus, oder kömmt ihm doch sehr nah; an Weisheit trägt den Preis C ä c i l i u s davon, Te r e n z an Kunst.“ — (11) Die sind es also, die das mächtige Rom auswendig lernt, zu deren Stücken sichs hinzudrängt, kurz, bis diesen Tag sind dies
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die Dichter, die es hat und anerkennt. Ich gebe zu, daß auch der große Hauffe zuweilen richtig sieht; doch öfters schief. Naevius in manibus non est, et mentibus haeret pene recens: adeo sanctum est vetus omne poema. Ambigitur quoties uter utro sit prior, aufert Pacuvius docti famam senis, Actius alti: dicitur Afranıˆ toga convenisse Menandro; Plautus ad exemplar Siculi properare Epicharmi, vincere Caecilius gravitate, Terentius arte.
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Hos ediscit, et hos arcto stipata theatro spectat Roma potens; habet hos numeratque pöetas ad nostrum tempus, Livi scriptoris ab aevo. Interdum vulgus rectum videt; est ubi peccat.
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Wenn er die alten Dichter so erhebt daß ihnen niemand weder vorzuziehn noch gleich zu achten sey, so irrt er sich: gesteht er aber, daß sie manchmal g a r z u a l t , fast immer h a r t , und oft genug n a c h l ä ß i g schreiben; wer dies eingesteht, spricht wie ein Mann von Sinn, und hälts mit mir und mit der Billigkeit. (12) Ich sage nicht daß man die Dichterey des alten L i v i u s (13) (die aus der Schule des Orbils mir noch
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durch manche Ohrfeig unvergeßlich ist) vertilgen solle. Nur, daß s o l c h e Verse von Vielen s c h ö n , c o r r e c t sogar, und fast den ausgefeilt’sten gleich gefunden werden, d a s wundert mich. Denn, wenn auch hier und da ein glänzend Wort hervorsticht, der und jener Vers ein wenig runder ist und besser klingt: ists billig, daß darum ein ganzes Werk verkäuflich werd’ und lauten Beyfall finde? Was mir die Galle reizt, ist, wenn ein Werk
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Si veteres ita miratur laudatque poetas, ut nihil anteferat, nihil illis comparet, errat. Si quaedam nimis antique, si pleraque dure dicere credit eos, ignave multa fatetur, et sapit, et mecum facit et Iove judicat aequo. Non equidem insector, delendave carmina Livıˆ esse reor, memini quae plagosum mihi parvo Orbilium dictare; sed emendata videri, pulchraque, et exactis minimum distantia, miror. Inter quae verbum emicuit si forte decorum, et si versus paulo concinnior unus et alter, injustum totum ducit venditque poema. Indignor quidquam reprehendi, non quia crasse
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getadelt wird, nicht, weil es schlecht gemacht und abgeschmakt ist, sondern weil es n e u ist; und daß man für das alte Zeug nicht N a c h s i c h t (wie billig) sondern R u h m und Vo r z u g fodert. Denn wenn ich nur zu zweifeln Mine machte, ob auch ein Stük von A t t a (14) heutigs Tags mit Ehren unsern Schauplatz noch besteige: Wie würden nicht die alten Herren alle aus Einem Munde schreyn: daß keine Schaam mehr in der Welt sey, wenn so einer sich erfrechen dürfe, Stücke tadelhaft zu finden, die sie von dem großen A e s o p u s , dem gelehrten R o s c i u s mit diesen ihren Augen spielen sahen. (15) Es sey nun, daß die guten alten Herren nichts, als was ihnen in der Jugend schön war, sich gefallen lassen können: oder sichs für Schande halten, uns, als ihren jüngern, gestehn zu müssen, was sie einst als Knaben gelernet, tauge nun zu nichts, als es bey grauem Barte wieder zu vergessen. Wer König N u m a’ s Saliarisch Lied (16) so herrlich findt, und was er just so wenig versteht als ich, zu wissen scheinen will: compositum illepideve putetur, sed quia nuper; nec veniam antiquis, sed honorem et praemia posci. Recte necne crocum floresque perambulet Attae fabula si dubitem, clament periisse pudorem cuncti pene patres, ea cum reprehendere coner quae gravis Aesopus, quae doctus Roscius egit: vel quia nil rectum, nisi quod placuit sibi, ducunt; vel quia turpe putant parere minoribus, et quae imberbi didicere, senes perdenda fateri. Iam saliare Numae carmen qui laudat, et illud, quod mecum ignorat, solus volt scire videri:
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ist keineswegs darum den längstbegrabnen Genien holder, oder findet sie im Ernst so unvergleichlich — glaubt es nicht! u n s haßt er, u n s und u n s e r n Werke gilt der scheele Seitenblik, der stumme Tadel. Wenn nun den Griechen einst die Neuheit auch so sehr verhaßt gewesen wäre, sagt was wär’ izt alt? Was hätten nun die Leute zu lesen, und aus Hand in Hand, beschmuzt und abgegriffen, sich herumzubieten?
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Als Griechenland, in einer glüklichen langwierigen Ruh von seinen alten Kriegeng) zu schwärmen anfieng, und, von stetem Glük verzärtelt, wie ein rascher feuriger Jüngling, sich jeder Laune fröhlich überließ: da fiel’s mit aller seiner Leidenschaft auf dies und das. Erst warens Fechterspiele, Rennpferde dann, drauf schöne Götterbilder von Elfenbein, von Marmor und von Erzt; ingeniis non ille favet plauditque sepultis,
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nostra sed inpugnat, nos nostraque lividus odit. Quod si tam Grajis novitas invisa fuisset quam nobis, quid nunc esset vetus? aut quid haberet quod legeret tereretque viritim publicus usus? Ut primum positis nugari Graecia bellis coepit, et in vitium fortuna labier aequa, nunc athletarum studiis, nunc arsit equorum; marmoris aut eboris fabros aut aeris amavit;
g) Einheimischen und Auswärtigen, bis zu den Zeiten, da der Königliche Name fast in allen Griechischen Staaten aufhörte, und von dieser Zeit besonders nach dem P e r s i s c h e n oder M e d i s c h e n K r i e g , welchen das Jahrhundert von P e r i k l e s bis zu A l e x a n d e r d e m G r o ß e n folgte.
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bald hieng’s mit Liebesblicken wie verzükt an einer Schilderey, bald war ein Flötenspieler sein Abgott, bald ein Tänzer, ein Tragöde, ein Rhapsodist: — in allen diesen Launen dem kleinen Mädchen gleich, das, von der Amme verwöhnt, bald dies bald das mit Hitze will, doch, unvermerkt zu andern Spielen reiffend, gleich rasch von Puppen und von Liebe wechselt. (17) Was wird so sehr geliebt, so sehr gehaßt 10
das nicht verhaßt, nicht lieblich werden könnte, wenn Zeit und Ort und Licht und Schatten ändern? So würkte langer Fried’ und günstigs Glük in Gräzien. In unserm alten Rom war früh am Tag erwachen, den Clienten zum Recht verhelfen, gegen gute sichre Verschreibungen sein Geld an Zinse legen, und gute Lehren „wie ein wakrer Bürger durch kluge Wirthschaft seines Hauses Glük erhöhn, und dessen Fall verhüten könne“
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von Ältern anzuhören oder Jüngern zu geben — dies war lange Zeit die Sitte und Lebensart, worinn der Römer seinen Ruhm suspendit picta vultum mentemque tabella; nunc tibicinibus nunc est gavisa tragoedis: sub nutrice puella velut si luderet infans, quod cupide petiit, matura plena reliquit. Quid placet aut odio est, quod non mutabile credas? Hoc paces habuere bonae, ventique secundi. Romae dulce diu fuit et solenne, reclusa
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mane domo vigilare, clienti promere jura, cautos nominibus rectis expendere nummos, majores audire, minori dicere per quae crescere res posset, minui damnosa libido.
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und sein Vergnügen sezte. — Wie das Alles sich mit der Zeit geändert hat! Izt ist die Wuth zu schreiben und zu verseln die allgemeine Krankheit unsers Volkes. Wer ist nicht Autor? (18) Knaben, Männer, Greise, umschlingen izt beym Abendbrod die Schläfe mit Epheukränzen und — dictiren Verse. Ich selber, der so oft das Versemachen verschworen, werde lügenhafter als ein Partherh) erfunden, und mein erster Ruf, sobald
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der Morgen dämmert, ist nach Feder und Pappier und Schreibepult. Ein Schiff zu führen, einen Patienten nur Stabwurzi) einzugeben, traut sich niemand zu als wer’s versteht; Arzneykunst treibt der Arzt, und Schmiedekunst der Schmidt — nur Verse, Ve r s e macht Jedermann, gelehrt und ungelehrt. Mutavit mentem populus levis, et calet uno scribendi studio: puerique patresque severi fronde comas vincti coenant, et carmina dictant. Ipse ego, qui nullos me affirmo scribere versus,
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invenior Parthis mendacior: et prius orto sole, vigil calamum et chartas et scrinia posco. Navim agere ignarus navis timet, abrotonum aegro non audet nisi qui didicit, dare; quod medicorum est, promittunt medici, tractant fabrilia fabri: scribimus indocti doctique poemata passim.
h) Wie verhaßt die Parther den Römern dieser Zeit waren, zeigen eine Menge Stellen der Horazischen Schriften. Parthis Mendacior war vermuthlich eine Art von Sprichwort in Rom, wovon sich vielleicht kein besserer Grund angeben läßt als dieser Nationalhaß, der eine Frucht der empfindlichen Niederlagen war, welche sie unter Crassus und Antonius von den Parthern erlitten hatten. i) Abrotonum. Die Alten machten mit der Wurzel dieser Pflanze einen Wein an, der als Arzney gebraucht wurde.
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Bey allem dem ist dieser kleine Wahnsinn dies Versefieber dem gemeinen Wesen weit vortheilhafter als man denken sollte. Ein Dichter — überhaupt ein jeder Versemann — hat selten eine andre Leidenschaft als seine Lust an Versen. Die allein beherrscht ihn ganz, darauf geht all sein Dichten und Trachten. Schlimme Zeiten, Geldverlust, Vermögensabfall, all dies kränkt ihn wenig. 10
Laß seine Sclaven ihm auf Einen Tag entlauffen, laß sein Haus ihm niederbrennen, er lacht dazu. In seinem Leben kömmt ihm kein Gedanke, seinem Mündel oder Mit-Erben heimlich einen Streich zu spielen. Er lebt von Erbsenbrey und schwarzem Brodt, taugt freylich nicht ins Feld, doch ist er drum nicht gänzlich ohne Nutzen für den Staat. Denn (zugegeben, daß auch kleine Dinge zu Großen helfen können) ist es nicht
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der Dichter, der des Kindes frühes Lallen zu Sprache bildet? Der von pöbelhaften Reden Hic error tamen et levis haec insania quantas virtutes habeat, sic collige: Vatis avarus non temere est animus; versus amat, hoc studet unum; detrimenta, fugas servorum, incendia ridet, non fraudem socio, puerove incogitat ullam pupillo; vivit siliquis et pane secundo. Militiae quanquam piger et malus, utilis urbi. Si das hoc, parvis quoque rebus magna juvari,
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os tenerum pueri balbumque poeta figurat; torquet ab obscoenis jam nunc sermonibus aurem,
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sein zartes Ohr entwöhnt, dann allgemach durch Lehren, die der Reiz der Harmonie und Dichtung freundlich macht sein Herz der Tugend gewinnt, von Eigensinn und Neid und Zorn den Knaben heilt, mit edeln Thaten ihn vertraulich macht, der gegenwärtigen Zeit verworrnes Räthsel durch der ältern Welt Beyspiele ihm entwickelt, und in Noth und Kranken Tagen Trost und Lindrung schaft? Von wem sonst sollte, mit dem keuschen Knaben,
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das unberührte Mädchen beten lernen, wofern die Muse nicht den Dichter gab? Er macht das Volk im Chor zum Himmel flehn, Er ists, der sie den gegenwärtgen Gott mit Schaudern fühlen macht, der die Gesänge sie lehrt, wodurch auf dürres Land der Segen aus Wolken strömt, die Krieg und böse Seuchen verjagen, steten Fried und reiche Ernten uns bringen! Denn durch Lieder werden uns die Himmelsgeister hold, durch Lieder wird der unterirdschen Mächte Zorn gestillt. (19)
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mox etiam pectus praeceptis format amicis; asperitatis et invidiae corrector et irae recte facta refert; orientia tempora notis instruit exemplis; inopem solatur et aegrum. Castis cum pueris ignara puella mariti disceret unde preces, vatem ni Musa dedisset? Poscit opem chorus, et praesentia numina sentit; Coelestes implorat aquas docta prece blandus; avertit morbos, metuenda pericula pellit; impetrat et pacem, et locupletem frugibus annum. Carmine dii superi placantur, carmine manes.
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Wenn unsre alten, biederherzigen mit Wenigem vergnügten Ackerleute (20) nachdem sie ihres Schweisses Früchte in die Scheunen gebracht, am frohen Erntefest, mit ihren Kindern und treuem Weib, den Mitgenossen ihrer Arbeit, an Leib und Seele (denn auch diese trug in Hofnung dieses Tages ihren Antheil der Last des langen Jahrs) sich gütlich thun und pflegen und zur künftigen Arbeit wieder 10
erfrischen wollten — machten sie vorerst mit Opfrung eines Mutterschweins d i e E r d e , mit Milch d e n G o t t d e r H e e r d e n , und mit Blumen und Wein d e n G e n i u s d e s L e b e n s sich gewogen (21) Mit Bäurischroher Ungebundenheit erschallte denn, in lustigen Wechselzeilen der F e s c e n n i n e n muntrer freyer Scherz. (22) Der gute Tag kam alle Jahre doch nur einmal! Sollte nicht dies einzigemal die Freude alle Fesseln von sich werfen?
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Man tanzte, sang, und brachte gute Schwänke hervor, und lautes Lachen wieherte dem gröbsten Spaß, dem tollsten Schwank entgegen. Erst wars nur Fröhlichkeit: allmählich wurde der Scherz zu grob, begann, anstatt zu kitzeln, Agricolae prisci, fortes, parvoque beati, condita post frumenta, levantes tempore festo corpus, et ipsum animum spe finis dura ferentem, cum sociis operum, pueris et coniuge fida, Tellurem porco, Silvanum lacte piabant,
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floribus et vino Genium, memorem brevis aevi. Fescennina per hunc inventa licentia morem versibus alternis opprobria rustica fudit; libertasque recurrentes accepta per annos lusit amabiliter, donec jam saevus apertam
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zu beissen, und die ungestrafte Frechheit verschonte selbst der besten Häuser nicht. Nun schrieen die Gebißnen laut, und wer auch frey geblieben war, nahm Theil an dem was jeden treffen konnte. Das Gesez trat nun ins Mittel, und verbot bey Strafe ein b ö s e s L i e d dem Andern zuzusingen. (23) Dies gab dem Spiel bald einen andern Schwung. Die Furcht des Knittels lehrte nun bedachtsam im Ausdruck werden, und manierlich scherzen. So bliebs, bis das besiegte Griechenlandk) durch seiner Künste Reiz den rohen Sieger bezauberte, und seine feinern Künste ins bäurische Latium verpflanzte. Nun verschwand auf einmal jener ungehobelte S a t u r n s c h e Ve r s , und S p r a c h und W i t z , gesäubert vom alten Schmuz, gewann nun allgemach ein reinlich Ansehn. Gleichwohl blieb noch immer ein Dorfgeruch zurück, der sich sobald in rabiem verti coepit jocus, et per honestas ire domos impune minax: doluere cruento dente lacessiti; fuit intactis quoque cura conditione super communi: quin etiam lex poenaque lata, malo quae nollet carmine quenquam describi: vertere modum, formidine fustis ad benedicendum delectandumque redacti. Graecia capta ferum victorem cepit, et artes intulit agresti Latio: sic horridus ille defluxit numerus Saturnius; et grave virus munditiae pepulere: sed in longum tamen aevum manserunt, hodieque manent vestigia ruris. k) Um die Mitte des sechsten Jahrhunderts der Republik, nachdem T . Q u i n c t i u s F l a m i n i u s den König Philippus von Macedonien, unter dessen Bothmäßigkeit das ganze Griechenland stund, besiegt hatte.
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nicht ganz verlieren wird. Denn ziemlich spät, erst in der Ruh, die ihm das überwältigte K a r t h a g o schenkte, fieng der Römer an der Griechen Werke fleissiger zu lesen, und ihren Schauplaz, und was Aeschylus und Sophokles geleistet zu studieren. Bald kam die Lust ihn an, in dieses Fach sich auch zu wagen, und zu sehen, was davon in unsre Sprache umzusetzen wäre; und er gefiel sich im Versuch: denn sein Genie, das kühn und stolz ist und das Große liebt, kam ihm dabey zu statten. Kurz, der Ton des Trauerspiels gelang ihm ziemlich, und nach einem solchen Anfang, der mit solchem Muth und Glük gemacht war, hätte man sehr viel erwarten können, wenn er nicht zur Feile so ungeduldig wäre, und (was wahre Künstler für rühmlich halten) fleissig auszustreichen und nachzubessern, seiner unwerth glaubte. (24) Man pflegt sich einzubilden, weil das Lustspiel aus dem gemeinen Leben sich mit Stoff versieht so sey nichts leichter. Aber eben d a r u m , weils desto minder Nachsicht fodern kann, ists desto schwerer. Unsre Dichter nehmens nun freylich nicht so scharf. Man sehe nur Serus enim Graecis admouit acumina chartis; et post Punica bella quietus, quaerere coepit quid Sophocles et Thespis et Aeschylus utile ferrent. Tentavit quoque rem, si digne vertere posset; et placuit sibi, natura sublimis et acer: nam spirat tragicum satis, et feliciter audet; sed turpem putat inscite metuitque lituram. creditur, ex medio quia res arcessit, habere sudoris minimum, sed habet Comoedia tanto plus oneris, quanto veniae minus. Adspice, P l a u t u s
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mit welchem groben Pinsel P l a u t u s einen jungen Verliebten, einen Schelm von Kuppler, oder einen mistrauischwachen kargen Alten s u d e l t ? (25) Was für ein Meister in — gefräßigen Schmarutzen D o s s e n n u s ist? (26) Wie schlotterig sein Fuß im weiten Soccus durch die Scene schlendert? Das macht, der arme Dichter kann nicht schnell genug sich spuden, um sein Geld im Beutel klingen zu hören; wird ihm dieser nur gefüllt, dem Stück geh’s wie es will, was kümmerts ihn?
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Und ist auch einer, den die Ruhmbegier, auf ihrem von der leichten Luft der Volksgunst getriebnen Wagen, in dies Fach geworfen: so braucht es nur ein lauschend oder schläfrig Gesicht, ihn aufzublähen oder zu entgeistern. So wenig ists, was eine Seele, die nach Lobe geizt, dahin wirft, oder hebt! Weg mit dem Spiele, wenn der eitle Wind, den mir das Zischen oder Klatschen müßiger Leute entgegen weht (oft beydes gleich gerecht!) mich mager oder fett nach Hause schicken soll! (27)
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quo pacto partes tutetur amantis ephebi; ut patris attenti, lenonis ut insidiosi? quantus sit D o s s e n n u s edacibus in parasitis! quam non adstricto percurrat pulpita socco! gestit enim nummum in loculos demittere, post hoc securus cadat an recto stet fabula talo. Quem tulit ad scenam ventoso Gloria curru exanimat lentus spectator, sedulus instat; sic leve, sic parvum est animum quod laudis avarum subruit et reficit. Valeat res ludicra, si me palma negata macrum, donata reducit opimum!
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Noch ist ein Ungemach, das auch den kühnsten Poeten abzuschrecken fähig ist. Wenn alles gut gieng, unverhoft beliebts dem ungelehrtsten Theil, doch leider! immer dem größten an der Zahl, und der, wofern d i e R i t t e r etwa anderer Meynung sind, sogleich die harten Fäuste weiset — mitten im Stück, nach Fechtern oder einem Bärentanz zu schreyen: denn dergleichen Possen klatscht 10
das Kleine Volk am liebsten zu. Wiewohl auch bey dem Adel scheint die Reizbarkeit und das Vergnügen aus den Ohren gänzlich sich in die Augen hingezogen zu haben. Bloßes eitles Schaugepränge gilt über Alles, und die Scene bleibt vier ganzer Stunden oft und länger unterbrochen, indeß das gaffende Parterr mit Z w i s c h e n s p i e l e n belustigt wird. Da jagen Reuterey und Fußvolk hitzig mit gezüktem Säbel
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einander durch die Bühne — Folgt darauf gar schön zu sehn! das Schauspiel eines langen Triumphs; in Fesseln ziehn, die Hände auf den Rücken gedreht, besiegte Könige daher; Saepe etiam audacem fugat hoc terretque poe¨tam quod numero plures, virtute et honore minores, indocti stolidique et depugnare parati si discordet Eques, media inter carmina poscunt aut ursum aut pugiles: his nam plebecula gaudet. Verum Equiti quoque jam migravit ab aure voluptas
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omnis ad incertos oculos et gaudia vana. Quattuor aut plures aulaea premuntur in horas dum fugiunt equitum turmae peditumque catervae; mox trahitur manibus regum fortuna retortis
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ein rascher Zug von Gallischen Kriegeswagen, und Kutschen voll gefangner Damen und Bagasche Fuhren, rasseln hinter drein. Geräthschaft, Schiffe, Statuen, Gefäße von Elfenbein, ein ganz erobertes Korinthus, wird im Pomp dahergeschleppt. Wie würde, wenn er noch auf Erden lebte, D e m o k r i t u s der großen Kinder lachen, zu sehen, wie ein Zwitter von Kameel und Panterthier, ein weißer Elefant,
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die aufgesperrten Augen Alle an sich zieht! Was für ein Schauspiel für den Menschenforscher! Es würd ihn mehr als alle Pantomimen belustigen, sein lieb Abdera wieder in Rom zu finden, und im armen Dichter den guten Tropf zu sehn, der seinem Esel zum Zeitvertreib ein Mährchen vorerzählte.l) Denn welche S t e n t o r h ä l s e könnten das esseda festinant, pilenta, petorrita, naves, captivum portatur ebur, captiva Corinthus.
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Si foret in terris rideret Democritus, seu diversum confusa genus panthera camelo, sive elephas albus vulgi converteret ora: spectaret populum ludis attentius ipsis ut sibi praebentem Mimo spectacula plura; scriptores autem narrare putaret asello fabellam surdo. Nam quae pervincere voces
l) Eine Anspielung auf das Griechische Sprüchwort: onvì tiw elege myuon, oë de ta vta ekinei — es erzählte einmal Einer seinem Esel ein Mährchen — und was sagte der Esel dazu? — er nikte mit den Ohren.
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H o r a z e n s B r i e f e (Mitte/Ende April 1782/Mai 1790)
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Getöse überschreyen, das in unsern Theatern widerhallt? Ihr glaubt den Garganusm) und das Thyrrhener-Meer euch um die Ohren sausen zu hören, so tumultuarisch gehts bey unsern Scenen zu, (28) so theuer wird auf Kosten des Gehörs die Augenlust an einer reichen prächtigen Garderobe und fremdem Putz erkauft! Denn das ist Alles was wir vom Schauspiel haben. Ein Acteur tritt auf — 10
Welch ein Geklatsch von allen Seiten! — „Hat er was gesprochen?“ — N i c h t e i n Wo r t — „Wem gilt der freudige Beyfall also?“ — S e i n e m R o c k . Jedoch, damit mich der Verdacht nicht treffe, ich such’ ein Fach, worinn sich Andre Lorbern gesammelt, nur deswegen zu verkleinern, weil ich mich selbst darinn hervorzuthun verzweifle — so gesteh ich gern, daß mir der Mann auf einem schlaffen Seile tanzen evaluere sonum, referunt quem nostra theatra?
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Garganum mugire putes nemus aut mare Thuscum tanto cum strepitu ludi spectantur et artes divitiaeque peregrinae, quibus oblitus actor cum stetit in scena, concurrit dextera laevae. „ D i x i t a d h u c a l i q u i d ? “ Nil sane. „ Q u i d p l a c e t e r g o ? “ Lana Tarentino violas imitata veneno. Ac ne forte putes me quae facere ipse recusem, cum recte tractent alii, laudare maligne, ille per extentum funem mihi posse videtur
m) Ein waldichter Berg in Appulien.
¼2. Buch. 1. Brief½
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zu können scheint, der nach Belieben mich in jede Leidenschaft zu setzen weiß, und, ohne daß mich seine ganze Sache das Mindste angeht, wechselsweis mit Angst und falschen Hofnungen und falschen Schrecken, gleich einem Zauberer, das Herz im Leibe mir bald erweitert bald zusammenstrikt; von R o m auf einmal mich nach T h e b e n oder A t h e n versezt, – kurz, in der großen Kunst der Täuschung Meister ist, die wahre Thränen
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aus unsern Augen lokt. (29) Groß ist die Kunst und ehrenwerth, wenns gleich an Meistern fehlt. Indeß, o Cäsar, wenn du unsre Dichter, den Helikon mit größrer Munterkeit hinanzuklimmen, spornen, und dein eigenes dem Musengott geheiligtes Gestift, den P a l a t i n s c h e n S c h a t z n ) mit R ö m e r w e r k e n erfüllen willst: so gönn auch Dem, der lieber sich L e s e r n als Z u s c h a u e r n anvertraut, ire Poe¨ta, meum qui pectus inaniter angit, irritat, mulcet, falsis terroribus implet, ut Magus, et modo me Thebis, modo ponit Athenis. Verum, age, et his, qui se lectori credere malunt quam spectatoris fastidia ferre superbi, curam redde brevem, si munus Apolline dignum vis complere libris et vatibus addere calcar, ut studio majore petant Helicona virentem.
n) Die Palatinische Bibliothek, wo die den lateinischen Schriftstellern bestimmte Galerie noch ziemlich leer war.
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Aufmunterung! — Zwar weiß ich, daß wir Dichtero) uns selber großen Schaden thun, indem wir unsre Werklein oft zur Unzeit, wenn du just was Wichtigers zu thun hast, oder müde bist, Dir überreichen — gleich empfindlich werden, wenn einer Deiner Freunde einen Vers zu tadeln sich erkühnt hat — oder, wenn wir, ungebeten, eine Stelle zweymal lesen, und jammern, daß man nicht gewahr wird, welche Müh 10
uns das gekostet was so leicht scheint, und wie zart gesponnen und wie fein verwebt das Werkchen ist — ingleichen wenn wir meynen, sobald du Nachricht kriegen werdest daß wir ein Gedicht in Arbeit haben, werdst du gleich uns rufen lassen, unsre leeren Beutel füllen, und uns mit freundlicher Gewalt zum schreiben zwingen. Allein, bey allem dem ists doch der Mühe werth Multa quidem nobis facimus mala saepe Poe¨tae (ut vineta egomet caedam mea) cum tibi librum
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sollicito damus aut fesso; cum laedimur, unum si quis amicorum est ausus reprendere versum; cum loca jam recitata revolvimus inrevocati; cum lamentamur non apparere labores nostros et tenui deducta poe¨mata filo; cum speramus eo rem venturam, ut simul atque carmina rescieris non fingere, commodus ultra arcessas et egere vetes et scribere cogas. Sed tamen est operae pretium cognoscere quales
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o) Die scherzhafte Parenthese, ut vineta egomet caedam mea, ist weggelassen worden, weil die teutsche Redensart „ d a ß i c h m e i n e H a u t s e l b s t z u M a r k t t r a g e ! “ für den Mann mit welchem Horaz spricht, nicht edel genug war, und ich keine gleichviel geltende kenne, welche schiklicher wäre.
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zu wissen, w a s f ü r Te m p e l h ü t e r m a n d e r Tu g e n d g e b e , die in Krieg und Frieden sich groß erzeigt, und solch ein Amt nicht sorglos unwürdigen Dichterlingen zu vertrauen. Dem g r o ß e n A l e x a n d e r hatte ein gewisser Chörilus das unverdiente Glück genehm zu seyn, und für die schlechten Verse, womit er seines Helden eignen Glanz als wie mit Schmuz bezog, mit Gold-Philippen sich königlich bezahlt zu sehn. (30)
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Und gleichwohl eben dieser Alexander der Große, der ein lächerliches Lobgedicht viel theurer zahlte als das Beste je gekostet haben mag, verbot durch ein Edict, daß außer dem A p e l l kein Mahler ihn zu mahlen, und Niemand als L y s i p p sein Heldenbild in Erzt zu gießen, sich erdreisten sollte. So scharf und richtig sah in diesen Künsten derselbe Mann, von dem (nach seinem Ohr in Werken aedituos habeat belli spectata domique
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Virtus, indigno non committenda poe¨tae. Gratus Alexandro regi Magno fuit ille C h o e r i l u s , incultis qui versibus et male natis rettulit acceptos, regale numisma, Philippos. Sed veluti tractata notam labemque remittunt atramenta, fere scriptores carmine foedo splendida facta linunt. Idem Rex ille, poe¨ma qui tam ridiculum tam care prodigus emit, edicto vetuit, ne quis se praeter Apellem pingeret, aut alius Lysippo duceret aera fortis Alexandri vultum simulantia. Quod si judicium subtile videndis artibus illud ad libros et ad haec Musarum dona vocares,
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der M u s e n k u n s t ) man schwören sollt’, er habe Böotiens dikste Luft von Kindheit an gesogen. (31)
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Dich, Cäsar, und dein Urtheil, und die Proben deiner Freygebigkeit, entehren wahrlich nicht die Dichter, die du liebst, V i r g i l und Va r i u s ; (32) noch stellt ein Bild von Erz, und wär’ es gleich Lysippens eignes Werk, preiswürdiger Männer Gestalt und Angesicht lebendiger der Nachwelt dar, als durch des Dichters Kunst ihr Geist und Herz aus ihren Thaten leuchtet. Auch würd’ ich selber nicht mit niedrigen wie Epheu an der Erde kriechenden Sermonen lieber mich beschäftigen wollen als mit heroischem Gesang, und würde lieber von großen Gegenständen, fernen Ländern und fremden Völkern singen, und von neuerbauten Städten, und wie unter D e i n e n A u s p i c i e n die ganze Welt beruhigt, des Janus Doppel Pforte zugeschlossen, und selbst die rauhen weitentlegnen Parther, die Nichts erschrekt, dein großes Rom zu fürchten Boeotu ˆ m in crasso jurares ae¨re natum. At neque dedecorant tua de se judicia, atque munera, quae multa dantis cum laude tulerunt, dilecti tibi Virgilius Variusque poe¨tae: nec magis expressi vultus per ahenea signa quam per vatis opus mores animique virorum clarorum apparent. Nec sermones ego mallem repentes per humum, quam res componere gestas, terrarumque situs et flumina dicere, et arces montibus impositas, et barbara regna, tuisque auspiciis totum confecta duella per orbem, claustraque custodem pacis cohibentia Ianum et formidatam Parthis te Principe Romam:
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gelehret worden — Wieviel lieber säng’ ich von solchen Dingen, wäre mein Vermögen dem Willen gleich! (33) Allein ein kleines Werk faßt weder deine Majestät, noch läßt die Schaam mir zu, was meine Kräfte übersteigt zu unternehmen. Denn, die schlimmste Art von Dienstgeflissenheit ist, däucht mir, Die des Pfuschers, der uns seine Sudeley für Kunstwerk giebt; uns noch zu ehren meynt, indem er uns, mit Sich, dem Spötter preisgiebt,
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dem etwas Schlechtes stets willkommner ist als was er, mit geheimem Widerwillen, durch Schweigen wenigstens, für gut erkennen muß. Mir ist nichts lästiger, als ein schlimmer Dienst aus guter Meynung; und ich würde mir ein Fratzenbild in Wachs, (34) das durch die Straßen für Meines feilgetragen würde, und mein Lob in schlechten Versen, gleich verbitten; und fände wahrlich keinen Spaß daran, mit meinem Dichter mich, wie eine Leiche,
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in einer großen wohlbedekten Kiste si quantum cuperem possem quoque. Sed neque parvum carmen Majestas recipit tua, nec meus audet rem tentare pudor, quam vires ferre recusent. Sedulitas autem stulte quem diligit, urguet praecipue cum se numeris commendat et arte: discit enim citius meminitque libentius illud quod quis deridet quam quod probat et veneratur. Nil moror officium quod me gravat, ac neque ficto in peius vultu proponi cereus usquam, nec prave factis decorari versibus opto: ne rubeam pingui donatus munere, et una cum scriptore meo capsa porrectus aperta
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bey hellem Tage in die Krämergasse geschleppt zu sehn, um Pfeffer, Spezerey, und was man sonst in nichtsbedeutendes Pappier zu wickeln pflegt, zum Überrock zu dienen. deferar in vicum vendentem tus et odores et piper, et quicquid chartis amicitur ineptis. * * *
Erläuterungen. (1) Unsre Leser erinnern sich noch der kurzen Darstellung des innern 10
Zustandes der Stadt Rom, während der Abwesenheit Augusts in den Jahren 732—35. die wir im 1. Theil dieses Werks, S. 118. u. f. zu Erläuterung des Briefes an den N u m i c i u s gegeben haben. Die Römer hatten in diesen drey Jahren, wo Augustus sie gleichsam wieder sich selbst überließ, die stärksten Beweise abgelegt, daß die Freyheit, wenn er sie ihnen auch im Ernst hätte wiedergeben wollen, ein verderbliches Geschenk für sie gewesen wäre. Sie selbst fühlten izt lebhafter als jemals, wie nothwendig es ihnen sey von einem Einzigen gouverniert zu werden. So unumschränkt auch die Macht dieses Einzigen seyn möchte, wenn er nur nicht den verhaßten N a m e n eines K ö n i g s führte, sie nur nicht mit dem äusserlichen Glanz und Staat der Königl. Würde
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drükte, nur die gewohnten Formen und Namen beybehielt: so war er in ihren Augen nur eine Art von P r e m i e r - M i n i s t e r , der seine Gewalt v o n I h n e n e m p f a n g e n h a t t e , der i n i h r e m N a m e n regierte, i h n e n von seiner Staatsverwaltung Rechenschaft gab, und so wenig ü b e r d i e G e s e t z e war (oder s c h e i n e n w o l l t e ) daß er im Gegentheil jede A u s n a h m e v o m G e s e t z , die ihm nicht schon vom Senat und Volk, gleichsam B e l o h n u n g s w e i s e , zugestanden worden war, sich bey Gelegenheit (d. i. so oft ers zu seinen Absichten dienlich fand) als eine Gnade ausbat. Wie also August im Jahr 735. wieder nach Rom zurükkam, wo seine Gegenwart zu Verhütung der größten Unordnungen unentbehrlich worden war: so
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erkannte der Senat und das Volk einhellig, daß er der einzige Arzt sey, der den Gebrechen der Republik helfen könne; und um ihn auf eine rechtmäsige Art
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mit aller dazu erforderlichen Autorität zu versehen, wurde ihm nicht nur die Oberaufsicht über die Sitten (Praefectura Morum) und die Gewalt, den Senat zu reformiren und alle gesezwidrige Mißbräuche abzustellen, (Censoria potestas) sondern auch die C o n s u l a r i s c h e G e w a l t , in d e r Maaße a u f L e b e n s l a n g aufgetragen, daß er, auch ohne den Titel eines Consuls zu führen, die ganze Autorität und alle Prärogativen dieser höchsten Würde in und ausserhalb Rom, besitzen und ausüben sollte. Da er nun, durch dieses Decret des Römischen Senats und Volks, ausser der Gewalt eines unumschränkten Oberbefehlhabers über die ganze Kriegsmacht der Republik zu Wasser und zu Land, und der Tr i b u n i c i a Potestas, die er bereits, auf Lebenslang besaß,
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noch die C o n s u l a r i s c h e und C e n s o r i s c h e Gewalt in ihrem ganzen Umfang erhielt: so begreifen wir, in welchem Sinne Horaz sagen konnte, daß er die ganze Last der Staatsverwaltung a l l e i n trage. August hatte um die Zeit, da Horaz dies schrieb, das übernommene große Reformationsgeschäfte mehrentheils zu Stande gebracht — so weit e s n e h m l i c h p o l i t i s c h m ö g l i c h und m i t s e i n e m e i g n e n I n t e r e s s e v e r t r ä g l i c h war — und auf diese eben so weitläuffige, mühvolle, und — fruchtlose Operationen, die aber, in anderthalb Verse zusammengedrängt, einen gar schönen P o e t i s c h e n E f f e c t machen, beziehen sich die ersten Zeilen dieser Epistel. Diese drey Züge, Armis tueri, Moribus ornare, Legibus emendare, enthalten alles, was der be-
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ste Fürst seinem Volke Gutes thun kan. August machte sich dies Verdienst um Italien — dessen gröster Theil izt, so zu sagen, nur, die Vorstadt des Unermeßlichen Roms war — Er beeyferte sich wenigstens, das überall baufällige Gebäude auszubessern, zu stützen, zu bekleistern, und mit einer prächtigen neuen Aussenseite zu zieren. — Die Römer waren zufrieden — sie beteten ihn dafür an — er that noch mehr für sie als sie verlangten, (denn sie verlangten n u r B r o d t u n d S c h a u s p i e l e * ) ) er sorgte für alles, hielt alles zusammen, erneuerte, belebte, verschönerte Alles — Und Horaz sollte sich länger haben weigern können, auch einmal einen Stoß in die Trompete der Fama zu thun, die so mannichfaltige, so große Verdienste der Welt ankündigte? *)
— — — — Nam qui dabat olim Imperium, fasces, legiones, omnia, nunc se continet atque duas tantum res anxius optat, P a n e m et C i r c e n s e s —
J u v e n a l . Sat. X.
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Dies ist alles was ich zur Entschuldigung der einzigen würklichen Schmeicheley, die man ihm zur Last legen kann, nemlich der anstößigen Verse, Sed tuus hic populus, s a p i e n s e t j u s t u s in uno, Te n o s t r i s D u c i b u s , Te G r a j i s a n t e f e r e n d o ,
vorzubringen habe. Horaz s a g t damit weiter nichts, als w a s d i e R ö m e r t h a t e n . — „Aber er lobt sie deswegen“ — Konnt’ er in einer Epistel an August weniger thun? — Und hatte, wenn wir billig seyn wollen, dieser einzige Sterbliche in seiner Art nicht wirklich eine Seite, auf welcher er über alle andre vor ihm und nach ihm hervorglänzt? — Ich gebe gerne zu, Brutus war 10
ein größerer Mann als sein Freund Horaz, weil er lieber sterben, als den Tag sehen wollte, wo er dem Octavius solche Complimente hätte machen müssen. Aber — Niemand ist verbunden ein Held zu seyn; und wo sind, wenigstens in unsern Zeiten, die Menschen, die unsern Dichter deswegen verachten dürften? (2) Die gewöhnlichen Vorstellungen, die man sich von der D e i f i c a t i o n der Römischen Cäsarn bey ihren Lebenszeiten macht, scheinen einer ziemlichen Berichtigung zu bedürfen — Die meisten, selbst unter den Gelehrten, machen sich wenig Bedenken, den — blinden Heiden Unrecht zu thun; wenigstens bringt man zu wenig in Anschlag, wie groß der Unterschied zwischen
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ihren und unsern Begriffen in solchen Dingen war, und wie wenig das, was S i e bey dem Namen eines Gottes dachten, mit Unsrer Theorie von dem Höchsten Wesen gemein hat. Die sogenannten Heiden kannten (außer der E r s t e n U r s a c h e a l l e r D i n g e , die Nirgends weder Tempel noch Priester hatte, und von welcher nur die Philosophen schwazten oder träumten) keine andre Götter, als Schuzgeister. Selbst die Götter vom ersten Range (Dii majorum Gentium) waren im Grunde nichts mehr als v e r g ö t t e r t e M e n s c h e n , die wegen großer Verdienste so sie sich in den ersten Zeiten der Welt um das Menschliche Geschlecht gemacht, von der Nachwelt als h ö h e r e We s e n verehrt wurden, weil man glaubte, daß sie, auch nach Ablegung der irdischen
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Hülle, noch immer mit einer wohlthätigen Fürsorge um die Menschen beschäftigt wären. Jede Familie verehrte d i e G e i s t e r i h r e r Vo r e l t e r n unter dem Namen Lares, als eine Art von guten H a u s g ö t t e r n , die die Liebe zu dem Hause, worinn sie ehmals gelebt, mit dem Tode nicht abgelegt hätten,
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sondern noch gerne da wohnten, an ihrer Nachkommenschaft Theil nähmen, ihnen Glük brächten oder sie vor Unheil bewahrten u. s. w. Dieser u r a l t e und a l l g e m e i n e Menschliche Glaube führte sehr natürlich auf die Vorstellung: daß die ersten Stifter der S t ä d t e , als S t a m m v ä t e r einer großen P o l i t i s c h e n F a m i l i e , nach ihrem Tode die nämliche Zuneigung zu ihren Städten, wie die L a r e s zu ihren Häusern, behielten, und für die Erhaltung und ewige Dauer des Werkes, das ihnen einst soviel Mühe und Sorgen gekostet, unermüdet besorgt wären. Aus dieser Quelle entsprang nach und nach der ganze Götterdienst der Alten. Der allgemeine Begriff, der sich daher bildete, war: sich bey dem Worte Gott, Daimvn, Numen, ein mehr oder weniger erhabenes
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und mächtiges Menschenähnliches Wesen zu denken, das sich durch Wohlthaten ein Recht an die Dankbarkeit der Sterblichen erworben hätte, *) aber dafür auch zum Beweis dieser Dankbarkeit einen gewissen Dienst von ihnen erwartete. Man begreift leicht, wie Gesezgeber und Regenten, Priester, Wahrsager, Zauberkünstler, u. s. w. jede zu ihren besondern Absichten und Vortheilen, von diesem allgemeinen Volksglauben Gebrauch machen konnten; und es wäre wahrlich ein großes Wunder gewesen, wenn nicht endlich Dankbarkeit oder Schmeicheley darauf verfallen wären, auch die Fürsten in die Classe dieser höhern Wesen miteinzuschließen; da auch die ältern Götter kein anderes Recht an die Verehrung der Menschen hatten, als die Verdienste so sie
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sich um die Welt gemacht. Die regierenden Familien unter den Alten leiteten, ohnehin, größtentheils ihre Stammregister von Göttern oder vergötterten Menschen her; und der Schritt vom König zum Gott war nicht größer, als der Schritt von — dem was alle gebohren werden — zum König. Und wie hätten insonderheit d i e G r i e c h e n sich bedenken können einem August oder Hadrian religiose Ehrenbezeugungen zu erweisen, da die Republik von L o c r i einem bloßen Athleten, **) bey lebendigem Leibe, das Nämliche gethan hatten. Auch warens die Griechen, die das erste Beyspiel gaben, Römischen Proconsuln und Feldherrn, denen sie sich besonders verpflichtet hielten, A l t ä r e , ja sogar Te m p e l zu dedicieren, und Festtage, die ihren Namen trugen, anzu*)
D e u s e s t Mortali juvare mortalem; et haec ad aeternam gloriam via. Hac proceres ieˆre
Romani, etc. Hic est v e t u s t i s s i m u s referendi bene merentibus gratiam m o s , ut tales N u m i n i b u s adscribantur. P l i n . Hist. Nat. L. II. 7. **)
Er hies E u t h y m i u s , und seine Apotheose wurde den Locriern vom Orackel zu Delphi
anbefohlen. Plin. L. VII. c. 47.
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ordnen. *) Man begreift also leicht, wie Augustus, ohne sich in den Augen der Römer einer Unbescheidenheit oder Gottlosigkeit schuldig zu machen, diese uns so anstößige Ehrenbezeugungen, zulassen konnte. Sie wurden nicht sowohl der Person als dem G e n i u s A u g u s t s , und d e r M a j e s t ä t d e s R ö m i s c h e n R e i c h e s , die nunmehr ganz in ihm residierte, erwiesen. Es war eine verbindlichere Art von H u l d i g u n g , — um so verbindlicher weil sie f r e y w i l l i g war — ein neues Politisch-Religioses Band, das durch die damit verbundne Religion eine stärkere S a n c t i o n erhielt, und die so zahlreichen und weitentlegenen Provinzen dieses ungeheuern Reichs fester zusammen10
schlang, und enger mit dem gemeinschaftlichen Haupte verband — und eben aus diesem Grunde erlaubte August nicht, daß ihm in irgend einer Provinz ein Tempel anders als gemeinschaftlich mit d e r G ö t t i n R o m gewidmet wurde; **) wiewohl ihm (sagt S u e t o n ) nicht unbekannt war, daß ehmals verschiednen Proconsuln diese Ehre für sich allein erwiesen worden. Aber damals blühte die Freyheit noch, und es verstund sich von selbst, daß der Glanz einer so hohen Ehrenbezeugung auf die Republik, deren M a j e s t ä t die Proconsuln in den Provinzen vorstellten, zurükfiel. Unter August hatten sich die Umstände zu sehr geändert, als daß eine Ehre, die ein T . F l a m i n i u s ehmals ohne Bedenken annehmen konnte, nichts verhaßtes und übermüthiges mit
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sich geführt hätte, wenn A u g u s t sie für sich allein, o h n e R o m a u s d r ü k l i c h m i t z u n e n n e n , angenommen hätte. Rom, zur Göttin personificiert, hatte schon in mehrern Griechischen Städten Tempel. Smyrna war die erste gewesen, die den Römern im Jahre 559. dieses höchste Merkmal von Devotion, das nach der damaligen Vorstellungsart möglich war, gegeben hatte. Daß d e r G e n i u s A u g u s t s , mit d e r F o r t u n a v o n R o m gleichsam vermählt, in e n t l e g n e n Provinzen einen gemeinschaftlichen Tempel erhielt, wo die Götter für das so enge verbundne Glück Augusts und der Stadt Rom öffentlich angerufen wurden, hatte nichts anstößiges, nichts der gegenwärtigen Verfassung widersprechendes; aber das Nämliche mitten in Rom selbst, schien dem
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furchtsamen August, der izt mehr als jemals allen Schein verhaßter Vorzüge vermeiden wollte, gefährlich. Indessen konnte und wollte er doch nicht verhindern, daß seit dem Altar, den der Senat bey seiner Zurükkunft im J. 735. *) **)
S. des Abts M o n g a u l t Abhandlung über diese Materie im I. B. der Memoir. de Litterature. Sueton. in Aug. c. 52.
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der Fortunae Reduci aufrichten ließ, eine Menge Altäre ihm zu Ehren errichtet wurden; aber diese Altäre waren nicht dazu bestimmt, um i h m als einem G o t t darauf zu opfern, sondern f ü r i h n , als einen S t e r b l i c h e n , zu opfern und zu beten. Daß dies ihre wahre und einzige Bestimmung gewesen sey, wird niemand, der die Religion der Römer kennt, bezweifeln; und zum Überfluß kann es der vom Abt M o n g a u l t aus dem G r u t e r i s c h e n We r k e angeführte Altar (der sich noch zu Rom in dem Mediceischen Garten befindet) beweisen, der, laut der Aufschrift einer von denen ist, welche S. P. Q. R. dem August dedicierten, und auf dessen einer Seite A u g u s t s e l b s t , als Pontifex Maximus, von andern Priestern umgeben opfernd vorgestellt wird. Denn daß er
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i h m s e l b s t geopfert haben werde, kann doch wohl niemanden einfallen. — „Was will nun also unser Dichter damit, wenn er von der Errichtung dieser Altäre ein so großes Aufheben macht? So wie Er davon spricht, kann man ja kaum anders denken, als daß die Römer ihren August würklich schon bey lebendigem Leibe vergöttert hätten?“ — Ich antworte: Wiewohl die Ehre, die sie ihm durch die Dedication solcher Altäre bewiesen, keine göttliche Ehre war, noch, ihrer Absicht nach, seyn sollte: so war es doch eine u n g e w ö h n l i c h e Ehre, die in Rom selbst noch keinem Sterblichen wiederfahren war, und es konnte als e i n U n t e r p f a n d d e r A p o t h e o s e , die ihm nach seinem Tode bevorstund, angesehen werden. Aber dies war auch alles; und was Horaz
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m e h r zu sagen scheint, ist eine bloße Wendung, um den Vorzug, der dem August dadurch gegeben wurde, desto mehr zu heben, und die mir nicht unglüklich durch diese Übersetzung ausgedrukt zu seyn scheint, — wir richten die Altäre dir bey deinem Leben auf, bey denen u n s r e E n k e l einst schwören werden.
(3) Horaz sagt bloß Pontificum libros, und meynt damit ohne Zweifel die nämlichen, welche L i v i u s Commentarios Pontificum und Dionysius von Halikarnaß (der uns ein Fragment davon erhalten hat) die h e i l i g e n B ü c h e r , iëeroi Deltoi, nennt. Sie wurden zu einer Zeit angefangen, da ausser dem Pontifex Maximus, dem ihre Verfertigung oblag, schwerlich viele Personen in Rom waren, welche schreiben und lesen konnten; und enthielten eine mit Legenden-Mährchen und Wunderdingen reich verbrämte Chronik der Stadt
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Rom von den ältesten Zeiten bis ins siebente Jahrhundert. Vermuthlich war es dieser wunderbare Inhalt, mit der altfränkischen, treuherzigen und glaubigen Manier des Vortrags, was sie (wie A t t i c u s beym Cicero sagt *)) so ausserordentlich angenehm zu lesen machte. Horaz, wiewohl er überhaupt kein großer Liebhaber eisgrauer Schönheiten war, spricht den Antiquaillen, wovon die Rede ist, darum nicht alles Interesse ab: er spottet nur über den verkehrten oder affectierten Geschmak der übertriebnen Liebhaber, die an diesen Überbleibseln des rohesten Alterthums so großes Belieben fanden, daß ihnen nichts Neues schmecken wollte. 10
(4) Man trug sich damals zu Rom mit einer unendlichen Menge von alten Weissagungen, unter denen besonders die von einem edlen Römer, Namens C n . M a r c i u s , (welcher Offenbarungen zu haben vorgegeben und die unglükliche Schlacht bey C a n n ä lange zuvor vorhergesagt hatte) nach Erfüllung der leztern, die Aufmerksamkeit des Senats an sich zogen; wovon man den Detail im 25sten Buche des L i v i u s finden kan. Als Augustus im Jahr 741 nach dem Tode des ehmaligen Triumvir Lepidus auch die Würde eines P o n t i f e x M a x i m u s erhielt, die ihm den einzigen Zweig der Souveränität, der ihm noch fehlte, nämlich die höchste Gewalt in allen die Religion betreffenden Dingen gab, ließ er alle Bücher dieser Art, deren man über 2000 zusam-
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menbrachte, aufsuchen und verbrennen. Nur die Verse, die den S i b y l l e n zugeschrieben wurden, stunden bey dem Römischen Pöbel in zu großem Ansehen, als daß er sich an ihnen hätte vergreiffen dürfen. Die Sammlung derselben, die seit den Zeiten des Tarquinius im Capitol verwahrt wurde, war zwar in dem Krieg mit den Italiänischen B u n d e s g e n o s s e n , mit dem Tempel selbst, verbrannt. Der Senat hatte aber einige Zeit hernach eine neue Sammlung besorgt, die aus ungefehr tausend Versen bestund, welche man zu E r y t h r ä und in andren Orten in Italien und Sicilien bey unterschiedlichen Privatpersonen zusammengebracht hatte. Mit dieser hatte man sich bisher beholfen; bis August, vermuthlich weil die Neigung aberglaubischer Leute zu
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dergleichen Curiosis allerley unächten Sibyllen-Liedern zur Geburt geholfen hatte, eine Revision derselben vornehmen, und durch das ehrwürdige Collegium der XV Virorum Sacris Faciundis eine neue vollständige und ächte Abschrift der Sibyllinischen Verse machen ließ, die er — mit allem schuldigen *)
De Legibus I. c. 2. annales Pontificum Maximorum, quibus nihil legi potest jucundius.
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Respect — in zwey vergoldete Capseln verschlossen, unter das Fußgestell des Palatinischen Apollo, als ihres natürlichen Schuzherrn, beysetzen ließ. Sie erhielten sich im Besiz dieses Platzes bis ins Jahr Christi 363, wo der Tempel des Apollo in Brand gerieth — die beyden Capseln aber noch mit vieler Mühe gerettet wurden. Der Dichter Claudian erwähnt ihres Daseyns und Ansehens noch um das Jahr 403; und legt es dem berühmten S t i l i c o zur Last, daß er sie endlich, aus Haß gegen das Römische Reich, für deren P a l l a d i u m sie angesehen wurden, vernichtet habe. (5) Daß Horaz in dieser Stelle den Römern seiner Zeit s o g a r i n d e r M a h l e r e y den Vorzug über die Griechen sollte haben geben wollen — und dies in
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einem Briefe an A u g u s t , bey dem er sich durch einen so unglücklichen Zug von Patriotismus äusserst lächerlich hätte machen müssen, — ist etwas das sich gar nicht denken läßt, und wenn es hundert Scholiasten sagten. Ich will gerne glauben, daß man damals von einem Horaz noch nicht verlangte, daß er sich auf alles verstehen müsse; und daß es ihm also sehr erlaubt war, kein Kenner von Mahlerey zu seyn. Aber mußte einer denn ein Kenner seyn, um zu wissen, wie unendlich die Römer in dieser Kunst hinter den Griechen zurük waren? Und wie hätte ein Mann, der A t h e n gesehen hatte, und nun schon so lange ein Hausgenosse eines Mäcenas gewesen war, sich einfallen lassen können, die Römer, um des Landschaftmahlers L u d i u s , * ) oder um ihres A r e l -
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l i u s willen, dessen Göttinnen immer Porträte seiner Mätressen waren, den Griechen entgegen zu stellen, welche, nur bloß aus dem Jahrhundert des Perikles und Alexander, weit mehr vortrefliche Mahler aufzuweisen hatten, als die Römer, von Erbauung ihrer Stadt an, Mittelmäßige und Schlechte nennen konnten? — Ich habe also, den Punct nach dem 31sten Verse in ein Comma verwandelt, und lese mit G e ß n e r und B a t t e u x die drey folgenden Verse, v e n i m u s ad s u m m u m etc. als eine Fortsetzung des Räsonnement, wodurch Horaz die blinden Verehrer der alten Römischen Litteratur zur Ungereimtheit zu treiben sucht. Seine wahre Meynung ist also: wenn wir behaupten wollen, weil die Alten bey den Griechen die Besten sind, so müssen sies auch bey uns seyn: so ist nichts so ungereimt, das wir nicht mit gleichem Rechte behaupten könnten! so wollen wir uns auch einbilden, wir hättens in der Musik, in der Mahlerey, in der Athletik höher gebracht als die Griechen, kurz, wir *)
Und auch dieser war ein gebohrner Aetolier.
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hätten in Allem schon das Non plus ultra erreicht. — Dies ist, ohne allen Zweifel, was Horaz meynen mußte, und man braucht nur auf den ganzen Zusammenhang recht acht zu geben, um zu sehen, daß er entweder d i e s sagen wollte, oder die inconsequenteste Absurdität gesagt hätte, die jemals einem B a v i u s oder M ä v i u s entronnen wäre. (6) Die Geschichte, auf welche Horaz hier anspielt, erzählt Plutarch im Leben des S e r t o r i u s . Dieser General — der eine der ersten Stellen unter den großen Männern, die dem Glücke nichts zu danken hatten, behauptet — hatte, nach manchem Sieg und mancher Niederlage, wieder eine zahlreiche Armee 10
von muthigen, aber wilden und zu aller Ordnung und Disciplin unwilligen, Barbaren zusammengebracht, die immer nur angreiffen wollten, und mit denen er gar bald verlohren war, wofern er kein Mittel finden konnte, sie von der Nothwendigkeit eines überlegten Betragens zu überzeugen. Er ließ sie endlich einmal anrennen; sie wurden, ungeachtet ihres kühnen aber unordentlichen Angriffs, von den Römern zurükgeschlagen, und würden sehr übel weggekommen seyn, wenn ihnen Sertorius nicht in Zeiten zu Hülfe gekommen, und die fliehenden glüklich ins Lager zurükgebracht hätte. Diese Schlappe machte sie nun auf einmal so muthlos, als sie vorher übermüthig gewesen waren. Sertorius, ein Meister in der Kunst die Menschen zu behandeln wie nur wenige
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gewesen sind, hielt dies für die rechte Zeit, sie mit Einemmal von beydem zu heilen. Der schönste philosophische Discurs von der Welt würde hier nichts geholfen haben — oder hilft vielmehr nie zu was. Denn rohe Menschen verstehen nichts davon: und verfeinerte amüsiren sich damit, und disputiren, wenn der schöne Redner fertig ist, ob er Recht oder Unrecht habe. Sertorius versammelte seine Armee, und ließ, ohne zu sagen was er damit wollte, zwey Pferde, einen jungen und starken Andalusischen Hengst, und eine alte, lahme, Klapperdürre Mähre, mitten unter sie hervorführen. Das starke Pferd, an welchem besonders die lange Mähne und der schöne Schweif in die Augen fiel, wurde von einem kleinem schwachen unansehnlichen Kerl, die elende Gurre
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hingegen von einem seiner größten und handfestesten Leute geführt. Jedermann war in großer Erwartung, was daraus werden sollte. Nun paßt auf, rief Sertorius. Auf einmal ergriff der starke Kerl den Schweif des schwachen Gauls, und zog mit aller seiner Stärke, als ob er ihn ausreissen wollte; während daß zu gleicher Zeit der kleine schwache Knirps sich hinter das starke Pferd hermachte, und ihm ein Haar nach dem andern aus dem Schweif zog. Der
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erste, nachdem er aus allen Kräften, unter großem Gelächter der weisen Zuschauer, so lange bis ihm der Athem ausblieb, vergebens gezogen hatte, mußt es endlich aufgeben; da hingegen der andre, ohne Mühe und in wenig Augenblicken, dem starken Pferde seinen Schweif Haar vor Haar ausgezogen hatte, und in seiner Hand vorzeigte. — Der A p o l o g e war treflich und hatte den Zuschauern großen Spaß gemacht; aber wenn es Sertorius dabey bewenden gelassen hätte, so wären sie so klug weggegangen als sie gekommen waren. Er trat also auf, und sezte — die Moral hinzu. Liebe Cameraden, sagte er, ihr seht, daß mit Geduld oft mehr auszurichten ist als mit Stärke. Es giebt viele Dinge, die sich unmöglich auf einmal machen lassen, wie viel Kräfte und Mühe man
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auch anwendete; und womit man gleichwohl nach und nach sehr leicht zu Stande kommt, u. s. w. — Wie im Plutarch selbst lesen mag, wer zu seinem Pikling noch Salz zu nehmen gewohnt ist. (7) Pythagoras lehrte, wie bekannt, seine Krotoniaten die Seelenwandrung — wiewohl er sie vielleicht selbst nicht glaubte, oder wenigstens in einem ganz andern Sinne glaubte. Der alte Römische Dichter E n n i u s , ein Zeitgenosse der Scipionen und Paul-Emile, war, in seiner Art und für seine Zeit ein treflicher Mann. Unter ihm fieng die Römische Litteratur an, einen Schwung zu nehmen, der den glüklichsten Fortgang versprach; er bereicherte sie zuerst mit den Schätzen der Griechischen, und hatte den Muth, in einer
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Sprache, die unter seinen Händen erst eine bildsame Gestalt gewinnen mußte, einem Homer nachzueifern. Aber das Gefühl seiner Talente, und der Ruhm, den er sich unter seinen Zeitgenossen erwarb, wurde für seine Bescheidenheit zu stark; und der gute Ennius, weil er ein großes historisches Gedicht von den Thaten des Scipio Africanus, und eine große Römische Chronik, in Hexametern, geschrieben hatte, hörte sich nicht nur gerne den Römischen Homerus nennen, sondern erzählte sogar im Eingang seiner A n n a l e n selbst mit großer Treuherzigkeit: Homer sey ihm im Traum erschienen, und habe ihm entdekt, daß seine Seele, nach verschiednen Wanderungen, zulezt in einen Pfauen, und aus diesem unmittelbar in seinen, des Ennius, Leib gezogen sey. Dies ist der P y t h a g o r i s c h e Tr a u m , auf welchen unser Dichter hier zielt. Ennius machte sich dadurch öffentlich anheischig, ein zweyter Homer zu seyn: bekümmerte sich aber, wie Horaz meynt, eben so wenig darum, w i e er Wort halten w o l l t e — als die Kunstrichter, die ihn für den Römischen Homer anerkannten, o b er Wort gehalten h a b e . Er mußte ja, dachten sie, am besten
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wissen was er war: und es war für sie immer das Bequemste, es ihm auf sein Wort zu glauben. — Die Art, wie Geßner diese Stelle verstanden haben will, ist so — unglüklich, daß man ihn zweymal lesen muß, um zu glauben daß man recht gelesen habe. Der Horror naturalis dieses gelehrten Mannes vor allem was einer Ironie gleich sieht, ist unbegreiflich. (8) Horaz macht, gegen seine Absicht, diesem N ä v i u s kein kleines Compliment, indem er sagt, jedermann wisse ihn beynahe auswendig, ungeachtet man von seinen Werken nichts mehr zu Gesicht bekommen könne. N ä v i u s , der ein Zeitgenosse des Ennius, wiewohl etwas jünger war, *) that sich ebenfalls 10
in der Epischen und Dramatischen Dichtkunst zugleich hervor. Seine eigentliche Stärke lag in der Comödie, worinn er aber noch bey seinem Leben dem Plautus die Oberstelle lassen mußte. Cicero sagt von ihm: daß er facetiarum plenus sey, und führt im 2ten Buche de Oratore verschiedene kleine Züge aus seinen Comödien an, die er sehr drollicht findet. Vermuthlich waren es diese launichten Einfälle und F a z e t i e n , die sich durch eine Art von Tradition, **) als das Beste und gleichsam d e r G e i s t d i e s e s N ä v i u s , bis auf Horazens Zeiten erhalten hatten. (9) P a c u v i u s , ein Schwestersohn des Dichters Ennius, that sich in der Mahlerey und in der Tragödie zugleich hervor. Er wurde im Jahr 533. geboh-
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ren, und lebte bis 623. Die Römische Sprache und Poesie gewann sehr viel durch diesen Dichter; und ein paar kleine Fragmente, die ich weiter unten von ihm anführen werde, rechtfertigen die große Achtung, worinn er bey den Römern, noch zu Cicerons Zeiten, stund; der ihm, ungeachtet sein Latein nicht das reinste war, die erste Stelle unter ihren Tragischen Dichtern einzuräumen scheint, ***) und ihn öfters zu citieren pflegt. — A t t i u s oder A c t i u s trat, als sein Nebenbuler in der Tragödie, in seinem dreißigsten Jahre auf, um dem *)
Dies sagt C i c e r o ausdrüklich im 1. Cap. der ersten Tu s c u l a n a ; und der wußte es doch
wohl besser, als Lambinus und die andern, die es diesem nachgesagt. **) 30
Cicero läßt den großen Redner seiner Zeit, L . C r a s s u s , von seiner Schwiegermutter
L ä l i a sagen: cum audio socrum meam Laeliam, eam sic audio ut P l a u t u m mihi aut N a e v i u m videar audire u. s. w. Diese L ä l i a war eine Tochter des C. L ä l i u s , der in dem Dialog v o n d e r F r e u n d s c h a f t die Hauptperson vorstellt, und ein Zeitgenosse aller der Dichter war, von denen hier die Rede ist. Sie hatte also, wie auch Crassus selbst bemerkt, diese alte ungekünstelte Art sich auszudrücken, die ihn alle Augenblicke an den Plautus und Nävius erinnerte, durch Tradition von ihrem Vater angenommen. ***)
De opt. Gen. Orator. cap. 1.
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damals schon achtzigjährigen Greise einen wohlverdienten und so lange behaupteten Kranz von der Stirne zu reissen. Die Kunstrichter, denen Ennius ein Homer war, fanden in Actius einen zweyten S o p h o k l e s , und Pacuvius mußte sich begnügen der R ö m i s c h e E u r i p i d e s zu heissen, den er sich auch, soviel man aus seinen Fragmenten urtheilen kann, würklich zum Vorbild genommen hatte. Dies ists was Horaz mit dem Gegensaz der charakterisirenden Beywörter, g e l e h r t und e r h a b e n , ohne Zweifel sagen will; denn das nämliche Urtheil würde auch auf Euripides und Sophokles passen. (10) Dieser A f r a n i u s , der sich durch Fabulas To g a t a s , d. i. durch Komödien, worinn R ö m i s c h e Personen und Sitten aufgeführt waren, hervor-
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gethan, wurde von den Kunstrichtern nicht deswegen mit dem M e n a n d e r (dessen Sprache er, wie es scheint, nicht verstund) verglichen, weil er diesen Dichter der Grazien zu seinem M u s t e r g e n o m m e n , sondern weil sie glaubten, daß er ihm v o n N a t u r ä h n l i c h sey, und daß seine Stücke sich unter den übrigen römischen Komödien, eben so wie die Mäandrischen, durch E l e g a n z und F e i n h e i t auszeichneten. Cicero giebt dieser Stelle einiges Licht. A f r a n i u s , sagt er *), habe sich nach dem Römischen Ritter, C . T i t i u s , gebildet, der unter die beredten Männer seiner Zeit zu zählen sey, und es soweit gebracht hätte, als ein Lateinischer Redner, ohne die Griechen zu kennen, sine Graecis literis, nur immer habe kommen können. Die Reden dieses Titius,
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sezt er hinzu, seyen so voll Feinheit, Wiz, und Urbanität, daß man sie beynahe im A t t i s c h e n Geschmacke geschrieben glauben könnte; und er hätte eben diese Manier zu schreiben auch in seine Tragödien gebracht, wo sie aber freylich keinen guten Effect gethan u. s. w. Hier haben wir also die wahre Auflösung des Räthsels, wie Afranius zu seiner Ähnlichkeit mit Menander gekommen sey. (11) E p i c h a r m u s , ein Pythagoräer, und Dichter der e r s t e n K o m ö d i e , blühte um die Zeiten des Tyrannen Hiero von Syracus, und also v o r d e m A r i s t o p h a n e s . Platon giebt ihm in seinem T h e ä t e t die Oberstelle unter den komischen Dichtern seines Jahrhunderts. Er schrieb über 50 Stücke, von denen wir nichts als die Namen und wenige Fragmente übrig haben. Wenn er sich (wie unser Dichter zu verstehen giebt) zum Plautus verhielt, wie (aller Wahrscheinlichkeit nach) Accius zum Sophokles und Afranius zu Menander, *)
De Clar. Orator. c. 45.
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so ist der Verlust seiner Werke beweinenswerth. — C ä c i l i u s war etwas älter als Te r e n z , und scheint, wie dieser, seine Stücke größtentheils dem Menander und andern Dichtern d e r n e u e n K o m ö d i e in Athen abgeborgt zu haben. Er kann nicht schlecht gewesen seyn, da C i c e r o es wenigstens z w e i f e l h a f t läßt, ob ihm nicht der erste Platz unter den Römischen Komikern gebühre *); wiewohl er ihm an zwey andern Orten Schuld giebt, daß er die Sprache nicht rein geschrieben habe **). Was die Kunstrichter mit der G r a v i t ä t , worinn sie dem Cäcilius, und mit der K u n s t , worinn sie dem Te r e n z den Vorzug gaben, eigentlich gemeint, ist nicht so leicht zu sagen. Weil diese 10
Te r m i n i einander entgegengesezt sind, so vermuthe ich: daß gravitate auf den höhern Werth des Stoffes, und arte auf die feinere Bearbeitung gehen soll: Jener hatte mehr Gewicht, dieser mehr Geschmak. — Vielleicht aber bezieht sich das vincere auf den P l a u t u s , von welchem unmittelbar vorher die Rede war; und dann wäre der Sinn ohne Zweifel: C ä c i l i u s hätte ihn an Anständigkeit und Sobrietät, Te r e n z an Kunst der Composition übertroffen. — Übrigens ist noch im Vorbeygehen zu erinnern, daß man diese Urtheile nicht (wie öfters geschehen ist) auf H o r a z e n s Rechnung setzen muß; er führt sie als Urtheile der Kunstrichter an, die das Publikum noch zu seiner Zeit nachzusprechen pflege; und er ist so weit entfernt sie zu unterschreiben, daß er sie
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vielmehr, durch alles was er über die Frage von dem Vorzug der Alten vor den Neuern sagt, zu entkräften sucht. (12) Das Urtheil, welches Horaz in dieser Stelle über die beliebtesten Römischen Dichter des sechsten Jahrhunderts, vom Vater Ennius bis zu dem h a l b e n M e n a n d e r Terenz (wie ihn C . C ä s a r * * * ) nennt) ausgesprochen, scheint so hart und unbillig zu seyn, daß wir nicht umhin können, es in eine nähere Prüfung zu nehmen. Es entstehen natürlicher Weise dabey zwey Fragen, die zu beantworten sind. Die erste ist: verdienten diese alten Dichter die wenige Achtung, womit Horaz von ihnen spricht? — Die andre — wird sich geben, wenn wir die erste beantwortet haben werden.
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Ich will hier zu Gunsten der Alten den Grund nicht geltend machen, der von der großen Achtung worinn sie im sechsten und siebenten Jahrhundert
*)
De opt. gen. orator. c. 1.
**) ***)
B r u t . c. 73. Epist. ad Attic. VII. 3. In den bekannten Versen, die uns S u e t o n im Leben des Terenz aufbehalten hat.
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der Republik sich immerfort erhalten haben, hergenommen ist. Man weiß ungefehr, wie viel oder wenig dieser Grund wiegt. Indessen ist doch nicht zu vergessen: daß der Zeitraum zwischen der Usurpation des S u l l a und den lezten bürgerlichen Kriegen, d. i. die Zeit worinn C i c e r o blühte, ganz eigentlich das s c h ö n s t e A l t e r d e r R ö m i s c h e n L i t t e r a t u r war; daß sich in keinem andern mehr vortrefliche Köpfe, der Z a h l und dem i n n e r n G e h a l t nach, in Rom beysammengefunden; und daß in keiner andern die Griechische Litteratur, als der Maasstab der Römischen, mehr geschäzt und cultiviert worden. Der Schluß also: wenn die alten Römischen Dichter in einer s o l c h e n Zeit, von s o l c h e n Männern, noch immer geschäzt, ihre Werke
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noch immer gerne g e h ö r t , g e l e s e n , und alle Augenblike i m M u n d e g e f ü h r t wurden — so können sie so schlecht nicht gewesen seyn; so müssen sie noch etwas mehr als bloße veniam (wie Horaz sagt) haben fodern dürfen — dieser Schluß, sage ich, scheint auf einem sehr richtigen Vordersaz zu beruhen: und daß der Mittelsaz eine unläugbare Thatsache sey, wird niemand, dem Cicero’s Werke geläuffig sind, bezweifeln. Aber wir haben nicht nöthig uns auf fremde Autorität (soviel Gewicht sie auch in dem vorliegenden Falle hat) zu berufen. Verschiedne Werke einiger dieser von Horaz so sehr herabgesezten Schriftsteller sind bis auf uns gekommen. Wir können Cicerons günstiges Urtheil von den Scherzen des r ö m i s c h e n E p i c h a r m u s * ) mit eignen
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Sinnen bewähren; und die Plautini Sales, gegen welche sich Horaz in dem Briefe an die Pisonen so stark erklärt, haben seit der Wiederherstellung der Litteratur bis auf diesen Tag so viele Liebhaber gefunden als sie in Rom hatten. Auch diejenigen, deren G e s c h m a k nicht selten von diesem Dichter, dessen Stücke größtentheils nur S i t t e n a u s d e m n i e d r i g s t e n L e b e n darstellen, beleidigt wird, lassen seinem Komischen Genie Gerechtigkeit wiederfahren, ergötzen sich an seinem Wiz, und lachen oft in ihrem einsamen Cabinet bey seinen Einfällen so laut, als ob sie mitten im alten Römischen Parterre säßen. Noch izt sind die Lustspiele des Te r e n z die Delizien aller Leser von Geschmak, und die Reinheit und Zierlichkeit der Sprache, um derentwillen man ehmals sogar einem L ä l i u s mit seinen Stücken Ehre zu er*)
D u p l e x omnino est j o c a n d i g e n u s , unum illiberale, petulans, flagitiosum, obscoenum:
alterum e l e g a n s , u r b a n u m , ingeniosum, facetum; quo genere non modo P l a u t u s n o s t e r , et Atticorum antiqua Comoedia, sed etiam Socraticorum Philosophorum libri referti sunt. C i c e r o , de Offic. I. 29.
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weisen glaubte *), ist vielleicht die geringste von den G r a z i e n , die ihn dem Mann von feinem Gefühl, dem Menschenforscher, und jedem elegans Formarum Spectator so vorzüglich lieb machen. Aber auch die ältern Dichter, von denen wir nur nach wenigen einzelnen Bruchstücken urtheilen können, ein E n n i u s , ein P a c u v i u s , erscheinen selbst in diesen Bruchstücken in einem ganz andern Lichte, als worinn sie uns hier vom Horaz gezeigt werden. Z. B. folgendes Gemählde einer ausgelernten C o k e t t e — — Quasi in Choro pila ludens Datatim dat sese et communem facit; Alium tenet, alii nutat, alibi manus
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est occupata, alii pervellit pedem; Alii dat annulum spectandum, a labris alium invocat, cum alio cantat, et tamen alii dat digito literas —
Sie spielt sich wie ein Ball aus Hand in Hand im Kreis der Jünglinge, und theilt sich allen mit; mit diesem schwazt Sie, jenem winkt sie zu, den dritten nimmt sie bey der Hand, und tritt dem vierten auf den Fuß; giebt ihren Ring dem fünften anzusehen, wirft dem sechsten
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ein Mäulchen zu, singt mit dem Siebenten, und unterhält inzwischen mit dem Achten sich in der Fingersprache —
Wer hätte dem alten E n n i u s dies Gemählde zugetraut? **) Oder welcher Dichter würde sich folgender Beschreibung eines Sturms, die uns Cicero aus dem P a c u v i u s erhalten hat, zu schämen haben? ***)
*)
Secutus sum — Te r e n t i u m , cujus fabellae propter elegantiam sermonis putabantur a
Cajo Laelio scribi. I d . ad Attic. VII. 3. **) 30
***)
S. F r a g m . Ve t e r . P o e t a r . L a t . Edit. H. Stephani, p. 131. C i c . de Oratore. III. 39.
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Interea prope jam occidente sole inhorrescit mare, Tenebrae conduplicantur, noctisque et nimbum occoecat nigror; Flamma inter nubes coruscat, coelum sonitu contremit, Grando mista imbri largifluo subita turbine praecipitans cadit, Undique omnes venti erumpunt, saevi existunt turbines, Fervet aestu paelagus —
Man braucht nur eine Klaue zu sehen, um zu wissen ob sie einem Löwen zugehört. So groß auch noch die Mängel dieser alten Dichter seyn mochten, war es billig von ihren Vortreflichkeiten zu schweigen? Und wenn man ihnen die Barbarey ihres Zeitalters, den Mangel an Kunst und Politur, kurz, den Nacht-
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heil daß sie die E r s t e n waren, die das Eis brechen mußten, vorrükt, sollte der Muth und Fleiß womit sie es gebrochen haben, gering geachtet werden? Man kennt die Antwort V i r g i l s , als sich jemand wunderte, den Dichter der Aeneide über den Annalen des Ennius anzutreffen: i c h s u c h e G o l d a u s e i n e m M i s t h a u f f e n , sagte V i r g i l . * ) — Horaz spricht nur von dem Misthauffen, und vergißt, wie viel Gold ein Virgil darinnen fand. — Übrigens scheint er auch hierinn Tadel zu verdienen, daß er den uralten Livius Andronikus, und den Atta, mit Ennius, Accius, Nävius, diese mit Plautus, Cäcilius, Pacuvius, und die leztern mit Terenz und Afranius zusammenwirft: da doch, ungeachtet sie Alle in dem Umfang eines Jahrhunderts gelebt haben, 40 oder
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50 Jahre f r ü h e r oder s p ä t e r bey Schriftstellern dieser Art einen großen Unterschied machen, und z. E. schon der Abstand des Terenz vom Plautus (der nicht viel über 30 Jahre älter war als Terenz) in Rüksicht auf Geschmak, Urbanität und Schönheit der Sprache, sehr auffallend ist. Den Te r e n z mit einem Ennius und Nävius, oder überhaupt mit den Autoren zu vermengen, — Die f a s t immer h a r t und o f t n a c h l ä ß i g schreiben —
scheint, es sey nun selbst aus Nachläßigkeit, oder es sey mit Vorsaz geschehen, unverzeihlich zu seyn. *)
Eine Menge glüklicher Ausdrücke und Bilder die noch in den Fragmenten des Ennius vor-
kommen, und die man in der A e n e i s wiederfindet, beweisen, daß Virgil diese Goldgrube wohl zu benutzen gewußt habe. vid. M a c r o b i u s . Saturnal. L. 6.
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Meine Meynung ist nie gewesen, Horazen zu vertheidigen, wo ihm was Menschliches begegnet seyn mag. Aber hier ist es doch wohl der Frage werth, was etwa — bey so starken Anscheinungen gegen seinen Geschmak, oder gegen seine Billigkeit — zu seiner Rechtfertigung zu sagen sey? Fürs erste, glaube ich, da Horaz hier keine T h e o r i e oder keine v o l l s t ä n d i g e W ü r d i g u n g d e r ä l t e r n D i c h t e r schreiben wollte, sey es ihm gar wohl erlaubt gewesen, sie blos von derjenigen Seite anzusehen, die seiner Behauptung, d a ß d e n N e u e r n g e g e n d i e A l t e n U n r e c h t g e s c h e h e , zum Behuf diente; zumal, da das Publikum den Leztern schon mehr als Gerechtigkeit wiederfah10
ren ließ. Sodann ist unläugbar, daß die meisten Dichter, die er nennt, mit den Fehlern, die er ihnen vorwirft, würklich behaftet waren: ob aus Schuld ihrer Zeit, oder ob und wieviel sie selbst dabey schuldig waren, hatte er hier nicht nöthig zu untersuchen: da es ihm nicht darum zu thun ist, d i e s e D i c h t e r — die ihm nichts zu Leide gethan hatten — sondern nur d i e L i e b h a b e r und K e n n e r z u b e s c h ä m e n , die (seiner Meinung nach) einen allzugroßen Werth auf sie legten, und, mit einem der Kunst und dem Geschmak nachtheiligen Eigensinn, d i e N e u e r n verachteten, nicht weil sie schlecht, sondern weil sie n i c h t d i e A l t e n waren. Endlich gereicht, wie ich glaube, auch dies zur Rechtfertigung unsers Dichters, daß die Alten, von denen die Rede ist, fast
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alles was sie Gutes hatten d e n G r i e c h e n schuldig waren; und daß also, ausser dem Verdienst den Anfang gemacht und die Bahn gebrochen zu haben, wenig auf ihre eigne Rechnung kommt. Dies gilt auch von Te r e n z , und von ihm ganz vorzüglich: da er sich ganz nach den großen Mustern der neuen Griechischen Komödie gebildet hatte, und seine Stüke selbst für nichts anders als freye Übersetzungen oder zusammengesezte Gemählde aus mehrern Griechischen ausgiebt. Eben so braucht man nur einen Blik auf das Gemählde einer Cokette vom Ennius zu werfen, um zu sehen, daß es irgend einem Griechen abgenommen ist. Das nämliche gilt von allen ihren alten Tragödien, welche lauter Übersetzungen oder Kopeyen von Griechischen Originalen waren.
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Horaz thut ihnen also im Grunde kein Unrecht, indem er von ihren Schönheiten, die ein bloßer Raub waren, schweigt, und nur dessen, was den meisten unter ihnen eigenthümlich war, ihres noch rohen Geschmaks, und ihrer Nachlässigkeit in Sprache, Ausdruk und Versifikation gedenkt. — Übrigens ist auch in Betrachtung zu ziehen, daß die humoristische Heftigkeit, womit er diese ganze Materie behandelt, eine Art von Poetischer F i c t i o n ist, wodurch
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er seinen Vortrag zu beleben, und Augusten lächeln zu machen suchte; und daß er besser unten, da ihn die Geschichte der Römischen Poesie wieder auf die dramatischen Versuche der Römer bringt, ihren Tragischen Dichtern alle Gerechtigkeit wiederfahren läßt. (13) Dieser Livius war eigentlich ein Grieche Namens A n d r o n i k u s , der in Römische Gefangenschaft gerathen war, und weil er von M . L i v i u s S a l i n a t o r die Freyheit erhalten, nach Römischer Gewohnheit den Namen seines Patron angenommen hatte. Er war es, der im Jahr 514. zuerst eine Art von Tragödie, die einige Ähnlichkeit mit der Griechischen hatte, in Rom auf die Schaubühne brachte — aber dies Verdienst konnte freylich in Horazens Augen
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nicht groß genug scheinen, um ihn in den Barbarischen Versen dieses alten Dichters, um derentwillen er in der Schule so viele Schläge bekommen hatte, alle die Schönheiten finden zu lassen, die sein O h r f e i g e n r e i c h e r Lehrer Orbilius darinn zu sehen glaubte. B e n t l e y , der so gern der einzige von seiner Meynung ist, findet, ich weiß nicht warum, in seinem Herzen, sich des guten Orbilius, der es vermuthlich mit seinen Ohrfeigen sehr wohl meynte, mit großem Eifer anzunehmen. Er meynt, Livius Andronikus sey ein viel zu a l t e r Autor gewesen um für ein Schulbuch gedient zu haben; und also sezt er, aus kritischer Machtgewalt, für Livius — L ä v i u s , den Namen eines andern alten und sehr unbekannten Autors, dessen Erotopaegnia ( L i e b e s s c h e r z e )
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A u s o n i u s in seinem nachgelaßnen Cento Nuptialis den F e s c e n n i n e n des A n n i a n u s an die Seite sezt. Bentley hat nicht unrecht, daß ein Schulbuch von diesem Schlage kein schlimmes Mittel wäre, sich der Aufmerksamkeit der studierenden Jugend zu versichern, und Orbil hätte dabey manche Ohrfeige ersparen können; nur ist nicht wahrscheinlich, daß jemals ein Schulmeister, außer Bentleyen, auf ein so schlaues Expediens gefallen sey. Hingegen kann nichts schwächers seyn, als sein Einwurf gegen den alten L i v i u s . O r b i l war ein abgedankter Soldat, der den Schulscepter aus Noth ergriffen hatte, als der Knabe Horaz bey ihm l e s e n u n d s c h r e i b e n l e r n t e . Wahrscheinlich reichte seine eigne Gelehrsamkeit nicht weit, und er las mit seinen Schülern den Livius, weil es der Autor war, aus dem er selbst lesen gelernt hatte. — Ich hätte in dieser Epistel noch oft mit dem wohlbesagten Englischen Kunstrichter hadern müßen, wenn ich jeden Anlaß, den er dazu giebt, hätte ergreiffen wollen. Seine Verbesserungen sind meistens in diesem Geschmak, und widerlegen sich fast immer selbst.
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(14) T . Q u i n t i u s A t t a ebenfalls ein Verfasser Römischer National-Schauspiele, (Fabularum To g a t a r u m ) scheint um die Mitte des 6ten Jahrhunderts gelebt zu haben. Seines Namens wird sonst von keinem guten Schriftsteller gedacht. Indessen sieht man doch aus dieser Stelle, daß seinen Stücken zuweilen die Ehre wiederfuhr, von den L e K a i n und P r e v i l l e des Römischen Theaters gespielt zu werden, und durch diesen Vortheil Beyfall zu erhalten. — Der Grammaticus F e s t u s sagt, dieser Quinctius habe den Beynamen A t t a (ein Sabinisches Wort) von seinem Gang bekommen, weil er, wegen ich weiß nicht welches Fehlers in der Conformation seiner Füße, eine Art von 10
hüpfendem oder hinkendem Gang gehabt. Die Scholiasten sehen in Horazens Ausdruk eine scherzhafte Anspielung auf dieses Gebrechen, die für uns verlohren geht. (15) Der Dichter findet, zu seiner eignen Rechtfertigung, nöthig, die wahren Ursachen zu berühren, warum diejenige unter seinen Mitbürgern, die ihre schönste Zeit noch im vorigen Jahrhundert verlebt hatten, eine so sonderbare Partheylichkeit für die Productionen solcher Dichter wie A c c i u s , N ä v i u s , A t t a , und ihres gleichen, zeigten. Die erste, und ohnezweifel, die hauptsächlichste Ursache war: weil sie in ihrer Jugend, also in dem Alter der lebhaftesten Eindrücke, diese Stücke von A e s o p u s und R o s c i u s , den größ-
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ten Schauspielern welche Rom jemals gehabt hat, in einer Vollkommenheit, die nichts zu wünschen übrig ließ, spielen gesehen hatten. Diese beyden Künstler blühten schon in der Mitte des Jahrhunderts, das vor dem Augusteischen unmittelbar vorhergieng: aber sie erreichten beyde ein hohes Alter, und ließen sich, um den Großen und dem Volke Ehre zu erweisen, auch in ihrem Alter noch zuweilen erbitten, bey außerordentlichen Gelegenheiten den Schauplaz zu betreten. A e s o p u s that dies zum leztenmal, als Pompejus der Große sein herrliches Amphitheater im Jahr 698. einweyhete; aber seine Kräfte entsprachen seinem guten Willen nicht mehr; die Stimme verließ ihn gerade bey der Stelle, wo die stärkste Würkung gemacht werden sollte, und
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alle Zuhörer stimmten überein (sagt Cicero, *)) daß es ihm nun erlaubt sey aufzuhören. Der stärkste Beweis, in welchem Grad er der Liebling des Römischen Publicums gewesen, und wie theuer damals Talente dieser Art bezahlt worden, ist dies: daß er, ungeachtet er einen Aufwand machte der bis zur *)
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höchsten Verschwendung gieng, seinem Sohn noch zwanzig Millionen Sesterzien, oder über 800 000 Thaler hinterlassen konnte. A e s o p u s war bloß ein Tragischer Schauspieler; R o s c i u s excellierte in beyden Gattungen. Cicero, der ein sehr großer Freund von Beyden war, lebte besonders mit diesem Roscius in einer Verbindung, die dem leztern große Ehre macht. Seine Werke sind voller Beweise des hohen Werthes, den sowohl die Kunst, als der Geist und Charakter dieses Schauspielers in seinen Augen hatte. Wie vortreflich mußte der Mann seyn, von dem ein C i c e r o öffentlich sagen durfte: „er ist ein so großer Künstler, daß E r a l l e i n werth scheint, auf dem Schauplatz gesehen zu werden; und ein so edler und guter Mann, daß man ihn beynahe ungern auf dem Schauplatz
sieht.“ *)
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— Die Rede, worinn er ihn gegen die Anklage eines
gewissen Fannius Chärea vertheidigt, und woran unglüklicherweise Eingang und Schluß, und also gerade was für Uns das Interessanteste wäre, fehlt, enthält im 6ten Cap. eine beynah noch stärkere Stelle. **) In seiner Kunst hatte er, nach dem allgemeinen Urtheil seiner Zeitgenossen eine so große Vollkommenheit erreicht, daß es zum Sprüchwort wurde, von einem jeden, der in irgend einer Art von Wissenschaft oder Geschiklichkeit excellierte, um ihm das größte mögliche Compliment zu machen, zu sagen er sey e i n R o s c i u s i n s e i n e m F a c h e . * * * ) Eines von den Verdiensten, die sich dieser Künstler um das Römische Theater machte, war, daß sein Haus eine Art von Akademie war,
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worinn sich unter seiner Anführung gute Schauspieler bildeten. Indessen pflegte er doch öfters zu sagen: „er habe noch keinen Schüler gefunden, der es ihm völlig recht machen könne; nicht, als ob nicht einige davon es ganz gut machten, sondern weil ihm das Geringste, was etwa noch fehle, unerträglich sey.“ ****) Wenn jemand zu dieser Strenge, oder vielmehr zu dieser unfreywilligen Delicatesse, berechtigt seyn konnte, so war es Roscius. Denn i h m fehlte nichts. Die Natur hatte ihm alles gegeben, die schönste Gestalt, den *)
Cum a r t i f e x ejusmodi sit, ut solus dignus videatur, qui in scena spectetur, tum vir ejus-
modi est, ut solus dignus videatur qui non accedat. Pro Quinct. c. 25. **)
Qui ita dignissimus est scena propter artificium, ut d i g n i s s i m u s s i t c u r i a p r o p t e r
a b s t i n e n t i a m . O r a t . pro R o s c . C o m . c. 6. ***)
D e O r a t . I. 28. Videtisne quam nihil ab eo n i s i p e r f e c t e , nihil nisi c u m s u m m a
v e n u s t a t e fiat? Nihil nisi ita u t d e c e a t , ut uti o m n e s m o v e a t a t q u e d e l e c t e t ? Itaque hoc jam diu est consequutus, ut, in quo quisque artificio excelleret, i s i n s u o g e n e r e Roscius diceretur. ****)
Ibid.
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angenehmsten Ton der Stimme, den edelsten Anstand — und mit diesen einem Schauspieler so wesentlich nothwendigen Gaben verband er Alles was Wissenschaft, Studium und Fleiß vermögen, um die glüklichste Anlage auszubilden. Was Wunder also, daß alle die Römer, die noch so glüklich gewesen waren, einen Roscius, einen Aesopus, die Stücke eines Plautus, Pacuv, Accius, Cäcilius, u. s. w. spielen zu sehen, (und deren lebten doch noch Manche) einen so angenehmen Eindruk davon auf ihre ganze übrige Lebenszeit behalten hatten, daß ihnen die neuern Stücke, von Schauspielern vorgestellt, die sich zwar nach jenen großen Mustern bildeten, aber immer weit unter ihnen zurükblieben, 10
diesen Grad von Vergnügen nicht machen konnten, wenn die Stücke selbst auch besser gewesen wären? — Diese Betrachtung entschuldigt zwar die alten Herren, mit denen Horaz hier ein wenig strenge zu verfahren scheint; aber sie benimmt gleichwohl dem Vorwurf, den er ihnen macht, wenig oder nichts von seiner Stärke — wiewohl man, im Grunde, das nicht einmal einen Vo r w u r f nennen kann, was er bloß als einen P h y s i s c h e n und P s y c h o l o g i s c h e n G r u n d , warum das Neue vor diesen Herren wenig Gnade finden könne, vorbringt. (16) König N u m a , der Stifter des alten Römischen Gottesdiensts, hatte zwölf Priester des Kriegsgottes angeordnet, denen er die Bewahrung der h e i -
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l i g e n S c h i l d e (Ancilia) die vom Himmel gefallen seyn sollten, anvertraute. Zu den religiosen Ceremonien, die diesen Priestern eigen waren, gehörte ein kriegerischer Tanz, den sie, mit Schild und Schwerd bewafnet, nach einer von K. Numa vorgeschriebenen Musik, an dem Fest des Kriegsgottes öffentlich anstellen musten; und ein gewisser Hymnus, in einer Sprache verfaßt, die zu Horazens Zeiten ungefehr so verständlich war, als uns des alten Mönchs K e r o Lobgesang auf den H. Anno. Dies ist das Carmen Saliare, wovon hier die Rede ist. Va r r o , der auf Untersuchung der Römischen Alterthümer soviel Zeit und Fleis verwendete, glaubte auch den Schlüssel zu diesem barbarischen alten Liede gefunden zu haben, und gab dadurch den übertriebnen Liebha-
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bern von Allem was Alt ist den Ton an, so davon zu sprechen, als ob sie es verstünden und große Herrlichkeiten darinn fänden. Es war wenigstens ein Va t e r l ä n d i s c h e s Lied (patriow yëmnow, wie es Dionys. von Halikarnaß nennt) ein ächtes Alt-Römisches Gewächs, worinn vermuthlich nichts war, das nach Homer, Alcäus oder Pindar schmekte; und muste also billig den Prätendenten an einen mehr als gemeinen Römischen Patriotismus gar köstlich seyn!
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(17) Ich zähle dieses Gemählde des Genie’s und Geschmaks der Griechen für die edlern Künste, unter die schönsten Stellen im ganzen Horaz. Die Griechen waren die erste Nation in der Welt, die alle Arten von L e i b e s - u n d G e i s t e s - Ü b u n g e n in S p i e l e verwandelte, und, indem sie diese Spiele zu einer N a t i o n a l - A n g e l e g e n h e i t machte, sich einen National-Charakter bildete, durch den sie gegen die übrigen Völker das wurde, was ihre A l c i b i a d e n oder A s p a s i e n überall gewesen seyn würden, wo sie hingekommen wären. Sie waren die ersten, die aus dem wesentlichsten Vorzug des Menschen vor den übrigen Thieren, aus der S p r a c h e , eine K u n s t , und d i e m ä c h t i g s t e u n t e r a l l e n , zu machen wußten. Gesang, Saytenspiel, und Tanz wur-
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den bey ihnen M u s e n k ü n s t e . Ihnen allein hatte sich die Göttin der S c h ö n h e i t , mit den Charitinnen ihren unzertrennlichen Gespielen, geoffenbart; und s c h ö n wurden alle ihre Werke, A n m u t h war über alles was sie sagten und thaten ausgegossen. Sie allein fanden das Geheimnis, das E r h a b n e mit dem S c h ö n e n und das N ü z l i c h e mit dem A n g e n e h m e n zu vermählen. Ihre Gesezgeber waren Sänger, ihre Helden opferten den Musen, und ihre Weisen den Grazien. Die abgezogensten Begriffe des menschlichen Verstandes empfiengen in der Phantasie ihrer Dichter, unter dem Pinsel ihrer Mahler, unter den Händen ihrer Bildner, einen schönen Leib, und wurden zu lieblichen herzerhöhenden Bildern. Sogar die Religion, bey soviel andern Völkern
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das Grausamste und Schreklichste, gewann bey ihnen eine menschenfreundliche Gestalt; die Götter a n d r e r V ö l k e r waren h i e r o g l y p h i s c h e U n g e h e u e r , die ihrigen Ideale der v o l l k o m m e n s t e n M e n s c h h e i t . Ihre M y s t e r i e n wurden, wie Cicero sagt, eine Wohlthat für die Welt; und in dem geheimnisvollen Dunkel, wo andre Völker von tausend Gespenstern des Aberglaubens geängstigt wurden, schöpften sie F r e u d e am L e b e n und H o f f n u n g im To d e . * ) In allem diesem würkte der heitre, freye, jugendliche Geist der Griechen mit einer Art von froher leichtsinniger Schwärmerey, die von einem schönen Spiel zum andern fortgaukelte. Alle ihre schönen Künste hatten einen Zeitpunkt, wo sie m i t L e i d e n s c h a f t getrieben, geliebt und belohnt wurden; Selbst die Unbeständigkeit ihres Charakters schlug zum Vortheil der Künste aus; weil sie bey keinem Modell von Schönheit, keiner Stufe der Kunst, keiner Manier eines Meisters lange beharrten, sondern immer was *)
Cic. de Legib. II. c. 14.
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Neues, und, wenn auch nichts Schöners, wenigstens was Anders verlangten; aber eben darum waren ihre Künste am Ende doch nur Puppen, womit die Nation spielte; sie bald caressierte, bald wieder wegwarf, bald wieder hervorsuchte, anders ankleidete, u. s. w. Sub nutrice puella velut si luderet infans.
(18) Ob Horaz, indem er sich über diese lächerliche Epidemie seiner Zeit erlustiget, gewußt haben mag, daß der Göttliche August, an den er schrieb, selbst nicht frey davon gewesen war? Wir können diese Frage nicht beantworten: aber daß August sich auch e t w a s w e n i g e s m i t d e r P o e s i e a b g e 10
g e b e n h a b e , versichert uns Suetonius — „Poeticam summatim attigit.“ Man hat noch, sezt er hinzu, ein einziges Stük in Hexametern von ihm, dessen Inhalt und Titel S i c i l i a ist. — Der Stoff war schön und reich, und wie ihn ein Dichter v o n d i e s e m R a n g bearbeitet haben mag, kann man sich leicht einbilden! — Ausserdem war zu Suetons Zeiten auch noch eine kleine Sammlung von S i n n g e d i c h t e n von ihm vorhanden, die allenfalls etwas wäßricht seyn durften, weil er sie i m B a d e zu meditiren pflegte. Die Tragödie A j a x , deren eben dieser Autor erwähnt, war vermuthlich ein Werk seiner jüngern Jahre, wo man ihm gar wohl auch die Eitelkeit der Hofnung zutrauen kann, den Sophokles überwältigen zu können. Er hatte sich mit einem großem
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Sturm und Drang (magno impetu) an dieses Werk gemacht; aber weil es ihm damit nicht recht von statten gehen wollte, gab ers wieder auf. Vermuthlich war das Bon-Mot, das er dem Dichter L u c i u s Va r i u s * ) da er sich nach seinem Ajax erkundigte, zur Antwort gab, das Beste davon. (Man muß aber, um es zu verstehen, vorher wissen, daß Ajax in der lezten Scene des Stücks in sein eigen Schwert hätte fallen sollen, und daß die Römer gewohnt waren, zum Auslöschen dessen, was sie geschrieben hatten, den Schwamm zu gebrauchen.) M e i n A j a x , sagte August, i s t i n d e n S c h w a m m g e f a l l e n — in *)
M a c r o b i u s , der diese Anekdote erzählt, sagt nur Lucius, gravis Tragoediarum scriptor.
Nun zerbrachen sich verschiedene Gelehrte die Köpfe, wer wohl dieser L u c i u s gewesen seyn 30
könne? Das natürlichste war, sogleich auf den Dichter L u c i u s Va r i u s (von welchem weiter unten die Rede seyn wird) zu rathen; aber eben darum verfiel man am spätesten auf ihn. Nodum in scirpo quaerere, ist ein Sprüchwort, das ausdrüklich für die meisten Ausleger der Alten gemacht scheint. Dafür lassen sie aber auch so oft die würklichen Knoten unangerührt!
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spongiam incubuit. — Wahrscheinlich ists also eben nicht, daß Horaz von allen diesen poetischen Thaten Augusts nichts gewußt haben sollte. Ich weiß nicht, ob B e r o a l d u s den Virgil recht versteht, wenn er die Verse in der achten Ekloga, En erit, ut liceat totum mihi ferre per orbem sola Sophocleo tua carmina digna cothurno ?
für ein Compliment hält, das Virgil dem damaligen Octavius Cäsar wegen seines angefangenen A j a x habe machen wollen: Aber daß Horaz der Mann nicht war, der sogar einem August auf Unkosten seines Geschmaks geschmeichelt hätte, lehrt der Augenschein. Vielleicht glaubte er ihm seine Cour
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am besten zu machen, wenn er sich gar nichts davon anmerken ließe, daß er etwas von seiner Poeterey wisse; ob aber diese ehrfurchtsvolle Unwissenheit eben so gut aufgenommen worden, als die grobe Schmeicheley Virgils, ist eine andre Frage. (19) Ich halte es für eine feine Art von Laune oder scherzhafte Wendung, daß Horaz in dieser schönen Stelle, worinn er den manchfaltigen Nutzen der Poesie in Ansicht ihres p o p u l a r e n G e b r a u c h s herrechnet, wahres und eingebildetes untereinander mengt — und dadurch unvermerkt dem Schein zu entgehen weiß, als ob er eine Kunst, die er selbst trieb, aus Eitelkeit hätte wichtiger machen wollen, als sie sey. Der Mannichfaltige abergläubische Ge-
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brauch, der seit den ältesten Zeiten von L i e d e r n gemacht wurde, ist bekannt, und von uns schon in einer Anmerkung zum ersten Brief an Mäcenas berührt worden. Carmen hieß bey den Lateinern ein Episches oder Lyrisches Gedicht, und eine Zauberformel. Man glaubte daß in dem R y t h m u s selbst eine geheime Kraft verborgen sey. Ve r s e waren die G ö t t e r s p r a c h e . Apollo gab seine Orakel nicht anders als in Ve r s e n ; was der Prophetische Wind aus der Höle der Cumäischen Sibylle beym Virgil hervortrieb, waren eine Menge einzelner mit Ve r s e n beschriebner Blätter. Die Carmina, denen Horaz die Kraft zuschreibt, die Ober- und Unter-Irdische Götter günstig zu machen, sind eigentlich die T h e u r g i s c h e n H y m n e n , wovon in den Orphischen und andern Mysterien, und überhaupt bey allen E x p i a t i o n e n , und bey den Todenopfern Gebrauch gemacht wurde. (20) Wie schön ist dies Gemählde des Erntefests der alten, in ihrer rohen
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bäurischen Einfalt noch glüklichen Römer! Wie gutherzig, und zugleich wie Philosophisch, diese Darstellung des ländlichen Ursprungs der Poesie unter ihnen! Welch ein milder lieblicher Geist von N a t u r und H u m a n i t ä t weht durch dieses ganze wildanmuthige Landschaftsstük! Jedes Wort v e r d i e n t e einen Commentar, und w ü r d e durch einen Commentar e n t w e y h t ! (21) Es liegt eine unbeschreibliche Schönheit in dem Beywort Genium m e m o r e m b r e v i s a e v i
und gerade diesen schönen Zug — worinn die so natürliche und auf eine so rührende Art zur Freude aufmunternde Empfindung liegt: We r w e i ß , w e r 10
ü b e r s J a h r n o c h l e b t ? o b w i r d i e s e n f r o h e n Ta g w i e d e r s e h e n ? — mußte ich weglassen, weil er nur durch eine Umschreibung, die den Perioden schleppend machte, und dadurch das ganze Gemählde verderbte, zu übersetzen war. Ich habe mich aber bemüht den E f f e c t dieses Zugs durch den To n , den ich dem ganzen Gemählde gegeben habe, zu bewürken, und vielleicht finden Leser von feinerm Sinn daß der Autor nichts dabey verliert. (22) Was bey den Griechen die B o k s - und D o r f - G e s ä n g e waren, womit sich an Bacchusfesten herumziehende Meistersinger und Musicanten auf den Dörfern hören ließen, und woraus sich nach und nach die Tragödie und Komödie der Athenienser bildete, das waren ungefehr die F e s c e n n i n e n bey
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den Römern. Es waren eine Art von Impromptus, deren Veranlassung, Inhalt und Beschaffenheit uns Horaz hinlänglich bekannt macht. Die N a t u r selbst, wie schon Aristoteles, bekanntermaßen, angemerkt hat, lehrt die rohesten Menschen eine Art w i l d e r P o e s i e , woraus die K u n s t allmählich das gemacht hat, was bey verfeinerten Nationen Poesie heißt. Eben die Natur, welche die rohen Römischen Landleute, wenn sie sich an ihrem jährlichen Erntefest der Freude überließen, singen und tanzen lehrte, lehrte sie auch in die Worte ihrer Lieder eine Art von M e n s u r bringen; aber ihre Verse waren — wie ihr Gesang und wie ihr Tanz. Man nennte sie S a t u r n i s c h e Ve r s e , vielleicht weil sie des Saturnischen Zeitalters, wo die Natur noch in ungebundner
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kindischer Freyheit spielte, würdig waren; und F e s c e n n i n e n , von der alten Stadt Fescennia in Etrurien, wo sie entstanden seyn sollen. Vermuthlich, weil die Römischen Landleute dieser Zeiten ihre Kinder meistens am Erntefest zu verheyrathen pflegten, wurde der Name F e s c e n n i n e n vorzüglich den
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H o c h z e i t g e s ä n g e n eigen, welche die Cameraden des Bräutigams in solchen aus dem Stegereif gemachten wilden Versen vor der Brautkammer absangen. In diesen, von einer ungezognen, muthwilligen Jugend, in der Trunkenheit einer wilden Hochzeitfreude, im Chor abgesungnen Liedern, war, wie leicht zu erachten, der Wohlstand so wenig geschont als der Rhythmus; j e g r ö b e r j e b e s s e r war die einzige Regel; Zoten, Schwänke, leichtfertige Anekdoten über den Bräutigam, alles galt, wenn es nur zu lachen machte; und eine natürliche Folge des Wettstreits, wer den andern an Spashaftigkeit übertreffen und die Gäste am lautesten brüllen machen könnte, war: daß die Fescenninen zu einer Art von Pasquillen, und also zulezt aus Spaß Ernst wurde: so
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daß sich endlich die Polizey in die Sache mischen, und bey Strafe des Knittels verbieten mußte, einander S c h a n d l i e d e r vor der Thüre zuzusingen. Indessen erhielt sich dem ungeachtet, auch in guten Häusern, der alte Gebrauch der Fescenninischen Hochzeitgesänge, welche, mit der Zeit, zwar in Absicht der Sprache und Ausdrücke verfeinert wurden, aber doch immer keine Musik für züchtige Ohren waren. Man findet etwas von dieser Art in den Gedichten des Catulls, und des Ausonius. August selbst hatte in seiner Triumviralischen Jugend seinen Freund Pollio mit einem F e s c e n n i n u s regaliert, der, nach dem Buchstaben des alten Gesetzes, den K n i t t e l verdient hätte. Pollios Freunde waren der Meynung, daß er dem Triumvir bey seiner Vermählung mit der
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schönen Livia, die ihm dazu schönes Spiel gab, seine Dankbarkeit mit einem Hochzeit-Carmen im nämlichen Geschmacke bezeugen sollte: aber Pollio, dessen erster Unwille sich inzwischen abgekühlt hatte, gab ihnen die bekannte Antwort: „die Partie ist zu ungleich, gegen einen Bel-Esprit zu s c h r e i b e n , der p r o s c r i b i r e n kann.“ — Die Klugheit des Pollio hat, wie natürlich, auf alle, die sich ungefehr im nämlichen Falle befinden, fortgeerbt; und ein Autor, der hundert tausend Mann ins Feld stellen kann, darf schreiben was er will. (23) Das Gesez der zwölf Tafeln sezte nach der Versichrung des heil. Augustinus (im 2ten Buche de Civitate Dei) die Todesstrafe drauf: Si quis occentassit sive carmen condidissit, quod infamiam faxit flagitiumve alteri, capital esto. Vermuthlich fand man diese Strafe zu hart, und verwandelte sie in der Folge, bey geringen Personen, in die Strafe des Knittels — und der Knittel also war es (wie Horaz scherzend zu verstehen giebt) der den ersten Grund zur Verfeinerung der Römischen Litteratur legte. Indessen kam, mit der Länge der Zeit, auch diese Strafe in Vergessenheit; das Gesez blieb, wurde aber so
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wenig ausgeübt, daß Horaz, wie ihn einer seiner Freunde, um ihn vom Satyrenschreiben abzuschrecken, erinnerte, Si m a l a condiderit in quem quis c a r m i n a , jus est judiciumque —
mit der Zweydeutigkeit des Worts mala carmina nur seinen Scherz treibt, und ihm antwortet: esto, si quis mala — nämlich, die Meynung des Gesetzes sey nicht, daß in die Strafe verfallen seyn solle, wer b o s h a f t e , sondern wer e l e n d e Verse mache. (24) Die Griechen sind, was die schönen Künste, d i e K ü n s t e d e r M u s e n , 10
die wahren Artes Humanitatis, betrift, als würkliche Erfinder anzusehen. Ihr eigner Genius, ihr eignes zartes Gefühl entwickelte und bildete die allen andern Völkern verborgene Idee des Schönen und Schiklichen, die sie in kurzer Zeit von Stufe zu Stufe bis zur Vollkommenheit führte. Die Römer waren in allen diesen Künsten immer nur Ü b e r s e t z e r und N a c h a h m e r der Griechen; Ihre Beredsamkeit, ihre Poesie, ihre Philosophie, waren keine einheimische, sondern aus griechischem Boden verpflanzte Früchte; Früchte der Siege wodurch sie erst die Beschützer und endlich die Herren von Griechenland wurden. Unter diesen waren die Redekunst und die dramatische Poesie, diejenige die in Rom den besten Boden fanden. Die Römer, die sich um die
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Zeit, da das Theater der Athenienser in seinem höchsten Flor stund, noch mit einer äusserst rohen Art von Possenspielen begnügten, von denen Livius im Anfang des siebenden Buchs seiner Geschichte den Ursprung und Fortgang erzählt, *) fiengen erst zu Anfang ihres s e c h s t e n Jahrhunderts an, Stücke die eine einzige Handlung oder Dramatisierte Fabel zum Inhalt hatten, kennen zu lernen. Der erste der den Versuch eines solchen Stüks in ihrer damals noch sehr ungeschmeidigen und ungeschlifnen Sprache machte, war — e i n G r i e c h i s c h e r S c l a v e ; und, wiewohl das neue Schauspiel — mit aller seiner Unvollkommenheit — großen Beyfall fand: so währte es doch noch mehr als ein Jahrhundert, bis sich die Dramatische Dichtkunst aus der Verachtung heraus-
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arbeitete, die ihr noch von den Toscanischen H i s t r i o n e n (ihren ersten *)
S. D a c i e r s Abhandlung von d e r S a t y r e (im 2ten B. der Memoir. de Litterat.) wo ein sehr
schönes Licht über die etwas dunkle Erzählung des Römischen Geschichtschreibers verbreitet ist.
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Schauspielern) anklebte. Fast alle ihre Dramatischen Dichter waren bloße F r e y g e l a ß n e , und also aus einer Classe von Menschen, von welcher man keine Nebenbuler eines Aeschylus und Sophokles erwarten darf. Gleichwohl, sagt Horaz, „fehlte es ihnen nicht an Anlage zur Tragödie. Dieses Schauspiel war dem Nationalgeist der Römer angemessen — und nach seinem schnellen Fortgang im sechsten Jahrhundert hätte man sich versprechen sollen, daß sie die Griechen, ihre Muster, wenigstens e r r e i c h e n würden. Der Römer hat F e u e r und L i e b e z u m G r o ß e n , e r a t h m e t t r a g i s c h e n G e i s t , und i s t g l ü k l i c h i m Wa g e n ; aber was ihn, bey aller dieser treflichen Anlage, ewig hindern wird das Ziel zu erreichen, ist, daß er zum Ausarbeiten zu u n g e d u l -
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d i g ist, und d a s A u s s t r e i c h e n f ü r e i n e S c h a n d e h ä l t . “ — Eine Art von Stolz, der mit der C o r r e c t h e i t , dem w a h r e n S u b l i m e n d e r P o e s i e , wie jeder andern schönen Kunst, ganz unverträglich ist; denn es ist bloß glüklicher Zufall, wenn der G e n i e , o h n e s i e , die Linie trift, die (nach dem Ausdruck des Aristoteles) zwischen der Hyperbel des Z u v i e l und der Ellipse des Z u w e n i g mitten durchgeht, die Linie quam ultra citraque nequit consistere rectum. R a p h a e l M e n g s sagte von einem vortreflichen Kopfe, den er gezeichnet hatte, und mit dem er selbst zufrieden war: diesen hab ich mehr mit Brodt als mit dem Crayon gezeichnet. In d i e s e m S i n n e will Horaz daß der Dichter m i t L i t u r e n s c h r e i b e . — Die Abneigung der Römischen Au-
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toren vor dieser Art zu verfahren, war, seiner Meynung nach, die Hauptursache, warum sie so wenig Vortrefliches aufzuweisen hatten. Die größten Schönheiten können in den Augen eines wahren Künstlers keinen Fehler zudecken; *) — ohne Fehler seyn, ist also die wahre Vollkommenheit. (Virtus est vitio caruisse.) Kein Künstler, kein Dichter wird jemals etwas s e h r G u t e s (es müßte dann nur durch Inspiration seyn) hervorbringen, ehe ihm dieses Geheimnis aufgeschlossen worden ist. Sollte dies nicht auch bey Uns die Ursache seyn, warum wir, anstatt immer weiter zu kommen, schon wieder im Retrogradieren sind? Wenigstens ist es gewiß eine, warum, unter tausend leidlichen Producten unsers Parnasses, nur so wenige vor einem Poetischen Roscius bestehen würden.
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Man erinnre sich was oben vom R o s c i u s gemeldet worden, der mit keinem seiner Schüler
zufrieden war; nicht als ob sie es nicht oft sehr gut gemacht hätten: sondern weil er nicht den kleinsten Fehler verzeihen konnte.
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(25) Von den Griechen sagte Juvenal: Natio Comoeda est, die ganze Nation ist Comödiant; der Grieche wird Comödiant gebohren. Der wahre Grund davon lag nicht nur darinn, daß die A t h e n i e n s e r , mit einer ungemeinen Empfänglichkeit für alle möglichen Eindrücke, und mit einer eben so großen Leichtigkeit alle Arten von Charakter nachzumachen, und hauptsächlich mit einer besondern Behendigkeit das Lächerliche aufzuhaschen, und alles was ihnen f r e m d oder a n s t ö s s i g war in einem l ä c h e r l i c h e n L i c h t zu sehen, gebohren wurden; sondern gewiß auch darinn, daß alle Arten von R i d i c ü l e n bey ihnen wie zu Hause waren. Daher fehlte es weder ihren Komischen Dich10
tern an Stoff, noch ihren Schauspielern an Originalen, die sie kopieren konnten. Die Römer waren zu ernsthaft, zu besonnen, zu Planmäßig, und hatten, sieben Jahrhunderte lang, zu viel und zu große Dinge zu sorgen und auszuführen, um in ihren Sitten und Charaktern der Komödie vielen Stoff, wenigstens von der feinern Art zu geben. Für den A r i s t o p h a n e s waren die weitaussehenden Politischen Entwürfe der Athenienser eine unerschöpfliche Quelle des Lächerlichen — weil zwischen ihren Entwürfen und ihren Mitteln fast immer der ungereimteste Contrast herrschte: die Römer hingegen hatten, vom Anfang an, Einen festen großen Zwek, und gingen mit immer gleichem männlichem Fortschritt, langsam, aber ohne jemals einen Schritt zurükzu-
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machen, fort. Was wollte ein Aristophanes selbst an einem solchen P o l i t i s c h e n G a n g Lächerliches haben finden können? Eben so war es mit ihren S i t t e n . Einfach, streng, Arbeitduldend, frugal, fest über ihren Gesetzen und Gebräuchen haltend, stolz, edel und großherzig — dies war, bis nach der Zerstörung von Karthago, der herrschende Römische Charakter. Welcher Aristophanes — ich will nicht sagen, welcher Menander? — hätte ü b e r s o l c h e S i t t e n lachen können? Wo hätte da das feine Komische herkommen sollen? — Und als diese Sitten, durch eine natürliche Folge der ungeheuren Größe des Staats, im siebenten Jahrhundert sich mit einer unglaublichen Schnelligkeit zu verderben anfiengen — wurden sie n i c h t l ä c h e r l i c h , sondern
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a b s c h e u l i c h . — Es ist wahr, die Römer (selbst in ihrer schönsten Zeit) wie fast alle Leute, die gewöhnlich mit ernsthaften und großen Dingen umgehen — liebten lustige Schauspiele, und lachten gern aus voller Brust: aber dazu mußten sie P o s s e n s p i e l e haben, und Possenspiele gab ihnen P l a u t u s , der gar wohl wußte, was ihnen nöthig war. Das feine Komische würde in Rom eine unverständliche Sprache gewesen seyn — was es auch b e y U n s für die Mei-
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sten ist. Der Dichter mußte seine Imagination anspannen, mußte übertreiben, mußte C a r r i c a t u r e n mahlen, um seine Römischen Zuhörer zu belustigen. — Aber aus d i e s e m Gesichtspunct wollte Horaz die Sache izt nicht sehen — Unbekümmert um die U r s a c h e , w a r u m Plautus seine Charaktere mit einem so groben Pinsel mahlte, schäzt er seine Werke nach Dem was sie als K u n s t w e r k e werth sind; vergleicht stillschweigend seine Carricaturen mit den Carricaturen eines A r i s t o p h a n e s , seine Sittenformen mit den Sittenformen eines M e n a n d e r — und findet dann, was unläugbar war, daß sie die Vergleichung gar nicht aushalten konnten. Die gelehrten Ausleger, welche nicht mit sich selbst einig werden konnten, ob Horaz den P l a u t u s in dieser
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Stelle habe l o b e n oder t a d e l n wollen, und, z u r E h r e u n s e r s D i c h t e r s , lieber, auf Unkosten der Sprachrichtigkeit und des ganzen Zusammenhangs, das erste als das lezte (welches sie mit Horazens Einsicht und gutem Geschmak gar nicht zusammenreimen können) glauben wollen — hätten freylich — wenns ihnen möglich gewesen wäre — in Erwegung ziehen sollen, daß izt die Rede bloß von der fehlerhaften Seite dieses Dichters war; und daß ein Mann von so feiner Nase und von so Attischem Gaumen wie Horaz — ein Mahler, dessen Pinsel, wenn er Sitten und Thorheiten mahlt, so scharfe Umrisse zieht, und doch so sanft coloriert, — mit so vieler Delicatesse die feinesten Nüancen anzugeben, die in einander fliessenden Schattirungen des Gu-
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ten und Bösen mit so leichten Tuschen zu verblasen weiß, — kurz, daß ein Dichter, der selbst ein so geschikter Sittenmahler, in seinen Gedanken so richtig, in seinem Ausdruck so correct, in seiner Sprache so rein und ungezwungen zierlich ist, wie der unsrige — von den groben Zügen, den plumpen Späßen, der pöbelhaften oder altmodischen Sprache, und dem incorrecten Styl eines Plautus mehr beleidigt werden mußte a l s S i e . Dem Horaz dies übel nehmen, ist eben so, als wenn man von einem D o m i n i c h i n o , oder einer A n g e l i c a K a u f m a n n , verlangen wollte, daß sie an den betrunknen Holländischen Matrosen eines O s t a d e , oder an den dicken Nymfen eines J a c o b J o r d a n s , große Freude haben sollten. Ich bemerke nur noch im Vorbeygehen, daß, wie diese ganze Epistel, so besonders auch diese Stelle „ ü b e r d i e S c h w i e r i g k e i t i n d e r K o m ö d i e z u e x c e l l i e r e n “ so genau auf u n s paßt, als ob die Epistel an den Augustissimum u n s r e r Z e i t addressiert wäre. Wer bildet sich heut zu Tage nicht ein, ein Lustspielchen machen zu können? Man glaubt N i c h t s s e y l e i c h t e r ;
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und man glaubt es, gerade aus dem von Horaz angegebenen Grunde, warum man’s damals in Rom glaubte; und betrügt sich darinn just aus dem nämlichen Grunde, den Horaz den Pfuschern seiner Zeit zu Gemüthe führt. Jedermann gesteht daß Horaz Recht hat: gleichwohl hören wir noch immer Komödien, vor denen er sich die Ohren zugestopft hätte; und Wir — denen Alles gut ist (es müßte denn nur würklich sehr gut seyn und irgend ein Schalk müßte uns weiß gemacht haben, es sey schlecht) wir klatschen daß uns die Hände feuern! — Ich sage dies nur — um es gesagt zu haben. Denn von dem großen Publico zu verlangen, daß es c o n s e q u e n t seyn soll, wäre nicht billiger, als 10
von Horaz verlangen, daß ihm alles gefallen müsse, was dem Publico gefällt. Übrigens stimmt Q u i n t i l i a n s Urtheil *) von der Römischen Komödie mit dem seinigen vollkommen überein. „In der Komödie, sagt er, hinken wir am weitesten hinter den Griechen her, wiewohl Aelius Stolo meynte, die Musen, wenn sie Lateinisch sprechen wollten, würden Plautus Sprache reden, und wiewohl die Stücke des Terenz (die würklich das eleganteste sind was wir in diesem Fache haben) sogar einen Scipio Africanus zugeschrieben wurden. Wir haben kaum einen leichten Schatten von jener den Atheniensern allein eignen Grazie erreicht, u. s. w.“ (26) Das Beste ist wohl, zu bekennen, daß wir von diesem D o s s e n n u s
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nichts wissen als was Horaz hier von ihm sagt. Allem Ansehen nach war er ein bekannter Komödienschreiber, dessen Stücke sich wie die Plautinischen noch immer auf der Römischen Bühne erhielten. Diejenige, die lieber einen Schmarotzer aus einem von Plautus Stücken aus ihm machen wollen, erlauben sich eine seltsame Art die alten Dichter auszulegen, und verkehren eine beissende Ironie in einen frostigen Spaß. Daher mich wundert, B a x t e r n unter ihnen zu finden — der sonst im Horaz auch wohl Ironie sieht, wo gewiß keine zu sehen ist. (27) Wiewohl Horaz hier bloß im Namen der Komödienschreiber seiner Zeit gesprochen haben könnte: so glaube ich doch, daß er eine ihn selbst näher
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angehende Ursache hatte, sich über die Unannehmlichkeiten, die mit ihrer Profession verbunden waren, so lebhaft zu erklären. Er hatte in seinen S a t y r e n soviel Anlage zu einem komischen Dichter gezeigt, daß seine Freunde und Gönner, und vielleicht Augustus selbst, ihm vermuthlich mehr als einmal *)
Instit. orator. L. X. c. 1.
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ihre Verwundrung darüber bezeugt haben werden, daß er sich nicht auch in diesem Fache versuche, worinn er wahrscheinlicherweise alle seine Vorgänger übertreffen konnte. Er giebt also zu verstehen, daß er zu einem solchen Versuch zu viel und zu wenig Eitelkeit habe; zu viel, um dem mißlichen Ruhm, den er sich von dieser Seite hätte erwerben können, seine Gemüthsruhe und Philosophische Indolenz aufzuopfern; zu wenig, um gegen die grillenhaften Launen des Römischen Publicums gleichgültig zu seyn, falls er sich einmal in eine so gefährliche Laufbahn gewagt hätte. Dieser lezte Punct giebt ihm Gelegenheit zu einer zwar lachenden aber nichts desto gelindern Satyre, über die schlechte Theater-Polizey und den noch schlechtern Geschmack des Publi-
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cums in Rom. Welcher Mann von einigem Werth, sagt er, würde für den Schauplatz eines Volkes arbeiten wollen, das mitten in einem guten Stücke zu tumultuieren anfängt und davon läuft, um einem Fechterspiel oder einem Bärentanz zuzusehen? — So etwas war schon vor mehr als hundert Jahren dem Te r e n z begegnet. Seine H e c y r a war kaum angefangen, als sich ein Gemurmel unter den Zuschauern erhob, es wären irgendwo Seiltänzer zu sehen; in einem Augenblick war das Amphitheater leer, und alle Welt lief den Seiltänzern zu. Nach einiger Zeit wurde das Stück wiedergegeben. Der erste Act gieng gut von statten. Unglüklicherweise kam im zweyten die Nachricht, e s w ü r d e n G l a d i a t o r e n z u m b e s t e n g e g e b e n w e r d e n . (datum iri Gladia-
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tores.) Auf einmal fieng das Volk an zu lermen, zu schreyen, sich zu drängen, um die Plätze zu streiten, und die Schauspieler mußten aufhören. In einem Briefe Cicerons *) worinn er seinem Philosophischen Freunde Marius von den prächtigen und viele Tage währenden Lustbarkeiten, womit der große Pompejus sein Amphitheater einweyhete, Nachricht giebt, finden sich verschiedene Belege von dem was Horaz hier von dem herrschenden Geschmack des Römischen Volkes sagt — wiewohl im Grunde das schlimmste was man darüber sagen kann, ist, daß die Römer in diesem Stücke nicht besser waren als jedes andre Volk in der Welt. Aber nicht nur der Pöbel, sagt Horaz, auch die höhern Classen sind von der Neigung zu Schauspielen angestekt, wo bloß die Augen unterhalten werden. Sie kommen ins Amphitheater um zu s e h e n , nicht um zu h ö r e n . Was d e r D i c h t e r bey einem Stücke gethan hat, ist für sie bloßes N e b e n w e r k : der D e c o r a t e u r und der T h e a t e r s c h n e i d e r *)
Ad Familiar. VII. 1. geschrieben im Jahr 698.
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sind die wahren Hauptpersonen. Sogar der Schauspieler ist nichts mehr; er könnte eben sowohl als eine stumme Person auftreten; denn, wenn er applaudiert wird, so ists nicht das was er sagt, sondern die Kostbarkeit und das Ausländische Costum seiner Kleidung, was den großen Beyfall erhält. Lange prächtige Aufzüge, seltsame Wunderthiere, ein Camelo-Pardel, ein weisser Elephant, — das sind die S c h a u s p i e l e , die unser kindisches Publicum am angenehmsten unterhalten: — Und wir wundern uns noch, daß unsre tragische Schaubühne in Verfall kommt? daß unsre Komödie nicht besser wird? daß kein Mann von Talenten, dem seine Ehre lieb ist, für unser Theater ar10
beiten mag? — Das Merkwürdigste bey dieser ganzen Stelle ist wohl dies, daß M ä c e n a s und A u g u s t selbst dabey so stark betroffen waren; und mich däucht, Horaz hätte dem leztern nicht wohl deutlicher zu verstehen geben können, daß Er allein die Schuld habe, wenn der bessere Geschmak und die ächte Musenkunst (Ars musica, wie Terenz die dramatische Dichtkunst vorzugsweise nennt) in Rom gänzlich zu Grunde gienge. Man braucht nur das 43ste Capitel in Suetons A u g u s t mit dieser Stelle zu vergleichen, um zu sehen, daß es August war, der theils, weil er selbst d i e S c h a u s p i e l e f ü r d i e A u g e n vorzüglich liebte, theils aus P o p u l a r i t ä t , und aus der Politischen Absicht, dem Volk, durch eine aufs höchste getriebne Gefälligkeit gegen ihren
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herrschenden Geschmak, seine Regierung angenehm zu machen — daß es, sage ich, August war, der die Römer durch alle Arten von neuen, sonderbaren, und in die Augen fallenden Schauspielen gar nicht zu sich selbst kommen ließ. Spectaculorum et a s s i d u i t a t e et v a r i e t a t e atque m a g n i f i c e n t i a Omnes antecessit, sagt Sueton, und sezt hinzu, Augustus selbst hätte irgendwo gesagt: er habe in seinem eignen Namen viermal, und im Namen andrer entweder abwesender oder nicht genugsam bemittelter Magistratspersonen d r e y u n d z w a n z i g m a l öffentliche Schauspiele (von derjenigen Art nämlich, welche etliche Tage hintereinander dauerten) gegeben. Er gab Schauspiele auf dem großen Römischen Markt, im T h e a t e r d e s M a r c e l l u s , in
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den verschiedenen Amphitheatern, die unter ihm gebaut wurden, im C i r c u s , und in den sogenannten Septis Juliis *) welche leztern besonders zu den *)
Diese Septa waren ein großer Platz im Campus Martius, um welchen L e p i d u s ringsum
eine prächtige Gallerie geführt hatte. Agrippa zierte sie mit Gemählden und Bas-Reliefs aus, und nannte sie dem August zu Ehren Septa Julia. D i o n . B. 53.
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großen Jagden oder Hatzen gebraucht wurden, die, n a c h d e n G l a d i a t o r e n , das Lieblingsschauspiel der blutliebenden Römer waren. Er gab ihnen G r i e c h i s c h e F e c h t e r s p i e l e , We t t r e n n e n von aller Art, und sogar S e e s c h l a c h t e n in einem an der Tiber besonders dazu gegrabnen und mit einem Lustwald umgebnen ungeheuren Teiche. Aber er begnügte sich nicht, das Volk nur an den eigentlichen Schauspieltagen mit S p e c t a c l e n zu unterhalten: sondern so wie etwas seltnes, oder noch nie gesehenes nach Rom gebracht wurde (woran ers nie fehlen ließ) so ließ ers dem Volke bald da bald dort öffentlich sehen z. E. einen Rhinoceros, einen ausserordentlichen Tiger, eine Schlange von funfzig Ellen, einen Zwerg der nicht völlig zwey Fuß hoch war
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und nur siebzehn Pfund wog, u. s. w. Bey allem dem ließ ers auch nicht an dramatischen Schauspielen gebrechen, und zwar in allen Gattungen Tragödien, Komödien, und Possenspielen, und per omnium linguarum histriones, d. i. durch L a t e i n i s c h e , G r i e c h i s c h e und O s c i s c h e Komödianten, — aber, da man diese S c e n i s c h e n S p i e l e nur um der Abwechslung und Vollständigkeit willen gab, und es dabey hauptsächlich um Belustigung des Pöbels durch Lazzi’s und lächerliche Possen zu thun war: so gewann die Dramatische Muse und die Schauspielkunst wenig dabey. In der That scheint noch ein hauptsächlicher Grund, warum beyde in Verfall gerathen mußten, dieser gewesen zu seyn: daß die beyden großen Schauspieler A e s o p u s und R o s c i u s
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keine Schüler oder Nachfolger hinterlassen hatten, die ihrer würdig gewesen wären. Die Römer die durch s i e an das Vollkommenste und Schönste in diesem Fache gewöhnt waren, konnten sich nun nicht wieder zum Mittelmäßigen herabstimmen; und da nun vollends die berühmten Pantomimen, P y l a d e s und B a t h y l l u s (Mäcens Liebling) auftraten, und mit eben soviel Schönheit der Gestalt, eben soviel Talenten, eben soviel Enthusiasmus für ihre Kunst, in einer den Römern neuen Art von Schauspiel, alle Grazien der Tanz- und Geberdenkunst entwickelten, und den bezauberten Liebhabern und Liebhaberinnen (die l e z t e r n entschieden natürlicher Weise das Glük dieses neuen Schauspiels) das nämliche Bild von Vollkommenheit darstellten, wovon die alten Leute, die den Roscius und Aesopus gesehen hatten, noch immer mit Entzücken sprachen: so war nichts begreiflicher, als daß Melpomene und Thalia der reitzenden Te r p s i c h o r e Plaz machen mußten, und das Römische Publicum Tragische und Komische Süjets aus der griechischen Fabel und Heldenzeit lieber von einem Bathyllus oder Pylades t a n z e n sehen, als von mit-
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telmäßigen Nachahmern eines Roscius d e c l a m i e r e n hören wollte. So natürlich unter allen diesen Umständen der Verfall des Geschmaks war, so ist doch klar, daß August, wenigstens mittelbarer Weise, soviel dazu beygetragen hatte; daß man die stillschweigenden Vorwürfe, die ihm Horaz in dieser Stelle macht, noch immer f ü r l a u t g e n u g halten kann, um ein neues Zeugnis für die edle freymüthige Sinnesart abzulegen, die wir bereits aus so manchen Proben an ihm kennen gelernt haben. (28) S e n e c a , der ein halbes Jahrhundert später als unser Dichter lebte, macht in einem seiner Briefe ein ähnliches Gemählde von diesem Getöse, das 10
die Römischen Schauspiele begleitete, — um sich selbst über die Stärke seines Geistes, der sich dadurch im Denken nicht stören lasse, ein Compliment zu machen. Ecce C i r c e n s i u m obstrepit clamor: subita aliqua et universa voce feriuntur aures meae, nec cogitationem excutiunt, nec interrumpunt quidem. Fremitum patientissime fero: multae voces et in unum confusae p r o f l u c t u mihi sunt aut v e n t o s y l v a m v e r b e r a n t e etc. Epist. 83. (29) B a x t e r n ist hier das Unglük begegnet, sich zur bösen Stunde einzubilden, alle andern Ausleger des Horaz hätten diese Stelle nicht verstanden; und er allein habe Nase genug gehabt, die Ironie zu riechen, die in diesem Lobe der dramatischen Kunst verborgen liege. Kurz, der scharfsinnige Mann bildet
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sich ein, Horaz wolle damit nichts anders sagen, als: „er beneide einen lateinischen Komödienschreiber so wenig als einen Seiltänzer, der um der albernen Plebecula Spaß zu machen, unsinnig genug sey, seinen eignen Hals zu wagen“ — aber alles was er zur Unterstützung dieser vermeynten Ironie vorzubringen hat, ist das oben angeführte Q u i n t i l i a n i s c h e : In Comoedia maxime claudicamus, welches ihm hier gar nichts helfen kann. Denn es ist augenscheinlich, daß Horaz hier nicht sowohl von der Komödie als von der Tragödie spricht, auf welche allein das inaniter angit, irritat, mulcet, falsis terroribus implet, und auch das modo me Thebis, modo ponit Athenis, ungezwungen paßt. Denn die Plattheit, mit diesem lezten Zug nichts weiters sagen
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zu wollen, als: „er sezt die Scene bald nach Theben (wie Plautus im Amphitruo) bald nach Athen, dem gewöhnlichsten Schauplaz der alten Komödie“ — ist gar nicht in seiner Manier. Mich däucht, es ist offenbar, daß er hier den Aeschylus und Sophokles im Auge hatte, und daß der Sinn der Worte, i l l e p e r e x t e n t u m etc. an sich selbst und vermöge des ganzen Zusammenhangs kein andrer seyn kann als dieser: damit du nicht glaubest, ich verachte die dramatische
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Kunst bloß, weil ich mich unvermögend fühle, mich selbst darinn hervorzuthun, so versichre ich: daß in meinen Augen nichts schwerers ist, als eine Kunst, die uns nach Gefallen in jede Leidenschaft versezt — uns für eine uralte fabelhafte Geschichte, die sich vor 2000 Jahren zu Athen oder Thebe zugetragen haben soll, so stark einzunehmen weiß, daß uns nicht anders zu Muth ist, als ob die Sache uns unmittelbar angehe, daß wir gleichsam Zeitgenossen und Mitbürger der handelnden Personen werden, und so lebhaft an dem Schiksal derselben Antheil nehmen, so ängstlich zwischen Furcht und Hoffen dem Ausgang entgegen sehen, als ob unser eignes Schiksal entschieden werden sollte u. s. w. Wer das kann, ist freylich Meister einer großen und schweren
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Kunst; es ist so leicht darinn zu fallen und den Hals zu brechen, als wenn er auf einem Seile gienge, und ihre Würkungen sind so wunderbar als die Täuschungen der Magie; wir wissen daß wir betrogen werden, und werden doch betrogen, u. s. w. Dies ists was Horaz sagt, und was, ausser Baxtern, der diesen schönen Sinn in eine schale, gezwungne und überdies ganz unschikliche Ironie verkehrt, jedermann, in seinen Worten gefunden hat. (30) Le nom de C h o e r i l u s a été malheureux en Poesie, sagt Hr. D a c i e r ; von drey oder vier Poeten dieses Namens war nicht Einer, den sein Ruhm und seine Werke überlebt hätten. Dafür waren sie desto glüklicher bey ihren Lebzeiten. Einer von ihnen, der von Samos gebürtig und Herodots Zeitgenosse
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war, schrieb ein Heroisches Gedicht von den Siegen der Athenienser über den Xerxes, welches die Sieger sowohl aufnahmen, daß sie ihm einen S t a t e r , (ungefehr einen Gulden unsrer Münze) für jeden Vers aus ihrem Schaz bezahlen ließen. Einen andern Chörilus führte der Spartanische General Lysander auf seinen Feldzügen mit sich, und besoldete ihn dafür — daß er aus seiner Geschichte eine Fabel machen sollte. *) Der Chörilus, von welchem hier die Rede ist, hatte die Ehre Alexandern dem Großen in dem nämlichen Posten bedient zu seyn, und wurde, für sehr schlechte Verse, sehr königlich in wichtigen P h i l i p p d’ o r belohnt, wenn wir Horazen glauben dürfen. Wie der Grammaticus A k r o n die Sache erzählt, würden unsre Chörilusse freylich weniger Ursache haben ihren Griechischen Mitbruder zu beneiden. Alexander, sagt Akron, kam mit seinem Hofpoeten überein, ihm für jeden guten Vers seiner A l e x a n d r i a s einen P h i l i p p d’ o r , und für jeden schlechten e i n e *)
P l u t a r c h im Leben L y s a n d e r s .
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M a u l s c h e l l e geben zu lassen. Chörilus, der (wie alle seines Gleichens) eine sehr gute Meynung von sich selbst hatte, glaubte die goldnen Philippen schon in seiner Casse klingen zu hören, und schrieb frisch drauf loß: zwanzig bis dreysigtausend Verse, dacht’ er (und es stund bloß bey ihm, wie viele Tausend er machen wollte) werden eine hübsche runde Summe geben! Als er nun mit seinem Werke fertig war, fand sich zwar hier und da, mit unter, mancher leidliche Vers, und er empfieng dafür seine Philippsd’or baar; aber der schlechten, und also auch der Ohrfeigen, waren soviel, daß der arme Chörilus, noch eh es an den lezten Gesang kam, den Geist aufgab. Se non e vero e ben 10
trovato. Das Mährchen läßt sich hören, ohne der Erzählung unsers Dichters etwas von ihrer Glaubwürdigkeit zu benehmen. Denn daß Alexander, da er Achills Grab besuchte, diesen Helden glüklich gepriesen, einen Homer gefunden zu haben, beweiset zwar daß Alexander für die Thaten, die er damals noch erst verrichten w o l l t e , sich a u c h einen Homer gewünscht: aber nicht, daß er Geschmak genug gehabt habe, zu unterscheiden, ob Chörilus, der sich ihm ein paar Jahre drauf zum H o m e r anbot, der Mann den er suchte würklich sey, oder nicht. Überdies hören sich die Menschenkinder, Große und Kleine, so gerne loben, daß auch schlechte Verse z u h ö r e n s i m m e r b e s s e r werden, wenn wir uns darinn verherrlichet finden — wie man die Beyspiele davon alle
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Tage sieht. (31) Hier, denke ich, könnte sich unser Dichter in seinem Schlusse geirrt haben. Alexander wollte nur von einem A p e l l e s gemahlt, nur von einem L y s i p p u s in Erzt gegossen seyn, wie er nur von einem H o m e r besungen seyn wollte. Es war glüklich für ihn, daß Apelles und Lysippus just seine Zeitgenossen waren: wären sie hundert Jahre früher in die Welt gekommen, als er, so möcht es ihm mit seinem Cabinets-Mahler und Bildgießer eben so gegangen seyn, wie mit seinem Leib-Poeten. Denn was konnte Seine Majestät dafür, wenn Chörilus kein Homer war? Daß ich dem großen Alexander durch diese Meynung kein Unrecht thue, kann ich mit dem Zeugnis eines unverwerflichen
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Kenners in Kunstsachen, mit A p e l l s eignen Worten, beweisen. Alexander pflegte ihn öfters in seiner Werkstatt zu besuchen, und — wie es zu gehen pflegt — über Sachen, die die Kunst betrafen, mit eben der Gewißheit und Zuversicht zu sprechen, womit er einen seiner Generale über die Ursachen einer gewonnenen oder verlohrnen Schlacht hätte unterrichten können. Der M a h l e r d e r G r a z i e war ohne allen Zweifel ein Mann, dem man soviel Le-
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bensart zutrauen darf, daß er sich in dergleichen Fällen anständig zu benehmen gewußt habe; aber er war ein Künstler: und da es der große König einsmal gar zu arg machte, konnte er sich nicht länger halten. I c h b i t t e E w . M a j e s t ä t n i c h t s o l a u t z u r e d e n , sagte Apelles leise, — s e h e n s i e w a s d i e Jungen, die dort die Farben reiben, für Gesichter schneiden, u m n i c h t ü b e r l a u t a u s z u b e r s t e n ? P l i n . L. XXXV. c. 10. (32) Horaz hielt sich, wie wir gesehen haben, immer, soviel nur möglich, in einer ehrerbietigen Entfernung von August. V i r g i l und Va r i u s waren nicht so delicat, und hatten auch s e i n e U r s a c h e n nicht. Varius besang die Thaten Augusts d. i. was das Glük, seine Feldherrn, und die Verdorbenheit der Römer,
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für ihn gethan hatten — geradezu in einem eignen Heroischen Gedichte: Virgil griff es feiner an, aber seine Aeneis hat doch am Ende keinen andern Zwek als zu einem prächtigen Rahmen für das große Compliment zu dienen, welches er dem alten Vater Anchyses in den Mund legt: — Hic Caesar, et omnis Jüli Progenies, magnum coeli ventura sub axem. H i c V i r , h i c e s t , tibi quem promitti saepius audis, A u g u s t u s C a e s a r , Divi genus, a u r e a c o n d e t S a e c u l a q u i r u r s u s L a t i o , etc.
Diese beyden Dichter hatten es also um Augusten verdient, ihm v o r z ü g l i c h
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lieb zu seyn: und Horaz, der sie nie darum beneidet hatte, der immer ihr Freund gewesen war, ergriff diese Gelegenheit um so lieber, weil er, indem er ihnen Gerechtigkeit erwieß, Augusten ein Compliment dadurch machen konnte, das seiner Aufrichtigkeit nichts kostete. Virgil und Va r i u s gehen bey unserm Dichter fast immer mit einander: und wiewohl die wenigen und kleinen Fragmente, die M a k r o b i u s im 6ten Buche seiner Saturnalen aus einem Gedichte dieses Varius zufälliger Weise erhalten hat, uns nicht viel mehr als einigen Begriff von d e r S c h ö n h e i t s e i n e r S p r a c h e u n d Ve r s i f i c a t i o n geben können: so sind sie doch hinlänglich, den Verlust seiner Werke beklagenswerth zu machen. Quintilian erwähnt seiner zwar nicht unter den epischen Dichtern der Zeit Augusts: aber er spricht von seinem T h y e s t e s als einem Werke, das den besten Tragödien der Griechen an die Seite gesetzt werden könne.
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(33) Horaz bleibt in seinen Entschuldigungen, wie billig, bey einerley Sprache; mendacem oportet esse memorem. Aber die Wendung, die er hier nimmt, um den August recht im Ernst zu überzeugen, daß es bloßes Unvermögen sey was ihn verhindre die Trompete der Kalliope anzusetzen um das ewige Lied — Tuis Auspiciis totum confecta duella per orbem, et formidatam Parthis, Te Principe, Romam,
auch in heroischen Versen anzustimmen — diese Wendung, sage ich, ist so 10
schlau, daß er nun ziemlich gewiß seyn konnte, künftig über diesen Punct nicht wieder angefochten zu werden. „Ich würde ja mich selbst und meinen eignen Ruhm so lieb haben, und lieber ein so großes und reichhaltiges Thema wählen, als solche am Boden hinkriechende Sermonen schreiben, wenn ich Athem genug hätte“ u. s. w. Dieser Grund mußte Augusten einleuchten. Er stimmte freylich seine gute Meynung von dem Genie unsers Dichters, wie billig, um ein ziemliches herab: aber Horaz glaubte vermuthlich, die Freyheit, die er dadurch, wiewohl auf Unkosten seiner Eitelkeit, erhielt, nicht zu theuer um diesen Preis erkauft zu haben. (34) Man kann mit gutem Grunde aus dieser Stelle schließen, daß auch
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damals schon die Mode gewesen, F r a t z e n b i l d e r von berühmten Personen herumzutragen, und für wohlgetrofne Abbildungen an die Liebhaber zu verkauffen; wenigstens scheint ein guter Theil von den Köpfen berühmter alter Römer, womit man sich noch izt behilft, von denen in pejus fictis zu seyn, die sich Horaz hier verbittet, ohne daß er selbst seinem Schiksal hätte entgehen können.
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Zweyter Brief. An Julius Florus. Einleitung. Diese Epistel ist eben derjenigen Person zugeschrieben, an welche der dritte Brief des ersten Buches gerichtet ist. Was dieser Florus unserm Dichter, und was er dem Tiberius gewesen, sagt uns Horaz selbst. Ein alter ungenannter Scholiast macht ihn zu einem S a t y r e n s c h r e i b e r ; mit welchem Grunde ist mir unbekannt. Daß er unter die Beaux Esprits derselben Zeit gehört und artige Verse gemacht habe, erinnern wir uns vielleicht noch, ebenfalls von Horaz gehört zu haben; aber die Ausdrücke — „quae circum volitas agilis thyma, und seu condis amabile carmen *)“ — lassen eher einen Dichter in der
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leichten, gefälligen, scherzhaften C a t u l l i s c h e n Art, als einen Satyrenschreiber, vermuthen; und dies scheint auch die Stelle in dieser Epistel zu bestätigen, wo ihm Horaz sagt, — Du liebest Lieder ; ein andrer Jamben; einem dritten will nichts schmecken, was mit B i o n s scharfem Wiz nicht stark gesalzen ist.
wenn Florus in dem leztern Falle gewesen wäre, so würde Horaz v o n i h m gesagt haben, was er von diesem dritten sagt. Wie dem auch sey, die Epistel selbst kann, in sofern sie uns die damalige Litterarische Welt in Rom, wiewohl nicht von ihrer vortheilhaftesten Seite schildert, als ein Pendant zu der vorhergehenden an August betrachtet werden. Sie hat mit d e r e r s t e n E p i s t e l a n M ä c e n , beynahe einerley Veranlassung und Absicht, und liefert nicht unbeträchtliche Zusätze zu der neunzehnten (oder dritten Epistel an Mäcen) im vorigen Buche. Julius Florus, der sich mit dem Tiberius, seinem Patron, abwesend befand, hatte unserm Dich*)
L. I. epist. 3. v. 21. 25.
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ter Vorwürfe darüber gemacht, daß er ihm gewisse längst versprochne Gedichte noch nicht geschikt habe. Horaz machte zwar, seitdem er den Mäcen versichert hatte, nunc itaque versus et caetera ludicra pono
noch immer Verse, so oft ihn die Lust dazu anwandelte; aber er wollte n i c h t d a z u g e n ö t h i g t s e y n — und er protestierte, je länger je mehr, gegen alle Prätensionen, die man von dieser Seite an ihn machte, um so ernstlicher, je weniger es ihm anstand, mit den Poeten und schönen Geistern von Profession — womit die Stadt angefüllt war, ohne daß sich die Römische Litteratur 10
desto besser dabey befand — in Einer Categorie zu stehen. Er speiset also seinen jungen Freund mit einer langen Reyhe von Entschuldigungen ab, deren jede eine Ursache ist, warum er sich auf die versprochnen Gedichte keine Rechnung zu machen habe. Die Art, wie er diese Ursachen vorträgt, bekommt durch eine gewisse, halbwürkliche, halbangenommene, üble Laune etwas Piquantes, das sich besser empfinden als beschreiben läßt. Das Lächerliche, womit er seine anmaßlichen poetischen Confratres reichlich beträufelt, hat die zwiefache Tugend: e r s t e n s , mit einer so naiven Cordialität vorgebracht zu seyn, daß es die getrofnen Herren selbst kaum übel nehmen konnten; und z w e y t e n s , so w a h r zu
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seyn, daß alles noch izt so gut paßt, als ob es recht ausdrüklich f ü r u n s r e Z e i t und m i t t e n u n t e r u n s , geschrieben worden wäre. Ich hätte noch eine d r i t t e Tugend hinzusetzen sollen, zumal da es im Grunde die v e r d i e n s t l i c h s t e ist; nämlich: daß er (nach seiner Gewohnheit) seine Satyre durch eine Menge feiner Bemerkungen und W i n k e , und besonders durch die schöne Stelle — at qui legitimum cupiet fecisse poema etc. (worinn er den Charakter und das Verfahren eines ächten Virtuosen in der Musenkunst darstellt) l e h r r e i c h zu machen gewußt hat. Die Moralischen Betrachtungen, womit er diesen Brief schließt, sind die Philosophie aller seiner Briefe, so wie diese die Philosophie seines Lebens war.
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Sie können uns daher nicht neu seyn; aber die Grazie, die ihm immer zur Seite schwebt, gießt einen Reiz über sie aus, der den Reiz der Neuheit werth ist; und auch die bekanntesten Dinge werden durch die Manier und den Ton, womit er sie sagt, so interessant, daß man ihm Tagelang zu hören möchte. * * * ¼2. Buch. 2. Brief½ E i n l e i t u n g
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Des edlen und preiswürdigen Nerons treuer Freund, mein lieber Florus, wenn dir jemand einen zu Tibur oder Gabii gebornen Sclavena) verkauffen wollt’, und spräche so mit dir: „der Jung’ ist nett und schön vom Knöchel bis zur Scheitel, um Dreyhundertb) ist er dein; er ist von Kindesbeinen auf den Wink gewöhnt, versteht sein bischen Griechisch, und hat Fähigkeit zu allem — nasser Thon, aus dem du bildest was du willst und magst!
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Er singt sogar, nicht eben nach der Kunst, doch angenehm genug zum vollem Becher. Ich bin kein Mann von Worten, wie du siehst, Ein Kaufmann macht durch allzugroßes Rühmen die Waare, die ihm feil ist, nur verdächtig. Es treibt mich eben keine Noth; ich bin nicht reich, doch was ich hab’ ist unverschuldet; Flore, bono claroque fidelis amice Neroni, si quis forte velit puerum tibi vendere, natum Tibure vel Gabiis, et tecum sic agat: — „hic et
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candidus et talos a vertice pulcher ad imos, fiet eritque tuus nummorum millibus octo, verna ministeriis ad nutus aptus heriles litterulis graecis imbutus, idoneus arti cuilibet, argilla quidvis imitaberis uda; quin etiam canet, indoctum sed dulce bibenti. Multa fidem promissa levant, ubi plenius aequo laudat venales qui vult extrudere merces: res urguet me nulla, meo sum pauper in aere. a) Vermuthlich diente der Umstand, an einem Ort wie T i b u r oder G a b i i gebohren zu seyn, einem jungen Sclaven zur Empfehlung, theils wegen der vorzüglich guten Luft, die an diesen Orten herrschte, theils wegen der weniger verderbten Sitten; so daß man daher ein günstiges Vorurtheil sowohl für die Gesundheit als für die Unschuld desselben faßte. b) Thaler, oder, achttausend Sesterzien, die 10 p. C. mehr machen.
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Dreyhundert Thälerchen ist ja kein Geld! So wohlfeil kriegst du ihn von keinem Sclavenmäkler im ganzen Rom, auch thät ichs keinem andern. Ein einzigmal verfehlte sich der Junge, und stack, aus Furcht des Zügelriemens,c) unter der Treppe.“d) — Falls du nun aus diesem Fehler dir nichts machst, und zählst die Summe hin: so streicht der Mann sein Geld ganz sicher ein. Du kauftest verdächtigs Gut; allein man hatte dir 10
den Fehler nicht verborgen: das Gesez ist klar: und wenn du gleichwohl den Verkäuffer belangen wolltest, würdest du nicht viel vor Recht gewinnen. — Sprich dir nun dein Urtheil selbst. Ich machte dir beym Abschied kein Geheimnis aus meiner Trägheit, sagte unverhohlen (damit du, wenn kein Brief von mir erfolgte, nicht ungehalten würdest) dir voraus, daß ich, was Pflichten dieser Art betrift, der Mann nicht sey auf den man zählen dürfe:
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Nemo hoc mangonum faceret tibi, non temere a me quivis ferret idem. Semel hic cessavit, et, ut fit, in scalis latuit, metuens pendentis habenae.“ — Des nummos, excepta nihil te si fuga laedit. Ille ferat pretium, poenae securus, opinor. Prudens emisti vitiosum; dicta tibi est lex: insequeris tamen hunc, et lite moraris iniqua. Dixi me pigrum proficiscenti tibi, dixi talibus officiis prope mancum; ne mea saevus jurgares ad te quod epistola nulla veniret.
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c) Aus Furcht der Züchtigung. d) Die Römischen Häuser waren so gebaut, daß man kaum eine andre Gelegenheit sich darinn zu verstecken hatte, als unter der Treppe.
¼2. Buch. 2. Brief½
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allein was hilft mirs itzo, da du, ohne auf die Rechte, die so klar auf meiner Seite sind, zu achten, mit mir haderst? — Doch dies wäre noch das Wenigste! Du führst auch große Klage, daß ich mein Wort nicht beßer halt’, und dir die längst versprochnen Lieder nicht geschikt. Freund, laß dir was erzählen. Ein gewisser Soldat, der unter dem Lucullus diente, war einst bey Nacht, indem er sorglos schnarchte, um alles, was er mit so vieler Müh
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und Noth den ganzen Feldzug über errungen hatte, bis zum lezten Heller bestohlen worden. Der arme Teufel hätte sich selber gleich vor Zorn zerreissen mögen; doch weil dadurch die Sache wenig besser geworden wäre, mußt es nun der Feind entgelten. Wie ein Wolf, dem langes Fasten die Zähne schärfte, griff er, sagt man, eines der festesten von Mithridatens Schlössern in seinem Ingrimm an, und nahm es weg.
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Es wurde viel aus dieser That gemacht, der Mann empfieng, nebst großen Ehrenzeichen, Quid tum profeci, mecum facientia iura si tamen attentas? quereris super hoc etiam quod exspectata tibi non mittam carmina mendax. Luculli miles collecta viatica multis aerumnis, lassus dum noctu stertit, ad assem perdiderat: post hoc vehemens lupus, et sibi et hosti iratus pariter, iejunis dentibus acer, praesidium regale loco deiecit, ut aiunt, summe munito, et multarum divite rerum. Clarus ob id factum, donis ornatur honestis;
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wohl funfzigtausend Drachmen von der Beute zu seinem Antheil. Bald nach diesem hätte der Feldherr ein gewisses Bergschloß, dem schwehr beyzukommen war, gern überrumpelt, und glaubte seinen Mann dazu gefunden zu haben. Geh, mein braver Camerad, sprach er, mit Worten, die dem Feigsten Muth zu machen fähig waren, geh mit Glük wohin dich deine Tugend ruft! Du gehst 10
Belohnungen entgegen, die der Größe des Verdiensts entsprechen sollen! — Nun? Was zögerst du? Wo fehlts? — „ M e i n G e n e r a l “ versezt der Andre, der (wiewohl ein Bauer) so dumm nicht war — „ i c h m e r k e w o h l ; a l l e i n dahin zu gehn, muß einer seine Katze verlohren haben ; izt verbitt ich mirs.“ (1) Freund Florus, dies ist ungefehr mein Fall. Mein Schiksal wollte, daß ich in der Jugend zu Rom erzogen und gelehret würde
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wieviel Achillens Zorn den Griechen Harm gebracht. Den kleinen Anfang bildete accipit et bis dena super sestertia nummu ˆ m. Forte sub hoc tempus castellum evertere Praetor nescio quod cupiens, hortari coepit eundem verbis, quae timido quoque possent addere mentem. I bone, quo virtus tua te vocat, i pede fausto, grandia laturus meritorum praemia! quid stas? Post haec ille catus, quantumvis rusticus, ibit, ibit eo quo vis, qui zonam perdidit, inquit.
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Romae nutriri mihi contigit atque doceri, iratus Graiis quantum nocuisset Achilles. Adiecere bonae paulo plus artis Athenae;
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die Stadt Minervense) aus; ich lernte dort das Krumme vom Geraden unterscheiden,f) und in den Lauben der Akademie die Wahrheit suchen. Aber harte Zeiten drängten mich von dem angenehmen Ort zu früh hinweg: die Fluth des Bürgerkrieges riß den rohen Neuling mit sich fort in Waffen, die Cäsar Augusts stärkern Armen nicht gewachsen waren. Als nun bald darauf P h i l i p p i mir den Abschied wieder gab,
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und ich, ganz kleinlaut, mit beschnittnem Fittich am Boden streichend, heimkam, und mein kleines Erbgut verwürkt sah, trieb die Dürftigkeit, die Alles zu wagen fähig ist, mich — Verse zu machen an. (2) Izt aber, da ich habe was ich bedarf, wo wüchse Niesewurz genug um meinen Schädel auszufegen, wenn ich nicht lieber meine Zeit verschlafen scilicet ut possem curvo dignoscere rectum, atque inter silvas Academi quaerere verum.
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Dura sed emovere loco me tempora grato; civilisque rudem belli tulit aestus in arma, Caesaris Augusti non responsura lacertis. Unde simul primum me dimisere Philippi, decisis humilem pennis, inopemque paterni et laris et fundi, paupertas impulit audax ut versus facerem: sed, quod non desit habentem quae poterunt unquam satis expurgare cicutae, ni melius dormire putem quam scribere versus?
e) Athen. f) d. i. sagt Hr. D a c i e r „ich lernte da die Geometrie.“ Das mag wohl seyn; aber Horaz, wie er dies schrieb, dachte wohl so wenig an den Euklides als an die Lernäische Schlange.
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als Verse machen wollte? — Jedes Jahr des Lebens, wie es abgeht, nimmt auch was von uns als Beute mit: sie haben Scherz und Spiel, sie haben Wein und Kuß uns schon entrissen, und ringen uns nun auch die Leyer aus der Hand. Wie willst du daß ich helfe? — Überdies sind sich die werthen D i l e t t a n t e n auch so ungleich an Geschmack! Du liebest Lieder, ein Andrer Jamben, einem Dritten will nichts schmecken was mit Bions scharfem Witzg)
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nicht stark gesalzen ist. Ich bringe nicht drey Gäste zusammen, deren leckerhafte Gaumen sich mit dem Nämlichen vergnügen ließen. Was soll ich geben, Freund? Was jener will das ekelt Dir, und was Du gerne hättest, //
schmekt zweenen andern widerlich und sauer. Singula de nobis anni praedantur euntes; eripuere jocos, venerem, convivia, ludum; tendunt extorquere poe¨mata: quid faciam vis?
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denique non omnes eadem mirantur amantque. Carmine tu gaudes; hic delectatur Iambis; ille Bioneis sermonibus, et sale nigro. Tres mihi convivae prope dissentire videntur poscentes vario multum diversa palato. Quid dem? quid non dem? renuis tu quod jubet alter, quod petis, id sane est invisum acidumque duobus.
g) Dieser B i o n , der mit B i o n d e m We i s e n , und noch a c h t andern gelehrten B i o n e n nicht verwechselt werden muß, schrieb eine Art von Satyren, worinn er, wie Lucian, dessen Vorgänger er war, weder Götter noch Menschen verschonte. Bionei sermones sind also soviel als 30
scharfgesalzne Satyren.
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Doch, dies beyseit gesezt, wie wolltest du daß ich zu Rom, in diesem ewigen Wirbel von Plackereyen und Zerstreuungen, Gedichte schreiben könnte? D i e s e r ruft mich zum Bürgen; j e n e m soll ich Alles stehn und liegen lassen, einer Recitierung von seinem neusten Werke beyzuwohnen. D e r wohnt zu äusserst auf dem Av e n t i n , D e r , auf dem Q u i r i n a l , und beyde müssen besucht seyn — wie du siehst, ein hübscher Zwischenraum!h)
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Und dennoch möchts noch gehen, wenn die Straßen nur freyer wären, und ein armer Denker nicht alle Augenblicke sich die Nase woran zerstieße. Eh du Zeit hast, dich zu retten, wirft ein hastiger Bauverwalter, mit einem Heer von Arbeitsleuten, Eseln und Trägern dich zu Boden; oder wenn du auch dich noch in Zeiten auf die Seite machtest, laufst du Gefahr an einen Balken oder Quader, der an einer ungeheuren Winde sich
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empordreht, anzustoßen. Überall ist etwas auszuweichen oder vorzusehn. Praeter caetera, me Romaene poemata censes scribere posse, inter tot curas, totque labores? hic sponsum vocat, hic auditum scripta relictis omnibus officiis: cubat hic in colle Quirini, hic extremo in Aventino, visendus uterque; intervalla vides humane commoda. Verum, purae sunt plateae, nihil ut meditantibus obstet. Festinat calidus mulis gerulisque redemtor; torquet nunc lapidem, nunc ingens machina tignum;
h) Wenigstens von einer Stunde für einen guten Fußgänger.
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Da zieht ein Trauerwagen, schwer und knarrend, durch deinen Weg, dort lauft ein toller Hund, hier rennt ein wohlbesudelt Schwein dich an. Nun geh mir einer, unter allem diesem Gedräng’, und moduliere Verse bey sich selbst! Der Dichter-Chor war je und allezeit den stillen Haynen hold und floh die Städte, als Bacchus ächte Schuzverwandte, der den Mittagsschlaf in grünen Schatten liebt. 10
Und du verlangst ich soll in diesem Lermen der Tag und Nacht um meine Ohren braußt, die Leyer rühren, und den schmalen Pfad der Dichter die mir vorgegangen treten? Ein Kopf der sich das ruhige Athen zum Auffenthalt erkießte, sieben Jahre dort den Studien oblag, und beym Meditieren und über Büchern alt geworden ist, kömmt stummer als ein Standbild in die Welt zurük, und wird mit lautem Lachen überall
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vom Volk empfangen — und Ich sollte mir, tristia robustis luctantur funera plaustris; hac rabiosa fugit canis, hac lutulenta ruit sus: i nunc, et versus tecum meditare canoros. Scriptorum chorus omnis amat nemus et fugit urbes, rite cliens Bachi, somno gaudentis et umbra: tu me inter strepitus nocturnos atque diurnos vis canere, et contracta sequi vestigia vatum? Ingenium, sibi quod vacuas desumsit Athenas, et studiis annos septem dedit, insenuitque
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libris et curis, statua taciturnius exit plerumque et risu populum quatit: hic ego rerum
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in dieser steten Ebb’ und Fluth von Rom, um gleichfalls zum Gelächter mich zu machen, die Mühe geben und nach Worten haschen die sich zur Leyer gatten? (3) Und wofür? Noch ist ein Punct, mein Freund, der auch bemerkt zu seyn verdient. Es geht uns andern Dichtern zu Rom, wie jenem Brüderpaar, wovon der Ein’ ein Redner, und ein Rechtsgelehrter der Andre war. Die beyden mußte man einander loben hören! — „Bruder, sagte dieser, du sprichst als wie ein zweyter G r a c c h u s — und erwiederte der Andre, im Entscheiden bist du der zweyte M u c i u s . ( 4 ) So machen’s just wir Dichter auch. Ich drechsle Lieder, jener macht Elegien; höre was wir, einer vom andern sagen, wenn du wissen willt wie wundernswürdig unsre Werke sind, wie alle neun Camönen nichts vollkommners und feiners auszumeisseln fähig wären! (5) Sieh erst mit welchem Stolz, mit welcher Mine wir in dem Musensaal, der noch so leer an Römischen Dichtern ist, uns umsehn — Schleiche dann uns, wenn du Zeit hast, nach, und horch ein wenig fluctibus in mediis, et tempestatibus urbis, verba lyrae motura sonum connectere digner? frater erat Romae consulti rhetor, ut alter alterius sermone meros audiret honores; Grachus ut hic illi foret, huic ut Mucius ille. Qui minus argutos vexat furor iste poetas? carmina compono, hic elegos; mirabile visu caelatumque novem Musis opus. Aspice primum, quanto cum fastu, quanto molimine circumspectemus vacuam Romanis vatibus aedem. Mox etiam, si forte vacas, sequere, et procul audi
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von ferne zu, wie wir uns heben, und warum wir wechselsweis uns Kränze flechten. Sieh, wie, den Spiegelfechtern ähnlich, die beym Gastmahl uns mit ihrem Spiel ergötzen, (6) wir keinen Stoß empfangen, den wir nicht dem andern auf der Stelle wiedergeben! Schlägt E r mich zum A l c ä u s , kann ich ihn zu was geringerm machen als zum zweyten C a l l i m a c h u s ? Und scheint er mehr zu fodern, so wird er gar M i m n e r m u s , i ) und noch mehr; Er hat nur zu befehlen. Alles das muß nun ein Autor, der noch selbst beym Volk um Beyfall bettelt, sich gefallen lassen, um nicht das wespenartige Geschlecht der Versemänner gegen sich zu reitzen. Hingegen, hab ich selbst das Handwerk aufgegeben, und bin nun wieder meiner Sinne mächtig und mein eigner Herr: wer wehrt mir, daß ich mir die Finger in die Ohren stecke, wenn mich einer mit seinem Werkchen in der Hand verfolgt? Denn solche Stümper heilt sogar das Lachen des Publikums von ihrer Thorheit nicht: quid ferat et quare sibi nectat uterque coronam. Caedimur, et totidem plagis consumimus hostem, lento Samnites ad lumina prima duello. Discedo Alcaeus puncto illius: ille meo quis? quis nisi Callimachus? si plus adposcere visus fit Mimnermus, et optivo cognomine crescit. Multa fero, ut placem genus irritabile vatum, cum scribo, et supplex populi suffragia capto: idem, finitis studiis, et mente recepta, obturem patulas impune legentibus aures. Ridentur mala qui componunt carmina: verum i) S. im 1. Theil, die Erläuterung, auf der 131. S.
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„ S i e s c h r e i b e n con Amore “ haben wahren Respect vor ihren Werken, und wenn d u nichts sagst, so rechne drauf, sie fangen selber an davon zu sprechen, und dir anzurühmen wie glüklich ihnen dies und das gelang, wie leicht sie schreiben, und wie wenig Mühe es ihnen kostet, s i c h genug zu thun. (7) So leicht wirds freylich keinem, der ein Werk zu machen wünschet das die Probe halte. Der nimmt, zugleich mit Feder und Papier,
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des unbestechbarn Censors strengen Sinn, vor dem nichts tadelhaftes Gnade findet. Er schonet keines Worts, das ohne Glanz, das müßig, oder seiner Stelle sonst, auf welche Art es sey, nicht würdig ist, wie ungern es auch weichet, und wiewohl sein Werk, als wie in Vesta’s heiligem Dunkel, in seinem Pult noch eingeschlossen ist. Er zieht die alten Wort’ und Redensarten voll Kraft und Sinnes wieder an das Licht,
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die nur durch Ungerechtigkeit der Zeit herabgekommen und vergessen, oder gaudent scribentes, et se venerantur et ultro, si taceas, laudant quidquid scripsere, beati. At qui legitimum cupiet fecisse poema, cum tabulis animum censoris sumet honesti; audebit quaecunque parum splendoris habebunt, et sine pondere erunt, et honore indigna ferentur, verba movere loco, quamvis in vita recedant, et versentur adhuc intra penetralia Vestae. Obscurata diu populo bonus eruet, atque proferet in lucem speciosa vocabula rerum, quae priscis memorata Catonibus atque Cethegis,
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von Rost und Staub unscheinbar worden sind. Auch trägt er kein Bedenken, neuen Wörtern von gutem Korn, die etwa der Gebrauch in Umlauf bringt, den Stempel aufzudrücken. Und so, gleich einem Strom, der voll und klar durch Auen, die er fruchtbar macht, sich wälzet, ergießt er seine Schätze, und verschönert die Sprache seines Volks. Er schneidet weg was allzuüppig schießt, verbessert durch Kultur 10
das Herbe, das von ihrer ersten Wildheit zurükblieb, reutet ohne Schonen aus was bloßes Unkraut ist: und weiß dabey die Pein, die ihm dies alles oft gekostet, mit einem Schein von Leichtigkeit zu bergen, als wärs ihm nur ein Spiel, so wie der M i m e * ) gleichleicht den Cyklops oder Satyr tanzt. (8) Nun freylich, wenn es d i e Bewandtniß hat, wer, der sich selber hold ist, wollte nicht (so fern er nur sich selbst gefiele und nicht wüßte
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wie schlimm es mit ihm ist) nicht lieber bey den Kennern für einen Gänsekopf und Pfuscher gelten, nunc situs informis premit et deserta vetustas: adsciscet nova, quae genitor produxerit usus. Vehemens et liquidus puroque simillimus amni, fundet opes, Latiumque beabit divite lingua; Luxuriantia compescet, nimis aspera sano levabit cultu, virtute carentia tollet, ludentis speciem dabit et torquebitur, ut qui nunc Satyrum, nunc agrestem Cyclopa movetur.
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Praetulerim scriptor delirus inersque videri dum mea delectent mala me vel denique fallant, *)
Tänzer eines Pantomimischen Ballets.
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als sichs um etwas, das am Ende doch ihm niemand dankt, so sauer werden lassen? (9) Es war einmal ein Mann von gutem Hause zu Argos mit dem wunderbaren Wahnsinn behaftet, daß er zu gewissen Stunden auf seinen eignen Leib die schönsten Trauerspiele gar herrlich aufgeführt zu sehen glaubte. Man fand ihn oft vor Freuden ausser sich im leeren Schauplatz sitzen, und Tragöden,k) die nur in seinem eignen Schädel spielten,
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den wärmsten Dank aus allen Kräften klatschen. Der Mann war sonst in jedem andern Punct so gut als einer in der ganzen Stadt, im Umgang angenehm, ein guter Nachbar, ein guter Ehmann, und ein milder Herr, der wenn ein Diener etwa sich am Sigel vergriff,l) den Zorn nicht an der Flasche auslies, auch sonst verständig gnug um einem Wagen aus dem Weg und neben unbedekten Brunnen quam sapere et ringi. Fuit haud ignobilis Argis
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qui se credebat miros audire tragoedos, in vacuo laetus sessor plausorque theatro; caetera qui vitae servaret munia recto more, bonus sane vicinus, amabilis hospes, comis in uxorem, posset qui ignoscere servis et signo laeso non insanire lagenae, posset qui rupem et puteum vitare patentem.
k) Tragischen Schauspielern. l) Die Römer pflegten ihre Lagenas, eine Art von großen Krügen mit engen Hälsen, zu versiegeln, um sie dadurch vor ihren Sclaven zu verwahren.
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vorbeyzugehn. Demungeachtet hielten die weisen Anverwandten sich verbunden dem armen Vetter zum Verstand zu helfen. Doch wie er nun, nicht ohne Müh und Noth, durch Niesewurz und viele Kräuterbrühen sich endlich wiederhergestellt befand, erhob er bittre Klagen über seiner Freunde Dienstfertigkeit: ihr hättet, sprach er, eben so lieb das Leben mir genommen als 10
den süßen Irrthum, der mich glüklich machte. (10) Wenn nun, wie ich besorge, dies der Fall von allen Versemännern ist: so wärs doch einmal, dächt ich, hohe Zeit, verständig zu werden, und das Kinderspiel den Knaben, für die sichs besser schikt, zu überlassen; und, statt um Worte, die zur Römischen Leyer sich modulieren lassen, u m d e n R h y t h m u s und die Mensur der wahren Lebenskunst sich zu bewerben. Diesemnach, mein Freund,
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besprech ich öfters mich in aller Stille so mit mir selbst, und sage: (11) wenn du dich mit einem Durste, den kein Wasser löschen wollte, Hic ubi cognatorum opibus curisque refectus expulit helleboro morbum bilemque meraco, et redit ad se: Pol, me occidistis, amici, non servastis, ait, cui sic extorta voluptas et demtus per vim mentis gratissimus error. Nimirum sapere est abjectis utile nugis et tempestivum pueris concedere ludum,
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ac non verba sequi fidibus modulanda latinis, sed verae numeros modosque ediscere vitae. Quocirca mecum loquor haec, tacitusque recordor: si tibi nulla sitim finiret copia lymphae
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behaftet fändest, würdest du’s dem Arzt vertrauen — und die leidige Sucht, je mehr du dir erworben, desto mehr zu wünschen, dies Übel wagst du niemand zu bekennen? (12) Wenn dir die Wurzeln oder Kräuter, die man dir zur Heilung einer Wunde angerathen, nicht besser machten, würdest du die Wurzeln und Kräuter die nicht hälfen wegzuwerfen Bedenken tragen? Nun, da dir die Stimme des Volks gesagt hat, „wem die lieben Götter
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Vermögen geben, geben sie die Weisheit als Zugab oben drein“ – und gleichwohl siehst du das Gegentheil an dir, und bist, seitdem du reicher wardst, nichts desto weiser worden: ists wohl gethan, noch immer an den alten Rathgeber dich zu halten? Ja, wenn Gold dich klüger machen, von Begier und Furcht befreyen könnte, möchtest du erröthen, nicht der erste Harpax in der Welt zu seyn! narrares medicis; quod, quanto plura parasti,
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tanto plura cupis, nulline faterier audes? Si vulnus tibi monstrata radice vel herba non fieret levius, fugeres, radice vel herba proficiente nihil, curarier, audieras, cui rem Dii donarint, illi decedere pravam stultitiam, et cum sis nil sapientior, ex quo plenior es, tamen uteris monitoribus iisdem? At si divitiae prudentem reddere possunt, si cupidum timidumque minus te, nempe ruberes viveret in terris te siquis avarior uno.
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Ist das, was einer baar bezahlt, sein eigen so giebts auch Dinge (wie die Rechtsgelehrten uns sagen) welche man durch Nießbrauch schon besizt. Der Acker der dich nährt — ist dein: ob du, ob O r b i u s m ) der eigentliche Herr des Gutes sey, gilt dem Verwalter gleich der dir um baares Geld die Früchte liefert. Du zahlst sein Geld ihm hin, und kriegst dafür hinwieder Hüner, Eyer, Trauben, Most; 10
und so bezahlst du nach und nach den Werth des ganzen Gutes, das vielleicht im Ankauf zwölftausend Thaler und noch mehr gekostet. Was thuts nun, ob du von dem e h m a l s oder j ü n g s t bezahlten lebst? Der Eigenthümer eines vor hundert Jahren eingekauften Gutes speist, ob ers gleich nicht meynt, gekauften Kohl, wärmt seinen Kessel mit gekauftem Holz. Si proprium est quod quis libra mercatus et aere est, quaedam, si credis Consultis, mancipat usus.
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Qui te pascit ager, tuus est; et Villicus Orbıˆ, cum segetes occat, tibi mox frumenta daturus, te dominum sentit: das nummos, accipis uvam, pullos, ova, cadum temeti; nempe modo isto paullatim mercaris agrum, fortasse trecentis aut etiam supra nummorum millibus emtum; quid refert, vivas numerato nuper an olim? Emtor Aricini quondam Vejentis et arvi emtum coenat olus, quamvis aliter putat, emtis sub noctem gelidam lignis calefactat ahenum:
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m) Ein unbekannter damaliger Römischer Parvenu, den Horaz vermuthlich bloß deswegen nennt, weil er eine Menge Güter zusammengekauft hatte.
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Inzwischen nennt er S e i n , was innerhalb der Pappeln ist, womit er seine Markung vor nachbarlichen Plackerey’n gesichert: als ob man was S e i n e i g e n nennen könne, was alle Augenblik’, um baares Geld und gute Worte, bald durch Machtgewalt, bald durch den Tod — an neue Herren kömmt. Wenn also kein Besizthum ewig währet und, Wellen gleich, ein Erbe stets des andern Erben verschlingt, was helfen große Güther dir
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und volle Scheunen? Was Lucanische Wälder noch zu Calabrischen hinzugekauft? Wenn, allem Gold von Indien unbestechlich, der Orkus groß und klein zusammenmäht? Tyrrhenische Bilder, Marmor, Elfenbein, Gemählde, Gemmen, Silber, Purpurzeuge, wie viele leben ohne alles das? Wie mancher mag’s nicht, wenn er’s haben könnte? sed vocat usque suum, qua populus adsita certis limitibus vicina refugit jurgia; tanquam
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sit proprium quidquam, puncto quod mobilis horae nunc prece, nunc pretio, nunc vi, nunc sorte suprema permutet dominos et cedat in altera jura. Sic quia perpetuus nulli datur usus, et haeres haeredem alterius velut unda supervenit undam, quid vici prosunt aut horrea? quidve Calabris saltibus adjecti Lucani, si metit Orcus grandia cum parvis, non exorabilis auro? Gemmas, marmor, ebur, Tyrrhena sigilla, tabellas, argentum, vestes Getulo murice tinctas, sunt qui non habeant, est qui non curat habere.
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Woher das kömmt, warum, von zweenen Brüdern, der eine seinen lieben Müßiggang, sein unter einerley alltäglichen Vergnügungen sanft hingetändelt Leben nicht um Herodes Palmenthäler tauschte; der andre reich, doch niemals satt noch froh, vom Morgen in die Nacht sich härmt und plagt, um wohlfeil angekaufte dürre Heiden mit Feur und Eisen zu bezwingen und 10
in reiche Korngefilde umzuschaffen: das mag der Genius von Beyden wissen, der Gott der menschlichen Natur, der mit uns gebohren wird und stirbt, veränderlich von Angesicht und Laune, weiß und schwarz. (13) Mein Grundsatz ist: genießen was ich habe, und von dem mäßigen Hauffen nehmen was ich brauche, unbekümmert was dereinst mein Erbe sagen werde, wenn er weniger als ihm vermacht ist findet. Gleichwohl liegt mir dran
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den Biedermann, der seines Lebens sich zu freuen weiß, nicht mit dem Geizhals zu verwechseln. Cur alter fratrum cessare et ludere et ungi praeferat Herodis palmetis pinguibus, alter dives et importunus, ad umbram lucis ab ortu silvestrem flammis et ferro mitiget agrum, scit Genius, natale comes qui temperat astrum, naturae Deus humanae, mortalis in unumquodque caput, vultu mutabilis, albus et ater. Utar, et ex modio quantum res poscet acervo
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tollam, nec metuam quid de me judicet haeres, quod non plura datis invenerit; et tamen idem scire volam quantum simplex hilarisque nepoti discrepet, et quantum discordet parcus avaro.
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Der Unterschied ist groß, ob du dein Guth verschleuderst, oder, es zu brauchen weder dich dauren lässest, noch es zu vermehren besorgt bist: sondern, wie du’s an den Ferienn) als Knabe machtest, keinen Augenblick verlierst, die Zeit der Lust im Fluge wegzuhaschen. Mir, meines Orts, wenn ferne nur von mir der Schmuz der Armuth ist, liegt nichts daran in einem großen oder kleinen Schiff zu fahren; und flieg ich nicht mit aufgeblähten Segeln
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in vollem Wind daher, so muß ich auch nicht stets mit widerwärtigen Winden kämpfen: an Kräften, Wiz, Gestalt, Verdienst, Vermögen und Stand der lezte von den ersten zwar, (14) doch so, daß hinter mir noch viele sind. Du bist nicht geitzig? Gut für dich! So bist du eines großen Übels quitt. Allein, wie mit den andern? Bist du auch so frey Distat enim spargas tua prodigus, an neque sumtum invitus facias neque plura parare labores,
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ac potius, puer ut festis quinquatribus olim exiguo gratoque fruaris tempore raptim. Pauperies immunda domu procul absit, ego utrum nave ferar magna an parva, ferar unus et idem. Non agimur tumidis velis aquilone secundo, non tamen aduersis aetatem ducimus austris; viribus, ingenio, specie, virtute, loco, re, extremi primorum, extremis usque priores. Non es avarus? abi! quid caetera? jam simul isto n) Festis quinquatribus, das Fest der Minerva, wo die Knaben fünf Tage lang Schulferien hatten.
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von eitler Ehrsucht, Zorn und Todesfurcht? Verlachst du Träume, Ahndungen, Gespenster, Magie, und kurz die Wunderdinge alle, woher Thessaliens böser Ruf gekommen? Trägst du mit Nachsicht deiner Freunde Fehler? Begehst du froh und dankbar jeden neuen Geburtstag, und wirst immer milder besser wie du dem Alter näher kömmst? Was hilfts dem, der in Dornen fiel, wenn einer auch 10
ihm ausgezogen wird? — Kurz, r e c h t z u l e b e n ist eine Kunst, die wohl gelernt, und streng geübt seyn will; verstehst du nichts davon, so schleiche weg, und mach den Meistern Plaz! Kurzweil getrieben hast du nun einmal genug, genug gegessen und getrunken: es ist nun Zeit vom Gastmahl aufzustehn! Damit, wenn Bacchus dir zu mächtig würde, du nicht der trunknen Jugend, der der Muthwill noch besser ziemt, zum Spott und Fußball werdest. (15)
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cum vitio fugere? caret tibi pectus inani ambitione? caret mortis formidine et ira? somnia, terrores magicos, miracula, sagas nocturnos lemures, portentaque Thessala rides? Natales grate numeras? ignoscis amicis? Lenior et melior fis accedente senecta? Quid te exemta juvat spinis de pluribus una? Vivere si recte nescis, decede peritis; Lusisti satis, edisti satis atque bibisti! tempus abire tibi est; ne potum largius aequo
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rideat et pulset lasciva decentius aetas. * * *
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Erläuterungen. (1) Ob das Sprüchwort, das unter den Römischen Soldaten üblich gewesen zu seyn scheint, ibit qui zonam perdidit, zu Erfindung dieses Geschichtchens, oder, wie ich eher glauben möchte, eine würkliche Begebenheit, die sich mit einem Soldaten des Lucullus im Mithridatischen Kriege zugetragen, zu jenem Sprüchwort Gelegenheit gegeben, kann uns sehr gleichviel seyn: genug, daß in dem Geschichtchen viel Sinn ist, und daß es zu Horazens Absicht treflich paßt. (2) Diese kurze Erzählung, welche Horaz dem Freund und Secretär des jungen Tiberius von seiner Verwandlung aus einem Brigadier unter der Armee des Brutus in einen harmlosen Satyren- und Lieder-Dichter macht, ver-
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dient, daß wir uns ein wenig bey ihr aufhalten, um zu sehen, mit welcher Geschiklichkeit er eine Saite, die so leicht einen sehr widrigen Ton angeben konnte, zu behandeln wußte. Was er hier von seiner Erziehung sagt, wird durch die umständlichere Nachricht ergänzt, die er dem Mäcenas in der 9ten Ekloge des Ersten Buchs gegeben hatte, und die damals schon in jedermanns Händen war. Er erkennt darinn auf eine Art, die seinem Verstand und Herzen gleichviel Ehre macht, daß er sein ganzes Glük der vortreflichen Erziehung zu danken habe, die ihm sein Vater gegeben; eine Erziehung, die zwar weit über seinen Stand und sein Vermögen zu gehen geschienen, aber an der doch nichts hatte fehlen dürfen,
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wenn der junge Horaz das werden sollte, wozu ihn die glüklichste NaturAnlage bestimmte. In der gegenwärtigen Epistel faßt er alles dies in den einzigen Zug zusammen, Romae nutriri mihi contigit, i c h w a r s o g l ü k l i c h i n R o m e r z o g e n z u w e r d e n ; und, mit einem Blik auf seine künftige, wiewohl bloß zufällige, Dichter-Profession, sezt er hinzu, atque doceri iratus Grajis quantum nocuisset Achilles — eine Wendung, um zu sagen, daß er in Rom den ersten Grund in der Griechischen Litteratur gelegt habe. Etwa in seinem neunzehnten Jahre schikte ihn sein Vater nach A t h e n , der Mutter und Pflegerinn aller Künste des verfeinerten Lebens, von welcher alle Römer von Stande, und wer es sonst darauf anlegte den Fehler seines Standes durch persönliche Eigenschaften zu ersetzen, ihre letzte Ausbildung und Politur erhielten. Man kann, seit dieser Zeit bis auf die unsrige inclusive, keine Stadt in der Welt nennen, die für einen jungen Menschen, der sich bilden, und für einen
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Gelehrten, der in ungestörter Ruhe seinen Lieblingsstudien obliegen wollte, das gewesen wäre, was Athen war, — seit es aus einer der mächtigsten Republiken zu einer Römischen Municipalstadt herabgesunken war, ohne daß seine Bürger den lebhaften Geist und den unnachahmlichen A t t i c i s m u s ihrer Voreltern verlohren hätten, der ihnen, bey allem ihrem Verfall, noch immer eine sonderbare Art von Superiorität über ihre gebietenden Herren und Beschützer, die Römer, gab. Das damalige A t h e n war in allen andern Stücken nur ein verfallnes Denkmal jenes Athens, wo P e r i k l e s , C i m o n , T h u c i d i des, Xenophon, Sokrates, Plato, Sophokles, Euripides, Aristo10
phanes, Phidias, Alkamenes, Zeuxes, Parhasius, Aspasia, Diot i m a , u. s. w. in dem Zeitraum eines halben Jahrhunderts beysammen gelebt hatten — aber mitten unter den Ruinen ihrer ehmaligen Größe und Schönheit, stund, so zu sagen, d e r Te m p e l d e r M u s e n allein noch unbeschädigt da; und wiewohl um diese Zeit vielleicht nicht Einer unter ihren Bürgern war, der im Jahrhundert des Perikles sein Haupt hätte erheben dürfen: so war doch (wie C i c e r o irgendwo sagt) die ganze Stadt voller Anzeigen und Spuren jener großen Männer, die einst dagewesen waren. Mit jedem Blick sah man auf etwas, das an sie erinnerte, mit jedem Schritte trat man gleichsam auf eine Reliquie der glüklichen Zeiten dieser merkwürdigen Stadt, *) die an Alter, Hu-
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manität und Kunstverstand, immer unter allen Völkern der Welt hervorgeragt hatte. **) In der A k a d e m i e stunden zwar dieselben Bäume nicht mehr, unter welchen P l a t o seinen Lieblingsschülern einst, in der Sprache der Musen, seine sublimen Träume erzählt hatte; der gefühllose S u l l a hatte sie umhauen lassen, da er den Tyrannen Aristion in Athen belagerte; aber aus ihren Wurzeln war indessen ein n e u e r H a y n aufgewachsen, in dessen schattichter Stille die Schüler eines K a r n e a d e s und P h i l o noch immer den Spuren der Wahrheit nachforschten, welche s e l b s t zu finden, sie für etwas hielten das keinem Sterblichen erlaubt sey. Diese wenigen Züge (die ich hier für kein Hors d’oeuvre ansehe) können uns einigen schwachen Schatten von Vorstellung
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*)
— In omni parte Athenarum sunt i n i p s i s l o c i s i n d i c i a s u m m o r u m virorum — qua-
cumque ingredimur i n a l i q u a m h i s t o r i a m v e s t i g i u m p o n i m u s . C i c . d e F i n . I. c. 2. Ich empfehle bey dieser Gelegenheit zu eignem Nachlesen das ganze erste und zweyte Capitel des eben angezognen Buches. Es ist das schönste Portal das sich denken läßt — an einem der edelsten Gebäude der alten Philosophie! **)
N e p . in Vita Attici.
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jener lebendigen Erinnerungen geben, die in Horazens Seele sich drängten, da er an seine i n A t h e n , in den L u s t w ä l d e r n d e r A k a d e m i e , verlebte glükliche Jugend zurükdachte. Weil es ihm hier nicht um eine Beschreibung seiner ehmaligen Empfindungen oder itzigen Reminiscenzen zu thun war, so sagt er alles dies, und noch tausendmal mehr, nur mit zwey Worten: aber um unsern Dichter zu g e n i e ß e n , muß man, soviel möglich, bey seinen Worten denken was Er dabey dachte — und das Verlangen, meinen Lesern diesen Vortheil, ohne viele Mühe auf ihrer Seite, zu verschaffen ist das Einzige, was mich bewegen konnte, in meinen Erläuterungen zuweilen umständlicher zu seyn, als geschehen wäre, wenn ich bloß meine eigne Bequemlichkeit hätte zu Rathe
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ziehen wollen. In diesem stillen und angenehmen Siz der Philosophischen Musen war es, wo Horaz die Sokratische Vorstellungsart einsog, die ihn so sehr vor allen andern römischen Dichtern auszeichnet. Hier war es, wo er sich, gleichsam auf sein ganzes Leben, mit dem feinen Attischen Salz versah, dessen angenehm-scharfer flüchtiger Geist seinen Schriften einen so eignen, und (wie ich leider zu spät! befürchte) so unübersezbaren Reiz giebt — Und hier war es auch, wo er mit dem edeln Brutus in ein Verhältniß kam, welches ihn den Musen zu entreissen schien, aber durch seine Folgen der entscheidenste Umstand seines Lebens wurde.
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Die eigentliche Zeit des Anfangs ihrer Bekanntschaft läßt sich nicht genau angeben. Ohne Zweifel war es im Jahr 711. wo Brutus sich einige Zeit in Athen aufhielt, und, indessen daß er die Schulen der Philosophen besuchte, und mit ihnen und den jungen Römern, die er bey ihnen antraf, so ruhig philosophierte, als Cicero ehmals nur immer in seinem Tusculanum, zum offenbaren Kriege gegen Antonius und Octavius Cäsar, zu welchem er sich endlich gezwungen sah, die nöthigen Anstalten machte. Unter diesen jungen Römern war auch unser Horaz; und wer den Charakter des Brutus aus Cicero und Plutarch kennt, und das, was unser Dichter in seiner Jugend seyn mußte, aus allem, was uns seine Werke von ihm sagen, zu divinieren weiß, wird sehr natürlich finden, daß der junge Horaz den tugendhaftesten und liebenswürdigsten aller Helden, die jemals der Menschheit Ehre gemacht haben, nur zu s e h e n und zu h ö r e n brauchte, um sich ihm mit aller Schwärmerey eines edlen feurigen Jünglings zu ergeben; und daß dieser hinwieder in dem jungen Menschen alles fand, was ihn seiner Liebe würdig machte. Als Brutus wieder von Athen ab-
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reisete, nahm er alle diese jungen Leute mit sich, *) folglich auch unsern Dichter, der in kurzem so hoch in seiner guten Meynung stieg, daß ihm das Commando über eine Legion, (über ein Corps von ungefehr 6000 Mann) anvertraut wurde. Daß Horaz dieses Vertrauens, ungeachtet des unglüklichen Ausgangs der Schlachten bey Philippi, nicht unwürdig gewesen, ist eben so sicher vorauszusetzen, als es gewiß ist, daß man nicht den geringsten Grund hat, das Gegentheil zu glauben; und daß er sich bey mehr als Einer Gelegenheit befunden, wo er Beweise seines Muthes abgelegt, läßt sich (wiewohl uns nähere Nachrichten fehlen) selbst aus der Ode an den Pompejus Varus, einen seiner 10
damaligen Cameraden, abnehmen, welche sonst gemeiniglich zum Nachtheil der Tapferkeit unsers Dichters angeführt wird. Die Anrede O s a e p e mecum t e m p u s i n u l t i m u m d e d u c t e , Brvto militiae Duce,
beweißt wenigstens eben soviel f ü r seinen Muth als die Strophe Tecum Philippos et celerem fugam Sensi, relicta n o n b e n e parmula, cum fracta Virtus, et minaces turpe solum tetigere mento.
allenfalls wider ihn beweisen könnte, wenn nicht etwas ausgemachtes wäre, 20
daß Horaz mit diesem Zug relicta non bene parmula sich bloß eine Ähnlichkeit mit dem Griechischen Dichter A r c h i l o c h u s habe geben wollen; und dies zu einer Zeit, wo es eben so g e f ä h r l i c h als v e r g e b l i c h gewesen wäre, den kriegerischen Theil seines Lebens in einem schönern Lichte zeigen zu wollen; wie gut er auch dazu berechtigt gewesen seyn mochte. Überdies sind wirs an Horaz gewohnt, daß er, bald aus Bescheidenheit, bald aus Laune, oft geringer von sich selbst spricht, als recht ist; und wenn wir seine Worte immer im strengsten buchstäblichen Verstande nehmen wollten: so müßten wir ihn, (unsrer eignen Überzeugung zu Troz) eben sowohl für einen sehr unbedeutenden Versemacher, als, dieser Stelle nach, für einen schlimmen Soldaten hal-
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*)
P l u t a r c h . in Bruto.
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ten. Und doch — selbst diese Stelle klingt nur in einer ungeschikten Übersetzung, oder durch eine falsche Auslegung, so auffallend als sie einigen vorgekommen ist. Horaz sezt, natürlicher Weise, in dieser Ode alle seinem Freunde bekannten Umstände voraus; und da es bloß die Freude über das unverhofte Wiedersehen eines verlohrengehaltnen Freundes ist, was ihm ihre ehmals mit einander überstandnen Gefahren ins Gedächtnis zurükruft: so erwähnt er auch nur der größten unter allen — die Gefahr, die sie bey einer Flucht lieffen, die ihnen mit so vielen andern wackern Leuten gemein gewesen war. Im Grunde hatte er sich und seinem Freunde nichts vorzuwerfen. Brutus hatte auf seinem Flügel, wo auch Horaz stund, den vollkommensten Sieg über die Le-
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gionen des Octavius Cäsar erfochten; und es war eine bloße Zusammenkettung f a t a l e r unglüklicher Zufälle, welche seinen und seines großen Freundes Caßius H e l d e n m u t h (denn auf Sie geht das fracta virtus) b r a c h , und diese edeln Mörder eines Tyrannen, der die Welt zu beherrschen würdig war, durch ihre eigne Hand zu fallen, nöthigte. Horaz wußte dies so gut als wir: aber es ist, als ob er sich des Todes der Helden, denen er einst lieb war, nicht erinnern könne, ohne sich einen Vorwurf darüber zu machen, daß er, a n s t a t t m i t i h n e n z u s t e r b e n , dem Instinct sich selbst zu retten nachgegeben habe; und das non bene ist, meiner Empfindung nach, ein Seufzer, den er dem Andenken der Edeln nachschikt, und der Ausdruk einer Schaam, deren nur
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eine selbstedle Seele fähig ist. Zwischen der Zeit, da alles dies geschehen war, und derjenigen, worinn Horaz diese Epistel an Julius Florus schrieb, waren ohngefehr 28 Jahre verfloßen. Die Gestalt der Sachen hatte sich innerhalb dieser Zeit unendlich verändert. Octavius Cäsar, der bey Philippi so eine armselige Rolle gespielt hatte, in Cäsar Augustus verwandelt, h e r r s c h t e , n a c h J u p i t e r n d e r e r s t e , ruhig, geliebt und angebetet, ü b e r d i e w e i t e We l t . Horaz genoß der stolzen Ruhe, die seine Regierung Italien wiedergegeben hatte, und einer p e r s ö n l i c h e n F r e y h e i t , die ihm für seine Person — der ohne Ehrsucht, purus et insons, lebte — für den Verlust der P o l i t i s c h e n F r e y h e i t hinlänglich entschädigte — und sein Schiksal hatte sein Leben mit dem Leben der Besten unter denen, die August liebte, zusammengewebt. Natürlicherweise mußte alles dies die Würkung thun, daß er (zumal in einem Briefe an einen Clienten der Cäsarischen Familie) Gewalt genug über sich selbst hatte, von dem großen Abentheuer seiner Jugend, da er dessen doch gelegentlich erwähnen mußte, so
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zu sprechen, wie es die vorsichtigste Klugheit wollte. Denn für ihn, der ehmals unter B r u t u s und C a s s i u s , zu Philippi, wo es um Alles gegen Alles galt, eine Legion gegen eben den Mann, der izt Augustus hieß, angeführt hatte, war es doppelt schwer von Begebenheiten zu sprechen, die das Andenken einer Zeit erneuerten, welche August selbst so gerne in die Tieffen des Lethe hätte versenken mögen. Jeder Ausdruk, der seine damalige Parthey g e b i l l i g t hätte, würde nicht nur beleidigend, sondern gewissermaßen Hochverrath gewesen seyn. Hingegen würde aber auch jeder Ausdruk, der sie gemißbilligt hätte, Horazen in seinen eignen und aller edlern Menschen Augen verächtlich ge10
macht haben. E i n einziges Wort zuviel oder zu wenig, war genug alles zu verderben; auch durfte man durchaus nichts davon merken, daß es ihm schwer geworden, sich schiklich über diese Materie auszudrücken. Mich däucht, Horaz habe sich auf eine Art aus dieser Schwierigkeit gezogen, die seinem Wiz und seiner Klugheit, mit den wenigsten Kosten seiner Ehrlichkeit, rühmlich ist. — D u r a sed e m o v e r e loco me t e m p o r a grato, c i v i l i s q u e rudem b e l l i t u l i t a e s t u s i n a r m a Caesaris Augusti n o n r e s p o n s u r a lacertis.
Da meine Übersetzung dieser drey Verse — „ a b e r h a r t e Z e i t e n d r ä n g t e n 20
m i c h , u. s. w.“ beynahe wörtlich ist, so hoffe ich, jeder Leser werde gestehen müßen, daß Horaz diesen Salto mortale nicht geschikter, und mit mehr Anstand hätte machen können. — Doch, gegen den dritten Vers, i n Wa f f e n , d i e C ä s a r A u g u s t s A r m e n n i c h t g e w a c h s e n w a r e n , möchte vielleicht ein nicht unerheblicher Einwurf zu machen seyn. „ D e r ist doch immer, könnte man sagen, so glimpflich auch der Ausdruk in Rüksicht auf die Republicanische Parthey seyn mag, i m M u n d e e i n e s A u g e n z e u g e n d e r F e i g h e i t A u g u s t s , eine unverzeyhliche Schmeicheley! Oder konnte ihm verborgen geblieben seyn, daß dieser junge Triumvir, der soviel Muth hatte, wenn es um Unterschreibung eines Proscriptions-Edicts zu thun war, seinen lacertis bey
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Philippi so wenig zutraute, daß er der erste war der seine Person in Sicherheit brachte, und, in der Meynung alles sey verlohren, drey Tage lang in einem Sumpf verborgen stekte.“ *) Ich habe hierauf nichts zu antworten als dies. Es *)
P l i n . Hist. Nat. VII. c. 45.
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war schon lange allgemeiner Styl in Rom, dem August zuzuschreiben, was das Glük oder seine Generale für ihn thaten — oder man hätte auch die Schlacht bey Actium, und die Siege über die Cantabrer und andre barbarische Völker, nicht auf seine Rechnung setzen dürfen. Die Lacerti Caesaris Augusti sind also hier nichts, als ein Hofstyl-mäßiger Ausdruk für das Glük seiner Waffen; und kein Mensch in ganz Rom verstund es anders. Augustus, der am besten wußte, wie wenig seine persönliche Tapferkeit und Geschiklichkeit gegen einen Brutus und Cassius hätte ausrichten können, wenn das Schiksal nicht so offenbar auf S e i n e r Seite gewesen wäre, hätte diesen Ausdruk ebenfalls für einen heimlichen S p o t t nehmen können: aber in diesem Falle konnte Horaz
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stark darauf rechnen, daß er sich von einem solchen Argwohn nichts merken lassen würde. Es bestund eine Art von stillschweigendem Vertrag zwischen ihm und dem klügern Theile seiner Römer, einander wechselsweise zu betrügen, und sich von beyden Seiten zu stellen als ob man nichts davon merke. August spielte seine Rolle wie ein Komödiant, der zufrieden ist, wenn man ihn, solange er agirt, für den Helden gelten läßt den er vorstellt; die Prätension, ihn auch im Herzen dafür zu halten, konnte er wenigstens an keinen vernünftigen Menschen, der vor dem Jahr 700 gebohren war, machen, und machte sie auch nicht. Horaz mochte, indem er diese Zeile schrieb, denken was er wollte; genug, wenn er nur die allgemeine Sprache mitsprach: dies war am Ende alles,
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was August von ihm verlangte; und wer hätte ihm eine so kleine Gefälligkeit versagen wollen? Die nächstfolgenden Verse, Unde simul primum me dimisere Philippi, decisis humilem pennis, inopemque paterni et laris et fundi —
worinn er die unglüklichen Folgen, so die Schlacht bey Philippi für ihn gehabt, berührt, sind nicht weniger fein gewandt als die vorigen. Das unangenehme und verhaßte davon ist mit einer leichten Tinte von Pläsanterie gemildert, die gerade da liegt, wo sie niemand beleidigen konnte, auf i h m s e l b s t . Nach 25 Jahren kann man schon über ein Unglük scherzen, dessen Folgen man nicht mehr fühlt. Mit dem Tode des Brutus hatte seine Bestallung ein Ende. Der Ausdruk dimisere ist also eben so schiklich als scherzhaft; und die Vergleichung mit einem Vogel, dem die Schwingfedern beschnitten worden, ist das
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glüklichste Bild, das er wählen konnte, um von den Umständen, worinn er sich durch die Proscription der Anhänger des Brutus und Cassius, nach der Unterdrückung ihrer Parthey befand, auf die unanstößigste Art zu sprechen. Und nun kommt er auf den Punct, wohin er mit dieser ganzen Erzählung wollte. Da mir also, sagt er, kein andrer Ausweg übrig war, so brachte mich die Armuth, die den Menschen alles wagen macht, dazu, daß ich Verse machte, — paupertas impulit audax ut Versus facerem —
Die Göttin Fames *) wäre also die wahre und einzige Muse, welcher wir die 10
Werke eines Dichters zu danken hätten, der die Zierde der Augusteischen Zeit, und der Liebling aller guten Köpfe seit 1800 Jahren gewesen ist? Welch eine Aufmunterung für die täglich anwachsende Schaar poetisierender Jünglinge, die, von eben dieser s c h e u ß l i c h e n Göttin, d e r z e h n t e n M u s e u n s r e r Z e i t , zur Verzweiflung getrieben, mit langen krummen Fingern nach der Apollinarischen Leyer greiffen, und — weil doch ihr vermeynter Mitbruder Horaz einen M ä c e n gefunden, und mit seinen vom Hunger eingegebnen Versen e i n S a b i n u m zu verdienen das Glük gehabt — sich wohl berechtigt halten, die Christliche Liebe ihrer Nebenmenschen wenigstens zu einer S u b s c r i p t i o n auf die Inspirationen ihres ungestümen Magens aufzufodern! Wer
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sollte sich länger schämen — seinen w a h r e n B e r u f z u m D i c h t e r zu gestehen? — da ein Horaz selbst so unverhohlen bekennt, daß ihn bloß die leidige Dürftigkeit zum Dichter gemacht habe — und daß er nunmehr, da er habe was er brauche, der unheilbarste aller Narren seyn müßte, wenn er nicht lieber seine Zeit verschlafen, als aufs Versemachen anwenden wollte. — Was nicht ein *)
„Eine vermeynte Gottheit, so nach einigen ihren Aufenthalt in dem Eingange der Hölle mit
hatte, nach andern aber sich in Scythien befand, und zwar auf einem steinichten wüsten Felde, wo sie die einzelnen Grasstengel mit den Nägeln und Zähnen zusammenklaubte. Sie hatte dabey ein straubichtes Haar, eingefallne Augen, blasses Gesicht, bleiche Lippen, angelaufne Zähne, eine harte Haut, durch welche man selbst das Eingeweide sehen konnte, aus den Hüften hervorragen30
de Knochen, einen leeren Raum anstatt des Bauchs, und die Brust schien nur an dem Gerippe des Rückens zu hängen, wobey alle Glieder an den Händen und Füßen desto größer aussahen jemehr sie hervorrageten, und w a s d e r g l e i c h e n Scheußlichkeiten mehr sind“ ( O v i d . Metamorph. VIII. n. 797.) — sagt der unvergleichliche Magister H e d e r i c h in seinem g r ü n d l i c h e n L e x i c o n M y t h o l o g i c u m , nach der 2ten ächten Ausgabe von 1741. S. 898.
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unglüklicher Augenblik von böser Laune für Folgen haben kann! Und wie große Ursache hatte Tr i s t r a m S h a n d y vor den Zehentausend kleinen Teufeln des Erzbischofs de la Casa zu warnen, die jeden witzigen Kopf, so wie er sich an seinen Schreibepult sezt, unfehlbar umwimmeln! Wie er sich auch in Acht nimmt, wie er sich schüttelt, kreuzigt und segnet, eh er’s gewahr werden kann, zieht er, an nichts arges denkend, einen davon, indem er die Feder eintunkt, aus seinem Dintenfaß; und siehe! da steht ein Einfall auf dem Pappier, der, ohne daß der arme Schriftsteller die mindeste Ahnung davon hat, mehr Unheil in der Welt anrichtet, als er in seinem ganzen Leben wieder gut machen kann. Horaz stund, wie wir wissen, fast immer unter der Gewalt irgend einer
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Laune; und Launen sind eine Art von guten oder bösen Feen, die, durch die bloße Magie des Colorits und Helldunkeln, aus den Dingen, die vor uns stehen, machen können was sie wollen. Er befand sich, als er diese Epistel schrieb, in R o m , wo er in den spätern Jahren seines Lebens so ungern lebte, und mußte sich izt, ohnezweifel, wider Willen da aufhalten — Erste Ursache übler Laune zu seyn! — Die Stadt wimmelte von Poeten, Schöngeistern und Versemachern, die sich als seine Confratres ansahen, ihm vielleicht noch viel Ehre zu erweisen glaubten, wenn sie ihm, wie jene Pferd-Äpfel in der Fabel, zurieffen: w i e w i r Ä p f e l s c h w i m m e n k ö n n e n ! Und diese Herren belagerten ihn in seiner Wohnung, begegneten ihm überall auf der Straße, suchten ihn in den
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Häusern auf wo er gewöhnlich anzutreffen war, nöthigten ihn ihren Vorlesungen beyzuwohnen, überreichten ihm wohl gar Lobgedichte die sie auf ihn gemacht, indem sie in der andern Hand ein Pasquillchen zeigten, das schon auf den Fall, wenn er sie nicht wiederloben würde, fertig lag, u. s. w. Zweyte Ursache übler Laune zu seyn! — Und nun, da er müde, ausgetroknet und mißmuthig von allen Plackereyen und Seccaturen eines R ö m i s c h e n Ta g e s , nach Hause kommt, findet er noch einen Brief voller Vorwürfe, daß er d i e l ä n g s t v e r s p r o c h n e n G e d i c h t e noch nicht geschikt habe — die er freylich nicht schicken konnte, weil er sie nicht gemacht hatte. Nichts ist vielleicht einem Mann wie Horaz verhaßter, als an solche alte Versprechen, die ihm einmal in einem dumpfen Augenblick von Bonhommie abgeschwazt wurden, oder sonst entfuhren, wieder erinnert zu werden. Nun möcht ich wohl sehen, welche gute Laune in der Welt gegen soviel unangenehme Umstände und Zudringlichkeiten, wenn sie so auf Einen Tag zusammenkommen, aushalten könnte? — Horaz war, wie er an mehr als Einer Stelle seiner Werke zu ver-
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stehen giebt, etwas hitziger und ungeduldiger Art, ut g e n u s e s t i r r i t a b i l e v a t u m — „Verwünscht sey alle Poeterey! (hör ich ihn in diesem Augenblik rufen) und der Tag und die Stunde, da mich zum erstenmal der unselige Einfall ankam Verse zu machen, wenn ich nun um deswillen, weil ich in meiner Jugend — als ich durch irgend etwas mich hervorthun mußte, und dies Talent das einzige war, was mein Schiksal mir dazu übrig gelassen — mich mit der Dichtkunst abgab, wenn ich nun um deswillen, was am Ende doch nur eine Folge des fatalen Ausgangs von Philippi war, mein ganzes Lebenlang gezwungen seyn soll den schönen Geist zu machen, und mich von jedem poetischen 10
Lumpen — Bruder grüßen, und vom ersten besten Hofschranzen, der seinem Herrn gern was Neues vorzulesen haben möchte, zum Versemachen nöthigen lassen soll!“ — In der Stimmung, die dieser Humor zurükließ, setzte sich nun der gute Dichter hin, und begann seine Epistel. Ein Mann wie er hat immer soviel Gewalt über seine übeln Launen, daß er sie, wenigstens gegen einen D r i t t e n , w e g s c h e r z e n kann; aber es bleibt doch auch immer was bittres, scharfes, oder säuerliches zurük; und wenn er so gutherzig und seines Werths so gewiß ist, wie Horaz, so muß dieser Rest von böser Galle gemeiniglich ü b e r i h n s e l b s t hinaus; — und so kann es denn kommen, daß eben der Mann, der vor zehn Jahren den Gott der Musen in einer schönen Ode gebeten: Frui paratis et valido mihi,
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Latoe, dones, et, precor, integra cum mente, nec turpem senectam degere, n e c C i t h a r a ˆ carentem !
und der, vielleicht wenige Wochen nach dieser Epistel, in einer eben so schönen Ode an die Muse des Gesangs, *) mit Vergnügen anerkannte, daß er schon in der Wiege von Ihr zum Dichter eingeweyht worden, und daß er nichts weniger als unempfindlich gegen die Ehre sey „von den vorübergehenden als der erste Lyrische Dichter der Römer mit Fingern gezeigt zu werden“ — so kann es kommen, daß der nämliche Mann, in einem andern Augenblick, wo er die 30
Sache von einer ganz andern Seite und in einem ganz andern Licht sieht, zu sagen fähig ist, was er hier dem Julius Florus sagt, und was mir zu dieser *)
Ode 3. Lib. IV.
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langen Commentation — die der Leser im Besten vermerken wolle! — Anlaß gegeben hat. (3) B a x t e r sieht hier wieder die Satyre am unrechten Orte. Horaz (meynt er) stichle im Vorbeygehen auf die umbratiles Studiosos, auf die Finsterlinge, die, vor lauter Studieren und Gelehrsamkeit, in der menschlichen Gesellschaft zu gar nichts zu gebrauchen sind. Aber wenn dies auch wäre, so ist der Sache noch nicht geholfen; und die Frage bleibt immer: wie kommt das Ingenium sibi quod vacuas desumsit Athenas etc. hierher? Wie hängt diese Stelle mit dem vorgehenden und nachfolgenden zusammen? Auch in S a n a d o n s und B a t t e u x Übersetzung ist der Mangel an Zusammenhang auffal-
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lend, und die Periode steht da, als ob sie durch einen Zufall eingeschoben wäre. Ich hoffe diesem Fehler entgangen zu seyn. Was Horaz sagen will, ist dies: Wer in irgend einem Studio vortreflich werden will, muß demselben i n d e r E i n s a m k e i t , l a n g e , und mit a n h a l t e n d e m Fleiße obliegen — Davon aber ist eine ganz natürliche Folge, daß ein solcher Mensch, wenn er aus seiner literarischen Einsiedeley wieder in die Welt kommt, unmöglich, die Redseligkeit, E u t r a p e l i e , und artigen Manieren eines feinen Römers, der alle Tage in Gesellschaft und an öffentlichen Orten zubringt, haben kann. Allein, dies in Betracht zu ziehen, ist der große Hauffe weder verständig noch billig genug. Man bedenkt nicht, daß der Mann, um es in einer Kunst, welche die Medita-
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tion und den angestrengtesten Fleiß erfodert (und die D i c h t k u n s t ist nun gerade eine von diesen Künsten) zu einer gewissen Vollkommenheit zu bringen, sich nothwendig den Gelegenheiten, wo man die glatte gefällige Aussenseite eines Weltmanns bekommt, entziehen mußte: sondern man lacht überlaut über die gelehrte Statue, die auf der Straße selbst in tieffen Gedanken geht, und i n g u t e r G e s e l l s c h a f t nichts zu sagen weiß. Wenn nun das in dem e i n s a m e n m e n s c h e n l e e r e n * ) A t h e n geschieht; wie würde mirs erst in Rom ergehen, wenn ich, um schöne Gedichte zu machen, mich in den nämlichen Fall setzen wollte? — Horaz führt dies als eine von den vielen Ursachen an, um derentwillen ihm die Lust zur Poeterey vergangen sey. Die Satyre, die in dieser Stelle liegt, geht also nicht auf die studiosos umbratiles, sondern auf — das liebe Publicum. *)
S o stund es damals mit dieser Stadt, die in den Zeiten ihrer Herrlichkeit beynahe so groß
und volkreich als Rom gewesen war.
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(4) C a j u s G r a c h u s , der Eine von den zween berühmten Brüdern dieses Namens wurde für den beredtesten Mann seiner Zeit gehalten. Seine Beredsamkeit war von der starken, hinreissenden Art, worinn er, wie G e l l i u s sagt, von Manchen dem Cicero selbst vorgezogen wurde. Den P . M u c i u s nennt der Leztere (im 47ten Cap. des I. B. de Oratore) unter den drey größten Rechtsgelehrten der Röm. Republik. Ob die zween Brüder, die einander so schöne Complimente machten, würkliche leibliche Brüder waren, oder nur sworn Brothers, wie Baxter meynt, kann uns sehr gleichgültig seyn; ich sehe aber nicht, warum man von dem buchstäblichen Sinn des Worts Bruder abgehen 10
soll; zumal da der Spaß dadurch nur desto besser wird. (5) Meine Übersetzung dieser Stelle, Carmina compono, hic elegos — mirabile visu coelatumque novem Musis opus,
hält sich an den Sinn, den die Worte ungezwungen darbieten; und Horaz kann, dem ganzen Zusammenhang nach nichts anders damit habe sagen wollen. Er führt unter andern als eine Ursache, die jeden vernünftigen Mann von der Dichtkunst abschrecken müße, an: daß man, sobald man selbst zur Profession gehöre, genöthigt sey, die eigennützigen Lobsprüche, die man von andern Professionsverwandten empfangen, entweder zu erwiedern, oder sich mit 20
Leuten, die niemand gern zu Feinden hat, abzuwerfen. Weil sich nun immer einer möglichst vor dem andern in Acht nehme, so sey daher eine Art von stillschweigendem Vertrag unter den Poeten festgesezt, einander wechselsweise Complimente zu machen. Ich z. E. (sagt er) habe eine Ode gemacht, der andre eine Elegie — So wie wir einander zu sehen kriegen, eilen wir, als ob es eine Wette gälte, wer dem andern den größten Lobspruch vor dem Munde wegnehmen könnte — „Was für ein herrliches Werk Sie wieder gemacht haben! Alle neun Musen hätten nichts vollkomners, nichts feiner ausgearbeitetes und glatter poliertes zuwege bringen können!“ — Ich sehe nicht das geringste das mit Grund gegen diese Auslegung einzuwenden wäre. Gleichwohl verschwen-
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det B e n t l e y , nach seiner Gewohnheit, S o p h i s m e n und G e l e h r s a m k e i t , um zu beweisen, daß man die ganze Stelle anders punctieren, und sacratum für coelatum lesen müsse; und daß die Rede entweder vom Tempel des Palatinischen Apollo, oder, wie ihm noch lieber wäre, von einem Tempel
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des Herkules sey, wo die Bildsäulen der Neun Musen gestanden, die aus Ambracia dahin gebracht worden, wie E u m e n i u s berichte; und was dergleichen übelangebrachter Belesenheit mehr ist. Alles was der gelehrte Mann, wenn wir ihm auch gewonnen gäben, dadurch gewonnen h ä t t e , wäre — den Horaz, statt einer ganz simpeln ungezwungnen Pläsanterie über die Eitelkeit der Poeten, höchstplattes, schülerhaftes Zeug sagen zu lassen. Oder wozu sollte das mirabile visu caelatumque novem Musis opus, nach seiner angeblichen Verbesserung und Auslegung, sonst dienen, als — zwey Verse voll machen zu helfen? — Von D a c i e r s und M a s s o n s Auslegungen dieser Stelle ist am rühmlichsten für sie, gar nichts zu sagen.
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(6) Das Original sagt: Caedimur et totidem plagis consumimus hostem, lento Samnites ad lumina prima duello.
Die S a m n i t e r , wovon h i e r die Rede ist, waren eine Art von Gladiatoren, die bey großen Gastmälern, zu Anfang der Mahlzeit (ad lumina prima) in einer sehr zierlichen Waffenrüstung, im Costum der alten Samniter, im Speisesaal erschienen, um die Gäste durch ihre Geschiklichkeit zu belustigen. Sie zeigten bey diesen L u s t g e f e c h t e n alles was sie bey einem öffentlichen GladiatorSpiel (munus Gladiatorium) im Ernste zu leisten pflegten; und es gieng so hitzig dabey zu, als ob es um Leib und Leben gälte: aber sie fochten nur mit
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unschädlichen Waffen, und es floß kein Blut dabey; wiewohl Einige aus einer Stelle des Athenäus *) geschlossen haben, als ob es etwas g e w ö h n l i c h e s bey den Römern gewesen sey, ihre Gastmale mit blutigen und mörderischen Schauspielen zu beflecken. **) Allein die Parallele, welche Horaz zwischen diesen Fechtern und den Poeten zieht, die, in einer Art von enkomiastischem Wettkampf, einander Lob um Lob, wie jene Stoß um Stoß, zurükgaben, — würde allein schon hinreichend seyn, das Gegentheil dieses an sich selbst ganz unglaublichen und von keinem Autor bekräftigten Vorgebens zu beweisen. Diese Vergleichung hat noch eine andre, verborgnere Schönheit, nämlich eine *) **)
S. A t h e n . Deipnos. L. VII. p. 153. Daß es z u w e i l e n geschehen sey, ist allerdings zu glauben; und dies mag den Athenäus
verleitet haben, für römische S i t t e zu halten, was nur zufällige Brutalität übermüthiger Großen in den wildesten Ausschweiffungen der Trunkenheit gewesen seyn mag.
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scherzhafte Vergleichung per Antiphrasin, wie es die Grammatiker nennen. Die S a m n i t e r schienen, indem sie so hitzig auf einander loßgiengen, und keinen empfangnen Streich schuldig blieben, die ärgsten Feinde zu seyn, und verstunden sich doch sehr gut zusammen. Bey den Poeten war’s just umgekehrt: bey ihnen war das gute Einverständnis von aussen, der Haß oder die Verachtung hingegen innerlich; sie erschöpften sich in Wechsel-Complimenten, und hätten einander lieber das Weisse in den Augen aufessen mögen. (7) Ich habe mir bey Übersetzung dieser Periode, die im Original nur drey Verse macht, etwas mehr Freyheit, als gewöhnlich, im Ausdruck erlaubt: ohne, 10
wie ich glaube, den Horaz etwas a n d e r s sagen zu lassen, als was er in s e i n e r Sprache sagt und sagen w o l l t e . Vielleicht könnte mich die Absicht, desto verständlicher zu seyn, schon genug deßwegen rechtfertigen: aber ich gestehe, daß ich den Ausdruck, s i e s c h r e i b e n con Amore, (wenn man etwa finden sollte, daß er den Sinn des gaudent scribentes nicht übel auslege) einer Menge wakrer Leute mala qui componunt carmina, schuldig bin, denen ich meinen Dank bey dieser Gelegenheit nicht vorenthalten kann. Duo cum faciunt idem non est idem, ist ein bekanntes sehr wahres Sprüchwort. Große K ü n s t l e r — zeichnen, mahlen, bilden, dichten, componieren u. s. w. z u w e i l e n con amore, und gewöhnlich gelingts ihnen dann am besten. Indessen ists, denke ich,
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noch nicht viel über zehn Jahre, daß dieser Ausdruck von einem unsrer Schriftsteller als eine fremde Waare in Teutschland importiert, und, nicht zur guten Stunde! wiewohl vermuthlich in der unschuldigsten Meynung von der Welt, gebraucht worden ist. Denn von Stund an bemächtigten sich die Herren mala qui componunt carmina dieser Art zu reden; und seitdem ist keiner unter ihnen, der nicht con amore eine Art Verse machte, welche Horaz so unhöflich ist — e l e n d e Ve r s e zu nennen. Einer meiner Freunde, den seit mehrern Jahren das Schiksal getroffen hat, wider Dank und Willen zum Poete consultant aufgeworfen zu werden, versicherte mich neulich: daß unter zehn poetischen Handschriften, womit er monatlich beehrt werde, die erbärmlichste
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immer diejenige sey, welche der Verfasser m i t d e r w ä r m s t e n L i e b e geschrieben zu haben, und wobey er u n a u s s p r e c h l i c h g l ü k l i c h g e w e s e n z u s e y n , versichre. Ich könnte erstaunliche Beyspiele davon anführen, wenn ich meinem Freunde nicht Discretion versprochen hätte. Es geht würklich so weit, daß mehr als Einer von diesen Beatis, wie sie Horaz (mit größtem Rechte, wie man sieht) genennt hat, nicht einmal den geringsten Schul-Begriff von
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Ve r s i f i c a t i o n und gar keine Ahnung davon hat, daß, ein Poetisches Werk zu machen, vielleicht eine K u n s t seyn könnte. Nun mag es mit der Aufrichtigkeit dieser Herren, über den Punct dessen was Horaz in seinem Briefe an August e r r o r e m et l e v e m i n s a n i a m — sie aber L i e b e nennen, seine völlige Richtigkeit haben: aber sie sollten (unmaßgeblich) doch bedenken, daß es mit L u s t u n d L i e b z u m D i n g noch nicht ausgerichtet ist; und daß — — Doch nein! Ich besinne mich — Sie sollen nichts bedenken! Die Zumuthung ist eben so unbillig als unmöglich. Sie sollen s c h r e i b e n , und — g l ü k l i c h s e y n . (8) Wer diese ganze Stelle, wo Horaz das Verfahren desjenigen der ein legitimum opus zu machen gedenke — vornämlich in Rüksicht auf Sprache, Styl,
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Ton, Ausdruk, Kolorit, Versification, und auf C o r r e c t h e i t i n a l l e m d i e s e m , abschildert, mit unsers Dichters e i g n e n We r k e n vergleicht, wird finden, daß er (wenn es auch nicht geradezu seine Absicht gewesen seyn sollte) s e i n e i g n e s B i l d darinn gemacht habe. Vorzüglich scheint der so schöne und wahre Zug, womit er das ganze Gemählde vollendet, Ludentis speciem dabit et torquebitur
einer von denen zu seyn, wobey ihm nur seine eigne Erfahrung die Hand geführt haben konnte. Denn, Wehe der Leichtigkeit, die keine Pein gekostet hat! — Ich bin nichts weniger als der Meynung, daß er hier vorzüglich an die D r a m a t i k e r gedacht habe, wie B a x t e r will. Er dachte an V i r g i l und —
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sich selbst. Das Tertium Comparationis liegt, denke ich, bloß in der L e i c h t i g k e i t , womit ein Pantomime wie P y l a d e s bald einen Satyr bald einen Cyklopen — zween einander sehr entgegengesezte Charakter — durch seine Bewegungen darzustellen weiß. Der plumpe, bäurische, ungelenksame Cyklope scheint ihn eben so leicht anzukommen, als der naivschalkhafte, muthwillige, leichtfüßige Satyr, wiewohl ihm jener ungleich mühsamer wird. (9) Gesner meynt „Horaz sage das alles, von dem Verse Praetulerim scriptor delirus inersque videri
bis zum 141ten Verse, Nimirum sapere est abjectis utile nugis,
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im Namen eines andern — als spräche er: „Nun, wenn es diese Bewandtnis hat, wenn es solche Mühe kostet, ein guter Autor zu seyn, so will ich noch immer lieber für einen abgeschmakten Pfuscher passiren und mir selbst gefallen! Was thuts, daß meine Einbildung falsch ist, wenn sie mich nur glüklich macht, wie jenen wackern Mann von Argos sein Wahnwiz — Tragödien zu hören, wo keine waren:“ — Und hierauf antworte dann Horaz vom 141ten Verse an: „Am Ende ist eben doch das Beste, das Spielzeug gar wegzuwerfen, und dafür was kluges zu treiben“ u. s. w. Ich verstehe den Text anders. Horaz, dünkt mich, spricht in dieser Epistel immer in seinem eignen Namen, nur nicht immer im 10
nämlichen Ton. Zwischen dem 125sten und 126sten Vers ist eine kleine Lücke. Man sollte denken, es müßten ein oder zween Verse fehlen; wenn man nicht an unserm Autor gewohnt wäre, daß er meistens lieber über einen Graben wegsezt, als einen Steg sucht, wiewohl er nur drey oder vier Schritte auf die Seite zu machen hätte. Der Hauptpunct ist immer, daß wir d i e L a u n e , worinn der Brief geschrieben ist, nie vergessen dürfen. Der Freund, an den er schrieb, war selbst ein Poet, und vielleicht einer von denen, die sich so wenig als möglich wehe dabey geschehen ließen: der also von Horazen dasselbe vermuthete, und ihm nichts ungebührliches anzusinnen glaubte, wenn er ihn wegen des längstversprochenen Gedichts, als einer Schuld die er leicht bezahlen könne,
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anfoderte. Die üble Laune, in welche dies unsern Dichter sezte, führt gewöhnlich eine Disposition, paradoxe und auffallende Dinge zu sagen und zu behaupten, mit sich; man sieht die Sachen gelb, und versichert also, mit aller Aufrichtigkeit der Selbstüberzeugung, daß sie gelb seyen. Die Recension der mancherley Ursachen, warum er (zu Rom wenigstens) lieber alles in der Welt thun als Verse machen möchte, brachte ihn natürlicher Weise auf das Ungemach, das ganze zahllose Heer der Poeten und Schöngeister zu Collegen zu haben, und genöthigt zu seyn, diesen sich selbst so wohl gefallenden Herren seine Ohren zu leyhen und noch Complimente dazu zu machen, u. s. w. Das Glück dieser wackern Leute, die so herzliche Freude an den mißgeschafnen
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Geburten ihres Witzes haben (quos sua delectant mala) däuchte ihm, auf einen Augenblik, beneidenswerth — indem er sich die Mühe vorstellte, die er, und die wenigen seinesgleichen, sichs kosten ließen, etwas das die Probe hielte (legitimum carmen) zu machen. Dies brachte ihn auf das Gemählde — w i e e i n g u t e r D i c h t e r b e y s e i n e n A r b e i t e n z u We r k e g e h e , wovon wir in der 8ten Erläuterung gesprochen haben. J u l i u s F l o r u s war (wie gesagt)
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aller Wahrscheinlichkeit nach, einer von den Beatis, deren Gedichte, ohne just zu den schlechten zu gehören, doch die wenige Mühe, die sie kosteten, zu stark verriethen. Horaz wollte nicht, daß sein Freund sich durch jenes Gemählde beleidigt finden sollte — oder er besorgte vielleicht, Florus möchte merken, daß er durch den Dichter qui legitimum cupiet fecisse poe¨ma s i c h s e l b s t gemeynt habe, — und im einen oder andern Falle konnte er sich nicht leichter aus der Sache ziehen, als wenn er sich selbst mit allen übrigen Versemachern vermengte, und in seinem eignen Namen sagte, was freylich nie seine Meynung gewesen war — „Ey, wer wollte sich solche Mühe geben? Sich das Leben so sauer machen, um eine Vollkommenheit zu erreichen, für die ihm Niemand
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keinen Dank weiß? Mögen doch die Kenner von uns halten was sie wollen! Wenn wir uns nur selbst gefallen, nur glüklich in unserm Irrthum sind!“ — Diese Art von I r o n i e , die man an unserm Autor schon so gewohnt seyn muß, ist immer die bequemste Wendung in solchen Fällen. Man kann Andern auf eine unanstößige Art die auffallendsten Dinge sagen, sobald man sie s i c h s e l b s t zu sagen scheint. — So verstehe ich diese ganze Stelle; und weil ich das folgende — Nimirum sapere etc. als eine Wendung ansehe, wodurch sich Horaz stellt, als ob er sich eines Bessern besönne, und, ungeachtet der Süßigkeiten eines wahnsinnigen Selbstbetrugs, am Ende doch für das Beste halte, b e y g e s u n d e m Ve r s t a n d e z u s e y n : so habe ich — anstatt daß Er, nach seiner
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Gewohnheit, bloß an dem Worte Nimirum, wie an einen Zaunpfahl, über den Graben springt — lieber ein Bret drüber legen wollen, und s o übersezt: Wenn nun, wie ich besorge, dies der Fall bey allen Versemännern ist, u. s. w.
(10) A r i s t o t e l e s , oder vielmehr der Verfasser der Compilation v o n w u n d e r b a r e n S a g e n (Uaymasivn Akoysmatvn) die dem Aristoteles zugeschrieben wird, erzählt die nämliche Geschichte von einem Mann aus A b y d o s — und A e l i a n u s eine ähnliche von einem gewissen Thrasyllus, der ebenfalls in allen andern Dingen soviel Verstand hatte als man fürs Haus braucht, dabey aber in dem Wahn stund, alle Schiffe die im Hafen von Piräus zu Athen anlangten, kämen auf seine Rechnung; und sich deswegen für den reichsten und glüklichsten Mann in der Welt schäzte, bis ihm sein Bruder den ungebetnen Dienst that, ihn durch Niesewurz wieder — zu einem armen Teu-
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fel zu machen. To r r e n t i u s , der sehr aufmerksam darauf ist, jedem das Seine zu geben, bemerkt daß n i c h t L a m b i n u s , sondern P i e t r o V i t t o r i o (weiland ein gelehrter Prof. zu Florenz im XVIten Jahrhundert) in seinen Variis Lectionibus, der erste gewesen sey, der d e n N a r r e n v o n A b y d o s im Aristoteles, und F r a n z R o b o r t e l l der erste, der d e n N a r r e n T h r a s y l l u s im Aelian aufgegraben und ans Tageslicht hervorgezogen habe. Die Gelehrten des vorigen Jahrhunderts legten einen höhern Werth auf das Verdienst, dieses oder jenes in einem alten Autor zuerst citiert zu haben, als es würklich zu haben scheint. Im Vorbeygehen bemerke ich nur noch, daß L a m b i n u s 10
bey dieser Gelegenheit einen doppelten Gedächtnisfehler begangen hat. Er nennt den Ehrenmann, der Thrasyllus hieß, T h r a s y l a u s ; und citiert das z w ö l f t e Buch von A e l i a n s v e r m i s c h t e n H i s t o r i e n , da er doch das v i e r t e Buch, und dessen 25stes Capitel hätte citieren sollen. To r r e n t i u s , in gutem Vertrauen auf L a m b i n s Richtigkeit, schrieb ihm beyde Fehler getreulich nach. Ich erinnere dies hier bloß zur Warnung junger Gelehrter; weil mich die Erfahrung gelehrt hat, daß man sehr oft Gefahr läuft, falsch zu citieren, wenn man die Citationen der Gelehrten des 16ten und 17ten Jahrhunderts abschreibt, ohne sie selbst verificiert zu haben. Da ich mir diese Mühe allezeit zu geben pflege, so bin ich sehr oft in dem Falle gewesen — nicht ohne Unge-
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duld über den Zeitverlust, den mir mancher Vir Doctissimus dadurch verursacht hat — diese unangenehme Erfahrung zu machen. (11) — „ U n d s a g e “ — und zwar in s e h r s c h ö n e n Ve r s e n , ungeachtet ich im nämlichen Athemzug alles Versemachen als ein Kinderspiel, das sich gar nicht für einen weisen Mann schikte, weit von mir weggeworfen habe: Nimirum — Ipse ego, qui nullos me affirmo scribere versus, invenior Parthis mendacior —
(12) Dieser Gedanke gehört wie er hier ausgedrukt ist, von Wort zu Wort dem A r i s t i p p u s zu, und wird als dessen Eigenthum vom Plutarch in seinem 30
Tractat ü b e r d i e L i e b e z u m R e i c h t h u m angeführt, woraus er ebenfalls von besagtem P e t e r V i t t o r i o zuerst citiert worden, wie Torrentius bemerkt. Mir ist dies bloß darum merkwürdig, weil es mit zum Beweise dienen kann, daß Horaz mit Aristipps Philosophie und weisen Sprüchen sehr genau
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bekannt war, und, da er sie seiner eignen Art zu denken homogen fand, bey Gelegenheit, ohne Bedenken und Citation, Gebrauch davon machte. (13) Nach einem Glauben der Römer, der ihnen fast mit allen Völkern des Erdbodens gemein war, hatte jeder Mensch seinen eignen G e n i u s , das ist, einen Natur-Geist, der ihn ins Leben einführte, ihm in dem Lauf desselben immer zur Seite war, und ihn wieder aus demselben hinausgeleitete. Die Genii der Weiber hießen J u n o n e n — die Knechte schwuren beym G e n i u s ihrer Herren, die Mägde bey der J u n o ihrer Frauen, und das ganze Römische Reich beym G e n i u s A u g u s t s und seiner Nachfolger. Wie die Religion der Griechen und Römer überhaupt an keinen festen Lehrbegriff gebunden, son-
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dern in ihrem Glauben alles unbestimmt, schwankend und willkührlich war: so war auch über d i e s e n Artikel nichts festgesezt; und wer Lust hatte, glaubte entweder zween Genien, einen We i s s e n und G u t e n , dem er alles Glükliche, und einen B ö s e n S c h w a r z e n , dem er alles Widerwärtige, was ihm begegnete, zuschrieb; oder nur Einen, der (wie Horaz hier sagt) weiß und schwarz zugleich, und, je nachdem sich der Mensch aufführe, ihm hold oder unhold sey. Daher die Redensarten, e i n e n e r z ü r n t e n G e n i u s h a b e n , s e i n e n G e n i u s b e s ä n f t i g e n , s e i n e m G e n i u s g ü t l i c h t h u n , und dergleichen. Je nachdem der Genius eines Menschen stärker, mächtiger, verständiger, wachsamer, kurz, je vollkommner er seiner eignen Natur nach, und je
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gewogner er dem Menschen war, der unter seinem Schuz und Einfluß lebte: je besser stund es um diesen Menschen, und je größer waren seine Vorzüge vor Andern. So warnte z. B. ein Egyptischer Geisterseher den A n t o n i u s vor seinem Collegen und Schwager O c t a v i u s . Dein Genius, sagte er, fürchtet den seinigen. Zwar ist er von Natur groß und hohen Muthes: aber so wie er sich dem Genius dieses jungen Menschen nähert, schrumpft er zusammen, und wird klein und feig. Der Glaube der Alten an die G e n i e n (denn nicht nur jeder Mensch, sondern jedes andre natürliche Wesen hatte seinen Genius) war ohne Zweifel eine Folge ihrer Vorstellungsart von dem allgemeinen, sich durch die ganze Körperwelt ergießenden Göttlichen Geist. Das was jedem Dinge Bestandkraft, innere Regung, Vegetation, Leben, Gefühl und Seele gab, war ein Theil dieses gemeinschaftlichen Naturgeistes: Daher nennt Horaz den Genius d e n G o t t d e r M e n s c h l i c h e n N a t u r . Er ist nicht der Mensch selbst, aber er ist das, was einen Jeden zum i n d i v i d u e l l e n Menschen m a c h t . Seine Persönlich-
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keit ist an das Leben dieses Menschen geheftet; und so wie dieser stirbt, verliert sich sein Genius wieder in dem allgemeinen Ocean der Geister, aus welchem er, bey dessen Geburt, ausgeflossen war, um der Portion von Materie, woraus dieser Mensch werden sollte, seine individuelle Form zu geben, und dieses neue Gebilde zu beleben und zu beseelen. Daher nennt ihn Horaz, mortalem in unumquodque caput. Da die Griechen alle unsichtbare Dinge, und alle abgezogene Begriffe mit schönen Menschenähnlichen Gestalten zu bekleiden gewohnt waren: so erhielt auch der Genius der Menschlichen Natur die seinige. Er wurde, als ein 10
Knabe, oder in dem Alter zwischen Knabe und Jüngling, mit einem gestirnten Gewand leicht bekleidet, und mit Blumen oder einem Zweig von Maßholder umkränzt, oder auch nakend und geflügelt gebildet, wie d e r G e n i u s i n d e r V i l l a B o r g h e s e , von dessen Schönheit W i n k e l m a n n in eine Höhe entzükt wird, wohin wir ihm kaum folgen können. *) (14) Horaz hatte sich, bald nach seiner Aussöhnung mit der Cäsarischen Parthey um auf einem anständigen Fuß in Rom leben zu können, eine Stelle, oder vielmehr einen Titel gekauft, der ihm den Rang des Ritterstandes gab. **) Unter August war von den alten Patrizischen und Senatorischen Familien wenig mehr übrig; hingegen wimmelte es in Rom von Parvenus, die
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nicht einmal gebohrne Römer, ja die zum Theil gebohrne Sclaven gewesen waren, aber in den heillosen Zeiten des Triumvirats Mittel gefunden hatten, ungeheures Vermögen zu erwerben; und der Senat selbst war solcher Leute voll. Natürlicher Weise verlohr sich daher die alte Distinction in drey HauptClassen, unvermerkt, und die Eintheilung in Equites und Plebs, R i t t e r und Vo l k , wurde die gewöhnlichste: d. i. Wer nicht zum gemeinen Volk gehörte, gehörte zum Ritterstand. Daher konnte Horaz, wiewohl sein Vater nur ein L i b e r t i n u s und also sein Großvater ein f r e y g e l a ß n e r S c l a v e gewesen war, ohne Unbescheidenheit von sich sagen: daß er Loco, an Stand und Rang, der lezte von den Ersten sey.
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(15) Auch hier stellt unser Autor, seiner Gewohnheit nach, mit Weglassung der Vergleichungswörter, das Bild an den Plaz der Sache. Der Verstand dieser Verse für sich selbst, hat keine Schwierigkeit: aber wie sie mit den vorgehen*) **)
G e s c h . d e r K . S. 278. nach der W. A. S u e t o n . in Vita Horatii.
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den zusammenhangen, und wie der Vers vivere si recte nescis, decede peritis, eigentlich zu verstehen sey, ist nicht so deutlich; und die Ausleger, anstatt uns zu rechte zu weisen, führen uns irre. B a x t e r paraphrasiert ihn: Si nequis ulterius ad animum tuum vivere per aetatem, via cede junioribus, et contentus vità excede — und die S a n a d o n s und B a t t e u x übersetzen herzhaft: Si tu ne sais point u s e r d e l a v i e u. s. w. Ich wünschte, daß mir nicht nur im Horaz, sondern in irgend einem Lateinischen Autor ein Beyspiel gezeigt würde, wo recte vivere, „ n a c h s e i n e m S i n n , oder n a c h s e i n e n L ü s t e n “ leben, oder auch nur „ b l o ß f ü r s e i n Ve r g n ü g e n l e b e n “ hieße. Ich, meines Orts, kenne keine andre Bedeutung dieser Redensart als: v e r n ü n f t i g
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l e b e n , oder n a c h d e r N a t u r (im Sinne der S t o i s c h e n P h i l o s o p h i e ) , oder (was zulezt auf Eins hinaus lauft) d e n Vo r s c h r i f t e n d e r We i s e n g e m ä ß , l e b e n . Ich habe aber nirgends einige Spur davon gefunden, daß uns die Vernunft oder die Natur, oder irgend einer von den Weisen den Rath gäbe: wenn wir Alters halber nicht mehr mit der Jugend mitmachen könnten, so sollten wir uns die Kehlen abschneiden. — Ich glaube mich aus dieser Schwierigkeit gezogen zu haben, indem ich das vivere si recte nescis für eine Formel halte, worinn er alles, was er vom 145sten Verse, per dialogismum (wie es die R h e t o r e n nennen) seine S e e l e mit sich selbst sprechen ließ, z u s a m m e n f a ß t — und den ganzen Vers so verstehe: „wenn du das alles nicht kannst, d. i.
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wenn du dich noch so schlecht auf die Kunst des Lebens (Artem vivendi, das große Object der A r i s t i p p i s c h e n P h i l o s o p h i e ) verstehst: s o z i e h e d i c h z u r ü c k (retire-toi) und weiche denen, die es weiter darinn gebracht haben.“ Implicite sagt dies auch noch: und l e r n e v o n i h n e n ! Denn da er d i e K u n s t d e s L e b e n s , verae numeros modosque vitae, einmal für die edelste und nöthigste aller Liberalen Künste erklärt hatte: so folgt, daß wer sie nicht versteht, nichts angelegners hat, als sie von den Peritis zu l e r n e n , anstatt sich mit der Mine als ob er sie schon verstünde, unter die Meister der Kunst mischen zu wollen. Und nun (weil er doch seiner Epistel ein Ende machen wollte) hängt er dies durch einen so feinen Faden, daß er nur dem Verstande des Lesers sichtbar ist, mit dem Nimirum sapere est abjectis utile nugis, et tempestivum pueris concedere ludum
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zusammen, und findet sich also am Schluß seiner Betrachtung wieder auf dem nämlichen Punct, wo er sie anfieng: „Gespielt, gescherzt, u. s. w. hast du nun einmal genug; es ist Zeit alle diese Kurzweile (wohin er auch, um sich die B e s c h w e r l i c h e n vom Halse zu schaffen, seine Verse rechnet) aufzugeben und jüngern zu überlassen“ — Das Gleichnis, wodurch er dies ausbildet, bedarf keiner Auslegung; die Anwendung macht sich selbst; und das B r ü s k e in der Art zu schließen, scheint mir der Laune, worinn der ganze Brief geschrieben ist, sehr gemäß zu seyn, und ist unserm Dichter, der von M e t h o d e kein Freund war, überhaupt so gewöhnlich, daß es uns auch hier nicht befremden 10
darf.
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Dritter Brief. An L. Calpurnius Piso und seine Söhne. Einleitung. Ich weiß nicht, ob die ganze Geschichte der Litteratur ein Beyspiel von einem so seltsamen Schiksal aufweisen kann, als diese Horazische Epistel betroffen hat. Hätte sie — anstatt der gewöhnlichen Überschrift: de Arte Poe¨tica Liber — von jeher diejenige geführt, die wir ihr hier gegeben haben, und die ihr nach der einstimmigen Meynung der besten Commentatoren zukommt: so würde die einzige Ursache weggefallen seyn, warum sie von den meisten in einem ganz falschen Licht gesehen worden. Die Ausleger, von J a s o n d e N o r e s und
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J a c o b G r i f i o l i an bis auf die Neuesten, würden in einem Briefe, — der n a c h H o r a z e n s A b s i c h t so wenig ein Lehrbuch der Dichtkunst seyn sollte, als seine erste Epistel an M ä c e n eine E t h i k oder die an A u g u s t eine G e s c h i c h t e d e r R ö m i s c h e n L i t e r a t u r ist, — weder eine v o l l s t ä n d i g e P o e t i k , wie die ältern Ausleger, noch, wie B a t t e u x , eine T h e o r i e der d r a m a t i s c h e n K u n s t gesucht, noch wie H u r d eine B e u r t h e i l u n g d e s R ö m i s c h e n D r a m a’ s zum H a u p t z w e k desselben gemacht haben. Eine Menge selbstgedrehter Knoten, und eben so viele sinnreiche aber den Horaz nichts angehende Auflösungen derselben würden weggefallen seyn; kurz, ohne die vorgefaßte Meynung, die dieser unglükliche Titel den Gelehrten in
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die Köpfe sezte, würde man sich weder die Mühe gegeben haben, soviel in diesen poetischen Discurs hineinzulegen, woran Horaz nicht gedacht hat: noch, vermuthlich, den einzigen wahren Gesichtspunct, woraus er betrachtet werden muß, so lange verfehlt haben. Herr E s c h e n b u r g , hat mich durch die erste seiner gelehrten Anmerkungen zu R. Hurds Commentar über diese Epistel überhoben, ein mehreres über diesen Punct zu sagen. Indessen, wiewohl dieser Gelehrte (dessen vielfältigen Verdiensten um die Beförderung der wahren Litteratur unter uns, ich hier mit Vergnügen Gerechtigkeit wiederfahren lasse) den Irrthum der sämtlichen Ausleger der Epistel an die Pisonen sehr richtig eingesehen, und dem wahren Standpunct, woraus sie beurtheilt
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werden muß, näher als die übrigen gekommen zu seyn scheint: kann ich doch nicht umhin, gegen seine Behauptung „niemand werde läugnen, daß der größte Theil dieser Epistel d i e S c h a u b ü h n e betreffe“ — durch mein Exempel zu beweisen. Die Arbeit der Übersetzung sezte mich natürlicher Weise in den Fall ziemlich genau mit ihr bekannt zu werden; und mein Erstaunen über die Verblendung der meisten und Gelehrtesten Ausleger, besonders über H u r d und B a t t e u x , die von Anfang bis zu Ende lauter dramatische Poetik und Kritik darinn sehen, muste um so größer seyn: da ich, soweit ich auch die Augen aufthat, nicht einmal sehen konnte, daß nur die Hälfte davon die 10
Schaubühne — mit einer auf sie v o r z ü g l i c h gerichteten Absicht des Dichters, ja nur die Hälfte der Hälfte die Schaubühne a u s s c h l i e ß l i c h angehe. Je genauer ich alles erwog, je weniger konnte ich begreiffen: warum Horaz, wenn seine Hauptabsicht die S c h a u b ü h n e , und etwa zunächst die Verbesserung der R ö m i s c h e n Schaubühne gewesen wäre, gerade einen s o l c h e n Gang erwählt, sich so oft und bey der kleinsten Veranlassung von seinem Weg entfernt, und (mit aller gracefull negligence, die man einer Poetischen Epistel gerne zugesteht) nicht ein wenig mehr Methode in sein Werk gebracht haben sollte. Hingegen glaubte ich deutlich zu sehen, daß er bey Abfassung dieses Discurses einen ganz andern Zwek, eine i n d i v i d u e l l e , das Römische
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Theater gar nichts angehende, Absicht gehabt habe: daß nur ein kleiner Theil seiner Vorschriften oder Erinnerungen die d r a m a t i s c h e P o e s i e betreffe, und daß er meistens, wo die Commentatoren R e g e l n f ü r d i e S c h a u b ü h n e gesehen haben, nur E x e m p e l von ihr entlehne, um dadurch allgemeine Regeln zu erläutern, die allen Arten der Poesie, besonders aller e r z ä h l e n d e n Poesie, mit der dramatischen gemein sind. Um die Leser nicht länger mit Räthseln aufzuhalten, will ich — mit aller Bereitwilligkeit mich eines andern belehren zu lassen, wenn m e i n e H y p o t h e s e das Problem nicht besser auflösen sollte als die bisherigen — den Gesichtspunkt angeben, aus welchem, meiner Meynung nach, diese Epistel be-
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trachtet werden muß. Die nehmliche Verfahrungsart, die ich, einem Wink des vortreflichen Lords Shaftesbury zufolge, bey allen übrigen Horazischen Briefen beobachtet habe, hat mich auch in dieser, wie ich glaube, auf den wahren Weg gebracht; den vielleicht die gelehrten Commentatoren nur darum verfehlten, weil sie für den guten Horaz gar zu gelehrt waren. Ein Dichter ist vielleicht — wenigstens
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in manchen Fällen, glüklicher einen andern Dichter z u e r r a t h e n , als Kunstrichter, die so voll Theorie, Methode und Metaphysik der Kunst sind, daß alle C o n c r e t a des Dichters, durch eine Operation die ihnen mechanisch geworden ist, sich in ihrem Kopfe in A b s t r a c t a verwandeln, aus jedem individuellen Zug eine allgemeine Regel, und somit zulezt aus einem Avis an einen hochgebohrnen jungen Autor, den man vor einer unglüklichen Liebhaberey warnen wollte, eine Theorie der dramatischen Dichtkunst wird. Wir haben bey allen Horazischen Briefen, deren Erläuterung uns bisher beschäftigt hat, vorausgesezt, daß keiner derselben eigentlich, fürs Publikum, sondern allemal aus einer besondern Veranlassung, für eine gewisse Person,
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auf welche, oder deren Verhältniß mit dem Dichter, der ganze Innhalt des Briefes seine besondere Beziehung gehabt, geschrieben worden sey. Wir haben in jedem entweder offenbare Anzeigen oder wenigstens hinlängliche Spuren und Winke wahrgenommen, um diese Voraussetzung zu begründen; und man wird schwerlich läugnen können, daß wenn auch die besondern Umstände und Absichten die wir als eine Art von Schlüssel zum richtigern Verständnis derselben angegeben haben, der Strenge nach bey einigen für bloße Hypothese gelten könnten: gleichwohl dies allein — wenn alles Dunkle und Räthselhafte dadurch auf eine sehr befriedigende Art beleuchtet und aufgelößt wird — schon genug wäre, solchen Hypothesen soviel Wahrscheinlichkeit zu
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verschaffen, als man in Sachen dieser Art verlangen kann. Ich sehe nicht, warum das Nämliche nicht auch bey dem Briefe an die Pisonen statt finden sollte. Ich bin vielmehr überzeugt, daß der Schlüssel zum wahren Verständniß desselben in der b e s o n d e r n A b s i c h t , warum er gerade a n d i e P i s o n e n geschrieben worden, liege; und daß diese Absicht aus gewissen Particularitäten zu errathen sey, die in dem Briefe hinlänglich angedeutet sind, wiewohl sie von den Commentatoren keiner Aufmerksamkeit gewürdiget worden. Um dies soviel möglich ins Licht zu setzen, werden wir, unsrer Gewohnheit nach, damit anfangen müssen, uns mit den Personen, an welche Horaz diesen Discurs gerichtet hat, etwas bekannter zu machen. Wiewohl der Brief selbst hiervon weiter nichts sagt, als daß er an P i s o n e n , Va t e r und S ö h n e , geschrieben sey, und ausser einem Paar sehr wenig bedeutenden oder gar zweydeutigen Complimenten nichts von Ihnen darinn gesagt ist: so ist doch kein Zweifel, daß der Vater Piso der nämliche L u c i u s C a l p u r n i u s P i s o war, der im Jahre 739. mit M. Livius Drusus das Consulat
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verwaltete, darauf Statthalter von Pamphilien wurde, und i. J. 743. von August, dessen Vertrauen er besaß, den Auftrag erhielt, die Unruhen zu stillen, die ein gewisser Priester des Bacchus, Vo l o g e s e s , der sich einer unmittelbaren Inspiration dieses Gottes rühmte, an der Spitze eines Heers von Fanatikern in Thrazien erregt hatte. *) Als Ve l l e j u s P a t e r c u l u s seine Römische Geschichte schrieb, d. i. über vierzig Jahre nach der Zeit worinn die Horazische Epistel geschrieben seyn kann, bekleidete dieser Piso in einem schon hohen Alter die Würde eines P r ä f e c t , oder O b e r - P o l i c e y - M e i s t e r s d e r S t a d t R o m unter dem T i b e r i u s , bey dem er alles galt. Vellejus, versichert 10
von ihm: jedermann werde gestehen und annehmen müssen, e s s e m o r e s e j u s v i g o r e a c l e n i t a t e m i x t i s s i m o s , et vix quemquam reperiri posse, qui a u t o t i u m v a l i d i u s d i l i g a t , aut f a c i l i u s s u f f i c i a t n e g o c i o , et magis, quae agenda sunt, curet sine ulla ostentatione agend i . * *) — Dieser Autor, in dessen Werke sich der Geist der Zeiten seines vergötterten Tiberius wie in einem Hohlspiegel abbildet, braucht gewöhnlich zu seinen Porträts eine Art von Farbenmischung, die nicht leicht zu Copieren ist; es ist also nur ein Versuch, wenn ich diese Stelle so übersetze: „es herrsche in seinen Sitten eine bewundernswürdige Mischung von Stärke und Lindigkeit, und man werde nicht leicht Jemand finden, der die Muße des Privatlebens
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mehr liebe, und gleichwohl jedem ihm aufgetragnen Geschäfte besser gewachsen sey, und, indem er alles aufs beste besorge, weniger Geräusch dabey mache, und sich weniger die Mine eines Mannes von großen Geschäften gebe.“ Man sieht mitten durch die ziemlich transparenten Farben dieses Lobes ungefehr, was für ein Mann dieser L. Piso seyn konnte, der, mit einem Namen der ihn immer erinnern mußte was seine Ahnen in dem freyen Rom gewesen waren, Geschmeidigkeit genug hatte, sich funfzig Jahre lang in dem Vertrauen eines Augusts und sogar eines Tiberius zu erhalten. Indessen gereicht zu seiner Entschuldigung, daß er die freye Republik nie gesehen hatte; und S e n e c a selbst, der keinem Verstorbnen schmeichelte, giebt ihm das Lob: daß er, un-
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geachtet seiner unrömischen Gewohnheit die Nächte durch zuzechen und dafür den ganzen Morgen zu verschlafen, ein sorgfältiger Polizey-Meister gewesen sey, und die Stadt in sehr guter Ordnung gehalten habe. ***) *)
D i o . l. 54.
**) ***)
L. II. c. 98. E p i s t o l . 83. ¼2. Buch. 3. Brief½ E i n l e i t u n g
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Unter den kleinen Gedichten des A n t i p a t e r v o n T h e s s a l o n i k e , die sich in der A n t h o l o g i e erhalten haben, befinden sich verschiedene an unsern L . P i s o , aus welchen man schließen kann, daß er ein besondrer Patron dieses griechischen Dichters gewesen. In einem derselben, womit Antipater ein Gedicht zu Ehren seiner Siege über die Thrazier, das er ihm zuschikte, begleitet, kommt ein sehr feiner Zug vor. Die Muse, sagt er, kan bey dir nie zur Unzeit kommen; so beschäftigt du auch seyn magst, s o h a t d e i n O h r i m m e r M u ß e f ü r s i e . Wer den Text selbst nachschlagen will *) wird finden, daß dies, wiewohl in weit mehr Worten als der Grieche braucht, der Sinn seines lezten Pentameters ist. Dieser Zug, mit einem andern verbunden, womit Ho-
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raz im 366sten Verse dieser Epistel dem Geschmak des Vaters P i s o ein Compliment zu machen scheint, erklärt uns, wie ein alter Scholiast, in seiner Vorstellungsart und Sprache sagen konnte: nam et ipse Piso P o e¨ t a f u i t , et Studiorum liberalium A n t i s t e s — welches ich in die Sprache der Leute, die es mit dem Sinn ihrer Worte etwas genauer nehmen, so übersetze: Piso hatte, wie damals in Rom jedermann Verse machte, sich, bey Gelegenheit, auch einige ganz artige Sachen in dieser Art entrinnen lassen; und er war überhaupt ein Freund der Litteratur, und ein allgemeiner Gönner und Beschützer der Gelehrten, ungefähr wie es Mäcenas vor ihm gewesen war. Man kann die eigentliche Zeit, wenn Horaz diese Epistel an die Pisonen
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geschrieben hat, nicht bestimmen; indessen ist eher zu vermuthen, daß sie v o r als n a c h dem Consulat **) des L. Piso, und also vor dem Jahre 739. geschrieben worden. Dieser edle Römer war damals noch selbst ein junger Mann, und seine Söhne nicht viel mehr als Knaben; denn das Wort J u v e n e s (patre digni) darf uns nicht irre machen, weil es hier nicht Jünglinge, sondern S ö h n e bedeutet; in welcher Bedeutung juvenis, wie die Sprachgelehrten wissen, bey den besten Römischen Schriftstellern öfters vorkommt. Wenn man bedenkt, daß L. Piso, der Vater, im Jahr 783. da Vellejus seine Geschichte schrieb ***) noch Praefectus Urbi war: so ist nicht zu vermuthen, daß sein ältester Sohn im Jahr 738. die togam virilem schon getragen habe; und er
*)
S. B r u n c k i i Analecta, Vol. II. p. 112. n. XIV.
**)
Bald nach seinem Consulat wurde Piso Gouverneur im Pamphilien, und vom Jahre 743 bis
46, in welchem Horaz starb, beschäftigte ihn der Thrazische Krieg. ***)
D o d w e l l i Annal. Vellej.
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befand sich also just in dem Alter, wo das Studium der schönen Wissenschaften, wie wirs nennen, die Hauptbeschäftigung junger Römer von Stand oder Erziehung war. Dies vorausgesezt stelle ich mir die Veranlassung zu dieser Epistel so vor. Der junge Piso zeigte im Lauf seiner Schulstudien eine besondere Liebe zur Poesie, und einen so starken Hang zum Versemachen, daß der Vater endlich unruhig darüber wurde. Man kann von einem unsäglichen P r u r i t u s für die Musenkunst geplagt werden, ohne mit einem würklichen Talent gebohren zu seyn. Dies ist sehr oft der Fall bey jungen Leuten, und wars vielleicht bey dem 10
kleinen Piso auch. Der junge Herr tractierte die Sache nicht etwa bloß als ein Knabenspiel, oder um die Mode mitzumachen; er machte Ernst daraus. Der Vater, ein Mann aus einem der ersten Häuser in Rom, der unter der neuen Regierung soviel als immer möglich von seinem angeerbten Glanz behalten wollte, und dem es nicht anstund, seinen Sohn d e m R i d i c ü l e einer zu seiner Geburt und Destination so wenig passenden Leidenschaft ausgesezt zu sehen, fand, daß es nöthig sey, ihn mit guter Art davon zurükzuziehen. Die Calpurnische Familie hatte vermuthlich seit ihrem ersten Anherrn Calpus, dem Sohn des Numa, keinen Poeten, weder guten noch schlechten, hervorgebracht: sollte sein Sohn der erste seyn, der seine Reputation auf eine Kunst
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gründen wollte, worinn es so schwer ist den Besten gleich zu kommen, und worinn die Prätension ohne Talent eben so gemein als verächtlich ist? Nichts von dem schlimmen Eindruck zu sagen, den das erste schlechte Theaterstük, womit ein junger Calpurnius seinen Eintritt in die Welt gemacht hätte, im Publiko zurüklassen konnte: wie nachtheilig konnte eine so frivole und lächerliche Passion seinem Glücke beym Augustus seyn, der aus dem jungen Römischen Adel keine Dichter, sondern aufwartsame Höflinge und brauchbare Diener des Staats gezogen wissen wollte? Piso liebte zwar die Litteratur; und, wenn er sie auch nicht aus Neigung geliebt hätte, so hätte er sich hierinn dem allgemeinen Ton seiner Zeit conformieren müssen; aber er wollte darum
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eben so wenig daß sein Sohn Profession davon machen sollte, als daß er ein Luftspringer würde, weil es ein Stück der Erziehung war, voltigieren zu können; — und gerade weil er sich selbst, Spielsweise, zuweilen mit Versemachen abgegeben hatte, war ihm so mehr daran gelegen, die Reputation der Poeterey in seinem Hause nicht erblich werden zu lassen. Ich glaube, daß man diese Vorstellungsart bey einem Manne in L. Pisons
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Umständen ganz natürlich annehmen kann; und wenn auch die Gefahr, die sein Sohn bey der Begierde Poetische Kränze zu erringen, lief, nicht so wichtig in seinen Augen gewesen wäre: so war sie es doch immer genug, um seinen Freund Horaz zu vermögen, dem jungen Menschen richtigere Begriffe von der Dichtkunst und ihren Schwierigkeiten und Gefahren beyzubringen. Piso stund (wie leicht zu erachten) mit unserm Dichter auf einem zu guten Fuß, als daß ihm dieser eine Gefälligkeit, die ihm so wenig kostete, hätte abschlagen können. Ein Aufsaz, worinn die vornehmsten Regeln und gleichsam die Mysterien der Poetischen Kunst entfaltet wären, schien das schiklichste Mittel, die erzielte Absicht auf eine indirecte Art desto gewisser zu erhalten. Viel-
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leicht hatte der junge Calpurnius Horazen selbst um eine solche Anweisung ersucht; und so konnte dieser, unter dem Schein als ob er ihn zum Dichter bilden wolle, den ganzen Discurs darauf anlegen, ihn (ohne Mine zu machen, als ob dies seine wahre Absicht sey) davon abzuschrecken. Die Horazische Manier in seinen Sermonen und Episteln zu philosophiren taugte hierzu ganz besonders. Die Freyheit, ohne Methode sich bloß von seinen Gedanken führen zu lassen, die dieser Art von Composition eigen ist, erlaubte ihm alle die kleine Episoden und Digressionen, auf die ihn seine eigne Laune bringen mochte; seine Hauptabsicht fiel desto weniger in die Augen, und er konnte seinen Discurs auch für andre Leser als für die, an die er unmittelbar gerichtet war,
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interessant machen. Hauptsächlich aber gewann er dadurch eine neue, ihm (wie es scheint) immer willkommne Gelegenheit, den Dichterlingen, von denen es um ihn her wimmelte, ihre Wahrheiten zu sagen, und sie, mit aller kaltblütigen lachenden Verachtung, deren sie so würdig waren, fühlen zu lassen, daß sie von der Kunst, die sie sich zu treiben unterstunden, nicht einmal die ersten Elemente begriffen hätten. Nimmt man diese Hypothese, über die Entstehung und die Absicht der Epistel an die Pisonen, an; so wird däucht mich, alles darinn hell, verständig und zwekmäsig; und diese sogenannte Horazische Ars Poe¨tica, die sobald man will, daß sie ein Compendium der Dichtkunst seyn soll, ein übelzusammenhängendes, flüchtiges, mit Nebensachen und Radotage angefülltes Sudelwerk wird; — sobald man sie für das nimmt was sie, dieser Absicht nach, seyn sollte, nemlich für eine Poetische Epistel, worinn er den jungen Piso, vermöge einer mit seinem Vater genommenen Abrede, unter dem Vorwand ihm die Geheimnisse der Poetischen Kunst aufzuschließen, von seiner Liebe
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zur Ausübung dieser Kunst abziehen will — wird ein Horazens würdiges Werk, und verdient unter seinen Sermonen die erste Stelle. Nimmt man diese Absicht an, so begreift sich, warum er in seinen Regeln nicht v o l l s t ä n d i g e r ist? — Er wollte keine P o e t i k schreiben. Warum er nicht mehr M e t h o d e in seinen Plan gebracht? — Er schrieb einen B r i e f , und hatte keinen andern Plan als seinen Hauptzwek, den er nie aus den Augen verliert. Warum seine meisten Vorschriften in Wa r n u n g e n v o r F e h l e r n bestehen? — Der junge Piso bedurfte ihrer am meisten. 10
Warum diejenigen Stellen, in welchen würklich die Mysterien der Poetischen Kunst eingehüllt liegen, nur d e n A d e p t e n verständlich sind, und warum bis auf den heutigen Tag noch kein Pfuscher aus dieser Epistel was gelernt hat? — Horaz dachte an nichts weniger, als den jungen Piso zu einem Dichter machen zu wollen. Warum endlich die Sarkasmen über die elenden Dichter seiner Zeit, die Warnungen vor den verführischen Reitzen der Muse, die Gefahren des poetischen Selbstbetrugs, die strengen und einem angehenden Poetaster ganz unerträglichen Bedingungen, die er dem jungen Piso auferlegt, und die bis auf die Knochen brennende Lauge, womit er die w a h n s i n n i g e n Dichter (wie er
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die e l e n d e n nennt) ohne Gnade übergießt, warum alles dies beynahe die Hälfte des ganzen Discurses ausmacht? — Es war das, was er mit dem ganzen Discurs wollte. Ich habe meine Meynung von dem Zwek dieser Epistel eine Hypothese genannt, und dadurch jederman berechtigt, sie, wenn er will, für nichts mehr zu halten: ich glaube aber, wenn man sich die kleine Mühe nicht dauren lassen wollte, unserm Dichter in seinem schlendernden Gang durch dieses Stük von Anfang bis Ende nachzuschleichen; so würde man vielleicht finden, daß sie würklich w a h r ist; und man könnte sich bis zur Evidenz überzeugen, daß er gleich von Anfang an darauf ausgeht, um zulezt dahin zu kommen, wo er
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aufhört. Vielleicht ist es dem Leser angenehmer, diesen kleinen Spaziergang mit einem, der Horazen schon so lange nachschleicht, als allein zu machen. In einem Werke, wo man eine Absicht hat, die bloß dadurch erreicht werden kann, wenn sie nicht angekündigt wird, ist es am besten gar nichts anzukündigen. Horaz fängt also seinen Discurs ohne allen Eingang, aber mittelst einer zu Erregung der Aufmerksamkeit des jungen Pisonen sehr geschikten Wen-
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dung, in der Sokratischen Manier, damit an, den wesentlichsten Fehler, den ein Gedicht (und jedes andre Werk der Kunst) haben kann, in seiner ganzen Ungereimtheit darzustellen: und dies ist gerade der Fehler, womit alle Dichter ohne Genie und wahres Talent unheilbar behaftet sind. S i e k ö n n e n k e i n G a n z e s m a c h e n — Sie fangen anders an und hören anders auf; ihr Werk ist aus übelzusammenpassenden Theilen zusammengeleimt; anstatt, wie die schöne Menschengestalt, dem Auge beym Überblik eine Form darzustellen, an welcher die Einheit des Ganzen desto angenehmer frappirt, je mehr man die einzelnen Theile in ihrer Verbindung und gegenseitigen Verhältniß betrachtet.
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Die Einwendung, die er sich machen läßt: „wie? ist dem Poeten und Mahlern nicht immer erlaubt gewesen a l l e s z u w a g e n ? — konnte er nur von einem solchen Neuling, wie der junge Piso (nach unsrer Voraussetzung) war, erwarten: und er beantwortet sie ihm durch ein Bild, das die Wahrheit seiner Regel zwar sehr sinnlich macht; aber, weil die A n w e n d u n g lediglich von dem richtigen Urtheil und feinen Gefühl des Dichters abhängt, ihm doch zu nichts helfen konnte. Horaz fährt (V. 26. der T. Übers.) fort, die Fehler, die am gewöhnlichsten gegen die Regel der Einheit begangen werden, in einem sanften komischen Licht sichtbar zu machen. Junge Leute thun sich gemeiniglich viel auf schöne
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Beschreibungen, Landschaftsgemählde, u. dergl. zu gut; sie mahlen immer, wo nur die kleinste Gelegenheit dazu aufstößt. Ob das Gemählde sich an d i e s e n Ort schikt, ob es nicht zwekwidrig ist den Leser dabey aufzuhalten, ob es nicht einem andern Gegenstand, der gerade hier stehen mußte, im Lichte steht, u. s. w. das bekümmert sie nicht — Und so kommt dann zulezt ein Werk heraus, wo, wie in einem Fieber-Traum, nichts zusammengehört; ein schöner Mädchenkopf steht auf einem Pferdehals — die schöne Cypresse ist die Hauptfigur auf dem Gemählde, wo der arme Schifbrüchige unser Mittleid erregen soll — und der Meister, der eine große Vase zu drehen anfieng, bringt am Ende einen Küchentopf hervor. Ein andres Übel, welchem junge Dichter, wenn ihnen d e r w a r n e n d e G e n i u s fehlt *) der immer das wahre Talent leitet, selten entgehen, ist der: daß sie, um einen Fehler zu vermeiden, in den entgegengesezten zu fallen pflegen *)
Der berühmte Genius des Sokrates sagte ihm immer nur w a s er n i c h t t h u n s o l l t e .
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(v. 45. f.) Um nicht hart zu seyn, werden sie weichlich; um nicht zu kriechen, fahren sie in Wolken herum, wann sie mit einem edeln gleichen Schritt auf ebnem Boden fortgehen sollten; sie rasen um erhaben zu seyn, und sagen Unsinn, weil sie was Neues sagen möchten. Dieser hat wahrgenommen, daß gewisse Vorstellungen, gewisse Züge eine große Würkung thun; und nun glaubt er, um eine immer größre Wirkung zu thun, brauche er nichts als die Dosis zu dupliren, tripliren u. s. w. Ein andrer hat gemerkt, daß ein paar kleine Umstände einem Gemählde Wahrheit und Leben geben, und glaubt nun, nie zuviel Detail in seinen Schilderungen anbringen zu können, u. s. w. Die große 10
Quelle aller dieser Fehler ist der Mangel an einer richtigen Vorstellungsart, und an einer Urtheilskraft, die beym Dichter, (wie bey jedem andern Virtuosen) so schnell und sicher als der schärfste Sinn würken muß. Man kann einem Menschen wohl sagen, daß es ihm an diesem Sinn fehle: aber wer kann ihm einen Sinn g e b e n , den ihm die Natur versagt hat? Wie Kinder aus Unwissenheit verwegen sind, so traut sich mancher a u s K i n d h e i t d e s G e i s t e s mehr zu, als er ausführen kann. Daher vermahnt Horaz (v. 72.) diejenigen, welche etwas schreiben wollen, vor allen Dingen ihre Kräfte wohl zu prüfen; und will daß man sich an keinen Gegenstand wage, den man nicht genau kennt, von allen Seiten betrachtet, und so durchgedacht hat,
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daß man sich selbst auf alle nur mögliche Fragen antworten kann. Wie kann ein junger Mensch, der weder was ihn umgiebt, noch sich selbst kennt, und dem nur aus Unverstand alles in der Welt so klar und leicht vorkommt, wie kann er jemals gewiß seyn, daß er seinen Kräften nicht zuviel zutraue, und in der Wahl des Gegenstands, den er bearbeiten will, sich nicht vergriffen habe? Aber wenn er dessen auch gewiß wäre, so ists damit noch lange nicht gethan. Eben der richtige Verstand, eben die scharfe Beurtheilung, die ihn in der Wahl und Anordnung seines Stofs leiten muß, damit das Werk erst in seiner eignen Seele ganz und lebendig dastehe, welches er dann mit Hülfe der Sprache auch in die Seele seines Lesers oder Zuhörers drücken will — eben dieser
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Verstand muß ihn auch im Gebrauch der Sprache, in der Wahl, Stellung und Verbindung der Wörter leiten (v. 87. u. f.) Horaz überläßt sich hier der ersten Gelegenheit zu einer kleinen Abschweifung, wobey er mehr sein Römisches Publicum als die Pisonen im Auge gehabt zu haben scheint. Er rechtfertigt den klugen und bescheidnen Gebrauch veralteter, die Veredlung niedriger, und die Erschaffung neuer Wörter, u. s. w. und schließt mit einer Betrachtung, die
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einen Schriftsteller, der bey der Nachwelt fortzuleben wünscht, nicht aufmerksam genug auf seine Sprache machen kann; und, wenn er darinn auch den höchsten Grad der Correctheit erreicht hätte, ihm doch den Wunsch abnöthigen muß, daß die Sprache, worinn er geschrieben, ihn nicht lange überleben möge. Wäre die Lateinische Sprache bis auf diesen Tag die Sprache Italiens geblieben: so würden Virgil und Horaz den Italienern vermuthlich izt nicht verständlicher seyn, als uns die Dichter aus Kayser Heinrich VI. Zeiten sind. Nächst der Sprache pflegen junge und alte Dichterlinge in nichts nachläßiger zu seyn als in der Versification. Gerade was das schwerste in der Poeti-
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schen Kunst ist, scheint ihnen das leichteste und unerheblichste zu seyn. Sie haben entweder gar kein Ohr für die mannichfaltigen Schönheiten, die durch die Bildung der Perioden, den Rhythmus, und die Wahl der Wörter mit Rüksicht auf Wohlklang und Harmonie der Töne mit dem was sie ausdruken sollen, entspringen: oder wenn sie recht viel zu thun glauben, so bemühen sie sich ihre Verse fließend und wohlklingend zu machen, und lassen sich nichts davon träumen, — daß auch die Versifikation ihre verschiednen Tonarten hat, die den verschiednen Leidenschaften der Seele entsprechen; — daß ein ernstvoller und schauerlicher Inhalt in leichten sanftfließenden Versen, oder eine traurige Wehklage in hüpfenden Daktylen den widrigsten Effect macht — daß in
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allem diesem unzählige Fehler begangen und unzähliche Schönheiten gewonnen werden können, und also unzähliche Regeln zu beobachten sind, — und daß es oft nur ein Wort, ja nur ein einzelner Klang, ein A oder I ist, was die Musik einer ganzen Stelle verderbt. Die Unwissenheit geht bey vielen so weit, daß sie nicht einmal eine Vermuthung davon haben, es könnte wohl in den verschiedenen Versarten eine besondere Beziehung auf den verschiednen Inhalt und Ton eines Gedichts liegen; und es ist noch nicht lange, daß mir ein Lehrgedicht von 7 bis 8 Büchern, in der Versart der Hallerischen Ode: F r e u n d , d i e Tu g e n d i s t k e i n l e e r e r N a h m e , zu Gesichte gekommen ist. Horaz berührt diese Materie, von 134 — 158, nur obenhin: und da es ihm mehr darum zu thun ist, ungeschikte und abgeschmakte Poeten lächerlich zu machen, als gute zu bilden: so beschließt er die wenigen allgemeinen Regeln, die er über so wichtige Puncte als Ausdruk, Styl und Versification sind, gegeben hat, mit der positiven Erklärung: daß niemand an den Nahmen eines Dichters Anspruch machen könne, der in der K u n s t , womit diese drey Stük-
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ke behandelt seyn wollen, nicht Meister sey: und — indem er also die meisten Poeten seiner und der vorhergehenden Zeit, deren Nachläßigkeit in diesen Theilen der Kunst er so oft in seinen Werken rügt, geradezu für Pfuscher erklärt: bringt er den jungen Piso — den vielleicht die wenige Schwierigkeit, solche Verse zu machen wie jedermann machte, verführt hatte sich auch etwas zuzutrauen — auf die Reflexion: daß es doch wohl eine schwerere Sache um die Dichterkunst seyn müsse, als er sich eingebildet. In allem diesem war bisher noch mit keinem Worte die Rede von der d r a m a t i s c h e n Dichtkunst. Aber, da das Theater doch der vornehmste Tum10
melplaz derjenigen Römischen Poeten war, gegen welche die Sarkasmen unsers Autors hauptsächlich gerichtet sind; und da (in unsrer Hypothese) auch der junge Piso vermuthlich Anstalten machte, oder wenigstens große Lust zeigte, auf diesem Kampfplaz Siegeskränze zu erobern: so lenkt Horaz allmählich auf diese Seite, und spricht (v. 165 — 241) von einigen der wesentlichsten Regeln der dramatischen Dichtart, und von einigen der gröbsten und gewöhnlichsten Fehlern, deren sich die Dichter, die damals im Besiz derselben waren, schuldig machten. Denn, wiewohl die Zeit alle ihre Werke längst verschlungen hat, und wir also die Anspielungen auf damals bekannte Werke, wovon man häufige Spuren in diesem Gedichte wahrzunehmen glauben kann,
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für uns verlohren gehen: so ist doch, aus der Art wie er im Vortrag seiner Erinnerungen zu Werke geht, sicher zu schließen: daß es ihm in allem was er von der Schaubühne sagt weniger darum zu thun sey, dem jungen Piso zu zeigen, wie er selbst gute Stücke machen könnte, als ihn richtiger von den Werken dieser Art, deren (wie izt unter uns) beynahe jeder Tag Neue hervorbrachte, urtheilen zu lehren. Der Gang unsers Autors in diesem Discurs hat, wie wir schon angemerkt haben, das Ansehn eines Spaziergangs, wobey man keinen andern Zwek hat, als zu gehen; wo ein kleiner Abweg nichts zu bedeuten hat, und man bald bey einer schönen Aussicht stille steht, bald seitwärts ablenkt, um eine Blume zu
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pflücken, oder der Kühlung eines schattenreichen Baumes zu genießen; wo immer der nächste Gegenstand, der in die Augen fällt, das Gespräch fortführt, und man doch am Ende, ohne zu wissen wie, sich auf einmal da befindet wohin man wollte. Er verweilt bey keiner Materie lange genug um die Wißbegierde zu befriedigen; bestimmt selten eine Regel genau genug, um ihre Anwendung für einen Schüler der Kunst leicht und sicher zu machen; kommt alle Augen-
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blicke vom Besondern wieder aufs Allgemeine, und von der Schaubühne auf die Poesie überhaupt: übersieht aber, bey dem allem, keine Gelegenheit, den elenden Scribenten im Vorbeygehen etwas abzugeben. Auf diese Weise verfährt er von V. 165 bis zum 287sten, wo es endlich scheint, als ob es ihm Ernst werden wolle, seinen Schüler in den Geheimnissen der dramatischen Kunst zu initiieren. Er berührt auch würklich besonders vom 339 — 356 V. einige wichtige Puncte; aber, außer der schönen Skizze der vier Alter der Menschen (v. 296 — 331) springt er bald wieder über alles weg, was einen Plaz in einer Anweisung zur dramatischen Kunst (wenn es ihm darum zu thun gewesen wäre) verdient hatte, um sich bey den Pflichten d e s C h o r s zu verweilen, die
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den Römern aus den Tragödien der Griechen bekannt genug seyn konnten; und nun verirrt er sich, aus Veranlassung des Chors, in eine Art von historischphilosophierender Deduction der Ursachen, wie und warum der Chor nach und nach das geworden sey, wozu ihn Aeschylus gemacht; und wie aus dem Chor der ältesten Tragödien oder B o c k g e s ä n g e das S a t y r e n s p i e l entstanden sey. Es würde, wenn Horaz eine Dichtkunst hatte schreiben wollen, unbegreiflich seyn, warum er sich bey einer so unbedeutenden Art von kleinen Stücken länger verweilt als bey der Tragödie und Komödie: aber ein Autor, der sich zu nichts anheischig gemacht hat, kann zu keiner Rechenschaft gezogen werden; und da er ein gewisses Ideal wie dergleichen S a t y r i geschrie-
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ben seyn sollten, im Kopfe hatte, so überläßt er sich eine Weile dem Gedanken, wie er selbst dabey zu Werke gehen würde, mit einem gewissen Wohlgefallen, worüber er zu vergessen scheint, daß er — nicht allein ist. Was er bey dieser Gelegenheit von d e r e i g n e n S p r a c h e , die er sich zu dieser Art von Compositionen bilden wollte, sagt, ist vortreflich, und kann einem Dichter, qui Nasum habet, für gewisse komische Dichtarten brauchbare Winke geben; auch ist sehr zu bedauern, daß Horaz es bey der bloßen Vorstellung, was er in dieser Art hätte leisten k ö n n e n , bewenden lassen — Aber was konnte es am Ende dem jungen Piso helfen, ihm von einer Dichtart zu sprechen, worinn Horaz sich etwas zu leisten getraute, das — alle Nachahmer zur Verzweiflung bringen sollte? Unser Autor spielt so lange mit dieser Idee, daß er darüber wärmer wird, als wir ihn bisher gesehen haben; seine Laune nimmt zu, und es geht nun, fast ununterbrochen, mit einer sehr unterhaltenden Lebhaftigkeit über die schlechten Dichter her. Die freundschaftliche Warnung, die er ihnen (V.
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469 — 85) in Betreff des To n s ihrer Satyrenspiele giebt, ist einer der grausamsten Hiebe, den die Satyrische Geisel je geführt hat; ich zweifle, ob es möglich wäre, den armen Teufeln in einem b i t t r e r - l a c h e n d e n u n d v e r ä c h t l i c h e r n To n ihren Jammer vorzurücken, als in den sieben lezten Versen dieser Stelle geschieht. In dieser Laune kommt er unversehens auf die Versification zurük, wo er die Boßheit so weit treibt, den Herrn Confratribus zu erklären w a s e i n J a m b u s s e y (denn den jungen Pisonen hatte es doch wohl ihr Präceptor gesagt) und, mit einem gewissen Unwillen über die Partheylichkeit der Römer gegen ihre ältere Dichter, ihnen überhaupt den Mangel eines für 10
schöne Verse empfindlichen Ohres vorwirft, und ihre Nachsicht gegen den Abscheu ihrer Dichter v o r d e r F e i l e und dem A u s s t r e i c h e n für die vornehmste Ursache erklärt, warum sie — wiewohl ewige Nachahmer der Griechen — doch beynahe in allen Fächern der Poetischen Kunst, besonders im Dramatischen, soweit hinter ihren Vorbildern zurükblieben. Correctheit ist, seiner Meynung nach, das wahre Sublime und die Vollkommenheit der Kunst, und er beschwört gleichsam die jungen Pisonen bey dem Glanz ihres Hauses (Vos, o P o m p i l i u s s a n g u i s ) kein Poetisches Werk gelten zu lassen, das nicht durch unermüdeten Fleiß zur höchsten Politur, und zu einer ganz tadellosen Schönheit gebracht worden sey. Die Römer, meynt er, legten zuviel
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Werth auf die bloßen Naturfähigkeiten, und zuwenig auf die Kunst; ein Gedicht könne ohne die leztere so wenig bestehen als ohne die erstere; und was die Griechen so vortreflich mache, sey: daß Genie, und Feuer in der Composition, und Fleiß in der Ausarbeitung, bey ihnen immer vereinigt gefunden werde. Diese ganze Stelle, vom 594 Verse bis zum 694. enthält die vortreflichsten Vorschriften und Reflexionen über die Bildung des Dichters, über die ernsthaften Studien die er zu machen habe, und wieviel dazu gehöre ein Werk zu erschaffen, das seinen Urheber überlebe: aber alles ist so unordentlich durcheinander geworfen, daß die Freyheit und angenehme Nachläßigkeit des Brief-Styls nicht mehr zureichen will, den Dichter zu entschuldigen; und daß
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man beynahe auf den Gedanken kommen muß: er habe diese Unordnung mit Fleiß affectirt, um den jungen Piso durch die Menge und das Unzusammenhangende seiner Vorschriften zu verwirren, und das Gefühl der Schwierigkeit der Poetischen Kunst selbst durch die Art seines Vortrags zu verdoppeln. Man könnte diese Vermuthung, so seltsam sie klingt, um so glaublicher finden, weil bey aller dieser nicht bloß a n s c h e i n e n d e n , sondern sehr reellen, und
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in einem eigentlichen didaktischen Gedichte unausstehlichen Unordnung, gleichwohl hier und da sehr deutliche Spuren eines gewissen f e i n e n manege, und eines immer auf seinen Hauptzwek gerichteten Bliks, wahrzunehmen sind. Hätte er diesen Zwek gleich von Anfang, und überhaupt auf eine zu stark in die Augen fallende Art, merken lassen: so konnte er gewiß seyn, daß er ihn verfehlen würde. Aber Horaz griff die Sache feiner an. Er bietet sich dem jungen Menschen, der vor Begierde den Musenberg zu ersteigen, brannte, mit der guthertzigsten Mine zum Rathgeber und Wegweiser an. Er führt ihn einen Weg, dessen Länge und Beschwerlichkeit den Kühnsten stutzig machen könnte. Der junge Dichterling erschrikt: er hatte sich den Weg so kurz, so ange-
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nehm vorgestellt, sich von allen diesen Schwierigkeiten nichts träumen lassen. Er wird auf halbem Wege müde. Sein Wegweiser spricht ihm Muth ein, läßt ihn ein wenig ausruhen, bringt ihn unvermerkt an eine Stelle, wo sich das Ziel seiner Wünsche in der schönsten Beleuchtung darstellt, und ganz nahe zu seyn scheint. Sie nehmen einen neuen Anlauf: aber der Weg wird immer länger, immer mühsamer; der schöne Tempel, der ihnen von Zeit zu Zeit in die Augen schimmert, entfernt sich immer weiter: und der Führer, indem er den unmuthigen Jüngling immer bey der Hand fortzieht, hat noch die Boßheit, ihn von den Gefahren zu unterhalten, denen sie ohne ein besonders Glük vielleicht nicht entgehen werden; spricht ihm von den Sümpfen in denen man sich
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leicht verlieren könnte, von den steilen Höhen, die noch zu ersteigen sind, von der Schande und dem Schaden, den sich dieser und jener, dem die nämliche Unternehmung mißlungen, zugezogen — und verläßt ihn endlich mitten in einem Walde, mit der Versicherung, daß es nun bey ihm stehe, ob er die Reise allein fortsetzen, oder — was am Ende doch wohl das sicherste wäre — von seinem Vorhaben lieber gar abstehen wolle. — Dies ist ungefehr die Art, wie Horaz in diesem Briefe mit dem jungen Piso, dem er den Weg zum Pindus zeigen soll, verfährt. Von Zeit zu Zeit, wenn er ihn durch die Größe und Schwierigkeit seiner Forderungen niedergeschlagen sieht, scheint er ihm wieder Muth zu machen; spricht von der Regel der f ü n f A c t e n , die der elendeste Stümper so gut beobachten kann als ein Aeschylus, als von einer Sache von der ersten Wichtigkeit — lehrt ihn trimetrische Jamben machen — spricht von Fehlern, die einem Dichter zu verzeyhen sind, und daß man von der armen menschlichen Natur am Ende doch keine Vollkommenheit fodern könne, u. dergl. — und endigt endlich damit, ihn mit vieler Cerimonie auf die Seite zu
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nehmen, und unter der Versicherung, daß er ihm jezt was sehr wichtiges sagen wolle, überlaut ins Ohr zu sagen: es sey nichts detestablers als — ein mittelmäßiger Poet zu seyn. Von dieser Stelle (V. 694.) fängt sich Horazens wahre Absicht bey seinem ganzen Discurs über Dichtkunst und Dichter so hell aufzuklären an, daß man nur fortzulesen braucht, um sich selber ganz davon gewiß zu machen. Nach allem, was er bisher gethan hatte, um seinen jungen Freund von den Schwierigkeiten der Musenkunst zu überzeugen, blieb diesem noch ein Weg übrig, sich selbst darüber I l l u s i o n z u m a c h e n . „Gut, konnt er denken; dem mag 10
freylich so seyn; aber hab ich denn auch nöthig, gerade ein großer Meister in der Kunst zu seyn? Ich mache Verse für mein Vergnügen — Zwanzig andre meines Gleichens haben Tragödien und Komödien, Elegien und Jamben gemacht, ohne daß sie darum just Prätension an die Obermeisterschaft auf dem Parnaß machen wollten — Wenn nun auch meine Verse nicht die ausgefeiltesten sind! Genie ist doch immer mehr als Kunst — Und dann nimmts auch nicht jedermann so scharf wie Horaz. Die Freunde, denen ich meine Versuche vorgelesen habe, sind doch sehr damit zufrieden gewesen — ich habe die Würkung mit Augen gesehen, die diese oder jene Stelle auf sie machte — u. s. w.“ — Alle diese Polster, worauf der gute P i s o sein beunruhigtes Poeti-
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sches Gewissen ganz sanft wieder hätte einschläfern können, zieht ihm nun Horaz eines nach dem andern sachte unter dem Kopfe weg. Gegen die U r b a n i t ä t , womit er dabey zu Werke geht, ist nicht ein Wort einzuwenden. Er beweißt ihm sogar, in einer schönen Deduction (v. 745 — 86) daß er über seine Liebe zu den Musen auf keine Weise zu erröthen brauche: aber genug, daß er ihm auch nicht die mindeste Möglichkeit übrig läßt, durch irgend ein Schlupfloch zu entrinnen. Nicht das kleinste Gelegenheitsgedichtchen wird ihm gestattet. Man hat eine zu große Meynung von seinem Verstande, als daß er jemals die Schwachheit sollte begehen können, die verächtliche Schaar der mittelmäßigen Poeten vermehren zu wollen. Wenn er aber jemals etwas
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schreiben sollte: so wird ihm gerathen, sich ja vor den treulosen Freunden zu hüten, woran es d e n D i c h t e r n d i e a n R e n t e n r e i c h s i n d nie fehlen könne! Er soll die strengsten Richter zu Rathe ziehen — er soll es neun Jahre in seinem Pulte liegen lassen, um das unschäzbare Recht, s e i n We r k w i e d e r a u s z u l ö s c h e n , ja nicht zu früh aus den Händen zu lassen. — Mich däucht, wenn man nur einen Augenblik überlegt, wie angelegen sichs Horaz seyn läßt,
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seinen jungen Freund vor den gefälligen Herren zu warnen, die mit ihrem pulchre! bene! recte! so freygebig sind; wie sehr er ihm die u n b a r m h e r z i g s t e K r i t i k empfiehlt; wie oft er immer mit neuen Wendungen, mit neuen Beweggründen, auf den Punct des A u s s t r e i c h e n s zurükkommt: so muß man mit Händen greiffen, daß er Ursache zu haben glaubte, ein großes Mistrauen in seine Fähigkeiten zu setzen. So ängstlich warnt man Niemand, von dessen Talent man sich jemals etwas gutes verspricht. Auch giebt Horaz, im Lauf des ganzen Stüks, nicht ein einzigmal nur mit einem Worte zu verstehen, daß er sich etwas von dem jungen Piso verspreche. Er sieht nichts für ihn als d i e G e f a h r z u S c h a n d e n z u w e r d e n ; und um ihm von dieser Schande
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einen tiefen Eindruk zu lassen: geht er noch, zum Schlusse, so lieblos mit den elenden Poeten um, daß der junge Piso schlechterdings zu den u n h e i l b a r e n gehört haben müßte, wenn er, nach Lesung e i n e r s o l c h e n M a n u d u c t i o n z u r P o e t i s c h e n K u n s t , noch die mindeste Lust behalten hätte, an eine Stelle auf den Helikon Anspruch zu machen. Möchte doch auch diese Übersetzung so glüklich seyn, die nämliche Wirkung bey allen seines Gleichen unter uns hervorzubringen! Immer wäre dies der größte Nutzen, den der Brief an die Pisonen schaffen könnte. Horaz zielte gewiß keinen andern ab. Seine Art mit dem jungen Piso zu verfahren, ist die einzige, wie mit einem jeden angehenden Dichter verfahren werden sollte.
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Läßt er sich dadurch niederschlagen, — desto besser! Fährt er demungeachtet fort, so ist es ein unfehlbares Zeichen, daß er — entweder zum Dichter — oder zum Narren gebohren ist. * * *
Wofern ein Mahler einen Venuskopf auf einen Pferdhals sezte, schmükte drauf den Leib mit Gliedern von verschiednen Thieren, mit bunten Federn und mit Flügeln aus, und ließe, um aus allen Elementen Humano capiti cervicem pictor equinam jungere si velit variasque inducere plumas, undique collatis membris, ut turpiter atrum
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was anzubringen, sich das schöne Bild in einen grausenhaften Fisch verlieren, sich schmeichelnd, nun ein wundervolles Werk euch aufgestellt zu haben: Freunde, würdet ihr bey diesem Anblick wohl das Lachen halten können? Und gleichwohl werden Werke dieser Art in einem andern Fach uns oft genug zur Schau gebracht. Denn, glaubet mir, P i s o n e n , ein Dichterwerk, von schlechtverbundenen Ideen, die, wie Fieberträume, durch-
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einander schwärmen, so daß weder Kopf noch Fuß zusammenpaßt — und eine Mahlerey von jenem Schlag, sind treflich einerley. „Wie? Ist den Mahlern und Poeten nicht von jeher freygestanden, alles was sie wollen zu wagen?“ — Freylich! auch W i r machen Anspruch an diese Freyheit, und verlangen Keinem sie abzustreiten — Nur nicht, daß man paare was unverträglich ist, nicht Schlang und Vogel, 20
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nicht Lamm und Tyger in einander menge! desinat in piscem mulier formosa superne, spectatum admissi risum teneatis, amici? Credite, Pisones, isti tabulae fore librum persimilem, cujus, velut aegri somnia, vanae fingentur species, ut nec pes, nec caput uni reddatur formae. — „ P i c t o r i b u s a t q u e p o e¨ t i s quidlibet audendi semper fuit aequa potestas.“ Scimus, et hanc veniam petimusque damusque vicissim: sed non ut placidis coe¨ant immitia, non ut
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serpentes avibus geminentur, tigribus agni.
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Wie häuffig sehn wir einem ernsten vielversprechenden Gedichte hier und da wie einen Purpurlappen angeflikt, der weithin glänzen soll? — Da wird ein Hayn Dianens, nebst Altar, ein Silberbach der schlängelnd seine Fluth durch anmuthsvolle Gefilde wälzt, ein schöner Regenbogen, und Vater Rhein auf seiner Urne liegend, gar prächtig hingepinselt — nur daß hier der Ort dazu nicht war! — Der Mahler ist
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vielleicht im Baumschlag stark, kann eine hübsche Cypresse mahlen — aber auf dem Täfelchen, worauf ein armer Mann der Schifbruch litt, halbtod ans Ufer treibend, für sein Geld sich mahlen läßt, was hilft dein schöner Baum? (A) Du fiengest eine prächtige Vase an zu drehn, und da die Scheibe abläuft, kömmt ein halber Topf heraus!1) — Kurz, mache was du willst, nur, was du machst sey mindstens E i n s und G a n z ! Inceptis gravibus plerumque et magna professis
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purpureus, late qui splendeat, unus et alter assuitur pannus, cum lucus et ara Dianae, et properantis aquae per amoenos ambitus agros, et flumen Rhenum, aut pluvius describitur arcus; sed nunc non erat his locus! Et fortasse cupressum scis simulare: quid hoc, si fractis enatat exspes navibus, aere dato qui pingitur? Amphora coepit institui, currente rota cur urceus exit? denique sit quod vis simplex duntaxat et unum.
1) Der Ausdruk: amphora u r c e u s e x i t ist hier soviel als d e s i n i t in urceum. Daß es d i e s sey, was Horaz sagen wollte, hätte der ganze Zusammenhang den Auslegern und Übersetzern zeigen können.
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Wir andern Dichter, meine edeln Freunde, wir fehlen meistens nur vom Schein des Guten getäuscht, und oft wenn wirs am besten meynen. Ich wünsche k u r z zu seyn und werde d u n k e l : ich suche L e i c h t i g k e i t , und bleibe m a t t . Ein andrer strebt nach G r ö ß e auf, und s c h w i l l t ; dafür kriecht Jener dort, aus Furcht des Sturms der in der Höhe weht, am Boden hin: und dieser, um, was nur auf e i n e Art 10
sich sagen läßt, recht unerhört zu sagen,2) mahlt euch Delphinen in den Busch, und läßt die Nereid’ auf einem Eber schwimmen. Die Furcht zu fehlen wird die reichste Quelle von Fehlern, wenn sie nicht vom Kunstgefühl geleitet wird. Der lezte unter allen den Meistern, die wir um die Fechterschule Aemils beschäftigt sehen, drükt vielleicht an seinem Bilde jeden Nagel aus, ahmt weicher Locken sanftes Wallen bis
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Maxima pars vatum, pater et juvenes patre digni, decipimur specie recti: brevis esse laboro, obscurus fio: sectantem levia nervi deficiunt animique: professus grandia turget: serpit humi tutus nimium, timidusque procellae; qui variare cupit rem prodigialiter unam, delphinum silvis appingit, fluctibus aprum. In vitium ducit culpae fuga, si caret arte. Aemilium circa ludum faber imus et ungues exprimet, et molles imitabitur aere capillos,
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2) Dies ist offenbar der Sinn der Worte, qui v a r i a r e cupit rem p r o d i g i a l i t e r u n a m . Die Französischen Übersetzer haben ihn gänzlich verfehlt — ein Unglück das ihnen, wiewohl ihrer so viele sind, zu oft begegnet, als daß es angenehm seyn könnte, es allemal anzumerken.
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zum Wunder nach, und ist und bleibt doch stets der L e z t e , weil er Alles — nur, zum Unglück, n i c h t s G a n z e s machen kann. Für meinen Theil, ich wollte gleich so lieb, bey schwarzem Haar und schönen schwarzen Augen, mich der Welt mit einer krummen Nase zeigen, als der Dichter seyn, der diesem Künstler gliche. Ihr, die ihr schreiben wollt, vor allen Dingen wählt einen Stoff, dem ihr gewachsen seyd, und wäget wohl vorher, was eure Schultern vermögen oder nicht, eh ihr die Last zu tragen übernehmt. Wer seinen Stoff s o wählte, dem wirds an Gedanken und Klarheit nie, auch nie an Ordnung fehlen; und unter manchem Vortheil, der durch Ordnung gewonnen wird, ist sicher keiner von den kleinsten: daß man immer wisse was zu sagen ist, doch vieles, was sich auch noch sagen ließe, izt zurükbehalte, und für den Platz, wo man’s bedarf, verspare.3) infelix operis summa, quia ponere t o t u m nesciet: hunc ego me, siquid componere curem, non magis esse velim, quam pravo vivere naso spectandum nigris oculis nigroque capillo. Sumite materiam vestris qui scribitis aequam viribus, et versate diu quid ferre recusent, quid valeant humeri: cui lecta potenter erit res, nec facundia deseret hunc, nec lucidus ordo. Ordinis haec virtus erit et venus, aut ego fallor, ut jam nunc dicat, jam nunc debentia dici pleraque differat, et praesens in tempus omittat. 3) Eine vortrefliche Regel für den Lehrling, der einen Genius hat, der ihn die Regel verstehen und anwenden lehrt! aber unbrauchbar für jeden andern. Und so ists mit allen Regeln.
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Auch Sprach und Versebau und Rhythmus sey4) Dem wohl empfohlen, der ein ächtes Werk zu schaffen wünscht. Er kann nicht leicht zuviel Bescheidenheit und Vorsicht in d e r Wa h l d e r W ö r t e r zeigen. Öfters wird ein Vers vortreflich, bloß wenn ein a l l t ä g l i c h Wo r t durch eine s c h l a u e S t e l l u n g unverhoft zum N e u e n wird. Wo neuentdekte Dinge zusagen sind, da ists mit Recht erlaubt 10
auch unerhörte Wörter zu erfinden, wenn diese Freyheit mit Bescheidenheit genommen wird. Auch können neue Wörter und Redensarten, die vor kurzem erst aus Griechischem Quell auf unsern Grund und Boden geleitet worden sind, mit Sparsamkeit gebraucht, ein Recht an gute Aufnahm fodern.5) Was kann der Römer einem P l a u t u s und In verbis etiam tenuis cautusque serendis: hoc amet, hoc spernat promissi carminis autor.
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Dixeris egregie, notum si callida verbum Reddiderit junctura novum. Si forte necesse est indiciis monstrare recentibus abdita rerum, fingere cinctutis non exaudita Cethegis continget, dabiturque licencia sumta pudenter. Et nova fictaque nuper habebunt verba fidem, si Graeco fonte cadant, parce detorta: quid autem Caecilio Plautoque dabit Romanus, ademtum 4) Ich habe den Horaz hier, um des Zusammenhangs willen ein paar Worte mehr sagen lassen als er ausdrüklich sagt: aber um in das Ganze Zusammenhang zu bringen, müßte man ein neues
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Werk daraus machen. 5) Was Horaz hier den Römern erlaubt, haben sich die Italiäner, Franzosen, Engländer, ebenfalls erlaubt gehalten: und nur uns Teutschen sollte es verboten seyn? Als ob unsre Alten nicht einmal Barbaren gewesen wären, wie andre; und als ob jemals die Sprache eines rohen Volkes ohne fremde Hülfe hätte gebildet und bereichert werden können?
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C ä c i l gestatten, das V i r g i l u n d Va r i u s nicht wagen dürften? Oder, soll mir übel genommen werden, wenn ich etwas Weniges erwerben kann, da E n n i u s und C a t o , 6 ) die Sprache mit so vielen neuen Wörtern bereichern durften? Immer wars und bleibts erlaubt, ein neugestempelt Wort von gutem Korn und Schrot in Gang zu bringen. So wie von Jahr zu Jahr mit neuem Laub der Wald sich schmükt, das alte fallen läßt:
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so lässet auch die Sprache unvermerkt die alten Wörter fallen, und es sprossen neue ins Leben auf, und füllen ihren Platz. Wir sind uns selbst und alles Unsrige dem Tode schuldig. Laß dort einen mit dem Meer verbundnen Landsee seinen weiten Busen öfnen, um ganze Flotten vor den Aquilonen zu schirmen, traun! ein Königliches Werk! Laß jenen schon so lang’ unfruchtbarn und des Ruders Virgilio Varioque? Ego cur, acquirere pauca
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si possum, invideor, cum lingua Catonis et Ennıˆ sermonem patrium ditaverit, et nova rerum nomina protulerit? Licuit, semperque licebit, signatum praesente nota producere nomen. Ut silvae foliis pronos mutantur in annos, prima cadunt: ita verborum vetus interit aetas, et juvenum ritu florent modo nata, vigentque. Debemur morti nos nostraque; sive receptus terra Neptunus, classes aquilonibus arcet, regis opus; sterilisque diu palus, aptaque remis,
6) C a t o M a j o r , oder C e n s o r i u s einer der größten Männer des alten Roms, hatte sich auch durch verschiedne Historische und Ökonomische Werke um die Römische Sprache verdient gemacht.
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gewohnten Sumpf den Pflug erdulden lernen, und nachbarliche Städte rings umher mit reichen Ernten nähren — Jenen Strom den Lauf, der unsern Feldern schädlich war, mit einem neuen bessern Weg vertauschen: (B) Das Alles, Freunde, wird, als Menschenwerk, die Zeit zerstören! — Und die Sprache sollte allein in ewigem Jugendglanze blühen? Viel abgestorbne Wörter werden wieder 10
ins Leben kehren, viele andere fallen die jezt in Ehren sind, so wie d e r B r a u c h es fügen wird, bey welchem doch zulezt allein die Macht, hierinn Gesez zu geben, steht. In welcher Versart, Thaten edler Helden und Könige zu singen sich gezieme, hat uns H o m e r gezeigt. — In j e n e r , d i e den Ve r s H o m e r s mit einem k ü r z e r n 7 ) w e c h s e l t , verseufzte anfangs nur die Traurigkeit den sanften Schmerz; allein man fand, daß auch
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die Freude, und die ihres süßen Wunsches gewährte Liebe dieses leichten Ganges Vicinas urbes alit, et grave sentit aratrum; seu cursum mutavit iniquum frugibus amnis, doctus iter melius; mortalia facta peribunt, nedum sermonum stet honos, et gratia vivax. Multa renascentur quae jam cecidere, cadentque quae nunc sunt in honore vocabula, si volet usus, quem penes arbitrium est et jus et norma loquendi. Res gestae regumque ducumque, et tristia bella,
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quo scribi possent numero, monstravit H o m e r u s . Versibus impariter junctis querimonia primum, post etiam inclusa est voti sententia compos: 7) Mit dem P e n t a m e t e r . ¼2. Buch. 3. Brief½
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gar schiklich sich bediene; aber wer Erfinder dessen sey, darüber streiten die Sprachgelehrten, und der Handel, ist noch unentschieden. Mit dem raschen J a m b u s bewafnete die Wuth den zürnenden A r c h i l o c h u s : doch später wurde dieser Fuß sowohl der niedern S o c k e als dem hohen C o t h u r n 8 ) der Schauspiel-Musen angepaßt. Man fand, er schicke sich zum Dialog am besten, sey zur Handlung wie gemacht, und übertöne leichter als ein andrer das Volksgetös’ im hallenden Theater.
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Zur saytenreichen Leyer hieß die Muse die Götter und der Göttersöhne Thaten, die Sieger in den Kämpfen, und das Roß im Wettlauf siegend, und die Schwärmereyen der feurigen Jugend, Wein und Liebe, singen. Ein jedes Werk in jedem Dichter Fach hat seinem eignen F a r b e n t o n und S t y l . quis tamen exiguos elegos emiserit autor, grammatici certant, et adhuc sub judice lis est. A r c h i l o c h u m proprio rabies armavit jambo. Hunc socci cepere pedem, grandesque cothurni, alternis aptum sermonibus et populares vincentem strepitus, et natum rebus agendis. Musa dedit fidibus divos, puerosque deorum, et pugilem victorem, et equum certamine primum et juvenum curas, et libera vina referre. Descriptas servare vices operumque colores 8) Soccus und Cothurnus. Der Cothurn war eine Art von sehr hohen Purpurfarbnen Halbstiefeln für die Götter und Helden in der Tragödie; die Socke, eine niedrige Art von Schuhen, war den Personen in der Komödie eigen.
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Versteh ich nichts von dieser Farbengebung, mit welcher Stirne kann ich einen Dichter mich schelten hören? Oder, warum will ich lieber aus falscher Schaam unwissend seyn, als lernen? Was komisch ist, will nicht im Schwung und Pomp des Trauerspieles vorgetragen seyn; hingegen ists was unausstehliches, T h y e s t e n s G a s t m a l , im G e s e l l s c h a f t s t o n und Ve r s e n die beynah zur S o c k e passen, 10
erzählen hören9). Jedes schicke sich für Ort und Zeit! — Indessen mag zuweilen auch die Komödie ihre Stimm’ erheben, und einen alten Chremes, dem’s der Sohn zu toll gemacht, den Sturm des ersten Zorns mit Bliz und Donnerschlag vertoben lassen: so wie M e l p o m e n e , sobald sie klagt, den Ton herabstimmt, und zum simpeln Ausdruk des Volkes sinkt. Wenn T h e l e p h u s und P e l e u s 1 0 ) im tiefsten Elend, dürftig und verbannt
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cur ego si nequeo ignoroque, Poeta salutor? cur nescire, pudens prave, quam discere malo? Versibus exponi tragicis res comica non vult: indignatur item privatis, ac prope socco dignis carminibus narrari coena Thyestae. Singula quaeque locum teneant sortita decenter. Interdum tamen et vocem comoedia tollit, iratusque Chremes tumido delitigat ore: et tragicus plerumque dolet sermone pedestri Telephus et Peleus, cum pauper et exul uterque
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9) Vermuthlich zielte Horaz hier und an mehrern Stellen dieser Epistel auf damalige Werke, die ihre Urheber nicht überlebt haben. 10) Zwey tragische Süjets aus der griechischen Heldenzeit. Sowohl S o p h o k l e s als E u r i p i d e s haben Beyde Süjets unter diesen Namen auf die Bühne gebracht — und von diesen scheint hier die Rede zu seyn.
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aus ihrem Vaterland, des Hörers Herz mit ihren Klagen rühren wollen, lehrt sie N a t u r ganz einen andern Ton! Da werfen sie die hohen Stelzen und die Ellenlangen Wörter gerne weg! Ein Dichterwerk sey s c h ö n , sey f e h l e r f r e y , dies ist sehr viel, allein noch nicht genug; um zu gefallen sey es l i e b l i c h auch,11) und stehle sich ins Herz des Hörers ein, um, was der Dichter will, aus ihm zu machen.
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Ein lachend oder weinend Angesicht bringt, wie wirs ansehn, augenbliklich auch ein Lächeln oder einen traurigen Zug in unsers. Willt du daß dein Unglük mich zu Thränen rühren soll, mein guter Peleus und Telephus, so must du selber weinen! Sind deine Reden deiner Lage nicht gemäß, so werd’ ich — gähnen oder lachen. (C) Zu einem traurigen Gesicht geziemen sich projicit ampullas et sesquipedalia verba, si curat cor spectantis tetigisse querela. Non satis est pulchra esse poe¨mata, dulcia sunto, et quocunque volent animum auditoris agunto! Ut ridentibus arrident, ita flentibus adsunt humani vultus: si vis me flere, dolendum est primum ipsi tibi, tunc tua me infortunia laedent Telephe vel Peleu! male si mandata loqueris aut dormitabo aut ridebo. Tristia moestum
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11) Non Satis est p u l c r a esse poemata, d u l c i a sunto. Unter pulcra versteht Horaz hier ohne Zweifel f e h l e r l o s , r e g e l m ä ß i g , g u t z u s a m m e n g e s e z t , kurz alles wodurch ein Gedicht dem Ve r s t a n d gefällt; unter dulcia alles wodurch es den Sinnen schmeichelt, und das Herz rührt.
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auch traurige Worte. Gelassen, oder zürnend, muthwillig oder ernsthaft, immer sey die Sprache der Leidenschaft, der Stimmung angemessen, die erst aus Mine und Gebehrde spricht. Denn jeder Wechsel unsers Glüks erregt, zuerst im Innern eine Leidenschaft; Zorn, der zum Widerstand das Blut erhizt, die Arme ausstrekt — oder Traurigkeit, die hofnungslos zur Erde, wie zum Grabe, uns niederzieht: und dies, bevor die Zunge der Seele Dolmetsch wird, und ihre Regung in Worte ausbricht. Dies ist allzeit Gang der Natur. Verfehlt der Dichter ihn, legt seinem Peleus in den Mund12) was nicht zu seiner Lage paßt: so darfs ihn nicht befremden, wenn Ritterschaft und Fußvolk13) überlaut ihm, statt zu weinen, an die Nase lachen. Nicht minder kommt sehr vieles darauf an, ob die Person, die spricht, der Diener oder
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vultum verba decent, iratum plena minarum, ludentem lasciva, severum seria dictu. Format enim Natura prius nos intus ad omnem fortunarum habitum, juvat aut impellit ad iram, aut ad humum moerore gravi deducit et angit: post effert animi motus interprete lingua; si dicentis erunt fortunis absona dicta, Romani tollent equites peditesque cachinnum. Intererit multum Davusne loquatur an Herus, 12) Unfehlbar wird hier wieder auf ein schlechtes Stück dieses Namens von einem Römischen
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Autor gedeutet. 13) Ein komischer Ausdruk für die zwo Haupteintheilungen des Römischen Volks. Die B e n t l e y i s c h e Verbesserung patres für pedites ist a b g e s c h m a k t — wie beynahe alle Bentleyische Verbesserungen.
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der Herr im Haus, ein reiffer Alter, oder ein junger schwärmerischer Tollkopf ist? Ob eine Fürstin, oder ihre treuergebne Hofmeisterin? Ein Kaufmann, allenthalben zu Haus und nirgends, oder ob ein Landwirth der sich von seinem Gütchen nährt? Ob er A s s y r e r oder K o l c h e r , ob zu T h e b e n oder zu A r g i s auferzogen worden?14) Übrigens soll der Poet entweder an d i e S a g e sich halten, oder, wenn er dichten will, das Wahre der Natur zum Muster nehmen. Führst du A c h i l l e n auf, den jeder kennt, so sey er hitzig, thätig, schnell zum Zorn, und unerbittlich, wolle nichts von Pflichten hören, und mache alles mit dem Degen aus!15) M e d e e sey trotzig und durch nichts zu schrecken, die sanfte I n o weich und thränenreich, I x i o n treulos, schwermuthsvoll O r e s t . 1 6 ) maturusne senex, aut adhuc florente juventa fervidus, et matrona potens, an sedula nutrix, mercatorne vagus, cultorne virentis agelli, Colchus an Assyrius, Thebis nutritus an Argis. Aut famam sequere, aut sibi convenientia finge. Scriptor honoratum si forte reponis Achillem, impiger, iracundus, inexorabilis, acer jura neget sibi nata, nihil non arroget armis! sit Medea ferox invictaque, flebilis Ino, perfidus Ixion, Io vaga, tristis Orestes. 14) d. i. der Dichter muß auch auf Klima, Landesart und Sitte, Staatsverfassung, kurz auf alles was den Charakter des Volks dem seine Personen zugehören, bildet, Rüksicht nehmen. So muß z. E. ein Dichter den A s s y r e r weichlich und sclavisch, den K o l c h e r roh und grausam, den T h e b a n e r tapfer und ungeschliffen, den A r g i v e r tapfer und poliert, schildern.
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Bringst du hingegen etwas auf die Bühne das nie versucht ward, wagest eine neue Person zu schaffen — gut! so gieb ihr Selbstbestand, und wie sie sich im ersten Auftritt zeigt, so führe sie, sich selber ähnlich, bis zum lezten fort! — Es ist vielleicht nichts schwerers als aus der Luft gegriffnen Menschenbildern das eigne I n d i v i d u e l l e geben was jeden täuscht, und die erdichtete 10
Person uns anverwandt und unsersgleichen macht. Du wirst daher mit minderer Gefahr ein Schauspiel aus der Iliade ziehen, als dich an was ganz neuerfundnes wagen. Ein Süjet das der ganzen Welt gehört wird wieder E i g e n t h u m , wenn du dich weder auf einem Plan, der zum Gemeinplaz schon si quid inexpertum scenae committis, et audes personam formare novam, servetur ad imum qualis ab incepto processerit, et sibi constet.
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Difficile est proprie communia dicere, tuque rectius Iliacum carmen diducis in actus quam si proferres ignota indictaque prius. Publica materies privati juris erit, si nec circa vilem patulumque moraberis orbem,
15) d. i. so sey er, wie ihn jedermann aus der I l i a d e kennt. 16) Lauter damals bekannte Tragische Süjets, die von den größten Griechischen Dichtern waren bearbeitet worden, und durch sie also schon bestimmte Charaktere erhalten hatten, die ein Dichter, der sie wieder auf die Bühne bringen wollte, beybehalten mußte. — Die Io vaga des Originals wollte sich nicht in den Teutschen Vers einsperren lassen.
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geworden, tummelst: noch, wie ein getreuer demüthiger Übersetzer, Wort für Wort dem Griechen17) nachtrittst: noch, um nachzuahmen, in eine Enge dich zusammendrükst, woraus du weder, ohne Schaam, zurük — noch, ohne größern Fehler, vorwärts kannst. Auch fange dein Gedicht so laut nicht an wie jener alte C y k l i s c h e 1 8 ) Poet: „Von Priams Schiksal und dem weitberühmten Krieg begeb ich mich zu singen“ — Großgesprochen!
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Was kann der Mann uns sagen, das — den Mund dazu so weit zu öfnen — würdig wäre? Es kreißte, wie die Fabel sagt, ein Berg, und er gebahr, zu großer Lustbarkeit der Nachbarschaft, ein kleines kleines Mäuschen. nec verbum verbo curabis reddere fidus interpres, nec desilies imitator in arctum unde pedem proferre pudor vetet, aut operis lex. Nec sic incipies ut scriptor Cyclicus olim: Fortunam Priami cantabo et nobile bellum :
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Quid dignum tanto feret hic promissor hiatu? Parturiunt montes, nascetur ridiculus mus.
17) Oder, dem ersten Autor der das nemliche Süjet vor dir bearbeitet hat. 18) Was Horaz unter dem Cyklischen Poeten verstehe, darüber sind die Ausleger nicht eins. Das Wahrscheinlichste ist, das der Poetische Cyklus die ganze Götter und Heldenzeit in sich begriffen, und daß gewisse Dichter, die alle diese Fabeln in Ein Werk zusammengewebt, Cyklische Poeten geheissen. Die alten Scholiasten sagten: A n t i m a c h u s sey ein solcher Cyklischer Poet gewesen; und sein Werk habe schon aus 24 Büchern bestanden, eh ers noch bis auf die berühmten S i e b e n H e l d e n vor Thebä gebracht habe. Cicero erzählt von diesem Antimachus im 51. Cap. de Clar. Orator. ein Geschichtchen das sehr viel für ihn zu beweisen scheint. Er laß sein Werk zu Athen in einer großen Versammlung vor. Die Athenienser waren kein Volk das sich ennüyieren ließ. Das Gedicht währte ihnen zu lang, und nach und nach lief jedermann davon, so daß zulezt nur noch P l a t o übrig blieb. Auch gut, sagte Antimachus; ich lese doch fort: der einzige Plato ist mir statt aller dieser Myriaden.
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Um wieviel besser Er,19) der niemals was unschiklichs vorgebracht: Erzähle mir, o Muse, von dem Mann, der nach Eroberung von Troja vieler Menschen Städt und Sitten sah — Er giebt kein Feurwerk das in Rauch sich endet, erst macht er Rauch, dann folgt ein rein und gleich fortbrennend Feuer, um die schönen Wunder, den L ä s t r i g o n e n - K ö n i g , und mit S c y l l a den P o l y p h e m und die C h a r y b d i s uns 10
darinn zu zeigen. Er beginnt d i e W i e d e r k e h r d e s D i o m e d e s nicht von M e l e a g e r s Tod, noch den Trojanschen Krieg von L e d a s E y e r n : 2 0 ) Stets eilt er, ohne Hast, zum Ende fort, stürzt seinen Hörer mitten in die Sachen, als wären sie ihm schon bekannt, hinein, läßt liegen, was nicht glänzend sich behandeln läßt, Quanto rectius h i c , qui nil molitur inepte: D i c m i h i , m u s a , v i r u m , c a p t a e p o s t t e m p o r a Tr o j a e qui mores hominum multorum vidit et urbes.
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Non fumum ex fulgore, sed ex fumo dare lucem cogitat, ut speciosa dehinc miracula promat, Antiphatim Scyllamque et cum Cyclope Charybdim; nec reditum Diomedis ab interitu Meleagri, nec gemino bellum Trojanum orditur ab ovo; semper ad eventum festinat et in medias res, non secus ac notas, auditorem rapit, et quae desperat tractata nitescere posse, relinquit,
19) H o m e r . 20) Aus deren einem die schöne Helena ausgekrochen seyn soll. Wieder eine Anspielung auf 30
verunglückte alte Poeten, von denen wir nichts mehr wissen. M e l e a g e r , einer der A r g o n a u t e n und der griechischen Fürsten, die die berühmte C a l y d o n i s c h e B e s t i e (wie sie Hr. H e d e r i c h nennt) erlegten, war ein Oheim des aus Homer und Virgil bekannten Diomedes. Seine Helden- und Wunder-Geschichte ist zu weitläufig um hier erzählt zu werden.
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und lügt, mit Einem Wort, so schön, mengt Wahr und Falsches so künstlich in einander, daß das Ganze aus Einem Stücke scheint, und, bis zum Schluß sich selber ähnlich, täuscht, gefällt, entzükt. Nun hör auch du, der auf dem Schauplaz uns zu unterhalten wünscht, was ich und was das Publicum mit mir von dir verlangt. Wofern’s um Hörer dir zu thun ist, die des Vorhangs Fall erwarten, und so lange bis der Sänger Plavdite uns zuruft, sitzen bleiben:
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so mußt du jedes Alters Sitten richtig zeichnen, und jedem den Charakter und die Farbe die ihm gebührt, genau zu geben wissen. Kaum kann der Knabe reden, kaum bezeichnet sein kleiner Fuß mit sicherm Tritt den Boden, so spielt er gern mit Kindern seines Alters; erboßt sich leicht um nichts, läßt durch ein Nichts gleich wieder sich besänftigen, und verändert, wie ein Apriltag, sich, von Stund zu Stunde. atque ita mentitur, sic veris falsa remiscet, primo ne medium, medio ne discrepet imum. Tu, quid ego et populus mecum desideret, audi. Si plausoris eges aulaea manentis et usque sessuri donec cantor „ v o s , p l a u d i t e ! “ dicat: aetatis cujusque notandi sunt tibi mores mobilibusque decor naturis dandus et annis. Reddere qui voces jam scit p u e r et pede certo signat humum, gestit paribus colludere, et iram colligit ac ponit temere, et mutatur in horas.
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Der Jüngling ohne Bart, von seinem Hüter endlich befreyt, hat Lust zu Pferden und zu Hunden, er liebt im sonnenreichen C a m p u s sich herumzutummeln, nimmt wie Wachs des Bösen Eindruk an, weist guten Rath und Warnung trotzig ab; denkt immer an das Nüzliche zulezt,21) verstreut sein Geld wie Sand, ist stolz und rasch in seinen Leidenschaften, aber läßt was er mit Hitze kaum geliebt, gleich schnell, 10
für etwas Neues das ihn anlokt fahren. Bald ändert sich das Alles, und an Jahren und Denkart nun ein M a n n , bewirbt er sich um Freunde, Rang, Vermögen, Ehrenstellen, er lebt nach einem Plan, und hütet sich nichts zu beginnen das ihn reuen müßte. Dem A l t e n kommt viel Noth und Ungemachs unmerklich übern Hals; entweder, daß er immer zusammenscharrt, und doch, aus Furcht zu darben, Imberbis j u v e n i s , tandem custode remoto,
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gaudet equis canibusque et aprici gramine campi; cereus in vitium flecti, monitoribus asper, utilium tardus provisor, prodigus aeris, sublimis cupidusque et amata relinquere pernix. Conversis studiis a e t a s animusque v i r i l i s quaerit opes et amicitias, inservit honori, commisisse cavet quod mox mutare laboret. Multa s e n e m circumveniunt incommoda, vel quod quaerit et inventis miser abstinet ac timet uti;
21) Utilium tardus Provisor heißt dem Sanadon und Batteux n e p r e v o i t p o i n t s e s b e 30
s o i n s . In dieser nachläßigen Manier war es freylich eine leichte Arbeit den Horaz zu übersetzen. Was Horaz sagt und sagen will, ist von weit größerm Umfang.
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sich den Gebrauch verweigert — oder, weil er alles kalt und furchtsam treibt, und überall Bedenklichkeiten sieht. Er zaudert immer, sezt immer weiter sich sein Ziel hinaus, verliert den gegenwärtigen Augenblik und lebt im künftigen; voller Schwierigkeiten, verdrieslich, übeltrauend, hat er immer was zu klagen, ist der ewige Leichenredner der weiland guten Zeiten, da er noch ein Knabe war, der ewige Censor und
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Zuchtmeister aller jüngern, die i z t sind was er, z u s e i n e r Z e i t , gewesen war. Viel Gutes bringen uns die Jahre,22) wenn sie kommen, mit, viel nehmen sie uns wieder so wie sie allgemach zurückegehn. Der Dichter nehme also wohl in Acht, was jedem Alter zukömmt, daß er nicht dem Alten eine Jünglings-Rolle, noch dem Knaben gebe was des Mannes ist! vel quod res omnes timide gelideque ministrat,
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dilator, spe longus, iners, avidusque futuri, difficilis, querulus, laudator temporis acti se puero, censor castigatorque minorum. multa ferunt anni venientes commoda secum, Multa recedentes adimunt. Ne forte seniles mandentur juveni partes, pueroque viriles semper in adjunctis aevoque morabimur aptis.
22) Man pflegt zu sagen, die Jahre kommen zu uns bis zum 46 und von da an entfernen sie sich wieder von uns, sagt ein alter Scholiast. Das Bild ist vom jährlichen Sonnenlauf und dem daher entstehenden Zu- und Abnehmen der Tage hergenommen.
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Die Handlung wird entweder vor den Augen der Gegenwärtigen verhandelt, oder bloß erzählt. Hier sehe sich der Dichter vor! Was durch die Ohren in die Seele geht rührt immer schwächer, langsamer, als was die Augen sehen, deren Zeugnis uns ganz anders überzeugt, als fremder Mund.
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Doch darf darum nicht alles auf die Scene gebracht seyn, sondern manches muß den Augen entzogen werden, was viel schiklicher von einem andern, der als Augenzeuge spricht, mit Feuer und Begeistrung des Moments erzählt auch uns vergegenwärtigt wird. M e d e a soll nicht vor dem Chor und Uns die Kinder würgen, noch der Unmensch A t r e u s der Neffen Fleisch vor unsern Augen kochen; noch wandle P r o g n e auf der Bühne sich in eine Schwalb’ und K a d m u s in den Drachen. Ein Stük, das fortzuleben und bey Meisterwerken zu stehen wünscht, soll weder weiter als zum fünften Act gedehnt, noch kürzer seyn. Aut a g i t u r res in scenis, aut a c t a r e f e r t u r . Segnius irritant animos demissa per aurem quam quae sunt oculis subjecta fidelibus, et quae ipse sibi tradit spectator. Non tamen intus digna geri, promes in scenam, multaque tolles ex oculis, quae mox narret facundia praesens: nec pueros coram populo Medea trucidet aut humana palam coquat exta nefarius Atreus, aut in avem Progne vertatur, Cadmus in anguem; quodcunque ostendis mihi sic, incredulus odi. Neve minor, neu sit quinto productior actu fabula, quae posci vult et spectata reponi;
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Auch soll kein Gott sich in die Handlung mischen, wofern der Knoten seine Zwischenkunft nicht unvermeidlich macht und — ihrer würdig ist: noch soll der Dichter seine Scene, gegen der großen Meister Beyspiel, mit der v i e r t e n P e r s o n beladen. Ihre Stelle mag d e r C h o r vertreten, der von Anfang bis zu Ende seinen Antheil an der Handlung behaupten muß: so, daß er niemals zwischen den Acten etwas singe, das zum Zwek
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nichts taugt und sich auf das, was vorgeht, nicht genau beziehet. Seine Rolle ist den Guten hold zu seyn, sie zu berathen, im Zorne sie zurükzuhalten, und im Kampf der Leidenschaft und Pflicht zu unterstützen. Er preis’ uns an die leicht besezte Tafel der Mäßigkeit, die heilsame Justiz, das Glük des Ruhestands bey ofnen Thoren. Was ihm vertraut wird wiß’ er zu verschweigen; auch wend’ er öfters an die Götter sich
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mit fey’rlichem Gebet, und flehe um die Rettung der unterdrückten Unschuld, und des Stolzen Fall!
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nec Deus intersit, nisi dignus vindice nodus inciderit, nec quarta loqui persona laboret. Actoris partes chorus officiumque virile defendat; neu quid medios intercinat actus quod non proposito conducat et haereat apte. Ille bonis faveatque, et consilietur amicis, et regat iratos, et amet peccare timentes; ille dapes laudet mensae brevis, ille salubrem justitiam legesque et apertis otia portis; ille tegat commissa, deosque precetur et oret ut redeat miseris, abeat fortuna superbis.
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Die Flöte, die den Chorgesang begleitet, war anfangs nicht wie jezt mit Erzt verbunden,23) sie war noch dünn, und hatte wenig Löcher,24) und einen schwachen Ton, der doch den Chor zu unterstützen schon genugsam war, weils überflüßig war mit stärkerm Laut die noch nicht dichten Sitze anzufüllen, worinn ein leicht zu zählend Volk, das noch bescheiden war und fromm, in großer Zucht beysammen saß. Allein, nachdem durch Siege der Staat erweitert, und die alten Mauern zu enge worden, und nun auch an Festen den ganzen langen Tag den Genius mit Wein zu regalieren, Sitte ward: da mußte nun auch der Musik, wie allem, mehr Luft und Spielraum zugestanden werden. Ein Volk von ungebildetem Geschmak das seiner Sorgen sich entladen hatte, Tibia non, ut nunc, orichalco vincta tubaeque aemula, sed tenuis simplexque foramine pauco aspirare et adesse choris erat utilis, atque nondum spissa nimis complere sedilia flatu, quo sane populus numerabilis, utpote parvus, et frugi castusque verecundusque coibat. Postquam coepit agros extendere victor et urbem latior amplecti murus, vinoque diurno placari Genius festis impune diebus, accessit numerisque modisque licentia major. Indoctus quid enim saperet, liberque laborum 23) Orichalco vincta; diese Flöte war vermuthlich eine Art von Hautbois. 24) Die Flöten hatten Anfangs nur vier Löcher. A n t i g e n i d a s von Theben, der Meister des Alcibiades auf der Flöte, vermehrte ihre Anzahl (Theophrast. Histor. Plant. IV. 12.) und vermuthlich profitierte auch das Theater zu Athen, wo die Chöre mit Flöten begleitet worden, von der grössern Vollkommenheit, die dieser Virtuose seinem Instrumente gab.
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und nun, nach Seiner Weise, sich was Rechtes zu gut thun wollte, Bauer, Städter, Pöbel und Adel, alles durcheinander gemengt, — war, wenn es nur belustigt wurde, gleichgültig w i e ? Und also nahm sich auch der Flötenspieler mehr heraus, und füllte im schleppenden Talar, mit seinem üppigern Getön und freyern Tanz die ganze Scene. Gleichmäßig ließ, des alten Ernsts entbunden, die Leyer sich mit neuen Sayten hören.25)
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Natürlich wollte dann der Dichter, der den Chor regierte, nicht allein zurückebleiben. Sein Chorgesang nahm einen höhern Schwung, in einer unerhörten Art von Sprache stürzte sich seine schwärmende Beredsamkeit daher, und seine tiefer Weisheit vollen und Zukunft ahnenden Sentenzen glichen an Dunkelheit den Delphischen Orakeln. (D) Noch mehr. Der Sänger, der am Bacchusfeste, um einen schlechten Bock, mit Heldenspielen
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rusticus, urbano confusus, turpis honesto? Sic priscae motumque et luxuriem addidit arti tibicen, traxitque vagus per pulpita vestem; sic etiam fidibus voces crevere severis, et tulit eloquium insolitum facundia praeceps utiliumque sagax rerum et divina futuri sortilegis non discrepuit sententia Delphis. Carmine qui tragico vilem certavit ob hircum
25) Auch die L y r a hatte anfangs nur 3 oder 4 Sayten. Te r p a n d e r , ein berühmter Name unter den alten Musikern, vermehrte sie auf s i e b e n , und Timotheus, ein Virtuos der zu Platons Zeiten lebte, auf zehn.
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zu streiten pflegte, kam bald auf den Einfall, das ernste Stück26) mit etwas abzuwechseln, das, ohne völlig aus dem vorigen Ton zu kommen, muntern Scherz mit Ernst vermählte; und so entstand ein neues Spiel, worinn halb nakte Satyrn vom Silen geführt den Chor vertraten27). Denn es war dem Dichter bloß darum zu thun, ein rohes trunknes Volk, das, nach vollbrachtem Gottesdienst, den Rest 10
des Feyertages sich erlustigen wollte, durch etwas Neues seinen bäurischen Geschmack piquierendes zu seiner Bude herbey zu locken. Doch, auch diese Art von freyer Dichterey hat ihre Regeln; und ob der Laune des geschwätzigen und immer lachenden Silenen-Chors schon viel erlaubt ist, soll der Übergang vom Ernst zum Spaß sich doch mit Anstand machen; und wenn ein Heros, oder Gott, der kaum
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in königlichem Gold und Purpur sich mox etiam agrestes Satyros nudavit, et asper incolumi gravitate jocum tentavit, eo quod illecebris erat et grata novitate morandus spectator functusque sacris et potus et exlex. Verum ita risores, ita commendare dicaces conveniet Satyros, ita vertere seria ludo, ne quicunque Deus, quicunque adhibebitur Heros, regali conspectus in auro nuper et ostro,
26) Die eigentliche Tragödie. 30
27) Griechen und Römer liebten diese Art von Bürlesken sehr und die grösten Dichter gaben sich damit ab. Der C y c l o p s des Euripides ist das einzige Stük dieser Art, das bis zu uns gekommen ist, und aus diesem kann man sich was Horaz hier von dieser Gattung sagt, am besten erläutern.
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gezeigt, hernach im Satyrspiel von neuem zum Vorschein kommt:28) soll seine Sprache weder zum Staub und Schmutz der pöbelhaften Posse heruntersinken, noch, aus Furcht am Boden hin zu kriechen, steigen und in Wolken taumeln. Kurz, nie vergesse die Tragödie was für sie sich schikt; und, wenn sie auch bey losen Satyrn sich erblicken läßt, so zeig’ uns ihr Erröthen die züchtige Verwirrung einer ehrbarn Frau die öffentlich am Festtag tanzen muß!
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Ich, wenn ich Satyrn schreiben sollte, würde mich nicht bloß an Wörter des gemeinen Lebens halten, und, ohne je dem Ton des Heldenspiels zu nah zu kommen, würd’ ich Mittel-Tinten zu finden wissen, daß der Unterschied von einem D a v u s , einer frechen P y t h i a s 2 9 ) die ihren alten Herrn um tausend Thaler schnäuzt, und von dem Pflegevater eines Gottes,30) auch in der Art zu reden merklich würde. migret in obscuras humili sermone tabernas, aut dum vitat humum, nubes et inania captet: Effutire leves indigna Tragoedia versus, ut festis matrona moveri jussa diebus intererit Satyris paulum pudibunda protervis. Non ego inornata et dominantia nomina solum verbaque, Pisones, Satyrorum scriptor amabo; nec sic enitar tragico differre colori ut nihil intersit Davusne loquatur et audax Pythias, emuncto lucrata Simone talentum, an custos famulusque dei Silenus alumni. 28) Wie z. B. U l y s s e s im Cyklops des Euripides. 29) Pöbelhafte Personen die gewöhnlich in den Komödien vorkommen. 30) S i l e n u s .
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Aus lauter jedermann bekannten Wörtern wollt ich mir eine neue Sprache bilden, so, daß jeder dächt’ er könnt’ es auch, und doch, wenn ers versucht’ und viel geschwizt und lange sich dran zermartert hätt’, es doch zulezt wohl bleiben lassen müßte! — Lieben Freunde, soviel kommt auf die Kunst des Mischens an! Soviel kann dem Gemeinsten bloß die Stellung und Nüancierung Glanz und Würde geben!31) 10
Auch dafür wollt ich, im Vorbeygehn, noch die F a u n e n , 3 2 ) die man uns aus ihren Wäldern so häuffig auf die Bühne bringt, wohlmeynend gewarnet haben: weder in so niedlichen und schmucken Versen ihre Artigkeit zu zeigen, daß man junge, mitten in Rom erzogne Herr’n zu hören glaubt, noch zu Vermeidung dieses Übelstands mit Schmuz und groben Zoten um sich her Ex noto fictum carmen sequar, ut sibi quivis
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speret idem; sudet multum, frustraque laboret ausus idem: tantum series juncturaque pollet; tantum de medio sumtis accedit honoris. Silvis deducti caveant, me judice, Fauni, ne, velut innati triviis ac pene forenses, aut nimium teneris juvenentur versibus umquam aut immunda crepent ignominiosaque dicta.
31) Diese Stelle ist sehr merkwürdig. Sie enthält eine von den großen Mysterien der Kunst, welche Horaz ganz zuversichtlich ausschwatzen durfte, ohne Furcht, daß er den Amyhtoiw etwas verrathen habe. 30
32) Faunen und Satyrn werden hier vermengt, wiewohl ihr Unterschied bekannt ist. Die Faunen waren die Satyrn der Lateiner, nur daß ihre Gestalt mehr menschliches und ihr Charakter mehr ländliche Einfalt und Hirtenmäßiges hat.
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zu werfen. Denn die Leute, die ein Pferd und einen Vater und was Eignes haben,33) erbauen sich an dieser Art von Wiz nicht sonderlich; und wenn den Käuffern der dürren Erbsen etwas gleich gefällt, ists keine Folge, daß auch jene dran Belieben finden und den Dichter krönen werden. Ein Sylbenfuß, wo eine lange Sylbe auf eine kurze folget, wird ein Jambus genennt. Ein schneller Fuß! Daher vermuthlich,
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daß Verse von sechs Jamben Tr i m e t e r 3 4 ) zu heissen pflegen. Anfangs wurden sie ganz rein gemacht, und einer wie der andre. Allein schon lange nahm der Jamben-Vers, um etwas langsamer und feyerlicher zu gehn, den ruhigern Spondeus Offenduntur enim quibus est equus et pater et res; nec, si quid fricti ciceris probat et nucis emtor, aequis accipiunt animis, donantve corona. Syllaba longa brevi subjecta vocatur Iambus;
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pes citus; unde etiam trimetris accrescere iussit nomen Iambeis, cum senos redderet ictus, primus ad extremum similes sibi: non ita pridem, tardior ut paulo graviorque veniret ad aures, spondeos stabiles in jura paterna recepit
33) Quibus est equus et pater et res, d. i. die Ritter, die Patrizier, und Leute von Vermögen. Das ungemein komische und Beissende in dieser Art sich auszudrücken, kann dem, der es nicht selbst merkt, nicht wohl erklärt werden. 34) Weil man in dieser Versart immer zween Füße zusammenrechnete, welches eine D i p o d i a hieß. Denn der Zahl der Füße nach müßten sie Hexameter heissen; und vielleicht gab man ihnen jenen Nahmen bloß zum Unterschied von dem Homerischen Hexameter.
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gefällig auf; doch, daß er aus der zweyten und vierten Stelle nie verdrängt zu werden sich vorbehielt.35) So findet man ihn auch, doch selten, in den hochberühmten Tr i m e t e r n des alten A c c i u s : allein die Centnerschweren Verse36) die Vater E n n i u s auf unsre Bühne schleudert, beschuldigen ihn entweder, sichs zu leicht gemacht und sehr geeilt zu haben, oder einer nicht rühmlichen Unwissenheit der Kunst. Zwar freylich hat nicht jeder Richter Ohren
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für übel modulierte Verse, und man hat den Römischen Dichtern über diesen Punct mehr nachgesehen als uns Ehre macht. Und soll ich nun, um so gefälliger und nachsichtsvoller Ohren willen, mich //
von aller Regel loß und ledig glauben? commodus et patiens; non ut de sede secunda cederet aut quarta socialiter: hic et in Accıˆ nobilibus Trimetris apparet rarus, et Enni
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In scenam missos magno cum pondere versus, aut operae celeris nimium curaque carentis, aut ignoratae premit artis crimine turpi. Non quivis videt immodulata poemata judex, et data Romanis venia est indigna poe¨tis. Idcircone vager, scribamque licenter? Ut omnes
35) Der Jambische Trimeter der Alten bestehet aus drey D i p o d i e n , deren erste und zweyte gemeiniglich folgendes Sylben-Schema die dritte , beym Sophokles hat. Aeschylus nähert sich dem ursprünglichen Trimeter noch mehr; aber ein Stük aus lauter reinen Jamben würde in der Griechischen Sprache kaum möglich gewesen seyn. 30
36) In scenam missos magno cum pondere versus, ein sehr komischer Ausdruk, der auch die Jamben des Euripides nicht selten trift, worinn die Spondeen oft mächtig gehäuft sind.
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Doch, wenn ich auch — als ob die ganze Welt, sobald ich fehle, mich beschreyen würde — vor Fehlern mich gehütet habe, — gut! so hab ich immer nur gerechten Tadel vermieden, lange noch kein Lob verdient. Dies zu begreiffen, Freunde, leset, leset bey Tag und Nacht, der Griechen Meisterstücke!37) Indessen haben eure Ahnen doch des P l a u t u s hoch erhoben — zu geduldig die s c h ö n e n Verse und die f e i n e n Scherze
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in beydem, um nicht etwas härters noch zu sagen! Wenn wir anders, Ihr und ich, ein frostiges Bon-Mot von einem Guten zu unterscheiden, und, wie Verse klingen müssen, durchs Ohr zu prüfen, oder wenigstens doch an den Fingern abzuzählen wissen. (E)
//
Für den Erfinder der Tragödie wird T h e s p i s angesehn, der seine Stücke auf Bauerkarren durch die Dörfer führte, visuros peccata putem mea tutus, et intra
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spem veniae cautus, vitavi denique culpam non laudem merui. Vos exemplaria Graeca nocturna versate manu, versate diurna. At nostri proavi Plautinos et numeros et laudavere sales: nimium patienter utrosque, ne dicam stulte, mirati; si modo ego et vos scimus inurbanum lepido seponere dicto, legitimumque sonum digitis callemus et aure. Ignotum tragicae genus invenisse Camenae dicitur, et plaustris vexisse poemata, Thespis, 37) Den Commentar zu dieser Vermahnung giebt Horaz selbst V. 617. u. f.
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und von Personen, die mit Hefen sich geschminkt, absingen und agieren ließ. Nach ihm war A e s c h y l u s der zweyte, oder vielmehr der wahre Vater dessen, was den Namen eines Heldenspiels mit Recht verdiente.38) Er erfand die Maske und den Kothurn, erweiterte den Schauplaz, veredelte die Kleidung, und (was mehr ist) den wahren Ton der Tragischen Camöne, die Er zuerst erhaben sprechen lehrte.
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Ein wenig später that sich auch die Alte Komödie hervor, nicht ohne vielen Beyfall: allein die Freyheit, die man zu Athen ihr zugestanden, artete zulezt in eine Frechheit aus die nicht zu dulden war, so daß die Policey ins Mittel treten mußte. (F) Des Lustspiels Chor, sobald der Stachel ihm //
benommen war, verstummte — und verschwand. quae canerent agerentque peruncti faecibus ora.
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Post hunc personae pallaeque repertor honestae Aeschylus, et modicis instrauit pulpita tignis, et docuit magnumque loqui, nitique cothurno. Successit vetus his Comoedia, non sine multa laude; sed in vitium libertas excidit, et vim dignam lege regi: lex est accepta, chorusque turpiter obticuit, sublato iure nocendi.
38) Ich gestehe, daß ich hier, aus Ehrfurcht gegen die M a n e s des Göttlichen Aeschylus, etwas mehr gesagt habe, als Horaz; indessen ists in animam Horatii; denn an seinem Respect für den Aeschylus zu zweifeln, würde beynahe eben so große Sünde seyn, als den Dichter der E u m e n i 30
d e n und des A g a m e m n o n so ohne Ceremonie mit T h e s p i s in Eine Categorie zu werfen.
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Von diesem Allen haben unsre Dichter nichts unversucht gelassen; und gewiß verdienten jene nicht das kleinste Lob, die sich getrauten aus der Griechen Fußtritt herauszutreten, vaterländische Thaten zu singen, und im Lust und Trauerspiel uns Römische Personen vorzuführen.39) Auch würde Latium gewiß durch seine Sprache,40) nicht weniger als durch die Kunst zu siegen und zu regieren, über Griechenland den Rang behaupten, wenn nicht unsre Dichter der Feile Arbeit haßten, und die Zeit, die drüber hingeht, für verlohren hielten.
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Ihr, N u m a’ s e d l e S p r o s s e n , 4 1 ) lasset kein Gedicht vor euern Augen Gnade finden, das nicht durch viel L i t u r e n zur Correctheit Nil intentatum nostri liquere poetae, nec minimum meruere decus, vestigia Graeca ausi deserere, et celebrare domestica facta, vel qui Praetextas, vel qui docuere Togatas. Nec virtute foret, clarisue potentius armis, quam lingua, Latium; si non offenderet unumquemque poetarum limae labor et mora. Vos, o Pompilius sanguis, carmen reprehendite, quod non multa dies et multa litura coercuit, atque
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39) Horaz, um doch etwas an seinen Römischen Dichtern zu loben, rühmt wenigstens den Patriotismus eines Aelius Lamia, Afranius, Pomponius u. a. welche Praetextatas und Togatas, d. i. Tragödien und Komödien mit Römischen Personen auf die Bühne gebracht. Das Compliment, das er bey dieser Gelegenheit dem Römischen Genie macht, konnten sich die Griechen unpräjudicierlich gefallen lassen. 40) oder L i t t e r a t u r ; denn die ist bey den Römischen Autoren mit S p r a c h e synonym. 41) O Pompilius sanguis! Die Calpurnische Familie leitete ihren Stammbaum von C a l p u s , einem Sohn des Königs Numa ab, wie Plutarch und Festus bezeugen; wiewohl einige Geschichtschreiber diesem Könige nur eine Tochter zugestunden. Wenigstens war die Tradition auf Seiten der Calpurnier.
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gebracht, und, bis das leiseste Gefühl nichts mehr von Fugen spürt, geglättet worden.
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Weil D e m o k r i t dem glüklichen G e n i e den Vorzug vor der armen Tröpfin K u n s t gegeben, und die Dichter die nicht rasen vom Pindus ausgeschlossen haben will: (G) so treibts ein guter Theil der unsrigen soweit, sich weder Bart noch Nägel stutzen zu lassen, weder Kamm noch Schwamm zu dulden, Bäder wie verdächtige Häuser zu fliehen, und, Gespenstern gleich, in öden von Menschen unbetretnen Gegenden herumzuirren; fest beglaubt, ein Kopf der dem barbierenden Senator L i c i n u s 42 ) sich nie vertraut, und den drey Anticyren43) nicht heilen könnten, sey zum Dichterkopf allein gemacht, und würdig von den Musen bewohnt zu werden. Was ich für ein Thor bin, perfectum decies non castigauit ad vnguem. Ingenium misera quia fortunatius arte credit, et excludit sanos Helicone poetas Democritus, bona pars non ungues ponere curat, non barbam, secreta petit loca, balnea vitat. Nanciscetur enim pretium nomenque poetae, si tribus Anticyris caput insanabile numquam tonsori Licino commiserit. O ego laevus, 42) Ein A r i s t o p h a n i s c h e r Zug! J u l i u s C ä s a r hatte einen gewissen Barbier Namens L i c i n u s in den Senat aufgenommen, weil er ein eifriger Anti-Pompejaner war. Licinus wurde so reich, daß ihm seine Erben ein Grabmal von Marmor setzen ließen, welches einem Biedermann zu
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folgender Grabschrift Anlaß gab: M a r m o r e o tumulo Licinus jacet, at C a t o nullo, P o m p e j u s parvo! Quis credat esse Deos? 43) d. i. alle Niesewurz, die in drey Anticyren wachsen könnte. Die Insel Anticyra war sehr fruchtbar an dieser heilsamen Pflanze.
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an jedem Frühling mir die Galle auszufegen! Kein andrer sollte beßre Verse machen! Doch, sey es drum! Wofern ich selber auch nichts schreibe, kann ich doch, dem Schleifstein gleich der selber zwar nicht schneidet, aber doch das Eisen schneidend macht,44) die Andern lehren was einen Dichter bilde, was ihn nähre, was ihm gezieme oder nicht, und welche Wege zum Nachruhmstempel führen, oder in die Sümpfe wo Aganippens Quelle sich verliert?
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Um gut zu s c h r e i b e n , muß ein Autor erst Verstand und Sinn, um gut zu d e n k e n , haben. An Stoff wirds d i e S o k r a t i s c h e S c h u l e euch nicht fehlen lassen, und dem wohldurchdachten Stoffe schmiegt sich von selbst der gute Ausdruck an. Wer recht gelernt hat, was er seinen Freunden, was seinem Vaterlande schuldig sey? mit welcher Lieb ein Vater, Bruder, Gastfreund, qui purgor bilem sub verni temporis horam! Non alius faceret meliora poemata: verum Nil tanti est. Ergo fungar vice cotis, acutum reddere quae ferrum valet, exsors ipsa secandi: Munus et officium, nil scribens ipse, docebo; unde parentur opes; quid alat formetque poetam; quid deceat, quid non; quo virtus, quo ferat error. Scribendi recte, sapere est et principium et fons. Rem tibi Socraticae poterunt ostendere chartae: Verbaque provisam rem non invita sequentur. Qui didicit, patriae quid debeat, et quid amicis, quo sit amore parens, quo frater amandus, et hospes, 44) — — — — I c h t r a c h t e d e n P o e t e n H i n f o r t e i n S p o r n z u s e y n , e i n We z s t e i n i h r e r F l ö t e n ! G o t t s c h e d in seiner Poetischen Übers. von Horazens Dichtk.
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zu lieben? was des Staatsmanns, was des Richters und was des Feldherrn Amt und Pflicht erfodre? Der wird, was jeder Roll’ in jedem Falle geziemt, unfehlbar stets zu treffen wissen. Doch nie vergesse der gelehrte Zögling der dichterischen Bildnerkunst, auch auf d i e S i t t e n s c h u l e und d i e l e b e n d e n M o d e l l e u m i h n h e r die Augen stets zu heften, und daraus d i e w a h r e S p r a c h e d e s L e b e n s u n d d e s U m g a n g s herzuhohlen. Nicht selten sieht man daß ein wohlgezeichnetes C h a r a k t e r s t ü c k , wiewohl sonst ohne Reiz und Styl und Kunst, beym Volke mehr gewinnt und besser unterhält, als schöne Verse an Schall und Wohlklang reich, an Sachen leer. Den Griechen, Freunde! (immer komm’ ich wieder auf dies zurück) den Griechen gab die Muse zugleich Genie und feines Kunstgefühl, die Gabe der Empfindung und des schönen runden Ausdruks: aber ihre Seelen kannten auch sonst keinen Geiz als den nach Ruhm.45) quod sit conscripti, quod iudicis officium, quae partes in bellum missi ducis: ille profecto reddere personae scit convenientia cuique. Respicere exemplar vitae morumque iubebo doctum imitatorem, et veras hinc ducere voces. Interdum speciosa locis, morataque recte fabula, nullius veneris, sine pondere et arte, valdius oblectat populum, meliusque moratur, quam versus inopes rerum, nugaeque canorae. Graiis ingenium, Graiis dedit ore rotundo musa loqui, praeter laudem nullius avaris. 45) O der goldnen Worte! — aber zur Zeit der großen Dichter und Weisen Griechenlands war es auch noch keine S c h a n d e arm zu seyn; und ein großer Mann, der arm starb, durfte nicht
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579—617/302—324
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Der Römer lernt von Kindesbeinen an das A s in hundert Theile theilen. Ruft, zur Probe, nur den kleinen Sohn des Wechslers Albinus her, und fragt ihn aus. „Die Hälfte von einem halben Gulden abgezogen, was bleibt?“ — Ey, spricht er lachend, was wird bleiben? V i e r G r o s c h e n . — „Braver Junge! D e r wird sein Vermögen nicht vergeuden! — Und zum halben Gulden noch die vier hinzugethan, macht —?“ — E i n e n h a l b e n T h a l e r . Wie? Und von Seelen, die mit diesem Rost von Habsucht einmal überzogen sind, erwarten wir Gedichte, die vor Motten verwahrt zu werden je verdienen könnten?46)
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Des Dichters Zwek ist z u b e l u s t i g e n , oder z u u n t e r r i c h t e n , oder b e y d e s z u v e r b i n d e n ; und unter einer angenehmen Hülle uns Dinge die im Leben brauchbar sind zu sagen. Romani pueri longis rationibus assem discunt in partes centum diducere. Dicat filius Albini, si de quincunce remota est uncia, quid superat? poteras dixisse. Triens. Eu! Rem poteris servare tuam. Redit uncia: quid fit? Semis. At haec animos aerugo et cura peculi cum semel inbuerit, speramus, carmina fingi posse, linenda cedro, et levi servanda cupressu? Aut prodesse volunt, aut delectare, poetae; aut simul et iucunda et idonea dicere vitae.
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befürchten, daß seine Kinder betteln müßten! — Auch war es ein sehr kleiner Zeitraum, worinn diese Nation große Köpfe hervorbrachte, und ihrer — werth war! 46) Wenn die Epistel an die Pisonen auch nichts vortrefliches enthielte als diese Stelle, vom 617 bis zum 636sten Verse, so müßte sie ihrem Verfasser das Herz jedes edeln Menschen gewinnen!
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Lehrt er, so sey er kurz! Was schnell gesagt wird, faßt der lehrbegierige Geist geschwinder auf und hält es fester. Wie die Seele voll ist, läuft das überflüßige ab. Was bloß zur Lust erdichtet wird, sey stets der Wahrheit ähnlich, und um je weiter sich die Phantasie von ihr entfernt, je stärker sey die Täuschung! Das M ä h r c h e n s e l b s t soll nicht verlangen, daß ihm Alles 10
geglaubet werd’, und nicht den Knaben, den die Lamia47) aufgegessen, wieder frisch und ganz aus ihrem Leibe ziehen! Der g r a u e T h e i l d e s P u b l i k u m s verdammt was ohne Nutzen ist; hingegen steigt die j u n g e M a n n s c h a f t stolz bey einem ernsten Gedicht vorbey. D e r aber, der das Nüzliche s o mit dem Angenehmen zu verbinden weiß, daß er den Leser im Ergötzen b e s s e r t , Quidquid praecipies, esto brevis; ut cito dicta
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percipiant animi dociles, teneantque fideles: omne supervacuum pleno de pectore manat. Ficta voluptatis caussa sint proxima veris: nec, quocumque volet, poscat sibi fabula credi; neu pransae Lamiae vivum puerum extrahat aluo. Centuriae seniorum agitant expertia frugis: celsi praetereunt austera poemata Rhamnes: omne tulit punctum, qui miscuit utile dulci, lectorem delectando, pariterque monendo.
47) Die L a m i a war in den Kindermährchen der Alten ungefehr was die Popanzinnen 30
(ogresses) die Nachtfrau, und andre dergleichen Unholdinnen in den modernen sind. Sie wurde als eine Frau mit Eselsfüssen abgebildet, und fraß die Kinder lebendig auf, wenn sie nicht fromm seyn wollten.
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618—652/325—344
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vereinigt alle Stimmen. Solch ein Werk verdient d e n S o s i e r n 4 8 ) Geld, geht übers Meer, macht seines Meisters Namen allen Zungen geläufig und der späten Nachwelt werth! Indessen sind auch Fehler denen man Verzeihung schuldig ist: denn immer giebt die Saite nicht den Ton, den Seel’ und Hand verlangte, giebt nur allzuoft für einen tiefen, einen höhern an; und auch der beste Bogen trift nicht immer.
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Doch, wenn in einem Werk das meiste glänzt, so sollen wenig Flecken mich nicht ärgern, die des Dichters Fleiß entwischt sind, oder, weil er doch nur Mensch ist, nicht von ihm verhütet werden konnten. Nur, daß die Herren diese Clausel sich nicht gleich zu Nuze machen! Denn, wie ein Copist, der, aller Warnung ungeachtet, immer am gleichen Worte sich verschriebe, keine Entschuldigung verdiente; wie ein Geiger Hic meret aera liber Sosiis; hic et mare transit,
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et longum noto scriptori prorogat aevum. Sunt delicta tamen, quibus ignovisse velimus: nam neque chorda sonum reddit, quem vult manus et mens poscentique gravem persaepe remittit acutum; nec semper feriet quodcumque minabitur arcus. Verum, ubi plura nitent in carmine, non ego paucis offendar maculis, quas aut incuria fudit, aut humana parum cavit natura. Quid ergo? Ut scriptor si peccat idem librarius usque, quamvis est monitus, venia caret; et citharoedus 48) Den Buchhändlern. S. die 2te Erläut. zur 19ten Epistel des I. Th.
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verspottet würde, der die gleiche Note, so oft sie käme, falsch gegriffen hätte: so heißt ein Dichter, der sich oft verschreibt, bey mir ein C h ö r i l u s ; 4 9 ) und wenn ers gleich auch zwey bis dreymal gut gemacht, bewundre ich ihn mit Lachen: wie es mich verdreußt, wenn auch Homer sogar zuweilen — nikt; wiewohl man doch in einem großen Werke vom Schlaf jawohl einmal beschlichen werden kann! Gedichte sind darinn den Mahlereyen gleich,
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daß manche desto mehr die Augen fesseln, je näher man hinzutritt; andre, wenn man weiter zurüktritt erst die rechte Würkung thun. (H) Dies liebt ein schwaches, jenes, das sich nicht vorm schärfsten Auge scheut, ein helles Licht, und wenn das e r s t e einmal uns gefällt, //
wird d i e s e s zehnmal wiederholt gefallen. ridetur, chorda qui semper oberrat eadem: sic mihi, qui multum cessat, fit Choerilus ille,
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quem bis terve bonum cum risu miror; et idem indignor, quandoque bonus dormitat Homerus. Verum opere in longo fas est obrepere somnum. Ut pictura, poesis: erit, quae, si propius stes, te capiat magis; et quaedam, si longius abstes: haec amat obscurum; volet haec sub luce videri, iudicis argutum quae non formidat acumen: haec placuit semel, haec decies repetita placebit.
49) S. die 30ste Erläuterung zur Epistel an August.
¼2. Buch. 3. Brief½
653—688/345—365
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Du, ältester der edlen Jünglinge, wiewohl die Vaterstimme, und dein eignes Gefühl dich schon zum Wahren bilden, präge doch was ich izt sage fest in deinen Sinn. Es giebt der Dinge viel, worinn d i e M i t t e l m ä ß i g k e i t mit gutem Fug gestattet wird. Ein Rechtsgelehrter oder ein Redner vor Gericht kann minder wissen als ein C a s c e l l i u s , an Beredsamkeit weit unter dem M e s s a l a stehn, und hat doch seinen Werth: nur mittelmäßige Dichter schützen50) weder Götter, Menschen, noch Ve r l e g e r vor dem Untergang! Warum — ist leicht zu sehn. So wie ein übelstimmendes Concert bey einer guten Tafel, ein zu dickes Salböl51) oder Mohn mit sardischem Honig52) bloß darum uns beleidigen, weil die Mahlzeit auch ohne sie recht wohl bestehen konnte; O maior iuvenum, quamvis et voce paterna Fingeris ad rectum, et per te sapis; hoc tibi dictum tolle memor: certis medium et tolerabile rebus recte concedi: consultus iuris, et actor caussarum mediocris, abest virtute diserti messallae, nec scit, quantum Cascellius Aulus; Sed tamen in pretio est: mediocribus esse poetis non homines, non Di, non concessere columnae. Vt gratas inter mensas symphonia discors, Et crassum unguentum, et Sardo cum melle papaver, offendunt; poterat duci quia coena sine istis: 50) Ich habe hier lieber das Metrum (wie oben v. 26.) durch zwey Zeilen fortziehen, d. i. eigentlich einen Vers von 10 Jamben machen, als den N u m e r u s des Perioden verderben wollen. Mit beschützen statt schützen wäre der anscheinende Trochäische Vers ein Jambischer gewesen: aber das, was die Schönheit dieser Stelle macht, wäre verlohren gegangen.
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Just so verhält es sich mit einem Dichterwerke. Denn da es bloß d e r S e e l e g ü t l i c h z u t h u n erfunden ist, so senkt es sich, wie’s nur ein wenig vom Vo l l k o m m n e n abweicht, zum S c h l e c h t e s t e n . Wer mit den Waffen, die im C a m p u s üblich sind, nicht umzugehn versteht, der bleibt davon; wer mit dem Ball, dem Discus, oder Reif zu spielen nicht gelernt hat, giebt sich auch damit nicht ab, um nicht dem Volk, das zusieht, zum Gelächter
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zu werden — Wie? und wer die Dichtkunst nie gelernt hat, untersteht sich Verse zu machen. — „Und warum denn nicht? Er ist ja wohl von gutem Hause gnug dazu! Ein freygebohrner biedrer, unbescholtner Mann, von rittermäßigen Renten! und er sollte //
nicht, wenn’s ihn ankömmt, Verse machen dürfen? sic animis natum inventumque poema iuvandis, si paullum summo decessit, vergit ad imum.
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Ludere qui nescit, campestribus abstinet armis; indoctusque pilae, discive, trochive quiescit, ne spissae risum tollant inpune coronae: qui nescit, versus tamen audet fingere. Quid ni? Liber et ingenuus, praesertim census equestrem summam nummorum, vitioque remotus ab omni.
51) Um seine Gäste wohl zu bewirthen, mußte man sie vor der Tafel mit wohlriechenden Ölen für Bart und Haare bedienen lassen. 52) Der Sardinische Honig hatte einen widrigen Beygeschmak wegen der Taxusbäume und bittern Kräuter die dort sehr häuffig sind.
¼2. Buch. 3. Brief½
689—723/366—384
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Ich lasse mirs gefallen — Aber du, mein P i s o — dies verspricht uns dein Verstand und guter Sinn — du wirst, in deinem Leben, mit Minervens Widerwillen nichts beginnen. Doch wenn du jemals etwas schreiben solltest laß Ta r p a’ s (I) Ohr, und deines edeln Vaters und meines Richter seyn; verschließ es dann in deinen Pult und halt’s ins neunte Jahr zurük, so bleibst du Meister wieder auszulöschen was nicht ediert ist. Ein entflognes Wort
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ist nun aus unserm Recht, und kommt nicht wieder. Indessen, daß du über deine Liebe zur Muse mit der goldnen Leyer nicht erröthest,53) so denke, was von ihrem Ursprung an die Kunst der Dichter war. Ward nicht von O r p h e u s , dem heiligen Seher, dem die Götter ihre Mysterien offenbarten, weil er Thraziens halbthierische Bewohner aus dem Wust der Wildheit zog und menschlich leben lernte, Tu nihil invita dices faciesve Minerva;
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id tibi iudicium est, ea mens: si quid tamen olim scripseris, in Maeci descendat iudicis aures, et patris, et nostras; nonumque prematur in annum. Membranis intus positis, delere licebit quod non edideris: nescit vox missa reverti. Silvestres homines sacer interpresque Deorum caedibus et victu foedo deterruit Orpheus;
53) Um mehrerer Deutlichkeit willen musten diese zween Verse, die im Original erst zu Ende dieser Digression über die Dienste, welche die Poesie von jeher der menschlichen Gesellschaft geleistet, stehen, voran geschikt werden.
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gesagt, er habe Tyger zähmen, wüthige Löwen durch seiner Lieder Reiz besänftigen können? Ward von A m p h i o n , des Thebanischen Schlosses Erbauer, nicht gesagt, er habe Felsen und Wälder seiner Leyer süssen Tönen, wohin er wollte, folgsam nachgezogen? Im Heldenalter war’s der Weisen Amt, ein rohes Waldgeschlecht aus ihren Grüften zu ziehn, und an Geselligkeit, und Furcht 10
der Götter, Zucht und Ordnung, zu gewöhnen. Sie stiftete der Ehe keuschen Bund, sie legte Städte an und gab Gesetze: und weil die Zauberkräfte des Gesangs zu allem diesem ihr behülflich waren, so stieg des Sängers Ansehn in den Augen des Volkes, und ein Glaube, daß er näher den Göttern wäre, goß was Göttliches um seinen Mund, und seine Lieder wurden Orakel des Vergangnen und der Zukunft.
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Nun kam Homer, der über alle ragt, und bald nach ihm Ty r t ä u s , dessen Lieder den schönen Tod fürs väterliche Land im Vorderreyhn der Schlacht mit Eifersucht dictus ob hoc lenire tigres, rabidosque leones. Dictus et Amphion, Thebanae conditor arcis, saxa movere sono testudinis, et prece blanda ducere, quo vellet. Fuit haec sapientia quondam, publica privatis secernere, sacra profanis, concubitu prohibere vago, dare iura maritis,
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oppida moliri, leges incidere ligno. Sic honor et nomen divinis vatibus atque carminibus venit. Post hos insignis Homerus, Tyrtaeusque, mares animos in Martia bella
¼2. Buch. 3. Brief½
724—765/385—402
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zu suchen, Sparta’s Männerseelen54) spornte. In Versen gab den Fragenden der Gott zu Delphi Antwort; in der Musensprache wies uns Pythagoras des Lebens Weg.55) Zu ihren süßen Weisen neigte sich das Ohr der Könige, und endlich schloß des Jahres Arbeit sich mit ihren Spielen.56) Den Göttern angenehm, den Menschen hold, und mit des Krieges und des Friedens Künsten gleich freundlich sich verschwisternd, ist fürwahr
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die Kunst der Musen edler Schüler werth! Man pflegt zu streiten, ob Naturkraft, oder ob Kunst ein Dichterwerk vortreflich mache? Mir meines Orts scheint ohne reiche Ader das strengste Studium, und ohne Kunst das beste Naturell gleich unzulänglich. versibus exacuit. Dictae per carmina sortes, et vitae monstrata via est, et gratia regum pieriis tentata modis, ludusque repertus, et longorum operum finis; ne forte pudori
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sit tibi Musa lyrae solers, et cantor Apollo. Natura fieret laudabile carmen, an arte, quaesitum est. Ego nec studium sine divite vena, nec rude quid possit video ingenium; alterius sic
54) Stärker, aber unübersezlich, im Original: mares animos. In der Übersetzung ist dafür (zum Ersaz) auf das berühmte Distichon des Tyrtäus angespielt:
Teunamenai gar kalon epi promaxoisi pesonta Andr’ agauon, peÂri hëì patridi marnamenon. 55) Horaz drükt dies allgemeiner aus, hat aber ohnezweifel auf die aurea carmina der Pythagoräer vorzüglich hier ein Auge gehabt. 56) Mit den Tragödien, Komödien, und andern Theaterspielen, welche anfangs nur nach der Erndte gegeben wurden.
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Keins kann des andern mangeln: aber, freundlich
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vereinigt, glänzen beyde desto mehr. Wer auf der Rennbahn siegen will, der muß als Knabe schon viel thun und leiden, Frost und Hitze dulden, und von Wein und Werken der Venus sich enthalten. Lange hat zuvor der Flötenspieler, der den Pythischen Preis57) verdienen will, sich üben und die Strenge des Meisters fürchten müssen. Nur mit unsern Dichtern ists anders; zuversichtlich giebt sich jeder wofür er will, schimpft tapfer auf die Pfuscher, und will aufs mindste nicht der Lezte seyn; als ob es Schande wäre einem andern in dieser einzigen Kunst was einzuräumen, und nicht zu können, was man nie gelernt. Ein Dichter, der an Renten reicher als an Wiz ist, ruft die Schmeichler zum Gewinn herbey: mir ists, ich höre einen Mäkler zu einer Auction die Leute rufen.
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altera poscit opem res, et coniurat amice. Qui studet optatam cursu contingere metam, multa tulit fecitque puer, sudavit et alsit; abstinuit Venere et vino: qui Pythia cantat Tibicen, didicit prius extimuitque magistrum. Non satis est dixisse, Ego mira poemata pango: occupet extremum scabies! mihi turpe relinqui est, et, quod non didici, sane nescire fateri. Ut praeco, ad merces turbam qui cogit emendas, adsentatores iubet ad lucrum ire poeta dives agris, dives positis in foenore nummis. 57) An den Pythischen Spielen war auch ein Preis für den besten Flötenspieler: und aus der Art wie die Alten davon sprechen, sieht man, daß er sehr schwehr zu verdienen, und also natürlicherweise das höchste Ziel des Ehrgeitzes eines Flötenspielers war.
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766—800/403—421
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Und ist er gar der Mann, bey dem die Herren auf eine gute Tafel rechnen können, der willig ist, für einen armen Schelm sich zu verbürgen, und Credit hat, einem aus einem schlimmen Handel auszuhelfen; so wärs ein Wunder, wenn er von den vielen Freunden, die ihm dies Alles macht, den Wahren aus den Falschen zu kennen wüßte. Du, mein Piso, wenn Du einem was geschenkt hast, oder schenken willst,
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nimm dich in Acht, ihm in der ersten Wallung der Freude deine Verse vorzulesen; dann da versteht sichs, daß er alle Augenblicke o ! s c h ö n ! v o r t r e f l i c h ! h e r r l i c h ! rufen wird. Bey jener Stelle wird er ordentlich erblassen, ja wohl aus seinen treuergebnen Augen dankbare Thränen tröpfeln; wird bey dieser aufspringen und den Boden vor Entzücken stampfen. So wie die Weiber, die bey einer Leiche zum Weinen sich verdingen, ärger schreyn
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als jene denen es von Herzen geht: Si vero est, unctum recte qui ponere possit, et spondere levi pro paupere, et eripere atris litibus implicitum: mirabor, si sciet internoscere mendacem verumque beatus amicum. Tu seu donaˆris, seu quid donare voles cui, nolito ad versus tibi factos ducere plenum laetitiae: clamabit enim, pulcre, bene, recte! pallescet super his etiam stillabit amicis ex oculis rorem, saliet, tundet pede terram. Ut, qui conducti plorant in funere, dicunt et faciunt prope plura dolentibus ex animo; sic
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so macht ein Schalk von Schmeichler allemal mehr Lermens, als wer aus Gefühl dich lobt. Die Fürsten, sagt man, sollen große Humpen als eine Art von Folter brauchen, wenn sie jemand probieren wollen, ob er ihrer Freundschaft werth sey. (K) Um einen Freund im Fuchsbalg auszufinden mach’ einer Verse! — Wenn man dem Q u i n t i l 5 8 ) was laß, so hieß er euch bald dies bald das verbessern. Sagte man: es gienge nicht, 10
man hab’ es schon vergebens zwey bis dreymal versucht: so hieß er euch die ganze Stelle durchstreichen, und die schlecht geprägten Verse noch einmal auf den Ambos legen. Und wenn denn einer seine Fehler lieber behaupten als verbessern wollte, so verlohr er auch kein Wörtchen mehr, und konnt’s ja wohl geschehen lassen, daß der Mann sich und sein Werkchen ohne Nebenbuhler liebte. derisor vero plus laudatore movetur.
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Reges dicuntur multis urgere culullis, et torquere mero, quem perspexisse laborent, an sit amicitia dignus: si carmina condes, nunquam te fallant animi sub vulpe latentes. Quintilio si quid recitares, Corrige, sodes, hoc, aiebat, et hoc: melius te posse negares, bis terque expertum frustra; delere iubebat, et male tornatos incudi reddere versus. Si defendere delictum, quam vertere, malles: nullum ultra verbum, aut operam insumebat inanem,
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quin sine rivali teque et tua solus amares. 58) Eben der Q u i n t i l i u s Va r u s von Cremona, dessen Tod die 24ste Ode des I. Buchs so schön beweint, und der mit dem Dichter L u c i u s Va r i u s nicht verwechselt werden muß.
¼2. Buch. 3. Brief½
801—838/422—444
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Ein Freund, ders redlich meynt, und richtig denkt wird keine Härte, wird nichts mattes dulden; die üppigen Ranken schneidt er frisch hinweg, dem was nicht klar genug ist zwingt er euch mehr Licht zu geben, läßt nichts doppelsinnigs, nichts schielends, oder was am rechten Ort nicht steht, unangezeichnet, kurz, er wird e i n A r i s t a r c h 5 9 ) und denkt nicht: ey, was soll ich einem Freund Verdruß mit solchen Kleinigkeiten machen? Denn solche Kleinigkeiten können für den Freund, der gleich aufs erstemal sich lächerlich gemacht und schlecht vom Publicum empfangen wird, sehr große Folgen haben. Denn kluge Leute gehen einem abgeschmakten Poeten überall behutsam aus dem Wege, und scheuen sich so sehr ihn anzurühren, als einen den ein böser Aussatz oder der Zorn Dianens plagt;60) nur Kinder, der Gefahr unkundig, lauffen schreyend hinter drein. Vir bonus et prudens versus reprehendet inertes, culpabit duros, incomtis adlinet atrum transverso calamo signum, ambitiosa recidet ornamenta, parum claris lucem dare coget, arguet ambigue dictum, mutanda notabit: fiet Aristarchus; nec dicet, Cur ego amicum offendam in nugis? hae nugae seria ducent in mala derisum semel, exceptumque sinistre. Ut, mala quem scabies aut morbus regius urget, aut fanaticus error, et iracunda Diana: vesanum tetigisse timent, fugiuntque poetam, qui sapiunt; agitant pueri, incautique sequuntur. 59) Wie Horaz einen schlechten Dichter, wenn er ihn recht arg schimpfen will, einen C h ö r i l u s nennt, so ist ihm A r i s t a r c h (der berühmte Emendator der Handschriften von Homers Werken) das Ideal eines Kunstrichters; und ich denke nicht daß es einer gewichtigern Autorität bedarf, um die Verkleinerer dieses Kunstrichters zu Boden zu wägen.
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Wenn so ein Mensch in seinem Aberwiz, unwissend wo, die Nase in der Luft, durch alle Gassen läuft und Verse — rülpst,61) und drüber, wie ein Vogler der aufs Amselfangen zu sehr erpicht ist, plump! in eine Grube fällt: so zieh ihn ja, wie laut er schreyen mag, kein Mensch heraus! Denn wenn du ihm mit einem Seil zu Hülfe springen wolltest, was weist du, ob er nicht mit Vorsatz sich 10
hineingestürzt? wie einst Empedokles die kühle That begieng, und in den Flammenschlund des Ätna sprang, damit die Leute dächten er sey ein Gott geworden. Frey und unbenommen sey’s den Verslern, nach Belieben den Hals zu brechen! Jemand wider Willen zum Leben zwingen, ist im Grunde nicht Hic, dum sublimes versus ructatur, et errat, si veluti merulis intentus decidit auceps in puteum, foueamue; licet ,Succurrite‘ longum
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clamet, Io cives! non sit, qui tollere curet. Si quis curet opem ferre, et dimittere funem, qui scis, an prudens huc se deiecerit, atque servari nolit, dicam: Siculique poetae narrabo interitum. Deus immortalis haberi dum cupit Empedocles, ardentem frigidus Aetnam insiluit. Sit ius, liceatque, perire poetis: invitum qui servat, idem facit occidenti: 60) Eine Art von Wahnsinnige, die bey den Lateinern Lunatici hießen, weil ihre böse Laune mit dem Mond ab und zunehmen soll.
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61) Ich bitte um Vergebung für dies Wort; aber es stehet im Original, und steht so sehr am rechten Ort, daß ich es nicht um viel Gold geben wollte. Jedes minder anstößig Wort hätte das ganze Bild verdorben. Übrigens war Horaz ein Mann, der sehr gute Gesellschaft zu sehen gewohnt war, und ich weiß nicht, warum wir in solchen Dingen eklere Ohren zu haben affectiren, als die Terrarum Domini zu Rom.
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viel besser als ihn morden.62) Laßt ihn springen wohin er will; dadurch, daß man heraus ihn ziehet, wirds nicht besser mit ihm werden. Die Wuth, mit einer Art die Aufsehens macht zu sterben, wird darum ihn nicht verlassen. Warum er Verse macht, ist ohnehin nicht sehr begreiflich, wenn’s nicht Strafe ist weil er die Asche seines Vaters einst besudelt, oder sonst an heiliger Stätte was Greuliches begangen — immer ist gewiß,
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er raset, und verjagt, sobald man ihn mit seinem Heft in Händen kommen sieht, Gelehrt’ und Ungelehrte, wie ein Bär, der durch die Latten seines Käfigs durchgebrochen. Weh aber dem, den er ergriffen hat! Er hält ihn fest, und — gleich dem Egel, der nicht abläßt bis er voll ist — wird er ihn mit Lesen quälen, bis der Patient den Geist, vor Gähnen, aufgegeben hat. nec semel hoc fecit; nec si retractus erit iam,
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fiet homo, et ponet famosae mortis amorem. Nec satis apparet, cur versus factitet; utrum minxerit in patrios cineres, an triste bidental moverit incestus: certe furit; ac, velut ursus, obiectos caueae valuit si frangere clathros, indoctum doctumque fugat recitator acerbus. Quem vero arripuit, tenet, occiditque legendo, non missura cutem, nisi plena cruoris, hirudo. * * *
62) Es ist an sich selbst Gewaltthat, wie dieses; und ist dem der nicht mehr leben will, eben so verhaßt und grausam, als Ermordung dem, der gerne länger lebte.
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Erläuterungen. (A) Leute die aus einem Schifbruch ihr Leben davon gebracht hatten, pflegten ein Täfelchen, worauf ihr erlittnes Unglük gemahlt war, in den Tempel des Neptuns zu stiften; oder auch wohl mit einem solchen Gemählde an der Schulter herumzugehen, um milde Herzen zu thätigem Mitleiden zu bewegen. Ein alter Scholiast sagt: Horaz spiele hier an das Griechische Sprüchwort an, mh ti
kai kyparisson ueleiw ; wozu ein Griechischer Mahler Gelegenheit gegeben, der sich besonders darauf gelegt hatte, schöne Cypressenbäume zu mahlen, und da einsmal ein armer Schifbrüchiger ein Täfelchen zu besagtem Gebrauch bey 10
ihm bestellte, fragte: s o l l i c h d i r n i c h t a u c h e i n e C y p r e s s e d a z u mahlen ? (B) Den alten Scholiasten ist es gar nicht zweifelhaft vorgekommen, daß Horaz in dieser Stelle auf einige von August und Agrippa ausgeführte ausserordentliche Werke ziele. Der m i t d e m M e e r v e r b u n d n e L a n d s e e , d e r g a n z e F l o t t e n v o r d e n A q u i l o n e n s c h ü z t , deutet, sagen sie, auf den L u c r i n e r s e e bey Neapel, welchen August mit dem Meer verband, und durch gewaltige Dämme zu einem der besten und sichersten Seehäfen von Italien (Portus Iulius genannt) machte — Der unfruchtbare des Ruders gewohnte Sumpf u. s. w. auf die P o m p t i n i s c h e n S ü m p f e , die er austroknen und
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urbar machen ließ — und der Strom, der einen neuen unschädlichern Weg zu lauffen gelehrt wird, auf die Tiber, deren Bette Agrippa veränderte. G e ß n e r meynt das erste, nämlich der receptus terra Neptunus könne, wegen dem Beysaz, Regis opus, nicht auf ein Werk des Augusts gehen, dem der Königliche Name so verhaßt gewesen sey: sondern deute auf die Bemühungen des Xerxes den Berg Athos ausstechen zu lassen. Mich däucht es ist sehr unnöthig zu einer so gezwungnen Auslegung seine Zuflucht zu nehmen, da gewiß weder August noch irgend ein Römer bey diesem Regis opus etwas anders gedacht hat, als opus regium, ein Königliches Werk, ein Werk, das dem größten Könige Ehre machen würde. Übrigens erhält das Compliment, das der Dichter dem Au-
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gustus durch die Erwähnung dieser Werke macht, seinen grösten Werth von der Delicatesse, womit es gemacht ist, nämlich gerade davon, daß es gar nicht die Prätension eines Compliments hat. August wird nicht darbey genennt; die Werke selbst werden nur durch das Wunderbare, das sie haben, charakteri-
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siert; man läßt den Leser selbst errathen wovon die Rede sey; und das schönste ist, daß er sie nur als Beyspiele der Vergänglichkeit der Menschlichen Dinge anführt, und, indem er dafür sorgt, ihr Andenken bey der Nachwelt zu erhalten, ihren Untergang vorhersagt, ohne daß August selbst es übel nehmen konnte. (C) Die Rede ist in dieser ganzen Stelle (vom V. 190 der Übers. bis 215) mit keinem Gedanken von den Pflichten des S c h a u s p i e l e r s , sondern bloß von dem was der P o e t zu thun hat, um den Schauspieler, der s e i n e Pflichten aufs beste erfüllt, nicht zu Schanden zu machen. Der Schauspieler kann mit der größten Wahrheit in die Lage der Person die er vorstellt, hineingehen; sein Ton, seine Gebehrde, können im höchsten Grade rührend, und dem was er,
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der Natur der Sache nach zu f ü h l e n scheinen soll, angemessen seyn; kurz er könnte sich ganz in seinen P e l e u s oder Te l e p h u s verwandelt haben — aber wenn sein Schmerz oder seine Traurigkeit nun in Worte ausbrechen soll, und der Dichter läßt ihn Dinge sagen, die keinem Menschen in dieser Lage einfallen können, läßt ihn eine Sprache reden, die kein Mensch jemals in solchen Umständen gesprochen hat: so entsteht ein Widerspruch zwischen dem was der Zuschauer h ö r t und dem was er s i e h t , der nothwendig alle Würkung des leztern unterbrechen und vernichten muß. Vermöge des allgemeinen Gangs der Natur, den Horaz beschreibt, erwarten wir von einem Menschen in dieser Lage, mit dieser Mine, dieser Gebehrdung, kurz, mit allen diesen äus-
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serlichen unfreywilligen Zeichen des innern Gefühls, die vor dem Ausbruch der Leidenschaft in Worte vorhergehen — wahre Töne und Stimmen der Natur, die bis ins Innerste eindringen, alle Schleusen des sympathethischen Gefühls öfnen, und unser Herz von Mitleid überwallen, unsre Augen von Thränen glänzen machen. — Hören wir aber statt des w a h r e n Te l e p h u s , den die Natur ganz gewiß zu unserm Herzen sprechen lehren würde, d e n D i c h t e r , der nur auf unsre Imagination loßstürmt, Bilder auf Bilder, Hyperbeln auf Hyperbeln häuft, oder gar mit der Wuth eines Besessenen Bombast und Unsinn ausschäumt: so muß jeder Zuhörer, der nicht ganz an Menschensinn verkürzt ist, sogleich fühlen, daß kein Wort von dem allen was der angebliche Te l e p h u s sagt, wahr ist; die Illusion hört auf; wir fühlen statt sympathetischer Empfindungen den Verdruß getäuschter Erwartung, und so wird der verunglükte Theaterheld seine Zuhörer unfehlbar, je nachdem der Dichter sich mehr oder weniger von der Natur entfernt hat, nur desto mehr gähnen, lachen, oder zürnen machen, je mehr sich der Schauspieler angreift, eine un-
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natürliche Rolle wahr zu spielen. — Sollte sich irgendwo in der Welt ein Parterre finden, das diese Behauptung durch sein Gefühl und Betragen — Lügen strafte: so wäre dies, sobald es mit dem Factum seine erwiesene Richtigkeit hätte, ein Psychologisches Problem, das zu einer akademischen Preisfrage gemacht zu werden verdiente. Weil indessen die Regel, welche Horaz an diesem Orte giebt, für sich allein noch sehr unzulänglich ist: so fügt er sogleich noch eine andre hinzu, ohne deren genaueste Beobachtung ein Te l e p h u s z. E., wenn er eben das sagte, was im Mund einer andern Person sehr rührend war, einen ganz widrigen Eindruk machen könnte — nämlich das Gesez: daß 10
der Dichter alle die Umstände und Bestimmungen, die zusammengenommen den Charakter einer Person ausmachen, immer vor Augen haben müsse. Was sich für jede besondere Person in jeder besondern Lage s c h i k t , zu wissen, ist also die große Wissenschaft des Dichters. Aber wie viele Kenntnisse schließt diese Wissenschaft in sich! Und welche Schärfe der Beurtheilung, welch ein zartes, schnelles und sichres Gefühl, sezt sie bey der Anwendung voraus! (D) Daß B a t t e u x , oder vor ihm die meisten Ausleger, diese Stelle, die sie für einen Tadel der Chöre in den Griechischen Tragödien angesehen haben, ganz falsch verstanden, braucht keines andern Beweises, als daß man sich die Mühe nehme, Seine Übersetzung nebst der Meinigen mit dem Original zu
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vergleichen. Horaz will hier eigentlich weder loben noch tadeln, sondern bloß historisch erzählen, wie es (wahrscheinlicher Weise) zugegangen, daß der Chor, der die Grundlage und Wurzel aller Arten von Griechischen Schauspielen war, nach und nach das geworden sey, wozu ihn Aeschylus und seine Nachfolger gemacht. Ob es aber damit würklich so gewesen, wie er sichs vorstellt, ist eine andre Frage, die hier nicht ausgemacht werden kann. Soviel wird wenigstens einem jeden, der mit den Alten etwas näher bekannt ist, in die Augen fallen: daß Horazens Bericht vom Ursprung und Fortgang der dramatischen Kunst und der verschiedenen Arten von Schauspielen, deren Erfinder die Griechen waren, weder exact noch vollständig ist.
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(E) Ich weiß nicht ob irgend ein Gelehrter ist, für den die Verse des Plautus und Terenz würklich Verse sind; ich meines Orts bekenne, daß meine Ohren nicht dazu organisiert sind, J a m b e n , wo der Poet, so oft er will, und in jeder Zeile wenigstens drey bis viermal, einen S p o n d e u s , D a c t y l u s , A n a p ä s t , Tr i b r a c h y s für einen Jambus brauchen darf, und wo eine Zeile bald aus 8 oder 12 bald aus 18, 20, 22 und mehr Sylben (diejenigen, die zusammengezo-
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gen werden, nicht gerechnet) bestehen kann, — von R r o s e zu unterscheiden. Es ist wahr, wenn ich diese Verse des Te r e n z als Prose lese, so finde ich überhaupt, daß sie das, was man in einer Prosaischen Composition N u m e r u s nennt, in einem sehr vorzüglichen Grade haben: aber von P l a u t u s kan ich dies auf keine Weise sagen; und mich dünkt vielmehr, es sey ihm gar nicht eingefallen, sich bey dergleichen K l e i n i g k e i t e n aufzuhalten; er hatte weder Lust noch Zeit dazu; denn er muste eilen, — — um sein Geld im Beutel klingen zu hören, —
wie Horaz in der Epistel an August sagt. — Wie konnten nun die Römer der
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vorgehenden Generationen jemals von den Numeris eines Poeten, der von einer schönen Versificierung nicht einmal einen Begrif gehabt zu haben scheint, mit solchem Beyfall sprechen? — Mit den Salibus Plautinis hat es beynahe die nämliche Bewandtniß. Welcher Mann von Geschmak kann z. B. aus Plautus A m p h i t r u o nur drey Scenen hintereinander aushalten? Wie viel muste w e g g e s c h n i t t e n werden, bis aus einer Plautinischen Scene eine M o l i e r i s c h e wurde! Welche mörderliche Weitläufigkeit! Wieviel frostige Späße! Wieviel Unanständigkeit und Ungeschliffenheit, auch wo wirklich etwas Pickantes an seinen Scherzen ist! — Unser Autor scheint mir also sehr wohl begründet zu seyn, wenn er den Proavis seiner Pisonen eine gar zu milde
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Nachsicht über diese beyden Puncte schuld giebt. Die Komödien des Plautus haben bey allem dem noch große Schönheiten; wiewohl sehr zu vermuthen ist, daß er die meisten und besten den Griechen, als gute Beute, abgenommen: aber daß es ihm an G e s c h m a k und f e i n e r m G e f ü h l gefehlt habe, kann nur jemand läugnen, dem es selbst daran gebricht. Die Partheylichkeit solcher Römer wie Va r r o und C i c e r o für seine Sales und Numeros würde also immer etwas unbegreifliches bleiben, wenn nicht zu glauben wäre: daß die ausserordentlichen Talente des R o s c i u s , von dem sie gewohnt waren diese Stücke spielen zu sehen, das meiste dabey gethan. In dem Munde eines Roscius konnten freylich auch Plautinische Verse wohlklingend werden. (S. die 15te Erläut. zum Briefe an August) Übrigens ist nicht zu zweifeln daß Horaz um so strenger gegen die nachläßigen Verse des Plautus werden muste, wenn er an den Aristophanes dachte, dessen Jamben, Anapästen und Chöre, auch in Absicht der Versification so schön gearbeitet sind, daß sie noch izt, da die
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Musik der griechischen Sprache größtentheils für uns verlohren gegangen, jedes mit derselben nicht ganz unbekannte Ohr bezaubern. (F) Horaz hat die wahre Ursache, warum der sogenannten a l t e n K o m ö d i e zu Athen die unbeschränkte Freyheit, deren Aristophanes sich in seinen R i t t e r n , F r ö s c h e n , Wo l k e n , V ö g e l n , u. a. so überschwänglich bedient hat, benommen wurde, nicht richtig genug angegeben. Diese Freyheit muß nicht etwa als ein Misbrauch betrachtet werden, den die Regierung zu Athen eine Zeitlang bloß d u l d e t e ; sie war vielmehr, wie der O s t r a c i s m u s , in der Verfassung dieses Aristokratisch-Demokratischen Staats in den Zeiten des Pe10
rikles, gegründet. Es ist wider alle Wahrscheinlichkeit, sich einzubilden: der Magistrat zu Athen würde 40 oder 50 Jahre lang mehr als 370 Stücke dieser Art öffentlich autorisirt haben, wenn sie die Ungebundenheit dieser Komödie nicht der Republik im Ganzen für zuträglich angesehen, und nicht geglaubt hätten, daß der Verdruß und Schaden, den einige wenige mit Unrecht mishandelte Personen dabey leiden könnten, durch die Furcht, die den Bösen dadurch eingejagt wurde, reichlich vergütet werde. Der stärkste Beweis, daß die Athenienser diese Freyheit ihres Theaters für einen sehr wichtigen Theil ihrer P o l i t i s c h e n Freyheit angesehen, ist, däucht mich: daß ein Aristophanes das g a n z e Vo l k , d. i. d e n S o u v e r a i n s e l b s t , so lächerlich ma-
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chen durfte als es ihm beliebte: weil sie, bey allem ihren Leichtsinn und Übermuth, doch gesunden Verstands genug hatten, um zu fühlen, daß es ihnen gut sey, sich zuweilen lachend die Wahrheit, und selbst die bittersten Wahrheiten, sagen zu lassen. Auch gieng dieses kostbare Stük ihrer Freyheit nicht eher als mit i h r e r Ve r f a s s u n g verlohren. Denn nicht der Magistrat der freyen Republik, sondern die sogenannten d r e i s s i g Ty r a n n e n , die mit Hülfe des Lysanders von Sparta zu Ende der 93sten Olymp. sich der Regierung von Athen bemächtigten, waren es, die das Gesez dessen Horaz hier erwähnt, aus Ursachen die leicht zu errathen sind, durchsezten, und hierinn freylich einen großen Theil der Stadt, nämlich einen jeden — qui dignus erat describi, quod malus, aut fur,
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quod moechus foret aut sicarius, aut alioqui famosus, — *) *)
Satyr. L. I. 4.
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auf ihrer Seite hatten. Der Despotismus der Oligarchie konnte sich mit einer Freyheit des Theaters, die keines Lasters und keiner Thorheit schonte, sich weder durch Geburt, Reichthum, und Würden, noch selbst durch Verdienste in Respect setzen ließ, nicht vertragen; und je verdorbner die Sitten wurden, je geneigter fühlte man sich auch einander zu ertragen, und je verhaßter wurde ein öffentlicher Censor, dessen unhöfliche Geisel niemanden erlauben wollte, ungestraft ein Narr oder Schurke zu seyn, wenn er Vergnügen oder Vortheil dabey fand. Die a l t e Komödie fiel also zu Athen mit der Demokratie. Die M i t t l e r e , die an ihre Stelle trat, um wenigstens noch einen Schatten ihrer ehmaligen Vorrechte beyzubehalten, gab sich gröstentheils mit P a r o d i e n
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ab, worinn den Poeten erlaubt war sich untereinander so lächerlich zu machen als sie wollten; sie travestierte die Helden und Heldinnen aus der Fabelzeit, aus der Iliade und Odyssee, und fand dabey immer Gelegenheit satyrische Züge anzubringen, die der Malignität der Zuschauer freye Hand ließen, sie nach eignem Belieben anzuwenden. So bildete sich endlich unter den Macedonischen Königen nach und nach die n e u e Komödie, in welcher M e n a n d e r und P h i l e m o n sich soviel Ruhm erwarben, die sich gänzlich auf Intriguen-Stücke und allgemeine Charakter, und auf eine so feine und elegante Art von Kritik der herrschenden Sitten und Mode-Thorheiten einschränkte, daß niemand beleidigt werden konnte, wenn er sich selbst in einem Spiegel er-
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blickte, worinn man wenigstens nicht häßlicher aussah als sein Nachbar. Die Alte Komödie war die Lieblingsbelustigung eines von seinen Glücke und von ausschweiffenden Hofnungen trunknen, aber auf seine Freyheit und Rechte eifersüchtigen Demokratischen Pöbels gewesen: die Neue wurde der angenehmste Zeitvertreib eines herabgekommnen, müßigen, aber äusserst verfeinerten Volkes, das die hochfliegenden Entwürfe seiner Vorfahren endlich aufgegeben hatte, und bey Schauspielen und Kurzweilen zu vergessen suchte was es ehmals gewesen war. (G) D e m o k r i t u s behauptete, niemand könne ohne eine Art von Raserey ein großer Dichter seyn, neminem sine furore quemquam poetam esse posse. Dies sagt uns
Cicero,*)
und sezt hinzu: „eben dies behauptet auch Plato.
Immerhin mag er (diese Begeisterung, die den Dichter macht) Raserey nennen, da er von dieser Raserey so herrliche Dinge sagt, wie in seinem *)
De Divinat. Lib. I. c. 37.
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P h ä d r u s . “ Die Stelle des Homers der Philosophen auf welche Cicero hier deutet, ist zu schön, als daß ich nicht versucht werden sollte sie zu übersetzen. — „Die dritte Art von Raserey, läßt er seinen Sokrates sagen, ist diejenige die von d e n M u s e n kommt. Diese, w e n n s i e e i n e z a r t e , n o c h u n v e r f ä l s c h t e u n d u n g e f ä r b t e S e e l e a n w e h t , treibt sie an, wie in einer B a c h i s c h e n Schwärmerey *) (d. i. in einer Art von geistiger Trunkenheit) in Gesängen und allen übrigen Gattungen der Dichterey, die Wunder und Thaten der A l t e n Z e i t e n z u v e r s c h ö n e r n , und dadurch den Künftigen lehrreich zu werden. Wer sich aber, ohne von dieser M u s e n w u t h getrieben zu seyn, 10
den Pforten der Dichtkunst nähert, in der Meynung, die Kunst allein könne ihn schon zum Dichter machen, wird immer unvollkommen bleiben, und die Poesie eines solchen nüchternen und weisen (unbegeisterten) Dichters wird immer von der Poesie der Rasenden (Begeisterten) ausgelöscht werden.“ **) — Ungeachtet des Mißbrauchs, den die Mondsüchtigen, Hirnwüthigen, und Aberwitzigen Poeten, über welche Horaz hier und in der Folge spottet, von der Theorie des Demokritus und Plato machen können, war er doch selbst von der Wahrheit derselben so überzeugt: daß er, wenn sein Poetischer Wahnsinn gleich nicht immer so reell war, wie in der 25sten Ode des IIIten Buch. Quo me Bacche, rapis, er ihn doch öfters so schön zu simulieren wußte,
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als man von einem Dichter i m J a h r h u n d e r t A u g u s t s nur immer verlangen kann — wie z. B. in der Stelle: auditis? an me ludit amabilis insania? und dem was folgt, in der 4ten Ode des III. B. Aber — was es auch mit Horazen, der (gewöhnlicherweise) in die Classe der Dichter die ihrer Sinne mächtig bleiben, gehörte, für eine Bewandtnis haben mag — die Sache selbst hat ihre Richtigkeit; und die Erfahrung hat von jeher bey allen Nationen den Ausspruch bestättigt, daß die unbegeisterten Dichter, so sehr sie auch gefallen mögen wenn man sie a l l e i n hört, niemals neben den Begeisterten (so fern alles übrige gleich ist) bestehen können. Aber die Meynung Platons war wahrlich nicht, *)
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W i e d i e K o r y b a n t e n , sagt er im I o n , wo ebenfalls von diesem E n t h u s i a s m u s der
Dichter die Rede ist. **) Trith de hë a p o m o y s v n katoxh te kai mania, laboysa a ë p a l h n kai a b a p t o n c y x h n , egeirasa kai ekbaxeyoysa kata t’vdaw kai kata thn allhn poihsin, myria t v n p a l a i v n erga k o s m o y s a , toyw epiginomenoyw paideyei. ëOw d’an aney maniaw Moysvn epi poihtikaw uyraw afiketai, peisueiw vëw ara ek texnhw iëkanow poihthw esomenow, atelhw aytow te kai hë poihsiw yëpo thw tvn mainomenvn hë toy svfronoyntow hfanisuh. Plato in Phaedro.
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daß eine brennende und von der Musenwuth besessne Imagination a l l e i n einen großen Dichter mache; und es ist auch hier, wie bey der r e l i g i o s e n und v e r l i e b t e n Begeistrung, ein großer Unterschied, ob man von einem Gott, oder von dem leidigen Satan besessen ist. Homer, Pindar, Aeschylus, die drey größten Dichter von der begeisterten Classe, die je gewesen sind, sind an Ve r s t a n d , We i s h e i t , und W i s s e n s c h a f t eben so groß als an Imagination; nie verläßt sie d a s r i c h t i g e G e f ü h l d e s S c h i k l i c h e n ; immer schwebt in dem brausenden Chaos ihrer Ideen, der Ve r s t a n d , wie O v i d s Deus aut melior Natura, in der Mitte, der es scheidet, ordnet, verbindet und vor unsern zuschauenden Augen in eine Welt voll lebendiger und zu Einem
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Zweck zusammenspielender Kräfte aufblühen läßt. Die Begeistrung, die amabilis insania, welche Plato — in diesem Augenblick selbst von ihr ergriffen — dem A n w e h e n d e r M u s e n zuschreibt, kann immer den ersten Keim ihrer Werke in ihrem Busen belebt, kann sie im Arbeiten angefeurt, kann ihnen diese Wärme in welcher alle Schwingen der Seele sich entfalten mitgetheilt, kann sie bey gewissen Stellen über sich selbst erhoben, den Nebel der Menschheit gleichsam von ihren Augen getrieben, und sie zum Anschauen göttlicher Gestalten tüchtig gemacht haben: aber alles dies sezt O r g a n e voraus, die ihnen die Musen nicht geben, K e n n t n i s s e , die sie ihnen nicht eingiessen konnten; eine S p r a c h e , die schon da seyn mußte und die sie wie andre Men-
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schen hatten lernen müssen. — Kurz, eine Iliade oder nur ein Gesang der Iliade, ist so wenig das bloße Werk der Poetischen Raserey, als sie ein Werk des Augenbliks ist — und wiewohl es Autoschediastische Poesien giebt, die als bloße Naturprodukte und Eingebungen einer begeisternden Leidenschaft, und einer durch diese über ihr gewöhnliches Maas gespannten Phantasie angesehen werden können: so bleibt doch wahr, daß auch in der Poesie die edelsten Gewächse durch Cultur mehr Schönheit, und ihre Früchte einen bessern Geschmack erhalten; und daß, wie Horaz besser unten sagt, o h n e r e i c h e A d e r das strengste Studium, und o h n e K u n s t das beste Naturel zu Hervorbringung eines sehr vortreflichen Werkes gleich unzulänglich ist. (H) Ut Pictura Pöesis erit, u. s. w. Horaz hat, wie es spruchreichen Autoren zu gehen pflegt, das Unglück gehabt, daß öfters Stellen aus seinen Schriften ausgehoben und (sehr wider seine Meynung) zu A p o p h t e g m e n oder Lehrsprüchen erhoben worden sind, die im Zusammenhang, aus welchem man sie herausgerissen hat, einen ganz andern, und zuweilen gerade den entgegen-
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gesezten Sinn haben — von welcher Art das „Chorda semper oberrat eadem“ und das „interdum quoque bonus dormitat Homerus“ bekannte Beyspiele sind. Eben so ist es auch mit d i e s e r Stelle gegangen. Man hat das, was bloß Vergleichung in einem einzigen Punct ist, zu einem allgemeinen Satz gemacht; und diesem von allen Auslegern beföderten Wahn zu Folge paraphrasiert B a t t e u x diesen halben Vers getrost: „Es ist mit der Poesie wie mit der Mahlerey beschaffen. *) Es ist kein andrer Unterschied unter diesen beyden Künsten als dieser, daß die eine sich durch Farben und Striche ausdrükt, und die andre durch die Rede und Harmonie“ u. s. w. — So kann freylich jemand 10
schwatzen, der weder Dichter noch Mahler ist, und von beyden Künsten nur oben abgeschöpfte Kenntnisse hat, ohne je durch eignes Nachdenken in ihr Wesen eingedrungen zu seyn: aber Horaz konnte so was nicht sagen, und hat es nicht gesagt. Nun sezt d i e s e r , um den Pisonen zu sagen, „ w o r i n n es mit einem Gedichte wie mit einem Gemählde seye“ — hinzu: — — quae, si propius abstes te capiet magis, q u a e d a m si longius abstes; haec amat obscurum, volet haec sub luce videri Judicis argutum quae non formidat acumen.
Und wie versteht nun dies der französische Kunstrichter? — „Ich sehe nicht 20
ein, sagt er, wie das Gleichniß des Horaz paßt, ausgenommen, wenn man das Wort p o e s i s , für quaedam poesis, e i n e S t e l l e e i n e s G e d i c h t s annimmt. Denn ich kenne kein Gedicht, welches, im Ganzen betrachtet gemacht wäre, nur bloß von ferne, in einem halben Lichte, und ein einzigsmal gesehen zu werden“ — Und in diesem Ton gehts nun noch zwey Seiten fort; er tappt immer, mit seinem D a c i e r in der Hand, um den Sinn des Autors herum, stößt alle Augenblicke an ihn an, und kann ihn doch nicht erhaschen, weil das unglükliche: E s i s t m i t d e r P o e s i e w i e m i t d e r M a h l e r e y , seinem Auge nun einmal eine schiefe Richtung gegeben hat, daß er Schwierigkeiten sieht, wo keine sind. Es ist unbegreiflich, wie jemand Horazens wahre Meynung hat
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Der bloße grammatische Sinn der Wörter hätte ihm schon seinen Irthum zeigen sollen:
denn pictura und poesis heißt hier, a u g e n s c h e i n l i c h , nicht M a h l e r e y und P o e s i e , sondern ein G e m ä l d e , und ein G e d i c h t ; und dies macht einen großen Unterschied im Sinn der ganzen Stelle.
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verfehlen können, denn ich sehe nicht wie er sie deutlicher hätte ausdrucken sollen. — Wir kennen, aus vielen andern Stellen, seine vorzügliche Liebe zum äusserst ausgearbeiteten und correcten zu dem was er anderswo coelatum novem Musis opus nennt — und d a v o n ist hier die Rede: bloß in Rüksicht auf das F e h l e r l o s e und Vo l l e n d e t e (Fini) vergleicht er gewisse Gedichte mit gewissen Gemählden. So wie es Gemählde giebt, die man in einer gewissen Entfernung oder bey schwachem Lichte sehen muß, wenn sie einen guten Effect machen sollen — und wieder andre, deren Detail mit dem sorgfältigsten Fleiß so reinlich ausgearbeitet, und jeder Pinselstrich so sanft in den andern verschmelzt ist, daß man das Stük desto schöner findet, je näher und genauer
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man es betrachtet: so giebt es Gedichte, z. E. Theaterstücke, die bey der ersten Vorstellung oder Lesung — vielleicht durch das Interessante der Handlung, durch eine gute Verwiklung, einen raschen Gang, neue Situationen, stark gezeichnete Charakter und Leidenschaften, u. dergl. sehr gefallen; aber, wenn man sie i n d e r N ä h e und b e y v o l l e m L i c h t e , d. i. genauer, mit kälterm Blute, im Detail, mit Aufmerksamkeit auf alle Requisiten eines vortreflichen Gedichtes untersucht: so entdekt man nach und nach eine Menge Fehler, die man das erste oder zweytemal entweder gar nicht, oder nicht deutlich wahrnahm; und so verliert das Werk, je schärfer es untersucht wird. Ein anders hingegen hat beym ersten Anblik das Frappante nicht, wodurch jenes über-
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raschte und hinriß; aber es zieht das Auge sanft an, und je genauer man es bis auf die kleinsten Theile des Details betrachtet, je schöner, untadelicher und vollendeter findet man’s; und eine ganz natürliche Folge davon ist: daß, wenn J e n e s einmal oder beym ersten Anblik gefällt, aber bey jedem Wiedersehen etwas verliert, man hingegen an D i e s e m sich nicht satt lesen kann, und immer neue Schönheiten entdekt, die unter der Menge, beym ersten, zweyten, drittenmale, u. s. w. dem Auge noch entwischt waren. Mich däucht, dies ist der einzige m ö g l i c h e Sinn, den Horazens Worte, im Zusammenhang genommen, zulassen: und die Vergleichung paßt — auf diese Art eben so gut, als der Satz, der dadurch erläutert werden sollte, eine auf die Erfahrung gegründete unläugbare Wahrheit ist. (I) Der Kunstrichter, dem Horaz hier ein sehr schmeichelhaftes Compliment zu machen scheint, hieß S p u r i u s M e t i u s Ta r p a . Die alten Commentatoren berichten uns, daß dieser Tarpa einer von den fünf kritischen Commissarien gewesen, welche dazu bestellt waren, alle neue Dramatische
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Stücke zu untersuchen ehe sie aufs Theater gebracht werden durften. Diese Censur-Commission hielt ihre Zusammenkünfte im Tempel des Apollo, wo sie, wahrscheinlicherweise, zu thun genug hatten, allen den Poeten Gehör zu geben, die sich daselbst einfanden, um ihnen ihre Werke vorzulesen und ihren richterlichen Ausspruch zu erwarten. Aus einem bereits angeführten Briefe des C i c e r o * ) im Jahre 699 geschrieben, ist zu schließen, daß dieser Metius oder Mäcius schon damals bestellter öffentlicher Schauspiel-Censor war; aber die Art, wie sich Cicero über ihn ausdrükt, erwekt keine so vortheilhafte Meynung von seinem Geschmak als uns Horaz von ihm giebt. „W ä h r e n d d a ß d u 10
(auf seinem Landgute) d e n Ta g n a c h d e i n e m e i g n e n B e l i e b e n h i n bringen konntest, mußten wir ausdauren, was dem Spurius Mäc i u s g e f a l l e n h a t t e . “ Nobis perpetiundum erat, quae Sp. Mæcius probavisset. Der Verfolg zeigt, daß die Rede von Theaterstücken ist. Es scheint aber durch jenen ganzen Brief die üble Laune eines Zuschauers durch, der nicht mit dem Willen gekommen war, sich etwas wohlgefallen zu lassen. Cicero persifflierte gerne bey solchen Gelegenheiten, und stand damals nicht so gut mit dem Pompejus, um seiner Neigung zum Spotten große Gewalt anzuthun. Auch ist zu vermuthen, daß Mäcius damals noch ein ziemlich junger Mann gewesen, und daß die scheinbare Verachtung des Cicero mehr der Jugend als
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dem schlechten Geschmack des Kunstrichters gelte. Die Meynung des Dr. Bentley, daß der Mäcius, dem der junge Piso seine Aufsätze vorlesen sollte, nicht der gewesen seyn könne, von dessen kritischem Urtheil Cicero, v i e r z i g J a h r e z u v o r , so verächtlich sprach, ist also ohne hinlänglichen Grund. (K) Wie Horaz gerade hier auf den Einfall gekommen seyn mag, ein paar so seltsame Freundschaftsproben neben einander zu stellen? Sollte er nicht etwa einen besondern Fall im Sinne gehabt haben, der ihm den Anlaß dazu gab und den Scherz desto piquanter machte? Gewiß ist, daß L u c i u s P i s o selbst einer von den — nicht eben so gewöhnlichen — Männern war, die diese We i n P r o b e aushielten. August und Tiberius hatten ihn beyde darauf gesezt und
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die Art, wie er sie bestanden, war es, was ihm (bey seinen übrigen GeschäftsFähigkeiten) ihr Zutrauen erworben hatte. Tiberius, der mehr als gewöhnliche Beweise foderte bis er einem Menschen traute, trieb es, nach S u e t o n s *)
An den M . M a r i u s , (ad Famil. VII. 1.) wo die Rede von allen den Schauspielen ist, womit
das neuerbaute Amphitheater des Pompejus eingeweyht wurde.
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Versicherung *), mit L . P i s o und P o m p o n i u s F l a c c u s so weit, daß sie zween Tage und eine Nacht in einem fort mit ihm zechen mußten: und unmittelbar darauf machte er den Flaccus zum Proconsul in Syrien und den Piso zum Präfect der Stadt Rom. **) Beydes waren Places de Confidence. Sueton scheint die That desto e n o r m e r zu finden, weil Tiberius eben damals in einer Art von Sitten-Reformation, in Kraft der mit seiner höchsten Würde verbundnen Censura perpetua, begriffen war. Aber das war es eben, was ihn vermuthlich veranlaßte, ein paar Viros Consulares, die er sonst schon als Männer von Fähigkeit kannte, auf eine so entscheidende Probe zu stellen. Bey der ungeheuern Verdorbenheit der damaligen Sitten war Schwelgerey und
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Schlemmerey ein ziemlich allgemeines Laster in Rom; an grossen Säufern konnt es dem Tiberius nicht fehlen, wenn es ihm bloß darum zu thun war: aber er suchte Männer, die auch unter den größten Ausschweifungen dieser Art noch Meister von ihrem Kopf und von ihrer Zunge blieben; und weil diese beyde vermuthlich im Ruf dieses seltnen Vorzugs stunden, wollte er sie auf eine Probe stellen, die keinem Zweifel Raum ließe. So stelle ich mir die Sache vor, und mich däucht, man müsse den Charakter des Tiberius schlecht kennen, um ihm, zumal in seinen ersten Regierungsjahren, die Tollheit zuzutrauen, ein Amt von solcher Wichtigkeit für die Stadt Rom und für ihn selbst wie die Praefectura Urbis war, einem Menschen bloß deswegen weil er tüchtig
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sauffen konnte, anzuvertrauen. Die Art, wie S e n e c a von unserm L. Piso spricht, scheint zu beweisen, daß dieser der Welt und des Hofes sehr erfahrne Menschenkenner die Sache aus dem nämlichen Gesichtspunct angesehen habe; und er giebt ihm das Zeugnis, daß er, ungeachtet es ihm etwas gewöhnliches gewesen die Nächte durch zu zechen und bis zur 6ten Morgenstunde zu schlafen, seinem Amt mit größter Sorgfalt vorgestanden sey. — Alles dies trug sich zwar erst lange nach Horazens Tode zu: aber S e n e c a sagt uns: auch Divus Augustus habe diesem Piso, da er ihn zum obersten Befehlshaber in Thrazien gemacht, geheime Aufträge anvertraut; und aus dem ganzen Zusammenhang ist zu schließen, daß Augustus — der in seinen jüngern Jahren auch *) **)
Vita T i b e r i i c. 42. Die Wahrheit der Anekdote bestättigt auch der ältere Plinius (L. XIV. c. 22.) Eaque com-
mendatione credidere L. Pisonem urbis Romae curae ab eo delectum, quod biduo duabusque noctibus, (also eine Nacht mehr als S u e t o n angiebt) perpotationem continuasset apud ipsum jam Principem.
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den Bacchischen Ausschweiffungen sehr ergeben gewesen war — Gelegenheit gehabt, seine Zuverläßigkeit aus ähnlichen Proben kennen zu lernen. Und dies ists, worauf vielleicht Horaz, in seiner feinen indirecten Manier, bey dieser Stelle sein Augenmerk haben mochte. Ende.
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Drukfehler. 1ster Theil, S. 238. Zeile 5. von unten auf, leset d e m statt den. 285. Z. 4. in der Note l. i l l a e statt ille. 2ter Theil, S. 184. Zeile 18. l. m a c h e n , statt zu machen. 237. auf der untersten Zeile l. marnamenon.
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Der Teutsche Merkur vom Jahr 1782. Ihro Römisch-Kayserlichen Majestät zugeeignet. Mit Königl. Preuß. und Churfürstl. Brandenburg. gnädigstem Privilegio.
Zweytes Vierteljahr. Weimar.
Der Teutsche Merkur. May 1782.
Gespräche über einige neueste Weltbegebenheiten. Erstes Gespräch. Wa l d e r. Aus dem Munde des einzigen Protestanten, der heute an unsrer Tafel saß, hätte ich mir eine so eifrige Vertheidigung des Mönchswesens und der Hierarchie nicht vermuthet. Dieth elm . E i f r i g e sagen Sie? — Das wäre mehr als ich wollte. Aber ich besorge selbst, der Muthwillen, womit ich diese jungen Neulinge auf alles, was ihren Voreltern heilig war, loßstürmen sah, möchte mich wärmer gemacht haben, als ich unter gelaßnern Gegnern geblieben wäre.
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Wa l d e r. Dafür haben Sie auch mit aller Ihrer Beredsamkeit schwerlich mehr gewonnen, als daß jeder Ihrer Zuhörer mit der Überzeugung weggegangen ist, Sie könnten eine schlimme Sache sehr beredt vertheidigen. Dieth elm . Was das g e w i n n e n betrift, so glauben Sie wohl, daß ich mir von dieser Seite wenig versprochen habe. Die Mönche haben nun einmal den fatalen Zeitpunct erlebt, wo selbst die Beredsamkeit eines Basilius, Chrysostomus, und Bernardus — wenn diese Heiligen auch in Person wiederkämen und ihre Vertheidigung übernehmen wollten — zu Schanden darüber würde. — Aber wir sind jezt unter vier Augen, und niemand wehrt uns, einander unsre wahren Gedanken ohne Zurükhaltung mitzutheilen. Hal-
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ten Sie die Sache, deren ich mich annahm — weil sich sonst niemand ihrer annehmen wollte — würklich für so schlimm, daß sie keine gute Seite hätte? Wa l d e r. Welche Frage! Wo ist ein Ding in der Welt, das keine gute Seite hätte? Die the lm . Ich will mich genauer ausdrücken. Ich bin überzeugt, daß eine Zeit war, wo das Mönchswesen — Wa l d e r. ein vernünftiges, dem ersten aller G ö t t l i c h e n Gesetze — d e m G e s e t z e d e r N a t u r , und den w e s e n t l i c h s t e n Endzwecken d e r b ü r g e r l i c h e n G e s e l l s c h a f t beförderliches Institut gewesen? Nicht wahr?
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Dieth elm . Nun, das möcht ich eben nicht zu behaupten haben! Aber dies werden Sie mir doch zugeben: daß eine Zeit war, wo das Mönchswesen der Kirche und dem Staat viele große und wesentliche Dienste geleistet hat? Wa l d e r. Ich könnte Ihnen dies gar wohl — n i c h t zugeben, und würde nicht verlegen seyn zu beweisen, daß Kirche und Staat Mittel gefunden haben würden, sich diese große und wesentliche Dienste durch andre Leute auf eine wohlfeilere und unschädlichere Art leisten zu lassen, als durch die Mönche. Aber dies würde uns zu weit führen, und am Ende doch zur Entscheidung der Frage, w i e s i e i z t g e s t e l l t w i r d , wenig beytragen. Ge10
sezt also, ich hätte Ihnen zugegeben was Sie verlangt haben: gesezt, das Mönchswesen habe in jenen finstern Jahrhunderten, wo es entstanden und sich so schnell und mächtig ausgebreitet, der Welt würklich Gutes gethan: was beweiset dies für seinen Nutzen, für seine Schiklichkeit im Jahre 1782? — Es war eine Zeit, wo die Bewohner Europens Eicheln aßen und Büffelshörner vor der Stirne trugen, und sich wohl dabey zu befinden glaubten. Es war eine Zeit, wo der Adel, von Kopf zu Fuß gepanzert, mit Schild und Speer auf Abentheuer auszog, um Räuber und Heiden zu bekämpfen, bedrängte Jungfrauen zu erlösen, Witwen und Waysen zu beschützen, kurz, überall sich des Schwächern gegen den Stärkern anzunehmen — welches
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wahrlich! ein sehr löbliches Unternehmen war, und dem Institut der fahrenden Ritterschaft zu seiner Zeit großen Ruhm und Ansehen zuwegebrachte. Wollten wir aber darum diese Zeiten wieder hergestellt haben? Diet he lm . Warum nicht? Die Menschheit gewönne vielleicht mehr dabey als sie verlöhre — Wa l d e r. Das Institut der alten Ritterschaft in u n s e r n Zeiten? Diet he lm . Nicht doch! d i e Z e i t e n m i t d a z u , das versteht sich! Zeiten, worinn es an seinem rechten Platze war, und ausser welchen freilich der große Roland und Reinold von Montalban selbst nur Don Quixoten wären. Wa l d e r. O! das ist ein anders, mein Herr! Ich dachte wir sprächen im Ernst.
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Wenns aber aufs Wünschen ankommen soll, warum wünschen wir nicht lieber gleich, mit Einem großen Zauberwunsch, das ganze Geschlecht Adams nach E l d o r a d o , oder ins S e v e r a m b e n l a n d ? — Bis dahin ließen wir, dächt ich, die Zeiten wie sie sind; und da möchten denn wohl i n d e n u n s r i g e n die Mönche gerade so n ö t h i g und n ü z l i c h seyn als — d i e R i t t e r v o n d e r Ta f e l r u n d e —
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Dieth elm . — und unsre vernünftigen Leute glauben an ihre Scapuliere, geweyhte Sachen, Lorettenglökchen, Lucas- und Agatha-Zettel, IgnatiusBleche, C†M†B†, wunderthätige Bilder, Gespensterhistorien, Exorcismen, u. s. w. gerade soviel als an die v e r l ü p t e n Waffen, Talismane, unsichtbarmachende Ringe, Hippogryfen, Wasser-Nixen, Zauberer und Feen der Ritterbücher — das gebe ich gerne zu. Aber, mein Freund, die Tafelrunde, die Turnierspiele, und das ganze irrende Ritterwesen ist vorbey: das Mönchswesen hingegen hat sich, aller Polizierung, Aufklärung und bessern StaatsOrganisierung in Europa zu trotz, bis Anfangs dieses 1782sten Jahrs nach der Zeitrechnung des kleinen Dionysius, im Besiz aller seiner, wohl oder
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übel, erworbnen Rechte, Befreyungen, Güter und Reichthümer — und (was nicht das unbedeutendste ist) auch im Besiz seines Einflusses auf den größern Theil des Geistlichen und Weltlichen, hohen und niedern Popelli in der Katholischen Christenheit erhalten — und dies, däucht mich, macht einen großen Unterschied. Wa l d e r. Sie meynen also, ein so weit ausgebreitetes, so tief eingewurzeltes Institut, wie das Mönchswesen noch bis diesen Tag ist, könne leichter verbessert als gänzlich aufgehoben werden? Die the lm . O, was das betrift, auch das leztere möchte in unsern Tagen leichter zu bewerkstelligen seyn, als man beym ersten Anblick denken soll-
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te. Weder die Mönche noch die Layen sind in diesem lezten Viertel des achtzehenten Jahrhunderts mehr was sie ehmals waren. J e n e scheinen d i e U n f ü g l i c h k e i t ihres Daseyns in einer Welt, wo der Mann im Mond kaum eine seltsamere Figur machte, unter Menschen denen sie theils sehr entbehrlich, theils überlästig, theils schon verächtlich sind, selbst zu fühlen. Nichts entschädigt sie mehr für das Opfer aller ihrer Menschenrechte und Ansprüche an häusliches Glück, das sie ihrem unnatürlichen Stande bringen müssen. Die Besten unter ihnen, (und wer läugnet, daß es nicht sehr vortrefliche sehr ehrwürdige Männer unter ihnen giebt?) wissen sehr wohl, daß sie das was sie sind auch in einem andern Stande seyn könnten, und seufzen heimlich unter der erdrückenden Last ihrer Gelübde, welche zu tragen man entweder ein Halbgott oder — ein Vieh seyn muß. Überall sezt sich die Vernunft unvermerkt wieder in den Besiz ihrer unverlierbaren Rechte, und selbst von den Augen des Volks fällt eine Schuppe nach der andern ab. Wenigstens in den höhern Ständen blenden die alten Blendwerke
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niemand mehr. Popanze, deren bloßer Nahme sonst Helden zittern machte, werden izt sogar von Knaben verlacht. Der furchtbare F l u c h d e s E r n u l f u s , der ehemals so große Politische Wunder würkte, hat die magische Kraft verlohren, die ihm die unwissende Einfalt unsrer Voreltern beylegte — kurz, alles ist zu einer Revolution vorbereitet, die der Herrschaft des Aberglaubens den Untergang droht, und die Religion in ihre ursprüngliche edle Simplicität und wohlthätige Lauterkeit wieder einzusetzen verspricht — Wa l d e r. Dank sey dem Himmel! — und was für Aussichten giebt Ihnen dies 10
für die Sache, die Sie in Ihren Schutz genommen haben? Was meynen Sie daß die geistliche Ritterschaft des Römischen Hofes sich von dem Tage, der in den Köpfen aller guten Katholiken aufzugehen anfängt, zu versprechen hat? Diet he lm . Wenn ich glaube, daß die gänzliche Einziehung und Abschaffung aller religiösen Ordensstiftungen in unsern Zeiten eine sehr mögliche Sache sey, so hab ich damit noch nicht eingestanden, daß ich sie so geradezu für billig, oder der Kirche und dem Staat für zuträglich halte. Wa l d e r. Die Mönche, unter irgend einer Gestalt oder Modification, bey welcher sie Mönche bleiben, der K i r c h e , dem S t a a t , n ü z l i c h ? Sie ma-
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chen mich auf den Beweis eines so paradoxen Satzes begierig! Dieth elm . Ich sage nicht, daß die Mönche, unter irgend einer Modification bey welcher sie s o l c h e Mönche bleiben wie sie bis jezt sind, von einigem Nutzen seyn könnten, der sie der Erhaltung werth machte. Ganz gewiß ist das, was Sie und ich unter dem Mönchsgeist verstehen, einer der unsaubersten Geister, die jemals von Menschlichen Leibern Besiz genommen haben. Aber, was hat die ursprüngliche Regel des heil. Augustins oder Benedicts mit dem Mönchsgeist zu schaffen? Und wenn eine Anzahl Klöster in jedem Katholischen Lande auf die g e n a u e s t e aber f r e y w i l l i g e Beobachtung dieser Regeln zurükgesezt würde — so lange es noch Menschen
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geben mag, die sich aus eigner Bewegung dazu entschließen — hätten wir nicht Ursache, solche Institute, zumal wenn sie noch alle Modificationen, die der Aufklärung und Bedürfnis unsrer Zeit angemessen sind, erhalten hätten, für nüzlich anzusehn? Wa l d e r. Und diese Modificationen? Dieth elm . Ich denke mir, zum Exempel, eine Art von Klösterlichen Stiftun-
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gen, worinn eine kleine Anzahl (denn klein wird sie unter diesen Umständen immer bleiben) von Personen, die sich zu einem contemplativen und abgeschiednen Leben berufen fühlten, mit freywilliger Begebung aller Vortheile der Welt, aber auch ohne ihre Pflichten, Sorgen und Zerstreuungen, sich lediglich der ruhigen Betrachtung der himmlischen Wahrheiten widmeten, und in ihrem Wandel die Unschuld, Einfalt und Reinigkeit des ersten Christenthums darstellten. Ich entferne von einem solchen Institut alle Formen, Gebräuche und Übungen, die an der beschränkten Vorstellungsart jener Zeiten der Unwissenheit und Einfalt hangen und mit den richtigern Begriffen der unsrigen contrastieren. Ich entbinde sie von dem
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Zwang ewiger Gelübde, lasse ihnen die Freyheit in die Welt zurükzukehren — Wa l d e r. Kurz, Sie heben die religiosen Orden mit ihrer ganzen dermaligen Verfassung, ihre Gesetze, Gebräuche und Übungen, ihre Disciplin und Hierarchie, ihren Geist und Zwek auf, nehmen den reichen Ordensleuten ihren unnützen Reichthum, den armen ihren dem Volke so überlästigen Bettelsack ab, und verwandeln, durch eine Operation die alle Verwandlungen der Fabel übertrift, die Klöster und ihre dermaligen Einwohner, aus dem was sie jezt gröstentheils sind, — fruges consumere nati,
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remigium vitiosum Ithacensis Ulyssei,
in apostolische Christen, wie sie sich dem guten mystischen F e n e l o n in den seligen Träumen seiner sanften Seele, nach dem Ideal eines Ignatius, Polycarpus u. s. w. darstellten! — Lieber Freund! was soll ich Ihnen antworten, wenn Sie die Beybehaltung des Mönchswesens auf Ovidische Metamorphosen gründen? Dieth elm . Lassen Sie mich den Ausleger meiner Meynung seyn, Walder! Ich gestehe gerne, daß die Anzahl der Mönche, die jezt für manchen Staat so drückend ist, durch meinen Vorschlag im Ganzen vielleicht auf wenige Hundert zusammenschmelzen würde. Desto besser! Diese wenigen würden der Welt in zehn Jahren mehr Gutes thun, als die ganze Möncherey, wie sie bisher gewesen ist, in eben soviel Jahrhunderten. In ihren einsamen Wohnungen würden sich Menschen bilden wie man in der Welt keine mehr
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sieht, und wie die Welt doch so sehr vonnöthen hat — wahre Gottesmänner, ächte Weise, über welche die Verführungen und Versuchungen, denen wir andern Weltleute fast immer unterliegen, keine Gewalt hätten; die zu Erduldung jedes Ungemachs, zu Entbehrung jeder Gemächlichkeit und Annemlichkeit des Lebens gewöhnt, den festen Muth und die aushaltende Stärke hätten, sich dem Strom des sittlichen Verderbens entgegen zu stellen, und Wahrheit, Gerechtigkeit, allgemeines Bestes zu ihrem einzigen Zwek zu machen. Sagen Sie mir, wo anders als in einer solchen Lebensordnung hätte sich ein Mann wie der große X i m e n e s bilden können? Ein 10
Mann, dessen Charakter der Menschheit soviel Ehre bringt, daß ich, falls die Sache von mir abhienge, versucht wäre, die ganze unzählbare Familie des guten F r a n c i s c u s — so wenig ihrer auch darunter sind die er für seine Söhne erkennen würde — beyzubehalten, wenn ich gewiß wäre, daß alle funfzig Jahre nur ein einziger Ximenes aus ihrem Schooße hervorgehen sollte. Wa l d e r. Ich verehre den großen Mann wie Sie: aber wahrlich, das hiesse einen Ximenes theuer erkauft! Und warum so theuer? Erinnern Sie Sich des eben so vortreflichen, vielleicht noch größern und bessern J o h a n n v o n P a l a f o x ! Welchen Helden der Tugend, die irgend ein Zeitalter her-
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vorgebracht, kann man diesen Mann nicht an die Seite stellen? — Und Palafox war kein Mönch! Männer von dieser Art sind ausserordentliche Erscheinungen in der Moralischen Welt. Sie werden weder in Klöstern noch Philanthropinen gebildet: sie fallen gleichsam aus den Wolken herab. Der Himmel selbst hat sie e r z o g e n , sie zu besondern Verrichtungen, die nur durch sie geschehen konnten, herabgeschikt und ausgerüstet; sie erscheinen, führen ihren Auftrag aus, und verschwinden wieder ohne einen Nachfolger zu hinterlassen. — Lieber Freund! So wenig an der Zahl auch die Klöster seyn möchten, welche Sie beybehalten wissen wollen: so würden auch diese wenige zuviel seyn, wenn Sie keine andre Absicht dabey hätten,
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als Männer Gottes, in der reinen Bedeutung dieses Wortes, darinn gebildet zu sehen. Schulen, Seminarien, Institute unter welchem Namen Sie wollen, können — wenn’s gut geht — brauchbare Gelehrte, Geschäftsmänner, Cameralisten, Negocianten, Kriegsleute, u. s. w. erziehen: aber die Ximenes, die Palafox, kommen von selbst. Ich sage noch mehr. Wenn Sie die Saiten auch nicht so hoch spannen; wenn Sie in den wenigen Klöstern, auf welche
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Sie das Mönchswesen zurücksetzen wollen, auch nur eine gewöhnlichere Art von Menschen, aber reine Sitten, exemplarische Frömmigkeit, und den Geist des unverfälschten Christenthums sehen wollten: so würden Sie gleichwohl Ihres Zweks verfehlen; und diese Wenigen, so gut auch ihr Anfang seyn möchte, würden binnen funfzig Jahren schon so unlauter und verdorben seyn, als d e r O r d e n d e r M i n d e r n B r ü d e r sogar schon bey Lebzeiten seines unschuldigen und wohlmeynenden Stifters war. Die the lm . Die Ursachen, warum die Familie des H. Franciscus sobald ausartete, würden bey meinem Klöstern, unter den Modificationen die ich voraussetze, gänzlich wegfallen. —
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Wa l d e r. Nun ja — ich besinne mich! I h r e Mönche würden freylich — k e i n e M ö n c h e seyn — Dieth elm . Eine Art von Cönobiten, Christliche Pythagoräer, wenn Sie wollen, auf eine kleine Anzahl und auf das bloße Nothwendige eingeschränkt, einer zwekmäßigen Lebensordnung oder Regel freiwillig unterworfen, übrigens einander alle gleich, und von der Hierarchie ganz abgeschnitten — Wo sollte da die Verderbniß herkommen? Wa l d e r. Wo sie herkam, als nur Ein Paar Menschen in der Welt war, und unschuldigere Menschen, als sie unter allen Mönchen und Nonnen in der Christenheit schwerlich finden werden. Aber ich will über alles hinausge-
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hen, was ich sagen könnte, um Ihnen zu beweisen, daß Ihre C h r i s t l i c h e P y t h a g o r ä e r sich unvermerkt entweder in bloße Philosophen, Mathematiker, Sternseher, Sprach- und Alterthums-Forscher — oder in eine neue Art von J e s u i t e n — verwandeln, oder ganz absterben würden. Ich will Ihnen die Hundert Cönobiten, die Sie auf ihre vorgeschlagene Weise beybehalten oder vielmehr neuetabliert wissen wollen, gelten lassen. Aber, was sind diese gegen das ganze unermeßliche Mönchswesen, welches Sie entweder abschaffen, oder wie es izt ist, lassen müssen? Daß das Leztere ungereimt sey, haben sie eingestanden: und das Erstere würde, wie Sie sagten, weder billig, noch dem Staat und der Kirche zuträglich seyn. Dieth elm . Sie erinnern mich, daß ich Ihnen meine Erklärung über einen heutigs Tages so paradox klingenden Saz noch schuldig bin. Gut! — ich will Ihnen aufrichtig sagen, wie ich die Sache ansehe. — Sie hat viele Seiten, und kann aus mehr als einem Gesichtspunkte betrachtet werden! Allein unter diesen verschiedenen Gesichtspunkten ist doch nur einer, woraus sie ange-
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sehen werden m u ß , wenn die Frage ist, ob die Klösterlichen Stiftungen länger bestehen sollen oder nicht? Und diesen Gesichtspunkt kann doch bloß d i e G e r e c h t i g k e i t und das a l l g e m e i n e B e s t e angeben? Die religiosen Orden, sowohl diejenige, deren wohlbegründete fruchtbare Capitale aus fetten Gütern uns entgegen glänzen,
als diejenigen, die, wie Homers Kyklopen, — — — Sich auf die Götter verlassend nimmer pflanzen noch säen und nimmer die Erde beackern,
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alle diese Orden sind nun einmal größtentheils seit vielen Jahrhunderten im r e c h t m ä ß i g s t e n , auf Landesfürstliche und Päbstliche Vergünstigungen, und — was ihre Güter betrift — entweder auf fromme Stiftungen und Schenkungen, oder auf bürgerliche Contracte bestens begründeten Besiz ihrer Rechte, Befreyungen, Güter und Einkünfte. Wenn ein so wohl begründeter Besizstand nicht hinlänglich ist, eine Gesellschaft oder Gemeinheit bey ihrem Eigenthum zu schützen: wer würde künftig bey dem Seinigen sicher seyn? — Aber, wenn diese Betrachtung auch nicht im Wege stünde: wie ungewiß ist es immer, ob der Gebrauch, den man von den Reichthümern der geistlichen Orden machen wird, den Staat für das, was
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er durch ihre Aufhebung verlöre, entschädigen werde? Ich verstehe unter dem Staat diejenigen, u m d e r e n t w i l l e n der Staat, oder die bürgerliche Verfassung ist — denn ein Grundsaz, über welchen wir hoffentlich einig sind, ist: daß der Staat der Menschen wegen, und nicht die Menschen des Staats wegen, da sind. Wa l d e r. Eh der Staat ist, müßen freylich Menschen seyn, und alsdenn wird er allerdings um der Menschen willen errichtet: sobald er aber eingerichtet ist, kann man mit der größten Richtigkeit sagen, daß die Menschen eben sowohl des Staats wegen da sind als dieser der Menschen wegen. Aber was wollen Sie aus ihrem Grundsaz erweisen?
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Diet h elm . Ich denke, Sie werden mir zugeben, daß es nicht bloß Aberglauben oder dumme Ehrfurcht vor uralten Vorurtheilen ist, was die Klöster,
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bey den großen Veränderungen, die in allen übrigen Theilen der alten Verfassung Europa’s vorgegangen sind, bis auf diesen Tag erhalten hat. Ohne Zweifel hat der weitausgebreitete Vortheil, den die Bewohner der Katholischen Staaten von diesen Instituten ziehen, vielleicht das Meiste dazu beygetragen. Man kann sie als eine Art von Fidei-Commissen ansehen, die eben so viele nie versiegende Quellen von Versorgung vornämlich für den Bürgerund Bauren-Stand sind, welche diesen Ständen zu entziehen um so unbilliger scheint, je mehr die Bedürfnis solcher Hülfsquellen täglich zunimmt. So lange die Klöster beybehalten werden, kann doch jeder Hausvater, der sich mit einer zahlreichen Familie beladen sieht, darauf zählen, eines oder
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mehrere seiner Kinder auf diese Weise — Wa l d e r. sich mit Ehren vom Halse zu schaffen? — Bey den Sinesern wirft man die Neugebohrnen, wenn man nicht Lust hat sich mit ihrer Erhaltung abzugeben, in die Canäle oder auf die Straße; und dies Mittel, so grausam es ist, ist doch kaum grausamer als Ihr angerühmtes Versorgungsmittel — wenigstens in manchen Fällen. Sprechen Sie im Ernst, Diethelm? oder soll ich Ihnen die Schriften nennen, worinn Sie diesen angeblichen Vortheil der Klöster auf seinen wahren Werth reduziert finden können, und die — in Jedermanns Händen sind? Die the lm . Ich will Ihnen diese Mühe ersparen. Alle Stände in der Welt ha-
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ben ihr Gutes und Böses. Der Klosterstand hat Ungemächlichkeiten, welche durch die bloße Freyheit ihn wieder verlassen zu dürfen hinlänglich vergütet wären. Wa l d e r. Die Untersuchung dieses Puncts würde uns zu weit führen. Aber wenn wir auch diese Art von K i n d e r - A u s s e t z u n g , die man Versorgung in einem Kloster nennt, in Rüksicht auf die A u s g e s e z t e n für eine würkliche Versorgung gelten lassen wollten: so blieben noch immer die Fragen zu beantworten: befinden sich die einzelnen Familien desto besser dabey? Würde es für den Bürger und Bauer nicht zuträglicher seyn, wenn er, für das was es ihm kostet seinen Sohn in ein Kloster zu bringen, und — falls es auch nur einen Mendicanten Orden ist, ein lebenslänglicher Wo h l t h ä t e r dieses Ordens zu seyn — wenn er, sage ich, seinen Sohn dafür irgend eine bürgerliche Handthierung ergreiffen ließe, wobey er durch Geschiklichkeit, Fleiß und gute Aufführung sich selbst, seiner Familie und dem Staat nüzlicher seyn könnte als in dem unfruchtbringenden Stand eines geweyh-
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ten Müsiggängers? Daß dies Wahrheit sey, davon kann sich jedermann augenscheinlich überzeugen, wenn er in Teutschland die Volksmenge und den Nahrungsstand der Protestantischen Länder, wo man seit dritthalbhundert Jahren von dieser traurigen Ressource nichts weiß, mit beydem in den Katholischen vergleichen will. Wie hoch sich d e r g e i s t l i c h e Vo r t h e i l belauffen kann, den ein Staat von so oder soviel Tausenden, Zehntausenden oder Hunderttausenden meistens wohlgenährter, gesunder und baumstarker Mönche ziehen mag, deren Seelen und Leibeskräfte (wenigstens in so ferne sie ihren Gelübden treu bleiben) für das gemeine Wesen gänzlich 10
verlohren gehen, und die ihren Mitbürgern mit Nichts als — s i n g e n und b e t e n dienen, — will ich andern zu berechnen überlassen. Aber dies ist offenbar: daß sich sowohl von den Klostergütern als von den Kloster-Menschen kein Gebrauch erdenken läßt, der dem Wesen der bürgerlichen Gesellschaft mehr zuwider und mit der itzigen oder jeder andern vernünftigen Weltverfassung unverträglicher wäre, als derjenige der davon gemacht wird, so lange das Mönchswesen auf dem Fuße bleibt, wie es bisher in Teutschland und einigen andern Europäischen Ländern gewesen ist. Diet he lm . Habe ich Ihnen die Nothwendigkeit einer durchgängigen gründlichen Reformation desselben nicht schon eingestanden? Aber r e f o r m i e -
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r e n ist nicht a u f h e b e n ; und alles was ich am Ende behaupten will, ist bloß: daß die Klöster nicht aufgehoben werden sollten, so lange eine Möglichkeit ist, sie dem gemeinen Wesen nüzlich zu machen. Und wer kann an dieser Möglichkeit zweifeln? Die Klosterleute leisteten ehmals der Kirche und dem Staat gute Dienste. Warum sollten sie das, unter den gehörigen Abänderungen, nicht auch noch izt thun können? Man gebe ihnen eine unsern Zeiten angemessene E i n r i c h t u n g und B e s t i m m u n g . Man verwandle den grösten Theil der Klöster, nach Maasgabe ihrer Lage, Einkünfte, u. s. w. in wohleingerichtete H o s p i t ä l e r , F i n d e l h ä u s e r , Wa y s e n h ä u s e r , A r b e i t s h ä u s e r u. s. w. und beschäftige die Mönche mit der
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Aufsicht, Besorgung und Bedienung derselben im Leiblichen und Geistlichen. Man schaffe einige andre in E r z i e h u n g s - I n s t i t u t e um — etwa nach dem Muster der Würtembergischen Klosterschulen, oder der S c h u l P f o r t e , des K l o s t e r s B e r g a bey Magdeburg, u. a. in welchen seit einem paar Jahrhunderten so viele Gelehrte und berühmte Männer ihre erste Bildung erhalten haben — so werden sie auch u n s e r n Z e i t e n nüzlich wer-
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den! Ihre Stiftungen, ihre Güter und Reichthümer sind nun einmal zu f r o m m e n Ve r w e n d u n g e n gestiftet. Die wohlmeynende aber übelberichtete Einfalt unsrer Voreltern hat sie G o t t und s e i n e n H e i l i g e n g e s c h e n k t , und a u f e w i g z u m u n v e r ä u s s e r l i c h e n E i g e n t h u m ü b e r g e b e n — Gott und seine Heiligen (sagt man) können nichts von diesen Geschenken und Vermächtnissen brauchen. — Gut! Aber der Geist des Christenthums und die klare Vorschriften Jesu Christi sollen d i e A u s l e g e r der frommen Meynung jener Stifter und Wohlthäter der Klöster seyn. Was G o t t gewidmet wird, ist zu G o t t g e f ä l l i g e n We r k e n gewidmet. Die G o t t g e f ä l l i g s t e n Werke sind die We r k e d e r M e n s c h e n l i e b e ;
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und die w o h l t h ä t i g s t e n von diesen sind f o r t d a u r e n d e , w e i s l i c h e i n g e r i c h t e t e , w o h l u n t e r h a l t e n e , und g e w i s s e n h a f t v e r w a l t e t e ö f f e n t l i c h e A n s t a l t e n z u Ve r s o r g u n g h ü l f s b e d ü r f t i g e r N o t h l e i d e n d e n ; Anstalten wodurch der Menschlichen Gesellschaft unzähliche brauchbare Glieder e r h a l t e n werden, die sonst zu Grunde gehen müßten, unzähliche b r a u c h b a r g e m a c h t w e r d e n , die ihr sonst nur überlästig wären. Ordensleute — die sich auf eine besondere Art, und mit verdienstvoller Verläugnung aller zeitlichen Vortheile und Weltfreuden, lediglich G o t t , d. i. i h r e m N e b e n - M e n s c h e n u m G o t t e s w i l l e n , z u d i e n e n , verlobt haben — schicken sich am besten, den verschiednen Äm-
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tern und Bedienungen, welche in solchen Instituten nöthig sind, vorzustehen — da sie r e i n e r e B e w e g g r ü n d e als die Weltleute, und weder ihre Zerstreuungen, noch Versuchungen, noch eigennützige Neben-Absichten haben. Wie wohlthätig, wie segensvoll könnten auf diese Weise die Klosterstiftungen für die Menschheit und für die Staaten werden, worinn sie sich noch in so großer Anzahl befinden! — Und wenn die Heiligen im Himmel (wie die Katholische Kirche glaubt) noch immer den wärmsten Antheil an allem Guten was auf Erden geschieht, nehmen: wie sehr würden sich die Frommen Ordensstifter A u g u s t i n , B e n e d i c t , B e r n h a r d , B e n n o , N o r b e r t , F r a n z i s c u s , D o m i n i c u s , u. s. w. erfreuen, ihre so zahlreichen, und gröstentheils so wohl begüterten F a m i l i e n aus einer anstößigen und verächtlichen Unbrauchbarkeit herausgehoben, und aus Fruges consumere natis (wie sie izt m e i s t e n s sind) in die wohlthätigsten und ehrwürdigsten Glieder der Menschlichen Gesellschaft verwandelt zu sehen!
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Wa l d e r. Und glauben Sie, mein Freund, daß die Söhne der vorbelobten heiligen Ordens-Patriarchen Augustin, Benedict, Bernhard, Benno, u. s. w. geneigt seyn würden, diese heilsame Verwandlung zu untergehen, wenn es von ihrem Willen abhienge? Diet he lm . Ich habe wenigstens von vielen unter ihnen eine so gute Meynung, daß ich mir getraute es auf ihren Willen ankommen zu lassen. Gesezt aber auch, daß der Willigen weniger wären als ich mir vorstelle: sollte das eine so löbliche, so gemeinnüzliche, so nöthige Veränderung aufhalten können? In einem solchen Falle ist die höchste Macht im Staat berechtigt, Leu10
ten, die nicht w o l l e n was sie s o l l e n , den Willen z u m a c h e n . Wa l d e r. Aber sie scheinen vergessen zu haben, daß sich alle diese ehrwürdige Herren, aus denen sie Spitalvorsteher, Waysenpfleger, Krankenwärter, u. s. w. machen wollen, der K i r c h e und nicht dem S t a a t gewidmet haben? Daß die Meisten unter ihnen Priester sind — Diet he lm . Was sie, nach dem Bedürfnis der Kirche, und selbst nach der ursprünglichen Regel und Bestimmung ihres Ordens, n i c h t seyn sollten! — Da treffen Sie just auf den rechten Flek, Walder! Das Priesterthum der Mönche ist gerade der erste Mißbrauch, dessen Abschaffung in unsern Zeiten unumgänglich nöthig ist. Die Kirche braucht nicht mehr Priester als
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die Handhabung des öffentlichen Gottesdienstes und das was man Curam animarum (Seelsorge) nennt, erfordern. Dieser Grundsaz macht wenigstens den grösten Theil der Priester- M ö n c h e zu höchstentbehrlichen Supernumerariis, die im Weinberg des Herrn müßig stehen, und (wie die Erfahrung lehrt) den würklich angestellten Arbeitern nur im Wege sind. Wenn es also unläugbar ist, daß die Kirche ihrer nicht bedarf: warum sollte der Umstand, daß sie sich d e r K i r c h e oder vielmehr d e m D i e n s t G o t t e s gewidmet haben, ein rechtmäßiges Hindernis seyn können, sie samt und sonders zu solchen wohlthätigen Verrichtungen zu gebrauchen, die darum, weil sie dem Staat wichtig und unentbehrlich sind, dem Allgemei-
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nen Vater der Menschen gewiß nicht weniger wohlgefällig seyn können? Wa l d e r. Sie kommen dem Grund der Sache immer näher, und so nahe, daß wir unvermerkt zusammentreffen, und die Auflösung des Problems, die wir suchen, auf einmal gefunden haben werden. Alles kömmt zuförderst darauf an, daß wir uns recht verstehen, d. i. bey den Worten, die wir gebrauchen, Einerley denken, und die Frage in ihre einfachsten Bestandtheile
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auflösen. Fürs erste also lassen Sie uns alles Zweydeutige von den Worten Kirche und Staat entfernen. Man hört und ließt nur allzuhäuffig, daß von Beyden so gesprochen wird, als ob sie e i n a n d e r e n t g e g e n g e s e z t e Dinge wären, und g a n z v e r s c h i e d n e s I n t e r e s s e hätten. Diese Art zu reden sezt sehr verworrene und irrige Begriffe voraus. In einem C h r i s t l i c h e n S t a a t e können Kirche und Staat unmöglich zweyerlei Interesse haben, man müßte denn (durch einen offenbaren Mißbrauch der Worte) K i r c h e und K l e r i s e y für einerley nehmen; welches gerade so wäre als wenn man S t a a t und S t a a t s b e d i e n t e für gleichbedeutende Dinge halten wollte. In einem Staat soll und darf es keine Mitglieder geben die den
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allgemeinen Gesetzen n i c h t unterworfen sind, von demjenigen dem die höchste Gewalt des Staats übertragen ist n i c h t abhängen, und zum gemeinen Besten n i c h t s beytragen; und falls es solche Glieder gäbe, so müßten sie, eben darum, als unnütze und schädliche Auswüchse, Kröpfe, Schwämme u. s. w. auf jede mögliche Art, wie es mit der mindesten Gefahr des Ganzen geschehen könnte, ausgerottet werden. Ein C h r i s t l i c h e r Staat hat hierinn vor den übrigen nichts besonders. Was man in ihm die Kirche nennt, ist kein eigner unabhängiger Staat im Staat. Sie ist die Totalsumme aller Glieder des gemeinen Wesens in so ferne sie sich zum Christlichen Glauben bekennen. Setzen Sie noch das Wort Katholisch hinzu; die
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Natur des Staats bleibt immer eben dieselbe. Kirche und Staat, Staat und Kirche, immer ein Ganzes aus eben denselben Theilen, eine Gesellschaft eben derselben Menschen, Staat genannt in so fern sie ihr gemeinschaftliches irdisches Wohl betreiben, Kirche, in so fern sie an Christum glauben. Es ist also ungereimt, die nehmliche Gesellschaft von Menschen, unter verschiedenen Benennungen und in verschiednen aber vollkommen verträglichen Ansichten, sich selbst entgegenzustellen. — Was zur Wohlfart des Staats wesentlich ist, kann der Kirche eben so wenig nachtheilig seyn, als der Kirche etwas nüzlich seyn kann, was dem Staat verderblich ist. Die the lm . Setzen Sie immer voraus, daß wir in Grundsätzen von solcher Unläugbarkeit wie diese einverstanden sind. Wa l d e r. Gut! So lassen Sie uns denn sehen, wohin sie uns führen werden. (Die Fortsetzung nächstens.)
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Fortsetzung der Gespräche zwischen Wa l d e r und D i e t h e l m . Fortgesezt von S. 178. des letzten Monatsstücks d. J. Wa l d e r. Man sagt: es war eine Zeit, wo die Mönchsorden der Kirche und dem Staat zugleich nüzlich waren. — Wenn je so eine Zeit war, so ist sie wenigstens schon lange vorbey. Und was für eine Zeit w a r das, m u ß t e das seyn, in welcher ein s o l c h e s Institut dem gemeinen Wesen wohlthätig seyn konnte? Jahrhunderte der Barbarey und Verfinsterung, die man zur Ehre der Menschheit aus ihren Jahrbüchern möchte auslöschen können, 10
wenn sie nicht als w a r n e n d e s B e y s p i e l für die künftigen Zeiten lehrreich wären, und den Völkern, die iezt (ohne den Werth davon zu fühlen) der unendlichen Vortheile der Aufklärung genießen, nicht daran gelegen wäre zu wissen, durch welche Stufen die Nationen, die vor 2000 Jahren der halben Welt Künste, Wissenschaften, Gesetze und Sitten gaben, nach und nach so tief verfallen konnten, zu einem Grad von Schwäche, Verderbniß, Unwissenheit, Aberglauben und Verwilderung herabsinken konnten, daß die Wilden in Nordamerika mit ihnen verglichen für edle und glükliche Menschen gelten mögen! Wenn auch in so abscheulichen Zeiten einige Mönche hier oder dort etwas dazu beygetragen haben, daß es nicht noch schlimmer
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wurde — sollen wir, dieses Verdienstes ihrer Vorfahrer vor Sechs oder Achthundert Jahren wegen, Institute fortdauren lassen, die soweit entfernt sind der i t z i g e n Weltverfassung n ü z l i c h zu seyn, daß es nicht einmal möglich ist, ein Mittel zu erdenken wie sie n u r u n s c h ä d l i c h gemacht werden könnten? Aber, wieviel geht auch, bey näherer und unbefangener Überlegung, von jenen vorgeblichen Verdiensten ihrer Vorfahrer in den Barbarischen Jahrhunderten, ab; und wie unbedeutend werden die würklichen Dienste die sie der Welt gethan haben, gegen das unendliche Böse, das auf ihre Rechnung kommt! „Sie haben, sagt man, so viele Wildniße und Öden in Paradiese verwandelt!“ — Können wir blöde genug seyn uns einzubilden,
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daß dieß Alles nicht auch ohne sie hätte geschehen können, und ohne sie
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geschehen wäre? — „Sie haben so viele gute Bücher abgeschrieben! Ihrem Fleiße haben wir zu danken, daß sich in jenen finstern Barbarischen Zeiten noch so viele Werke der besten alten Griechischen und Lateinischen Schriftsteller erhalten haben!“ — Aber, wer hat denn mehr zur Verfinsterung und Barbarei dieser Zeiten beygetragen, als die Mönche? Warens nicht die Mönche, die, so bald sie zu Ansehn und Einfluß gelangten, nichts angelegners hatten, als allen freyen Gebrauch der Vernunft, alle wahre Philosophie zu unterdrücken, und jenen Meisterstücken der alten Dichter und Weisen, welche sie den Leuten auf alle mögliche Art aus den Händen rißen, ihre eignen mißgeschafnen Genieleeren und geschmaklosen Hirngeburten, zu
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unterschieben? Was für Dank ist man ihnen also schuldig, wenn sie einige Jahrhunderte später alte Bücher abgeschrieben, nachdem sie es dahin gebracht hatten, daß sie beynahe allein schreiben und lesen konnten? Unter allen Monopolien ist gewiß dasjenige das sie so lange Zeit mit der Gelehrsamkeit trieben, das verderblichste. Und wer ist der Litterargeschichte so unkundig, um nicht zu wissen, in was für einem heillosen Zustand Litteratur, Philosophie und Theologie sich befanden, so lange sie in den Händen der Mönche blieben? Wem ist unbekannt, wie sehr es in jenen Zeiten — und in der That z u a l l e n Z e i t e n — das Interesse der Mönche war, sich aller Aufklärung, aller Ausbreitung der nüzlichsten Kenntnisse, allem Geist der
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Untersuchung und des Selbstdenkens, zu widersetzen? Sogar das was sie unverschämt genug waren für Philosophie zugeben, was war es anders als Schlingen für den Menschenverstand, Spinnengewebe, in welchen sich diejenigen verfangen sollten und mußten, die etwas in sich fühlten das sich dem unterdrückenden Despotismus der Hierarchie entgegenbäumte? — Die the lm . Die reine Wahrheit zu sagen, die Mönche sind verlohren, wenn sie keine bessern Behelfe vor sich haben als die Verdienste ihrer Orden in den vergangnen Zeiten. Ich zweifle sehr, daß eine genaue Prüfung derselben im Detail ihnen vortheilhaft seyn würde. Was sie allenfalls Gutes gestiftet, haben sie für ihr eignes Interesse gethan — Wa l d e r. und, (was wir nie vergessen müssen) es war b l o ß z u f ä l l i g , und würde, wenn gar keine Möncherey in der Christenheit existiret hätte, durch andre Mittel und Wege eben so gut und mit unendlich wenigerm Schaden des Staats bewürkt worden seyn. Doch, ich habe dieses armseligen Behelfs nur erwähnt, weil es noch immer Leute giebt, die einen Beweis ihrer Ge-
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rechtigkeit und Unpartheilichkeit abzulegen glauben, wenn sie entweder jene zufälligen und zweydeutigen Verdienste der Klöster, oder die würklichen Verdienste einzelner fromme oder gelehrter Ordensmänner (dergleichen es freylich zu allen Zeiten gegeben hat, und heutigs Tages noch giebt) dem Mönchs-Institut überhaupt zum Verdienst anschreiben — als ob der Mann, der als Mönch ein rechtschafner, aufgeklärter, mit nüzlichen Talenten begabter Mann ist, es nicht auch ohne Kapuz und Kutte gewesen wäre. Ich weiß sehr wohl, daß sich, in diesem Augenblicke wo wir reden, wohldenkende, gelehrte, und brauchbare Männer, ja hier und da Subjecte von 10
den größten Fähigkeiten, unter den Ordensleuten befinden. Aber gerade dies ist, in meinen Augen, ein großer und dringender Beweggrund mehr, die Ordens-Institute selbst je bälder je lieber aufzuheben. Je besser die einzelnen Ordensglieder, als M e n s c h e n betrachtet, sind; je nüzlicher sie dem Staat werden könnten, wenn sie ihm wiedergegeben und Jeder dazu gebraucht würde wozu er sich am besten schikt: je mehr verliert das Gemeine Wesen dabey, so viele brauchbare Personen länger in einem Stande zu lassen, worinn ihre besten Fähigkeiten für die Menschliche Gesellschaft verlohren gehen; worinn sie durch sinnlose und tyrannische Gelübde gefesselt, u n m ö g l i c h das Gute thun können, was sie in andern Umständen
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und Verhältnissen thun würden; ja worinn sie entweder unwürksam bleiben, oder, vom Geist ihres Standes, vom Interesse ihres Ordens, oder der Mechanischen Gewalt der Subordination überwältigt, zum Schaden der großen Politischen Gesellschaft würken müssen, so gut und redlich auch die Gesinnungen, Absichten und Wünsche vieler Einzelnen unter ihnen seyn mögen. Diet he lm . Wollte der Himmel, daß diese leztern zahlreich genug wären, um die Mehrheit der Stimmen auf ihre Seite zu bekommen. Die Reduktion der Klöster würde dann eine so leichte Sache seyn als sie izt schwehr, mühselig, und vielleicht gefährlich ist. Die Mönche selbst würden die ersten
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seyn, die auf die gänzliche Abschaffung des Mönchswesens antragen würden. Denn wer kann und muß von dem ungeheuren Übergewicht seiner Mißbräuche überzeugter seyn als diejenigen, welche am ersten darunter leiden? — Wenn man bedenkt, wie klein verhältnißmäßig die Anzahl derjenigen ist, die durch die höhern Grade und Dignitäten ihres Ordens für alles was sie ihm aufgeopfert eine Art von armseliger Entschädigung er-
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halten — wie gering bey jedem Einzelnen Ordensmann die Wahrscheinlichkeit ist eine dieser Stufen zu ersteigen — so scheint es ganz unbegreiflich, daß nicht unter jedem Hundert Mönchen wenigstens achtzig seyn sollten, die der Freyheit die ihnen angeboten wird mit ofnen Armen und mit fußfälligem Dank gegen den großmüthigen Befreyer entgegen eilen würden. Wa l d e r. Mir scheint dies nicht unbegreiflicher, als daß es in gewissen Ländern landstreichendes Gesindel bey Tausenden giebt, die, solange man die Wahl in ihre Willkühr stellt, lieber ohne Arbeit und Sorgen von Bettelbrod und Kapuziner-Suppen leben, als durch Arbeit und wirthschaftlichen Fleiß wie ehrliche Leute ihren Unterhalt suchen wollen. Unter Hunderten, lieber
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Diethelm, wes Standes sie immer seyn mögen, sind gewöhnlicherweise achtzig — auf der Wage des moralischen Werths abgewogen — schlechte Leute, d. i. Leute, die weder in ihrem Kopfe noch in ihrem Herzen dasjenige haben was die edlern Menschen bey allem ihren Thun und Lassen leitet. Mich befremdets also gar nicht, wenn — ungeachtet aller anscheinenden Beweggründe zum Gegentheil — der Größere u n d b e y w e i t e m d e r g r ö ß e r e Theil der Mönche, wofern ihnen die Wahl gelassen würde, lieber bleiben würden was sie sind: als daß sie sich freywillig zu einer Standes-Veränderung bequemen sollten, worinn sie genöthigt seyn würden, b e s s e r e M e n s c h e n zu seyn als sie izt sind. Die bloße Macht der Gewohnheit — die
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Bequemlichkeit einer sorglosen Lebensart, deren Beschäftigung in Vergleichung mit den Anstrengungen des Landmanns, Handwerkers, Gelehrten, Künstlers, Kaufmanns, u. s. f. wahrer Müßiggang ist — die Bequemlichkeit, ohne Persönlichen Werth bloß durch d e n H a b i t eines Religiosen, und durch den Begriff der Heiligkeit, den ein sinnloses Vorurtheil an diesen Stand geheftet hat, sich bey dem unverständigen Theil der Layen einen Respect zu verschaffen, an welchen der verdienstvolleste Mann in einem schlechten bürgerlichen Rocke weder Anspruch macht, noch machen darf — tausend kleine persönliche Erleichterungen von der Last ihrer Gelübde, und animalische Befriedigungen von allerley Art, welche sich die Meisten unter ihnen unter dem Mantel der Gleisnerey reichlich zu verschaffen wissen — und, was alles auf einmal sagt, der unübersehliche E i n f l u ß , in dessen Besitz sie sich noch überall befinden wo die gesunden Grundsätze der ächten Regierungskunst noch nicht Wurzel gefaßt haben — überlegen Sie nur einen Augenblik, mein Freund, wie groß diese
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Vortheile in den Augen eines in Armuth und Niedrigkeit gebohrnen, in roher Verwilderung aufgewachsnen, in elenden Schulen zum — M ö n c h erzognen, und von dem Augenblik seines A u s g a n g s a u s d e r We l t (wie sie es nennen) mit lauter Finsterniß und Möncherey umfangnen Erdensohns seyn müssen — und sagen mir dann, ob zu erwarten sey, daß die Mönche selbst zu dem heilsamen Werke ihrer Entmönchung willige und dankbare Hände bieten werden? Diet he lm . Wenn auch der b e s s e r e Theil von ihnen, doch gewiß nicht der Größere! 10
Wa l d e r. Es ist ihnen gar nicht zuzumuthen — so lang’ es für den fleischlichen Menschen, für den B r u d e r E s e l (wie der gute redliche S a n c t F r a n z i s c u s seine a n i m a l i s c h e Hälfte nannte) noch so bequem, vortheilhaft und annehmlich ist ein Mönch zu seyn. Diet he lm . Ich weiß ein trefliches Mittel es dem Bruder Esel ein wenig sauer zu machen. Man dürfte die Herren samt und sonders nur im b u c h s t ä b l i c h e n Ve r s t a n d auf ihre ältesten Regeln und auf die ganze Lebensordnung ihrer heiligen Ordensstifter reduzieren. Wa l d e r. Das Mittel, lieber Freund, ist schon zu oft versucht und unwürksam oder vielmehr impracticabel befunden worden, um noch einmal auf
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gerathewohl versucht zu werden. Ich weiß ein besseres, und wahrlich daß einzige, dessen Effect unfehlbar ist. Dem ganzen Mönchs-Wesen muß ohne Ausnahme gethan werden wie man dem Jesuiter-Wesen gethan hat. Delenda est Carthago! Diet he lm . Und Sie halten ein so heroisches Mittel für practicabler? — Glauben Sie daß die Brut der Clements und Ravaillacs ausgestorben sey? Wa l d e r. So lang es noch Fanatiker in der Welt geben wird, ist kein Bubenstük so gräßlich, das nicht irgend ein betrogner Wahnsinniger in majorem Dei gloriam zu verüben fähig seyn sollte. Von den dicken Köpfen und runden Bäuchen besorg’ ich nichts; von den Gleißnern und Betrügern auch
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nichts — als was sie durch heimliche Cabalen, Verhetzungen, indirecte Ausstreuungen, kurz u n t e r G r u n d thun können. Aber von e h r l i c h e n s e l b s t b e t r o g n e n S c h w ä r m e r n , von E n e r g u m e n e n mit r a u c h e n d e m K o p f und b r e n n e n d e m H e r z e n , ist alles zu erwarten. Zum Glükke sind Menschen dieses Gelichters seltne Erscheinungen in unsern Tagen — und auf alle Fälle wird freylich Vorsicht und Behutsamkeit nöthig
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seyn. Mancher wäre nicht in den Fall gekommen unter Henkers Händen zu sterben, wenn er zeitig genug im To l l h a u s e versorgt worden wäre. — Aber weg mit solchen unglüksahnenden Vorstellungen! Der Heldengeist, den die Vorsehung zum Wohlthäter seines Zeitalters, zum Schöpfer einer bessern Welt, berufen hat, ist über alle Furcht erhaben; auch sind a l l e g u t e M e n s c h e n auf seiner Seite — und, lassen Sie mir immer den tröstlichen Wahn, wenn der Glaube, daß auch unsichtbare Schützer für Ihn wachen, Wahn seyn könnte! Große Seelen haben sich noch nie durch kleinmüthige Vorstellungen und Gespenster möglicher Gefahren von Ausführung eines Plans, der für Millionen auf undenkliche Zeiten wohlthätig
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ist, abhalten lassen. — Doch mein Freund, dies ists nicht wovon zwischen uns die Rede war. Ich spreche nicht von dem was geschehen w i r d , sondern von dem, was, meiner Überzeugung nach, über lang oder kurz geschehen m u ß , wenn irgend eine mit den Mönchswesen vorgehende Veränderung einen wahrhaft großen, für Religion und Staat wesentlichen Nutzen schaffen soll. Werfen Sie ihre Augen auf den Zustand Europens im vierzehnten Jahrhundert zurük, und vergleichen sie ihn mit demjenigen, worinn sich der größere und glüklichere Theil desselben izt befindet. Welch eine Menge von Mißbräuchen, von religiosen, politischen, militarischen, wissenschaftlichen, und andern Ungeheuern sind schon ausgerottet worden! Wie wenig
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ist in manchen Ländern von der alten Barbarey der Mittlern Jahrhunderte übrig? Und das Mönchswesen allein, der unschiklichste, mit der Aufklärung unsrer Zeiten, mit der Verfassung, und dem Interesse unsrer heutigen Staaten unverträglichste aller Misbräuche — ein Institut, das, seiner Natur nach, keiner wahren, keiner dauerhaften Verbesserung fähig ist, sollte übriggelassen werden? Und warum? — Es ist ausgemacht: die K i r c h e bedarf keiner Mönche — der Staat bedarf keiner Mönche — Wer bedarf ihrer also? Die the lm . Auf d i e s e Frage ist die Antwort bald gefunden. Der R ö m i s c h e H o f bedarf ihrer, als derjenigen, die immer die eifrigsten Verfechter seiner übertriebensten Anmaßungen gewesen sind — der Römische Hof bedarf ihrer, als der, so lange das Mönchswesen bleibt was es war und ist, eine s t e h e n d e A r m e e , die ihm keinen Heller kostet und Millionen einträgt, in den Ländern aller Röm. Katholischen Souverains auf den Beinen hält — und also ein unläugbares Interesse hat, ihre Erhaltung zu wünschen. Wa l d e r.
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(lachend.)
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rains, ihre Ohren vor der Stimme der gesunden Vernunft zu verstopfen! Aber wenn ich nun weiter fragte; wozu braucht der Römische Hof diese stehende Armee in Staaten wo er (von Rechtswegen) nichts zu befehlen noch zu beschützen, nichts einzunehmen noch auszugeben hat? Diet he lm . Wozu er sie braucht? — oder wenigstens, sobald Zeit und Gelegenheit günstig wären, sie b r a u c h e n k ö n n t e ? — Die Antwort wäre zu weitläufig. Aber sie liegt in d e r G e s c h i c h t e d e r R ö m i s c h e n P ä b s t e , die Ihnen besser als mir bekannt ist. Wa l d e r. Ich will Ihnen die Mühe gerne schenken sich weitläufiger zu er10
klären. Es würde sehr überflüßig seyn, nachdem Sie Selbst den wahren Gesichtspunct, woraus man die Mönche betrachten muß, so richtig angegeben haben, ein Wort mehr von den Ursachen zu sagen, die ihre Abschaffung nach allen Grundsätzen einer vernünftigen Staats-Kunst nothwendig machen. Diet he lm . Sie sehen, lieber Walder, daß ich ein sehr unbefangner Sachwalter bin, und meine Clienten nicht auf Kosten der Wahrheit zu vertheidigen verlange. Wa l d e r. Ich sehe auch, daß Ihren Clienten mit einem so ehrlichen Sachwalter wenig gedient seyn wird.
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Diet h elm . Aufrichtig zu reden — ich bin von der Wichtigkeit aller Gründe, welche gegen die Mönche streiten, und von der Unzulänglichkeit aller Ausflüchte womit man ihnen durchhelfen will, so vollkommen überzeugt als Sie selbst. Ich sehe ihre Abschaffung für eine der nüzlichsten Unternehmungen an, die ein Fürst zum besten seiner Staaten ausführen kann. Noch mehr: ich bin überzeugt, daß das Mönchswesen dem Lernäischen Drachen auch darinn gleicht, daß es vergebens wäre ihm nur e i n i g e K ö p f e abzuhauen. Wenn der heilsame Zwek vollständig und dauerhaft erreicht werden soll, wenn man nicht nur f ü r g e g e n w ä r t i g e B e d ü r f n i s s e sondern auch g e g e n k ü n f t i g e Ü b e l arbeiten, und der Nachwelt die Mühe wieder
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von Vorn anzufangen ersparen will: so muß das Unkraut mit der Wurzel ausgerottet werden. Wer das Recht hat ein einziges Kloster aufzuheben, hat, aus den nämlichen Ursachen, das Recht a l l e aufzuheben, u. s. w. Dies alles geb ich Ihnen zu — Aber gleichwohl liegt noch immer ein Stein des Anstosses im Wege, über den ich nicht so schnell hinwegkommen kann. Wa l d e r. Lassen Sie sehen!
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Dieth elm . Lieber Freund! Wem das Beste der Menschheit am Herzen liegt, dem kann wahrlich bey dem schnellen Anwachs des Despotismus in unserm von uralten Zeiten her so freyen Welttheil, und bey den Verfahrungsarten wovon wir in unsern Zeiten einige sehr auffallende Beyspiele gesehen haben, nicht wohl zu Muthe seyn. Was ist in der bürgerlichen Gesellschaft wesentlicher, was soll der obersten Gewalt im Staat heiliger seyn, als das Recht des Eigenthums? — Und da Sie mir dies unfehlbar zugestehen werden, warum sollen die Klöster in diesem Stücke nicht mit jedem einzelnen Bürger des Staats gleiches Recht geniessen? Wa l d e r. Sind die Klosterleute denn B ü r g e r d e s S t a a t s ? gehören sie zu
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einer Classe, die dem Staat unentbehrlich ist? Was tragen sie zu seinen Lasten, zu seiner Aufnahme, zu seinem Ruhme bey? — Die the lm . Es mag seyn, daß die Beantwortung dieser Fragen nicht zum Vortheil der Mönche ausfallen würde — Aber sie glauben doch hoffentlich nicht, die m e i n i g e dadurch beantwortet zu haben? Dem Staat nüzlich oder nicht, genug die Klöster besitzen Güter im Staat; sie besitzen sie unter den rechtmäßigsten Titeln, und können derselben also nicht beraubt werden, ohne daß die Heiligkeit des Eigenthums-Rechts angegriffen würde, auf welche sich die Sicherheit eines Jeden bey dem Seinigen gründet. Was würde aus dieser Sicherheit werden, wenn es erlaubt wäre, Jemanden seines Ver-
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mögens deswegen zu entsetzen, w e i l e r d e m G e m e i n e n We s e n n i c h t n ü z l i c h g e n u g sey? Wenn ein Jeder, um im Besitz seines Erbgutes gelassen zu werden, erst beweisen müßte: „daß er eine u n e n t b e h r l i c h e P e r s o n sey, und daß sein Vermögen nicht auf diese oder jene Art z u g r ö ß e r m Vo r t h e i l d e s F ü r s t e n o d e r d e s S t a a t s angewendet werden könne?“ Wa l d e r. Dies geb’ ich Ihnen gerne zu. Aber mit G e m e i n h e i t e n möchte es hierinn eine andre Bewandtnis haben als mit einzelnen Personen und Familien. Die the lm . Auf keine Weise! G e m e i n h e i t e n sind als e i n z e l n e M o r a l i s c h e P e r s o n e n zu betrachten, und genießen als solche der nämlichen Rechte wie andre. Wa l d e r. So hat es wenigstens mit den Klöstern eine andre Bewandtnis. Dieth elm . Walder! Nehmen Sie Sich in acht! J e d e m d a s S e i n e , und wenn’s der leibhafte — B a p h o m e t u s selber wäre! Warum sollte, was gegen alle andere Menschen Unrecht wäre, nur gegen die Klöster Recht seyn?
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Wa l d e r. Erlauben Sie mir daß ich Ihnen eine kleine Geschichte erzähle, die ich in einer alten Reisebeschreibung gelesen habe, und, wobey es vorerst gar nicht darum zu thun seyn soll, wieviel oder wenig sie auf unser gegenwärtiges Problema passen mag. In Californien (sagt meine Nachricht) herrschte in uralten Zeiten der seltsame Aberglauben, daß d i e H a m s t e r für unverlezliche, den Göttern besonders angenehme, und aus diesem Grunde dem Gemeinen Wesen sehr erspriesliche Thiere gehalten wurden. — So auffallend uns dies klingen mag, so läßt sich doch die Möglichkeit eines solchen Wahns begreiffen, da wir wissen, wie weit eine ihrer Weisheit 10
wegen einst berühmte Nation die Verehrung ihrer h e i l i g e n T h i e r e getrieben, und welche unermeßliche Summen auf den Unterhalt und religiosen Dienst derselben aufgewandt wurden. Was im alten Egypten der Stier Apis und seine Consorten waren, das konnte ja wohl in Californien die Hamster seyn. Diet he lm . O! das versteht sich — nur weiter, wenn ich bitten darf. Wa l d e r. Die Californier waren (wie leicht zu erachten) etwas dumm, und die Philosophie hatte noch keine sonderliche Progressen unter ihnen gemacht, als die Hamster bey ihnen in so hohem Ansehen stunden. Indessen war es nun einmal eine ausgemachte Sache, daß jeder Ort, um sich wohl zu
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befinden, seinen Hamster-Bau haben müsse; und, wie man in dergleichen Dingen immer weiter zu gehen pflegt, so geschah es auch, daß sich gar bald Leute fanden, die aus besonderm Eifer oder aus Lust zum Müßiggang sich lediglich der Bedienung und Verpflegung der Hamster widmeten. Unvermerkt wurde aus diesen Leuten eine besondere Classe, deren Anzahl und Wichtigkeit eben so unvermerkt zunahm, ohne daß den Californiern geahnet hätten, welche Folgen dies neue Institut nothwendig nach sich ziehen müßte. Wie diese Herren (die, um ihrem neuen Orden mehr Ehrfurcht zuzuziehen, selbst den Namen der H a m s t e r annahmen) die Ehre, die den gebohrnen Hamstern erwiesen wurde, mit ihnen theilten: so wußten sie es
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auch mit guter Art so einzurichten, daß sie in allen übrigen Stücken einerley Interesse hatten. In wenigen Jahrhunderten war Californien mit H a m s t e r - H ö f e n angefüllt, die der Aberglaube des Volks so reichlich mit liegenden Gründen, Zinsen und andern Einkünften begabte, daß endlich der Vierte Theil des Ertrags vom ganzen Lande in den Pfoten der H a m s t e r war. Es versteht sich von selbst, daß diese leztern nicht so ungroßmüthig
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dachten, um das alles umsonst zu verlangen; Sie wußten sich vielmehr auf mancherley Art und Weise um ihre Wohlthäter und deren Nachkommenschaft verdient zu machen. Sie besaßen eine Menge Geheimnisse gegen alle Krankheiten an Menschen und Vieh, in so fern solche von Bezauberung durch böse Leute herrührten; sie verstunden die Sprache der Vögel, legten die Träume aus, hatten ein Mittel gegen die Unfruchtbarkeit der Frauen, konnten Gespenster in einem Sack forttragen, und präparierten aus der Losung eines Hamsters, der zwey Monate lang mit Hechtlebern und Fasanenzungen genährt werden mußte, gewisse Amulete, die den Schwangern Frauen eine leichte Geburt machten und das Zahnen der Kinder beförder-
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ten. Die Californier waren mit diesen guten Diensten so wohl zu frieden, daß ihnen drey bis vier Jahrhunderte lang nichts billiger und schiklicher zu seyn schien, als das Mark ihres Landes von so n ü z l i c h e n und v e r d i e n s t v o l l e n Leuten verzehren zu sehen. Mittlerweile giengen nach und nach mit der Nation allerley Veränderungen vor. Kultur und Polizierung nahm zu; Fleiß und Handlung gebahren Reichthum; der Reichthum neue Bedürfnisse, und beydes jene Anstrengung wodurch neue Künste erfunden und die alten vervollkommnet werden. Unvermerkt schlif sich die Roheit der Californier ab; es wurde heller in ihren Köpfen; sie lernten allmählich ihren Verstand brauchen um zu sehen was ihnen gut oder schädlich war. Der
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sandige Grund der alten Vorurtheile senkte sich. Zulezt fanden sich Leute die es wagten laut zu denken, und ihren trägern oder blödsichtigern Mitbürgern die Augen über unzähliche Mißbräuche zu öfnen, die an dem schlechten Zustand der Nation Schuld hatten, und deren Abstellung lediglich von der Belehrung der guten Californier abhieng. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, ob den Hamstern bey dieser Wendung der Sachen wohl zu Muthe war; es wäre beynahe unbillig, ihnen übel zu nehmen, daß sie einer National-Verbesserung, bey der sie nichts zu gewinnen wohl aber vermuthlich Alles zu verlieren hatten, auf alle mögliche Weise entgegen würkten. Ihr Institut war ungereimt, widersinnisch, lächerlich, und stieß wieder alle Begriffe des gemeinen Menschenverstands an — das war nicht zu läugnen. Aber eben darum hatten sie die Vorsicht gebraucht, vor längst ein Gesez auszuwürken, vermöge dessen niemand als den Hamstern selbst erlaubt war, irgend etwas das die Hamster oder ihre Höfe und Angelegenheiten betraf in Untersuchung zu ziehen; und da es endlich, demungeachtet, nach-
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dem man beynahe mit allen andern Mißbräuchen fertig war, auch über die H a m s t e r - H ö f e zur Sprache kam: so hatten ihre Gegner nichts als die Gesunde Vernunft, die Hamster hingegen einen Besizstand von mehrern Jahrhunderten und die Dummheit des großen Hauffens für sich, dem es gar nicht in den Kopf zu bringen war, daß Fieberrinde einzunehmen ein kräftiger Mittel gegen das kalte Fieber sey, als ein Stückchen von einem Hamsterfell auf dem Magen zu tragen. Funfzig und mehr Jahre giengen drüber hin, ehe die Californier soviel Zutrauen zu ihrem eignen Menschensinn bekamen, um eine vernünftige Entschliessung in dieser albernen 10
Staats-Angelegenheit zu fassen. Endlich mußte es doch dazu kommen. Verschiedne zufällige Umstände begünstigten die Revolution; und kurz, an einem schönen Morgen fand sich, daß irgend ein mitleidiger Genius den Californiern zu soviel Verstand verholfen hatte, daß sie von den Hamstern und Hamsterhöfen ungefehr eben so dachten, wie — bey uns jedermann davon denken würde. Die Leute waren nun auf einmal so klug, daß sie gar nicht begreiffen konnten, wie sie so einfältig hätten seyn können, den Vierten Theil ihres Landes H a m s t e r n abzutreten, und den sechsten Theil ihrer Mitbürger hungern zu lassen, um etliche Myriaden vier- und zweybeinichte Thiere von der entbehrlichsten Gattung fett zu machen. Die Sa-
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che wurde vor eine Art von Landsgemeinde der ganzen Californischen Nation gebracht; und da die Aufhebung des H a m s t e r - We s e n s mit einem grossen Mehr von Stimmen durchgegangen war: so entstund nun die doppelte Frage: erstlich, was mit den H a m s t e r - H ö f e n ? und dann, was mit d e n H a m s t e r n s e l b s t anzufangen sey? Die Hamster behaupteten: die Californier hätten kein Recht, sie aus dem Besiz der Höfe und Güter zu werfen, die ihrem Institut vor Jahrhunderten von den frommen Vorfahren einer ausgearteten Nachkommenschaft (wie sie sich ausdrückten) wohlmeynend ohne Bedingung und auf ewige Zeiten geschenkt worden seyen. Die noch lebende Abkömmlinge der besagten Stifter und Gutthäter be-
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haupteten: wenn die Hamster, wie billig, abgeschaft würden, so wäre es eben so billig, die Güther, die von ihren Voreltern, zu ihrem Schaden, auf eine so widersinnische Art weggeschenkt worden, ihnen als den rechtmäßigen Erben zurükzugeben. Der Advocat des Fiscus behauptete: die Familien der Stifter hätten nicht den mindesten Anspruch an Güter zu machen, die von ihren Vorfahren vor so langer Zeit ohne einige Bedingung von Rük-
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fall veräussert worden seyen. Wenn das Institut der Hamster eingezogen werde, so seyen die besagten Güter als verlaßne herrenlose Dinge zu betrachten, die dem Fiscus anheimfielen; welcher ihrer auch zu so vielen guten Anstalten, deren das Californische gemeine Wesen aus Mangel an hinlänglichen Mitteln bisher hätte entbehren müssen, gar sehr benöthigt wäre. Endlich trat auch die Californische Priesterschaft hervor. Sie hätten zwar, sagten ihre Deputirten, an dem ganzen bisherigen Hamster-Wesen, aus bewegenden Ursachen, niemals sonderliches Wohlgefallen getragen. Indessen sey doch unläugbar, daß die Fundatoren und Wohlthäter der Hamster-Höfe bey ihren Schenkungen keine andre Absicht gehabt hätten,
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als den Göttern dadurch einen Dienst zu erweisen: so wie etwa ein Liebhaber dem Schooshund seiner Dame Zuckerbrodt giebt, nicht um den Hund, sondern die Dame deren Günstling der Hund ist, sich verbindlich zu machen. Die sämtlichen Hamster-Güter seyen also offenbar als heilige den Göttern angehörige Dinge anzusehen; und wenn das Hamster-Wesen aufgehoben werden sollte — wogegen sie, ihres Orts, nichts erhebliches einzuwenden wüßten — so könnten doch die dazu gehörigen Güter den Göttern nicht entzogen werden; und es käme der Priesterschaft allein zu, über die künftige Verwendung derselben zu erkennen. Dieses leztere war ein kizlichter Punct. Die Californier waren noch nicht so weit gekommen, um
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die Rechte des Staats und der Priesterschaft, deren Grenzen immer sehr schwankend gewesen waren, auf deutliche Grundsätze zurükzuführen, und in Gemäßheit derselben auf einen festen Fuß zu setzen. Die LandsGemeinde theilte sich in Partheyen; man sprach für und wider, man erhizte sich, und vermuthlich würden die Hamster, wiewohl ihre Aufhebung eine beschloßne Sache war, Mittel gefunden haben, diese Uneinigkeit zu ihrem Vortheil zu wenden: wenn nicht ein Alter Mann, den seine grauen Haare viele Verdienste um das gemeine Wesen dem Volke lieb und ehrwürdig machten, aufgestanden wäre, und folgende Meynung eröfnet hätte: „Lieben Brüder, ihr wißt, daß unser Land, wiewohl es von den Göttern reichlich gesegnet ist, weder so viele noch so glückliche Menschen nährt, als es seinem Umfang und seiner Fruchtbarkeit nach billig ernähren sollte. Es war ungereimt mit dem Vierten Theil unsers Landes Sechzigtausend Hamster zu mästen, und dagegen eine halbe Million armer Californier zu Stillung ihres Hungers an die magern Suppen zu verweisen, die vor den Pforten der
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Hamsterhöfe ausgetheilt werden. Die Götter haben uns endlich die Gnade verliehen, einzusehen, daß dies nicht länger so bestehen könne. Wir haben eine Menge armer Waysen, welche Erziehung, eine Menge dürftiger Haushaltungen, welche Arbeit und Brodt, eine Menge hülfloser alter und kranker Leute, die für den kurzen Rest eines mühseligen Lebens Versorgung nöthig haben. Wir bedürfen also höchstnothwendig Waysenhäuser, Erziehungshäuser, Arbeitshäuser, Krankenhäuser und Spitäler in allen Gegenden unsers weitläuffigen Reiches; und dazu kämen uns nun, wie Ihr seht, die fetten Hamsterhöfe treflich zu passe. Aber sie gehören, wie die ehrwür10
dige Priesterschaft sagt, den Göttern an; und die Götter bewahren mich, daß ich ihnen streitig machen sollte, was ihnen angehört! Die Rede kann also nur von der Nutznießung dieser Güter seyn. Die Götter selbst bedürfen nichts, weil sie bereits Alles haben; auch lehrt man uns (und die Vernunft würde es uns gesagt haben wenn uns auch die Priester ein Geheimnis daraus hätten machen wollen) daß die Götter den Menschen hold sind und gerne Gutes thun. Sie bedürfen der Hamsterhöfe, die ihnen von unsern Vorfahren geschenkt worden, nicht: aber sie wollen daß unsre Waysen und Findlinge erhalten, unsre Kinder erzogen, unsre Armen versorgt, unsre Kranken und Schwachen verpflegt werden. Die Götter haben Freude an
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unsern Wohlstand; sie wollen, daß die Californier fleißig, betriebsam, wohlhabend, wohlgenährt, wohlgekleidet, wohlgemuth, und mit dem Leben, das sie von ihnen empfangen, zufrieden seyen, und sich vermehren wie Sand am Meer. Sie haben keinen Gefallen am Fett der Hamster: aber sie haben Freude daran, unsre Felder wohlbestellt, unsre Anger von Schafen wimmelnd, unsern Flachs, unsre Wolle von Californiern verarbeitet, unsre Städte mit ämsigen Handwerkern, Künstlern und Handelsleuten angefüllt, unsre Landstrassen mit beladnen Wagen, unsre Flüsse und Seen mit reichen Schiffen bedekt zu sehen, die den Überfluß und die Früchte des Fleisses, gleich einem allbelebenden und erhaltenden Nahrungssaft, durch
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alle Theile unsers glücklichen Reiches tragen. Sie schenken uns, zu diesem Ende, den Gebrauch und die Nuznießung ihrer Hamsterhöfe, und Wir alle nehmen ein Geschenk, dessen wir so sehr bedürfen, aus den wohlthätigen Händen, deren Eigenthum die ganze Schöpfung ist, dankbar und ohne Bedenken an; und machen uns anheischig gegen sie, diese Schenkung zu dem guten Endzwek, wozu sie uns verliehen worden, redlich anzuwenden!“
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Hier hörte der alte Mann auf zu sprechen, und Alles Volk jauchzte ihm den lautesten und einmüthigsten Beyfall zu. Die Priester selbst konnten nicht so unverschämt seyn etwas gegen einen so billigen Ausweg einzuwenden, und bekräftigten die Schenkung der Götter — mit zusammengebißenen Lippen. Die the lm . Und die Hamster? Was ward aus denen? Wa l d e r. Da die meisten von ihnen zum Pflug g e b o h r e n waren, so wurde für recht und billig angesehen daß sie zum Pflug zurükkehrten. Diejenigen, die dazu nicht Verstand genug zu haben schienen, wurden zum Dreschflegel und zur Holzaxt verwiesen. Die untauglichsten lernten Wolle kämmen,
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und zum Besten derjenigen die in Müßiggang und Wohlleben ihres Standes grau und unbehülflich worden waren, wurden ein paar Hamsterhöfe in Spitäler verwandelt. — Die g e b o h r n e n H a m s t e r überließ man ihrem Schiksale. Sind Sie nun befriediget, lieber Diethelm? Oder bedarf es noch einer schärfern Erörterung? Die the lm . Sie sind ein loser Vogel, Walder! Ihr Alter sprach wie ein Orakel. I c h bin zufrieden, und die Californier warens vermuthlich auch. Wenigstens konnten sie d a s G e s c h e n k d e r G ö t t e r mit gutem Gewissen annehmen. Wenn die H a m s t e r am schlechtesten dabey wegkamen, so wars ein kleines Übel um ein großes Gut. Wer wollte auch immer jedermann zufrieden stellen können? (Die Fortsetzung künftig.)
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Zweytes Gespräch zwischen Wa l d e r und D i e t h e l m . (Fortgesezt von S. 279. des lezten Monatsstücks d. J.) Diethe lm . Ihre Californier haben mir diese Nacht den schönsten Traum gegeben, den ich in meinem Leben gehabt habe. Mir war als ob ich Flügel hätte; ich durchflog, mit jener leichten Behendigkeit die in Träumen ein so großes Vergnügen ist, die ganze Christenheit, und sah überall — alle Klöster und Gotteshäuser (wie man sie in einigen teutschen Provinzen nennt) in Erziehungs-Anstalten, Frey-Schulen, Gymnasien, Akademien der Wis10
senschaften, Waysenhäuser, Findelhäuser, Blatternhäuser, Arbeitshäuser, und Spitäler verwandelt. Ich kann Ihnen nicht ausdrücken, Walder, wie wohl meinem Herzen bey diesem Anblik wurde — und wie verdrieslich es mir war, beym Erwachen zu finden daß ich nur geträumt hatte. Aber warum, dachte ich, sollte der Wahre Gott, den wir anbeten, der liebreiche Vater der Menschen und aller Wesen, Er, der sogar Nichts bedarf, weniger geneigt seyn, als die Götter der Kalifornier, uns die so viel bedürfen, zu einem so guten Gebrauch, ein Geschenk mit den Häusern und Gütern zu machen, die Ihm in Zeiten der Unwissenheit und Verblendung von der Einfalt unsrer guten Alten wider seinen Willen aufgedrungen wurden?
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Wa l d e r. Auch fehlt es gewiß nicht an Seinem guten Willen; alles kommt wohl bloß darauf an, daß Wir, was er uns so gutwillig anbietet — was Er nicht bedarf, zu nichts brauchen kann, und was hingegen für uns die reichste Quelle von so vielem Guten werden könnte — a n z u n e h m e n w i s s e n . Keines von Allen Geschenken, die Er uns macht, wird auf eine andre Art gemacht. S i e s i n d d a ; wir haben Sinne, Gliedmaßen, Vernunft, sie in Empfang zu nehmen, zu genießen, in unsern möglichsten Nutzen zu verwandeln. Unterlassen wir dies, thun wir das Unsrige nicht dabey; so hat er uns mit Sonne, Mond und Sternen, mit Feuer, Luft, Wasser und Erde, und allem was drinnen ist, ja mit unsern Sinnen, unsern Gliedmaßen und uns-
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rer Vernunft selbst, ein vergebliches Geschenke gemacht. Es wäre unge-
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reimt, zu warten, bis ein Engel vom Himmel käme, und den Christlichen Völkern, bey denen das Mönchswesen, zum unermeßlichen Schaden des Gemeinen Wesens, noch in seinem alten Stande ist, einen förmlichen Schenkungs-Brief über die Klostergüter, oder einen ausdrüklichen Befehl, sie nüzlicher anzuwenden, brächte. Der Schenkungsbrief ist unnöthig, denn der Befehl ist schon da; wenn anders die Stimme der gesunden Vernunft, die so laut ruft daß sie der ganze Erdboden hört, so gut ein Orakel Gottes ist als irgend ein geschriebenes. Die the lm . Nichts ist klärer — und es ist mit den Anti-Mönchischen Grundsätzen wie mit der Epiktetischen Moral und sentimentalischen Staatsweis-
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heit, die unser wohlmeynender und redseliger Freund R a y n a l den Königen und Völkern der Erde auf allen Blättern seines voluminosen Werckes zu predigen nicht müde wird. Jedermann ist was die Grundsätze betrift mit ihm einverstanden. Jedermann gesteht, daß es menschlicher, edler, besser, vortheilhafter wäre, in allen Fällen gerecht, billig und wohlthätig, vernünftig, systematisch und consequent zu seyn. Aber gleichwohl werden die Könige und Völker der Erde — so oft sie ihr besonders Interesse dabey zu finden g l a u b e n — ungerecht, gewaltthätig, grausam, inconsequent und dem Interesse des Ganzen zuwider handeln, und, ohne unserm Freunde Raynal seine Moral zu disputieren, immer den Fall, wo sie ihr entgegen
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handeln, für eine Ausnahme von der allgemeinen Regel halten. Gerade so ists auch mit dem Mönchswesen. Alle vernünftigen Köpfe in der Welt denken so richtig darüber als Plato und Aristoteles thun würden, wenn sie von den Todten auferstünden, und die feine Wirthschaft ansähen, die ein Dutzend barbarische Jahrhunderte in dem Theile des Erdbodens angerichtet haben, über, welchen sie einst soviel Licht verbreiteten — ohne gleichwohl mit allem ihrem Licht den bösen Dämon des Menschengeschlecht verjagen zu können, welcher es ewig im nähmlichen Kreise von Tugend und Laster, Weisheit und Thorheit, Wohlstand und Elend, herumtreiben, und ewig verhindern wird, daß es durch seine vergangene Thorheiten klüger werde. Wa l d e r. Indessen ist, wie Sie sehen, ein guter Anfang gemacht — Die the lm . Allerdings! — ein Anfang, daß es würklich jammerschade wäre, wenn es beym bloßen Anfang bleiben sollte. Was schon geschehen ist, ist in gewisser Rüksicht viel; aber was ist es gleichwohl gegen das Gute das noch geschehen könnte?
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Wa l d e r. Wir haben noch nie soviel Ursache gehabt das Beste zu hoffen als in diesem Augenblik — Diet he lm . Die H y d e r erschrekt mich, der für jeden abgehaunen Kopf wieder ein Paar andre wachsen. Wa l d e r. Desto größer das Verdienst des Herkules, der sie vertilgen wird! — Wir verstehen uns doch, denke ich? Die Hyder, die wir ausgerottet sehen möchten, ist ein u n s i c h t b a r e s Ungeheuer. Nicht die Mönche, nicht die Mönchs-Klöster, nicht die Mönchsorden — der M ö n c h s - G e i s t ist es, was vertilgt werden muß. Aber dieser Kakodämon ist von einer so Polypen-ar10
tigen Natur, daß er, man schneide soviel Stücke von ihm ab als man will, sich immer wieder ergänzen und bey Leben bleiben wird, so lange noch eine einzige runde oder spitzige Kapuz, eine einzige schwarze, weisse, oder braune Kutte übrig ist, in die er sich verkriechen kann. — Man kann es mit den wackern, gelehrten, ehrwürdigen Männern, die in diesen Masken stecken, nicht besser meynen als ich. — Wenn ich sie von dem gefährlichen H a b i t , der heutigs Tages einen so wunderlichen Contrast mit der Aussen-Seite aller übrigen ehrlichen Leute macht, befreyt sehen möchte: so möchte ich ihnen hingegen von ihren Persönlichen Gerechtsamen und Ansprüchen an einen anständigen und glücklichen Plaz in der menschlichen Gesellschaft
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nicht einen Sonnenstaub entzogen wissen. Dieth elm . Ich kenne manche unter ihnen, die bey der Veränderung viel zu gewinnen hätten. Ihr Verstand, ihre Talente, ihre Wissenschaft, ihre Geschiklichkeit zu Geschäften, ihre Annehmlichkeit im gesellschaftlichen Umgang, würden durch ihre Rükkehr in die Welt, durch Versetzung in einen größern oder wenigstens nüzlichern und freyern Würkungskreis sich ganz anders ausnehmen, als izt, da ihr Licht unter einem Scheffel steht, und persönliche Vorzüge, anstatt ihnen zum Vortheil zu dienen, ihnen vielmehr von ihren Brüdern und Obern nicht selten zum Verbrechen gemacht werden. In der That sind Ihre Ordens-Geistliche was diesen Punct betrift, ohne
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alle Vergleichung besser dran als die Californischen Hamster; und in so ferne sie nur soviel Gnade vom Himmel empfangen — mit der Kutte auch den vorbesagten unsaubern Geist von sich zu werfen, so bin ich versichert, daß es wenige unter ihnen giebt, die nicht zu den edlern Bestimmungen in der Menschlichen Gesellschaft brauchbar wären. Wa l d e r. Hier besorge ich, lieber Diethelm, haben sie um ein gutes Theil
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zuviel gesagt. Aber lassen wirs auch dabey bewenden: so würde doch in dem Priesterlichen Stande, der (wie sie wissen) bey uns einen u n a u s l ö s c h l i c h e n C h a r a k t e r aufdrukt, immer die größte Schwierigkeit liegen, die Mönche, falls ihr Institut gänzlich aufgehoben würde, jeden an die Stelle zu setzen, wo er dem Staat und sich selbst am nüzlichsten wäre. Die the lm . Wie selten läßt sich von jedem andern Subject sagen, daß es just an dieser Stelle sey! Warum wollte mans nur eben mit den Mönchen so genau nehmen? Im Nothfall läßt sich ein Suppentopf für einen Kaffeetopf gebrauchen — der Kaffeetopf kann sich also im Nothfall auch wohl zum Suppenkochen gebrauchen lassen. Vorzügliche Geschiklichkeiten werden,
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zumal in einem Staat wo sie ziemlich selten sind und wo man das Bedürfniß derselben zu fühlen anfängt, nicht lange verborgen bleiben. Aber, zugestanden, daß der größte Theil der Mönche ihres Priesterthums wegen zu sogenannten weltlichen Geschäften und Ämtern nicht qualifiziert sind: dies würde mich, wenn ich ihnen ihre Bestimmung anzuweisen hätte, nicht verlegen machen. Es ist doch wohl unläugbar, daß in den meisten Katholischen Staaten an der Einrichtung des Kirchen- und Schulwesens — auch was das gehörige Verhältnis der Anzahl der Kirchen und Schuldiener zu dem Bedürfniß der Gemeinen betrift — vieles zu verbessern wäre. In manchen Gegenden sind der Kirchspiele zu wenig; die Pfarreyen sind, oft bey einem
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kaum zureichenden Einkommen, mit mehrern Filialen belastet; und manche Dorfschaften haben zwo und mehr Stunden zur Kirche zu gehen. Unzähliche haben entweder gar keine oder so schlecht besoldete und übelversehene Schulen, daß es eben soviel ist als ob sie keine hätten. Allen diesen Gebrechen könnte durch Aufhebung des Mönchswesens abgeholfen werden. Die reichsten Klöster würden einen Fundus herstellen, woraus die zu jeder solchen Verbesserung nöthige Ausgaben bestritten würden. An Orten, wo die Pfarrey bisher durch einen Ordensgeistlichen im Namen seines Abbts versehen worden, würde die neue Einrichtung desto leichter zu bewerkstelligen seyn. An andern, wo neue Pfarrkirchen und Schulen zu dotieren wären, würden die Güter eines benachbarten Klosters dazu verwendet werden können. Aus einigen Klöstern könnten S e m i n a r i e n künftiger K i r c h e n d i e n e r , aus andern Seminarien tauglicher S c h u l l e h r e r , besonders für das Landvolk gemacht werden. Die Reichthümer der Klöster reichen für das alles und noch mehrers zu. Und wie glüklich sind die Ka-
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tholischen Staaten in diesem Stücke vor den Protestantischen! Tausend gute und sogar unentbehrliche Anstalten müssen in vielen der leztern unterbleiben, weil es an den Mitteln zur Ausführung fehlt: Jenen hingegen darf es nur an Verstand und Willen nicht fehlen, sie dürfen sich nur umsehen, was für gemeinnützige Anstalten ihnen noch mangeln, oder was einer Verbesserung bedarf; vor den Unkosten, so beträchtlich solche immer seyn mögen, dürfen sie nicht erschrecken. Jeder besizt an den reichen Klöstern innerhalb seiner Grenzen ein P o t o s i , einen Schaz, der zu den treflichsten Unternehmungen reichlich zureicht, 10
Wa l d e r. und der, wiewohl er von allerley schwarzen und weissen Geistern bewacht wird, doch viel leichter und sichrer zu h e b e n ist, als die unterirdischen Schätze, die den Sonntagskindern zuweilen von Gespenstern oder Erdgeistern gezeigt werden. Denn, zu gutem Glücke, sind es meistens sehr materielle Geister, die soviele Berührungspuncte haben, daß mans wahrlich ungeschikt angehen müßte, wenn man sie nicht dahinbringen könnte, ihre Schätze gutwillig herzugeben: zumal da sie im Grunde, wie die Greiffen in den alten Rittermährchen, doch nur bloß d i e H ü t e r davon sind, und deswegen keinen bessern Wein zu trinken bekommen, wie reich auch der Heilige seyn mag, dem ihre Güter und Schätze zugehören. — Ernsthaft
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zu reden, ich glaube daß Sie auf den eigentlichen Fleck getroffen haben, wenn Sie behaupten, daß man die K l o s t e r g ü t e r nicht besser und schiklicher als auf Kirchen und Schulen verwenden könnte. Aber Ihre Meynung ist doch wohl nicht auch, aus den Klosterherrn selbst — Pfarrer und Schuldiener zu machen? Diet he lm . Warum nicht? Wa l d e r. Nun freylich, bey dem günstigen Vorurtheil, so Sie (wie es scheint) von der Rechtschaffenheit, Geschiklichkeit und Frömmigkeit unsrer Ordensgeistlichen gefaßt haben, begreiffe ich leicht, wie Sie Sich überreden können, daß man ihnen einen so großen Einfluß auf die gegenwärtige und
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nächstkünftige Generation ohne Gefahr anvertrauen dürfte. Aber — Dieth elm . Ich verstehe Ihr A b e r , mein vorsichtiger Herr! Ihr Mißtrauen möchte wohl so ungegründet nicht seyn. A b e r ich weiß ein Mittel, wodurch wir uns der wackern Männer gänzlich versichern, und sie so zuverläßig machen können, daß man ihnen ohne mindeste Gefahr etwas noch wichtigers anvertrauen dürfte, wenn anders etwas noch wichtigers in ei-
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nem Staat wäre als die Erziehung der Jugend und die Moralische Bildung und Leitung des Volks. Wa l d e r. Das muß ein sonderbares Arkanum seyn! Lassen Sie hören, wofern meine Neugier nicht zu unbescheiden ist? Die the lm . Ganz und gar nicht. Mein Mittel ist so wenig ein Arcanum, daß es sogar in Italien, sogar mitten in der heiligen Stadt Rom, auf den Dächern gepredigt wird; und für seine Wirksamkeit wollte ich mit meinen Leben stehen. Wa l d e r. Ach! Nun errath ichs! Sie wollen den Geistlichen Herren — We i ber geben ?
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Dieth elm . Allerdings! und zwar ohne Ausnahme; auch den Bischöffen, nach der ausdrücklichen Apostolischen Verordnung des Heil. Paulus: e i n B i s c h o f f s o l l e i n e s We i b e s M a n n s e y n ! Wa l d e r. Also — auch ohne den Pabst auszunehmen? Dieth elm . Warum nicht? Als Bischof von St. Johann im Lateran (welches, wie sie wissen, sein ältester, und — unter uns gesagt — sein einziger incontestabler Titel ist) kann er so gut eines Weibes Mann seyn als der Erzbischof von Canterbury, der darum nicht weniger Primas und erster Geistlicher Lord von Groß-Brittannien ist. Wa l d e r. Es läßt sich hören! Alles wohl überlegt denke ich nicht, daß die
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Gemahlin und Kinder eines jeweiligen Pabsts den H. H. Aposteln Peter und Paul und dem Stato della Chiesa lästiger fallen würden als seine Neffen und Basen — Es käme bloß auf eine gute Einrichtung an. Die the lm . Der Apostel Petrus war verheurathet, (denn er hatte eine Schwiegermutter, wie Sie aus dem Evangelio wissen) ohne daß das Wittum seiner Frau oder daß Etablissement seiner Kinder der Kirche (soviel man weiß) viel gekostet hätten. Warum sollte das bey seinem Nachfolger nicht eben so gut angehen? Aber — soweit wollen wir uns vor der Hand noch nicht versteigen. Ich sehe eben nicht, warum es unumgänglich nöthig wäre, daß die Bischöffe und Fürsten der Kirche schlechterdings verheurathet seyn m ü ß t e n . Ich möchte dies selbst bey den bloßen Pfarrherrn nicht zu einem i n d i s p e n s a b l e n G e s e t z e gemacht sehen. Genug, wenn die Geistlichen — versteht sich diejenigen, die einen würklichen Kirchendienst mit hinlänglicher Versorgung haben — heurathen d ü r f t e n , und wenn es als eine M o r a l i s c h e P f l i c h t angesehen würde, von welcher kein rechtschaffner
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Mann ohne wichtige Ursache sich selbst dispensierte. Sie wissen ohnezweifel, wie es hierinn bey uns Protestanten gehalten wird. Unsre Geistlichen sind zwar nicht bey Strafe verbunden sich zu verheurathen; aber das Volk hat überhaupt kein rechtes Zutrauen zu ehlosen Pfarrern. Selbst der höchste Grad von exemplarischer Tugend und Frömmigkeit würde kaum hinlänglich seyn einen solchen Geistlichen mit den Vorurtheilen seiner Gemeine über diesen Punct auszusöhnen. Man würde doch immer übel finden, daß er sich nicht in den Stand setze, seinen Pfarrkindern auch durch die Tugenden eines Ehmannes und Hausvaters vorzuleuchten — und dies 10
allein muß die Würkung thun, daß wenige Geistliche unter den Protestanten ehlos bleiben; gesezt auch, daß die völligste Freyheit — der Stimme der Natur und dem ersten Gesetz des Schöpfers folgen zu dürfen — nicht für sich selbst schon hinreichend wäre. Wa l d e r. Bey u n s e r m Volke würde die Priester-Ehe, wenn unsre Klerisey auch durch den Schluß einer allgemeinen Kirchenversammlung dazu berechtigt würde, gerade das entgegengesetzte Vorurtheil wider sich haben. Unsre Geistlichen würden, wenn sie sich einer solchen Vergünstigung bedienen wollten, allen Respect bey ihrer Heerde verlieren; und ich glaube, sie sind hievon so überzeugt, daß keiner der erste seyn wollte, der sich
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durch einen so stark gegen die uralten Vorurtheile anstoßenden Schritt dem Spott der Weltleute und der Verachtung des gemeinen Volkes aussezte. Diet he lm . Ich zweifle nicht, daß die Sache, wie alle ungewöhnlichen Dinge, anfangs Aufsehen machen würde. Aber wie bald gewöhnte sich im zweyten Viertel des Sechszehnten Jahrhunderts das Volk in den Staaten, die sich der geistlichen Oberherrschaft des Römischen Stuhls entzogen, an die PriesterEhe? Wie es damals gieng, so würde es wieder gehen. Überdies ist auch der gemeine Mann in den Katholischen Ländern so einfältig nicht mehr, daß er den ehelosen Stand der Geistlichen in Concreto würklich für etwas so heiliges und erbauliches halten sollte, wie er ihm wohl zuweilen von der Kanzel
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i n A b s t r a k t o vorgespiegelt wird. Die Layen wissen über diesen Punct zuviel von den kleinen Geheimnissen der Geistlichkeit, und denken auch überhaupt, größtentheils schon zu vernünftig, als daß eine Bulle des heil. Vaters, worinn die Vortheile der Priester-Ehe angepriesen würden, nicht hinlänglich seyn sollte, alle etwa noch übrigen großmütterlichen Scrupel (veteres avias, wie sie J u v e n a l nennt) aus dem Grunde auszureuten.
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Wa l d e r. Alles dies kömmt Ihnen, lieber Diethelm, weil es mit dem, was Sie von Kindheit an gehört und gesehen haben, übereinstimmt, viel leichter vor als es in der Ausführung seyn würde. Wenn auch alle andere Hindernisse gehoben wären, so würde, dies bin ich gewiß, kein Priester von einiger Delikatesse sich entschließen können, das erste Beyspiel zu geben. Dieth elm . So müßte es nur v o n O b e n h e r a b gegeben werden. Gewiß ein Mann wie P i u s V I . dem alle Verrichtungen und Feyerlichkeiten des Prophetischen und Hohen-Priesterlichen Amtes sowohl anstehen, würde auch in die Cerimonie seiner öffentlichen Vermählung soviel Würde und etwas so rührendes und auferbauliches zu bringen wissen, daß alles Volk Amen!
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dazu sagen, und kein einziger von denen die sein Apostolat anerkennen länger Anstand nehmen würde, einem so schönen Beyspiele nachzufolgen. Ich bin gewiß, dies wäre der kürzeste Weg, alle Hindernisse, die der Sache noch im Wege stehen, wegzuräumen. Und weggeräumt m ü s s e n s i e d o c h w e r d e n , über lang oder kurz; oder es wird nie keine wahre Harmonie zwischen Kirche und Staat hergestellt, die Klerisey nie in ihre gehörigen Schranken und in das bürgerliche Verhältniß gesezt werden, worinn sie stehen m u ß , wenn sie nicht ewig ein Staat im Staat bleiben, und durch tausend Collisionen, die alle Augenblicke wiederkommen, dem möglichsten Wohlstande des Ganzen immer im Lichte stehen soll.
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Wa l d e r. Ich besorge in der That daß es endlich, wie Sie sagen, dazu kommen wird. Dieth elm . Sie b e s o r g e n es? Wa l d e r. Weil ich mich noch immer nicht davon überzeugen kann, daß die Vortheile, die dem gemeinen Wesen durch die Priester-Ehe, oder (welches eben soviel ist) durch Herabwürdigung des Geistlichen Standes in den bürgerlichen zuwachsen möchten, wichtig genug wären, um ihnen diejenigen aufzuopfern, die aus dem ehlosen Stande der Priester entstehen, und durch den Vorschlag, der izt einigen wohlmeynenden Leuten so sehr am Herzen liegt, verlohren gehen würden. Dieth elm . Ich habe wohl nicht nöthig Ihnen die alten Gründe zu wiederholen, die für die Aufhebung des Verbots der Priester-Ehe seit einiger Zeit in öffentlichen Schriften wieder aufgewärmt worden sind? Mir scheinen sie von der entscheidendsten Stärke zu seyn. Wa l d e r. Das sind sie auch unstreitig, aus dem Gesichtspunct, woraus Sie,
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mein Freund, mit allen die — seit dem unschuldigen alten Ketzer V i g i l a n t i u s bis auf diesen Tag — ihre Stimme gegen den Cölibat der Geistlichen erhoben haben, die Sache ansehen. Ich gestehe Ihnen auch gerne, daß der Eifer womit die Bischöffe von Rom, vom vierten Jahrhundert an, auf diesen Punct der Kirchen-Disciplin gedrungen haben, hinlänglich seyn könnte, die Absicht desselben verdächtig zu machen. Aber da die Weltlichen Fürsten in unsern Zeiten Macht und Mittel genug haben, die Klerisey ihrer Staaten, ehlos oder verehlicht, in gebührendem Respect zu erhalten: so dünkt mich, die alte G e h e i m a b s i c h t d e s R ö m i s c h e n H o f e s komme izt gar nicht 10
mehr in Betrachtung; und wenn ich die Aufhebung des Cölibats unsrer Geistlichkeit mehr befürchte als wünsche, so habe ich dazu Gründe die auf einer ganz andern Seite liegen. Diet he lm . Sie erregen meine Aufmerksamkeit. Wa l d e r. Ich setze als einen ausgemachten Grundsatz voraus, daß gute Sitten und eine Religion, welche die Sitten unterstüzt und vor der Verderbniß möglichst verwahren hilft, die wesentlichste Angelegenheit eines Staates sind. Es braucht nur einen aufmerksamen Blik auf den Zustand der heutigen Welt, um zu sehen, wie wichtig der Dienst ist, den die Christliche Religion dem Staat von dieser Seite leistet. Wo wäre, o h n e s i e , das Gegen-
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gewicht gegen die Einflüße der übermüthigen und unbesonnenen Philosophie unsrer Zeiten, die, unter dem Vorwand uns aufzuklären und von Vorurtheilen zu befreyen, alle Bande der Menschlichen Gesellschaft in ihre zartesten Faden auflößt, um unvermerkt einen nach dem andern davon abzureissen? Je weniger das ist was unsre angebliche Aufklärung uns von der Religion unsrer Väter übrig gelassen hat; je gemeiner es unter den Großen, unter den Gelehrten, und überhaupt unter den angesehensten Ständen zu werden anfängt, die Religion noch bloß als ein Politisch-Moralisches Mährchen, gelten zu lassen, und jemehr sie durch diese Art zu denken täglich von ihrem Ansehen und nüzlichen Einfluß verliert — um so nöthiger
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scheint es mir, daß man bey Abstellung und Verbesserung offenbarer Mißbräuche (wie z. B. das Mönchswesen ist) sich hüte, auch an solche Theile der Kirchlichen Disciplin Hand zu legen, die, i n u n s e r n Z e i t e n w e n i g s t e n s , vielleicht noch das würksamste Mittel sind, die Religion bey demjenigen Ansehen und Einfluß zu erhalten, dessen Erhaltung oder Verlust keinem wohlgesinnten gleichgültig seyn kann. So wie in unsern Zeiten
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M i ß b r a u c h s e y n k a n n was vor einigen Jahrhunderten ein g u t e r B r a u c h war: so ists auch sehr möglich, daß izt, in Rüksicht auf die gegenwärtige Lage der Sachen, etwas e i n g u t e r B r a u c h i s t , was vormals unter ganz andern Umständen Mißbrauch war. Ehmals hatte die Klerisey z u v i e l Ansehen und Einfluß; izt hat sie z u w e n i g . Immerhin schaffe man alle u n n ü t z e , alle e n t b e h r l i c h e Clericos ab. — Aber man lasse den U n e n t b e h r l i c h e n , denen, welchen d i e S e e l s o r g e anvertraut ist, das Ansehen, ohne welches sie ihr Amt nicht mit Nutzen verwalten können. Diese S e e l s o r g e — (ich nehme das Wort, wie billig, in seiner ächten unverfälschten Bedeutung) macht den großen Unterschied zwischen C h r i s t -
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l i c h e n P f a r r h e r r n und den Sacrificulis, Pfaffen, Bonzen, Fakirn, Lama’s, F u f u’ s und K a k a f u s der übrigen Religionen in der Welt. Ein Pfarrer ist, als Seelsorger seiner Gemeine, eine Art von M o r a l i s c h e r Vo r m u n d u n d A u f s e h e r ; dies ist es was i h n zu ihrem H i r t e n , s i e zu seiner H e e r d e , i h n zu ihrem g e i s t l i c h e n Va t e r , sie zu seinen g e i s t l i c h e n K i n d e r n macht. Aber wie soll er ohne d a s A n s e h e n und d i e M a c h t eines A u f s e h e r s , H i r t e n und Va t e r s , den Pflichten dieser ihm aufgetragnen Ämter genugthun können? Und wie kann er dieses Ansehen behaupten, ohne d i e m ö g l i c h s t e U n a b h ä n g i g k e i t von denen, die unter seiner Moralischen Aufsicht stehen?
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Dieth elm . U n a b h ä n g l i c h k e i t ? Wa l d e r. Sie erschrecken ja vor dem Wort Unabhänglichkeit wie vor einem Popanz? — Bey euch Protestanten mag es freylich zu einem Politischen Grundsaz geworden seyn, die Geistlichen so tief niederzudrücken als möglich. Aber mich däucht, eine kleine Aufmerksamkeit auf das was Religion und Sitten bey euch dadurch gewonnen haben, sollte uns Katholiken in Adoptierung eurer Grundsätze über diesen Punct ein wenig behutsam machen. — Doch, auf diesem Wege würden wir zu weit von dem unsrigen kommen. — Wir haben uns bisher noch immer verstanden, lieber Diethelm, das Wort Unabhängigkeit soll uns nicht entzweyen! Meine Meynung ist, wie sie wissen, nichts weniger, als der Klerisey P o l i t i s c h e U n a b h ä n g i g k e i t und E x e m t i o n von der höchsten Gewalt im Staat, welcher jedermann unterthan seyn soll, zuzugestehen. Ich will nicht, daß die Geistlichen Eingriffe in das Obrigkeitliche Amt sollen thun können; oder daß die Heiligkeit des ihrigen sie vor dem Schwerte der Gerechtigkeit schütze, wenn
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sie es durch Verbrechen schänden. Ich räume ihnen keine Gewalt über Vermögen, Ehre und Leben der geistlichen Schafe ein, so sie weiden sollen, ein; keine Bann-Keile, womit sie sogar die Könige von ihren Thronen herunterdonnern könnten; — kurz, ich verwandle die Nachfolger der Propheten und Apostel in keine D r u i d e n , wie unsre rohen neubekehrten Väter vor 1200 Jahren gethan haben. Aber wenn man ihnen eingestehet, wie b e y U n s wenigstens geschieht — daß sie die Nachfolger und Stelle-Vertreter der Propheten und Apostel sind: so müßen sie auch das Ansehen, die Würde und die Art von Unabhängigkeit haben, ohne, welche sie nicht würklich seyn 10
können was sie vorstellen sollen. Sie müssen von dem Volke n i c h t a l s i h r e s g l e i c h e n , sondern als Diener und Gesandte desjenigen angesehen werden können der auch die Könige der Erden richtet. Ihr Mund muß frey seyn, die Laster des Volks und der Großen zu strafen. Keine Rüksichten auf persönliche und ökonomische Nachtheile, die ihnen daraus entstehen könnten, müssen ihre Zunge binden, und die öffentlichen Vertreter der Wahrheit und Tugend nöthigen, das Interesse derselben zu verrathen, oder läßig und furchtsam zu betreiben. Und, was eben so wesentlich ist, sie müssen in solchen Umständen seyn, daß sie die erhabne Sittenlehre des Evangeliums, die Geringachtung der vergänglichen Vortheile und Befriedigun-
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gen dieses irdischen Lebens gegen die ewigen Güter des Zukünftigen, den himmlischen Sinn, die allgemeine Liebe und Wohlthätigkeit, die Aufopfrung ihrer Selbst für ihre Gemeine u. s. w. noch stärker d u r c h i h r B e y s p i e l u n d L e b e n als durch Lehren und Declamationen predigen können. Aber wie soll alles dies möglich seyn, wenn wir sie, bey ihrem ohnehin so mäßigen und meistens kärglich zugemäßenen Einkommen, noch mit der Sorge für Weib und Kinder beladen; sie dadurch in allerley ihrem erhabnen Beruf hinderliche Geschäfte und Zerstreuungen verwickeln; sie durch alles dies mit dem geringsten ihrer Untergebnen in Einerley Categorie stellen, und nicht nur von den Weltlichen Herren und ihren Dienern, sondern von
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dem gemeinen Manne selbst in tausend Rücksichten abhänglich machten? Wie soll derjenige Gast-Freyheit und Wohlthätigkeit ausüben, und alles was er seinem nothdürftigen Bedürfniß entziehen kann immer mit den Armen und Nothleidenden zu theilen bereit seyn können, der öfters (wie es bey euch Protestanten ganz gewöhnlich seyn soll) mit der angestrengtesten Neben-Arbeit kaum noch soviel zu seinem armseeligen Taglöhnersgehalt ver-
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dienen kann, als er gebraucht um seinen Kindern Brod und nothdürftige Kleidung zu schaffen? Wie soll Der die Geschäfte des Reichs Gottes mit Würde treiben, die Sache der Wahrheit und Gerechtigkeit mit dem gehörigen Eifer führen, und die Sünden des Volks mit freymüthigem Ernst und Nachdruk strafen können, oder zu einem David sagen dürfen: „du bist der Mann des Todes“ — der dem Volke wegen seiner Dürftigkeit verächtlich ist, und dem eine Lage, worinn er Jedermann in Acht nehmen und schonen muß, allen Muth benimmt als E i n e r d e r G e w a l t h a t zu sprechen? — Sehen Sie, lieber Diethelm, von dieser Seite betrachte ich den seit einiger Zeit disseits und jenseits der Alpen so eifrig in Bewegung gebrachten Vor-
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schlag unsrer Geistlichkeit den Ehestand zu erlauben. In meinen Augen würde dies einer der tödtlichsten Stöße seyn, den unsre Mode-Philosophie dem nöthigen Ansehen der Klerisey, und dadurch mittelbarerweise der Religion selbst beybringen könnte; und, so sehr auch die Gebieter über unser irdisches Schiksal die Bevölkerung (aus Ursachen, über die ich mir leider! keine Illusion machen kann) auf alle mögliche Weise zu begünstigen geneigt seyn mögen: — so däucht mir doch der Vortheil, der dem Staat dadurch zugehen könnte, wenn auch unsre Geistlichkeit zum b e v ö l k e r n angehalten würde, nur eine sehr schlechte Entschädigung für die nachtheiligen Folgen zu seyn, die ich aus dieser staatswirthschaftlichen Specu-
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lation hauffenweise und in einer unendlichen Progression hervorwimmeln sehe. Die the lm . Ich müßte große Lust haben den Sophisten zu spielen, wenn ich läugnen wollte, das in Ihrer Vorstellungsart über diesen Punct viel Wahres ist. Aber entscheidend kann ich Ihre Einwendung darum noch nicht finden. Alles was daraus folgt, ist: daß die Sache mehr als Eine Seite hat, daß sich eben so wichtige Gründe f ü r als w i d e r den Cölibat der Geistlichen hervorthun; und daß es also um so nöthiger wäre, auf ein Auskunfts-Mittel zu denken, wodurch den beyderseitigen Inconvenienzien geholfen werden könnte, ohne daß man genöthigt wäre, die Geistlichen fernerhin an ein für die Meisten unter ihnen so widernatürliches, und für die Gemeine, denen ihr Beyspiel vorleuchten soll, so wenig erbauliches Enthaltungs-Gelübde anzufesseln. Wa l d e r. Und dies Auskunftsmittel? Dieth elm . Ist schon gefunden, liegt vor uns! Wie ists möglich, daß Sie es
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übersehen können? Die K l o s t e r g ü t e r , lieber Walder, die Klostergüter r e i c h e n z u a l l e m z u . Sie haben doch nicht schon wieder vergessen, daß wir alle Mönchsorden aufgehoben, und alle ihre Güter und Kirchenschätze eingezogen haben? Der vierte Theil davon ist, wie ich gewiß glaube, mehr als hinlänglich, um allen P f a r r h e r r n in jedem Katholischen Lande ein so reichliches Einkommen zu stiften, daß sie, so gut als irgend ein R e c t o r i n d e r E n g l i s c h e n K i r c h e , mit ihren Familien standesmäßig davon leben, ihre Kinder gebührlich erziehen und versorgen, und dennoch immer soviel übrig haben könnten, um die Pflichten der Gastfreyheit und Menschenlie10
be auf eine sehr edle Art auszuüben. Wa l d e r.
(Lachend.)
Nun, daran hab’ ich freylich nicht gedacht — und es lag
mir doch, wie Sie sagen, vor der Nase! Das muß man Ihnen lassen, Diethelm, Sie haben eine glükliche Imagination! Eh man sichs versieht, ist sie mit Ihnen — im S e v e r a m b e n l a n d . Aber, im Ernst, sollten Sie wohl eine so gutherzige Seele seyn, zu glauben, daß auf diesem unserm armen Globus Terraqueus, wo von allen Politischen und Patriotischen Träumen der Menschenfreunde und Kosmopoliten, seit dem Babylonischen Thurmbau bis auf diesen Tag, nicht ein einziger jemals zur Würklichkeit reif geworden ist, ein solches Project wie das Ihrige zu Stande kommen werde? 20
Diethe lm . Ich besorge beynahe selbst, daß ich immer zu gut von den Menschen denke — Wa l d e r. Nicht zu gut — denn man kann nicht zu gut von den Menschen denken: nur zu Zeiten nicht schlecht genug; denn man kann auch nicht schlecht genug von ihnen denken. Suchen Sie bey den Bewohnern unsers Planeten alles was Sie wollen, nur keine reine Absichten, nur keine Consequenz im Kopf, und kein Ausharren beym Wahren und Guten w e i l e s w a h r u n d g u t i s t ! — M i r ist kein einziges Beyspiel bekannt, daß Menschen jemals ein gutes Werk unternommen hätten, ohne etwas daran u n v o l l e n d e t zu lassen, oder irgend einen Schwanz d r a n z u f l i c k e n , und
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gerade durch das, was sie unvollendet ließen oder dran flikten, alles übrige, was sie gut gemacht hatten, wieder zu verderben. Wissen S i e eines, Diethelm, so bitte ich Sie, bereichern Sie mich durch die Mittheilung einer so seltnen Seltenheit. Diet he lm . Ich will mich besinnen — Aber, ehe wir uns trennen, was halten Sie von dem Project, die Protestantischen Kirchen mit der Katholischen
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wieder zusammen zu schmelzen, woran, dem Vernehmen nach, einige Kosmopoliten und Menschenfreunde von neuem so eifrig arbeiten sollen? Wa l d e r. Und was halten S i e von der neuen Menschen-Generation, die izt nach dem schönen Project der F r a u G r ä f i n v o n G e n l i s gezeugt, gebohren und erzogen werden wird; und von den herrlichen Wundern, die durch d i e s e M e n s c h e n — w i e n o c h k e i n e g e w e s e n s i n d — im N e u n z e h n t e n J a h r h u n d e r t werden zu Tage gefödert werden? Die the lm . Und Sie, Walder, was halten Sie von einer Toleranz, vermöge deren (wie neulich gewisse Zeitungen versicherten) der Übergang von der
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herrschenden Religion zur geduldeten a l s e i n Ve r b r e c h e n g e s t r a f t werden soll ? Wa l d e r. Und Sie, Diethelm, von einer Ode an den Kayser, worinn S e i n e P ä b s t l i c h e H e i l i g k e i t P i u s V I . als ein d r e y k r o n t r a g e n d e r O b e r m ö n c h und I h r e H o c h w ü r d i g s t e n E m i n e n z e n , das ganze h e i l i g e C o l l e g i u m , als s e i n e P u r p u r b e m ä n t e l t e M ö n c h l e i n tractiert werden; und die man uns sogar für ein Werk des erhabensten Dichters unsers Jahrhunderts hat aufheften wollen? Dieth elm . Und Sie von allen den Ablässen welche P i u s V I . zu W. verschenkte, und von allen den Rosenkränzen, die er eigenhändig einweyhte,
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vermuthlich um den Protestanten desto mehr Lust zur Wiederkehr zu machen? Wa l d e r . Und von der g r o ß e n R e f o r m a t i o n d i e i n d i e s e m l e z t e n V i e r t e l d e s a c h t z e h n t e n J a h r h u n d e r t s n o c h zu Stande kommen soll? Die the lm . Und von den gewaltigen Weltbegebenheiten, welche die den 3ten November a. c. bevorstehende g r o ß e Z u s a m m e n k u n f t d e s J u p i t e r s m i t s e i n e m Va t e r S a t u r n u s nach sich ziehen wird? Wa l d e r. Wissen Sie was, Diethelm? — Wenn man, wie wir, nicht jung genug ist, um Alles was gleißt gleich für Gold zu halten, und nicht alt genug, um der allgemeinen Farce, die um uns her gespielt wird, gleichgültig zuzusehen — so fühlt man zuweilen, wie dem J u v e n a l zu Muthe seyn mochte, da es ihm so schwer vorkam Satyram non scribere. Aber bey dem allem ist für Leute die gern in heiler Haut schlafen doch nur E i n guter Rath — Dieth elm . Und d e r ist?
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Wa l d e r. Des Merry Andrew seiner beym P r i o r : Mind neither good nor bad, nor right nor wrong. But eat your pudding, Slave, and hold your tongue! *)
*)
Könnte zu teutsch also gedollmetscht werden: Sorg nicht um Recht noch Unrecht, gut noch faul, Iß deine Knödel, Sclav, und halt dein Maul !
Zweytes Gespräch
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¼Dritte Ankündigung der Gesellschaft des Verlags für Gelehrte und Künstler, zu Dessau. Hiermit fahren wir fort dem Publikum die Schriften, welche durch unsre Besorgung ans Licht treten sollen, anzukündigen. Seit dem 25sten Jan. dieses Jahrs haben wir deren zwölf unternommen, welche größtentheils auf die Michaelis-Messe die Presse verlassen sollen, und auf welche wir bis zum 15ten Sept. Unterzeichnung annehmen. Zu mehrerer Bequemlichkeit in der Correspondenz, besonders für unsre Herrn Commißionärs, setzen wir den Titeln dieser Werke die fortlaufende Nummer unserer Verlagswerke vor.* )½ *)
Man kann, wegen Mangel des Raums, diese Ankündigungen hier nur ganz
kurz liefern, da sie hingegen bey den schon bekannten Herrn Collecteurs jedes Orts ausführlich zu haben sind. d. H.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r
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Der Teutsche Merkur. Junius 1782.
¼Beantwortung der Frage: „Wie kommt Maria die Tochter Davids zu einer Attischen Gesichtsbildung?“ von J o s e p h F r a t r e l , Churf. Hofmahler in Mannheim. Übersezt und mit einem Zusatze begleitet von Friedrich von Schaden. (S. in T. Merk. des v. J. dem Wintermonat S. 257.) * * *
1. Die Leser des Teutschen Merkurs erinnern sich der Beschreibung einiger meiner Gemählde,
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welche an angezeigten Orte diesem Journale einverleibt ist. Der Herr Verfasser derselben lobt unter andern darin die A t t i s c h e G e s i c h t s b i l d u n g , die ich der heiligen Jungfrau gegeben hätte. Vom Herrn Herausgeber aber findet sich in der beygesezten Note die Frage: wie denn die Tochter Davids zu einer Attischen Gesichtsbildung komme? Ich will es versuchen sie umständlich zu beantworten, da mir der Weg dazu selbst in dieser periodischen Schrift auf die gefälligste Weise eröffnet worden ist. …
* * *
2. Zusatz des Übersetzers. …½
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* * *
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(Ende Juni 1782)
3. Anhang des Herausgebers zu bevorstehenden Aufsätzen. Ungeachtet Hr. F r a t r e l dem H. des T. M. die Courtoisie zu erweisen scheint, ihm durch den Aufsaz, den er hiemit nach dessen Verlangen mit Vergnügen bekannt macht, vor den Augen einer ansehnlichen Zuschauerschaft einen ritterlichen Kampf, wenigstens à fer emoluˆ, anzubieten: so hoffet dieser doch, es werde ihm für keine Feigheit angerechnet werden, wenn er den Kampf ausschlägt, und sichs vielmehr zur Ehre schäzt, diesem geistreichen und liebens10
würdigen Künstler, — dessen vorzüglichen Verdiensten der Teutsche Merkur bereits vor mehrern Jahren (im O c t o b e r 1 7 7 8 . S. 75 — 82.) die vollständigste Gerechtigkeit wiederfahren ließ *) — hiemit abermals seine aufrichtige Verehrung zu bezeugen, und Ihn zu versichern: daß er es für anständiger halte sich von Ihm belehren zu lassen, als mit einer F e d e r , die Seinen P i n s e l nie werth seyn kann, gegen Ihn fechten zu wollen. Übrigens kann er sich den kleinen M i ß v e r s t a n d , der zu dieser Erörterung auf Seiten des Hrn. F r . Anlaß gegeben, kaum Leid seyn lassen; da er ohne solchen das Vergnügen nicht gehabt hätte, dem Publico die Gedanken eines so erleuchteten Meisters seiner Kunst über einen so interessanten Ge-
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genstand mittheilen zu können. Denn ein kleiner Mißverstand war es doch wohl, wenn Hr. F r a t r e l die Frage: „wie kommt die Tochter Davids Maria zu einer A t t i s c h e n G e s i c h t s b i l d u n g ? “ — für e i n e K r i t i k s e i n e r M a r i a hielt: da sie eigentlich nur dem Lobredner derselben gelten, und bloß eine bescheidene Verwunderung d a r ü b e r andeuten sollte, daß Hr. H R . v . S c h a d e n — dessen Aufsaz soviel Geschmack und gelehrtes Gefühl des wahren Schönen und Erhabenen der Kunst verräth — gerade den G r i e c h i s c h e n Wu c h s und die A t t i s c h e G e s i c h t s b i l d u n g , d. i. gerade das was alle Madonnen R a f a e l s und seiner Schüler, und in der
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*)
Hr. F r a t r e l wird am angezogenen Orte als ein Mann charakterisiert „der aus dem eh-
maligen Stande eines Litterators d i e h e i s s e s t e W ä r m e für d i e A l t e n mitgebracht, und R a f a e l i s c h e R e i n h e i t , E i n f a l t und b e s t i m m t e Z e i c h n u n g in Conturen und Gewändern mit einer beinahe R e m b r a n d i s c h e n B e l e u c h t u n g verbinde“ u. s. w.
A n h a n g ¼…½ z u b e v o r s t e h e n d e n A u f s ä t z e n
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That eine Menge anderer von allerley Meistern, mit der Fratrelschen g e m e i n haben, gerade das, was, aus eben dieser Ursache, und weil an Antiken Köpfen, von welchen man das sogenannte Griechische Profil absehen kann, kein Mangel ist, d a s l e i c h t e s t e war, und endlich gerade das, wobey die Frage: wie kommt d i e J ü d i n , Maria, zu einer A t t i s c h e n Gesichtsbildung? so n a t ü r l i c h ist, das Lobenswürdigste an der Fratrelschen Maria zu finden schien. Da der H. des T. Merkurs diese letztere nie gesehen hat, so konnte ihm nicht einfallen, etwas gegen sie einwenden zu wollen: seine Frage, sein Zweifel
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konnte also bloß den Ausdrücken, in welchen Hr. v . S c h . seine Bewunderung dieses schönen Bildes bezeugt hatte, — dem Bilde selbst aber nur alsdann gelten, wenn an der Fratrelschen Maria nichts, das den Individuellen Charakter der Mutter Christi bestimmter ausspräche, zu sehen wäre, als „der G r i e c h i s c h e Wu c h s , die A t t i s c h e G e s i c h t s b i l d u n g , u n d d i e A n m u t h und M a j e s t ä t , welche (wie es besser oben heißt) u m d i e M u t t e r d e s H e i l a n d e s s c h w e b e n “ . Denn dies wäre nicht mehr als was ein Mahler auch einer P h ä d r a , oder S t r a t o n i k e , und jeder andern Griechischen Heldin oder Fürstin geben müßte — und gewiß Hr. F r a t r e l selbst fodert von der auserwählten Jungfrau, die er, mit einem seinen Religionsbegriffen gemäßen
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Ausdruk, das M e i s t e r s t ü c k d e r G n a d e (le Chef d’oeuvre de la Grace) nennt, noch ganz was anders, als was ihr (in so fern der Künstler sie sich als e i n e u n t a d e l i c h e S c h ö n h e i t denkt) mit jeder schönen und edeln Griechin gemein war. Allerdings hätte die Frage, wenn man eine förmliche Kritik zur Absicht gehabt, oder vorausgesehen hätte, daß sie die zarte Empfindlichkeit des Künstlers beleidigen würde, b e s t i m m t e r ausgedrukt werden können. Aber es sollte nur ein W i n k f ü r d e n P a n e g y r i s t e n seyn — oder, vielmehr, es war ein bloßer, beynahe unfreywilliger L a u t eines eben so unfreywilligen kleinen Mißbehagens, daß der liebenswürdige Lobredner für d i e M u t t e r des Heilandes mit einem Griechischen Wuchs, einer Attischen Gesichtsbildung und einem Nimbus von Anmuth und Majestät zufrieden zu seyn, und in dem Bilde, welches er mit so vieler Entzückung anpries, entweder nicht Mehr g e s e h e n , oder nicht Mehr v e r l a n g t z u h a b e n schien. Es war zu vermuthen, es könne dem H. nicht unbekannt seyn, daß das was
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man G r i e c h i s c h e s P r o f i l nennt — gesezt auch daß es in Griechenland so etwas gemeines gewesen sey und noch sey als man zu glauben pflegt, — dennoch nicht dermaßen an den B o d e n G r i e c h e n l a n d s gezaubert sey, daß man es nicht auch, wiewohl seltner und mit allerley Modificationen, in andern Ländern angetroffen haben und n o c h antreffen sollte. So gewiß es ist, daß aus der ungemeinen Schönheit, die einer R a h e l , S u l a m i t h , und andern Frauenspersonen in der Bibel zugeschrieben wird, nicht geschlossen werden kann daß sie deßwegen gerade der L e m n i a des P h i d i a s oder der S o s a n d r a des K a l a m i s gleich gesehen haben müßten: so wenig läßt sich läugnen, 10
daß es unter den Israelitischen Schönen hier und da einige mit A t t i s c h e n G e s i c h t s b i l d u n g e n gegeben haben könne, und daß vielleicht M a r i a eine von diesen gewesen sey. Die Frage: wie kam Maria zu einer Attischen Gesichtsbildung? scheint also bey demjenigen, der sie als einen Zweifel aufwarf, eine Reflexion anzudeuten, die er damals zurükbehielt, itzt aber um so unbedenklicher heraussagen kann, da es bloß darum zu thun ist, einen ästhetischen Punct, worüber man ohne Häresie verschieden denken kann, unter Freunden freundlich zu erörtern. Hier ist sie also. Es scheint durch die Erfahrung bestättigt zu seyn, daß jede Nation, im Durchschnitt genommen, sich auf eine Physiognomische Art, d. i. durch ge-
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wisse Charakteristische Merkmale in der Conformation des Körpers und besonders in der Gesichtsbildung — Merkmale die sich entweder deutlich angegeben oder doch wenigstens mit hinlänglicher Klarheit empfinden lassen — von den übrigen Nationen unterscheide. Und es ist sehr zu glauben, daß dieß von solchen Nationen, die wie die Egyptier, Araber, Juden, u. a. sich mit fremden Völkern selten oder gar nicht vermengt haben, auf eine ganz vorzügliche Weise gelten werde. Wenn es nun dem Mahler eben so sehr um die P o e t i s c h e Wa h r h e i t , d. i. um die Wa h r s c h e i n l i c h k e i t , als um die S c h ö n h e i t seiner historischen Figuren zu thun seyn soll: so können wir, wie es scheint, als eine in der Natur der Sache gegründete Regel annehmen: daß er, in histori-
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schen Stücken, einer Virginia oder Cornelia die Römische, einer Aspasia die Griechische, einer Thusnelda die Alt-Germanische, und also einer J ü d i n , wer sie auch sey, die Jüdische Gesichtsbildung geben müsse. Was ihm e r l a u b t ist, was in gewissen Fällen (wie z. E. bey der H e i l i g e n J u n g f r a u ) sogar P f l i c h t des Mahlers ist — nämlich, „der Person, die er darstellen will, eine erhabene Art von Schönheit zu geben“, schließt die Beob-
A n h a n g ¼…½ z u b e v o r s t e h e n d e n A u f s ä t z e n
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achtung jenes Gesetzes nicht aus; und, wiewohl sich mit Grunde behaupten läßt, daß die w ü r k l i c h e Römerin, Germanerin, Jüdin, einander d e s t o ä h n l i c h e r sehen werden j e s c h ö n e r jede ist: so wird doch diese Ähnlichkeit nie so groß seyn, daß nicht jede etwas von der Charakteristischen Nationalgestalt ihres Volkes behalten sollte, wodurch wenigstens ein scharfsichtiger Beobachter sie von einander unterscheiden könnte. Da die Idee der Schönheit ein a b g e z o g e n e r B e g r i f f ist, so läßt sich jede i n d i v i d u e l l e Bildung, so wie jede G e s c h l e c h t s - und N a t i o n a l - Gestalt, i d e a l i s i e r e n : und man kann hierinn soweit gehen, daß man endlich alles individuelle und spezifike wegabstrahiert, und nur eine a l l g e m e i n e , und
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also zwar g a n z r e i n e und u n t a d e l i c h e aber auch eben deßwegen unbestimmte und beynahe bloß i n t e l l e c t u e l l e M e n s c h e n f o r m übrig behält, — welches m e h r ist, als man von dem Mahler h i s t o r i s c h e r P e r s o n e n verlangt und erwartet. So schön, so erhaben und vollkommen auch diese leztern seyn mögen, so wünscht man doch in ihrer Bildung oder Darstellung das Wa h r s c h e i n l i c h e , das S c h i k l i c h e , das C h a r a c t e r i s t i s c h e zu finden, wodurch wir (sey es nun T ä u s c h u n g oder nicht) zu fühlen glauben, daß wir eine w ü r k l i c h e Person, nicht einen bloßen Tr a u m d e r P h a n t a s i e d e s M a h l e r s vor uns sehen. Und man wünscht also in der schönen Virginia die Römerin, in der schönen Ariadne die Griechin, in der schönen Rahel, Ju-
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dith, Magdalena, oder Maria d i e J ü d i n und — so viel der Kunst nur immer möglich ist — auch noch die i n d i v i d u e l l e n Züge zu erkennen, welche uns das bezeichnen, oder zu bezeichnen scheinen, was diese nahmentliche Person von jeder andern unterscheidet. Hr. F r a t r e l ist nicht dieser Meynung; und dies sollte freylich genug seyn, um ein günstiges Vorurtheil für die Seinige zu erwecken; indessen gesteht der H. aufrichtig, daß das Räsonnement dieses gelehrten Artisten seine Zweifel nicht aufgelößt hat. Was ihm von M a r i a zu gelten scheint, läßt sich auch auf die C h r i s t u s b i l d e r anwenden. Ein Mahler, der unter dem Vorwand, daß ein G o t t M e n s c h nie zu schön gebildet werden könne, den Va t i c a n i s c h e n A p o l l o oder den A l c i n o u s zum Modell seines C h r i s t u s nähme, würde, seiner Meynung nach, eben so wenig darum zu loben seyn, als derjenige, der uns e i n e To c h t e r d e r N i o b e für die M u t t e r C h r i s t i gäbe. Die Götter und Heldengestalten der Griechischen Künstler, — wiewohl
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durch Abstraction von den s c h ö n s t e n F o r m e n , die ihnen die Natur unter einem der Entwiklung schöner Gestalten vorzüglich günstigen Himmel zeigte, idealisirt — stellen uns doch nichts als bloße A b s t r a c t a , eine Art von höheren Naturen und gleichsam Erscheinungen aus einer andern Welt dar. C h r i s t u s aber wurde, des in ihm eingehüllten Göttlichen ungeachtet, an Gestalt, Gebehrden und allem was zum äusserlichen Menschen gehört, a l s e i n a n d r e r M e n s c h e r f u n d e n ; und, die herrliche Verklärung, worinn ihn einige seiner Jünger gleichsam für einen Augenblik auf Tabor erblikten, ausgenommen, finden wir nirgends, daß er durch seine Gestalt und Schönheit 10
außerordentliche Eindrücke gemacht hätte. Sehr wahrscheinlich hatte es mit seiner Mutter die nehmliche Bewandtnis. Die G r a z i e n d e s A p e l l e s haben mit d e n G n a d e n womit sie erfüllt wurde (wiewohl die Französische Sprache einerley Wort für beyde gebraucht) so wenig gemein, daß Maria (nach dem Ausdruk des Hrn. Fr.) ein Wu n d e r w e r k der G n a d e (un Miracle de Grace) seyn konnte, ohne darum jemals wegen der Schönheit oder Grazie ihrer Gestalt merkwürdig gewesen zu seyn. Allerdings gesteht man dem Künstler, um der Würkung die er thun will, das Recht zu, in diesem Stücke über das, was vielleicht historische Wahrheit war, hinaus zu gehen; jedoch bloß, weil der Ausdruck der höchsten Jungfräu-
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lichkeit, Reinheit, Demuth, Gottergebenheit, kurz aller innern S c h ö n h e i t e n d e r S e e l e , welche zum Charakter dieser vor allen Jungfrauen Gebenedeyeten Jungfrau gehören, ohne einen gewissen Grad von körperlicher Schönheit sich nicht erhalten läßt. Aber sollte denn der Ausdruk dieser erhabenen Seelen-Schönheiten dergestalt an d a s G r i e c h i s c h e P r o f i l gebunden seyn, daß er ohne dieses nicht bestehen könnte? Und sollte es etwas so ausgemachtes seyn, daß das U n t e r s c h e i d u n g s z e i c h e n d e r We i s h e i t eine von der Stirne in gerader Linie ablauffende Nase wäre? — An den Weisesten Männern unter den alten Griechen und Römern, so wie unter den neuern Europäischen Völkern, findet sich,
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meines Wissens, dieses angebliche Unterscheidungszeichen der Weisheit nicht; auch scheinen die Griechischen Künstler es nicht dafür gehalten zu haben; oder sie hätten es ganz gewiß und vorzugsweise ihrem Göttlichen Homer gegeben, dessen Bildnisse bekanntermaßen bloß nach einer angenomenen I d e e gebildet worden sind. Wollte man es aber etwa vorzüglich für einen sichtbaren Zug und Character der Weisheit bey dem schönen Geschlechte hal-
A n h a n g ¼…½ z u b e v o r s t e h e n d e n A u f s ä t z e n
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ten; so muß man wenigstens gestehen, daß es ein sehr zweydeutiger ist. Denn findet man ihn nicht an allen Ve n u s b i l d e r n der Griechen? Welch ein Unterscheidungszeichen der We i s h e i t , das der weisen D i o t i m a mit den L a i s und P h r y n e n , und mit jedem hübschen Sträussermädchen zu Athen gemein war! Der H. des T. M. läßt es um so lieber bey diesen wenigen Äusserungen bewenden, weil er bloß einige Ursachen andeuten wollte, warum er, mit aller Bereitwilligkeit sich von einem Meister der Kunst belehren zu lassen, durch die in vorstehenden Aufsätzen beygebrachte Gründe noch nicht überzeugt ist, daß ein Mahler, um die mit ihrem göttlichen Kinde nach Egypten fliehende
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M a r i a auf die w a h r e s t e und w ü r d i g s t e We i s e (denn beydes muß doch wohl beysammen seyn) darzustellen, „ein wunderschönes junges Weib von Griechischem Wuchse und attischer Gesichtsbildung — d. i. mit einer von der Stirne in gerader Linie ablauffenden Nase mahlen müsse: oder, bey jeder Abweichung von dieser Form, eine bloße S c h ö n h e i t d e r L a u n e — eine Art von Schönheit die d e n M o d e - Tu g e n d e n gleiche — hervorbringen würde.“ Er zweifelt darum keinesweges daran, daß die Heil. Jungfrau des Hrn. F r a t r e l s mit diesen „höchstreinen und geläuterten Schönheitsformen, worinn der Ausdruk der Eingezogenheit und Sanftheit hervorleuchtet“ ein sehr
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schönes Werk seyn könne, und würklich sey. Jeder Künstler arbeitet nach seiner eignen Vorstellungsweise; jeder Mann von Gefühl und Genius verfolgt den schönen Traum der Vo l l k o m m e n h e i t auf seinem eigenen Wege. Aber es ist mit der Schönheit wie mit der Wahrheit. Diese Göttinnen selbst sind noch keinem Sterblichen erschienen; allein so verschieden auch unsre Begriffe und Überzeugungen von beyden seyn mögen, so ist doch jedem erlaubt, zu glauben, daß er sie gefunden habe. Er weide sich im Stillen an ihrem Genuß; er freue sich wenn s e i n e Göttin auch von andern erkannt wird: aber er dulde auch diejenigen, die sie nicht dafür erkennen, und gestehe in Dingen, worinn allgemeine Einförmigkeit der Überzeugung unmöglich ist, jedem soviel Recht zu, als er selbst von jedem fodert. Ich weiß nicht, ob unter diese leztern auch die hohe Meynung von der vorzüglichen Schönheit der Griechen gehört, welche seit W i n k e l m a n n s Epoke eine Art von Glaubensartikel für unsre Kunst-Liebhaber und elegantes Formarum Spectatores geworden ist — wiewohl sie schon vor einigen Jahren in
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diesem Journal *) aus Gründen bestritten worden ist, welche uns erheblich genug scheinen, um von Seiten derjenigen die der entgegengesezten Meynung sind eine nähere Beleuchtung zu verdienen.
*)
S. G e d a n k e n über d i e I d e a l e d e r A l t e n . Teutscher Merkur, August 1777. §. III.
S. 135 — 147.
A n h a n g ¼…½ z u b e v o r s t e h e n d e n A u f s ä t z e n
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¼Zweite Nachricht von L a m b e r t s hinterlassenen Schriften. … Ausserdem kostet jeder einzelne Band 1 Thlr. conv. Geld, oder in Berlin genommen 1 Rthlr. Pr. Cour. Berlin, den 20sten Dec. 1781. Joh. Bernoulli, Ord. Mitgl. der K. Akad. der Wissensch.½
Eine dritte Nachricht, diese Lambertischen Schriften betreffend, hat aus Mangel an Raum auf den Umschlag gesezt werden müssen.
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¼Dritte Nachricht von L a m b e r t s hinterlassenen Schriften. Ingleichen bitte ich mir zu gute zu halten, wenn ich zur Ersparung meiner Muße noch fester als bisher, und unbeweglich auf dem Vorsatz bestehe, n i c h t s a u f C r e d i t noch i n C o m m i ß i o n z u v e r ä u s s e r e n , indem das unangenehme dadurch veranlaßte Rechnungsführen mir viel mehr Zeit als ich entübrigen kann und sollte, wegraubet.* )½ *)
Der Rest dieser Anzeige, der ein Verzeichniß aller Bücher, welche bey Hrn.
B e r n o u l l i für beygesezte Preiße zu haben sind, enthält, muß wegen Mangel des Raums auf nächstkünftiges Stück ausgesezt bleiben.
¼Anmerkung: Bernoulli½ D r i t t e N a c h r i c h t
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Der Teutsche Merkur vom Jahr 1782. Ihro Römisch-Kayserlichen Majestät zugeeignet. Mit Königl. Preuß. und Churfürstl. Brandenburg. gnädigstem Privilegio.
Drittes Vierteljahr. Weimar.
Der Teutsche Merkur. Julius 1782.
¼Zufällige Gedanken über die Geschiklichkeit eines teutschen Künstlers.*)½
*)
Auf Verlangen eingerükt, und um so williger, da dem vorzüglichen Talent
und Verdienst des Künstlers, von welchem hier die Rede ist, schon ehmals im T. Merkur m i t g e h ö r i g e r W ä r m e Gerechtigkeit erwiesen worden.
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¼Der Akademie der Wissenschaften, Litteratur und Künste zu L y o n Anzeige einer von dem Herrn A b b é R e y n a l gestifteten Preisaufgabe. Der Herr Abbe R a y n a l , nachdem er zur Aufklärung der Menschen durch seine Schriften beygetragen* ), hat ihnen auch noch neue Vortheile dadurch verschaffen wollen, daß er andre Gelehrte zu gleichem Zwek aufzumuntern sucht. … Die Akademie hat dieses Anbieten mit Erkentlichkeit angenommen, und eilet die Preisaufgaben bekannt zu machen.½
* * *
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(Da die eine dieser Aufgaben für das Jahr 1782. sich bloß auf die Stadt L y o n bezieht, so wird hier nichts weiter davon gemeldet, da sie nicht, wie d i e z w e y t e , sich unmittelbar a u f d a s a l l g e m e i n e I n t e r e s s e d e r M e n s c h h e i t bezieht.)
¼Preisaufgabe für das Jahr 1782. Die Akademie stellt folgende Fragen zur Beantwortung aus: Ist die Entdeckung von Amerika dem Menschlichen Geschlechte nüzlich oder schädlich gewesen? Wenn Vortheile daher entstanden sind, welches sind die Mittel sie zu erhalten und zu vermehren?
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Wenn sie böse Folgen hervorgebracht hat, welches sind die Mittel, solchen abzuhelfen? …½ *)
Wir haben es der Bescheidenheit des Hrn. Abbt R. schuldig zu seyn ge-
glaubt, den Ausdruk, dessen sich die Akademie bedient, in etwas zu mil-
¼Anmerkung½ D e r A k a d e m i e ¼…½ z u L y o n A n z e i g e
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dern — aprés avoir eclairé les hommes, eine heutigs tages sehr gewöhnliche Französische Phrasis, würde wörtlich ins Teutsche übersezt, den Begriff erwekt haben, als ob die Menschheit das Licht das ihr gegenwärtig leuchtet, lediglich dem Hrn. R. zu danken hätte — und die Akademie wollte doch in der That nicht ein Wort mehr sagen, als wir sie sagen lassen. — E i n e L o c k e d i e m a n i n d e n O z e a n t a u c h e n darf; (S. Yoriks S e n t i m e n t a l J o u r n e y ) ist auf teutsch, eine Locke die gewiß bis auf den Abend halten wird.
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(Ende Juli 1782)
Der Teutsche Merkur. August 1782.
Briefe an einen jungen Dichter. Erster Brief. Nun wohlan dann, mein junger Freund! Niemand kann seinem Schiksal entrinnen; und wenn auch Sie zum Lorbeerkranz und dunkeln Kämmerchen des göttlichen Ta s s o oder zum Spital und Nachruhm des unsterblichen C a m o e n s bestimmt sind, kann ich schwacher Sterblicher es verhindern? Ich habe ihre Beichte gehört und Ihren ganzen Casus wohl erwogen. Ihr innerer Beruf scheint in der That keinem Zweifel unterworfen zu seyn. Eine so scharfe Stimmung aller äussern und innern Sinne, daß der leiseste Hauch der Natur das ganze Organ der Seele, gleich einer Aeols-Harfe, har-
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monisch ertönen macht, und jede Empfindung die Melodie des Objects, wie das schönste Echo, im reinsten Einklang, verschönert zurükgiebt, und, so wie sie stuffenweise verhallt, immer lieblicher wird — Ein Gedächtnis, worinn nichts verlohren geht, aber alles sich unmerklich zu jener feinen, bildsamen halbgeistigen Masse amalgamirt, woraus die Phantasie ihre eignen neuen Zauber-Schöpfungen hervorhaucht — Eine Einbildungskraft, die durch eine unfreywillige innere Disposition alles Individuelle idealisiert, alles Abstracte in bestimmte Formen kleidet, und unvermerkt dem blossen Zeichen immer die Sache selbst oder ein ähnliches Bild unterschiebt; eine Einbildung, die alles Geistige verkörpert, alles Mate-
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rielle zu Geist reinigt und veredelt — Eine warme, von jedem Anhauch auflodernde Seele, ganz Nerve, Empfindung und Mitgefühl, die sich nichts Todtes, nichts Fühlloses in der Natur denken kann, sondern immer bereit ist, ihren Überschwang von Leben Gefühl und Leidenschaft allen Dingen um sich her mitzutheilen, immer mit der behendesten Leichtigkeit andre in sich, und sich in Andre verwandelt — Eine von der ersten Jugend an erklärte und nie sich verläugnende leidenschaftliche Liebe zum Wunderbaren, Schönen, und Erhabenen im Physischen und Moralischen —
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D e r Te u t s c h e M e r k u r
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Ein Herz, das bey jeder edlen That hochemporschlägt, vor jeder schlechten, feigherzigen, gefühllosen mit Abscheu zurükschaudert — Zu allem diesem, bey dem heitersten Sinn und leichtesten Blut, ein angebohrner Hang zum Nachsinnen, zum Forschen in sich selbst, zum Verfolgen seiner Gedanken, zum Schwärmen in der Ideen-Welt — und, bey der geselligsten Gemüthsart und der zärtlichsten Lebhaftigkeit der sympathetischen Neigungen, eine immer vorschlagende Liebe zur Einsamkeit, zur Stille der Wälder, zu allem was die Ruhe der Sinnen befördert, allem was die Seele von den Gewichten erleichtert, wodurch sie in ihrem eigenthümlichen freyen Fluge 10
gehemmt wird, oder was sie von den Zerstreuungen befreyt, die ihr inneres Geschäfte stören — Freylich, wenn dies alles nicht natürliche Anlage zu einem künftigen Dichter ist, nicht hinreicht einem Jüngling Sicherheit zu geben, daß es (mit dem Philosophen der Dichter zu reden) die Musen selbst seyen, die ihm die schöne Raserey zugeschikt, die er eben so wenig, als Virgils Cumäische Sybille den Prophetischen Gott, von sich schütteln kann — Seyn Sie ruhig, mein Freund! Ich erkenne und ehre den unauslöschlichen Charakter, wodurch die Natur Sie zum Priester der Musen geweyht hat: und da es, nach dem göttlichen Plato, bloß darauf ankömmt, daß d i e M u s e n -
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Wu t h * ) um die schönsten Würkungen zu thun, e i n e z a r t e u n d u n g e f ä r b t e S e e l e * * ) ergreiffe: so müßte ich mich sehr an Ihnen irren, oder Sie werden der Theorie unsers Philosophen Ehre machen. Ich möchte es eben nicht für ein u n t r ü g l i c h e s Kennzeichen eines ächten innern Berufs annehmen, aber wenigstens pflegt sich fast immer bey künftigen V i r t u o s e n , bey Dichtern, Mahlern u. s. w. von der ersten Jugend an, ein fast unwiderstehlicher Trieb zu jener Kunst, in welcher sie vortreflich zu werden bestimmt sind, zu äußern — und a u c h d i e s e s Z e i c h e n d e r E r w ä h l u n g findet sich an Ihnen, mein junger Freund. „Ich kann mich (sagen Sie mir) soweit ich in meine ersten Lebensjahre zu-
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rükzusehen vermag, keiner Zeit erinnern, wo ich nicht Verse gemacht hätte. Die angebohrne Empfindlichkeit meines Ohrs für die Musik schöner Verse — die Wollust, in welcher ich schwamm, wenn ich mir schon als Knabe gewisse *) **)
hë apo Moysvn mania. cyxhn aëpalhn kai abapton.
Briefe an einen jungen Dichter. Erster Brief
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vorzüglich schön versificierte Stellen in alten oder neuern Dichtern, besonders in der Aeneis und in Horazens Oden, laut vordeclamierte, — das häuffige Wiederholen und Verweilen bey solchen Stellen, an denen sich, auch wenn ich sie still laß, ich weiß nicht welch ein innwendiges geistiges Ohr, womit mich die Natur beschenkt hat, wie am verhallenden Nachklang des Gesangs der Musen, weidete — alles dies kam bey mir dem Unterricht zuvor: und so fand sichs das ich alle Arten von Verse machte und eine Menge von Regeln beobachtete, eh ich den mindesten gelehrten Begriff von Prosodie, Rhythmus, Poetischem Numerus, nachahmender Harmonie, und dergleichen hatte. Nichts glich meiner Liebe zu den Dichtern als die Leichtigkeit womit ich sie verstund,
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das Interesse, das sie mir einflößten, und die beynah ekstatische Entzückung, in welcher ich Stundenlang im Genuß einer vorzüglich schönen Stelle, und in den Visionen die dadurch in meiner Seele veranlaßt wurden, verharrete. Über meinem Virgil, Haller, Milton, und Klopstoks ersten fünf Gesängen, vergaß ich Essen und Trinken, Spiel, Schlaf, mich selbst und die ganze Welt. — Ich erfuhr zwar, von früher Jugend an, von Seiten derer, denen meine Erziehung von natürlicher oder bezahlter Pflicht wegen oblag, den nehmlichen Widerstand, womit Ovid, Ariost, Tasso, Marino, und soviele andre berühmte Dichter, zu kämpfen hatten. Aber die stärkere Natur siegte, und der Genius oder Kobolt (wie Sie ihn lieber nennen wollen) der mich besaß, wollte sich weder in Gutem
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noch Bösem austreiben lassen. Wenn ich auch keine Verse machte, meine Musenfeindlichen Aufseher hatten damit wenig gewonnen. Alle Ideen und Kenntnisse, womit sie meine Seele vollzustopfen beflissen waren, fielen entweder wieder durch, oder verwandelten sich in poetischen Stoff. Was ich nur trieb, Metaphysik, Moral, Naturlehre, Geschichte, Politik, alles wurde in mir zu Epopee und Drama; und während uns der Lehrer mit der Mine eines Mystagogen die Leibnitzische Monadologie erklärte, entwickelte sich in meiner transcendentalischen Einbildungskraft der Plan eines Gedichts über den Ursprung der Venus aus dem Meerschaum; oder ich ließ die Bildsäule Pygmalions sich vor meinen Augen beleben, oder erklärte mir, wie das große Prinzipium der Orphischen Kosmogonie, die Liebe, gleich der Leyer Amphions, durch ihre Anziehungskraft die Elemente in eine Welt habe zusammenfügen können — “. Was kann ich Ihnen, mein Lieber, gegen T h a t s a c h e n von dieser Stärke einwenden? — Ich glaube meine eigne Geschichte zu hören. Alles dies war, von Wort zu Wort, vor 35 Jahren, auch m e i n Fall; und wenn ich Sie, nach so
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deutlichen Fingerzeigen der Natur, gleichwohl noch am diesseitigen Ufer des gefährlichen Rubicons aufhalten möchte: so habe ich wenigstens ganz andre Ursachen dazu als Mißtrauen in Ihre Anlage und Fähigkeiten. Schon die ersten Blumen des fruchtbaren Boden, der Ihnen zu Theil worden ist, so bescheiden Sie selbst davon denken, würden hinlänglich seyn, mir von Ihnen die schönsten Hofnungen zu machen; und um so g e w i s s e r e , eben darum weil Sie, bey einem so entschiedenen Natur-Beruf und bey so vielen Vorübungen und Studien von mehrern Jahren, noch immer so wenig mit ihren eignen Produkten zufrieden sind, und durch einen Beyfall, den sie zu verdienen sich 10
nicht bereden können, beynahe eben so sehr beleidigt werden als andre durch den gerechtesten Tadel. Ich kenne kein entscheiderndes Merkmal eines wahren Talents als diese Schwierigkeit sich selbst ein Genüge zu thun, dieses unermüdete Höherstreben, diese unaffectierte Verachtung dessen was man schon ist — gegen das was man noch werden zu können sich getraut, und dieses feine Gefühl für die Schönheiten in den Werken Andrer — und für die Mängel in seinen eignen: — Eigenschaften, die ich so oft an Ihnen wahrzunehmen Gelegenheit habe, und die bey jungen und alten Dichtern so selten sind. Staunen Sie mich immer an soviel Sie wollen, mein Lieber! Aber gerade meine so wohlbegründete Überzeugung, daß Mutter Natur würklich die Ab-
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sicht hatte einen Dichter aus Ihnen zu machen, und daß Sie, wenn Sie sich Ihrem Hang überlassen, g a n z D i c h t e r und also für alle andre Lebensarten verlohren seyn werden, gerade dies ists, was mich für Sie zittern macht. Unglüklicher Weise hat die gute Mutter an Alles nur nicht an den einzigen großen Punct gedacht, daß P l u t u s zu ihrem Plan hätte beygezogen werden müssen. Wie konnte sie vergessen, daß die Dichter, so wenig als die Paradiesvögel, von Blumendüften leben können; und daß gerade der Mann, dem alle Elementargeister zu Gebote stehen, und dem es nur einen Federzug kostet, um die herrlichste Zaubertafel aus der Erde hervorsteigen zu lassen, unter allen Menschen in der Welt dem Hungersterben am nächsten ist, wenn nicht zufälliger
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Weise irgend ein mitleidiger Genius (auf den übrigens nie zu rechnen ist) besser für ihn gesorgt hat, als die Natur, die Musen — und er selbst. Ein anders wäre, wenn Sie die Mine hätten dem weisen Rath zu folgen, den Hr. K l i n g g u t seinem Freunde giebt *), die Poeterey (mit der es, wie er meynt, *)
S. dessen E p i s t e l n . Erstes Heft. S. 22. u. f.
Briefe an einen jungen Dichter. Erster Brief
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doch immer in allem Betracht eine unsichre Sache ist) bloß als Nebenwerk neben einem einträglichen Amte, oder einer andern ehrbaren, gelehrten oder bürgerlichen, Nahrung zu treiben. Ruft dich dann einmal, sagt Hr. Klinggut, ein schöner Tag in deinen Garten, Dein Koffe und die Vögel warten Nebst deinen Blumen schon auf dich; Du wirst entzükt, du freust dich inniglich, Du kennst schon die Natur und sie kennt dich, Und eh du’s merkst, macht sie dich selbst zum Dichter. Ruft dann die Kurie als Richter,
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D e i n A m t , d e i n H a u s , d e i n F r e u n d , n i c h t s a u f d e r We l t d i c h a b : So eil und lauf in vollem Trab, Hol dir ein Blat Pappier und schreibe, Vo n k e i n e m b e s s e r n Z e i t v e r t r e i b e , G e r e i z t , den ganzen langen Tag, U n d s c h i k s n a c h D e s s a u i n Ve r l a g .
Das ist doch eine Art sich mit d e r N a t u r und den M u s e n auf einen Fuß zu setzen wobey man noch ziemlich leidlich wegkommt! Aber die Verse, die man so nach Dessau in Verlag schikt, sind dann freilich auch darnach; und man muß gestehen, daß die Dichter vom engern Ausschuße sich gewöhnlich
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ganz anders dazu angeschikt haben. Wer nur alsdann Verse macht, wenn er sonst auf der Gotteswelt nichts zu thun weiß, wird gerade so ein Dichter seyn, wie einer, der sich nur in verlohrnen Stunden mit Mahlerei abgeben wollte, ein R a p h a e l M e n g s seyn würde. Was ich Ihnen hier sage bleibt unter uns. Bewahret mich, ihr Grazien, daß ich die Herren, die ihre verlohrnen Stunden so gut zu benutzen wissen, in ihrem Zeitvertreib beeinträchtigen wollte! — Genug, Sie, mein junger Freund, sind, zu Ihrem Glük oder Unglük, keiner von dieser Categorie. Ihre Liebe zur Muse ist eine ernsthafte Leidenschaft, die das Schicksal Ihres Lebens entscheiden wird. Sie werden überall, in allen Vorfallenheiten, Verhältnissen, Geschäften, Händeln, Leiden und Freuden ihres Erde-Wallens, D i c h t e r seyn; immer denken, fühlen, reden, handeln, wie nur ein Dichter denkt, fühlt, spricht und handelt: und wenn Sie auch zehn Jahre hintereinander keinen
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einzigen Vers gemacht hätten, so wird doch alles was Sie in diesen Zehn Jahren gesehen, gehört, versucht, gethan und gelitten haben, entweder P o e s i e g e w e s e n o d e r z u P o e s i e g e w o r d e n seyn; und es werden am Ende dieser, dem Anschein nach, für die Musen verlohrnen Periode Ihres Lebens mehr Keime und Embryonen von Gedichten aller Art in ihrer Seele liegen, als Sie, wenn Sie auch Bodmers oder Nestors Jahre erreichten, nicht auszubrüten Zeit haben würden. Aber, ach! dies ists nicht allein. Sie werden auch Thorheiten begehen, die nur ein Dichter begehen kann — werden mit dem glüklichsten Kopfe, mit dem besten Herzen, alle Augenblicke in einem falschen Lichte vor 10
der Welt stehen, immer Klagen und Vorwürfe hören, und doch immer nur sich selbst Schaden thun; und, wie Sie es auch anstellen mögen um die Welt zu überzeugen, daß Sie ein unschuldiges, harmloses, wohlmeynendes Wesen sind, doch immer als ein Wunderthier angestaunt werden, in dessen Art zu denken und zu Seyn die Leute sich nicht finden können, und in dessen Verstand oder Herz alle Augenblicke mächtige Zweifel gesezt werden. Alles dies, mein Lieber, verbreitet sehr unangenehme Folgen auf das Leben eines Menschen, der mit dem bewunderten, verachteten, beneideten, verhaßten, geschmeichelten, und fast immer schlechtbelohnten Talent begabt ist, das ihm so sonderbare Vorzüge vor den gewöhnlichen Menschen, so viel Ge-
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walt über ihre Einbildungskraft, und so unerschöpfliche Mittel sich selbst zu helfen — in der Seinigen giebt. Das goldne laue bivsaw, Der unbemerkte schmale Pfad durchs Leben *)
der ewige Wunsch aller Seelen die zum stillen Genuß der Natur und zum Leben mit ihren eignen Ideen gebohren sind, wird für Sie der Baum des Tantalus werden. Eine verhaßte Celebrität, der sie unmöglich entgehen können, wird ihre Ruhe vergiften, und einen unversieglichen Schwall von tausend nichtswürdigen aber nur desto beschwerlichern kleinen Plagen über Sie ergiessen, die Ihnen nicht einmal die arme Täuschung übrig lassen werden, sich für das Vergnügen, so Sie der Welt machen, wenigstens mit Liebe belohnt zu 30
glauben. Eine Musen-Liebe wie die ihrige endet sich gewöhnlich wie die Leidenschaft *)
Fallentis semita vitae, H o r a t . Ep. 18.
Briefe an einen jungen Dichter. Erster Brief
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eines unerfahrnen Paars von Turteltauben-Seelen die einander statt alles andern Brautschatzes einen unermeßlichen Fond von Zärtlichkeit zubringen, und in dem süssen Wahn, daß die Liebe sie ewig speisen und tränken werde, aller Vorkehrungen gegen die Bedürfnisse des Lebens vergessen haben. Der bezauberte Liebhaber ist vollkommen versichert, daß an der Seite seiner Geliebten eine Strohhütte ein Feenpalast sey; daß er, bey den Stralen aus ihren Augen, keines Lichts, an ihrem wärmenden Busen keiner Feuerung, mit Einem Wort, in dem Ocean von Wonne worinn seine trunkne Seele taumelt, gleich den Göttern im Himmel, nichts bedürfe als — daß er ewig daure der süße Wahn! Aber das ists eben worauf man vergebens gerechnet hat.
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Man hat nicht bedacht, daß Stunden, Tage, Monate, vielleicht ganze Jahre kommen werden, wo die Phantasie, ihrer Zauberkraft beraubt, uns dem unangenehmen Gefühl des Gegenwärtigen preisgiebt; und daß sie, vermöge ihrer immer täuschenden Natur, die Übel, die uns drücken, eben so sehr vergrößert, als sie in glüklichen Stunden das Angenehme unsers Zustands erhöht. Man hat nicht bedacht, daß wenn es auch in der Natur wäre, aus dem schönen Endymions-Traum, worinn sie uns versenkt hat, nimmer von uns selbst zu erwachen; doch gewiß die nüchternen Leute um uns her, aus gutem oder bösem Willen, nicht ermangeln würden, uns so lange zu schütteln und zu rütteln, bis sie uns den schlimmen Streich gespielt hätten, der jenem Korin-
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thier von seinen Anverwandten wiederfuhr, da sie ihm solange Niesewurz gaben, bis die herrlichen Tragödien verschwanden, die er auf der leeren Schaubühne zu sehen glaubte. Dieser Umstand allein wäre schon hinlänglich alle meine Besorgnisse bey dem Lebensweg, den Sie einzuschlagen begriffen sind, zu rechtfertigen. Ein wahrer Dichter — so selten auch, nach Versichrung des vorbelobten Herrn K l i n g g u t , die Luisd’or und — die Zuckermandeln bey ihm sind *) — befindet *)
Und seine Louisd’or? Da stehts nun auch so so! Mit Groschen hört man bey der Wasserflasche Wohl einen Dichter in der Tasche Noch klimpern, wenn er eben froh Sein Schweißgeld zählt: doch G o l d — ho! ho! Ein Bömisch Dorf! — N e i n , G o l d u n d Z u c k e r m a n d e l n , K o n f e c t e , We i n und O r d e n s b a n d S i n d u n s e r E i n e m nur dem Namen nach bekannt.
E p i s t e l n . S. 21.
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sich doch ungefähr in eben der Lage gegen die Welt, worinn sich ein Besitzer des S t e i n s d e s We i s e n befinden würde. Beyde könnten vielleicht, jener mit seinem Talismann im Kopf und Herzen, und dieser mit seinem Pulver in der Tasche, glüklich seyn, wenn nur eine Möglichkeit wäre, ihr Geheimnis vor der ganzen Welt zu verbergen. Aber da dies nicht wohl angeht, so mögen sich beyde darauf verlassen, daß man Mittel genug finden wird, sie für den Vortheil, den sie vor andern wackern Leuten haben, büßen zu lassen. Wenn ich, mein Lieber, so viel für das Glük ihres künftigen Lebens fürchte, so sind d i e L o u i s d’ o r und d i e Z u c k e r m a n d e l n wohl das wenigste was 10
mir im Sinne liegt. Der leztern, mit allem Zubehör von K o n f e c t e n und We i n e n (die O r d e n s b ä n d e r etwa ausgenommen) werden Sie vielleicht nur zu oft zu schmecken bekommen; und zu soviel Gold, als ein Dichter braucht der eben keine Ansprüche an eine Villa — wie Boileau’s und Pope’s, oder gar an ein F e r n e y macht, wird wohl auch noch Rath werden. Horaz speiste so oft er wollte an den Tafeln der Großen in Rom, wohnte so oft und so lang als es ihm gefiel in dem prächtigen Hause Mäcens, oder in seiner herrlichen Villa zu Tivoli, hatte sein eignes Sabinum — kannte beynahe keine andre Plagen als was er, weil er das Unglük hatte Rom’s erster Lyrischer Dichter zu seyn, von den Autoren, vom Publico, und von seiner Celebrität zu leiden hatte — und
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fand sich doch öfters so davon zusammengedrükt, daß ihm, bey aller seiner Liebe zu den Musen, in der Ungedult die Lästerung entfuhr: Der H—r sollte ihn holen, wenn er seine Zeit nicht lieber verschlafen als Verse machen wollte. Lesen Sie, mein Lieber, was dieser liebenswürdige Dichter, der ein eben so feiner Weltmann als ein Mann von Genie und auserlesenen Kenntnissen war, an vielen Stellen seiner Briefe, besonders im Neunzehnten an Mäcen und im Zweyten an Julius Florus, von den Ungemächlichkeiten und Drangsalen des Poetischen Berufs sagt; und lesen Sie, wenn Sie wollen, auch die Zusätze seines neuesten Commentators, der seinen Autor aus dem sehr simpeln Grunde, weil es ihm ungefähr eben so ergangen, anschaulicher und inniger als viele
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andre verstanden zu haben scheint. Es ist, weil man doch einmal sein Schiksal erfüllen muß, wenigstens gut, wenn man weiß wessen man sich zu versehen, und wieviel oder wenig man auf die Einnahmen, die man für die sichersten hielt, Rechnung zu machen hat. Unter allen den schönen Lufterscheinungen, die einen jungen Dichtergeist ermuntern und beflügeln, wenn er die lange und mühevolle Laufbahn be-
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ginnt, deren Ziel unter tausend Mitlaufenden nur so wenige erreichen, ist vielleicht die süßeste — der Wahn: daß etwas mehr als Beyfall, mehr als das eitle digito monstrari et dicier, h i c e s t , daß d i e L i e b e d e r N a t i o n , für die er arbeitet, der Preis seiner unermüdeten Bestrebungen seyn werde. Schmeicheln Sie Sich nicht mit einer so eiteln Hofnung, mein Freund. Das höchste, worauf Sie zählen können, sind Augenblicke von Gunst, kurze Aufbrausungen, von dem Vergnügen so Sie uns in diesen Augenblicken gemacht haben veranlaßt, und wofür man Sie durch die Gefälligkeit, sich von Ihnen vergnügen zu lassen, überflüßig belohnt zu haben glaubt. Von dem Moment an, da wir wahrnehmen oder uns auch nur einbilden, daß Sie nach unserm
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Beyfall ringen, betrachten wir sie mit eben den Augen, womit wir alle andre Prätendenten an Virtuosität in den ergötzenden Künsten sehen; und sie stehen, (es mag Ihnen nun gefallen oder nicht) mit Taschenspielern, Luftspringern und Baladins in Einer Linie. Alle ihre Anstrengungen, einen hohen Grad von Vollkommenheit zu erreichen, sehen wir als Schuldigkeit an; und wehe Ihnen, wenn sie nicht immer sich selbst übertreffen, oder sich jemals für erlaubt halten, auf ihren Lorbeern einzuschlummern! Sie werden diesen Gedanken nicht sehr aufmunternd finden. Aber ich habe Ihnen noch nicht das ärgste gesagt. Ihre Lage gegen das Publicum als Dichter ist weit weniger vortheilhaft, als wenn sie die Ehre hätten ein großer Caden-
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zenmacher, oder — der Parisische Grand-Diable zu seyn. In diesen Künsten hat ungefehr Jedermann einen Maasstab, und kann, mehr oder weniger, ziemlich richtig beurtheilen, wie viel dazu gehört um diese oder jene Wunderdinge zu leisten. Aber in der Musenkunst ists gerade das Wiederspiel. Unter tausend Lesern hat kaum Einer einen deutlichen und bestimmten Begriff von den S c h w i e r i g k e i t e n und von dem H ö c h s t e n d e r K u n s t . Die Leser oder Zuhörer fühlen wohl, ob man sie intereßirt oder gähnen macht: aber das ist auch Alles: und da ein sehr mittelmäßiges oder höchst nachläßig gearbeitetes Werk, eben sowohl als ein Meisterstük, etwas interessantes haben kann: so können Sie Sich darauf gefaßt machen, daß, sobald ihr Werk aufgehört hat eine Meß-Neuigkeit zu seyn, der erste beste Roman, der etwas Neues ist, ein wenig Witz, hier oder da eine überraschende Situation, eine rührende Stelle oder schlüpfrige Gemählde hat, sich der Aufmerksamkeit der lesenden Welt bemächtigen, und Ihre Arbeit, hätten Ihnen auch alle Neun Musen daran geholfen, auf die Seite drängen wird. Hoffen Sie nicht durch irgend eine An-
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strengung, irgend eine idealische Vollkommenheit zu der Sie mit allen Kräften Ihres Geistes emporstreben, endlich einmal zu erhalten, was Sie, nach I h r e n Begriffen von der Kunst, und im lebendigen Bewustseyn dessen was Sie geleistet haben, für bloße G e r e c h t i g k e i t ansehen. Sie werden sie nie erhalten; nicht weil man Ihnen Gerechtigkeit versagen will, sondern weil man keinen Begriff von allem dem hat, was man wissen müßte, um sie ihnen wiederfahren zu lassen. Wenn ein Poetisches Werk, neben allen andern wesentlichen Eigenschaften eines guten Gedichtes, das ist was Horaz totum teres atque rotundum nennt; 10
wenn es bey der feinsten Politur die Grazie der höchsten L e i c h t i g k e i t hat; wenn die Sprache immer rein, der Ausdruk immer angemessen, der Rhythmus immer Musik ist, und der Reim sich immer von selbst, und ohne daß man ihn kommen sah, an seinen Ort gestellt hat; kurz wenn Alles wie mit Einem Guß gegoßen, oder mit Einem Hauch geblasen dasteht, und nirgends einige Spur von Mühe und Arbeit zu sehen ist: so kann man sich sicher darauf verlassen, daß es dem Dichter, wie groß auch sein Talent seyn mag, unendliche Mühe gekostet hat. Die Natur der Sache bringt das mit sich; und da es vielleicht in keiner Europäischen Sprache schwehrer ist schöne Verse zu machen als in der Unsrigen, so muß auch der Fleiß und die Anstrengung, um es zu
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diesem Grade von Vollendung zu bringen, verhältnißmäßig desto größer seyn. Aber bilden Sie sich ja nicht ein, wofern Ihnen jemals ein Werk dieser Art gelingt, daß Ihnen die Leser für das was Sie m e h r geleistet haben als man von Ihnen foderte, den mindesten Dank wissen werden. Man hätte, wie die tägliche Erfahrung lehrt, auch mit Wenigerm vorlieb genommen. Ja, was das schlimmste ist, gerade diese Leichtigkeit, diese Glätte und Rundung, die Ihnen soviel gekostet, und die der einzelne und seltne Kenner, mit aller gebührenden Kälte, anerkennt, wird Ihrem Werk bey dem großen Haufen — Schaden thun. „Es kostet Ihnen wohl nicht die geringste Mühe solche Verse zu machen?“ — wird das Compliment seyn, das Ihnen überall entgegenschallen
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wird; und da die Menschen gewohnt sind, ein Kunst-Werk nach der in die Augen fallenden Schwierigkeit, es hervorzubringen, zu schätzen: so wird auf das Ihrige, gerade um dessentwillen, weswegen Sie Sich selbst am meisten Glük wünschten, eine Art von Verachtung fallen. Man wird es vielleicht mit mehr Vergnügen lesen, als manche andre Früchte des nehmlichen Jahrganges; aber, weil man glaubt daß Ihnen nichts leichter sey als solche Dinge zu
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machen: so werden Sie kaum mit Einem fertig seyn, da man Ihnen, als ob Sie noch nichts gethan hätten, schon wieder ein anderes zumuthen wird; und wenn sie so ungefällig, oder träg, oder unfruchtbar sind, die Erwartung ihrer Gönner nicht aufs bäldeste zu erfüllen: so wird bald eine neue Fabrikwaare, worinn’s irgend was zu lachen oder zu weinen giebt, sich der Aufmerksamkeit der müßigen Welt bemächtigen, und das Werk worinn sich Ihre ganze Seele abgedrukt hat, das Werk Ihrer Liebe, Ihrer Nachtwachen, wobey Sie allen ihren Kräften aufgeboten, woran Sie alle ihre Talente, alle Ihre Kenntniß der Geheimnisse der Kunst verschwendet hatten, wird mit den Erdschwämmen, die in einer Nacht hervorstechen, vermengt, in einen Winkel geworfen, und in
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kurzem so rein vergessen werden, als ob es nie gewesen wäre. Alles dies, mein Freund, ist etwas so natürliches, so alltägliches, ist aus einerley Ursachen, von jeher bey allen Nationen, wenigstens in einem gewissen Zeitpunct, etwas so allgemeines gewesen, das es lächerlich wäre sich darüber zu beklagen. Aber a n g e n e h m ists freilich nicht, von Erfahrungen dieser Art überrascht zu werden; und in den Momenten, worinn Ihnen dies begegnen wird, werden Sie mehr als einmal versucht seyn, das Glük eines jeden ehrlichen Böotiers zu beneiden, der, gerade mit so viel Menschenverstand als er ins Haus gebraucht, sein Brod im Schweiße seines Angesichts ißt, und für den Mangel des zweydeutigen Vorzugs — daß Zehntausend Menschen
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die er nie gesehen hat seinen Namen nennen, und sich anmaßen über ihn und seinen Werth oder Unwerth abzusprechen — durch den Genuß eines unbekannt aber ruhig den Strom der Welt hinabschlüpfenden Lebens reichlich entschädigt wird. Ich würde nie fertig werden, mein Lieber, wenn ich Ihnen alle Arten von Verdruß und Ungemach vorzählen wollte, welche jenseits der A g a n i p p e , die für Sie der gefährliche Rubikon ist, auf Sie warten. Ich zweifle nicht, daß ich Ihnen mit einem guten Theil davon nichts sagen würde als was Sie schon wissen. Aber vergessen Sie nicht, auch die ganze zarte Empfindlichkeit und äusserste Reizbarkeit einer Poetischen Organisation mit dabey in Anschlag zu bringen. Tausend Dinge die Ihr Leben verbittern werden, sind an sich betrachtet Kleinigkeiten; aber für den Nervenbau, für die Einbildung, für das Herz eines Dichters werden’s schwere Leiden seyn. Ein einziges schiefes oder hämisches Urtheil, ein einziger dummer Blik eines Zuhörers bey einer Stelle die ihm einen elektrischen Schlag hätte geben sollen, oder die Frage w a s m e y n -
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t e n S i e d a m i t ? bey einer feinen Ironie — wird Sie gegen den Beyfall von Tausenden unempfindlich machen; und um einer einzigen solchen Citation willen, wie Sie eine ganz jungfräuliche Stanze eines Gedichts das Sie lieben in einem Buche, wo Sie es gewiß nicht erwarteten, und von einem harmlosen Philosophen der den Dichter e h r e n wollte, citiert oder vielmehr stupriert gesehen haben, werden Sie wünschen Ihr bestes Werk vernichten zu können. Ich sage nichts von den Begegnungen die Sie von Autoren, Kunstverwandten, Kennern, Kunstrichtern, Recensenten u. s. w. zu gewarten haben. Sie werden, wenn ich mich nicht sehr an Ihnen irre, in Ansicht aller dieser Herren, 10
Horazens Methode *) einschlagen: erwarten Sie also auch Horazens Schiksal, d. i. in geheim mit Vergnügen gelesen, ins Angesicht mit Lob überschüttet, und öffentlich bey jeder Gelegenheit mit kritischem Achselzücken oder, wenns am besten geht, mit Stillschweigen beehrt zu werden. — Ein gemeiner Soldat, der bloß durch Talente und Verdienste bis zum Feldmarschall emporstiege, wäre eine große Seltenheit: aber ein Schriftsteller, der, ohne von einer Clique zu seyn, ohne Schüler gemacht, ohne seinen Ruhm den dermaligen Potentaten in der gelehrten Republik zu Lehen aufgetragen, ohne hinwieder angehende Schriftstellerchen in seine Clientel genommen und sich in ihnen einen rüstigen Anhang gemacht zu haben, welcher immer bereit ist, auf jeden
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der sich des Patrons Ungnade zugezogen hat mit Faust und Ferse loßzuschlagen — ein Autor, sage ich, der ohne alle diese Hülfsmittel und (was ich nicht vergessen muß) ohne von der Ägide der goldnen M i t t e l m ä ß i g k e i t bedekt zu seyn, bloß durch eigen Verdienst und Würdigkeit, zum ruhigen Besiz eines unangefochtnen Eigenthums von Ruhm und Ansehen unter seinen Zeitgenossen gelangte, wäre eine noch viel größre Seltenheit. Es tragen sich wohl zuweilen seltsame Dinge in der Welt zu, und Einer gewinnt ja wohl das große Loos: aber wer kann rechnen, daß Er dieser Eine seyn werde? Überhaupt, wenn ein ausgebreiteter entschiedner Ruhm und die damit verbundnen Vortheile das Ziel sind wornach Sie lauffen: so machen Sie Sich in
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Zeiten darauf gefaßt alle nur ersinnliche Hindernisse in Ihrem Wege zu finden, und am Ende doch vielleicht zu sehen, wie Ihnen Leute zuvorkommen, *)
Non ego ventosae plebis suffragia venor &c. Non ego n o b i l i u m s c r i p t o r u m a u d i t o r e t u l t o r Grammaticas ambire tribus et pulpita dignor.
Epist. 19.
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die, anstatt in der vorgestekten Bahn zu lauffen, queerfeld über die Schranken wegsetzen, und durch eine glükliche Verwegenheit den Preis an sich reissen, den sie in einem ordentlichen Wettlauf nicht erhalten hätten. „Zum lauffen hilft nicht schnell seyn, sagt der König Salomo, und daß einer angenehm sey dazu hilft nicht daß er ein Ding wohl könne; sondern alles liegt an der Zeit und am Glücke.“ Sie wissen, mein lieber M., aus wie vielen Ursachen ich den lebhaftesten Antheil an Ihnen nehme. Ich sehe Sie auf einem Wege, der Sie wahrscheinlicherweise — nicht zum Tempel des Glüks führen wird; und doch habe ich nicht das Herz Sie zurükzuhalten. Ich selbst liebe die Kunst, welcher Sie Sich
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mit einer so entschiednen Fähigkeit widmen wollen, zu sehr, als daß ich, ohne eine Art von innerlicher Bestrafung, wünschen könnte, Sie von ihr abzuschrecken. Und wie sollte ich die Antwort nicht voraussehen, mit der Sie alles was ich Ihrem Entschluß entgegen setzen könnte, auf einmal zu Boden werfen werden? Auch ist meine Absicht nicht, Sie abzuschrecken; ich möchte Sie nur nöthigen, ehe Sie Ihre Partey auf immer nehmen, auch die Fährlichkeiten und Unlusten des Weges, der Ihnen so reitzend vorkommt, in Betrachtung zu ziehen. Zu Horazens Zeiten war die Poesie, zufälligerweise, der Weg eine Art von Glück zu machen. Ihn trieb, wie er sagt, die Dürftigkeit, die alles zu wagen
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fähig ist, zum Verse machen. Ibit eò quo vis qui zonam perdidit —
Bey uns, fürchte ich, ists just umgekehrt; der schmale Pfad über den Helikon ist, ordentlicher Weise, der gerade Weg in die Arme der lumpichten Göttin welcher Horaz entfliehen wollte. Vielleicht erleben Sie eine glüklichere Zeit für die teutschen Musen. Vielleicht ist einem andern Fürsten der Nachruhm bestimmt, den der große König verschmähte, der, nachdem er in vierzig mit jedem andern Ruhm beladnen Jahren Nichts für unsre Litteratur gethan hatte, sich endlich an dem Verdienst begnügte, uns die Dürftigkeit und Mängel derselben öffentlich vorzurücken. Vielleicht — aber, weil doch alle diese Hoffnungsvollen V i e l l e i c h t sehr ungewiß und in der That weit unwahrscheinlicher sind als izt manche sich träumen lassen: so stellen Sie Sich lieber das Ärgste vor; und da Sie mir ohnehin keine große Anlage zur Philosophie des
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Aristippus zu haben und nicht sehr geneigt scheinen, was auch dabey zu gewinnen wäre, viel Weyhrauch an die Götter der Erde, oder diejenigen die ihre Gnaden austheilen, zu verschwenden: so untersuchen Sie Sich selbst genau, ob Sie, im Schooß Ihrer lieben Muse, allenfalls auch bey einer Mahlzeit von Kartoffeln und Brunnenwasser glüklich seyn können? Und wenn Sie denn, mein Freund, alles wohl überlegt, entschlossen sind, es darauf ankommen zu lassen: so versprechen Sie mir mit Mund und Hand — weil ich Ihnen doch das Schlimmste was begegnen kann vorausgesagt habe — niemals in Ihrem Leben, wie es Ihnen auch ergehen mag, sich über d e n N e i d 10
i h r e r N e b e n b u l e r u n d Z u n f t g e n o s s e n , über d i e G l e i c h g ü l t i g k e i t d e r G r o ß e n , und über d e n U n d a n k d e s P u b l i c u m s zu beschweren. Nichts ist zugleich unbilliger und alberner als darüber wimmern, daß die Dinge sind wie sie immer gewesen sind; und daß die Welt, anstatt sich um unser liebes kleines Selbst herumzudrehen, in ihrem ewigen Fortschwung u n s , wie ein unmerkliches Atom, ohne es gewahr zu werden mit sich nimmt. Die Menschen um uns her haben vom Größten bis zum Kleinsten soviel mit sich selbst und ihrer eignen Noth, soviel mit ihren eignen Planen, Bedürfnissen, Leidenschaften, und momentanen Eingebungen des guten und bösen Dämons, den jeder gern oder ungern auf den Schultern tragen muß, zu thun: daß
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es kein Wunder ist wenn sie sich nicht viel um die unsrige bekümmern können. Und dennoch — helfen Sie einem Menschen, oder machen Sie ihm Vergnügen — w a n n , w o und w i e ers bedarf, und er wird Ihnen in diesem Augenblick aufrichtig dafür danken. Aber wie können wir von ihm fodern, daß er uns auch für ungebetne und unbrauchbare Dienste Dank wisse, oder, wenn wir ihm zur Unzeit die Ohren voll gesungen haben, sich uns noch dafür verbunden halte? Wie können wir verlangen, daß andern Menschen, mitten im Gedränge Ihrer Verhältnisse, Geschäfte, Sorgen, Zerstreuungen, Ergözlichkeiten, die Kunst die w i r treiben, die Gegenstände wovon u n s r e Seele voll ist, das Werk womit w i r uns beschäftigt haben und womit s i e vielleicht auf
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der Gottes Welt nichts anzufangen wissen, eben so wichtig seyn sollen als uns selbst? Wie können wir billigerweise verlangen daß sie ein eben so geübtes Ohr für die Musik unsrer Verse haben, und die feinern Schönheiten eines Poetischen Gemähldes eben so genau bemerken, eben so hoch in Anschlag bringen sollen, als ob sie viele Jahre lang ein besonderes Studium von solchen Dingen gemacht hätten? — Die Natur der Sache bringt es mit sich, daß für den
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bloßen Liebhaber, in Werken des Witzes, des Geschmaks und der Kunst, immer viel verlohren geht. Aber darum ist doch das Publicum weder ungerecht gegen vorzügliche Schriftsteller, noch ohne Gefühl für den Werth der Meisterstücke der Musenkunst. Sehen Sie wie gut öffters auch sehr alltägliche Producte, sine pondere et arte, wenn nur irgend etwas daran gefallen kann, aufgenommen werden? Die lesende Welt will auf allerley Art ergözt und unterhalten seyn; und sie liebt die Manchfaltigkeit so sehr, daß ein Autor ganz und gar ungenießbar seyn müßte, dem es nicht glücken sollte, bemerkt und, wenigstens eine Zeitlang, aus dem Gedränge der täglich zunehmenden Mitwerber hervorgezogen zu werden. Auch in der leichtesten und kunstlosesten
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Gattung, die kaum etwas anders Poetisches hat als die Lebhaftigkeit des Ausdruks und den Reim, ist Witz, oder Laune, oder glükliche Ejaculation eines momentanen Gefühls genug, einen Verfasser der Nation lieb und schäzbar zu machen. Lassen Sie es also nur nicht an sich selbst fehlen, mein Freund! verdienen Sie den öffentlichen Beyfall, er wird Ihnen nicht versagt werden. Spannen Sie alle Ihre Segel auf, erheben Sie Sich über die Menge, und bereichern Sie, unzufrieden mit einem gemeinen Preis, unsre Litteratur durch Werke, die, anstatt nur auf einen Augenblik zu ergötzen, sich der ganzen Seele des Lesers bemächtigen, alle Organen seiner Empfindung ins Spiel setzen, seine Einbildungskraft erwärmen, bezaubern, und in ununterbrochner Täuschung
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erhalten, seinem Geiste Nahrung und seinem Herzen den so süßen Genuß seiner besten Gefühle, seines moralischen Sinnes, seiner Theilnehmung an Andrer Leiden und Freuden, seiner Bewundrung für alles was edel, schön und groß in der Menschheit ist, gewähren — und verlassen Sie Sich darauf, das Publikum wird Ihnen soviel Dank dafür wissen, als Sie b i l l i g e r w e i s e nur immer verlangen können. Ich setze diese Klausul hinzu, weil es Unsinn wäre, von den Menschen mehr zu erwarten als sie zu geben haben. Und mit welchem Rechte wollten die Schriftsteller a l l e i n von ihrer Nation mehr Gerechtigkeit, mehr Dankbarkeit, mehr Gleichheit und Beständigkeit fodern, als irgend ein andrer Mann von Verdienst, in welcher Categorie er immer seyn mag, von ihr zu gewarten hat? Ich habe diese kleine Abschweiffung für nöthig gehalten, damit Sie das was ich Ihnen von den mancherley Unannehmlichkeiten des Poetischen Lebens bloß als Thatsache gesagt, nicht für Klagelieder aufnehmen, die mir das Ge-
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fühl oder Andenken eigner Erfahrungen ausgepreßt habe. In allen nur ersinnlichen Lebensarten und Umständen ist das Menschliche Leben mit mancherley würklichen, eingebildeten, natürlichen und selbstgemachten Plagen umfangen; und im Augenblik der Überraschung kann uns oft auch ein kleiner Schmerz einen lauten Schrey abnöthigen: aber wer wollte über unvermeidliche allgemeine und eben darum sehr erträgliche Übel sich ungebehrdig stellen? Quisque suos patimur manes — Indessen bedurfte es keiner Rücksicht auf die Meinigen, um Ihnen von allgemeinen Erfahrungen zu sprechen, die in allen Zeiten und bey allen Völkern, wo Litteratur blühte, stattgefunden haben. 10
Sie, mein lieber M. kennen mich gut genug, um zu wissen, daß ich mit meinem Loos in jeder Betrachtung zufrieden bin. Von meiner Jugend an habe ich die Kunst mehr geliebt, als was man Ruhm und Glük nennt; und immer ist mir die unverfälschte Empfindung einzelner edlen Seelen, und der unerwartete gutherzige Dank irgend eines wackern Biedermanns, der keine Nebenabsichten dabey haben konnte, mehr gewesen als der ruhige Beyfall des kalten Kenners, oder das laute Zuklatschen der Menge, wiewohl es mir in einem Lauf von mehr als dreißig Jahren auch an diesen nicht gefehlt hat. Aber ich würde mir ein Verdienst beylegen, an das ich keinen Anspruch zu machen habe, wenn ich läugnen wollte: daß ich, indem ich den größten Theil meines Lebens im Dienst
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der Musen zugebracht, mehr für mich selbst als für andere gethan habe; und daß es die reinste Wahrheit war, und vermuthlich bis an mein Ende wahr bleiben wird, was ich schon vor funfzehn Jahren (zu einer Zeit, da ich am äussersten Ende des südlichen Teutschlandes in gänzlicher Abgeschiedenheit vom teutschen Parnaß, und ohne alle Litterarische Verbindung lebte) aus voller Empfindung zu meiner Muse sagte: Gefällst du nicht, stimmt Welt und Kenner ein Dich deines Diensts fürhin zu überheben, So mag dein Trost in diesem Unfall seyn, Daß du, bey süßer Müh, mir viele Lust gegeben:
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Du machst, o Muse, doch das Glük von meinem Leben, Und hört dir niemand zu, so singst du mir allein.
Ich müßte mich sehr irren, wenn diese Gesinnung nicht im Lauf Ihres künftigen Lebens auch die Ihrige seyn sollte: und so bleibt mir, was für Wege auch
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übrigens das Schiksal mit Ihnen gehen mag, doch immer der Trost: daß eine Quelle von Glükseligkeit in Ihrem Innern springt, die Ihnen jeden Kummer des Lebens versüßen, den Genuß seiner besten Freuden verdoppeln, und, auch wenn sie zu versiegen anfängt, zum Labsal in den Tagen die uns nicht gefallen, wenigstens noch einzelne Nektartropfen für sie übrig haben wird. W.
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Zweyter Brief. An einen jungen Dichter. Ich mache meiner Divinations-Kraft kein großes Compliment, wenn ich Ihnen sage, daß ich Ihre Antwort auf mein erstes Schreiben *) vorausgesehen habe. Glüklicher Weise für meine kleine Eitelkeit war es, wie Sie selbst versichert zu seyn scheinen, keineswegs meine Absicht, sie abzuschrecken; widrigenfalls hätte ich die Demüthigung wohl verdient, meines Zweks so sehr verfehlt zu haben. Ich erwartete von Ihnen nicht nur, daß die Schwierigkeiten und abschreckenden Umstände, wovon ich Ihnen sprach, Ihren Muth vielmehr rei10
zen als niederschlagen würden: ich sahe auch mit Vergnügen, daß mich meine Vermuthung über die ganz verschiedne Würkung, welche meine Vorstellungen auf Ihr Gemüth machen würden, nicht betrogen hat. Sie schwingen sich — mit einer Art von Verachtung, die ich (ohne sie völlig gutzuheissen) a l s u n a f f e k t i r t e s G e f ü h l I h r e r S e e l e zu schätzen weiß — über alles — hinweg, was ich Ihnen, aus dem Munde unsers H o r a z , und aus der Erfahrung aller Dichter aller Zeiten, von den ä u s s e r l i c h e n Unannehmlichkeiten und Widerwärtigkeiten des poetischen Berufs gesagt habe. „Wer wird sich, sagen sie, von einer Profession, wozu er sich berufen fühlt, durch Umstände abschrecken lassen, die aus der Natur und den Verhältnissen des menschlichen
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Lebens nothwendig entspringen, die ihr mit allen andern Professionen gemein sind, und durch standhaftes Ausharren, kluges Betragen und unabläßiges Fortstreben nach Vollkommenheit, gleichwohl vielleicht überwunden werden können?“ — Besonders sehe ich Sie mit Vergnügen so wohl gewafnet gegen die Vorstellung d e r A r m u t h , das alte ziemlich gewöhnliche Loos der Künstler, die unter dem Einfluß der Musen stehen. Wohl Ihnen, mein junger Freund, daß das Wort A r m u t h , das durch die Aristides und Sokrates, die Curius und Fabricius, die Epictete und Thomas Moore — kurz durch die Edelsten und Besten der Menschen so ehrwürdig geworden, nichts verächtliches *)
S. Te u t s c h . M e r k . 1 7 8 2 . August. 8. 129.
Zweyter Brief. An einen jungen Dichter
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noch abschreckendes in ihren Augen hat — und daß Sie sich so ganz darauf eingerichtet zu haben scheinen, auch mit Ihrem Beyspiel zu bestätigen, was Horaz dem römischen Pisistratus zu Gunsten seiner Mitbrüder im Apollo sagt: Ein Dichter hat sonst keine Leidenschaft als seine Lust am Dichten; die allein beherrscht ihn ganz und gar, er lebt und webt in Versen. Schlimme Zeiten, Geldverlust, Vermögensabfall, all dies kränkt ihn wenig. Mag sein Gesind auf einen Tag entlauffen,
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mag überm Kopf sein Haus ihm niederbrennen, er lacht dazu. In seinem Leben kömmt ihm kein Gedanke seinem Mündel oder Mit-Erben heimlich einen Streich zu spielen. Er lebt von Erbsenbrei und schwarzem Brodt, u. s. w.
In London und Paris mag es wohl nicht an Versemännern fehlen, die sich zuweilen mit einer noch leichtern Diät behelfen müssen: aber bey uns Teutschen getraue ich mir (wenigstens so lange die R o m a n e n - M a n u f a c t u r e n so guten Absaz finden wie seit einiger Zeit) einem jeden Poeten vel quasi noch immer so viel Erbsenbrey und schwarzes Brod zu garantiren, als er nöthig hat
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um nicht durch Überfüllung am Arbeiten gehindert zu werden; ja das Handwerk wirft sogar Bier und Tabak — Bedürfnisse, die man zu Horazens Zeiten noch nicht kannte — reichlich ab; zumal da die Garderobe bey diesen Herren, ordentlicher Weise, ein wenig kostspiltiger Artikel ist. Indessen ist mir doch lieb zu vernehmen, daß Ihr guter Genius wenigstens f ü r d a s U n e n t b e h r l i c h e gesorgt, und Ihnen dadurch den sehr wichtigen Vortheil verschaft hat, daß sie m i t M u ß e u n d We i l e arbeiten können, keinen Zeitverlust in Anschlag zu bringen brauchen, und, wenn sie einen schönen halben Tag auf die Ausfeilung eines Dutzend Verse verschwendet haben, sich nicht hinter drein mit dem armseligen Gedanken, daß der elendeste Prose-Schmierer, ohne alle Bemühung des Geistes und durch die bloße Behendigkeit seiner Schreibefinger, zehnmal mehr in so viel Stunden verdient habe, plagen müssen; und, beym Anblik ihres zusammengeschrumpften Geldbeutels, nicht zu Verwün-
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schung einer Profession verleitet werden, bey der Sie blos deßwegen verhungern, weil sie nicht — ohne sie leben können. Da Sie, mein Freund, allem Ansehn nach, sich nie in diesem jämmerlichen Falle befinden werden, und, bey der Sicherheit das Nothwendige des begnügsamen Weisen niemals weder durch Prose noch Verse erwerben zu müssen, für alles Entbehrliche unbesorgt sind, — kurz, da für Sie nur eine einzige Art ist, wie Sie nach ihrer eignen Denkart I h r G l ü k m a c h e n können und wollen: so befremdet mich ganz und gar nicht, daß auf der einen Seite die Schwierigkeiten, die in der poetischen Kunst selbst liegen, auf der andern, das Ab10
schreckende, was sie in der Natur und den engen Grenzen unsrer Sprache zu sehen glauben, und endlich die Meynung, daß die ersten Plätze auf unserm teutschen P i n d u s schon besezt und neuangehenden Mitwerbern um die l a u r e a m a p o l l i n a r e m beynahe nichts ruhmwürdiges mehr zu unternehmen übrig gelassen sei, — die e i n z i g e n Hindernisse und Abschreckungen sind, die auf ihre Einbildung zu würken, und gleichsam in dem Augenblik, da Sie dem rufenden Genius die Hand reichen wollen, Sie unschlüßig und muthlos zurükzuhalten scheinen. Ihre Furcht vor den i n n e r l i c h e n S c h w i e r i g k e i t e n der Poetischen Kunst, ist eine heilsame Furcht, wovon ich allen angehenden Dichtern ein
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großes Maas wünschen möchte. Sie gründet sich auf lebendiges Anschauen und Bewußtseyn alles dessen, was ein Dichter von sich selbst fodern muß, wenn es ihm auch unglüklicher Weise an einem Publiko fehlte, das sich mit weniger nicht befriedigen ließe. Ein Jüngling, den die Natur mit zureichenden Kräften begabt hat, diese Schwierigkeiten zu ü b e r w i n d e n , kann sich dieselben schwerlich z u g r o ß einbilden. Sein Geschmak kann nie zu ekel, sein Ohr nie zu fein, sein Gefühl für Schönheiten und Fehler nie zu zart und scharf, kurz, er kann nie zu strenge seyn, sich selbst nichts zu übersehen, was durch hartnäckigen Fleiß gehoben werden kann, und wenn es auch nur ein dem Ohr unangenehmer Zusammenstoß von Consonanten, eine die Eurythmie des Pe-
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rioden unterbrechende Cäsur, oder ein übelklingender Sylbenfall am Schlusse desselben wäre. Die Gesetze des S c h i k l i c h e n , die der Dichter zu beobachten hat, sind unzählich; und die kleinste Übertretung des kleinsten dieser Gesetze, erregt einen Mißlaut, eine unangenehme Unterbrechung der besondern Rührung oder doch des reinen Vergnügens überhaupt, welches in Hörern oder Lesern von richtig-zartem Gefühl fortdaurend hervorzubringen
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sein lezter Zwek ist und seyn soll. Wehe dem Dichter, der seine Kunst nicht mehr liebt als — seine Bequemlichkeit! der seine poetischen Sünden mit einer vorgeblichen p o e t i s c h e n L i c e n z zu beschönigen glaubt, und uns mit E n t s c h u l d i g u n g e n abfertigt, wo er uns mit S c h ö n h e i t e n befriedigen sollte! Nur die Grenzen, die ihm die Natur selbst gesezt hat, d. i. die oft unüberwindliche Unbiegsamkeit seiner Sprache, oder die Unmöglichkeit, eine Schönheit von der geringern Art in gewissen individuellen Fällen mit den höhern und wesentlichern zugleich erzielen zu können — kurz, nur p h y s i s c h e U n m ö g l i c h k e i t , oder das große Gesez der Kunst selbst, welches uns zuweilen befiehlt, einem höhern Zwek den geringern wissentlich aufzuopfern. *) — Dies
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allein und nichts anders kann einen Dichter wegen irgend einer Beleidigung rechtfertigen, die er einem Ohre zufügt, das die Musen mit Gefühl für Harmonie und schöne Modulation der Verse begabt haben. Ich behalte mir auf eine künftige Gelegenheit vor, Ihnen über diesen leztern Artikel meine Gedanken und Bemerkungen bestimmter und mit Beyspielen erläutert mitzutheilen. Auch bey der glüklichsten Anlage bedarf es doch vieles Studierens und einer langen Übung, biß man es in allem dem, was unter dem Mechanischen und Musikalischen unsrer Kunst begriffen ist, zu einem mehr als gemeinen Grad der Vollkommenheit bringt, und meine Erfahrenheit in diesen Dingen kann Ihnen vielleicht behülflich seyn, früher dazu zu gelangen.
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Indessen ist nicht wohl zu läugnen, daß, was diesen Punct betrift, in unsrer Sprache selbst Schwierigkeiten liegen, die weder durch die ausführlichste Kentniß derselben noch durch den angestrengtesten Fleiß allezeit gehoben werden können. Es ist mehr als zu wahr, daß die teutsche Sprache an Wohl*)
Z. B. Ein poetisches Gemählde (es sei nun darinn um die Darstellung einer Natur-Scene oder
eines Characters oder einer Leidenschaft zu thun) kann, der Natur des Gegenstandes gemäß, und also vermöge des bestimmtesten Eindruks den der Dichter machen will, eine gewisse A u s t e r i t ä t im Ton des Ganzen erfodern, die zuweilen, mit dem wenigsten Nachtheil der übrigen Zwecke, am schiklichsten durch e i n i g e H ä r t e in der Sprache und Versification erhalten werden kann. Oder diese Härte kann zu Charakterisirung einer gewissen Figur des Gemäldes, oder zu Bewürkung eines Contrasts oder einer feinen Schattirung nothwendig seyn, u. s. w. Eilfertige Kunstrichter, die doch auch zeigen wollen daß sie zu tadeln wissen, schwatzen oft von H ä r t e , oder bezeugen auch wohl eine sehr höfliche Verwunderung, wie ein Dichter, der sonst in dem Rufe des Gegentheils steht, in einen solchen Fehler habe fallen können; und sehen nicht (was Kunstrichter doch sehen sollten) daß der Mann den vermeynten Fehler mit sehenden Augen begangen, und sich vielleicht wohl gar rechte Mühe gegeben hat, ihn zu begehen.
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klang und Sanftheit beynahe allen andern europäischen nachsteht; und daß sie insonderheit von der E n g l i s c h e n (die von allen andern gute Beute gemacht hat) an Reichthum an Worten und derjenigen Stärke, die aus Kürze und Gedrungenheit entsteht; von der F r a n z ö s i s c h e n an Tauglichkeit — Wiz und Empfindung (zwey so ungleichartige und doch so nahe verwandte Dinge) bis auf den äussersten Grad der Feinheit auszuspinnen und zu verweben; und von der I t a l i ä n i s c h e n an Geschmeidigkeit und Überfluß an poetischen Worten zum lebendigsten Ausdruk, zur feinsten und glänzendsten Farbengebung, zur anmuthigsten Modulation des Verses, übertroffen werde. Ich hoffe 10
einiges Recht erworben zu haben — ohne Scheu vor den Vorwürfen eines übertriebnen und den Ausländern mit Recht lächerlichen Patriotismus — meine Meynung über diesen Punct sagen zu dürfen; und ich stimme Ihnen gänzlich bey, wenn Sie mir schreiben: „ich wünschte, der Erbe des neulich ohne Erben zu Charles-Town verstorbnen Juden A b r a h a m d e l l a P a l p a zu seyn, *) um seine 300,000 Pfund Sterling zum Preiß für den teutschen Dichter auszusetzen, der diese einzige Stanze des göttlichen Tasso in gleich schöne teutsche Verse zu übersetzen vermöchte:“ Te n e r i s d e g n i e p l a c i d e e t r a n q u i l l e Repulse, cari vezzi e liete paci, Sorrisi, parolette, e dolci stille
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D i p i a n t o , e s o s p i r’ t r o n c h i , e m o l l i b a c i , Fuse tai cose tutte, e poscia unille, Ed al foco temprò di lente faci, E ne formò quel si mirabil cinto Di ch’ella aveva il bel fianco succinto.
Die Schwierigkeit, oder vielmehr die U n m ö g l i c h k e i t , Ihren Preis zu gewinnen (und wenn Sie auch Peru und Brasilien auszubieten im Stande wären) liegt bloß in den vier ersten Versen — und sie liegt nicht nur in den Worten, in soferne sie Begriffe bezeichnen, sondern vornehmlich in dem Mechanischen 30
*)
Dieser portugiesische Jude starb vor einiger Zeit auf seinem Landgut ohnweit besagter Stadt
im 140sten Jahre seines Alters, und verordnete, aus Mangel näherer Erben, daß seine in 300,000 Pfund Sterling bestehende Verlassenschaft an Werke der Barmherzigkeit und Wohlthätigkeit, ohne Rüksicht auf Verschiedenheit der Religion und Secte, verwendet werden sollte.
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derselben, und in der zauberischen Würkung, die das a m o r o s o in der M o d u l a t i o n dieser Verse thut. Die Italiänische Dichtersprache wimmelt von Worten, besonders von B e y w ö r t e r n , für die uns die unsrige kein Äquivalent geben kann. Ich habe die Pein, die ein teutscher Dichter leidet, wenn er in allen Fächern seines Gedächtnisses vergeblich nach einem Worte sucht, welches gerade das, was er sagen w i l l , sage, und dabey nicht durch irgend ein leidiges S c h r oder c h , oder ein dreyfaches Übergewicht harter Consonanten den schönen Gegenstand, den es bezeichnen, oder die Stelle, wo es Effekt machen soll, verunziere — zu oft erfahren, als daß ich Ihnen einen kleinen Unmuth über das rauhe,
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wiehernde und unsingbare unsrer Sprache übel nehmen könnte. Der Fehler liegt freylich meistens nicht im Mangel an Worten, sondern im Mangel solcher Wörter, wie unsre durch griechische, lateinische, welsche und französische Töne verwöhntes Ohr sie gerne haben möchte. Z ä r t l i c h e heist eben das was teneri, und hat den nehmlichen Sylbenfall: aber was für einen Unterschied macht das c h und der Zusammenstoß der drey Mitlauter r t l in dem teutschen Worte? Beltà und S c h ö n h e i t bezeichnen einerley Begriff; aber wie wohlklingend ist j e n e s , und wie müssen die Organen arbeiten, um d i e s e s hervorzubringen? Welch ein ewiges Zischen und Hauchen, Knarren und Klirren in unserm mit H , C h , S , S c h , P f und R , überladenen H o c h t e u t -
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s c h e n ? Alles dies, lieber Freund, und was Sie mir noch sonst gegen die poetische Euphonie derselben hätten einwenden können, ist zu offenbar um geläugnet zu werden. Aber Unrecht würden Sie haben, wenn Sie darum, weil unsre Sprache nicht so sanft und s o n o r wie die Italiänische ist, die Augen vor ihren würklichen Schönheiten, und selbst vor dem was sie gleichwohl auch in diesem Stücke würklich ist, verschliessen wollten. Ohne hier zu wiederhohlen, was von vielen andern, und von mir selbst anderswo, hierüber schon gesagt worden, — bedürfen wir eines stärkern Beweises, als die Dichter, die wir schon besitzen, und den ungemeinen Zuwachs an Biegsamkeit, Sanftheit und Wohllaut, den sie unter ihrer Bearbeitung nur seit 40 Jahren gewonnen hat? Aber auch schon lange vor der Epoche H a l l e r s , B o d m e r s , H a g e d o r n s , G l e i m s und G e l l e r t s , wie sehr zeigte sie sich schon von dieser Seite zu ihrem Vortheil in vielen mahlerischen und musikalischen Gedichten unsers vortreflichen und zu sehr vergeßnen B r o c k e s ? Ich brauche sie nur auf das ehmals berühmte Gemählde e i n e s U n g e w i t t e r s u n d d e r d a r a u f
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e r f o l g t e n S t i l l e , zu verweisen, wo mehr als 70 meistens Alexandrinische Verse o h n e R einen sehr laut redenden Beweis abgeben, daß unsre Sprache so hart nicht ist, als man ihr vorwirft; oder daß sie wenigstens einen Überfluß an weichen Wörtern hat, und milde genug ist, sich in sehr sanfte Formen gießen zu lassen. Was auch der G e s c h m a k gegen die besagten 70 Broksischen Verse ohne R einzuwenden haben mag; so beweisen sie doch immer, was der Dichter selbst, wie es scheint, damit beweisen wollte. Aber auch ohne dies, was ist sanfter und wohllautender als z. B. folgende Stelle aus des nehmlichen Dichters musikalischem Gedicht auf seinen G a r t e n ? 10
Es scheint der Blühte flüchtig Schweben, indem sie fällt, die Lüfte zu beleben; die klare grünlich-dunkle Fluth, die in des Teiches Ufer-Schooß, bekränzt mit Moos an schlanker Bäume Wurzeln ruht, auf deren ebner Fläch’ ein kühler Schatten schwimmet, wird unvermuthet hell, und glimmet in einer weissen Glut.
Es müste denn nur folgende Arie seyn, die sich neben den schönsten eines 20
Metastasio hören lassen darf: Kühler angenehmer Bach, Allgemach Schliesset deiner krausen Wellen Sanfter Schall in kleinen Fällen, Durch das Ohr mein Auge zu: Deiner fliessenden Kristallen Schwätzend Wallen Reizet selbst den Geist zur Ruh.
Lesen Sie, wenn Sie den Reichthum und das Melodiöse unsrer Sprache, in 30
Rüksicht auf Wohlklang und Singbarkeit, in seinem vollen Glanze sehen wollen, von eben diesem — weit mehr als anerkannt wird — um unsre Sprache und
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Dichtkunst verdienten Manne seine Gedichte über d i e Ve r g n ü g u n g d e s G e h ö r s i m F r ü h l i n g , über das Wasser im Frühling, über d i e S c h ö n h e i t d e r F e l d e r , über d e n M o n d s c h e i n i n e i n e r a n g e n e h m e n F r ü h l i n g s - N a c h t , über d i e R o s e , u. s. w. und besonders seine ehmals so berühmten Beschreibungen d e s N a c h t i g a l l e n - G e s a n g s , *) denen schwehrlich irgend eine Sprache etwas reichers und vollkommners in ihrer Art entgegen zu setzen hat. Aber wenn wir auch zugeben müssen, daß unsre Sprache bey weitem nicht so sanft ist als die gröstentheils aus der Lateinischen entsprungenen unsrer Nachbarn jenseits des Rheins und der Alpen, — ist denn S a n f t h e i t die ein-
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zige poetische Tugend einer Sprache? Ist die ganz vorzügliche Geschiklichkeit der unsrigen starke und heftige Leidenschaften und große Natur-Scenen in dem heftigsten Kampf ihrer gewaltigen Kräfte darzustellen, — und besonders, ist ihr ungemeiner Reichthum an ausdruksvollen und alle Arten von Schall und hörbarer Bewegung nachahmenden Wörtern für etwas geringes zu achten? Ich empfehle Ihnen, wenn Sie unsern ganzen Reichthum an Wörtern dieser Art beysammen sehen wollen, abermal, außer den schon angezognen Gedichten unsers B r o c k e s , seine p h y s i k a l i s c h e n S t a n z e n , die mit den treflichsten Schilderungen angefüllt sind: besonders die Beschreibung eines feuerspeienden Berges und das große Gemählde des Untergangs unsers Pla-
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neten durch ein allgemeines Erdbeben; welche, ungeachtet der unbequemsten Vers- und Reim-Art, die zu Gedichten dieser Art nur immer gewählt werden konnte, Sie durch die hinreissende Stärke der Sprache, deren er sich darinn ganz bemächtigt hat, in Bewunderung setzen wird. Nehmen Sie nun noch hiezu, was unsre Dichter-Sprache, seit B r o c k e s , durch die v i e r schon genannten Dichter, und nach ihnen, durch K l e i s t , U t z , G e ß n e r , R a m m ler, Gerstenberg, Götze, Zachariä, Dusch, J. G. Jacobi, Bürger, u. a. vornehmlich aber, was sie durch K l o p s t o k und C r a m e r gewonnen hat: machen Sie Sich die Verdienste eines jeden dieser Dichter, in seiner Art, und nach dem besondern Charakter seines Geistes und seiner Dichtart, genau bekannt — und gewiß, ich müste die Gesundheit Ihres Verstandes ganz verkennen, wenn ich zweifeln wollte, daß Sie billiger von dieser Sprache urthei*)
Alle hier angezogene Broksische Stücke befinden sich im e r s t e n Theil seines i r d i s c h e n
Ve r g n ü g e n s i n G o t t , wo man überhaupt seine besten Sachen suchen muß.
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len, und sichs nicht mehr leid seyn lassen werden, daß das Schiksal Sie an der Donau, und nicht am T i b e r oder A r n o gebohren werden ließ. Wenigstens verspreche ich mir dies so lange, bis Sie mir in einem welschen Dichter eine stärkere, ausdruksvollere, und in diesem Ausdruk, in Klang, und Modulation, ihrem Inhalt angemeßnere Stelle werden gewiesen haben, als es die folgende aus der M e s s i a d e ist: — Indem die Ewigen sprachen, gieng durch die ganze Natur ein e h r f u r c h t s v o l l e s E r b e b e n Seelen die izt wurden, die noch nicht zu denken begonnen, z i t t e r t e n und e m p f a n d e n zuerst. Ein g e w a l t i g e r S c h a u e r
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f a ß t e den Seraph, i h m s c h l u g s e i n H e r z , * ) und um ihn lag wartend wie vorm nahen Gewitter, die Erde, sein furchtsamer Welt-Kreis. Nur in die Seelen zukünftiger Christen kam s a n f t e s E n t z ü c k e n und ein süßbetäubend Gefühl des ewigen Lebens. Aber sinnlos und nur zur Verzweiflung allein noch empfindlich, Sinnlos wider Gott was zu denken, e n t s t ü r z t e n i m A b g r u n d i h r e n T h r o n e n die höllischen Geister. Als jeder d a h i n s a n k stürzt auf jeden ein Fels, brach unter jedem die Tiefe u n g e s t ü m e i n , und d o n n e r n d e r k l a n g d i e u n t e r s t e H ö l l e .
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Ich überlasse Ihnen selbst die leichte Mühe, auszufinden, wie die Sprache, an den mit anderer Schrift gedrukten Stellen, dem Willen des Dichters gleichsam auf den Wink dienstbar gewesen ist. Aller Genie eines Homers und Miltons kann, oder darf vielmehr kein solches Wort wie g e w a l t s a m e r , wie z i t t e r t e n , wie s ü ß b e t ä u b e n d , wie e h r f u r c h t s v o l l e s , erschaffen, wenn es nicht schon in seiner Sprache ist. Das leztere ist sogar ein sehr hartes Wort: aber welch einen lebendigen Ausdruk hilft es gerade durch seinen ernsten, langsamen und gleichsam im Munde erstarrenden Spondeen-Ton bewürken? Ich müste die Hälfte der Messiade abschreiben, um Ihnen Stellen auszuzeichnen, wo die Sprache dem Dichter zu jedem Ausdruk sanfter, zarter,
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liebevoller, trauriger, wehmüthiger — oder erhabner, majestätischer, schau*)
Man hört die Art, wie es empor schlägt — stark und langsam — in diesen vier auf einander
folgenden einsylbigen Wörtern, deren jedes eine lange Sylbe ist.
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ervoller, schreklicher und ungeheurer Gegenstände oder Empfindungen, f r e i w i l l i g e n t g e g e n g e k o m m e n i s t : und die andre Hälfte, um Ihnen in Beyspielen zu zeigen, wie dieser große Dichter die Sprache, d i e e r f a n d , auszuarbeiten, zu formen, zu wenden, kurz, z u r s e i n i g e n zu machen gewußt hat. Niemand hat besser als Er die Kunst verstanden, ihre Widerspenstigkeit zu bezähmen, und aus diesem oft so spröden Stoffe seinem Genius, so zu sagen, einen edlen und geschmeidigen Luftkörper zu bilden. Studieren sie ihn, ohne ihn jemals zu kopieren; lernen sie von ihm, und den übrigen Dichtern die ich genannt habe, und die, (wiewohl zum Theil von den Jeztlebenden schon halb vergessen) eine aufgeklärtere und geschmakvollere Nachwelt ganz
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gewiß in alle ihre Rechte wieder einsetzen wird — lernen Sie aus ihnen unsre durch eigenthümlichen Reichthum so vorzügliche Sprache in ihrem ganzen Umfang, von allen ihren Seiten, in allen ihren Kräften und Anlagen kennen und gebrauchen: so werden Sie — wenn es gleich an Augenblicken, wo sie Ihre Geduld auf harte Proben setzen dürfte, nicht fehlen wird — gleichwohl Ursache genug finden, sich immer wieder mit ihr auszusöhnen. Es ist nichts leichters als zu sagen, die Sprache Ariosts, Tassos und Metastasio’s sey ungleich sanfter und melodiöser *) als die Teutsche. Aber ist sie darum auch manchfaltiger, abwechselnder, nachdrüklicher, kräftiger? Und kann man in Abrede seyn, daß ihre alle Augenblicke wiederkommende A , E , I
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und O ihr eine dem Ohr endlich sehr langweilige Eintönigkeit geben? Doch wir haben nicht nöthig Unvollkommenheiten an den auswärtigen Sprachen zu suchen, um die Verdienste der unsrigen zu erheben. Jede Sprache ist der Organisation, der Lage, dem Genie und Character der Nation, von welcher sie gebildet worden ist, angemessen — und die Teutsche trägt die Spuren des allgemeinen Characters, woran man einen Teutschen — so verschieden auch die Einwohner einzelner Provinzen, in Vergleichung mit einander, scheinen — von einem Franzosen, Italiäner, Spanier, Engländer, u. s. w. sogleich unterscheiden kann, auf eine sehr merkliche Weise. In ihren häuffig zusammen gedrängten Consonanten ist das F l e g m a unsers National-Temperaments, die Asche die unsre Gluth bedekt; in ihren häuffigen Hunds- und
*)
Ich nenne eine Sprache m e l o d i ö s e r als eine andre, wenn sie sich allen Arten von Melodien,
besonders den leichten und gefälligen, williger anschmiegt, und gleichsam von selbst in Melodie hinfließt — welches von der Welschen im eigentlichsten Verstande gesagt werden kann.
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Zisch-Lauten (R. S. Sch.) die C h o l e r i s c h e M i s c h u n g , und in den eben so häuffigen und starken Aspirationen das m u n t e r e , k r ä f t i g e und der a n h a l t e n d s t e n A n s t r e n g u n g f ä h i g e desselben, deutlich ausgedrukt. Aber die häuffige Einmischung der sanften, und der kindlichen Natur besonders eignen Laute, B , M , D , T und L , vornehmlich des leztern, der etwas vorzüglich lebhaftes und liebliches hat, temperiert *) das Schwehrfällige, rauhe und ungestüme, das gleichsam die Grund-Laute der Sprache unsrer uralten Vorfahren, der freyen Wa l d b e w o h n e r , J ä g e r und K r i e g e r — ausmacht, in solcher Maaße, — und die lange Tonleiter unsrer Vokalen und Diphtongen 10
trägt so viel bey, theils das Natur-nachahmende unsrer Wörter zu verstärken, theils eine große Manchfaltigkeit und mehr Contrast in sie zu bringen: daß ein Dichter, wenn er seinen eignen Vortheil recht bedenkt, sich kaum eine zu allen Arten des lebendigen Ausdruks tauglichere, und alle mögliche Farbenmischungen besser zulassende Sprache wünschen kann, als eben diese, die wir, aus allzugroßer Gefälligkeit gegen unsre Nachbarn, den ihrigen (die doch so wenig übereinstimmendes mit unserm Temperament und Character haben) unbilliger Weise nachzusetzen uns verleiten lassen. Ich überlasse diese Betrachtung, die das was ich sagen wollte nur bloß a n d e u t e t , Ihrem eignen weitern Nachdenken; und bin versichert, daß Sie
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durch eine genauere Aufmerksamkeit auf den Gebrauch, den unsre besten Dichter von den Idiotismen unsrer Sprache zu machen gewußt haben, tausendfältige Bestätigungen des Gesagten finden werden. Weil ich Sie doch s o lange mit meiner Apologie unsrer uralten Helden- und Barden-Zunge aufgehalten habe: so erlauben Sie mir nur noch diese einzige Nebenbemerkung hinzuzufügen. Diejenigen, welche — nachdem sie die alte g r i e c h i s c h e Sprache ihres bezaubernden Wohlklangs wegen an den Himmel erhoben haben — die Unsrige wegen des häuffigen Nasen-Lauts N tadeln, haben vermuthlich in ihrem Leben in keinen Homer geguckt: sonst hätten sie sehen müssen, daß das N a m E n d e d e s Wo r t s im Griechischen beinahe
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eben so häuffig vorkömmt als im Teutschen. Der Vorschlag, zu Verbesserung dieses vermeintlichen Gebrechens, unsre Z e i t w ö r t e r hinten mit einem A zu beschwänzen, und statt lieben, l i e b e n a zu sagen, ist nicht glüklicher als *)
Und wieviel würden wir erst an Sanftheit gewinnen, wenn die Art wie die Niedersachsen
unser häßliches P f und S c h aussprechen, so allgemein würde als sie es zu seyn verdient?
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der Tadel selbst, und würde unsre Sprache in ein sehr unliebliches und Böotisches Gedröhne verwandeln. Kürzer käme man davon, wenn man (wie die Ober-Teutschen schon seit so vielen Jahrhunderten thun) das N am Ende der Wörter gar nicht hören ließe. Unsre Sprache würde dadurch — zwar nicht der Griechischen — aber doch wenigstens der Französischen und Welschen ähnlicher werden; und das wäre doch schon etwas beträchtliches über den bösen Geist des Übelklangs gewonnen! Was die e n g e n G r e n z e n der teutschen Sprache betrift, so dachten Sie dabei wohl allein an die Französische, die durch einen Zusammenfluß von günstigen Umständen seit den Zeiten Ludwigs XIV. zur allgemeinen Hof- und
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Gesellschafts-Sprache im größern Theile von Europa geworden ist. Ohne Zweifel müste sich die Welt noch gewaltig verändern, wenn sie jemals von der unsrigen aus ihrem wohl erworbnen Besitze dieser Gerechtsame verdrungen werden sollte. Lassen Sie uns auf keinen so unwahrscheinlichen Glüksfall Rechnung machen. Der Französische Schriftsteller hat wenigstens zwölf Leser, wenn der Teutsche einen hat: der Nachtheil des Teutschen ist groß; aber da er ihn mit allen übrigen Europäischen Nationen theilt, so ist er um so leichter zu ertragen; und da der Umfang der Länder, in welchen die teutsche Sprache gesprochen wird, viel größer ist als der Kreis in welchem (außer der Französischen) alle übrigen Europäischen Sprachen eingeschlossen sind: so hat der
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Teutsche hierinn noch immer einen ansehnlichen Vorzug vor dem Italiäner, Engländer, Spanier u. s. w. Der Franzose ist der einzige, den Sie, in dieser Hinsicht beneiden können. Wollten Sie aber wohl, um des Vortheils willen von einer größern Anzahl gelesen zu werden, lieber in der Französischen als Teutschen Sprache d i c h t e n ? — Wahrlich, so müsten sie die reichen Vorzüge unsrer Dichter-Sprache und die Vortheile einer ungleich größern Freiheit, deren unsre Dichtkunst geniest, noch nicht genug erwogen haben. Von größerm Belang scheint, beim ersten Anblik wenigstens, der lezte Einwurf zu seyn, bei dem Sie Sich am meisten aufhalten; und über den auch meine Antwort etwas weitläuftiger ausfallen wird, weil er mir Gelegenheit giebt, Ihnen meine Gedanken über einige der wichtigsten Hauptstücke unsrer Kunst mitzutheilen. — „Die Epoke, in deren Mittel ich gebohren worden bin, ( s a g e n S i e ) kann mit größtem Rechte das goldne Alter der teutschen Poesie genennt werden; und, nach der Analogie dessen was bei andern Völkern geschehen ist, zu urtheilen, dürfen wir nicht hoffen, jemals wieder eine solche
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Anzahl vortreflicher Dichter in allen Arten beisammen zu sehen, als diejenigen waren, womit das Schiksal die Regierungszeit Kaisers F r a n z d e s E r s t e n — wiewohl ohne dessen mindestes Zuthun, und ohne daß er vermuthlich das geringste davon wahrgenommen — illustrirt hat. Auch wird ( f a h r e n S i e f o r t ) die Nachwelt dieses goldne Alter unsrer Poesie, da es nach keinem A l e x a n d e r , A u g u s t , oder L u d w i g benannt werden kann, mit besserm Fug B o d m e r s J a h r h u n d e r t nennen; denn in dem langen Lebenslauf dieses ehrwürdigen, um unsre Sprache und Litteratur so sehr verdienten Greises, ist der Anfang, das Mittel, und, besorglich, auch das Ende der schönen Zeit 10
unserer teutschen Musen eingeschlossen. In seiner Jugend brach ihre Morgenröthe mit C a n i z , K ö n i g , und B r o c k e s , an; bald darauf erschienen H a l l e r und H a g e d o r n , denen eben so bald P y r a und L a n g e , so wie diesen G l e i m und U t z und G e l l e r t und die übrigen Verfasser der B r e m i s c h e n B e i t r ä g e folgten. In seinem funfzigsten Jahre (im Jahre 1748.) hatte er schon die Höhe erreicht, von welcher er, mit der frohen Zufriedenheit eines Mannes, der zur Besserung seines Zeitalters selbst soviel beigetragen hatte, herabsingen konnte:“ Mein Haupt beschwehret nicht mehr das Erzt des alten Saturnus, Sein Reich von Blei gab dem s i l b e r n e n Plaz,
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Und d a s v e r h e i ß t u n s h i e n ä c h s t e i n g o l d e n d i c h t r i s c h e s A l t e r , Verheißt uns unsern Homer und Virgil. Ich hörte K l o p s t o c k e n schon den Gott Messias besingen, Mit Miltons Geiste schien Klopstoks durchwebt: Ich hörte schon d e n v o n K l e i s t auf Zephyrs duftenden Flügeln Den Lenz verfolgen durch Garten und Feld. Sie hohlten muthig und stark in den Olympischen Auen Die neuen Harfen, den heil’gen Gesang.
„Wie wenig hatte Ihm in der Dekade von 1730 bis 40, da die Neukirche, Corvini und Gottscheden den teutschen Parnaß noch mit bleiernem Zepter beherrsch30
ten, geahnet, daß er in seinem funfzigsten sehen würde was er sah! Gewiß so wenig, als er damals vorhersah, daß er dieses goldne Alter, dessen Anbruch ihm solche Freude machte, ganz durchleben, und mehr als dreissig Jahre später, wieder Ursache haben, oder zu haben glauben würde, den Verfall des
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Geschmaks zu beklagen; dessen glänzendste Epoke nun in seinem fünf und achtzigsten Jahre ihm eben soweit wieder hinter seinem Rücken zurükzuweichen scheint, als sie sechzig Jahre zuvor, wiewohl in einer noch unsichtbaren Entfernung, vor ihm lag. Dieser o p t i s c h e B e t r u g ( s e t z e n S i e h i n z u ) ist vermuthlich in B o d m e r s gegenwärtigem Alter eben so natürlich und unvermeidlich, als es m i r , dessen zwey erste Lebens-Dekaden in den glänzenden Zeitraum unsrer Litteratur von 1760 bis 80 fielen, natürlich seyn muß, zu befürchten, daß mir, von so vielen Günstlingen der Musen, die sich innerhalb dieser Zeit durch Meisterstücke aller Arten hervorgethan haben, nichts, wodurch a u c h i c h m i c h v o m B o d e n e r h e b e n k ö n n e , übrig gelassen sei.
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Ich befinde mich gerade in der Lage eines jungen griechischen Kunstbeflissenen, der in die Zeit gefallen wäre, da A p e l l e s , der M a l e r d e r G r a z i e , den schönen Reihen der Polygnotus Zeuxes, Parrhasius, Protogenes, Timanthes, Pamphilus, und Aetion beschloß, — und der in irgend einer großen Galerie von den schönsten Werken aller dieser Meister sich umringt und gleichsam erdrükt gesehen hätte. Sie werden mir, hoffe ich, gestehen, daß ein solcher Anblik geschikter ist, einem Anfänger, der Augen zum Sehen, eine Seele zum Empfinden, und Geist zum tiefern Eindringen ins Wahre der Kunst mit sich bringt, den Muth niederzuschlagen als zu erheben?“ Ich habe große Lust, mein lieber junger Freund, Ihnen dies — n i c h t ein-
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zugestehen. Aber dagegen bekenne ich gerne, daß, wenn ich über diesen Gegenstand anders denke als — Bodmer und Sie, ohne Zweifel der Standpunct, woraus jeder von uns die Sache sieht, großen Antheil daran habe. Der ehrwürdige Greis hat, von seinem vierzigsten Jahre biß zum fünf und Sechzigsten, unsre Litteratur mit so schnellen und gigantischen, Schritten emporsteigen sehen, daß seine Einbildung sich an diesen raschen Gang gewöhnt hat, und es ihm vorkommen muß wir fallen wieder, wenn wir auch bloß stille stünden. Überdies ist es ja wohl sehr natürlich und verzeihlich, daß auch der weiseste Mann, wenn er achtzig Jahre hinter sich hat, die Schuld der Natur bezahle, und wahr machen helfe, was unser Horaz von seinem Alter sagt: difficilis, querulus, laudator temporis acti se puero, castigator censorque minorum. *)
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Wir werden’s denen, die nach dem Jahre 1800 ungefehr seyn werden, was wir im Jahr 1780 waren, nicht besser machen; falls uns das zweideutige Vergnügen aufbehalten ist, ins neunzehnte Jahrhundert mit erloschnen Augen hinüber zu schauen. Aber izt, da ich im October 1782. mich gerade auf dem Puncte meiner eignen Laufbahn befinde, wo B. vor 34 Jahren auf der Seinigen war, als er sang: Nun hat mein Alter den Punct der Mittagshöhe beschritten Und ist nicht länger mit steigen beschwehrt;
ist es eben so natürlich, daß ich von meiner Zeit weder so geringe denke, wie Er 10
dermalen zu thun scheint, noch so gar groß, wie Sie, mein Freund, — wenigstens in diesem Augenblicke denken, da ihre jugendliche Bescheidenheit, mitten unter so vielen, so manchfaltigen, zum Theil so gepriesenen Werken älterer Meister wie erschrekt und geblendet dasteht, und an der Möglichkeit zweifelt, das was Sie bewundert, nur erreichen, geschweige übertreffen zu können. Aber gerade dieser Zweifel, mein Lieber, ist der gewisseste Beweis, daß es Ihnen gelingen wird. Zwanzig Dichterlinge, die uns mit ihren verstimmten Leyern so unermüdet um die Ohren schnarren, hätten ihn längst haben sollen, und werden ihn nie haben! Nur der Jüngling, der einst R a f a e l seyn sollte, konnte vor einem d a V i n c i schaamroth und staunend da stehn,
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und zweifeln, ob er ihn jemals würde erreichen können; — während daß d a V i n c i selbst am besten wußte, d a ß er und w o r i n n er übertroffen werden könne. Unsre Litteratur hat seit vierzig Jahren unläugbar, in Vergleichung mit dem was sie vor dieser Zeit war, große Schritte vorwärts gemacht: Aber, wer kann sagen, daß sie den Punct schon erreicht habe, wo sie sich der Französischen entgegen stellen könnte? Wo sind unsre Boileau, unsre Moliere, unsre *)
Schwehr zu befried’gen, hat er immer was zu klagen, ist der ew’ge Leichenredner der weiland guten Zeiten, da er noch
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ein Knabe war, der ew’ge Censor und Zuchtmeister aller jüngern, die i z t sind Was er, zu s e i n e r Z e i t , gewesen war. H o r a z . E p i s t e l n 2. Theil. S. 215.
Zweyter Brief. An einen jungen Dichter
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Corneille, unsre Racine u. s. w. Wo sind die teutschen Trauerspiele, die wir dem C i d , dem C i n n a , der P h ä d r a , dem B r i t a n n i c u s , der A t h a l i e , dem C a t i l i n a , der A l z i r e , dem M a h o m e d , wo die Lustspiele, die wir dem M i s a n t r o p e , dem Ta r t ü f f e entgegen stellen können? Ich spreche, wie Sie leicht erachten, nicht von dem, was das Publikum in dieser oder jener Stadt, oder was partheiische Freunde, und unverständige oder bezahlte Lobredner zu thun fähig sind. Aber ich wünsche, daß mir nur ein einziges gedruktes Stük genennt werde, welches in allen Eigenschaften eines vortreflichen Trauerspiels (Sprache, Versifikation und Reim mit einbedungen) neben irgend einem von R a c i n e stehen könne.
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Ich dinge, mit gutem Bedacht, eine ganz reine fehlerlose, immer edle, immer zugleich schöne und kräftige, niemals weder in die Wolken sich versteigende noch wieder zur Erde versinkende Sprache, und eine vollkommene ausgearbeitete, numerose, das Ohr immer vergnügende nie beleidigende Versifikation mit ein: denn ein Tragödiendichter in Prose ist wie ein Heldengedicht in Prose. Verse sind der Poesie wesentlich; so dachten die Alten, so haben die größten Dichter der Neuern gedacht; und schwehrlich wird jemals einer, der eine Tragödie oder Komödie in schönen Versen machen k ö n n t e , so gleichgültig gegen seinen Ruhm seyn, lieber in Prose schreiben zu wollen. Ich dinge sogar den R e i m ein; weil wir nicht eher ein Recht haben, uns mit den
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großen Meistern der Ausländer zu messen, bis wir, b e y g l e i c h e n S c h w i e r i g k e i t e n , eben soviel geleistet haben als sie — Was ich hier sage, soll der kleinen Anzahl von Trauerspielen in gereimten Versen, deren wir uns etwa rühmen können, an ihrem Werthe nichts benehmen. Sie werden so lange gut genug bleiben müssen, biß ein Dichter über den Racinens Gefühl, Geschmak und Talent kommen wird, uns etwas vollkomners in dieser Art liefert. Wenn das Vollkomne gekommen seyn wird, so wird das Stückwerk aufhören. Die Franzosen haben solche Stücke, wie wir kaum ein Dutzend zusammen bringen können, dem Hundert nach: aber w i r haben, meines Wissens, nicht ein einziges, weder Trauer- noch Lustspiel, das (unter gleichen Bedingungen) ihren M e i s t e r s t ü c k e n den Vorzug streitig machen könnte. Welch eine Laufbahn liegt hier noch für künftige Dichter offen! Aber auch selbst in dem Fache der erzählenden oder Epischen Poesie (im weitläuffigsten Verstande des Wortes) worinn wir, Verhältnißweise mehr Gutes als in der Dramatischen aufzuweisen haben — wie Vieles ist noch zu thun?
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D e r Te u t s c h e M e r k u r
(Anfang November 1782)
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Wie weit sind wir noch entfernt, alle Gattungen derselben, oder alle guten Süjets in jeder Gattung erschöpft zu haben; oder, in allen Arten des Styls, Werke die von keiner Seite übertroffen werden könnten zu besitzen? Wie mancher hat durch seine Ve r s u c h e (so viel Verdienst man ihnen auch mit Rüksicht auf Zeit und Umstände billig zugestehen muß) gleichwohl nur der Nachkommenschaft den Weg gezeigt, es besser zu machen? Doch, dieser Gegenstand, M. Fr. verdient einer nähern Beleuchtung, und soll, mit Ihrer Erlaubniß, auf meinen nächsten Brief aufgespart bleiben. W.
Zweyter Brief. An einen jungen Dichter
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Briefe an einen jungen Dichter. Dritter Brief. Als ich Ihnen am Schlusse meines zweyten Briefes — aus Gelegenheit der allzuhohen Meynung, die Sie mir von unserm Fortgang in den Musenkünsten gefaßt zu haben schienen, im Vorbeygehen etwas von der Meinigen über den Zustand unsrer D r a m a t i s c h e n P o e s i e merken ließ; als ich Sie fragte: „wo sind unsre C o r n e i l l e n , unsre R a c i n e n , unsre M o l i e r e n ? wo sind die teutschen Trauerspiele, die wir dem C i n n a , der P h ä d r a , der A t h a l i a , dem C a t i l i n a , der A l z i r e , dem M a h o m m e d , entgegensetzen dürften, ohne uns vor allen Personen von Geschmack in ganz Europa lächerlich zu
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machen?“ — als ich Ihnen dies, vor den Augen des teutschen Publicums, zuschrieb: hatte ich wenig Hoffnung, daß — in dem Zustande worin sich unsre dramatische Dichtkunst und unsre Schaubühnen seit mehrern Jahren befinden — und bey der fast allgemeinen Gleichgültigkeit womit unsre besten Köpfe dem Verfall des Geschmackes und der Kunst zusehen, meine einzelne schwache Stimme gehört werden, und einige Würkung thun würde. Um so angenehmer wurde ich daher überrascht, als ich vernahm, daß ein mit Patriotischem Eifer für diesen Zweig des Nationalruhms erfüllter Mann jene Fragen für eine Aufforderung genommen habe, und dadurch zu einem neuen Versuch angefeuert worden sey, ob es möglich seyn möchte, unsre tragische Muse wie-
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der in den Weg, den S c h l e g e l , C r o n e g k , B r a w e , We i s s e schon so glüklich betreten hatten, zurückzuleiten, und (was die Hauptabsicht des edeldenkenden Mannes zu seyn scheint) Nachfolger zu erwecken, die ihm selbst in dieser ruhmvollen Bahn zuvorlauffen, und endlich einmal zeigen würden, daß dem teutschen Genius, von teutscher Unverdrossenheit und Beharrlichkeit unterstützt, auch diese hohe Zinne des Ruhmtempels nicht unersteiglich sey. Dieser Versuch, diese unverhoffte und seltsame Erscheinung auf unserm heutigen Parnaß, nennt sich C l e o p a t r a u n d A n t o n i u s , ein Trauerspiel in Versen von vier Aufzügen, gegen das Ende des leztverwichnen Jahres in K. K. National-Hoftheater zu W i e n aufgeführt; und der Mann der den Muth hatte
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D e r Te u t s c h e M e r k u r
(Anfang April 1784)
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mit einem so kühnen Versuche gegen den herrschenden Geschmack Sturm zu lauffen, ist der K. K. Oberst und Commendant des Graf Carl Colloredoischen Infanterie-Regiments, Herr von A y r e n h o f , der sich durch die Trauerspiele, H e r m a n n u. T h u s n e l d e , und A u r e l i u s , und vornemlich durch das auf allen unsern Schaubühnen so bekannte und beliebte Lustspiel, d e r P o s t z u g , schon seit 15 Jahren eine Stelle unter den Schauspieldichtern unsrer Zeit erworben hat. Was ich von einem Werke forderte das wir den Meisterstücken eines R a c i n e , C r e b i l l o n und Vo l t a i r e an die Seite stellen könnten, war (wie Sie 10
Sich erinnern werden) s e h r v i e l ; aber es war nicht mehr als was ich von mir selbst fordern würde, und m ü ß t e , wenn mich jemals die Verwegenheit anwandeln könnte, meine Kräfte gegen solche Athleten messen zu wollen. Der Verfasser dieser neuen C l e o p a t r a ließ sich durch die Größe dieser Foderungen und die Schwierigkeiten sie zu befriedigen, nicht abschrecken: w a s k a n n e i n Ve r s u c h s c h a d e n ? sagte er zu sich selbst, und leistete — was Ihm, in seiner Lage, bey einem Beruf der mit der geschäftlosen Ruhe der friedsamen Musen so stark absticht, auf einer Stelle, welcher er mit Ruhm und zur Zufriedenheit eines Monarchen vorsteht, der sich durch keinen Scheindienst befriedigen läßt, kurz, was einem D i l e t t a n t e n , der den Musen nur einige
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Erholungsstunden opfern kann, m ö g l i c h w a r ; und gewiß mehr, als man den meisten von den Herren, die sich der Schaubühne zeither bemächtigt haben, zuzutrauen Ursache hat. Gesetzt auch, daß er mit diesem Versuche nichts mehr ausgerichtet hätte, als die Aufmerksamkeit des litterarischen Publikums, der Liebhaber der Schaubühne, und der Schauspieler selbst, nach einer zu langen Pause wieder auf die wahre Kunst des Trauerspiels und die großen Muster der Griechen und Franzosen zu lenken, und in irgend einem jüngern, von andern Sorgen ungefesselten, mit Genie und Talenten ausgerüsteten Manne die edle Ruhmbegierde zu entzünden, den Geschmack der Nation durch Meisterstücke in dieser Art von Irrwegen zurückzubringen, auf
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denen wir uns eben so weit von der N a t u r , welcher wir zu opfern vermeynen, als von der K u n s t entfernt haben: würde nicht dies allein schon Verdienstes genug seyn, und dem Manne, der einer so glücklichen Veränderung den ersten Schwung gegeben, den Dank aller derjenigen erwerben, denen der Ruhm unsrer Litteratur nicht gleichgültig ist? — Und wem, der noch einiges Gefühl für Nationalruhm hat, kann d i e s e gleichgültig seyn?
Briefe an einen jungen Dichter. Dritter Brief
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Hr. v. A. hat mir, in Rücksicht auf den oben erwähnten Umstand, die sonst unverdiente Ehre erwiesen, seiner Cleopatra eine Zueignungsschrift an mich vorzusetzen, die zugleich dem Werke selbst zur Vorrede dient, und (ausser einer kurzen Rechtfertigung seiner Verfahrungsart in Anlegung des Charakters seiner Heldin) sein freymüthiges Glaubensbekenntnis über den gegenwärtigen Zustand unsrer Schaubühne und den herrschenden Geschmack des großen Hauffens darlegt. Ich muß aber gestehen, daß ich hier nicht immer so ganz mit Ihm einstimmen kann als Er es vorauszusetzen scheint; wenigstens würde ich mich über verschiedene Puncte bestimmter und behutsamer ausgedrückt haben — und dies eben nicht aus Poltronerie, oder aus politischen
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Rücksichten, sondern aus Furcht ungerecht zu seyn, und um nicht aus einer Extremität in die andere zu fallen. In zweyen Stücken bin ich mit dem Hrn. Obersten gänzlich einerley Meynung: nemlich, daß wir Unrecht haben die guten Werke der Franzosen zu verachten, weil wir vielleicht verzweifeln sie in ihrer Manier erreichen zu können; und, daß die u n v e r s t ä n d i g e Nachahmung Shakespears und der Englischen Schaubühne überhaupt großen Unfug auf der unsrigen angerichtet hat. Aber was beweiset dies g e g e n S h a k e s p e a r n selbst? Wahrlich nicht ein Jota mehr als die schülerhaften Übersetzungen und Nachahmungen französischer Muster, die vor dreyßig bis vierzig Jahren aus der G o t t s c h e d i -
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s c h e n S c h u l e hervorgiengen, gegen R a c i n e oder Vo l t a i r e bewiesen! Ich bin so überzeugt als es jemand seyn kann, daß der O e d i p u s des Sophokles das v o l l k o m m e n s t e M u s t e r der Tragödie ist; und daß also die Regeln, die von diesem höchsten Vorbilde der tragischen Kunst abgezogen worden, Regeln sind, bey deren Beobachtung ein Mann, der den Geist des Sophokles geerbt und den Vortheil gehabt hätte, ein eben so glückliches Sujet als der Oedipus ist, aufzufinden, ein eben so vortrefliches Trauerspiel hervorbringen würde. Aber die bloße Beobachtung dieser Regeln, besonders der sogenannten d r e y E i n h e i t e n , macht darum noch kein vortrefliches Werk: und das regelloseste Stück, mit S h a k e s p e a r s Genie, Menschenkenntnis, tiefem Blick in die innersten Falten des Herzens, Lebendigkeit und Energie der Imagination, Wärme des Gefühls, und unerschöpflichem Reichthum an Gedanken und Bildern geschrieben, würde doch wohl, ohne jemands Widerrede, unendliche mal mehr werth seyn als G o t t s c h e d s C a t o , mit aller Beobachtung der Regeln des göttlichen Aristoteles. Wer wird nicht lieber das
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D e r Te u t s c h e M e r k u r
(Anfang April 1784)
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erste lesen oder v o r t r e f l i c h vorstellen hören als das andre? Wer wollte nicht lieber mit einem sehr unregelmäßig gebauten A e s o p Umgang pflegen, als mit einem zweyten A n t i n o u s , wenn er nur eine hirnlose Puppe wäre? Shakespears Stücke sind, größtentheils, H a u p t - und S t a a t s - A c t i o n e n , oder dramatisirte N o v e l l e n und Mährchen, bey deren Anlage er so wenig an den Plan des Oedipus dachte als an das Ceremonien-Tribunal zu Pecking. Nicht desto besser! sagt Hr. v. A. und beynahe möchte ich es auch sagen, wenn ich überzeugt wäre, daß Shakespear durch Regelmäßigkeit nicht mehr ver10
lohren als gewonnen hätte. Aber es sey dem so! Er ist und bleibt dennoch (mit Erlaubnis meines edeln Freundes) d e r e r s t e d r a m a t i s c h e D i c h t e r a l l e r Z e i t e n u n d V ö l k e r — nicht weil er sich über die Regeln der Griechischen Tragödie wegsetzte; nicht wegen seiner Vermengung des erhabensten Tragischen mit dem niedrigsten Komischen; nicht wegen gewisser Fehler, die ihm mit den größten Schriftstellern seiner Nation und Zeit gemein waren, noch wegen der Opfer, die er dem schlimmen Geschmacke seines Publikums, von welchem er seinen Unterhalt ziehen mußte, w i s s e n t l i c h brachte — dies dächte ich, sollte sich doch endlich einmal von selbst verstehen! — sondern weil ihn, in allem was das We s e n t l i c h s t e eines großen Dichters überhaupt
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und eines Dramatischen insonderheit ausmacht, an Stärke aller Seelenkräfte, an innigem Gefühl der Natur, an Feuer der Einbildungskraft, und der Gabe sich in jeden Charakter zu verwandeln, sich in jede Situation und Leidenschaft zu setzen, weder Corneille noch Racine, weder Crebillon noch Voltäre, nicht nur n i c h t ü b e r t r o f f e n , sondern (wenn wir ohne Vorurtheile und nach hinlänglicher Untersuchung und Vergleichung der Sache urtheilen wollen) b e y w e i t e m n i c h t e r r e i c h t h a b e n . Wer von S p u r e n eines großen Genies spricht, die man o f t in seinen Werken finde, erweckt den Verdacht, sie nie gelesen zu haben. Nicht S p u r e n , sondern immerwährende Ausstralungen und volle Ergießungen des mächtigsten, reichsten, erhabensten Genies,
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das jemals einen Dichter begeistert hat, sind es, die mich, bey Lesung seiner Werke, überwältigen, mich für seine Fehler und Unregelmäßigkeiten unempfindlich machen, und mich, unter dem Zauber seiner allgewaltigen Phantasie eben so wenig an französische Regeln und französische Muster denken lassen, als mir in einer herrlichen Landschaft, oder in einem majestätischen, von der wärmsten Sonne beleuchteten Walde einfallen könnte, zu beklagen, daß L e
Briefe an einen jungen Dichter. Dritter Brief
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N o t r e der Natur hier nicht mit seiner Meßschnur und Baumscheere zu Hülfe gekommen sey. Shakespears Werke sind, in Vergleichung mit regelmäßigen Tragödien nur in s o f e r n U n g e h e u e r (wie sie Hr. v. A. nennt) als die Domkirche zu Mayland oder die Abtey von Westminster in Vergleichung mit Griechischen Tempeln, oder die Faßade des Strasburger-Münsters in Vergleichung mit der Faßade vom Louvre U n g e h e u e r sind. Ein mittelmäßiges Tempelchen nach Jonischer Ordnung gebaut, wäre freylich eleganter als die majestätische Cathedral-Kirche zu York, die eines der prächtigsten Denkmäler im sogenannten Gothischen Geschmacke ist: aber was müßte das für ein Kopf seyn, der, (wenn es auf ihn ankäme) diese niederreissen lassen wollte, um
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jenes an ihren Platz zu setzen? Shakespears U n r e g e l m ä ß i g k e i t wird, an sich selbst, nie eine Schönheit werden, wiewohl sie bey ihm oft die Veranlassung großer Schönheiten ist; und seine F e h l e r bleiben Fehler, wiewohl sie Fehler eines großen Mannes sind. Es ist nicht wohl gethan, j e n e nachzuahmen, ohne von der Natur mit Geisteskräften wie die seinige ausgesteurt worden zu seyn; und es ist l ä c h e r l i c h , d i e s e nachzuäffen. Aber was könnte denn auch das servum pecus geistloser Nachahmer an einem Shakespear sonst nachahmen als seine Fehler? Sein Genie läßt sich freylich nicht nachmachen. Indessen sind es doch blos die Affen Shakespears, deren Machwerk er nun darum entgelten soll, weil
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sie ihn von seiner tadelhaften Seite zum Muster genommen haben. Immerhin eyfere man gegen seine unberufenen, unverständigen und geschmacklosen Nachtreter! Aber was hat Shakespear mit diesen zu schaffen? Er steht für sich selbst. Seine Werke, an denen die Natur so viel und die Kunst so wenig Antheil hat, werden ewig das Vergnügen aller Leser von unverdorbenem Gefühl, und d a s S t u d i u m a l l e r w a h r e n K ü n s t l e r bleiben — sie sind gemacht, gelesen, empfunden, studiert, aber nicht anders nachgeahmt zu werden, als in so ferne die g e t r e u e n A b d r ü c k e d e r N a t u r , die sie uns in so großen Überfluße darstellen, als eben so v i e l M o d e l l e betrachtet werden können. Ungeachtet der ausgebildete Mensch alles was er ist, gewisser maßen durch Nachahmung wird: so ist doch gewiß, daß nur Menschen, die mit d e m G e i s t e der schönen Künste g e b o h r e n wurden, nur Menschen von wahrem entschiedenem Talente, fähig sind, die großen Meister, deren Lehrerin die Natur selbst war, mit Discretion und Weisheit nachzuahmen. Das Vorbild mag ein Shakespear oder ein Corneille, ein Raphael oder ein Rembrand seyn, wenn derjeni-
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ge, der sich nach ihm bilden will, ein servum pecus oder ein Affe ist, so kann nichts Taugliches herauskommen. Wenn Shakespear auch nie unter uns bekannt worden wäre, oder gar nicht existiert hätte: so würden wir, aller Wahrscheinlichkeit nach, nicht ein einziges vortrefliches Werk m e h r , und kein schlechtes w e n i g e r haben. Die von der lezten Gattung würden nur unter a n d e r n F o r m e n und in einer a n d e r n M a n i e r schlecht seyn: statt mißgeschafner Nachahmungen des Engländers würden wir eine größere Anzahl schaaler, geistloser, gereimter oder ungereimter Nachahmungen der Franzosen bekommen haben: statt wilder Menschenfresser, Tollhäusler, Banditen, 10
und Helden die aufs Rad oder wenigstens an eine Galeerenkette gehören, würden wir S c ü d e r y i s c h e und C a l p r e n e d i s c h e R o m a n h e l d e n oder in feine Parisische Herren und Damen verwandelte Griechen, Römer und Morgenländer auf unsern Bühnen sehen: und was hätte dann die Kunst oder unsere Litteratur dabey gewonnen? — Noch einmal also, nicht darinn daß wir schlechte Muster genommen, sondern daß wir ihnen gröstentheils auf einem verkehrten Wege und auf eine verkehrte Art nachgeahmt haben, liegt das Übel, welchem abgeholfen werden muß, und vermuthlich sobald abgeholfen werden wird, als in einer teutschen Stadt, welche groß und reich genug ist ein gutes stehendes Theater zu unterhalten, die Anzahl der Leute von Geschmack
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groß genug seyn wird, um dem übrigen Publico den Ton anzugeben; und sobald es also für Männer von Genie, Wissenschaft und Talent der Mühe werth, d. i. ehrenvoll und belohnend genug seyn wird, sich der Schaubühne ganz zu widmen. Da der Herr v . A . indem er seinem Unmuth über die Nachahmer Shakespears und der Engländer überhaupt Luft macht, auch des Schauspiels G ö t z v o n B e r l i c h i n g e n erwähnt: so sey mir erlaubt bey dieser Gelegenheit ein paar Worte über dieses Werk zu sagen, welches bey seiner ersten Erscheinung eine so große und allgemeine Sensation machte. — „Ich bin ganz der Meynung (sagt Hr. v. A.) daß G ö t z v o n B e r l i c h i n g e n in jeder Rücksicht jedes
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Meisterstück des göttlichen Shakespears aufwiege.“ — und da er damit das Ärgste, was sich von dem Werke unsers Landsmannes sagen lasse, gesagt zu haben vermeynt: so glaubt er dem Ve r f a s s e r eine Art von Reparation schuldig zu seyn, indem er hinzusezt: „ich bitte Sie, dies ja nicht als Gespötte über den Verfasser Götzens anzusehen. Seine L e i d e n We r t h e r s erheben ihn in den Rang unsrer besten Schriftsteller: aber sein Theatergeschmack, seine
Briefe an einen jungen Dichter. Dritter Brief
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Theaterstücke, *) (soviel einzelnes Schöne man darin findet) kann ich unmöglich gut heissen.“ — Ich verlange nicht zu läugnen, was Hr. v. A. zu glauben scheint und häuffig zu verstehen giebt, daß G ö t z v o n B e r l i c h i n g e n wenigstens eben so viel unschuldigen A n l a ß zu dem Unfug, welchen Leute von sehr verschiedener Art und durch mehr oder weniger unreiffe, oder unsinnige Mißgeburten des Genies oder After-Genies, der Schwärmerey, der Nachahmungssucht, der Eitelkeit sich auch vom Boden zu erheben, u. s. w. seit zehn Jahren auf unsern Schaubühnen angerichtet, gegeben hat als Shakespear selbst. Aber ich läugne schlechterdings daß der Verfasser Götzens die Absicht dabey gehabt habe, ein gangbares Stück für unsre meistens herumziehende
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Schauspielertruppen zu verfertigen, oder solche r e g e l m ä ß i g e Stücke, deren geringste Tugend die Regelmäßigkeit wäre, von unsern Schaubühnen zu verdrängen. Seine Absicht war wohl hauptsächlich, seine Kräfte an einem großen Dramatischen Zeit- und Sitten-Gemählde zu versuchen: wozu er den Stoff aus der Geschichte unsers eignen Vaterlandes nahm, theils um sich selbst desto lebendiger hinein denken zu können, theils es der Nation desto interessanter zu machen. Vermuthlich fühlte er sich damals stark versucht, den Ruf seines Genius, der ihn in die dramatische Laufbahn zog, nachzugeben; er wollte vielleicht durch diesen ersten Versuch, bloß seine Sendung vor den Augen der Nation legitimiren; und er zeigte uns, was der in der Folge
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leisten könnte, der s o anfieng. Das Publicum erstaunte über das Wunderding, wurde anfangs von der Menge und Mannichfaltigkeit so ganz ungewohnter Schönheiten geblendet, aber bald durch die Wahrheit der Natur und den Lebendigen Geist, der i n so vielen, so ungleichartigen Personen von allen Ständen, vom Kayser M a x bis zum Reitersjungen, und vom Reitersjungen bis zum Zigeunerbuben herab, athmet, hingerissen und überwältiget. In der ersten Entzückung war nur Eine Stimme. Die kleine Anzahl der Kenner von gesunden Gefühl und unbefangenem Kopfe, die an keine künstliche und abgeredete Formen so gewöhnt waren, daß der Mangel derselben sie gegen die kleinste Schönheit eines Werkes, das die Natur so sichtbarlich mit dem Stempel des Genies bezeichnet hatte, unempfindlich hätte machen können: diese Wenigen sahen mit herzlicher Freude, vielleicht auch mit Eifersucht, Shakespears G e n i u s in einem jungen Teutschen wieder aufleben; und versprachen unsrer *)
Doch wohl den sehr regelmäßigen C l a v i g o ausgenommen?
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D e r Te u t s c h e M e r k u r
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Litteratur und Schaubühne die herrlichsten Früchte von der völligen Reiffe eines Geistes, dessen erstes Product schon soviel männliche Stärcke, soviel überlegenden Verstand, eine so kräftige und doch schon so gebändigte Einbildungskraft, ein so richtiges Gefühl dessen was im Menschen natürlich und was conventionell ist, einen so fein unterscheidenden Sinn für das was Jahrhunderte, Zeit-Epoken, Stände, Geschlechter, und einzelne Personen charakterisiert, zu Tage legte. Das Schicksal scheint in Rücksicht auf die Bühne diesen Hofnungen nicht günstig gewesen zu seyn. Aber wer die I p h i g e n i a i n Ta u r i s , eine n o c h u n g e d r u c k t e Tragödie in Jamben, von eben diesem 10
Verfasser, eben so ganz im G e i s t e d e s S o p h o k l e s als sein G ö t z im Geiste S h a k e s p e a r s geschrieben, und (wenn ja in Regelmäßigkeit ein so großer Werth liegt) r e g e l m a ß i g e r a l s i r g e n d e i n f r a n z ö s i s c h e s Tr a u e r s p i e l , — wer (sage ich) diese I p h i g e n i a gelesen, oder gehört hat: wird keinem warmen Freunde unsrer Litteratur verdenken, wenn ihm, auch in Absicht d i e s e s Falles, einige demüthige Zweifel gegen M e i s t e r P a n g l o s s e n s Lieblingssatz aufstoßen. Welcher andre, als ein Dichter, der, je nachdem ihn sein Genius trieb, mit gleich glücklichem Erfolge, mit Shakespearn oder Sophokles um den Preis ringen konnte, würde geschickter gewesen seyn den Gebrechen unsrer Schaubühne abzuhelfen, den Ausschweifungen der Nach-
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ahmer Einhalt zu thun, und durch Verbindung der N a t u r , welche die Seele von Shakespears Werken ist, mit der schönen Einfalt der Griechen, und mit der K u n s t und dem G e s c h m a c k e , worauf die Franzosen sich so viel zu gute thun, unsrer dramatischen Muse einen eigenthümlichen Character und einen Vorzug zu verschaffen, den ihr keine andre Nation so leicht hätte streittig machen können? Inzwischen bin ich doch versichert, daß uns schon G ö t z v o n B e r l i c h i n g e n allein, — ungeachtet er zur Aufführung weder g e s c h i c k t noch gemacht war, ungeachtet er (so wie alle andere guten Dinge in der Welt) durch sein bloßes Daseyn vielerley Mißbrauch veranlaßt, einen sehr wichtigen Dienst
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geleistet hat; und daß ein Advocat des Publikums gegen die beleidigenden Vorwürfe gewisser Liebhaber, die in Ve r e h r u n g der Französischen Litteratur eben so sehr als andre in Ve r a c h t u n g derselben auszuschweiffen scheinen, ganz erhebliche Dinge zu dessen Entschuldigung aufbringen könnte. Ich will mich deutlicher erklären. Als G o t t s c h e d die Reformation der Schaubühne mit seinem bekannten
Briefe an einen jungen Dichter. Dritter Brief
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Eifer zu betreiben anfieng, behalf man sich, weil die Natur keine Sprünge macht, mit schlechten oder mittelmäßigen Übersetzungen und Nachahmungen der Franzosen. Ein Stück in leidlich fließenden Reimen, worin die d r e y E i n h e i t e n genau beobachtet waren, hieß ihm und seiner Schule ein gutes Stück. Schlegels C a n u t war, soviel ich weiß, das erste das sich über die Mittelmäßigkeit erhob. Ihm folgten nach und nach einige andre. Aber es sey nun, daß die Umstände nicht günstig genug waren, oder daß die Wahl der Süjets, oder die Art der Behandlung nicht Interesse genug hatte, oder woran es sonst lag: genug, unsre dramatischen Musen schleppten sich in einem schmachtenden Zustande hin, und konnten noch immer keinen nationellen Character
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gewinnen. Fast alles was man auf unsern Schaubühnen sah war fremdes Eigenthum; und nachdem man sich an teutsch verkleideten Stücken von Racine, Moliere, Destouches, Voltaire, La Chaussee u. s. w. müde gesehen hatte, kam es so weit, daß man sogar einen Goldoni zu Hülfe rufen mußte. Der Teutsche der ins Schauspielhaus gieng, mußte auf einmal ein Pariser oder Venetianer werden, um an dem was ihm vorgemacht wurde einigen Antheil nehmen zu können. Von Zeit zu Zeit gaben uns zwar die neuen Moden, die von Paris kamen, wieder das Vergnügen der Veränderung; wie man in L u s t s p i e l e n nicht mehr l a c h e n konnte, fieng man an es sehr angenehm zu finden, darin zu w e i n e n ; als man überdrüßig war, sich für die M i t h r i d a t e n , die B a -
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j a z e t h , die O r o s m a n e , und die ganze Familie der A t r i d e n , die uns so wenig angiengen, in Ausgabe von Mitleiden zu setzen, empfieng man das bürgerliche Trauerspiel und das sogenannte D r a m a , das sich der Te r e n z i s c h e n Komödie nähert, mit offnen Armen: aber ein einziger Pere de Famille, eine einzige Eugenie oder Cenie zeugte soviel ungerathene teutschfranzösische Bastarde, und unsre Schaubühne wurde mit einer solchen Sündfluth von dramatisirten Romanen und dialogirten Alltagsbegebenheiten überschwemmt: daß man endlich auch dieser Waare herzlich überdrüßig zu werden anfieng. Während dem Lauffe aller dieser Theater-Veränderungen war ein Mann von großen Talenten, ächter Gelehrsamkeit und tiefer Menschenkenntnis, wiewohl mehr Philosoph als Dichter, mit Einem Worte, L e s s i n g , aufgestanden, und hatte theils durch Kritik theils durch einige Stücke, die von dem was man auf unsern Bühnen gewohnt war gewaltig abstachen, den Geschmack zu verbessern, und unsre Schauspieldichter auf den rechten Weg zu bringen versucht. Seine S a r a S a m s o n , M i n n a v o n B a r n h e l m , E m i l i a
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D e r Te u t s c h e M e r k u r
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G a l l o t t i , drey mit vielem Geiste, wiewohl in verschiedner Manier geschriebne Stücke, hatten eine sehr große Sensation gemacht; aber sie waren in zu langen Intervallen von einander erschienen, um der Schaubühne einen wesentlichen und dauerhaften Dienst zu thun; und sie hatten auch, die Wahrheit zu sagen, zuviel von der individuellen Vorstellungsart des Verf. in sich, um, als M u s t e r , die armen Nachahmer, die hinter einem Manne von gar zu sehr überlegnen Kräften einherhinkten, nicht öfters irre zu führen. Wiewohl wir also dadurch den Vortheil gewannen, uns dem Englischen Geschmack mehr zu nähern, und mehr Natur, mehr Action, und also auch mehr Interesse in 10
unsre Dramen zu bringen: so blieb doch unser Theater im ganzen genommen noch immer eine wahre Trödelbude; die kleine Anzahl guter Originalstücke verlohr sich in der unendlichen Menge genie- und geschmackloser Copien und Nachahmungen, wozu alle Nationen des Erdbodens in Contribution gesetzt wurden; und theils die unglückliche Gutmüthigkeit unsers Publicums mit allem vorlieb zu nehmen was ihm vorgesetzt wird, theils die Unthätigkeit unsrer besten Köpfe, die entweder gar nichts oder viel zu wenig thaten, um dem bessern Geschmack die Oberherrschaft zu verschaffen, warf uns immer wieder in den alten verwirrten Zustand zurück; wo es, ungeachtet wir eine ungeheure Menge von Theaterstücken von allen Gattungen, Formen, Manie-
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ren und Tonarten, und eine große Anzahl herumziehende Schauspielergesellschaften aufzuweisen hatten, gleichwohl beynahe lächerlich gewesen wäre, uns gegen die Ausländer einer teutschen Schaubühne zu rühmen. So lagen die Sachen, als in einem Momente, wo jedermann sich nach Veränderung sehnte, und auf mehr als eine Art vorbereitet und gestimmt war, jede Neuerung so kühn sie auch seyn möchte, willkommen zu heissen, G ö t z v o n B e r l i c h i n g e n im Druck erschien, und durch die ausserordentliche Würkung, die er besonders auf die jüngere Hälfte des lesenden Publicums that, das in unsrer Litteratur so sonderbar hervorstechende siebente Zehend dieses Jahrhunderts auch für die Schaubühne merkwürdig machte. Es war leicht
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vorauszusehen, daß er die Revolution bewürken würde, über welche Herr v. A. so bittre Klagen führt, und durch welche wir (wie nicht zu läugnen ist) allerley seltsame, zum Theil misrathene, und eines aufgeklärten Zeitalters unwürdige Producte mit dem lebhaftesten Beyfall auf teutschen Schaubühnen gekrönt gesehen haben. Das Factum ist beym ersten Anblick wunderlich genug; aber bey weitem nicht so unnatürlich oder unserm Publico so schimpflich, als es
Briefe an einen jungen Dichter. Dritter Brief
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einem e i n s e i t i g e n Zuschauer vorkommen mag. Unter den Stücken, die ihr Daseyn wahrscheinlicher weise der Eyfersucht über den Succeß des Götz v. Berlichingen zu danken haben, und die dem Hrn. v. Ayrenhof nicht mehr als allen andern Personen von gesundem und gebildetem Geschmack anstößig sind, könnte ich nicht wenige nennen (wenn sie nicht ohnehin bekannt genug wären) denen auf unsern ansehnlichsten Schaubühnen, in den vornehmsten Städten Teutschlandes, in Wien, Berlin, München, Mannheim, ja sogar in Hrn. Adelungs t e u t s c h e m A t h e n , und in H a m b u r g , wo L e s s i n g s D r a m a t u r g i e billig ein vorzüglich aufgeklärtes Parterre hätte bilden sollen, mit dem wärmsten entschiedensten Beyfall zugeklatscht worden ist. Man kann
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mit gutem Grunde sagen, daß diese Stücke zeither die Lieblingsstücke des Publikums gewesen sind; und, so wie man keinem Dramatischen Autor verdenken kann, wenn er sich auf a l l g e m e i n e n Beyfall etwas zu gute thut, und den Weg, auf welchem er denselben erhalten hat, für den besten hält: so ist es auch, auf der andern Seite, unmöglich, daß eine ganze Nation *) das lebhafteste Wohlgefallen an einem Schauspiel finde, ohne daß es einige Verdienste habe, die dieses Wohlgefallen rechtfertigen. Kurz, das Publikum kann in Dingen, wo es auf seinen Vortheil, oder auf sein Vergnügen ankömmt, nie ganz Unrecht haben; und wenn wir recht nachsehen, warum die Schauspiele, wovon hier die Rede ist, so großen Beyfall erhielten: so wird sich finden, daß es im Grunde die
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nemlichen sind, warum Schauspiele bey jedem Volk in der Welt, seitdem es Völker und Schauspiele giebt, eine besondere Sensation gemacht haben. Bey den allermeisten Trauerspielen, Lustspielen, Dramen u. s. w. womit wir seit Gottscheds Zeiten unterhalten wurden, mußten wir uns bald nach Griechenland, bald nach Italien, bald nach Frankreich oder England, bald nach Constantinopel, Babylon, Memphis oder Pecking versetzen lassen. Diese Ausländer waren, so zu sagen, das einheimische eigenthümliche Land unsrer Tragödie. Teutsche Geschichte, teutsche Helden, eine teutsche Scene, teutsche Charakter, Sitten und Gebräuche waren etwas ganz N e u e s auf teutschen Schaubühnen. Was kann nun natürlicher seyn, als daß teutsche Zuschauer das lebhafteste Vergnügen empfinden mußten, sich endlich einmal, wie durch eine Zauberruthe, in ihr eigen Vaterland, in wohlbekannte Städte und Gegen*)
Da die Anzahl der Dissentienten gegen die Majorität sich kaum wie 1 zu 100 verhält, so sieht
man wohl, daß sie hier gar nicht in Betrachtung kommen kann.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r
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den, mitten unter ihre eignen Landesleute und Voreltern, in ihre eigene Geschichte und Verfassung, kurz unter Menschen versezt zu sehen, bey denen sie zu Hause waren, und an denen sie, mehr oder weniger, die Züge, die unsre Nation charakterisiren, erkannten? Dieser einzige Umstand würde schon hinreichend seyn das Phänomen zu erklären; aber es ist noch nicht alles. Die besagten Schauspiele — so wild und unregelmäßig im Plan, so übertrieben in Charaktern und Leidenschaften, so schwülstig, bombastisch, ungleich, unrichtig, auch wohl unanständig und schmutzig in Sprache und Ausdruck, sie zum Theil seyn mögen — haben das Verdienst, durch starkgezeichnete und 10
abstechende Charakter, heftige Explosionen gewaltiger, stark contrastirender Leidenschaften, ausserordentliche Situationen, eine große Mannichfaltigkeit von dramatischen Gemählden, viel Schaugepränge und Action, viel Theaterveränderungen und opernmäßige Decorationen, kurz durch alles was die Augen und das Herz stark einnimmt, die Zuschauer auf den Schauplatz zu heften und immer in Erwartung, Unruhe und abwechselnde Erschütterungen von Liebe und Haß, Bewunderung und Mitleiden, Furcht und Hofnung, Schrecken und Entsetzen, Freude und Traurigkeit, kurz in alle die Affecten zu setzen, worein alle oder doch die meisten Menschen, wenn die Sache sie nur nicht u n m i t t e l b a r angeht, sich so gerne setzen lassen. Welch ein Abstand
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von der Langenweile oder höchstens der schwachen Theilnehmung, welche die Einförmigkeit, die wenige mühsam sich fortschleppende Handlung, die für den größern Theil der Zuschauer uninteressanten oder gar unverständlichen Dialogen oder Monologen, die immer mehr in rednerische Declamation als wahre Action gesetzten Leidenschaften, und die meistens frostigen fünften Acte des größten Theils der französischen Stücke oder ihrer Nachahmungen, hervorbrachten! Ist es Wunder, wenn man diese verließ, um jenen zuzulauffen? Und verdient das Publikum ausgescholten zu werden, daß es sich lieber so sehr als möglich unterhalten und in lebhafte Bewegungen setzen als ennuyieren läßt? Warum in aller Welt sollen wir uns immer mit Schauspielen
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behelfen, die weder kalt noch warm machen, und weder zu unserm NationalTemperament, noch zu unsern Sitten und unsrer Verfassung passen? Warum soll die Schaubühne nie wahre lebendige Darstellung der Natur seyn: und warum sollen wir, anstatt wahrer Copien, immer nur abstracte Ideale, statt der lebendigen Accente des Gefühls und der energischen Sprache der Leidenschaften, immer nur Compendien-Moral, Sentenzen, und die Compliments-
Briefe an einen jungen Dichter. Dritter Brief
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oder Repräsentations-Sprache der feinen Welt hören? Wenn Götz von Berlichingen und seine wohl oder übel gerathenen Nachahmungen kein anderes Verdienst hätten, als daß sie uns durch die Erfahrung die man von ihrer W i r k u n g gemacht hat, den Weg gezeigt hätten, auf welchem wir eine wahre National-Schaubühne erhalten können: so wäre es schon Verdiensts genug. Männer von Genie, aber M ä n n e r , nicht rohe, ungebändigte, von Natur- Kunstund Weltkenntnis gleichstark entblößte Jünglinge, die ohne es zu merken alle Augenblicke von einer halbwahnsinnigen Phantasie über die Grenzen der Natur und des Schicklichen hinausgerissen werden — Männer von wahrem Genie und Talent, sage ich, werden (wie uns das Beyspiel des Verfassers von G ö t z
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und von I p h i g e n i a schon gezeigt hat) auf diesem Wege zuletzt unfehlbar selbst mit einem Aeschylus und Sophokles zusammentreffen, und man wird alsdann finden, daß die F o r m e n der G r i e c h e n nicht alle andern Formen a u s s c h l i e ß e n ; daß unter den R e g e l n , die von ihren Werken abgezogen werden können, verschiedene blos angenommen, und l o c a l *) waren; und daß die Dichtkunst keine andere indispensable Gesetze kennt, als diejenigen, ohne welche sie nicht im Stande wäre, ihre Allgewalt über Einbildungskraft und Herz der Menschen, auf diejenige Weise, die zu gleicher Zeit die angenehmste und dem Zweck der menschlichen Gesellschaft die zuträglichste ist, auszuüben. Denn dieser lezte Punct soll und darf freylich bey keiner K u n s t , die in
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der bürgerlichen Gesellschaft getrieben wird, aus den Augen gesetzt werden. Wenn ich also, Mein lieber M., ein versifizirtes und gereimtes teutsches Trauerspiel, das neben einem von R a c i n e oder Vo l t a i r e stehen könnte, zu sehen gewünscht habe, so wollte ich damit weder mehr noch weniger sagen: als daß wir, soviel ich wüßte, noch kein solches Stück hätten; und daß es uns nicht eher anstehe, die Franzosen herabsetzen zu wollen, bis wir gezeigt hätten, daß wir es Ihnen i n i h r e r M a n i e r zuvor thun könnten. Aber ich war weit entfernt d i e s e M a n i e r , d i e s e F o r m , für die e i n z i g e , oder nur für die b e s t e zu halten; weit entfernt einen Racine oder Voltäre wegen ihrer Regelmäßigkeit, wegen eines mehr oder weniger künstlichen Plans, wegen der reinern Sprache, schönern Versification, und überhaupt wegen des fei*)
So gründet sich z. B. die Regel der Einheit des O r t e s (deren A r i s t o t e l e s nicht einmal
erwähnt hat) blos darauf, daß in der alten Tragödie der C h o r , der immer a u f d e m T h e a t e r b l i e b , ein wesentlicher und unentbehrlicher Theil des Schauspiels war: wo er dies nun nicht ist, da ist auch kein hinlänglicher Grund, d i e s e Einheit zu einem G e s e t z e zu machen.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r
(Anfang April 1784)
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nern und edlern Geschmacks ihrer Zeit ü b e r S h a k e s p e a r n z u e r h e b e n , dem sie an Genie und Imagination, an tiefem Gefühl und getreuer Darstellung der Natur so weit nachstehen als die spruchreiche philosophische H e n r i a d e der I l i a s . Ich war eben so weit entfernt, unsern G ö t z v o n B e r l i c h i n g e n , als L e a r , H a m l e t oder O t h e l l o , für Ungeheuer zu halten: oder die neuern Nachahmungen derselben d e s w e g e n weil die Einheiten der Zeit und des Ortes und andre Regeln nicht darin beobachtet sind, für verwerflich zu halten. Wenn ich sie tadle, so ist es wegen solcher Fehler, Ausschweiffungen und Ungereimtheiten, die es auch in dem regelmäßigsten Stücke seyn 10
würden. Ich wünsche nicht, daß wir uns sclavisch weder nach den Griechen noch nach den Franzosen bilden: sondern daß wir eine Schaubühne hätten, die sich so gut für uns schickte als die Schaubühne des Sophokles und Aristophanes für die Zeit des Perikles, oder die des Racine und Moliere für den Hof und die Hauptstadt Ludwigs des 14ten; die aber von allen Fehlern, die den allgemeinen Menschensinn beleidigen und dem wahren Zweck der Schauspiele *) zuwider sind, gereinigt, in ihrer Art vortreflich genug wäre, um Personen von Verstand und Geschmack, welches Landes und Volkes sie auch seyn möchten, auch durch Schönheiten die von National- und Local-Verhältnissen, und allen Arten conventioneller Form unabhängig sind, zu gefallen. Ich glau-
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be daß man gegen die Franzosen gerecht seyn kann, ohne darum Parthey gegen die Engländer zu nehmen. Meiner Meynung nach kann ein Mann von Talenten in allen G a t t u n g e n schätzbare Werke hervorbringen, und (wenn ich Vo l t ä r e n hier eine Wendung abborgen darf) die einzige Gattung, die ich aus unsrer Litteratur verbannt zu sehen wünsche, ist — d i e l a n g w e i l i g e . Ich behalte mir auf mein nächstes Schreiben vor, Ihnen, L . M . meine Gedanken über die verschiednen Dramatischen Formen und die daher entstandnen Gattungen ausführlicher vorzulegen. Inzwischen schicke ich Ihnen das Trauerspiel des Hrn. v. A. Wenn sie es mit der Aufmerksamkeit die ein Werk von dieser Wichtigkeit verdient, gelesen haben, so schreiben Sie mir, wenn ich
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bitten darf, unverhohlen, was Sie davon denken. Ich gestehe Ihnen, daß ich *)
Dergleichen sind die Erregung solcher Erschütterungen, die, ohne einige Beymischung von
Vergnügen, blos Ekel, Grauen und peinliche Beklemmung verursachen — oder Aufstellung solcher Narren, dergleichen man allenfalls nur in Tollhäusern findet, und solcher Bösewichter, die man sich nur als eingefleischte Teufel m ö g l i c h denken kann — die Überladung mit Episoden unter welchen die Hauptfiguren erdrückt werden, u. s. w.
Briefe an einen jungen Dichter. Dritter Brief
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mit Vergnügen diese Gelegenheit ergreiffe, Ihre Beurtheilungsgabe auf eine nicht ganz leichte Probe zu setzen; und ich habe mich daher möglichst gehütet, Ihnen durch mein Urtheil vorzugreiffen, oder durch geheime Winke das Ihrige nach dem meinigen zu leiten. Leben Sie wohl u. s. w.
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Auszug aus einem Schreiben des H. an einen Freund in Paris. Bald glaube ich selbst, daß Sie nicht ganz Unrecht haben, wenn Sie meine Gleichgültigkeit gegen alle bald mehr bald minder bedeutende oder unbedeutende Unwahrheiten, die über meine Person und Schriften von allerley Ungenannten aus allerley Ursachen ins Publikum gebracht werden, für unverantwortlich erklären. – Zwar u n v e r a n t w o r t l i c h ist doch wohl nicht das rechte Wort; denn mich dünkt ich könnte Ihnen sehr gute Gründe vorlegen (wenn ichs nicht schon mehr als einmal öffentlich gethan hätte) warum ich für 10
mich und jeden der sich ungefehr in meiner Lage befindet für anständiger halte, lieber zu schweigen, als sich alle Augenblicke in eine eben so unnöthige als langweilige S k i a m a c h i e mit unsichtbaren oder namenlosen Widersachern einzulassen. Indessen fühle ich doch wohl, daß die Gleichgültigkeit, die Sie mir zur Sünde machen wollen, auch wenn sie eine Tugend wäre, dennoch sobald sie das Maas und die Grenzlinie wo diß und jenseits Recht zu Unrecht wird
überschritte, Tadel verdiente; und weil ich eben so furchtsam vor gerechten Vorwürfen als kaltsinnig gegen unverdiente bin: so bin ich sehr geneigt mich über diesen Punct in einen Vergleich mit Ihnen einzulassen. 20
Es giebt, wie gesagt, Fälle, wo die beste Antwort oder Apologie ist, keine zu geben. Wenn die Sache worüber es Jemanden beliebt uns anzufechten, klar am Tage vor Jedermanns Augen liegt, und die Vorwürfe durch den blossen Augenschein, bey einem mäßigen Antheil von Menschenverstand auf Seiten dessen der die Sache untersuchen will, sich von selbst widerlegen; oder, wo es sichtbar ist, daß der Tadler uns nur w e h e t h u n , oder (wie G e r o n d e r A d e l i c h e sagt) uns h o c h m u t h e n will; wozu alsdann eine Antwort? Oder wer wollte mit jedem losen Gesellen, von dem er angesprengt wird, eine Lanze brechen? – Also, wenn z. E. irgend ein Recensent mich Verse machen oder Prose schreiben lehren will; oder, mir bey einer vom Zaun abgerissnen Gelegenheit Schuld
Auszug aus einem Schreiben
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giebt, „daß ich in meinen Gedanken ü b e r e i n e A n e k d o t e v o n J . J . R o u s s e a u * ) den S o p h i s t e n gemacht und d i e S i t t e n l e h r e v e r f ä l s c h t habe;“ oder wenn Andre Pro und Contra darüber dissertieren ob ich mich zum Christenthum oder Deistenthum bekenne? Ob ich ein guter oder böser Mann sey? Ob ich meinen Pikling mit oder ohne Salz esse? u. s. w. So hoffe ich, mein lieber Herr, Sie werden mir erlauben, daß ich meines Weges gehe, und die Herren reden lasse so lange sie wollen. Hingegen wenn die Sache einen bloßen Irthum betrift den Jemand aus Unwissenheit oder falscher Benachrichtigung bona fide begangen hat, und dem Übel mit einem Paar Federzügen abgeholfen werden kann: so verspreche ich
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Ihnen, von nun an meiner Indolenz Gewalt anzuthun, und sobald die Sache zu meiner Wissenschaft gelangt, bey der ersten schiklichen Gelegenheit dem großen oder kleinen Unheil zuvorzukommen, welches der Welt aus besagtem Irthum über lang oder kurz etwa zuwachsen könnte. Um Ihnen also hier gleich die erste Probe meines diesfalsigen guten Willens zu geben, so wiederhohle ich hiemit zum leztenmal die schon mehrmals gegebne öffentliche Versicherung: daß ich nicht der Ve r f a s s e r d e r G e s c h i c h t e d e s F r ä u l e i n s v o n S t e r n h e i m , sondern bloß der unschuldige Herausgeber, d. i. derjenige, der den Druk besorgt hat, bin; und daß hingegen meine Freundin und Cousine, d i e F r a u G . R . v o n l a R o s c h e n i c h t die
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Urheberin d e r F r a n z ö s i s c h e n Ü b e r s e t z u n g des besagten Werkes, sondern d i e Ve r f a s s e r i n d e s Te u t s c h e n O r i g i n a l s ist, – welches, soviel ich weiß, von einer andern vortreflichen und der gelehrten Welt rühmlich bekannten Dame, der Madame d e l a F i t e im Haag, schon vor vielen Jahren ins Französische übersezt worden ist. Hieraus kann und soll also der Irthum verbessert werden, der in der Bibliotheque Universelle des Romans im M ä r z vom Jahrgang 1781. p. 87. schon zum Zweytenmal begangen worden, da es heißt: „Dans la Note qui précede l’extrait qu’on nous reproche d’avoir borné à une courte notice nous avons dit: que ce Roman, quoique publié simplement par Mr. Vieland (dessen Name geschrieben wird Wieland, so wie man Watelet nicht Vatelet, Voltaire nicht Woltaire, und Lohenstein nicht L o k l o k e n s t i n * *) schreibt) lui étoit *) **)
Te u t s c h . M e r k u r vom Jahre 1780. in den Monaten A p r i l , M a y u n d A u g u s t . Enfin A r m i n i u s , dont l’Auteur s’appelloit, dit-on, L o k l o k e n s t i n etc. B i b l i o t h e q u e
U n i v . d e s R o m a n e s . Novembre 1776. pag. 8.
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generalement attribué; et qu’il avoit èté traduit de l’Allemand en Franc¸ois par Madame de la Roche, femme d’un Conseiller intime de l’Electeur de Treves.“ Sie sehen, mein Freund, daß dieser Irthum in seiner Art immer beträchtlich genug ist, um öffentlich angemerkt zu werden. Nur Das muthen Sie mir nicht zu, daß ich soviel über meine Trägheit gewinnen, und mich dieser Sache halben in eigner Person gegen den vorbelobten Hrn. Herausgeber der Romanen-Bibliothek in irgend einem französischen Journal manifestiren soll. Wenn aber S i e , da Sie doch eben diesen Herren so nahe und vielleicht mit 10
dem einen oder andern aus ihrem Mittel schon bekannt sind, die Mühe auf sich nehmen wollten der Wahrheit Zeugnis zu geben: so würde ich mich Ihnen dafür sehr verbunden halten. Bey einer solchen Gelegenheit könnten Sie etwan auch, wenn es Ihnen gefällig wäre, dem Hrn. Herausgeber der B. des R. w e g e n m e i n e m N e u e n A m a d i s ein paar Worte ins Ohr sagen. Die besagte Bibliothek liefert im März 1782. einen sogenannten A u s z u g aus diesem Gedichte, nach welchem die Ausländer sich einen ungefehr eben so richtigen Begriff davon machen können, als Menippus beym Lucian von der schönen Leda, Helena, u. s. w. nach ihren — Schedeln und Knochen. Ich kann mich hierüber nicht beklagen, da
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A r i o s t und Ta s s o nicht besser in dieser Bibliothek tractiert worden sind. Bone Deus! Ein Zeitungsmäßiger historischer Auszug aus einem G e d i c h t e ! Und welch ein Auszug! Beym ersten Blicke den ich darauf warf, fielen mir die Zeilen ins Auge: „Tout Poe¨me d o i t commencer par une invocation.“ (Sie merken doch daß dies Persifflage seyn soll?) „Aussi l’Auteur en fait-il une à sa Muse, m eˆ l é e d ’ i m p r e c a t i o n s c o n t r e l e s C r i t i q u e s &c.“ Wie gefallen Ihnen diese Imprecations im Eingang des Neuen Amadis? – Wenn das übrige in diesem Geschmak ist, dachte ich – und verlangte gerne nicht weiter zu lesen! Aber dies ists nicht, was ich Ihnen sagen wollte. Ich habe es bloß mit den
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wenigen Zeilen zu thun, die dem Auszug vorangeschickt sind; und ich überlasse es lediglich Ihrem guten Willen, ob Sie es der Mühe werth finden, dem Herausgeber über die Stelle: „ce Poe¨me n’a pas toutes les Graces de l’Amadis dont on parle tous les jours avec complaisance“ (nämlich des Amadis von dem Herrn Grafen von Tressan) „mais on peut se distinguer et briller meme au second rang“ — zu sagen: daß diese Anmerkung dem Herrn v. T. ein Com-
Auszug aus einem Schreiben
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pliment auf Unkosten des N e u e n A m a d i s mache, dessen sich der Verfasser vermuthlich überhoben hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre: daß das teutsche komische Rittergedicht, der Neue Amadis genannt, weder mit dem Alten Amadis de Gaule, noch mit dem Modernisierten Auszug desselben, den man dem Herrn Gr. v. T. zu danken hat, das mindeste als den Namen A m a d i s gemein habe; daß es mit dem leztern keineswegs rivalisieren wolle, sondern Neun ganzer Jahre v o r s e l b i g e m zur Welt gekommen, in allen Stücken (bis auf die Versart inclusive) eine ursprüngliche Erfindung des teutschen Dichters sey, die, sowohl was den Zwek und Inhalt, als was Styl, Ton und Manier der Ausführung betrift, mit dem Werke des Herrn von Tressan nicht schiklicher
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als mit der Geschichte der Maccabäer, oder dem R i t t e r T h e u e r d a n k , oder des Apulejus g o l d n e m E s e l zusammengestellt werden könne. Auch Ich habe den Amadis dieses liebenswürdigen und respectabeln alten Seigneur’s (wie alles was von seiner Hand kömmt, und namentlich seinen Auszug von H ü o n d e B o r d e a u x ) mit dem größten Vergnügen gelesen: aber sehr vermuthlich würde Er, wenn er teutsch genug wißte, um den N. A. im Original kennen zu lernen, sich durch den raschen Vorzug, der seinem Roman über ein mit selbigem ganz incommensurables Gedicht gegeben wird, wenig geschmeichelt finden. Für einen Mann, der sich anmaßt, von den G r a z i e n eines Gedichts, das er
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weder gelesen h a t noch lesen k a n n , nach einem abgeschundnen und mit Drat zusammengehängten G e r i p p e zu urtheilen, – ist ein Irthum mehr oder weniger, zumal ein unbedeutender, eine Kleinigkeit. Falls Sie es also nicht zu geringe finden, ihn gelegenheitlich zu benachrichtigen, daß der Verfasser des besagten Gedichts nicht Mr. d e Wieland heisse; so kann es wenigstens einem künftigen französischen Litterator die Verwechslung zweener gleichzeitiger, aber ganz verschiedner Personen ersparen, die diesen Namen, der eine m i t und der andre o h n e das Vorwort v o n , geführt haben. Auf ein ähnliches Skelett des armen O b e r o n , woraus erhellen wird, „daß die Fabel dieses Gedichts mehrerntheils aus dem vorbelobten Tressanischen Auszug des alten Gauloischen Romans H u o n d e B o r d e a u x genommen, und dieses Gedicht also eine blosse I m i t a t i o n d ’ u n O r i g i n a l F r a n c¸ o i s sey“ (scilicet, in eben dem Sinne, wie Ariosts O r l a n d o eine Nachahmung der Geschichte des Erzbischofs Turpin und der andern Ritterbücher von Charlemagne, Roland, u. s. w.) und auf alle die weisen Anmerkungen und Urtheile,
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die sich von Franzosen und Patriotischen Teutschen aus einer solchen Entdeckung ziehen lassen – bin ich schon gefaßt. Ich habe nie kein Geheimniß daraus gemacht; und wer da weiß, wie wenig die grösten Dichter in der Welt, von Homer an, einen Ruhm darinn gesucht haben, das Thema ihrer Werke selbst e r d i c h t e t oder g e t r ä u m t zu haben – und wer Belesenheit genug hat, um zu wissen, daß der alte französische Romancier, von dem sich der Huon de Bourdeaux herschreibt, die Hauptzüge seiner Geschichte, besonders das H o r n und den B e c h e r , eben so wenig als ich, aus s e i n e m K o p f e geschüttelt, sondern aus andern ältern Dichtungen genommen hat; und daß 10
überhaupt Uralte M o r g e n l ä n d i s c h e S a g e n , F a b e l n , u n d M ä h r c h e n die wahre Quelle sind, woraus beynahe alle Spanischen, Französischen, und Italienischen Romanciers und Dichter der mitlern Zeiten vom 12ten bis 16ten Jahrhundert mittelbar oder unmittelbar geschöpft haben – der wird den Werth einer solchen eingebildeten E r f i n d u n g s - E h r e zu bestimmen wissen. Ich meines Orts gönne sie einem jeden, der sie an sich reissen will, von Herzen, begnüge mich mit dem was mir nach Abzug derselben übrig bleibt, und beharre etc.
Auszug aus einem Schreiben
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Einige Drukfehler. S. 148. Zeile 4. leset Arten statt Art. S. 154. — 20. leset E j a c u l a t i o n statt Ezaculation.
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Der Teutsche Merkur. September 1782.
Anzeige an das Publicum den Teutschen Merkur betreffend. Der Herausgeber des Teutschen Merkurs ist von vielen Orten her benachrichtigt worden: es fänden sich hier und da Personen, die dieses Journal entweder erst seit wenigen Jahren zu halten angefangen, oder noch anzufangen Lust hätten, in beyden Fällen aber auch die vorgehenden Jahrgänge zu haben wünschten, wenn es um einen Preis geschehen könnte, der ihnen die Anschaffung derselben weniger lästig machte. Da man nun, auf der einen Seite, den Wünschen derjenigen, welche sich etwa in dem einen oder andern Falle befinden, gerne entgegenkommen möchte: auf der andern Seite aber, durch alle die zufälligen Ursachen die bey Periodischen Werken von so langer Dauer einzutreten pflegen und nicht zu vermeiden sind, eine große Anzahl von Exemplaren defect worden sind, und also der noch vorhandne Vorrath an vollständigen Exemplaren nicht mehr beträchtlich ist: so bestehet alles was der Herausgeber zu möglichster Begünstigung derjenigen, welche sich entweder alle, oder doch die ihnen abgehenden Jahrgänge auf einmal anschaffen möchten, zu thun im Stande ist, in folgendem Erbieten. 1. Man verspricht hiemit, allen, welche d i e Z e h n J a h r g ä n g e , aus welchen der T. Merkur, von 1773. bis 1782. inclusivé besteht, sich auf einmal anschaffen wollen, das vollständige Exemplar dieser aus 120 Heften bestehenden Zehn Jahrgänge, v o n D a t o a n b i s z u E n d e d e s n ä c h s t k o m m e n d e n D e c e m b e r s , um die Hälfte des ohnehin sehr mäßigen Preises, folglich um Zwey und eine halbe Pistole oder 12 Thlr. 12 ggr. Leipziger-Courant, zu überlassen; wobey bloß einbedungen wird, daß die Bezahlung sogleich bey der Bestellung erfolge, und die Interessenten die Kosten der Versendung tragen. 2. Denjenigen, welchen nur einer oder etliche von den Jahrgängen 1776. 77. 78. 79. 80. und 81. fehlen, kann und soll auf Begehren auch mit diesen einzelnen Jahrgängen, um 1 Thlr. 8 gr. Leipziger Courant, gedient werden; jedoch kann dieser Nachlaß sich ebenfalls nicht auf länger als bis Ende dieses laufenden Jahres erstrecken.
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3. Von den Jahrgängen 1773. 74. und 75. welche auf eine kleine Anzahl herabgeschmolzen, können keine einzelne Exemplare, vielweniger einzelne Stükke mehr abgegeben werden. 4. Nach Verfluß dieses Jahres wird kein vollständiges Exemplar aller Zehn Jahrgänge, geringer als um dem gewöhnlichen vollen Preis von fünf Pistolen, und kein einzelner Jahrgang von 1776 bis 82. inclusive, anders als um eine halbe Pistole zu haben seyn. 5. E i n z e l n e M o n a t s s t ü c k e , von 1776. und den folgenden Jahren, durch deren häufige Bewilligung man sich bisher aus Gefälligkeit gegen die Interes10
senten beträchtlichen Schaden gethan, können v o m J e n n e r 1783. a n , nicht geringer als das Stück um 6 ggr. verabfolget werden. Wer von gegenwärtigem Erbieten Gebrauch zu machen Lust hat, wird ersucht sich deßwegen unmittelbar an den Herausgeber des Teutschen Merkur, den Hofrath Wieland in Weimar, zu wenden, und von demselben der schleunigsten Besorgung des Begehrten versichert zu seyn. Weimar, den 1sten Sept. 1782. W.
Anzeige an das Publicum
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F r i e d e l’ s Nouveau Theatre Allemand ou Recueil &c. Unsre Leser erinnern sich, daß wir von der Unternehmung des Hrn. Prof. F r i e d e l s zu Paris, ( d i e S t ü c k e , d i e a u f d e n S c h a u p l ä t z e n d e r t e u t s c h e n H a u p t s t ä d t e m i t g u t e m E r f o l g g e s p i e l t w o r d e n , ins Französische zu übersetzen, und unter obigem Titel in einer Sammlung von Zehn Bänden, fürs erste herauszugeben) bereits im October des leztverwichenen Jahres unsre Meynung mit aller Aufrichtigkeit gesagt haben, die ein Vorhaben zu fodern schien, wobey die Ehre der Teutschen Nation und ihrer Litteratur so nahe betroffen ist. Herr F r i e d e l hat sich natürlicherweise dadurch nicht irre machen lassen. Jedermann hat sein Urtheil für sich; zudem war es auch
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mit seinem Werke schon zu weit gekommen, als daß er mit Anständigkeit wieder hätte zurückgehen können; und, wenn ihm auch dabey einige Scrupel aufgestoßen wären: so würde ihn doch der Eifer, womit er in Teutschland selbst zur Ausführung eines so p a t r i o t i s c h e n Vorhabens aufgemuntert wurde, gar bald wieder beruhigt haben. Die Zeit, die schon soviel gelehrt hat, wird also auch hier lehren, ob die A u f m u n t r e r oder die A b s c h r e c k e r die Sache aus dem richtigen Augenpunct gesehen haben. Inzwischen geht dieses Nouveau Theatre Allemand, hauptsächlich in Te u t s c h l a n d von Te u t s c h e n unterstüzt, seinen Gang munter fort, und wir haben bereits den dritten Band davon erhalten. Dem Ersten ist eine Histoire abregée du Theatre
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Allemand vorausgesezt, die der Verfasser selbst für unvollkommen giebt, die aber doch das Verdienst hat, die leidliche Seite des Gegenstands den Ausländern in einem so günstigen Lichte zu zeigen als man an der Spitze eines solchen Werkes billig erwarten kann. Jeder Theil liefert zwey oder drey übersezte Stücke: im E r s t e n ist die Wahl auf Lessings Emilia Galotti und den Clavigo, im Z w e y t e n auf Julius von Tarent und den Grafen von Olsbach, im D r i t t e n auf Weissens Atreus und Thyest, ein Lustspiel von Wezel, und Göthe’s Stella gefallen. Im Ganzen genommen scheint uns Hr. F. geleistet zu haben was man von einem Übersetzer aus dem Te u t s c h e n ins F r a n z ö s i s c h e verlangen kann. Freylich geht im Detail öfters gerade das verlohren, was im Original die Schönheit einer Stelle macht: aber die eigensinnige Decenz der Französischen Sprache, die sich auf die äusserste Ve r f e i n e r u n g der Französischen S i t t e n
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gründet, erlaubt auch nicht alles was einem teutschen Schriftsteller erlaubt ist, und so lange erlaubt bleiben wird, bis auch bey uns c o n v e n t i o n e l l e F o r m e n u n d P h r a s e o l o g i e n alle Freyheit des Genies und der Laune erstikt, und unsre Dichter genöthigt haben werden, ihren Helden und Heldinnen keinen Ausdruck zu erlauben, der nicht in den Vorzimmern aller unsrer Höfe d e c e n t gefunden wird. Als ein Beyspiel hievon führen wir nur die Stelle aus der 7ten Scene des 5ten Acts von E m i l i a G a l o t t i an, wo aus dem Teutschen: „ s o e i n e r — wie mein Vater will daß ich werden soll“ im Französischen eine victime de la seduction worden ist. Man setze im Teutschen statt 10
„ s o e i n e r — “ E i n O p f e r d e r Ve r f ü h r u n g : so ist die Stelle ruinirt, und Lessing würde eben so lieb sein ganzes Stück ins Feuer geworfen haben. Aber Hr. F. m u ß t e so übersetzen, weil s o e i n e r — im Französischen p l a t t und u n a u s s t e h l i c h gewesen wäre. Indessen hat sich doch gezeigt, daß Hr. Fr. in den ersten Theilen noch immer z u g e t r e u war. Die Freyheiten, die er sich mit seinen Originalen nehmen muß um sie zu Paris presentabel zu machen, werden immer größer; und wenn sie verhältnismäßig mit jedem Theile, wie bisher, zunehmen sollten: dürfte zulezt von dem Beyfall, den Hr. Fr. dadurch verdienen mag, wenig auf die Rechnung der ersten Verfasser kommen.
¼Anzeige½ F r i e d e l’ s N o u v e a u T h e a t r e A l l e m a n d
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Der Teutsche Merkur vom Jahr 1782. Ihro Römisch-Kayserlichen Majestät zugeeignet. Mit Königl. Preuß. und Churfürstl. Brandenburg. gnädigstem Privilegio.
Viertes Vierteljahr. Weimar.
Der Teutsche Merkur. October 1782.
¼Aufmunterung zu einem neuen Versuch die Teutschen Buchstaben mit den Lateinischen zu vertauschen. An den Herausgeber des T. Merkurs. M. H. Während daß einige unsrer teutschen Schriftsteller sich die undankbare Mühe machen, eine mehr oder weniger von dem alten Brauch abweichende neue Rechtschreibung einzuführen, in der That aber keinen andern Nutzen damit stiften, als ihr möglichstes beizutragen, daß wir in kurzem gar keine Orthographie haben werden; während andre, — unter denen ich Ew. etc. (verzeihen Sie meine Offenherzigkeit) mit einem Verdruß, der meiner Hochachtung für Sie
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gleich war, gesehen habe — in die Wette eifern, drei oder viererlei Neue Monatsnamen einzuführen* ), ohne Bedacht zu haben, daß ein förmliches und scharf verpöntes Reichsgesetz kaum vermögend wäre, eine so vielen Unschiklichkeiten unterworfene Neuerung durchzusetzen: habe ich mich oft verwundert, warum Niemand auf den Gedanken gerathe, den alten Versuch, die Lateinischen Buchstaben in der teutschen Sprache einzuführen, in unsern Tagen, d. i. zu einer Zeit, wo wir einen Beweggrund mehr als ehmals, und zwar einen von der größten Stärke, dazu haben, wieder zu erneuern und in Bewegung zu bringen. …½ *)
Ut homines sumus! Ein gesunder Mensch kann ja wohl von irgend einer
vorübergehenden Narrheit eben so wohl als von einem epidemischen Schnuppen befallen werden: aber je bälder man sie wieder von sich abschüttelt, je besser. Die Wiedereinführung der alten Karolingischen Monatsnamen war ein rascher Patriotischer Einfall, so wohl gemeynt und — so ungereimt als so viele andre Patriotische Einfälle, die unsrer Zeit zum Vorschein gekommen sind. Kaum war der Anfang gemacht, so wollte schon ein Jeder das Verdienst haben, etwas zur größern Vollkommenheit eines so wichtigen Stüks d e r R e f o r m a t i o n im l e z t e n V i e r t e l d e s X V I I I t e n J a h r h u n d e r t s beyzutragen; und mir wurden so viele Vorschläge die Monate umzutauffen, zum Theil von sonst verständigen Männern, mit der ganzen treuherzigen Ernsthaftigkeit
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und Ehrlichkeit, die unsre biedermännischen Teutschen charakterisiert, zugeschikt: daß dies allein schon genug war, mir über die Thorheit der Unternehmung die Augen zu öfnen, wenn auch die Natur in diesem Jahre es nicht selbst übernommen hätte, uns auf eine f ü h l b a r e Art davon zu überzeugen. D. H.
¼Anmerkung½ A u f m u n t e r u n g
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A n z e i g e einer Veränderung, welche in der Einrichtung des teutschen Merkurs vom Jahre 1783 an gemacht werden soll. Der Herausgeber des Teutschen Merkurs, der den Beyfall, mit welchem das Publikum dies Journal nun 10 Jahre aufgenommen hat, mit dem lebhaftesten Danke erkennt, wünscht nichts mehr als das Verlangen und die Forderungen aller seiner Leser, so verschieden und sich entgegen gesezt sie auch oft sind, möglichst erfüllen zu können. Es ist ihm sehr oft begegnet, daß der Eine mehr statistische, ökonomische, gemeinnützige, philosophisch-politische und dergleichen Artikel, der Andere hingegen mehr amüsante Lektüre verlangte: der
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Eine unzufrieden war, daß nicht alle sechs Bogen jedes Monatsstüks Abhandlungen erfüllten, indeß wieder Schriftsteller, Buchhändler, und Mancher noch, der dem Publiko etwas zu sagen hatte, klagte, daß man im T. M. s o w e n i g b e k a n n t m a c h e n könne. Es ist schwer Alle zu befriedigen. Indeß um hierinn das Möglichste zu thun, zeigt der Herausgeber des T. M. seinen Lesern an: 1) Daß fortan, und mit Anfange des nächsten Jahrgangs 1783 die Artickel des T. M. noch mehr Mannichfaltigkeit als bisher haben, und interessante Abhandlungen und Nachrichten jeder Art miteinander abwechseln werden. 2) Daß die sechs Bogen eines jeden Monatstüks blos eigentlichen Abhand-
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lungen und interessanten Nachrichten gewiedmet seyn, und keine Anzeigen, Recensionen, Bekanntmachungen, Anfragen, und dergleichen Artickel, die nur für den Moment von Nutzen sind, darauf kommen sollen. 3) Für alle dergleichen Artickel, und das was Jemand sonst noch Gemeinnütziges dem Publiko bekannt machen will, soll jedem Monatsstücke noch e i n B o g e n unter dem Titel A n z e i g e r beygefügt werden, auf welchen Alles kommen soll, was man zur Bekanntmachung den laufenden Monat hindurch an d e n H e r a u s g e b e r d e s Te u t s c h e n M e r k u r s allhier, jedoch p o s t f r e y , eingesandt hat. Was nicht p o s t f r e y einläuft, wird nicht eingerükt. Da dieser A n z e i g e r die Stelle eines immerwährenden litterarischen Cor-
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respondentens vertritt, und Alles enthalten wird, was nur irgend von neuen Büchern, Verlags- und Subscriptions-Anzeigen, Preißaufgaben, Bekanntmachung neuer Erfindungen, gelehrten oder ökonomischen Anfragen und Antworten darauf, u. s. w. dem Publiko vorzutragen ist, enthält: so hofft man, daß er den Lesern sehr angenehm seyn werde. 4) Alle diese Bekanntmachungen geschehen u n e n t g e l t l i c h und frey. Nur bittet man, daß sie so kurz als möglich gefaßt, oder von größeren mehrere Seiten füllenden Anzeigen nur Extrakte eingesandt werden. Da dieser Anzeiger bloß für den Moment, und gleichsam nur ein Zeitungs10
Bogen ist, so wird er mit dem Monatsstük nicht fortpaginirt, sondern kann, wenn man den Merkur binden läßt, allezeit weggelassen werden. 5) Der Preis eines g a n z e n J a h r g a n g e s des Teutschen Merkurs m i t d i e s e m m o n a t l i c h e n A n z e i g e r wird seyn — in Weimar, 2 Rthlr. in Ld’or zu 5 Rthlr. — und Postfrey durch ganz Teutschland 3 Rthlr. O h n e A n z e i g e r aber bleibt es bey dem a l t e n P r e i s e . 6) Kein Leser des T. M. ist verbunden diesen A n z e i g e r , der kein wesentliches Stük desselben ist, wider Willen mitzuhalten, sondern kann den Merkur auch o h n e d e n s e l b e n , wie zuvor, haben. Nur muß er es in d i e s e m F a l l e seinem Buchhändler oder dem Postamte, durch das er den T. M. erhält, a n -
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z e i g e n . Sein Schweigen hierüber gilt für G e n e h m i g u n g dieser Offerte. Da es nun aber unmöglich seyn würde, noch vor Ende dieses Jahres alle Meynungen der Leser hierüber zu sammlen: so sollen vom nächsten J ä n n e r und F e b r u a r alle Stücke des T. M. m i t d e m A n z e i g e r ausgegeben werden; und wer sich indessen nicht d a g e g e n erklärt, dessen Schweigen soll G e n e h m i g u n g seyn. Durch diese Einrichtung hofft der Herausgeber die bißherigen Wünsche und Anforderungen seiner Leser möglichst zu befriedigen. Auch wird er p o s t f r e y eingesandte B e y t r ä g e , die des Platzes würdig sind, mit Vergnügen und wahrem Danke annehmen, und, wenn nicht wichtige Ursachen es
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hindern, gewiß Gebrauch davon machen. Weimar den 6. Oct. 1782. W.
A n z e i g e e i n e r Ve r ä n d e r u n g
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Der Teutsche Merkur. November 1782.
Über die Frage: Wa s i s t H o c h t e u t s c h ? und einige damit verwandten Gegenstände. An den Herausgeber des T. M. Der berühmte Herr Rath A d e l u n g hat die Frage, die mir zu gegenwärtiger Zuschrift Anlaß giebt, im ersten Stücke seines M a g a z i n s d e r t e u t s c h e n S p r a c h e auf eine solche Art beantwortet, daß seine Meynung zwar niemanden b e f r e m d e n kann, dem sein Wörterbuch der hochteutschen Mundart und seine Lehrbücher unsrer Sprache bekannt sind, aber nun die allgemeine Aufmerksamkeit um so mehr erregen muß, da er sie in zwo besondern Abhandlungen des besagten Magazins ausführlicher als jemals vorgetragen hat,
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und da es für die Cultur unsrer Sprache und Litteratur nichts weniger als gleichgültig seyn kann, w i e diese Frage beantwortet werde. Hr. A. hat in seiner Vorrede bereits selbst vermuthet, „ d a ß er es durch seine Entscheidung mit u n s e r n t e u t s c h e n P r o v i n z e n g l e i c h a m A n f a n g e v ö l l i g v e r d e r b e n w e r d e . Allein (sezt er hinzu) ich kann mir nun einmal nicht helfen; es ist Wa h r h e i t , und ich kann nicht dafür, daß es Wahrheit ist.“ Hr. A. ist also seiner Sache gewiß; und wenn ein Gelehrter, der unsre Sprache so lange und so gründlich in ihrem ganzen Umfange studiert hat, der so große Beweise seiner darinn erlangten Einsichten gegeben, und durch ungemeine Verdienste in diesem Fache sich ein so großes und wohlbegründetes
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Ansehen erworben hat, wenn ein solcher Mann aus einem s o l c h e n Tone spricht — seiner Sache s o gewiß ist: so ist nicht nur zu erwarten, daß seine Gründe einleuchtend, überzeugend und entscheidend seyn, sondern auch, daß sie bey dem größern Hauffen, der sich in unpartheyische Untersuchung und genaue Prüfung solcher Materien nicht einzulassen pflegt, durch sein Ansehen ein neues Gewicht erhalten, und also, wenn sie auch n i c h t entscheidend wären, bey vielen dennoch die nehmliche Wirkung thun werden als wenn sie es wären. Der bescheidene Ton, — der in Sachen, wo keine eigentliche Demonstration statt findet, auch da, wo man das Wa h r s c h e i n l i c h s t e zu behaupten glaubt,
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doch möglichen Gegengründen, und, im Falle daß diese überwiegend wären, der Überzeugung von einer bessern Meynung Raum läßt — hat diesen Vortheil nicht; wiewohl er sich schon dadurch empfehlen könnte, daß er bey den Griechen der Ton des Sokrates, und bey den Römern des Cicero war. Der große Hauffe hat keinen Glauben an einen Mann, der seiner Meynung selbst nicht recht g e w i ß zu seyn scheint; und er will sich lieber von einem Meister, der die Präsumtion für sich hat daß er die Sache von Grund aus verstehe, sagen lassen was er für wahr halten solle, als mit einem Schülermässigen Zweifler erst, aufs ungewisse hin, forschen und suchen, was wahr an der Sache sey. 10
Aber was dem Meister anständig seyn kann, würde an dem Lehrjünger vielleicht ungeziemend seyn. Ich bin einer von denen die sich durch die Gründe, die Hr. A. für entscheidend hält, nicht überzeugt finden, und also auch von der subjectiven Gewißheit, womit er gegen alle möglichen Einwürfe schon voraus gewafnet ist, mehr in Verwunderung gesezt als durch sein Ansehen, so groß es auch in Dingen dieser Art ist, geblendet werden. Aber, was ich gegen seine Entscheidung vorzubringen habe, sind bloß F r a g e n , die ich zu beantworten versuchen werde, Z w e i f e l , über die ich belehrt zu werden wünsche. Sollten diese Fragen und Zweifel nicht anders gründlich beantwortet und aufgelöst werden können, als auf eine Art, die mit der Meynung unsers verdienstvollen
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Sprachlehrers über das, w a s H o c h t e u t s c h i s t , nicht bestehen könnte, oder doch wenigstens eine große Einschränkung und Berichtigung derselben erfoderte: so würde auch ich in dem Falle seyn zu sagen: ich kann nicht dafür, daß es Wahrheit ist; und ich habe ein zu gutes Vertrauen zu der Denkart des Hrn. A. daß ich besorgen sollte, ihm dadurch einen schlimmen Dienst erwiesen zu haben. Ich nehme die Freyheit diesen Aufsaz an Ew. etc. etc. zu richten, theils weil ich Sie unter den jeztlebenden teutschen Schriftstellern von — einer gewissen Classe *) für einen von denjenigen halte, die am wenigsten dabey zu verliehren hätten, wenn Hr. A. Recht behielte; theils weil Erörterungen dieser Art an
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einen Plaz im teutschen Merkur ein vorzügliches Recht zu haben scheinen. Ich halte mich versichert, daß ihnen an der möglichsten Vollkommenheit der
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Es versteht sich von selbst, daß der Hr. V. dieses Aufsatzes höflich genug gewesen, hier ein
Paar Complimente anzubringen, die man, der Anständigkeit gemäs, in Formeln verwandelt hat, wobey jedem freysteht zu denken was er will.
Ü b e r d i e F r a g e : Wa s i s t H o c h t e u t s c h ?
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Sprache, in welcher sie über dreyßig Jahre lang — geschrieben haben, soviel als irgend jemanden gelegen seyn muß; und ich würde aus dieser Überzeugung kein Bedenken tragen, Sie zum Schiedsrichter in dieser Streitigkeit zu erbitten, wenn die Gegenparthey nicht bereits zu verstehen gegeben hätte, daß sie keinen Autor, der sich seit dem siebenjährigen Kriege hervorgethan, für unpartheyisch gelten lasse. Ich überlasse es also blos Ihrer Beurtheilung, ob Sie diesen Aufsaz erheblich genug finden, ihn dem Publiko in Ihrem Journale mitzutheilen; und habe die Ehre u. s. w. L** Philomusos.
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* * * Nach Herrn A. Meynung hat Teutschland seine Schriftsprache, das ist, die Sprache, worinn alle diejenigen schreiben müssen, welche g u t t e u t s c h schreiben wollen, wenigstens dreymal geändert; erst war sie F r ä n k i s c h , dann S ü d l i c h t e u t s c h , und endlich H o c h t e u t s c h . Die erste erhielt sich biß gegen die Mitte des zwölften Jahrhunderts, wo die Kaiserliche Würde an das Schwäbische Haus von Hohen-Stauffen kam. Schwaben, in seinem weitesten Umfange, oder das Südöstliche Teutschland war damals, oder wurde aus Gelegenheit dieser Staatsveränderung, nach Hrn. A. Meynung, diejenige teutsche Provinz, welche alle übrige an Wohlstand und Geschmak übertraf. Sie
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nahm durch die Nachbarschaft Italiens und des südlichen Frankreichs, an der blühenden Handlung, dem Wohlstande und dem aufkeimenden Geschmacke dieser Länder theil; die Höfe der Hohen-Stauffen und ihrer Vasallen waren die glänzendsten in Teutschland, und dienten den übrigen Höfen zum Muster. Die Landessprache ward dadurch in den obern Classen verfeinert, durch die Dichter dieses Zeitraums verbreitet, und würde Teutschlands Schriftsprache geworden seyn, wenn gleich die Teutsche Krone nie auf das Schwäbische Hauß gekommen wäre. Sie bekam in den spätern Zeiten den Namen des H o c h t e u t s c h e n , d. i. des höhern verfeinerten Teutschen, der Sprache der obern Classen, um sie nicht nur von den Mundarten der übrigen teutschen Provinzen, sondern selbst von der gemeinen Schwäbischen Mundart zu unterscheiden.
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Diese Schriftsprache, fährt er fort, erhielt sich in ihrem Ansehen biß gegen die Mitte des s e c h z e h n t e n Jahrhunderts, da sie der N e u e r n Hochteutschen sowohl den Namen als den Vorzug abtrat. Hr. Adelung, (der in dem Aufsatze, wovon hier die Rede ist, sein Augenmerk besonders gegen eine Behauptung des Hrn. H e m m e r s in Mannheim richtet, welche ich für izt auf sich beruhen lasse) giebt hierauf die Umstände an, die zu dieser neuen Veränderung oder Vervollkommung der Sprache Anlaß gegeben haben sollen. Das südliche Teutschland verlohr nach und nach den Grad von Wohlstand, wodurch es (nach Hrn. A. Hypothese) der blühendste Theil von Teutschland ge10
wesen war; dagegen bildete sich das s ü d l i c h e S a c h s e n durch Bergbau, Manufacturen und Kunstfleiß in der Stille zu der blühendsten Provinz, und legte dadurch den Grund zu dem vorzüglichen Grade des Geschmacks, worinn es nachmals alle übrige übertraf. So wie Cultur und Geschmak in dem südlichen Ober-Sachsen zunahm, so verlohr sich auch die Provinzial-Mundart nach und nach aus dem gesellschaftlichen Umgange der obern Classen — und machte der ältern Hochteutschen Schriftsprache Plaz. Allein wie Obersachsen in beyden über den schwachen Grad hinausgieng, welchen ehedem das südwestliche Teutschland gehabt hatte, — s o f u h r e s a u c h f o r t , s e i n e g e s e l l s c h a f t l i c h e S p r a c h e z u v e r f e i n e r n , und daraus entstand denn
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das n e u e r e H o c h t e u t s c h — welches diesen Nahmen mit dem größten Rechte führt, wenn anders Hochteutsch so viel bedeutet als höheres, d. i. ausgebildetes Teutsch, der obern Classen. Hr. A. erklärt sich hierüber noch bestimmter in der Abhandlung vom Zustande der teutschen Litteratur, welche die fünfte im ersten Stücke seines Magazins ist. Nach seiner Vorstellung geht es mit der Ausbildung und Verfeinerung einer Sprache so zu. Ein rohes ungebildetes Volk hat auch eine rohe Sprache. So wie jenes an Cultur, Volksmenge, Kunstfleiß, Handlung und Wohlstand zunimmt, so verbessert sich auch diese. Wirken jene Ursachen eine beträchtliche Zeit lang auf einen Theil der Nation, so bilden sie endlich d e n
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G e s c h m a k . Der gute Geschmak war in Sachsen schon da, ehe die schöne Litteratur noch einen sonderlichen Fortgang machte. Denn e r m u ß t e s i c h erst feinere Sitten, feinere Empfindungsvermögen und eine fein e r e S p r a c h e b i l d e n . Sollte dies geschehen, so mußte er in der Provinz, w e l c h e e r s i c h z u s e i n e m S i t z e e r w ä h l t h a t t e , (nehmlich in OberSachsen) erst ü b e r a l l e o b e r n u n d m i t t l e r n C l a s s e n , s e l b s t b i ß a u f
Ü b e r d i e F r a g e : Wa s i s t H o c h t e u t s c h ?
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e i n e n T h e i l d e r n i e d e r n , v e r b r e i t e t w e r d e n . Dazu wurde nun freylich viel Zeit erfodert. Aber genug, er kam endlich, dieser glükliche Zeitpunct, wo der gute Geschmak in den obern und mittlern Classen des südlichen Ober-Sachsens allgemein genug war, um auf die Sprac h e u n d d a s g a n z e E m p f i n d u n g s - Ve r m ö g e n z u r ü k z u w i r k e n . Der durch Handlung und Fabriken erhöhete Wohlstand, die immer größere Volksmenge, die in Ober-Sachsen wieder hergestellte, gereinigte und allgemein gemachte Philosophie, d i e p r ä c h t i g e n H ö f e d e r A u g u s t e , welche die schönen und bildenden Künste mit vollen Händen unterstüzten, und dadurch S c h ö p f e r d e s f e i n e n G e s c h m a c k e s wurden, die von G o t t s c h e d e n gereinigte *)
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und von fremden Auswüchsen befreyte Sprache, u. s. f. alle diese
vereinigten Umstände wirkten schnell und unwiderstehlich, und Ober-Sachsen ward nunmehr Teutschlands A t t i c a und To s c a n a ; Ober-Sachsen diente dem bisher noch unvollkomnen und schwankenden Geschmacke zur S t ü t z e und F ü h r e r i n ; L e i p z i g wurde Teutschlands A t h e n ; und der Zeitpunct von 1740 bis auf den verderblichen siebenjährigen Krieg d. i. von 1756 bis 1760. — war die schönste Epoke (nach Herrn A.) nicht nur der s c h ö n e n L i t t e r a t u r Teutschlandes, sondern auch des teutschen G e s c h m a k k e s , worinn er den einigen wahren männlichen Grad, welchen die Teutschen nicht überschreiten sollten, erreicht hat. Aber o! mit wie großem Rechte
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nennt Hr. A. diesen Krieg einen verderblichen! Er hauchte mit seinem verderblichen Odem auch unsre Sprache und Litteratur an. „ S a c h s e n h ö r t e auf zu blenden und zu rauschen : der hier ausgebildete Geschmak verlohr seinen Einfluß aufs Ganze. Die übrigen teuts c h e n P r o v i n z e n g l a u b t e n n u n , o h n e f r e m d e B e y h ü l f e (die verwegnen!) w e i t e r g e h e n z u k ö n n e n . Aber da die aus dem teutschen Athen erhaltne Bildung in Ansehung des Geschmackes nur noch sehr unvollkommen war — so artete der Geschmak i n d e n P r o v i n z e n auch sehr bald aus, weil die feine Empfindung noch nicht den gehörigen Grad erreicht hatte, sich selbst leiten zu können, und doch alle fremde Leitung verschmähte. Daher *)
Der H a m b u r g i s c h e P a t r i o t und die Z ü r c h i s c h e n S i t t e n - M a l e r , die zu einer Zeit,
da Gottsched noch ein unbedeutender Magister war, ihm schon soviel vorgearbeitet hatten, kommen also nicht in Betrachtung? und der wäßrigste, nachlässigste, geist- und geschmakloseste aller teutschen Scribenten unsers Jahrhunderts soll noch immer im usurpierten Besitz der Ehre, die Sprache hauptsächlich gereinigt zu haben, erhalten werden?
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D e r Te u t s c h e M e r k u r
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dann (fährt Hr. A. fort) die Vernachlässigung der Reinigkeit und Richtigkeit der Sprache; daher der widrige Gebrauch fremder Wörter, wo gute teutsche vorhanden sind; daher die Jagd auf veraltete und Provinzial-Wörter, ganz wider den Begriff einer jeden d u r c h G e s c h m a k a u s g e b i l d e t e n SchriftSprache; — daher die Erhebung der niedrigen Volkssprache — daher d e r B a r d e n g e s a n g , M i n n e g e s a n g , d i e f r e m d e n S y l b e n m a ß e , und was d e r g l e i c h e n Ve r i r r u n g e n mehr sind, dergleichen sich keine Nation in den schönen Zeiten ihrer Litteratur hat zu Schulden kommen lassen.“ Alle diese Übel sind auf unsre Sprache und Litteratur gekommen, weil es den teut10
schen Provinzen — nicht an Wiz und andern Fähigkeiten — sondern an der feinen Empfindung des würklich Schönen, mit einem Wort an Geschmak fehlt; und das einzige Mittel sie davon zu befreyen ist, daß wir zu den Mustern, die uns Ober-Sachsen in den Jahren von 1740 biß 1760 gab, zurükkehren, und uns auf die Sprache der obern Classen in dieser Provinz, welche sich der gute Geschmak zu seinem Siz erwählt hat, lediglich einschränken. Denn (sagt Hr. A.) entweder hat Ober-Sachsen den guten Geschmak von 1740 — 1760 gänzlich verfehlt, oder die Wege, welchen man seit dem i n d e n P r o v i n z e n gefolgt ist, sind Abwege und Verirrungen. Dieß ist nun eine so kurz als möglich zusammengezogene, und beynahe
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durchaus in Hrn. A. eignen Worten abgefaßte Darstellung seiner Meynung von dem, was H o c h t e u t s c h , d. i. was die wahre reine und richtige teutsche Sprache ist, welche von allen, die nicht zum Pöbel gehören wollen, gesprochen und geschrieben werden soll; und dies sind die Schranken, innerhalb welchen der Genie der Witz und die Empfindung aller teutschen Dichter und Prosaisten sich halten muß, wenn sie nicht mit dem Zeichen des schlimmen Geschmaks gebrandmahlet, und zu den Sächsischen Schriftstellern von 1740 bis 60 in die Schule geschikt werden wollen. Meine Absicht ist keinesweges, weder dem was in diesen Behauptungen des Hrn. R. Adelung wahr und treffend ist, widersprechen zu wollen, noch mich in
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eine umständliche Untersuchung derselben einzulassen; welches, wie ich glaube, eine sehr überflüssige Arbeit seyn dürfte. Ich habe, eben darum, alles das übergangen, was Er in dem Eingang seiner Abhandlung über die Frage w a s i s t H o c h t e u t s c h ? zur Erläuterung derselben von dem Beyspiele der Atheniensischen, Römischen und Toscanischen Mundart beygebracht; weil die genaue Bestimmung, was es damit für eine Bewandtniß gehabt, und in wie
Ü b e r d i e F r a g e : Wa s i s t H o c h t e u t s c h ?
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fern diese Beyspiele auf uns anwendbar sind, Erörterungen, die für meine Absicht, und noch mehr für den T. Merkur viel zu weitläuffig wären, erfodern, und am Ende doch bey der Action, welche Hr. A. gleichsam im Namen des Südlichen Ober-Sachsens gegen d i e P r o v i n z e n angestellt hat, nichts entscheiden würde. Ich begnüge mich also (ausser einigen Anmerkungen, die ich mir zum Schluße vorbehalte) meine Zweifel gegen diese Behauptungen des Hrn. A. bloß in folgende Fragen und unmaßgebliche Beantwortungen derselben zu verfassen. I. Befand sich die Teutsche Sprache, so wie sie in dem Zeitraum der Schwä-
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bischen Kayser im südwestlichen Teutschland gesprochen und geschrieben wurde, und wie sie sich uns in den Gedichten der M i n n e s i n g e r , in den Werken Wo l f r a m s v o n E s c h i l b a c h , H e i n r i c h s v o n O f t e r d i n g e n , i m W i n s b e c k e n , und in vielen andern Überbleibseln dieses goldnen Alters unsrer a l t e n Sprache und Litteratur darstellt, nicht in einem v o l l k o m n e r n S t a n d e als in den nächst auf die Ausrottung des Hohenstauffischen Hauses folgenden Zeiten? Hat Herr B o d m e r , (der wahrlich ganz andre Verdienste um unsre Sprache hat als G o t t s c h e d , ) nicht in der bekannten, wiewohl leider! noch so wenig benutzten Zürchischen Ausgabe der Manessischen Sammlung von M i n n e s i n g e r n gezeigt, daß diese alte Schwäbische Sprache,
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selbst an Regelmäßigkeit, Biegsamkeit und Wohlklang, sehr wesentliche Vorzüge vor der Sprache des funfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts, ja selbst vor unsrer jetzigen gehabt habe? Kann man also nur so schlecht weg, ohne Unterschied und Einschränkung, sagen: daß sich die Schriftsprache des blühenden Zeitraums der Schwäbischen Kaiser bis gegen die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts i n i h r e m A n s e h e n e r h a l t e n habe? und ist nicht vielmehr, aus Vergleichung der teutschen Schriften des 15ten und 16ten Jahrhunderts mit den noch übrigen Dichtern aus Friedrich I. und Friedrich II. Zeiten, augenscheinlich, daß die Sprache nach der Mitte des 13ten Jahrhunderts von ihrer bereits erreichten Stufe der Verfeinerung, Ausbildung und Regelmäßigkeit wieder herabgesunken, und mit der wieder überhandnehmenden Barbarey und Zerrüttung des T. Reichs in Verfall gerathen sey? Es war mehr als S t i l l s t a n d ; es war würklicher A b f a l l . — Und da ein erweislicher w e s e n t l i c h e r Unterschied, in Absicht der Beugungs-Formen, Constructionen u. s. w. zwischen der Sprache der Minnesinger und der n e u e r n
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H o c h t e u t s c h e n wahrzunehmen ist; kann man mit genugsamem Grunde so schlechthin sagen, die Obersächsische Sprache des 16ten Jahrhunderts, habe i h r e ä l t r e S c h w e s t e r , d a s e h m a l i g e H o c h t e u t s c h (d. i. die Alt Schwäbische Sprache) w e i t h i n t e r s i c h g e l a s s e n ? II. Womit kann bewiesen werden, daß das südliche O b e r - S a c h s e n von der Mitte des 16ten Jahrhunderts bis zum Jahre 1760. d e r S i t z d e s g u t e n G e s c h m a c k s i n d e r t e u t s c h e n L i t t e r a t u r , und also auch d i e M u n d a r t d i e s e r P r o v i n z d i e ä c h t e H o c h t e u t s c h e S p r a c h e gewesen sey? Ich unterschreibe von ganzem Herzen alles was Hr. A. von den Verdiensten 10
des großen L u t h e r s um die teutsche Sprache sagt; — wiewohl Hr. A. selbst in der Lutherischen Bibel-Übersetzung soviel v e r a l t e t e s und O b e r - t e u t s c h e s (d. i. nach seinen Grundsätzen U n t e u t s c h e s ) findet, daß er derselben kein C l a s s i s c h e s A n s e h e n in unsrer Schriftsprache zugestehen kann. Aber wo sind dann die Ober-Sächsischen teutschen Schriftsteller vom ersten Rang im 17ten Jahrhundert? Waren unsre besten Dichter und Prosaisten derselben Zeiten, O p i t z , D a c h , F l e m m i n g , die G r y p h i u s s e , We r n i c k e , L o g a u , M o s c h e r o s c h ( P h i l a n d e r v o n S i t t e w a l d ) L o h e n s t e i n , u. a. vor allen aber der erhabne Verfasser der O c t a v i a u n d A r a m e n a , waren sie Ober-Sachsen? Ich sage nicht, daß irgend einer dieser Schriftsteller noch izt
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für c l a s s i s c h gelten könne; und es findet sich auch in Absicht des Geschmackes ein großer Unterschied unter ihnen. Aber wie will man erweisen, daß O p i t z unter den Dichtern, und H e r z o g A n t o n U l r i c h v o n B r a u n s c h w e i g unter den Prosaisten blos deswegen eine bessere Sprache habe als andre, weil sie d i e S p r a c h e d e r o b e r n C l a s s e n i n W i t t e n b e r g , M e i s s e n , L e i p z i g , D r e s d e n , u. s. w. studiert und zu ihrem Muster genommen? Die Schriftsprache des vorigen Jahrhunderts in Teutschland war ein wahres Babel; jeder schrieb was ihm recht däuchte. Die berühmte fruchtbringende Gesellschaft bestund aus Mitgliedern von sehr ungleicher Art aus allen Provinzen und Winkeln Teutschlandes. Ihre mannichfaltigen und unermüdeten
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Bemühungen verursachten eine G ä h r u n g in unsrer Sprache, wodurch zwar ihr ganzer Reichthum an Worten und Ausdrucks-Arten zu Tage kam, aber woraus auch der seltsamste Mischmasch von Schreibarten in der Litteratur überhaupt entstehen mußte. Jeder bildete sich seine Schriftsprache nach Maaßgabe seines Witzes, Gefühls, Geschmackes, und vornemlich der Alten oder Neuern, auswärtigen und einheimischen Muster, die er am meisten
Ü b e r d i e F r a g e : Wa s i s t H o c h t e u t s c h ?
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kannte und schäzte; wiewohl, natürlicher Weise, bey jedem die allgemeine überall verständliche teutsche Sprache, die Schriftsprache der teutschen Scribenten die vor ihm gelebt hatten und am meisten gelesen worden waren, zum Grunde lag. Niemand wird läugnen wollen, daß schon lange verstorbene Schriftsteller, die zu B e r l i n , D r e s d e n , H a l l e , L e i p z i g u. a. o. lebten, in der ersten Hälfte des gegenwärtigen Jahrhunderts einige Verdienste um die R e i n i g u n g der Sprache und des Geschmacks gehabt haben: aber verhoffentlich wird auch niemand, der die Geschichte der Fortschritte derselben kennt, läugnen wollen, daß Männer, welche größtentheils in H a m b u r g lebten, daß die H a m b u r g i s c h e P a t r i o t e n - G e s e l l s c h a f t zu dieser glüklichen Ver-
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änderung den ersten kräftigen Stoß gegeben haben. Was den Professor G o t t s c h e d in Leipzig betrift, wenn man gleich seiner betriebsamen Eitelkeit das Verdienst zugestehen muß, der teutschen Sprache und Litteratur einige Dienste geleistet zu haben, so ist doch gewiß, daß er als M u s t e r unter der Mittelmäßigkeit, als L e h r e r meistens ein bloßes Eccho französischer Kunstrichter, als A n f ü h r e r und H a u p t e i n e r P a r t h e y , der Beschützer, Aufmunterer und Lobredner aller Dunse seiner Zeit, und also, in keiner Betrachtung ein Mann war, auf den das t e u t s c h e A t h e n stolz zu seyn Ursache hat, noch (soviel ich weis) zu haben glaubt. Nicht der Bergbau in den Chursächsischen Landen, nicht die Manufacturen, die darinn blühen, noch die Leipziger-Messe,
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noch die Pracht der Höfe der Sächsischen Auguste, an welchen wahrlich wenig teutsch gesprochen und geschrieben wurde — sondern ein von diesem allem sehr unabhängiger Zusammenfluß von Umständen war die Ursache, daß sich zwischen den Jahren 1740 und 1760 eine Anzahl junger guter Köpfe in Leipzig zusammenfanden, welche, nach einem ziemlich öffentlichen Abfall von Gottscheden, dem damaligen Koryphäus des schlimmen Geschmackes oder vielmehr U n g e s c h m a c k e s , den Anfang machten, unsrer Litteratur eine bessere Gestalt zu geben, und sich durch Werke des Witzes und Geschmaks, die zum Theil mit dem Stempel des Genies bezeichnet waren, hervorzuthun. Aber die wenigsten von ihnen blieben in Leipzig; die meisten schlugen ihren Sitz in Niedersachsen auf; einige wurden sogar ausser Teutschland verschlagen. Der siebenjährige Krieg war hieran unschuldig; und sehr wahrscheinlich würde das teutsche Athen, auch ohne ihn, diese stolze Benennung weder mehr noch weniger verdient haben. III.) Sind es die g u t e n S c h r i f t s t e l l e r einer Nation, welche die Schrift-
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sprache derselben ausbilden, reinigen, polieren, und zum möglichsten Grade von Vollkommenheit bringen? Oder sind es die o b e r n C l a s s e n d e r E i n w o h n e r d e r b l ü h e n d s t e n P r o v i n z der Nation, die alles dies leisten und die allein dazu berechtiget sind? Bisher, wenn ich nicht sehr irre, hat man bey allen Völkern, die sich einer vorzüglichen Stufe von Cultur und Aufklärung rühmen können, das erste geglaubt. Ich will izt blos die Französische Sprache zum Beyspiel anführen. Diese befand sich ungefehr in eben dem Zustande, worinn sich die unsrige in der zweyten Hälfte des vorigen Jahrhunderts befand, als auf einmal in einem Zeitraum von dreißig bis vierzig Jahren eine 10
Veränderung mit derselben vorgieng, wodurch sie zu einer der vollkommensten, und zugleich zu der beliebtesten und allgemeinsten Sprache von Europa wurde. Wem eine so schnelle und große Veränderung zuzuschreiben sey, ist unter den Franzosen selbst keine Frage. Die ganze Nation ist nur Eine Stimme, sie nicht der Pracht des Hofes unter Ludwig XIV. nicht dem Weinbau, Seidenbau, den Manufacturen, und der Handlung, die damals in Frankreich blüheten, nicht dem Zusammenfluß glüklicher Umstände, welche sich zum glänzendsten Wohlstande des Französischen Reichs in der ersten Hälfte der Regierung jenes großen Königs vereinigten — sondern den A r n a u d , P a s c a l , B o u r d a l o u e , F e n e l o n , B o s s u e t , L a B r ü y e r e , u. a. unter den Prosa-
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isten, und den C o r n e i l l e , R a c i n e , M o l i e r e , B o i l e a u und L a F o n t a i n e unter den Dichtern, zuzuschreiben, welche sich, nach des Schiksals Schluß, zusammen fanden, und durch ihre Werke die goldne Epoke der französischen Litteratur hervorbrachten. Und wodurch wurden alle diese Männer die Classischen Schriftsteller ihres Volkes, und die Muster der besten Schreibart? Etwa dadurch, daß sie sich nach dem Geschmake der o b e r n C l a s s e n in Paris bildeten, und die Sprache s c h r i e b e n , welche jene r e d e t e n ? P a s c a l , dessen Lettres Provinciales biß auf diesen Tag für das v o l l k o m m e n s t e M u s t e r der schönsten französischen Sprache und Schreibart gelten, hatte von Jugend auf in einer großen Abgeschiedenheit gelebt, und zu seiner Zeit
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war die C l e l i e , der g r o ß e C y r u s und andre Werke dieser Art noch die Mode-Lecture der o b e r n C l a s s e n in Paris. Der große C o r n e i l l e war nichts weniger als was man einen Weltmann nennt; er lebte in seinem Cabinet und im Schooße seiner Familie; mit den hohen Charaktern und Idealen des alten Roms und Griechenlandes besser bekannt als mit dem Adel und dem vornehmen Bürgerstande zu Paris. Mit welchem Grunde sollte man also von
Ü b e r d i e F r a g e : Wa s i s t H o c h t e u t s c h ?
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diesen und den übrigen großen Schriftstellern der schönsten Zeit Ludwigs XIV. sagen können: daß sie den guten Geschmak, der ihnen vor ihren Vorgängern einen so großen Vorzug giebt, von ihren Zeitgenossen erhalten hätten? anstatt daß alle Welt bißher gerade das Gegentheil geglaubt hat. Freylich reden die ersten guten Schriftsteller eines Volks keine unerhörte selbst erfundne Sprache; und ihre vortreflichen Werke setzen voraus, daß die Sprache, schon durch eine Menge Stufen nach und nach zu einem großen Reichthum an Worten und Redensarten, und selbst zu einigem Grade von Ausbildung und Politur gekommen sey. Viele g u t e Schriftsteller mußten vorher an der Französischen Sprache gearbeitet haben, ehe sie von den B e s t e n der Vollkom-
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menheit nahe gebracht werden konnte. Aber wodurch thaten diese leztern es in allen Schrift-Arten ihren Vorgängern so sehr zuvor? Etwa dadurch, daß sie ihren Geschmak nach den obern Classen ihrer Nation, oder dadurch, daß sie ihn nach d e n b e s t e n M u s t e r n d e r A l t e n bildeten? Man braucht sie nur zu lesen, nur ihr eignes Geständniß zu hören, um von dem leztern überzeugt zu werden. Die C a l p r e n e d e n , die B o y e r s , P r a d o n s u. s. w. diese waren die Leute, die sich nach dem Geschmack ihres Publikums richteten, und dadurch die vergängliche Ehre eines augenbliklichen Beyfalls erschlichen: aber die C o r n e i l l e und R a c i n e schlugen einen ganz andern Weg ein; sie erhoben sich durch ihren mit der reinsten Blüthe Classischer Gelehrsamkeit genähr-
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ten Genie, durch einen Geschmak, den sie sowohl an den vollkommnen Mustern der Alten als an den fehlerhaften Werken ihrer Vorgänger und Zeitgenossen geschärft hatten, über den Geschmak ihres Publikums; wurden die Gesezgeber desselben, anstatt seine Sklaven zu seyn. Die Zeit, worinn alle diese großen Männer blühten, wurde also, nicht durch d i e A n s t a l t e n d e s d e s p o t i s c h e n R i c h e l i e u , sondern durch den Reiz der Werke, die mit dem Stempel des Genies, des ächten Witzes und des feinsten Geschmaks bezeichnet waren, die schönste Epoke der Französischen Sprache. Man muste so schreiben, wie die Urheber dieser Werke schrieben, wenn man gefallen wollte. Aber eben dadurch geschah es, daß die Sprache, was sie auf der einen Seite an Ve r f e i n e r u n g und R e g e l m ä s s i g k e i t gewann, auf der andern an R e i c h t h u m , und — indem man der Politur keine Grenzen sezte, endlich auch an S t ä r k e verlohr. Man fühlte endlich, daß auch die großen Schriftsteller aus Ludwig XIV. Zeiten der Nachwelt noch etwas zu thun übrig gelassen hatten. Mit immer zunehmender Aufklärung des Verstandes und Verfeinerung der
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Empfindung, mit dem Erwerb neuer, größerer, lichtvollerer Ideen, muß sich auch die Sprache erweitern und verändern. Die Pariser schrieen über N e o l o g i s m u s , und hatten nicht immer unrecht; aber der Mißbrauch der Nachahmer und Wizlinge konnte dem unverlierbaren Rechte der Schriftsteller von wahrem Genie und Talente nichts benehmen; und ein C r e b i l l o n (der Vater) ein M o n t e s q u i e u , ein B ü f f o n , musten eben dadurch, daß sie ihren Genie, ihre Gedanken und Empfindungen in die Sprache drükten, ihr öfters Formen geben die sie noch nicht gehabt hatte. Unstreitig hat dieses Recht, das alle aufgeklärte Völker von jeher ihren großen Schriftstellern eingestanden haben, 10
seine Grenzen: aber diese Grenzen werden vielmehr durch die N a t u r d e r S p r a c h e und durch die a l l g e m e i n e n G r u n d s ä t z e des r i c h t i g e n D e n k e n s und der g u t e n S c h r e i b a r t , als durch die Mundart der obern Classen in der blühendsten Provinz festgesezt. Wollte man dieser leztern die Kraft eines allgemeinen Gesetzes für die Schrift-Sprache beylegen: würde nicht eben daraus eine unaufhörliche und höchstwillkührliche Veränderung der Sprache natürlich folgen müssen? Der blühende Stand einzelner Provinzen ist eine sehr zufällige und wandelbare Sache. Vor sechzig Jahren war Hamburg das teutsche Athen; dreißig Jahre später war es Leipzig; warum sollte die Reihe nicht auch noch an Wien, München, Mannheim, Frankfurt, Nürnberg,
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Stuttgard u. s. w. kommen können? Und werden die o b e r n C l a s s e n in den verschiednen Provinzen, worinn diese Städte die Hauptstädte sind, alsdann nicht eben das Recht haben, die Schrift-Sprache oder das wahre, reine H o c h t e u t s c h e , festzusetzen, welches Hr. A. dem teutschen Athen von 1740 — 60 eingeräumt wissen will? — Ich muß mich sehr irren, oder es bleibt gegen die Babylonische Sprachverwirrung, die hieraus entstehen müßte, kein besseres Mittel, als es bey dem alten Grundsatze zu lassen: daß es d i e g u t e n S c h r i f t s t e l l e r sind, welche die wahre Schriftsprache eines Volkes bilden, und (so weit als die Natur einer l e b e n d e n und sich also n o t h w e n d i g immer verändernden Sprache zuläßt) b e f e s t i g e n .
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Dieses leztere, in so fern es jemals bey einer Sprache statt findet, kann vermöge der Natur der Sache, ganz allein durch die besten Schriftsteller in allen Fächern bewirkt werden. Sie allein sind dazu geschikt; denn ihre Werke b e s t e h e n : da hingegen die Volkssprache, auch bey den obern Classen der blühendsten Provinzen, wenigstens alle Viertel-Jahrhunderte allerley Veränderungen erleidet, und überhaupt einen immerwährenden Hang hat, unre-
Ü b e r d i e F r a g e : Wa s i s t H o c h t e u t s c h ?
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gelmässig zu werden und sich zu verderben. Aber, wenn es wahr ist, daß jede lebende Sprache so vollkommen sie auch seyn mag, niemals für g a n z v o l l e n d e t angesehen werden kann, so lange noch ein höherer Grad von Aufklärung und Politur bey der Nation möglich ist, so lange noch neue Ideen erworben, neue Empfindungen entwickelt, neue Schattirungen (nuances) der einen und andern gemacht werden, und also hierzu entweder neue Wörter, oder neue Redensarten ungewöhnliche Metaphern, Figuren und Constructionen nöthig seyn können: um wie vielmehr muß IV.) Alles dies nöthig seyn, wenn eine Sprache noch kaum vor wenig Jahrzehenden m i t G e s c h m a k geschrieben zu werden a n g e f a n g e n h a t , wenn
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ihre schöne Litteratur erst noch im Wa c h s e n b e g r i f f e n i s t , und wenn es ihr noch in verschiednen wichtigen Fächern an einer hinlänglichen Anzahl wahrer M e i s t e r s t ü c k e f e h l t ? Es scheinet schon unschiklich genug (um nichts stärkers zu sagen) die Sprache einer der ersten Nationen des Erdbodens in die Schranken der Aufklärung, des Witzes und des Geschmaks einer einzigen kleinen Provinz, und des kleinen Zeitraums, worinn diese sich einiger wirklicher Vorzüge vor den übrigen rühmen konnte, einschließen zu wollen: aber wie unfüglich wird dies Unternehmen erst dadurch, wenn erweislich ist, daß die Litteratur der Nation in dem engen Zeit-Raum von zwanzig Jahren, binnen welchem man ihre Sprache durch eine einzige Provinz auf ewig fixirt
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wissen will, von ihrer höchsten Stufe noch weit entfernt war, und nur noch in wenigen Fächern solche Meisterwerke, die auch von Ausländern, auch von der Nachwelt dafür erkannt werden können, hervorgebracht hatte. Daß dies der Fall unsrer Sprache sey, braucht wohl bey unpartheyischen Schätzern unsrer Litteratur keines andern Beweises, als eines hellen Bliks auf ihren Zustand in den Jahren von 1740 — 60, und auf die Früchte des Witzes und Geschmaks, womit uns der Südlich-Sächsische Boden in diesem Zeitraum beschenkte. Ich bin weiter als vielleicht manche die izt mitten in Sachsen leben, von dem Gedanken entfernt, vielen dieser Früchte ihre Schönheit und ihren guten Geschmak absprechen zu wollen: aber ich müßte auch keinen Begriff von dem haben, was andere Nationen in diesem Stücke geleistet haben, was uns damals noch fehlte, was uns zum Theil noch izt fehlt, und was unsre Litteratur noch werden kann und muß, um mit der Litteratur anderer Völker auf gleichem Fuße zu stehen, wenn ich eingestehen wollte, daß der Zeitraum, in welchen Hr. A. den guten Geschmak unsrer Schrift-Sprache einschließt, das non plus
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ultra der Vollkommenheit derselben sey. Das Maas von Genie, Wiz, Gefühl, Wissenschaft, Weltkenntniß und Geschmak, welches den Ober-Sächsischen Schriftstellern jenes Zeitraums zu theil worden war, ist doch wohl nicht das größte, das sich denken läßt? Und wenn dies nicht ist: mit welchem Recht könnte ein Schriftsteller (wenn sich jemals ein solcher fände) der mehr von allen jenen Geistes-Kräften und Eigenschaften als irgend ein Ober-Sächsischer Schriftsteller von 1740 — 60, und also das Vermögen besäße, sie in vielen Stücken zu übertreffen, mit welchem Rechte könnte er angehalten werden, seinen Geist in ein Maas, das für ihn zu klein wäre, einzwängen zu lassen, und 10
ein bloßer Nachahmer zu bleiben, wenn er sich fähig fühlte, Original zu seyn? Und die Sprache des Dichters, des Geschichtschreibers, des Philosophen, der mehr als ein bloßer Nachhall seiner Vorgänger seyn will, auf die Volks-Sprache einer einzelnen Provinz, auf die Schrift-Sprache einer kleinen Anzahl von Autoren in einem Zeitraum, wo die Litteratur nur erst zu blühen a n f i e n g , einschränken, — heißt dies nicht dem Fortgang der Litteratur selbst, der gewissermaßen ohne Grenzen ist, die engesten Schranken setzen? Ich sage nicht, daß es nicht auch in der S p r a c h e gewisse Grenzlinien gebe, welche theils durch die Natur derselben, theils durch die Grundgesetze der Logik und Ästhetik gezogen werden, und über welche auch der größte, feurig-
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ste und freyeste Genie nicht hinausschweifen darf, ohne sich gerechten Tadel zuzuziehen. Auch begehre ich nicht zu läugnen, daß einige sogar vortrefliche Schriftsteller (von denen, die seit 1760 sich hervorgethan haben) zuweilen über diese Grenzen w e g g e f l o g e n oder auch w e g g e s c h l e n d e r t sind; und daß theils das servum pecus der Nachahmer, theils verschiedne A s p i r a n t e n von noch ungebändigten Genie, denen es bey großen Fähigkeiten noch stark an Gelehrsamkeit, Geschmak, Welterfahrung, und besonders an Sprachkenntnissen mangelt — auf B e y s p i e l e , die keine M u s t e r seyn dürfen sich steiffend — sich Freyheiten sowohl gegen d i e g e s u n d e Ve r n u n f t als gegen d i e t e u t s c h e Sprachlehre und die Gesetze der guten Schreibart erlaubt ha-
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ben, die auf keine Weise zu rechtfertigen sind. Aber ich behaupte, so lange biß ich des Gegentheils durch überwiegende Gründe überzeugt werde, a) daß die Hochteutsche Schrift-Sprache oder die Frage, was ist Hochteutsch? sich nicht durch die Mundart irgend einer blühenden Provinz, sondern ganz allein aus den Werken der besten Schriftsteller bestimmen lasse; b) daß hievon auch die Schriftsteller des 16ten und 17ten Jahrhunderts nicht ausgeschlossen werden
Ü b e r d i e F r a g e : Wa s i s t H o c h t e u t s c h ?
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dürfen; c) daß die Zeit noch nicht gekommen sey, wo die Anzahl der Autoren, welche den ganzen Reichthum unsrer Schrift-Sprache enthalten, für beschlossen angenommen werden könnte: und daß d) biß dahin die ältern Dialekte noch immer als gemeines Gut und Eigenthum der ächten teutschen Sprache, und als eine Art von Fundgruben anzusehen seyen, aus welchen man den Bedürfnissen der allgemeinen Schrift-Sprache, in Fällen, wo es vonnöthen ist, zu Hülfe kommen könne. Einige Anmerkungen, die ich über die Folgerungen, welche Hr. A. (S. 25. u. f.) aus seinem Grundsatze zieht, zu machen habe, werden ein noch helleres Licht über diese Sätze verbreiten, und es also dem Leser, der seine Parthie nicht schon zum voraus genommen hat, desto leichter machen, über ihre Richtigkeit zu urtheilen. Da ich diese Anmerkungen nicht enge genug zusammenziehen kann, um ihnen noch in diesem Stücke des M. Plaz zu verschaffen: so bitte ich um Erlaubniß, sie auf das nächste Stück aufzubehalten.
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Beschluß des Versuchs über die Frage: Wa s i s t H o c h t e u t s c h ? (S. den T. M. vom vorhergehenden Monat S. 145.)
An den H. des T. M. Unter allen Europäischen Nationen sind wir (meines Wissens) die einzige, bey der es noch die Frage ist, welches ihre Schriftsprache sey? Die Ausländer, welche, durch den Ruhm unsrer neuern Schriftsteller verleitet, sich von dem blühenden Zustand unsrer Litteratur eine große Vorstellung gemacht haben, werden auf einmal sehr viel von dieser hohen Meynung nachlassen müssen, 10
und zulezt gar nicht wissen, was sie von uns denken sollen, wenn sie hören, daß einer unsrer angesehensten Sprachgelehrten die Frage: w a s i s t H o c h t e u t s c h ? mitten im Jahre 1782. aufzuwerfen nicht nur nöthig gefunden, sondern sie auch auf eine Art beantwortet hat, wodurch er mit allen teutschen Provinzen, außer Chur-Sachsen, und also wenigstens mit N e u n Z e h n t h e i l e n der Nation (nach seinem eignen Ausdruk) es v ö l l i g z u v e r d e r b e n besorgen mußte. Das Übel ist indessen bey weitem nicht so schlimm als es scheint; und so wie die Teutschen noch immer sehr gut gewußt haben, wer ihre besten Dichter und Prosaisten sind: so werden auch die Ausländer, die unsre Sprache lernen, in Ermanglung eines t e u t s c h e n A t h e n s (welches
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wohl, wenn wirs genau nehmen wollen, erst noch gebaut werden soll) sich, neben Herrn Adelungs Wörterbuch und vortreflichen Sprachlehrbüchern, an diejenigen Schriftsteller halten, für welche die allgemeine Stimme des Publikums sich erklärt hat; und wenn in diesen auch zuweilen Wörter oder Redensarten vorkämen, die bey Herrn Adelung vergebens gesucht würden: so werden sie sich durch F r i s c h e n s Teutsch-Lateinisches oder S c h w a n s Teutsch-Französisches Wörterbuch schon zu helfen wissen. Wie es indessen, aus den Gründen die ich in meinem vorigen Aufsaz über diese Frage beygebracht, den Anschein gewinnen möchte, als ob Hr. A . die R e i n h e i t der Hochteutschen Sprache zu sehr auf Unkosten ihres U m f a n g s
B e s c h l u ß d e s Ve r s u c h s ü b e r d i e F r a g e
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und R e i c h t h u m s zu erhalten suche: so ist hingegen auch nicht zu läugnen, daß das servum pecus der Nachahmer, und eine Menge junger Scribenten in Ober-Teutschland, vielleicht auch manche in Ober- und Niedersachsen, auf der andern Seite ausschweiffen. Viele, um die R i c h t i g k e i t der Sprache gänzlich unbekümmert, schämen sich nicht, beynahe auf allen Blättern ihrer Schriften Sprach-Schnitzer zu begehen, die nur dem unerzogensten Theile des Pöbels zu verzeihen sind. Andre scheinen, ich weiß nicht aus welchem unzeitigen Provinzial-Patriotismus, sichs recht geflissentlich zur Pflicht gemacht zu haben, ohne alle Noth, und ohne das mindeste dadurch für den Nachdruk oder die Naivität oder irgend eine andre Erforderniß ihres Styls dadurch zu
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gewinnen, veraltete, oder Provinzial-Wörter, die dem grösten Theile der Nation unverständlich sind, oder niedrige Sprecharten, die man selbst an dem Geburtsort des Autors nur im Munde des gemeinsten Volkes findet, in ihre Schrift-Sprache einzumengen. Die Nachlässigkeit der einen, und der Unfug der andern geht wirklich so weit, daß michs nicht wundert, wenn einem Manne, der den besten Theil seines Lebens mit philosophischer und kritischer Erforschung unsrer edeln Sprache zugebracht hat, alle Geduld dabey ausgeht. Indessen scheint es doch, daß wir wenig Ursache haben uns die Furcht, daß derselben viel Nachtheil daraus erwachsen werde, beunruhigen zu lassen. Die Scribenten die ihre eigene Sprache nicht zu schreiben wissen, sind doch wohl
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nur e l e n d e S c r i b e n t e n ; sie leben einen Tag, und verschwinden wieder, ohne daß in dem Gehirn ihrer Leser mehr Spuren von ihrem kurzen Daseyn zurükbleiben als in den Jahrbüchern der Litteratur. Ihre Sprachschnitzer, ihre grammatikalische Unreinlichkeit, ihr ekelhafter Mischmasch von Dialekten, wird schwehrlich jemand an dem etwas gelegen ist, verführen können. Aber R e g e l n , die einen Gelehrten von Ansehen und Einfluß zum Urheber haben, wenn sie auf eine willkührliche Beschränkung guter Schriftsteller und besonders eine mit der Natur der Dichtkunst unverträgliche Verengung der Dichter-Sprache abzielen, könnten in mehr als Einer Rüksicht von nachtheiligern Folgen seyn. Ich irre mich vielleicht, aber wenigstens hat es nicht das Ansehen, als ob unser verdienstvoller Sprachforscher die gebührenden Vorrechte der D i c h t e r - S p r a c h e , welche doch auch unter der allgemeinen Rubrik S c h r i f t - S p r a c h e begriffen ist, jemals hinlänglich genug in Erwägung genommen habe. Was vielleicht noch nicht geschehen ist, kann künftig geschehen. Das Magazin der T. Sprache giebt dem Hrn. A. hiezu die beste Ge-
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legenheit; und die Sache scheint einer gründlichen Untersuchung um so mehr zu bedürfen: da die besagten Vorrechte zwar von jeher, bey uns Teutschen, wie bey den meisten kultivirten Völkern, *) stillschweigend anerkannt, aber doch (so viel ich weiß) nie in das gehörige Licht gesezt, und dergestalt bestimmt worden sind, daß zu Verhütung aller zwischen Dichtern und Kunstrichtern öfters daher entstehenden Collisionen so genau als möglich festgesezt wäre, wie weit j e n e gehen und wo d i e s e den Schlagbaum vorziehen dürften. Es würde mir übel anstehen mit einer solchen Arbeit einem Dichter wie Sie und einem Kunstrichter wie Hr. A. vorgreiffen zu wollen: indessen, da ich nun 10
einmal unternommen habe, meine Einwendungen gegen die Lehrsätze des leztern die Hochteutsche Sprache betreffend, öffentlich vorzubringen: so kann dasjenige, was ich noch bey seinen F o l g e r u n g e n zu erinnern habe, vielleicht die gute Wirkung thun, ihn zu bewegen, diese Materie in nähere Betrachtung zu ziehen, einige seiner gegebenen Regeln genauer zu bestimmen, und ohne das noch immer schwankende königliche Vorrecht der Dichter, welches von den meisten allzuwillkührlich gebraucht und sehr oft über die Gebühr ausgedehnt wird, in seine gehörige Schranken zu setzen. Doch, ehe wir dahin kommen, sey mir erlaubt noch die erste F o l g e r u n g des Hrn. A. etwas näher zu beleuchten.
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I. „Jede Schrift-Sprache im weitesten Verstande des Wortes, mit Einschluß der gesellschaftlichen Sprache der obern Classen, ist allemal die Mundart der blühendsten und ausgebildetsten Provinz, wo der gute Geschmak am meisten und allgemeinsten verbreitet ist. Folglich ist es die Hochteutsche auch“ — sagt Hr. A. auf der 25sten S. seiner Abhandlung w a s i s t H o c h t e u t s c h ? Mir däucht, dies sey nicht sowohl eine F o l g e r u n g aus seinen vorhergehenden Behauptungen, als die erste und einzige Grundlage derselben. Wie dem aber auch seyn mag, so wird dieser Saz schon durch diesen einzigen Umstand widerlegt, daß der blühende Zustand einer Stadt oder Provinz (denn es giebt einzelne Städte, die in dieser Betrachtung mancher ansehnlichen Pro-
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vinz den Vorzug streittig machen) e i n e z u f ä l l i g e u n d v o r ü b e r g e h e n d e S a c h e i s t . In einem Umfang von etlichen Jahrhunderten kann die Reihe nach und nach an jeden Kreis des Teutschen Reiches kommen, und so müste *)
Die Franzosen ausgenommen, die den Dichter-Styl beynahe blos auf gereimte Prose einge-
schränkt haben.
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sich, diesem Grundsaz zu Folge, unsre Schrift-Sprache noch oft verändern. Auch möchte die Frage: welches seit fünf und zwanzig Jahren die blühendste Stadt oder Provinz in Teutschland gewesen sey, ohne Partheylichkeit so leicht nicht zu entscheiden, und, weil die rationes dubitandi et decidendi unendliche Untersuchungen, Abmessungen, Abwägungen und Berechnungen zu erfordern scheinen, wohl in die Classe der P r o c e s s e o h n e E n d e zu verweisen seyn. Wenn Volksmenge, Kunstfleiß, Handlung, Schiffarth, Wohlstand, Reichthum, Pracht, Gelehrsamkeit, (und warum nicht auch F r e y h e i t , die große Springfeder des Wohlstandes von A t h e n , R o m und F l o r e n z , auf deren Beyspiel Hr. A. sich so oft bezieht?) mit Einem Worte, wenn der blühendeste
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Zustand einer Stadt ihre Mundart zur Schrift-Sprache der ganzen Nation machen soll: welche Teutsche Stadt hätte in unserm Jahrhundert einen gegründetern Anspruch an diese Ehre zu machen als H a m b u r g ? — Oder (wenn ja die Vortheile eines g r o ß e n H o f e s in diesem Puncte die Vortheile der Freyheit zu Boden wägen sollen) warum sollte nicht die Mundart von B e r l i n die Gesezgeberin der Hochteutschen Sprache seyn? Und wie lange wird es noch währen, bis keine teutsche Provinz der Ö s t e r r e i c h i s c h e n an allen Ursachen und Wirkungen des blühendsten Wohlstandes den Vorrang wird streitig machen können? Was die Welt nur bloß seit zwey Jahren mit Erstaunen gesehen hat, läßt unter einem Beherrscher wie Joseph II. das Größeste und Voll-
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kommenste erwarten. Nach dem obigen Grundsatze wird also, aller Wahrscheinlichkeit nach, im Jahre 1800 die Österreichische Mundart — freylich um einige Grade verfeinert, aber doch noch immer Österreichische Mundart — die teutsche Schrift-Sprache seyn, und die S o n n e n f e l s und D e n i s , die ihre Schrift-Sprache nach Ober-Sächsischen Mustern gebildet haben, wären dann (zu ihrem eignen Nachtheil) zu voreilig gewesen. Dafür wird es aber auch ihnen, (ne vous deplaise!) und allen übrigen Schriftstellern, auf welche die Nation seit vierzig Jahren stolz gewesen ist, nicht besser ergehen als den alten M i n n e s i n g e r n , deren Sprache vor sechshundert Jahren die H o c h t e u t s c h e Schrift-Sprache war — weil Schwaben damals die blühendste Provinz des Reichs ausmachte. Sie werden in wenig Jahrhunderten für unsre Nachkommen seyn, was izt das Liet der Niebelungen für u n s ist. Vergebens könnten sie sich damit trösten wollen, daß gleichwohl (nach Hrn. A. mehrmaliger Behauptung) jede Schrift-Sprache e i n We r k d e s G e s c h m a c k e s sey. Der Geschmak, der hier gemeynt ist, ist eine eben so wandelbare Sache als der
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Wohlstand. Er hängt von der Ve r f e i n e r u n g d e r o b e r n C l a s s e n ab — und was kann wohl unbestimmters und wandelbarers seyn als die Verfeinerung der obern Classen? Vor lauter Verfeinerung der obern und untern Classen in P a r i s würde die französische Sprache schon lange einem wieder ins Leben zurükkehrenden Schriftsteller aus Ludwigs XIV. b l ü h e n d e n Z e i t e n unverständlich seyn: wenn nicht noch immer Leute von Talenten gewesen wären, die sich dem Strome der Verfeinerung entgegengestellt und ihre eigne Sprache und Schreibart, der Mode zu trotz, nach den Mustern jener bereits veralteten Zeiten gebildet hätten. Dieß kann nun freylich bey den Franzosen statt finden, 10
bey denen es (wenigstens noch bißher) eine angenommene Sache ist: daß die reine französische Schrift-Sprache a u s d e n We r k e n d e r b e s t e n S c h r i f t s t e l l e r d e s J a h r h u n d e r t s v o n L u d w i g X I V . und derer, die sich in der Folge nach jenen gebildet, geschöpft werden müsse. Aber wenn bey uns Teutschen zum Grundsaz angenommen würde, die Mundart der höhern Classen in der blühendsten Provinz müsse entscheiden, w a s H o c h t e u t s c h s e y : so würde nichts in der Welt jene furchtbare Verwandlung unsrer Sprache, die ich im Geiste vorher sehe, verhindern können. Zwar sagt Hr. A. mit gutem Grunde: „so wie sich der Geschmak in einer Provinz verfeinert, so wird d i e s c h o n v o r h a n d e n e S c h r i f t - S p r a c h e nach und nach die Gesellschafts-Sprache
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der obern Classen“ *) — und dies könnte unsern nach Unsterblichkeit dürstenden Schriftstellern noch einige Hofnung machen. Aber diese Hofnung wird leider durch das unmittelbar folgende sogleich wieder zu Boden geschlagen. Die schon vorhandene Schrift-Sprache nehmlich wird in den besagten obern Classen „ n a c h d e m M a a ß e d e s s t e i g e n d e n G e s c h m a k s u n d Wo h l s t a n d e s v e r f e i n e r t , und nach dieser Verfeinerung denn auch als SchriftSprache von den übrigen Provinzen angenommen“ u. s. w. Da der Wohlstand und Geschmak der obern Classen ohne Ende steigen können: so hat folglich auch die Verfeinerung der Sprache keine Grenzen; und da nichts willkührlicher ist als der Geschmak der Vornehmsten und Reichsten: so ist auch nichts
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willkührlicher als die Art wie sie in Verfeinerung der Sprache zu Werke gehen. Es geht damit wie mit dem was in Kleidung, Putz, Bijoux, Hausgeräthe und dergleichen, M o d e ist; und das Beyspiel unsrer Nachbarn jenseits des Rheins *)
Und welche andre hauptsächliche Ursache läßt sich davon angeben, als das Lesen der besten
Bücher die in dieser Schrift-Sprache geschrieben sind?
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sezt dieß ins helleste Licht. Immerhin mag also das künftige Ö s t e r r e i c h i s c h e H o c h t e u t s c h e auf die izt vorhandne Ober-Sächsische Schrift-Sprache gepfropft seyn: es wird nicht nur immer etwas vom Geschmak des wilden Stammes zurükbleiben; sondern dieses neue Hochteutsch wird auch durch die unzähliche Stufen von Verfeinerung, durch welche es der Geschmak der obern Classen in Wien, Prag, Linz, Clagenfurt, u. s. w. nach und nach hindurch führen wird, so lange modificiret werden: biß unser jetziges Hochteutsch, zu dem was in zweyhundert Jahren diesen Ehrennahmen tragen mag, sich verhalten wird, wie das Hochteutsch in K a y s e r s b e r g e r s Postille zu dem in R a b n e r s Satyrischer Schriften. — Ich gestehe, daß ich beynahe lieber in mei-
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ne sehenden Augen ein Mißtrauen setzen, als glauben möchte, ein so einsichtsvoller Mann, wie der mit dem ich es hier zu thun habe, sollte diese Unbequemlichkeiten seiner Hypothese nicht so gut als irgend jemand gesehen haben. Indessen stehen seine dürren Worte sichtbar da; und so angenehm es mir seyn wird, belehrt zu werden, daß sie einen bessern Sinn zulassen, so unmöglich ist mirs, vor der Hand einen andern darinn zu finden. II. Nur noch ein Wort über die o b e r n C l a s s e n im S ü d l i c h e n C h u r S a c h s e n , auf deren Mundart und Geschmak Hr. A. das ächte Hochteutsch einschränkt. „Wem noch einige Zweifel übrig bleiben sollten, daß unsre höhere Schrift- und Gesellschafts-Sprache in dem südlichen Chur-Sachsen ein-
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heimisch ist, d e r k o m m e u n d ü b e r z e u g e s i c h d u r c h d e n A u g e n s c h e i n . In keiner Provinz Teutschlandes wird sie so allgemein, und i n d e n S t ä d t e n s e l b s t i n d e n u n t e r s t e n C l a s s e n gesprochen, daher sie hier wohl nicht ein Fremdling seyn kann.“ — Ich wage es abermal kaum meinen Augen zu trauen. Die Sprache die im südlichen Chur-Sachsen gesprochen wird, ist, nach Hrn. A. Behauptung, das wahre Hochteutsch; und ist es, ebenfalls nach seiner Behauptung, aus keinem andern Grunde, als weil dieser kleine Theil von Teutschland die blühendste Provinz desselben ist, und weil der gute Geschmak schon vorlängst seinen Siz darinn aufgeschlagen hat — und falls jemand daran zweifeln wollte, so soll er kommen und sehen — und was? — daß man in Chur-Sachsen — Chur-Sächsisch spricht. Allerdings wird er dieß sehen, oder vielmehr hören; aber wird er auch sehen, daß die Mundart, die er dort in den obern und untern Classen von d e n M e i s t e n sprechen hören wird, unsere höhere Schrift- und Gesellschafts- Sprache sey? — Dieß ists eben was zu erweisen war.
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Daß man in Chur-Sachsen von dem g r o ß e n H a u f f e n (d. i. bey weitem von der größern Anzahl) in den u n t e r n C l a s s e n B e e n e und K l e e d e r und k o r s c h a m e D i e n e r , soviel man nur will, zu hören bekomme, und daß eben dieser große Hauffe, unrein, und oft a f f e c t i r t s p r e c h e , seine P r o v i n z i a l - A u s d r ü c k e habe u. s. f. das gesteht Hr. A. selbst in seiner zweyten Abhandlung S. 34. und 37. willig ein. Allein d i e o b e r n C l a s s e n ! — „ d i e m ü ß te man gar nicht kennen, wenn man ihnen dergleichen zur Last l e g e n w o l l t e . “ — Aber was für eine Rangordnung sollen wir zu Hülfe nehmen, um die unbestimmten und unbestimmbarn Wörter o b e r n und u n 10
t e r n Classen, rechts ins Klare zu setzen? wo fangen d i e s e an, und wo hören jene auf? — Schreiber dieses hat viele Gelegenheit gehabt Chur-Sächsischen Herren und Damen, die ganz zuverläßig in die o b e r s t e n Classen gehörten, zu sprechen, — und unglüklicher Weise mußte er immer auf solche treffen, welche eine Ausnahme von Hrn. A. Versicherung machten, und (von den B e e n e n und k o r s c h a m e n D i e n e r n nichts zu sagen) so viel ProvinzialAusdrücke in ihre Sprache mischten, als die Personen ihres Standes g r ö s t e n t h e i l s in allen übrigen teutschen Provinzen zu thun pflegen. Personen, welche viele Jahre zu Dresden oder überhaupt in Chur-Sachsen gelebt haben, versichern ihn, daß es ihnen eben so gegangen sey. Also nicht diejenige, welche
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unrichtig und provinzialisch sprechen, sondern diejenige, die immer reines ächtes Hochteutsch reden, sind für Ausnahmen zu halten: und das leztere wird meines Wissens nirgends in ganz Teutschland von den o b e r n C l a s s e n durchgehends völlig rein und richtig gesprochen — ja, nach unsrer dermaligen Verfassung, kann es auch nicht wohl anders seyn, so seltsam dieses in den Ohren eines Ausländers klingen muß. Was ich hier sage, gilt ganz besonders von den meisten Personen der o b e r s t e n C l a s s e n . Diese lernen ihr Teutsch gröstentheils von Wärterinnen, Cammerfrauen, Bedienten u. dergl. und wie wenig noch bis auf diesen Tag bey Erziehung der vornehmen Jugend, in Sachsen wie im übrigen grösten Theile
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von Teutschland, darauf gesehen werde, sie ihre Muttersprache rein und richtig sprechen und schreiben zu lernen, ist eine weltkundige Sache. Teutsch, denkt man, lernt sich, soviel man dessen vonnöthen hat, von selbst. Das Französische hingegen, welches (wenn sich die Sachen nicht seit etlichen Wochen geändert haben) beynahe an allen teutschen Höfen und in allen Gesellschaften der obersten Classen die eigentliche H o f - und G e s e l l s c h a f t s - S p r a c h e
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ist, muß mit Fleiß erlernt, und wenigstens im Sprechen zum möglichsten Grade der Fertigkeit und Richtigkeit gebracht werden. Da die Grenzen zwischen a, b, c, d, in den obern Classen sehr schwankend sind, und d sich so eng als möglich an c, c an b, und b an a andrükt: so ist es sehr wahrscheinlich, daß es, in Residenz-Städten wenigstens, auch in den Classen die zunächst an die obersten grenzen, nicht viel besser mit der teutschen Sprache stehen werde. Eine genaue Untersuchung der Sache ist schwehr wo nicht gar unmöglich. Aber wenn auch dabey auf die unwidersprechlichste Art herauskäme, daß in einigen Chursächsischen Städten eine Mundart herrsche, die der dermaligen Hochteutschen Schrift-Sprache weit näher komme als die Mundart irgend
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einer andern Provinz: so würde damit noch lange nicht bewiesen seyn, was Hr. A. beweisen will; wie ich in meinem vorigen bereits hinlänglich gezeigt zu haben glaube. Im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert dachte noch niemand daran H o c h t e u t s c h und S ü d l i c h - C h u r s ä c h s i s c h für gleichbedeutende Dinge zu nehmen. Die meisten der beliebtesten teutschen Schriftsteller dieser Jahrhunderte waren keine Chursachsen; und die Luthersche Bibelübersetzung selbst, welche sonst immer ein Classisches Ansehen in dem protestantischen Teutschlande behauptete, wird von Hrn. A. in seinem Wörterbuche unzähliger theils O b e r - Te u t s c h e r , theils i n C h u r - S a c h s e n v e r a l t e t e r R e d e n s a r t e n überwiesen. Auch die besten und beliebtesten
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teutschen Schriftsteller dieses Jahrhunderts, bis auf die Zeit da die G o t t s c h e d i s c h e S c h u l e emporkam, waren keine Chur-Sachsen. — Im Gegentheil wird sehr leicht zu erweisen seyn, daß es gröstentheils Chur- und Obersächsische Bücherschreiber waren, die den unausstehlichen Unfug, der mit Einmischung Lateinischer, Französischer und Italiänischer Wörter getrieben wurde, am meisten beförderten; so wie es nachmals meistens Chur-Sachsen von G o t t s c h e d s Z u c h t waren, die, um die Sprache theils von dem ausländischen Unrath theils von dem sogenannten L o h e n s t e i n i s c h e n , M i l t o n i s c h - B o d m e r i s c h e n und H a l l e r i s c h e n S c h w u l s t zu reinigen, eine so geschmaklose und unkräftige Wasserbrühe daraus machten, daß sie weder zu Poesie noch Prose mehr zu gebrauchen war. Die Wenigen, die sich heutzutage der längstvergeßnen Gottschedischen Litterar-Geschichte und der unartigen Streitigkeiten dieses Erz-Dunsen seiner Zeit mit den Schweizerischen Gelehrten B r e i t i n g e r , B o d m e r u. s. w. noch erinnern, wissen gar wohl, daß es Gottsched und seine e r s t e eigentliche Schule war, die nichts für Hoch-
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teutsch gelten lassen wollten, wenn es nicht solches teutsch war, das alle Ladendiener und Jungemägde in Leipzig verstunden und sprachen; daß, nach der Schätzung dieses Mannes (den man neuerlich so unverdienter Weise wieder zum großen Wiederhersteller der teutschen Sprache machen will) Schwarzens A e n e i s und Schönaichs H e r m a n n Meisterstücke der teutschen Sprache, und ein ganzer Troß von Poetischen und prosaischen D u n s e n , deren Nahmen und Werke kein Mensch mehr kennt, die großen Lichter unsrer Litteratur — hingegen Haller, Bodmer, Kleist, Klopstok, Ramler, Leßing, u. s. w. Sprachverderber und Unsinn-Schreiber hießen; und daß, wenn es ihm mög10
lich gewesen wäre, unsre Litteratur auf dem Grade von Geschmaklosigkeit und B a t h o s zu erhalten, wozu er sie heruntergebracht hatte, wir mit einer ziemlichen reinen Chur-Sächsischen Mundart, (so gut wenigstens als im Jahr 1740 von obern und untern Classen in Leipzig gesprochen wurde) eine Litteratur hätten, um die uns gewiß keine Nation biß ans Ende der Welt beneiden würde. Die Rede ist hier bloß von der Frage, w a s i s t H o c h t e u t s c h ; und ich glaube nicht, daß irgend eine teutsche Stadt, so viele Vorzüge sie auch haben mag, Complimente auf Unkosten aller übrigen von mir erwarten wird. Ich sehe leicht voraus, daß Hr. A. (vermuthlich ganz wider seine Absicht) dem
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übelverstandnen Patriotismus in allen teutschen Provinzen einen großen Tummelplaz eröfnet hat: und, sehr wahrscheinlich, wird die Sache in kurzem (wie es bey dergleichen Volks-Händeln der gewöhnliche Lauf ist) mit — stipitibus duris sudibusque praeustis
ausgemacht werden. Aber, was ich gewiß weiß, ist, daß Hr. Adelung, so wenig als ich, Lust haben wird, sich in Fehden von so handfester Art einzulassen. Ich meines Ortes bin weit davon entfernt, einer der vornehmsten teutschen Städte, die sowohl in Ansehung ihrer weitausgebreiteten Handlung und ihres von seiner Stiftung an biß auf diesen Tag weltberühmten Musen-Sitzes, als wegen der Cultur, Politesse und feinen Lebensart ihrer Einwohner schon lange eine 30
Zierde Teutschlandes ist, das mindeste von ihren Vorzügen und Verdiensten streitig zu machen. Wer wird ihr den Ruhm mißgönnen, eine unter den Städten zu seyn, wo unsre Sprache am schönsten gesprochen wird? Aber keiner ihrer Patrioten, so eyfersüchtig er auch über ihren Ruhm seyn mag, kann sich
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beleidigt finden, wenn ich ihr ein Vorrecht abspreche, das ich keiner andern Stadt in Teutschland zugestehen würde. III. Die Sprache ist eine Tochter des Bedürfnisses und ein Pflegekind der Geselligkeit; ihre Bildung und Bereicherung das Werk der Zeit; ihre Verschönerung die Arbeit des Geschmaks, und zu ihrer höchsten Vervollkomnung müssen alle Musen vereinigt helfen. Die Schriftsprache einer großen Nation, die aus dem Stande der rohen Natur durch alle Grade der Barbarey sich langsam, und bloß durch Nachahmung andrer, zu immer höhern Stufen von Cultur emporhebt, hat eine Reyhe von Jahrhunderten nöthig, bis sie nur zu einigem Grade von Vollkommenheit ausgearbeitet ist. Eine Menge gün-
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stiger Umstände, wie Hr. A. sehr richtig behauptet, müssen sich hiezu vereinigen. Indessen sind und bleiben es doch ihre G e l e h r t e n , und unter ihren Gelehrten, die Schriftsteller von Genie, Talenten und Geschmak, ihre Dichter, Redner, Geschichtschreiber, und populare Philosophen, die zu ihrer Bereicherung Ausbildung und Polirung das Meiste beytragen; und diese Männer finden sich durch alle Provinzen der Nation verstreut. Der Geschmak ist, so wenig als Verstand und Witz, an eine Hauptstadt, oder an die blühendste Provinz gebunden. Die Anlage dazu, das feinste Gefühl der Seele, ist ein freyes Geschenk der Natur: Die Entwiklung und Ausbildung, ein Werk glüklicher Umstände, vortreflicher Muster, und eines langwierigen Studiums. Alles dies
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kann sich in irgend einem unbekannten Winkel beysammen finden; und ein Schriftsteller kann aus der verborgensten Einsamkeit mit einem richtigern Geschmack hervorgehen, als er mitten in der feinsten und elegantesten Weltgesellschaft hätte erlangen können. Aber bis eine Nation eine beträchtliche Anzahl sehr vortreflicher Werke in allen Arten des Styls und der Composition aufzuweisen hat, mag das was man Geschmack nennt unter ihren obern Classen so fein und gut seyn als man will: die Schriftsprache dieser Nation ist doch immer e r s t i m Wa c h s e n begriffen, sie ist noch unvollendet, sie kann noch neue Wörter und Redensarten aufnehmen, veraltete wieder ins Leben zurükrufen; der ganze Schaz der Sprache, von mehrern Jahrhunderten her, steht ihr offen; die Mundarten aller Provinzen gehören ihr zu, und sie kann daraus nehmen und gleichsam in ihren eigenen Boden verpflanzen was sie benöthigt ist, und was darinn fortkommt. — Erst alsdann, wenn sie mit M e i s t e r s t ü k k e n in allen möglichen Arten des Styls versehen ist, kann man, so zu sagen, ihr Wörterbuch für v o l l z ä h l i g annehmen, und eine feste Grenzlinie zwi-
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schen der a l l g e m e i n e n S c h r i f t s p r a c h e (welche zugleich d i e S p r a c h e d e r g u t e n G e s e l l s c h a f t in allen Provinzen ist) und den besondern Mundarten der einzeln Provinzen, ziehen; die guten Schriftsteller in jeder Schreibart entscheiden alsdann was Hochteutsch in der h ö h e r n R e d n e r - und D i c h t e r - S p r a c h e , was Hochteutsch in der K o m i s c h e n S p r a c h e , (die sich wieder in die e d l e r e , l a u n e n h a f t e , und b ü r l e s k e abtheilt) was Hochteutsch in der S p r a c h e d e r W i s s e n s c h a f t e n u n d K ü n s t e , und was Hochteutsch in der täglichen G e s e l l s c h a f t s - S p r a c h e d e r o b e r n C l a s s e n ist. Jeder dieser Sprach-Distrikte (wenn ich so sagen darf) hat wieder 10
sein eignes Gebiet, seine eigne Verfassung, Gesetze, und Gerechtsame, so wie seine eignen Grenzen: und nur aus ihnen allen zusammengenommen besteht die Schriftsprache einer durch Künste und Wissenschaften gebildeten Nation. Alles dies ist, däucht mir, N a t u r d e r S a c h e , und bedarf keines mühsamen Erweises. Zur Erläuterung kann uns abermal die Französische Sprache dienen. Ungeachtet ein vielleicht allzugroßer Eigensinn des Geschmacks ihre Dichtersprache in weit engern Schranken hält als man bey irgend einer andern Nation finden wird, so ist doch gewiß, daß ein sehr merklicher Unterschied zwischen der Sprache ihrer Tr a g ö d i e und ihrer h o h e n L y r i s c h e n P o e s i e , zwischen der Sprache der edlern Comödie, oder der guten Gesell-
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schaft, und der scherzhaften Sprache des sogenannten stile de Marot ist. Sprachrichtigkeit, Schiklichkeit (proprietè) und Eleganz sind bey ihnen, wie billig, wesentliche Erfordernisse einer jeden Sprach- und Schreibart: aber jede Schreibart hat darum nicht minder ihre eignen Befugnisse, die ihr niemand streitig macht; und es ist noch keinem Französischen Kunstrichter in den Sinn gekommen, die Sprache der Helden des Corneille und Racine schwülstig zu finden, weil ein Marschall von Frankreich lächerlich wäre, der an der Toilette seiner Dame, oder im Vorzimmer des Königs sprechen wollte wie Mithridates oder Burrhus: oder den Styl und die Sprache der Pucelle d’Orleans für barbarisch und geschmaklos zu erklären, weil kein Frauenzimmer von Lebensart
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sich wie die schöne A g n e s S o r e l ausdrükt. Sie sehen nun bereits aus dem bisher gesagten, was ich bey der 6ten, 7ten und 8ten Folgerung des Hr. A. zu erinnern habe. So wenig ich ein unreinliches Gemengsel aller Mundarten, oder die Einmischung solcher Provinzial-Wörter, die in der allgemeinen teutschen Schriftsprache bisher nie üblich gewesen, und für welche sich in derselben
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bereits gleichbedeutende allgemein verständliche Wörter finden, gutheissen kann: so wenig kann ich zu einer u n b e d i n g t e n Verdammung aller v e r a l t e t e n und P r o v i n c i a l -Wörter, meine Stimme geben; wiewohl ich gestehe, daß sich für die meisten von denjenigen, welche seit ungefehr zwanzig Jahren mehr oder weniger gäng und gebe worden sind, ausser der launenhaften, komischen und bürlesken Schreibart (wozu noch diejenige kommen mag, welche sich für eigentliche teutsche Vo l k s l i e d e r und Volksmährchen schikt, und die ihren eignen, von jeder der ebengenannten Schreibarten verschiedenen Charakter hat) schwehrlich ein anderer schiklicher Platz finden möchte. Indessen gilt auch hier die allgemeine Regel Q u i n t i l i a n s : „ a l l e W ö r t e r
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(diejenigen welche die Schaamhaftigkeit beleidigen ausgenommen) s i n d i r g e n d w o d i e b e s t e n : denn zuweilen hat man auch n i e d r i g e und g e m e i n e , (solche die sonst nur das gemeine Volk braucht) vonnöthen, und Wörter, die an einem andern Platze unanständig seyn würden, werden schiklich und eigentlich, sobald sie an ihrem rechten Orte stehen.“ *) Dieser große Römische Kunstrichter verbietet zwar (und wer wird ihm darinn nicht beypflichten?) dem Redner alle u n g e w ö h n l i c h e Wörter, alle z u k ü h n e n M e t a p h e r n , alle v e r a l t e t e n , oder n u r d e r P o e t i s c h e n F r e y h e i t e r l a u b t e n Redensarten: **) aber dieses Verbot bis auf die Dichter auszudehnen, fiel ihm nicht ein; vielmehr wird es über diesen Punct immer bey dem Ausspruch
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eines Alten bleiben, dem noch niemand den feinsten Geschmak streitig gemacht hat: — — oft wird ein Vers vortreflich, blos wenn ein a l l t ä g l i c h Wo r t durch eine s c h l a u e S t e l l u n g u n v e r h o f t zum n e u e n wird. Wo neu entdekte Dinge zu sagen sind, da ists mit Recht erlaubt a u c h u n e r h ö r t e W ö r t e r zu erfinden, Wenn diese Freyheit m i t B e s c h e i d e n h e i t genommen wird. *)
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Omnia verba, exceptis de quibus dixi (sc. parum verecundis) sunt alicubi optima: nam et
humilibus interdum et vulgaribus opus est, et quae in cultiore parte videntur sordida, vbi res poscit proprie dicentur. Instit. orat. X. c. I. **)
Ibid. IV. c. I.
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Was kann der Römer einem Plautus und Cäcil gestatten, das Virgil und Varius nicht wagen durfte? u. s. w. — — — Immer wars und bleibts erlaubt, ein ungestempelt Wort von gutem Korn und Schrot in Gang zu bringen u. f. Viel abgestorbne Wörter werden wieder ins Leben kehren, viele andre fallen d i e i z t i n E h r e n s i n d , so wie d e r B r a u c h es fügen wird, bey welchem doch zulezt
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allein die Macht, hierinn Gesetz zu geben, steht. *)
Schriftsteller von Geschmack, d. i. von feinem, gelehrtem und sicherm Urtheils-Gefühl des Schönen und Schiklichen, wissen immer am besten was sie zu thun haben, und wie weit sie gehen dürfen: fehlen sie aber, so kömmt es einem wahren A r i s t a r c h (der dem Homer selbst nichts übersieht) allerdings zu, zu zeigen, wie, worinn und warum sie d a s S c h i k l i c h e verfehlt haben. Aber nie kann ihm die Anmaßung gestattet werden, willkührliche Gesetze zu geben, und dem Genie, dem Witz, der Laune, Fesseln anzulegen, so lange sie die Freyheit, das Element worinn sie allein leben können, nicht auf 20
offenbaren Mißbrauch ziehen. Dem Dichter sind die Worte — F a r b e n , R h y t h m e n , und M e l o d i s c h e T ö n e zugleich. Nach Herrn Adelung ist d i e
*)
Dixeris egregie, notum si callida verbum reddiderit junctura novum. Si forte necesse est indiciis monstrare recentibus abdita rerum: fingere cinctutis non exaudita Cethegis continget: d a b i t u r q u e l i c e n t i a s u m t a p u d e n t e r . — — — quid autem Cæcilio Plautoque dabit Romanus, ademtum Virgilio Varioque? — —
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— — — licuit, semperque licebit Signatum præsente nota producere verbum. Multa renascentur quae jam cecidere, cadentque quae nunc sunt in honore vocabula, si volet usus quem penes arbitrium est et jus et norma loquendi. H o r a t . Arte Poe¨t. v. 47 — 72. u. Horazens Briefe nach W i e l a n d s Ü b e r s . 2. Theil S. 203.
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Ve r s t ä n d l i c h k e i t d i e e i n i g e (einzige) A b s i c h t d e r S p r a c h e ( M a g a z . d e r T . S p r a c h e 1. St. S. 57.) Hätte er gesagt die e r s t e , so wäre nichts dagegen einzuwenden: daß s i e einzige sey, wird ihm kein Dichter zugestehen. D e r will und soll mit seiner Sprache noch viele andre Absichten erreichen. Ein veraltet Wort, ein Provinzial-Wort, wofür das sogenannte Hochteutsche kein völlig gleichbedeutendes hat, ist zuweilen an dem Orte, wo ers braucht, gerade die einzige Farbe, die zu seiner bestimmten Absicht paßt, und wovon die Würkung abhängt. Zuweilen ist das o b e r t e u t s c h e Wort um eine Sylbe kürzer oder länger, oder hat andre Vocalen, andre Consonanten, u. s. w. als das Hochteutsche, und gerade dadurch erhält er den höhern Wohlklang eines Verses, die schönere Rundung einer Periode, u. s. f. Und wenn es denn überdies ein Wort ist, das L u t h e r oder O p i t z schon gebraucht haben: wer kann ihm zumuthen, daß er es blos deswegen verwerfen soll, weil es im südlichen Chur-Sachsen von 1740 — 60 nicht im Umlauf war? Doch ich werde gewahr, daß ich in einen Bezirk gerathe, worinn es ihnen M. H. am besten ansteht das Wort zu führen; und ich breche um so lieber ab, da Sie uns Hofnung gemacht haben, daß Sie in ihren Briefen an einen jungen Dichter sich auch über diese Materie ausführlicher vernehmen lassen werden. Musophilus.
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M u s o p h i l i Nachtrag zu seinem Versuche über die Frage : was ist Hochteutsch ? An den H. des T. Merkurs. Da Ew. etc. die Gewogenheit gehabt haben, meinen Versuch über die von Hrn Rath A d e l u n g aufgeworfene Frage: Wa s i s t H o c h t e u t s c h ? in Dero beliebtes Journal aufzunehmen: so halte ich mich gewissermaßen berechtigt zu hoffen, Sie werden auch diesem kleinen Nachtrag, zu welchen ich mich durch die zwey *) g e g e n d e n Te u t s c h e n M e r k u r gerichtete Abhandlungen dieses berühmten Mannes veranlaßt sehe, eben dieselbe Gunst erzeigen. Ich habe 10
die Ehre etc. M u s o p h i l u s , alias P h i l o m u s o s . * * * Herr A d e l u n g würde mir durch die Ehre, die er mir erwiesen sich zu einer ziemlich ausführlichen Widerlegung meines in den beyden lezten Monaten des T. M. 1782 erschienenen Versuchs über die Frage: w a s i s t H o c h t e u t s c h ? herabzulassen, eben soviel Vergnügen gemacht haben, als ich Ihm für seine Bemühung mich zu belehren Dank schuldig bin: wenn die Art, wie Er dabey zu Werke gegangen ist, nicht die stärkste Vermuthung erweckte, daß diese Arbeit ihm selbst mehr Unlust als Vergnügen gebracht haben müsse. Wie
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dieß gekommen seyn mag, weiß ich nicht; aber die böse Laune, die in seinen beyden Aufsätzen gegen mich herrschet, ist gewiß nicht mir allein aufgefallen; und ich beklage sie um so mehr, da ich ihm keine Ursach dazu gegeben zu haben glaube, und würklich nicht sehen kann, warum die Puncte, über welche ich ihm meine Zweifel in der unschuldigsten Absicht von der Welt vorgetragen habe, nicht von Seiner Seite so wohl als von der Meinigen, mit heitrer Stirne, ohne Empfindlichkeit, Grämlichkeit und Übelnehmen hätten sollen ausgemacht werden können. *)
Im 4ten Stücke des ersten Bandes seines M a g a z i n s d e r Te u t s c h e n S p r a c h e .
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Hr. A. versichert gleich im Eingange seiner Abhandlung gegen mich, oder wie es ihm sich auszudrücken beliebt, gegen den t e u t s c h e n M e r k u r : daß er bey der Ausgabe seines Magazins nicht d i e B e l u s t i g u n g müßiger oder T ä u s c h u n g u n k u n d i g e r L e s e r , sondern die Beförderung gründlicher Sprachkenntniß zur Absicht gehabt habe. Wozu diese höchst überflüßige Protestation gegen erträumte Beschuldigungen, die ihm gewiß keiner seiner Leser gemacht haben würde? Man merkt nun freylich wohl, daß dies jemand gelten soll: wem? läßt sich allenfalls auch, ohne ein Oedipus zu seyn, errathen. Aber was man nicht erst zu errathen braucht, sondern mit Händen greift, ist: daß ein Mann, der in
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d i e s e m To n anfängt, besser thäte die Feder gleich wieder niederzulegen, und eine Stunde, wo seine Lebensgeister heitrer fließen, abzuwarten. Hr. A. hat es in seinen besagten beyden Aufsätzen durchaus immer mit einem G e g n e r zu thun, und mit w a s f ü r e i n e m G e g n e r ? Mit einem Gegner, „der nicht für nothwendig gehalten, i h n b i s z u m E n d e a n z u h ö r e n , der ihm w i l l k ü h r l i c h widerspricht, der sein Publicum etwas b e r e d e n w i l l , der seine (Hrn. Adelungs) ü b e r z e u g e n d e G r ü n d e vor Augen liegen hat, aber sie n i c h t s i e h t , oder w e n i g s t e n s t h u t , a l s o b e r s i e n i c h t s e h e — der s i c h h i n t e r S c h l u p f w i n k e l v e r b i r g t , der, bey einer Gelegenheit, wo wahrlich nur ein Narr oder ein von Hypochonder und Eigen-
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dünkel geplagter Pedant in Heftigkeit gerathen kann, in H e f t i g k e i t g e r ä t h “ u. s. w. Kurz ein Gegner, der nicht verdient, daß ein Mann wie Herr A. nur einen Augenblick mit halbem Ohr auf sein elendes Geschwätze achte. Und dieser Gegner — fidem vostram, Quirites! — dieser Gegner bin — I c h , ich, P h i l o m u s o s oder M u s o p h i l u s , wie Sie wollen, unschuldiger und nichts Böses meynender noch ahnender Schreiber eines in den T. M. eingerückten unmaßgeblichen Versuchs über einen Gegenstand, worüber jeder Deutsche oder Teutsche für erlaubt halten wird, seine Meynung zu sagen — eines Versuchs, worinn ich zwar das Unglück habe über die Frage w a s i s t h o c h t e u t s c h ? anderer Meynung zu seyn als Herr Adelung, aber hierinn (seiner eignen Versicherung nach) u n s r e teutschen P r o v i n z e n , und also ungefähr ganz Teutschland zum Mitschuldigen habe. — Wie? ich ein G e g n e r des Hrn. Adelungs, bloß weil ich mit der größten Bescheidenheit einige Einwürfe gegen eine seiner Behauptungen wagte, und diese Einwürfe selbst bloß als Z w e i f e l vortrug, durch deren Beantwortung er mich und einige Millionen Teutsche,
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mit welchen ich hierinn einerley Gedanken hege, verbunden hätte? Macht mich dies zum G e g n e r eines Mannes den ich öffentlich für meinen Meister erkenne? Aber mein Unglück will nun einmal daß Er mir alles übel nimmt, sogar die Höflichkeiten, die ich ihm aus gutem Herzen sage, und die gewiß kein unbefangener Leser für Ironie genommen hat. Ich hatte, nicht um Hrn. A. ein Compliment zu machen (denn was könnte das Ihm oder mir helfen?) sondern weil es Wahrheit ist, und weil ich dessen als eines Vordersatzes zu einer Schlußfolge vonnöthen hatte, Hrn. A. einen Gelehrten genannt, „der unsre Sprache (ich meynte die Te u t s c h e Sprache in ihrem g a n z e n U m 10
f a n g e ) lange und gründlich studiert, große Beweise seiner darinn erlangten Einsichten gegeben, und durch ungemeine Verdienste (ich dachte dabey hauptsächlich an sein W ö r t e r b u c h ) sich ein wohlbegründetes Ansehen in diesem Fache erworben habe.“ — Und wie nimmt nun Hr. A. dies auf? — „Mein G e g n e r , “ sagt er, „legt mir S. 145. f. e i n i g e Ve r d i e n s t e um die Sprache bey u. s. w. Allein, da er in seinem ganzen Aufsatze zu behaupten sucht, daß ich mich in dem was Hochteutsch ist, völlig geirrt habe, so wird das Vorige noch weniger als ein Compliment. Eine Sache lang und gründlich studiert haben und doch nicht einmal wissen was sie ist, ist, soviel ich einsehe, e i n W i d e r s p r u c h ; daher er sich auch keinen Dank dafür von mir z u v e r -
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s p r e c h e n h a t . “ — Dies heißt, mit Erlaubniß, auch gar zu wunderlich seyn! Wenn solche F o l g e r u n g e n gälten, so dürfte kein Gelehrter jemals etwas gegen die Behauptungen eines andern einwenden; und ich könnte mich mit eben so guten Grunde beschweren, Hr. A. habe mir durch die vorhin schon berührten Anschuldigungen alle Ehrlichkeit und sogar den Menschenverstand abgesprochen. Übrigens war die Gerechtigkeit, die ich den Verdiensten deß Hrn. A. erwies, vollkommen uneigennützig, und seine Dankbarkeit kann vor meinen Ansprüchen ganz ruhig seyn; ein wenig mehr Billigkeit war alles, was ich von ihm erwartete und womit ich vollkommen zufrieden gewesen wäre. Was aber den vermeynten W i d e r s p r u c h betrift, so ist es (so viel i c h
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einsehe) eben nichts Unerhörtes, daß man eine Sache lang und gründlich studiert haben kann, und doch nicht weiß was sie ist; wenigstens giebt es im Himmel und auf Erden eine Menge Sachen, von denen der am wenigsten weiß, der am meisten zu wissen glaubt, und wovon man immer weniger weiß, je länger und tiefer man sie studiert. Aber dies ist h i e r nicht der Fall: auch habe ich nie zu behaupten gesucht, daß sich Hr. A. in dem was Hochteutsch ist,
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v ö l l i g geirrt habe: sondern ich habe nur Zweifel und Einwürfe gegen seine Behauptung, „daß die gewöhnliche Gesellschafts-Sprache des südlichen ChurSachsens in den obern Classen die e i n z i g e Richtschnur der hochteutschen Schriftsprache sey“ vorgebracht. Hat Hr. A. dies n i c h t behauptet; so kann er sagen, daß ich ihn unrecht verstanden habe; und alsdann müßte ich mich damit zu trösten suchen, daß alle mir bekannten Leser seines Magazins ihn gerade so verstanden haben wie ich. Hat er aber jenen Satz würklich behauptet: so gestehe ich, daß ich, aller seiner subtilen Deductionen ungeachtet, noch immer der Meynung bin, daß er sich geirrt habe. Irren ist etwas sehr Menschliches; und wer von uns Beyden auch der Irrende seyn mag, so hat sich doch
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keiner eines Verbrechens zu schämen, daß wir mit Plato und Aristoteles gemein haben. N e w t o n s Theorie des Lichts wird ewig ein bewundernswürdiges Werk bleiben, wenn gleich seine Meynung über d a s w a s d i e L i c h t s t r a l e n s i n d , so irrig seyn sollte als die größten unsrer itzigen Naturforscher behaupten. Dies könnte gerade hier der Fall des Hrn. A. seyn, (wiewohl ich mir mit der Vergleichung kein Gratial von ihm versprochen haben will). Sein Wörterbuch, sein Lehrgebäude der teutschen Sprache u. s. w. sind darum nicht weniger jedem der unsere Sprache gründlich erlernen will, unentbehrliche Werke, wenn sie schon, wie alle Dinge unterm Monde, auch ihre Unvollkommenheiten und Gebrechen haben; zumal da diese leztern, meines Bedün-
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kens, gröstentheils blosse Folgen der besondern Meinung sind, die er über das was Hochteutsch ist, zu fassen beliebt hat. Die besten Menschen sind nicht immer von der Schwachheit ausgenommen in irgend einer Sache zu radottieren. Ein Mann habe sich eine Lieblings-Grille in den Kopf gesezt, so wird sie ihm als die erweislichste, erwiesenste, sonnenklarste Sache in der Welt vorkommen; er wird nicht begreiffen können, wie jemand so verkehrt, so vorsetzlich blind seyn könne, nicht eben so überzeugt von ihr zu seyn wie er; er wird, wenn etwas wider sie eingewendet wird, in Hitze gerathen, die Sache in einem tragischen Ton nehmen, Sophistereyen zu Behauptung seiner geliebten Grille vorbringen, die er an einem Andern unerträglich finden würde; und, was nicht zu vergessen ist, in und bey allem diesem eine so ehrliche Absicht und ein so gutes Gewissen haben, als ob er würklich Recht hätte, und dieses einzigen Nagels im Kopfe ungeachtet gleichwohl in allem Ubrigen ein so wakrer Mann seyn als einer in der ganzen Stadt,
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im Umgang angenehm, ein guter Nachbar, ein guter Ehmann und ein milder Herr, auch sonst um einem Wagen auszuweichen besonnen gnug, und neben offnen Brunnen vorbeyzugehn — *)
Der Himmel bewahre mich, dem Hrn. A . eine so gemeine und so unfreywillige menschliche Schwachheit übel zu nehmen; ich würde ihrer nicht einmal erwähnt haben, wenn ich mir die seltsame Empfindlichkeit, womit er meine Einwendungen aufgenommen hat, auf eine glimpflichere Art zu erklären 10
wüßte. Diese geht so weit, daß er mir sogar aus der Zurükhaltung meines Nahmens einen Vorwurf macht. „Wozu diese Hülle?“ sagt er: „Die Sache selbst betrift weder die E h r e noch die S e l i g k e i t — War es etwa Mißtrauen in seine eigne Sache, welche ihn dazu bewog? beynahe sollte ich es glauben“ — Gerechter Himmel! welch eine Art zu schließen! Eben darum weil die Sache w e d e r E h r e n o c h S e l i g k e i t betrift, war es mir sehr erlaubt meinen wahren Nahmen aus dem Spiele zu lassen. Was thut in einer Literarischen Erörterung der Nahme der Person zur Sache? Und wenn ja ein jeder der anders als Hr. A. denkt, sein G e g n e r , und jede Einwendung gegen seine Meynungen eine Herausforderung zum Zweykampf seyn soll: so wird er sich doch wohl
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erinnern können (wenn er sich jemals in einer Erholungsstunde herabgelassen hat, Bernardo Tasso’s A m a d i g i oder irgend ein älteres Ritterbuch zu durchblättern) daß selbst die Lancelot und Amadis es nicht unter ihrer Würde hielten, mit unbekannten Abentheurern eine Lanze zu brechen; daß öfters unter den unscheinbaren Waffen und hinter dem herabgezognen Visier ein Mann verborgen war, welchen aus dem Sattel zu heben selbst der beste Ritter der Tafelrunde sich zur Ehre rechnen konnte; und daß ein solcher Zweykampf, anstatt mit tödlichen Wunden, nicht selten, wenn das Visier endlich aufgehoben wurde, in freundschaftlichen Umarmungen sich endigte. Ich hätte, aus alter Hochachtung gegen die Verdienste des Hrn. A. wohl
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wünschen mögen, daß dies zwischen uns der Fall seyn möchte. Aber die Art wie er in seinem Zweykampfe zu Werke geht, läßt mir dazu keine sonderliche Hoffnung übrig. Wie konnte er, da ich nicht sein G e g n e r sondern bloß sein *)
H o r a z , in der 2ten Epistel des zweyten Buches.
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S c h ü l e r seyn wollte, durch meinen Widerspruch bloß eine genauere Erörterung und Bestimmung seiner Meynung veranlassen, oder vielmehr die Auflösung der Frage der Wahrheit näher gebracht sehen wollte; wie konnte er mir da zum Verbrechen machen, daß ich die Gründe m e i n e r Meynung nicht bis auf ihre ersten Elemente aufgelößt und die seinigen nicht Punct für Punct vollständig und schulgerecht widerlegt habe? Es kam mir nie in den Sinn ein Buch über die Sache zu schreiben; und indem ich meine Einwendungen gegen einige Sätze des Hrn. A. die ich für irrig halte vortrug: glaubte ich, daß es Lesern, welche diese Gattung von Speculation lieben, leicht seyn werde zu sehen wo die allgemeinen Grundsätze, auf welche er seine Meynung stüzt, zu
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Entscheidung der Haupt-Frage unzulänglich sind; und daß es also unnöthig sey, bis auf Analyse der Entstehung und Ausbildung der Sprache zurückzugehen. Ob ich in dieser Art zu verfahren bona fide gehandelt oder Hrn. A. nur habe schicanieren und meinen Lesern einen Dunst vormachen wollen, stelle ich dem Urtheil der leztern getrost anheim. Wie hingegen Hr. A. in seiner Antwort mit mir zu Werke gegangen, davon mögen einige wenige Beyspiele zur Probe dienen. 1) In seinem ganzen Aufsatze spricht er so, als ob ich behauptet hätte: die Schriftsteller wären es, die eine Sprache e r f ä n d e n , oder wenigstens käme die A u s b i l d u n g derselben ihnen a l l e i n zu. Da diese beyde Sätze augen-
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scheinlich absurd sind: so ist es ihm ein Leichtes, den Strohmann den sein böser Genius ihm unvermerkt an meine Stelle gesezt hat, zu Boden zu fechten. Eben so spielt er mit dem Worte W i l l k ü h r ; gleich als ob ich kindisch genug hätte seyn können zu behaupten, die Ausbildung einer Sprache könne der W i l l k ü h r d e r S c h r i f t s t e l l e r Preiß gegeben werden, d. h. jeder könne schreiben, Wörter und Redensarten machen, decliniren, conjugiren, construiren, die Artickel oder Hülfswörter weglassen, Altes und Neues, Niedriges und Edles, was mit Recht verworfen worden und was bloß zufällig aus dem Gebrauche gekommen, kurz, quadrata rotundis nach seinem Eigendünkel unter einander mischen, wie es ihm beliebe. Wenn Hr. A. mich würklich s o verstanden hat, so war es allerdings unglücklich für mich, daß ihm mein Aufsatz in einer so trüben Stunde zu Gesichte gekommen. 2) Er macht mir zum Vorwurfe, daß ich über seine von der Attischen, Römischen und Toscanischen Schriftsprache hergenommene Instanzen mit leichten Füßen weggeschlüpft sey. Ich habe, als ich es that, die Ursache ange-
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geben, und diese besteht noch, Einwendens ungeachtet. Daß die Mundart der Stadt Rom d i e M u n d a r t d e r S t a d t R o m war, ist sehr natürlich: und daß die römischen Schriftsteller r ö m i s c h schrieben, ists auch: Ich sehe aber nicht, was dies für Teutschland beweisen soll? — Daß die Mundart der Stadt Athen die allgemeine Schriftsprache der Griechen gewesen sey, wird Hr. A . doch wohl nicht behaupten wollen? H o m e r u s , A n a k r e o n , H e r o d o t u s , H i p p o k r a t e s , schrieben, wie er weiß, im J o n i s c h e n , P i n d a r u s und T h e o k r i t u s im D o r i s c h e n , A l c ä u s , S a p p h o , und nicht selten auch H o m e r u s und A r i s t o p h a n e s , im A e o l i s c h e n Dialecte. Ich habe hier 10
lauter Griechische S c h r i f t s t e l l e r v o n d e r e r s t e n G r ö ß e und aus verschiednen Zeiten genannt, die n i c h t in der Attischen Mundart geschrieben haben. Also beweist auch diese nichts für ihn. Was die Toscanische betrift, so ist bekannt, daß die ersten und besten Schriftsteller Italiens, im 13ten, 14ten und 15ten Jahrhundert To s c a n e r w a r e n , und dies allein erklärt auf eine sehr natürliche Art, wie die Toscanische Mundart zur herrschenden Schriftsprache Italiens werden konnte. Ich hatte also wohl so unrecht nicht zu sagen: das Beyspiel der Attischen Römischen und Toscanischen Sprache entscheide hier nichts: und wenn Herr A. um dennoch Recht zu behalten, sich auf einen Metaphysischen Satz stellt, und mich belehrt: „wenn einerley Erscheinung in
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neunzehn Fällen eine und eben dieselbe würkende Ursache hat, so bin ich, wenn sie im zwanzigsten wiederkommt, doch gewiß berechtigt, sie so lange ebenderselben Ursache zuzuschreiben bis ausdrücklich das Gegentheil dargethan wird“ — und mich nun mit diesem Axiom mächtig beschämt zu haben glaubt: so frage ich nur; w o s i n d d i e s e n e u n z e h n F ä l l e ? und w o der Beweis, daß die Erscheinung gerade d i e a n g e g e b e n e und k e i n e a n d r e , wenigstens m i t w ü r k e n d e Ursache hat? 3) Um zu ersehen, ob Hr. A. den wahren Standpunct der Frage in seiner Antwort nicht verrückt habe, ersuche ich die Leser, die Stelle von S. 161 — 166. (in No. II. des T. M. 1782.) mit seiner Antwort S. 99. f. zu vergleichen. Ich hatte
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gefragt: sind es die guten Schriftsteller einer Nation, die ihre Schriftsprache (nicht e r s c h a f f e n , sondern nur) ausbilden, reinigen, polieren und zum möglichsten Grade von Vollkommenheit bringen? Oder sind es die obern Classen der blühendsten Provinz, die alles dies leisten, und die a l l e i n dazu berechtigt sind? Herr A. hat das Lezte, ich hingegen mit der ganzen Welt (soviel ich weiß) das Erste behauptet. „So lange nicht die Möglichkeit gezeigt
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wird, sagt Hr. A. wie o h n e d i e e n g e s t e Verbindung (und in dieser leben doch Schriftsteller nicht) einförmige Analogien statt finden können (und diese sind doch schlechterdings nothwendig, wenn eine Sprache S p r a c h e werden und bleiben soll) so lange ist auch an diese ganze Ausbildung durch Schriftsteller nicht zu gedenken. Wir haben in den leztern zwanzig Jahren ein auffallendes Beyspiel, was aus der Sprache wird, wenn Schriftsteller sie ausbilden wollen. Der eine schreibt und spricht, Va t t e r , G e b e t für Gebeth, er w e i ß t für er weiß; ein andrer F r o f f und F ä r d für Pfropf und Pferd; ein dritter lehrt ich s c h n i d , s o d , s c h r i t , s o f , conjugieren; ein vierter schreibt K n o p f l a u c h , z w e y n z i g , ein fünfter verbeißt die Vocale, s’ i s t g u t , noch
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ein andrer verschlingt die Artickel und Pronomina, h a b a u c h w a s N e u’ s a u s g’ h e k t , und was dergleichen Thorheiten mehr sind, u. s. w.“ — Und damit glaubt mich Herr A. abgefertigt zu haben! So beweißt er a priori und a posteriori! Weil ohne die engeste Verbindung keine gleichförmige Analogien statt haben: so haben Varro, Cicero, Virgil, Horaz, Livius, Seneca, Tacitus nichts zur Ausbildung und Vervollkommung der Römischen, so haben Petrarca, Bocaz, Aretin, Bembo, u. a. nichts zur Polierung der Italiänischen, die großen Schriftsteller aus Ludwig XIV. Zeit nichts zur Reinigung und Verschönerung der Französischen, Bodmer, Haller, Leßing, nichts für die Teutsche Sprache gethan! — Und weil in diesen lezten Jahren eine Art von Orthogra-
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phischer Influenza unter uns epidemisch worden ist; weil einige Laffen unweislich thun was gescheute Leute weislich thaten, oder weil izt auch Leute, die weder Sprachen noch Sachen verstehen, grosse und kleine Bücher drucken lassen — so sind es nicht d i e g u t e n S c h r i f t s t e l l e r , die bey jeder Nation das Meiste zur Ausbildung und Polierung der Sprache beytragen! Auf s o l c h e Beweise wird wohl niemand eine ernsthafte Antwort verlangen? Herr A. thut als ob ich gesagt hätte: j e d e r Schriftsteller habe a l s s o l c h e r , das Recht mit der Sprache zu machen, was er wolle. Daher führt er auch, 4) als ob es g e g e n m i c h wäre, den Vorwurf an, den Boileau dem affectirten Wizling B a l z a c macht: „Es ist ein unverzeyhlicher Fehler an ihm, daß er sich zwingt, alle Dinge anders zu sagen, als sich alle andre Menschen ausdrükken.“ Damit meynt Hr. A. hätte nun Boileau klar bewiesen, daß es nicht die Schriftsteller sind, die eine Sprache ausbilden. „Denn,“ sagt er, „solte Balzac als Schriftsteller die Sprache ausbilden, so mußte er sich ja anders ausdrükken, nicht allein als seine Zeitgenossen in der bürgerlichen Gesellschaft, son-
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dern auch anders als die übrigen Schriftsteller“ — Eine feine Art zu folgern! Also ist zwischen — sich besser, bestimmter, stärker, zierlicher ausdrücken als man sich zu Balzac Zeit in den obern Classen zu Paris ausdrukte, und zwischen der Affectation, a l l e s a n d e r s zu sagen als a l l e a n d r e Menschen, kein Unterschied: und wenn jemand von den Schriftstellern, die durch Verstand, Talente, Gelehrsamkeit, und Geschmak berechtigt sind es zu seyn, behauptet: daß sie es sind die a m m e i s t e n zu Ausbildung und Verschönerung einer lebenden Sprache beytragen; so hat er damit gesagt: jeder abgeschmakte Wizling, jeder Kindskopf den die Finger jucken, jeder Schmierer, den Hunger 10
und Verzweiflung zum Autor machen, habe ein Recht mit der Sprache nach seinem Dünkel umzuspringen? An diesen Proben mags genug seyn. Unpartheyische Leser, welche Geduld genug haben, Hrn. A. beyde Aufsätze im 4ten St. seines M. mit dem meinigen zu vergleichen, werden sehen, daß beynahe alles, womit er meine Fragen oder Einwürfe beantwortet zu haben vermeynt, in diesem Geiste und Tone geschrieben ist; und ihnen überlasse ich es, dieser Art in litterarischen Erörterungen zu verfahren den rechten Nahmen zu geben. Ich, meines Ortes, würde meine Zeit, und den Plaz, der mir im T. M. gegönnet worden, und der so leicht mit etwas besserm auszufüllen gewesen wäre,
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über die Gebühr misbrauchen, wenn ich mich mit einem Gegner, der mit s o l c h e n Waffen ficht, in einen längern Wortwechsel einlassen wollte. Mag Hr. A. doch mit seinem Strohmann fechten, und Triumf über ihn singen so lange und viel ihm beliebt! Was ich hier sagen mußte, war abgedrungen. Ich wollte nicht streiten, nicht beleidigen; ich wollte freundlich und gründlich belehrt werden. Da es Hrn. A. anders beliebt hat, so trete ich ab. Ich habe meine Meynung gesagt: Herr A. hat geantwortet: das unpartheyische Publicum mag zwischen uns den Ausspruch thun! Musophilus.
Zusatz des Herausgebers. 30
Herr Musophilus — dem ich die Einrückung des vorstehenden Aufsatzes mit Billigkeit nicht versagen konnte — hat, wie man sieht, weislich daran gethan,
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daß er einen Streit abgebrochen, wobey man unvermerkt wärmer wird als man anfangs werden wollte; und wobey, weil sich zulezt doch immer Empfindlichkeit und Rechthaberey ins Spiel mischt, die Wahrheit gemeiniglich nicht viel gewinnt. Wie viel Musophilus mit seiner Apellation an das Publicum gewinnen werde, weiß ich nicht; wenigstens bescheide ich mich gerne, daß es mir, nachdem er dieses Rechtsmittel auf seine Gefahr ergriffen hat, weniger als jemals anständig wäre, mich zu einem Schiedsrichter in diesem Streit aufwerfen zu wollen. Indessen mag es doch erlaubt seyn, einen Vorschlag zur Güte zu thun, und zu versuchen, ob die Partheyen nicht geneigt seyn möchten beyderseits von ihren strengen Foderungen so viel nachzulassen als zu Bewir-
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kung eines billigen Vergleichs nöthig ist. Ich habe um so viel mehr Hofnung, diesen Versuch nicht vergebens zu thun: da es mich beynahe unmöglich dünkt, daß Hr. A. und mein Pseudonymer Correspondent, sobald sie sich gelassen und freundlich gegen einander erklären wollten, am Ende nicht in der Hauptsache zusammen treffen sollten. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist Herr A d e l u n g durch einen sehr gültigen und patriotischen Beweggrund vermocht worden, die Frage w a s i s t H o c h t e u t s c h ? zu einer Zeit aufzuwerfen, wo ihre Erörterung für unsre Litteratur nüzliche Folgen haben kann. Die Freyheiten, welche sich die meisten Bücherschreiber seit ungefehr 10 Jahren mit der Sprache nehmen; die groben Fehler wider die Grammatik, wovon es in
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vielen neuen Büchern und Broschüren wimmelt; die überhandnehmende Anmaßung sich über allen Sprachgebrauch und über alle Regeln wegzusetzen; kurz, die lächerliche und unsre ganze Nation beschimpfende Sprachverwirrung, die daraus entsteht, daß nicht nur die Magnaten unsrer gelehrten Republik, (die dem Volk hierin mit keinem guten Beyspiele vorgehen) sondern beynahe jeder, der etwas drucken läßt, sich eine eigne Sprache und eine eigne Unrecht-Schreibung macht — sind schon lange ein Greuel in den Augen aller gesunden Köpfe; und da es die höchste Zeit ist diesen Mißbräuchen entgegen zu wirken: wem stund es besser an, die Hand an dieses löbliche Reformationswerk zu legen als dem Hrn. Adelung? Da nun die Sprachverwirrung, über welche seit einigen Jahren so viel Klagens ist, ohne daß gleichwohl der Sache abgeholfen sondern das Übel vielmehr immer größer wird, lediglich von den Schriftstellern herkömmt: so war auch aus diesem Grunde schon nothwendig, daß Herr A. bey Beantwortung der Frage, was ist Hochteutsch? oder, welches ist die Sprache deren sich die
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Schriftsteller zu bedienen haben? einen Grundsaz aufsuchte und festsezte, wodurch die Sprache von der W i l l k ü h r d e r S c h r i f t s t e l l e r unabhängig gemacht würde. Die Verwirrung schien ihm (mit Rechte, däucht mich) nicht anders aufhören zu können, als wenn die Schriftsteller aus dem gesezlosen Stande, wo jeder thut was ihm beliebt, zu einem gemeinschaftlichen Panier zurükgerufen würden. Dieses fand er in der Obersächsischen Mundart, vornemlich wie sie von den obern Classen des südlichen Chursachsens gesprochen wird. Seiner Meynung nach muß für jede lebende Sprache eine Hauptstadt oder wenigstens eine Provinz seyn (und natürlicher weise ist es die 10
cultivierteste und blühendste) welche gleichsam der Depositaire der Sprache ist; und wenn dies auch von Teutschland gilt, welcher andre Kreis desselben könnte dem Obersächsischen diesen Vorzug streitig machen wollen? Gleichwohl ist der Grundsaz des Hrn. A. so wie er ihn in seiner Abhandlung vorgetragen und ausgedehnt hat, mit allen den Folgen die er daraus gezogen, so neu und unerhört, daß er (wie er selbst vorher sah) allen seinen Lesern außerhalb Chursachsen auffallen mußte. Verständige Männer, welche die regellosen Anmaßungen vieler neuern und neuesten Buchmacher eben so thöricht finden als Hr. Adelung, aber auch die nachtheiligen Folgen des übertriebenen Purismus der Gottschedischen Secte *) noch nicht vergessen haben,
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glaubten, die Sprache des gesellschaftlichen Umgangs der obern Classen im südlichen Chursachsen könne weder als eine hinlängliche noch zuverlässige Regel für alle Arten von guten Schriftstellern angesehen werden. Denn, wenn man auch sagen kann, wo diese o b e r n C l a s s e n anfangen: wer getraut sich wohl die Linie zu ziehen, wo sie aufhören? Und wer scheut sich nicht vor dem Gedanken, den Geist der ersten Schriftsteller seiner Nation in die engen Schranken der Gesellschaftssprache einer einzigen Stadt, und wenn es selbst die Hauptstadt des ganzen Reiches wäre, eingezwängt zu sehen? Was würde aus einem Aeschylus, einem Pindar, einem Aristophanes, geworden seyn, wenn sich die obern Classen in Athen und Thebä eines solchen Vorrechts über
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den Genie ihrer größten Schriftsteller hätten anmaßen wollen. Ohnezweifel waren es Betrachtungen dieser Art, die meinen unter dem Nahmen Musophilus verborgnen Correspondenten zum Widerspruch gegen den Grundsatz des Hrn. A. bewogen. *)
Man erinnere sich nur des N e o l o g i s c h e n W ö r t e r b u c h s .
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Allein, so wenig als es jenem einfallen könnte, die Sprache d e r W i l l k ü h r d e r S c h r i f t s t e l l e r P r e i s z u g e b e n : so gewiß halte ich mich, daß es Hrn. Adelungs Meynung niemals war — wie ihn Musophilus beschuldigt — ohne alle Einschränkung und Ausnahme kein Wort, keine Redensart, keine Rede-Figur, keine Versetzung, keine Auslassung, keine Wendung u. s. w. gelten zu lassen, die man nicht in der täglichen Gesellschafts-Sprache der Personen von Erziehung und feinerer Lebensart im südlichen Chursachsen zu hören bekommt. Er hat Recht, alle Arten von Mißbräuchen desjenigen, was, nach Horazens bekannter Regel den Schriftstellern jederzeit erlaubt gewesen ist, zu rügen: aber seine Meynung kann nicht seyn, ihnen auch den sparsamen, klugen
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und zwekmäßigen Gebrauch dieser Vorrechte zu untersagen. Auch wird er schwerlich in Abrede seyn, daß unsere Litteratur, die erst seit vierzig Jahren sich zu heben anfängt, noch immer im Steigen ist; daß der gegenseitige Einfluß der lebendigen Sprache auf die Schriftsteller, und der Schriftsteller auf die Sprache in der Natur der Sache so nothwendig gegründet ist: daß weder die obern Classen der blühendsten Provinz noch die Schriftsteller nach 30 bis 40 Jahren v ö l l i g eben dieselbe Sprache reden und schreiben, die ihre Vorfahren vor 30 oder 40 Jahren sprachen und schrieben: daß man also (wie Musophilus mir mit Recht zu behaupten scheint) die Hochteutsche Schriftsprache noch nicht für ganz vollendet annehmen kann; und daß so wie eine Menge f r e m -
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d e r Wörter durch den Gebrauch, quem penes arbitrium est et jus et norma loquendi,
einheimisch worden: eben so auch manche, die ehmals Provinzial waren, durch den verständigen Gebrauch guter Schriftsteller Beyfall gefunden haben, und aus der Schriftsprache unvermerkt in den Mund der Hochteutschen gekommen und im Gebrauch geblieben sind. Ich zweifle nicht, daß wenn Hr. A. sich über alles dieses näher erklärt haben wird, den zeitherigen Widersprechern gegen seine löblichen Bemühungen, Gleichförmigkeit und Ordnung in unsrer Schriftsprache wieder herzustellen, wenig oder nichts einzuwenden übrig bleiben werde. Zu diesem Ende wünschen wir, daß es Ihm gefallen möchte sich nach und nach über folgende Fragen ausführlicher und bestimmter vernehmen zu lassen:
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D e r Te u t s c h e M e r k u r
(Anfang Mai 1783)
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1) Wie weit erstrekt sich das Recht, das die Schriftsteller, besonders diejenigen, welche nach der B a c o n i s c h e n Abtheilung in die Classe der Einbildungskraft gehören, über die Sprache haben, in sofern solche als eine geschmeidige Masse betrachtet werden kann, welcher sie die Empfindungen und Gedanken ihrer Seele eindrucken? Hr. A. gesteht ihnen bereits nicht nur das R e c h t ein, sondern macht es ihnen (wie billig) zur P f l i c h t , in ihrer Sprache m e h r e r e S o r g f a l t , A u f m e r k s a m k e i t und A u s w a h l zu gebrauchen als die g e w ö h n l i c h e G e s e l l s c h a f t s s p r a c h e z u l ä ß t . Welches sind nun d i e G r e n z e n dieses R e c h t s ? Wie weit gehen d i e O b l i e g e n 10
h e i t e n dieser P f l i c h t ? Sollte A u f m e r k s a m k e i t und A u s w a h l das Recht des D i c h t e r s an die Sprache g a n z erschöpfen? Sollte die Sprache des L y r i s c h e n , E p i s c h e n , Tr a g i s c h e n und K o m i s c h e n Dichters so schlechterdings in die Grenzen der gewöhnlichen Gesellschaftssprache Obersachsens eingeschränkt werden können, wie Hr. A. S. 83. seiner Antwort gegen Musophilus zu behaupten scheint? 2) Ist nicht, ungeachtet der beständigen Ebbe und Fluth, welcher die lebenden Sprachen unterworfen sind, unstreitig, sowohl was die Wörter selbst als die Art ihrer Zusammensetzung betrift, in jeder Sprache etwas B e s t ä n d i g e s , etwas das wenigstens durch den Gebrauch ganzer Jahrhunderte zum
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allgemeinen, festen und gleichsam geheiligten S p r a c h g e b r a u c h geworden ist? Kann man nicht dieses feste und Allgemeine in jeder Sprache, worauf sich ihre Regelmäßigkeit einzig gründet, die N a t u r d e r S p r a c h e nennen? Und muß diese Natur der Sprache nicht schlechterdings jedem Schriftsteller heilig seyn? 3) Ist man hinlänglich begründet, ohne Ausnahme zu behaupten, daß alle v e r a l t e t e n , d. i. in der Obersächsischen Gesellschaftssprache außer Gebrauch gekommenen Wörter dieses Schiksal nur darum gehabt hätten, weil man sie e n t b e h r l i c h g e f u n d e n ? Können nicht eine Menge zufälliger Umstände daran Schuld haben, aus welchen man gegen den Werth dieser Wörter
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nichts beweisen kann? Und wenn sie auch in der gemeinen Gesellschaftssprache entbehrlich wären: sind sie es darum auch dem Schriftsteller von Geschmak, und besonders dem Dichter, der nicht selten in dem Falle ist, synonyme Wörter, die aber in sehr feinen Nüanzen von einander verschieden sind, nöthig zu haben? Hat man nicht in andern und in unsrer eignen Sprache Beyspiele, daß dergleichen Wörter, die von guten Schriftstellern mit Wahl und
Z u s a t z d e s H e r a u s g e b e r s ¼zu½ M u s o p h i l i N a c h t r a g
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Absicht wieder zurükgerufen worden, Beyfall gefunden haben, und wieder in Umlauf gekommen sind? Ist nicht dies der Fall wovon Horaz spricht: Multa renascentur quae jam cecidere, cadentque quae nunc sunt in honore vocabula, si volet usus,
Und wenn dies seine Richtigkeit hätte, wer wäre geschikter als Hr. A., uns entweder ein Verzeichniß derjenigen außer Übung gekommenen Wörter, welche der Wiedereinführung würdig sind, zu geben: oder, was ein noch größeres Verdienst wäre, jedem derselben das übliche hochteutsche Wort, welches völlig eben dieselbe Bedeutung hat, entgegen zu stellen? 4) Gilt nicht eben das von vielen Wörtern, welche, wiewohl sie in der erha-
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bensten Schreibart und in der edelsten Sprechart nicht brauchbar sind, dennoch deswegen nicht ohne allen Unterschied für niedrig und unedel erklärt werden können, sobald Schriftsteller von Geschmack sie durch die Art, wie sie von selbigen Gebrauch gemacht, gleichsam geadelt und der Zulassung in die gute Gesellschaft fähig gemacht haben? Und ists nicht dies was H o r a z (dessen Brief an die Pisonen mir so gut für ein G e s e z b u c h gilt als dem Verfasser des E t w a s v o n Te u t s c h e n M u n d a r t e n i m T . M u s e u m * ) im Sinne hatte, wenn er sagt: E x n o t o fictum carmen sequar, ut sibi quivis Speret idem &c — Tantum s e r i e s j u n c t u r a q u e pollet, Tantum d e m e d i o s u m t i s accedit honoris!
welches ich richtig s o übersezt zu haben glaube: Aus lauter jedermann bekannten Wörtern, Wollt’ ich mir eine n e u e S p r a c h e bilden, so daß jeder dächt’ er könnt’ es auch; allein wenn er’s versucht, und viel geschwizt und lange sich dran gemartert hätt’, es doch zulezt wohl bleiben laßen müßte. Lieben Freunde,
*)
S. dessen 2tes Stück d. J. S. 147.
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(Anfang Mai 1783)
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Soviel kommt auf d i e K u n s t d e s F a r b e n m i s c h e n s a n ! Soviel kann d e m G e m e i n s t e n bloß die S t e l l u n g und N u a n c i e r u n g Glanz und Würde geben!
5) Sollten die Versuche, die von einigen unsrer neuern Schriftsteller hie und da gemacht worden, uns eine Art von launisch-komischem Styl zu schaffen, der uns das wäre, was den Franzosen der Stile de Marot, worinn C h a u l i e u , H a m i l t o n , Vo l t a i r e , u. a. so vielen Beyfall erhalten haben, — sollten diese Versuche mit hinlänglichem Grunde unter die g e s c h m a c k l o s e n T h o r h e i t e n der nächstverfloßnen zwanzig Jahre gerechnet werden können? Und 10
wenn Herr A. dies (wie ich ihm zutraue) nicht behaupten wird: müßte dem Dichter von Geist und Geschmack, der in dieser Gattung sich hervorzuthun fähig wäre, nicht gestattet werden, von dem ganzen Reichthum der teutschen Sprache, und von allen ihren Dialecten zu Bildung dieser Art von launischscherzhafter Sprache mit Bescheidenheit und feiner Auswahl, Gebrauch zu machen? Einen höchst unglücklichen Versuch dieser Art haben wir vor einigen Jahren an den d r e y h ü p s c h e n M ä h r c h e n gesehen, welche freylich keinen Beyfall erhalten konnten, da der Verfasser ohne alles Gefühl des Schicklichen dabey zu Werke gieng, und die Sprech- und Schreibarten von sechs oder acht Jahrhunderten auf eine Art durch einander sudelte, die jedem
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Leser von Geschmack ekelhaft seyn mußte. Unstreitig gehört ein Schriftsteller von den vorzüglichsten Gaben, und dem auserlesensten Gefühle dazu, um in einer Art von Poesie glücklich zu seyn, wo es schwerer ist das n i e z u v i e l und n i e z u w e n i g immer zu beobachten als in irgend einer andern, wenn man für ein Publicum arbeitet, das schwerer zu befriedigen ist als das R ö m i s c h e zu Horazens oder das U n s r i g e in unsern Zeiten. Aber, müßte einem solchen Schriftsteller nicht alle die Freyheit gestattet werden, zu welcher ihn die Natur der Sache und sein Genie berechtigten? Und, wenn (um nur ein einziges Beyspiel zu geben) der allgemeine Beyfall der Nation Bürgers L e n o r e gekrönt hat: mit welchem Grunde könnte man dieses Meisterstück ei-
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ner schönen Volks-Romanze mit allen den elenden Nachahmungen der Kunstjüngerlein, quibus cacatum pictum est, in Einen Kessel werfen, und alles zusammen als geschmackwidrigen Unrath in den Ausguß schütten? Doch es ist Zeit für diesmal abzubrechen. Untersuchungen dieser Art, ohne vorgefaßte Meynungen, scharfsinnig, und mit feiner Unterscheidungskraft angestellt,
Z u s a t z d e s H e r a u s g e b e r s ¼zu½ M u s o p h i l i N a c h t r a g
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würden unsrer Litteratur ganz gewiß großen Nutzen bringen. H. A. hat in seinem Magazin einen Anfang gemacht, verschiedene Sprach-Mißbräuche unsrer Zeit auf eine gründliche Art zu rügen; und insonderheit scheinen mir seine Grundsätze über die R e c h t s c h r e i b u n g eine allgemeine Befolgung zu verdienen. Seine Aufsätze über das was Hochteutsch ist, und über die teutsche Literatur, mögen wohl in manchen Puncten einer genauern Bestimmung und Auseinandersetzung benöthigt seyn; aber, wie er sich auch über einige problematische Sätze noch erklären mag, so wird man ihm immer den Dank schuldig seyn, durch sein Magazin das Publicum aus einer Gleichgültigkeit, die der Sprache und dem Geschmack verderblich ist, aufgewekt, und auf eine Art von Litteratur aufmerksam gemacht zu haben, deren Vernachläßigung noch allezeit den Verfall der übrigen Gattungen nach sich gezogen hat. W.
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¼Fortsetzung des Künstler-Briefs von Neapel. (S. das vorige Stück vom O c t o b e r , S. 38.) Ich vergesse hier die große erhabne K ö n i g i n n , * ) und betrachte sie als eine unglükliche Verliebte.½ *)
Die Rede war am Schlusse des letzhin mitgetheilten Auszuges aus diesem
Künstlerbriefe, und ist noch hier in dieser Fortsetzung desselben, von einem Gemählde d e s G u e r c i n o , das die s t e r b e n d e D i d o darstellt.
¼… Der König wendet viel an die Kunst. Er giebt in der Akademie allen freyen Unterricht sogar Kreide und Papier umsonst, und ein solches Bild läßt er vergehn!** )½
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** )
Kreide und Papier wird frey gegeben, weils in der Instruction, oder in der
Fundation steht; die Erhaltung dieses Bildes stand nicht in der Instruction. So wird es an allen Orten gehen, wo die Fürsten glauben alles gethan zu haben, wenn sie f u n d i r e n , anordnen, befehlen, und nachher glauben, das Gesez erhielte sich von selbst, ohne die tauglichen Menschen, die das Gesez erhalten sollen. Die Beyspiele von dem wenigen Nutzen, den die meisten Akademien stiften, sind nicht weit zu suchen, wenn nicht hier und da unter den Lehrern oder Direktoren ein wahrer Künstler oder Gelehrter wacht, der anders denkt als seine Kollegen die Taglöhner. A. d. H.
¼Anmerkungen: Hackert½ F o r t s e t z u n g d e s K ü n s t l e r - B r i e f s
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Der Niebelungen Lied. Ein Rittergedicht aus dem XIIIten oder XIVten Jahrhundert. Zum erstenmale aus der Handschrift ganz abgedrukt. Unsre Leser erinnern sich ohnezweifel noch aus dem 2ten Stücke unsers Merkurs von diesem Jahre der daselbst auf der 160sten Seite an die Freunde der teutschen Litteratur gerichteten Nachricht von dem Vorhaben des Herrn Professor M ü l l e r s in Berlin, eine schäzbare Sammlung A l t - S c h w ä b i s c h e r D i c h t e r — welche Hr. B o d m e r in dem Lauffe seines verdienstvollen Lebens mit vielen Kosten zusammengebracht, und nun dem Publiko ohnentgeldlich zu überlassen geneigt sey — nach und nach herauszugeben, in soferne er
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nur der Druks-Kosten versichert werde. Sollte den Lesern der Plan und die ganz uneigennützigen Bedingungen, wie Hr. Müller dieses Vorhaben, ohne mindeste Belohnung seiner Mühe, auszuführen sich erbot, entfallen seyn: so wird es ihnen leichter seyn, die 160ste Seite des Merkurs vom F e b r u a r d. J. nachzuschlagen, als uns, jene Anzeige hier wieder abzuschreiben. Hr. M ü l l e r hat, laut einer allen Exemplarien beygelegten gedrukten Rechnung, vorerst so viele Unterstützung erhalten, daß er mit dem Drucke des L i e d s d e r N i e b e l u n g e n , eines der schäzbarsten in der Bodmerischen Sammlung, den Anfang machen können. Die Vorschüsse welche er dazu von verschiedenen edeln Beförderern erhielt, (aus welchen uns nur erlaubt sey S e .
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K. H. den Prinzen von Preussen, Se. H. D. den R. F. von AnhaltD e s s a u , und Se. Excellenz den Hrn. General-Lieutenant und Staats-Minister v o n S c h l i e f e n zu nennen) betragen, nach der umständlichen und exacten Rechnung, die wir vor uns liegen haben, zusammen 258 Rthlr. 4 ggr.: und die an den Hrn. Christ. Siegmund Spener, laut Quittung, bezahlten Drukkosten für 500 Exemplar (zu 20 Bogen, groß 4to Schreibpapier, die auf gespaltne Columnen 13’762 Verse enthalten) belauffen sich auf 189 Rthlr. für Druk und Papier. Hierzu noch 11 Rthlr. für verschiedene Neben-Spesen gerechnet, betragen die sämtliche Kosten 200 Rthlr.: und bleiben dem Hrn. Herausgeber also zu Ausgabe der folgenden Gedichte noch 58 Rthlr. 4 ggr. Preuß. Courant
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baar in Cassa; womit freylich ohne fernern Zuschuß nicht viel anzufangen wäre. Da aber die öffentlich abgelegte Rechnung so augenscheinlich zeigt, daß keine Art von Eigennuz bey dieser Unternehmung statt finde, und daß für die Sicherheit und zwekmässige Verwendung *) der zusammengeschoßnen Summe auf alle mögliche Weise gesorget werde: so hoffet der Herausgeber die Zahl der Theilnehmer beträchtlich vermehrt zu sehen — eine Hofnung, in welcher er, wenn anders für unsere Großen und Begüterten das edle Vergnügen zu vaterländischen und die National-Litteratur befördernden Unternehmungen etwas beyzutragen, noch einigen Reiz hat, sich nicht betrogen finden wird. Wir 10
behalten uns auf ein andermal vor, von diesem L i e d e d e r N i e b e l u n g e n unsern Lesern eine nähere Notiz zu geben; Können aber nicht umhin Ihnen für jezt eine Stelle aus dem Vorbericht des Hrn. Herausgebers mitzutheilen, durch welche sie in den Stand gesezt werden, sich von dem Werthe dieser AltSchwäbischen Gedichte **) einen deutlichern Begriff zu machen. „Die Dichterischen Arbeiten unsrer Vorfahren im Mittelalter sind keine Werke die mit den Meisterstücken der alten Griechen und Römer und der neuern Franzosen, Italiäner Engländer und Teutschen könnten verglichen werden. — Dessen ungeachtet haben diese alte Gedichte schäzbare D i c h t e r i s c h e und noch wichtigere H i s t o r i s c h e Eigenschaften um deren willen
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sie der Rettung würdig sind. Als Gedichte ist der Stoff merkwürdig, weil er in vaterländischen Geschichten besteht. Erfindung und Maschinen sind inländische Mythologie, die Charakter getreue Copien der Menschen damaliger Zeiten, ihre Sentimens Natur, nicht aus fremder Litteratur entlehnt. Alle Schilderungen, Bilder und Gemählde sind wahr, nicht idealisirt: die Farben die der Dichter braucht, sind oft schwach, doch nie falsch, nie affectiert, nie übertrieben. Die große Verschiedenheit der Charakter ist aus der getreuen Nachahmung der Natur entstanden. Das weniger gesellschaftliche Leben, der Mangel an allesgleichmachender Buch-Weisheit, die große Unabhängigkeit bey der Feudal-Regierung,
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*)
Hr. Prof. Müller treibt seine löbliche Pünctlichkeit in diesem Stücke so weit, daß er, sobald
100 Rthlr. Vorschuß beysammen sind, solche in die dasige Bank legt, und also auch die Zinsen davon, wie nicht weniger das agio von den eingegangenen Louisd’ors mit in Rechnung bringt. **)
Damit sich niemand an dieser Benennung stoße, erinnern wir nur, daß die Schwäbische
Mundart vom 12ten bis zum 16ten Jahrhundert das H o c h t e u t s c h derselben Zeiten war; wie Hr. A d e l u n g noch neulich im I. St. seines Magazins der T. Spr. gezeigt hat.
¼Rezension: Müller½ D e r N i e b e l u n g e n L i e d
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war einem starken eigenen Gepräge jedes Individuums beförderlich. Die Sprache scheint ein würkliches Räthsel zu seyn. Rohe, wilde Tapferkeit athmende Seelen reden hier eine Sprache, die in ihrem sanften süßen Klange die eigne Sprache der Liebe scheint. Ich nehme keinen Anstand zu behaupten, d a ß d i e S p r a c h e u n s e r s G e d i c h t e s und vieler andrer aus diesen Zeiten, an Annehmlichkeit, Kürze, Klang und Ausdruk die gegenwärtige weit übertreffe. Als Historische Überbleibsel macht diese Gedichte schon dies einzige unschätzbar, daß sie Überbleibsel aus Zeiten sind, aus welchen so wenig übergeblieben. Ob diese Zeiten so verachtet zu werden verdienen als man gewöhn-
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lich thut, mögen selbst diese Gedichte entscheiden: in welchen uns eine zärtliche ewiggetreue C h r i e m h i l d e , ein weiser D i e t r i c h v o n B e r n e , ein unerschüttert redlicher Menschenfreund R ü d i g e r , dessen Tod Thränen auspreßt — in welchen Unschuld der Sitten, Keuschheit und alle gesellschaftliche Tugenden nicht weniger lebhaft geschildert werden, als ein wilder eiserner H a g e n e , und kriegerische Tapferkeit. Es fehlt zwar an Philosophischen Ideen, an Weltbürger-Kenntnis, allein nicht an gesundem Menschen-Verstand, an richtiger Beurtheilung der Lage der Dinge. Es fehlte an Homeren und Virgilen, aber nicht an besingungswürdigen Sachen. Im Privatleben übertreffen wir diese Menschen sehr weit an Luxus und Mitteln zur Weichlichkeit, eben so
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weit als wir ihnen an öffentlichem Glanz und Pracht nachstehen. Alles dies lernen wir nirgends besser als aus ihren Gedichten, in welchen der Dichter um so mehr unterrichtet, je getreuer er der Natur ist, je sorgfältiger er copirt. Bedenkt man daß die gegenwärtigen Besitzungen der teutschen Fürsten, die Rechte der Adelichen Familien, die Privilegien der Städte aus diesen Zeiten Beweise und Erläuterungen bedürfen, daß man diese Dinge oft durch eine lange Reyhe unvollkomner Schlüsse, aus wenigen einzeln Worten oder Zeichen vermuthen muß; daß man hingegen in unsern Gedichten alles dies von Augenzeugen dargestellt findet: so wird die Rettung dieser Gedichte selbst d e m P u b l i c i s t e n , d e m S t a a t s m a n n , wichtig: und man muß sich nur verwundern, daß man nicht eher auf die Rettung derselben gedacht hat. Ich nähre mich also (sezt der gelehrte und edeldenkende Herausgeber hinzu) mit der Hofnung, dieses dem Publico vorgelegte Gedicht werde blos das erste von mehrern folgenden seyn; ich werde unterstüzt werden, alle die ich erhalten kann der Reyhe nach dem Drucke übergeben zu können; ich
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werde im Stande seyn, d i e s e s U n t e r n e h m e n m i t e i n e m W ö r t e r b u c h und kritischen Anmerkungen über die gedrukten Gedichte beschließen zu können.“ Hr. M . kommt mit der Hofnung, die er uns hier giebt einer Bitte zuvor, die wir im Namen aller, welche sich das Lesen solcher alter Vaterländischer Denkmale möglichst erleichtert zu sehen wünschten, an Ihn thun wollten. Ohne solche Hülfsmittel würde das Lied der Niebelungen für die Meisten ein versiegeltes Buch seyn. Und um so mehr erdreisten wir uns, alle Patriotischdenkende Teutsche hiermit von neuem aufzufodern, an einem Unternehmen 10
Antheil zu nehmen, dessen Beförderung ihnen den Dank der jezt lebenden verdienen, und noch bey der Nachwelt Ehre machen wird. Hr. Prof. Müller beschließt seinen Vorbericht mit einer Danksagung die er im Nahmen des Publikums an alle die hohen und edlen Gönner, deren Liberalität wir die Ausgabe dieses Gedichtes schuldig sind, abstattet. Und billig schließt er in diesen Dank denjenigen nahmentlich ein, der ihm seine durch kostbare Verwendungen erhaltne Copie dieses Gedichts (wovon ein Pergamentner geschriebner Codex in Archiv zu Hohen-Ems verwahrt liegt) zu gegenwärtigem Gebrauch überlassen hat — ich meyne (sind seine eigene Worte) den Beförderer alles Edlen und Guten, den Herrn B o d m e r , dessen Namen
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kein Teutscher ohne Rührung der Dankbarkeit nennen sollte. Möchte er bald Teutschlands alte Dichter gerettet sehen! und möchte er noch so lange leben, um alle seine langen ruhmwürdigen Bemühungen gekrönt zu sehen! W.
¼Rezension: Müller½ D e r N i e b e l u n g e n L i e d
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P o m o n a , eine neue Monatsschrift für Frauenzimmer. Die Frau G. R. L a R o s c h e wird mit dem Jahre 1783. unter obigem Titel eine neue Monatsschrift herausgeben, welche hauptsächlich für das Geschlecht bestimmt ist, dem Sie selbst soviel Ehre macht, und für dessen innere Verschönerung Sie seit mehrern Jahren schon soviel gethan hat. Alle Monate wird von dieser P o m o n a ein Stück von 6 Bogen auf schönem Pappier und geheftet herauskommen. Die Aufsätze werden größtentheils von der berühmten Herausgeberin selbst herrühren, und in dem ersten Jahrgang hauptsächlich aus B r i e f e n a n L i n a , einem Unterricht nach T h o m s o n s J a h r s z e i t e n , und M o r a l i s c h e n E r z ä h l u n g e n bestehen; wozu noch einige
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Gedichte, von Frauenzimmern verfertigt, und Nachrichten von d e m , w a s i n E n g l a n d , F r a n k r e i c h u n d I t a l i e n für F r a u e n z i m m e r g e s c h r i e b e n w i r d , bey jedem Stücke hinzukommen. Wie viel nüzliches und unterhaltendes das Schöne Geschlecht von diesen neuen Bemühungen der Fr. G. R. La Rosche, Sich um dasselbe verdient zu machen, mit größtem Recht erwarten könne, dafür bedarf es keiner andern Bürgschaft als ihrer in mehrere Sprachen übersezten und mit allgemeinem Beyfall gekrönten G e s c h i c h t e des F r ä u l e i n s v o n S t e r n h e i m , und ihrer vortreflichen B r i e f e v o n R o s a l i e n . Ich halte es für unmöglich, daß man die eine oder andre dieser Schriften gelesen haben könne, ohne sich von
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Hochachtung, Liebe und Theilnehmung an der vortreflichen Verfasserin eingenommen zu fühlen. Diese Empfindungen, welche sie unfehlbar in den Herzen aller ihrer bisherigen Leserinnen zurükgelassen hat, sind die beste Empfehlung für die Monatschrift die hier angekündigt wird, und werden, wie ich nicht zweifle, für viele unter Ihnen der lebhafteste Antrieb seyn, sich die Beförderung derselben in dem Cirkel ihrer Bekanntschaft angelegen zu seyn. Die P o m o n a wird, vermöge einer von der Frau Herausgeberin bereits im No. 177 der Frankfurter K. R. Ober-Postamts-Zeitung, unterm 5ten Novemb. geschehenen Bekanntmachung bey a l l e n P o s t ä m t e r n und in a l l e n B u c h h a n d l u n g e n Te u t s c h l a n d e s um einen h a l b e n L o u i s d’ o r , oder 2 Thlr. 12 ggr. Leipz. Courant. (4 Fl. 30 Kr. Reichsgeld) für d e n J a h r g a n g ,
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zu haben seyn. Man abonniert sich aber allezeit auf das ganze Jahr, und es werden also keine einzelne Stücke abgegeben. Ich ersuche inzwischen alle Gönnerinnen und Freundinnen, welche sich hier in Weimar und in hiesiger Gegend mit Sammlung von Subscriptionen auf diese neue M o n a t s s c h r i f t f ü r F r a u e n z i m m e r gütigst bemühen wollen, sich mit ihren Subscriptions-Listen b i n n e n 6 Wo c h e n a dato an mich zu wenden, damit ich das Weitere besorgen, und die Einrichtung treffen könne, daß die Subscribenten mit ihren Exemplaren Monatlich richtig versehen werden. 10
Wieland.
¼Rezension: La Roche½ P o m o n a
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Amende honorable wegen einer doppelten Sprach-Sünde. Einer unsrer Freunde hat uns auf einen seltsamen Guignon aufmerksam gemacht, womit der n e u e s t e Ü b e r s e t z e r der H o r a z i s c h e n B r i e f e , auf der 171sten S. des ersten Theils seines Werkes das Wort Guignon in einer Bedeutung gebraucht hat, die es, laut aller Wörterbücher in der Französischen Sprache nie gehabt hat. Dieser Guignon kann für alte und junge Schriftsteller auf eine doppelte Art lehrreich werden; und vielleicht ist dies die Ursache, warum der Himmel zugiebt, daß zuweilen auch Leute, von denen man’s nicht hätte erwarten sollen, in dergleichen Sünden fallen. Wäre dem Übersetzer das allgemeine Gesez: „brauche kein ausländisches Wort, wo es nicht die unumgängliche Nothwendigkeit erfodert“ heilig gewesen, wie dies allerdings seine Pflicht war: so würde er das teutsche Wort W i d e r w i l l e n hingesezt, und sich dadurch die Demüthigung erspart haben, für den unfüglichen Mißbrauch des Französ. Worts, wie hiermit geschiehet, öffentlich Buße zu thun. W.
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D a s M u t t e r s ö h n c h e n a u f d e r G a l e e r e . Aus dem Schwedischen. In zwey Theilen. Leipzig bey Jacobäer und Sohn 1782. Dieses Buch kann nur in sehr uneigentlichem Sinne ein Roman genennt werden: es gehört vielmehr unter die H u m o r i s t i s c h e n R e i s e J o u r n a l e , von welchen Tr i s t r a m S c h a n d y s Reise-Beschreibung im 7ten Theil das ewig unerreichbare Urbild und wovon selbst Yo r i k s e m p f i n d s a m e R e i s e (wiewohl beyde Einen Verfasser haben) nur d i e b e s t e N a c h a h m u n g ist. Indessen hat doch d i e s e hier eigenthümliches genug, um vielleicht in gehöriger Entfernung, die nächste Stelle an der besagten Tristramischen Reise 10
einzunehmen; und, wenn auch die Leser nicht allemal, so oft sich der Verfasser bey seiner witzig-frölichen Laune wohl seyn läßt, mit von der Partie seyn können, so scheint uns doch das Ganze die günstige Aufnahme die das Buch in Schweden gefunden haben soll, genugsam zu rechtfertigen; zumal da es voller besonderer National-Züge ist, die in Schweden zwar die meiste Würkung thun müssen, aber doch auch selbst in Teutschland nicht ganz verlohren gehen, da wir uns noch immer von G u s t a v A d o l f her für die Schwedische Nation vorzüglich interessiren. Der Übersetzer, Hr. Christian Heinrich R e i c h e l , der nach einem vieljährigen Aufenthalt in Schweden dermalen in Leipzig privatisirt, scheint, soviel wir ohne das Original urtheilen können, alles was zu
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fodern ist geleistet zu haben; den verunglükten Titel ausgenommen, der mit dem Buche selbst nichts gemein hat, und ihm beym ersten Anblik Schaden thut. W.
¼Rezension der Übersetzung Reichels½ D a s M u t t e r s ö h n c h e n
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Der Teutsche Merkur. December 1782.
Eine neue verbesserte Probe v o n H e r r n J a n i’ s Ü b e r s e t z u n g d e r A e n e i d e . Aus dem Vierten Gesang. Wir haben bereits im August dieses Jahres (wiewohl, aus Mangel eines anständigern Platzes, blos auf dem blauen Umschlag) eine Anzeige gemacht von der Metrischen Übersetzung der Aeneide, dieses unvergänglichen Meisterstüks der Römischen Dichtkunst, welche Hr. Rector J a n i zu Eisleben, künftige Ostermesse 1783 auf Subscription herauszugeben gesonnen ist; und wir haben dieser Anzeige eine kleine Probe aus dem vierten Buche beygefügt, die d e n To d d e r D i d o , eine der interessantesten Scenen der ganzen Aeneide schil-
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dert. Hr. J a n i hat sich seit mehrern Jahren durch verschiedene Schriften, und besonders auch durch seine Ausgabe des Horaz, der Welt auf eine so vortheilhafte Art bekannt gemacht, daß man mit bestem Rechte von ihm erwarten kann, daß er einer so wichtigen Arbeit, wie eine Metrische Übersetzung der Aeneide ist, gewachsen sey, und seine Vorgänger weit hinter sich zurücklassen werde. Was uns hauptsächlich in dieser guten Meynung von ihm bestärkt, ist die Unverdrossenheit und Strenge gegen sich selbst, womit er, so lange das Werk noch in seinen Händen ist, an dessen Ve r b e s s e r u n g und A u s f e i l u n g arbeitet, und die Bereitwilligkeit, womit er die Erinnerungen seiner Freunde sich dabey zu Nutze zu machen sucht. Wir haben hiervon eine
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Probe in Händen, welcher wir unsern warmen Beyfall nicht versagen können: und wir nehmen um so weniger Anstand, sie unsern Lesern mitzutheilen, weil die Vergleichung dieses Stückes, wie wir es hier liefern, mit der vorigen Probe, die Liebhaber und Kenner überzeugen wird, daß wir nicht zuviel gesagt haben, und daß man sich von dem Geschmakvollen Fleiße, womit dieser Gelehrte sein vortrefliches Original in unsre Sprache überzutragen beflissen ist, etwas vorzügliches versprechen kann. So groß und mannichfaltig die Schwierigkeiten sind, die er dabey zu überwinden hat; so glauben wir doch versichern zu können, daß er mit eben so vielem Eifer als glüklichem Erfolge mit ihnen ringen werde. Die Ehre des letztern ist zwar ein mächtiger Sporn des erstern:
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aber sehr natürlich ists, daß auch die Aufmunterung, die das Publicum geben kann, ein neuer Antrieb seyn würde, den Beyfall desselben zu verdienen. Die Subscription auf dieses Werk bleibt bis Ende des bevorstehenden J e n n e r s offen. Das ganze wird in E i n e m B a n d e auf die nächste Ostermesse erscheinen. Der Subscriptions-Preis ist Ein Rthlr. 8 ggl. Leipziger Courant. Hiesige Liebhaber belieben sich deswegen an die hiesige H o f f m a n n i s c h e B u c h h a n d l u n g zu wenden. d. H. * * *
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¼Und nun, sinnlos gemacht durch ihr Schiksal, flehte die arme Dido dem Tod, war satt, des Himmels Gewölbe zu sehen. Daß sie gewisser den Schluß, das Licht zu verlassen, vollbrächte, Sah sie, stehend und opfernd am weihrauchduftenden Altar, Ha! entsezlich! — die heilige Flut des gegossenen Weines, Schwärzer und schwärzer, in Unglükverkündendes Blut sich verwandeln. Keinem sagte sie, selbst nicht der Schwester, von diesem Gesichte. Ferner war im Palast’ ein Marmortempel, dem ersten Gatten geweiht, von ihr mit großer Andacht verehret, Und mit schneeweissen Binden und festlichen Kränzen behangen.
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Dorther, dünket’ es ihr, vernahm sie des rufenden Mannes Stimm’ und Worte, wenn finstere Nacht die Erde bedekte; Hört’ oft Leichengesang vom Dache den einsamen Uhu Heulen, und langgeschleppte Töne weinerlich hinziehn. Auch erschütterten viele Verkündungen alter Seher Sie mit schreklicher Ahndung. Im Traume quälet Aeneas Selbst, der Barbar, die Unsinnerhizte: und immer, so dünkt ihr, Wird sie allein gelassen, und wandelt endlose Wege Ohne Geleit, und suchet Tyrer in einsamer Wildnis. So sieht, wütiges Sinnes, das Chor der Erinnyen Pentheus,
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Sieht zwo Sonnen am Himmel, und Theben zwiefach sich zeigen: Und so raset der Sohn Agamemnons, Orest, auf der Bühne,
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Wenn die Mutter ihn jagt, bewaffnet mit Fackeln und schwarzen Schlangen, und wenn auf der Schwelle die rächenden Furien sitzen.
Also da sie, dem Schmerz erliegend, des Wuthgeists voll war, Und entschlossen zu sterben; besprach sie mit ihrem Herzen Zeit und Art; und begann zur traurigen Schwester: — in Ruhblik Barg sie den Schluß, und lies auf der Stirne sich Hoffnung entwölken: — Freue dich, Schwester, mit mir! ich hab’ ein Mittel gefunden, Das ihn zurükbring’, oder von ihm mich Liebende löse. Fern am Gestade des Meers, dort, wo die Sonne hinabsinkt, Lieget der Mauren äusserstes Land, wo der mächtige Atlas
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Wälzt auf der Schulter den Himmel, besezt mit funkelnden Sternen: Eine massylische Priesterinn hab’ ich von dorther bekommen. Pflegerinn war sie des Tempels der Hesperiden: den Drachen Fütterte sie, und bewahrte die heiligen Zweige des Baumes, Schüttet’ ihm flüßigen Honig und schlummerbringenden Mohn vor. Die kann, wie sie verspricht, durch Beschwörungen Herzen lösen, Welche sie will, und andern Quaalen der Liebe verhängen. Stillstehn heißt sie die Ström’, und rükwärts taumeln die Sterne, Zwingt die Manen hervor in der Nacht. Hohlbrüllend erzittert Unter dem Fuße die Erd’ und Eschen entsteigen den Bergen.
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Bey den Göttern, o Theure! bey dir, und deinem geliebten Leben, Schwester! ich schreite gezwungen zu zaub’rischen Künsten. Du thürm’ einen Holzstos heimlich gen Himmel im innern Hofe: lege des Mannes Waffen darauf, die der Frevler Hängen lies in der Kammer, und alle Kleider, und jenes Eh’liche Bett, mein Grab. Die Priesterinn will und verordnet, Ich soll iegliches Denkmal des Abscheuwehrten vernichten. Sprachs und schwieg, und zugleich drang Todesfarb’ in ihr Antliz. Doch fällts Anna nicht ein, durch das fremde Opfer verlarve Dido ihr Leichengepräng; sie denkt sich so schrekliche Wuth nicht,
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Fürchtet Schlimmeres nichts, als bey dem Tode Sichäus: Und sie vollzieht das Gebot.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r
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Da nun von Kienholz und Eichenstücken der mächtige Holzstos Aufgethürmt im innern Palastraum stand; so umzog ihn Dido mit Blumenketten, und faßt’ ihn mit Trauergezweig ein! Legte die Kleider darauf, und das Schwert, das er liebt’, und sein Bildnis Auf das Bette, der Zukunft gewiß. Rings stehen Altäre: Und die Priesterinn, fliegendes Haars, ruft brüllend dreyhundert Götter, und Chaos, und Erebus, und die dreyfachgeliebte Hekate, und mit drey Gesichtern die keusche Diana. Wasser sprenget sie auch, als wärs aus dem Quell des Avernus: 10
Junge Kräuter, am Monde mit ehernen Sicheln geschnitten, Werden gesucht, und Milchsaft schwarzer giftiger Pflanzen. Und das Liebesgewächs, von des neugebohrenen Füllens Stirne gepflükt, und der Mutter entwandt. Dido steht am Altar, streut Salzmehl, hebet die Hände, Einen Fus entschuht, das Gewand entgürtet, und rufet, Nahe dem Tode, die Götter an, und die Sterne, die Schauer Ihres Geschiks, und fleht nun mit Recht um Rache, wenn eine Gottheit eine um sich Liebende betrogen kümmert. Es war Nacht, und die müden Geschöpfe athmeten sanften
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Schlummer über die Welt hin; die Wälder und wütigen Meere Ruhten: — die Sterne rolleten jezt auf der Hälfte der Nachtbahn; Ringum schwieg die Flur: — und Heerden, und farbige Vögel, Und was flutige Tiefen, was buschbewachs’ne Gefilde Weithin bewohnt, lag unter der schweigenden Nacht im Schlafe, Sorgengefreyt, und labte die kummervergessenen Herzen. Nicht die Phönikerinn so, die Herzunglükliche: nimmer Löset der Schlaf ihr die Glieder, ach! nimmer beschleicht ihr die Nachtruh Augen und Brust. Ihr Kummer verdoppelt sich: schwellend von neuem Wütet die Lieb’, und wallt in siedende Wogen des Zorns auf.
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Also beginnt sie, rathschlagt so mit sich selber im Herzen: Ha! was thu ich? Such’ ich, verschmähte, die vorigen Freier Wiederum auf, und biete flehend nun den Nomaden Mich zum Weib’ an, deren Hand ich so oft schon verworfen? Oder folg ich Ilions Schiffen, und werde der Trojer Niedrigste Magd? denn es freut sie doch wohl, daß ich ihnen so treu half?
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Und sie gedenken doch dankbar noch wohl der vorigen Zeiten? Aber, wollt’ ich wer wird mirs verstatten? wer mich verhaßte In die stolzen Schiff’ aufnehmen? — Ach! kennst Du, Verlohrne, Fühlst du noch nicht den treulosen Geist von Laomedons Volke? Und wie? soll ich allein nachfliehn den jauchzenden Schiffern? Oder, umgeben von meiner Sidonier ganzem Geschwader, Ihnen folgen? und die, die ich kaum von Tyrus hinwegriß, Segeln heißen aufs neu’, und umher auf dem Meere sie treiben? Stirb, stirb, wie du verdienst, und ende die Quaal mit dem Schwerte! Du schufst, Schwester, zuerst mir Wutherfüllten dieß Unglük,
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Gabst dem Barbaren mich preis, durch meine Thränen bezwungen. Konnt ich denn nicht ein ehefreyes, schuldloses Leben Führen, ähnlich dem Wild, und diese Schmerzen mir sparen? Aber ich brach die Treue, der Asche Sichäus geschworen! Also entstürzte sie ihrer Brust die heftigen Klagen.
Und Aeneas, gewiß nun der Abfahrt, schlief auf dem hohen Hinterverdecke, nachdem er Alles gehörig bereitet. Da erschien ihm das kehrende Bild des Gottes im Schlafe, Wieder mit eben dem Blik, und warnt’ ihn abermal also: — Alles war von Merkuren, die Stimme, die Farbe, die goldnen
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Locken des Haupts, und der schöne Anstand der blühenden Glieder: — Sohn der Göttin, du kannst in deiner Lage noch schlummern? Siehest nicht die Gefahren, die dich bedrohend umringen? Sinneberaubter! und hörst die günstigen Winde nicht hauchen? Jene führet Betrug und schwarzes Verbrechen im Busen, Sterbenentschlossen, und wallt in wechselnder Hitze des Zornes. Fliehst du nicht eilend von hinnen, so lange noch Eilen dir freysteht? Sehen wirst du auf einmal das Meer von Schiffen erwimmeln, Glänzen wütige Fackeln, das ganze Gestad’ in Glut stehn, Wenn an dieser Küste noch weilend Aurora dich anstralt.
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Auf! auf! reiß dich von hinnen! veränderlich immer und wechselnd Ist ein Weib. So sprach er, und schwand in finstere Nacht hin.
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Aber Aeneas, aufgeschrekt durch das plözliche Dunkel, Riß vom Schlummer die Glieder empor, und trieb die Gefährten: Eilend erwachet, ihr Männer! besetzet die Bänk’ an den Rudern! Löset die Segel geschwind! Ein Gott vom Himmel gesendet, Spornt uns — sehet! noch einmal! — eiligst zu fliehn, zu zerhauen Die geflochtenen Seile. Wir folgen, o heiliger Gott, dir, Wer du auch bist, und vollziehn dein Gebot noch einmal mit Freuden. O! sey bey uns, und hilf uns gütig, und führ’ uns am Himmel Glükliche Sterne herauf. So sprechend entreißt er das rüst’ge 10
Schwert der Scheid’, und zerhaut mit gezüktem Stahle die Seile. Alle zusammen beseelt Ein Feuer: sie reißen, sie stürzen: — Haben die Küste verlassen: der Schiffzug birgt das Gewässer: Kräftiglich drehn sie den Schaum, und schlagen die bläulichen Wogen.
Schon verstreute Aurora den ersten werdenden Schimmer Über die Erd’, und verlies das goldene Bette Tithonus. Da sah Dido, sobald der Morgen ergraute, vom Altan Mit gleichschwellenden Segeln den Zug der Flotte dahingehn, Sah verlassen den Strand, und leer den Hafen von Rudrern. Heftig zerschlug sie nun mit der Hand den reizenden Busen, 20
Riß sich das goldene Haar aus, und sprach: o Jupiter! soll denn Dieser Fremdling so hingehn, und eine Königinn höhnen? Soll nicht mein Volk aus der ganzen Stadt ihn verfolgen? in Ordnung Bringen das Rüstzeug der Flotte? die Schiffe den Rehden entreißen? Fort! auf! Feuer her! spannet die Segel! reget die Ruder! — Ha! was red’ ich? wo bin ich? — mein Kopf! was verrükt ihn für Unsinn? — Arme Dido! erschrikst du jezt vor Verbrechen? o, damals Solltest du, als du die Kron ihm gabst. – Das ist nun des Mannes Biedere Treue, der mit sich trug die Penaten der Väter, Sagt man, und lud auf die Schultern den alten kraftlosen Vater?
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Konnt’ ich denn nicht ihn zerfleischen, und Stük vor Stük in die Fluten Streuen? nicht seine Genossen morden, nicht seinen Askan selbst, Mit dem Schwert’, und dem Vater zum Schmaus’ auf die Tafel ihn setzen? Aber der Ausgang des Kampfs war mißlich? – Wär’ ers gewesen: Sterbenentschlossen, wen fürcht ich? Feuer gebracht in die Schiffe
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Hätt’ ich die Gänge mit Flammen erfüllt, und den Sohn und den Vater Mit dem Volke vertilgt, mich selbst dann drüber gestürzet. Sol, du flammender Späher von allen Werke der Erde! Und du, Zeuginn und Mittlerinn dieser Quaalen, o Juno! Hekate, der in den Städten durch nächtliche Straßen Geheul tönt! Rächende Furien ihr! ihr Götter der sterbenden Dido! O, vernehmts, und kehrt, sie verdienen es, wider die Frevler Eure Macht, und höret mein Flehen. Ist dem Verfluchten, Ist ihm bestimmt, zu erreichen den Hafen, ans Land zu entschwimmen; Heischt es Jupiters Schluß; ist fest dieß Ziel ihm gesetzet:
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Müss’ er, entkräftet durch kriegende Waffen eines beherzten Volkes, dem Land entjagt, aus Julus Umarmung gerissen, Flehen um Hülf’, und sehn der Seinen klägliche Leichen: Und dann, hat er sich schimpfliches FriedensGesetzen geschmieget, Nicht genießen des Reichs und des lieblichen Lichtes: und fallen Vor der Zeit, und grablos liegen mitten im Sande! Das ist mein Flehn; mit dem Blut’ entflieht dieß lezte Gebet mir. Dann, o Tyrer, verfolgt ihr seinen Stamm, und das ganze Künft’ge Geschlecht mit Haß: bringt meiner Asche dieß Opfer. Keine Freundschaft, kein Bündnis bestehe zwischen den Völkern:
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Ha! es keim’ ein Rächer hervor aus meinen Gebeinen, Der mit Flammen und Schwert die verpflanzten Trojer verfolge, Sey’s izt, sey es dereinst, wenn nur die Kräfte sich bieten. Feindschaft fluch’ ich Küsten und Küsten, Wogen und Wogen, Waffen und Waffen: es müssen selbst die Enkel noch kämpfen.
Also sprach sie, und richtete hin und her die Gedanken, Gierig, aufs baldeste nun das verhaßte Leben zu enden: Sprach dann kurz mit Sichäus Pflegerinn, Barcen: — die Ihre Lag im vorigen Vaterland’ in der schwarzen Asche: — Liebe Mutter, hohle doch meine Schwester mir, Anna: Eilend soll sie mit fließendem Wasser sich sprengen, soll mit sich Bringen die Thier’ und verordneten Lösemittel, — und so denn Kommen: du selber umwinde die Schläfe mit heiliger Binde. Denn mein Opfer, dem stygischen Zevs gehörig bereitet,
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Und begonnen, will ich vollbringen, und enden mein Leiden, Und der Flamme den Holzstos weihn, die den Trojer verzehre. Sprichts: und Barce beschleunigt den Schritt mit der Eile des Alters.
Aber zitternd, und wild vom Geiste des schwarzen Entschlusses, Rollend umher die blutigen Augen, die bebenden Wangen, Fleckenbeströmt, und schon erblassend dem kommenden Tode, Stürzt nun Dido hinein in den innern Hof des Palastes, Steigt voll Wuth auf den hohen Scheiterhaufen, und blößet Das dardanische Schwert, das dazu nicht ihr geschenkt ward. 10
Da ersah sie die Kleider des Iliers, und das bekannte Ruh’bett’, und verweilt’ ein wenig in Thränen und Tiefsinn, Sank dann nieder aufs Bett’, und sprach die Worte des Abschieds: Süße Reste, so lange Verhängniß und Gott es vergönnten! Nun empfanget mein Leben, entlößt mich der Quaal, die ich leide! Ausgelebt hab’ ich: vollbracht ist der Lauf, den das Glük mir bestimmte: Nun wird unter die Erde mein großer Schatten hinabgehn. Eine herrliche Stadt erbaut’ ich, Mauern, die mein sind, Sah ich, rächte den Gatten, bestrafte den hassenden Bruder: Selig, ach, allzu selig, hätten Dardanischen Kiele
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Nur mein Gestade nimmer berührt! So sprach sie, und drükte Dann aufs Bett ihr Angesicht hin: ich sterb’ ohne Rache, Knirschte sie; — doch will ich sterben! doch, doch, zu den Schatten hin wandeln. Sehe vom Meere dieß Feuer der grausame Trojer, und nehme Mit auf die Reise die Fluchesahndung von meinem Tode! Also sprach sie: indem erblicken sie plötzlich vom Schwertstoß Eingesunken die Dirnen, und triefend das Eisen von Blutschaum, Und die Hände besprizt. Zu den prächtigen Sälen erhebt sich Angstgeschrey: das Gerücht’ ras’t durch die erschütterte Stadt hin: Und von Geächz und Klagen und Weibergeheul erbrauset
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Jegliches Haus: von lautem Jammer erhallet der Himmel: So, als stürzte, von Feinden durchströmt, Karthago zusammen, Oder die alte Tyrus, und wälzten sich wütende Gluten Über Gipfel der Menschen, und über Gipfel der Götter. Seelenlos hört’ es die Schwester, und stürzt in erschrockener Eile,
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Mit den Nägeln verheerend ihr Antliz, die Brust mit den Fäusten, Durch das Gedräng, und rief die Sterbende laut bey dem Namen: Meine Schwester, so war es denn das? du wolltest mich täuschen? Das bereiteten mir Altär’ und Flammen und Holzstos? Ich Verlaßne, was klag’ ich zuerst? Verschmähst du im Tode Deiner Schwester Geleit? O! riefst du zu gleichem Geschicke Mich auch: so tödtet’ uns beid’ Ein Stahlstisch, Eine Minute. Selber thürmt’ ich dieß Holz und rief die Vaterlandsgötter Feierlich an, um mich grausam von Dir Erblaßten zu trennen? Dich getödtet, und mich das Volk und die Väter von Sidon,
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Dein Karthago, hab’ ich. Auf! laßt mich mit Wasser die Wunde Waschen, und, wenn ein sterbender Hauch noch über ihr schwebt, ihn Saugen. So hatte sie jammernd die hohen Stufen erklommen, Barg umfassend im Busen die halbentseelte Schwester, Ächzt’, und wischte das schwarze Blut weg mit dem Gewande. Dido kämpft die schweren Augen zu heben, und dämmert Wieder in Nacht: laut quillt am Busen die offene Wunde. Dreymal hub sie sich, strebend empor auf dem stützenden Arme, Dreymal schlug sie zurük aufs Bett’, und suchte mit irren Augen am hohen Himmel das Licht, und fand es, und seufzte.
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Und nun lies die allmächtige Juno sich jammern der langen Quaal, und des schweren Todes, und sendet’ Iris vom Himmel, Daß sie den kämpfenden Geist den umfesselnden Gliedern entwände. Denn da die Arme nicht kraft des Geschiks, nicht verdieneten Todes, Sondern vor ihrem Ziel’, entflammt von plözlicher Wuth, starb: Hatt’ ihr Proserpina noch das gelbe Haar von der Scheitel Nicht geschnitten, ihr Leben dem stygischen Orkus zu weihen. Also flog die bethauete Iris, mit goldenen Flügeln, Schimmernd im Antliz der Sonne von tausend spielenden Farben, Durch den Himmel herab, schwebt’ über Dido: dem Pluto Weih’ auf Befehl ich dies Haar, und entlöse dich diesem Leibe! Also sprach sie, und schnitt mit der Rechten das Haar ab. Sogleich schwand Alle Wärme dahin, und die Seel entwich in den Äther.½
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B e r g h o f e r s gesammelte Schriften. Diese bestehen aus folgenden, meistens schon besonders gedrukten, aber zum Theil wenig bekannt gewordnen Stücken: Gedichte. Beleuchtung einiger dunkeln Örter in den vornehmsten Gebäuden der Stadt. Lektür und Denken. Bescheidenheit und Selbstkenntniß. Fragment zur Sittenlehre. 10
Charakteristische Züge mit freyem Geist entworfen. Briefe an Cleis. E i n i g e S c e n e n a u s d e m S c h i k s a l e d e s Ve r f a s s e r s . Hr. B e r g h o f e r hoft das Publicum werde billig genug denken, zu Anschaffung seiner Schriften den Weg einzuschlagen, der, wie er glaubt, für d e n S c h r i f t s t e l l e r der sicherste ist — nehmlich, den Weg der Pränumeration. „Diejenigen (sagt er) welche, nur auf sich selbst bedacht, eine Schrift nach der Hand bequemer anzuschaffen gewohnt sind, mögen bedenken — daß sie dem Verfasser dadurch diese oft einzige Entschädigung und Aufmunterung versagen. — Der V. hat es ohnehin seinen Mitbrüdern nicht schwer gemacht, aus
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seinem Leben und aus seinen Schriften zu erkennen, weß Geistes Kind er ist. Mag der Unrath schreibsüchtiger Köpfe, der Handlungen tödtet, müßiges Denken zeugt, und die Menschen um praktische Wahrheit, Gesundheit und Glükseligkeit betrügt — mögen auch s e i n e Schriften, wenn sie darunter gehören, den Weg einer baldigen Fäulniß gehen! Ist aber ein offner Charakter, ist Seelengröße darinn, so — ist der V. nicht der erste Eiferer für die reine Tugend und Wahrheit, den man mit Unglück kämpfen, und ein mühseliges Leben gleichgültig hinauswandeln sah. An dergleichen Scenen sind die Menschen schon gewohnt, wie an tragische Gemählde, wobey es nichts kostet — zu empfinden. Haben sie nicht auch Lust an kämpfenden Thieren, und lassen, sich
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abzuhärten und zu amusiren, dem Wolf ein Lamm vorwerfen. Die Vornehm-
¼Rezension½ B e r g h o f e r s g e s a m m e l t e S c h r i f t e n
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sten unter ihnen haben so reizbare Nerven, und sind so weichherzig — gegen sich selbst, daß sie nichts weniger als eine freye gerade Denkungsart vertragen. So sehr sie auch mit erhabenen grossen Gesinnungen prahlen, so verstokt und geblendet sind sie beym hellsten Lichte der Wahrheit — sobald man ihnen den Spiegel vorhält, sich selbst zu beschauen. Nicht wahr? ein unruhiger Mann ists, der, beym allgemeinen Betrug, allein kein Betrüger seyn, und jedes Ding bey seinem rechten Namen nennen will? ein Mann ohne Lebensart, der sich da der feigen Höflichkeit schämt — die Eurer Eigenliebe, Euren Lastern und Thorheiten so wohl zu statten kömmt? — Weh ihm, daß er nicht mit knechtischer Unterwerfung seiner Grundsätze zu jenen kleingesinnten Gro-
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ßen hinankriecht, die das Glük aus ihren Händen vertheilen. Die Freundschaft edler, wahrheitliebender Seelen, deren es hier und da noch einige giebt, wäre freylich Schadloshaltung für ihn; wenn er durch seine Schriften so glüklich wäre, unter dem Wirbel der Geschäfte und Menschen ihnen bekannt zu werden.“ Pränumeration (welche bis 1. März offen bleibt und 1 Fl. 30 Kr. beträgt) nimmt in Wien der Verfasser in seiner Wohnung am Rennweg bey der Schützen, die v. Schönfeldische Buchhandlung am Kärnterthor, und Hr. Gronner Buchb. in der Wohlzeil neben dem Koffehaus. — Hier in We i m a r erbietet sich die H o f f m a n n i s c h e B u c h h a n d l u n g dazu. Ich habe den Hrn. B e r g h ö f e r , der (wie ich besorge) der Welt noch zu
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wenig bekannt ist, persönlich als einen der edlen und guten Menschen kennen gelernt, welche mehr sind als sie scheinen, und denen man gleich in der ersten Viertelstunde sein Herz nicht versagen kann. Er hat in seiner n a t ü r l i c h e n A n l a g e , in seiner S i n n e s a r t , und in seinen S c h i k s a l e n viel Ähnliches mit J . J . R o u s s e a u ; und wenn ihm die Umstände günstiger gewesen wären, würde er diesem berühmten und ehrwürdigem Sonderling auch an den Talenten des Geistes und als Schriftsteller vielleicht eben so nahe kommen, als er ihm in Mangel an Weltklugheit, und in t u g e n d h a f t e r und M e n s c h e n f r e u n d l i c h e r M i s a n t h r o p i e ähnlich ist. Wie ich ihn kenne, muß ihm der Schritt, den er hier thut, sauer geworden seyn. Aber vielleicht ist es ein Mittel, dem g r o ß e n K a i s e r bekannt zu werden, der einen Mann von solchem We r t h und von solcher B r a u c h b a r k e i t gewiß nicht lange ungenützt in seinen Staaten lassen würde. d. H.
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¼Incerta½
Eine Preisaufgabe von der T. Gesellschaft in Mannheim. Die K u r p f ä l z i s c h e Te u t s c h e G e s e l l s c h a f t i n M a n n h e i m , sezt eine D e n k m ü n z e v o n f u n f z i g D u k a t e n an Wehrt zur Belohnung, für die Auflösung folgender Frage: „Welche sind die Haupt-Epochen und Veränderungen die sich vom achten Jahrhundert an bis auf unsere Zeiten in der Teutschen Sprache ereignet, und was hat die Teutsche Sprache bei jeder Veränderung und Epoche an Stärke und an Ausdruck gewonnen oder verlohren?“ 10
Die Aufsätze müssen zu Ende des Christmonats 1782. unter der Aufschrift des Geschäftsverwesers der Teutschen Gesellschaft, Hr. H ä f e l i n , eingeschikt werden. Ein verschlossener Zettel soll den Namen des Verfassers enthalten; von aussen muß der Zettel mit einen Denkspruch, mit welchem auch die Preisschrift zu bezeichnen ist, überschrieben seyn. Die Schrift, welche die beste Auflösung der aufgestellten Frage enthält, wird in der öffentlichen Sitzung der Gesellschaft zu Ende des Brachmonats 1783. mit der bestimmten Denkmünze gekrönt werden.
¼Anzeige½ E i n e P r e i s a u f g a b e
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C . H . Wo l k e n s Beschreibung der zum Basedowschen Elementarwerk gehörigen Kupfertafeln. Der berühmte Vorsteher des Dessauischen Philanthropins Hr. Wo l k e hat vor kurzem eine N a c h r i c h t v o n s e i n e r B e s c h r e i b u n g d e r z u m E l e m e n t a r w e r k e g e h ö r i g e n H u n d e r t K u p f e r t a f e l n auf dritthalb Bogen in 8. herausgegeben, welche die M e t h o d e n anzeigt, wodurch der Jugend auf eine leichte und angenehme Weise Kenntnisse der Sachen und Sprachen mitgetheilt werden, und die deßwegen allen Eltern und Lehrern in Schulen und Familien, denen sie zugeeignet ist, sehr willkommen seyn muß. Hr. W . fängt 10
darinn mit einer eben so naiven als bescheidnen Nachricht von sich selbst und von den Anfängen und Fortgängen des Dessauischen Erziehungs-Instituts, das ihm so viel zu danken hat, an; kommt so dann S. XII. auf diejenigen E r f a h r u n g s s ä t z e , auf welche er die Behauptung gründet, d a ß d i e Ve r sinnlichung der fremden Wörter die einzige gute Methode sey f r e m d e S p r a c h e n m i t z u t h e i l e n , und von diesen S. XIV.—XXVI. auf die Beschreibung einiger von diesen Lehrarten selbst, wodurch ihm ehedem der Unterricht so ausserordentlich gelungen. Er hat diese Beschreibung in eine Reihe von Briefen eingekleidet, worin ihm seine erste Schülerin ( E m i l i a B a s e d o w ) Nachricht giebt, wie seine Belehrung ehmals auf sie gewürkt.
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Diese Briefe unterrichten durch lauter Beyspiele, auf die deutlichste und faßlichste Art, erstlich von d e r e i g e n t l i c h e n s o g e n a n n t e n Ve r s i n n l i c h u n g s - M e t h o d e , und sodann von verschiedenen S p i e l e n , welche Er, um die Würkung von jener zu unterstützen und zu befördern, erfunden, als da sind: das C o m m a n d i e r s p i e l , das N a m e n r a t h e n , das F i g u r n e r r a t h e n , das U r t h e i l - P r ü f u n g s s p i e l u. s. w. Wir glauben nicht, daß jemand, der sich von diesen Lehr-Methoden und Spielen aus der Wolkischen Broschüre selbst unterrichten wird, die Brauchbarkeit und den vorzüglichen Nutzen derselben wird in Zweifel ziehen können: vorausgesezt, daß Hr. Wolke auch sein ganz eignes, und (wie wir befürchten) gar zu seltnes Ta l e n t f ü r d i e A u s -
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ü b u n g d e r s e l b e n , und die ganz besondern F e r t i g k e i t e n die dazu gehören, mit seiner eben so seltnen Kinder-Liebe und Geschiklichkeit sich ihnen zugleich beliebt und respectabel zu machen, den Lehrern, denen diese Me-
¼Rezension½ Wo l k e n s B e s c h r e i b u n g
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thoden empfohlen werden, zugleich mittheilen könnte. Auch können wir nicht bergen, daß wir diese Briefe, noch ungleich interessanter gefunden haben würden, wenn sie würklich von Emilien Basedow geschrieben wären. Von S. XXVI. folgt noch etwas v o m G e b r a u c h d e r b e s c h r i e b n e n E l e m e n t a r k u p f e r i n s b e s o n d e r e . Wer wird nicht das von dem berühmten Preußis. Staats-Minister F r e y h e r r n v o n Z e d l i z , in seiner Rede S u r l e P a t r i o t i s m e gefällte und mit sehr bündigen Gründen unterstüzte Urtheil, daß d i e S a m m l u n g d e r E l e m e n t a r k u p f e r (oder doch wenigstens andre den nehmlichen Zweck auf die nehmliche Weise befördernde Werke *) d a s H a n d b u c h e i n e s j e d e n S c h u l - L e h r e r s s e y n s o l l t e — mit voller Überzeu-
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gung unterschreiben? Das Übelste ist nur daß es überall so sehr an Lehrern fehlt, die ein solches Handbuch recht zu gebrauchen wissen – und ebendarum können wir nicht umhin, die Wo l k i s c h e B e s c h r e i b u n g z u d e n E l e m e n t a r k u p f e r n , welche durch diese Broschüre angekündigt wird, allen Eltern und Lehrern denen die Bildung der ihnen anvertrauten Kinder am Herzen liegt, aufs angelegentlichste zu empfehlen. D i e e r s t e L i e f e r u n g erklärt in Z w o o A b t h e i l u n g e n D r e y u n d f u n f z i g Elementar-Kupfertafeln. Sie ist 1 Alphabet in groß Octav stark, und kostet 1 Rthl. — die dazugehörigen 53 Kupfertafeln aber einen halben L u i s d o r oder 2 1/2 Thaler. Von dieser Beschreibung ist auch eine Französische und Lateinische Übersetzung zu haben; auch wird d e r e r s t e T h e i l des von H r n . P r o f . Tr a p p umgearbeiteten Elementarwerks zur Ostermesse 1782. herauskommen.
*)
Wie z. B. der neue Orbis Pictus seyn wird, den wir von den Herren S i m o n und S c h w e i g -
h ä u s e r bald zu erhalten hoffen.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r
(Ende Januar 1782)
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Nachricht die Z w e y b r ü c k i s c h e neue Ausgabe von J . J . R o u s s e a u s s ä m t l i c h e n We r k e n betreffend. Der Herzogl. Zweybrückische Rent-Cammer-Secretär, H e r r L u d w . P h i l i p p H a h n , z u Z w e y b r ü c k e n , giebt seinen Gönnern und Freunden, welche ihn, durch Besorgung der Subscribentensammlung, für die, im Heumonde vorigen Jahres, angekündigte neue, zierliche und dennoch sehr wohlfeile, Ausgabe von J . J . R o u s s e a u s We r k e n , mit eben so gutem Willen als Erfolg, unterstützet haben, in einem gedruckten Blat die Nachricht: daß gegen, oder gleich nach O s t e r n d i e s e s J a h r e s , d e r E r s t e , vielleicht auch der zweite 10
und dritte Band, d a s g a n z e We r k aber zuverläßig noch v o r A b l a u f d i e s e s J a h r e s , abgeliefert werden solle. Aus Beweggründen, wovon dieser der erste und fürnehmste ist, daß dieses Institut in den entferntern Gegenden Teutschlands noch nicht so bekannt worden, als er gehoft hatte, wird der S u b s c r i p t i o n s - Te r m i n noch bis zum e r s t e n A p r i l d . J . verlängert. Wer also von izt an bis Ostern unterzeichnet, erhält noch das ganze Werk in dem Subscriptionspreis, nemlich um E i n e n n e u e n L u i s d o r , oder 6 Reichsthaler 4 gr. Sächsischer Währung, den alten Luisdor zu 5 Thlr. gerechnet. Noch bittet derselbe, wegen Bestellung und Übersendung der Exemplaren, sich a l l e i n an Ihn, und an seine C o r r e s p o n d e n t e n zu adressiren, die sich dem Publi-
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kum schon genannt haben oder noch nennen werden: weil, nach der gemachten Einrichtung, keine Subscription oder Bestellung angenommen werden kann, es seye denn, daß solche bey Jenen, oder in deren Ermanglung unmittelbar bey ihm, H r n . H a h n , selbst geschehe. Wer in hiesigen Gegenden von dieser Verlängerung der Subscriptions-Zeit etwa noch Gebrauch machen will, wird ersucht, sich deshalb bey dem Herausgeber des T. M. binnen izt und Ostern d. J. zu melden.
Nachricht
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H o m e r s O d ü s s e e , übersezt von J . H . Vo ß . H a m b u r g , auf Kosten des Verfassers. D e s s a u in der Buchhandlung der Gelehrten. Wir gedenken dieser Übersetzung (welche, besag der ansehnlichen Subscriptions-Liste, bekannt genug ist, um keiner weitern Anzeige zu bedürfen) bloß als einer seltnen und merkwürdigen Erscheinung an unserm Litterarischen Horizont, und um dem Verf. für das ungemeine Vergnügen, womit wir sie gelesen haben, öffentlich Dank zu sagen. Das Verdienst, so sich Herr Voß dadurch um unsre Litteratur gemacht hat, ist den grossen Schwierigkeiten gleich die er aufs glüklichste überwunden hat. Die Übersetzung ist so g e 10
t r e u , daß man sie beynahe w ö r t l i c h nennen kann; ein wesentlicher Vorzug, den sie vor allen übrigen metrischen Übersetzungen Homers voraus hat, und worinn ihr allein die Italiänische des Abts S a l v i n i an die Seite gesezt werden kann. Bey dieser Treue ist sie durchaus ächt und rein in der Sprache, frey von affectierten Gräzismen, seltsamen Wortfügungen, harten Versetzungen, und dergl., ist überhaupt schön versificiert, und so fließend, daß Niemand, der nicht selbst vom Metier ist, den Fleiß, womit die Verse gearbeitet sind, und die Mühe, die sie dem Verfasser oft gekostet haben müssen, so leicht gewahr werden wird. − Der Umstand, daß Herr V. Zeile für Zeile übersezt hat, wird dadurch, daß er dieser Genauigkeit auch nicht die kleinste Schönheit des Ori-
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ginals aufgeopfert, zu einem sehr wichtigen Vorzug, und jeder Anderer, dem d e r G e n i u s H o m e r s nicht so sichtlich beygestanden hätte, würde unter einer so schweren Aufgabe erlegen seyn. − Kurz, Homer hat noch in keiner uns bekannten Übersetzung in jeder Betrachtung weniger verlohren; und wer die Odyssee nicht Griechisch lesen kann, findet hier einen Abguß, der dem Urbild so ähnlich sieht, daß der Unterschied − selbst für den kalten Kunstrichter − von keiner Erheblichkeit ist.
¼Rezension der Übersetzung von Voß½ H o m e r s O d ü s s e e
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Das Leben v. Sebastian Josephs von Carvalho und Melo, Marquis v o n P o m b a l , G r a f e n v o n O e y r a s , gewesenen Staats-Sekretärs und ersten Ministers Joseph I. Königs in Portugall, aus dem Italienischen übersezt von C . J . J a g e m a n n , e r s t e r T h e i l . Dessau auf Kosten der Verlagskasse für Gelehrte und Künstler, und zu finden in der Buchhandlung der Gelehrten. 1782. Ladenpreis 1 Rthlr. 4 gr. Wenn die Begebenheiten, die in dieser Lebensgeschichte von dem berühmten Staatsminister, Marquis de Pombal, erzählt werden, auch nur zur Hälfte wahr sind, so ist es um allen den hohen Werth, den ihm der Ruf zur Zeit seiner 10
Staatsregierung beilegte, auf einmal geschehen. Wir wollen annehmen, daß durch dieses Werk ein Ex-Jesuit, dessen ganze Gesellschaft, vom P. General bis auf den Bruder Koch, Pombal, als Theilhaber an dem gewagten Königsmord und als Aufrührer, nicht nur aus allen portugiesischen Staaten auf eine harte und schimpfliche Weise verbannt, sondern auch durch häufig ausgestreute Schriften als Solche bei allen Nationen verhaßt gemacht hat, sein Müthlein an ihm habe kühlen wollen; so haben wir daher noch kein Recht, ihm geradezu die Wahrheit abzusprechen. Wie würde es um die Ehre und Wohlfahrt der Rechtschaffensten stehen, wenn dem Beleidigten, der die Bosheit seines Feindes bloß stellt, durchaus kein Glauben beizumessen wäre, auch wenn er die
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vornehmsten Streitpunkte mit Urkunden belegte, oder Dinge erzählte, die vor vieler Menschen Augen sich zugetragen haben? − Daß der Marquis von P. weder so unschuldig als Metellus, noch ein so grosser Staatsmann als ein Richelieu oder Colbert war − das bezeugen ohne vieles Untersuchen die unrechtmäßig an sich gebrachten Güter, die er nun wieder herzustellen gerichtlich gezwungen wird − die zu seinem Vortheil errichteten Monopolien − der noch fortdauernde Mangel an eigenen Manufakturen in Portugal − die daselbst noch herrschende Finsterniß in Künsten und Wissenschaften. Kommt nun noch hinzu der im vorigen Jahre für ungerecht erklärte Proceß wider die hingerichteten Familien von Tavora und Aveiro, das offenbar ungerechte Todes-
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urtheil des P. M a l a g r i d a , die vielen Unglüklichen, welche ohne Urtheil und Recht theils in schreklichen Kerkern und in Festungen gestorben, theils nach einem elenden Gefängniß von mehr als 18 Jahren durch gerichtliche Unter-
¼Rezension der Übersetzung Jagemanns½ D a s L e b e n v . S e b a s t i a n
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suchung für unschuldig erklärt worden sind, und das wider ihn gefällte Urtheil vom 16 August 1781, worinn er als ein strafbarer Missethäter behandelt wird; (wie dann dieses alles theils schon in diesem ersten Bande, und größtentheils im zweiten mit gerichtlichen Urkunden bewiesen wird) so mag der Verfasser immerhin in manchen Stellen sich allzuhöhnisch und bitter ausgedrukt, so mag er diese oder jene Begebenheit, deren vollständige Erzählung mehr zur Geschichte Portugals als zur Biographie eines Ministers gehöret, nicht so ausführlich, als wir es zu unserer Aufklärung wünschten, erzählt haben: wir werden es ihm dennoch als ein großes Verdienst um die Menschheit anrechnen, die Ehre so vieler unglüklichen und zum theil hohen Perso-
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nen, die wir für schuldig hielten, unter fremden Nationen wieder hergestellt zu haben. Der gelehrte und fleißige Herr Bibl. J. hat bei dieser Übersetzung noch besonders das Verdienst, die weitläuftigen Dokumente, welche in den Original-Text eingeschaltet sind, kürzer gefaßt, und ans Ende eines jeden Bandes versezt zu haben, wodurch das Werk angenehmer zu lesen, und aus fünfen in zwei Bände zusammengedrängt worden ist. Die Dokumente und Nachrichten, welche am unrechten Ort standen, weil sie der Verfasser später erhalten hatte, und einige Verbesserungen und Zusätze, die sich im fünften Bande finden, hat er in ihre gehörige Stellen eingeschaltet. Der zweite Band, der dieses Werk beschließt, ist unter der Presse.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r
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Ankündigung eines Archivs denkwürdiger Ereignisse und gem e i n n ü t z i g e Vo r s c h l ä g e . Bey der täglich zunehmenden Menge teutscher Journale fehlt uns noch immer das, was die Franzosen in ihrem Esprit des Journaux besitzen, nämlich: ein kernhafter Auszug aus den besten; ein Werk von welchem man im voraus erwarten kann, daß es dem größern Theil teutscher Leser eben so nüzlich, als angenehm seyn wird: weil dadurch allein, alle in so vielen Schriften zerstreut liegende nüzliche Wahrheiten, Entdeckungen und Vorschläge unter Einen Gesichtspunkt vereint, und allgemein bekannt werden können. Diese 10
Betrachtung hat eine Gesellschaft nicht blos Gelehrter, sondern vorzüglich auch praktisch erfahrner Männer von verschiedenen Ständen auf den Entschluß gebracht, mit dem bevorstehenden Jahr 1782. zu Prag ein neues periodisches Werk unter dem Titel: A r c h i v d e n k w ü r d i g e r E r e i g n i s s e u n d g e m e i n n ü t z i g e r Vo r s c h l ä g e herauszugeben. Um aber diesem neuen Werke auch von einer eignen Seite einen größern Werth zu geben, haben die Herausgeber beschlossen, mit demselben einen andern, bishieher noch unversucht gebliebenen Plan zu vereinigen; worüber sie sich selbst folgendergestalt erklären. „Es giebt Männer von Einsichten, welche weder in öffentlichen Bedienun-
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gen stehen, noch sonst geneigt sind ihre nüzliche Kenntnisse, aus denen das gemeine Beste nicht selten wesentliche Vortheile ziehen könnte, an den Tag zu geben, weil Sie — mit einem Worte — unbekannt bleiben wollen. Es giebt aber auch Männer von Einsicht und Erfahrung, welche wirklich Ämter begleiten und dennoch Anstand nehmen, auch die besten Vorschläge unter ihrem Namen bekannt zu machen, aus Besorgniß sich dem Verdacht auszusetzen, daß blos Neuerungssucht, Ruhmbegierde, oder dergl. ihre Triebfeder seye. Die Herausgeber glauben daher dem ganzen teutschen Publikum überhaupt, wie solchen erleuchteten Männern insbesondere, keinen unbedeutenden Dienst zu leisten, wenn sie den Leztern mit ihrem Journal den Weg eröf-
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nen, die Früchte ihrer Einsicht, ihres Fleißes und ihrer Erfahrungen zum allgemeinen Besten bekannt zu machen, mit der Hofnung, daß solche hie oder da, und nicht selten in dem nemlichen Staate in dem sie leben, besonders wenn
Ankündigung eines Archivs
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ihre Vorschläge diesen angehen, zur wirklichen Anwendung gelangen können, ohne daß ihr Name, wenn sie es nicht selbst verlangen, genannt werden wird. Sie zählen vielmehr auf Beyfall und Unterstützung, wenn sie hiemit ihre Bereitwilligkeit ankündigen, mit der sie alle, was immer für Namen habende, Erfindungen und Vorschläge in Wissenschaften, Künsten und Staatsgeschäften, sie mögen sich nun auf das Beste eines einzigen Landes, oder mehrerer Staaten beziehen, insoferne man daraus auch nur den kleinsten Nutzen für das gemeine Beste, oder irgend eines Theils desselben absehen kann, in ihr Journal aufnehmen, und sich bey deren Bekantmachung, soviel nur immer möglich, an die Bedingniße des Einsenders halten werden.“
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Die Herausgeber haben bereits einen ansehnlichen Vorrath solcher Materialien in Händen, und sie erwarten künftig noch mehreren Zufluß von Männern, die ihre patriotische Absicht nach dem wahren Sinne zu beurtheilen und fruchtbar zu machen im Stande sind. Der aus diesen Gründen gewählte und oben angeführte Titel zeigt schon, daß dieses neue Journal nur darinn mit dem Esprit des Journaux eine Ähnlichkeit haben wird, daß die Herausgeber alles, was sie in andern sowohl teutschen als ausländischen Journalen nach ihrem Plan zwekmäßiges finden, aus diesen herausheben und ihren Lesern mittheilen wollen; darinn aber soll es von seinem Vorbild, wie von allen bisherigen teutschen Werken dieser Art
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abgehen, daß es weder Gedichte noch Erdichtungen, weder Recensionen noch historische Geschichtserzählungen, weder fremde noch eigene, bloß spekulative oder theoretische Ausarbeitungen, kurz nichts, was blosses Ideal oder Raisonnement heißt, sondern einzig und allein, wirkliche Thatsachen, merkwürdige einzelne Vorfälle und Ereignisse in der politischen, moralischen und physischen Welt; neue Erfindungen, Entdeckungen oder Verbesserungen in Künsten und Wissenschaften, oder diesen Hauptgegenständen verwandte nüzliche, vorzüglich aber, anwendbare Vorschläge, Bemerkungen u. s. w. enthalten wird. Nach diesem Plan also, soll hiemit ein eben so unterhaltend als gemeinnütziges Archiv aller Denkwürdigkeiten des laufenden Jahres, vereint mit den lauten Wünschen und Verbesserungsvorschlägen aufgeklärter Patrioten, angelegt werden, wovon die Herausgeber monatlich ein Heft von 6 Bogen in 8, und zwar das erste mit Ende Jenners 1782. zu liefern gedenken. Alle vorbenannte Materialien selbst aber, sie mögen nun aus andern gedrukten perio-
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dischen Werken, oder aus schriftlichen Originalbeiträgen gezogen seyn, werden unter folgende drei Hauptrubricken vertheilt, und damit jedes Heft nach Maße des Vorraths angefüllt werden, nehmlich: I. Ö f f e n t l i c h e , o d e r a l l g e m e i n e We l t - u n d S t a a t s d e n k w ü r d i g k e i t e n , worunter jedoch keine gewöhnliche, fortlaufende Zeitungsrelationen, sondern blos ausgehobene, einzelne merkwürdige Fälle, neue Einrichtungen und Gesetze, Aufhebung der alten oder bleibende Veränderungen mit den hieher einschlagenden Verbesserungsvorschlägen, u. s. w.; dann grosser Minister, Regenten u. a. hoher Personen Lebensbeschreibungen, Anekdoten 10
u. d. g. verstanden werden. II. M o r a l i s c h e , o d e r b ü r g e r l i c h e P r i v a t d e n k w ü r d i g k e i t e n , welche sowohl gute und edle, als auch besonders schwarze Handlungen, samt ihren Veranlassungen und Folgen; nüzliche, die sittliche Verbesserung, Erziehung u. d. g. betreffende Vorschläge und Erinnerungen, Lebensbeschreibungen, sonderbare Rechtshändel u. d. g. von einzelnen Menschen unter sich begreiffen sollen. III. D e n k w ü r d i g k e i t e n a u s d e m R e i c h e d e r W i s s e n s c h a f t e n u n d K ü n s t e , wohin sodann alle neue nüzliche Erfindungen und Entdeckungen, was immer für einen Gegenstand sie betreffen mögen, samt dahin ge-
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hörigen Bemerkungen, Untersuchungen und Vorschlägen; merkwürdige Ereignisse, Anstalten, und Vorfälle in der gelehrten Welt; Anzeigen sowohl zwekmäßiger Beantwortungen vorzüglich gemeinnütziger Preisfragen, als auch besonders merkwürdiger, neuer und in ihrem Fach ausgezeichneter, wahrhaft originaler Bücher — doch alles dieß ohne Beurtheilungen — und endlich gedächtnißwürdige Anekdoten, Veränderungen, Lebensbeschreibungen und Sterbefälle allgemein bekannter und geschäzter, oder doch allgemeinere Bekanntwerdung verdienender Gelehrten u. d. g. gehören. Dieses Archiv wird solchemnach, wie schon gesagt, nicht nur allen und jeden, sowohl einheimischen als auswärtigen Menschenfreunden zur Be-
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kanntmachung ausserordentlicher Vorfälle, oder zur Mittheilung nüzlicher Vorschläge, Erinnerungen, Verbesserungen u. s. w. jederzeit offen stehen; sondern die Herausgeber selbst laden hiemit jeden helldenkenden Patrioten, er wohne nun inn- oder ausserhalb unsrer Gränzen, dem die Verbesserung des Wohlstandes seiner Mitmenschen nicht blos als Wunsch am Herzen liegt, der vielmehr das seinige thätig dazu beitragen kann und will, öffentlich und fei-
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erlich ein, sich dessen zu bedienen, und sie mit zwekmäßigen Beiträgen zu unterstützen: denn nicht auf Böhmen allein, auch nicht auf die k. k. Staaten allein, wiewohl doch allemal zunächst auf diese Rüksicht genommen werden soll, nein, auf alle unsre teutsche Nachbarn und Mitbürger, — hoffen die Herausgeber — soll sich der Nutzen ihres Instituts ausbreiten. Sie behalten sich jedoch hiebei vor, alle dergleichen Beiträge, ehe selbige zum Druk gegeben werden, genau zu untersuchen, solche nöthigenfalls auch hie und da mit berichtigenden Anmerkungen zu begleiten, und nur, was sie zwekmäßig, zugleich aber auch anwendbar finden, ihrem Archiv einzuverleiben; um nicht das lesende Publikum mit einer Sündfluth unerheblicher, oder
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oft nur in der Einbildungskraft ihrer Verfasser möglicher Verbesserungen, zu überschwemmen. Mit eben soviel Sorgfalt in der Auswahl werden sich hienächst die Herausgeber angelegen seyn lassen, zu ihrem Zwek brauchbare, in grössern oder nicht genug bekannten Werken verstekte Aufsätze aus diesen herauszuheben, oder durch kernhafte Auszüge gemeinnütziger zu machen. Nach dieser Vorstellung hoffen nunmehr die Herausgeber, daß ihr Journal — zwar nicht ein einziges unsrer bisherigen guten teutschen Werke dieser Art entbehrlich machen — aber doch vielen, ja gewiß den mehresten unter der grossen Menge teutscher Leser, die nicht alle, sondern nur ein oder einige
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wenige unsrer bisherigen Journale halten können, — alle übrige wenigstens in dem Wichtigsten, in der Kenntniß der Welt- und Menschenschiksale, ersetzen soll. Wer also dieses neue Journal für das künftige Jahr zu erhalten wünscht, beliebe sich deßhalben in des Hrn. Wo l f g a n g G e r l e , B u c h h a n d l u n g z u P r a g , zu melden. Einheimische Liebhaber zahlen für den ganzen Jahrgang von 12 Heften 4 Gulden Kaisergeld voraus, und erhalten dagegen monatweiß die Hefte brochirt; auswärtige Liebhaber hingegen können solches um den nehmlichen Preis bandweiß von 6 zu 6 Heften, oder auch heftweiß gegen besondere Vergütung der Übersendungskosten, in allen Buchhandlungen Teutschlands, wie auch durch die löbl. Postämter ihres Orts habhaft werden. Es werden aber weder einzelne Hefte, noch auch einzelne Bände von 6 Heften besonders gegeben; doch können die Liebhaber zu allen Zeiten eintreten, wenn sie nur den ganzen Jahrgang bezahlen, und die vorhergehende Hefte desselben mitnehmen.
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Die ausgebetenen Beiträge wünschen die Herausgeber unter Adresse des vorgenannten Buchhändlers so viel möglich Postfrei zu erhalten, wozu unter andern die Übermachung derselben mittelst ein oder anderer Buchhändlerversendung von dem Wohnort des Verfassers, es sei nun gerade hieher oder ü b e r L e i p z i g in Einschluß an Herrn S . L . C r u s i u s empfohlen wird.
Ankündigung eines Archivs
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E i n i g e C h a r a k t e r z ü g e aus dem Leben des Herzogs von Burgund, Va t e r s v o n Ludwig XV. (vom Abt Proyart.) Folgendes ist aus den hinterlaßnen Pappieren dieses Prinzen genommen, der seinem Mentor, dem vortreflichen F e n e l o n , so viele Ehre machte, und für Frankreichs Glück zufrüh der Welt entrissen ward. „Ich werde nie vergessen, sagt der Prinz, was mir mit einem Serschanten vom Regiment Navarra begegnete; dem ich, auf einen vortheilhaften Rapport 10
des Herrn von Vendome *), eine Gratification von zehn Louisdor zu geben befohlen hatte. Der Mann wollte nicht mehr als einen einzigen annehmen: i c h w i l l i h n , sprach er, a u f b e h a l t e n s o l a n g i c h l e b e , u n d m i c h e r i n n e r n d a ß i c h i h n v o n m e i n e m G e n e r a l b e k o m m e n h a b e . — Ein paar Monate hernach machte der nämliche Soldat wieder von sich reden. Dies bewog mich, genauere Erkundigungen über seine Aufführung einzuziehen, und es befand sich, daß sie seit zwey und dreyßig Jahren immer die nämliche gewesen war. Ich machte ihn vom Serschanten zum Hauptmann. Auch da bewies er ein so feines Gefühl, daß er sich diese Ehrenstufe unter einem andern Regiment ausbat, weil er sich (wie er sagte) schämen müßte, mit Män-
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nern auf gleichem Fuß zu seyn, die er so lange als seine Obern respectiert habe. Aber alle Officiers von seinem Regimente bestunden darauf daß er bleiben sollte, und so blieb er dann. — Man kann sich nicht vorstellen, sezt der Prinz hinzu, welch eine gute Würkung dies beym Regiment und sogar bey der ganzen Armee that; und ich ersah daraus, wie gut es seyn würde, wenn unter jedem Regimente wenigstens Ein Hauptmann von Fortun wäre, der von der Pike auf gedient hätte. Es wäre eine immer redende Aufmuntrung sowohl für *)
Der D ü c d e Ve n d o m e commandierte unter den Befehlen des Herzogs von Burgund im
Jahr 1708.
¼Übersetzung: Proyart½ E i n i g e C h a r a k t e r z ü g e
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den Gemeinen als für den Officier selbst, dem’s am Herzen liegen muß, daß ihm ein Gemeiner nicht vorgezogen werde.“ * * * Eben dieser Prinz (der, nach dem i. J. 1711 erfolgten Tode des Dauphins, seines Vaters, den Titel Dauphin nur zehn Monate führte, und daher unter dem vorhergeführten Namen eines Herzogs von Burgund bekannter ist) war von Kindheit an ein besondrer Liebhaber von Bijoux und Kunst-Raritäten gewesen. Er hatte ein sehr hübsches Cabinet von solchen Sachen beysammen; er opferte es aber doch auf und verkaufte es zum Besten der Armen. *) Doch hatte er noch einige kostbare Juwelen zurükbehalten. Als aber der Pfarrer von Versailles
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einstmals kam und ihm vorstellte, daß die Noth des Volks noch immer fortdauerte; führte ihn der Prinz in sein Cabinet, überlieferte ihm seine Edelsteine, und sagte: Herr Pfarrer, weil wir kein Geld mehr haben und unsre Armen Hungers sterben, s o s p r i c h d a ß d i e s e S t e i n e B r o d t w e r d e n . Vermöge eines Aufsatzes, der nach dem Tode dieses Prinzen unter seinen Pappieren gefunden wurde, wandte er von den 192000 Livres, die er jährlich für seine Cassette zu beziehen hatte, 180000 bloß auf Werke der edelsten Freygebigkeit und Menschlichkeit an. — Seine Gemahlin (Marie Adelaide von Savoyen) die, wiewohl es ihr nicht an Güte des Herzens fehlte, etwas mehr Bedürfnisse hatte als ihr Gemahl, befand sich einsmal in dem Falle Geld von ihm
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zu verlangen. Der gute Prinz sagte ihr: alles was er in seiner Cassette hätte, wäre bereits zu gewissen Ausgaben bestimmt; da er ihr aber nichts abschlagen könnte, so stelle er’s in ihre Willkühr aus dem Etat, den er ihr hinreichte, diejenige auszustreichen, deren Bedürfnisse ihr weniger dringend als die ihrigen scheinen würde. Die Princessin sezte sich an den Schreibtisch, um Hand ans Werk zu legen: da sie aber nichts als Pauvres honteux, arme Waysen, Officiers-Witwen ohne Vermögen, Officiere die sich im Dienst ruiniert hatten, und dergl. auf der Liste fand, fiel ihr die Feder aus der Hand — nur kam’s ihr unbegreiflich vor, wie es der Prinz machte, um so viele Unglükliche aufzutreiben? Ich brauche nicht weit zu gehen, versezte ihr der Herzog: ich finde sie mitten in Versailles, — zu den Füßen des Throns, und was mich schmerzt *)
In dem grausamen Winter von 1709, der das Elend der ohnehin erschöpften Nation aufs
höchste trieb.
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ist — bloß die Gewißheit, daß ihrer noch unendlichmal mehr in der Hauptstadt und in den Provinzen schmachten, die ich leider! ohne Hülfe lassen muß. Und ein solcher Fürst — der, zum Thron gebohren, als König ein Segen für seine Nation und die Welt gewesen wäre — wurde ihr, wie einst M a r c e l l u s den Römern, nur von ferne gezeigt. Sein Sohn (Ludwig XV.) verlohr den Vortheil, den ihm die Erziehung und das Beyspiel eines solchen Vaters gegeben hätte, und mußte mit aller ihm angebohrnen Anlage zu den Tugenden seines Vaters in Hände fallen, die ihn, unvermerkt und ohne daß ihm jemals die Augen aufgiengen, zu dem machten — was die ganze Welt weiß, und die Nach10
welt vielleicht Mühe haben wird zu glauben.
¼Übersetzung: Proyart½ E i n i g e C h a r a k t e r z ü g e
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Der sterbende Weise. Eine Anekdote. In der Vorstadt St. Marcel zu Paris, wo verschiedner Ursachen wegen Armseligkeit und Elend vorzüglich herrschen; lag ein armer Mann ohne Freunde und sterbend, in einer elenden Hütte. Ein ehrwürdiger Kapuziner erschien, ihm mit geistlichem Troste beyzustehen. Das bejahrte Opfer der Krankheit und des Elends lag da auf Lumpen hingestrekt, ein Hauffen schlechtes Stroh sein Kopfküssen und seine Decke! — Da war kein Stuhl, nichts was einem Hausgeräthe ähnlich sah, zu finden. In den ersten Tagen der Krankheit wurde 10
alles noch vorräthige verkauft, um dem Kranken etwas Brühe zu verschaffen. Nur ein Beil und zwey Sägen hiengen noch an den leeren Wänden; diese und seine Arme so lange er sie gebrauchen konnte, machten den ganzen Reichthum des armen Sterbenden aus. „Mein Freund“ redete der Beichtvater ihn an, „danket Gott für die Güte die er euch in diesem Augenblik erweist; ihr verlaßt eine Welt worinn euch nichts als Elend zu Theil wurde.“ — Elend? erwiederte mit schwacher Stimme der sterbende Weise. Ihr irrt euch, ich habe vergnügt gelebt und nie über mein Schiksal geklagt. Haß und Neid waren mir unbekannt. Mein Schlaf war immer süß. Der Tag ermüdete mich zwar, aber dafür gab mir die Nacht Ruhe. Das Werkzeug dort verschafte mir täglich einen
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Laib Brod, den ich mit Vergnügen aß, und nie sehnt ich mich nach dem Tisch der Reichen, die ich öfter als andere krank gesehen habe. Ich war arm, aber bis jezt immer leidlich gesund. Sollte ich wieder aufkommen (welches ich nicht erwarte) so kehre ich zu meiner Arbeit zurük und fahre fort Gott zu preisen der mir immer ausgeholfen hat. — Der erstaunte Geistliche war in Verlegenheit, was er einem Sterbenden, der s o gefaßt war, sagen sollte. Das elende Lager, worauf er ihn ausgestrekt sah, hatte keine solche Ergebenheit in die Göttlichen Fügungen erwarten lassen. Indessen fuhr er doch in seinem Zuspruch fort: ohnerachtet ihr, sagte er, in eurem Leben nicht unglüklich gewesen seyd, so solltet ihr doch nichts desto weniger bereit seyn es zu verlassen,
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weil wir schuldig sind uns in den Göttlichen Willen zu ergeben. — Ganz gewiß,
D e r s t e r b e n d e We i s e
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erwiderte der Sterbende mit ruhigem Ton und Blik. Tod ist das unvermeidliche Loos aller Menschen. — Ich habe zu leben gewußt, und nun weis ich auch zu sterben. Ich danke Gott der mir das Leben gab, und mich jezt durch das dunkle Thal des Todes leitet — ich fühl es — der Augenblik — ist da — guter Vater, Adieu.
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Ü b e r d i e L e h r e v o n d e r m e n s c h l i c h e n F r e y h e i t u. s. w. von M a r t i n E h l e r s , Prof. der Philos. in Kiel. D e s s a u in der Buchhandlung der Gelehrten. Der berühmte Herr Professor Ehlers hat in diesem kleinen Buche einen Lehrbegriff über die menschliche Freyheit vorgetragen, der, wie Er sagt, die Frucht eines dreißigjährigen Forschens und Denkens ist. Um so mehr also glauben wir den Wunsch und die H o f n u n g äußern zu dürfen: daß diese gegenwärtige Schrift bloß der Vorläuffer und gleichsam der Schattenriß eines größern und vollständigern Werkes über diesen der ganzen Menschheit ange10
legenen Gegenstand seyn möge; eines Werkes, worinn Herr E. mit aller möglichen analytischen Schärfe das Wahre an der Sache aufsuchen und entwiklen, das Gewisse von dem Problematischen genau absondern, das Leztere, wo möglich, zur Gewißheit bringen; alle erheblichen Zweifel und Einwürfe deutlich vortragen und überzeuglich beantworten, und dem eigentlich praktischen Theil, der in gegenwärtigem Buche (von S. 112. bis 188.) vorzüglich unsern Beyfall hat, seine ganze Vollständigkeit geben möchte — Wir zweifeln nicht daß der allgemeine Beyfall, den wir dieser Schrift versprechen, ein neuer Beweggrund für den Hrn. V. seyn möge, sich einem solchen Werke zu unterziehen, wozu wir Ihm die nöthige Gesundheit, Muße und Munterkeit des Geistes
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wünschen — besonders die Muße die vonnöthen ist, um im Vortrag und Styl immer Concinnität mit Klarheit, und Lebhaftigkeit mit Gründlichkeit zu verbinden — ein Verdienst, das uns in Werken dieser Art wesentlich zu seyn, und welches Hr. E. in einem vorzüglichen Grade in seiner Gewalt zu haben scheint.
¼Rezension: Ehlers½ Ü b e r d i e L e h r e
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Gedichte aus dem Griechischen übersezt von Christian Graf zu S t o l b e r g . Hamburg bey Carl Ernst Bohn 1782. Mit Bewundrung und Dank empfangen wir aus den Händen des erlauchten Dichters, dessen Name ein dreyfaches glänzendes Gestirn am Pol der teutschen Musen ist, diese Sammlung glüklicher Nachbildungen einer großen Anzahl von Griechischen Originalen, die entweder noch gar nicht übersezt waren, oder doch gewiß nicht mit d e m l e b e n d i g e n G e i s t derselben, der (nach einem Ausdruck des Grafen, den wir unserm eignen Gefühl gerne glauben) Ihn so oft und so mächtig umrauscht hat. Sie ist in drey Bücher abgetheilt, 10
wovon das erste die d r e i ß i g dem H o m e r zugeschriebnen Hymnen; das zweyte N e u n Idyllen vom T h e o k r i t , d r e y Gedichte von B i o n und M o s c h u s , v i e r Hymnen von K a l l i m a c h u s , z w e y von P r o k l u s , und M u s ä u s Gedicht von H e r o und L e a n d e r ; das dritte einige Oden A n a k r e o n s , die Kriegesgesänge des Ty r t ä u s , und eine Menge kleinere Stücke die zum Theil alles sind was wir von berühmten Namen des Alterthums in diesem Fache übrig haben, als z. B. des A r i s t o t e l e s schönen Hymnus an die Tugend, enthält. Das Verdienst dieser Übersetzungen steht mit der Größe der dabey überwundnen mancherley Schwierigkeiten in Verhältnis, und ist zu groß um in einer kurzen Anzeige Gerechtigkeit zu erhalten. Aber da eben diese Schwie-
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rigkeiten, selbst bey dem lebendigsten Gefühl des eignen Geistes und Charakters eines jeden von so vielen Griechischen Dichtern aus so verschiednen Zeiten, und bey allem Reichthum unsrer Sprache, der dem edlen Dichter zu Gebote steht, doch meistens nur A p p r o x i m a t i o n zuläßt: so würde es verächtliche Schmeicheley seyn, verschweigen zu wollen, daß öftere Wiederkehr zu genauerm Nachbilden oder mehrerm Auspolieren manche Stelle der Vollkommenheit des Originals noch näher gebracht haben würde. Ungern haben wir unter vielen schönen Versen einen gefunden wie dieser (S. 250.) deine drohende Geisel die fürchten s i e d i e d i e Menschen immer nach Frevel lüstern umschweben, die Geister der Bosheit
¼Anzeige der Übersetzung Stolbergs½ G e d i c h t e
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und mehrere, die sich in der Mitte in Zwey spalten wie z. B. Aber wohlan o Muse singe dem Sänger das Ende etc. Nachbarliche Städte waren Abydos und Sästos.
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(Ende August 1782)
B e g e b e n h e i t e n E d u a r d B o m s t o n s i n I t a l i e n , ein Roman in Briefen. Altenburg in der Richterischen Buchhandlung 1782. 384. Seiten in klein 8vo. Ein sehr lesenswürdiger Roman, der den durch seine glükliche Übersetzung der Theatralischen Werke von Gozzi rühmlich bekannten Hrn. Prof. We r t h e s in Stuttgard zum Verfasser hat, und sich von den meisten Romanen dieser Zeiten gleich dadurch sehr zu seinem Vortheil unterscheidet, daß er nur Einen kleinen Band ausmacht, und eher aufhört als die Lust der Leser. Die Anlage gab dem Verf. der Charakter des Lord Eduards in der N e u e n H e l o i s e , und das wenige was St. Preux von den Italiänischen Begebenheiten 10
seines Freundes darinn sehen läßt. Herr W . hat sich von R o u s s e a u s Geist so stark anwehen lassen und seinen eignen so sehr dadurch erhöht, daß es uns im Lesen öfters nicht möglich gewesen ist, jedem das Seinige zu geben. Die hier und da eingeschalteten Episodischen Briefe, wie z. B. der 17te, 26ste und der 39ste der ein herrliches nach der Natur entworfnes Gemählde einer Eruption des Vesuvs enthält, vermehren das Unterhaltende dieser Briefe; die überhaupt dadurch nicht wenig gewonnen haben, daß der Verf. sich bey seinem Auffenthalt in Italien mit einer Menge anschauender Ideen angefüllt hat, die durch das ganze Werkchen einen Schein von Wahrheit und ein Leben athmen, das die bloße Imagination selten erreichen kann.
¼Rezension: Werthes½ B e g e b e n h e i t e n
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G e s c h i c h t e d e r B r ü d e r d e s g r ü n e n B u n d e s . Erster Band. L a m b e r g s G e s c h i c h t e . Berlin bey Haude und Spener 1782. 169. S. in 8. Dem Titel nach ein Roman; dem ganzen Inhalt, der lebendigen Darstellung, der simpeln, kunstlosen, immer vom unmittelbaren Gefühl der Sachen im Moment eingegebnen Schreibart nach, die w a h r e s t e G e s c h i c h t e — und eine der anziehendsten, und lehrreichesten für junge Leser, die uns jemals vorgekommen ist. Wir erschracken beym ersten Anblick des Titels, der eine ziemliche Anzahl Bände versprach; und am Ende des Bändchens, wünschten wir, wenns möglich wäre, noch zwanzig Fortsetzungen, die diesem ersten 10
Stücke an Verdienst gleich wären.
¼Rezension: Unzer½ G e s c h i c h t e d e r B r ü d e r
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A u s z u g d e s E n g l i s c h e n Z u s c h a u e r s , nach einer neuen Übersetzung. 1. 2. und 3ter Band. B e r l i n bey Christian Friedrich Himburg. Der große Werth des Englischen Spectators ist allgemein bekannt und entschieden. Die teutsche Übersetzung womit man sich bisher beholfen hatte, war des vortreflichen Originals unwürdig. Hr. Himburg verdient also den Dank des Publicums, daß er eine neue Übersetzung die ihrem Urheber Ehre macht, veranstaltet, und dem Werke (welches aus 6 Bändchen, jedes ungefehr von 24 Bogen in 8. bestehen wird) auch die äusserliche Schönheit gegeben hat, die es verdient und die man an seinen Verlagsbüchern gewohnt ist. Einen 10
bemerkenswürdigen Vorzug erhält dieser Auszug des Zuschauers dadurch, daß Hr. R a m m l e r selbst sich der Übersetzung der darinn vorkommenden Poesien und aus Dichtern angezognen Stellen, unterzogen hat. Wir wünschen daß der Verleger aufgemuntert werde, nach Vollendung dieses Werkes, für eine eben so gute neue Ausgabe des Tattler und Guardian besorgt zu seyn.
¼Rezension½ A u s z u g d e s E n g l i s c h e n Z u s c h a u e r s
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T h e L i l l i p u t t i a n L i b r a r y in X. volumes. etc. B e r l i n , bey Christ. Fried. H i m b u r g 1782. 2 Bände in 8. Bey dem Mangel an schiklichen Lesebüchern für unsere Jugend, welcher die Erlernung der Englischen Sprache immer nothwendiger wird, war es ein verdienstliches Werk ihr diese in England sehr beliebte Lilliputter-Bibliothek in einem so netten Druk und um einem so wohlfeilen Preis zu liefern als Hr. H. hier gethan hat. Die ganze Sammlung besteht aus Moralischen Lectionen, Historischen Stücken, unterhaltenden Fabeln und Erzählungen, Wunderbaren Reisen, sonderbaren Abentheuern, Merkwürdigen Lebensgeschichten, 10
Poetischen Stücken, Komischen Einfällen und nüzlichen Briefen von verschiednen Styl und Inhalt — alles mit guter Auswahl zu dem Hauptzwek des Herausgebers, allen little Masters und Misses ein vollständiges System der ihrem Alter angemeßnen angenehmen und nüzlichen Kentnisse in die Hände zu spielen, eingerichtet — und wovon das Meiste gut genug ist, um allenfalls auch von B r o b d i n g n a g g i s c h e n Masters und Misses nicht verschmäht zu werden. Kurz, die Sammlung ist alles was man verlangen kann, und der L i l l i p u t t i s c h e Tittel ist, unsers Ermessens, das schlechteste daran.
¼Rezension½ T h e L i l l i p u t t i a n L i b r a r y
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Aufmunterung zu einem neuen Versuch die Teutschen Buchstaben mit den Lateinischen zu vertauschen. An den Herausgeber des T. Merkurs. M. H. Während daß einige unsrer teutschen Schriftsteller sich die undankbare Mühe machen, eine mehr oder weniger von dem alten Brauch abweichende neue Rechtschreibung einzuführen, in der That aber keinen andern Nutzen damit stiften, als ihr möglichstes beizutragen, daß wir in kurzem gar keine 10
Orthographie haben werden; während andre, — unter denen ich Ew. etc. (verzeihen Sie meine Offenherzigkeit) mit einem Verdruß, der meiner Hochachtung für Sie gleich war, gesehen habe — in die Wette eifern, drei oder viererlei Neue Monatsnamen einzuführen *), ohne Bedacht zu haben, daß ein förmliches und scharf verpöntes Reichsgesetz kaum vermögend wäre, eine so vielen Unschiklichkeiten unterworfene Neuerung durchzusetzen: habe ich mich oft verwundert, warum Niemand auf den Gedanken gerathe, den alten Versuch,
*)
Ut homines sumus! Ein gesunder Mensch kann ja wohl von irgend einer vorübergehenden
Narrheit eben so wohl als von einem epidemischen Schnuppen befallen werden: aber je bälder man sie wieder von sich abschüttelt, je besser. Die Wiedereinführung der alten Karolingischen 20
Monatsnamen war ein rascher Patriotischer Einfall, so wohl gemeynt und — so ungereimt als so viele andre Patriotische Einfälle, die unsrer Zeit zum Vorschein gekommen sind. Kaum war der Anfang gemacht, so wollte schon ein Jeder das Verdienst haben, etwas zur größern Vollkommenheit eines so wichtigen Stüks d e r R e f o r m a t i o n im l e z t e n V i e r t e l d e s X V I I I t e n J a h r h u n d e r t s beyzutragen; und mir wurden so viele Vorschläge die Monate umzutauffen, zum Theil von sonst verständigen Männern, mit der ganzen treuherzigen Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit, die unsre biedermännischen Teutschen charakterisiert, zugeschikt: daß dies allein schon genug war, mir über die Thorheit der Unternehmung die Augen zu öfnen, wenn auch die Natur in diesem Jahre es nicht selbst übernommen hätte, uns auf eine f ü h l b a r e Art davon zu überzeugen.
30
D. H.
Aufmunterung
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die Lateinischen Buchstaben in der teutschen Sprache einzuführen, in unsern Tagen, d. i. zu einer Zeit, wo wir einen Beweggrund mehr als ehmals, und zwar einen von der größten Stärke, dazu haben, wieder zu erneuern und in Bewegung zu bringen. Als G l e i m und sein edler Freund v . K l e i s t , vor ohngefähr dreißig Jahren den Anfang mit ihrem Beispiel machten, war einer der vornehmsten Beweggründen, womit man andre teutsche Schriftsteller zur Nachfolge reitzen wollte, „daß man den Ausländern die Erlernung unsrer Sprache dadurch e r l e i c h t e r n , und sie gleichsam dazu e i n l a d e n würde.“ Was damals — da vielleicht noch kein Ausländer, oder doch gewiß nur sehr Wenige daran dach-
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ten, sich mit Erlernung unsrer Sprache eine Mühe zu geben, die ihnen ungleich größer vorkommen mußte als der Nutzen oder das Vergnügen, so sie sich davon versprechen konnten — was, sage ich, damals mehr eine provisorische Fürsorge für einen künftigen Fall, wozu man eine ziemliche Wahrscheinlichkeit vor sich sah, als ein würkliches Bedürfnis war, — scheint dermalen, da unsre Litteratur die Aufmerksamkeit von Europa erregt, und in Frankreich, Italien, und sogar bey den stolzen Britten in Achtung zu kommen anfängt, eine Art von dringender Nothwendigkeit und eine Sache zu seyn, der wir uns nicht länger entziehen können, ohne uns von den übrigen Europäischen Nationen den Vorwurf zu zuziehen, daß wir einen nicht geringen Theil
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unsers National-Ruhms, und also unsern eignen Vortheil, eben sowohl als die Achtung und Gefälligkeit, die wir dem übrigen aufgeklärten Theile von Europa schuldig sind, einem Eigensinn aufopfern, der ihnen um so unbegreiflicher vorkommen muß, je weniger sie sich den mindesten Beweggrund von Ehre oder Vortheil auf unsrer Seite dabey denken können. In der That scheint es ein wenig ungereimt, daß gerade zu der Zeit, da die Ausländer immer begieriger werden die guten Schriftsteller unsrer Nation und Zeit in unsrer Sprache selbst zu lesen, wir unsers Orts uns alle Mühe geben, ihnen die Erlernung derselben theils durch eine Menge verwirrender Neuerungen, theils durch steifsinniges Ankleben an einem Mißbrauch, der nichts als sein Alterthum für sich hat, zu erschwehren und sie davon abzuschrecken. Oder sind etwa u n s r e B u c h s t a b e n , durch die wir uns von allen Südlichen, Westlichen und Nordischen Europäern auf eine unserm Geschmack so wenig Ehre bringende Art auszeichnen, etwas anders als ein Rest der alten Mönchischen Barbarei, den jene längst abgeschüttelt haben, und
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D e r Te u t s c h e M e r k u r
(Anfang November 1782)
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auf den wir allein, als auf etwas uns eigenthümliches, stolz zu seyn scheinen? Man könnte uns diesen Eigensinn gelten lassen, wenn wir uns gegen die Ausländer auf den Augenschein berufen könnten, daß unsre Buchstaben s c h ö n e r als die Lateinischen seyen. Aber gerade der Augenschein und die ersten Grundgesetze der Schönheit sind den unsrigen entgegen: und bey allem was nach und nach, (besonders in der berühmten B r e i t k o p f i s c h e n Schriftgießerei) daran abgeründet und verschönert worden, haben sie doch noch immer gegen die schönen Formen der lateinischen Typen ein sehr Go10
thisches und durch die Menge ihrer kleinen Spitzen, Ecken und Schnörkel ein den Augen beschwerliches Ansehen — wiewohl uns freilich die Gewohnheit verhindert, dies so auffallend zu fühlen als die Ausländer, deren Augen, von Kindheit an, an jene unläugbar schönere, einfachere und edlere Formen gewöhnt sind. Doch, häßlich oder schön, ich wollte nichts dagegen einwenden, wenn unsre Buchstaben wirklich von altteutscher Herkunft, ächte Germanische Aborigines, von unsern uralten Vorfahren erfunden, und als ein rechtmäßiges uns ausschließlich angehöriges Erbgut uns hinterlassen worden wären. Aber da dies der Fall nicht ist; da unsre ältesten Vorfahren bekanntermaßen keine
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eigenthümliche Schrift gehabt, sondern schon zu Tacitus Zeiten sich zum Schreiben (welches bey ihnen ein ziemlich seltener Fall war) der Griechischen, und in der Folge der Lateinischen Buchstaben bedienten; kurz da unsre dermaligen Buchstaben offenbar eine bloße Modification der alten Lateinischen Mönchsschrift sind, und, bey gerade soviel Ähnlichkeit mit den Lateinischen als vonnöthen ist ihre Abkunft zu beweisen, nur so viel besonderes haben, um das Lesen unsrer Bücher den Ausländern beschwerlicher zu machen — was könnte uns bewegen länger auf dieser Sonderlichkeit zu bestehen? Und da wir alle andere Würkungen der Kultur, Aufklärung und Verfeinerung mit den Nationen, welche sich der runden Lateinischen Buchstaben bedienen, gemein
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haben: warum wollten wir in diesem einzigen Punct, ohne den mindesten Vortheil, länger an einem alten Brauch hangen, der unsrer Litteratur ein barbarisches Ansehn in ihren Augen giebt, und zu nichts dient, als sie von Erlernung einer Sprache, die ihnen so große Schwierigkeiten entgegensezt, gleich b e y m e r s t e n A n b l i c k zurükzuscheuchen. Die einzige beträchtliche Einwendung, die meines Bedünkens gegen die
Aufmunterung
773
Einführung der lateinischen Buchstaben gemacht werden kann, müßte nicht von den Gelehrten, sondern von den Buchdruckern herkommen: und würde nur alsdann statt finden, wenn der Gebrauch der sogenannten teutschen Buchstaben auf einmal durch einen allgemeinen Reichsschluß verboten würde. Meiner unmaasgeblichen Meinung nach, wäre es für den Anfang, — da es bey dieser löblichen Neuerung doch hauptsächlich nur darum zu thun wäre, den Ausländern, die unsre Litteratur aus der Quelle selbst schöpfen möchten, dadurch eine Gefälligkeit zu erweisen, — vollkommen genug, wenn nur die Werke unsrer vorzüglichsten Schriftsteller, Werke, die ausserhalb Teutschlands entweder schon bekannt, und selbst in höchstmangelhaften Überset-
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zungen mit Beifall gelesen worden sind, oder erst noch bekannt zu werden verdienen, auf diese Art in die allgemeine Europäische Uniform gekleidet würden. Die Anzahl dieser Schriftsteller ist so groß noch nicht, daß die Typographischen Anstalten, welche die Ausführung meines Vorschlags etwa nothwendig machen würde, den Buchdruckern sehr zur Last fallen könnte. Wäre der Anfang einmal gemacht, so würde es, aus leicht zu errathenden Ursachen, an Nachfolge nicht fehlen. Aber, da diese Neuerung doch immer eine willkührliche Sache bliebe: so würde, bis die runden Buchstaben die ekkichten ganz verdrungen hätten, Zeit genug hingehen, um den Besitzern der Buchdruckereien diese nach und nach und beinahe unmerklich erfolgende
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Veränderung leicht zu machen. Daß unsre teutsche Leser sich daran bald gewöhnen würden, ist um so eher zu erwarten, da man bereits von den Werken eines v o n K l e i s t , G e ß n e r , R a m l e r , J . G . J a c o b i , u. a. Ausgaben mit Lateinischen Buchstaben hat, und also das Auffallende des ersten Versuchs nicht mehr zu besorgen ist. Ein unfehlbares Mittel die runden Buchstaben unserm Publiko gefälliger zu machen, würde die Aufmerksamkeit seyn, zu den Werken, womit man von nun an den Anfang machen wollte, sich n e u g e g o ß n e r Ty p e n zu bedienen, und zu diesen die schönen Formen der Druckerey d e s ä l t e r n D i d o t in Paris, die es (wenigstens nach meinem Gefühl) selbst den B a s k e r v i l l i s c h e n zuvorthun, zum Muster zu nehmen. Mich däucht das Auge kann in dieser Art nichts schöners sehen als die Typen womit des Abbe R i v e vor kurzem herausgegebner Prospectus seines Essai sur l’Art de verifier l’age des mignatures, und die dazugehörigen Noten gedrukt sind. Was ich aber, falls diese meine unmaaßgebliche Aufforderung das Glük haben sollte Beifall zu erhalten, besonders
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D e r Te u t s c h e M e r k u r
(Anfang November 1782)
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wünschen möchte, ist: daß wegen der ä, ö und ü etwas gewisses und gleichförmiges beliebt werden möchte. Diese Töne sind (wie L a m b e r t und A d e l u n g schon gezeigt haben) nichts weniger als Doppellaute, sondern ächte reine Selbstlaute so gut als a, e, i, o, und u. Warum also sollen sie a e , o e und u e oder gar u i genennt, geschrieben, und gedrukt werden: da diese Art sie zu nennen und zu drucken zu nichts helfen kann, als unsere Kinder und die Ausländer, die unsre Sprache lernen wollen, zu verwirren, und in eben so unangenehme als unnöthige Schwierigkeiten zu verwickeln? Das Beste wäre wohl, hierinn dem Rath und Beispiel, so uns Hr. R. A d e l u n g in seinem vortrefli10
chen Wörterbuche gegeben, zu folgen, und in den Lateinischen Schriften, deren man sich bey teutschen Werken bedienen wollte, die Vocalen ä , ö und ü so wohl in den kleinen als in den sogenannten Ve r s a l -Schriften, durch ä, ö und ü, Ä, Ö und Ü zu bezeichnen, und also hiezu eigne Typen gießen zu lassen. Das Griechische y, welches mit unserm teutschen ü einerlei oder doch beinahe einerlei Articulation und Ton hat, könnte alsdann füglich gar entbehrt werden. Auch wäre zu wünschen, daß man in allen Stücken, wo die alte gewöhnliche Rechtschreibung zugleich gute Gründe und das Beispiel unsrer besten Schriftsteller für sich hat, bey derselben bleiben, und sich des seltsamen Ab-
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scheues einiger Neuern vor dem H (in so fern es eine längere Dehnung des Vocalen, dem es nachgesezt wird, andeutet) enthalten möchte. Wenn ich z. B. das Wort Ve˘rke¯hr, Ve r k e r gedrukt sehe, so lese ich Ve¯rke˘r, eben so wie ich ¯¯rke˘r und nicht E ˘ rke¯r lese oder ausspreche; und so stutze ich wenigstens E einen Augenblik, und weiß nicht was Ve¯rke˘r für ein Ding seyn soll. Es ist unsäglich, wie sehr die Erlernung unsrer A u s s p r a c h e durch solche Neuerungen erschwehrt wird, die uns eines wahren Vorzugs und Vortheils (nämlich der Andeutung der Q u a n t i t ä t unsrer Sylben, wenigstens in den meisten Fällen) berauben, ohne einen andern Nutzen zu gewähren, als daß einige Herren Bücherschreiber etwas Dinte dabey ersparen. Das nämliche gilt
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auch von dem c k und ß . Jenes ist, als Zeichen der Verdoplung des k , dem Auge weniger unangenehm als ein k k ; und dieses bezeichnet, die Art wie die Sylbe, worinn es vorkommt, ausgesprochen wird. Wenn ich z. B. statt süßer — s ü s s e r schreibe; so müßte in der Aussprache ein doppeltes s zu hören seyn, und das ü müßte etwas rascher ausgesprochen werden; schreibe ichs aber s ü s e r , und spreche ichs auch so aus: so tönt es wie das Lateinische Siser, und
Aufmunterung
775
ist ganz ein ander Wort. — Der Himmel bewahre mich indessen vor dem Gedanken, mich in einen förmlichen Kampf über teutsche Rechtschreibung mit irgend jemand, er sei Ritter oder Knecht, einzulassen. Ich wünsche nur, daß man es überall, wo das Alte seinen guten Nutzen hat, beym Alten lasse; und daß den Ausländern die unsre Sprache lernen wollen, nicht durch eigensinniges und willkührliches Verfahren mit derselben aller Muth dazu benommen werde.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r
(Anfang November 1782)
J a g e m a n n s Magazin der Italiänischen Litteratur und Künste. Von diesem lehrreichen und unterhaltenden Magazin haben wir vor kurzem mit Vergnügen den s e c h s t e n B a n d erhalten. Er enthält 1) einen ausführlichen Auszug aus dem z w e i t e n B a n d e der Werke des berühmten A n t o n R a p h a e l M e n g s , der allen denen sehr willkommen seyn muß, welche über Kunst und Kunstwerke niemand lieber sprechen hören als den gelehrten und großen Künstler selbsten. 2) Die Fortsetzung der Sammlung von Briefen berühmter Gelehrten und Künstler über die Mahler- Bildhauer- und Baukunst, u. s. w. und zwar 8 Briefe von G e o r g Va s a r i . 3 von A n n i b a l C a r o , 10
zwey von L u d w i g C a r a c c i , vier von P e t e r A r e t i n o , wovon der an M i c h e l - A n g e l o , und die an T i z i a n besonders merkwürdig sind, und sechs ebenfalls interessante von S a l v a t o r R o s a . Weil von L e o n a r d o d a V i n c i keine Briefe mehr vorhanden sind, so hat Hr. J. diese Lücke mit einer Übersetzung des Sendschreibens des Hrn. M a r i e t t e an den Grafen Caylus über das Leben und die Werke dieses großen Mannes ausgefüllt, wofür ihm die Leser Dank wissen werden. 3) Ein Auszug aus des G r a f e n v o n A r c o Abhandl. vom Recht zu strafen. 4) Zwey Briefe des Großherzogs Kosmus I. von Medicis, welche den Ungrund der gemeinen Sage beweisen, daß dessen Sohn Don Garcia seinen Bruder den Kardinal Johann von Medicis auf der Jagd er-
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mordet habe, und dafür von seinem Vater hinwieder mit eigner Hand umgebracht worden sey. 5) Ein ausführlicher Auszug aus der Italiänischen Übersetzung der W i n k e l m a n n i s c h e n G e s c h i c h t e d e r K u n s t , welche im Jahr 1779. zu Meiland herausgekommen, der hauptsächlich auf die Verbesserungen und Zusätze geht, womit der Übersetzer, Abbt A m o r e t t i , und andere Gelehrte dieses Werk bereichert haben. 6) Briefe über die in den Jahren 1776. 78. und 79. zu Bologna und im Toscanischen verspürten Erderschütterungen. 7) Ein Brief vom Abt F o r t i s aus dem Encyklopädischen Journal von Vicenz gezogen. Unter der Rubrik übersezter G e d i c h t e haben wir die Fortsetzung der Divina Commedia des erhabnen D a n t e , vom 27sten bis zum
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34sten Gesang incl. worinn d i e H ö l l e desselben beschlossen wird. Wir haben Ursache gefunden unser von dieser Übersetzung bereits in einer ältern Anzeige gefälltes günstiges Urtheil auch bey diesem Stücke zu bekräftigen.
¼Anzeige½ J a g e m a n n s M a g a z i n
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Die übrigen drey Rubriken liefern kürzere Nachrichten von 30 Büchern unsrer Zeit, und von 39 aus dem vorigen Jahrhundert, und die Fortsetzung des Verzeichnisses der vornehmsten Italiänischen Werke und ihrer Ausgaben etc. — der d i e H i s t o r i s c h e n enthält. Was wir übrigens dem gelehrten V. vorzüglich empfehlen möchten, ist etwas mehr Aufmerksamkeit auf die R e i n i g k e i t der teutschen Sprache, die ihm (andrer Umstände zu geschweigen) durch den langen Aufenthalt in Italien freylich etwas fremde werden mußte. Es ist z. B. einem hochteutschen Ohre anstößig, durchgängig immer d i e S c h u l , an statt die S c h u l e zu lesen, da dieses Wort keines von denen ist wo man das e w e g l a s s e n kann, so w i e man nicht e n t s i n n d i c h , sondern e n t s i n n e sagen muß u. s. w. Das nehmliche gilt von dem e , welches die einsylbigen Wörter im zweyten, dritten und sechsten Casu annehmen. Unsre Sprache ist ohnehin hart genug, und kann also der e, die ihr würklich gebühren, nicht so gut ermangeln als der Italiäner, welcher (zumal in Versen) eben so füglich, fior, man, ben als fiore, mano, bene sagen kann. Solche Dinge sind freilich nur Kleinigkeiten, aber ihre Vernachläßigung ist keine Kleinigkeit. Man vergiebt sie billig einem Gelehrten, der so viele Verdienste hat wie Hr. J. aber noch besser wäre es doch, dieser Vergebung nicht nöthig zu haben.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r
(Anfang November 1782)
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S c h w a n’ s Nouveau Dictionaire de la Langue Allemande et Franc¸oise etc. Erster Theil, der die Buchstaben A — G enthält. Mannheim, bey C . F . S c h w a n und M . F o n t a i n e , Buchhändlern 1782. S. 806 in groß 4. ohne die Vorrede. Mit vielem Vergnügen empfehlen wir hiemit dem Publiko den ersten Theil dieses neuen t e u t s c h - f r a n z ö s i s c h e n W ö r t e r b u c h s , von dessen Einrichtung und Vorzügen wir bereits im J u n i u s (Sommermond) 1781. d e s T . M . bey dessen erster Ankündigung umständliche Nachricht mitgetheilt haben. Der geschikte Unternehmer, Hr. H o f - C a m m e r - R a t h S c h w a n in 10
Mannheim, hat darinn unsern ganzen Beifall, daß er sich diesem weitläuftigen und mühsamen Werke, welches anfänglich als die Arbeit einer Gesellschaft von Gelehrten angekündigt wurde, lieber ganz allein unterzogen und keinen andern Gehülfen dabey gehabt hat als den berühmten Hrn. Prof. U r i o t , in soferne als dieser die Durchsicht und Correction des Französischen Theils dieses Wörterbuchs auf sich genommen. Eine genaue und umständliche Beurtheilung eines Werkes dieser Art würde die Grenzen einer Anzeige weit überschreiten; und es braucht keines Erinnerns, daß weder ein einzelner Mann noch eine gelehrte Gesellschaft ein ganz vollkomnes und untadeliches Wörterbuch einer Sprache, die, wie die unsrige, von der höchsten Stufe ihrer
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Cultur und Ausbildung noch ziemlich entfernt ist, liefern könne. Soviel aber glauben wir mit Wahrheit sagen zu können, daß gegenwärtiges Wörterbuch sowohl den Ausländern, welche Teutsch lernen wollen, unentbehrlich sey, als auch den Lehrern und Lehrlingen der französischen Sprache unter uns, besonders unsrer zahlreichen Übersetzer-Schaar, bessere Dienste leisten werde, als alle bisherigen Wörterbücher beider Sprachen, als welche es an guter Einrichtung, Genauigkeit und Vollständigkeit weit hinter sich läßt. Besonders ist zu loben, daß Hr. S c h w a n dafür gesorgt hat, den Lehrlingen der teutschen Sprache auch zur rechten Aussprache der Wörter, in allen Fällen, wo sie zweifelhaft und zweydeutig seyn könnte, durch dazu dienliche Zeichen behülflich
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zu seyn. — Eine Unvollkommenheit, die vermuthlich durch den Vorsaz das Werk nicht noch weitläuftiger und kostbarer zu machen, veranlaßt worden, ist ohne Zweifel diese: daß Wörter und Redensarten, die der Oberteutschen und
¼Rezension½ S c h w a n’ s D i c t i o n a i r e
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Niedersächsischen Mund-Art eigen sind, von der H o c h t e u t s c h e n oder eigentlichen S c h r i f t - S p r a c h e nicht gehörig unterschieden worden, und also ein Ausländer dadurch verleitet werden könnte, Wörter und Redensarten zu gebrauchen, die der reinen hochteutschen Sprachart fremde sind. So ist, um nur Ein Beyspiel zu geben, das Wort ( b e i a n ) (beian) mit den hinzugefügten Redensarten, b e i a n f ü g e n b e i a n l i e g e n , u. s. w. eigentlich eine Niedersächsische Art zu sprechen, die Ein jeder, der unsre Sprache rein schreiben und reden will, vermeiden wird; es wäre denn, daß man eine Vermengung aller teutschen Dialekte für gültig halten und nichts als etwa blos die p ö b e l h a f t e n Wörter und Sprecharten, die jedem teutschen Haupt-Dialekt eigen sind, von der Hochteutschen Sprache ausgeschlossen wissen wollte; ein Unternehmen, wozu wir, aus sehr guten Gründen, unsre Stimme nicht geben könnten. Indessen kann den Irrungen, die etwa hieraus entstehen könnten, durch den Gebrauch des vortreflichen A d e l u n g i s c h e n W ö r t e r b u c h s d e r h o c h t e u t s c h e n M u n d a r t um so gewisser vorgebogen werden, da dieses leztere ohnehin einem jeden Teutschen oder Ausländer, der unsre Sprache gründlich erlernen will, unentbehrlich ist.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r
(Anfang November 1782)
10
Inhaltsverzeichnis Der Teutsche Merkur vom Jahr 1782. Erstes Vierteljahr [309]
Der Teutsche Merkur. Eismond 1782
.....
1
...........................
3
[309.1]
¼Debitanzeige½ [ 279.1]
[309.2]
An I. D. d. v. H. v. W. u. E. am Neujahrsmorgen 1782 ¼„Wenn es wahr ist
[309.3]
Phaon. Ein Dialog im Elysium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
[309.4]
¼Anmerkungen: Christoph Heinrich Müller½ Der Philosophische
was die frommen Alten …“½ [ 308]
Schuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
11
[309.4.1]
¼Anmerkung 1½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
[309.4.2]
¼Anmerkung 2½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
[309.5]
¼Anzeige½ Eine Preisaufgabe von der T. Gesellschaft in Mannheim [ Incerta]
[309.6]
¼Anmerkung: Christian Heinrich Wolke½ Beschreibung der zum Basedowschen Elementarwerk gehörigen Kupfertafeln [ Incerta]
[309.7]
Nachricht die Zweybrückische neue Ausgabe von J. J. Rousseaus sämtlichen Werken betreffend [ Incerta]
[310]
Der Teutsche Merkur. Hornung 1782
...........................
[310.1]
¼Debitanzeige½ [ 279.1]
[310.2]
¼Zusatz: Christoph Heinrich Müller½ Nachricht an die Freunde der
13
Teutschen Litteratur, eine vorhabende Ausgabe des Alt-Schwäbischen
[310.3]
[311]
Gedichts, die Nibelungen, betreffend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14
An die Abonenten des T. Merkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
Der Teutsche Merkur. März 1782
................................
19
[311.1]
¼Debitanzeige½ [ 279.1]
[311.2]
Horazens Dritter Brief an Mäcenas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
[311.2.1]
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
[311.2.2]
¼19. Brief½ „Wenn du, gelehrter Freund, dem alten Komiker …“ . . 24
Inhaltsverzeichnis
781
Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
[311.2.3] [311.2.3.1]
¼1. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
[311.2.3.2]
¼2. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
[311.2.3.3]
¼3. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
[311.2.3.4]
¼4. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
[311.2.3.5]
¼5. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
[311.2.3.6]
¼6. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
[311.2.3.7]
¼7. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
[311.2.3.8]
¼8. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
31
¼Anmerkung: Johann Gottfried Herder½ Historische Zweifel über
[311.3]
das Buch: „Versuch über die Beschuldigungen, welche dem Tempelherrnorden gemacht worden, und über dessen Geheimniß; nebst einem Anhange über das Entstehen der Freimäurergesellschaft, von Friedrich Nicolai.“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
Horazens Briefe aus dem Lateinischen übersezt und mit
[312]
historischen Einleitungen und andern nöthigen Erläuterungen versehen von C. M. Wieland. ¼Mit beigesetztem lateinischen Verstext nach½ Horazens Briefe aus dem Lateinischen übersetzt und mit historischen Einleitungen und andern nöthigen Erläuterungen versehen von C. M. Wieland. Erster Theil. Neue, verbesserte Ausgabe. Leipzig im Verlag der Weidmannischen Buchhandlung 1790
..................................................................
39
An den Durchlauchtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Carl August,
[312.0]
Herzog zu Sachsen etc. etc. Regierenden Herzog zu Weimar und
[312.I]
Eisenach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
Die Briefe des Horaz. Erstes Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
Erster Brief. An C. Cilnius Mäcenas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
[312.I.1.1]
Einleitung. Über den Charakter des Mäcenas . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
[312.I.1.2]
¼1. Brief½ „Du, dem mein erstes Lied gewidmet war, …“ [ 295.4]
[312.I.1]
/ „Prima dicte mihi, summa dicende Camoena, …“ . . . . . . . . . . . . 60 Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
[312.I.1.3.1]
¼1. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
[312.I.1.3.2]
¼2. Erläuterung½ [ 295.4] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
[312.I.1.3]
782
Inhaltsverzeichnis
[312.I.1.3.3]
¼3. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
[312.I.1.3.4]
¼4. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
[312.I.1.3.5]
¼5. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
[312.I.1.3.6]
¼6. Erläuterung½ [ 295.4] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
[312.I.1.3.7]
¼7. Erläuterung½ [ 295.4] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
[312.I.1.3.8]
¼8. Erläuterung½ [ 295.4] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
[312.I.1.3.9]
¼9. Erläuterung½ [ 295.4] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
[312.I.1.3.10]
¼10. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
[312.I.1.3.11]
¼11. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
[312.I.1.3.12]
¼12. Erläuterung½ [ 295.4] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
[312.I.1.3.13]
¼13. Erläuterung½ [ 295.4] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
[312.I.1.3.14]
¼14. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
86
[312.I.1.3.15]
¼15. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
[312.I.1.3.16]
¼16. Erläuterung½ [ 295.4] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
83
85
Zweyter Brief. An Maximus Lollius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
[312.I.2.1]
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
[312.I.2.2]
¼2. Brief½ „Indessen Du zu Rom dich in der Kunst …“ [ 297.2] /
[312.I.2]
„Trojani belli scriptorem, Maxime Lolli, …“ . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
[312.I.2.3.1]
¼1. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
[312.I.2.3.2]
¼2. Erläuterung½ [ 297.2] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
[312.I.2.3.3]
¼3. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
[312.I.2.3.4]
¼4. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
[312.I.2.3.5]
¼5. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
[312.I.2.3.6]
¼6. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
[312.I.2.3.7]
¼7. Erläuterung½ [ 297.2] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
[312.I.2.3]
[312.I.3]
Dritter Brief. An Julius Florus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
[312.I.3.1]
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
[312.I.3.2]
¼3. Brief½ „In welchen Gegenden der Welt Tiber …“ [ 297.2] / „Iuli Flore, quibus terrarum militet oris …“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
[312.I.3.3]
Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
[312.I.3.3.1]
¼1. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
[312.I.3.3.2]
¼2. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
[312.I.3.3.3]
¼3. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
[312.I.3.3.4]
¼4. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
Inhaltsverzeichnis
783
[312.I.3.3.5]
¼5. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
[312.I.3.3.6]
¼6. Erläuterung½ [ 297.2] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
[312.I.3.3.7]
¼7. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
[312.I.3.3.8]
¼8. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Vierter Brief. An Albius Tibullus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
[312.I.4] [312.I.4.1]
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
[312.I.4.2]
¼4. Brief½ „Du milder Richter meiner unbedeutenden …“ [ 297.2] / „Albi, nostrorum sermonum candide judex, …“ . . . . 116 Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
[312.I.4.3] [312.I.4.3.1]
¼1. Erläuterung½ [ 297.2] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
[312.I.4.3.2]
¼2. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
[312.I.4.3.3]
¼3. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Fünfter Brief. An Manlius Torquatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
[312.I.5]
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
[312.I.5.1]
¼5. Brief½ „Wenn du auf Ruhebetten, die kein größrer Meister …“ /
[312.I.5.2]
„Si potes Archiacis conviva recumbere lectis …“ . . . . . . . . . . . . . . 126 Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
[312.I.5.3] [312.I.5.3.1]
¼1. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
[312.I.5.3.2]
¼2. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
[312.I.5.3.3]
¼3. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
[312.I.5.3.4]
¼4. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
[312.I.5.3.5]
¼5. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
[312.I.5.3.6]
¼6. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
[312.I.5.3.7]
¼7. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Sechster Brief. An Numicius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
[312.I.6]
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
[312.I.6.1]
¼6. Brief½ „Das Erste, Freund, wo nicht das Einzige …“ /
[312.I.6.2]
„Nil admirari prope res est una, Numici, …“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
[312.I.6.3] [312.I.6.3.1]
¼1. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
[312.I.6.3.2]
¼2. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
[312.I.6.3.3]
¼3. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
[312.I.6.3.4]
¼4. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
[312.I.6.3.5]
¼5. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
[312.I.6.3.6]
¼6. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
784
Inhaltsverzeichnis
[312.I.6.3.7]
¼7. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
[312.I.6.3.8]
¼8. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
[312.I.6.3.9]
¼9. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
[312.I.6.3.10] [312.I.7]
¼10. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Der siebente Brief. An Mäcenas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
[312.I.7.1]
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
[312.I.7.2]
¼7. Brief½ „Fünf Tage nur, Mäcen, versprach ich dir …“ [ 304.2] / „Quinque dies tibi pollicitus me rure futurum …“ . . . . . . . . . . . . 159
[312.I.7.3]
Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
[312.I.7.3.1]
¼1. Erläuterung½ [ 304.2] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
[312.I.7.3.2]
¼2. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
[312.I.7.3.3]
¼3. Erläuterung½ [ 304.2] [ 307.3] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
[312.I.7.3.4]
¼4. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
[312.I.7.3.5]
¼5. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
[312.I.7.3.6]
¼6. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
[312.I.7.3.7]
¼7. Erläuterung½ [ 304.2] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
[312.I.7.3.8]
¼8. Erläuterung½ [ 304.2] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
[312.I.7.3.9]
¼9. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
[312.I.7.3.10]
¼10. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
[312.I.7.3.11]
¼11. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
[312.I.7.3.12] [312.I.8]
¼12. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Achter Brief. An Celsus Albinovanus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
[312.I.8.1]
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
[312.I.8.2]
¼8. Brief½ „Geh, Muse, wenn ich bitten darf, und bring …“ / „Celso gaudere et bene rem gerere Albinovano …“ . . . . . . . . . . . . 175
[312.I.8.3]
Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
[312.I.8.3.1]
¼1. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
[312.I.8.3.2]
¼2. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
[312.I.9] [312.I.9.1] [312.I.9.2]
Neunter Brief. An Claudius Tiberius Nero . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 ¼9. Brief½ „Septim ist wohl der einzge, Claudius, …“ / „Septimius, Claudi, nimirum intelligit unus …“ . . . . . . . . . . . . . . 181
[312.I.10] [312.I.10.1]
Zehnter Brief. An Fuscus Aristius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
Inhaltsverzeichnis
785
[312.I.10.2]
¼10. Brief½ „Dem Freund der Stadt Aristius entbieten …“ / „Urbis amatorem Fuscum salvere iubemus …“ . . . . . . . . . . . . . . . 184
[312.I.10.3]
Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
[312.I.10.3.1]
¼1. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
[312.I.10.3.2]
¼2. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
[312.I.10.3.3]
¼3. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
[312.I.10.3.4]
¼4. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
[312.I.10.3.5]
¼5. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
[312.I.10.3.6]
¼6. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Eilfter Brief. An Bullatius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
[312.I.11] [312.I.11.1]
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
[312.I.11.2]
¼11. Brief½ „Wie hat, mein lieber Wandrer, Chios, wie …“ /
[312.I.11.3]
Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
„Quid tibi visa Chios, Bullati, notaque Lesbos, …“ . . . . . . . . . . . . 192
[312.I.11.3.1]
¼1. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
[312.I.11.3.2]
¼2. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
[312.I.11.3.3]
¼3. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
[312.I.11.3.4]
¼4. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
[312.I.11.3.5]
¼5. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
[312.I.11.3.6]
¼6. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Zwölfter Brief. An Iccius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
[312.I.12] [312.I.12.1]
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
[312.I.12.2]
¼12. Brief½ „ Wofern du deines Antheils an Agrippa’s …“ / „Fructibus Agrippae Siculis, quos colligis, Icci, …“ . . . . . . . . . . . 199
[312.I.12.3]
Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
[312.I.12.3.1]
¼1. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
[312.I.12.3.2]
¼2. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
[312.I.12.3.3]
¼3. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
[312.I.12.3.4]
¼4. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
[312.I.12.3.5]
¼5. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
[312.I.12.3.6]
¼6. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
[312.I.12.3.7]
¼7. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
[312.I.12.3.8]
¼8. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
[312.I.12.3.9]
¼9. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
786
Inhaltsverzeichnis
[312.I.13]
Die Dreyzehnte Epistel. An Vinius Asella . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
[312.I.13.1]
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
[312.I.13.2]
¼13. Brief½ „ Was ich beym Abschied, lieber Vinius, …“ / „Ut proficiscentem docui te saepe diuque …“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
[312.I.13.3]
Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
[312.I.13.3.1]
¼1. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
[312.I.13.3.2]
¼2. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
[312.I.13.3.3]
¼3. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
[312.I.13.3.4]
¼4. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
[312.I.14]
Der vierzehnte Brief. An den Verwalter seines Landguts . . . . . . . . . 210
[312.I.14.1]
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
[312.I.14.2]
¼14. Brief½ „ Verwalter meiner Waldungen und meines …“ / „Villice silvarum, et mihi me reddentis agelli, …“ . . . . . . . . . . . . . 211
[312.I.14.3]
Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
[312.I.14.3.1]
¼1. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
[312.I.14.3.2]
¼2. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
[312.I.14.3.3]
¼3. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
[312.I.14.3.4]
¼4. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
[312.I.14.3.5] [312.I.15]
¼5. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Funfzehnter Brief. An Numonius Vala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
[312.I.15.1]
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
[312.I.15.2]
¼15. Brief½ „ Wie mild zu Velia der Winter sey, …“ / „Quae sit hiems Veliae, quod coelum, Vala, Salerni, …“ . . . . . . . 220
[312.I.15.3]
Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
[312.I.15.3.1]
¼1. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
[312.I.15.3.2]
¼2. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
[312.I.15.3.3]
¼3. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
[312.I.15.3.4]
¼4. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
[312.I.15.3.5]
¼5. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
[312.I.15.3.6]
¼6. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
[312.I.16]
Sechzehnter Brief. An Quinctius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
[312.I.16.1]
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
[312.I.16.2]
¼16. Brief½ „Um dir die Fragen, ob mein kleines Gut …“ / „Ne perconteris, fundus meus, optime Quincti, …“ . . . . . . . . . . . 233
[312.I.16.3]
Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
Inhaltsverzeichnis
787
[312.I.16.3.1]
¼1. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
[312.I.16.3.2]
¼2. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
[312.I.16.3.3]
¼3. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
[312.I.16.3.4]
¼4. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
[312.I.16.3.5]
¼5. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
[312.I.16.3.6]
¼6. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Siebzehnter Brief. An Scäva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252
[312.I.17] [312.I.17.1]
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252
[312.I.17.2]
¼17. Brief½ „ Wiewohl du, Scäva, dir genugsam selbst …“ / „Quamvis, Scaeva, satis per te tibi consulis et scis …“ . . . . . . . . . 253
[312.I.17.3]
Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
[312.I.17.3.1]
¼1. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
[312.I.17.3.2]
¼2. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
[312.I.17.3.3]
¼3. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
[312.I.17.3.4]
¼4. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
[312.I.17.3.5]
¼5. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
[312.I.17.3.6]
¼6. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
[312.I.17.3.7]
¼7. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Achtzehnter Brief. An Lollius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
[312.I.18] [312.I.18.1] [312.I.18.2]
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 ¼18. Brief½ „Wofern ich, wakrer Lollius, nicht sehr …“ / „Si bene te novi, metues, liberrime Lolli, …“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
[312.I.18.3]
Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
[312.I.18.3.1]
¼1. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
[312.I.18.3.2]
¼2. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
[312.I.18.3.3]
¼3. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
[312.I.18.3.4]
¼4. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
[312.I.18.3.5]
¼5. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
[312.I.18.3.6]
¼6. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
[312.I.18.3.7]
¼7. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
[312.I.18.3.8]
¼8. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Neunzehnter Brief. An Mäcenas [ 311.2] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
[312.I.19] [312.I.19.1]
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
[312.I.19.2]
¼19. Brief½ „Wenn du, gelehrter Freund, dem alten Komiker …“ / „Prisco si credis, Maecenas docte, Cratino, …“ . . . . . . . . . . . . . . . . 288
788
Inhaltsverzeichnis
[312.I.19.3]
Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
[312.I.19.3.1]
¼1. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
[312.I.19.3.2]
¼2. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295
[312.I.19.3.3]
¼3. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295
[312.I.19.3.4]
¼4. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
[312.I.19.3.5]
¼5. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
[312.I.19.3.6]
¼6. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
[312.I.19.3.7]
¼7. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
[312.I.19.3.8]
¼8. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
[312.I.20]
Zwanzigster Brief. An Sein Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302
[312.I.20.1]
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302
[312.I.20.2]
¼20. Brief½ „Mein liebes Buch, ich sehe wohl warum …“ / „Vertumnum Ianumque, Liber, spectare videris, …“ . . . . . . . . . . 305
[312.I.20.3]
Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307
[312.I.20.3.1]
¼1. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307
[312.I.20.3.2]
¼2. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308
[312.I.20.3.3]
¼3. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308
[312.I.20.3.4]
¼4. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Errata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
[312.II]
Horazens Briefe. Zweytes Buch. ¼Mit beigesetztem lateinischen Verstext nach½ Horazens Briefe aus dem Lateinischen übersetzt und mit historischen Einleitungen und andern nöthigen Erläuterungen versehen von C. M. Wieland. Zweyter Theil. Neue, verbesserte Ausgabe. Leipzig im Verlag der Weidmannischen Buchhandlung 1790 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311
[312.II.1]
Erster Brief. An Augustus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
[312.II.1.1]
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
[312.II.1.2]
¼1. Brief½ „Da du so viel und großen Dingen ganz allein …“ / „Cum tot sustineas et tanta negotia solus, …“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
[312.II.1.3]
Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
[312.II.1.3.1]
¼1. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
[312.II.1.3.2]
¼2. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373
[312.II.1.3.3]
¼3. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
[312.II.1.3.4]
¼4. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377
Inhaltsverzeichnis
789
[312.II.1.3.5]
¼5. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378
[312.II.1.3.6]
¼6. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379
[312.II.1.3.7]
¼7. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380
[312.II.1.3.8]
¼8. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381
[312.II.1.3.9]
¼9. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381
[312.II.1.3.10]
¼10. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382
[312.II.1.3.11]
¼11. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382
[312.II.1.3.12]
¼12. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
[312.II.1.3.13]
¼13. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388
[312.II.1.3.14]
¼14. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
[312.II.1.3.15]
¼15. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
[312.II.1.3.16]
¼16. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
[312.II.1.3.17]
¼17. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392
[312.II.1.3.18]
¼18. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
[312.II.1.3.19]
¼19. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394
[312.II.1.3.20]
¼20. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394
[312.II.1.3.21]
¼21. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395
[312.II.1.3.22]
¼22. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395
[312.II.1.3.23]
¼23. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
[312.II.1.3.24]
¼24. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397
[312.II.1.3.25]
¼25. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399
[312.II.1.3.26]
¼26. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401
[312.II.1.3.27]
¼27. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401
[312.II.1.3.28]
¼28. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405
[312.II.1.3.29]
¼29. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405
[312.II.1.3.30]
¼30. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406
[312.II.1.3.31]
¼31. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407
[312.II.1.3.32]
¼32. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408
[312.II.1.3.33]
¼33. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409
[312.II.1.3.34]
¼34. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 Zweyter Brief. An Julius Florus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410
[312.II.2] [312.II.2.1]
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410
[312.II.2.2]
¼2. Brief½ „Des edlen und preiswürdigen Nerons treuer Freund, …“ / „Flore, bono claroque fidelis amice Neroni, …“ . . . . . . . . . . . . . . . 412
790
Inhaltsverzeichnis
[312.II.2.3]
Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432
[312.II.2.3.1]
¼1. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432
[312.II.2.3.2]
¼2. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432
[312.II.2.3.3]
¼3. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442
[312.II.2.3.4]
¼4. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443
[312.II.2.3.5]
¼5. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443
[312.II.2.3.6]
¼6. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444
[312.II.2.3.7]
¼7. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445
[312.II.2.3.8]
¼8. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446
[312.II.2.3.9]
¼9. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446
[312.II.2.3.10]
¼10. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448
[312.II.2.3.11]
¼11. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449
[312.II.2.3.12]
¼12. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449
[312.II.2.3.13]
¼13. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450
[312.II.2.3.14]
¼14. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451
[312.II.2.3.15]
¼15. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451
[312.II.3]
Dritter Brief. An L. Calpurnius Piso und seine Söhne . . . . . . . . . . . . 454
[312.II.3.1]
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454
[312.II.3.2]
¼3. Brief½ „ Wofern ein Mahler einen Venuskopf …“ / „Humano capiti cervicem pictor equinam …“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 470
[312.II.3.3]
Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519
[312.II.3.3.1]
¼1. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519
[312.II.3.3.2]
¼2. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519
[312.II.3.3.3]
¼3. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520
[312.II.3.3.4]
¼4. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521
[312.II.3.3.5]
¼5. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521
[312.II.3.3.6]
¼6. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523
[312.II.3.3.7]
¼7. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524
[312.II.3.3.8]
¼8. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526
[312.II.3.3.9]
¼9. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528
[312.II.3.3.10]
¼10. Erläuterung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 Drukfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532
Inhaltsverzeichnis
791
Der Teutsche Merkur vom Jahr 1782. Zweytes Vierteljahr
. . 533
Der Teutsche Merkur. April 1782
[313] [313.1]
¼Debitanzeige½ [ 279.1]
[313.2]
¼Rezension der Übersetzung: Johann Heinrich Voß½ Homers Odüssee [ Incerta] ¼Rezension der Übersetzung: Christian Joseph Jagemann½ Das Leben
[313.3]
v. Sebastian Josephs von Carvalho und Melo, Marquis von Pombal, Grafen von Oeyras ¼…½ erster Theil [ Incerta] Ankündigung eines Archivs denkwürdiger Ereignisse und
[313.4]
gemeinnützige Vorschläge [ Incerta]
Der Teutsche Merkur. May 1782
[314]
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535
[314.1]
¼Debitanzeige½ [ 279.1]
[314.2]
Gespräche über einige neueste Weltbegebenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 Erstes Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536
[314.2.1] [314.2.1.1]
Erstes Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536
[314.2.1.2]
Fortsetzung der Gespräche zwischen Walder und Diethelm . . . 549
[314.2.2] [314.3]
Zweytes Gespräch zwischen Walder und Diethelm . . . . . . . . . . . . . . . 563 ¼Anmerkung½ Dritte Ankündigung der Gesellschaft des Verlags für Gelehrte und Künstler, zu Dessau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578
[315]
Der Teutsche Merkur. Junius 1782
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579
[315.1]
¼Debitanzeige½ [ 279.1]
[315.2]
Beantwortung der Frage: „Wie kommt Maria die Tochter Davids zu einer Attischen Gesichtsbildung?“ von Joseph Fratrel, Churf. Hofmahler in Mannheim. Übersezt und mit einem Zusatze begleitet von Friedrich von Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580
[315.2.1]
1. ¼Übersetzung½
[315.2.2]
2. ¼Zusatz des Übersetzers½
[315.2.3] [315.3]
3. Anhang des Herausgebers zu bevorstehenden Aufsätzen . . . . . . 581 Fortsetzung der Gespräche zwischen Walder und Diethelm [ 314.2.1.2]
[315.4]
¼Redaktionelle Anmerkung: Johann Bernoulli: Zweite Nachricht von Lamberts hinterlassenen Schriften½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588
792
Inhaltsverzeichnis
[315.5]
¼Anmerkung: Johann Bernoulli½ Dritte Nachricht von Lamberts hinterlassenen Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589
Der Teutsche Merkur vom Jahr 1782. Drittes Vierteljahr [316]
Der Teutsche Merkur. Julius 1782
. . . 591
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593
[316.1]
¼Debitanzeige½ [ 279.1]
[316.2]
Zweytes Gespräch zwischen Walder und Diethelm [ 314.2.2]
[316.3]
¼Anmerkung: Jakob Philipp Hackert½ Zufällige Gedanken über die Geschiklichkeit eines teutschen Künstlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594
[316.4]
¼Anmerkung½ Der Akademie der Wissenschaften, Litteratur und Künste zu Lyon Anzeige einer von dem Herrn Abbé Reynal gestifteten Preisaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595
[317]
Der Teutsche Merkur. August 1782
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597
[317.1]
¼Debitanzeige½ [ 279.1]
[317.2]
Briefe an einen jungen Dichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598
[317.2.1]
Erster Brief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598
[317.2.2]
Zweyter Brief. An einen jungen Dichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615
[317.2.3]
Briefe an einen jungen Dichter. Dritter Brief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632
[317.3]
¼Übersetzung½ Einige Charakterzüge aus dem Leben des Herzogs von Burgund, Vaters von Ludwig XV. (von Abt ¼Liévain Bonaventura½ Proyart) [ Incerta]
[317.4]
Auszug aus einem Schreiben des H. an einen Freund in Paris . . . . . . . 647
[317.5]
Der sterbende Weise. Eine Anekdote [ Incerta]
[317.6]
¼Rezension: Martin Ehlers½ Über die Lehre von der menschlichen
[317.7]
¼Rezension½ Gedichte aus dem Griechischen übersezt von Christian
Freyheit [ Incerta]
Graf zu Stolberg [ Incerta] [317.8]
¼Rezension: Friedrich August Clemens Werthes½ Begebenheiten Eduard Bomstons in Italien, ein Roman in Briefen [ Incerta]
[317.9]
¼Rezension: Johann Christoph Unzer½ Geschichte der Brüder des grünen Bundes. Erster Band. Lambergs Geschichte [ Incerta]
[317.10]
¼Rezension:½ Auszug des Englischen Zuschauers, nach einer neuen Übersetzung. 1. 2. und 3ter Band [ Incerta]
Inhaltsverzeichnis
793
[317.11]
¼Rezension½ The Lilliputtian Library in X. volumes [ Incerta] Einige Drukfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 652
[318]
Der Teutsche Merkur. September 1782
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653
[318.1]
¼Debitanzeige½ [ 279.1]
[318.2]
Anzeige an das Publicum den Teutschen Merkur betreffend . . . . . . . . 654
[318.3]
Beschluß der im vorigen Jahre angefangenen Nachrichten von Französischen Schriftstellerinnen des XVIten Jahrhunderts [ 291.2]
[318.3.1]
¼7½ Magdalene und Catharine Des Roches, Mutter und Tochter
[318.3.2]
¼8½ Marie von Romieu
[318.3.3]
¼9½ Georgette de Montenay und Anne de Marquets
[318.3.4]
¼10½ Anne Mallet de Graville
[318.4]
¼Anzeige: Adrian Christian½ Friedel’s Nouveau Theatre Allemand ou Recueil &c. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 656
Der Teutsche Merkur vom Jahr 1782. Viertes Vierteljahr [319]
Der Teutsche Merkur. October 1782
. . . 659
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661
[319.1]
¼Debitanzeige½ [ 279.1]
[319.2]
Anzeige an das Publicum den Teutschen Merkur betreffend [ 318.2]
[319.3]
¼Anmerkung½ Aufmunterung zu einem neuen Versuch die Teutschen Buchstaben mit den Lateinischen zu vertauschen. An den Herausgeber des T. Merkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 662
[319.3.1]
Aufmunterung zu einem neuen Versuch die Teutschen Buchstaben mit den Lateinischen zu vertauschen. An den Herausgeber des T. Merkurs [ Incerta]
[319.3.2] [319.4] [319.5]
¼Anmerkung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 662 Zweyter Brief. An einen jungen Dichter [ 317.2.2] Anzeige einer Veränderung, welche in der Einrichtung des teutschen Merkurs vom Jahre 1783 an gemacht werden soll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 664
[319.6]
¼Anzeige: Christian Joseph½ Jagemanns Magazin der Italiänischen Litteratur und Künste [ Incerta]
[319.7]
¼Rezension: Christian Friedrich½ Schwan’s Nouveau Dictionaire de la Langue Allemande et Franc¸oise etc. Erster Theil, der die Buchstaben A — G enthält [ Incerta]
794
Inhaltsverzeichnis
[320]
Der Teutsche Merkur. November 1782
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667
[320.1]
¼Debitanzeige½ [ 279.1]
[320.2]
Anzeige einer Veränderung, welche in der Einrichtung des teutschen
[320.3]
An I. D. d. V. H. v. W. Am 24sten October ¼„Zwo Musen, deren Zwist zu
[320.4]
Über die Frage: Was ist Hochteutsch? und einige damit verwandten
Merkurs vom Jahre 1783 an gemacht werden soll [ 319.5] steuern …“½ [ 303.2]
Gegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 668 [320.4.1]
Über die Frage: Was ist Hochteutsch? und einige damit verwandten Gegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 668
[320.4.1.1]
¼Philomusos’ Zuschrift½ An den Herausgeber des T. M. . . . . . . . . 668
[320.4.1.2]
¼Philomusos’ Abhandlung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 670
[320.4.2]
¼Musophilus’½ Beschluß des Versuchs über die Frage: Was ist Hochteutsch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683
[320.4.3]
Musophili Nachtrag zu seinem Versuche über die Frage: was ist Hochteutsch? An den H. des T. Merkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . 697
[320.4.3.1]
An den H. des T. Merkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 697
[320.4.3.2]
Zusatz des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 705
[320.5]
¼Anmerkungen: Jakob Philipp Hackert½ Fortsetzung des KünstlerBriefs von Neapel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713
[320.5.1]
¼Anmerkung 1½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713
[320.5.2]
¼Anmerkung 2½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713
[320.6]
¼Rezension: Christoph Heinrich Müller½ Der Niebelungen Lied. Ein Rittergedicht aus dem XIIIten oder XIVten Jahrhundert . . . . . . . . . . 714
[320.7]
¼Rezension: Sophie von La Roche½ Pomona, eine neue Monatsschrift für Frauenzimmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 718
[320.8]
Amende honorable wegen einer doppelten Sprach-Sünde . . . . . . . . . . . . 720
[320.9]
¼Rezension der Übersetzung Christian Heinrich Reichels½ Das Muttersöhnchen auf der Galeere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 721
[321]
Der Teutsche Merkur. December 1782
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723
[321.1]
¼Debitanzeige½ [ 279.1]
[321.2]
¼Musophilus’½ Beschluß des Versuchs über die Frage: Was ist Hochteutsch? [ 320.4.2]
Inhaltsverzeichnis
795
[321.3]
¼Anzeige½ Eine neue verbesserte Probe von Herrn Jani’s Übersetzung der Aeneide. Aus dem Vierten Gesang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 724
[321.3.1] [321.3.2] [321.4]
¼Anzeige½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 724 ¼Übersetzungsprobe½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725 ¼Rezension: Amandus½ Berghofers gesammelte Schriften . . . . . . . . . . . 733
Incerta [309.5] [309.6]
¼Anzeige½ Eine Preisaufgabe von der T. Gesellschaft in Mannheim . . 737 ¼Anmerkung: Christian Heinrich Wolke½ Beschreibung der zum Basedowschen Elementarwerk gehörigen Kupfertafeln . . . . . . . . . . . . . 739
[309.7]
Nachricht die Zweybrückische neue Ausgabe von J. J. Rousseaus sämtlichen Werken betreffend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741
[313.2]
¼Rezension der Übersetzung: Johann Heinrich Voß½ Homers Odüssee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 743
[313.3]
¼Rezension der Übersetzung: Christian Joseph Jagemann½ Das Leben v. Sebastian Josephs von Carvalho und Melo, Marquis von Pombal, Grafen von Oeyras ¼…½ erster Theil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745
[313.4]
Ankündigung eines Archivs denkwürdiger Ereignisse und gemeinnützige Vorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 747
[317.3]
¼Übersetzung½ Einige Charakterzüge aus dem Leben des Herzogs von Burgund, Vaters von Ludwig XV. (von Abt ¼Liévain Bonaventura½ Proyart) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 753
[317.5]
Der sterbende Weise. Eine Anekdote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 757
[317.6]
¼Rezension: Martin Ehlers½ Über die Lehre von der menschlichen Freyheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759
[317.7]
¼Rezension½ Gedichte aus dem Griechischen übersezt von Christian Graf zu Stolberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 761
[317.8]
¼Rezension: Friedrich August Clemens Werthes½ Begebenheiten Eduard Bomstons in Italien, ein Roman in Briefen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763
[317.9]
¼Rezension: Johann Christoph Unzer½ Geschichte der Brüder des grünen Bundes. Erster Band. Lambergs Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . 765
[317.10]
¼Rezension: ½ Auszug des Englischen Zuschauers, nach einer neuen Übersetzung. 1. 2. und 3ter Band . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 767
796
Inhaltsverzeichnis
[317.11]
¼Rezension ½ The Lilliputtian Library in X. volumes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 769
[319.3.1]
Aufmunterung zu einem neuen Versuch die Teutschen Buchstaben mit den Lateinischen zu vertauschen. An den Herausgeber des T. Merkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 771
[319.6]
¼Anzeige: Christian Joseph½ Jagemanns Magazin der Italiänischen Litteratur und Künste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 777
[319.7]
¼Rezension: Christian Friedrich½ Schwan’s Nouveau Dictionaire de la Langue Allemande et Franc¸oise etc. Erster Theil, der die Buchstaben A — G enthält . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 779
Inhaltsverzeichnis
797