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German Pages 597 [598] Year 2014
Christoph Martin Wieland Oßmannstedter Ausgabe
Wielands Werke Historisch-kritische Ausgabe Herausgegeben von Klaus Manger und Jan Philipp Reemtsma
Wielands Werke Band 16.1
Text
Bearbeitet von Klaus Manger Der alte Kirchengesang, Stabat Mater / Verzeichniß und Nachrichten von Französischen Schriftstellerinnen / Versuch einer Übersetzung der ersten Epistel des Horaz / Athenion, genannt Aristion, oder das Glück der Athenienser unter der Regierung eines Philosophen / Horazens zweyter, dritter und vierter Brief / Geschichte der Abderiten von C. M. Wieland ¼…½. Neu umgearbeitete und vermehrte Ausgabe. Leipzig, bey Weidmanns Erben und Reich. 1781 / Horazens siebenter Brief / Gedichte / Nachrichten / Anzeigen / Rezensionen Februar 1781 — Januar 1782 [290 — 308]
De Gruyter Berlin · München · Boston
Herausgegeben mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur.
Gestaltung: Friedrich Forssman. Schrift: Prillwitz von Ingo Preuß. Satz: pagina, Tübingen. Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen. Printed in Germany. ¯ Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. © Copyright 2014 by Walter de Gruyter GmbH, Berlin/München/Boston.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
ISBN 978-3-11-033999-4
e-ISBN (PDF) 978-3-11-034007-5 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-038245-7
Inhaltsübersicht Der alte Kirchengesang, Stabat Mater 2 Verzeichniß und Nachrichten von Französischen Schriftstellerinnen 22 Versuch einer Übersetzung der ersten Epistel des Horaz 102 Athenion, genannt Aristion, oder das Glück der Athenienser unter der Regierung eines Philosophen 114 Horazens zweyter, dritter und vierter Brief 160 Geschichte der Abderiten von C. M. Wieland ¼…½. Neu umgearbeitete und vermehrte Ausgabe. Leipzig, bey Weidmanns Erben und Reich. 1781 177 Horazens siebenter Brief 502 Gedichte / Nachrichten / Anzeigen / Rezensionen Inhaltsverzeichnis 577
Der Teutsche Merkur. Februar 1781.
Der alte Kirchengesang, Stabat Mater, zur bekannten Komposition des P e r g o l e s i , in gleichartige Reimen übergetragen. Wir erwähnten, auf der ersten Seite des T. Merk. von leztverfloßnem Monat, einer Übersetzung des S t a b a t M a t e r , auf welche in den Versen über den Tod der Höchstsel. K a y s e r i n M a r i a T h e r e s i a angespielt wird. Hier ist dieses kleine Stük, welches wir damals in gegenwärtigem Monat mitzutheilen versprachen; weil es vielleicht, in der bevorstehenden Fastenzeit, einigen von unsern katholischen Abonenten zu dem von dem Verfasser abgezwekten Gebrauch dienen kann. Die besondre Liebe des Übersetzers zu dem P e r g o l e s i s c h e n S t a b a t M a t e r , hatte vorlängst den Wunsch in ihm erregt, eine teutsche Übersetzung dieses alten Gesangs zu sehen, die der Pergolesischen Komposition untergelegt werden könnte; nicht sowohl um statt des Lateinischen Textes (der doch immer s i n g b a r e r ist und der Melodie genauer anpaßt als die beste Übersetzung) g e s u n g e n zu werden: als, um denjenigen, welche das Lateinische nicht verstehen, die Hauptempfindung, die in jeder Strophe herrscht, aufzuschliessen; und dadurch den Genuß beym Anhören dieses Oratorio’s (welches ewig das Erste in seiner Art bleiben wird) desto lebendiger und vollständiger zu machen. Die Absicht ist dabey keinesweges, dem Gebrauch des bekannten K l o p s t o c k i s c h e n Textes zu eben dieser Pergolesischen Musik Eingriff zu thun, dessen Vortreflichkeit wir gewiß nicht mißkennen: aber jene U m b i l d u n g des Originals nach Protestantischen Lehrbegriffen, schließt eine getreuere Ü b e r s e t z u n g nicht aus; und der Verfasser der leztern fand sich um so mehr dazu aufgemuntert, je mehr er das genaue Zusammenstimmen der Pergolesischen Komposition mit eben diesen, von Einigen zu sehr verachteten, Lateinischen Reimen fühlte. Denn so gar elend können sie doch wohl nicht seyn, da sie fähig waren, eine Seele wie Pergolesi’s in die erhabenste Begeisterung zu setzen, und ihr jene in einem so ausserordentlichen Grade P s y c h a g o g i s c h e n Melodien und Harmonien einzugeben, von welchen jemand irgendwo gesagt hat:
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1781)
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Es hören, wenn du das Schwert im tiefzerrißnen Busen der göttlichen Mutter beweinst, mitweinende Engel dir zu.
Die Wahrheit von der Sache ist, daß der fromme Mönch, der, in einem der finstersten Jahrhunderte, dieses Lied in der Einfalt seiner Seele, aber gewiß aus Drang des wahrsten Gefühls, in innigster Theilnehmung, Wehmuth und Bußfertigkeit, mit einem Herzen, das von Glauben und Liebe überwallte — aber freylich in barbarischem Latein (er kannte kein bessers) und oft in platten Reimen — hervorstammelte, gewiß keinen Anspruch an die Lauream Apollinarem machte, noch zu machen hatte: aber daß seine Strophen, bloß als 10
stammelnde Seufzer eines einfältigredlichen büßenden Mönchs, der, in frommer Entzückung, das Kreuz des Erlösers würklich zu umfassen glaubt, die Schmerzen der göttlichen Mutter würklich sieht und theilt, u. s. w. eine Wa h r h e i t , eine W ä r m e und ein S u b l i m e s in sich haben, wobey jeder nicht gefühllose oder nicht durch Überverfeinerung eckelgemachte Zuhörer (denn es muß g e s u n g e n und g e h ö r t werden) das barbarische Latein und die schlechten Reime gerne vergißt. Man fühlt ganz eigentlich, daß der Mann es an einem Charfreytag, in seiner kleinen düstern Zelle, vor einem großen Kruzifix kniend, ejaculiert hat; und man sieht in der Strophe, Fac me plagis vulnerari,
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Cruce hac inebriari ob amorem filii —
wie er würklich, in der heiligen Trunkenheit der Liebe, und des flammenden Eifers auch m i t d e m G e k r e u z i g t e n u n d s e i n e r M u t t e r z u l e i d e n , die Geissel ergreift, und gleichsam nicht satt werden kann, sich blutrünstig zu machen und zu zerfleischen. In diesen G e i s t des alten Liedes, in diese i n d i v i d u e l l e n E m p f i n d u n g e n des einfältig frommen Verfassers glaubte der Übersetzer eindringen zu müssen; um, bey der Unmöglichkeit einer v o l l k o m m e n w ö r t l i c h e n Übersetzung in gleichartigen Reimzeilen, wenigstens soviel von dem Original zu erfassen, als vonnöthen ist, um die Ausdrücke 30
des Pergolesi verständlicher zu machen. Die individuelle Stimmung der Seele worinn er sich zu dieser Arbeit gedrungen fühlte, kam der Ausführung auf eine besondere Art zu statten. Denn er beschäftigte sich damit an dem Vor-
Der alte Kirchengesang, Stabat Mater
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mittag des 7ten März 1779. während der Stunden, da ihm eines seiner Kinder, ein bald achtjähriges schönes, liebes, seinem Herzen unvergeßliches Mädchen, durch den Tod entrissen werden sollte — da alle Hoffnung der Rettung vorüber — und, just in diesen schmerzlichen Stunden, die Anheftung seiner Seele auf einen s o l c h e n Gegenstand eben so w o h l t h ä t i g als n a t ü r l i c h war. Er glaubt, dies wenige von der Entstehungsart dieses kleinen Stückes sagen zu müssen, weil in dieser Anekdote würklich der Schlüssel dazu liegt; und, weil er der Befremdung mancher Leser, und dem so oft die wahre Spur verfehlenden Nachgrübeln über w e r und w i e und w a r u m und w o z u , gerne zuvorkommen möchte.
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Die Übersetzung kann dem Pergolesischen Gesang in den meisten Strophen, ohne Zwang, untergelegt werden. Bey einigen Zeilen, wo dies Schwierigkeit zu haben scheint, wird ein Musikverständiger, mit leichter Mühe, und kleinen sich von selbst darbietenden Veränderungen, nachhelfen können. Dem Verlauten nach soll ein berühmter Tonkünstler in Wien diesen teutschen Text schon im Jahre 1779 auf Befehl der Höchstsel. Kayserin, in Musik gesezt haben. Der Effect dieser neuen Komposition wurde sehr gerühmt; dies ist alles, was wir, da sie uns nie zu Gesicht gekommen ist, davon sagen können. * * *
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1781)
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Die Übersetzung. Schaut die Mutter voller Schmerzen, wie sie mit zerrißnem Herzen unterm Kreuz des Sohnes steht: Ach! wie bangt ihr Herz, wie bricht es, da das Schwerdt des Weltgerichtes tief durch ihre Seele geht! O wie bittrer Qualen Beute ward die Hochgebenedeite Mutter des Gekreuzigten!
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Wie die bange Seele lechzet! Wie sie zittert, wie sie ächzet, //
des Geliebten Pein zu sehn!
Das Original. Stabat Mater Dolorosa, Juxta crucem, lacrymosa, Dum pendebat Filius: Cujus animam dolentem contristatam et gementem Pertransivit gladius.
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O quam tristis et afflicta Fuit illa benedicta Mater Unigeniti! Quæ moerebat et dolebat, Et tremebat, cum videbat //
Nati poenas inclyti.
¼Stabat Mater½ D i e Ü b e r s e t z u n g / D a s O r i g i n a l
1—12
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Wessen Auge kann der Zähren bey dem Jammer sich erwehren, der die Mutter Christi drükt? Wer nicht innig sich betrüben, der die Mutter mit dem lieben Sohn in solcher Noth erblikt? Für die Sünden seiner Brüder, sieht sie, wie die zarten Glieder schwehrer Geisseln Wuth zerreißt: Sieht den holden Sohn erblassen,
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Trostberaubt, von Gott verlassen, still verathmen seinen Geist.
//
Quis est homo qui non fleret Christi Matrem cum videret In tanto supplicio? Quis non posset contristari, Piam matrem contemplari Dolentem cum filio? Pro peccatis suæ gentis Vidit Jesum in tormentis
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Et flagellis subditum: Vidit suum dulcem Natum Morientem, desolatum, Dum emisit spiritum.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1781)
//
Laß, o Mutter, Quell der Liebe, laß die Fluth der heil’gen Triebe strömen in mein Herz herab! Laß in Liebe mich entbrennen, ganz für den in Liebe brennen, Der für mich sein Leben gab. Drük, o Heilge, alle Wunden, die dein Sohn für mich empfunden, tief in meine Seele ein! Laß in Reue mich zerfließen,
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mit Ihm leiden, mit Ihm büßen, //
mit Ihm theilen jede Pein!
Eja, Mater, fons amoris, Me sentire vim doloris Fac, ut tecum lugeam! Fac ut ardeat cor meum In amando Christum Deum, Ut sibi complaceam. Sancta Mater, istud agas Crucifixi fige plagas
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Cordi meo valide! Tui Nati vulnerati Tam dignati pro me pati //
Poenas meum divide!
¼Stabat Mater½ D i e Ü b e r s e t z u n g / D a s O r i g i n a l
13—36
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Laß mich herzlich mit dir weinen, mich durchs Kreuz mit Ihm vereinen, sterben all mein Lebenlang! Unterm Kreuz mit dir zu stehen, unverwandt hinauf zu sehen, sehn’ ich mich aus Liebesdrang. Gieb mir Theil an Christi Leiden, laß von aller Lust mich scheiden, die ihm diese Wunden schlug! Auch ich will mir Wunden schlagen,
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will das Kreuz des Lammes tragen, welches meine Sünde trug.
//
Fac me vere Tecum flere, Crucifixo condolere, Donec ego vixero! Juxta crucem Tecum stare, Te libenter sociare In planctu, desidero. Fac ut portem Christi Mortem, Passionis fac consortem,
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Et plagis Te colere: Virgo virginum præclara, Mihi jam non sis amara, Fac me Tecum plangere!
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1781)
//
Laß, wenn meine Wunden fließen, liebestrunken mich genießen dieses tröstenden Gesichts! Flammend noch vom heilgen Feuer, deck’, o Jungfrau, mich dein Schleyer Einst am Tage des Gerichts! Gegen aller Feinde stürmen laß mich Christi Kreuz beschirmen, sey die Gnade mein Panier! 10
Dekt des Grabes düstre Höle meinen Leib, so nimm die Seele auf ins Paradies zu dir!
Fac me plagis vulnerari, Cruce hac inebriari Ob amorem filii! Inflammatus et accensus Per Te, Virgo, sim defensus In die judicii! Fac me cruce custodiri, 20
Morte Christi præmuniri, Confoveri gratia! Quando corpus morietur, Fac ut anima donetur, Paradisi gloria!
¼Stabat Mater½ D i e Ü b e r s e t z u n g / D a s O r i g i n a l
37—60
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¼Eine Baad-Bekanntschaft.*)½ *) Ich theile diese Anekdote unverändert mit, wie ich sie empfangen habe, und
hoffe, sie werde vielen unsern Lesern und Leserinnen willkommen seyn. Sowohl die Manier im Vortrag als die ganze Vorstellungsart ist zu kenntlich, als daß es nöthig seyn sollte die Hand zu verrathen, der wir dieses Geschenke zu danken haben. W.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1781)
An den Herrn Herausgeber d e s Te u t s c h e n Museums. Mit vielem Vergnügen, M. H. u. F., habe ich neulich im T. Museum die Abhandlung des Hrn. D . R u n d e von den Römischen und Teutschen Namen der Monate gelesen, und die nachdrükliche Strafpredigt, die er uns Allemannen, Franken, und Sachsen deßwegen hält, daß wir die Teutschen Namen, womit K a r l d e r G r o ß e die Monate belegt, aus einer kaum verzeyhlichen Fahrläßigkeit wieder in Vergessenheit kommen lassen, und, durch die leidigen Kalendermacher verführt, uns an die Römischen Namen gewöhnt haben, die in 10
jeder Betrachtung sich eben so wenig für uns schicken, als hingegen die von dem großen Könige der Franken erfundenen, sowohl unsrer Sprache, als der Natur oder den Verrichtungen und Verhältnissen eines jeden Monats, angemessen sind. Ich bin durch diesen Aufsatz um so angenehmer überrascht worden, weil ich selbst seit einiger Zeit mit einer solchen Aufforderung an unsre vaterländischen Zeitgenossen umgieng, und es mir also nothwendig Freude machen mußte, das was ich nur erst thun wollte, durch einen Andern, besser als ich’s hätte machen können, b e r e i t s g e t h a n zu sehen. Ich bin sonst nichts weniger als ein Freund der Neuerungssucht die in unsrer Zeit schon so manche
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abentheurliche, lächerliche, und zum theil schädliche Ausschweiffung hervorgebracht hat. Auch dann sogar, wann die vorgeschlagne Neuerung würkliche Ve r b e s s e r u n g wäre, aber, vermöge der ganzen dermaligen Lage der Umstände, unmöglich zu Stande kommen kann: halt’ ich für besser, es beym alten Brauch (zumal in Sachen, die von jeher bey allen Völkern mehr vom Zufall und Gebrauch als vom Räsonnement abgehangen haben) bewenden zu lassen. So finde ich, z. B. die Ungewisheit unsrer Rechtschreibung so unschiklich und unbequem als irgend jemand; und gestehe gerne, daß ich noch immer vergebens eine Art von Mittelweg suche, durch welchen einigen der anstößigsten Misbräuchen unsrer g e w ö h n l i c h e n U n r e c h t s c h r e i b u n g abgehol-
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fen würde, ohne auf der andern Seite sowohl die A u g e n als die O h r e n der so zahlreichen und in Mundarten so verschiednen Völkerschaften, aus welchen
An den Herrn Herausgeber
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das Teutsche Reich besteht, in gar zu große Verwirrung und Verlegenheit zu setzen. Es ist schwer mit sich selbst einig zu seyn, wo es nicht einmal möglich ist, das was w ü r k l i c h G e b r a u c h ist, genau anzugeben; wo jeder thut was ihm Recht däucht, und die Regeln selbst so vielen Ausnahmen unterworfen sind, daß man leicht verführt wird, die Ausnahmen hinwieder zu Regeln zu machen, und aus Mangel fester Grundsätze bald weiter auszudehnen bald enger einzuschränken. Ich sehe aber nicht, wie diesem Übel anders geholfen werden könnte, als durch eine große Revolution in unsrer ganzen Verfassung, die uns eine Einzige National-Hauptstadt, einen Einzigen alles beherrschenden und ausschließlich teutschredenden Hof, und (was vermuthlich eine Fol-
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ge davon seyn würde) eine von der Regierung bestättigte und von der ganzen Nation anerkannte Teutsche Sprach-Akademie, und durch diese, eine feste Sprachlehre und ein vollständiges und zuverläßiges Wörterbuch (welches nicht wohl das Werk Eines Mannes seyn kann) geben würde. Eine solche Revolution vorausgesezt, läßt sich begreifen, wie noch endlich, mit der Zeit, eine übereinstimmende und auf vernünftige Gesetze gegründete Rechtschreibung durchgängig eingeführt werden könnte. Aber unter einer solchen Bedingung ist es, wie Sie wissen, einem guten Bürger (dessen Pflicht es ist, mit der g e g e n w ä r t i g e n Verfassung des gemeinen Wesens zufrieden zu seyn) nicht einmal erlaubt, Wünsche zum Vortheil der Orthographie zu thun — und wer die
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Menge von Köpfen, Armen und Beinen bedenkt, die uns, auf diesem Wege, die Abschaffung der fatalen h , k , q , ß , y und t z , kosten würde: der kann, auch ohne jene Rüksicht, kaum so sehr Eyferer für die Philosophische Rechtschreibung seyn, um sich eine so theuer erkaufte Einheit des Glaubens in einer Sache zu wünschen, die am Ende doch zur Glükseligkeit der Menschen und Staaten nicht so wesentlich ist, als einige zu denken scheinen. Ganz anders aber, däucht mich, verhält es sich mit der vorgeschlagnen Vertauschung der alten Römischen Monatsnamen gegen die teutschen Namen, die ihnen K a r l d e r G r o ß e gegeben. Hier ists bloß um ein Dutzend Namen zu thun, welche sehr leicht zu lernen sind; nicht um eine würkliche Neuerung, sondern um Abschaffung eines neuern Mißbrauchs zu Gunsten eines weit ältern löblichen und ehrwürdigen Gebrauchs: und am Ende läuft die ganze Frage lediglich darauf hinaus: ob die Kalendermacher, die uns (wie Hr. D. Runde behauptet) aus eitelm Eigendünkel von dem rechten Pfade unvermerkt abgeführt haben — oder ob der Größte unsrer altteutschen Fürsten,
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1781)
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mehr Ansehen und Gewicht bey uns haben s o l l e und w e r d e ? Ich meines Orts wünschte, daß der bloße Gedanke, „ K a r l d e m G r o ß e n — der izt doch allgemein für einen der herrlichsten Menschen, die je gelebt haben, anerkannt ist — ein bleibendes Denkmal zu stiften, und sein Gedächtnis immer lebendig bey derjenigen Nation, der Er eigentlich angehört, zu erhalten“, soviel über unsre Landesleute vermöchte, daß jeder teutsche Bidermann sich entschlöße, vom O s t e r m o n d oder Wo n n e m o n d dieses laufenden Jahres 1781 an, die altteutschen Karolingischen Monatsnamen vorerst nur wenigstens in Briefen zu gebrauchen, und alles Einwendens der Kalendermacher und ihres Anhangs 10
ungeachtet, so lange standhaft fortzufahren, bis er sähe, daß ihm binnen Jahr und Tag niemand folgen wollte. Unvermerkt und vermuthlich eben so bald, als die teutschen Aufschriften auf den Briefen statt der hergebrachten Französischen durch ganz Teutschland allgemein worden sind, würden diese teutschen Monatsnamen aus den Studierstuben der Gelehrten in die Schreibstuben der Kaufleute, und, unter Begünstigung teutschliebender Fürsten und Herren, zulezt auch in die öffentlichen Kanzleyen übergehen; und sich solchergestalt, ohne daß diese Reformation irgend einem teutschen Kopfe nur ein einziges Haar kosten würde, sich wieder in ihr uraltes Recht eingesezt finden.
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Man wird uns hoffentlich zuviel Bescheidenheit zutrauen, als daß wir uns, unsrer Journale oder andren Ursachen wegen, von einigem besondern Ansehen bey der Nation träumen lassen sollten. Aber Jemand muß doch den Anfang machen; und da das Museum und der Merkur aller Orten hinkommen, und beynahe von allen, welche Gedruktes lesen können, wo nicht g e l e s e n , doch wenigstens d u r c h b l ä t t e r t werden: so scheinen sie sich ganz gut dazu zu schicken, einen Versuch zu machen, der vielleicht gelingen kann; oder, wofern er auch mißlänge, uns wenigstens keine bürgerliche Makel zuziehen wird. Erlauben Sie also, wehrtester Freund, daß ich Sie zu einem solchen Beyspiel
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aufrufe, und mich hiermit öffentlich anheischig mache, Ihrem Vorgang unmittelbar zu folgen, so wie das T. Museum (welches ohnehin in jedem Monat um etliche Wochen früher erscheint als der Merkur) den Anfang damit machen wird. Unmaßgeblich dächte ich, daß es dann auch besser wäre, nach dem uralten Gebrauch, in der Zusammensetzung, M o n d statt Monat, und also nicht
An den Herrn Herausgeber
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Ostermonat sondern O s t e r m o n d , u. s. w. zu schreiben; wenn es auch nur deßwegen wäre, weil ein dreysylbiges Wort überhaupt besser ist als ein viersylbiges, zumal wenn sich dieses in zween Trochäen hinschleppt, wie in vorliegendem Falle. Indessen will ich mir doch, im Namen aller Dichter, unser Recht auf den lieblichen May, hiemit ausdrüklich vorbehalten haben; nicht in der Meynung, daß er, i n P r o s e , dem Wo n n e m o n d seinen gebührenden Plaz vorenthalten sollte: sondern nur, daß es in unsrer Willkühr bleibe, je nachdem Zeit und Umstände, Sylbenmaß, Wohlklang oder andre Convenienz es erfodern mögen, in Versen das eine oder andre dieser Wörter gebrauchen zu dürfen.
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Leben Sie wohl, M. H. und erlauben Sie mir das Vergnügen, Ihnen hier öffentlich eine Freundschaft zu zeigen, womit die gemeinschaftliche Liebe der Wissenschaften und Musenkünste Alle, die zur Kultur derselben innerlich berufen sind, billig zusammenschlingen sollte. W.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1781)
¼Anzeige½ Das im Dezember vorigen Jahres versprochne Verzeichnis Französischer Schriftstellerinnen hat bisher noch keinen Plaz erhalten können; es soll aber im nächsten Monat unfehlbar kommen.
¼Anzeige½
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Antwort an einige Correspondenten. Verschiedene, meistens Ungenannte, Correspondenten, welche mich seit Anfang dieses Jahres mit allerley theils versificierten theils prosaisch-poetischen Aufsätzen, Idyllen, u. dergl. f ü r d e n M e r k u r zu beschenken die Gewogenheit hatten, setzen mich in eine Art von Verlegenheit, deren ich gerne auf immer überhoben zu seyn wünsche. Ihr geneigter Wille verdient Dank — aber — — es entsteht hier eine leidige Collision von Pflichten, deren Effecte weder Ihnen noch mir angenehm seyn können. Einige scheinen von der Güte ihrer Producte so überzeugt zu seyn, daß man Ihnen, ohne Beleidigung weder sagen noch zu verstehen geben kann, man sey andrer Meynung. Andre sind
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zwar bescheidner, geben sich bloß für Anfänger, bitten um Nachsicht, oder daß man Ihnen ihre Lection corrigiren, oder Ihnen wenigstens sagen möchte, ob sie zur Dichterey berufen seyen oder nicht — aber sie bringen das mit einer so sichtbaren Erwartung eines h ö f l i c h e n d. i. eines Ihrer Eigenliebe schmeichelnden Bescheides vor: daß man es kaum übers Herz bringen kann, ihnen durch eine ehrliche Antwort Weh zu thun. Hiezu kommt noch, daß unser einer — der von einem solchen jungen Candidaten des Musenpriesterthums gefragt wird: M e i s t e r , w a s s o l l i c h t h u n ? — und ihm, nach seinem Gewissen, die Antwort werden läßt: A l l e s , l i e b e r F r e u n d , n u r k e i n e Ve r s e m a c h e n ! — sich darauf verlassen kann, daß der junge Aspirant diese
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Antwort geradezu für einen Beruf, sich nun erst recht aufs Verse machen zu legen, annehmen wird. „Denn (sagt er sich selbst) meine Verse müssen doch wohl gut seyn, weil W. fürchtet daß ich ihn ausstechen werde, und mich also, gleich an der Schwelle des Musentempels, gerne zurükschrecken möchte. Ja, wer so einfältig wäre, und den Kniff nicht merkte!“ — Wenn nun vollends das Werk, das im Merkur paradieren soll, ein G e d i c h t ü b e r d i e H i s t o r i a v o n P e t e r v o n P r o v i n z i a u n d v o n d e r s c h ö n e n M a g e l l o n e i s t , und sich so anfängt: Laß, Vater, laß mich ziehn, sprach P e t e r , in ritterlicher Fehd die Welt zu sehn
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1781)
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wie alle Ritter thun. — Bestehn zu können trau ich mir, und weder fürcht ich vor Riesen mich noch Drachen; Ich muß mir einen Namen machen, denn, liebster Vater, glaubt es mir, am liebsten seh ich mich in ritterlicher Zier. Zieh hin, mein Sohn, in Gottes Namen und aller Heiligen, nimm dir ein gutes Roß, kein Abentheuer sey zu groß 10
vor dich — aus ritterlichem Samen bist du gezeugt; es ist dir angebohren; Der Stamm woraus ich stamm ist ädel, auserkohren; So alt ich bin, merk ich noch immer flamm der ritterliche Muth, wenn ich Thurniere seh; Wär ich nicht izt so schwach, so wär das Rennen meine liebste Sach.
und z. E. so fortfährt: — sag ihm, ich wäre 20
ein armer Ädelmann aus Frankreich, suchte in der Welt Lob und Ehre von Frauen und Jungfrauen zugleich. Der König vernahm die Antwort und sagte: Züchtiglich ist er, will unerkannt seyn — doch wohl von großem Standt, kein Schlechter solch ein Rennen wagte. Unter der Zeit rennt P e t e r mit allen Rittern, und jeder bekannte: in vielen Jahren
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hätten sie so etwas nicht erfahren.
Antwort an einige Correspondenten
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oder so: Auf dem Gerüst saß der König nicht fern mit den Damen; doch unter all den Frauen war keine so lieblich zu schauen als M a g e l l o n e . Wie der Morgenstern leuchtet am jungen Tag so leuchtet’ ihr Blik; und jedes sprach: Unter all den Frauen ist keine so lieblich zu schauen. Der Herold rief, u. s. w.
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und wenn nun der Dichter eines solchen Werks mir Z w e e n G e s ä n g e in diesem Gusto zuschikt, mit der Versicherung, das die übrigen, sobald der erste Gesang im Merkur stehe, sogleich folgen sollten — fidem vostram, Q u i r i t e s ! — Wie könnte sich der arme Verfasser des Winter und Sommermährchens (die doch auch, zumal das lezte, in s e h r k l e i n e n Ve r s l e i n gemacht sind) unterstehen, einem solchen Rivalen etwas unangenehmes zu sagen? Der junge Mann würde natürlicherweise denken müssen, es verdrieße W. nur, sich in L e i c h t i g k e i t d e r Ve r s e und g u t e r A r t z u e r z ä h l e n übertroffen zu sehen! Und dies ist es denn auch, was ich diesem jungen Dichter, wenn es ihm Gut thun kann, hiemit ohne Widerrede eingestanden haben will. Nur der Mer-
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kur ist kein würdiger Schauplaz für solche Originalwerke. Mein unmaßgeblicher Rath ist also: das Werk besonders, und (um des Effects willen) alle Gesänge auf Einmal, auf prächtiges Holländisches Pappier, mit Kupfern von Chodowiecky, abdrucken zu lassen. Der Herr Verfasser wird an der Würkung, die es thun wird, sein Wunder sehen! Izt ist just der rechte Zeitpunct, wo die Nation einen Sinn für solche Werke hat; denn Er sieht ja, wie gut Sie sogar den Oberon aufgenommen, der doch nur auf schlechtem Pappier, und ohne Kupfer von irgend Jemand, sein Fortkommen in der Welt suchen mußte. Einem andern noch sehr jungen und bescheidnen Musensohne — hab ich vor der Hand nichts zu sagen, als: daß es ganz gut ist, allerley Exercitia stili zu versuchen, aber daß man solche Übungen nicht drucken läßt. Übrigens ist bey ihm izt die Zeit, wo Horazens Rath eintritt:
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1781)
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Vos Exemplaria Græca Nocturna versate manu, versate diurna!
ingleichem das bekannte: Qui studet optatam cursu contingere metam, Multa tulit, fecitque, puer, sudavit et alsit, Abstinuit Venere et Baccho. Q u i P y t h i a c a n t a t Tibicen, didicit prius, extimuitque Magistrum.
Die jungen Herren stellen sich die Sache zu leicht vor; aber darum reüßiren sie auch so gut! — 10
Also: Scribite, Pueri, scribite!
Antwort an einige Correspondenten
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¼Neue Ankündigung der Teutschen Odüßee. …½
Diejenigen, welche hier und in hiesiger Gegend dieses Werk durch ihre Subscription befördern helfen wollen, werden ersucht, Ihre Namen bey mir anzugeben. Wieland.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1781)
Der Teutsche Merkur. März 1781.
Verzeichniß und Nachrichten von Französischen Schriftstellerinnen welche sich hauptsächlich in Werken des Witzes und Geschmaks, besonders im Romantischen Fache, hervorgethan haben. Hier ist der Anfang des Verzeichnisses, wozu wir uns, aus Gelegenheit des Romanen-Katalogs des Hrn. Marquis von Paulmy, vor einem Paar Monaten anheischig gemacht haben. Wir bitten uns die Freyheit aus, in unsern Nachrichten bald weitläuffiger bald kürzer zu seyn, je nachdem der Gegenstand mehr oder weniger anzügliches für den Verfasser haben wird. Immer werden
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wir in allen Aufsätzen dieser Art die Rechte eines Spaziergängers ansprechen; welcher bald schneller bald langsamer gehen, oder auch von seinem eigentlichen Wege zur rechten und linken abschweiffen mag, wenn es darum zu thun ist, eine seitwärts winkende Blume zu pflücken, oder an einer Stelle, die ihm gefällt, länger zu verweilen. Auf diese Weise, glauben wir, werde diese Arbeit (die nicht ohne ihre Mühseligkeiten ist) uns selbst, und, durch eine sehr natürliche Folge, auch unsern Lesern angenehmer werden. Denn wir zweifeln sehr, daß ein Autor, der sich selbst bey einer Arbeit ennüyiert hat, für Andre unterhaltend seyn kann.
Heloise. Wenn man auch diejenige zu den Autoren zählen darf, die es bloß zufälligerweise, und gleichsam ohne Vorsaz und Absicht, geworden sind; die ohne einige Rüksicht auf die Welt, und ohne sich was davon träumen zu lassen, daß sie nach vielen Jahrhunderten noch gelesen, commentiert, übersezt und nachgeahmt werden könnten, bloß aus Drang ihres Herzens, für sich selbst und für einen Einzigen, der ihnen Alles war, geschrieben haben: so verdient hier wohl die durch ihr Liebesbündnis mit dem weltbekannten A b ä l a r d und durch
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende März 1781)
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ihre Briefe an ihn so berühmt gewordne H e l o i s e , um so mehr den ersten Plaz, als diese Briefe, die einzigen in ihrer Art, etwas sind das durch keine Macht der Imagination hätte erfunden werden können. Briefe von einer Nonne an einen Mönch — aber, Himmel! von welch einer Nonne! und an welch einen Mönch! Nie hat wohl die Welt ein Paar Liebende gesehen wie dieses. Nie hat, seit der unglüklichen Dichterin Sappho — die durch Ein Dutzend Verse berühmter worden ist, als manche Poeten durch eben so viele Tausende — ein Weib gelebt, das vom D ä m o n d e r L i e b e so ganz überwältigt und besessen, alle Widersprüche dieser wundervollen Leidenschaft in ihrem Herzen so ver10
einigt — alles was sie Schönes und Erhabnes, alles was sie zügelloses und unsinniges hat, in so hohem Grade erfahren — den ganzen Himmel ihrer Freuden, die ganze Hölle ihrer Quaalen, mit ihren Gefühlen so erschöpft — kurz, soviel für Liebe gethan, soviel durch Liebe gelitten, so ganz für Liebe gelebt — und, bloß indem sie dem Strom ihres Herzens und dem lodernden Feuer ihrer Phantasie den Lauf ließ, die Liebe so vollkommen geschildert hätte wie H e loise. Ihre Briefe sind kein Roman — aber für den Dichter, der die Leidenschaften in der unverfälschten Natur studiert — für den Philosophen, der in den Tieffen des menschlichen Herzens nach Wahrheit forschen will, sind sie kostbare Ur-
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kunden aus dem Archive der Menschheit. Auch von Seiten des Geschmaks und des Talents zu schreiben, gebührt diesen Briefen (mit gehöriger Nachsicht gegen das Jahrhundert *), worinn sie lebte) eine der ersten Stellen unter allem was jemals aus der Feder eines Weibes gekommen ist. Ihr Latein ist freylich nicht das vom Jahrhundert Augusts **); aber indem sich alles Feuer ihrer Seele darein ergossen hat, ist es zu einem geschmeidigen, bildsamen, alle Formen ihres Gefühls und ihrer Gedanken annehmenden Stoff geworden, und Q u i n t i l i a n selbst hätte ihre Briefe mit Vergnügen lesen müssen. Wenigstens ist gewiß, daß Abälard, der für den scharfsinnigsten Kopf und für einen der beredtesten Männer seiner Zeit galt, in der Schönheit und Stärke des Ausdruks
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eben so weit als in der Inbrunst der Liebe hinter ihr zurükbleibt. *)
Die Zeiten P h i l i p p I . , L u d w i g des VI. und VII. H e l o i s e starb als erste Abtissin zu
Paraklet im Jahr 1163. **)
Der durch seine Briefe, Memoiren, und Histoire Amoureuse des Gaules bekannte Graf von
B ü s s y - R a b ü t i n — mußte sein Schul-Latein ziemlich vergessen haben, da er, in einem seiner Briefe sagte, er habe nie kein schöner Latein gesehen als Heloisens.
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Die Französische Sprache war zu Philipp I. Zeiten noch zu wenig cultiviert *), als daß sie das Organ der Bewegungen solcher Seelen, wie Heloisens und Abälards, hätte abgeben können. Die Lateinische scheint damals noch die Lieblingssprache der Leute von Erziehung gewesen zu seyn; wenigstens diejenige, in welcher geschrieben wurde; und so schrieb auch Heloise in der Lateinischen, in welcher sie, wie der Augenschein zeigt, eine große Fertigkeit hatte. Erst unter der Regierung Philipp des Schönen, unterwand sich J e a n d e M e u n genannt C l o p i n e l , ihre Briefe in die vulgare Französische Sprache zu übersetzen, die sich durch R u s t i c i l n von P u i s e , den ersten Compilator der Romanen von König Artus und der Tafelrunde, und durch Wilhelm von L o r i s
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den ersten Erfinder und Verfasser des berühmten Roman de la Rose, unter den vorgehenden Regierungen schon ziemlich gebildet hatte. Es ist eben dieser C l o p i n e l , der sich ungefehr 40 Jahre später einfallen ließ, dieses von dem sinnreichen L o r i s unvollendet hinterlassene romantische Gedicht zu vollenden, und darinn ungefehr eben so reüssirte, als wenn ein Griechischer O s t a d e die Ve n u s d e s A p e l l e s hätte vollenden wollen. Gleichwohl nahm man’s damals nicht so genau, und C l o p i n e l wurde von Ludwig dem Schönen für die 18580 geschmaklosen Verse, worinn er die halbentfaltete keusche Rose seines Vorgängers deflorierte, zum Va t e r d e r F r a n z ö s i s c h e n L i t t e r a t u r erklärt. Was aus Heloisens Briefen unter den groben und schmutzigen
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Fäusten dieses eben so geschmaklosen als fruchtbaren Versemachers geworden seyn mag, kann man errathen, wenn man ihn aus seiner Entwiklung des Romans von der Rose kennen gelernt hat. Unter den neuern Französischen Übersetzungen hat diejenige den meisten Beyfall erhalten, welche der Graf von B ü s s y - R a b ü t i n i. J. 1687 bekannt machte. M a l h e r b e führt sie in einer Französischen Grammatik, die er damals herausgab, als ein Muster der schönsten Sprache und der geschmakvollsten Art zu übersetzen an. Heutigs Tages würde von diesem Lobe ziemlich viel abgehen. Denn welcher noch so *)
L’espece de Jargon mèlé du Celte, du Tudesque, & du Latin (d. i. was man damals Langue
Romane oder Romance nannte, und was die Matrix der heutigen Französischen Sprache ist) commenc¸oit vers la fin du XI. siecle à se polir & à s’enrichir; mais les Auteurs n’osoient encor s’en servir dans les ouvrages d’eloquence ni dans ceux d’agrement — sagt der Graf von Tr e s s a n in seiner Dissertation über den Zustand der Französischen Litteratur im XII. und XIII. Jahrhundert. Vornehmlich war das Lateinische in diesen Zeiten die Sprache der Clerisey; und Heloise und Abälard gehörten, als sie einander ihre Briefe schrieben, beyde zu diesem Stande.
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kleine Französische Belesprit würde sichs nicht zur Schande rechnen, nicht besser zu schreiben als wie Büssy-Rabütin geschrieben hat? Ein gewisser D ü b o i s , ein Autor, der eben so gut gar keinen Namen hätte (vielleicht einer von den Reformierten, die, nach Aufhebung des Edict von Nantes in Holland Zuflucht suchten) kam, vermuthlich aus Finanzabsichten, auf den Einfall, die Liebesgeschichte Abelards und Heloisens zu einem kleinen historischen Roman umzuschaffen. Diese Art von Novellen waren damals *) sehr in der Mode, und der Roman dieses D ü b o i s , so platt er ist, hat Dank sey dem Namen Abälard und Heloise! nicht weniger als acht Ausgaben erlebt; vermuthlich um 10
der Briefe dieser Liebenden willen, welche Dübois seiner Novelle beyfügte. Die beste prosaische Übersetzung ist diejenige, welche D o m G e r v a i s e (ehemaliger, in der Folge ausgetretner Abt von l a Tr a p p e ) seiner, von der Sorbonne verdammten, L e b e n s b e s c h r e i b u n g A b e l a r d s beygefügt hat. Im Jahr 1714 publicierte G o d a r d v o n B e a u c h a m p s (ein ziemlich mittelmäßiger Autor in Prosa und Versen, der das Publicum mit verschiednen Stücken fürs Theatre Italien, mit Recherches sur les Theatres de France und mit einigen Romanen beschenkt hat und 1761 gestorben ist) eine versificierte Übersetzung der Briefe Heloisens und Abelards, welche mehrmal wieder aufgelegt wurde, wiewohl es ihr an Feuer und Kraft — d. i. gerade am wesentlich-
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sten, fehlt. P o p e n s H e l o i s e a n A b e l a r d , ist weniger eine freye Übersetzung als ein Original, wozu der Dichter sich durch Lesung der Briefe Heloisens begeistert hat; natürlicherweise hat er von den interessantesten Stellen dieser Briefe Gebrauch gemacht. Nichts übertrift die Wärme und den Schimmer seines Colorits, und die Schönheit seiner Sprache und Versification. Der Beyfall, den diese Composition, überall wo man Englisch lesen kann, erhielt, wekte eine Menge Französischer Beaux-Esprits sich zu Popes Nebenbulern um Heloise aufzuwerfen. C a i l l e a u , F e u t r y , M e r c i e r , D o r a t , S a u r i n und C o l a r d e a u lieffen alle in dieser Bahn; und C o l a r d e a u , dem vielleicht nur der C h e v a l i e r v o n P a r n y * * ) den Vorzug in der E r o t i s c h e n
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Dichtart streitig machen kann, erhielt den Preis.
*) **)
Im J. 1695 da diese Histoire des Amours d’Abeillard & d’Heloise im Haag herauskam. Von den Poesien dieses liebenswürdigen Dichters ist erst kürzlich eine dritte Auflage unter
dem Titel O p u s c u l e s de Mr. le Chevalier de Parny, in einem Duodezbändchen bey H a r d o u i n zu Paris herausgekommen.
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Mir ist keine teutsche Übersetzung der Briefe Heloisens bekannt, die neben dem Original, oder neben Popens und Colardeaus Copien stehen könnte. Ich weiß nicht ob man eine wünschen soll; aber ein Meisterwerk, in welcher Art es sey, ist immer willkommen wenn es einmal da ist.
Marie de France. Diese Benennung kündigt nach dem heutigen Styl eine Princeßin von der regierenden Linie in Frankreich an. Aber so war es nicht im Dreyzehnten Jahrhundert, da diese Dichterin lebte. Sie schrieb sich von Frankreich, bloß um nach Gewohnheit der damaligen Poeten einen Zunamen zu haben; und vielleicht weil sie selbst von ihrem eigentlichen Geburtsort keine nähere Kund-
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schaft hatte. Wir können nichts weiter von ihr melden, als daß sie die erste Französische Dichterin ist, deren Name und Werke bis auf uns gekommen sind. Sie ist die Verfasserin eines Gedichts, genannt d a s F e g e f e u e r d e s H e i l . P a t r i c i u s , und einer handschriftlichen Sammlung von F a b e l n i n Ve r s e n , welche Herr l e F r a n c , der Herausgeber der Fabliaux et Contes du XII. et XIII. Siecle, traduits ou extraits d’aprés divers Manuscrits du Tems, nebst andern auserlesenen Poesien des nemlichen Zeitalters herauszugeben versprochen. Wir hören, daß dies vor wenig Wochen geschehen sey, und müssen also die nähere Nachricht von diesen Fabeln, welche unsre Aufmerksamkeit vorzüglich rege gemacht, noch so lange versparen, bis wir das Buch selbst in Händen haben.
Christine von Pisan. Eine berühmte Schriftstellerin des Vierzehnten Jahrhunderts, interessant, auch noch für uns, durch ihren Charakter und ihre Schiksale, wie sie es durch ihre Persönliche Eigenschaften und ihre Werke für ihre Zeitgenossen war. Sie war zwar keine gebohrne Französin, denn sie erblikte das Tageslicht im Jahre 1363 in Bologna; da sie aber von ihrem fünften Jahre an nach Frankreich verpflanzt wurde, und ihr ganzes übriges Leben zu Paris zugebracht hat: so gehört sie billig der Nation zu in deren Schoos sie lebte, deren Sprache sie
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redete und schrieb, und die sichs immer zur Ehre gerechnet hat, sie für ihre adoptierte Tochter zu erkennen. Ihr Vater, Thomas Pisani, oder von Pisan (wie ihn die Franzosen nennen) ein Bolognesischer Edelmann, war was man damals einen Mathematicus hieß. Das Fach worinn seine eigentliche Stärke lag, war die Astrologie. Diese auf willkührliche Beziehungen und luftige Voraussetzungen gebaute Wissenschaft stund in diesem Jahrhundert, und noch in den beyden folgenden, in hohem Ansehen. Man dachte sich unter einem Astrologen einen Mann der den Gipfel der Menschlichen Erkenntnis erstiegen habe, der die Einflüsse der Ge10
stirne nicht nur kenne, sondern sogar in seiner Gewalt habe, der mit eben so viel Gewisheit im Innersten der Herzen wie in der Zukunft lese, und Mittel besitze sich die Geister der Hölle selbst dienstbar zu machen. Denn, wiewohl man einen Unterschied zwischen einem Astrologen und einem Zauberer machte: so vermischten sich doch meistens diese beyden Begriffe in der Einbildung des Volks, und die Großen waren über diesen Punkt nicht viel aufgeklärter als der gemeine Mann. Sie suchten einen Vorzug darinn solche Wundermänner an ihren Höfen zu haben *), und, wiewohl sie eben nicht dafür angesehen seyn wollten, als ob sie Alles glaubten: so giengs ihnen doch wie Vielen, die aus Eitelkeit sich die Mine geben k e i n e G e s p e n s t e r z u g l a u -
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b e n , aber doch für ihr Leben gern davon reden und erzählen hören; und, wenn die Zauberlaterne in ihrem Kopfe gelegenheitlich mit einer hübschen Anzahl solcher Geschichten angefüllt worden ist, sich dann vor irgend einem harmlosen Haubenstok, den der Mond etwa auf eine zweydeutige Art beleuchtet, eben so gut entsetzen, als — ob sie Gespenster glaubten. *)
Vielleicht ist der Hauptgrund, warum die Astrologie im 14ten und 15ten Jahrhundert bey
den Königen so hoch angesehen war, vielmehr in ihrer Politik als in ihrem Aberglauben zu suchen. Die Könige saßen damals fast alle noch auf sehr schwankenden Thronen; ihre Vorrechte waren groß, aber ihre Macht klein; sie konnten wenig ohne den guten Willen ihrer Stände und Vasallen, welchen sie immer weniger Lust hatten so theuer zu erkaufen wie ihre Vorfahren gethan hatten. 30
Bey den ernstlichen, aber noch ziemlich unmächtigen Bestrebungen das Königliche Ansehen zu erweitern und zu befestigen, waren alle Mittel gut, die etwas zu diesem Zwek beytragen konnten; und Stützen, welche die heutige Staatskunst verachtet, weil sie izt weder nöthig noch brauchbar sind, waren damals nicht verächtlich. Das vornehme und gemeine Volk glaubte an Magie und Sterndeuterey; die Könige eyferten also in die Wette wer den größten Astrologen an seinem Hofe hätte; weil ihnen der Beystand eines solchen Mannes eine Art von Überlegenheit gab, die zwar bloß in der Einbildung des großen Haufens lag, aber gleichwohl nebenher gute Würkung that.
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Der Ruf von Thomas Pisani’s großer Wissenschaft erscholl endlich in alle Lande; und zween Könige, wovon der eine in Osten und der andre in Westen thronte, L u d w i g von Ungarn, und C a r l d e r F ü n f t e von Frankreich bewarben sich zu gleicher Zeit um ihn. Carl, der sich durch seine Neigung zu Wissenschaften und Büchern *), den Beynamen d e s We i s e n erworben, erhielt den Vorzug. Thomas Pisani kam an seinen Hof, und gefiel dem König so wohl, daß man ihm Vorschläge that, sich mit seiner Familie auf immer in Frankreich zu fixiren. Er bekam einen Platz im Staatsrath, und eine Pension von 100 Livres monatlich, welche nach itzigem Gelde wenigstens siebenmal soviel betragen, und damals eine mächtige Summe vorstellten. Die Achtung,
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welche Karl V. für seinen S t a a t s - und C a b i n e t s - S t e r n d e u t e r trug, war so groß als sein Glaube an die Wissenschaft desselben. Denn, wenn Christine von Pisan in ihrer Geschichte dieses guten Königs der Wahrheit getreu geblieben ist, so unternahm er nichts ohne den Rath seines Astrologen; wenigstens scheint die gute Frau selbst vollkommen überzeugt, daß er das Glük seiner Waffen und die vortheilhafte Wendung, welche die Angelegenheiten von Frankreich unter seiner Regierung bekamen, größtentheils dem Rath ihres Vaters zu danken gehabt habe. Es ist sehr möglich, daß sie hierinn nicht zuviel sagt. Thomas von Pisan konnte, ungeachtet seiner Astrologischen Schellenkappe, in allen andern Dingen ein sehr verständiger Mann seyn; und ein König
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wie Karl V. war, würde gewiß nicht soviel auf ihn gehalten haben, wenn ers nicht gewesen wäre. Gleichwohl war die Prävention für die G e h e i m e P h i l o -
*)
Die Fürsten kamen in diesen Zeiten oft ziemlich wohlfeil zu sehr schönen Beynamen. Carl V.
von Frankreich verdiente den seinigen durch seinen persönlichen Charakter und durch eine der wohlthätigsten und ruhmwürdigsten Regierungen, womit dieses Reich jemals beglükt worden; und gleichwohl ist die Frage, ob er ihn, ohne seine besondere Liebe zu den Wissenschaften, erhalten hätte. Sein Vater, der König J o h a n n , hatte ihm ungefehr eine Bibliothek von — 20 Bänden hinterlassen. Carl V. vermehrte sie mit Mühe und großen Kosten nach und nach bis auf 900, welche gar prächtig und kostbar eingedeckelt und mit Mignaturgemählden reichlich verziert waren. Astrologische, Chiromantische und Geomantische, Alchymistische und Medicinische Bücher aus dem Arabischen übersezt, machten, nebst vielen Chroniken, Ritterbüchern, Fabliaux und Liedersammlungen, den Hauptstamm davon aus. Der König liebte diese Lectüren so sehr, daß in allen seinen Pallästen und Lustschlössern Bücher seyn mußten. Sein Kammerdiener G i l e s M a l l e t , war der Bibliothekar über die ganze Sammlung. Wer mehr davon wissen will, findet es in des jüngern B o i v i n s Abhandlung ü b e r d i e B i b l i o t h e k i m L o u v r e e t c . im 3ten Theil der Mem. de l’Acad. des Belles-Lettres.
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s o p h i e in jenen Zeiten so groß, daß weder Karl von seinem Freunde Thomas, noch Thomas von seinem eignen Verstande, ohne seine Stärke in der Astrologie, eine so gute Meynung gehabt hätte. So lange Karl V. lebte, befand sich die Familie des Thomas von Pisan in den ansehnlichsten Umständen. C h r i s t i n e , seine Tochter, wurde, wie eine Dame von Stande, unter den Augen des Königs und ihres Vaters erzogen; und sobald sie das 15te Jahr erreicht hatte, bewarben sich verschiedne R i t t e r , E c u y e r s , und reiche C l e r c s * ) um ihre Hand. Die Wahl des Vaters (qui reputast celui le plus valable qui le plus science avec bonnes moeurs avoit **)) 10
fiel auf einen jungen Prud’Homme aus der Picardie Namens S t e p h a n D ü C a s t e l . K. Karl richtete die Hochzeit aus, machte den Bräutigam zu einem seiner Notarien und Geheimschreiber, und beehrte ihn mit einem Grade von Zuneigung und Vertrauen, der dieser Familie die schönsten Aussichten für die Zukunft öfnete. Aber diese glükliche Lage verwandelte sich plötzlich durch den Tod des guten Königs, der im Jahr 1380 viel zu früh für das Glük seines Reichs, und derjenigen, die persönlich an ihm hiengen, erfolgte. T h o m a s d e P i s a n erfuhr das gewöhnliche Schiksal der alten Günstlinge unter einer neuen Regierung, zumal unter einem erst eilfjährigen Thronfolger. Er verlohr sein Ansehen, und den größten Theil seines Gehalts; und was man ihm noch
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ließ, wurde schlecht genug bezahlt. Alters- und Leibesschwachheiten, durch Gram und Kummer unheilbar gemacht, legten ihn wenige Jahre nach dem Tode seines erhabnen Wohlthäters ebenfalls ins Grab ***). C a s t e l l , der nun das Haupt der Familie war, erhielt durch seine kluge Aufführung und den Credit, den ihm seine Ehrenstelle gab, alles noch in leidlich guten Umständen. Aber auch ihn rafte im Jahr 1389 ein frühzeitiger Tod aus den Armen einer liebenswürdigen Gattin, die dadurch, mit wenig Vermögen, und drey uner*)
So hieß man damals alles was, nach dem neuern Styl, zur Noblesse de R o b e gehört.
**)
Der denjenigen für den würdigsten hielt, der am meisten Wissenschaft und die besten
Sitten hatte — sind Christinens eigne Worte. 30
***)
Christine macht, in ihrer naiven altwelschen Sprache, viel Rühmens von dem vortref-
lichen Charakter ihres Vaters. Fürsten und Herren ehrten ihn, sagt sie, nicht nur wegen seiner Wissenschaften, worinn er zu seiner Zeit und lange zuvor nicht seinesgleichen gehabt hatte, sondern vornemlich wegen seiner Tugenden. Er war ein ächter Biedermann, edel, treu, wahr, großherzig und überall untadelich; man müßte ihm denn nur (sagt sie) seine allzugroße Freygebigkeit, vermöge deren er den Armen nichts abschlagen konnte, in Rüksicht auf seine eigne Familie, zum Fehler anrechnen wollen.
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zogenen Kindern, in einem Alter von 25 Jahren zur Wittwe wurde. „Nun lag mir wohl ob, sagt sie, die Hände nicht müßig in den Schoos zu stecken, sondern sie rüstig an ein Werk zu legen, das mich freylich meine zärtliche vornehme Hoferziehung nicht gelehrt hatte, nemlich selbst die Führerin eines Schifs zu seyn, das in einem stürmischen Meer ohne Steuermann geblieben war; ich meyne, eines hülflosen Hauswesens in einem fremden freundlosen Land’ und Ort. Sorgen und Bekümmernisse drangen Hauffenweis’ auf mich ein — und, was das gewöhnliche Loos der Wittwen ist, Händel und Processe von allen Seiten; denn wer mir schuldig war, eilte was er konnte Forderungen an mich zu machen, damit ich ihm mit den Meinigen nicht zuvor käme.“ Die
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arme Frau brachte etliche Jahre, in allen Unruhen und Beängstigungen hin, welche die natürlichen Folgen einer solchen Lage sind; und nachdem sie unter den Händen der Justiz so unbarmherzig berupft worden war, daß sie sich oft kaum zu helfen wußte, trieb sie endlich die eiserne Noth eine Partie zu ergreifen, an welche sie in glüklichern Umständen vielleicht nie gedacht hätte. Sie zog sich eine Zeitlang ganz aus der Welt zurük, verschloß sich in ihr Cabinet, und suchte unter den Büchern, welche ihr Vater und ihr Mann hinterlassen, die Studien wieder hervor, wozu sie in ihrer ersten Jugend angeführt worden war. Ihre Neigung führte sie vornemlich zu Lectüren, welche die Imagination beschäftigen; und, nachdem sie sich mit der Geschichte, der My-
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thologie und den Dichtern wohl bekannt gemacht hatte: beschloß sie, die Fruchtbarkeit ihres eignen Geistes auf die Probe zu setzen, und zu versuchen, ob sie vielleicht als Dichterin und Schriftstellerin Sensation machen, und ihre Lage dadurch verbessern könnte. Man denke, wegen dieser Veranlassung ihres Poetischen Berufs, nicht desto schlimmer von der guten Frau! Einer der liebenswürdigsten und geistreichsten Schriftsteller des Alterthums, H o r a z hatte keine bessere. Ist er nicht so aufrichtig, und gesteht selbst, daß ihn nicht der allmächtige Anhauch des Genius, sondern die v e r w e g n e D ü r f t i g k e i t angetrieben habe, Verse zu machen?
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— Simul primum me dimisere Philippi, decisis humilem pennis, inopemque paterni et laris et fundi, p a u p e r t a s i m p u l i t a u d a x ut versus facerem — —
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Als nun Philippi mir den Abschied gab, und, kleinlaut und mit kurzbeschnittnen Schwingen am Boden flatternd, meines kleinen Guts und väterlichen Heerds verlustigt, ich nach Rom zurückekam; da spornte mich die Alles wagt, die Armuth, daß ich Verse zu machen anfieng — —
C h r i s t i n e fieng auch mit Versen an. Sie war 34 bis 35 Jahre alt, als sie diese neue Profession ergriff; und ließ sichs so angelegen seyn, das gute Weib! 10
daß — „ich (sind ihre eigne Worte) seit 1399 bis in dieses laufende 1405te Jahr, da ich noch nicht aufhöre, funfzehn große Bände voll geschrieben habe, ohne die andern kleinen D i c t i é s *) die zusammen, ungefehr 70 Bogen in Folio ausmachen, wie der Augenschein ausweisen kann.“ Man sieht, die wakre wohlmeynende Frau that das Ihrige redlich. Aber der Erfolg schien anfangs ihren Hoffnungen nicht sonderlich entsprechen zu wollen. Wenigstens beklagt sie sich in einer Ballade, daß die Prinzen kein Ohr für ihre Muse hätten. Die Prinzen hatten freylich, wie man aus der Geschichte weiß, gerade in diesen Zeiten ganz was anders, wiewohl gewiß nichts unschuldigers, zu thun. Gleichwohl ließ sich Christine dadurch nicht abschrecken. Sie machte B a l -
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l a d e n und V i r e l a y s , wie die Kinder im dunkeln singen; anfangs um ihren Sorgen und dem Schmerz über den Verlust ihres lieben Mannes einige Diversion zu machen; hernach zum Zeitvertreib, und zulezt aus würklicher Liebhaberey. Unter der gewaltigen Menge von Liedern, welche sie in wenigen Jahren zusammenschrieb, waren auch viele D i t s a m o u r e u x e t g a y s , d. i. Lieder verliebten Inhalts, worinn sie sich (wie sie selbst sagt) mit Hülfe der Einbildungskraft in fremde Lagen hineinsezte, und Liebesschmerzen besang, die zwar nicht ihre eignen, aber doch einem so sanften Herzen wie das ihrige, so leicht nachzuahmen waren — daß Leute, denen ihr Thun und Lassen nicht genau bekannt war, eben so leicht auf arge Gedanken kommen konnten.
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Würklich schonte die Verläumdung ihrer nicht, wie sie im dritten Buch ihrer
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Sie versteht unter D i c t i é s oder Dits die kleinern Arten von leichter Poesie die damals
üblich waren, als da sind B a l l a d e n , L a y s , V i r e l a y s und R o n d e a u x . Das Englische Ditty ist wohl das nemliche Wort mit einer englischen Endung.
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sogenannten V i s i o n mit vieler Wehmuth selbst erzählt. „Wurde mir nicht gar (spricht sie) in der ganzen Stadt nachgesagt, daß ich würklich im Ernst verliebt sey? Aber ich schwöre dir, meine Seele, der kannte mich wohl nicht, und wußte nicht wer ich war, der dies sagte oder glaubte! Auch war nie weder Mann noch lebendiges Geschöpf, das mich weder an öffentlichen Orten, noch in einem Privathause oder irgendwo nur gesehen hätte, — wie der liebe Gott mein Zeuge ist! — Da kam’s dann, wenn mir so was gesagt wurde, daß ich, als eine die sich unschuldig wußte, mich darüber entfärbte; zuweilen lächelte ich wohl auch dazu, und sagte bloß: Gott, und Er (nemlich, der angebliche Liebhaber) und ich wissen am besten, daß nichts dran ist.“ *) — Wie die Verläum-
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dung boßhaft zu seyn pflegt, so mag sie wohl nicht ermangelt haben, sowohl über die schamhafte Verwirrung als über das ruhige Lächeln der armen C h r i s t i n e ihre Glossen zu machen. Inzwischen führte ihr das Schiksal mitten unter ihren mancherley Bedrängnissen unverhoft einen edeln und liebenswürdigen Beschützer zu; den Grafen von Salisbury, einen von König Richard des zweyten von Engelland Lieblingen, welcher, bald nachdem C h r i s t i n e angefangen hatte als Dichterin bekannt zu werden, herüber kam, um eine politische Ehverbindung zwischen der siebenjährigen Prinzessin von Frankreich Isabelle, und dem König seinem Herrn zu negociiren. Salisbury, ein junger Ritter dem alle Grazien
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hold waren, war auch ein großer Liebhaber von kleinen Poesien, und machte selbst sehr artige. Er bekam von C h r i s t i n e n s D i c t i é s zu sehen; sie gefielen ihm; er suchte die Bekantschaft der Dichterin, und sie gefiel ihm vielleicht noch besser als ihre Verse. Kurz, er wurde ihr Freund; und er gab ihr den edelmüthigsten Beweis davon, indem er sich erbot ihren damals dreyzehnjährigen Sohn mit sich nach England hinüber zu nehmen, und ihn mit seinem eignen erziehen zu lassen. C h r i s t i n e war eine zu gute Mutter um nicht in eine Trennung einzuwilligen, die — ihrem Sohn so wichtige Vortheile versprach — und ihre Schriften sind mit häufigen Zeichen ihrer Hochachtung und Dankbarkeit gegen den edeln Grafen angefüllt. *)
Ne fu il pas dit de moy par toute la ville, que je a m o y e p a r a m o u r s ? Je te jure, m’ ame,
que icellui ne me cognosc¸oit ne savoit que je estoie; ne fu oncques homme ne creature née qui me veist en public ni en privé, en lieu ou il fust, et de ce me soit Dieu tesmoing que je dis voir (vrai) … Dont, comme celle qui ignocent me sentoye, aucune fois, quand on me le disoit, me troubloie; et aucune fois me sousrioie, disant: Dieu et icelluy et moy savons bien qu’il n’en est riens.
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Wir wissen nicht, wer dem Verfasser des Artikels Christine de Pisan in der Bibliotheque Univers. des Romans (Octob. vol. II. p. 119. et suiv.) geoffenbaret haben mag, daß Salisbury in die schöne Christine p a r a m o u r s verliebt worden, und wo er den ganzen Detail des kleinen sentimentalischen Romans hergenommen hat, den sie mit einander gespielt haben sollen; er müßte dann geglaubt haben, in einem Werke wie die Bibliothek der Romanen sich bloß seines Rechts zu bedienen, indem er aus seiner eignen Einbildungskraft soviel hinzugedichtet, als vonnöthen war um eine bloße unschuldige Freundschaft zu Liebe zu erhöhen. Unsre Dichterin mochte zwar damals noch eine ganz 10
interessante Frau, und auch von Figur (nach ihrem Bildnis vor der Cité des Dames zu schließen) sehr liebenswürdig gewesen seyn. Gleichwohl sollte man, däucht uns, ohne sehr entscheidende urkundliche Beweise, eine Frau von 36 Jahren, die den Freuden der Welt entsagt und vermuthlich unter den Widerwärtigkeiten eines zehnjährigen kummervollen Wittwenstandes viel von ihren Reizungen verlohren hatte, nicht zum Gegenstand einer romanhaften Liebe gemacht haben. Die zärtliche Art, wie sie sich etwan hier und da, wo in Versen und Prosa die Rede von diesem Grafen ist, ausdrükt, hat weit mehr von der Dankbarkeit eines gerührten Mutterherzens als von einer geheimen übelverheelten Leidenschaft in sich. C h r i s t i n e war überhaupt eine sanfte
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liebende Seele; und sie müßte keine Dichterin gewesen seyn, wenn ihre Empfindungen nicht Lebhaftigkeit genug gehabt hätten, um zuweilen die Farbe der Leidenschaft anzunehmen. Aber ein großer Theil hievon muß doch auch auf Rechnung ihrer Sprache gesezt werden; welche, bey einer großen Naivetät, noch unendlich weit von der Delicatesse und Politur der heutigen entfernt war, und daher oft mehr zu sagen scheint, als die gute Frau sagen wollte. C h r i s t i n e war dazu bestimmt, ihrer Beschützer immer durch den Tod beraubt zu werden, ehe sie die Früchte ihrer Freundschaft einerndten konnte. Jeder freundliche Stral, den das Glük auf sie fallen ließ, schien der Vorbote neuer Widerwärtigkeiten zu seyn. Der Graf von Salisbury verlohr am Schluß
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dieses Jahrhunderts seinen Kopf in einem unglüklichen Aufruhr, den er (wie Christine sagt) aus Liebe und Treue gegen seinen (von dem Usurpator Heinrich von Lankaster vom Thron gestürzten und auf eine höchstgrausame Art ermordeten) Herrn, den König Richard, mit mehr Eyfer als Klugheit erregt hatte. Ihr Sohn wurde dadurch einer Stütze beraubt, die er izt, in einem Alter von 16 oder 17 Jahren am nöthigsten hatte. Der neue König Heinrich IV. in
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dessen Charakter es war, sich mit den wenigsten Kosten soviele Anhänger und Lober zu erkaufen als möglich, nahm nicht nur den jungen Castell zu sich, und bewies ihm große Freundlichkeit und Gnade: sondern ließ sogar die Mutter durch zween Waffenherolde, die er nach Frankreich herübergeschikt hatte, unter großen Versprechungen zu sich einladen. Aber Christinens edles gutes Herz konnte den Gedanken nicht ertragen, von einem Prinzen, den sie als den Mörder ihres Freundes und seines rechtmäßigen Königs betrachtete, Wohlthaten anzunehmen; und die Maxime, Fra lo splendor del Trono Belle le colpe sono
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stund nicht in ihrer Moral. Sie lehnte also die Einladungen des Brittischen Königs so höflich ab als sie konnte; und ruhte nicht, bis sie, wiewohl nicht ohne viel Mühe und Verlust, die Entlassung und Zurükkunft ihres Sohnes (der noch ihr einziger war) ausgewürkt hatte. Und so (sagt sie) schlug ich dieses Glük für mich und meinen Sohn aus, und reut mich dessen nicht; denn ich kann nicht glauben, daß es mit einem Manne, der gegen Ehre und Pflicht gehandelt hat, einen guten Ausgang nehmen könne. (Ne puis croire, que fin de desloyal viengne à bon terme.) Bald darauf schien das Schiksal sie für das Opfer, so sie, bey dieser Veranlassung, ihrer Rechtschaffenheit brachte, durch einen andern mächtigen Be-
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schützer belohnen zu wollen. Der Herzog von Burgund, Philipp der Kühne, nahm den jungen D ü C a s t e l in seine Dienste, und sezte, wie es scheint, auch die Mutter in den Stand, ganz artig eine Zeitlang wieder Haus zuhalten. Christine hatte von neuem die besten Aussichten für das Glük der ihrigen und die Ruhe ihrer eignen Tage. Aber der Herzog starb im Jahr 1404, und sie stürzte wieder in alle Bedrängnisse ihrer vorigen Lage zurük. Gleichwohl, wenn Sie anders nicht ein wenig zu schnell war bloße Complimente für Ernst aufzunehmen (welches an einem Charakter wie der ihrige eben nichts unmögliches ist) so wäre es nur auf Sie angekommen, am Hofe des Herzogs von Mayland, J o h a n n G a l e a z z o V i s c o n t i (Vater der berühmten Va l e n t i n e d e M i l a n , Herzogin von Orleans) eine sehr glänzende Versorgung zu finden. Sie beruft sich auf verschiedne Mayländische Herren, durch welche er ihr große Renten auf Lebenslang habe versprechen lassen, wenn sie
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sich zu Mayland fixiren wollte. Sie konnte sich aber nicht entschließen Paris zu verlassen, wiewohl ihre Subsistenz daselbst so ungewiß war, und, ausser den ewigen Processen mit bösen Schuldnern und ungeduldigen Gläubigern, noch manche Umstände ihr das Leben verbitterten; zumal da sie eine betagte Mutter, einen unversorgten Sohn und ein Paar arme Basen auf dem Nacken hatte, welche alle von den Renten des Witzes und der Schreibfinger der armen Frau leben wollten. Unglüklicherweise rentirte in den damaligen Zeiten nichts schlechter und unsichrer als die Schriftstellerey. Denn da die Buchdruckerkunst noch nicht erfunden war, so war da keine Gelegenheit seine 10
Handschrift an einen Buchführer zu verhandeln; und von dem izt so breiten und gebahnten Wege der Subscription hatte man noch gar keinen Begriff. Das einzige, was also ein Schriftsteller in diesen Zeiten mit seinen Werken gewinnen konnte, war — Ruhm, und die Protection derjenigen unter den Großen, welche Liebhaberey für solche Dinge hatten, oder es für eine Art von Obliegenheit ihres Standes ansahen, den dürftigen Bewohnern des nur an Blumen fruchtbaren Musenberges — Wohlthaten zufließen zu lassen, welche oft kärglich genug zugemessen wurden. Die Meisten glaubten noch sehr viel übriges zu thun, wenn sie ihnen eine zweydeutige Art von persönlicher Achtung zeigten, den Weyhrauch, der die Poeten freylich wenig kostete, gnädigst in die
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Nasen zögen, und ihn eben so wohlfeil mit — Beyfall bezahlten. Freylich muß man auch beherzigen, daß die Könige und Fürsten dieses Zeitalters immer sehr mit ihren Finanzen brouilliert waren. Wenn es also auch einer Frau wie Christine von Pisan gelang, mit Angst und Noth, durch Empfehlungen, Fürbitten, und der Himmel weiß wie viele R o n d e a u x und V i r e l a y s en forme de Plac¸et, endlich eine kleine Pension zu erringen: so wurde sie so unordentlich ausgezahlt, und blieb so oft gar aus, daß es fast eben soviele Angst und Noth, Empfehlungen, Aufwartungen, Rondeaux und Virelays bedurfte, um sie bezahlt zu kriegen, als es gekostet hatte, das Pensionsdecret zu erbetteln. Doch, die gute Christine war nicht einmal in dem Falle, dies zu erfahren; so
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viele Mühe sie sich auch darum gegeben zu haben scheint. Indessen muß sie auch nach dem Tode des Herzogs von Burgund nicht ohne Freunde an Karl VI. Hofe gewesen seyn, weil sich aus den Registern der Königl. Rechnungs-Cammer vom Jahre 1411 ergiebt: „daß der D a m o i s e l l e C h r i s t i n e v o n P i s a n , weiland M e i s t e r s S t e p h a n D u C a s t e l l , gewesenen Königl. Notars und Geheimschreibers, nachgelassenen Wittib, in Betracht der guten und ange-
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nehmen Dienste, welche ihr Vater M e i s t e r T h o m a s v o n B o l o g n a , im Leben gewesener Rath und Astrolog Königs Karls, dem Gott die ewge Ruhe geben wolle! besagtem seinem König und Herrn geleistet, wie auch aus andern bewegenden Ursachen, kraft eines ofnen Königl. Briefs vom 13 May 1411 die Summe von 200 Pfund, als eine G r a t i f i c a t i o n bewilligt worden —“ eine Summe, die damals mehr zu bedeuten hatte, als izt 2000 bedeuten würden. Aber alle diese Wohlthaten, die unsrer Dichterin von Zeit zu Zeit zuflossen, konnten doch nicht verhindern, daß sie nicht den größten Theil ihres Lebens mit Nahrungssorgen zu kämpfen gehabt hätte, die um so drückender für sie waren, da sie, edel gebohren und edel erzogen, in ihrer Jugend die schönsten
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Aussichten gehabt hatte, von Natur freygebig und großherzig war, und das Erniedrigende der Nothwendigkeit, Wohlthaten anzunehmen, ja oft gar zu suchen, aufs schmerzlichste fühlte. Gleichwohl behielt sie mitten in diesen Bedrängnissen immer einen gewissen rühmlichen Stolz, und wußte immer zu verhüten, daß der schlechte Zustand ihrer Finanzen der Welt nicht in die Augen fiel. Sie behalf sich mit geringer Kost: aber Sie schlief in einem reichen Bette. Sie war immer mit Geschmak coeffiert, und ihrem Stande gemäß gekleidet; ein S ü r c o t * ) von Scharlach, ein reicher Gürtel, ein Mantelet mit feinem Pelzwerk gefüttert, und einige Perlen, die Sie aus dem Schifbruch ihres vormaligen Glüks gerettet, gaben ihrer natürlichen Wohlgestalt ein An-
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sehen von Wohlstand, welches Sie vor der Verachtung des Pöbels sicherte, und ihr auch bey den Vornehmen, denen ihre Umstände bekannt waren, Ehre machte; oder sie wenigstens in die Unmöglichkeit sezte sich ihrer zu schämen. Wir können nicht sagen, was aus ihrem Sohne geworden sey, von dessen guten Eigenschaften und Talenten sie an mehr als einem Ort mit der Zufriedenheit und zärtlichen Vorneigung einer guten Mutter spricht. Ihre Tochter, die erste Frucht ihrer Ehe, war ein sehr schönes und tugendliches Mädchen, welches sich, aus innerm Trieb und Beruf, von Jugend an dem Klosterstande widmete, und unter die Damen zu Poissy, Benedictiner-Ordens, aufgenommen, durch ihr erbauliches Leben in der glüklichen Unwissenheit und Abgeschiedenheit einer dem Himmel geweyhten Jungfrau, nach den Begriffen der damaligen Zeit, ihrer Mutter viel Trost und Freude gab. Auch führt dies, in *)
Eine Art von Überkleid das zur damaligen Garderobe gehörte, und beyden Geschlechtern
gemein war.
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ihrer V i s i o n , D a m e P h i l o s o p h i e unter den Dingen an, weswegen sie sich glüklich zu preisen habe. Ton premier fruit (sagt sie) est une fille donnée à Dieu, par inspiration divine et de sa pure volonté, en l’Eglise et noble Religion des Dames à Poissy, ou elle, en fleur de Jonesse et tresgrand beauté, se porte tant notablement en vie contemplative et devotion, que la joye de la relacion de sa belle vie souventefois te rend grand confort. Alle bisher erzählte Umstände und Charakterzüge sind aus ihren Schriften, besonders aus ihrer V i s i o n genommen, worinn sie sich selbst und ihre Anliegenheiten mit einer Naivetät aufdekt, welche, so stark sie von unsern heu10
tigen Sitten absticht, wenigstens an einer schönen und geistreichen Gauloise des 14ten Jahrhunderts etwas sehr liebenswürdiges ist. Ein Mehreres von ihren Schiksalen und das Jahr ihres Todes haben wir nicht erfahren können. Christine von Pisan verdient sowohl wegen der Menge und Manchfaltigkeit als des verhältnismäßigen Werthes der Producte ihres Geistes, unstreitig die erste Stelle unter allen französ. Schriftstellern des 14ten und 15ten Jahrhunderts; und noch im 16ten wurde eine von ihren vornehmsten Compositionen, L e C h e m i n d e l o n g e t u d e betitelt, gedrukt und mit dem größten Beyfall gelesen. Dieses Werk ist eine Art von Philosophischen Roman, worinn, nach damaligem Geschmak, alles V i s i o n und A l l e g o r i e ist. D a n t e’ s D i v i n a
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C o m e d i a und der R o m a n v o n d e r R o s e hatten diese Form vorzüglich beliebt und zur Mode gemacht; wenigstens scheint Christine in diesem und ihren meisten übrigen Werken den leztern zum Muster genommen zu haben. Die Sibylle von Cumä erscheint ihr in einer sehr finstern Nacht sezt sich auf ihr Bette, und redet sie freundlich an: Meine Tochter, spricht sie, ich habe Mitleiden mit deinen Trübsalen. Alle reinen Seelen sind in meinem Schutze. Ich habe den Äneas in die Unterirdische Reiche geführt; izt will ich Deine Führerin auf einer andern Reise seyn. Sehr heilige Dame, antwortet Christine, ich bin bereit dir überall hin zu folgen. Augenbliklich steht sie auf, kleidet sich eilfertig an, und macht sich mit der Sibylle auf den Weg. Es war im May, die
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Luft mild und rein. Sie kommen in eine lustige, mit tausend Arten lieblich düftender Blumen emaillierte Ebne. — Da sehen sie neun schöne Damen sich in einem crystallhellen Wasser baden. Ist dies nicht das Paradies der Wollust? ruft Christine aus. Nein, erwiedert die Sibylle, es ist der Sitz der Musen, die erste Station auf dem Wege zur Gelehrsamkeit; ein reizender Aufenthalt für Leute, die nur die Blumen derselben pflücken wollen, ohne sich gar zu große
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Mühe zu geben. Diejenigen, die in den Tiefen der Wissenschaften graben, verirren sich oft in Traurigkeit; aber diese hier verirren sich nur in Freude. Liebste Tochter, sey immer frölich; die Tugend ist’s — Siehst du nicht hier die neun Jungfrauen des Parnasses, die Hippokrene, und, die Söhne der Götter, die Dichter, um sie hergelagert? Aber du sollst sie nur im Vorbeygehn anschauen; wer sich hier verweilt, kann nicht weiter, so anmuthig und bezaubernd ist dieser Aufenthalt. — Die beyden Damen setzen ihren Weg unter allerley Gesprächen fort, und werden nicht gewahr, wie sie, ohne Schif, über ein großes Meer wegkommen. Sie langen in der zweyten Station der Gelehrsamkeit an, welche G e o g r a p h i e genennt wird. Diese Station ist etwas groß,
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denn sie begreift den ganzen Erdboden in sich. Christine deployiert in Beschreibung der Reisen, die sie darinn mit einander gemacht, ihre Kentnisse von den entlegnern Theilen der Erdkugel. Sie kommen nach Konstantinopel; von da nach dem Ort w o e i n s t Tr o j a w a r ; sie durchwandern ganz Asien, die Länder des großen Kans, das reiche Land C a t h a y , das Vaterland der schönen Angelica, die G l ü k s e l i g e n I n s e l n , das Land der B r a m a n e n , des P r i e s t e r J o h a n n s , u. s. w. und überall theilt die Sibylle ihrer Begleiterin das Merkwürdigste mit, was man damals von allen diesen Ländern wußte. Endlich langen sie in der dritten Station von Long-Etude an, und diese ist die A s t r o n o m i e , die eine Communication zwischen der Erde und dem Himmel
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eröfnet. Sie besteigen einen hohen Berg. Die Sibylle macht eine Anrufung, wovon Christine nichts versteht, weil sie G r i e c h i s c h ist. Aber die Bewohner des Himmels verstehen diese schöne Sprache. Denn augenbliklich stund ein Jüngling von entzückender Schönheit vor ihnen da. Freund, sagte die Sibylle, bringe mir eine Leiter, damit diese Dame mit mir gen Himmel steigen, und die göttlichen Geheimnisse daselbst beschauen könne. Straks läßt sich eine Leiter vom Himmel herab. Christine möchte vor Furcht des Todes seyn, aber sie muß steigen. Sie faßt endlich Muth, bezeichnet sich mit dem heil. Kreuz, und folgt ihrer unsterblichen Führerin. Von Stufe zu Stufe sind sie endlich so hoch gestiegen, daß, wie sie sich nach der Erde umsehen, sie ihnen nicht größer als eine Fliege vorkömmt. Nun kann die arme Christine nicht länger aushalten. Dame, sagt sie, wir wollen wieder heruntersteigen; ich kann nicht mehr; wir wollen herunter; der Kopf schwindelt mir, ich werde fallen, ich werde die Strafe des Ikarus erfahren — Um Gottes willen! — Ach! ich sehe wohl, antwortet die Prophetin lächelnd, die erhabnen Wissenschaften sind zu
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stark für dein Geschlecht. Aber fasse Muth, es soll dir kein Leid wiederfahren! Die Strafe des Ikarus trift nur diejenigen, die seine Vermessenheit haben. Das Verlangen, das dich zum Himmel empor führt, ist rein; komm, gieb mir deine Hand! und ich will dich unversehrt wieder nach dem armseligen Kothhaufen zurükbringen, nach welchem dir so weh ist. — Sie ersteigen also den Himmel — des P t o l o m ä u s ; denn dieser alte Griechische Philosoph war damals noch der einzige, der die Schlüssel zum Astronomischen Himmelreich hatte. Die Sibylle zeigt Christinen alle himmlischen Körper, und erklärt ihr ihre verworrenen Kreise und Bewegungen nach den Ptolomäischen Grundsätzen. 10
Nachdem sie vom Gipfel des E m p y r e u m s alle diese Wunder betrachtet haben, erblicken sie an den vier Enden der Welt vier herrlich glänzende Thronen, und einen in der Mitte. Vier Damen saßen auf diesen Thronen, deren Name war Weisheit, Adel, Ritterschaft (Chevalerie) und Reichthum. Den in der Mitte hatte vor Zeiten D a m e Ve r n u n f t eingenommen; aber nun war er leider! leer. Ehmals (o! der glüklichen Zeiten!) regierte Dame Vernunft den ganzen Erdboden; Adel, Ritterschaft, Weisheit und Reichthum waren nur ihre Vasallinnen. Aber die Vasallinnen wußten sich endlich unabhängig zu machen, stürzten ihre Souveraine vom Thron, und regieren nun die Welt nach ihrer eignen Willkühr, schlecht genug.
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Doch, wir können nicht hoffen, unsern Lesern durch einen längern Auszug aus einem Buche, das für uns nicht den hundertsten Theil des Reizes haben kann, den es für das Publicum des 15ten Jahrhunderts hatte, angenehm zu seyn. Wir eilen also, Ihnen noch von einigen andern vorzüglichen Producten unsrer Dichterin Nachricht zu geben. L a C i t é d e s D a m e s , nach jenem das wichtigste von ihren Werken, ist hauptsächlich zum Unterricht Königlicher und Fürstlicher Damen geschrieben; welche von ihr ermahnt werden, sich nicht zu schämen von ihren Thronen herabzusteigen, und den Lehren der Weisheit ein gelehriges Ohr zu leihen. Auch von diesem Werk ist die Composition sehr reich, und macht, wenn
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man die Barbarey ihres Zeitalters bedenkt, dem Witz der Dichterin eben soviel Ehre als ihrer Gelehrsamkeit. Sie dichtet, daß ihr drey Damen erschienen seyen, welche sie in eine von ihnen selbst erbaute schöne Stadt geführt hätten. Die erste führte die Mauren auf; die andre erbaute die Häuser und versah sie mit Einwohnern; die dritte sezte dem Werk der beyden andern den Gipfel auf. Alles ist hier allegorisch, sogar die Steine der Stadtmauren, welche lauter
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Tugenden sind. Die Bewohnerinnen der Stadt sind alle die Heldinnen und Modelle weiblicher Vollkommenheit, welche die Verfasserin in der Geschichte gefunden, und die ihr zu einer Menge lehrreicher Erzählungen oder Exempel den Stoff geben. Das was sie den Gipfel oder den höchsten Grad der Vollkommenheit dieser allegorischen Stadt nennt, ist die Andacht und Heiligkeit; und die Exempel, die sie unter dieser Rubrik beybringt, sind lauter Geschichten von heiligen Frauen und Jungfrauen. Alle diese Schätze von Mythologie und Geschichte, welche Christine in diesem seltsamen Werke verschwendet, hatten für die Damen des 15ten Jahrhunderts den ganzen Reiz der N e u h e i t , und es gab damals noch kein Buch, welches Ihnen zu Auszierung ihres Geistes
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und zu Bildung ihres Herzens und ihrer Sitten bessere Dienste hätte thun können, und worinn das Nützliche mit dem Angenehmen, nach dem Geschmak und der Vorstellungsart der damaligen Zeit, glüklicher vereinigt gewesen wäre — zumal da auch der Stolz der Damen ihre Rechnung darinn fand. Denn Christine schreibt die Erfindung aller nützlichen und schönen Künste ihrem Geschlechte zu. C e r e s , M i n e r v a und A r a i n e (Arachne) waren drey Griechische Princeßinnen, sagt sie — und hat vielleicht Recht. C e r e s erfand alle Künste, denen wir das Brod, das die Hauptstütze des Menschlichen Lebens ausmacht, zu danken haben — M i n e r v a die Kunst die Wolle zu verarbeiten, und die Werkzeuge dazu; die Kunst Öl zu machen; die Instrumente des
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Kriegs, die Waffen von Eisen und Stahl, u. s. w. — A r a c h n e die Kunst die Wolle zu färben und alle Arten von Stickarbeit und Tapisserie daraus zu machen. Eine andre Griechische Dame, Namens P a m p h i l a , war die Erfinderin des Seidenbaus, u. s. w. Kurz, Christine vergißt in ihrer Cité des Dames nichts, was ihrem Geschlechte Ehre machen konnte: aber sie schonet auch der verschiednen Laster und Untugenden nicht, die den Damen ihrer Zeit zum Vorwurf gereichten. Unter den Zügen, welche zur Charakteristik ihrer Zeit gehören, ist uns folgender um so mehr aufgefallen, weil man sich gewöhnlich von dem Costum dieses unglüklichen und barbarischen Jahrhunderts ganz andre Begriffe macht. Christine spricht von der übertriebnen Pracht und Hoffart, die damals in den Wo c h e n s t u b e n im Schwange giengen. Sogar die Bürgersfrauen in Paris beeyferten sich, es darinn den größten Damen gleich oder noch zuvor zu thun. Sie erzählt davon ein Beyspiel, das ihr besonders anstößig gewesen, und wobey sie in sehr naive Deklamationen ausbricht. Sie legte einst einen Wochenbesuch bey einer Kaufmannsfrau ab. Sie
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wurde durch zwey schöne und prächtig aufgepuzte Zimmer geführt; die Vorhänge darinn waren reich, und in dem einen paradierte ein Büffet mit Silbergeschirr aufgethürmt. Die Wochenstube war mit einer kostbaren Tapezerey von reichem C y p r i s c h e n Stoff ausgeschlagen; auf den Cartuschen schimmerte der Name und die Devise der Dame des Hauses in der zierlichsten Stikarbeit. Das Bette war nicht weniger prächtig. Bloß die Bettücher, von der feinsten Rheimser Leinewand, hatten über 300 Pfund gekostet. Die Bettdecke war von Silberstoff, und sogar der Fußteppich glänzte als ob er von reichem Zeuge wäre. Die Wöchnerin stolzierte in ihrem Parade-Bette in einem zierli10
chen Anzug von Carmesinrother Seide, und lehnte sich auf Kopfküssen mit dicken Quasten von guten Perlen. — „O Sitten! ruft Christine unwillig aus! Was bleibt der Königin übrig, wenn reiche Bürgersweiber sich unterstehen dürfen, es ihr in Pracht zuvor zu thun? Warum leidet der König das? Warum legt er diesem übermüthigem Volke nicht neue Abgaben auf, um ihnen das Geld abzuzapfen, dessen sie so sehr zuviel haben? u. s. w.“ Man sieht hieraus, daß die Ungleichheit schon in Karl VI. Zeiten unmäßig seyn mußte. Denn daß der größte Theil des Volks damals in höchst elenden Umständen war, ist unläugbar. L a V i s i o n d e C h r i s t i n e , dasjenige von ihren Büchern, woraus beynahe
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alles was man von ihrer Geschichte weiß geschöpft ist, theilt sich in drey Theile. Der erste enthält ein allgemeines Gemählde von der Welt und ihren Wundern. Im zweyten wird D a m e M e y n u n g , mit ihren Einflüssen auf das Glük und Unglük der Menschen, vorgeführt. Im dritten erscheint ihr D a m e P h i l o s o p h i e , als Arzt und Trösterin alles Menschlichen Leidens und Ungemachs. Auch hier ist alles Erscheinung und Allegorie — um unter dieser Hülle (als damaliger Modetracht der Dame Philosophie) der Sittenlehre Aufmerksamkeit zu verschaffen. Noch bemerken wir als eines ihrer vorzüglichsten versificierten Producte die Epistre d’Othea à Hector, oder le Roman d’Othea, wie es gemeiniglich
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genennt wurde. Es ist eigentlich ein poetisches Bilderbuch zum Gebrauch des ältesten Prinzen des bekannten Herzogs von Orleans, Bruders von Karl VI. welchen der Herzog von Burgund, Johann der Unerschrokne, im J. 1407 ermorden ließ. Alle Tugenden und Laster, die Würkungen zügelloser Leidenschaften, die Maximen welche ein loyaler Ritter nie aus den Augen verliehren sollte, und dergleichen, werden in diesem Büchlein dem jungen Prinzen unter
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allerley schiklichen, meistens aus der Mythologie und den Dichtern entlehnten Bildern vorstellig gemacht, wovon die Verse die Erklärung und Anwendung sind. So zeigt sie ihm z. E. den Saturnus, wie er mit seiner Sichel alle Menschen und ihre Werke mähet, die Gelehrten hingegen mit Wohlgefallen betrachtet und ihrer Werke verschont — um ihm Hochachtung für diejenigen einzuflößen, deren Amt es ist die Welt zu erleuchten, und ohne welche die Zeit das Andenken der Helden und ihrer Thaten bald verschlingen würde. Daß ein Ritter immer bereit seyn müsse sein Leben für die Ehre der Damen zu wagen, wird ihm durch das Bild des Perseus der die Andromeda befreyt, eingeprägt. Die Vortheile der Leutseligkeit werden ihm durch das Bild der Liebesgöttin,
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die alle Herzen durch den Reiz ihrer holdseligen Rede an sich zieht — die verderblichen Würkungen des Zorns durch die Wuth des Athamas, der seine Gemahlin tödtet — die unglüklichen Folgen einer unbesonnenen Liebe durch das klägliche Schiksal von Pyramus und Thisbe vorstellig gemacht u. s. w. Christinens Verse sind nicht mehr erträglich, so sehr sie auch zu ihrer Zeit gefallen mochten; aber die Idee, in einem jungen Prinzen edle Gedanken und Gesinnungen durch m a h l e r i s c h e und auf eine sehr faßliche Art a l l e g o r i s c h e Darstellungen zu erwecken — macht ihrem Witz Ehre, und verdient Aufmerksamkeit. Christine hätte sich — so eifrig war ihre Begierde durch ihre Schriften etwas
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gutes zu stiften — sogar der Königin I s a b e l l e gerne nüzlich machen mögen. Denn unter ihren in der Königlichen Bibliothek zu Paris verwahrten Manuscripten befindet sich auch eines, das den Titel hat: Instructions des Princesses & Dames de Cour, & autres Lettres à la Reine Isabelle en Mccccv. Aber es war übel angewandte Mühe. I s a b e a u v o n B a y e r n , und die Damen ihres Hofes, die sich mit Vergnügen nach einem so reizenden Muster bildeten, kehrten sich nicht an die Moral der guten Christine, lachten vermuthlich ihrer Einfalt, und blieben — was man weiß. Das Leben König K a r l s d e s F ü n f t e n zu beschreiben, wurde sie von ihrem Gönner, dem Herzog Philipp von Burgund, aufgemuntert. Wir können nichts weiter davon sagen, als daß es vermuthlich mehr Eloge als Geschichte ist. Christine war, in keiner Betrachtung, geschikt, eine Geschichte zu schreiben, welche die Aufmerksamkeit der Nachwelt verdienen könnte. Daß eine so fruchtbare Schriftstellerin, die zugleich eine so zärtliche Mutter war, ihre Kinder nicht vergessen haben werde, kann man sich leicht vor-
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stellen. An ihren Sohn sind die Enseignemens Moraux de Christine à son Fils, und an ihre Tochter Le Dit de Poissy gerichtet. Nur noch Ein Wort aus den B r i e f e n ü b e r d e n R o m a n v o n d e r R o s e , welche sie an verschiedene Gelehrte ihrer Zeit, deren Namen man nur durch Sie noch kennt, gestellt hat — und das sey die naive Art wie sie sich über die berüchtigten Verse M e i s t e r C l o p i n e l s — Vous etes, vous serez & fuˆtes De fait ou de volonté P*t*s.
vernehmen läßt — „ D e r b ö s e M e n s c h ! (ruft sie aus) w i e e r l ü g t ! “ 10
Wir haben uns länger bey dieser einst so berühmten Dame aufgehalten, weil ihre Werke wenig bekannt sind, und weil sie uns unter diejenigen zu gehören schien, die im Andenken guter Menschen fortzuleben verdienen *). Und doch würde man uns vielleicht nicht verzeyhen, wenn wir nicht noch ein Paar Worte von der Figur einer so geistreichen und interessanten Dame sagen wollten. Was uns ihre eigene Bescheidenheit davon hat bekannt werden lassen, ist: daß sie von Person ohne alle Ungestalt, ziemlich angenehm, von guter Constitution, und nicht kränklicht gewesen sey (qu’elle avoit corps sans nulle difformité, assez plaisant, et non maladis, mais bien complexioné.) Dies ists, was ihr D a m e P h i l o s o p h i e im 3ten Theil ihrer V i s i o n , unter den Wohl-
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thaten, wofür sie dem Himmel dankbar zu seyn Ursache habe, als keine der geringsten anführt. Wenn eine so wakre Frau wie Christine von Pisan von ihrer Aussenseite s o viel sagt: so kann man sich ohne Bedenken eine sehr vortheilhafte Idee von den Annehmlichkeiten ihrer Person machen. Herr B o i v i n giebt uns die Beschreibung von demjenigen ihrer Bildnisse, welches, seinem Urtheil nach, das Beste unter den Mignaturbildern die sich in ihren Werken befinden, und vor der Cité des Dames, in der Handschrift 7395 der Kön. Bibliothek, zu sehen ist. Der Verfasser des Artikels Christine de Pisan in der Bibl. U. D. R. der dieses Bild auch gesehen hat, scheint die Beschreibung *)
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Unsre Nachrichten von ihr sind aus des jüngern Herrn B o i v i n , Custos der Königl. Biblio-
thek zu Paris, V i e d e C h r i s t i n e d e P i s a n e t d e T h o m a s d e P i s a n , s o n p e r e ; aus dem Artikel in der B i b l . Vn i v . d e s R o m a n s , der Sie und ihre Schriften betrift; und aus dem, was im IVten Theil der M e l a n g e s tirés d’une grande Bibliotheque von ihr gesagt ist, zusammengezogen.
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des Hrn. Boivin noch genauer berichtigt zu haben — welches wir erinnern, damit uns niemand beschuldigen könne, daß wir etwas aus unsrer eignen Einbildung hinzugethan. Sie erscheint unter einer Art von Baldachin sitzend, den Kopf gegen die linke Hand geneigt, und den Ellenbogen auf einen Schreibtisch gestüzt. Sie hat ein rundes Gesicht, regelmäßige Züge, eine schöne Gesichtsfarbe, und eine feine Leibesgestalt, doch mehr völlig als mager. Ihre Augen sind geschlossen, als ob sie schlummern. Ihre Coeffüre ist eine Art von Lilasfarbigem hohem Hut, mit einer sehr zarten Gaze beschattet; ihr Hemde, das ungemein fein und auf der Brust ein wenig offen ist, läßt etwas weniges vom obersten Theil der Schultern unbedekt. Ihr Kleid ist blau, unten mit Gold gestikt, und dunkelgelb gefüttert; es öfnet sich vorn, wie die Mäntelchen unsrer Damen, so daß man darunter etwas von einem violetfarben Corset mit schmalem goldnem Nezwerk besezt, sehen kann. Die Attitüde der sitzenden Frau, und drey andre Damen, die vor ihr stehen, scheinen anzudeuten, daß es Christinen in dem Augenblicke vorstellt, da sie die Vision hat, welche in der Cité des Dames beschrieben ist.
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Zweyte Fortsetzung des Verzeichnisses Französ. Schriftstellerinnen. M a r g a r i t e v o n Va l o i s , Königin von Navarra. Das Sechzehnte Jahrhundert, so fruchtbar es an vortreflichen Menschen aller Arten war, hat, unter einer ansehnlichen Zahl von Frauen die durch ungewöhnliche Naturgaben, Vorzüge des Geistes, Tugend und Größe der Seelen, die Unsterblichkeit welche die Geschichte geben kann verdient haben, schwerlich eine hervorgebracht, die dieser berühmten Fürstin den Vorzug streitig machen könnte. Ihre Geburt, ihre Schiksale, ihre außerordentliche 10
Liebe zu König Franz I. ihrem Bruder, ihr Einfluß über ihn, und die guten Dienste so sie ihm geleistet, ihre öffentlich erklärte Neigung zu dem was man damals d i e n e u e R e l i g i o n nannte, der Schuz den sie allen Gelehrten von vorzüglichem Charakter, besonders denen welche der neuen Meynungen verdächtig waren, angedeyhen ließ, die guten und bösen Gerüchte durch welche sie gegangen, weil sie zu edel, billig und gut war um es einer von beyden Partheyen völlig recht machen zu können — kurz, die meisten Merkwürdigkeiten ihres Lebens sind aus der Geschichte bekannt genug. Der geringste von ihren Vorzügen war derjenige, der ihr eine Stelle in gegenwärtigem Verzeichniß giebt. Margerite, an dem Hofe des guten Königs Ludwigs XII. ( Va t e r d e s
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Vo l k s genannt) sehr sorgfältig erzogen, hatte von ihrer ersten Jugend an eine besondere Neigung zu den schönen Wissenschaften, und, was nicht immer mit dieser Neigung verbunden ist, vorzügliche Gaben, sich darinn hervorzuthun gezeigt. Sie liebte ihr ganzes Leben durch den Umgang mit gelehrten und aufgeklärten Männern, und fand mitten unter den Geschäften eines in die öffentlichen Angelegenheiten verwickelten Lebens, und unter den Zerstreuungen eines Hofes der damals der galanteste und glänzendste in Europa war, noch immer einsame Stunden, worinn sie ein Talent üben konnte an welchem sie Vergnügen fand, und welches, in der Lage einer Christine von Pisan, vermuthlich die Hauptbeschäftigung ihres Lebens ausgemacht hätte.
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Die noch übrigen Früchte davon bestehen in einer Sammlung von P o e s i e n
Zweyte Fortsetzung
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und in ihren bekannten prosaischen E r z ä h l u n g e n . Jene wurden noch bey ihrem Leben von ihrem Kammerdiener Jean de la Haye unter dem seltsamen aber den Geschmak der damaligen Zeit angemeßnen Titel: Marguerites *) de la Marguerite des Princesses, la Reine de Navarre i. J. 1547 herausgegeben. Sie bestehen aus geistlichen Liedern, vier sogenannten M y s t e r i e n , einem Paar dialogirten Stücken, von der Art die man M o r a l i t é s nannte, einer allegorischen Erzählung, die Satyrn und die Nymfen der Diane betitelt, und einer Menge kleinerer Stücke, Sonnette, u. dergl. Das Urtheil des Hrn. Marquis von Paulmy (Melang. Tom. VII. p. 102) der die Gedichte der Königin von Navarre überhaupt agreables, spirituels et bienfaits findet, und alles was
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man etwa daran ausstellen könnte ihrem Jahrhundert aufbürdet, als welches z. E. offenbar an dem Ridicule de ses Pieces devotes Schuld habe — scheint seine Richtigkeit zu haben. Soviel ist gewiß, daß der Conte von dem Streit der Satyrn und Nymfen, der im 2ten Theil des Parnasse des Dames zu lesen ist, durch die Mühe, die sich der Herausgeber gegeben hat den Styl zu m o d e r n i s i r e n , nichts gewonnen hat das den Verlust der Naivetät des Originals ersetzen könnte. Folgendes kleines Stück kann, wenn wir nicht irren, zu einer Probe dienen, daß die ihr eigne Munterkeit des Geistes, der sie sich in ihren Contes völlig überließ, sie auch in ihren erbaulichen Reimen nicht ganz verlassen habe.
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Pour etre un digne et bon Chretien, ll faut à Christ etre semblable; ll faut renoncer à tout bien A’ tout honneur qui est damnable; A’ la Dame belle et jolie A’ plaisir qui la chair emeut, Laisser biens, honneurs, et Amie, Ne fait pas ce tour là qui veut. Ses biens aux pauvres faut donner D’un coeur joyeux et volontaire;
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Der Herr Kammerdiener spielt mit dem Namen Margarite, der eine P e r l e oder ein G ä n -
s e b l ü m c h e n , was man lieber will, bedeuten kann.
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Faut les injures pardonner Et à ses ennemis bien faire; S’ejouir en melancolie Et tourment dont la chair s’emeut; Aimer la mort comme la vie: Ne fait pas ce tour là qui veut.
Unter ihren M y s t e r i e n , oder geistlichen Dramen, d i e G e b u r t C h r i sti, die heil. drey Könige, der Bethleh. Kindermord, und die F l u c h t n a c h E g y p t e n , zeichnet sich das lezte durch anmuthige Bilder 10
und feine Wendungen aus. Die Scene stellt die Heilige Jungfrau dar, wie sie, in der Wüste, vor Müdigkeit und Erschöpfung, sich unter einen Baum hingelegt hat, und mit dem Jesuskind im Arm eingeschlafen ist. Joseph geht umher einige Nahrung zu suchen. Inzwischen hat der Ewige Vater den Engeln befohlen die Wüste in ein Paradies zu verwandeln; und die Scene verwandelt sich unter folgendem Gesang der Engel, in einen blumenreichen, mit blühenden Orangen- und Granatbäumen geschmükten Lustort: 1. En g e l . Champ des Deserts, cessez d’etre steriles Dieu le commande, arbres soyez fertiles,
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Donnez vos fruits de tres bonne saveur.
2. En g e l . Elevez vous dans ces plaines changeantes, Verds orangers, croissez fleurs odorantes, et d’un regard recevez la faveur.
3. En g e l . Courez, ruisseaux, près de la Vierge-Mere, presentez lui votre onde pure et claire, honneur aurez quand de vous en prendra.
u. s. w.
Zweyte Fortsetzung
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Die angenehme Überraschung der H. Jungfrau als sie erwacht, und ihres guten Alten, der ohne dieses Wunder mit leeren Händen zurükgekommen wäre, vollendet das liebliche Gemählde. Aber C o n t e m p l a t i o n , M e m o i r e und C o n s o l a t i o n , jede mit einem großen mit silbernen Buckeln und Bändern beschlagnen Buche unterm Arm vom Himmel hoch herabkommend, um der Maria eine e r b a u l i c h e U n t e r h a l t u n g zu verschaffen, verderben freylich alles wieder. Dies waren die Früchte des Geschmaks ihrer Zeit, den der Herr von Paulmy anklagt — und über welchen sich zu erheben sogar eine Königin entweder nicht wagte, oder, wie uns glaublicher scheint, nicht einmal den Einfall hatte.
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Die Komödie, oder M o r a l i t é , die in der Sammlung ihrer Gedichte vorkommt, besteht, nach damaliger Art, aus bloßen Dialogen, ohne Intrigue und Handlung. Ein Mädchen tritt auf, und preiset sich glüklich daß sie die Liebe gar nicht kenne; eine andre findet sich noch glüklicher weil sie liebe und geliebt werde. Zwoo Frauen kommen dazu, und beklagen sich bitterlich, die eine über die Untreue ihres Mannes den sie doch einzig liebt, die andre über die ungegründete Eyfersucht des ihrigen wegen eines Liebhabers den sie zwar duldet aber ihm doch kein Gehör giebt. Zulezt tritt auch noch ein Mütterchen von 100 Jahren auf, wovon sie zwanzig Jahre im ledigen, zwanzig im ehelichen und sechzig im verwittweten Stande zugebracht hat. Diese ehrwürdige Ober-
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alte hält sich, wie billig, durch ihre Erfahrenheit berechtigt, einer jeden von diesen jungen Damen zu sagen was sie nöthig hat. Sie weissagt dem einen Mädchen, daß die Liebe sich an ihr rächen, der andern, daß ihr Liebhaber sie sitzen lassen werde; und — was aus der Feder einer so frommen und tugendhaften Princeßin wie Margerite wenigstens eben so unerwartet ist als aus dem Munde einer hundertjährigen Sybille — sie rathet den beyden betrübten Weibern, der einen wegen der Untreue und der andern wegen der Eyfersucht ihres Mannes, sich mit einem — Liebhaber zu trösten. Um dem Rath der alten Frau desto mehr Gewicht zu geben, (und, weil sich das Stük mit einem Tanz schließen mußte, der Alten einen Tänzer zu verschaffen) läßt die Königin noch einen Greis auftreten, der sie versichert, daß sie es sehr übel mit sich selbst meynen würden, wenn sie dem guten Rath der alten Dame nicht Gehör geben wollten. Man bemerke, (sagt hier der Herausgeber des Parnasse des Dames) daß die Königin von Navarre sich kein Bedenken machte diese Komödie unter ihrem Namen und mit Königl. Privilegiis, drucken zu lassen, und dies zwey
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Jahre vor ihrem Tode, und daß sie damals für devot und sogar für gut Katholisch paßierte. Für das Leztere möchten wir nun eben nicht gut stehen. Aber daß die Königin von Navarra eine religiose Frau und von unsträflichen Sitten war, ist unläugbar. Wie kam es also, daß sie den beyden betrübten Weibern nichts bessers zu rathen wußte als einen Liebhaber? Die Ursache däucht uns sehr simpel: ganz gewiß kam es bloß daher, weil sie ihr Geschlecht kannte, und würklich glaubte daß diesen beyden Weibern nicht besser zu rathen sey — und weil sie freymüthig genug war, um was sie dachte auch zu sagen. In der Mitte 10
des 16ten Jahrhunderts, am Hofe Franz des ersten, und eine Königin — was hätte sie verhindern können offenherzig zu seyn? — Die Komödie endigt sich damit, daß vier junge Herren auftreten, um die vier Damen zum Tanz zu führen Menons les dancer toutes quatre.
Auch recht, sagt der Greis; ich und meine Alte sind dabey, wir wollens euch nicht wohlfeil geben: Soit! Nous allons bien vous combattre Ma vieille et moy de bien dancer.
Hier macht der vorbelobte Herausgeber abermals eine wehmüthige Refle20
xion. „Heutigs Tags, sagt er, tanzt man in Paris schon mit 30 Jahren nicht mehr! Die Sokrates, die Platons, die Spartaner u. s. w. tanzten noch im sechzigsten.“ Freylich desto schlimmer für die Pariser, und desto besser für die Sokrates, die Platons, und die Spartaner! Wer die Moral dieser kleinen Moralité der Königin von Navarra nicht mit ihrer unbescholtnen Tugend zusammenreimen kann, wird noch weniger begreifen können, wie sie die Verfasserin der unter dem Titel H e p t a m e r o n oder L e s S e p t J o u r n é e s , oder, am gewöhnlichsten, der C o n t e s d e l a R e i n e d e N a v a r r e , bekannten, so oft aufgelegten, und noch bis diesen Tag gelesenen E r z ä h l u n g e n habe seyn können. Gleichwohl ist nichts gewisser.
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Außer dem Zeugniß eines Geschichtschreibers wie A u g u s t v o n T h o u , beweiset es die Zueignungsschrift an die Princeßin J e a n n e d’ A l b r e t , ihre
Zweyte Fortsetzung
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Tochter, die der Ausgabe dieser Erzählungen vom Jahre 1567. vorgesezt ist; und B r a n t o m e versichert, daß er es aus dem eignen Munde seiner Großmutter habe. Vielleicht ist es unsern Lesern angenehm, was er davon sagt in seinem eignen naiven Gaulois (welches gleichwohl die H o f s p r a c h e seiner Zeit war) zu lesen. Wir wollen ihn also selbst reden lassen. Elle fit e n s e s g a y e t é s un livre qui s’intitule l e s C o n t e s d e l a R e i n e d e N a v a r r e , ou l’on voit un stile si doux et si fluant et plein de si beaux discours et belles Sentences, que j’ai oui dire que la Reine-Mere (Catharine von Medicis) et Madame de Savoye, estans jeunes, se voulurent mesler d’en escrire des nouvelles à part à l’imitation de la dite Reine de Navarre, sc¸achant bien qu’elle
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en faisoit; mais quand elles eurent veu les siennes, elles eurent si grand depit des leurs, qu’elles les jetterent dans le feu etc. Elle composa ces nouvelles la pluspart d a n s l a l i t i e r e e n a l l a n t p a r p a y s ; car elle avoit de plus grandes occupations estant retirée. J e l’ a i o u i a i n s i c o n t e r à m a G r a n d’ M e r e , qui alloit toujours avec elle dans sa litiere comme sa Dame d’honneur et luy tenoit l’escritoire, et (die Königin nemlich) les mettoit par escrit aussitost, et si habilement ou plus, que si on luy eut dicté. Unter den Contes der Königin von Navarra ist einer, (der Vierte in der ersten Journée) wovon sie selbst die Heldin war, und der aus dieser Ursache um so merkwürdiger ist, weil das Abentheuer selbst von der scabrösesten Art
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ist. Denn es ist um nichts geringer darinn zu thun als eine Dame, bey nächtlicher Weile wider ihren Willen im Schlaf zu überraschen. Der bekannte A d m i r a l v o n B o n n i v e t , ein Günstling König Franzens, und dem folglich mehr erlaubt war als einem andern, war der Mann der sichs einfallen ließ bey der Schwester seines Königs auf diese plumpe Art den Satyr zu spielen. M a r g e r i t e erwachte zu allem Glük an dem Lerm, den die geheime Fallthüre machte durch welche sich der verliebte Admiral in ihr Schlafgemach stehlen wollte, *) und sie führte ihn ab wie man sichs vorstellen kann. Das sonderbarste bey der Sache war, daß er schon zweymal vorher versucht hatte Gewalt bey ihr zu gebrauchen, da gelindere Mittel nichts hatten verfangen wollen; und daß er das zweytemal so übel dabey weggekommen war, daß er fünf Wochen lang sich vor keinem Menschen sehen lassen durfte, weil die Princeßin zu seinem Unglük vergessen hatte ihre Nägel zu beschneiden. Man mußte auf eine brutale *)
Die Scene war auf einem seiner Landsitze, während daß der Hof zum Besuch bey ihm war.
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Art verliebt und ein Favorit oben drein seyn, um nach einem solchen Empfang zum drittenmal wiederzukommen. Die Anekdote ist keine der glaublichsten; indessen hat sie den Geschichtschreiber Va r i l l a s und B r a n t o m e n s G r o ß m u t t e r zu Gewährleuten. Die Leztere hatte es unmittelbar von der Königin selbst, und trug nach dem Tode derselben um so weniger Bedenken, ihrem Enkel die Confidenz davon zu machen: da Margarite keines getragen hatte, in einem ziemlich muntern Ton wiewol unter verstekten Namen es der ganzen Welt zu erzählen. Doch genug von den Schriften einer Fürstin, deren kleinstes Verdienst, wie 10
wir schon gesagt haben, war, daß sie so gute Verse machte und so gute Prose schrieb als irgend ein gleichzeitiger Dichter und Prosaist ihrer Nation. Die meisten Schriftsteller werden durch ihre Werke der Aufmerksamkeit werth: Bey der K. Margarite ists umgekehrt; ihre Schriften sind bloß dadurch merkwürdig und schäzbar, weil es i h r e Schriften sind. Denn das was ihr Andenken allen Edeln und guten Menschen ewig werth und heilig machen muß, ist der Charakter ihres Geistes und Herzens, dessen Entwiklung wir uns, aus Gelegenheit einer merkwürdigen Reflexion welche B a y l e in der lezten Anmerkung ihres Artikels in seinem Wörterbuche über sie gemacht, auf eine andre Gelegenheit vorbehalten.
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Dritte Fortsetzung der Nachrichten von Franz. Schriftstellerinnen. Loyse Labé, genannt L a b e l l e C o r d i e r e . S a p p h o , K o r i n n a , A s p a s i a , L e o n t i u m — die ersten Bilder, die aus dem Tempel der Grazien hervorleuchten sind die ihrigen; und ihre bloßen Namen erwecken in uns die Vorstellungen von allem was die Verbindung der seltensten Naturgaben mit den schönsten Talenten anziehendes und bezauberndes hat: wir beneiden diejenigen die einst so glüklich waren diese reizenden Geschöpfe zu sehen, zu hören, ihres Umgangs zu genießen, von ihnen geliebt zu werden — und gleichwohl kann ein einziges kleines Blat alles fassen was von
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ihrer Lebensgeschichte bis auf uns gekommen ist. Wenn die Schriftsteller des XVIten Jahrhunderts, welche der s c h ö n e n S e i l e r i n erwähnen, und vornemlich die Italiänischen und Französischen Versemänner die sich im Lob ihrer Gaben, Reizungen und Vollkommenheiten erschöpft haben, Glauben verdienen, so war L o u i s e L a b é die Sappho und Korinna, die Aspasia und Leontium ihrer Zeit in Einer Person; aber eine für unsre Wißbegierde unangenehme Ähnlichkeit dieser wundervollen Lyonerin mit ihren Griechischen Vorgängerinnen ist, daß wir eben so wenig umständliches und befriedigendes von ihrem Leben wissen als von jenen. In Ermangelung dessen hat der neueste Herausgeber ihrer Werke und der vom Par-
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nasse des Dames diesen Mangel näherer historischer Nachrichten aus seiner Imagination zu ersetzen gesucht, und uns unter dem Namen einer Lebensbeschreibung der schönen Seilerin die Skizze zu einem kleinen Roman gegeben, den wir vielleicht in der Bibliotheque des Romans, deren Vorratskammern ziemlich erschöpft zu seyn beginnen, unversehens zu einem förmlichen Werkchen dieser Art ausgemahlt finden werden. Das Zuverläßigste was wir inzwischen unsern Lesern von einer Dame, die zu ihrer Zeit so viel von sich zu singen und zu sagen machte, mitzutheilen haben, besteht in folgendem. L o u i s e L a b é wurde zu Lyon im Jahr 1526 oder 27. gebohren. Von dem Stande und den Glüksumständen ihrer Eltern ist nichts bekannt. Daß ihr Va-
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ter Charly, genannt Labé hieß, ist alles was man von ihm weiß; das übrige beruht auf Vermuthungen, die meistens von der Art wie er sie erzog und zuerst in der Welt producierte hergenommen, aber um so ungewißer sind, da es eben so wohl möglich ist, daß er an diesem allem wenig oder gar keinen Theil gehabt haben mag. Indessen muß ihre Erziehung so außerordentlich gewesen seyn als ihre Fähigkeiten und Neigungen; denn schon in ihrem 15ten Jahre fanden sich alle Gaben der Minerva in ihr vereinigt. Sie sang, sie spielte die Laute, sie verstund Griechisch und Latein, Italiänisch und Spanisch; sie stikte wie Arachne, konnte fechten und ein Turnierpferd herumtummeln wie Virgils 10
C a m i l l a und liebte, wie sie, die Jagd und alle männlichen und kriegerischen Übungen — kurz Louise Labé war, in einem Alter wo unsre meisten Mädchen kaum aufgehört haben mit Puppen zu spielen, ein Wunder ihres Geschlechts. Die Gewährsleute für dies alles sind theils die Verfasser der Lobgedichte die man ihren Werken beygefügt findet, theils sie selbst in ihrer E l e g i e a n d i e D a m e n v o n L y o n , worinn sie dieselben um billige Nachsicht bittet gegen die Leidenschaft die in ihren Gedichten athmet. Quand Vous lirez, o Dames Lionnoises, Ces miens ecrits plens d’amoureuses noises, Quand mes regrets, ennuis, despits et larmes
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M’orrez chanter en pitoyables carmes, Ne veuillez point condamner ma simplesse Et jeune erreur de ma folle jeunesse, Si c’est erreur. Mais qui dessous les Cieux Se peut vanter de n’estre vicieux?
Hier recensiert sie verschiedne Arten von Lastern, womit der größte Theil der Sterblichen behaftet sey, und fährt dann in ihrer naiven Manier fort: Je ne suis point sous ces planettes née Qui m’eussent puˆ tant faire infortunée. Onques ne fut mon oeil marry de voir 30
Chez mon Voisin mieux que chez moy pleuvoir; Onq ne mis noise ou discord entre amis: A faire gain jamais ne me soumis;
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Mentir, tromper, et abuser autrui, Tant m’a despluˆ que mesdire de lui.
Kurz, das Bild das sie von der Unschuld und gutherzigen Beschaffenheit ihres Charakters macht, verdient um so mehr für wahr gehalten zu werden, da dies der gewöhnliche Charakter der Seelen ist, über welche die Liebe die meiste Gewalt hat. Denn diese (wie sie offenherzig gesteht,) war die einzige Quelle aller ihrer Schwachheiten, und zwar in einem Alter wo sie unerfahren genug war, sich im Schuz der Minerva und des Kriegsgottes, denen sie sich einzig gewidmet, vor Amors Nachstellungen sicher zu halten. Mais si en moy rien y ha imparfait,
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Qu’on blame A m o u r ; c’est lui seul qui l’a fait. Sur mon verd aage en se laqs il me prit L o r s q u’ e x e r c¸ o i m o n c o r p s e t m o n e s p r i t En mile et mile euvres ingenieuses, Qu’en peu de tems me rendit envieuses. P o u r b i e n s a v o i r a v e c l’ e s g u i l l e p e i n d r e J’ e u s e e n t r e p r i s l a r e n o m m é e e s t e i n d r e De celle-là, qui plus docte que sage, Avec Pallas comparoit son ouvrage. Q u i m’ e u s t v uˆ l o r s e n A r m e s f i e r e a l l e r ,
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Porter la lance et bois faire voler, L e d e v o i r f a i r e e n l’ e s t o u r f u r i e u s Piquer, volter le cheval glorieus, P o u r Bradamante o u l a h a u t e Marfise S e u r d e R o g e r , i l m’ e u s t p o s s i b l e p r i s e . Mais quoy? A m o u r ne peut longuement voir Mon Cour n’aymant que M a r s et l e S a v o i r &c.
Der O r l a n d o des göttlichen Ariosts (wie er in Italien heißt) war um diese Zeit in Frankreich beynahe eben das was er von seiner ersten Bekanntmachung an bey seiner eignen Nation war — das Buch, das jedermann laß und wiederlaß — soviel auch die Kritiker daran auszusetzen hatten, und so sehr die weisen Herren die sichs für Schande hielten an Mährchen Freude zu haben sich an
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dem Geschmack des armen menschlichen Geschlechts ärgerten. Vermuthlich war es das Lesen dieses so reizvollen poetischen Ritterbuchs, was in der jungen Louise Labé den allzu kühnen Gedanken entzündete, den Heldinnen Ariosts nachzueifern. Genug sie wafnete sich mit Helm und Lanze, zog im Jahr 1542 zu dem Kriegsheer des Dauphin nachmals K. Heinrich II, wohnte der Belagerung von Perpignan bey, und machte unter dem Namen des C a p i t ä n L o y s soviel Aufsehens als man sich vorstellen kann. Die Franzosen hatten damals noch viel von den Begriffen, Sitten und Gebräuchen ihrer ehmaligen Ritterzeiten; Franz I. und der Dauphin Heinrich waren beyde stark im Geschmack 10
der irrenden Ritterschaft, und die ersten Bücher des A m a d i s d e G a u l e , die, um diese Zeit aus dem Castillianischen ins Französische übersezt, die Lieblingslectür des Hofes und der Nation wurden, schienen dem Geist der Chevalerie ein neues Leben zu geben. Ohnezweifel kam alles dies der jungen Louise bey einem Abentheuer zu statten, welches uns, nach einer Vorstellungsart die sich auf die heutige Weltverfassung gründet, lächerlich und tollhäusisch vorkömmt, aber damals einen ganz andern Effect that, und die junge Heldin, anstatt ihr zum mindesten Nachtheil zu gereichen, in den Augen der g a l a n t e n u n d c o u r t o i s e n Ritter im Lager des Dauphins wenigstens eben so bewundernswürdig machte als es in unserm Jahrhundert in Italien eine
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gelehrte Dame, die den Catheder als Professorin besteigt, in den Augen der Signori Illustrissimi ist, die einen Kreis von Zuhörern und Bewunderern um sie her schließen. Vermuthlich war es in dem Lager vor Perpignan, wo Amor die ungewahrsame junge Abentheuerin lehrte, daß ihr Herz aus einer zu weichen Masse gebildet sey, als daß sie in den Fußstapfen der Marfisen und Bradamanten viele Lorbeern zu sammeln hoffen dürfte. Genug, der Feldzug lief nicht so glüklich ab als man gehoft hatte, und C a p i t a i n L o u i s kehrte wieder in L o u i s e L a b é verwandelt im langen Rocke nach Lyon zurük, um statt Schwert und Lanze wieder die Nadel der Arachne und die Laute der Sappho zu
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ergreifen, und die unheilbare Liebeswunde zu beklagen die ihr Amor im Lager vor Perpignan beygebracht hatte. Von dieser Zeit an bis zum Jahr 1555, in welchem sie ihre Schriften mit einer Art von apologetischer Zueignungsschrift an Mademoiselle C l e m e n c e d e B o u r g e s , L i o n n o i s e , herausgab, ist nichts zuverläßiges von ihr bekannt; aber sowohl aus der Unterschrift L o y s e L a b é , als aus dem ganzem Ton dieser Zueignung und dem Umstand
Dritte Fortsetzung
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daß die poetischen Stücke dieser Sammlung größtentheils aus verliebten Klagen oder Trastulli bestehen, ist zu vermuthen, daß ihre Verheurathung mit dem reichen Seiler E n n e m o n d P e r r i n erst nach diesem Zeitpunct erfolgt sey. Dieser Mann hatte sich in seiner Profession so weit emporgeschwungen, daß er sie zulezt im Großen treiben und einen Kaufmann vorstellen konnte, der ein ansehnliches Gewerbe mit Schiffthauen und allen Arten von Seilerwaaren führte. Er besaß ein großes Haus mit einem weitläuftigen nach damaliger Art prächtigen Garten, und einer Menge Gebäude zum Behuf seiner Manufactur und Handlung, so daß er eine ganze Straße damit einnahm, welche noch bis diesen Tag den Namen de la belle Cordeliere behalten hat. E n -
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n e m o n d P e r r i n mag, wie er sich unsre Lyonnesische Sappho beylegte, schon ein bejahrter Mann gewesen seyn, und den Trost eine so liebenswürdige Gemahlin zu besitzen nicht viele Jahre genossen haben. Denn, da er ohne Kinder verstarb, hinterließ er ihr, unter Substitution seiner Neffen, den Besiz seines ganzen Vermögens; sie selbst aber starb im März 1566 im vierzigsten Jahr ihres Alters, und genoß also ihres Glückes als Ehfrau und Wittib aufs längste nur 9 bis 10 Jahre. Die Epoche ihres Lebens, die ihr den Namen der s c h ö n e n S e i l e r i n verschafte, war auch diejenige, in welcher das Haus ihres Mannes durch sie zu einer Akademie der Musen und Grazien wurde, wo Gelehrte, Künstler und
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Fremde, von dem Ruhm der Talente und Reizungen der schönen Seilerin angezogen, hauffenweise zusammenflossen, um von den Annehmlichkeiten ihres Umgangs und der Gesellschaft die man immer in ihrem Hause antraf, vermuthlich auch von der Tafel und den guten Weinen des alten E n n e m o n d s zu profitiren, der sichs zur Ehre schäzte, der Gemahl einer Frau zu seyn die so viele vornehme und gelehrte Herren zu Verehrern hatte, und ihm in seinen alten Tagen so gute Gesellschaft und so viele werthe Freunde verschafte. Kurz, dies war der Zeitpunct, wo Loyse zu Lyon eine Art von A s p a s i a vorstellte, aber — wie Niemanden, dem der Lauf der Welt nicht ganz unbekannt ist, befremdlich vorkommen wird — auch das Misvergnügen hatte, von ihren Mißgünstigen und von dem großen Hauffen, der den Grazien nie geopfert hat und von dem „was edle Seelen Liebe nennen“
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sich keinen Begriff machen kann, wie Aspasia verläumdet und in ein ganz falsches Licht gestellt zu werden. Daß sowohl ihre eignen Poesien, als die indiscreten und hyperbolischen Lobgedichte ihrer Verehrer einigen Vorwand hiezu geben konnten, ist nicht wohl zu läugnen: aber daß in diesen oder jenen etwas sey das die schändliche Qualificirung C o u r t i s a n e L i o n o i s e , womit B a y l e unsre Lyonische Sappho auf das bloße Zeugnis des Du Verdier *) belegt, hinlänglich begründen könnte, glauben wir aus guten Ursachen läugnen zu können; und B a y l e , der weder die Schriften der schönen Seilerin selbst gelesen noch wie es scheint andre gleichzeitige Geschichtschreiber **) die ihrer 10
mit Lob erwähnen zu Rathe gezogen, kann von dem Vorwurf, seiner sonst gewöhnlichen kritischen Billigkeit in dem Artikel dieser Dame gänzlich vergessen zu haben, schwerlich freygesprochen werden. Es ist wahr, die Gedichte der Loyse Labé athmen fast alle eine Leidenschaft, die sie nicht bloß poetischer Übung halben erdichtet haben mag, und ihre Entschuldigung an die Damen zu Lyon redet hierüber deutlich genug; aber gewiß, wenn Margerite von Navarra ungeachtet ihrer sehr freyen Novellen eine Frau von unbezweifelter Tugend seyn konnte: so sehen wir nicht, mit welcher Billigkeit man die naive Loyse Labé wegen einer unfreywilligen und wahren Leidenschaft für einen Einzigen Ungetreuen oder Unempfindlichen
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zur Courtisane machen könnte. Auch ist der ganze Ton ihrer Zueignungsschrift an C l e m e n t i n e v o n B o u r g e s (eine junge Dame von Lyon von gutem Hause und unbescholtner Tugend und ebenfalls wegen ihrer Schönheit, Talente und Liebe zu den schönen Wissenschaften berühmt) ein offenbarer Beweis, daß sie sich bey Publication ihrer Gedichte nichts Böses bewußt war, und außer dem Tadel der Kunstrichter keine andre Gefahr dabey zu laufen glaubte. Was die ihren Werken beygedrukte Lobgedichte betrift, so können wir zwar nicht in Abrede seyn, daß man heutigs Tags von einem Frauenzimmer nicht sehr vortheilhaft denken würde, die sich z. E. so loben ließe:
*) 30
In seiner Bibliotheque Franc¸oise, die zu Lyon i. J. 1585. in Fol. herausgekommen, pag. 822.
Seine Ausdrücke von unserer Dichterin, welche B a y l e ganz abgeschrieben hat, sind nicht anständig genug um hier wiederholt zu werden. **)
Z. B. G u i l l a u m e P a r a d i n in seiner Histoire de Lyon 1573. Fol. L. III. chap. 29. F r a n -
c¸ o i s G r u d é , Sieur d e l a C r o i x d u M a i n e , Bibliotheque Franc¸oise 1584. fol. p. 281.
Dritte Fortsetzung
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Celui qui fleure en la baisant Son vent si dous et si plaisant Fleure l’odeur de la Sabée;
— — — — — — — — — — Celui qui contemple son sein Large poli profond et plein De l’Amour contemple la gloire; Qui voit son tetton rondelet Voit deux petit gazons de lait Ou bien deux boules d’ ivoire.
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— — — — — — — — — — Quant à ce que l’acoutrement Cache, se semble, expressement Pour mirer sur ce beau Chef d’euvre, Nul que l’Ami ne le voit point, Mais le grasselet embonpoint Du visage le nous descoeuvre. ( d e c o u v r e ) u. s. w.
Allein dagegen muß man auch bedenken, daß dieser Dichter erstlich, wie er selbst gesteht, von Amors Pfeil angeschossen und also nicht recht bey Verstande war; zweytens, daß er in seiner Analyse der Schönheiten seiner Dame
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mit A r i o s t s O l y m p i a wetteifern, oder sie vielmehr ziemlich wörtlich kopieren wollte; und drittens, daß das D e c o r u m der damaligen Zeiten nicht das Decorum der unsrigen war, wie man sich nur allein aus R o n s a r d s und M a r o t s Gedichten und aus B r a n t o m e ’s Prose, schon mehr als hinlänglich überzeugen kann. Nimmt man zu allem diesem noch, daß E n n e m o n d P e r r i n , der, mit aller Simplicität und Bonhommie die wir ihm auch immer voraus setzen mögen doch ein angesehner und reicher Bürger von Lyon war, unsre Dichterin erst nach der Publication ihrer Werke h e u r a t h e t e , und daß er sie bey seinem Absterben z u r E r b i n s e i n e s g a n z e n Ve r m ö g e n s e i n s e z t e : so dünkt uns j e n e s beweise daß ihr Charakter damals noch unbescholten und d i e s e s daß er mit ihrer Aufführung vollkommen zufrieden gewesen sey.
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Die sämtlichen angeführten Gründe sind vielleicht nicht stark genug, die schöne Seilerin von allem Verdacht zu befreyen. Liebenswürdig, zärtlich, paßioniert, durch ihre Denkart über die gewöhnlichen Formen ihres Geschlechts weggesezt, und von Anbetern in Prosa und Versen umgeben, welche vielleicht nicht alle geneigt waren, wie Petrarca nur zu lieben um Sonnette auf den Abgott ihres Herzens machen zu können — bleibt es immer sehr möglich, daß sie das was man damals le don de l’amoureuse mercy nannte, irgend einem — vielleicht auch mit Verlauf der Zeit m e h r a l s E i n e m Begünstigtern o c t r o y i e r t haben könnte. Aber de occultis non judicat ecclesia; und 10
wenn ihr ja von dieser Seite etwas Menschliches begegnet seyn sollte: so ist sehr glaublich, daß sie wenigstens den Gesetzen des Wohlstandes getreu geblieben, und daß D u P e r r i e r , zu der allzu leichtsinnigen Art wie er von ihren Sitten spricht, bloß durch einseitige Berichte von ihren Feinden und Mißgünstigen verleitet worden. Doch genug hiervon. Wer noch mehr zu ihrer Vertheidigung zu lesen Lust hat, den verweisen wir auf ihre Lebensbeschreibung vor der neuen Ausgabe ihrer Schriften; welche leztern uns überhaupt am geschiktesten scheinen, der Nachwelt von dem Charakter dieses liebenswürdigen Geschöpfes eine günstige Meynung zu geben. Alles was von ihr gedrukt ist, sind d r e y E l e g i e n , v i e r u n d z w a n z i g S o n e t t e n , und eine prosai-
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sche Composition, Debat de Folie et d’Amour betittelt, die aus fünf D i a l o g e n besteht und eine bekannte Fabel zur Grundlage hat. Dieses Werkchen ist nach damaliger Art mit Wiz und Geist geschrieben, verdient aber den Namen eines D r a m a’ s nicht mehr als Platons Symposium, wiewohl es dem Herausgeber des Parnasse des Dames zu sagen beliebt, es sey die einzige Komödie aus dem XVIten Jahrhundert dans le genre charmant de l’auteur de l’Oracle et des Graces. Da die Ausgaben von 1555 und 1566 sich so selten gemacht, daß in Lyon selbst nur noch zwey Exemplare davon aufzutreiben waren, so hat eine Gesellschaft von Gens de Lettres daselbst eine Neue veranstaltet, die im Jahr 1772. bey den Gebrüdern D ü p l a i n herausgekommen ist, und mit den
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Nachrichten von ihrem Leben und den Escrits de divers Poetes à la louenge de Loyse Labé (worunter auch eine sehr artig tournierte griechische Ode ist) 236 Octavseiten einnimmt.
Dritte Fortsetzung
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P e r n e t t e d u G u i l l e t , genannt La Cousine. Wir haben in dem vorhergehenden Artikel zwoo Lyonerinnen kennen gelernt, die sich durch ihre Geschiklichkeit in den Musenkünsten hervorgethan: hier ist noch die dritte, und sogar eine Zeitgenoßin der beyden Vorigen. Wenn sie vielleicht als Dichterin der L o y s e L a b é den Vorzug lassen mußte, so wich ihr diese hingegen im Talent für die Musik; denn P e r n e t t e sang ungemein schön, und spielte die Laute und andre damals übliche Instrumente, womit man den Gesang zu begleiten pflegte, in großer Vollkommenheit. Auch war sie darinn glüklicher als Loyse daß sie ihren guten Namen unbeflekt erhielt. Sie liebte nur einmal und vermählte sich mit ihrem Liebhaber *), (den sie als einen
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Philosophen und Vertrauten der Musen beschreibt) eh die Verläumdung Zeit gewann ihnen etwas anzuhaben. Sie verstand, sagt man, Latein, Italiänisch und Spanisch, und fieng eben an sich auch aufs Griechische zu legen, als sie in der Blüthe ihres Lebens starb. Ihr Mann, dem alles was ihm von ihr übrig geblieben kostbar war, sammelte ihre Gedichte nach ihrem Tode, und du Moulin drukte sie zu Lyon im J. 1545 unter dem Titel R i m e s d e g e n t i l l e e t v e r t u e u s e D a m e , Pernette du Guillet. In der Folge wurden noch zwoo Ausgaben davon gemacht, welches wenigstens beweißt daß sie damals mit Beyfall gelesen wurden. Der Parnasse des Dames liefert ein paar Stücke von ihr **), wovon das zweyte, F a n t a i s i e à l’occasion de son Amant qui peu aprés devint son
Mari ***)
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eine Tändeley ist, der um sehr artig zu seyn, nur die feinere
Wendung die elegantere Diction und die schönere Versification d. i. nur das *)
Er hieß vermuthlich C o u s i n , und daher erhielt sie, nach damaliger Sitte, den Beynamen
die Cousine. **)
In den Annales Poe¨tiques stehen noch zwey andre Stücke von ihr, le Triomphe des Muses
sur l’Amour und les Obseques de l’Amour. ***)
Die Naivetät, womit P e r n e t t e in diesem Gedichte den Einfällen einer von der ersten
Liebe in Spiel gesezten Phantasie, Formen und Worte leyht, beweiset zugleich ihre Unschuld und wie sehr es Zeit war daß der Gott der Ehen sich in die Sache mischte. „Wie oft (sagt sie) hab ich mir ganz heimlich gewünscht, mich an einem schönen Sommertag ganz nahe bey einer klaren Quelle zu finden, wo mein Verlangen mit Jemand lustwandelt, der seiner schönen Seele, die mir soviel Vertrauen einflößt, die Philosophie zur Führerin gegeben hat. Auch allein würd’ ich nichts in seiner Gesellschaft fürchten, denn auch allein wär’ ich in der Gesellschaft und im Schuz seiner Ehrbarkeit und Tugend.“ — Wenn sie nun (fährt sie fort) recht lange mit ihm dem Lauf des kleinen
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang August 1781)
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fehlt, was in unsrer Zeit auch der mittelmäßigste französische Versemacher hat, und was in der ihrigen den Besten mehr oder weniger mangelte. Aber gerade das was w i r an den Producten der schönen Geister unter F r a n z d e m E r s t e n vermissen, vermißte damals Niemand; und also gefielen sie ihren Zeitgenossen, so wie um eben diese Zeit die Poeterey unsers Hans Sachsen und andrer Meistersänger unsern Vorfahren gefiel; ja, wie noch erst vor vierzig Jahren sogar die armseligen platten Reimereyen eines Neukirchs und Stoppe in Teutschland von Gelehrten und Ungelehrten (wenige ausgenommen) mit allgemeinem Beyfall belohnt wurden. Denn auch das Schlechte gefällt so lan10
ge bis unter einer jüngern Generation was bessers erscheint; und selbst nachdem der Geschmack eines Volkes durch Werke, die bey der Nachwelt das goldne Alter seiner Sprache und Litteratur bezeichnen werden, geläutert und fixiert scheinen sollte: macht der Unbestand, der dem Menschen noch natürlicher ist als die Liebe zur Vollkommenheit, endlich gleichgültig gegen das Schöne dem der Reiz der Neuheit fehlt. Unvermerkt stimmt sich der Ge-
Baches zugesehen hätte, so würde sie ihren Freund seinen philosophischen Betrachtungen überlassen, sich unvermerkt von ihm hinwegschleichen, und sich ganz nackend ins Wasser werfen; aber doch möchte sie dann auch ihre kleine Laute, scharf gestimmt, bey sich haben und wenn sie erst ein wenig präludiert und sich der Reinheit ihres Tons versichert hätte, auf einmal einen 20
Gesang anstimmen, um zu sehen wie er sich dazu gebehrden würde. „Wenn er dann gerade auf mich zu käme, so wollt’ ich ihn ganz getrost herankommen lassen; aber wenn er mich nur mit einem Finger anrühren wollte, flugs würd’ ich ihm, aufs wenigste, eine ganze Handvoll Wasser aus der klaren Quelle gerade ins Gesicht und in die Augen spritzen; und dann wollt’ ich daß dies Wasser die Kraft hätte ihn in einen Actäon zu verwandeln — aber nicht um ihn als Hirsch von seinen Hunden zerreißen und fressen zu lassen, sondern nur daß er mir, wie ein Leibeigner, überall nachfolgen und dienen müßte, so lange bis Diane neidisch über mich würde daß ich ihr ihre Macht geraubt hätte. Wie glüklich und groß würd ich mich dann schätzen! Gewiß ich würde eine Göttin zu seyn glauben! — Aber (unterbricht sie sich selbst plötzlich) wär’ ich denn auch wohl fähig, um meine kleine Eitelkeit zu befriedigen, ihm ein so großes Leid anzuthun?“
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Laissons l’aller les neuf Muses servir Sans le vouloir dessous moy asservir, Sous moy, qui suis sans grace et sans merite. Laissons l’aller, qu’Apollon je n’irrite; C’est lui, qui seul par ses ecrits s’attend Faire bientoˆt dire la Renommée Entre les bras de sa tres-bien aimée Combien il est amoureux et content.
Dritte Fortsetzung
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schmack bey Vielen, ja zulezt bey den Meisten, wieder zu dem was ü b e r oder u n t e r d e r f e i n e n L i n i e ist in welcher das wahre Schöne fließt quamque ultrà citraque nequit consistere rectum
und eine Menge Producte gefallen gerade um dessentwillen weswegen man sie zehn Jahre vorher mit Ekel weggeworfen hätte. So ist nun einmal das Geschlecht des Prometheus gemacht, und wahrlich eher wird der so lange gesuchte Stein der Weisen gefunden werden, als das Geheimniß den Geschmack eines Volkes in irgend einem Fache auf das Wahre Schöne und Gute zu fixieren. W.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang August 1781)
Beschluß der im vorigen Jahre angefangenen Nachrichten von F r a n z ö s i s c h e n S c h r i f t s t e l l e r i n n e n des XVIten Jahrhunderts. Magdalene und Catharine Des Roches, Mutter und Tochter. Unsere Vorstellung von den Vorzügen und Verdiensten dieser beyden Damen würde ziemlich weit über das Wahre hinausgehen, wenn wir das Maas derselben nach dem ausserordentlichen Ruhm und Ansehen, worinn sie b e y i h r e n Z e i t g e n o ß e n stunden, und zugleich auf dem Maasstab, womit w i r ähnli10
che Talente und Verdienste bey den u n s r i g e n messen, bestimmen wollten. Ohnezweifel muß ein Theil davon dem Geist und Costum des Jahrhunderts zugeschrieben werden, worinn die schöne Litteratur in dem größten Theil von Europa, besonders in Italien, Spanien und Frankreich, wiederaufzuleben anfing. Indessen steht doch diese Mutter mit dieser Tochter i n i h r e r A r t a l l e i n ; und ihr persönlicher Werth, nach Maas und Gewicht i h r e r Z e i t geschäzt, hatte wenigstens eben soviel Antheil daran, wenn sie (wie der Hr. M a r q u i s d e P * * im 7ten Bande seiner Melanges sagt) in der zweyten Hälfte des XVIten Jahrhunderts aller der öffentlichen Hochachtung genoßen, welche Personen ihres Geschlechts erwarten dürfen, sobald sie mit viel Verstand und
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viel Kenntnissen vorzügliche Talente und eine untadeliche Aufführung verbinden. P o i t i e r s , eine der größten Französischen Städte nach Paris, und die damals in blühendern Umständen war als gegenwärtig, war die Vaterstadt der Dame M a g d a l e n e D e s R o c h e s , deren eigner Geschlechtsname N e v e u war. Sie vermählte sich mit A n d r e a s F r a d o n n e t , Herrn D e s R o c h e s , einem Edelmann aus Bretagne. Sie schlugen ihren Wohnsiz zu Poitiers auf: und Catharine, die einzige Frucht dieser Ehe, war ungefehr funfzehn Jahre alt als sie ihren Vater verlohr. Die Mutter verdoppelte nun ihre Sorgfalt für die Erziehung einer Tochter, deren glükliche Anlagen und Neigungen ihren Fleiß
B e s c h l u ß d e r ¼…½ N a c h r i c h t e n
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durch den besten Erfolg belohnten. Von dieser Zeit an blieben sie unzertrennlich bis an ihren Tod, und niemals hat man eine Mutter und eine Tochter mit herzlicherer Liebe an einander hangen gesehen. Das Fräulein Des Roches gieng hierinn soweit, daß sie bloß aus Liebe zu ihrer Mutter viele vortheilhafte Partien, die sich aufs eifrigste um sie bewarben, von der Hand wies. Der harthäutigste unter ihren Verehrern, Namens J u l i u s v o n G u e r s e n s , einer der beständigsten Liebhaber und der frostigsten Dichter seiner Zeit, als er alle andre Mittel das Herz seiner Unerbittlichen zu erweichen ohne Erfolg versucht hatte, hofte endlich durch eine ganz neue Probe von Aufopferung seiner selbst glücklicher zu seyn; und gab eine ausnehmend schlechte Tragödie, P a n t h e a
betitelt *)
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unter ihrem Namen heraus. Man hat keinen
Grund zu glauben (wie einige gethan haben) daß es mit Bewilligung dieser Damen geschehen sey; zumal da sie ungleich bessere Verse machten als der S i e u r d e G u e r s e n s , und dieser mit einer so heroischen Selbstverläugnung seine Umstände bey der schönen M a d e l e n e schlecht verbesserte. Das Jahr 1579. wo sich, bey Gelegenheit der Grands Jours die zu Poitiers gehalten wurden, die ansehnlichsten Magistratspersonen und berühmtesten Gelehrten daselbst zusammen fanden, scheint die eigentliche Epoche der Celebrität der Damen d e s R o c h e s gewesen zu seyn. Ihr Haus war der gewöhnliche Ort, wo sich die vorzüglichsten Männer von beyden Classen fast alle
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Abende einfanden; und besonders zeichneten sich S c ä v o l a v o n S a i n t e M a r t h e und S t e p h a n P a s q u i e r , zwey berühmte Namen dieser Zeit, unter ihren Freunden aus. P a s q u i e r , dem seine Recherches de la France und seine B r i e f e die Reputation eines geschikten Rechtsgelehrten und guten Philologen erworben haben, stellte auch hübsche Lateinische und ziemlich schlechte Französische Verse; und wie C a t u l l deren sehr artige auf den S p e r l i n g seiner Geliebten gemacht hatte, so hielt auch Pasquier es seiner nicht unwürdig, ein kleines Gedichtchen über einen F l o h zu machen, den er einstmals auf dem Busen des F r ä u l e i n s d e s R o c h e s in Flagranti ertappt hatte. Das Süjet war eines der glüklichsten für eine poetische Tändeley; aber was die Galanterie der damaligen Zeit auf eine ganz eigne Art bezeichnet, ist: daß die ganze gelehrte Gesellschaft, die bey diesem kleinen Zufall zugegen *)
Die erste von S e c h s e n d i e s e s N a m e n s , welche das Französische Theater aufzuweisen
hat. Sie wurde im Jahr 1571. zu Poitiers gespielt und gedrukt.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende September 1782)
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war, an dem Scherz Antheil nahm; und daß ein kleines Bändchen von Griechischen, Lateinischen, Spanischen, Italiänischen und Französischen Versen daraus entstand, welche sämtlich d e n b e n e i d e n s w ü r d i g e n F l o h zum Gegenstand hatten. Da Mutter und Tochter alle diese Sprachen verstanden, so war gegen die Plaisanterie nichts einzuwenden; auch liessen sichs die beyden Damen sowohl gefallen, daß sie in sehr artigen Stanzen, die man unter ihren Werken findet, darauf antworteten. Ich erzähle die Anekdote dem Hrn. Marquis von P. nach; denn ich bin noch nicht so glüklich gewesen, diese merkwürdige Sammlung von Poetes Chante-Puces, wie er sie scherzweise nennt, selbst zu Gesicht zu bekommen.
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Die Damen d e s R o c h e s lebten unter einer Abwechslung von Schiksalen, die manches Klaglied in ihren Schriften veranlaßt, aber immer von den Edelsten und Besten hochgeschäzt, bis zum Jahr 1587. wo sie beyde (wie sie sich oft gewünscht hatten) am nämlichen Tage, in der nämlichen Stunde und an der nämlichen Krankheit starben. Ausser einer Menge von allerley kleinern und größern Stücken in Prose und Versen, wovon verschiedne in den Annales Poetiques und in dem Parnasse des Dames zu finden sind, hat d i e F r a u d e s R o c h e s auch die g o l d n e n S p r ü c h e d e s P y t h a g o r a s , und, in Gesellschaft mit ihrer Tochter, den C l a u d i a n in Französische Verse übersezt. Die Gedichte dieser Damen sind
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vielleicht in Absicht des Feuers und der Stärke des Ausdruks unter denen von L o u i s e L a b é ; hingegen nähern sie sich in der Klarheit und Reinigkeit der Sprache schon um ein merkliches der Epoche, welche M a l h e r b e in der Französischen Poesie gemacht hat. Zur Probe diene ein Sonnet auf den Tod einer Freundin, von der Mutter des Roches, wiewohl wir nicht bergen müssen, daß es unter ihre besten Stücke gehört. Las! Ou est maintenant ta jeune bonne grace Et ton gentil esprit, plus beau que la beauté? Ou est ton doux maintien, ta douce privauté? Tu les avois du Ciel, ils y ont repris place.
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O miserable, helas! toute l’humaine race Qui n’a rien de certain que l’infelicité! O Triste que je suis, o grande adversité! //
Je n’ai qu’un seul appui en cette terre basse.
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O ma chere compagne, et Douceur de ma vie, Puisque les Cieux ont eu sur mon bonheur envie, Et que tel a été des Parques le decret: Si aprés notre mort le vrai amour demeure, Abaisse un peu les yeux de leur clair demeure, Pour voir quel est mon pleur, ma plainte et mon regret.
Marie von Romieu. Ein Bruder dieses gelehrten Frauenzimmers, (der sich Jaques Romieu, Gentilhomme Vivarois, Secretaire de la Chambre du Roy qualifizirt) hatte die Unziemlichkeit begangen, instigante Diabolo, und einem alten grißgrämi-
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schen Oheim zu gefallen, eine — S a t y r e g e g e n d a s s c h ö n e G e s c h l e c h t zu schreiben, welche freylich nicht anders als ein sehr abgeschmaktes Werk seyn konnte! Die Schwester glaubte sich verbunden, diese Sünde ihres Bruders aufs eiligste wieder gut zu machen, und ließ also ungesäumt einen Discours en Vers von der P r ä e m i n e n z d e s We i b e s ü b e r d e n M a n n ausgehen, worinn, wie man leicht denken kann, S e m i r a m i s und Z e n o b i a , Va l e r i a und C o r n e l i a , d i e M u t t e r d e r G r a c c h e n , nebst einer Menge andrer preiswürdiger Frauen, Jungfrauen und Märtyrinnen aller Nationen und Zeiten, besonders auch die Französischen, und unter diesen namentlich die Damen Des Roches, de Poitiers, Graces Pieriennes,
nicht vergessen sind. Die Sache mit der Präeminenz der Haube über den Hut hat, wie wir nicht zweifeln, ihre Richtigkeit; aber die Verse des guten Fräuleins Marie von Romieu sind — um m i t d e m H e r z e n i n d e r H a n d zu reden — so beschaffen, daß sie einer so guten Sache zu Ehren wohl hätten besser seyn können. Die Laufbahn ist also noch offen, und der Preis noch zugewinnen, wenn etwa eine von unsern liebenswürdigen Landsmänninnen und Schwestern im Apollo Lust hätte, sich dieses Verdienst um Ihr Geschlecht zu machen.
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G e o r g e t t e d e M o n t e n a y und A n n e d e M a r q u e t s . Noch zwey wenig bekannte französische Musen aus der lezten Hälfte des XVlten Jahrhunderts, die uns der Hr. M s . d e P a u l m y kennen lehrt. Die erste war Hof-Dame bey der Königin von Navarra, J o h a n n a v o n A l b r e t , Mutter Heinrichs IV. Man hat von dieser Dame S i n n b i l d e r mit Lateinischen und Französischen Q u a t r a i n s (vierzeiligen Sinngedichten) eine Art von Wiz, die damals sehr geschäzt wurde. Die zweyte war eine Nonne vom Orden des heil. Dominik zu Poissy. Ihre Gedichte bestehen aus geistlichen Liedern und 580 ebenfalls geistlichen Sonnetten, welche, nach der Versiche10
rung des Hr. v. P. sehr — erbaulich seyn sollen.
Anne Mallet de Graville. Auch mit dieser Schriftstellerin aus Franz des ersten Zeiten, hat uns Hr. M. de Paulmy zuerst bekannt gemacht. Sie war eine Tochter von Louis de Graville, Admiral von Frankreich unter den Königen Ludwig XI. Carl VIII. und Ludwig XII. Sie widmete sich der guten Königin C l a u d i a , Gemahlin Franz des I. (deren Andenken sich durch eine Art von Pflaume, die nach ihrem Namen Reine Claude genannt wurde, bey der Nachwelt erhalten hat) und vermählte sich erst nach dem Tode derselben, im Jahr 1526. mit Peter von Balzac, Herrn von Entragues. Die Gedichte dieser Dame sind nie gedrukt worden: aber der 20
Hr. v. P. besizt eine Handschrift davon, auf Pergament geschrieben und mit zwölf schönen Mignaturgemählden geziert, welche drey Gedichte enthält. Das beträchtlichste davon ist der Roman von P a l ä m o n u n d A r c i t a , eine Heldengeschichte, deren wahrer Urheber der berühmte B o c c a c c i o ist. Sie macht den Haupt-Fonds seiner T h e s e i d a aus, und kam auch dem Englischen Dichter C h a u c e r so interessant vor, daß er sie unter dem Namen The Knights Tale zum ersten seiner C a n t e r b u r y - M ä h r c h e n machte. Die Bibliotheque des Romans hat von diesem Gedichte des Boccaz einen Auszug gegeben, der im 2ten Stük des Julius 1779. zu lesen ist. Die Verfasser, denen weder die Arbeit des Fräuleins v o n G r a v i l l e , noch die des C h a u c e r über
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dieses Süjet bekannt gewesen zu seyn scheint, glauben, Boccaz habe dasselbe
B e s c h l u ß d e r ¼…½ N a c h r i c h t e n
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aus seinem eignen Gehirn gezogen; aber Boccaz selbst, der dies am besten wissen mußte, sagt in seinem Brief an M a d o n n a F i a m e t t a , mit welchem er ihr eine Abschrift dieses Gedichts schikt, daß er es aus einem schon sehr alten Manuscript in gemeinem Latein (latino volgare, worunter ich das Barbarische Mönchslatein der mittlern Zeit verstehe) gezogen habe *). Wahr ists, Boccaz kann dies auch nur bloß so vorgegeben haben: aber, er habe nun das Süjet gefunden oder erfunden, so besteht die E r f i n d u n g , die das wahre Verdienst eines Dichters ausmacht, nicht darinn, daß er sein S ü j e t erdichtet habe: sondern in der lebendigen Darstellung desselben, und in der Art wie er’s durch die ganze Behandlung zu seinem Eigenthum macht.
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Was das Gedicht des Fräuleins von Graville betrift, so glauben wir, nach dem kleinen Auszug des Hrn. v. P. zu urtheilen, daß man es, ohne Übertreibung, dem besten was die damalige Zeit in dieser Art aufzuweisen hat an die Seite setzen könne; wie die Liebhaber aus folgender Beschreibung der Gärten des Theseus und der Amazone Emilia, welche die Heldin des Stücks ist, selbst erkennen mögen. Au mois d’Avril, qui est telle saison Qu’il fait facheux se tenir en maison, E m i l i a , la gentille pucelle, Sa cotte prit pardessous son aisselle,
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Deliberant d’aller au plus matin Cueillir la rose au milieu du jardin Ou n’y avoit que par sa chambre issue. L’herbe y etoit espaissement tissue Et maint oeillet, romarin, balme, rose, L’une florie et l’autre demi-close. Au beau milieu etoit une fontaine De grand saveur et de gout douce et saine Dont les ruisseaux faisoient maints gentils tours Par ce jardin, ou ils prenoient leurs cours Petite arene y sembloit murmurer
*)
Derjenige von dem ich alle diese Notizen habe, ist Ty r w h i t e , in einer Note zu seiner
schönen Ausgabe der Canterbury Tales in fünf Octavbänden, London 1775. S . Tom. IV. p. 141.
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Pour embellir et le lieu decorer. Cheˆnes, sapins, lauriers à grands feuillages Pour le soleil y faisoient doux ombrage; Mais pour cela ne laissoient d’y venir Dix mille fleurs dont n’ai le souvenir. Bref, qui pourroit en si beau lieu estre, Mieux l’aimeroit que Paradis terrestre. E m i l i a , nuds pieds, échevelée, De sa chambrette en ce lieu devaleé, 10
Sortant du lit, laissant son oreiller Digne de faire un Amant travailler, Fort jeune d’age, en bonpoint, et polie, Jamais ne fut pucelle si jolie: Visage gay, riant, et de grand chiere Pour mettre don de mercy à l’enchere; La jambe belle, et tettin decouvert, Se vint asseoir dedans un préau vert. Là se peigna et mira à son aise, etc.
Man sieht wohl, daß die gute Dame ihre Mahlerkunst weder dem Homer noch 20
dem Virgil abgelernt hat: aber man sieht doch auch was in ihrer Imagination war, was sie machen w o l l t e , und wieviel von allem dem, was in ihrer Mahlerey z u v i e l und z u w e n i g ist, theils auf Rechnung einer noch sehr rohen Sprache kömmt, theils in dem n i c h t a u f z u h ö r e n w i s s e n liegt, welches allen denen eigen ist, die Talent für eine Kunst haben worinn sie noch nicht vollendet sind. Denn der G e s c h m a k und das Non plus ultra d e s S c h ö n e n , welches (wie Sterne so richtig sagt, und nie genug wiederholt werden kann) immer von poco più und poco meno abhängt, ist auch immer das lezte, was ein Meister nach langen Vorübungen erreicht; und es bleibt allezeit ein Antheil von sehr Wenigen: indem die Vorgänger sich demselben nur näherten,
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und die Nachfolger sich sogleich wieder davon entfernen — eine Wahrheit, wozu die Litteratur und Kunstgeschichte aller Zeiten, und die Erfahrung unsrer eignen Belege genug geben könnte. W.
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Auszüge aus Briefen, merkwürdige Vorfälle und Angelegenheiten der Gelehrten Republik, neue Bücher, und andre Litteratursachen betreffend. Dieser Artikel wird gewöhnlich durch die folgenden Stücke des T. Merkurs, so lange dieses Journal dauern wird, fortlauffen, und man hoft ihn durch Mitwürkung verschiedner Gelehrten interessant machen zu können. Der Herausgeber ladet zu diesem Ende seine auswärtigen Freunde (besonders die entferntern) ein — es sey nun durch Mittheilung merkwürdiger Vorfallenheiten, welche die Litteratur betreffen, oder durch Anzeige und Beurtheilung gemeinnütziger neuer Schriften, oder durch Bemerkungen, Fragen, Antworten, Vorschläge u. s. w. welche zum gemeinnützigen Zwek dieses Artikels etwas beytragen können, daran Theil zu nehmen. Man erlaube uns nur noch zu bemerken, daß die Briefe, aus welchen diese Auszüge genommen sind, weder alle an den Herausgeber des T. M. gerichtet, noch von der nehmlichen Hand sind — wie man auch schon aus der Verschiedenheit der Schreibart leicht bemerken wird.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende März 1781)
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Der Teutsche Merkur vom Jahr 1781. Ihro Römisch-Kayserlichen Majestät zugeeignet. Mit Königl. Preuß. und Churfürstl. Brandenburg. gnädigstem Privilegio.
Zweytes Vierteljahr. Weimar.
Der Teutsche Merkur. Ostermonat 1781.
¼Richard und Blondel.*)½ *) Aus K**** eingeschikt. Die Leser des T. Merkurs erinnern sich vielleicht, daß
schon im Dezember 1777. ein prosaisches Stük in demselben erschien, betitelt: Richard Coeur der Lion und Blondel, eine Anekdote aus der Ges c h i c h t e d e r P r o v e n z a l i s c h e n D i c h t e r . Die gegenwärtige Bearbeitung dieses schönen Süjets hat einen uns unbekannten jungen Mann zum Verfasser, von dessen Anlage und Fähigkeit ein großer Dichter glaubt, daß sie Aufmuntrung verdienten. Wir bemerken dies nicht, um dem Urtheil der Leser vorzugreiffen: sondern bloß zu unsrer eignen Entschuldigung, daß wir von unsrer im lezten Stüke des vorigen Jahres gegebnen Versichrung, keine eingeschikten Poesien mehr einzurücken, aus Achtung für das Urtheil unsers Freundes, diese Ausnahme gemacht.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende April 1781)
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¼Theorie des Windes und der Kälte.* )½ *)
Man hat keinen Anstand gefunden, dieser Abhandlung, deren Veranlaßung
der Hr. Verf. am Ende selbst angezeigt hat, auf dessen Begehren, diesen Plaz einzuräumen.
¼Anmerkung: Strahl½ T h e o r i e d e s W i n d e s u n d d e r K ä l t e
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¼Preisfragen von der Holländischen zu Harlem errichteten Gesellschaft der Wissenschaften, besonders von dem Ökonomischen Fache, aufgegeben im Jahr 1779. 1780.* )½ *)
Auf Ersuchen eingerükt.
¼…
Preisfragen, ausgeschrieben im Jahr 1779.½ (Man hat hier verschiedne Aufgaben weggelassen, weil derjenige, der die Prämien für selbige erhalten wollte, seine Anzeige und Beweisschriften vor dem Schluß des Jahres 1780 einzuliefern gehalten war.) (Das Übrige folgt im nächsten Stücke.)
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende April 1781)
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Oberon Ein Gedicht in Vierzehn Gesängen. Von C. M. Wieland. Neue, verbesserte Auflage. Weimar, bey Karl Ludolf Hoffmanns seel. Wittwe und Erben. 1781.
Oberon
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An Se. Durchlaucht den Prinzen August von Sachsen-Gotha und Altenburg. Der Grazien schönste weyhet, am Altar der Freundschaft, B e s t e r P r i n z , D i r diese Blumen, gepflegt von einer Muse die D u liebst. Sie blühten unter D e i n e n Blicken auf, und D u ergöztest D i c h an ihrem Duft. Bescheiden ist ihr Glanz; allein mir sagt’s ein Genius, sie werden nie verblühen: und wenn dereinst nichts übrig ist von mir als sie — und auch von D i r , o D u Geliebter, nichts übrig ist, als D e i n e r schönen Seele und aller D e i n e r holden Tugenden Erinnerung: dann werden noch die Musen, stilltraurend — denn wer liebte sie wie D u ? — Die unverwelklichen um D e i n e Urne winden.
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O b e r o n (Anfang Mai 1781)
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Der Teutsche Merkur. May 1781.
Ob man begründet sey, aus einigen Stellen der Ilias zu vermuthen, daß H o m e r ein Bastard gewesen sey? gegen A. Pope. Homers Eltern waren den Alten eben so unbekannt als seine Vaterstadt. Um die Ehre, daß er in ihren Mauern gebohren worden, stritten sich verschiedene Länder und Städte; und, wofern nicht alle mit gleichem Recht, so bleibt wenigstens die Sache zwischen Smyrna und Chios unentschieden. Auf gleiche weise werden ihm so viele Väter und Mütter gegeben, daß das einzige was sich gewisses davon sagen läßt, die Ungewisheit ist, worinn wir uns bis auf den heutigen Tag über seinen Stammbaum befinden. Wir wissen soviel als gar
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nichts von seinen Lebensumständen; aber wir haben das wodurch sein Leben allen folgenden Zeiten ehrwürdig und wohlthätig worden ist, das wodurch er war was er war, das worinn sein Genius, sein Herz, seine die ganze Menschheit, ja (soweit es in seiner Zeit möglich war) die ganze Natur umfassende Individualität ewig fortlebt, wir haben s e i n e We r k e — und in seinen Werken i h n S e l b s t : was kümmert uns alles übrige? Die umständlichste Geschichte würde uns nicht mehr von seinem Geist und Herzen sehen lassen, als wir in seinen Gedichten sehen, wenn wir Augen dazu haben. Bekanntermaßen war es eine alte und ziemlich allgemeine Gewohnheit bey den Griechen, berühmten Personen, deren Herkunft man nicht eigentlich
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wußte, Götter zu Vätern zu geben. Es ist also leicht zu erachten, daß man bey einem Manne wie Homer — bey einem Dichter, dessen Werke die Nachwelt für Eingebung der Musen hielt, und dem zu Smyrna und Chios, als einem unter die Götter aufgenommenen Genius, eigene Tempel geweyht waren — von jener Gewohnheit keine Ausnahme gemacht haben werde. Aber aus dem Umstande, daß ihm bald Merkur, zum Vater, bald — vermittelst einer langen Genealogie von Göttern, Nymphen und Götterkindern, — eine E n k e l i n v o m A p o l l o zur Mutter und der Fluß M e l e s zum Vater gegeben wird, ist nichts gegen die Ächtheit seiner Geburt zu schließen. Alles was daraus folgt, ist daß seine Eltern u n b e k a n n t waren.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Juni 1781)
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Auch die Lebensbeschreibungen Homers, die unter Herodots und Plutarchs Namen gehen — und beyde darinn übereinstimmen, daß er ein Jungferkind, die Frucht eines strafbaren Umgangs eines gewissen M ä o n s mit seiner Nichte C r y t h e i s , gewesen, und weil seine Mutter am Ufer des Flußes Meles von ihm entbunden worden, den Nahmen M e l e s i g e n e s erhalten habe, — verdienen in allen Betrachtungen, um so weniger Glauben, da beyder Stücke Unächtheit von den Gelehrten längst anerkannt ist, und das e r s t e (nach P o p e’ s Ausdruk) mehr dem Leben eines Schulmeisters als eines Homers ähnlich sieht, und würdiger ist von einem Schulmeister als von dem Homer der Geschicht10
schreiber geschrieben zu seyn. Im a n d e r n beruft sich der Verfasser zwar auf das Zeugnis des E p h o r u s — eines Geschichtschreibers, welchem Polybius und Strabon das Lob beylegen, daß er viel Genauigkeit in seine Untersuchungen des Alterthums gebracht habe: allein, da die Werke dieses Ephorus, aus welchen wir uns der Beschaffenheit seines Zeugnisses vergewissern könnten, nicht mehr vorhanden sind: was könnte uns bewegen, auf seinen bloßen Namen hin, eine Erzählung anzunehmen, welche die Eltern des ehrwürdigsten unter den Dichtern mit Schande brandmahlt; zumal da andre, eben so glaubwürdige Geschichtschreiber in einem so wesentlichen Punct als der Nahme der Mutter ist, widersprechen, und aus allen diesen Widersprüchen weiter
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nichts erhellet, als daß sie an die Nahmen Polykaste, Klymene, Themisto, Eumetis und Crytheis gleich viel Recht habe, oder — daß wir, nachdem wir alle Zeugen abgehört haben, ungefähr eben so viel von der Sache wissen als vorher. Bey allem dem scheint doch die Würklichkeit einer Tradition, die auf Homers Geburt einen Schatten wirft, nicht geläugnet werden zu können. Aber könnte diese Tradition nicht aus der bloßen Ungewisheit seiner Herkunft und selbst aus dem Streit so vieler Städte und Familien um die Ehre, ihn, es koste was es wolle, zu den ihrigen zu zählen, entstanden seyn? Hätten die Mäoniden zu Kyme (oder Cuma *)) ein anständigeres Mittel, den Homer in ihren Stammbaum einzupfropfen, als den verbotnen Liebeshandel zwischen Mäon und sei-
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ner Nichte, finden können, so ist es sehr vermuthlich, daß sie solchen vorgezogen hätten. So wenig zureichenden Grund indessen die Tradition von Homers unehli*)
Nicht Cumä, wie Pope schreibt. Denn Cumä lag in Campanien, und das Kyme oder Cuma
wovon hier die Rede ist, war eine kleine Stadt in der Äolide.
O b ¼…½ H o m e r e i n B a s t a r d g e w e s e n s e y ?
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cher Geburt in historischen Zeugnissen hat: so glaubt doch sein englischer Übersetzer P o p e in gewissen Stellen der Ilias selbst einen desto stärkern Grund zu finden, die Anzahl der berühmten und verdienstvollen Bastarde mit dem ersten der Dichter zu vermehren. Er glaubt eine gewisse Vorneigung zu dieser von den bürgerlichen Gesetzen wenig begünstigten Klasse von Erdensöhnen an ihm zu bemerken; und findet sich daher (wie er in der Anmerkung zum 93. Vers des Vten Buchs seiner Iliade sagt) nicht ungeneigt zu glauben, Homer möchte wohl selbst einer aus ihrem Mittel, und also in dem Falle des Shakespearischen T h e r s i t e s gewesen seyn, der zum Bastard des Königs Priamus sagt: I c h b i n a u c h e i n B a s t a r d , i c h b i n a l l e n B a s t a r d e n
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g u t . ( Tr o i l u s u n d C r e ß i d a , 5. Act.) Die Gelegenheit bey welcher Pope diese Anmerkung macht, ist die neulich von uns angezogene Stelle, wo Homer von der schönen Theano, Antenors Gemahlin sagt, daß sie den Pedäus, wiewohl er ein unehlicher Sohn von ihrem Manne gewesen, mit eben so viel Sorgfalt im Hause erzogen habe als ihre eignen leiblichen Kinder. Aber unglüklicher weise ist in dieser ganzen Stelle kein Wort, das Popens Anmerkung begünstigte. Im Gegentheil, da er es der schönen Theano zu einem besondern Verdienst anzurechnen scheint, daß sie so viel an ihres Mannes Sohne gethan, w i e w o h l e r e i n B a s t a r d w a r : so giebt er deutlich genug zu erkennen, daß sie mehr gethan als man von ihr
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hätte fodern können. Auch sagt er nicht, daß sie es aus besondrer Achtung oder Neigung gegen die Bastardise, sondern ihrem Manne zu ehren oder aus Liebe und Gefälligkeit gegen ihren Mann gethan. Ich sehe nicht, was in diesem allen Partheyisches für die Bastarde seyn sollte. Und gesetzt auch, Homer hätte durch die Erwähnung dieses schönen Zugs von Theanos Charakter, (es sey nun daß er solchen selbst erdichtet, oder in den Nachrichten, die ihm ohne allen Zweifel den historischen Stoff zu seinem Gedichte gegeben haben, begründet gefunden) etwas dazu beytragen wollen, andre tugendhafte Hausfrauen in ähnlichen Fällen zu einem ähnlichen Betragen aufzumuntern, und dadurch das Schicksal der armen Unglüklichen, die ohne ihre Schuld unter der nothwendigen Strenge der bürgerlichen Gesetze leiden, zu erleichtern: folgte denn daraus gleich, daß er wohl selbst einer von ihrem Orden gewesen seyn müsse? Müßte denn derjenige, der die Christen zu einem menschlichen billigen und anständigen Betragen gegen die Juden ermahnte, darum nothwendig, oder nur vermuthlich, selbst ein Hebräer seyn?
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Juni 1781)
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Aber Pope führt zu Unterstützung seiner Vermuthung noch eine Stelle aus der achten Ilias an, wo, seinem Vorgeben nach, Agamemnon, da er dem jungen Te u k e r , wegen der Proben von Tapferkeit, die er vor den Augen des Oberfeldherrn abgelegt, mit vieler Wärme seinen Beyfall giebt, der unehlichen Geburt dieses braven Jünglings as a kind of Panegyrik upon him, erwähnen soll. Dieser Panegyrik findet sich freylich in Pops Übersetzung, aber wahrlich nicht im Original. Man vergleiche beyde. So spricht Pop’s Agamemnon: Oh youth for ever dear — (the Monarch cry’d) Thus, always thus, thy early Worth be try’d ! Thy brave example shall retrieve our host,
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Thy country’s saviour and t h y f a t h e r s b o a s t ! Sprung from an alien’s bed t h y S i r e t o g r a c e , T h e v i g’ r o u s o f f s p r i n g o f a s t o l n’ e m b r a c e , P r o u d o f h i s b o y , h e o w n’ d t h e g e n e r o u s f l a m e And the brave son repays his cares with fame.
Sollte man nicht, wann man diese glühende Stelle ließt, und mit dem Original, wo beynahe kein Wort von dem allen zu sehen ist, vergleicht, auf den Argwohn gerathen müssen, Pope sey, in Absicht auf den vorgeblichen P h y s i s c h e n Vorzug der unehlichen Kinder vor den ehlichen, mit der Ketzerey des berüch20
tigten Julius Cäsar Va n i n i angestekt gewesen, über dessen bekannten Wunsch *) der gelehrte Warburton in einer Note zu des Bastard Edmunds Rede in der 2. Sc. des I. Acts vom König Lear in einen so heftigen Eifer ausbricht? Oder wollte Pope vielleicht dem berühmten D u c o f B a r w y k , einem natürlichen Sohn König Jacobs II. mit diesem zwar nicht in Homers aber ganz in *)
O! utinam extra legitimum et connubialem thorum essem procreatus! etc. Vanini d e
a d m i r a n d i s N a t u r æ R e g i n æ D e æ q u e M o r t a l i u m a r c a n i s , D i a l o g i . Dial. XLVIII. p. 320 — 22. Übrigens muß man die ganze Stelle im Zusammenhange selbst lesen, um zu sehen, daß Warbürtons Eyfer hier etwas unzeitig, und daß mehr Laune als Freygeisterey in diesem Wunsche oder Tr a u m e , (wie er ihn nennt) des armen Vanini ist. Im Grunde sagt er in dieser 30
ganzen Stelle nichts mehr, als was das erste Kapitel in Tr i s t r a m S h a n d y , nur mit einer andern Wendung, auch sagt — und was, gewissermaßen, wahr und res facti ist; wiewohl weder die Natur noch die ehliche Verbindung noch Vanini Schuld hat, wenn nicht alle ex legitimo et connubiali thoro gebohrne auch würklich c o n a m o r e gezeugt werden. Conferatur, si placet, das dritte Kapitel der Geschichte des Philosophen D a n i s c h m e n d e .
O b ¼…½ H o m e r e i n B a s t a r d g e w e s e n s e y ?
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Va n i n i’ s Geiste geschriebnen Lobe der Bastardey ein Compliment machen? Wenigstens ist der alte Dichter ganz unschuldig daran: denn der läßt seinen Agamemnon nichts mehr als dies sagen: *)
*)
Da diese Übersetzung (das einzige „Tr i f f s o f e r n e r “ ausgenommen, wodurch in der
Stollbergischen das BallÆ oyëtvw sehr glüklich ausgedruckt ist) von den beyden, die wir vor zwey Jahren zugleich erhalten haben, und deren jede, aus ihrem gehörigen Gesichtspunct beurtheilt, große Verdienste hat — nicht zwar dem Sinne nach, aber in Worten, Wendung und Versification verschieden ist: so muß ich um Erlaubnis bitten, die Regeln, wornach ich bey etwaiger Vergleichung beurtheilt zu werden wünsche, mit wenigem anzuzeigen. Überhaupt gilt das, was ich neulich von den Übersetzungen Lucians gesagt habe, noch in weit höherm Grade von Homer. Wer die
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unermeßlichen Schwierigkeiten einer solchen Unternehmung aus eignen Versuchen kennt, kann am besten einsehen, wie viel Ruhm und Dank denen gebührt, die das Eis so glüklich gebrochen und schon soviel geleistet haben. Was ich also sagen werde, wird nicht aus der elenden Absicht die Verdienste beyder Übersetzungen zu verkleinern gesagt, sondern bloß zur Steuer der Wahrheit, und weil ich es als eine Art von Nationalangelegenheit ansehe, daß Übersetzungen des Ersten und größten aller Dichter zur möglichsten Vollkommenheit, die vermöge der Natur der Sache zu erreichen ist, gebracht werden. Vielleicht irre ich, wenn ich es für möglich halte, den Regeln, die bey Übersetzung etlicher weniger Verse leicht beobachtet werden können, auch bey Mehr als funfzehn Tausenden immer getreu zu bleiben: Aber gegen die Regeln selbst, ist, glaube ich, nichts einzuwenden. Das Wesentlichste derselben besteht, meines Erachtens, in folgendem. E r s t e n s ;
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die Tr e u e , die man allezeit seinem Original, wieviel mehr einem H o m e r ? schuldig ist, weniger in g l e i c h f ö r m i g e r S t e l l u n g u n d We n d u n g d e r Wo r t e , als darinn zu setzen; daß die Worte und Wendungen, die man wählt, soviel möglich die n e h m l i c h e W ü r k u n g auf die teutschen Leser machen, die das Original auf die Griechischen machte. J e n e s ist nicht immer möglich, ohne daß bald der Effect der ganzen Stelle, bald die Schönheit der Diction, bald der Wohlklang des Hexameters, und die angemessenste Art solchen zu moduliren, darunter leiden müsse: d i e s e s ist vielleicht selten zu erhalten, ohne daß man bald eine andre Wendung des Ausdrucks, bald eine andre Stellung der Worte, bald eine kleine Umschreibung dessen was Homer (nicht immer des Nachdruks halben) mit einem oder zween Worten sagt, zu Hülfe nehmen müßte. Und aller dieser Freyheiten würde ich (wenn ich mich an den Platz eines Übersetzers des Homers
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denke) um so mehr vonnöthen haben, weil ich mir, Z w e y t e n s , alle mögliche Mühe geben würde (und ohne unendliche Mühe wär’ es auch schlechterdings unmöglich) meine Versification in Absicht auf Rhythmus, Fülle, Wohlklang, kurz (wenn dieser Ausdruk erlaubt ist) auf die Singbarkeit, den Homerischen Versen — so nahe zu bringen als möglich; ohne mir darum die Freyheiten zu erlauben, die Homer selbst sich nicht selten nimmt, und die in s e i n e r Sprache, die an sich schon lauter Musik ist und sich unendlich schön declamiret, bey weitem das Ohr nicht so sehr beleidigen, als in der unsrigen, in welcher man über diesen Punct nicht strenge genug seyn kann. Denn ich bin überzeugt, daß die Schönheit der Versification (in dem ganzen Umfang dessen was darunter begriffen ist) die Hälfte des Verdiensts einer Übersetzung Homers ausmacht. Die Rede ist hier nicht von gewissen H ä r t i g k e i t e n , die der Dichter oft mit Mühe s u c h t , weil sie, wie
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Teuker, so würdigst du dich des Telamonischen Nahmens! Trif so ferner, du Lieber, und streb’ ein Licht den Achäern Und dem Vater zu werden, der dich von der Wiegen an aufzog, Und, ungeachtet dich ihm nur eine Sclavin gebohren, Sorgsam, in seinem Pallast, als seinen Sohn dich ernährte. Eifre nun auch, in der Ferne dafür ihm Ehre zu machen!
eine gewisse A u s t e r i t ä t d e s C o l o r i t s , der Natur des Gegenstands angemessen ist, und die abgezielte Würkung befödert: sondern hauptsächlich von Vermeidung solcher Modulationen des Hexameters, die je und allezeit ein feines Ohr beleidigen. Dahin gehören, um nur etliche Bey10
spiele zu geben, solche Hexameter, die sich in der Mitte in zwey Hälften brechen, wie z. E. diese: Welchen er mit erfahrnen Künstlern selber geordnet, * * * Diesem werden wir einen andern Kämpfer erkiesen oder solche, welche in einzelne abgesonderte Füße zerfallen, wie z. E. dieser: — — Sidonischer Weiber Arbeit, welche Alexander, ähnlich den Göttern, oder wie dieser: Teukros werther Telamonide Führer der Völker, ein vers, der von dem schönen Homerischen, der so völlig die wahre Modulation einer aufmun-
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ternden Anrede hat:
Teykre, filh kefalh, Telamvnie, koirane lavn, sehr absticht, und schon dadurch dem Ohr widrig ist, weil er von selbst in zwey trochäische und zween adonische Verse zerfällt. Lieber wollte ich das sehr entbehrliche koirane lavn weglassen, das Telamvnie (welches für teutsche Leser ohnehin der Umschreibung kaum entbehren kann) umschreiben, und das filh kefalh in den folgenden Vers werfen, um nur eine der Homerischen im Rhythmus näher kommende Anrede zu gewinnen. Wer dergleichen Dinge als Mikrologien benaserümpfen wollte, dem würde ich antworten: daß die größten Redner und Dichter des Alterthums die sorgfältigste Aufmerksamkeit auf dergleichen Kleinigkeiten für ihrer nicht unwürdig gehalten haben; und daß noch kein Gedicht, so vortrefflich es auch in allen übrigen Stücken 30
seyn mochte, ohne die Magie der schönen Versification dauerhaften Beyfall erhalten hat. Übrigens ist es überflüßig hinzuzusetzen, daß die Stollbergische Übersetzung der Ilias größtentheils so schön versificirt ist, daß das Horazische Opere in longo fas est obrepere somnum nirgends billiger als hier statt findet.
O b ¼…½ H o m e r e i n B a s t a r d g e w e s e n s e y ?
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Wo ist hier nur der Schatten eines Gedankens von dem k r a f t v o l l e n S p r ö ß l i n g e i n e r v e r s t o h l n e n U m a r m u n g , und von allen den schönen Ta v t o l o g i e n , womit der neuere Dichter nicht genug auszusprechen vermag, wie stolz der alte Telamon auf die Heldenthat ist, einen so feinen Jungen aufgestellt zu haben? Wie ungleich ist das alles der keuschen Einfalt und jungfräulichen Bescheidenheit der homerischen Muse! Weit entfernt, dem Teukros seine Unehlichkeit noch gar zu einem Vo r z u g anzurechnen, giebt ihm Agamemnon deutlich das Gegentheil zu verstehen: indem er ihm als etwas, wofür er seinem Vater ganz besonders verbunden sey, anrechnet, daß er ihn, ungeachtet er nur der Sohn einer Sclavin oder eines Kebsweibs sey, (nouon per eonta)
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in seinem königlichen Palast auferzogen; und es also um so mehr Pflicht für ihn sey, sich des Nahmens eines Telamoniden würdig und seinem abwesenden Vater Ehre zu machen. Mit der Anmerkung, welche P o p e aus dem Commentar des Eustathius anführt, hat es zwar in so weit seine Richtigkeit, daß nichts gewöhnlichers in den heroischen Zeiten war, als daß die griechischen Fürsten die im Kriege erbeuteten und ihnen zu ihrem Antheil zugefallnen Sclavinnen (welche nicht selten selbst Königs Töchter waren) zu der sehr zweydeutigen Ehre ihres Bettes erhoben. So war, z. E. Te u k e r s Mutter, wiewohl sie damals eine Sclavin Telamons war, nichts geringers als e i n e g e b o h r n e K ö n i g i n * ) nehmlich
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Hesione, die Tochter des Königs Laomedon und Schwester des Priamus. Aber wenn Eustathius daraus folgern will, daß die bürgerlichen Rechte der ehlichen und unehlichen Kinder vollkommen gleich gewesen, und jene vor diesen keine Vorzüge gehabt hätten; so geht er zuweit. Denn die unehlichen waren, ordentlicher weise, nicht Succeßionsfähig, sondern wurden mit einem kleinen Erbtheil abgefunden. — Doch scheint Hr. S c h a u f e l b e r g e r , in seinem Clavi Homerica II. p. 179. noch mehr auf der andern Seite zuweit zu gehen, wenn er (wie man wenigstens aus seinen Ausdrücken schließen muß) behauptet: daß die unehliche Geburt in den heroischen Zeiten mit einer Art von Vermailigung und Unehre verbunden gewesen sey. Die Vorwürfe die Agamemnon dem Teuker wegen seiner Geburt beym S o p h o k l e s macht, und auf welche sich Hr. S. zu Unterstützung seiner Meynung beruft, beweisen um so weniger, weil sie *)
So nennt sie Teuker selbst beym Sophokles (im A j a x v. 1324.) da er sich gegen die verächt-
lichen Vorwürfe, die ihm Agamemnon wegen seiner Geburt macht, vertheidigt.
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von einem Feinde, und in der höchsten Heftigkeit des Affects, ausgestoßen werden; auch beantwortet sie Teuker in einem so hohen Ton, daß er lächerlich gewesen seyn würde, wofern die unächte Geburt damals würklich einem Fürstensohn schimpflicher gewesen wäre, als sie es noch heutiges Tages unter den gesittetesten Nationen Europens ist. Ja Agamemnons Vorwürfe selbst gehen nicht sowohl über Teukers Unächtheit, als darüber, daß er der Sohn einer S c l a v i n , und, was in den Augen der stolzen Griechen noch verächtlicher war, einer A u s l ä n d e r i n gewesen. So wenig also dieser Beweis beweiset, so sehr scheint hingegen aus der ganzen Geschichte der heroischen Zeit das Gegen10
theil dessen, was man damit beweisen wollte, in die Augen zu fallen. Diese Zeiten wimmeln von Bastarden der Götter und der Heroen, und man sieht sie überall mit den ächten Söhnen, die Succeßion allein (und auch diese nicht immer) ausgenommen, auf gleichem Fuß. Homer selbst nennt den Teuker
koiranon lavn, ein Titel, der ihn mit allen übrigen Befehlshabern unter dem griechischen Heere in einerley Klasse stellt; und nichts kann begründeter seyn als die Anmerkung des Eustathius: daß er, in eben dem Augenblik, da er Teukern rühmen und aufmuntern wollte, und (ich setze hinzu) da er solcher Männer wie Teuker so höchstbedürftig war, ihm gewiß seine unächte Geburt nicht vorgerükt haben würde, wenn der Nahme B a s t a r d , nach den damaligen 20
Begriffen und Sitten, schimpflich gewesen wäre. Allem Ansehn nach war es in der heroischen Zeit der Griechen damit, wie es ein paar Jahrtausende später in den neuern r i t t e r l i c h e n Z e i t e n war. Die a l t e n R i t t e r b ü c h e r kopieren in diesem, wie in vielen andern Stücken, getreulich die Sitten der Zeit worinn die Verfasser lebten. K ö n i g A r t h u r und A m a d i s selbst sind nicht ächter gebohren als Teuker; und beynahe die ganze zahlreiche Descendenz des A m a d i s d e G a u l e bis ins fünfte und sechste Glied kommt immer eher in die Welt als ihre Eltern kopuliret sind. Nicht nur damals, trug W i l l h e l m d e r E r o b e r e r kein Bedenken, einen förmlichen öffentlichen Brief mit den Worten anzufangen: I c h W i l l h e l m , g e n a n n t d e r B a s t a r d , K ö n i g v o n E n g -
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l a n d , u. s. w. — sondern noch im 14ten, 15ten und 16ten Jahrhundert wimmelts in den Französischen, Englischen, Spanischen u. a. Geschichten noch beynahe so sehr von berühmten Bastarden, die sich dieses Nahmens ganz und gar nicht schämten, als in der Heldengeschichte der Griechen. Der berühmte G r a f v o n D ü n o i s ist unter diesem Nahmen nicht bekannter als unter der Benennung des B a s t a r d s v o n O r l e a n s . Und wem ist nicht der B a s t a r d
O b ¼…½ H o m e r e i n B a s t a r d g e w e s e n s e y ?
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v o n N a v a r r a , oder der B a s t a r d v o n S a v o y e n , in den Memoiren der Zeiten F r a n z I . in Frankreich, unter dieser Qualification öfter als unter ihrem eigentlichen Ehrennahmen vorgekommen? Mit allem diesem also glaube ich hinlänglich dargethan zu haben, daß aus den Stellen, welche P o p e aus Homers Werken zum Behuf der gemeinen Tradition von seiner vorgeblichen unächten Geburt anführt, mit nichten die mindeste Vorliebe oder Sympathetische Zuneigung dieses Vaters der Dichtkunst für die Bastarden herzuleiten sey; und daß die Gründe, womit man ihm eine vorgebliche Begünstigung dieser, nach Vanini’s Meynung, ohnehin schon allzusehr begünstigten Kinder der Natur auflasten wollen, weiter nichts erweisen: als, daß er, auch in diesem Punct, die Vorstellungsart und das Kostum der Menschen und Zeiten, die er schildert, getreulich dargestellt habe. W.
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¼Heloise an Abälard. aus dem Französischen des C o l a r d e a u . ½ Vorbericht. Der verbindliche Ungenannte, der mir dieses Gedicht zugeschikt, schreibt mir folgendes — „Die Stelle im T. Merkur März d. J. S. 199. ,Mir ist keine teutsche Übersetzung der Briefe Heloisens bekannt, die neben dem Original oder neben Popens und Colardeaus Copien stehen könnte‘ brachte mir das beyliegende poetische Stück wieder ins Andenken, welches einer meiner Freunde vor vielen Jahren verfertigte, und davon nur wenige Exemplare zum 10
verschenken drucken ließ. Sollten Sie es werth finden, itzo noch bekannt gemacht zu werden, so würde es fürs Publicum neu seyn, da es nie in einen Buchladen gekommen ist. — — Die Versart ist freylich aus der Mode; doch ist es eben die, in welcher man ehemals so viele gute Gedichte, von Haller, Hagedorn, Gellert, Zachariä, und andern, mit Vergnügen lesen konnte — und es ja wohl noch kann. Als Übersetzung und als Gedicht betrachtet dünkt mich dieses Stück wohlgerathen und manche Stelle schön zu seyn. Führt mein Geschmak mich irre, und finden Sie es nicht würdig, daß man es der Vergessenheit, der es schon so nahe war, entreisse: so mag es ohne weiters, auf welche Weise es Ihnen beliebt, vollends in dieselbe hinabgestoßen werden u. s. w.“
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Zum Beweis, daß ich es zu keinem so ungünstigen Schiksal verurtheilen möchte, übergebe ich es hiemit den Liebhabern, wie ichs empfangen habe, als ein Stück, das unter dem Besten was wir in dieser Art aufzuweisen haben, seinen Plaz behaupten kann.
¼Vorbericht zu Wobesers Übersetzung von Colardeau½ H e l o i s e a n A b ä l a r d
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¼Über die teutschen Monatsnahmen an den H. d. M. …½
Beysaz des Herausgebers. Die von unserm ungenannten Correspondenten vorgeschlagnen Benennungen der teutschen Monatsnahmen haben meinen Beyfall um so mehr, weil dadurch den wichtigsten Einwürfen begegnet ist, die Hr. L. im a c h t z e h n t e n S t ü c k des H a n a u i s c h e n Magazins, dieses Jahres gegen die alten Karolingischen Monatsnahmen, welche im 10ten St. desselben mit verschiednen neuen Beweggründen empfohlen worden waren, vorgetragen hat. A l l e n Einwen-
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dungen und Allen kleinen Unschiklichkeiten abzuhelfen ist in solchen Dingen nicht möglicher als in andern menschlichen Dingen. Es wird also itzt bloß darauf ankommen, ob diejenigen, welche für die Einführung teutscher Monatsnahmen sind, sich endlich zu einer g l e i c h f ö r m i g e n Benennung derselben einverstehen werden oder nicht? Sollte das alte S o v i e l K ö p f e , s o v i e l M e y n u n g e n , auch hier die Oberhand behalten: so ist leicht vorauszusehen, daß auch dieser kleine Verbesserungsvorschlag das Schiksal so mancher andern seines gleichen haben, und daß man am Ende genöthigt seyn wird, es beym Alten zu belassen — wogegen ich dann, meines Orts, wenn es der Majorität so belieben sollte, auch nichts einzuwenden habe, und überhaupt das Publicum mit dieser im Grunde freylich sehr unerheblichen Sache nicht weiter behelligen werde.
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Der Teutsche Merkur. Sommermond 1781.
Betrachtung über den Standpunct, worinn wir uns in Absicht auf Erzählungen und Nachrichten von Geistererscheinungen befinden. (Als Einleitung zum folgenden Artikel.) Gespenster, Elementargeister, Mittelwesen zwischen Engeln und Menschen, Feuer- und Luftgeister, Kobolte, Bergmännchen und Wassernixen, Schuzgeister oder Plaggeister einzelner Menschen, — mit einem Wort alle Arten von angeblichen Erscheinungen und wunderbaren Einwürkungen unsichtbarer Wesen werden, allen Einwendungen einer gesunden Philosophie, und aller
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durch sie bewürkten Aufklärung zu trotz, in der Einbildungskraft und selbst in dem Herzen der Menschen immer einen Fürsprecher finden, der ihre gänzliche Verbannung unmöglich machen wird. Alle Erzählungen dieser Art, alles was einer Geheimnachricht aus der Geisterwelt ähnlich sieht und die Würklichkeit dieser Phantastischen Wesen zu bestättigen oder die Gründe, womit die Vernunft sie bestreitet, zu entkräften scheint, wird den Meisten immer willkommen seyn. Selbst der aufgeklärtere Theil der Menschen — Personen, die es auf keine Weise von sich gesagt wissen möchten, daß sie Gespenster, Geistererscheinungen, und was in dieses Fach gehört, im Ernste zu glauben fähig wären — lieben doch sich mit Gesprächen oder Lectüren dieser Art zu unterhalten. Ja, sogar der Philosoph, indem er die Wahrheit der Begebenheiten, auf welche die Geisterseher ihren Glauben gründen, läugnet, fühlt sich unvermerkt von seiner eignen Phantasie überschlichen; und ist oft selten von seinen Vernunftschlüssen überzeugt genug, daß nicht die instinctmäßige Neigung zum Wunderbaren, die er mehr oder weniger mit den Ungelehrtesten gemein hat, den leisen Wunsch, des Gegentheils durch unläugbare Thatsachen überführt zu werden, in ihm erregen sollte. Eine Tr a d i t i o n , die so alt als das Menschengeschlecht, oder doch gewiß um viele Jahrhunderte älter als die Philosophie ist, hat eine Art von allge-
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meinen Glauben und Consens aller Völker über diese Dinge hervorgebracht. Von Kindheit an wird unsre Einbildungskraft mit Bildern, Mährchen, und angeblichen Geschichten angefüllt, welche sich auf diesen Glauben gründen, und ihre ansteckende Kraft an uns beweisen, zu einer Zeit da wir uns noch keines Betrugs versehen, und die Vernunft uns noch mit keinen Waffen gegen die Täuschungen unsrer eignen und fremder Leichtgläubigkeit ausgerüstet hat. Die D i c h t e r , welche, ohne das Wunderbare, eine der reichsten Quellen von Erfindung und Interesse entbehren würden, nähren diese Anlage auf eine 10
so verführerische Art, daß, auch nachdem wir Verstand genug haben zu sehen daß sie uns täuschen, wir doch mit Vergnügen einwilligen, so angenehm getäuscht zu werden. Mitten in der Überzeugung, daß die ganze Maschinerie ihrer Götter und Geister Erscheinungen, Zaubereyen und Feereyen, aus bloßen Geschöpfen ihrer Einbildungskraft zusammengesezt sey, ertappen wir uns über einem heimlichen Seufzer, daß doch diese Wunderdinge wahr seyn möchten; und je empfänglicher unsre Seele für die Einwürkungen dieser Art von Dichtungen ist: desto geneigter sind wir, uns durch Erzählungen, die sich, dem Vorgeben nach, auf Erfahrung und Thatsache gründen, von der Wahrheit dessen, was wir wahr zu finden wünschen, überreden zu lassen.
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Wieviel unter allen Völkern die R e l i g i o n beygetragen, diese Disposition in den Gemüthern der Menschen zu verstärken, braucht hier kaum erwähnt zu werden. Und was ists Wunder, wenn P r i e s t e r (welche hiebey ein eben so begründetes und in verschiednem Betracht ungleich wichtigeres Interesse hatten als die Dichter) geschäftig gewesen sind, den Glauben an übermenschliche Wesen und übernatürliche Würkungen zu befördern; da selbst ein großer Theil der P h i l o s o p h e n , vornehmlich die von der P y t h a g o r i s c h e n , P l a t o n i s c h e n und A l e x a n d r i n i s c h e n Schule, diesen Glauben unterstüzt, und eine Geisterlehre, in welcher alle Artikel des popularen Aberglaubens Unterstützung finden, zur Grundlage und zu den Hauptpfeilern ihres
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Lehrgebäudes gemacht haben. Diese romantische Art zu philosophiren, die zu gleicher Zeit der natürlichen Trägheit der Menschen, und ihrer Begierde nach erhabnen und wunderbaren Ideen schmeichelt, konnte nicht fehlen sich in eine desto größere Achtung zu setzen: da sie sich, gleich den alten M y s t e r i e n (deren Stelle sie unvermerkt einnahm) in ein heiliges Dunkel verbarg, in welches nicht einem
Betrachtung über den Standpunct
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jeden einzudringen erlaubt war. Aber je größer und abschreckender die Schwierigkeiten in diesen Geheimnissen eingeweyht zu werden, je glänzender waren auch die Vortheile der Glüklichen, die zu diesem Vorzug gelangten. Die M a g i s c h e P h i l o s o p h i e , deren vorgebliche Meister sich des Namens der We i s e n im erhabensten Sinn des Wortes anmaßten, (wie sie noch bis auf diesen Tag thun) versprach nichts geringers als die größte Veredlung der Menschheit, Erhöhung ihrer natürlichen Kräfte bis zur Gemeinschaft mit der göttlichen Natur. Sie rühmte sich den Schlüssel zu besitzen zu den Pforten einer unsichtbaren geistigen Welt, gegen welche die sichtbare sich verhalte, wie die Buchstaben einer Schrift zu den Worten und die Worte zu den Vorstel-
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lungen deren bloße Zeichen sie sind; oder wie ein todtes Steinbild zu einem lebendigen Menschen. Sie kannte nicht nur alle Arten von Geistern nach ihren verschiednen Ordnungen, Stufen, Kräften, Würkungskreisen, Eigenschaften und Verhältnissen; sie besaß auch die Mittel mit diesen unkörperlichen Wesen in Verbindung zu treten, die Freundschaft der Guten unter ihnen zu erwerben, sich die Bösen zu unterwerfen, und mit Hülfe der einen und der andern die wunderbarsten Würkungen hervorzubringen. Die subtilen Lehrbegriffe und wenig verständlichen Schriften eines P l o t i n u s verlohren sich während der langwierigen Finsterniß, welche nach Zerstörung des alten Römischen Reichs über Europa kam; aber die Begriffe und
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Träume von Mittelgeistern und Magischen Kräften, womit der Norden, so wie der Orient, von jeher angefüllt war, erhielten sich; und der immer tiefer einwurzelnde Aberglaube, von Mönchen und Romanendichtern auf alle mögliche Weise genährt, überhob die Adepten dieser Zeiten der ungelegnen Mühe, ihre Behauptungen zu beweisen, oder mit der Vernunft in Übereinstimmung zu setzen. Was Wunder, daß selbst während der Dämmerung, welche im 15ten und 16ten Jahrhundert Europa zur Wiederherstellung der Litteratur und höhern Aufklärung der Wissenschaften vorbereitete, jene Afterphilosophie, unter dem Schuz der ehrwürdigen Nahmen eines H e r m e s Tr i s m e g i s t u s , Z o r o a s t e r , O r p h e u s , P y t h a g o r a s , P l a t o n u . s . w . sich nicht nur in Ansehen erhielt, sondern sogar wieder eine wissenschaftliche Form gewann, von welcher sich einige der besten Köpfe dieser Zeiten verblenden ließen. Irthümer, die den Menschen Jahrtausende lang beherrscht haben, sind nicht so leicht zu verdrängen. Sie nahmen alle mögliche Gestalten an, und bedienten sich aller möglichen Kunstgriffe, wodurch eine des Lichts noch ungewohnte
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Vernunft hintergangen werden kann. Ehmals warens die Mönche und die Verfasser der Ritterbücher gewesen; nun warens Philosophen, Ärzte, Naturforscher, Chymisten, die den popularen Glauben an Geistererscheinungen, wiederkommende Seelen der Verstorbnen, Elementargeister, Kobolte, prophetische Träume und Ahnungen, Sympathien und Antipathien, Palingenesien und Metamorphosen, kurz, alle Wunder und Abentheuer d e r w e i s s e n und s c h w a r z e n M a g i e , in ihren Schuz nahmen und mit neuem Ansehen bekleideten. Der Glaube an alle diese Dinge war im sechzehnten Jahrhundert so allgemein, daß man kaum einen berühmten Mann dieser Zeit wird nennen 10
können, der nicht mehr oder weniger damit angestekt gewesen wäre. Nun hat zwar diese poetische Art von Philosophie seit dem einer andern Plaz gemacht, die, mit unzählichen neuerfundnen Werkzeugen bewafnet, sich gleichsam neue Sinnen zu verschaffen, und damit die größten Schwierigkeiten zu übersteigen gewußt hat, welche sich ehmals einem jeden entgegensezten, der mit der Fackel der Beobachtung ins Innere der Natur einzudringen versuchte. Die verworrenen und ungewissen Formen der Dämmerung schienen nun in dem immer zunehmenden Tage zerflossen, und die b e z a u b e r t e Welt von der N a t ü r l i c h e n auf ewig verdrängt zu seyn. Aber die Einbildungskraft findet immer wieder Mittel sich im Besitz ihrer alten Rechte zu
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erhalten. Der Kreis ihrer Würksamkeit erweitert sich zugleich mit dem Kreis unsrer Kenntniße. Die Natur, gleich als ob sie eifersüchtig sey sich über ihren verborgnen Mysterien von sterblichen Augen erwischen zu lassen, erscheint immer wundervoller, geheimnisreicher, unerforschlicher, je mehr sie gekannt, erforscht, berechnet, gemessen und gewogen wird. Die unendliche Manchfaltigkeit und der grenzenlose Schauplatz ihrer Würkungen verschlingt unsern Geist; er verliehrt sich in einem Ozean von Wundern, an welchen noch immer so viel unerklärbares und unbegreifliches bleibt, um die verlegne Imagination wieder in ihre alte Lage zurückzuwerfen. Denn was haben wir auch mit den scharfsinnigsten und unwidersprechlichsten Erklärun-
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gen alles dessen was im Himmel, auf Erden und unter der Erden ist, am Ende, zu Befriedigung unsers Vorwitzes gewonnen, als — Erscheinungen zu kennen, deren Ursachen — Würkungen zu berechnen, deren Kräfte noch immer Geheimnis sind? Und wenn wir auch den ganzen Mechanismus der Körperwelt bis auf ihre ersten Bestandtheile auseinander legen könnten; so nöthigt uns doch ein Gefühl, dem die Vernunft selbst nachgeben muß am Ende, geistige
Betrachtung über den Standpunct
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Kräfte anzunehmen, welche der Materie Zusammenhang, Bewegung, Leben, Empfindung und Gedanken geben, die nicht ihr eigen sind — und so befinden wir uns immer wieder da, wo uns die Philosophie gefunden hatte; glauben immer, daß sie uns gerade das nicht sagen könne, was wir am liebsten wissen möchten; und fühlen uns also um soviel geneigter, Jedem Gehör zu geben, der unsre Einbildungskraft in Erwartung setzt, und ihr eine Befriedigung zu versprechen scheint, die sie bey jener vergebens gesucht hatte. Hiezu kommt noch ein andrer Umstand, der eine eben so natürliche Folge der Aufklärung ist, als er den Geistersehern günstig zu seyn scheint. Je weiter die Grenzen unsrer Kenntniße hinausgerükt werden; je mehr wir die uner-
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schöpfliche Manchfaltigkeit der Natur im Detail ihrer Werke kennen lernen, je weiter dehnt sich auch d e r K r e i s d e s M ö g l i c h e n vor unsern Augen aus; und vielleicht ists gerade der größte Naturforscher, der sich am wenigsten untersteht, irgend etwas, das nicht augenscheinlich in die Klasse der vierekkichten Dreyecke gehört, für unmöglich zu erklären. Seitdem die unersättliche Wißbegierde mit geschärften Sinnen in alle Elemente eingedrungen ist, seitdem uns die Vergrößerungsgläser einen Abgrund von physischen Wundern, wovon niemand zuvor die mindeste Vorstellung hatte, aufgeschlossen haben; seitdem die Entdeckung neuer, von keinem Demokrit oder Aristoteles nur geahneter Eigenschaften der Materie, die Natur von
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ganz neuen Seiten gezeigt, und der unermüdliche Fleiß der Forscher fast täglich in dem Fall ist auf Entdeckungen zu stoßen, welche die Hälfte dessen was man vorher für wahr gehalten, wieder umstoßen oder zweifelhaft machen — seitdem haben auch unsre Begriffe vom Wunderbaren und Natürlichen, Möglichen und Unmöglichen, eine merkliche Veränderung erleiden müssen. Mitten zwischen den grenzenlosen Tiefen des Unendlichgroßen und Unendlichkleinen, wo jeder Sonnenstaub eine Welt, und jede Welt ein Sonnenstaub, jeder belebte Keim eine ganze Schöpfung, jeder Punct im Unermeßlichen ein Schauplatz ist, zu dessen Durchschauung das Leben eines Menschen nicht zureichte: lernt der Mensch bescheidner von seinen Einsichten denken, und wird immer furchtsamer zu entscheiden was die Natur könne oder nicht könne, je öfter er schon in seinen zu raschen Urtheilen durch nachfolgende Erfahrungen beschämt worden ist. Vor einigen Jahrhunderten hatte das Wunderbare beynahe alle Begriffe vom Natürlichen aus den Köpfen unsrer Vorfahren verdrängt: Izt verenget die Natur immer mehr die Grenzen des Wunderbaren,
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und wir finden uns auf allen Seiten mit so vielen Unbegreiflichkeiten umringt, daß uns beynahe nichts mehr in Erstaunen sezt. So günstig indessen dieser Umstand den Geistererscheinungen, besonders den Gespenstern und Mittelgeistern ( G e n i e n , D ä m o n e n ) als welche unter allen Einwohnern der bezauberten Welt noch immer die meisten und erheblichsten Zeugniße vor sich haben, zu seyn scheinen mag: so ist doch ihre M ö g l i c h k e i t , oder richtiger zu reden, u n s e r U n v e r m ö g e n i h r e U n m ö g l i c h k e i t z u b e w e i s e n , Alles was zu ihrem Behuf daraus geschlossen werden kann. Dies würde freylich schon viel seyn, wenn der Saz, daß a l l e s 10
M ö g l i c h e auch würklich sey, eben so unläugbar wahr wäre, als er es zu seyn scheint. Aber auch dann würde doch eben das gerechte Mißtrauen, welches uns abhält zu entscheiden, daß etwas darum unmöglich sey, weil wir uns keine deutliche Vorstellung machen können wie es möglich ist, uns nicht erlauben, etwas bloß darum für möglich zu erklären, weil wir nicht einsehen, wie und warum es unmöglich seyn sollte. Wir befinden uns also hierüber in einem ziemlich wagerechten Schwanken, und das Gewisseste, wozu wir uns selber bringen können, ist das Gefühl, daß e i n e r s c h e i n e n d e r G e i s t , an sich selbst und ohne Rüksicht auf besondere Erfahrungen und Zeugniße, weder etwas so U n n a t ü r l i c h e s sey, um für ganz unmöglich gehalten zu werden,
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noch n a t ü r l i c h g e n u g , um uns nicht, in jedem besondern Falle, gegen seine Würklichkeit mißtrauisch zu machen. Der Erzähler einer Geistergeschichte, die er als Augen oder Ohrenzeuge in ganzem Ernst für wahr giebt, kann sich heutigs Tages darauf verlassen, daß er alle Leute von Erziehung und Kenntnißen, zumahl diejenigen die hierinn bloße Prätendenten sind, u n g l a u b i g finden werde. So glaubwürdig auch der Gewährsmann in unsern Augen seyn mag, die Erzählung selbst ist es niemals; und es ist uns, im Grunde, eben so natürlich eine solche Geschichte n i c h t z u g l a u b e n , als zu glauben, daß die Sonne Morgen wieder aufgehen werde — d i e s e r Glaube und j e n e r Unglaube beruhen auf einerley Grund.
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Lassen wir aber (wie erst kürzlich geschehen) einen Philosophen auftreten, und in einem ausdrüklich dazu geschriebenen Buche mit scharfsinnigen und scheinbaren Gründen aller Art beweisen, daß alle für historisch wahr ausgegebne Gespenster- und Geistergeschichten auf gar keinem glaubwürdigen Zeugniße beruhen, und daß die Erscheinungen, welche man ohne Einwürkung solcher Wesen, die zu keinem der bekannten Naturreiche gehören, nicht
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erklären zu können glaubt, sich aus bekannten natürlichen Ursachen sehr wohl erklären lassen: augenbliklich wird etwas, das (wenn ich nicht irre) nicht bloß Widersprechungsgeist ist, in uns rege, das uns dringt, die verfolgten Phantomen in unsern Schuz zu nehmen. Ich habe oft Gelegenheit gehabt diese doppelte Bemerkung zu machen, und, ohne sie darum für etwas allgemeines zu geben, glaube ich, daß man von dem größern Theil derjenigen, welchen dermalen die Benennung von P e r s o n e n v o n E r z i e h u n g zukömmt, sagen könne: daß sie, ungeachtet des Unglaubens den sie allen Erzählungen von Geistererscheinungen, welche bey Gelegenheit in einer Gesellschaft circuliren, entgegensetzen, im Herzen doch sehr
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geneigt sind, die Parthey der Geister gegen einen jeden zu halten, der ihnen entweder das Daseyn selbst, oder wenigstens alle Gemeinschaft mit uns irdischen Menschen absprechen wollte. Mir däucht, diese Neigung habe, außer der Liebe zum Wunderbaren, noch einen besondern Zusammenhang mit der Hofnung, die dem Menschen eben so natürlich ist, nach diesem Leben in einem andern persönlich fortzudauern. Von Kindheit an mit Gespenstergeschichten genährt, welche sehr zuversichtlich auf angebliche Erfahrungen oder glaubwürdige Berichte gestüzt werden, gewöhnt sich unsre Phantasie, die Gespenster und die übrigen Geister, deren Daseyn auf der Tradition beruht, als Einwohner jener unsichtbaren Welt an-
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zusehen, in welche dereinst überzugehen unser Schiksal seyn wird. Ohne einen besondern religiösen oder philosophischen Glauben, der uns von diesem künftigen Leben angenehme und wünschenswürdige Vorstellungen macht, ist der Mensch, n a t ü r l i c h e r w e i s e , nichts weniger als geneigt, sich dieses Land der Seelen sehr reizend vorzustellen. Es sind ihm, wie dem guten Kayser H a d r i a n , Loca p a l l i d a , l u r i d a , l i v i d a , b l e i c h e , b l e y f a r b e , l i c h t u n d f r e u d e n l e e r e G e g e n d e n — der Sund, der zwischen seinem itzigen Leben und jenem künftigen liegt, schneidet alle n a t ü r l i c h e G e m e i n s c h a f t zwischen beyden ab — er weiß was er zurüklassen und verlieren wird, aber was er gewinnen werde ist unbekannt oder ungewiß. Er erwartet es also zwischen Furcht und Hofnung. Aber da der Gedanke an diese große Veränderung, so gern er ihn gänzlich aus dem Gesicht verliert, sich doch von Zeit zu Zeit aufdringt, und der Mensch sich nun einmal nicht verbergen kann, daß es dazu kommen m u ß : so ist ihm Alles interessant, was einer Nachricht aus dem unbekannten Lande gleich sieht; und gerade darum, weil er weiß, daß
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ordentlicher weise niemand von dort zurükkommt, bemächtigt sich jeder, der sich als einen Gesandten oder Überläufer aus demselben ankündigt — so unglaublich auch die Sache an sich selbst ist — seiner ganzen Aufmerksamkeit. Diese Vorstellungsart liegt, wenn ich mich nicht sehr irre, mehr oder weniger, bey jedem Menschen zum Grunde, auf welche Weise sie auch durch andre Umstände modifiziert worden seyn mag. Der Philosoph mag sich selber noch so deutlich beweisen, daß Gespenster und Sphingen, Hausgeister (Spiritus familiares) und Wassernixen, welche die Kinder ins Wasser hinabziehen, um sie mit Mandeln und Rosinen hübsch rund zu füttern und dann aufzu10
essen, — in Eine Categorie, nemlich in das Fach der Ammenmährchen gehören; der Weltmann mag alle solche Dinge, die nach dem A b e r g l a u b e n unsrer guten dummen Altvordern riechen, noch so witzig belächeln, — und das Hofgesindel des guten Königs von Schlaraffenland Alcinous mag noch so laut und bacchantisch über die Leute lachen, die keinen Magen und keinen Bauch mehr haben: Philosophen, Weltleute, und lustige Brüder sind am Ende doch nur — Menschen wie andre, und (einen jeden ausgenommen, der ein ordentliches scientifisches Buch gegen die Gespenster geschrieben hat) gilt, auch in diesem Stücke, von ihnen allen, was H o r a z von der Natur überhaupt sagt. Wie verächtlich wir auch gewisse Gefühle, die allen
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Menschen gemein sind, von uns stoßen, immer giebt es Augenblicke, wo sie uns unvermerkt überschleichen. Wo die Natur den Menschen überhaupt schwach gelassen hat, da ist Jeder zu verwunden, hätte er auch die gefährliche Stelle mit siebenfältigem Erz verwahrt. Ich glaube also, es werde wenigstens auf die Allermeisten passen, wenn ich sage: wir sind, bey der allgemeinen Aufklärung unsrer Zeit, zuviel Philosophen um Geistererscheinungen z u g l a u b e n ; und wir sind, mit aller unsrer Aufklärung, nicht Philosophen genug, um sie n i c h t z u g l a u b e n . Zwischen diesem Glauben und Nichtglauben hin und herschwankend, werden wir, größtentheils, immer so r ä s o n n i r e n oder s c h e r z e n , als ob wir sie n i c h t
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glaubten, und sobald uns ein neues Geistergeschichtchen erzählt wird, so andächtig zuhören — auch, bey Gelegenheit, uns eben so herzhaft — vor Geistern f ü r c h t e n , als ob wir sie glaubten. Überhaupt aber, wie weit es auch immer noch mit der Aufklärung der menschlichen Vernunft kommen mag, werden einzelne Begebenheiten, die in das Fach gehören wovon bisher die Rede war, immer allgemein interessant
Betrachtung über den Standpunct
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bleiben, und es auch für den denkendsten und weisesten Theil der Menschen wenigstens aus diesem Grunde bleiben, weil es u n g e w ö h n l i c h e r e Vorfälle, und, es sey nun daß sie bey der Untersuchung als etwas würkliches oder als Täuschung befunden werden, immer wenigstens dieser Untersuchung würdig sind. W.
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¼Auszug aus einem Schreiben des Herrn Johann Baptista Manso, Marchese d i V i l l a , an den Prinzen von Conca, Großadmiral von Neapoli — einen Geist betreffend, mit welchem der berühmte Dichter To r q u a t o Ta s s o Umgang zu haben glaubte.*)½ *) In dem vor einem Jahre zu Leipzig bey Weygand herausgekommenen Buche
v o n G e i s t e r n u n d G e i s t e r s e h e r n , findet sich in einer Anmerkung zu 10
S. 42. folgendes: „Ta s s o glaubte mit einem Geiste genauen Umgang zu haben. Er pflegte in Gegenwart eines Freundes sein Gesicht und seine Augen unverrükt nach den Fenstern zu richten, und rief alsdenn, da komt mein Geist. Ta s s o unterredete sich darauf mit dem Geiste im erhabenen Tone, aber er war der Fragende und Antwortende zugleich.“ S. Muratori della Forza della Phantasia, c. 9–11. Diese Stelle aus dem Muratori beziehet sich augenscheinlich auf gegenwärtige Urkunde, und bedarf sehr, aus derselbigen berichtiget zu werden. ¼Weil es nun** ) keine andere Gattung von Geistern als Engel und Teufel giebt und der Seinige weder das eine noch andere seyn kann, so folget, daß das was ihm erscheint kein wirklicher
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Geist, sondern daß es eine bloße Täuschung der Einbildungskraft ist, welche ihm dieses Bild mit den Farben der Wahrheit vorstellt; eine Sache die vielen andern auch begegnet ist, zumal Personen, die mit Hypochondrie so sehr behaftet sind wie er.½ ** ) Der
M a r c h e s e spricht hier nach den Grundsätzen der katholischen Ortho-
doxie. Unter den Platonikern des 15ten und 16ten Jahrhunderts in Italien war es etwas ausgemachtes, daß es außer diesen zweyen Hauptgattungen noch allerley Arten von Mittelgeistern gebe: aber dies behaupteten sie nur a l s P h i l o s o p h e n ; als gute Katholiken unterwarfen sie sich, wie billig, dem Ausspruch der Kirche. Auszug aus einem Schreiben
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Versuch einer Übersetzung der ersten Epistel des Horaz. An Mäcenas. Du, dem die lezte Frucht von meiner Muse so wie die erste zugehört — warum, M ä c e n , mich, den man lange schon genug gesehn und fernern Diensts entlassen, von neuem zu dem alten Spiel zurück zu nöthigen? Ich bin an Jahren und an Sinnesart nicht mehr der vorige.
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Ve j a n i u s , damit er nicht so oft am Rand des Fechterplans mit aufgehabnen Armen das oftgeschenkte Leben immer wieder vom Volk erbetteln müsse *), hieng sein Schwert an Herkuls Pfosten auf, und steckt vergraben in seinem kleinen Gut. Auch mir, M ä c e n , *)
Die Ausleger sind nicht einig, ob der Gladiator Vejanius, dessen Beyspiel sich Horaz zum
Muster nehmen will, ein guter oder schlechter Fechter gewesen sey. Tu r n e b u s ist der letztern, die alten Scholiasten sind der erstern Meynung. Ein bejahrter Gladiator wurde zuweilen vom Publico, dessen Sclaven diese Unglüklichen waren, mit der Freyheit beschenkt; wenn er aber ein
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vorzüglicher Meister in seiner Kunst war, so wurde er dem ungeachtet, bey Gelegenheiten wo ihn das Volk wieder sehen wollte, genöthigt, seinen Gönnern, mit Gefahr seines Ruhms und Lebens, diese grausame Lust zu machen. Allem Anschein nach war dies dem Vejanius, nicht weil er ein schlechter sondern weil er ein guter Fechter war, öffters begegnet. Man kann sich leichtlich mehr als Einen Fall denken, wo ein Volk wie das Römische seine Lust daran fand, einen alten Fechter, der lange sein Liebling gewesen war, wieder aufzufodern, um zu sehen wie er sich aus der Sache ziehen werde. Wenn Vejanius sich bey solchen Gelegenheiten von einem jüngern und stärkern Gegner bis an den äussersten Rand des Fechtplatzes getrieben und in die traurige Noth gesezt sah, das Volk um sein Leben bitten zu müssen, so kam es nicht daher weil er ein elender Fechter, sondern weil er alt war. Damit ihm dies aber nicht wieder begegnen mögte, hieng er sein Schwert, als ein ex voto, im Tempel des Herkules auf und verbarg sich in sein Landgütchen. So verstehe ich, mit Erlaubnis des gelehrten Turnebus, diese Stelle, und so, däucht mich, paßt alles sehr natürlich.
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raunt immer eine leise Stimm’ ins Ohr: Sey klug und spann den alten Klepper aus, bevor er auf der Rennbahn, wo ihn einst der Sieg gekrönt, nun lahm und athemlos nicht weiter kann, und zum Gelächter wird. Gehorsam dieser Warnung, hab ich mich der Versekunst und alles andern Spielwerks entschlagen, und was wahr und schön und gut, darauf geht all mein Trachten und mein Dichten: 10
Ich leb und webe drinn; beflissen, einzusammeln wovon ich bald im Winter zehren könne. Fragst du, in welche von den Weisheitsschulen Athens ich eingeschrieben sey — so wisse, in Keine. Frey, und ohne auf die Worte von einem Meister, wer er sey, zu schwören, bin ich, gleich einem der zu Wasser reist, bald da bald dort, wie Wind und Wetter will. Bald wirfts mich in d i e S t o a , mitten in den Sturm des thätigen weltbürgerlichen Lebens,
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und strenge Tugend, die kein Haarbreit weicht von Recht und Pflicht, ist meine einz’ge Göttin: Bald sink ich unvermerkt in A r i s t i p p s System zurück, und statt mich selbst d e n D i n g e n zu unterwerfen, seh ich wie ichs mache sie unter M i c h zu kriegen *). Wie die Nacht *)
Auch diese Stelle hat den Auslegern Mühe gemacht. B a t t e u x hat eine ganze philosophi-
sche Deduction geschrieben, um den Horaz etwas sagen zu lassen, woran er schwerlich gedacht hat. Man nehme an, daß das et mihi res, non me rebus eine Anspielung auf die Antwort sey, welche Aristipp demjenigen gab, der ihm seinen Umgang mit der schönen Lais vorwarf, exv oyk exomai, 30
ich habe S i e , nicht sie M i c h — so wird alles deutlich. Die Rechtfertigung meiner Meynung, welche eine nähere Beleuchtung der Aristippischen Philosophie mit sich führt, verspare ich auf eine künftige Ausgabe der sämtlichen Episteln des Horaz, deren Übersetzung mich seit geraumer Zeit beschäftigt.
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dem mächtig lang dünkt, dem ein schelmisch Mädchen gelogen hat, und lang der Tag dem Fröhner und träg das Jahr dem Minderjähr’gen, den die Vormundschaft der strengen Mutter drükt: so schleichen langsam und verhaßt die Zeiten mir dahin, die meinen großen Plan noch hemmen, mit Ernst zu treiben, was dem Armen gleich als wie dem Reichen nüzt, und was, versäumt, dem Jungen wie dem Alten Schaden bringt. Indeß behelf ich, bis es besser geht,
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mich mit dem Abc der Weisheit, ungefehr wie folgt, und spreche: weil du freylich nie ein L y n c e u s * ) werden kanst, willst du darum, izt da du an den Augen leidest, dich der Salbe weigern? Oder weil die Muskeln des nie besiegten G l y k o n s * * ) dir versagt sind, dich vor dem knotenvollen Chiragra nicht wenigstens nach Möglichkeit verwahren? Man geht so weit man kann, wenn weiter gehn nicht möglich ist. Brennt dich das leid’ge Fieber
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der Habsucht? Gut, wir haben Mittelchen, Arcana, bey der Hand, die wenigstens die Schmerzen lindern werden, wenn sie auch die Krankheit nicht von Grund aus heilen können. Schwillst du von Ruhmbegier? Es giebt gewiße Formeln wovon du viel Erleichtrung spüren wirst so fern du, nach gehörger Reinigung, sie dreymal hergesagt ***). Ein Mann sey neidisch, *) **)
Lynceus und Glykon sind unsern Lesern, allenfalls, noch aus den Anmerk. zu Lucians
Panthea bekannt. ***)
Eine Anspielung auf gewisse Gebets-Formeln, welche mit gewissen Ceremonien verbun-
den, gewisse Krankheiten heilen sollten. Auch Leute, die nicht zum Pöbel gehören wollten, glaubten damals an solche Dinge, wie in gewissen Gegenden von Teutschland noch heutigs Tags der Religion und gesunden Vernunft zu Troz geschieht. Aus der humoristischen Art, wie Horaz hier
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zornmüthig, faul, verbult, dem Trunk ergeben, so wild ist keiner, daß er durch Kultur nicht milde werden könnte, wenn er nur die Hand die seiner pflegt nicht von sich stößt. Das Laster meiden ist schon Tugend, und von Thorheit frey zu seyn, der erste Grad der Weisheit. Was strengst du alle deine Nerven bis zum Kopfweh an, und sinnest, rechnest, wachst die Nächte durch, den Übeln zu entgehen 10
die dir die größten scheinen — ohne Würden und Rang zu seyn, und wenig zu versteuern! *) Wie unverdrossen rennst du dem Gewinn bis an den Ganges nach, fliehst ängstlicher die Armuth als den Tod, durch Klippen, Fluth und Feuer! Warum nicht lieber dem der besser denkt als du Gehör gegeben, und entbehren gelernt, was du aus Unverstand bewunderst? Wer wollte lieber sich mit Gassenjungen in Dörfern und auf ofner Straße balgen,
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als zu Olympia gekrönt sich sehn, zumal wenn ihm die Palme ohne Kampf **) geboten würde? Muß dem Gold an Werth das Silber weichen, wie vielmehr das Gold der Tugend? — Freylich nicht zu Rom! Da gehts aus einem andern Ton — „Ihr Herr’n und Bürger zuerst für Geld gesorgt, für baares Geld, dann gibt sichs mit der Tugend wohl von selbst!“ So ruft von einem Ende bis zum andern die Vorschriften der Philosophie mit diesen Magischen oder Talismanischen Heilungsformeln
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vergleicht, sollte man fast vermuthen, daß Mäcenas nicht ganz frey von diesem Aberglauben gewesen, und daß ihn Horaz deßwegen auf eine feine Art habe pläsantiren wollen. *) **)
D. i. arm zu seyn. Die Griechen nannten dieß akoniti o h n e S t a u b gekrönt werden, und also heißt auch im
Text sine pulvere. Dies begegnete zuweilen, wenn ein großer mehrmals gekrönter Fechter niemand fand, der sich mit ihm messen wollte.
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uns J a n u s * ) zu: so sangen unsre Alten, nun singen’s wir, den Beutel und die Rechentafel am linken Arm, der lieben Jugend vor. Denn siehst du, fehlen an zwölftausend Thalern dir **) nur drey bis vier vom Hundert — sey an Geist und Sitten noch so edel, sey beredt und brav und gut, so viel du willst — du bist und bleibst doch Pöbel! Gleichwohl hören wir die Kinder singen: w e r s a m b e s t e n m a c h t s o l l K ö n i g s e y n ! — Nun sag einmal, wer hat
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mehr Recht, das R o s c i s c h e G e s e z das unsern Adel nach zwölftausend Thalern berechnet, oder unser Kinderliedchen das dem Verdienst die Krone zuerkennt, das Kinderspiel, wobey d i e C u r i e r und d i e C a m i l l e r einst zu Männern wuchsen? Wer rathet dir nun besser, der dich Geld erwerben heißt — in Ehren freylich, wenn sichs thun läßt, doch, wo nicht, auf welche Art, nur Geld! um näher bey den thränenreichen Stücken des
Pupius***)
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zu sitzen — oder der,
der dich durch seiner Lehren, seines Beyspiels Kraft *)
J a n u s hatte drey Statuen auf dem Römischen Markte, oben, unten, und in der Mitte, bey
der Basilica des Paulus, wo die Wechsler und Geldverleiher (Foeneratores) ihre Tische und Buden hatten. Und hier stand auch ein Tempel dieses Schuzpatrons der Kaufleute. **)
Die Schatzung (Census) der Römischen Ritter war 400000 Sestertien; d. i. man mußte
wenigstens d i e s e Summe haben, um zum Ritterstand gehören zu können. Wer weder Patricius noch Ritter war, gehörte zum gemeinen Volk. Eine von den Prärogativen der Ritter war, daß sie bey den Schauspielen in den Circis und Amphitheatern ihre eigene Reyhen von Sitzen hatten, und näher am Schauplaz saßen als das gemeine Volk. ***)
P u p i u s war ein Tragödienschreiber zu Horazens Zeit, von dem wir weiter nichts mehr
wissen, als daß er sich viel darauf zu gut gethan haben muß, daß die Leute in seinen Stücken viel weinen mußten, wie man aus einer Art von Grabschrift sehen kann, die er auf sich selbst gemacht und die uns der Scholiast A k r o n aufbehalten hat. Flebunt amici et bene noti mortem meam, Nam populus in me viuo lacrymavit satis,
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geschikt macht, einer freyen Seele edeln Stolz dem Übermuth des Glüks entgegen zu stellen? — Sollte übrigens das Röm’sche Volk mich kleinen Bürger etwa fragen wollen: Warum ich anders von den Dingen denke als meine Obern, und nicht auch was sie begehren oder fliehn, begehr und fliehe? So würd ich ihm aus Reinke Fuchsens Munde die Antwort geben, der zum kranken Löwen sprach: 10
Die Spuren schrecken mich, die alle einwärts in deine Höle gehen, keine wieder zurück. Du bist ein Thier mit vielen Köpfen! Wem soll ich folgen? dieser zieht mich da ein andrer dort hinaus. Die einen lüstern nach Pachtungen des Staats, brigieren Kontracte (wo ein Tempel aufzuführen ein Sumpf zu troknen, ein Kanal zu graben, ein Leichbegängnis anzuordnen ist) *). Noch andre suchen alte geizge Wittwen
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ins Garn zu locken, oder reiche Greise einander wegzuangeln; wieder andre macht unvermerkt geheimer Wucher fett. Doch daß Verschiedne auf verschiednen Wegen das fliehende Gespenst des Glüks verfolgen, begreift sich noch. Allein, wenn dir ein Mann nicht eine Stund in seinem Wege bleibt, wie dann? Laß einen Reichen sagen: in der Welt d. i. „Wenn ich sterbe, mögen meine Freunde und guten Bekannten weinen; das Volk hat genug über mich geweint so lang ich lebte.“ Diese zwey Verse sagen uns ungefehr was Pupius war, und
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lassen wohl keinen Zweifel übrig, daß Horaz ihn und seine lacrymosa poemata hier nur aus Spötterey anführe. *)
Was hier eingeschaltet worden, ist zwar bloße Auslegung dessen was Horaz mit zwey Worten
sagt conducere publica, diese Einschaltung war aber nöthig um verständlich zu seyn. Weil man eigentlich nicht für diejenigen übersezt die das Original lesen können, so ist dies öfters der Fall.
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ist doch kein Winkel, der an Anmuth dem von B a j ä gleicht — straks wird das arme Meer und der Lukrinersee die Würkungen des raschen Einfalls spüren: Tausend Arme sind auf einmal in Bewegung. Übernacht kriecht durch die Leber ihm ich weis nicht was, so spricht er morgen zu den Arbeitsleuten: Führt euern Werkzeug nach Theanum *) ab, wir bauen dort. Wird auf die nächste Nacht sein Brautbett aufgeschmükt, so geht, nach ihm,
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nichts über ledig seyn; ist ers, so schwört er hoch, der Ehstand sey der einzge Stand worinn ein Mann noch glüklich leben könne. Mit welchem Knoten soll ich fest ihn halten den Proteus, der nicht einen Augenblik derselbe bleibt? Sogar der Arme (lache nur! auch Armut schüzt vor dieser Thorheit nicht) verwechselt wenigstens, so oft er kann, sein Stübchen unterm Dach, sein hartes Bette, Barbier und Bad, und macht in einem Marktschif,
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worinn er seinen Platz um wenig Dreyer bezalt, den Zärtlichen, troz einem reichen Manne in seiner eignen prächtigen Galeere. Wohin nun? fragst du mich, mit aller dieser Philosophie! — Das sollst du gleich erfahren. Begegn’ ich dir vielleicht einmal mit übel geschnittnen Haaren auf dem Plaz, so lachst du: Sizt mir die Toga ungleich auf den Schultern, gukt unter meinem wollenreichen Rocke ein abgetragnes Wamms hervor — so werd’
*)
Ein Städtchen mitten in Campanien, und also weit genug von Bajä, wo der unbestandige
Römer, von welchem die Rede ist, in die See hineinbauen wollte, weil auf dem mit Landhäusern schon bedekten festen Lande in dieser zauberischen Gegend kein Raum mehr war.
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ich ausgelacht. Hingegen mag’s im Innern so schlecht stehn, meine Seele mit sich selbst so uneins seyn als möglich, lieben, was sie kaum gehaßt, verschmähen was sie kaum noch liebte, nach keiner Regel keinem Endzweck leben, stets wieder niederreißen was sie mühsam baute, kurz, rund und eckicht durch einander mischen; da lachst du nicht. Das ist das allgemeine, heißts dann; dir fällt nicht ein, daß ich des Arztes 10
bedürfe, oder daß der Prätor mich in Zeiten bevogten sollte. Gleichwohl nimmst du Antheil an mir, als einem Freund der ganz an deinen Augen hangt, und warmen Antheil. Denn wenn ein Nagel nur an mir nicht recht geschnitten ist, so steigt dir schon die Galle. So bleibt es denn dabey, der Weise ist nach Jupitern der zweyte Mann der Welt: ist reich und edel, frey und schön, und König der Könige, und, sonderlich, gesund!
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bedungen, daß ihn nicht der Schnuppen plage. *)
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Wer das Jovialische in dieser abgebrochnen Manier, eine Epistel, worinn er einem M ä c e n ,
unter dem Schein sich zu entschuldigen, so viele treffende Wahrheiten gesagt hatte, zu schließen — sie mit einem Scherz zu schließen, der die Stoiker (eine damals nicht beliebte Art von Philosophen) auf eine feine Art lächerlich macht, ohne der Wahrheit zu nahe zu treten — und durch diese Launische Art zu schließen das Harte seiner Stoischen Moral, zu mildern und gleichsam zu verwischen — ich sage, wer in diesem allem, so wie in der ganzen Epistel, die höchste Urbanität und den feinsten Ton der Zeit des Augusts nicht von selbst fühlt, dem wird es kein Commentator fühlbar machen.
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Der Teutsche Merkur vom Jahr 1781. Ihro Römisch-Kayserlichen Majestät zugeeignet. Mit Königl. Preuß. und Churfürstl. Brandenburg. gnädigstem Privilegio.
Drittes Vierteljahr. Weimar.
Der Teutsche Merkur. Heumond 1781.
A t h e n i o n , genannt A r i s t i o n , oder das Glück der Athenienser unter der Regierung eines Philosophen. Unter die gelehrten Weidsprüche, die auf das Wort irgend eines großen Mannes, der sie zuerst gesagt hat, und um des blendenden Sinns willen, den sie beym ersten Anblick von sich werfen, ohne weitere Untersuchung für gut angenommen werden, gehört auch das bekannte: Felix Respublica ubi aut Philosophi imperant, aut Imperantes philosophantur; d. i. Glüklich sind die Staaten, wo entweder die Philosophen regieren, oder die Regenten philosophiren. Friede sey mit der Asche des ehrlichen Mannes, aus dessen Munde oder
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Feder dieses weise Wort zum ersten hervorgegangen! Ich bin gewiß, der Mann hätte mit gutem Gewissen schwören können, daß er eine große Wahrheit zu sagen glaubte — und ich selbst wollte darauf schwören, daß er e i n P h i l o s o p h war, und daß sein gnädiger Herr oder seine Gnädigen Herren — n i c h t philosophierten. Ich denke nicht, daß hier erst zu fragen sey, was er unter e i n e m P h i l o s o p h e n verstanden habe. Hätte er nichts weiter mit seinem Spruche sagen wollen, als: ein Volk sey glüklich das von einem Weisen Manne weislich regiert werde: so hätte er eben so wohl gethan, nichts zu sagen. Denn wer wird mit einer solchen Emphase und als ob er da eine gar wichtige neue Wahrheit zu
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Tage gefördert habe, sagen: Weisheit ist besser als Unweisheit. Aber ganz gewiß war das auch seine Meynung nicht. Er verstund unter einem Philosophen keinen We i s e n , sondern was man von jeher unter einem Philosophen verstanden hat, einen Mann der sich auf Philosophie gelegt hat und Philosophie treibt: so wie man unter einem Arzt nicht einen Mann meynt, der selbst gesund ist und alle Kranken gesund macht, sondern einen der die Arzneykunst gelernt hat und treibt so gut er kann und weiß; oder wie man nicht denjenigen einen Schiffer nennt, der sein Schiff glüklich und wohlbehalten an Ort und Stelle führt, sondern den, der die Kunst versteht ein Schiff zu führen. Vorausgesezt also daß in vorbesagtem Weidspruch das Wort Philosoph weder mehr
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noch weniger bezeichnet, als einen Mann, der, nach C i c e r o’ s Erklärung, die Wissenschaft aller göttlichen und menschlichen Dinge, oder nach Wo l f e n s , die Wissenschaft aller möglichen Dinge in sofern sie möglich sind, zu seiner Profeßion gemacht hat: so sehe ich eben nicht ein, warum ein Staat unter dem Scepter eines Philosophen glüklicher seyn sollte als unter irgend einem andern Ehrenmann, der soviel Verstand hat seine rechte Hand von seiner Linken zu unterscheiden. Daß die Philosophen andrer Meynung sind, und daß es ihnen, w e i l sie andrer Meynung sind, an Gründen, ihre Meynung aufzustutzen, nicht fehlen könne, laß ich gerne gelten. A r i s t o x e n u s , d e r M u s i c u s , be10
hauptete: die Seele sey ein Accord und das Universum eine große Harfe, auf der die Natur Solo spiele! Einem Manne, der so partheyisch für seine Kunst dachte, war es gewiß nicht zuviel, auch zu behaupten oder doch wenigstens zu glauben, die Staaten würden am glüklichsten seyn wenn sie von lauter Tonkünstlern regiert würden. Und der französische Ta n z m e i s t e r , der unmöglich begreiffen konnte, was die Königin Anna an Herrn Robert Harley gesehen haben könnte, daß sie ihn zu ihrem ersten Minister gemacht da er doch der größte Schöps auf seinem Tanzboden gewesen — ich bin versichert, daß in den Augen dieses ehrlichen Mannes ein guter Tanzmeister geschikter war die Welt im Gang zu erhalten, als die sämtlichen Mitglieder aller Akademien der Wis-
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senschaften in Europa. Es ist nun einmal nicht anders: Jedermann ist öffentlich oder heimlich für die Profeßion die er treibt, und für die Classe zu welcher er gezählt wird, eingenommen: Warum sollten’s die Philosophen, die doch unstreitig soviel vor uns andern voraus haben, weniger seyn? Der kürzeste und sicherste Weg über diesen Punct hinter die Wahrheit zu kommen, ist wohl dieser, daß man sich umsehe, wie glüklich die Staaten gewesen sind denen es so gut worden ist von Philosophen regiert zu werden. Soviel ich weiß, ist der Fall noch nicht oft vorgekommen. Aber desto auffallender und vorstechender wird ohnezweifel auch das Glück solcher Staaten gewesen seyn. Mir ist davon ein Beyspiel bekannt, das zwar etwas alt, aber
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vielleicht das Merkwürdigste in seiner Art ist das die Geschichte aufzuweisen hat. Da zu vermuthen ist, daß der Philosoph, den ich meyne, wenigstens 99 von 100 meiner werthen Leser gänzlich unbekannt sey: so will ich Ihnen seine Geschichte umständlich genug erzählen, um sie eben so bekannt mit ihm zu machen, als ob sie das Glük gehabt hätten selbst unter seiner Regierung zu leben — mit der vorläuffigen Versicherung, daß Sie Sich auf die historische
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Wahrheit aller Umstände, so außerordentlich und mährchenhaft sie auch zum Theil klingen mögen, so gut als bey irgend einem andern Stück alter Geschichte verlassen können. Ungefehr 130 Jahre vor der christlichen Zeitrechnung lebte zu A t h e n ein gewisser A t h e n i o n , Bürger und Philosoph daselbst; denn er gehörte zu der Schule des P e r i p a t e t i k e r s , E r y m n ä u s , von dessen Leben und Thaten aber weiter nichts bis zu uns gekommen ist, als „daß er, ungefehr um diese Zeit der Schule des Aristoteles, oder dem sogenannten L y c e u m vorgestanden haben soll.“ Dieser Athenion schafte sich in seinen alten Tagen eine ägyptische Sclavin an; diese Sclavin gebahr, nach einiger Zeit, einen Sohn; und
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dieser Sohn, der nach dem Namen seines Patrons A t h e n i o n genennt wurde, ist der Held der gegenwärtigen Geschichte. Wer auch der Vater seyn mochte, vermuthen läßt sich wenigstens daß es der Philosoph Athenion so gut seyn konnte als ein anderer; und daß er es vielleicht selbst glaube schlossen viele daraus, weil er den jungen Menschen, nachdem er herangewachsen war, in besondere Affection nahm, und zulezt sogar zum Erben einsezte. Indessen wollen wir denen, welche vielleicht, um der Ehre der Peripatetischen Philosophie willen, lieber sehen möchten daß der alte Athenion schußfest gegen die Reize der Ägyptischen Magd geblieben wäre, unverhalten lassen: daß seine Freygebigkeit gegen den Sohn seiner Sclavin eben sowohl die
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bloße Erkenntlichkeit für die besondere Treue, womit ihm der junge Mensch zugethan war, als ein stärkeres natürliches Gefühl zur Quelle gehabt haben könne. Denn die Geschichte sagt: als der Philosoph endlich vor hohem Alter schwach und unvermögend geworden, habe Athenion ihn überall wo er gegangen und gestanden an der Hand geführt, und Mutter und Sohn hätten ihm bis ans Ende alle die Treue und Hülfleistung bewiesen, die er nur immer von der zärtlichsten Gattin und dem dankbarsten Sohn hätte erwarten können. Diese besondere Treu und Ergebenheit konnte von Seiten des jungen Menschen die bloße reine Würkung seiner Dankbarkeit gegen seinen alten Wohlthäter seyn; sie konnte aber eben sowohl die bloße reine Würkung seiner Neigung zur Verlassenschaft desselben seyn. Wir erinnern dieses beyläuffig denen zu Lieb, welche (mit weniger Menschenkenntnis als Gutherzigkeit) immer geneigt sind von jedem Schein der Tugend das Beste zu denken, und sich dadurch der Unlust aussetzen unter zehn Fällen gewöhnlich sieben oder achtmal richtig betrogen zu werden. Wahr ists daß sie dafür auch von jedem Schein
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des Bösen das ärgste zu denken pflegen, und nicht wenig betroffen sind, wenn sich (wie öfters) am Ende zeigt, daß unter Zween der den sie für den bösen Menschen ansahen, der Gute, und der für dessen Rechtschaffenheit sie sich verbürgt hätten der Bösewicht ist. Wie dem aber auch in gegenwärtigem Falle seyn möchte, genug der Sohn der Egyptierin fand nach dem Tode des Alten, dessen präsumierter Sohn und Erb er war, Mittel sich das Atheniensische Bürgerrecht zu verschaffen; welches in diesen Zeiten nicht mehr so wichtig als im Jahrhundert des Perikles und Demosthenes, und daher auch leichter zu erhalten war. Da er zu solchem 10
Ende in eine von den Atheniensischen Zünften eingeschrieben werden mußte; so vertauschte er bey dieser Gelegenheit seinen bisherigen Namen Athenion mit A r i s t i o n , den er in der Folge immer geführt hat, und unter welchem er bey den Alten welche von ihm sprechen vorkömmt. Der junge Mann war, wie es scheint, mit allen den Gaben gebohren, womit die Natur, nach der Meynung des Philosophen Va n i n i , seines gleichen für die Strenge der Gesetze und des Vorurtheils schadlos hält. Die Kultur dieser Gaben, und der kluge Gebrauch den er davon machen würde, waren der einzige Weg, auf dem er aus der Dunkelheit auftauchen konnte, wozu ihn Geburt und Umstände sonst verurtheilt hätten. In dem Hause eines Mannes erzogen,
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der die philosophischen Wissenschaften, wie es scheint *) mehr aus Liebhaberey als um Gewinns willen trieb, und der sein ganzes Leben gleichsam im L y c e u m zugebracht — hatte er vermuthlich von dem, was damals zur Encyklopädie der Peripatetischen Schule gehörte, schon soviel begriffen; daß er, nach dem Tode seines Vaters, Muth genug in sich fühlte, selbst eine Schule zu eröfnen, und nach unsrer Art zu reden, den Professor der Philosophie und der schönen Wissenschaften **) zu machen. Er widmete sich also dieser Lebensart mit eben soviel Eyfer als Erfolg, zog viele junge Leute an sich, lehrte öffentlich zu Messana und Larissa, und verdiente viel Geld. Mit diesem Geld und mit einem ziemlich bekannt gewordenen Namen kehrte er nach Verfluß einiger
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Jahre in die M i n e r v e n s t a d t zurück; wo er sich durch seinen lebhaften geschmeidigen und unternehmenden Geist und durch seine Wohlredenheit gar *)
Uns dünkt wenigstens, es lasse sich dies aus der Art, wie sich A t h e n ä u s darüber ausdrükt,
schließen. **)
Denn dies ists was man, zu des Athenäus Zeiten, durch das Wort, sofisteyein, verstanden zu
haben scheint.
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bald bey einem Volke in Ansehen zu setzen wußte, über welches Wiz und Beredsamkeit von jeher Alles vermochten. Ich hätte beynahe einen kleinen Umstand vergessen, welchen ich gleichwohl nicht übergehen darf, da ein Philosoph wie P o s i d o n i u s in seiner Erzählung der Lebensumstände des Aristion, wovon uns A t h e n ä u s den Auszug liefert, dessen nicht ohne Absicht, wie es scheint, Erwähnung thut. A r i s t i o n fieng nemlich seine neue Lebensart damit an, daß er e i n s c h ö n e s j u n g e s M ä d c h e n (paidiskarion eymorfon) h e u r a t h e t e — eine Handlung, die ihm, in sofern als er das Mädchen h e u r a t h e t e , noch sogar zum Verdienst angerechnet werden könnte; denn das war mehr als sein eigner Vater
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gethan hatte; — wenigstens wär’ es einem Philosophen aus der Peripatetischen Schule, welche, bey Berechnung dessen was das S u m m u m B o n u m eines weisen Mannes ausmache, den bonis c o r p o r i s ihr volles Drittel einräumte, so wenig als irgend einem andern ehrlichen Manne, übel auszulegen. Aber A r i s t i o n war (wie wir in der Folge sehen werden) ein Mensch, dem man mit vieler Wahrscheinlichkeit zutrauen kann, er habe bey der Heyrath mit der schönen jungen D i r n e noch eine kleine sophistische Nebenabsicht gehabt, die seiner Klugheit mehr Ehre macht als seinen Sitten — nemlich (um es nur heraus zu sagen) keine geringere, als junge Leute von Stand und Vermögen, auf welche er nun eigentlich J a g d m a c h e n wollte, desto leichter ins Garn zu
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locken. Wenigstens scheint es, Posidonius hätte sich, wenn er eine so unehrbare Sache auf eine nicht ganz unehrbare Art zu verstehen geben wollte, kaum verständlicher ausdrücken können. *) Auch der Umstand, daß er Athen verließ und seine sophistische Bude in entlegenen Orten aufschlug, bestärkt diesen Verdacht. Die Athenienser sollten keine Augenzeugen davon seyn, w i e er das Vermögen erworben womit er zu ihnen zurükkehrte. Ein Mensch bleibt immer verächtlich, dem man, in der Operation sich durch niederträchtige Mittel zu bereichern, gleichsam Schritt vor Schritt zugesehen hat. Erscheint er aber nach einer langen Abwesenheit auf einmal wieder als einer der sein Glük gemacht hat, so läßt sich die Menge immer vom Glanz des Goldes blenden, und fragt wenig darnach wie es erworben worden.
*) Ghmaw de paidiskarion eymorfon, meta toytoy prow to sofisteyein v ë rmhse, meirakia sxolastika uhreyvn. Mich däucht dies sagt deutlich genug daß sie an der Sophistischen Jagd ihres Mannes auf
junge Leute A n t h e i l gehabt — Das w i e ? ergiebt sich dann aus der Natur der Sache.
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Als Aristion nach Athen zurük kam, befand sich Griechenland am Ausbruch einer Krisis, welche der Gestalt seiner Angelegenheiten, ja der ganzen Verfassung von Europa und Asia eine wichtige Veränderung anzukündigen schien. Seitdem Roms große und unversöhnliche Mitwerberin um die Oberherrschaft, K a r t h a g o , gefallen, und A n t i o c h u s d e r G r o ß e gedemüthigt und jenseits des Gebürges Taurus eingeschlossen worden war, schien nun Alles dem glüklichen Genius dieses wundervollen Freystaats weichen zu müssen. Aber das Schiksal, oder richtiger zu reden, der Römer eigne Herrschsucht (die 10
keine andre Grenzen des Römischen Reiches anerkannte als wo die Natur aufhörte Menschen hervor zu bringen) erwekte ihnen einen neuen Feind, und einen der furchtbarsten der sich ihnen jemals entgegengestellet hatte, in der Person des Königs von Pontus, M i t h r i d a t e s , dem seine außerordentlichen Eigenschaften den Beynamen des G r o ß e n erwarben; eine zweydeutige Ehre, die fast immer zu sehr auf Kosten des menschlichen Geschlechts erworben worden ist, um von einem guten Menschen gesucht oder beneidet zu werden. Der große Alexander selbst hatte nichts vor ihm voraus als sein Glük; und auch in diesem schien ihm Mithridates eine Zeitlang gleich zu seyn. Die Römer konnten den Ehrgeiz dieses Fürsten — der weder mit dem höf-
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lichen Vasallen-Namen eines Freundes und Bundesgenossen des Römischen Volkes, noch mit den erweiterten Grenzen, die sein Vater von demselben empfangen hatte, zufrieden war — eben so wenig ertragen, als Mithridates den übermüthigen Stolz *) dieser Bürger einer Italiänischen Stadt, die von den Ufern des Tybers sich zu Richtern über die entferntesten Könige aufwarfen, und entschlossen schienen nicht eher zu ruhen, bis sie es dahin gebracht hätten von den Trümmern der größten Thronen herab der ganzen Welt Gesetze vorzuschreiben. Bey solchen gegenseitigen Gesinnungen konnt’ es an Gelegenheit zum Ausbruch nicht fehlen. Kappadozien, woraus der König von Pontus den K. A r i o b a r z a n e s , den
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die Römer beschüzten, vertrieben hatte, gab den ersten Vorwand: im Grunde *)
„Entweder, o König, versuche größer zu werden als die Römer, oder befolge
s t i l l s c h w e i g e n d w a s s i e d i r b e f e h l e n “ sagte M a r i u s zum König Mithridates. Der König stund wie vom Donner gerührt, sezt Plutarch (der dies erzählt) hinzu; denn er hatte zwar schon vieles von den Thaten der Römer gehört; aber dies war das erstemal, daß er mit eigenen Ohren hörte, aus welchen Ton sie mit seinesgleichen zu s p r e c h e n pflegten.
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aber war es (wie M a r i u s dem König auf gut Römisch unter die Augen gesagt hatte) darum zu thun, ob die Römer den Mithridates oder Mithridates die Römer zwingen könnte, der Unabhänglichkeit zu entsagen. Der ehrsüchtige Fürst durch seine Verbindung mit dem Könige von Armenien, und durch freywilligen oder erzwungnen Beystand vieler andern Asiatischen Völker verstärkt, zog gegen die Römer mit einem Heer zu Felde, in welchem man bis auf zwey und zwanzig Nationen von verschiednen Sprachen *) zählte. Der Moment, in welchem er diese gebohrnen Feinde des königlichen Namens, welche außer der M a j e s t ä t d e s R ö m i s c h e n Vo l k e s keine Majestät erkennen wollten, zu demüthigen hoffte, konnte für sein Vorhaben nicht gün-
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stiger seyn. Die Römer, waren seit ungefehr zwanzig Jahren zuerst durch den Krieg mit dem Numidischen Fürsten J u g u r t h a — dann durch die Noth, das Herz ihres Reichs gegen unzählbare Horden unbändiger Wilden zu vertheidigen, welche Fluthenweise aus Germanien in Gallien eingedrungen waren, und Italien zu überschwemmen drohten — endlich durch den blutigen Marsischen Krieg (oder den Krieg mit ihren mißvergnügten und empörten Italiänischen Alliirten) worinn Italien in wenig Jahren über 300,000 streitbarer Männer und Jünglinge verlohren hatte — die Römer, sage ich, waren durch dies alles außerordentlich erschöpft worden; und noch war eben ein neuer fürchterlicher Bürgerkrieg zwischen M a r i u s und S u l l a ausgebrochen, der
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dieser Republik in ihren eignen Eingeweiden den Untergang drohte. Hierzu kam noch der tödtliche Abscheu, womit die Völker des kleinen Asiens gegen den Römischen Namen erfüllt waren; ein Abscheu, der jedem zu ihrem Befreyer sich aufwerfenden Erobrer die Thore aller Städte dieser reichen und von Menschen wimmelnden Provinzen zu öfnen versprach. Mithridates säumte sich nicht, sich diesen Zusammenfluß günstiger Umstände zu Nutze zu machen; und glüklicher weise für ihn waren die ersten Römischen Feldherren, die sich ihm entgegenstellten, keine S u l l a noch L u c u l l e . Er schlug sie zu verschiednenmalen, vernichtete ihre Armeen, und begegnete den Heerführern Oppius und Aquilius so grausam und so sehr wider alles was unter Menschen und Völkern Sitte ist: daß man schon daraus genugsam abnehmen konnte, daß seine Unternehmungen nicht einen billigen *)
Die M u n d a r t e n waren ohne Zweifel mitgerechnet; zumal wenn wahr seyn soll, was J u -
s t i n u s sagt: daß Mithridates alle diese Sprachen geredet habe.
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Frieden, sondern Rom’s Untergang zum Ziele hatten, und sich mit diesem — oder seinem eignen enden würden. Wir haben die Athenienser und den Philosophen Aristion einen Augenblik aus dem Gesichte lassen müssen: weil es, da doch der Angelegenheiten des Mithridates Erwähnung geschehen m u ß t e , anständiger war, dem Leser die Erinnerung an die Geschichte dieses berühmten Römer-Feindes durch etliche Federstriche zu erleichtern, als ihn an Bücher zu verweisen, die er izt vielleicht weder Lust noch Gelegenheit hat, nachzuschlagen. Wir kehren, nach diesem kleinen Absprung erst zu den Atheniensern, und dann zu unserm So10
phisten zurück. Es war ungefehr zweyhundert und vierzig Jahre seit die Griechen durch die berühmte Schlacht bey Chäronea ihre Freyheit verlohren — und über hundert, seit sie Etwas der Freyheit ähnliches durch den Römischen Consul F l a m i n i u s , wieder erhalten hatten. A t h e n hatte während aller dieser Zeit mancherley abwechselnde und zum Theil sehr widrige Schiksale erfahren. Sie war noch immer eine der größten, volkreichsten und herrlichsten Städte in der Welt; noch immer, wenigstens dem Namen und Andenken nach, d i e S t a d t d e r M i n e r v a , die Mutter und Pflegerin der Künste und der Wissenschaften: aber der Geist den ihr, etliche Jahrhunderte zuvor, einige große Männer ein-
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gehaucht hatten, war schon lange verflogen, und Athen hatte aufgehört große Männer hervorzubringen. Der edle schöne Charakter, welchen Perikles und Isokrates dem Atheniensischen Volke beylegen, war erst d u r c h d i e D e m o k r a t i e , hernach unter der Oberherrschaft der Macedonischen Fürsten, stufenweise so ausgeartet: daß jene alten Athenienser, die mit Aristides, Themistokles und Cimon den größten König von Asien gedemüthigt hatten — die Athenienser die dem A n t i g o n u s und D e m e t r i u s bey lebendigem Leibe einen eigenen Priester bestellten, und sie, als Schuzgöttern ihrer Stadt, der Minerva und den Eleusinischen Göttinnen an die Seite sezten, gewiß nicht für ihre Nachkommen erkannt haben würden. Das Herz empört sich, wenn man
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beym Plutarch bald die übermüthigen Bübereyen bald die knechtischen Niederträchtigkeiten ließt, welche sie sich nicht schämten zu begehen, um dem Demetrius Poliorcetes heute die unbesonnenste Verachtung, morgen die ausschweifendste Verehrung und Unterwürfigkeit zu bezeugen. Indessen blieb doch die Idee der Freyheit immer die D u l c i n e a dieses leichtsinnigen Volkes, ungeachtet sie mit Händen greifen konnten, daß die Zeit schimmernde Einwürfe zu machen für sie vorüber sey. Athenion, genannt Aristion
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So schwärmerisch ihre erste Dankbarkeit gewesen war, als sie Flaminius von dem Joche des Königs Philippus befreyte; so konnten sie sich doch bey kälterm Blute des Gefühls nicht erwehren, daß die Freyheit, die man ihnen g e s c h e n k t hatte *) nicht viel besser als eine Kinderpuppe sey; und alle hellenisierende Politesse, königliche Freygebigkeit und herablassende Gefälligkeit, wodurch der Sieger des Perseus, P a u l u s E m i l i u s , die Römische Majestät zu mildern und ihr das Verhaßte zu benehmen suchte, alle Wo h l t h a t e n , welche sie vor andern griechischen Städten von ihm empfangen hatten — erzeugten, eben darum weil es Wo h l t h a t e n waren, bey einem so flüchtigen, veränderlichen, und auf seine ehemalige Größe so eitelstolzen Volke,
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nur eine vorüberrauschende Erkenntlichkeit, welche alle Augenblike bey dem geringsten Anschein sich wieder unabhängig zu machen in Haß und Empörung umschlug. Das widersinnigste bey diesem allen war, daß sie durch so viele Erfahrungen, wie sie sich bey jedem ihrer vielen Befreyer so wenig besser als vorher befunden und im Grunde nur einen neuen Beherrscher um den Alten eingetauscht, nicht klüger geworden sondern immer bereit waren, auf eigene Kosten einen neuen eben so vergeblichen Versuch zu machen; wiewohl es nur von ihnen abhieng, zu sehen, daß in ihren Umständen und bey der damaligen Lage der Sachen gar nichts mehr zu versuchen war. So waren die Athenienser, und so waren die meisten Griechischen Städte in
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Asien und in der eigentlichen H e l l a s beschaffen und gestimmt; als Mithridates sich ihnen, gleichsam aus hoher glänzender Ferne, als einen neuen Befreyer von der Oberherrschaft eben dieser Römer zeigte, denen sie kurz vorher so ergeben gewesen waren. Ein glattzüngiger Volksredner brauchte ihnen nur in der Hand dieses Fürsten das Zauberbild der Unabhänglichkeit mit hellen fröhlichen Farben vorzumahlen, um sie, in der Trunkenheit der ausschweifendsten Hoffnungen, zu Maasnehmungen zu treiben, welche gerade das Gegentheil ihrer Wünsche hervorbringen mußten; und es war Nichts was sie in einem solchem Taumel nicht zu thun und zu leiden fähig waren. Dies war immer ihr Fehler und ihr Unglük gewesen. Schon S o l o n hatte ihnen, als *)
Die Griechischen Republiken wurden von den Nachfolgern Alexanders von Zeit zu Zeit so
beschenkt. Aber meistens hatte man ihnen vorher alles genommen was dem Geschenk einen Werth hätte geben können. S t i l p o n , sagte D e m e t r i u s zu dem bekannten Philosophen dieses Namens in Megara, ich lasse euch eure Stadt frey. Das ist wahr, versetzte Stilpon, denn du hast uns nicht einen einzigen Knecht übrig gelassen.
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sie sich von Pisistratus bethören ließen, in einer von seinen Gesezgeberlichen Satyren den Vorwurf gemacht: Immer schaut ihr dem Mann nur auf die schmeichelnde Zunge, Immer auf das was er spricht, nimmer auf das was er thut. Schlau wie der Fuchs ist jeder für sich: doch Alle zusammen, Fahrt ihr, wie Blasen voll Luft, leicht an Verstande daher.
Die Verse sind auch im Original nicht die schönsten: aber sie sagten den Atheniensern eine Wahrheit, die durch ihre ganze Geschichte bestättigt wird. Der erste also, der ihnen den Eroberer M i t h r i d a t e s — nach ihren eigenen 10
Begriffen einen B a r b a r n , der nur über K n e c h t e zu herrschen gelernt hatte — in dem Licht eines Befreyers und Schuzgottes zeigte: machte sie im nehmlichen Augenblik aller Verbindlichkeiten, so sie den Römern hatten, vergessen. Eben diese Freundschaft mit Rom, auf welche sie kaum noch stolz gewesen waren, schien ihnen izt die schimpflichste unerträglichste Knechtschaft. Mithridates, wurde nun der Abgott an den die Reyhe kam. Für ihn, für seine Waffen und Entwürfe, beeyferten sie sich nun aufs lebhafteste; und so wie sie ehmals, aus lauter Dankbarkeit für ihre wiedergeschenkte Demokratie, die ersten waren, die den Antigonus und Demetrius zu K ö n i g e n ausriefen: so lag es auch izt gewiß nicht an ihnen, daß Mithridates, von welchem sie
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das nehmliche Geschenk zu erhalten hoften, nicht auf der Stelle überall zum allgemeinen Herrn der Welt ausgerufen wurde. Der Mann, der sie in diesen neuen Anfall von Schwärmerey sezte, war der Philosoph A r i s t i o n ; der (wie gesagt) seit seiner Zurükkunft, durch seine Beredsamkeit, und durch die Figur die er mit seinem auswärts erworbenen Gelde machte, sich bey dem Atheniensischen Volke in Ansehn zu setzen gewußt hatte. Man sieht aus der Art seines ganzen Verfahrens, daß er nach einem Plan handelte, von dessen Entwiklung die leichtsinnigen V ö g e l d e s A r i s t o p h a n e s sich wenig träumen ließen; wiewohl der Knoten mit allem Fleiße so geschlungen war, daß er sich just auf d i e s e Art entwickeln m u ß t e .
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Er fieng damit an, daß er die Athenienser die Nothwendigkeit fühlen machte, sich in Zeiten um die Freundschaft eines Monarchen zu bewerben, der vermuthlich in kurzem das Schiksal von Griechenland ja vom ganzen Europa in seiner Hand haben würde. Dieser Punct war, so wie die Sachen damals
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stunden, leicht zu erhalten. Die Angelegenheiten der Römer schienen nie mißlicher ausgesehen zu haben. Mithridates gieng wie eine neue Sonne über dem politischen Horizont auf. Alle Griechische Städte richteten ihre Augen auf ihn; und die schlauen Athenienser wollten lieber unter den ersten als unter den lezten seyn, die sich bey ihm wichtig zu machen und in Gunsten zu setzen suchten. Die Frage war also, wen man an den König Mithridates abschicken sollte? Natürlicher weise den beredtesten Mann in Athen; folglich den A r i s t i o n . Dies zu erhalten, war der große Punct gewesen, und der Philosoph erhielts. Es war zwar nur der erste Schritt nach seinem Ziele, aber die übrigen machten sich von selbst.
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A r i s t i o n reisete also an Mithridats Hoflager ab und wurde sehr wohl empfangen. Denn dem eben so staatsklugen als tapfern und entschloßnen Fürsten — der die Tüken des Glüks kannte, und dessen Macht, im Grunde, doch immer von sehr zufälligen Combinationen abhieng — kam es auf Gefälligkeit und Liebkosungen nicht an, wo es darum zu thun war, die Parthey seiner Feinde zu schwächen und die seinige zu verstärken. Der König und der Philosoph wurden (wie man sich’s leicht vorstellen kann) bald einig: das ist, der König v e r s p r a c h was der Philosoph wollte, weil er wußte daß er immer Herr bleiben würde gerade soviel zu halten als ihm belieben würde; und der Philosoph, der die gute Disposition und Freundlichkeit des Königs der gehei-
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men Gewalt zuschrieb, die sein Verstand und seine Wohlredenheit über denselben ausübe, wünschte sich selbst zu seiner Geschiklichkeit Glück, den König unvermerkt (wie er sich schmeichelte) zum Werkzeug seiner eignen Absichten gemacht zu haben. Die Geschichte sagt zwar nichts ausdrüklich von dem Separat-Artikel, welchen der König und der Philosoph miteinander abredeten: aber es erhellet, däucht mir, aus dem ganzen Zusammenhang der Sachen, daß ein solcher Geheimartikel war, und daß er darinn bestand: Aristion sollte, mit Genehmigung und Beystand des Mithridates sich der höchsten Gewalt in Athen bemächtigen, und dafür Seiner Majestät in allen billigen und unbilligen Dingen gehorsam und gewärtig seyn. Mithridat war ein zu großer Herr, um sich viel darum zu bekümmern wer die Bürger von Athen unmittelbar beherrschte; und ein zu kluger Mann, um auf die Treue eines Verräthers Staat zu machen: aber es war izt bloß darum zu thun, die Athenienser mit der Lokspeise der Freyheit von den Römern abzuziehen. Die Unbeständigkeit dieser selbst in ihrem Verfall noch immer an-
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sehnlichen Republik war bekannt. So lange sie Republik blieb war nicht acht Tage auf sie zu rechnen. Sie mußte also, was man damals so hieß, einen Ty r a n n e n bekommen, und der Tyrann mußte ein Mann seyn der ohnehin schon viel beym Volke vermochte. A r i s t i o n schikte sich also am besten dazu. Sein eigenes Interesse nöthigte ihn dem König vor der Hand getreu zu seyn: und wie es auch in der Folge ausfallen möchte, genug daß Mithridates durch diesen Mann erreichte was jezt für den Moment seine Absicht war. Gieng sein Hauptplan glücklich durch, so blieb den Griechen ohnehin nichts anders übrig als sich an den Sieger anzuschmiegen; sollt’ es aber widrig ausfallen, so 10
halfen die Athenienser wenigstens dazu die Römer aufzuhalten; und er gewann indessen Zeit, sich in Asien desto mehr in Verfassung zu setzen. Der König war also bey diesem Geheimartikel immer der gewinnende Theil; und überließ es übrigens dem Atheniensischen Sophisten, wie gut oder schlecht er bey dem ganzen Handel fahren könnte. A r i s t i o n mußte bey dem allen sein Spiel sehr behutsam spielen, um seine wahre Absicht nicht irgendwo vor der Zeit durchscheinen zu lassen, und ein Volk dadurch scheu zu machen, das eben so eyfersüchtig über seine R e c h t e , als unbesonnen in seinen A n s c h l ä g e n und schwärmerisch in seinen L e i d e n s c h a f t e n war. Die Römer hatten noch immer eine Parthey in dieser
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großen Stadt *); zwar die geringste an der Zahl, aber an Ansehen und Einfluß beträchtlich genug, weil sie aus den Edelsten und Reichsten bestund, denen mit gefährlichen Veränderungen selten gedient ist. Das Volk fieng zwar wieder an den Meister zu spielen; und das, was ihm den Aristion ganz außerordentlich werth machte, war, daß er ihm in seinen von Hofe aus geschriebenen Briefen immer die stärkste Hofnung gab, die Demokratie — den ewigen Gegenstand ihrer Wünsche und Träume — durch Mithridats Unterstützung, wieder festgesezt zu sehen: Aber eben darum würde der kleinste Vorlaut von seinen geheimen Absichten alles verderbt haben. Die Fortsetzung nächstens.
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W. *)
Athen war nach der mäßigsten Berechnung, wenigstens um die Hälfte größer als das heu-
tige Paris.
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A t h e n i o n , oder das Glük der Athenienser unter der Regierung eines Philosophen. Fortgesezt von S. 22. des vorgehenden Stückes. A t h e n i o n , oder A r i s t i o n , wie er sich izt nennen ließ, war ein zu guter Aristotelischer Politicus, um die Maske des Patriotismus eher abzulegen bis sie ihm ihre völligen Dienste gethan, und ihn auf den Punct gebracht hatte, wo sie zu nichts mehr helfen konnte. Er hatte den Atheniensern in seinen gesandschaftlichen Berichten den großen König immer bloß in dem Licht eines großmüthigen Befreyers von dem Römischen Joche gezeigt; und, so wie die Athenienser größtentheils gesinnt waren, konnte sie nichts zurükhalten
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sich diesem in die Arme zu werfen als etwa die Ungewißheit, ob er auch mächtig genug sey, sie bey der U n a b h ä n g i g k e i t , welche sie von seiner F r e u n d s c h a f t erwarteten, gegen ihre ehmaligen F r e u n d e , die Römer, zu schützen. Allein dies konnte nun, da Mithridates Meister von ganz KleinAsien war, da er Alles was Römisch hieß an Einem Tage aus dem ganzen Umfang dieser weitläuftigen Provinzen vertilgt hatte *) und schon im Begriff *)
Dieser Tag war einer der unglüklichsten die den Römern seit Erbauung ihrer Stadt aufge-
gangen waren. Die Provinzen des kleinen Asiens wimmelten von Römern und Italiänern die das Römische Bürgerrecht hatten , welche Theils die Staatseinkünfte gepachtet, Theils sonst alle Arten von Lucrativen Geschäften in diesen reichen Ländern an sich gezogen hatten. Mithridates
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glaubte sich seiner neuen Eroberungen nicht eher versichert zu haben, bis er alles was Römisch hieß darinn vertilgt hätte. Er schikte also von Ephesus aus geheime Befehle an alle Stadthalter und Unterobrigkeiten der Provinzen und Städte in ganz Klein-Asien, vermöge deren auf Einen bestimmten Tag alle Römer, selbst die Weiber, Kinder und Sclaven nicht ausgenommen, überall ermordet werden sollten. Einen Erschlagnen Römer zu begraben oder einen Lebenden zu verbergen war bey hoher Strafe verboten. Ihr sämtliches Vermögen wurde zum Vortheil des Königs und der Mörder eingezogen. Wer einen verstekten Römer entdekte, erhielt eine Belohnung. Die Sclaven, welche ihre römischen Herren, und die Schuldner, welche ihre Gläubiger ermordeten, erhielten — jene die Freyheit, diese den Nachlaß der Hälfte ihrer Schuld, u. s. w. Der Haß der Asiaten gegen ihre Römischen Unterdrücker und Aussauger war ungefehr der — Liebe der Indianer in B e n g a l e n zu ihren Freunden den Engländern gleich, und bedurfte aller dieser Aufmunterungen nicht. A c h t z i g Ta u s e n d R ö m i s c h e B ü r g e r wurden an diesem schreklichen
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stund, mit einem siegreichen Heer und mit den glänzendsten Hoffnungen in Europa überzugehen, bey einem so lebhaften und einbildungsreichen Volke wie die Athenienser keine Frage mehr seyn. Izt war der Augenblik gekommen, den Aristion ergreiffen mußte, um sich zu gleicher Zeit seiner Verpflichtungen gegen den König zu entledigen und seinen eignen geheimen Entwurf auszuführen. Er eilte also in Person, als der Herold einer fröhlichen Botschaft, nach Athen zurück; und da er die Erwartungen seiner leichtgläubigen Mitbürger bereits hoch genug gespannt hatte, um gewiß zu seyn daß sie ihn mit schwär10
merischem Entzücken empfangen würden: so ließ er es auch auf seiner Seite an Nichts ermangeln, was diese seinen Absichten so günstige Disposition des Volkes unterhalten konnte. Er war zu sehr Philosoph, um nicht zu wissen wieviel viel man über die Menschen gewinnt wenn man sie zu rechter Zeit als K i n d e r zu behandeln weiß, ihre Sinne durch ungewöhnliche Eindrücke überrascht, und ihnen nicht Zeit läßt, sich selbst wegen der Bewegungen, wovon sie hingerissen werden, zur Rechenschaft zu ziehen. Der Sohn der Egyptischen Magd, vor kurzem noch ein bloßer Winkelschulmeister und einer der unbedeutendsten Menschen von der Welt, zog, unter einem unglaublichen Zusammenfluß von Zuschauern, die von allen Enden zu dieser prächtigen F a r c e
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herbeyströmten, in einem schimmernden Pupurkleide, auf einem Thron mit silbernen Füßen getragen, unter dem lautesten Freudengeschrey des Volkes, wie im Triumf zu Athen ein; und glüklich, wer sich am nächsten zu ihm hinandrängen und den Saum seines wallenden Purpurs berühren konnte! Denn der Mann kam, der ihnen d i e F r e u n d s c h a f t d e s g r o ß e n K ö n i g s verschaft hatte! Der Mann kam, der sie von den Schatzungen der Römer zu befreyen, ihre liebe Demokratie wiederherzustellen, und das schöne Athen zu seiner alten Macht und Herrlichkeit wieder zu erheben — v e r s p r o c h e n hatte! War dies nicht genug, die unmäßigste Freude zu erregen, und die ausschweiffendsten Ehrenbezeugungen zu rechtfertigen, die einem solchen
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Mann erwiesen wurden. Kaum daß man ihm Zeit gelassen hatte in seinem alten Quartier abzusteigen, so wurde er mit großem Gepränge in ein öffentliches Haus abgehohlt, wo Tage umgebracht — und diese Zahl ist noch die geringste die von den alten Geschichtschreibern angegeben wird.
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man ihm eine Wohnung anwies, die mit Tapeten, Mahlereyen, Bildhauerarbeit und silbernen Gefäßen aufs prächtigste versehen war. Bald darauf erschien, A r i s t i o n wieder in einem reichen Staatskleide, mit einem Ring am Finger auf dessen Stein der Kopf des Mithridates geschnitten war, mit einem großen Gefolge vor und hinter ihm her, und begleitet von einer Menge Volkes, die vor dem Hause auf ihn gewartet hatte. Mit diesem Pomp erhob er sich in den Tempel des Bacchus, wo die Gewerkschaft dieses Gottes *) dem König Mithridates, als d e m n e u e n B a c c h u s , * * ) und seinem Günstling Aristion zu Ehren, ein großes Fest angestellt hatten, und b e y d e n öffentlich L i b a t i o n e n * * * ) gebracht wurden. Ganz Athen schien sich in einem seltsamen Taumel
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von Freude und Erwartung herumzudrehen. Der K e r a m i k u s wimmelte von Einheimischen und Fremden. Man sprach von nichts als von Aristion und Mithridates, und von den großen Dingen die zum Heil Griechenlandes geschehen würden. Kluge Leute sahen ohnezweifel alle diese Ausschweifungen mit eben so nüchternen Augen an wie wir: aber sie mußtens am Ende machen wie die andern. Denn das Volk war in keinem Zustande worinn es rathsam gewesen wäre ihm widersprechen oder Mäßigung predigen zu wollen. Man konnte, glaubten sie, dem Günstling des neuen Weltbezwingers Bacchus-Mithridates nicht zuviel Ehre erweisen, sich nicht zuviel um die Gunst des Mannes bewer-
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ben, durch dessen Hand jeder was er wünschte von dem großen G e b e r a l l e s G u t e n zu erhalten hofte. Aristions Wohnung war dem Tempel eines wunderthätigen Gottes ähnlich, wo die Ebbe und Fluth der Kommenden und Gehenden nie aufhört. Gieng er aus, so hatte er immer einen Hof von Clienten um *)
Oië peri Dionyson texnitai, d i e K ü n s t l e r d e s B a c c h u s sagt A t h e n ä u s . Unter dieser
allgemeinen Benennung wurden zu Athen Komödianten, Mimen, Musicanten, kurz die ganze Bande joyeuse begriffen, welche unter dem besondern Schuz dieses Gottes stunden und als seine Angehörige betrachtet wurden. So sagt Plutarch vom S u l l a , da er zu Athen mit einem Anstoß von Gicht befallen worden und deßwegen die warmen Bäder zu Adipsos besucht, habe er sich den ganzen Tag über mit den Künstlern des Bacchus die Zeit vertrieben (syndihmereivn toiw peri ton Dionyson texnitaiw) die er ohne Zweifel von Athen mitgenommen. Vermuthlich machten sie eine eigne Brüderschaft aus, die zum Bacchus, als ihrem Schuzpatron, eine besondere Andacht hatten, wie etwa die Schuster in Frankreich zum H e i l . C r i s p i n u s u. s. w. **)
Denn so wurde izt Mithridates in Klein-Asien überall genannt und verehrt, wie dies C i c e r o
selbst bekräftigt. O r a t . p r o F l a c c o c. 25. ***)
Bekanntermaßen, eine Art von Opfer oder gottesdienstlicher Feyerlichkeit.
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sich her; kam er zurük, so war es allezeit mit einer Begleitung, die von Gasse zu Gasse immer zahlreicher wurde. Unser Philosoph war der Mann nicht, der eine so erwünschte Hitze ungebraucht hätte erkalten lassen sollen. Vermuthlich geschah es auf seine Veranstaltung (wiewohl A t h e n ä u s dies nicht ausdrüklich sagt) daß, bald nach seiner Ankunft, das ganze Volk, ohne von obrigkeitlichen Personen, denen solches allein zukam, zusammenberufen zu seyn, auf dem gewöhnlichen Platze der Berathschlagungen sich versammelte, um zu hören was ihnen der wundervolle Aristion zu sagen hätte. 10
Aristion erschien, bestieg eine Kanzel von welcher er das ganze Volk übersehen konnte, und fieng seine Rede damit an: er hätte ihnen Sachen von der äußersten Wichtigkeit vorzutragen; aber eben dies, und die Betrachtung der großen Folgen, die in den gegenwärtigen Zeitläuften daraus entstehen könnten, wenn er ihnen alles sagte was ihn s e i n e L i e b e z u r R e p u b l i k zu sagen dringe, mache ihn schüchtern und binde seine Zunge. Das Volk, dessen Erwartung durch einen solchen Eingang aufs äußerste gespannt war, rief ihm zu, daß er ungescheut reden könne; und Aristion, der sie völlig in der Stimmung sah worinn er sie haben wollte, stellte ihnen nun mit einer hinreissenden Beredsamkeit vor: daß die Begebenheiten dieser Tage
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so groß und außerordentlich seyen, daß sie alles überträfen was der ausschweiffendste Traum einem Menschen als möglich vorbilden könnte. „Der König Mithridates, sagte er, ist in diesem Augenblik Meister von Bithynien, woraus er den Freund der Römer Nikomedes vertrieben hat, von Kappadocien und dem ganzen festen Lande von Phrygien bis an die Enden von Cilicien; alle Völker am Europäischen Meere bis zu den Mäotischen Sümpfen erkennen ihn für ihren Herrn; die Könige von Armenien und Persien stehen zu seinem Befehl; die Römer selbst, deren Obermacht vor kurzem der ganzen Welt furchtbar war, haben endlich der Seinigen weichen müssen. Ihre Kriegsheere sind aufgerieben, ihre Feldherren Oppius und Aquilius sind seine Gefangnen; und
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dieser Aquilius, ein Mann der die höchsten Würden in Rom bekleidet und über Sicilien triumfiert hatte, muß sich gefallen lassen, einem fünf Ellen langen Pontischen Reuter, Namens Basternes, an einer langen Kette, womit er ihm an den Leib geschlossen ist, zu Fuß nachzutraben. Alle Römer, von welchen Asien voll war, sind an Einem Tage bis am Fuß der Altäre, wo sie vergebens Zuflucht suchten, erschlagen worden. Die Griechen selbst — so wüthend ist in Asien der
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Haß gegen alles was einem Römer gleich sieht — sogar die Griechen die das römische Bürgerrecht haben, konnten sich nicht anders retten, als indem sie eilends die verhaßte Toga von sich warfen, und die Kleidung ihres Vaterlandes wieder anzogen, welches Mithridates ehrt und in seinen ehmaligen Glanz wieder herzustellen beschlossen hat. Durchdrungen von diesen Gesinnungen empfangen ihn alle Städte Asiens mit ofnen Armen, empfangen ihn nicht wie den größten der Könige, sondern wie einen Gott. Alle Orakel kündigen ihm die Herrschaft über den ganzen Erdkreis an. Schon erfüllen seine Heere Thracien und Macedonien. Die Provinzen Europens eilen in die Wette sich auf seine Seite zu schlagen; und nicht nur von den Völkern Italiens, sondern sogar von
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den Karthaginensern sind Gesandte bey ihm angelangt, und bezeugen ihm ihre Bereitwilligkeit zur Zerstörung Roms ihre Waffen mit den Seinigen zu vereinigen.“ Hier hielt der redselige Sophist ein, weil er dem erstaunten Volke etliche Augenblicke Zeit lassen wollte, den Gemüthsbewegungen, worein sie das Anhören dieser Wunderdinge gesezt, etwas Luft zu machen. — Nach einer kleinen Pause schritt er zur Nutzanwendung des bisher gesagten. — „Was soll ich euch nun sagen, rief er, wo die Sache selbst so laut spricht? Oder, ihr Männer von Athen, sollt ich euch noch erst ermahnen müssen, nicht länger diese Anarchie zu dulden, in welcher euch die Römer zu halten entschlossen sind, bis sie
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vielleicht einst für gut befinden, euch eine neue ihren Absichten anpassende Verfaßung zu geben? Nicht länger zu dulden, daß eure Tempel zugeschlossen bleiben, und eure Gymnasien, Schauplätze und Gerichtshöfe öde und verlassen stehen? In solchen Umständen wär es rühmlich, auch bey einem bloßen Schimmer von Hofnung alles zu wagen; aber es wäre Schande unthätig zu bleiben, wo der Beystand eines allvermögenden Freundes euch des glüklichsten Erfolges gewiß macht.“ D i e V ö g e l d e s A r i s t o p h a n e s merkten die Schlinge nicht; sie sahen nur die Lokspeise, und fielen gierig und sorglos zu. Sie hatten sich durch ihre tumultuarische Versammlung eigenmächtig wieder in den momentanen Besitz der Demokratie gesezt; aber was konnte ihnen die höchste Gewalt helfen, wenn sie den ausübenden Theil derselben nicht einem Manne auftrugen der mit ihnen eines Sinnes war, und zu dessen Wohlmeynung sie sich eben so vieles Guten versahen, als zu seinem Ansehen bey dem Großen Könige, ihrem neuen Freund, Beschützer und Abgott? Aristion — der Philosoph, oder (wenn die
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Philosophen lieber wollen) der Sophist Aristion, wurde also einhellig zum Oberbefehlshaber über die Atheniensische Kriegsmacht ausgerufen — und das war es eben, was der verschmizte Jünger des Aristoteles mit allen seinen bisherigen patriotischen Bemühungen abgezwekt hatte. Es war nicht das erstemal, daß die Athenienser, in einer Anwandlung von unbesonnener Fröhlichkeit die den Abderiten selbst Ehre gemacht hätte, einen Menschen zum Oberfeldherrn schufen, der vom Kriegswesen gerade soviel verstund, als — ein Magister der über den Polybius ließt. Schulmeister, Gerber, Hufschmidt, alles galt ihnen gleich! Der Mann, den sie mit ihrem 10
Zutrauen beehrten, konnte alles. Aber — glüklich ist die Republik, die von Philosophen beherrscht wird! War es nicht P l a t o der das sagte? Und hatte nicht Plato einen Staat entworfen, wo die Philosophen herrschen, die Weiber gemein sind, und alles gut geht? Der Weise, sagen die Stoiker, ist schön, edel, reich, durchlauchtig, großmächtig und unüberwindlich, König der Könige, und Herr über alles, weil er Herr über sich selbst ist. Und doch glaube ich nicht, daß sie gesagt haben, er sey ein Feldherr, ein Steuermann, ein Wundarzt. Die Athenienser, man muß es gestehen, hatten zuweilen wunderliche Begriffe. Doch, da es i h r e m F r e u n d e , dem Könige Mithridates, nicht an Generalen fehlte, was war am Ende auch daran gelegen, ob der Philosoph Aristion, den
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sie zu ihrem Oberfeldherrn machten, viel oder wenig vom K r i e g e verstund? Das was sie eigentlich wünschten war ja F r i e d e , und Überfluß, und Schauspiele und Lustbarkeiten, und ewiger Müßiggang, und Unabhänglichkeit, und alles thun zu können was ihnen einfiele! Wenn ihr Oberfeldherr Aristion nur die Kunst verstund ihnen dies Alles zu verschaffen, was bekümmerten sie sich darum wie er’s anfieng, um ihnen dazu zu verhelfen? Eben darum, damit sie sich um die Mittel nicht weiter bekümmern müßten, hatten sie einem so weisen, so wohlmeynenden Manne die oberste Gewalt übertragen. Wir wollen sehen, wie Aristion die gute Meynung rechtfertigte, die er den Atheniensern von seiner Weisheit und Tugend eingeflößt hatte, und was er
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that, um sie — wenigstens so glüklich zu machen als er konnte. So wenig gutes wir uns vielleicht zu ihm versehen mögen, so wird sich doch am Ende zeigen, daß er, i n s e i n e r A r t , mehr geleistet als wir ihm zugetraut hatten. Eh wir aber fortfahren, wird es rathsam seyn eine Vorsicht zu gebrauchen, welche nunmehr nöthiger zu werden anfängt als sie es zu Anfang dieser Geschichte war, und unsre Leser wegen der historischen Glaubwürdigkeit der-
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selben sicher zu stellen. In der That wäre die Geschichte des Philosophen Aristion das platteste Stück Arbeit das man sich nur einbilden könnte, wenn es weiter nichts als ein kleines Politico-Moralisches Satyrisches Romänchen wäre, welches wir, in der einfältig wohlgemeynten Absicht den Lesern ein Paar gute Sittenlehren dadurch als in einem Säftchen beyzubringen, aus dem Füllhorn unserer eignen Erfindungskraft ausgepreßt hätten. Allein die Geschichte des Aristion ist nichts weniger als Roman; sondern, in ganzem Ernst, mit allen Umständen, die man bereits gelesen hat und noch lesen wird, eine wahre Geschichte, deren Glaubwürdigkeit auf dem Ansehen zweyer Zeugen beruht, gegen welche keine Einwendung statt findet; wie man uns gerne eingestehen
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wird, wenn wir sagen daß der eine kein geringerer als der berühmte P o s i d o n i u s , und der andere der weise und biederherzige P l u t a r c h u s selbst ist. P o s i d o n i u s v o n A p a m e a in Syrien, auf welchen sich A t h e n ä u s ausdrüklich als auf den Gewährsmann alles dessen beruft, was er im 5ten Buche seines G e l e h r t e n - G a s t m a l s von unserm Aristion erzählt, war ein Zeitgenosse des leztern, und stand (wie man aus verschiedenen Stellen des Cicero sehen kann) in dem Ruf eines der gelehrtesten, beredtesten und weisesten Männer seiner Zeit und seiner Secte, welche die Stoische war. Gesezt aber auch, der Posidonius, aus welchem Athenäus seine Nachrichten von Aristion gezogen, wäre nicht der berühmte Stoische Philosoph dieses Namens sondern
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ein andrer Posidonius v o n O l b i o p o l i s , welchem S u i d a s einige Bücher Atheniensischer Geschichten oder Denkwürdigkeiten zuschreibt: so wäre doch kein Grund vorhanden, die Glaubwürdigkeit desselben zu bezweifeln. Doch dies in Vorbeygehen, da es allenfalls an dem bloßen Zeugnis des Athenäus, wenn er auch seinen Gewährsmann nicht genannt hätte, und an dem was Plutarch im Leben des Sulla von Aristion meldet, schon genug seyn könnte. In dem Augenblik, da unser Philosoph von dem Pöbel von Athen zum Oberbefehlshaber ausgerufen wurde, legte er auch die Maske ab, hinter welcher er bisher seine wahre und lezte Absicht verstekt hatte. Er nahm auf einmal das Ansehen, die Mine und den Ton eines Perikles an, und sagte ihnen, nachdem er sich für das Zutrauen, wovon sie ihm eine so wohlüberlegte Probe gegeben, bedankt hatte: „Da ihr also wieder eure eignen Herren seyd, so werde ich nun, wenn ihr getreulich zu mir haltet, soviel vermögen, als ihr alle zusammengenommen.“ Die albernen Leute glaubten daß er ihnen ein großes Compliment
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gemacht habe, und merkten nicht daß er sie mit einer zweydeutigen Spitzfündigkeit zum Besten hatte. In einer Republik ist der Mann, der allein soviel vermag als die andern alle zusammen, ein Despot, und die Atheniensische Demokratie hatte mit der ersten Souveränitätshandlung, die sie dadurch ausübte daß sie alle ihre Gewalt einem Einzigen übertrug, wieder ein Ende. Die Art wie sich der Philosoph Aristion der unumschränkten Macht bediente, die ihm von einem unbesonnenen Pöbel in einem unglücklichen Anstoß von schwärmerischem Wahnwiz anvertraut worden war, ist, unsers Wissens, ohne Beyspiel in der Geschichte. Einfachers kann man sich nichts denken als 10
den Plan seiner Staatsverwaltung. Seine einzige Absicht scheint gewesen zu seyn, sich so bald als nur möglich in den alleinigen Besiz des Ganzen zu setzen, indem er alle Athenienser, die nicht schon Bettler waren, zu Bettlern machte. Wer nichts hat, hat nichts zu verlieren, dachte der Philosoph; wer nichts zu verlieren hat, hat nichts zu sorgen, und wer ohne Sorgen bloß von einem Tage zum andern lebt, ist, sobald er dieser Art von Glükseligkeit ein wenig gewohnt ist, der glüklichste Mensch von der Welt. Der erste und der wichtigste Punkt seiner neuen Regierung war also — die Athenienser von allen Hindernissen eines so glüklichen Zustandes zu erleichtern. Das Mittel wodurch er diese große Staatsoperation bewürkte war das simpelste von der Welt. Er brauchte
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den Reichen nur alles zu nehmen, so blieb auch den übrigen nichts mehr, die sich bisher durch ihre Industrie von den Reichen genährt hatten. Glüklicherweise war in der damaligen Lage der Sachen nichts leichter als dies, wiewohl unter andern Umständen nichts schwerers gewesen wäre. Der Pöbel, welcher nichts hatte, und bey weitem den zahlreichsten Theil ausmachte, war Mithridatisch gesinnt — alle hingegen, die etwas zu verlieren hatten, öffentlich oder heimlich, Freunde der Römer. Der Pöbel und der Oberbefehlshaber Aristion stunden für Einen Mann; alle Römischgesinnten, d.i. alle Reichen und Vermöglichen Leute in Athen wurden also für Verräther und Feinde des Vaterlands erklärt, und als solche entweder ohne weitern Proceß todtgeschlagen,
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oder wenn es Männer waren, mit denen man so kurz nicht verfahren konnte, gefangen genommen und dem Mithridates zugeschikt. In beyden Fällen fiel ihr Vermögen dem Staat d. i. dem Regenten Aristion anheim, der, vermöge seiner mit dem Volke getroffnen stillschweigenden Convention, den ganzen Staat in seiner Person vorstellte. Wer nur die mindeste Mine machte, daß er mit dem gegenwärtigen Zustande des Vaterlandes nicht zufrieden, und also
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(nach der gemeinen Definition) kein guter Bürger sey, wurde, wenn es sich nur einigermaßen der Mühe verlohnte, eines geheimen Verständnisses mit den Römern, oder doch wenigstens eines Vorsatzes sich in dergleichen einzulassen, angeklagt, und wenn er nicht bekennen wollte, so lange mit Daumenschrauben und Folterseilen g e f r a g t , bis er sich schuldig gab. Aristion betrieb dieses Geschäfte mit solchem Ernst, daß viele, an welche (weil man doch nicht alles auf einmal thun kann) die Reyhe noch nicht gekommen war, sich für glücklich genug gehalten hätten, wenn sie nur ihre Personen in Sicherheit hätten bringen können. Aber auch das war nicht erlaubt. Aristion besetzte alle Thore der Stadt mit Soldaten, die keine Seele ohne seine Erlaubnis hinaus
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lassen durften; und da sich einige bey Nacht über die Stadtmauern an Stricken heruntergelassen hatten, schikte er ihnen auf allen Straßen Reuter nach, welche sie Theils wieder zurükbrachten, Theils niedermetzelten, wenn sie sich nicht gleich ergeben wollten. Auf diese Weise brachte er in kurzer Zeit einen unermeßlichen Schaz an baarem Geld und Geldeswerth zusammen; denn, vermöge seines angenommenen Staatswirthschaftlichen Grundsatzes wolte er nicht nur Herr alles Geldes in Athen, sondern auch soviel möglich aller Lebensmittel seyn, und seine Kornböden wurden also mit allem Getreide angefüllt, welches einen beträchtlichen Theil der confiscierten Güter ausmachte. Eine natürliche Folge dieser herrlichen Administration war, daß in kurzer
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Zeit auch die Mithridatischgesinnten Athenienser nichts mehr zu essen hatten. Aber der weise Aristion hatte dies vorhergesehen, und sich nichts darum bekümmert, weil er ein unfehlbares Mittel in Händen hatte, das Schlimmste was d a r a u s hätte erfolgen können, nehmlich ein allgemeines Hungerssterben, zu verhüten. Er ließ nehmlich alle Tage beynahe ein Pfund Gerste (einen C h ö n i x , d. i. ein Maas von 60 Unzen auf v i e r Ta g e ) auf den Mann unter die ganze Bürgerschaft austheilen — eine Portion, die Hünern oder Gänsen angemeßner gewesen wäre als Menschen. Aber Aristion, dem nichts so sehr am Herzen lag als die Sicherheit seiner Regierung, hatte wohl erwogen, daß man nicht Leben soll um zu essen; daß es also genug ist, soviel zu essen als man braucht um nicht zu sterben, und daß das sicherste Mittel die animam concupiscibilem und irascibilem, d. i. den Thierischen Theil der Menschen, welcher der Sitz aller bösen und gefährlichen Leidenschaften, Begierlichkeit, Unzufriedenheit, Widerspenstigkeit und Meuterey ist, im Zaum zu halten, unstreitig dieses ist, wenn man ihnen den Brodkorb, so hoch als möglich
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hängt, und ihnen dadurch die Kräfte entzieht, sich gegen die Vernunft, ihren Regenten und Oberherren, aufzulehnen. Der Atheniensische Pöbel war ein so leichtsinniges und jovialisches Völklein, daß er sich bey Müßiggang und fünfzehn Unzen Gerste des Tags eine Zeitlang (wiewohl freylich keine lange Zeit) noch ziemlich glüklich finden konnte. Allein Aristion hatte doch nicht alles was besser als Pöbel war ausrotten können, und es war zu besorgen daß noch immer manche hier und da verborgen stecken könnten, denen das Glük seiner Regierung nicht so völlig einleuchten möchte, daß sie nicht fähig seyn könnten die Köpfe zusammen zu 10
stecken und Entwürfe zu machen, wobey sein Interesse schwehrlich zu Rathe gezogen würde. Bey Tage konnte er deßhalben ruhig seyn, denn da wurde die kleinere Anzahl von der größern genugsam beobachtet; aber heimliche Zusammenkünfte bey Nacht zu verhindern, war nur Ein Mittel das seine vorsichtige Furchtsamkeit beruhigen konnte. Dieses Mittel war eine Policeyverordnung, vermöge welcher bey hoher Strafe verboten war, daß sich niemand, wes Standes, Alters und Geschlechts er auch seyn möchte, nach Sonnen-Untergang weder mit noch ohne Laterne oder Fackel durfte blicken lassen. Diese Verordnung hatte etwas das man nicht bey allen Policey-Verordnungen findet, sie erreichte ihren Zwek; aber das undankbare und unbeständige Volk fieng
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izt an gewahr zu werden, daß es, um sich besser zu finden, eine Arzney genommen hatte, die um ein großes Theil schlimmer als die Krankheit war. Man hat es unserm regierenden Philosophen sehr übel genommen, daß er, nicht zufrieden das Vermögen so vieler Privatpersonen an sich gezogen zu haben, seine gottesräuberischen Hände auch sogar nach dem reichen Schaz, der in dem Tempel des Apollo zu Delos verwahrt lag, ausgestrekt, und denselben mit Hülfe von zweytausend Mann, womit ihn Archelaus, ein General des Mithridates, unterstüzte, weggenommen und nach Athen bringen lassen. Uns dünkt aber, er habe hierin nicht nur seinem Charakter, und dem großen Grundsaz seiner Staatsökonomie „zu nehmen was er erreichen konnte“ son-
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dern selbst der gemeinen Politik gemäß gehandelt. Denn, indem er sich des Schatzes zu Delos bemächtigte, that er weiter nichts als daß er dem Römischen Feldherrn Sulla zuvorkam, der es bald hernach mit den Schätzen der Tempel zu Delphi, Olympia und Epidauros eben so machte. Wem die Rechte der Menschheit nicht heilig sind, von dem ist nicht zu erwarten, daß er die Schätze der Götter respectieren werde.
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Wir haben oben zu bemerken vergessen, daß Aristion, sobald er sich an der Spitze der Republik sah, anstatt der Archonten, welche damals waren und als Freunde der Römer keine Gnade vor ihm fanden, andere, welche ihm beliebte, erwählen gemacht, und wie leicht zu erachten, Leute die gänzlich von ihm abhiengen, und alles zu leiden und zu thun fähig waren. Die Geschichte nennt uns von seinen Freunden und Werkzeugen nur einen einzigen, welcher auch wie Er die Prätension hatte ein Peripatetischer Philosoph zu seyn, und allem Ansehen nach durch Ähnlichkeit der Gemüther, eine unbegrenzte Gefälligkeit gegen den Tyrannen, und daß er sich willig begnügte nur eine Nebenrolle unter ihm zu spielen, sich bey ihm in Gunst zu setzen gewußt hatte. Dieser
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Mensch nannte sich A p e l l i k o n , und wir erwähnen seiner hier, da es die Gelegenheit mit sich bringt, um so eher, weil sein Name zufälligerweise einige Celebrität in der Gelehrten Geschichte erhalten hat. Apellikon, der so glüklich gewesen war viel zu erben, hatte sich aus Liebhaberey oder Prätension in den Kopf gesezt, eine kostbare Bibliothek zu besitzen, und kaufte alle Bücher zusammen die nur immer um Geld zu haben waren. Von ungefehr wurde ihm die Original-Handschrift der sämtlichen Werke des Aristoteles zu Kauf angeboten, welche dieser Fürst der Philosophen in seinem lezten Willen seinem Freunde Theophrast, Theophrast auf gleiche Weise seinem Freunde Neleus von Scepsis, dieser aber seinen eignen ungelehr-
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ten Erben hinterlassen hatte, von welchen sie über hundert und dreyßig Jahre in einem Keller dem Moder und den Mäusen preis gegeben wurden. Das Haus, worinn dieser unerkannte Schaz begraben lag, kam endlich an einen Besitzer, der, da er zufälligerweise davon hörte daß Apellikon viel Geld um alte und rare Handschriften gebe, sich erinnerte daß er dergleichen Waare in einem Winkel seines Kellers liegen habe, und, es sey nun daß er durch die Tradition oder auf andre Weise erfahren was es war, diese Handschriften, wiewohl sehr übel conditioniert, hervorzog, und für die Originalhandschrift der Werke des großen Aristoteles an besagten Apellikon verkaufte; welcher über diesen, wiewohl ihm wenig brauchbaren, Schaz eine desto größere Freude hatte, weil allem Vermuthen nach, außer der alten Bibliothek zu
*)
Alexandria *)
(wo ent-
derjenigen, welche der König Ptolomäus Philadelphus zu sammlen, anfieng, und die bey
Eroberung und Verwüstung dieser Stadt durch Julius Cäsar unglüklicher Weise ein Raub der Flammen wurde.
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weder das wahre Avtographon dieser Werke oder wenigstens eine davon genommene Abschrift befindlich war *)) kein anderes Exemplar davon in der Welt existierte. Er blieb im Besiz desselben, bis Sulla nach Eroberung von Athen, unter anderm was des Transports werth war, auch die ganze Bibliothek des Apellikon nach Rom abführen ließ. In der Folge erhielt ein gewisser Grammatikus oder Philolog (wie wir’s izt nennen) Namens Ty r a n n i o n (welchen L u c u l l u s aus Amysa mit nach Rom gebracht, und dessen Cicero an verschiednen Orten seiner Briefe rühmliche Erwähnung thut) von dem Bibliothekar des Sulla die Erlaubniß diese Handschrift der Werke des Aristoteles zu 10
copieren; und, nachdem er sich unendliche Mühe gegeben, den Text wieder herzustellen, oder wenigstens an den verderbtesten Stellen, so gut ihm möglich war, verständlich zu machen: stellte er eine neue Ausgabe derselben ans Licht, wovon nach und nach eine Menge Abschriften ins Publikum kamen. Wenn man es also gleich (wie einige allzugütig sich auszudrücken beliebt haben) dem Apellikon nicht eben zu danken hat, daß wir noch auf diesen Tag im Besiz der meisten Aristotelischen Schriften sind: so ist doch gewiß, daß er die unverdiente Ehre gehabt, in die Schiksale derselben verflochten zu seyn. Apellikon, um seine Büchersammlung mit wichtigen Seltenheiten zu bereichern, bediente sich eines zwar sehr wohlfeilen aber etwas gefährlichen
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Kunstgriffes, dessen auch einige berühmte Neuere Gelehrte beschuldigt worden sind. Er machte sich kein Bedenken alte Originalurkunden aus Tempeln und andern öffentlichen Archiven zusammen zu stehlen; würde aber, als er über einer solchen Plünderung des Tempels der Götter-Mutter **) auf frischer That ergriffen worden, diesen Frevel theuer haben bezahlen müssen, wenn er nicht Mittel gefunden hätte, sich mit der Flucht zu retten. Indessen würkten ihm doch die Freunde, die er zu Athen hatte, nach einiger Zeit die Erlaubniß aus zurükzukommen; und da er in der Folge einer von den eifrigsten Beförderern des Aristions war, mit welchem ihn die gemeinschaftliche Profession der Peripatetischen Philosophie in genauere Verbindung gebracht hatte; so
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war er auch einer von denen, die von der Erhöhung desselben den meisten Vortheil zogen. Aristion hatte eine so gute Meynung von seinen militarischen *) **)
A t h e n ä u s L. I. pag. 3. B. Er wurde gewöhnlich das M e t r o o n genannt, und war das Archiv wo die Atheniensischen
Gesetze, Decrete und andere wichtige Urkunden aufbewahret wurden. S. M e u r s . Ceramicus, c. 5.
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Fähigkeiten, oder war vielmehr so arm an geschiktern Männern auf die er sich hätte verlassen können, daß er ihm die Behauptung der Insel Delos, an welcher ihm viel gelegen war, anvertraute. Aber Apellikon wuste so wenig was bey einem solchen Geschäfte zu thun war, daß er die wichtigsten Posten unbesezt, und sich selbst mit den Tausend Mann die er bey sich hatte, somno vinoque sepultos, von dem Römischen General Orbius überrumpeln ließ, noch wohl zufrieden, mit Verlust seines ganzen Corps, wenigstens seine eigne werthe Person durch die Flucht in Sicherheit zu bringen. Mithridates hatte inzwischen durch seinen Feldherrn Archelaus so große Progressen in den zunächst an Asien grenzenden Europäischen Provinzen,
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welche die Oberherrschaft der Römer erkannten, gemacht, daß diese, ungeachtet des gefährlichen Zustandes worinn sich die Republik durch den Zusammenstoß der Partheyen des Marius und Sulla in ihrem innersten gesezt befand, es nicht länger anstehen lassen konnten, dem Fortgang eines so furchtbaren Feindes Grenzen zu setzen. Sulla, welcher kürzlich die Oberhand über die Parthey des Marius erhalten hatte und sich die Ehre den Übermuth des Mithridates zu dämpfen von keinem andern nehmen lassen wollte, eilte mit fünf Legionen nach Griechenland, wo ihm alle Städte, das einzige Athen ausgenommen, ihre Thore öfneten. Aristion und Archelaus, von welchen jener die Stadt und dieser den Piräus *) besezt hielt, waren eben so entschloßen es
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aufs äusserste ankommen zu lassen, als Sulla es war, sich, was es auch kosten möchte, zum Meister von Athen zu machen. Der Detail dieser Belagerung, welche dem Römischen Feldherrn sehr theuer zu stehen kam, gehört nicht zu unserm itzigen Zweck; wir berühren also nur diejenigen Umstände, welche den Charakter des Aristion, und die Art wie er die Athenienser glüklich machte, besonders auszeichnen. Man kann den unendlichen Jammer, der durch diesen einzigen Menschen über die größte und schönste Stadt der Griechen gehäuft wurde, nicht auf das Unglük der Zeiten schieben. So ein thörichtes Volk die Athenienser zuweilen waren, so hätte es ihnen doch unmöglich einfallen können, die Parthey des Mithridates gegen die Römer zu nehmen, wenn Sie von Aristion nicht dazu wären verleitet worden. Aber noch viel weniger würden sie unsinnig genug *)
Der Haven von Athen, welcher selbst eine große Stadt und mit einer sechzig Fuß hohen
Mauer von Quadersteinen beschüzt war.
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gewesen seyn, eine Belagerung von einem Römischen Feldherrn wie Sulla, aushalten zu wollen. Denn sie hatten wenig oder nichts zu verlieren wenn sie ihm ihre Thore gutwillig öfneten, und alles, wenn sie es aufs äusserste ankommen ließen. Aber Aristion hatte sie bethört, da sie noch frey genug waren einen eignen Willen zu haben; und izt, da er seinen Zweck erreicht und sich zum Herrn oder Tyrannen (wie es die Griechen nannten) über sie aufgeworfen hatte, war die Frage nicht mehr was die Athenienser wollten oder wünschten, oder was die Erhaltung der Stadt und ihrer unglüklichen Einwohner schlechterdings erfoderte; sondern was der Tyrann Aristion wollte, welcher wohl 10
wußte, daß er, sobald Athen in der Römer Hände zurükfiel, wieder Nichts war, und also alles, was er für den Mithridates that, für sich selbst that. Es ist zu glauben, daß er auf die anscheinende Übermacht des leztern und auf einen noch zu rechter Zeit kommen werdenden Entsaz gerechnet habe. — Und doch, wenn man sein Betragen während der Belagerung ansieht, kann man kaum anders von ihm denken, als daß er, nach dem großen Grundsaz aller Diebe und Räuber denen mitten in den zügellosen Befriedigungen ihrer Lüste immer vom Galgen träumt, sich wenigstens, wie C u r t i u s , eh er sich in den Pfuhl stürzte die kurze Zeit, wo ihm alles erlaubt war, recht überschwänglich habe zu Nutze machen wollen.
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Die Züge von sinnlosem Übermuth und kaltblütiger Grausamkeit, die wir von ihm noch zu erzählen haben, würden unglaublich seyn, wenn sie nicht den gutherzigsten Mann des ganzen Alterthums, den ehrlichen Plutarch selbst zum Gewährsmann hätten, der nicht fähig war, einem Menschen, so schlimm er auch seyn mochte, mehr Böses nachzusagen als er sich durch die Pflicht gegen die Wahrheit verbunden glaubte. Aristion hatte, wie wir bereits gehört, auf alle Weise dafür gesorgt, daß die Athenienser seiner Gnade leben mußten; und es lag nur an ihnen sich bey ihren vielen Schauspielen und einem Pfund Gerste des Tags, (welches doch immer mehr war als worauf ein Diogenes sicher rechnen konnte) glüklich zu
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halten. Aber diese Munificenz hörte vermuthlich auf, nachdem Sulla der Stadt alle Zufuhr von Lebensmitteln abgeschnitten hatte. Aristion mußte nun dafür sorgen, daß es Ihm selbst und seinen Gesellen nicht ausgehe; die Stadt mochte für sich selbst sorgen wie sie konnte. Das Elend der unglüklichen Leute wurde unbeschreiblich groß. Ein Medimnus Korn (ungefehr 100 Pfund am Gewichte) wurde bis um tausend Drachmen (über 166 Rthlr.) verkauft. Das gemeine
¼Fortsetzung½ A t h e n i o n , g e n a n n t A r i s t i o n
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Volk war dahin gebracht, Gras — und als es auch daran gebrach, gesottnes Leder von ihren Schuhen und Ölflaschen zu essen. Viele trieb die Wuth des Hungers sich sogar mit todten Körpern zu nähren. Mitten unter diesem allgemeinen Jammer überließ sich Aristion mit seinen Freunden allen möglichen Ausschweiffungen, brachte Tag und Nacht mit Tanzen, Schwelgen und Saufen zu: und über der Tafel erschöpften die feinen Herren ihren Wiz, Spöttereyen und Zoten zu erfinden, um sie dem Sulla von den Mauern herab zuzurufen, und ihm dadurch zu zeigen wie wenig man sich aus ihm mache. Zu der sorglosesten Gleichgültigkeit gegen das Elend seiner Mitbürger fügte der Tyrann, um es vollkommen zu machen, noch die grausamste Verhöhnung. Als
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ihn die Oberpriesterin der Minerva, in der äußersten Noth, nur um einen halben Nößel Weizen bitten ließ, schikte er ihr einen halben Nößel Pfeffer; und die Rathsherren und Priester, die ihn fußfällig baten Mitleiden mit der Stadt zu haben, ließ er mit Pfeilenschüssen zurüktreiben, ohne sie nur anhören zu wollen. Indessen wurde die Noth zulezt so groß, daß sich der unsinnige Mensch endlich entschloß, ein Paar von seinen Zechbrüdern an den Römischen Feldherrn abzuschicken, die ihm von Friedemachen sprechen sollten. Die Deputierten waren, wie es scheint, dessen der sie abgeschikt hatte, vollkommen würdig. Denn anstatt irgend einen vernünftigen Vorschlag, der auf Rettung
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der Stadt abgezielt hätte, zu thun, schwazten sie dem Sulla ein Langes und Breites von den Verdiensten des Theseus und Eumolpus und von den großen Thaten ihrer Vorfahren im Medischen Kriege vor; so daß ihm endlich die Geduld ausgieng, und er sie mit den Worten unterbrach und abfertigte: „Meine schöne Herren, stekt eure Rede wieder in euren Schulsak und geht wo ihr hergekommen seyd: die Römer haben mich nicht zu euch geschikt um in die Schule zu gehen, sondern um Aufrührer zu züchtigen.“ Während dieser Audienz war dem Sulla eine gewisse Stelle der Stadtmauer verrathen worden, wo sie, wegen einer daranstoßenden Anhöhe, am leichtesten zu ersteigen war; und gerade diese Stelle hatte Aristion, um sich in Allem immer gleich zu bleiben, unbeschüzt gelassen. Sulla machte sich diese Entdeckung in der nächsten Nacht zu nutz, erstieg die Mauer, ließ sogleich soviel als nöthig war niederreißen, und zog mitten in der Nacht, unter einem entsezlichen Lermen von Trompeten und Hörnern, und bey dem noch schreklichern Geschrey seines ganzen Kriegsheeres, welchem er die Erlaubnis zu
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte September 1781)
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plündern und zu morden gegeben hatte, in die unglükliche Stadt ein. Die Soldaten stürzten sich mit bloßen Schwertern durch alle Gassen, und ermordeten in der ersten Wuth ohne Verschonen alles was ihnen in den Wurf kam, Männer, Weiber und Kinder. Die armen Leute waren vom Hunger so entkräftet, daß sie nicht einmal fliehen konnten. Sie blieben stehen, und ließen sich geduldig niedermezeln; viele, welche diese gräuliche Verwüstung ihrer Stadt, dieses schönen Athens worauf sie einst so stolz gewesen waren, nicht überleben wollten, gaben sich den Tod selbst. Jedermann erwartete von dem bekannten Charakter des Römischen Feldherrn, daß nichts als die gänzliche Zerstö10
rung einer Stadt, deren Eroberung ihm soviel gekostet hatte, seine Rache würde sättigen können: aber Meidias und Kalliphon, zwey von dem Tyrannen Aristion verbannte vornehme Athenienser, die sich ihm zu Füßen warfen, von den Vorbitten aller Römischen Senatoren die bey ihm waren unterstüzt, erhielten endlich durch anhaltendes Flehen, daß er der Stadt zu verschonen versprach. Ich vergebe sagte er, den Vielen um der Wenigen und den Lebenden um der Todten willen. Aristion hatte sich inzwischen in die Burg zurükgezogen, und ergab sich nicht eher bis er aus gänzlichem Mangel an Wasser dazu gezwungen war. Er wußte was er von den Römern zu erwarten hatte; aber er hatte keinen Muth,
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sein Leben wenigstens mit Einer edlen That zu enden. Bald darauf machte sich Sulla auch vom Piräus Meister, dessen Befestigungen er nebst dem Arsenal, einem der herrlichsten Gebäude im ganzen Griechenland, gänzlich zerstörte. Dieser Tag war, so zu sagen, der Todestag der Stadt Athen, als eine Republik betrachtet, die sich noch immer für ansehnlich genug gehalten hatte bey Gelegenheit ihre Rolle mitzuspielen. Die Stadt der Minerva lebte und blühte zwar in der Folge wieder auf, und erhielt unter den Cäsarn nicht nur ihren alten Glanz wieder, sondern wurde sogar von H a d r i a n u s , der sie vorzüglich liebte, ansehnlich verschönert: aber sie begnügte sich, zu ihrem Glücke, an
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der Ehre der Hauptsiz der Gelehrsamkeit, des Geschmacks und der feinern Sitten zu seyn — und entsagte auf ewig der gefährlichen Eitelkeit, sich in die Händel der Weltbeherrscher zu mengen. Aristion, der das was er an den armen Atheniensern verschuldet, durch jede Todesart noch immer zu gelinde gebüßt hätte, wurde, nach P l u t a r c h und S t r a b o , nebst einigen seiner schlimmsten Mitschuldigen, so gleich nachdem
¼Fortsetzung½ A t h e n i o n , g e n a n n t A r i s t i o n
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er sich auf Gnad und Ungnade hatte ergeben müssen, auf Befehl des Sulla umgebracht; nach dem Bericht des A p p i a n u s hingegen eine Zeitlang gefangen gehalten, und erst nach dem zwischen dem Römischen Feldherrn und dem Mithridates durch Vermittlung des Archelaus beschloßnen Vergleich, dem Leztern zu gefallen, heimlich durch Gift aus dem Wege geräumt. Dieser Elende, der ohne Zweifel den Namen eines Philosophen nicht besser verdiente als den Namen eines Regenten, wiewohl er die Eitelkeit gehabt in verschiednen Zeitpuncten seines Lebens beydes seyn zu wollen, giebt eines von den stärksten Beyspielen ab, wie viel die Entwiklung dessen was in einem Menschen liegt von den Umständen abhängt. Wäre er sein Lebenlang Schul-
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meister oder Peripatetischer Philosoph (wie er sich schelten ließ) geblieben, so wäre vermuthlich nie an den Tag gekommen, daß seine Seele, nach Plutarchs Ausdruk, eine Composition von Schwelgerey und Grausamkeit war. Er würde zwar immer ein verächtlicher Mensch gewesen seyn, und, bey Gelegenheit, eine Schuld abgeschworen, ein falsches Testament untergeschoben, Knaben und Weiblein verführt, auch wohl, wenn etwas dabey zu gewinnen gewesen wäre, einen ehrlichen Mann Gift gegeben oder im dunkeln und hinterrüks ein Messer in den Leib gestoßen haben: aber, um sich in seiner wahren nakten Gestalt zu zeigen, mußte er in eine Lage kommen, wo er alles seyn durfte was er seyn wollte.
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Indessen war eine Zeit, wo ihm die Athenienser von allen den schändlichen Eigenschaften, wovon sie endlich das Opfer wurden, nichts zutrauten; eine Zeit, wo er für einen feinen, wohlberedten und staatsklugen Mann und für einen i h r e r B e s t e n galt, welches er doch, so schlecht auch die andern seyn mochten, sicherlich nie gewesen ist. Gestehen wir jedoch, daß es ihre eigene Schuld war, wenn sie so übel von ihm betrogen wurden. Daß der angebliche Philosoph einer von denen sey, welchen Wahr und Falsch, Recht und Unrecht, so lange gleichviel gilt, bis ihnen dieses oder jenes mehr einträgt und ihren Leidenschaften beförderlicher ist, dies hätten sie früher merken können: und von dem Menschen, der unter dem Namen eines Professors der Philosophie, in Compagnie mit einem hübschen Mädchen auf reiche Jünglinge Jagd machte, war das Ärgste zu erwarten, sobald man ihn in den Stand sezte seine kleinen Bübereyen im Großen zu treiben. Auf einer andern Seite lassen sich Umstände denken, unter deren Einfluß eben dieser Athenion genannt Aristion, ohne sich jemals etwas von Tyrannen träumen zu lassen, ein ganz feiner Professor zu
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte September 1781)
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Athen oder Alexandria gewesen wäre, ein neues System gemacht, eine Secte gestiftet und anstatt einer häßlichen Rolle in der Politischen Welt, eine sehr glänzende in der Philosophischen Geschichte gespielt hätte — und das alles, ohne, im innern Grunde seines Wesens, um ein Haar ein beßrer Mann gewesen zu seyn, als er auf dem Wege war worauf ihn sein Schiksal führte. Die Umstände machen also bald daß ein Mensch scheint was er nicht ist — bald daß das würklich sichtbar und fühlbar wird, was er ist; aber der Edle und Gute Mensch ist und bleibt unter allen Umständen edel und gut. A b d a l o n y m u s war ein rechtschafner Mann, da er von dem Ertrag eines kleinen 10
Gartens lebte den er mit eignen Händen baute; und blieb was er war, nachdem ihn Alexander zum König von Tyrus gemacht hatte. Aristion war ein maskirter Bösewicht da er noch der Philosoph Aristion hieß, und wurde als ein Bösewicht erfunden sobald ihn das Glük auf die Capelle sezte. Die Kaiser M a r c u s A u r e l i u s und J u l i a n u s machten der Philosophie ganz andere Ehre als Aristion, und doch ist vielleicht noch eine Frage, ob beyde, ohne die Prätension an den Philosophen-Mantel, nicht noch bessere Regenten gewesen wären; aber dies ist gewiß, wenn sie es waren, so kam es nicht daher weil sie Philosophen, sondern weil sie tugendhafte Menschen waren.
¼Fortsetzung½ A t h e n i o n , g e n a n n t A r i s t i o n
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¼Mineralogische Spaziergänge. … Dieses im lezten Kriege durch die Vertheidigung seiner Bürger berühmt gewordne Städtchen* ) hat einen Berg in der Nähe, dessen Basalte wohl unter Kennern ihrer sonderbaren Kristallisation wegen schon bekannt, aber, wenn ich mich nicht irre, noch nicht beschrieben sind.½ *) Es ist uns von guter Hand eine Erzählung hievon mitgetheilt worden, welche
wir nächstens einzurücken gedenken.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang August 1781)
¼Eine neue Ausgabe von J . J . R o u s s e a u s sämtlichen Werken.½ So schändlich die Profeßion eines Nachdruckers ist, der die noch lebenden Schriftsteller seiner eignen Nation der rechtmäßigen, und auch im glüklichsten Falle noch immer sehr sparsam zugemeßnen Vortheile beraubt, welche sie von den Producten ihres Geistes und Fleißes, in so fern solche durch den Druck zu einer Waare werden, zu ziehen aus so vielen unwidersprechlichen Gründen berechtigt sind; so gewiß ein Nachdrucker von diesem Schlag, wiewohl er sein Räuberhandwerk, zur Schande der Gesezgebung, in Teutschland 10
öffentlich und ungestraft treiben darf, in der Meynung aller ehrlichen Leute, deren Augen nicht durch unbegreifliche Vorurtheile geblendet sind, mit den armen Schelmen, denen die heil. Justiz den Galgen würklich auf die Stirne geprägt hat, in einerley moralische Categorie gehört: so giebt es doch, däucht uns, gewisse besondere Fälle, wo der Nachdruck eines Buchs nicht nur erlaubt, sondern um des vielfachen Nutzens, der dem Publico dadurch zuwächst, sogar verdienstlich wird. Unsrer Meynung nach existiert dieser Fall, wenn der Schriftsteller, dessen Werke nachgedrukt werden, weder selbst mehr am Leben ist, noch Erben hinterlassen hat denen dadurch ein empfindlicher Schaden zuwächst; wenn er überdies ein Ausländer ist und in einer Sprache ge-
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schrieben hat, welche durch die ganze Welt Cours hat; wenn ferner seine Werke von solcher Art sind daß jedermann sie zu besitzen wünscht, und daß sie in jedermanns Händen zu seyn verdienen; und wenn endlich die bisherigen Ausgaben derselben in einem so hohen Preise stehen, daß es einer Menge von Liebhabern beschwerlich oder gar unmöglich gemacht wird, sich ihren Besiz zu verschaffen. In einem solchen Fall, däucht uns, ist es einem jeden Unternehmer erlaubt, von einem n e u e r n E u r o p ä i s c h e n S c h r i f t s t e l l e r mit eben dem Rechte eine n e u e A u f l a g e zu veranstalten als von einem a l t e n C l a s s i s c h e n S c h r i f t s t e l l e r , oder vor jedem andern alten Werke, an welches niemand ein ausschließendes Eigenthumsrecht aufzuweisen oder zu
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p r ä t e n d i r e n hat. Dies ist unstreitig der Fall bey der neulich angekündigten
¼Einleitung zu Hahn½ E i n e n e u e A u s g a b e
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G o t h a i s c h e n A u f l a g e der Vo l t ä r i s c h e n We r k e , und nun auch bey der neuen äußerst wohlfeilen Auflage der sämtlichen Schriften des berühmten J . J . R o u s s e a u , deren Ankündigung, so wie sie uns zugeschickt worden, wir nicht nur ohne Bedenken, sondern mit unsrer besten Empfehlung begleitet, dem Publico bekannter machen helfen. Wir fügen für diejenigen, denen die besonders gedrukte Nachricht an das Publicum nicht zu Gesichte kommen wird, hinzu, daß diese Ausgabe, nach dem Probeblat zu urtheilen, in Absicht auf Papier und Druck so schön seyn wird, daß die Erwartung der Liebhaber, zumal in Betracht des so sehr geringen Preises, vielmehr übertroffen als getäuscht werden wird. ¼…½
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang August 1781)
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¼Hr. Capellmeister Reichards Musikalisches Kunst-Magazin. Es herrscht bey unsern Tonkünstlern so wenig wahrer Kunstsinn, bey unserm Publikum so wenig wahrer Kunstgeschmack, und daher bey beiden so wenig wahre Liebe für alles was wahrhaftig schön und edel ist, daß der Künstler, der ein Herz im Leibe hat, wenn er nicht seine Kunst gar anekelt, sich mit ihr verschließt, ihr in geheim huldigt, in geheim seine besten Opfer bringt, und dem Publikum nur das hinwirft, was er seiner und seiner Göttin unwerth achtet.* )½ *) 10
Il faut avouer, que Mr. R. est bien poli! d. H.
¼Anmerkung½ R e i c h a r d s M u s i k a l i s c h e s K u n s t - M a g a z i n
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Einige Drukfehler. ¼…½
In gegenwärtigen 7ten Stück. S. 11. Z. 2 in der Note, l. sxolastika. 14. Z. 19. l. M i t h r i d a t e s . 20. Z. 4. von unten, l. D i s p o s i t i o n . Geringere Fehler, besonders wo m und n ungebührlich verwechselt sind, auch die hier und da unrichtig oder überflüßig gesezten Komma’s wird der geneigte Leser leicht selbst bemerken und verbessern.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang August 1781)
An die Herausgeber des Journals von Tiefurth M e i n e g n ä d i g s t e n D a m e n wie auch Hoch- und vielgeehrteste Herren! Ich kan mich als ein wahrer Teutscher in specie Weimarischer Patriot der ich bin, nicht entbrechen über die eben so glücklich als unverhoft, vorgestern als den 28 dieses erfolgte Solenne Eröfnung und Inauguration des neu erbaueten T—tischen Hof- und WaltTheaters, Ihnen, als den resp. Beschützern Beförderern Priestern und Priesterinnen der T—tischen Musen meinen aufrichtig und freudigen Glükwunsch abzustatten. Wenn ich bedencke, daß da wo jezt 10
dieses neue Donum dieser wie durch einen Feen Stab hervor gebrachte Tempel der Tragi-Komiko-Pantomimischen Skiagraphischen Muse unsern erstaunten Augen entgegen glänzte, einen Augenblick zuvor nur eine kleine Einsiedler Hütte stund — wenn ich betrachte, daß die von allen Zuschauern bewunderte Vorstellung und Exhibition der erste Versuch in dieser Art das Stük selbst (wie alle mit dem ächten Stempel des Genies bezeichnete Leibes und Geistes Produckte) das werck eines Moments das Programma die Arbeit einer Stunde, und der ganze Umfang der Zurüstungen die ein solches Schauspiel voraus sezt das Resultat von zwey bis drey Tagen war: so schwillt mein Hertz von edlen vaterländischen Stoltz, ich fühle die hohe Vorzüglichkeit un-
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serer eben so Erfindungsreichen als arbeitsamen Nation vor allen andern Völkern der Welt, und ich freue mich, troz dem aufgeblasensten unter allen teutschen Micheln in Ober und Nieder Teutschland, daß auch ich die unverdiente Ehre habe ein Te u t s c h e r z u s e y n . Ich möchte nicht gern dafür angesehen seyn, als ob ich unserer Nation, oder den Impresarien des neuen T—tischen WaldTheaters ein Compliment auf Unkosten einer so wizigen und artigen Nation, als die Franzosen sind, machen wollte, aber ich kan mich doch in meinem Vergnügen über Minervens Geburth und Thaten nicht entbrechen zu dencken mit was für Transport und Raviosemens dieses Stük auf dem Theatre des Varietés amusantes au Bou-
An die Herausgeber des Journals
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levard zu Paris würde aufgenommen worden seyn: Der Beyfall welchen dieses genial ische und (zu ihrem Glück) so leicht und in so hohem Grade amusable Volck schon einem Harlequin cochon de Lait und einem Jerome Pointü zugeklatscht hat; ist mir Bürge dafür, daß sie sich an einem Stücke wie das unsrige worinne das wunderbare mit dem natürlichen und das Belustigende mit dem Lehrreichen auf eine so seltene Art vereinigt ist in einem gantzen Jahre kaum satt sehen könten. Unsere berühmte teutsche Gleichmüthigkeit, Kaltblütigkeit, oder wie soll ichs nennen? — erlaubt uns gar nicht, über irgend Etwas so neu, oder schön oder erhaben es auch immer seyn mag, in eine merkliche Entzückung zu
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gerathen; indeßen habe ich doch mit großem Vergnügen wahrgenommen daß das Stück bey allen Anwesenden große Würkung gethan und das Einzige was das häufig zusammen gedrängte Volck etwa noch hätte wünschen mögen, war bloß, daß etwa noch zum Beschluß et pour rendre la Pieces plus touchante ein kleines Unglück geschehen, der Saal eingestürzt oder das Theater in Brand gerathen wäre, als worzu wenigstens was das Einstürtzen betrifft die guthertzigen Leute durch ihr neugieriges Zudrängen ihr möglichstes nach Kräften beyzutragen beflißen waren. Da es über meine Kräfte geht, ein Stück, das gewißermaßen und in seiner Art schwerlich jemahls seines gleichen gehabt hat, nach Würden zu loben, und
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so wohl der Dichter als die Schauspieler, der Architect der Decorateur, die Maschinisten und der Lichtputzer (als deßen Amt bey einem Schattenspiel gewiß nicht unerheblich ist) samt und sonders das Ihrige unverbeßerlich gethan haben: so werden Sie meine Damen und Herren mich ganz gerne der unnöthigen Mühe überheben, mich in eine stükweise und ausführliche Anpreisung oder Anzeige deßen was mir an der Vorstellung vorzüglich merckwürdig gewesen, einzulaßen. Wo alles schön ist, da ist es schwer zu sagen was einem am besten gefallen hat: so wie einer der durch einen Dornbusch geht, nicht wohl sagen kan, welcher Dorn ihn gestochen hat. Indeßen bitte ich doch um Erlaubniß, bloß in Rücksicht auf die Art, wie der Vater der Götter und der Menschen ad vivum dargestellet worden, die Anmerckung zu machen, daß die von jedermann bewunderte und von dem gemeinen Menschlichen Ebenmaß so starck abstehende Proportion des Kopfs zu den übrigen Gliedmaßen in meinen Augen ein Trait de Genie ist, welcher nicht genug bewundert werden kan; denn da Jupiter die gantze Welt regieren
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J o u r n a l v o n T i e f u r t (Ende August 1781)
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soll und man zu einem solchen Geschäfte wahrlich nie zu viel Kopfs haben kan: so hat der Künstler, durch diese auch nach Minervens Geburth fortdauernde und also dem Jupiter natürliche Größe des Kopfs den König der Götter auf eine Art charakterisirt welche selbst einem Homer und Phidias Ehre machen würde. Man erzählt von diesem letztern, daß er seinen Welt berühmten Jupiter Olympius auf seinen Throne sitzend so groß gebildet habe, daß der Gott, wenn es ihm einmal eingefallen wäre aufzustehen, die Decke und das Dach des Tempels mit seinem Kopf eingestoßen haben würde. So wie der Genie bey dieser Vorstellungs Art den großen Phidias über die kleinfügige Beob10
achtung der gemeinen Proportions Geseze hinweg geführt: eben so kan man auch das nehmliche von dem Meister des Tiefurthischen Jupiters rühmen. Sein Jupiter ist, so zu sagen, lauter Kopf; Leib — Hände und Füße als Dinge die er mit uns andern Menschlein gemein hat, kommen dagegen in gar keine Betrachtung; sie sind alle bloße Nebenwercke oder Accessoria anzusehen, welche, weil sie die Auffmercksamkeit des Anschauers gar nicht erregen sollen, von dem Kopfe, als der Haupt Figur gänzlich verdunckelt und unscheinbar gemacht werden. Noch einen Meister Zug habe ich in dem Profiel dieses Jupiters bewundert, welchem der Künstler einen Augenblick von Unbefangenheit Gleichmüthig-
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keit und sorgloser Sicherheit gegeben hat, der ihn zu einem wahren Bon Dieu, oder, wenn dieser Ausdruck erlaubt seyn kan, zu einem wahren Bonhomme oder Bondiable de Dieu macht. Es wird dadurch angedeutet, daß Jupiter als oberster Welt-Regent und König sich versichert d a ß a l l e s g u t g e h t , daß allen Leuten so wohl ist wie ihm und daß er also für nichts zu sorgen braucht, und sein großes Haupt, der Glükseeligkeit seiner Unterthanen halben, ruhig auf sein Küßen oder in den Schooß irgend einer holden Leda Danae oder Calisto legen darf. Solche treffende Züge sind es die den wahren Künstler über die gemeinen Werckmeister erheben und ihm für die Unsterblichkeit Gewähr leisten.
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Damit ich aber gleichwohl durch ein ganz unbeschräncktes Lob, nicht unverdienter weise in den Verdacht komme, als ob ich einer von denen sey, welche nicht loben können, weil sie nicht zu tadeln wißen: So bitte ich Sie meine Damen und Herren um Erlaubniß, einen einzigen Fehler zu bemercken, der allen anwesenden Kennern der Griechischen Alterthümer nicht anders als anstößig seyn könte, und es um so mehr seyn müßte, da sonst in der Art wie
An die Herausgeber des Journals
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alle übrige Gottheiten, besonders die neu gebohrne Minerva selbst dargestellt und bezeichnet würden, die aller genaueste Übereinstimmung mit dem Griechischen Götter Costume mit Vergnügen zu bemercken wär und dieser Fehler ist, daß die Liebes Göttin (deren Tauben durch die gute Art wie sie angeflogen kamen, von so hofnungsvoller Vorbedeutung waren) daß sage ich, die Mutter der Liebes Götter (ich erröthe daß ich es sagen muß) in einem Aufzug erschien, welcher dem Neglige einer Wäscherin oder Gras Nymfe ähnlicher sah, als dem einzigen Putz, der sich für die Göttin der Schönheit ziemt. Ich brauche mich hoffentlich nicht deutlicher zu erklären; aber ich kan nicht umhin zu wünschen, daß bey etwa künftigen dergleichen Vorstellungen das Decorum
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oder Costum der Venus, welche auser ihrem Gürtel mit keinem andern fremden Schmuck beladen seyn darf, beßer beobachtet werden möchte. An Schönen welche zu dieser Rolle tauglich sind, kan es an einem der Schönheit des Frauenzimmers wegen so berühmten Ort nicht fehlen und wollte ich allenfals (jedoch andern an ihren Ansprüchen und allenfalßigen nähern Recht ohnbeschadet) die wohl bekannte Jungfer N. N. welche als Arthemisia bereits so viel Eindruck auf das Publicum gemacht hat, unmaßgeblich darzu vorgeschlagen haben. Sollte jedoch die löbliche Tugend der D e m u t h keiner von unsern Schönen erlauben wollen, sich in einer solchen Rolle gleichsam als eine Nebenbuhlerin
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der Schönheits Göttin darzustellen: So dächte ich meines geringen Orts, daß es noch immer beßer wäre etwa einen Gips Abguß von der medice ischen Venus vermittelst der erforderlichen Anstalten auf die Schaubühne zu bringen und mit derselben das gehorige manoeuvre zu machen, als auf die Art wie bey der neulichen Vorstellung geschehen ist, den Liebhabern und Kennern des Anticken ein Aergerniß zu geben. Einige, vieleicht allzu spizfindige Kunstrichter haben auch dafür halten wollen, als ob es beßer gewesen wäre und einen weit größern Effect gethan haben würde, wenn die Eule oder vielmehr der Kautz der Minerva an statt durch eine blose Nachbildung von Pappe durch eine lebendige Person vorgestellet worden wäre, als wozu es an tauglichen Subjectis Gott sey Dank! hiesigen Orts nicht gebricht. Es wäre dies, sagten diese Herren, um so nöthiger gewesen, da das Programma ausdrucklich sagt, daß die Eüle sich präsentiren würde um Minerven Cammer Jungfers Dienste zuthun; wozu, bekantermaßen eine würckliche Per-
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J o u r n a l v o n T i e f u r t (Ende August 1781)
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son, so sehr sie auch übrigens Kautz seyn mag, sich allerdings beßer zu schikken scheint, als eine von Pappe. Ich meines Orts laße diesen Tadel Dero selbst eigenen hocherleuchtesten Ermeßen anheim gestellt, und vereinige übrigens und schlüßlich meine Wünsche mit denen des gantzen Publicums, daß das an einem Tage von so glücklicher Vorbedeutung wie der 28. huj. mit so glänzendem Success eingeweyhete T—tische Waldtheater lange stehen und blühen, und die Unternehmer, nach einem so wohlgelungenen ersten Versuch in der Skiagraphischen-Schauspiel-Kunst sich durch den erhaltenen allgemeinen Beyfall aufgemuntert fin10
den möge, uns noch durch viele folgende Meister-Stücke dieser Art glücklich zu machen.
An die Herausgeber des Journals
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Versuch einer Beantwortung der in No: 1. des Journals von Tiefurth ausgestellten Preisfrage Es giebt eine beschwerliche Art von Menschen, welche behaupten will, vernünftige Geschöpfe sollten gar keine Langeweile haben. Dieses Vorgeben, welches freylich nicht ohne alle Wahrscheinlichkeit ist, scheint auf das Publikum einen solchen Eindruck gemacht zu haben, daß man würcklich viele Personen sieht, welche sichs ordentlich zur Schande rechnen, dafür a n g e s e h e n z u w e r d e n , als ob sie jemals Langeweile haben könnten, und welche daher, zu eben der Zeit da sie (zum Exempel) b e y H o f e , den
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ganzen Tag, von der daselbst grassierenden Langeweile schwazen, und eben dadurch ihren betrübten Zuhörern mächtig Langeweile machen, g l e i c h w o h l e i n m a l ü b e r d a s a n d r e g ä h n e n d versichern, daß sie selbst, für ihre eigne Person niemals Langeweile hätten. Allein es ist nichts gewisser, als daß die tägliche Erfahrung einem solchen Vorgeben gerade zu wiederspricht. Es giebt augenscheinlich Personen, welche so zu sagen, das ganze Jahr durch, nichts zu thun haben, oder, wenn sie auch was zu thun h ä t t e n , nichts zu thun w i ß e n , oder wenn sie auch was zu thun wüßten, doch nichts thun m ö g e n , und sich daher alle Tage und Stunden ihres Lebens in dem Fall eines gewißen beliebten L o t t c h e n s befinden, welches auf die Frage w a s m a c h s t d u ? je
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und allezeit die Antwort bereit hat: N i x ! Wie dem aber auch seyn mag, so ist wenigstens zu vermuthen, daß die Frage, wie eine unoccupierte Gesellschaft vor Langerweile zu bewahren sey, nicht wäre aufgeworfen worden, wenn es nicht Personen gäbe, die sich entweder selbst in diesem leidigen Fall befinden, oder doch ihren darinn steckenden Nebenmenschen aus Mitleiden und Gutherzigkeit zu Hülfe kommen möchten. Der Verfasser gegenwärtigen Aufsatzes, glaubt die Auflösung des Problems gefunden zu haben und, indem er allförderst auf die versprochene Belohnung aus bewegenden Ursachen, hiermit aufs sollenneste Verzicht thut, findet er
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J o u r n a l v o n T i e f u r t (Ende August 1781)
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sich, ebenfalls aus purer guter Gutherzigkeit in seinem Gemüthe gedrungen, solche der Hochansehnlichen unoccupierten Gesellschafft, welche derselben auf ein oder andre Weise bedürftig zu seyn scheint, in geziemenden Respect mitzutheilen. Beliebter Kürze halber soll ohne weitere Vorrede sogleich zur Sache selbst geschritten werden. Die unoccupierte Gesellschaft verlangt vor Langerweile bewahrt zu werden. Dieses ist schlechterdings auf keine Weise zu bewerckstelligen als wenn sie o c c u p i r t wird. Die Frage muß also um der Auflösung fähig zu seyn, so 10
gestellt werden: Wie ist es anzufangen, um einer Gesellschafft, die nichts zu thun h a t , oder nichts zu thun w e i s , oder nichts thun m a g , etwas zu thun zu geben? Hier entsteht aber wieder eine neue Frage, nehmlich: soll diese Gesellschafft in corpore, oder jede einzelne Person in derselben f ü r s i c h occupiert werden? Uns düncket das beste wäre, wenn für B e y d e s gesorgt würde, und dies ist es auch, was der Verfaßer gegenwärtigen Versuchs unternommen hat. Also f ü r s E r s t e , wie ist eine unoccupierte Gesellschafft in so fern sie gesellschafftlich leben und sich gemeinschafftlich occupieren, das ist amusie-
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ren will (denn diese beyden Termini können als vollkommen gleich bedeutend angenommen werden) auf eine der Natur einer solchen Gesellschafft angemeßenste Art am Leichtesten und Zweckmäsigsten zu occupieren? 1) Man mache eine Provision von einer Anzahl artiger Kinderspiele, derer es eine unzähliche Menge giebt, und aus welchen etwa 36 der lebhaftesten und kurzweiligsten ausgesucht werden könnten. 2) Diese Kinderspiele vertheile man auf 36 Tage, dergestallt daß auf jeden derselben ein Spielchen komme, und dieses 3) Spiele man dann den ganzen Tag (die Zeit des Frühstückes, Ankleidens, Mittageßens, Theetrinkens und Nachteßens abgerechnet) an einem fort, so
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lange, bis die Langeweile an welcher die Gesellschafft laborirt, entweder vergangen ist, oder bis eine angenehme Ermattung, die sämtlichen Mitglieder derselben in einen sanft und süsen Schlaf versenckt, welcher bekanntermaßen das allergewißeste und einzige Universal-Mittel gegen die Langeweile ist. 4) Sind die besagten 36 Kinderspielchen in 36 Tagen der Reyhe nach durch gespielt, so fange man am 37 Tage wieder von vorn an und continuire damit,
Ve r s u c h e i n e r B e a n t w o r t u n g
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wie vorhin, bis zum 72sten, fange dann am 73 wieder von vorn an, und treibe es immer so fort, bis die 36 Spiele insgesammt zehnmal durch gespielt sind: da sich dann ohne Adam Riesens Rechenbuche, gar leicht ergeben wird daß man solcher gestallt 360 Tage lang, vor der leidigen Langeweile bewahrt worden welches von 365 Tagen woraus jedes gemeine Jahr besteht, gewiß mehr ist, als irgend ein unoccupierter Potentat in der Christenheit von sich rühmen können wird. Was aber Z w e y t e n s das Mittel betrifft, wie jedes einzelne Mitglied der unoccupierten Gesellschafft sich vor Langerweile bewahren kan, so nehmen wir die Freyheit, Eines in Vorschlag zu bringen, von welchen wir uns versi-
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chert halten, daß ihm vor allen Möglichen der Vorzug gebühre, sintemal es nicht nur fähig ist die angenehmsten Empfindungen und Vorstellungen in dem Cerebello einer unnoccupierten Person hervor zu bringen, sondern auch die Eigenschafften hat, daß 1) nicht der mindeste Geldaufwand, 2tens nicht das mindeste Talent dazu erfordert wird und daß es 3tens zu allen Zeiten, Stunden und Augenblicken in unserer Gewalt ist, welches von keiner andern Beschäftigung oder Ergözlichkeit gesagt werden kan. Da wir nicht gemeynet sind, uns mit fremden Federn zu schmücken, so bekennen wir aufrichtig, daß der Erfinder dieses herrlichen Arcani der berühmte Indianische Philosoph Buddas ist, von deßen Jüngern und Nachfolgern solches bereits über 1500
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Jahr lang mit grosem Succeß in Ausübung gebracht wird. Dieses geheime Mittel hat auser seiner erstaunlichen Simplicitaet noch diese grose Tugend, daß man gar nichts dabey denken darf, und qualificirt sich also um so viel beßer zum Gebrauch derjenigen welche aus Mangel an Occupation in Langeweile zu verfallen pflegen, welches ihnen, wenn sie d e n k e n wollten oder könnten nicht begegnen würde. Es besteht darinn, daß eine solche Person stehend, oder sizend, oder in Horizontaler Lage (welches die beste ist) ohne das mindeste zu gedenken, unverwandt und mit aller Aufmercksamkeit deren sie fähig ist, a u f d i e S p i z e n i h r e r e i g n e n N a s e n s e h e n , und in dieser Contemplation ihrer Nasenspize ruhig, ununterbrochen und Gedanckenlos so lange verharren muß, bis sie von allen andern was um sie her ist nichts mehr gewahr wird; da dann nach der Versicherung besagter Indianischer Philosophen, eine unendliche Menge der angenehmsten Erscheinungen mit einer unbeschreiblich angenehmen Empfindung begleitet, diese Person in einen so wonnevollen Zustand
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J o u r n a l v o n T i e f u r t (Ende August 1781)
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versetzen werden daß der Philosoph Buddas’ kein Bedencken trägt, solchen eine wahre Ve r g ö t t e r u n g zu nennen. Das einzige, was wir nicht unbemerckt laßen dürfen, ist dies, daß dieses Mittel etwas s t a r k e N e r v e n erfordert, und daß also Personen, denen es an diesen Requisito fehlt, sich deßen entweder gar enthalten, oder wenigstens wenn sie es probieren wollen, eine vertraute Person, mit einem tüchtigen Fläschgen Englischen Salzes oder spiritus nitri bey der Hand haben müßen, um ihnen solches, sobald sie in Ohnmacht fallen wollen, unter die Nase zu halten. We g e n i h r e s Ve r s t a n d e s aber, können die Personen, die sich die10
ses Mittel gegen die Langeweile bedienen wollen, v ö l l i g o h n e S o r g e s e y n . X. Y. Z.
Ve r s u c h e i n e r B e a n t w o r t u n g
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Der Teutsche Merkur. Erntemond 1781.
Horazens zweyter, dritter und vierter Brief. 2. An Lollius. Indessen Du zu Rom dich in der Kunst der Ciceronen übest, edler L o l l i u s , hab Ich, in meinem stillen Winkel zu Präneste, den Dichter des Trojanschen Krieges wieder gelesen, der was schön ist oder schlecht, was nüzlich oder nicht, uns faßlicher und besser lehrt als K r a n t o r und C h r y s i p p * ) . Warum ich dieser Meynung bin, vernimm,
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wofern du Muße hast. Bethörter Fürsten und betrogner Völker Leidenschaften schildert die Fabel uns, worinn wir Griechenland und Barbarey, zwey schöner Augen wegen, in zehenjähr’gem Krieg zusammenstoßen sehn. A n t e n o r räth, das Übel an der Wurzel zu schneiden, und die Frau zurück zu geben. Was wird mein P a r i s thun? Der schwört, es soll ihn niemand zwingen, glüklich und in Friede auf seinem Thron zu sitzen. N e s t o r eilt die Händel zwischen dem Peliden und dem Sohn des Atreus gütlich beyzulegen. Vergebens! Diesen brennt die Liebe zu des Priesters Tochter, Beyde Zorn und Stolz. Die Fürsten rasen, und wer büßt dafür als die Achäer? Inn- und außerhalb
*)
Horaz, um den Vorzug Homers, als Sittenlehrer betrachtet, vor den Scientifischen Morali-
sten zu behaupten, nennt zween der berühmtesten Lehrer aus der Stoa, als der angesehensten Philosophischen Secte seiner Zeit.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte September 1781)
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der Mauern Ilions, ist Zwitracht und Betrug Begier und Zorn, die Quelle alles Übels. Hingegen stellt Homer ein nüzlich Beyspiel, wie weit ein Mann es blos durch seine Tugend und Weisheit bringen könne, in Ulysses auf, der, nach dem Untergang Dardaniens, vom Schiksal umgetrieben, behutsam vieler Völker Sitten und Verfassung forschte, und indem er unverrükt sein großes Ziel verfolgt, sich und den Seinen
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die Wiederkehr ins liebe Vaterland zu schaffen, Ungemachs und Elends viel erdulden mußte; doch, wie sehr die Wogen ihn niederdrükten, immer sich empor arbeitete, und nie den Sinn verlor, nie die Geduld. Die Klippen der S y r e n e n sind dir bekannt, und Z i r z e n s Zauberbecher? Hätt er, wie seine unverständigen Gefährten, blindlings auch daraus getrunken, was war die Folge? Nun sein Lebenlang
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verdammt zu seyn, in eines üpp’gen Weibes ehrlosem Dienst zu kriechen, ohne Hertz, ein geiler Hund, ein unrathliebend Schwein. Welch einen Spiegel hält dies Buch uns vor! Was sind wir besser als ein Hauffen ohne Namen, nur zum Verzehren gut, P e n e l o p e e n s Sponsierer, Taugenichtse, Hofgesindel des guten Königs von Schlaraffenland A l z i n o u s , ein Völkchen das sonst nichts zu thun hat als des glatten Fells zu pflegen,
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hinein zu schlafen in den hellen Tag, und, wie ein ernsterer Gedanck sich blicken läßt, //
ihn flugs beym Klang der Zithern wegzutanzen?
H o r a z e n s z w e y t e r ¼…½ B r i e f
1—54
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Auf andrer Leben laurend wacht der Räuber die Nächte durch: und du, dich selber zu erhalten, erwachst nicht? Willst nicht lieber, um gesund zu bleiben, deinen Schlummer kürzen als mit der Wassersucht g e z w u n g e n wachen? Wenn du vor Tag nicht Licht und Buch verlangst, *) um deinen Geist auf das was Edel ist zu richten, was gewinnest du damit? Neid oder Liebe wird doch unversehns um deinen Schlaf dich bringen, und dich obendrein
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noch quälen. Eilest du, wenn dir ein Splitter ins Auge fiel, ihn flugs heraus zu kriegen: warum denn, wenn ein Krebs an deiner Seele nagt, die Heilung Jahre lang hinauszuziehen? Frisch angefangen ist schon halb gethan. Was säumst du? Wag es auf der Stelle, Weise zu seyn! Wer recht zu leben eine Stunde nur verschiebt, gleicht jenem Bäurlein, das am Fluße geduldig stehen blieb, zu warten bis das Wasser abgeflossen wäre. Thor,
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die Zeit die du verlierst, wie dort der Strom, läuft fort und läuft und ewig wird sie laufen, nur nie zurück. Wer bloß von Wünschen lebt, verliert just das was S e i n am Leben ist. Erst sucht man Geld, dann eine Frau um Erben dazu zu haben, und wenn endlich Nichts mehr übrig ist, so pflügt man Wälder um. *)
Nach alter Römischer Sitte stund jedermann mit Anbruch des Tages auf, um sich an seine
Geschäfte zu machen, und in den Tag hinein zu schlafen würde einem Ehrenmann eben so schimpflich gewesen seyn als betrunken auf der Straße gefunden zu werden, oder bey Nachtzeit das Haus eines Mädchenmäklers zu stürmen. Noch vor Tage aufzuwachen, um seinem Geist durch Lesen und Meditation eine gute Richtung zu geben, war also nicht zu viel von einem Jüngling gefodert, der, wie Lollius, eine edle Rolle in der Welt zu spielen bestimmt, durch Angewöhnung an eine Lebensart, die das Widerspiel von dem üppigen Schlaraffenleben des Hofgesindels von Alcinous war, sich zu derselben vorbereiten sollte.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte September 1781)
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Wer, was genug ist, hat, der wünsche sich nicht Mehr. Haus, Güter, Hauffen Golds und Silbers, können des Besitzers Blut vom Fieber nicht befreyen, noch von Sorgen sein Herz. Gesund muß der zuförderst seyn der des gehäuften Guts sich freuen will. Plagt ihn Begierde oder Furcht, so hilft ihm Haus und Hof so viel als einem Triefaug’ Gemählde, Bähungen dem Podagra, und Geigen dem, der in den Ohren leidet.
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Ist dein Gefäß nicht rein, so würde Nektar zu Eßig drinn. — Verschmäh die Jugendlüste! Mit Schmerz erkauft ist Wollust allzutheuer. Zieh einen engen Kreis um deine Wünsche. Der Geiz’ge darbet ewig, und der Neid wird magrer wie sein Nachbar fetter wird. Der schlimmste der Sicilischen Tyrannen hat keine größere Pein erfunden als den Neid. Wer seinen Zorn nicht bändigt, wird zu spät bereuen was die rasche Rachbegier
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ihm eingab. Zorn ist kurze Raserey. Regiere deine Leidenschaften, bänd’ge sie mit Ketten und Gebiß! Wofern sie dir nicht dienstbar sind, so sind sie deine Herren. Jung lernt das Roß die noch gelehrige biegsame Scheitel unter seinen Meister zu schmiegen, und den Weg zu gehn, den ihm der Reuter zeigt. Das junge Windspiel jagt die Wälder rastlos durch, so bald es nur im Vorhof die ausgestopfte Hirschhaut anzubellen
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gelernt hat. Izt, o Jüngling, suche die, durch die du besser werden kannst! Izt sauge mit reiner Brust der Weisheit Lehren ein! Ein Topf verliert den Wohlgeruch nicht leicht //
womit er neu durchbalsamt worden ist.
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Nun, wie du willst! Geh fürder, oder bleib zurück: Ich werde meines Weges gehen, und weder auf dich warten, wenn du säumst, noch, wenn du mir zuvoreilst, schneller laufen.
3. An Julius Florus. In welchen Gegenden der Welt T i b e r , der Stief-Sohn Cäsars, seine Adler zeige, ob Thrazien, und der Hebrus, dessen Fuß des Winters Fesseln schleppt, ob der Kanal der Abydos und Sestos scheidet, oder ob
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die fetten Hügel und die lachenden Gefilde des schönen Asiens euch halten, bald von dir, mein lieber F l o r u s , zu erfahren, ist wornach ich ungedultig bin. Was treiben die Musensöhne unter euch? Auch das verlangt mich zu wissen. Welcher wählt von euch die Thaten A u g u s t s sich aus, und seiner Siege Frucht, den langen Frieden dessen unter ihm die Welt genoß, der Zukunft vorzusingen? Wie gehts dem T i t i u s , dessen Namen bald
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auf unsrer Römer Lippen schweben wird? der die gemeinen Bächlein, und die Teiche aus welchen alles trinkt verachtend, kühn sich einen Weg zu jenen Felsen machte, aus welchen P i n d a r s hohe Quelle rauscht. Wie lebt er? denkt er noch an uns? und was beschäftigt ihn? Stimmt ihm die Muse, die ihm hold ist, die lateinsche Lyra zu des mächtigen T h e b a n e r s * ) Weisen? Oder tobt er im tragischen Kothurn, und läßt die Helden *)
Pindars.
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aus ihren Larven Schaum und Blasen sprudeln? Was macht mein C e l s u s , den ich oft ermahnt und noch ermahnen muß, ein Eigenthum sich anzuschaffen und die Schriften unberupft zu lassen, die der P a l a t i n s c h e G o t t in seinen ofnen Schatz gelegt, *) damit, wenn einst die Schaar der Vögel ihre Federn wieder zu hohlen kömmt, der bunte, strotzende, begafte Wunder-Vogel nicht, entblößt 10
von seiner Farbenpracht, auf einmal kahl als Krähe steh’ und zum Gelächter werde. Du selbst, mein J u l i u s , was hast du vor? Um welche Sommerblumen gauckelst du der Biene gleich? Dir ward ein schöner Boden zu Theil; du hast ihn angebaut, und nicht verwildern lassen. Immer wird der Sieg dich krönen, Freund, es sey nun daß du dich als Redner vor Gerichte zeigest, oder die bürgerlichen Rechte auslegst, oder Liebe
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und leichte Scherze singst. Und könntest du der Sorgen die den Geist erkälten dich entschlagen, und zur einzgen Führerin die Weisheit dir erwählen — glaube mir kein Weg zum Nachruhm wäre dir zu steil. Dies ist die große Angelegenheit, die uns, soviel wir sind, beschäftgen muß,
*)
Augustus hatte neben dem prächtigen Tempel, welchen er dem Apollo drey Jahre nach der
Schlacht bey Actium auf dem Palatinischen Berge gewidmet, eine Gallerie erbauen lassen, worinn eine doppelte große Büchersamlung allen Gelehrten offen stund. Die eine enthielt alle damals 30
vorhandne lateinische Dichter und Prosaisten; die andre bestand hauptsächlich aus der Sammlung griechischer Schriftsteller welche L u c u l l u s aus Apollonia im Pontus nach Rom hatte bringen lassen, und welche sehr ansehnlich gewesen seyn muß, da sie dieser Stadt nicht weniger als 500 Talente (ungefehr 500 000 Thaler) anzuschaffen gekostet haben soll.
H o r a z e n s ¼…½ d r i t t e r ¼…½ B r i e f
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wenn wir dem Vaterlande lieb, wenn wir uns selbst einander theuer werden wollen. Auch dies vergiß mir nicht zu schreiben, wenn du anders schreibst, wie stehn die Sachen zwischen M u n a t i u s und dir? Ist, seit ihr euch versöhntet, eure Freundschaft wieder völlig geheilt und zugewachsen, oder blieb noch eine Narbe übrig? Sey es Wärme des Blutes, oder Unerfahrenheit, was euch erhizt — denn beyder Nacken ist
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noch ungebändigt — unter welchen Menschen ihr lebt, wo wollt ihr beßre Freunde finden als Euch? Ihr habt den Bruderbund geschworen, und seyd, ihn nie zu brechen, beyde werth. Kommt bald zurück! Es weidet unterdessen, auf meiner Flur, den Freundschafts-Göttern heilig, ein jährig Kalb auf eure Wiederkunft.
4. An Albius Tibullus. Du milder Richter meiner unbedeutenden Sermonen, wie genießest du, Tibull,
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dein Leben auf dem Lande? Dichtest du was selbst den anmuthsvollen Kleinigkeiten des C a s s i u s v o n P a r m a * ) länger nicht den Vorzug lasse, oder schleichest du in ruhiger Betrachtung, still und einsam durch den gesunden Wald, und suchst in deinem eignen Herzen was des Weisen und Guten würdig ist. Denn nie, o Freund, *)
Der Verlust der Werke dieses Cassius ist nicht geringe, da Horaz dem Tibull kein größer
Compliment machen zu können glaubt, als ihn demselben an die Seite zu stellen.
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glichst du dem schönen Kopf der Fabel, dem nichts als die Seele fehlt. Die Götter gaben dir Gestalt und Reichthum, und die seltne Kunst des Lebens froh zu seyn. Was größers kann die fromme Amme ihrem lieben Kleinen, der sich an ihrem Busen aufwärmt, von den Göttern erbitten, als Gefühl und ofnen Sinn, und das Talent zu sagen was er fühlt, und zu gefallen, und Gesundheit, und ein artig 10
Auskommen, guten Ruf, und stets für jeden nicht unbescheidnen Wunsch so viel im Beutel als er bedarf? Dies Glück ist dein, Tibull. Laß niemals Furcht noch Hoffnung, Streit, noch Sorgen der Zukunft dir dies schöne Loos verkümmern. Nimm jeden Tag der anbricht für den lezten, so wird die Stunde, die noch unverhoft dazu kommt, dir so viel willkommner seyn. Mich wirst du wohl beleibt, mit glattem Fell und runden Backen, sehn, sobald dir einfällt, über
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ein wohlgepflegtes Schwein, aus Epikurs verschrie’nem Stalle, lustig dich zu machen. W.
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Ein Wort von Herrn Vo ß e n s Einwendungen gegen die teutschen Monatsnamen. (S. No. 6. im Wo n n e m o n d des D. Museums 1781.) Es ist uns ein kleiner Aufsaz zum Einrücken zugeschikt worden, worinn der Verfasser, aus Gelegenheit der vorgenannten Vo ß i s c h e n E r u p t i o n gegen die alt- oder neu-teutschen Monatsnamen, seinen herzlichen Unwillen über das, was er den Sprudelgeist, die Inconsequenz, und den schnarchenden Raufboldischen Ton dieses rüstigen Schriftstellers nennt, in Ausdrücken zu erkennen giebt, welche denen in solchen Fällen gewöhnlichen Vo ß i s c h e n nicht viel schuldig bleiben. Aber eben darum hoffen wir, daß uns der wakre B i e -
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d e r m a n n (wie er sich unterschreibt) verzeyhen werde, wenn wir Bedenken getragen seinen Aufsaz wörtlich abdrucken zu lassen; welches uns um so weniger nöthiger schien, da der B i e d e r m a n n sich darauf verlassen kann, daß sowohl d e r G r ö ß t e als d e r B e s t e Theil des Publikums die auffallenden Freyheiten, welche sich Hr. Voß seit einiger Zeit sowohl gegen alle die nicht immer seiner Meynung sind als gegen das lesende Publicum überhaupt herausnimmt, vollkommen so ansieht wie Er; und daß Hr. Voß eigentlich durch diese Art sich der Welt zu exhibieren niemanden Schaden thut als sich selbst. Übrigens glauben wir, der B i e d e r m a n n habe völlig Recht, den Mann, der gegen die Einführung der teutschen Monatsnamen aus dem Grunde so heftig eyfert, weil solche dem bisherigen B r a u c h entgegen sey, (dem lieben U s u s quem penes arbitrium est et juˆs et norma loquendi)
— einer starken Inconsequenz zu beschuldigen. Entweder, sagt er, ist Hr. Voß ein eben so eigenmächtiger Herrscher wie der Tyrann U s u s ; oder wenn die Regierung des leztern rechtmäßig ist, so ist Hr. Voß ein Rebelle. Denn ist es nicht der Usus vieler Jahrhunderte, U l y s s e s , J u n o , M i n e r v a e t c . und nicht O d ü s s e u s , H ä r ä , A t h ä n ä , e t c . zu schreiben und zu sagen? Wie polterte nicht Hr. Vo ß gegen den Unverstand des Usus, da er uns seine gar
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prächtig klingende Aussprache Griechischer Namen aufdringen wollte? Und nun soll man dem Usus doch gehorchen, wenn man auch schon beweisen kann, daß seine Entscheidungen gegen den gesunden Menschenverstand sind! — Das goldne Sprüchlein artem modestia vincit
welches der wohlmeynende Bidermann Hrn. Voßen zum Schluß ans Herz legt, sollte wohl heut zu Tage von manchem Alt- und Jung-Meister in der GelehrtenInnung wie ein Amulet am Halse getragen werden. Was übrigens die neuen Monatsnamen anbetrift, so sind freylich die leicht 10
vorausgesehnen Unbequemlichkeiten dieser a n s i c h ganz löblichen Neuerung in Praxi wichtiger als man sich solche vorgestellt haben mag; und wir selbst sehen uns, zu besserer Verhütung derselben, genöthigt, künftig auf dem b l a u e n U m s c h l a g die Altüblichen Namen so lange beyzubehalten, bis sich zeigen wird, daß man derselben nicht mehr bedürfe um zu wissen was für einen Monat man nennen wolle. D. H.
E i n Wo r t v o n H e r r n Vo ß e n s E i n w e n d u n g e n
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Erster Versuch über die Frage: Was würkt am stärksten auf des Menschen Seele, Mahlerey oder Musik? Wenn die Frage einem Mahler und einem Musicus vorgelegt würde, so ist leicht zu errathen, was für Antwort erfolgte. Jeder würde für S e i n e Kunst entscheiden. Legte man die Frage einer Person vor, die sehr gute Augen aber ein unvollkomnes Gehör hätte, so würde die Mahlerey den Proceß gewinnen: hätte der Richter blöde Augen aber ein sehr wohl organisiertes Ohr, so bekäme die 10
Musik den Preis. Wer also was entscheidendes über diese Aufgabe sollte sagen können, müßte das Auge eines Mahlers und das Ohr eines Tonkünstlers zugleich haben, beyde Künste gleich gut verstehen, beyde gleich lieben, auch von beyden das Vollkommenste gesehen und gehört haben. Da der Verfasser dieses Aufsatzes leider! weit davon entfernt ist, an so seltne Vorzüge Anspruch machen zu können, so wäre wohl das sicherste für ihn gewesen, die Feder über eine so feine und verwickelte Aufgabe gar nicht anzusetzen. Aber da es für diesesmal, dem Verlauten nach, in dem Bureau des Journals
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von T. ziemlich an Materialien gebrechen soll, so hoffet man, es werde als eine Art von Patriotischer Aufopferung angesehen werden, wenn in einem solchen Nothfall auch derjenige das Seinige nach Vermögen beyträgt, dem die Bescheidenheit sonsten über einen so weit über seine Sfäre gehenden Gegenstand ein gerechtes Stillschweigen auferlegt hätte. Nach einem so deh und wehmüthigen Eingang versteht sichs von selbst, daß Schreiber dieses durch folgende ohnmasgebliche und (aus Mangel der Zeit) nicht genugsam ausgebrütete Gedanken bessern Meynungen nichts vorgegriffen noch benommen haben will. Seiner einfältigen Meynung nach, ist zwischen Musik und Mahlerey keine
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größere Ähnlichkeit als zwischen der Kochkunst und der Musik. Ein Koch
Wa s w ü r k t a m s t ä r k s t e n
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m u s i c i r t für den Gaumen, ein Musicus m a h l t fürs Ohr — der Witz, der alles Vergleichen kann, kann auch hier Ähnlichkeiten genug herauswitzeln; aber der Philosophische Verstand sieht in diesen Ähnlichkeiten am Ende nur Wortspiele; g e m a h l t e M u s i k tönt ihm gerade so wie g e k o c h t e M a h l e r e y ; und wo die Sachen so sehr verschieden sind in Natur u: Wesen, Mitteln und Endzwek, Materie und Form, da vergleicht er lieber gar nicht, sondern weiset lieber jede in ihre eigne Herrschaft und Grenzen zurük, und läßt sie gelten was sie an und für sich selbst gilt und gelten kann. Die Mahlerey würkt durch d i e A u g e n auf die Seele, die Musik durch d i e O h r e n . Ohngeachtet die Natur die Organen dieser beyden Sinne im Mensch-
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lichen Körper durch sehr feine Bande zusammen geschlungen hat: so haben doch diese Sinne selbst nicht mehr mit einander gemein als mit dem Geruch, Geschmak oder Gefühl; ein schöner Umriß, und ein reiner Accord, sind einander nicht ähnlicher als sie dem Geruch einer Rose oder dem Geschmak einer Muscateller Traube ähnlich sind. Wie sollten sich also ihre Würkungen vergleichen lassen? Wo ist der Maasstab dazu? Die Mahlerey würkt mehr, würkt bestimmter, verständlicher, anschaulicher, auf I m a g i n a t i o n und Ve r s t a n d : die Musik bestimmter, stärker, schneller und unwiderstehlicher auf die E m p f i n d u n g e n u n d L e i d e n s c h a f t e n d e s H e r z e n s — könnte man sagen, und mit vielerley Gründen beweisen —
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Und doch möchte ich die Musik hören, die o h n e B e y h ü l f e d e r P o e s i e und P a n t o m i m i k (denn freylich, wenn diese beyde ihr nachhelfen ists was anders) im Stande wäre aufs H e r z zu würken was Chodowieckys F a m i l i e C a l a s würkt. Dafür wird es aber auch wohl R a f a e l selbst bleiben lassen müßen, eine Dreyfaltigkeit zu mahlen, deren Anschauen die Würkung auf unser Herz und Sinn thue, welche H ä n d e l s großes Hallelujah-Chor im Messias hervorbringt. Indessen muß man gestehen, daß jenes Gemählde und diese Musik o h n e Wo r t e , die ihren Sinn aufschließen, doch nur sehr u n b e s t i m m t und m a n g e l h a f t würken, und nicht viel mehr als R ä t h s e l seyn würden: wiewohl auch in diesem Falle dem Mahler, Kupferstecher oder Zeichner (welche hier für Einen Mann stehen) in Rüksicht auf d i e D e u t l i c h k e i t ein großer Vorzug vor dem Musikalischen Komponisten bleiben würde. Ein H a s s e kann durch die vereinigte Gewalt der Melodie und der Har-
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monie, durch schöne Menschenstimmen und vortrefliche Instrumental-Begleitung, mit Leben, Wärme und feinem Gefühl vorgetragen, alle Grade verliebter Zärtlichkeit und zärtlicher Liebe (welches, im Vorbeygehen gesagt, nicht einerley sagen will) ausdrücken: aber das, was O r p h e u s fühlt, da er, seine verlohrne Eurydice beklagend, ausruft Che farò senza Euridice? das kann kein Hasse, und wenn er dreyfach und siebenfach Hasse wäre, durch bloße Töne und Harmonie, ohne Worte, oder ohne Hülfe der sichtbaren P a n t o m i m i s c h e n Darstellung (z. E. in einem Ballet) unmöglich aussprechen. 10
Bey seiner bloßen Musik fühlt man sich zwar b e w e g t , g e r ü h r t — man glaubt, höchstens, die Stimme der Liebe, das Wehklagen oder sehnende Verlangen der leidenden Zärtlichkeit zu hören — aber eben diese Folge von Tönen, eben diese Harmonien würden auch auf zwanzig andre Situationen, als die des O r p h e u s der seine verlohrne Gattin sucht, mit gutem Fug und Erfolg angewandt werden, und aus der bloßen Musik könnte Oedipus selbst nicht errathen, daß es Orpheus sey, der um seine Euridice klage. Schicken wir aber dem Komponisten noch die P a n t o m i m i s c h e D a r s t e l l u n g zu Hülfe — so wird es allenfalls keiner Wo r t e bedürfen; die Musik ersezt dann, was der bloßen Pantomime an Deutlichkeit noch abgeht, und mit
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zusammengesezten Kräften werden sie ungefehr eben die Würkung thun, welche die Poesie, von Declamation und Pantomimik unterstüzt, o h n e M u s i k thun würde. Die Pantomimische Darstellung würkt auf eben die Art, durch eben die Mittel und Wege auf die Seele wie die Mahlerey. In jedem Falle wo es um Hervorbringung eines gewissen b e s t i m m t e n Eindruks zu thun ist, ist ihre Würkung d e u t l i c h e r , folglich z w e k m ä ß i g e r als die Würkung der Musik; aber doch in den meisten Fällen nicht deutlich, nicht verständlich genug, ohne Beyhülfe einer wörtlichen Erklärung des Süjets. Beydes also, sowohl der Mahlerische als der Musicalische Ausdruk, ist für sich allein nicht zureichend die
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Seele in einem hohen Grade mit einer bestimten Empfindung anzufüllen; aber was Jenem hierzu fehlt, ist w e n i g e r als was diesem fehlt: denn damit die Vorstellung des Mahlers ihren ganzen Effect thun könne, müßen höchstens nur soviel Worte hinzukommen als zur Anzeige des Sujets nöthig sind: damit hingegen die Arbeit des Komponisten ihre ganze Würkung thun könne, muß wenigstens noch d i e P a n t o m i m i k hinzukommen; und was heißt dies
Wa s w ü r k t a m s t ä r k s t e n
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im Grunde anders, als d i e M u s i k muß die M a h l e r e y zu ihrem Beystand rufen? Von dieser Seite betrachtet scheint also der leztern der Vorzug zu gebühren. Aber dagegen müßen wir nicht vergessen, daß es andre Fälle giebt, wo die Musik g a n z a l l e i n mächtig genug ist, eine weit schnellere und stärkere Würkung zu thun, als die Mahlerey. Ich glaube nicht, daß das schönste Gemählde eines Rundtanzes von Jünglingen und Mädchen oder Frauen und Nymfen jemals die Füße einer Gesellschaft von jungen Leuten eben so rasch und lebhaft heben werde, als ein muntrer Englischer oder Teutscher Tanz, und wenn er ihnen auch nur auf einem Dudelsak vorgespielt würde.
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Ebenso vermag die Musik, durch sehr simple Mittel, die Seele a u f e i n m a l , und auf eine u n w i d e r s t e h l i c h e A r t aus Freude in ein dumpfes Staunen und ängstliches oder wenigstens schauderliches Warten der Dinge die da kommen sollen, zu versetzen — ein Affect welchen die Mahlerey zu erregen kein mir bekanntes Mittel hat. Noch einen großen Vortheil (ich sage mit Fleiß nicht Vo r z u g , sondern Vo r t h e i l ) hat die Musik vor der Mahlerey darinn, daß diese, um eine gewiße bestimmte Würkung auf die Seele zu thun, nur E i n e n Augenblik, jene hingegen, weil sie ihre Würkung durch eine F o l g e von Tönen und Accorden thut, eine M e n g e von Augenblicken hat, deren z u s a m m e n g e s e z t e s Würken zu
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E i n e m Z w e c k und auf E i n e n P u n c t nothwendig einen weit lebhaftern und intensivern Effect machen muß als der einzige Augenblik des Mahlers. Dagegen ist aber auch wieder richtig, daß der Mahler mit seinem einzigen Augenblik den Geist stundenlang beschäftigen und eine Menge Gedanken und Betrachtungen hervorbringen kann, für welche die sich selbst überlaßne Musik keine Ausdrücke hat. Die Musik kann rühren; aber die Mahlerey kann d e n k e n machen. Überhaupt scheinen die Würkungen der leztern ruhiger, geistiger und intelligibler, die der erstern hingegen lebhafter, eindringender, sinnlicher und körperlicher zu seyn — oder, um es rund heraus zu sagen, die Mahlerey scheint mehr auf den Verstand, die Musik mehr auf das Herz, jene mehr auf die Seele, diese mehr auf den Körper zu würken. Daher die gewaltigen Würkungen, die man ihr (nach bekannten Beyspielen) zuschreibt, und die sich alle sehr wohl aus den starken Bewegungen, welche sie dem Blut und den Lebensgeistern mittheilt, erklären lassen. Die Mahlerey scheint einen längern Weg
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nöthig zu haben, um diejenige Seele zu erreichen, die, nach der Meynung des göttlichen Plato, u n t e r m Z w e r c h f e l l wohnt und die Quelle unsrer Leidenschaften ist: der Weg der Musik hingegen ist viel kürzer, und ihre Erschütterungen müßen nothwendig um soviel lebhafter seyn, da unser ganzes Fibern System im Grunde Ein einziges mit unzählichen Sayten gleichsam musikalisch bespanntes Instrument ist, und die Musik also nicht nur auf unsere Gehör-Nerven, sondern durch dieselben auf unsern ganzen organischen Bau würkt. Wenn ich aus allen diesen Datis die Resultate ziehen, und dann entscheiden 10
sollte, welcher von beyden Künsten der Vorzug der stärkern Würkung auf die Seele gebühre, so würde es mir gehen wie jenem Stadtrichter zu Abdera, der immer derjenigen Parthey Recht gab, die zulezt redete. Ich begreiffe indessen wohl daß sich noch sehr viel Neues und Tiefsinniges über die vorgelegte Frage sagen lasse, wenn die Sache aus einem einzigen festen Standpunct betrachtet würde; welches ich andern gerne überlasse, und mir nur noch über die Z w e y t e Frage mich ebenfalls vernehmen zu lassen, auf ein andermal vorbehalten haben will. W. den 19.t Septemb. 1781. Musophilus.
Wa s w ü r k t a m s t ä r k s t e n
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Geschichte der Abderiten von C. M. Wieland. Erster Theil, der das erste, zweyte und dritte Buch enthält. Neu umgearbeitete und vermehrte Ausgabe. Leipzig, bey Weidmanns Erben und Reich. 1781.
Vorbericht. Diejenigen, denen etwan daran gelegen seyn möchte, sich der Wa h r h e i t der bey dieser Geschichte zum Grunde liegenden Thatsachen und charakteristischen Züge zu vergewissern, können — wofern sie nicht Lust haben, solche in den Quellen selbst, nämlich in den Werken eines Herodots, Diogenes Laertius, Athenäus, Älians, Plutarchs, Lucians, Paläphatus, Cicero, Horaz, Petrons, Juvenals, Valerius, Gellius, Solinus, u.a. aufzusuchen, — sich aus den Artikeln A b d e r a und D e m o k r i t u s in dem Baylischen Wörterbuche überzeugen, daß diese Abderiten nicht unter die wahren Geschichten im Geschmacke der 10
l u c i a n i s c h e n gehören. Sowohl die A b d e r i t e n , als ihr gelehrter Mitbürger D e m o k r i t u s , erscheinen hier in ihrem wahren Lichte; und wiewohl der Verfasser, bey Ausfüllung der Lücken, Aufklärung der dunkeln Stellen, Hebung der wirklichen und Vereinigung der scheinbaren Widersprüche, die man in den vorbemeldten Schriftstellern findet, nach unbekannten Nachrichten gearbeitet zu haben scheint: so werden doch scharfsinnige Leser gewahr werden, daß er in allem diesem einem Gewährsmanne gefolget ist, dessen Ansehen alle Äliane und Athenäen zu Boden wiegt, und gegen dessen einzelne Stimme das Zeugniß einer ganzen Welt, und die Entscheidung aller Amphictyonen, Areopagiten, Decemvirn, Centumvirn und Ducentumvirn, auch Doctoren,
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Magistern und Baccalauren, sammt und sonders ohne Wirkung ist, nämlich der Natur selbst. Sollte man dieses kleine Werk als einen, wiewohl geringen, Beytrag zur Geschichte des menschlichen Verstandes ansehen wollen: so läßt sichs der Verfasser sehr wohl gefallen; glaubt aber, daß es auch unter diesem so vornehm klingenden Titel weder mehr noch weniger sey, als was alle Geschichtbücher seyn müssen, wenn sie nicht sogar unter die schöne Melusine herabsinken, und mit dem schaalsten aller Mährchen, der Dame D’ A u n o y in Eine Rubrik geworfen werden wollen.
Vo r b e r i c h t
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Die Abderiten. Erstes Buch, oder Demokritus unter den Abderiten. Erstes Kapitel. Vorläufige Nachrichten vom Ursprung der Stadt Abdera und dem Charakter ihrer Einwohner. Das Alterthum der Stadt A b d e r a in Thracien, verliert sich in der fabelhaften Heldenzeit. Auch kann es uns sehr gleichgültig seyn, ob sie ihren Namen von A b d e r a , einer Schwester des berüchtigten Diomedes, Königs der bistonischen Thracier, *) — der ein so großer Liebhaber von Pferden war und deren so 10
viel hielt, daß er und sein Land endlich von seinen Pferden aufgefressen wurde, **) — oder von A b d e r u s , einem Stallmeister dieses Königs, oder von einem andern A b d e r u s , der ein Liebling des Herkules gewesen seyn soll, empfangen habe. Abdera war, einige Jahrhundert nach ihrer ersten Gründung, vor Alter wieder zusammengefallen: als T i m e s i u s v o n K l a z o m e n e , um die Zeit der ein und dreyßigsten Olympiade, unternahm, sie wieder aufzubauen. Die wilden Thracier, welche keine Städte in ihrer Nachbarschaft aufkommen lassen wollten, ließen ihm nicht Zeit, die Früchte seiner Arbeit zu geniessen. ***) Sie trieben ihn wieder fort, und Abdera blieb unbewohnt und unvollendet, bis, unge-
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fähr um das Ende der Olympiade 59, die Einwohner der ionischen Stadt Te o s — weil sie keine Lust hatten, sich dem Eroberer Cyrus zu unterwerfen — zu Schiffe giengen, nach Thracien segelten, und, da sie in einer der fruchtbarsten Gegenden desselben dieses Abdera schon gebauet fanden, sich *)
S o l i n . Polyhist. c. X.
**)
P a l ä p h a t u s in seinem Buche von U n g l a u b l i c h e n D i n g e n erklärt auf diese Weise die
Fabel, daß dieser Fürst seine Pferde mit Menschenfleisch gefüttert habe, und ihnen endlich selbst vom Herkules zur Speise vorgeworfen worden sey. ***)
Herodot. I. 43.
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dessen als einer verlassenen und niemanden zugehörigen Sache bemächtigten, auch sich darinnen gegen die thracischen Barbaren so gut behaupteten, daß sie und ihre Nachkommen von nun an Abderiten hiessen, und einen kleinen Freystaat ausmachten, der (wie die meisten griechischen Städte) ein zweydeutig Mittelding von Demokratie und Aristokratie war, und regieret wurde, — wie kleine Republiken von je her regieret worden sind. „Wozu (rufen unsre Leser) diese nichtsbedeutende Deduction des Ursprungs und der Schicksale des Städtchens Abdera in Thracien? Was kümmert uns Abdera? Was liegt uns daran, zu wissen, oder nicht zu wissen, wann, wie, wo, warum, von wem, und zu was Ende eine Stadt, welche längst nicht
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mehr in der Welt ist, erbaut worden seyn mag?“ Geduld! günstige Leser! Geduld, bis wir, eh ich weiter fort erzähle, über unsre Bedingungen einig sind. Verhüte der Himmel, daß man euch zumuthen sollte, die Abderiten zu lesen, wenn ihr gerade was nöthigeres zu thun, oder was besseres zu lesen habt! — „Ich muß auf eine Predigt studiren. — Ich habe Kranke zu besuchen. — Ich hab’ ein Gutachten, einen Bescheid, eine Leuterung, einen unterthänigsten Bericht zu machen. — Ich muß recensiren. — Mir fehlen noch sechzehn Bogen an den vier Alphabeten, die ich meinem Verleger binnen acht Tagen liefern muß. — Ich hab’ ein Joch Ochsen gekauft. — Ich hab’ ein Weib genommen. —“ In Gottes Namen! Studiert, besucht, referirt, recen-
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sirt, übersetzt, kauft und freyet! — Beschäftigte Leser sind selten gute Leser. Bald gefällt ihnen alles, bald nichts; bald verstehn sie uns halb, bald gar nicht, bald (was das schlimmste ist) unrecht. Wer mit Vergnügen, mit Nutzen lesen will, muß gerade sonst nichts anders zu thun noch zu denken haben. Und wenn ihr euch in diesem Falle befindet: warum solltet ihr nicht zwo oder drey Minuten daran wenden wollen, etwas zu wissen, was einem Salmasius, einem Barnes, einem Bayle, — und, um aufrichtig zu seyn, mir selbst (weil mir nicht zu rechter Zeit einfiel, den Artikel Abdera im Bayle nachzuschlagen,) eben so viele Stunden gekostet hat? Würdet ihr mir doch geduldig zugehöret haben, wenn ich euch d i e H i s t o r i e v o m K ö n i g i n B ö h m e n l a n d d e r s i e b e n S c h l ö s s e r h a t t e , oder d i e G e s c h i c h t e d e r d r e y C a l e n d e r zu erzählen, angefangen hätte. Die Abderiten also, hätten (dem zufolge, was bereits von ihnen gemeldet worden ist,) ein so feines, lebhaftes, witziges und kluges Völkchen seyn sollen, als jemals eines unter der Sonne gelebt hat. —
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„Und warum dies?“ Diese Frage wird uns vermuthlich nicht von den Gelehrten unter unsern Lesern gemacht. Aber, wer wollte auch Bücher schreiben, wenn alle Leser so gelehrt wären, als der Autor? Die Frage w a r u m d i e s ist allemal eine sehr vernünftige Frage. Sie verdient, wo die Rede von m e n s c h l i c h e n Dingen ist, allemal eine Antwort; und wehe dem, der verlegen, oder beschämt, oder ungehalten wird, wenn er sich auf w a r u m d i e s vernehmen lassen soll. Wir unsers Orts würden die Antwort ungefodert gegeben haben, wenn die Leser nicht so hastig gewesen wären. Hier ist sie! 10
Te o s war eine atheniensische Colonie, von den zwölfen oder dreyzehn eine, welche unter Anführung des N e l e u s , K o d r u s S o h n s , in Ionien gepflanzt wurden. Die Athenienser waren von je her ein muntres und geistreiches Volk, und sind es noch, wie man sagt. Athenienser, nach Ionien versetzt, gewannen unter dem schönen Himmel, der dieses von der Natur verzärtelte Land umfließt, wie Burgunderreben durch Verpflanzung aufs Vorgebirge. Vor allen andern Völkern des Erdbodens waren die ionischen Griechen die Günstlinge der Musen. Homerus selbst war, der größten Wahrscheinlichkeit nach, ein Ionier. Die erotischen Gesänge, die milesischen Fabeln (die Vorbilder unsrer Novellen
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und Romanen,) erkennen Ionien für ihr Vaterland. Der Horaz der Griechen Alcäus, die glühende Sappho, Anakreon, d e r S ä n g e r — Aspasia, d i e L e h r e r i n — Apelles, d e r M a h l e r — d e r G r a z i e n , waren aus Ionien; Anakreon war sogar ein geborner Tejer. Dieser letzte mochte etwa ein Jüngling von achtzehn Jahren seyn, (wenn anders B a r n e s recht gerechnet hat,) als seine Mitbürger nach Abdera zogen. Er zog mit ihnen; und zum Beweise, daß er seine den Liebesgöttern geweihte Leyer nicht zurückgelassen, sang er dort das Lied a n e i n t h r a c i s c h e s M ä d c h e n , (in Barnesens Ausgabe das ein und sechzigste,) worinn ein gewisser wilder thracischer Ton mit der ionischen Grazie, die seinen Liedern eigen ist, auf eine ganz besondere Art absticht.
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Wer sollte nun nicht denken, die Tejer — in ihrem ersten Ursprung Athenienser — so lange Zeit in Ionien einheimisch — Mitbürger eines Anakreons — sollten auch in Thracien den Charakter eines geistreichen Volkes behauptet haben? Allein (was auch die Ursache davon gewesen seyn mag,) das Gegentheil ist außer Zweifel. Kaum wurden die Tejer zu Abderiten, so schlugen sie aus der Art. Nicht daß sie ihre vormalige Lebhaftigkeit ganz verloren,
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und sich in S c h ö p s e verwandelt hätten, wie J u v e n a l sie beschuldigt *). Ihre Lebhaftigkeit nahm nur eine wunderliche Wendung; und ihre Einbildung gewann einen so großen Vorsprung über ihre Vernunft, daß es dieser niemals wieder möglich war, sie einzuholen. Es mangelte den Abderiten nie an Einfällen: aber selten paßten ihre Einfälle auf die Gelegenheit, wo sie angebracht wurden; oder kamen erst, wenn die Gelegenheit vorbey war. Sie sprachen viel, aber immer ohne sich einen Augenblick zu bedenken, w a s sie sagen wollten, oder w i e sie es sagen wollten. Die natürliche Folge hievon war, daß sie selten den Mund aufthaten, ohne etwas a l b e r n e s zu sagen. Zum Unglück erstreckte sich diese schlimme Gewohnheit auch auf ihre Handlungen; denn gemei-
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niglich schlossen sie den Kefig erst, wenn der Vogel entflogen war. Dies zog ihnen den Vorwurf der Unbesonnenheit zu; aber die Erfahrung bewies, daß es ihnen nicht besser gieng, wenn sie sich besannen. Machten sie (welches ziemlich oft begegnete,) irgend einen sehr dummen Streich, so kam es immer daher, weil sie es gar zu gut machen wollten; und wenn sie in den Angelegenheiten ihres gemeinen Wesens recht lange und ernstliche Berathschlagungen hielten, so konnte man sicher darauf rechnen, daß sie unter allen möglichen Entschließungen die schlechteste ergreifen würden. Sie wurden endlich zum Sprichwort unter den Griechen. Ein a b d e r i t i s c h e r E i n f a l l , ein A b d e r i t e n s t ü c k c h e n war bey diesen ungefähr, was
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bey uns ein Schildbürger- oder bey den Helvetiern ein Lalleburgerstreich ist; und die guten Abderiten ermangelten nicht, die Spötter und Lacher reichlich mit sinnreichen Zügen dieser Art zu versehen. Für itzt mögen davon nur ein paar Beyspiele zur Probe dienen. Einsmals fiel ihnen ein, daß eine Stadt wie Abdera billig auch einen schönen Brunnen haben müsse. Er sollte in die Mitte ihres großen Marktplatzes gesetzt werden, und zu Bestreitung der Kosten wurde eine neue Auflage gemacht. Sie ließen einen berühmten Bildhauer von Athen kommen, um eine Gruppe von Statuen zu verfertigen, welche den Gott des Meeres auf einem von vier Seepferden gezogenen Wagen, mit Nymphen, Tritonen und Delphinen umgeben, vorstellte. Die Seepferde und Delphinen sollten eine Menge Wassers aus ihren Nasen hervorspritzen. Aber wie alles fertig stund, fand sich, daß kaum Wasser genug da war, um die Nase eines einzigen Delphins zu befeuchten; und als man das Werk spielen ließ, sah es *)
I u u e n a l . Satyr. X. v. 50.
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nicht anders aus, als ob alle diese Seepferde und Delphinen den Schnuppen hätten. Um nicht ausgelacht zu werden, ließen sie also die ganze Gruppe in den Tempel des Neptunus bringen; und so oft man sie einem Fremden wies, bedauerte der Küster sehr ernsthaft im Namen der löblichen Stadt Abdera, daß ein so herrliches Kunstwerk a u s K a r g h e i t d e r N a t u r unbrauchbar bleiben müsse. Ein andermal erhandelten sie eine sehr schöne Venus von Elfenbein, die man unter die Meisterstücke des Praxiteles zählte. Sie war ungefähr fünf Fuß hoch, und sollte auf einen Altar der Liebesgöttinn gestellt werden. Als sie 10
angelangt war, gerieth ganz Abdera in Entzücken über die Schönheit ihrer Venus; denn die Abderiten gaben sich für feine Kenner und schwärmerische Liebhaber der Künste aus. Sie ist zu schön, riefen sie einhellig, um auf einem niedrigen Platze zu stehen. Ein Meisterstück, das der Stadt so viel Ehre macht, und so viel Geld gekostet hat, kann nicht zu hoch aufgestellt werden; sie muß das Erste seyn, was den Fremden beym Eintritt in Abdera in die Augen fällt. Diesem glücklichen Gedanken zufolge stellten sie das kleine niedliche Bild auf einen Obelisk von achtzig Fuß; und wiewohl es nun unmöglich war zu erkennen, ob es eine Venus oder Austernymphe vorstellen sollte, so nöthigten sie doch alle Fremden, zu gestehen, daß man nichts vollkommners sehen könne.
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Uns dünkt, diese Beyspiele beweisen schon hinlänglich, daß man den Abderiten kein Unrecht that, wenn man sie für warme Köpfe hielt. Aber wir zweifeln, ob sich ein Zug denken läßt, der ihren Charakter stärker zeichnen könnte, als dieser: daß sie (nach dem Zeugniß des J u s t i n u s ) die Frösche in und um ihre Stadt dergestalt überhand nehmen liessen, daß sie selbst endlich genöthiget wurden, ihren quäkenden Mitbürgern Platz zu machen, und, bis zu Austrag der Sache, sich unter dem Schutze des Königs Kassander an einen dritten Ort zu begeben. Dies Unglück befiel die Abderiten nicht ungewarnt. Ein weiser Mann, der sich unter ihnen befand, sagte ihnen lange zuvor, daß es endlich so kommen würde. Der Fehler lag in der That blos an den Mitteln,
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wodurch sie dem Übel steuern wollten; wiewohl sie nie dazu gebracht werden konnten, dies einzusehen. Was ihnen gleichwohl die Augen hätte öffnen sollen, war, daß sie kaum etliche Monate von Abdera weggezogen waren, als eine Menge von Kranichen aus der Gegend von Geranien ankamen, und ihnen alle ihre Frösche so rein wegputzten, daß eine Meile rings um Abdera nicht einer übrig blieb, der dem wiederkommenden Frühling Brekekek koaj koaj entgegen gesungen hätte. E r s t e s B u c h . ¼…½ E r s t e s K a p i t e l
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Zweytes Kapitel. Demokritus von Abdera. Ob und wie viel seine Vaterstadt berechtigt war, sich etwas auf ihn einzubilden? Keine Luft ist so dicke, kein Volk so dumm, kein Ort so unberühmt, daß nicht zuweilen ein großer Mann daraus hervorgehen sollte, sagt Juvenal. Pindarus und Epaminondas wurden in Böotien geboren, Aristoteles zu Stagira, Cicero zu Arpinum, Virgil im Dörfchen Andes bey Mantua, Albertus Magnus zu Lauingen, Martin Luther zu Eisleben, Sixtus V. im Dorfe Montalto in der Mark Ancona, und einer der besten Könige, die jemals gewesen sind, zu Pau in Bearn. Was Wunder, wenn auch Abdera, zufälliger Weise, die Ehre hatte, daß
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der größte Naturforscher des Alterthums, D e m o k r i t u s , in ihren Mauern das Leben empfieng! Ich sehe nicht, wie ein Ort sich eines solchen Umstandes bedienen kann, um Ansprüche an den Ruhm eines großen Mannes zu machen. Wer geboren werden soll, muß irgendwo geboren werden; das übrige nimmt die Natur auf sich; und ich zweifle sehr, ob, außer dem L y k u r g u s , ein Gesetzgeber gewesen, der seine Fürsorge bis auf den Homvncvlvs ausgedehnt, und alle mögliche Vorkehrungen getroffen hätte, damit dem Staat wohl organisirte, schöne, und seelenvolle Kinder geliefert würden. Wir müssen gestehen, in dieser Rücksicht hatte S p a r t a einiges Recht, sich mit den Vorzügen seiner Bürger Ehre zu machen. Aber in Abdera (wie beynahe in der ganzen Welt) ließ man den Zufall und den Genius walten, — natale comes, qui temperat astrum,
und wenn ein P r o t a g o r a s * ) oder D e m o k r i t u s aus ihrem Mittel entsprang, so war die gute Stadt Abdera gewiß eben so unschuldig daran, als Lykurgus und seine Gesetze, wenn in Sparta ein Dummkopf oder eine Memme geboren wurde. *)
Ein berühmter Sophiste von Abdera (etwas älter als Demokritus), welchen Cicero dem
Hippias, Prodikus, Gorgias, und also den größten Männern seiner Profeßion an die Seite setzt.
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Diese Nachläßigkeit, wiewohl sie eine dem Staat äußerst angelegene Sache betrifft, möchte noch immer hingehen. Die Natur, wenn man sie nur ungestört arbeiten läßt, macht meistens alle weitere Fürsorge für das Gerathen ihrer Werke überflüßig. Aber wiewohl sie selten vergißt, ihr Lieblingswerk mit allen den Fähigkeiten auszurüsten, aus welchen ein vollkommner Mensch gebildet werden könnte: so ist doch eben diese Ausbildung das, was sie der Kunst überläßt; und es bleibt also jedem Staate noch Gelegenheit genug übrig, sich ein Recht an die Vorzüge und Verdienste seiner Mitbürger zu erwerben. Allein auch hierinn liessen die Abderiten sehr viel an ihrer Klugheit zu ver10
missen übrig; und man hätte schwerlich einen Ort finden können, wo für die Bildung des innern Gefühls, des Verstandes und des Herzens der künftigen Bürger weniger gesorgt worden wäre. Die Bildung des Geschmacks, d. i. eines feinen, richtigen und g e l e h r t e n G e f ü h l s a l l e s S c h ö n e n , ist die beste Grundlage zu jener berühmten sokratischen K a l o k a g a t h i e oder i n n e r l i c h e n S c h ö n h e i t u n d G ü t e d e r S e e l e , welche den liebenswürdigen, edelmüthigen, wohlthätigen und glücklichen Menschen macht. Und nichts ist geschickter, dieses richtige Gefühl des Schönen in uns zu bilden als — w e n n a l l e s , w a s w i r v o n d e r K i n d h e i t a n s e h e n u n d h ö r e n , s c h ö n i s t . In einer Stadt, wo die Künste der Musen
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in der größten Vollkommenheit getrieben werden, in einer schön gebauten und mit Meisterstücken der bildenden Künste angefüllten Stadt, i n e i n e m A t h e n , geboren zu seyn, ist daher allerdings kein geringer Vortheil; und wenn die Athenienser zu Platons und Menanders Zeiten mehr Geschmack hatten als tausend andere Völker, so hatten sie es unstreitig ihrem Vaterlande zu danken. Abdera führte in einem griechischen Sprüchworte (über dessen Verstand die Gelehrten, nach ihrer Gewohnheit, nicht einig sind,) den Beynamen, womit F l o r e n z unter den italiänischen Städten prangt — d i e S c h ö n e . Wir haben schon bemerkt, daß die Abderiten Enthusiasten der schönen Künste
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waren; und in der That, zur Zeit ihres größten Flors, das ist, eben damals, da sie auf einige Zeit den Fröschen Platz machen mußten, war ihre Stadt voll prächtiger Gebäude, reich an Malereyen und Bildsäulen, mit einem schönen Theater und Musiksaal (Vdeion) versehen, kurz, e i n k l e i n e s A t h e n — blos den Geschmack ausgenommen. Denn zum Unglück erstreckte sich die wunderliche Laune, von welcher wir oben gesprochen haben, auch auf ihre Be-
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griffe vom Schönen und Anständigen. Latona, die Schutzgöttinn ihrer Stadt, hatte den schlechtesten Tempel; Jason, der Anführer der Argonauten, hingegen (dessen goldenes Vlies sie zu besitzen vorgaben,) den prächtigsten. Ihr Rathhaus sah wie ein Magazin aus, und unmittelbar vor dem Saale, wo die Angelegenheiten des Staats erwogen wurden, hatten alle Kräuter-, Obst- und Eyerweiber von Abdera ihre Niederlage. Hingegen ruhte das Gymnasium, worinn sich ihre Jugend im Ringen und Fechten übte, auf einer dreyfachen Säulenreihe. Der Fechtsaal war mit lauter Schildereyen von Berathschlagungen und mit Statuen in ruhigen oder tiefsinnigen Stellungen ausgeziert *). Dafür aber stellte das Rathhaus den Vätern des Vaterlandes eine desto reizendre
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Augenweide dar. Denn wohin sie in dem Saal ihrer gewöhnlichen Sitzungen die Augen warfen, glänzten ihnen schöne nackende Kämpfer, oder badende Dianen und schlafende Bacchanten entgegen; und Venus mit ihrem Buhler, im Netze Vulcans allen Einwohnern des Olympus zur Schau ausgestellt, (ein großes Stück, welches dem Sitz des Archons gegenüber hieng,) wurde den Fremden mit einem Triumphe gezeigt, der den ernsten Phocion selbst genöthiget hätte, zum erstenmal in seinem Leben zu lachen. Der König Lysimachus (sagten sie,) habe ihnen sechs Städte und ein Gebiet von vielen Meilen dafür angeboten: aber sie hätten sich nicht entschließen können, ein so herrliches Stück hinzugeben, zumal da es — gerade die Höhe und Breite habe, um
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eine ganze Seite der Rathsstube einzunehmen; und überdieß habe einer ihrer Kunstrichter in einem weitläuftigen, mit großer Gelehrsamkeit angefüllten Werke die Beziehung des allegorischen Sinnes dieser Schilderey auf den Platz, wo sie stehe, sehr scharfsinnig dargethan. Wir würden nicht fertig werden, wenn wir alle Unschicklichkeiten, wovon diese wundervolle Republik wimmelte, berühren wollten. Aber noch eine können wir nicht vorbeygehen, weil sie einen wesentlichen Zug ihrer Verfassung betrifft, und keinen geringen Einfluß auf den Charakter der Abderiten hatte. In den ältesten Zeiten der Stadt war, vermuthlich einem o r p h i s c h e n Institut zufolge, der N o m o p h y l a x , oder B e s c h i r m e r d e r G e s e t z e , (eine der obersten Magistratspersonen,) zugleich Vorsänger bey den gottesdienstlichen Chören, und Oberaufseher über das Musikwesen. Dies hatte damals seinen *)
Was hier von den Abderiten gesagt wird, erzählen andere alte Schriftsteller von der Stadt
A l a b a n d u s . S. C o e l . R h o d o g . Lect. Ant. L. XXVI. Cap. 25.
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guten Grund. Allein mit der Länge der Zeit ändern sich die Gründe der Gesetze; diese werden alsdann durch buchstäbliche Erfüllung lächerlich, und müssen also nach den veränderten Umständen umgegossen werden. Aber eine solche Betrachtung kam nicht in abderitische Köpfe. Es hatte sich öfters zugetragen, daß ein Nomophylax erwählt wurde, der zwar die Gesetze ganz leidlich beschirmte, aber entweder schlecht sang, oder gar nichts von der Musik verstund. Was hatten die Abderiten zu thun? Nach häufigen Berathschlagungen machten sie endlich die Verordnung: Der beste Sänger aus Abdera sollte hinfür allezeit auch Nomophylax seyn; und dabey blieb es, so lang Ab10
dera stund. Daß der Nomophylax und der Vorsänger zwo verschiedene Personen seyn könnten, war in zwanzig öffentlichen Berathschlagungen keiner Seele eingefallen. Es ist leicht zu erachten, daß die Musik, bey so bewandten Sachen, zu Abdera in großer Achtung stehen mußte. Alles in dieser Stadt war musikalisch; alles sang, flötete und leyerte. Ihre Sittenlehre und Politik, ihre Theologie und Kosmologie, war auf musikalische Grundsätze gebaut; ja, ihre Ärzte heilten sogar die Krankheiten durch Tonarten und Melodien. So weit scheint ihnen, was die Speculation betrifft, das Ansehen der größten Weisen des Alterthums, eines Orpheus, Pythagoras und Plato, zu statten zu kommen. Aber in der
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Ausübung entfernten sie sich desto weiter von der Strenge dieser Philosophen. Plato verweiset alle sanften und weichlichen Tonarten aus seiner Republik; die Musik soll seinen Bürgern weder Freude noch Traurigkeit einflößen; er verbannet mit den ionischen und lydischen Harmonien *) alle Trinkund Liebeslieder; ja die Instrumente selbst scheinen ihm so wenig gleichgültig, daß er vielmehr die vielsaitigen, und die lydische Flöte, als gefährliche Werkzeuge der Üppigkeit ausmustert, und seinen Bürgern nur die Leyer und die Cithar, so wie den Hirten und dem Landvolke nur die Rohrpfeife gestattet. So strenge philosophirten die Abderiten nicht. Keine Tonart, kein Instrument war bey ihnen ausgeschlossen, und — einem sehr wahren, aber sehr oft von
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ihnen mißverstandnen Grundsatze zufolge — behaupteten sie: daß man alle ernsthaften Dinge lustig, und alle lustigen ernsthaft behandeln müsse. Die Ausdehnung dieser Maxime auf die Musik brachte bey ihnen die widersinnigsten Wirkungen hervor. Ihre gottesdienstlichen Gesänge klangen wie Gassen*)
Plato de Republ. L. III. Tom. opp. II. p. 398.
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lieder; allein dafür konnte man nichts feyerlichers hören, als die Melodie ihrer Tänze. Die Musik zu einem Trauerspiel war gemeiniglich komisch; hingegen klangen ihre Kriegslieder so schwermüthig, daß sie sich nur für Leute schickten, die an den Galgen gehen. Diese Widersinnigkeit erstreckte sich über alle Gegenstände des Geschmacks. Ein Leyerspieler wurde in Abdera nur dann für vortrefflich gehalten, wenn er die Saiten so zu rühren wußte, daß man eine Flöte zu hören glaubte; und eine Sängerinn, um bewundert zu werden, mußte gurgeln und trillern wie eine Nachtigall. Die Abderiten hatten keinen Begriff davon, daß die Musik nur in so fern Musik ist, als sie das Herz rührt: sie waren wohl zufrieden, wenn nur ihre Ohren gekützelt, oder wenig-
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stens mit nichtssagenden, aber vollen und oft abwechselnden Harmonien gestopft wurden. Mit einem Worte, bey aller ihrer Schwärmerey für die Künste hatten die Abderiten keinen Geschmack; und es ahnete ihnen gar nicht, daß das Schöne aus einem höhern Grunde schön sey, als w e i l e s i h n e n s o b e liebte. Dieses alles ungeachtet, konnte Natur, Zufall und gutes Glück mit zusammengesetzten Kräften wohl einmal so viel zuwege bringen, daß ein geborner Abderite Menschenverstand bekam. Aber wenigstens muß man gestehen, wenn sich so etwas begab, so hatte Abdera nichts dabey geholfen. Denn ein Abderit war ordentlicher Weise nur in so fern klug, als er k e i n Abderit
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war; — ein Umstand, der uns ohne Mühe begreifen läßt, warum die Abderiten von demjenigen unter ihren Mitbürgern, der ihnen in den Augen der Welt am meisten Ehre machte, immer am wenigsten hielten. Dies war keine ihrer gewöhnlichen Widersinnigkeiten. Sie hatten eine Ursache dazu, die so natürlich ist, daß es unbillig wäre, sie ihnen zum Vorwurf zu machen. Diese Ursache war nicht (wie einige sich einbilden), weil sie z. E. den Naturforscher D e m o k r i t u s — lange zuvor, eh er ein großer Mann war — mit dem Kreisel spielen, oder auf einem Grasplatze Burzelbäume machen gesehen hatten. — Auch nicht: weil sie aus Neid oder Eifersucht nicht leiden konnten, daß einer aus ihrem Mittel klüger seyn sollte als sie. Denn — bey der untrüglichen Aufschrift der Pforte des delphischen Tempels! — dies zu denken hatte kein einziger Abderit Weisheit genug, oder er würde von dem Augenblick an kein Abderit mehr gewesen seyn. Der wahre Grund, meine Freunde, warum die Abderiten aus ihrem Mit-
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bürger Demokritus nicht viel machten, war dieser: weil sie ihn für — keinen weisen Mann hielten. „Warum das nicht?“ Weil sie nicht konnten. „Und warum konnten sie nicht?“ Weil sie sich alsdann selbst für Dummköpfe hätten halten müssen. Und dies zu thun waren sie gleichwohl nicht widersinnisch genug. Auch hätten sie eben so leicht auf dem Kopfe tanzen, oder den Mond mit den Zähnen fassen, oder den Zirkel quadriren können, als einen Menschen, 10
der in Allem ihr Gegenfüßler war, für einen weisen Mann zu halten. Dies folgt aus einer Eigenschaft der menschlichen Natur, die schon zu Adams Zeiten bemerkt worden seyn muß, und gleichwohl, da H e l v e t i u s daraus folgerte — was daraus folgt, vielen ganz neu vorkam; die seit dieser Zeit niemanden mehr neu ist, und dennoch im Leben alle Augenblicke vergessen wird.
Drittes Kapitel. Was Demokritus für ein Mann war. Seine Reisen. Er kommt nach Abdera zurück. Was er mitbringt, und wie er aufgenommen wird. Ein Examen, das sie mit ihm vornehmen, welches zugleich eine Probe einer abderitischen Conversation ist. 20
D e m o k r i t u s — ich denke nicht, daß es Sie gereuen wird, den Mann näher kennen zu lernen — Demokritus war ungefähr zwanzig Jahre alt, als er seinen Vater, einen der reichsten Bürger von Abdera, erbte. Anstatt nun darauf zu denken, wie er seinen Reichthum erhalten oder vermehren, oder auf die angenehmste oder lächerlichste Art durchbringen wollte, entschloß sich der junge Mensch, solchen zum Mittel — der Vervollkommnung seiner Seele zu machen. „Aber was sagten die Abderiten zum Entschlusse des jungen Demokritus?“ Die guten Leute hatten sich nie träumen lassen, daß die Seele ein anderes Interesse habe, als der Magen, der Bauch und die übrigen integranten Theile
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des sichtbaren Menschen. Also mag ihnen freylich diese Grille ihres Landsmannes wunderlich genug vorgekommen seyn. Allein, dies war nun gerade
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was er sich am wenigsten anfechten ließ. Er gieng seinen Weg fort, und brachte viele Jahre mit gelehrten Reisen durch alle festen Länder und Inseln zu, die man damals bereisen konnte. Denn wer zu seiner Zeit weise werden wollte, mußte mit eignen Augen sehen. Es gab noch keine Buchdruckereyen, keine Journale, Bibliotheken, Magazine, Encyklopädien, Realwörterbücher, und wie alle die Werkzeuge heissen, mit deren Hülfe man itzt, ohne zu wissen wie, ein Philosoph, ein Kunstrichter, ein Autor, ein Alleswisser wird. Damals war die Weisheit so theuer und noch theurer als — d i e s c h ö n e L a i s . Nicht jedermann konnte nach Korinth reisen. Die Anzahl der Weisen war sehr klein; aber die es waren, waren es auch desto mehr.
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Demokritus reisete nicht blos um der Menschen Sitten und Verfassungen zu beschauen, wie Ulysses; nicht blos um Priester und Geisterseher aufzusuchen, wie Plato; oder um Tempel, Statuen, Gemälde und Alterthümer zu begucken, wie Pausanias; oder um Pflanzen und Thiere abzuzeichnen und unter Classen zu bringen, wie Doctor Solander: sondern er reisete, um Natur und Kunst in allen ihren Wirkungen und Ursachen, den Menschen in seiner Nacktheit und in allen seinen Einkleidungen und Verkleidungen, roh und bearbeitet, bemalt und unbemalt, ganz und verstümmelt, und die übrigen Dinge in allen ihren Beziehungen auf den Menschen, kennen zu lernen. Die Raupen in Äthiopien (sagte Demokritus,) sind freylich nur — Raupen. Was ist eine Raupe,
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um das erste, angelegenste, einzige Studium eines Menschen zu seyn? Aber, da wir nun einmal in Äthiopien sind, so sehen wir uns immer, nebenher, auch nach den äthiopischen Raupen um! Es giebt eine Raupe im Lande der S e r e n , welche Millionen Menschen kleidet und nährt: wer weiß ob es nicht auch am N i g e r nützliche Raupen giebt? Mit dieser Art zu denken hatte sich Demokritus auf seinen Reisen einen Schatz von Wissenschaft gesammelt, der in seinen Augen alles Gold in den Schatzkammern des Königs von Indien und alle Perlen an den Hälsen und Armen seiner Weiber werth war. Er kannte von der Zeder Libanons bis zum Schimmel eines arkadischen Käses eine Menge von Bäumen, Stauden, Kräutern, Gräsern und Moosen; nicht etwan blos nach ihrer Gestalt, und nach ihren Namen, Geschlechtern und Arten: er kannte auch ihre Eigenschaften, Kräfte und Tugenden. Aber, was er tausendmal höher schätzte als alle seine übrigen Kenntnisse, er hatte allenthalben, wo er es der Mühe werth fand sich aufzuhalten, d i e We i s e s t e n und d i e B e s t e n kennen gelernt. Es hatte sich
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bald gezeigt, daß er ihres Geschlechtes war. Sie waren also seine Freunde geworden, hatten sich ihm mitgetheilt, und ihm dadurch die Mühe erspart, eignen Fleisses, Jahre lang, und vielleicht doch vergebens, zu suchen, was sie mit Aufwand und Mühe oder auch wohl nur glücklicher Weise schon gefunden hatten. Bereichert mit allen diesen Schätzen des Geistes und Herzens kam Demokritus, nach einer Reise von zwanzig Jahren, zu den Abderiten zurück, die seiner beynahe vergessen hatten. Er war ein feiner stattlicher Mann; höflich und abgeschliffen, wie ein Mann, der mit mancherley Arten von Erdensöhnen 10
umzugehen gelernt hat, zu seyn pflegt; ziemlich braungelb von Farbe; kam von den Enden der Welt, und hatte ein ausgestopftes Krokodil, einen lebendigen Affen, und viele andere sonderbare Sachen mitgebracht. Die Abderiten sprachen etliche Tage von nichts anderm, als von ihrem Mitbürger Demokritus, der wiedergekommen war und Affen und Krokodile mitgebracht hatte. Allein in kurzer Zeit zeigte sichs, daß sie sich in ihrer Meynung von einem so weit gereiseten Manne sehr verrechnet hatten. Demokritus war von den wackern Männern, denen er indessen die Besorgung seiner Güter anvertrauet hatte, um die Hälfte betrogen worden, und gleichwohl unterschrieb er ihre Rechnungen ohne Widerrede. Natürlicher
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Weise mußte dies der guten Meynung von seinem Verstande den ersten Stoß geben. Die Advocaten und Richter wenigstens, die sich zu einem einträglichen Processe Hoffnung gemacht hatten, merkten mit einem bedeutenden Achselzucken an, daß es bedenklich seyn würde, einem Manne, der seinem eigenen Hause so schlecht vorstehe, das gemeine Wesen anzuvertrauen. Indessen zweifelten die Abderiten nicht, daß er sich nun unter die Mitwerber um ihre vornehmsten Ehrenämter stellen würde. Sie berechneten schon, wie hoch sie ihm ihre Stimme verkaufen wollten; gaben ihm eine Tochter, Enkelinn, Schwester, Nichte, Base, Schwägerinn zur Ehe; überschlugen die Vortheile, die sie zur Erhaltung dieser oder jener Absicht von seinem Ansehen ziehen wollten, wenn
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er einmal Archon oder Priester der Latona seyn würde, u. s. w. Aber Demokritus erklärte sich, daß er weder ein Rathsherr von Abdera, noch der Ehgemahl einer Abderitinn seyn wollte, und vereitelte dadurch abermal alle ihre Anschläge. Nun hoffte man wenigstens durch seinen Umgang in etwas entschädiget zu werden. Ein Mann, welcher Affen, Krokodile und zahme Drachen von seinen Reisen mitgebracht hatte, mußte eine ungeheure Menge Wunder-
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dinge zu erzählen haben. Man erwartete, daß er von z w ö l f e l l e n l a n g e n R i e s e n und von s e c h s d a u m e n h o h e n Z w e r g e n , von M e n s c h e n m i t H u n d - u n d E s e l s k ö p f e n , von M e e r f r a u e n m i t g r ü n e n H a a r e n , von w e i ß e n N e g e r n , und b l a u e n C e n t a u r e n sprechen würde. Aber Demokritus log so wenig, und in der That weniger, als ob er nie über den thracischen Bosporus gekommen wäre. Man fragte ihn, ob er im Lande der Garamanten keine Leute ohne Kopf angetroffen habe, welche die Augen, die Nase und den Mund auf der Brust trügen; und ein abderitischer Gelehrter (der, ohne jemals aus den Mauern seiner Stadt gekommen zu seyn, sich die Miene gab, als ob kein Winkel des
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Erdbodens wäre, den er nicht durchkrochen hätte,) bewies ihm in großer Gesellschaft, daß er entweder nie in Ä t h i o p i e n gewesen sey, oder dort nothwendig mit den A g r i o p h a g e n , deren König nur ein Auge über der Nase hat, mit den S a m b e r n , die allezeit einen H u n d zu ihrem König erwählen, und mit den A r t a b a t i t e n , die auf allen Vieren gehen, Bekanntschaft gemacht haben müsse *). Und wofern Sie bis in den äußersten Theil des abendländischen Äthiopien eingedrungen sind, fuhr der gelehrte Mann fort, so bin ich gewiß, daß Sie e i n Vo l k o h n e N a s e n angetroffen haben, und ein anderes, wo die Leute einen so kleinen Mund führen, daß sie ihre Suppe durch Strohhalmen einzuschlürfen genöthiget sind **).
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Demokritus betheuerte beym Kastor und Pollux, daß er sich nicht erinnere, diese Ehre gehabt zu haben. Wenigstens, sagte jener, haben Sie in Indien Menschen angetroffen, die nur ein einziges Bein auf die Welt bringen, aber dem ungeachtet wegen der außerordentlichen Breite ihres Fußes so geschwind auf dem Boden fortrutschen, daß man ihnen zu Pferde kaum nachkommen kann ***). Und was sagten Sie dazu, wie Sie an der Quelle des Ganges ein Volk antrafen, das ohne alle andre Nahrung vom bloßen Geruche wilder Äpfel lebt ****)? O erzählen Sie uns doch, riefen die schönen Abderitinnen, erzählen Sie *)
P l i n . N a t u r g e s c h . B . IV.
**)
S o l i n . C. XXX. auch P l i n i u s , M e l a , und andere Alte und Neuere, welche uns alle die
Wundermenschen, von denen hier die Rede ist, für wirkliche Geschöpfe Gottes zu geben kein Bedenken tragen. ***) ****)
S o l i n u s aus dem Ktesias. Ebenderselbe.
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doch, Herr Demokritus! Was müßten Sie uns nicht erzählen können, wenn Sie nur wollten! Demokritus schwur vergebens, daß er von allen diesen Wundermenschen in Äthiopien und Indien nichts gesehen noch gehört habe. Aber was haben Sie denn gesehen, fragte ein runder dicker Mann, der zwar weder einäugig war wie die A g r i o p h a g e n , noch eine Hundsschnauze hatte wie die C y m o l g e n , noch die Augen auf den Schultern trug wie die O m o p h t h a l m e n , noch vom bloßen Geruche lebte wie die P a r a d i e s v ö g e l , aber doch gewiß nicht mehr Gehirn in seinem großen Schädel trug, als ein mexi10
canischer Colibri, ohne darum weniger ein Rathsherr von Abdera zu seyn — Aber was haben Sie denn gesehen, sagte Wa n s t , Sie, der zwanzig Jahre in der Welt herum gefahren sind, wenn Sie nichts von allem dem gesehen haben, was man in fernen Landen wunderbares sehen kann? Wunderbares? versetzte Demokritus lächelnd. Ich hatte so viel mit Betrachtung des Natürlichen zu thun, daß ich fürs Wunderbare keine Zeit übrig behielt. Nun das gesteh ich, erwiederte Wa n s t ; das verlohnt sich auch der Mühe, alle Meere zu durchfahren, und über alle Berge zu steigen, um nichts zu sehen, als was man zu Hause eben so gut sehen konnte!
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Demokritus zankte sich nicht gerne mit den Leuten um ihre Meynungen, am allerwenigsten mit Abderiten; und gleichwohl wollt’ er auch nicht, daß es aussehen sollte, als ob er gar nichts sagen könne. Er suchte unter den schönen Abderitinnen, die in der Gesellschaft waren, eine aus, an die er das richten könnte, was er sagen wollte; und fand eine mit zwey großen junonischen Augen, die ihn, trotz seiner physiognomischen Kenntnisse, verführten, ihrer Eigenthümerinn etwas mehr Verstand oder Empfindung zuzutrauen als den übrigen. Was wollten Sie, sagte er zu ihr, daß ich, zum Exempel, mit einer Dame, die die Augen auf der Stirne oder am Ellebogen trüge, hätte anfangen sollen? Oder was würde mirs nun helfen, wenn ich noch so gelehrt in der Kunst wäre,
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das Herz einer — M e n s c h e n f r e s s e r i n n zu rühren? Ich habe mich immer zu wohl befunden, mich der sanften Gewalt von zwey schönen Augen, die an ihrem natürlichen Platze stehen, zu überlassen, um jemals eine Versuchung zu bekommen, das große Stierauge auf der Stirn einer C y k l o p i n n zärtlich zu sehen. D i e S c h ö n e m i t d e n g r o ß e n A u g e n , zweifelhaft, was sie aus dieser
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Anrede machen sollte, guckte dem Mann, der so sprach, mit stummer Verwunderung in den Mund, lächelte ihm ihre schönen Zähne vor, und sah sich zur rechten und linken Seite um, als ob sie den Verstand seiner Rede suchen wollte. Die übrigen Abderitinnen hatten zwar eben so wenig davon begriffen; weil sie aber aus dem Umstande, daß er sich gerade an die Großäugige gewendet hatte, schlossen, er habe ihr etwas Schönes gesagt: so sahen sie einander jede mit einer eignen Grimasse an. Diese rümpfte eine kleine Stumpfnase, jene zog den Mund in die Länge, eine dritte spitzte den ihrigen, der ohnehin groß genug war, eine vierte riß ein paar kleine Augen auf, eine fünfte brüstete sich mit
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zurückgezogenem Kopfe, u. s. w. Demokritus sah es, erinnerte sich, daß er in Abdera war, und schwieg.
Viertes Kapitel. Das Examen wird fortgesetzt, und verwandelt sich in eine Disputation über die Schönheit, wobey dem Demokritus sehr warm gemacht wird. Schweigen — ist zuweilen eine Kunst; aber doch nie eine so große, als uns gewisse Leute glauben machen wollen, die dann am klügsten sind, wenn sie schweigen. Wenn ein weiser Mann sieht, daß er es mit Kindern zu thun hat, warum
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sollt’ er sich zu weise dünken, nach ihrer Art mit ihnen zu reden? Ich bin zwar (sagte Demokritus zu seiner neugierigen Gesellschaft) aufrichtig genug gewesen, zu gestehen, daß ich von allem, was man will, daß ich gesehen haben sollte, nichts gesehen habe: aber bilden Sie sich darum nicht ein, daß mir auf so vielen Reisen zu Wasser und zu Lande nichts aufgestoßen sey, das Ihre Neubegierde befriedigen könnte. Glauben Sie mir, es sind Dinge darunter, die Ihnen vielleicht noch wunderbarer vorkommen würden, als diejenigen, wovon die Rede war. Bey diesen Worten rückten die schönen Abderitinnen näher und spitzten Mund und Ohren. Das ist doch ein Wort von einem gereisten Manne, rief der kurze dicke Rathsherr. Des Gelehrten Stirne entrunzelte sich durch die Hoff-
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nung, daß er etwas zu tadeln und zu verbessern bekommen würde, Demokritus möchte auch sagen was er wollte. Ich befand mich einst in einem Lande, fieng Demokritus an, wo es mir so wohl gefiel, daß ich in den ersten drey oder vier Tagen, die ich darinnen zubrachte, unsterblich zu seyn wünschte, um ewig darinn zu leben. „Ich bin nie aus Abdera gekommen, sagte der Rathsmann; aber ich dachte immer, daß es keinen Ort in der Welt gäbe, wo es mir besser gefallen könnte, als in Abdera. Auch geht es mir gerade, wie Ihnen mit dem Lande wo es Ihnen so wohl gefiel; ich wollte mit Freuden auf die ganze übrige Welt Verzicht thun, 10
wenn ich nur ewig in Abdera leben könnte! Aber warum gefiel es Ihnen nur drey Tage lang so wohl in dem Lande?“ Sie werden es gleich hören. Stellen Sie sich ein unermeßliches Land vor, dem die angenehmste Abwechslung von Bergen, Thälern, Wäldern, Hügeln und Auen unter der Herrschaft eines ewigen Frühlings und Herbstes, allenthalben wohin man sieht, das Ansehen des herrlichsten Lustgartens giebt: alles angebaut und bewässert, alles blühend und fruchtbar; allenthalben ein ewiges Grün, und immer frische Schatten und Wälder von den schönsten Fruchtbäumen, Datteln, Feigen, Zitronen, Granaten, die ohne Pflege, wie in Thracien die Eicheln, wachsen; Hayne von Myrten und Schasmin; Amors und Cytheräens
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Lieblingsblume nicht auf Hecken, wie bey uns, sondern in dichten Büscheln auf großen Bäumen wachsend, und vollaufgeblüht wie die Busen meiner schönen Mitbürgerinnen — (Dies hatte Demokritus nicht gut gemacht; und es kann künftigen Erzählern zur Warnung dienen, daß man sich vorher wohl in seiner Gesellschaft umsehen muß, ehe man Complimente dieser Art wagt, so verbindlich sie auch an sich selbst klingen mögen. Die Schönen hielten die Hände vor die Augen und errötheten. Denn zum Unglück war unter den Anwesenden keine, die dem schmeichelhaften Gleichniß Ehre gemacht hätte; wiewohl sie nicht ermangelten sich aufzublähen so gut sie konnten.)
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— und diese reizenden Hayne, fuhr er fort, vom lieblichen Gesang unzähliger Arten von Vögeln belebt, und mit tausend bunten Papageyen erfüllt, deren Farben im Sonnenglanz die Augen blenden. Welch ein Land! Ich begriff nicht, warum die Göttinn der Liebe Cythere zu ihrem Wohnsitz erwählt hätte, da ein Land wie dieses in der Welt war. Wo hätten die Grazien angenehmer tanzen können, als am Rande von Bächen und Quellen, wo, zwischen kurzem dichtem
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Gras vom lebhaftesten Grün, Lilien und Hyacinthen, und zehen Tausenden noch schönern Blumen, die in unsrer Sprache ohne Namen sind, freywillig hervorblühn, und die Luft mit wollüstigen Wohlgerüchen erfüllen? Die schönen Abderitinnen hatten, wie leicht zu erachten, die Einbildungskraft nicht weniger lebhaft als die Abderiten; und das Gemälde, das ihnen Demokritus, ohne dabey an Arges zu denken, vorstellte, war mehr, als ihre kleinen Seelchen aushalten konnten. Einige seufzten laut vor Behäglichkeit; andere sahen aus, als ob sie die wollüstigen Gerüche, die in ihrer Phantasie düfteten, mit Mund und Nase einschlürfen wollten; die schöne J u n o sank mit dem Kopf auf ein Polster des Kanapees zurück, schloß ihre großen Augen halb,
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und befand sich unvermerkt am blumichten Rand einer dieser schönen Quellen, von Rosen und Zitronenbäumen umschattet, aus deren Zweigen Wolken von ambrosischen Düften auf sie herab wallten. In einer sanften Betäubung von süßen Empfindungen begann sie eben einzuschlummern: als sie einen Jüngling, schön wie Bachus und dringend wie Amor, zu ihren Füßen liegen sah. Sie richtete sich auf, ihn desto besser betrachten zu können, und sah ihn so schön, so zärtlich, daß die Worte, womit sie seine Verwegenheit bestrafen wollte, auf ihren Lippen erstarben. Kaum hatte sie — Und wie meynen Sie (fuhr Demokritus fort) nennt sich dies zauberische Land, von dessen Schönheiten alles, was ich davon sagen könnte, Ihnen kaum
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den Schatten eines Begriffs geben würde? Es ist eben dieses Ä t h i o p i e n , welches mein gelehrter Freund hier mit Ungeheuern von Menschen bevölkert, die eines so schönen Vaterlandes ganz unwürdig sind. Aber eine Sache, die er mir für wahr nachsagen kann, ist: daß es im ganzen Äthiopien und Libyen, wiewohl diese Namen eine Menge verschiedener Völker umfassen, keinen Menschen giebt, der seine Nase nicht eben da trüge wo wir, nicht eben so viel Augen und Ohren hätte als wir, und kurz — Ein großer Seufzer von derjenigen Art, wodurch sich ein von Schmerz oder Vergnügen gepreßtes Herz Luft zu machen sucht, hob in diesem Augenblicke den Busen der schönen Abderitinn, welche, während daß Demokritus in seiner Rede fortfuhr, in dem Traumgesichte, worinn wir sie zu belauschen Bedenken trugen, (wie es scheint,) auf einen Umstand gekommen war, an welchem ihr Herz auf die eine oder andre Art sehr lebhaft Antheil nahm. Da die übrigen Anwesenden nicht wissen konnten, daß die gute Dame einige hundert Meilen weit von Abdera unter einem äthiopischen Rosenbaum, in einem Meer
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der süßesten Wohlgerüche schwamm, tausend neue Vögel das Glück der Liebe singen hörte, tausend bunte Papageyen vor ihren Augen herum flattern sah, und, zum Überfluß, einen Jüngling mit gelben Locken und Korallenlippen zu ihren Füßen liegen hatte, — so war es natürlich, daß man den besagten Seufzer mit einem allgemeinen Erstaunen empfieng. Man begriff nichts davon, daß die letzten Worte Demokrits die Ursache einer solchen Wirkung gewesen seyn könnten. Was fehlt Ihnen, L y s a n d r a ? riefen die Abderitinnen aus Einem Munde, indem sie sich sehr besorgt um sie stellten. Die schöne Lysandra, die in diesem Augenblicke wieder gewahr wurde, wo sie war, erröthete, und ver10
sicherte, daß es nichts sey. Demokritus, der nun zu merken anfieng was es war, stund ihnen gut dafür, daß ein paar Züge frische Luft alles wieder gut machen würden; aber in seinem Herzen beschloß er, künftig seine Gemälde nur mit Einer Farbe zu malen, wie die Maler in Thracien. Gerechte Götter! dacht er, was für eine Einbildungskraft diese Abderitinnen haben! Nun meine schönen Neugierigen, fuhr Demokritus fort, was meynen Sie, von welcher Farbe die Einwohner eines so schönen Landes sind? „Von welcher Farbe? — Warum sollten sie eine andre Farbe haben als die übrigen Menschen? Sagten Sie uns nicht, daß sie die Nase mitten im Gesichte trügen, und in allem Menschen wären wie wir Griechen?“
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Menschen, ohne Zweifel; aber sollten sie darum weniger Menschen seyn, wenn sie schwarz oder olivenfarb wären? „Was meynen Sie damit?“ Ich meyne, daß die schönsten unter den äthiopischen Nationen (nämlich diejenigen, die nach unserm Maasstabe die schönsten, das ist, uns die ähnlichsten sind,) durchaus olivenfarb wie die Ägyptier, und diejenigen, welche tiefer im festen Lande und in den mittäglichsten Gegenden wohnen, vom Kopf bis zur Fußsole so schwarz und noch ein wenig schwärzer sind als die Raben zu Abdera. „Was Sie sagen! — Und erschrecken die Leute nicht vor einander, wenn sie
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sich ansehen?“ Erschrecken? Warum dies? Sie gefallen sich sehr mit ihrer Rabenschwärze, und finden, daß nichts schöner seyn kann. „O das ist lustig! — riefen die Abderitinnen! — Schwarz am ganzen Leibe, als ob sie mit Pech überzogen wären, sich von Schönheit träumen zu lassen! Was das für ein dummes Volk seyn muß! Haben sie denn keine Maler, die ihnen den
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Apollo, den Bacchus, die Göttinn der Liebe, und die Grazien malen könnten? Oder könnten sie nicht schon vom Homer lernen daß Juno weisse Arme, Thetis Silberfüsse, und Aurora Rosenfinger hat?“ Ach, erwiederte Demokritus, die guten Leute haben keinen Homer; oder wenn sie einen haben, so dürfen wir uns darauf verlassen, daß seine Juno kohlschwarze Arme hat. Von Malern habe ich in Äthiopien nichts gehört. Aber ich sah ein Mädchen, dessen Schönheit unter seinen Landesleuten beynahe eben so viel Unheil anrichtete, als die Tochter der Leda unter den Griechen und Trojanern; und diese africanische Helena war schwärzer als Ebenholz. „O beschreiben Sie uns doch dies Ungeheuer von Schönheit“ — riefen die
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Abderitinnen, die, aus dem natürlichsten Grunde von der Welt, an dieser Unterredung unendlich viel Vergnügen fanden. Sie werden Mühe haben sich einen Begriff davon zu machen. Stellen Sie sich das völlige Gegentheil des griechischen Ideals der Schönheit vor: die Größe einer Grazie, und die Dicke einer Ceres; schwarze Haare, aber nicht in langen wallenden Locken um die Schultern fliessend, sondern kurz und von Natur kraus wie Schaafwolle. Die Stirne breit und stark gewölbt; die Nase kurz aufgestülpt, und in der Mitte des Knorpels flach gedrückt; die Wangen rund wie die Backen eines Trompeters, der Mund groß — ( P h i l i n n a lächelte, um zu zeigen, wie klein der ihrige sey.)
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Die Lippen sehr dick und aufgeworfen, und zwo Reihen von Zähnen wie Perlenschnuren — (Die Schönen lachten insgesammt, wiewohl sie keine andre Ursache dazu haben konnten, als ihre eignen Zähne zu weisen: denn was war sonst hier zu lachen?) „Aber ihre Augen?“ fragte L y s a n d r a . — O was die betrifft, die waren so klein und so wasserfarbig, daß ich lange nicht von mir erhalten konnte, sie schön zu finden — „Demokritus ist für Homers K u h a u g e n , “ wie es scheint, sagte Myris, indem sie einen höhnischen Seitenblick auf die Schöne mit den großen Augen warf. In der That, (versetzte Demokritus, mit einer Miene, woraus ein Tauber geschlossen hätte, daß er ihr die größte Schmeicheley sage,) schöne Augen müßten sehr groß seyn, wenn ich sie zu groß finden sollte; und häßliche können, däucht mich, nie zu klein seyn.
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Die schöne L y s a n d r a warf einen triumphirenden Blick auf ihre Schwestern, und schüttete dann eine ganze Glorie von Zufriedenheit aus ihren großen Augen auf den glücklichen Demokrit herab. „Darf man wissen, was Sie unter schönen Augen verstehen?“ fragte die kleine M y r i s , indem sich ihre Nase merklich spitzte. Ein Blick der schönen Lysandra schien ihm zu sagen: Sie werden nicht verlegen seyn, die Antwort auf diese Frage zu finden. Ich verstehe darunter Augen, in denen sich eine schöne Seele malt, sagte Demokritus. 10
L y s a n d r a sah albern aus, wie eine Person, der man etwas unerwartetes gesagt hat, und die keine Antwort darauf finden kann. Eine schöne Seele! — dachten die Abderitinnen alle zugleich — Was für wunderliche Dinge der Mann aus fernen Landen mitgebracht hat! Eine schöne Seele! Dies ist noch über seine Affen und Papageyen! „Aber mit allen diesen Subtilitäten, sagte der dicke Rathsherr, kommen wir von der Hauptsache ab. Mir däucht, die Rede war von der schönen Helena aus Äthiopien, und ich möchte doch wohl hören, was die ehrlichen Leute so schönes an ihr finden konnten?“ Alles, antwortete Demokritus.
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„So müssen sie gar keinen Begriff von Schönheit haben,“ sagte der Gelehrte. Um Vergebung, erwiederte der Erzähler; weil diese äthiopische Helena der Gegenstand aller Wünsche war, so läßt sich sicher schließen, daß sie der I d e e v o n S c h ö n h e i t glich, die Jeder in seiner Einbildung fand. „ S i e s i n d a u s d e r S c h u l e d e s P a r m e n i d e s ? “ sagte der Gelehrte, indem er sich in eine streitbare Positur setzte. *) Ich bin nichts — als ich selbst, welches sehr wenig ist; erwiederte Demokritus halb erschrocken. Wenn Sie dem Wort I d e e gram sind, so erlauben Sie mir, mich anders auszudrücken. Die schöne G u l l e r u — so nannte man die Schwarze, von der wir reden —
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G u l l e r u ? riefen die Abderitinnen, indem sie in ein Gelächter ausbrachen, das kein Ende nehmen wollte; G u l l e r u ! welch ein Name! — Und wie gieng es
*)
P a r m e n i d e s von E l e a wird für den Erfinder der Lehre von den I d e e n oder wesentlichen
Urbildern gehalten, welche Plato in sein System aufgenommen, und sich so eigen gemacht hat, daß man sie gewöhnlich nach seinem Namen zu nennen pflegt.
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mit Ihrer schönen Gulleru? fragte die spitznasige M y r i s mit einem Blick und in einem Tone, der noch dreymal spitziger als ihre Nase war. Wenn Sie mir jemals die Ehre erweisen, mich zu besuchen, antwortete der Philosoph mit der ungezwungensten Höflichkeit, so sollen Sie erfahren, wie es mit der schönen Gulleru gegangen ist. Itzt muß ich diesem Herrn mein Versprechen halten. Die Gestalt der schönen Gulleru also — ( D e r s c h ö n e n G u l l e r u , wiederholten die Abderitinnen und lachten von neuem; aber ohne daß Demokritus sich diesmal unterbrechen ließ.) — flößte zu ihrem Unglück den Jünglingen ihres Landes die stärkste Leidenschaft ein. Dies scheint zu beweisen, daß man sie s c h ö n gefunden habe; und
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ohne Zweifel lag der Grund, weswegen man sie schön fand, in allem dem, warum man sie n i c h t f ü r h ä ß l i c h hielt. Diese Äthiopier fanden also einen U n t e r s c h i e d zwischen dem was ihnen s c h ö n und was ihnen n i c h t s c h ö n vorkam; und wenn zehn v e r s c h i e d e n e Äthiopier in ihrem Urtheil von dieser Helena ü b e r e i n s t i m m t e n , so kam es vermuthlich daher, weil sie e i n e r l e y B e g r i f f von Schönheit und Häßlichkeit hatten. „Dies folgt nicht; (sagte der abderitische Gelehrte;) konnte nicht unter zehn jeder etwas anderes an ihr liebenswürdig finden?“ Der Fall ist nicht unmöglich; aber er beweist nichts gegen m i c h . Gesetzt, der eine hätte ihre k l e i n e n A u g e n , ein anderer ihre s c h w e l l e n d e n L i p -
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p e n , ein dritter ihre g r o ß e n O h r e n bewundernswürdig gefunden: so setzt auch dies immer eine Vergleichung zwischen ihr und andern äthiopischen Schönen voraus. Die übrigen hatten Augen, Ohren und Lippen, so wohl wie Gulleru. Wenn man also die ihrigen schöner fand, so mußte man ein gewisses M o d e l l der Schönheit haben, mit welchem man z. E. i h r e Augen und a n d r e Augen verglich; und dies ist alles, was ich mit meinem I d e a l sagen wollte. „Indessen (erwiederte der Gelehrte,) werden Sie doch nicht behaupten wollen, daß diese Gulleru schlechterdings d i e s c h ö n s t e unter allen schwarzen Mädchen vor ihr, neben ihr, und nach ihr gewesen sey? ich meyne, die Schönste in Vergleichung mit dem Modelle, wovon Sie sagten.“ Ich wüßte nicht, warum ich dies behaupten sollte, versetzte Demokritus. „Es konnte also eine geben, die z. E. noch kleinere Augen, noch dickere Lippen, noch größere Ohren hatte?“ Möglicher Weise, so viel ich weiß.
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„Und in Absicht dieser letztern gilt ohne Zweifel die nämliche Voraussetzung, und so ins Unendliche. Die Äthiopier hatten also kein M o d e l l d e r S c h ö n h e i t ; man müßte denn sagen, daß sich unendlich kleine Augen, unendlich dicke Lippen, unendlich große Ohren denken lassen?“ Wie subtil die abderitischen Gelehrten sind! dachte Demokritus. Wenn ich eingestund, sagte er, daß es ein schwarzes Mädchen geben könne, welche kleinere Augen oder dickere Lippen hätte als Gulleru, so sagte ich damit noch nicht, daß dieses schwarze Mädchen den Äthiopiern darum s c h ö n e r hätte vorkommen müssen als Gulleru. Das Schöne hat nothwendig e i n b e s t i m m 10
t e s M a a s , und was ü b e r solches ausschweift, entfernt sich eben so davon, wie das, was u n t e r ihm bleibt. Wer wird daraus, daß die Griechen in der Größe der Augen und in der Kleinheit des Mundes ein Stück der vollkommenen Schönheit setzen, den Schluß ziehen: eine Frau, deren Augäpfel einen Daumen im Durchschnitt hielten, oder deren Mund so klein wäre, daß man Mühe hätte, einen Strohhalm hineinzubringen, müßte von den Griechen für desto schöner gehalten werden? Der Abderite war geschlagen, wie man sieht; und er fühlte es. Aber ein abderitischer Gelehrter hätte sich eher erdrosseln lassen, als so was einzugestehen. Waren nicht Philinnen und Lysandren, und ein kurzer dicker Raths-
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herr da, an deren Meynung von seinem Verstand ihm gelegen war? Und wie wenig kostete es ihm, Abderiten und Abderitinnen auf seine Seite zu bringen? — In der That wußte er nicht sogleich, was er sagen sollte. Aber in fester Zuversicht, daß ihm wohl noch was einfallen werde, antwortete er indessen durch ein höhnisches Lächeln; welches zugleich andeutete, daß er die Gründe seines Gegners verachte, und daß er im Begriff sey, den entscheidenden Streich zu führen. „Ists möglich, rief er endlich in einem Ton, als ob dies die Antwort auf die letzte Rede des Demokritus sey *), können Sie die Liebe zum Paradoxen so weit treiben, im Angesicht dieser Schönen zu behaupten, daß ein Geschöpf, wie Sie uns diese Gulleru beschrieben haben, eine Venus sey?“
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Sie haben vergessen, versetzte Demokrit sehr gelassen, daß die Rede nicht von mir und diesen Schönen, sondern von Äthiopiern war. Ich behauptete nichts; ich erzählte nur was ich gesehen hatte. Ich beschrieb Ihnen eine Schönheit nach äthiopischem Geschmack. Es ist nicht meine Schuld, wenn die grie*)
Ein sehr gewöhnlicher Griff der abderitischen Gelehrten und Kunstrichter.
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chische Häßlichkeit in Äthiopien Schönheit ist. Auch seh ich nicht, was mich berechtigen könnte, zwischen den Griechen und Äthiopiern zu entscheiden. Ich vermuthe, es könnte seyn, daß beyde Recht hätten. Ein lautes Gelächter, dergleichen man aufschlägt, wenn jemand etwas unbegreiflich Ungereimtes gesagt hat, wieherte dem Philosophen aus allen anwesenden Hälsen entgegen. „Laß hören, laß doch hören, rief der dicke Rathsherr, indem er seinen Wanst mit beyden Händen hielt, was unser Landsmann sagen kann, um zu beweisen, daß beyde Recht haben! Ich höre für mein Leben gerne so was behaupten. Wofür hätte man auch sonst euch gelehrte Herren? — D i e E r d e i s t
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rund ; der Schnee ist schwarz ; der Mond ist zehnmal so groß als der ganze Peloponnesus ; Achilles kann keine Schnecke im Lauf e n e i n h o l e n — Nicht wahr, Herr A n t i s t r e p s i a d e s ? — Nicht wahr, Herr Demokritus? — Sie sehen, daß ich auch ein wenig in Ihren Mysterien eingeweiht bin. Ha, Ha, Ha!“ Die sämmtlichen Abderiten und Abderitinnen erleichterten sympathetischer Weise ihre Lungen abermals, und Herr A n t i s t r e p s i a d e s , der einen Anschlag auf die Abendmahlzeit des jovialischen Rathsherrn gemacht hatte, unterstützte gefällig das allgemeine Gelächter mit lautem Händeklatschen.
Fünftes Kapitel.
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Unerwartete Auflösung des Knotens, mit einigen neuen Beyspielen von abderitischem Witz. Demokritus war in der Laune, sich mit seinen Abderiten und den Abderiten mit sich Kurzweile zu machen. Zu weise, ihnen irgend eine von ihren Nationaloder Individualunarten übel zu nehmen, konnt’ er es sehr wohl leiden, daß sie ihn für einen überklugen Mann ansahen, der seinen abderitischen Mutterwitz auf seiner langen Wanderschaft verdünstet hatte, und nun zu nichts gut wäre, als ihnen mit seinen Einfällen und Grillen etwas zu lachen zu geben. Er fuhr also, nachdem sich das Gelächter über den witzigen Einfall des dicken Rathsherrn endlich gelegt hatte, mit seinem gewöhnlichen Phlegma fort, wo ihn der kleine jovialische Mann unterbrochen hatte.
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Sagte ich nicht, wenn die griechische Häßlichkeit in Äthiopien Schönheit sey, so könnte wohl seyn, daß beyde Theile Recht hätten? „Ja, ja, das sagten Sie, und ein Mann steht für sein Wort.“ Wenn ich es gesagt habe, so muß ich’s wohl behaupten; das versteht sich, Herr Antistrepsiades? „Wenn Sie können.“ Bin ich etwan nicht auch ein Abderit? Und zudem brauch ich hier nur die Hälfte meines Satzes zu beweisen, um das Ganze bewiesen zu haben: denn daß die Griechen Recht haben, darf nicht erst bewiesen werden; dies ist eine Sache, 10
die in allen griechischen Köpfen schon längst ausgemacht ist. Aber daß die Äthiopier auch Recht haben, da liegt die Schwierigkeit! Wenn ich mit Sophismen fechten, oder mich begnügen wollte, meine Gegner stumm zu machen, ohne sie zu überzeugen; so würd’ ich, als Anwald der äthiopischen Venus, die ganze Streitfrage dem i n n e r n G e f ü h l zu entscheiden überlassen. Warum, würd’ ich sagen, nennen die Menschen diese oder jene Figur, diese oder jene Farbe, schön? Weil sie ihnen gefällt. Gut; aber warum gefällt sie ihnen? Weil sie ihnen angenehm ist. Und warum ist sie ihnen angenehm? — O mein Herr, würde ich sagen, Sie müssen endlich aufhören zu fragen, oder — ich höre auf zu antworten. Ein Ding ist uns angenehm, weil es — einen Eindruck auf uns
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macht, der uns angenehm ist. Ich fordre alle Ihre Grübler heraus, einen bessern Grund anzugeben. Nun würd’ es lächerlich seyn, einem Menschen abstreiten zu wollen, daß ihm angenehm sey, was ihm angenehm ist; oder ihm zu beweisen, er habe Unrecht, sich wohlgefallen zu lassen, was einen gefallenden Eindruck auf ihn macht. We n n also die Figur einer Gulleru seinen Augen wohl thut, so gefällt sie ihm, und w e n n sie ihm gefällt, so nennt er sie schön, oder es müßte nur kein solches Wort in seiner Sprache seyn. „Und w e n n — und w e n n ein Wahnwitziger Pferdäpfel für Pfirschen äße?“ sagte A n t i s t r e p s i a d e s . „Pferdäpfel für Pfirschen! — gut gesagt, bey meiner Ehre! gut gesagt, rief
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der Rathsherr. Knacken Sie das auf, Herr Demokritus?“ — „Fi, Fi, doch, Demokritus, lispelte die schöne M y r i s , indem sie die Hand vor die Nase hielt; wer wird auch von Pferdäpfeln reden? Schonen Sie wenigstens unsrer Nasen!“ Jedermann sieht, daß sich die schöne M y r i s mit diesem Verweise an den witzigen Antistrepsiades hätte wenden sollen, der die Pferdäpfel zuerst aufge-
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tragen hatte, und an den Rathsherrn, der dem Demokritus gar zumuthete sie aufzuknacken. Aber es war nun einmal darauf abgesehen, den Demokritus lächerlich zu machen; der Instinct vertrat bey den sämmtlichen Anwesenden hierinn die Stelle einer Verabredung, und Myris konnte diese schöne Gelegenheit zu einem Stich, der die Lacher auf ihre Seite brachte, unmöglich entwischen lassen. Denn gerade der Umstand, daß Demokrit, der ohnehin an den Pferdäpfeln des Antistrepsiades genug zu schlucken hatte, noch obendrein einen Verweis deswegen erhielt, kam den Abderiten und Abderitinnen so lustig vor, daß sie alle zugleich zu lachen anfiengen, und sich völlig so gebehrdeten, als ob der Philosoph nun aufs Haupt geschlagen sey und gar nicht
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wieder aufstehen könne. Zu viel ist zu viel. Der gute Demokritus hatte zwar in zwanzig Jahren viel erwandert: aber seitdem er aus Abdera gegangen war, war ihm kein zwotes Abdera aufgestoßen; und nun, da er wieder drinn war, zweifelte er zuweilen auf einen oder zween Augenblicke, o b e r i r g e n d w o s e y ? Wie war es möglich, mit solchen Leuten fertig zu werden? „Nun, Vetter? — sagte der Rathsherr, kannst du die Pferdäpfel des Antistrepsiades nicht hinunter kriegen? Ha, ha, ha!“ Dieser Einfall war zu abderitisch, um die Zärtlichkeit der sämtlichen gebogenen, stumpfen, viereckigen und spitzigen Nasen in der Gesellschaft nicht
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zu überwältigen. Die Damen kicherten ein zirpendes Hi, hi, hi, in das dumpfe donnernde Ha, ha, ha, der Mannspersonen. Sie haben gewonnen, rief Demokritus; und zum Zeichen daß ich mein Gewehr mit guter Art strecke, sollen Sie sehen, ob ich die Ehre verdiene, Ihr Landsmann und Vetter zu seyn. Und nun fieng er an, mit einer Geschicklichkeit, worinn ihm kein Abderite gleich kam, von der untersten Note stufenweise Crescendo, bis zum Unisono mit dem Hi, hi, der schönen Abderitinnen, ein Gelächter aufzuschlagen, dergleichen, so lang Abdera auf thracischem Boden stund, nie erhört worden war. Anfangs machten die Damen Miene, als ob sie Widerstand thun wollten; aber es war keine Möglichkeit, gegen das verzweifelte Crescendo auszuhalten. Sie wurden endlich davon wie von einem reissenden Strom ergriffen; und da die Gewalt der Ansteckung noch dazu schlug, so kam es bald so weit, daß die Sache ernsthaft wurde. Die Frauenzimmer baten mit weinenden Augen um
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Barmherzigkeit. Aber Demokritus hatte keine Ohren, und das Gelächter nahm überhand. Endlich ließ er sich, wie es schien, bewegen, ihnen einen Stillstand zu bewilligen; allein in der That blos, damit sie die Peinigung, die er ihnen zugedacht, desto länger aushalten könnten. Denn kaum waren sie wieder ein wenig zu Athem gekommen, so fieng er die nämliche Tonleiter, eine Terze höher, noch einmal zu durchlachen an, aber mit so vielen eingemischten Trillern und Rouladen, daß sogar die runzlichten Beysitzer des Höllengerichts, Minos, Äakus und Rhadamanthus, in ihrem höllenrichterlichen Ornat, aus der Fassung dadurch gekommen wären. 10
Zum Unglück hatten zwo oder drey von unsern Schönen nicht daran gedacht, ihre Personen gegen alle mögliche Folgen einer so heftigen Leibesübung in Sicherheit zu setzen. Scham und Natur kämpften auf Leben und Tod in den armen Mädchen. Vergebens flehten sie den unerbittlichen Demokritus mit Mund und Augen um Gnade an; vergebens forderten sie ihre vom Lachen gänzlich erschlafften Sehnen zu einer letzten Anstrengung auf. Die tyrannische Natur siegte, und in einem Augenblicke sahe man den Saal, wo sich die Gesellschaft befand, unter **********. Der Schrecken über eine so unversehene Naturerscheinung (die desto wunderbarer war, da das allgemeine Auffahren und Erstaunen der schönen Ab-
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deritinnen zu beweisen schien, daß es eine W i r k u n g o h n e U r s a c h e sey,) unterbrach die Lacher auf etliche Augenblicke, um sogleich mit verdoppelter Gewalt wieder loszudrücken. Natürlicher Weise gaben sich die erleichterten Schönen alle Mühe, den besondern Antheil, den sie an dieser Begebenheit hatten, durch Grimassen von Erstaunen und Ekel zu verbergen, und den Verdacht auf ihre schuldlosen Nachbarinnen fallen zu machen, welche durch unzeitige, aber unfreywillige Schamröthe den unverdienten Argwohn mehr als zu viel bestärkten. Der lächerliche Zank, der sich darüber unter ihnen erhub; Demokrit und Antistrepsiades, die sich boshafter Weise ins Mittel schlugen, und durch ironische Trostgründe den Zorn derjenigen, die sich unschuldig
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wußten, noch mehr aufreizten; und mitten unter ihnen allen der kleine dicke Rathsherr, der unter berstendem Gelächter einmal über das andre ausrief, daß er nicht die Hälfte von Thracien um diesen Abend nehmen w o l l t e : alles dies zusammen machte eine Scene, die des Griffels eines H o g a r t h würdig gewesen wäre, wenn es damals schon einen Hogarth gegeben hätte.
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Wir können nicht sagen, wie lange sie gedaurt haben mag: denn es ist eine von den Tugenden der Abderiten, d a ß s i e n i c h t a u f h ö r e n k ö n n e n . Aber Demokritus, bey dem alles seine Zeit hatte, glaubte, daß eine Komödie, die kein Ende nimmt, die langweiligste unter allen Kurzweilen sey. Er packte also alle die schönen Sachen, die er zur Rechtfertigung der äthiopischen Venus hätte sagen können, wofern er es mit vernünftigen Geschöpfen zu thun gehabt hätte, ganz gelassen zusammen, wünschte den Abderiten und Abderitinnen — was sie nicht hatten, und gieng nach Hause, nicht ohne Verwunderung über d i e g u t e G e s e l l s c h a f t , die man anzutreffen Gefahr lief, wenn man — einen Rathsherrn von Abdera besuchte.
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Sechstes Kapitel. Eine Gelegenheit für den Leser, um sein Gehirn aus der schaukelnden Bewegung des vorigen Kapitels wieder in Ruhe zu setzen. Gute, kunstlose, sanftherzige G u l l e r u , — sagte Demokritus, da er nach Hause gekommen war, zu einer wohlgepflegten krauslockigen Schwarzen, die ihm mit offnen Armen entgegenwatschelte — komm an meinen Busen, ehrliche Gulleru! Zwar bist du schwarz wie die Göttinn der Nacht; dein Haar ist wollicht, und deine Nase platt; deine Augen sind klein, deine Ohren groß, und deine Lippen gleichen einer aufgeborstnen Nelke. Aber dein Herz ist rein und
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aufrichtig und fröhlich, und fühlt mit der ganzen Natur. Du denkst nie Arges, sagst nie was Albernes, quälst weder andre noch dich selbst, und thust nichts, was du nicht gestehen darfst. Deine Seele ist ohne Falsch, wie dein Gesicht ohne Schminke. Du kennst weder Neid noch Schadenfreude; und nie hat sich deine ehrliche platte Nase gerümpft, um eines deiner Nebengeschöpfe zu höhnen oder in Verlegenheit zu setzen. Unbesorgt, ob du gefällst oder nicht gefällst, lebst du, in deine Unschuld eingehüllt, im Frieden mit dir selbst und der ganzen Natur; immer geschickt Freude zu geben und zu empfangen, und werth, daß das Herz eines Mannes an deinem Busen ruhe! Gute, sanftherzige Gulleru! Ich könnte dir einen andern Namen geben; einen schönen, klangreichen, griechischen Namen auf a n e oder i d e , a r i o n oder e r i o n : aber dein
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Name ist schön genug, weil er dein ist; und ich bin nicht Demokritus, oder die Zeit soll noch kommen, wo jedes ehrliche gute Herz dem Namen Gulleru entgegenschlagen soll! Gulleru begriff nicht allzuwohl, was Demokritus mit dieser empfindsamen Anrede haben wollte; aber sie sah, daß es eine Ergießung seines Herzens war, und so verstund sie gerade so viel davon, als sie vonnöthen hatte. „War diese Gulleru seine Frau?“ Nein. „Seine Beyschläferinn?“ 10
Nein. „Seine Sklavinn?“ Nach ihrem Anzug zu schließen nicht. „Wie war sie denn angezogen?“ So gut, daß sie eine Fille d’honneur d e r K ö n i g i n n v o n S a b a hätte vorstellen können. Schnüre von großen feinen Perlen zwischen den Locken, und um Hals und Arme; ein Gewand voll schön gebrochner Falten, von dünnem feuerfarbnem Atlaß mit Streifen von welcher Farbe ihr wollt, unter ihrem Busen von einem reichgestickten Gürtel zusammengehalten, den eine Agraffe von Smaragden schloß; und — was weiß ich alles —
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„Der Anzug war reich genug.“ Wenigstens können Sie mir glauben, daß, so wie sie war, kein Prinz von S e n e g a l , A n g o l a , G a m b i a , C o n g o und L o a n g o sie ungestraft angesehen hätte. „Aber —“ Ich sehe wohl, daß Sie noch nicht am Ende Ihrer Fragen sind. — Wer war denn diese Gulleru? War es eben die, von welcher vorhin gesprochen wurde? Wie kam Demokritus zu ihr? Auf welchen Fuß lebte sie in seinem Hause? — Ich gesteh’ es, dies sind sehr billige Fragen; aber sie zu beantworten, seh’ ich vor der Hand keine Möglichkeit. Denken Sie nicht, daß ich hier den Ver-
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schwiegnen machen wolle, oder daß ein besonderes Geheimniß unter der Sache stecke. Die Ursache, warum ich sie nicht beantworten kann, ist die allersimpelste von der Welt. Tausend Schriftsteller befinden sich tausendmal in dem nämlichen Falle; nur ist unter Tausend kaum einer aufrichtig genug, in solchen Fällen die wahre Ursache zu bekennen. Soll ich Ihnen die meinige sagen? Sie werden gestehen, daß sie über alle Einwendung ist. Denn, kurz und
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gut, — ich weiß selbst kein Wort von allem dem, was Sie von mir wissen wollen; und da ich nicht die Geschichte der schönen Gulleru schreibe, so begreifen Sie, daß ich in Absicht auf diese Dame zu nichts verbunden bin. Sollte sich (was ich nicht vorhersehen kann,) etwa in der Folge Gelegenheit finden, von Demokritus oder von ihr selbst etwas näheres zu erkundigen: so verlassen Sie sich darauf, daß Sie alles von Wort zu Wort erfahren sollen.
Siebentes Kapitel. Patriotismus der Abderiten. Ihre Vorneigung für Athen, als ihre Mutterstadt. Ein paar Proben von ihrem Atticismus, und von der unangenehmen Aufrichtigkeit des weisen Demokritus.
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Demokritus hatte noch keinen Monat unter den Abderiten gelebt, als er i h n e n , und zuweilen auch sie i h m , schon so unerträglich waren, als Menschen einander seyn müssen, die mit ihren Begriffen und Neigungen alle Augenblikke wider einander stoßen. Die Abderiten hegten von sich selbst und von ihrer Stadt und Republik eine ganz außerordentliche Meynung. Ihre Unwissenheit alles dessen, was außerhalb ihrem Gebiet in der Welt Merkwürdiges seyn oder geschehen möchte, war zugleich eine Ursache und eine Frucht dieses lächerlichen Dünkels. Daher kam es denn, durch eine sehr natürliche Folge, daß sie sich gar keine Vorstellung machen konnten, wie etwas recht oder anständig oder gut seyn
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könnte, wenn es anders als zu Abdera war, oder wenn man zu Abdera gar nichts davon wußte. Ein Begriff, der i h r e n Begriffen widersprach, eine Gewohnheit, die von den i h r i g e n abgieng, eine Art zu denken oder etwas ins Auge zu fassen, die ihnen f r e m d e war, hieß ihnen, ohne weitere Untersuchung, ungereimt und belachenswerth. Die Natur selbst schrumpfte für sie in den engen Kreis ihrer eigenen Thätigkeit zusammen; und wiewohl sie es nicht so weit trieben, sich, wie d i e J a p a n e r , einzubilden, außer Abdera wohnten lauter Teufel, Gespenster und Ungeheuer: so sahen sie doch wenigstens den Rest des Erdbodens und seiner Bewohner als einen ihrer Aufmerksamkeit unwürdigen Gegenstand an; und wenn sie zufälliger Weise Gelegenheit bekamen, etwas Fremdes zu sehen oder zu hören, so wußten sie nichts damit zu
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machen, als sich darüber aufzuhalten, und sich selbst Glück zu wünschen, daß sie nicht wären wie andere Leute. Dies gieng so weit, daß sie denjenigen für keinen g u t e n B ü r g e r hielten, der an einem andern Orte bessere Einrichtungen oder Gebräuche wahrgenommen hatte als zu Hause. Wer das Glück haben wollte, ihnen zu gefallen, mußte schlechterdings so reden und thun, als ob die Stadt und Republik Abdera, mit allen ihren zugehörigen Stücken, Eigenschaften und Zufälligkeiten, ganz und gar untadelich, und das Ideal aller Republiken gewesen wäre. Von dieser Verachtung gegen alles, was nicht abderitisch hieß, war die Stadt 10
A t h e n allein ausgenommen; aber auch diese vermuthlich nur deswegen, weil die Abderiten, als e h m a l i g e Te j e r , ihr die Ehre erwiesen, sie für ihre Mutterstadt anzusehen. Sie waren stolz darauf, für d a s t h r a c i s c h e A t h e n gehalten zu werden; und wiewohl ihnen dieser Name nie anders als spottweise gegeben wurde, so hörten sie doch keine Schmeicheley lieber als diese. Sie bemühten sich, die Athenienser in allen Stücken zu copiren; und copirten sie genau — wie der Affe den Menschen. Wenn sie, um lebhaft und geistreich zu seyn, alle Augenblicke ins Poßierliche fielen; wichtige Dinge leichtsinnig, und Kindereyen ernsthaft behandelten; das Volk oder ihren Rath um jeder Kleinigkeit willen zwanzigmal versammelten, um lange, alberne Reden pro und
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contra über Sachen zu halten, die ein Mann von alltäglichem Menschenverstand in einer Viertelstunde besser als sie entschieden hätte; wenn sie unaufhörlich mit Projecten von Verschönerung und Vergrößerung schwanger giengen, und, so oft sie etwas unternahmen, immer erst mitten im Werke ausrechneten, daß es über ihre Kräfte gehe; wenn sie ihre halbthracische Sprache mit attischen Redensarten spickten; ohne den mindesten Geschmack eine ungeheure Passion für die Künste affectirten, und immer von Malerey und Statuen und Musik und Rednern und Dichtern schwatzten, ohne jemals einen Maler, Bildhauer, Redner oder Dichter, der des Namens werth war, gehabt zu haben; wenn sie Tempel bauten, die wie Bäder, und Bäder, die wie Tempel
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aussahen; wenn sie die Geschichte von Vulcans Netze in ihre Rathsstube, und den großen Rath der Griechen über die Zurückgabe der schönen Chryseis in ihre Akademie malen ließen; wenn sie in Lustspiele giengen, wo man sie zu weinen, und in Trauerspiele, wo man sie zu lachen machte; und in zwanzig ähnlichen Dingen glaubten die guten Leute — A t h e n i e n s e r zu seyn, und waren — A b d e r i t e n .
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„Wie e r h a b e n der Schwung in diesem kleinen Gedicht ist, das P h y s i g n a t u s auf m e i n e Wa c h t e l gemacht hat!“ sagte eine Abderitinn. Desto schlimmer! sagte Demokritus. Sehen Sie, sprach der erste A r c h o n v o n A b d e r a , die Faßade von diesem Gebäude, welches wir zu unserm Zeughause bestimmet haben? Sie ist von dem besten parischen Marmor. Gestehen Sie, daß Sie nie ein Werk von größerm Geschmack gesehen haben! Es mag die Republik schönes Geld gekostet haben, antwortete Demokritus. Was der Republik Ehre macht, kostet nie zu viel, erwiederte der Archon, der in diesem Augenblick den zweyten Perikles in sich fühlte; ich weiß, Sie sind
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ein Kenner, Demokritus: denn Sie haben immer an allem etwas auszusetzen. Ich bitte Sie, finden Sie mir einen Fehler an dieser Faßade? Tausend Drachmen für einen Fehler, Herr Demokritus, rief ein junger Herr, der die Ehre hatte, ein Neffe des Archon zu seyn, und vor kurzem von Athen zurückgekommen war, wo er sich aus einem a b d e r i t i s c h e n B e n g e l für die Hälfte seines Erbgutes zu einem a t t i s c h e n G e c k e n ausgebildet hatte. Die Faßade ist schön, sagte Demokritus ganz bescheiden; so schön, daß sie es auch zu Athen oder Korinth oder Syrakus seyn würde. Ich sehe, wenn’s erlaubt ist, es zu sagen, nur Einen Fehler an diesem prächtigen Gebäude.
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„Einen Fehler?“ — sprach der Archon, mit einer Miene, die sich nur ein A b d e r i t e , der ein A r c h o n war, geben konnte. Einen Fehler! Einen Fehler! wiederholte der junge Geck, indem er ein lautes Gelächter aufschlug. „Darf man fragen, Demokritus, wie ihr Fehler heißt?“ Eine Kleinigkeit, versetzte Demokritus; nichts als daß man eine so schöne Faßade — nicht sehen kann. „Nicht sehen kann? Und wie so?“ Je, beym Anubis! wie wollen Sie daß man sie vor allen den alten übelgebauten Häusern und Scheunen sehen soll, die hier ringsum zwischen die Augen der Leute und Ihre Faßade hingesetzt sind? „Diese Häuser stunden lange eh Sie und ich geboren wurden,“ sagte der Archon. Dergleichen Dialogen gab es, so lange der Philosoph unter ihnen lebte, alle Tage, Stunden und Augenblicke.
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„Wie finden Sie diesen Purpur, Demokritus? Sie sind zu Ty r u s gewesen; nicht wahr?“ I c h wohl, Madame, aber dieser Purpur nicht; dies ist C o c c i n u m , das Ihnen die Syrakusaner aus Sardinien bringen und für tyrischen Purpur bezahlen lassen. „Aber wenigstens werden Sie doch diesen Schleyer für indianischen Byssus von der feinsten Art gelten lassen?“ Von der feinsten Art, schöne A t a l a n t a , die man in Memphis und Pelusium verarbeiten läßt. 10
Nun hatte sich der ehrliche Mann zwo Feindinnen in Einer Minute gemacht. Konnte aber auch was ärgerlicher seyn, als eine solche Aufrichtigkeit?
Achtes Kapitel. Vorläufige Nachricht von dem abderitischen Schauspielwesen. Demokritus wird genöthigt, seine Meynung davon zu sagen. Die Abderiten wußten sich sehr viel mit ihrem Theater. Ihre Schauspieler waren gemeine Bürger von Abdera, die entweder von ihrem Handwerke nicht leben konnten, oder zu faul waren, eines zu lernen. Sie hatten keinen gelehrten Begriff von der Kunst, aber eine desto größere Meynung von ihrer eignen Geschicklichkeit; und wirklich konnt’ es ihnen an Anlage nicht fehlen, da die 20
Abderiten überhaupt geborne Gaukler, Spaßmacher und Pantomimen waren, an denen immer jedes Glied ihres Leibes mitreden half, so wenig auch das, was sie sagten, zu bedeuten haben mochte. Sie besaßen auch einen eignen Schauspieldichter, H y p e r b o l u s genannt, der, wenn man ihnen glaubte, ihre Schaubühne so weit gebracht hatte, daß sie der atheniensischen wenig nachgab. Er war im Komischen so stark als im Tragischen, und machte überdies die poßierlichsten Satyrenspiele *) von der Welt, worinn er seine eignen Tragödien so schnackisch parodirte, daß man sich, wie die Abderiten sagten, darüber bucklicht lachen mußte. Ihrem Ur*)
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Griechische Possenspiele, die mit der Opera buffa der Welschen einige Ähnlichkeit hatten,
und wovon uns der C y k l o p s des Euripides, das einzige übrig gebliebene Stück dieser Art, einen Begriff giebt. E r s t e s B u c h . ¼…½ A c h t e s K a p i t e l
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theile nach vereinigte er in seiner Tragödie den hohen Schwung und die mächtige Einbildungskraft des Ä s c h y l u s mit der Beredtsamkeit und dem Pathos des E u r i p i d e s , so wie in seinen Lustspielen des A r i s t o p h a n e s Laune und muthwilligen Witz mit dem feinen Geschmack und der Eleganz des A g a t h o n . D i e B e h e n d i g k e i t , womit er seiner Werke entbunden wurde, war das Talent, worauf er sich am meisten zu gute that. Er lieferte jeden Monat seine Tragödie, mit einem kleinen Possenspielchen zur Zugabe. Meine beste Komödie, sprach er, hat mich nicht mehr als vierzehn Tage gekostet, und gleichwohl spielt sie ihre vier bis fünf Stunden wohlgezählt. Da sey uns der Himmel gnädig! dachte Demokritus.
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Nun drangen die Abderiten immer von allen Seiten in ihn, seine Meynung von ihrem Theater zu sagen; und so ungern er sich mit ihnen über ihren Geschmack in Wortwechsel einließ, so konnt’ er doch auch nicht von sich erhalten, ihnen zu schmeicheln, wenn sie ihm sein Urtheil mit gesammter Hand abnöthigten. „Wie gefällt Ihnen diese neue Tragödie?“ Das Süjet ist glücklich gewählt. Was müßte der Autor auch seyn, der einen solchen Stoff ganz zu Grunde richten sollte? „Fanden Sie sie nicht sehr rührend?“ Ein Stück könnte in einigen Stellen sehr rührend, und doch ein sehr elendes
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Stück seyn, sagte Demokritus. Ich kenne einen Bildhauer von Sicyon, der die Wut hat, lauter Liebesgöttinnen zu schnitzen. Diese sehen überhaupt sehr gemeinen Dirnen gleich; aber sie haben alle die schönsten Beine von der Welt. Das ganze Geheimniß von der Sache ist, daß der Mann seine Frau zum Modelle nimmt, die, zum Glücke für seine Venusbilder, wenigstens die Beine schön ist. So kann dem schlechtesten Dichter zuweilen eine rührende Stelle gelingen, wenn es sich gerade zutrifft, daß er verliebt ist, oder einen Freund verloren hat, oder daß ihm sonst ein Zufall zugestoßen ist, der sein Herz in eine Fassung setzt, die es ihm leicht macht, sich an den Platz der Person, die er reden lassen soll, zu stellen. „Sie finden also die H e k u b a unsers Dichters nicht vortrefflich?“ Ich finde, daß der Mann vielleicht sein Bestes gethan hat. Aber die vielen, bald dem Äschylus, bald dem Sophokles, bald dem Euripides, ausgerupften Federn, womit er seine Blöße zu decken sucht, und die ihm vielleicht in den Augen mancher Zuhörer, denen jene Dichter nicht so gegenwärtig sind als
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mir, Ehre machen, schaden ihm in den meinigen. Eine Krähe, wie sie von Gott erschaffen ist, dünkt mich so noch immer schöner, als wenn sie sich mit Pfauen- und Fasanenfedern ausputzt. Überhaupt fodre ich von dem Verfasser eines Trauerspiels mit gleichem Rechte, daß er mir f ü r m e i n e n B e y f a l l ein vortreffliches Trauerspiel, als von meinem Schuster, daß er mir f ü r m e i n G e l d ein paar gute Stiefeln liefere; und wiewohl ich gerne gestehe, daß es schwerer ist, ein gutes Trauerspiel als gute Stiefeln zu machen: so bin ich darum nicht weniger berechtiget, von jedem Trauerspiel zu verlangen, daß es a l l e Eigenschaften habe, die zu einem g u t e n Trauerspiel, als von einem Stiefel, daß er 10
alles habe, was zu einem guten Stiefel gehört. „Und was gehört denn, Ihrer Meynung nach, zu einem w o h l g e s t i e f e l t e n Tr a u e r s p i e l ? “ fragte e i n j u n g e r a b d e r i t i s c h e r P a t r i c i u s , herzlich über den guten Einfall lachend, der ihm, wie er glaubte, entfahren war. Demokritus sprach mit einem kleinen Kreise von Personen, die ihm zuzuhören s c h i e n e n , und fuhr, ohne auf die Frage des witzigen jungen Herrn Acht zu haben, fort. Die wahren Regeln der Kunstwerke, sprach er, können nie w i l l k ü h r l i c h seyn. Ich fordre nichts von einem Trauerspiele, a l s w a s S o p h o k l e s v o n d e n s e i n i g e n f o d e r t ; und dies ist weder mehr noch weniger, als die Natur und Absicht der Sache mit sich bringt. Einen einfachen
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wohldurchgedachten Plan, worinn der Dichter alles vorausgesehen, alles vorbereitet, alles natürlich zusammengefügt, alles auf Einen Punkt geführt hat; worinn jeder Theil ein unentbehrliches Glied, und das Ganze ein wohlorganisirter, schöner, frey und edel sich bewegender Körper ist! Keine langweilige Exposition, keine Episoden, keine Scenen zum Ausfüllen, keine Reden, deren Ende man mit Ungeduld herbeygähnt, keine Handlungen, die nicht zum Hauptzwecke arbeiten! Interessante, aus der Natur genommene Charaktere, veredelt, aber so, daß man die Menschheit in ihnen nie verkenne; keine übermenschliche Tugenden, keine Ungeheuer von Bosheit! Personen, die immer ihren eigenen Individualbegriffen und Empfindungen gemäß reden und han-
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deln; immer so, daß man fühlt, nach ihrem besondern Charakter, nach allen ihren vorhergehenden und gegenwärtigen Umständen und Bestimmungen, m ü s s e n s i e i m g e g e b e n e n F a l l e s o r e d e n , s o h a n d e l n , oder aufhören zu seyn was sie sind. Ich fodre, daß der Dichter nicht nur die menschliche Natur kenne, in so ferne sie d a s M o d e l l aller seiner Nachbildungen ist; ich fodre, daß er auch auf d i e Z u s c h a u e r Rücksicht nehme, und genau wisse,
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d u r c h w e l c h e We g e m a n s i c h i h r e s H e r z e n s M e i s t e r m a c h t ; daß er jeden starken Schlag, den er auf solches thun will, u n v e r m e r k t v o r b e r e i t e ; daß er wisse w e n n e s g e n u g i s t , und, eh er uns durch einerley Eindrücke völlig ermüdet, oder einen Affect bis zu dem Grade, wo er peinigend zu werden anfängt, in uns erregt, dem Herzen kleine Ruhepunkte zur Erholung gönne, und die Regungen, die er uns mittheilt, ohne Nachtheil der Hauptwirkung, zu vermannichfaltigen wisse. Ich fodre von ihm eine schöne, und ohne Ängstlichkeit mit äußerstem Fleiße polirte Sprache; einen immer warmen kräftigen Ausdruck, einfach und erhaben, ohne jemals zu s c h w e l l e n noch zu s i n k e n , stark und nervicht, ohne r a u h und s t e i f zu werden,
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glänzend, o h n e z u b l e n d e n ; wahre Heldensprache, die immer der lebende Ausdruck einer großen Seele und unmittelbar vom gegenwärtigen Gefühl eingegeben ist, nie zu viel, nie zu wenig sagt, und, gleich einem dem Körper angegoßnen Gewand, immer den eigenthümlichen Geist des Redenden durchscheinen läßt. Ich fodre, daß derjenige, der sich unterwindet, Helden reden zu lassen, selbst eine große Seele habe; und indem er durch die Allgewalt der Begeisterung in seinen Helden verwandelt worden ist, alles, was er ihm in den Mund legt, in seinem eignen Herzen finde. Ich fodre — „O, Herr Demokritus,“ — riefen die Abderiten, die sich nicht länger zu halten wußten — „Sie können, da Sie nun einmal im Fodern sind, alles fodern
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was Ihnen beliebt. In Abdera läßt man sich mit wenigerm abfinden. Wir sind zufrieden, wenn uns ein Dichter r ü h r t . Der Mann, der uns lachen oder weinen macht, ist in unsern Augen ein göttlicher Mann, mag er es doch anfangen wie er selbst will. Dies ist s e i n e Sache, nicht die unsrige! Hyperbolus gefällt uns, rührt uns, macht uns Spaß; und gesetzt auch, daß er uns mitunter gähnen macht, so bleibt er doch immer ein großer Dichter! Brauchen wir eines weitern Beweises?“ Die Schwarzen an der Goldküste, sagte Demokritus, tanzen mit Entzücken zum Getöse eines armseligen Schaffells und etlicher Bleche, die sie gegen einander schlagen. Gebt ihnen noch ein paar Kuhschellen und eine Sackpfeife dazu, so glauben sie in Elysium zu seyn. Wie viel Witz brauchte eure Amme, um euch, da ihr noch Kinder waret, durch ihre Erzählungen zu rühren? Das albernste Mährchen, in einem kläglichen Tone hergeleyert, war dazu gut genug. Folgt aber daraus, daß die Musik der Schwarzen vortrefflich, oder ein Ammenmährchen gleich ein herrliches Werk ist?
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„Sie sind sehr höflich, Demokritus —“ Um Vergebung! Ich bin so unhöflich, jedes Ding bey seinem Namen zu nennen; und so eigensinnig, daß ich nie gestehen werde, alles sey schön und vortrefflich, was man so zu nennen beliebt. „Aber das Gefühl eines ganzen Volkes wird doch mehr gelten, als der Eigendünkel eines einzigen?“ Eigendünkel? Das ist es eben, was ich aus den Künsten der Musen verbannt sehen möchte. Unter allen den Foderungen, wovon die Abderiten ihren Günstling Hyperbolus so gütig loszählen, ist keine einzige, die nicht auf die strengste 10
Gerechtigkeit gegründet wäre. Aber das Gefühl eines ganzen Volkes, wenn es kein g e l e h r t e s Gefühl ist, kann und muß in unzähligen Fällen betrüglich seyn. „Wie, zum Henker! (rief ein Abderite, der mit seinem Gefühl sehr wohl zufrieden schien,) Sie werden uns am Ende wohl gar noch unsre fünf Sinne streitig machen?“ Das verhüte der Himmel! antwortete Demokritus. Wenn Sie so bescheiden sind, keine weitere Ansprüche zu machen, als auf fünf Sinne, so wär’ es die größte Ungerechtigkeit, Sie im ruhigen Besitze derselben stören zu wollen. Fünf Sinne sind allerdings, zumal wenn man alle fünfe zusammennimmt,
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vollgültige Richter in allen Dingen, wo es darauf ankömmt, zu entscheiden, was weiß oder schwarz, glatt oder rauh, weich oder hart, dick oder dünn, bitter oder süß ist. Ein Mann, der nie weiter geht, als ihn seine fünf Sinne führen, geht immer s i c h e r ; und in der That, wenn euer Hyperbolus dafür sorgen wird, daß in seinen Schauspielen jeder Sinn ergötzt und keiner beleidiget werde, so stehe ich ihm für die gute Aufnahme, und wenn sie noch zehnmal schlechter wären als sie sind. Wäre Demokritus zu Abdera weiter nichts gewesen, als was Diogenes zu Korinth war, so möchte ihm die Freyheit seiner Zunge vielleicht einige Ungelegenheit zugezogen haben. Denn so gerne die Abderiten über w i c h t i g e Din-
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ge spaßten, so wenig konnten sie ertragen, wenn man sich über ihre Puppen und Steckenpferde lustig machte. Aber Demokritus war aus dem besten Hause in Abdera, und, was noch mehr zu bedeuten hat, er war reich. Dieser doppelte Umstand machte, daß man ihm nachsah, was man einem Philosophen in zerrißnem Mantel schwerlich zu gut gehalten hätte. „Sie sind auch ein unerträglicher Mensch, Demokritus!“ schnarrten die schönen Abderitinnen, und — ertrugen ihn doch. E r s t e s B u c h . ¼…½ A c h t e s K a p i t e l
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Der Poet Hyperbolus machte noch am nämlichen Abend ein entsetzliches Sinngedicht auf den Philosophen. Des folgenden Morgens lief es bey allen Putztischen herum; und in der dritten Nacht ward es in allen Gassen von Abdera gesungen. D e n n D e m o k r i t u s h a t t e e i n e M e l o d i e d a z u g e setzt.
Neuntes Kapitel. Gute Gemüthsart der Abderiten, und wie sie sich an dem Philosophen Demokritus wegen seiner Unhöflichkeit zu rächen wissen. Eine seiner Strafpredigten zur Probe. Die Abderiten machen ein Gesetz gegen alle Reisen,
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wodurch ein abderitisches Mutterkind hätte klüger werden können. Merkwürdige Art, wie der Nomophylax Gryllus eine aus diesem Gesetz entstandene Schwierigkeit auflöst. Es ist ordentlicher Weise eine gefährliche Sache, mehr Verstand zu haben als seine Mitbürger. S o k r a t e s mußt’ es mit dem Leben bezahlen; und wenn A r i s t o t e l e s mit ganzer Haut davon kam, als ihn der Oberpriester E u r y m e d o n zu Athen der Ketzerey anklagte, so kam es blos daher, weil er sich in Zeiten aus dem Staube machte. I c h w i l l d e n A t h e n i e n s e r n k e i n e G e legenheit geben, sagte er, sich zum zweytenmale an der Philosophie zu versündigen*) .
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Die Abderiten waren bey allen ihren menschlichen Schwachheiten wenigstens keine sehr bösartigen Leute. Unter ihnen hätte Sokrates so alt werden können als Nestor. Sie hätten ihn für eine wunderliche Art von Narren gehalten, und sich über seine vermeintliche Thorheit lustig gemacht; aber die Sache bis zum Giftbecher zu treiben, war nicht in ihrem Charakter. Demokritus gieng so scharf mit ihnen zu Werke, daß ein weniger jovialisches Volk die Geduld dabey verloren hätte. Gleichwohl bestund alle Rache, die sie an ihm nahmen, darinn, daß sie (unbekümmert mit welchem Grunde) eben so übel von ihm sprachen als er von ihnen, alles tadelten, was er unternahm, alles *)
A e l i a n . Var. Hist. III. 36.
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lächerlich fanden, was er sagte, und von allem, was er ihnen rieth, gerade das Gegentheil thaten. „Man muß dem Philosophen durch den Sinn fahren, sagten sie; man muß ihm nicht weiß machen, daß er alles besser wisse als wir“ — und, dieser weisen Maxime zufolge, begiengen die guten Leute eine Thorheit über die andre, und glaubten, wie viel sie dabey gewonnen hätten, wenn es ihn verdrösse. Zum Unglück verfehlten sie darinn ihres Zweckes gänzlich. Denn Demokritus lachte dazu, und wurde, aller ihrer Neckereyen wegen, nicht einen Augenblick früher grau. O die Abderiten, die Abderiten! rief er zuweilen; da haben sie sich wieder selbst eine Ohrfeige gegeben, in Hoffnung, daß es 10
m i r weh thun werde! „Aber (sagten die Abderiten) kann man auch mit einem Menschen schlimmer daran seyn? Über alles in der Welt ist er andrer Meynung als wir. An allem, was uns gefällt, hat er etwas auszusetzen. Es ist doch sehr unangenehm, sich immer widersprechen zu lassen!“ Aber, wenn ihr nun immer Unrecht habt? antwortete Demokritus. — Und laßt doch einmal sehen, wie es anders seyn könnte! Alle eure Begriffe habt ihr eurer Amme zu danken; und über alles denkt ihr noch eben so, wie ihr als Kinder davon dachtet. Eure Körper sind gewachsen, und Eure Seelen liegen noch in der Wiege. Wie viele unter euch haben sich die Mühe gegeben, den
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Grund zu erforschen, w a r u m sie etwas wahr oder gut oder schön nennen? Gleich den Unmündigen und Säuglingen ist euch alles gut und schön, was eure Sinnen kitzelt, was euch gefällt. Und auf was für kleinfügige, oft gar nicht zur Sache gehörende, Ursachen und Umstände kömmt es an, ob euch etwas gefallen soll oder nicht? Wie verlegen würdet ihr oft seyn, wenn ihr sagen solltet, w a r u m ihr dies liebt und jenes hasset? Grillen, Launen, Eigensinn, die Gewohnheit, euch von andern Leuten gängeln zu lassen, mit ihren Augen zu sehen, mit ihren Ohren zu hören, und was sie euch vorgepfiffen haben, nachzupfeifen, — sind die Triebfedern, die bey euch die Stelle der Vernunft ersetzen. Soll ich euch sagen, woran der Fehler liegt? Ihr habt euch e i n e n f a l -
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s c h e n B e g r i f f v o n F r e y h e i t in den Kopf gesetzt. Eure Kinder von drey oder vier Jahren haben freylich den nämlichen Begriff davon; aber dies macht ihn nicht richtiger. Wir sind ein freyes Volk, sagt ihr; und nun glaubt ihr, die Vernunft habe euch nichts einzureden. „Warum sollten wir nicht denken dürfen, wie es uns beliebt? lieben und hassen wie es uns beliebt? bewundern oder verachten was uns beliebt? Wer hat ein Recht uns zur Rede zu stellen, oder
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unsern Geschmack und unsre Neigungen vor seinen Richterstuhl zu fordern?“ — Nun dann, meine lieben Abderiten, so denkt und faselt, liebt und haßt, bewundert und verachtet, wie, wenn, und was euch beliebt! Begeht Thorheiten so oft und so viel euch beliebt! Macht euch lächerlich wie es euch beliebt! Wem liegt am Ende was daran? So lang es nur Kleinigkeiten, Puppen und Steckenpferde betrifft, wär es unbillig, euch im Besitze des Rechtes, eure Puppe und euer Steckenpferd nach Belieben zu putzen und zu reiten, stören zu wollen. Gesetzt auch, eure Puppe wäre häßlich, und das, was ihr euer Stekkenpferd nennt, sähe von vorn und von hinten einem Öchslein oder Eselein ähnlich: was thut das? Wenn eure Thorheiten euch glücklich und niemand
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unglücklich machen, was geht es andre Leute an, daß es Thorheiten sind? Warum sollte nicht der hochweise Rath von Abdera, in feyerlicher Proceßion, einer hinter dem andern, vom Rathhause bis zum Tempel der Latona Burzelbäume machen dürfen, wenn es dem Rath und Volke von Abdera so gefällig wäre? Warum solltet ihr euer bestes Gebäude nicht in einen Winkel, und eure schöne kleine Venus nicht auf einen Obelisk setzen dürfen? Aber, meine lieben Landsleute, nicht alle eure Thorheiten sind so unschuldig wie diese; und wenn ich sehe, daß ihr euch durch eure Grillen und Aufwallungen S c h a d e n thut, so müßt’ ich euer Freund nicht seyn, wenn ich stille dazu schweigen könnte. Zum Exempel, euer Frosch- und Mäusekrieg mit den L e m n i e r n ,
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der unnöthigste und unbesonnenste der jemals angefangen wurde, um der albernsten Ursache von der Welt, um einer Tänzerinn, willen? — Es fiel in die Augen, daß ihr damals unter dem unmittelbaren Einfluß eures bösen Dämons waret, da ihr ihn beschlosset. Allein, alles half nichts, was man euch dagegen vorstellte. Die Lemnier sollten gezüchtiget werden; und wie ihr Leute von lebhafter Einbildung seyd, so schien euch nichts leichters, als euch von der ganzen Insel Meister zu machen. Denn die Schwierigkeiten einer Sache pflegt ihr nie eher in Erwägung zu nehmen, als bis euch eure Nase daran erinnert. Doch dies alles möchte noch hingegangen seyn, wenn ihr nur wenigstens die Ausführung eurer Entwürfe einem tüchtigen Mann aufgetragen hättet. Aber den jungen A p h r o n zum Feldherrn zu machen, ohne daß sich irgend ein möglicher Grund davon erdenken ließ, als weil eure Weiber fanden, daß er in seiner prächtigen neuen Rüstung so schön wie ein Paris sey; und — über dem Vergnügen, einen großen feuerfarbenen Federbusch auf seinem hirnlosen Kopfe nicken zu sehen — zu vergessen, daß es nicht um ein Lustgefechte zu
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thun war: dies, läugnets nur nicht, dies war ein Abderitenstreich! Und nun, da ihr ihn mit dem Verlust eurer Ehre, eurer Galeren und eurer besten Mannschaft bezahlt habt, was hilft es euch, daß die Athenienser *), die ihr euch in ihren Thorheiten zum Muster genommen habt, eben so sinnreiche Streiche, und zuweilen mit eben so glücklichem Ausgang zu spielen pflegen? In diesem Tone sprach Demokritus mit den Abderiten, so oft sie ihm Gelegenheit dazu gaben; aber, wiewohl dies sehr oft geschah, so konnten sie sich doch unmöglich gewöhnen, diesen Ton angenehm zu finden. „So geht es, sagten sie, wenn man naseweisen Jünglingen erlaubt, in der weiten Welt herum zu 10
reisen, um sich ihres Vaterlandes schämen zu lernen, und nach zehn oder zwanzig Jahren mit einem Kopfe voll ausländischer Begriffe als K o s m o p o l i t e n zurückzukommen, die alles besser wissen als ihre Großväter, und alles anderswo besser gesehen haben als zu Hause. Die alten Ägyptier, die niemand reisen ließen eh’ er wenigstens funfzig Jahre auf dem Rücken hatte, waren weise Leute!“ Und eilends giengen die Abderiten hin, und machten ein Gesetz: daß kein Abderitensohn hinfür weiter als bis an den korinthischen Isthmus, länger als ein Jahr, und anders als unter der Aufsicht eines bejahrten Hofmeisters von altabderitischer Abkunft, Denkart und Sitte, sollte reisen dürfen. „Junge Leu-
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te müssen zwar die Welt sehen, sagte das Decret: aber eben darum sollen sie sich an jedem Orte nicht länger aufhalten, als bis sie alles, was mit Augen da zu sehen ist, gesehen haben. Besonders soll der Hofmeister genau bemerken, was für Gasthöfe **) sie angetroffen, wie sie gegessen, und wie viel sie bezahlen müssen; damit ihre Mitbürger sich in der Folge diese ersprießlichen Geheimnachrichten zu Nutze machen können. Ferner soll, (wie das Decret weiter sagt,) zu Ersparung der Unkosten eines allzu langen Aufenthalts an einem Orte, der Hofmeister dahin sehen, daß der junge Abderite in keine unnöthige Bekanntschaften verwickelt werde. Der Wirth oder der Hausknecht, als an *)
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Die Athenienser hatten zu ihrem Kriege mit Megara keinen bessern Grund, (wenn man dem
Aristophanes glauben dürfte,) als daß etliche junge Herren von Megara, um die Entführung einer megarischen Courtisane zu rächen, ein paar junge Dirnen von der nämlichen Profeßion aus Aspasiens Pflanzschule entführt hatten. Aspasia vermochte alles über den Perikles, Perikles alles in Athen, und so wurde den Megarern der Krieg angekündigt. P l u t a r c h im Leben des Perikles. **)
Ob diese Stelle, der Gasthöfe wegen, für unächt und eingeschoben zu halten sey, überläßt
man dem Urtheile derjenigen, welche die Rem cauponariam Veterum gründlich untersucht haben. E r s t e s B u c h . ¼…½ N e u n t e s K a p i t e l
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dem Orte einheimisch, kann ihm am besten sagen, was da merkwürdiges zu sehen ist, wie die dasigen Gelehrten und Künstler heißen, wo sie wohnen, und um welche Zeit sie zu sprechen sind: dies bemerkt sich der Hofmeister in sein Tagebuch; und dann läßt sich in zween oder drey Tagen, wenn man die Zeit wohl zu Rathe hält, vieles in Augenschein nehmen.“ Zum Unglück für dieses weise Decret befanden sich zween abderitische junge Herren von großer Wichtigkeit eben außer Landes, als es abgefaßt, und, nach alter Gewohnheit, dem Volk auf den Hauptplätzen der Stadt v o r g e s u n g e n wurde. Der eine war der Sohn eines Krämers, der, durch Geiz und niederträchtige Kunstgriffe in seinem Gewerbe, binnen vierzig Jahren ein
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beträchtliches Vermögen zusammengekratzt, und in Kraft desselben seine Tochter (das häßlichste und dümmste Thierchen von ganz Abdera) kürzlich an einen Neffen des kleinen dicken Rathsherrn, dessen oben rühmliche Erwähnung gethan worden, verheirathet hatte. Der andere war der einzige Sohn des Nomophylax, und sollte, um seinem Vater je bälder je lieber in diesem Amte beygeordnet werden zu können, nach Athen reisen, und sich mit dem Musikwesen daselbst genauer bekannt machen; während daß der Erbe des Krämers, der ihn begleiten wollte, mit den Putzmacherinnen und Sträußermädchen allda genauere Bekanntschaft zu machen gesonnen war. Nun hatte das Decret an den besondern Fall, worinn sich diese jungen Herren befanden,
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nicht gedacht. Die Frage war also, was zu thun sey? Ob man auf eine Modification des Gesetzes antragen, oder beym Senat blos um Dispensation für den vorliegenden Fall ansuchen sollte? — Keines von beyden, sagte der Nomophylax, der eben mit der Composition eines neuen Tanzes auf das Fest der Latona fertig, und außerordentlich mit sich selbst zufrieden war. Um etwas am Gesetze selbst zu ändern, müßte man das Volk deswegen zusammenberufen; und dies würde unsern Mißgünstigen nur Gelegenheit geben, die Mäuler aufzureissen. Was die Dispensation betrifft, so ist zwar an dem, daß man die Gesetze meistens um der Dispensationen willen macht; und ich zweifle nicht, daß der Senat uns ohne Schwierigkeit zugestehen würde, was jeder, in ähnlichen Fällen, Kraft des Gegenrechtes fodern zu können wünscht. Indessen hat doch jede Befreyung das Ansehen einer erwiesenen Gnade; und wozu haben wir nöthig, uns Verbindlichkeiten aufzuhalsen? Das Gesetz ist ein schlafender Löwe, bey dem man, so lang er nicht aufgeweckt wird, so sicher als bey einem Lamme vorbeyschleichen kann. Und wer wird die Unver-
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schämtheit oder die Verwegenheit haben, ihn gegen den Sohn des Nomophylax aufzuwecken? Dieser Beschirmer der Gesetze war, wie wir sehen, ein Mann, der von den Gesetzen und von seinem Amte sehr verfeinerte Begriffe hatte, und sich der Vortheile, die ihm das letztere gab, fertig zu bedienen wußte. Sein Name verdient aufbehalten zu werden. Er nannte sich G r y l l u s , des C y n i s k u s Sohn.
Zehntes Kapitel. Demokritus zieht sich aufs Land zurück, und wird von den 10
Abderiten fleißig besucht. Allerley Raritäten, und eine Unterredung vom S c h l a r a f f e n l a n d e d e r S i t t e n l e h r e r . Demokritus hatte sich, da er in sein Vaterland zurückkam, mit dem Gedanken geschmeichelt, daß er demselben, mittelst alles dessen, um was sich sein Verstand und sein Herz indessen gebessert hatte, nützlich werden könnte. Er hatte sich nicht vorgestellt, daß es mit den a b d e r i t i s c h e n K ö p f e n so gar übel stünde, als er es nun wirklich befand. Aber da er sich einige Zeit unter ihnen aufgehalten, sah er augenscheinlich, daß es ein eitles Unternehmen gewesen wäre, sie v e r b e s s e r n zu wollen. Alles war bey ihnen so v e r s c h o b e n , daß man nicht wußte, wo man die Verbesserung anfangen sollte. Jeder
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ihrer Mißbräuche hieng an zwanzig andern; es war unmöglich, einen davon abzustellen, ohne den ganzen Staat umzuschaffen. Eine gute Seuche (dacht er) welche das ganze Völkchen — bis auf etliche Dutzend Kinder, die gerade groß genug wären, um der Ammen entbehren zu können — von der Erde vertilgte, wäre das einzige Mittel, das der S t a d t A b d e r a helfen könnte; den Abderiten ist nicht zu helfen! Er beschloß also, sich mit guter Art von ihnen zurückzuziehen, und gieng ein kleines Gut zu bewohnen, das er in der Gegend von Abdera besaß, und mit dessen Benutzung und Verschönerung er die Stunden beschäftigte, die ihm sein Lieblingsstudium, die Erforschung der Naturwirkungen, übrig ließ. Aber
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zum Unglück für ihn lag dies Landgut zu nah bey Abdera. Denn weil die Lage desselben ungemein schön, und der Weg dahin einer der angenehmsten Spat-
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ziergänge war: so sah er sich alle Tage Gottes von einem Schwarm von Abderiten und Abderitinnen, lauter Vettern und Basen, heimgesucht, welche das schöne Wetter und den angenehmen Spatziergang zum Vorwande nahmen, ihn in seiner glücklichen Einsamkeit zu stören. Wiewohl Demokritus den Abderiten wenigstens eben so wenig gefiel als sie ihm, so war doch die Wirkung davon sehr verschieden. Er f l o h sie, weil sie ihm Langeweile machten; und sie s u c h t e n ihn, weil sie sich die Zeit dadurch vertrieben. Er wußte die seinige anzuwenden; sie hingegen hatten nichts bessers zu thun. „Wir kommen, Ihnen in Ihrer Einsamkeit die Zeit kürzen zu helfen,“ sagten
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die Abderiten. — Ich pflege in meiner eigenen Gesellschaft sehr kurze Zeit zu haben, sagte Demokritus. „Aber wie ist es möglich, daß man immer so allein seyn kann, rief die schöne P i t h ö k a . Ich würde vor Langerweile vergehen, wenn ich einen einzigen Tag leben sollte, ohne Leute zu sehen.“ Sie versprachen sich; von Leuten gesehen zu werden, meynen Sie, sagte Demokritus. „Aber woher nehmen sie auch, daß Demokritus Langeweile hat; sein ganzes Haus ist mit Seltenheiten angefüllt. Mit Ihrer Erlaubniß, Demokritus — lassen Sie uns doch alle die schönen Sachen sehen, die Sie auf Ihrer Reise gesam-
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melt haben.“ Nun gieng das Leiden des armen Einsiedlers erst recht an. Er hatte in der That eine schöne Sammlung von Naturalien aus allen Reichen der Natur; ausgestopfte Thiere, Vögel, Fische, Schmetterlinge, Muscheln, Versteinerungen, Erze, u. s. w. Alles war den Abderiten neu; alles erregte ihr Erstaunen. Der gute Naturforscher wurde in einer Minute mit so viel Fragen übertäubt, daß er, wie die Fama, aus lauter Ohren und Zungen hätte zusammengesetzt seyn müssen, um auf alles antworten zu können. „Erklären Sie uns doch, was dieses ist? wie es heißt? woher es ist? wie es zugeht? warum es so ist?“ Demokritus erklärte so gut er konnte und wußte; aber den Abderiten wurde nichts klärer dadurch; es war ihnen vielmehr, als begriffen sie immer weniger von der Sache je mehr er sie erklärte. Seine Schuld war es nicht! „Wu n d e r b a r ! U n b e g r e i f l i c h ! S e h r w u n d e r b a r ! “ — war ihr ewiger Gegenklang. —
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So natürlich als etwas in der Welt! erwiederte Demokritus ganz kaltsinnig. — „Sie sind gar zu bescheiden, Demokritus; oder vermuthlich wollen Sie nur, daß man Ihnen desto mehr Complimente über Ihren guten Geschmack und über Ihre großen Reisen machen soll?“ — Setzen Sie sich deswegen in keine Unkosten, meine Herren; ich nehme alles für empfangen an. „Aber es mag doch eine angenehme Sache seyn, so tief in die Welt hinein zu reisen?“ — sagte ein Abderit. 10
„Und ich dächte gerade das Gegentheil, sprach ein anderer. — Nehmen Sie alle die Gefahren und Beschwerlichkeiten, denen man täglich ausgesetzt ist; die schlimmen Straßen, die schlechten Gasthöfe, die Sandbänke, die Schiffbrüche, die wilden Thiere, Krokodile, Einhörner, Greifen und geflügelte Löwen, von denen in der Barbarey alles wimmelt.“ „Und dann, was hat man am Ende davon, (fiel ein Matador von Abdera ein,) wenn man gesehen hat, wie groß die Welt ist? Ich dächte, das Stück, das ich selbst davon besitze, käme mir dann so klein vor, daß ich keine Freude mehr daran haben könnte.“ „Aber rechnen Sie für nichts, so viel Menschen zu sehen?“ — erwiederte der
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Erste. „Und was sieht man denn da? Menschen! Die konnte man zu Hause sehen. Es ist allenthalben wie bey uns.“ „Ey, hier ist gar ein Vogel ohne Füße,“ rief ein junges Frauenzimmer. „Ohne Füße? — Und der ganze Vogel nur eine einzige Feder! das ist erstaunlich!“ — sprach eine andere. „Begreifen Sie das?“ „Ich bitte Sie, Demokritus, erklären Sie uns, wie er gehen kann, da er keine Füße hat?“ „Und wie er mit einer einzigen Feder fliegt?“ „O, was ich am liebsten sehen möchte, sagte eine von den Basen, das wäre
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ein lebendiger Sphinx! Sie müssen deren wohl viele in Ägypten gefunden haben?“ „Aber ists möglich, ich bitte Sie, daß die Weiber und Töchter der Gymnosophisten in Indien — wie man sagt — Sie verstehen mich doch, was ich fragen will?“ Nicht ich, Frau S a l a b a n d a ?
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„O, Sie verstehen mich gewiß! Sie sind ja in Indien gewesen? Sie haben die Weiber der Gymnosophisten gesehen?“ O ja, und Sie können mir glauben, daß die Weiber der Gymnosophisten weder mehr noch weniger Weiber sind als die Weiber der Abderiten. „Sie erweisen uns viele Ehre. Aber dies ist nicht, was ich wissen wollte. Ich frage, ob es wahr ist, daß sie — (Hier hielt Frau Salabanda eine Hand vor ihren Busen, und die andere — kurz, sie setzte sich in die A t t i t ü d e * ) der m e d i c e i s c h e n Ve n u s , um dem Philosophen begreiflich zu machen, was sie wissen wollte.) Nun verstehen Sie mich doch?“ sagte sie. Ja, Madam, die Natur ist nicht karger gegen sie gewesen als gegen andre.
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Welch eine Frage das ist! „Sie w o l l e n mich nicht verstehen, Demokritus; ich dächte doch, ich hätte Ihnen deutlich genug gesagt, daß ich wissen möchte, ob es wahr sey, daß sie — weil Sie doch wollen, daß ichs Ihnen unverblümt sage — so n a c k e n d gehen, als sie auf die Welt kommen?“ „Nackend! — riefen die Abderitinnen alle auf einmal. Da wären sie ja noch unverschämter als die Mädchen in Sparta! Wer wird auch so was glauben?“ Sie haben Recht, sagte der Naturforscher; die Weiber der Gymnosophisten sind weniger nackend als die Weiber der Griechen in ihrem vollständigsten Anzuge: sie sind vom Kopf bis zu den Füßen in ihre Unschuld und in die öffentliche Ehrbarkeit
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eingehüllt. **)
„Wie meynen Sie das?“ Kann ich mich deutlicher erklären? „Ach, nun versteh ich Sie! Es soll ein Stich seyn? Aber Sie scherzen doch wohl nur mit ihrer Ehrbarkeit und Unschuld. Wenn die Weiber der Gymnosophisten nicht haltbarer gekleidet sind, so — müssen sie entweder sehr häßlich, oder ihre Männer sehr frostig seyn.“ *)
Ein fremdes Wort! Ich bitte es den Puristen ab. Aber weder L a g e , noch S t e l l u n g , noch
G e b e r d e drückt das aus was A t t i t ü d e ; und so oft es uns an unentbehrlichen einheimischen Worten gebricht, werden wir wohl genöthiget bleiben, fremde zu borgen. Und von wem können wir solchenfalls schicklicher borgen als von derjenigen lebenden Sprache, welche die polirteste und allgemeinste ist? So machten es die alten R ö m e r m i t d e r g r i e c h i s c h e n ; und warum sollten deutsche Schriftsteller, mit gleicher Bescheidenheit, nicht thun dürfen, was sogar C i c e r o , dem seine Muttersprache so viel zu danken hatte, für erlaubt hielt? **)
Die öffentliche Ehrbarkeit diente ihnen statt eines Schleyers, sagt, ich weiß nicht welcher
Alter, von den spartanischen Töchtern.
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Keines von beyden. Ihre Weiber sind wohlgebildet, und ihre Kinder gesund und voller Leben; ein unverwerfliches Zeugniß zu Gunsten ihrer Väter, deucht mich! „Sie sind ein Liebhaber von Paradoxen, Demokritus, sprach der Matador; aber Sie werden mich in Ewigkeit nicht überreden, daß die Sitten eines Volkes desto reiner seyen, je nackender die Weiber desselben sind.“ Wenn ich ein so großer Liebhaber von Paradoxen wäre, als man mich beschuldigt, so würd’ es mir vielleicht nicht schwer fallen, Sie dessen durch Beyspiele und Gründe zu überführen. Aber ich bin dem Gebrauch der Gym10
nosophistinnen nicht günstig genug, um mich zu seinem Vertheidiger aufzuwerfen. Auch war meine Meynung gar nicht, das zu sagen, was mich der scharfsinnige K r a t y l u s sagen läßt. Die Weiber der Gymnosophisten schienen mir nur zu beweisen, daß Gewohnheit und Umstände in Gebräuchen dieser Art alles entscheiden. Die spartanischen Töchter, weil sie kurze Röcke, und die am Indus, weil sie gar keine Röcke tragen, sind darum weder unehrbarer noch größerer Gefahr ausgesetzt, als diejenigen, die ihre Tugend in sieben Schleyer einwickeln. Nicht die Gegenstände, sondern u n s r e M e y n u n g e n von denselben sind die Ursache unordentlicher Leidenschaften. Die G y m n o s o p h i s t e n , welche keinen Theil des menschlichen Körpers für un-
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edler halten als den andern, sehen ihre Weiber, wiewohl sie blos in ihr a n g e b o r n e s F e l l gekleidet sind, für eben so gekleidet an, als die S c y t h e n die ihrigen, wenn sie ein T i g e r k a t z e n f e l l um die Lenden hangen haben. „Ich wünschte nicht, daß Demokritus mit seiner Philosophie soviel über unsre Weiber vermöchte, daß sie sich solche Dinge in den Kopf setzten,“ sagte ein ehrenfester steifer Abderit, der mit Pelzwaaren handelte. „Ich auch nicht,“ sagte ein Leinwandhändler. Ich warlich auch nicht, sagte Demokritus, wiewohl ich weder mit Pelzen noch Leinwand handle. „Aber eins erlauben Sie mir noch zu fragen, lispelte die Base, die so gerne lebendige Sphinxe gesehen haben möchte. Sie sind in der ganzen Welt herum-
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gekommen; und es soll da viele wunderbare Länder geben, wo alles anders ist als bey uns —“ (Ich glaube kein Wort davon, murmelte der Rathsherr, indem er, wie Homers Jupiter, das ambrosische Haar auf seinem weisheitschwangern Kopfe schüttelte.) „Sagen Sie mir doch, in welchem unter allen diesen Ländern es Ihnen am besten gefallen hat?“ E r s t e s B u c h . ¼…½ Z e h n t e s K a p i t e l
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Wo könnt’ es Einem besser gefallen, als — zu Abdera? „O wir wissen schon, daß dies Ihr Ernst nicht ist. Ohne Complimente! antworten Sie der jungen Dame wie Sie denken,“ sagte der Rathsherr. Sie werden über mich lachen, erwiederte der Philosoph: aber weil Sie es verlangen, schöne K l o n a r i o n , so will ich Ihnen die reine Wahrheit sagen. Haben Sie nie von einem Lande gehört, wo die Natur so gut ist, neben ihren eigenen Verrichtungen auch noch d i e A r b e i t d e r M e n s c h e n auf sich zu nehmen? von einem Lande, wo ewiger Friede herrscht; wo niemand Knecht und niemand Herr, niemand arm und jedermann reich ist? wo der Durst nach Golde zu keinen Verbrechen zwingt, weil man das Gold zu nichts gebrauchen
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kann; wo eine Sichel ein eben so unbekanntes Ding ist als ein Schwerdt; wo der Fleißige nicht für den Müßiggänger arbeiten muß; wo es keine Ärzte giebt, weil niemand krank wird; keine Richter, weil es keine Händel giebt; keine Händel, weil jedermann zufrieden ist; und jedermann zufrieden ist, weil jedermann alles hat, was er nur wünschen kann; — mit einem Worte, von einem Lande, wo alle Menschen so fromm wie die Lämmer, und so glücklich wie die Götter sind? Haben Sie nie von einem solchen Lande gehört? „Nicht, daß ich mich erinnerte.“ Dies nenn ich ein Land, Klonarion! Da ist es nie zu warm und nie zu kalt, nie zu naß und nie zu trocken; Frühling und Herbst regieren dort nicht wechsels-
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weise, sondern, wie in den Gärten des Alcinous, zugleich in ewiger Eintracht. Berge und Thäler, Wälder und Auen sind mit allem angefüllt, was des Menschen Herz gelüsten kann. Aber nicht etwa, daß die Leute sich die Mühe geben müßten, die Hasen zu jagen, die Vögel oder Fische zu fangen, und die Früchte zu pflücken, die sie essen wollen; oder daß sie die Gemächlichkeiten, deren sie genießen, erst mit vielem Ungemach erkaufen müßten. Nein! alles macht sich da von selbst. Die Rebhühner und Schnepfen fliegen einem gespickt und gebraten um den Mund, und bitten demüthig, daß man sie essen möchte; Fische von allen Arten schwimmen gekocht in Teichen von allen möglichen Brühen, deren Ufer immer voll Austern, Krebse, Pasteten, Schinken und Ochsenzungen liegen. Hasen und Rehböcke kommen freywillig herbeygelaufen, streifen sich das Fell über die Ohren, stecken sich an den Bratspieß, und legen sich, wenn sie gahr sind, von selbst in die Schüssel. Allenthalben stehen Tische, die sich selbst decken; und weichgepolsterte Ruhebettchen laden allenthalben zum Ausruhen vom — Nichtsthun und zu angenehmen Ermüdungen ein. Ne-
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ben denselben rauschen kleine Bäche von Milch und Honig, von cyprischem Wein, Citronenwasser und andern angenehmen Getränken; und über sie her wölben sich, mit Rosen und Jasmin untermengt, Stauden voller Becher und Gläser, die sich, so oft sie ausgetrunken werden, gleich von selbst wieder anfüllen. Auch giebt es da Bäume, die statt der Früchte kleine Pastetchen, Bratwürste, Mandelkrapfen und Buttersemmeln tragen; andere, die an allen Ästen mit Geigen, Harfen, Cithern, Theorben, Flöten und Waldhörnern behangen sind, welche von sich selbst das angenehmste Concert machen, das man hören kann. Die glücklichen Menschen, nachdem sie den wärmern Theil des Tages 10
verschlafen, und den Abend vertanzt, versungen und verscherzt haben, erfrischen sich dann in kühlen marmornen Bädern, wo sie von unsichtbaren Händen sanft gerieben, mit feinem Byssus, der sich selbst gesponnen und gewebt hat, abgetrocknet, und mit den kostbarsten Essenzen, die aus den Abendwolken wie feuchter Duft herunterthauen, eingebalsamt werden. Dann legen sie sich auf schwellenden Polstern um volle Tafeln her, und essen und trinken und lachen, singen und tändeln und küssen, die ganze Nacht durch, die ein ewiger Vollmond zum sanftern Tage macht; und — was noch das Angenehmste ist — „O gehen Sie, Herr Demokritus, Sie haben mich zum besten! was Sie mir da
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erzählen, ist ja das Mährchen vom S c h l a r a f f e n l a n d e , das ich tausendmal von meiner Amme gehört habe, wie ich noch ein kleines Mädchen war.“ Aber Sie finden doch auch, Klonarion, daß sichs gut in diesem Lande leben müßte? „Merken Sie denn nicht, daß unter allem diesem eine geheime Bedeutung verborgen liegt? sagte der weise Rathmann; vermuthlich eine Satyre auf gewisse Philosophen, welche das höchste Gut in der Wollust suchen.“ Schlecht gerathen, Herr Rathsherr! dachte Demokritus. „Ich erinnere mich in den A m p h i k t y o n e n d e s Te l e k l i d e s eine ähnliche Beschreibung des goldnen Alters gelesen zu haben,“ sagte Frau Sala-
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banda *). *)
Frau Salabanda hat Recht. Lange vor dem H a m m e l der Madame D a u n o y machte
L u c i a n i n s e i n e r w a h r e n G e s c h i c h t e , und lange vor Lucian machten die griechischen Komödiendichter, M e t a g e n e s , P h e r e k r a t e s , Te l e k l i d e s , K r a t e s und K r a t i n u s , Beschreibungen vom Schlaraffenlande und vom Schlaraffenleben, worinn sie sich in die Wette beeiferten, der ausschweifendsten Einbildungskraft eines neuern Mährchenmachers nichts übrig
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Das Land, das ich der schönen Klonarion beschrieb, sprach der Naturforscher, ist keine Satyre; e s i s t d a s L a n d , i n w e l c h e s v o n j e d e m D u t zend unter euch weisen Leuten zwölfe sich im Herzen hineinw ü n s c h e n u n d n a c h M ö g l i c h k e i t h i n e i n a r b e i t e n , und in welches uns eure a b d e r i t i s c h e n S i t t e n l e h r e r h i n e i n d e c l a m i r e n w o l l e n ; wenn anders ihre Declamationen irgend einen Sinn haben. „Ich möchte wohl wissen, wie Sie dies verstehen,“ sagte der Rathsherr, der (vermög’ einer vieljährigen Gewohnheit, nur m i t h a l b e n O h r e n zu hören, und sein Votum im Rath s c h l u m m e r n d von sich zu geben) nicht gerne die Mühe nahm einer Sache lange nachzudenken.
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Sie lieben eine starke Beleuchtung, wie ich sehe, Herr Rathsmeister, erwiederte Demokritus. Aber zu viel Licht ist zum Sehen eben so unbequem, als zu wenig. H e l l d u n k e l ist, deucht mich, gerade so viel Licht, als man gebraucht, um weder zu viel noch zu wenig zu sehen. Ich setze zum voraus, daß Sie überhaupt sehen können. Denn wenn dies nicht wäre, so begreifen Sie wohl, daß wir beym Licht von zehentausend Sonnen nicht besser sehen würden, als beym Schein eines Feuerwurms. „Sie sprechen von Feuerwürmern?“ — (sagte der Rathsherr, indem er bey dem Worte Feuerwurm aus einer Art von Seelenschlummer erwachte, in welchen er über dem Gaffen nach Salabandas Busen, während daß Demokritus
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redete, gefallen war.) — „Ich dachte wir sprächen von den Moralisten.“ Von Moralisten oder Feuerwürmern, wie es Ihnen beliebt, versetzte Demokritus. Was ich sagen wollte, um Ihnen die Sache, wovon wir sprachen, deutlich zu machen, war dies: Ein Land, wo ewiger Friede herrscht, und wo alle Menschen in gleichem Grade frey und glücklich sind; wo das Gute nicht mit dem Bösen vermischt ist, Schmerz nicht an Wollust, und Tugend nicht an Untugend gränzt, wo lauter Schönheit, lauter Ordnung, lauter Harmonie ist, — mit einem Wort, ein Land, w i e e u r e M o r a l i s t e n d e n g a n z e n E r d b o d e n h a b e n w o l l e n , ist entweder ein Land, wo die Leute k e i n e n M a g e n u n d k e i n e n U n t e r l e i b haben, oder es muß schlechterdings das Land seyn, das uns Teleklides schildert, aus dessen A m p h i k t y o n e n ich (wie die schöne
zu lassen. Die kühnsten Züge im Gemälde, welches Demokritus davon macht, sind aus den Fragmenten genommen, die uns A t h e n ä u s im sechsten Buche seines Gastmahls der Sophisten davon aufbehalten hat.
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Salabanda sehr wohl bemerkt hat) meine Beschreibung genommen habe. Vo l l k o m m e n e G l e i c h h e i t , v o l l k o m m e n e Z u f r i e d e n h e i t m i t d e m G e g e n w ä r t i g e n , i m m e r w ä h r e n d e E i n t r a c h t — kurz, d i e s a t u r n i s c h e n Z e i t e n , wo man keine Könige, keine Priester, keine Soldaten, keine Rathsherren, keine Moralisten, keine Schneider, keine Köche, keine Ärzte und keine Scharfrichter braucht, sind nur in dem Lande möglich, wo einem die Rebhühner gebraten in den Mund fliegen, oder (welches ungefähr eben so viel sagen will) w o m a n k e i n e B e d ü r f n i s s e h a t . Dies ist, wie mich deucht, so klar, daß es demjenigen, dem es dunkel ist, durch alles Licht im Feuerhimmel 10
nicht klärer gemacht werden könnte. Gleichwohl ärgern sich eure Moralisten darüber, daß die Welt so ist wie sie ist; und wenn der ehrliche Philosoph, der die Ursachen weiß, warum sie nicht anders seyn kann, den Ärger dieser Herren lächerlich findet: so begegnen sie ihm, als ob er ein Feind der Götter und der Menschen wäre; welches zwar an sich selbst noch lächerlicher ist, aber zuweilen da, wo die milzsüchtigen Herren den Meister spielen, einen ziemlich tragischen Ausgang nimmt. „Aber was wollen Sie denn, daß die Moralisten thun sollen?“ Die Natur erst ein wenig kennen lernen, eh sie sich einfallen lassen, es besser zu wissen als sie; verträglich und duldsam gegen die Thorheiten und
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Unarten der Menschen seyn, welche die ihrigen dulden müssen; durch Beyspiele bessern, statt durch frostiges Gewäsche zu ermüden, oder durch Schmähreden zu erbittern; keine Wirkungen fodern, wovon die Ursachen noch nicht da sind, und nicht verlangen, daß wir die Spitze eines Berges erreicht haben sollen, ehe wir hinauf gestiegen sind. „So unsinnig wird doch niemand seyn?“ — sagte der Abderiten einer. So unsinnig sind neun Zehntheile der Gesetzgeber, Projectmacher, Schulmeister und Weltverbesserer auf dem ganzen Erdenrund alle Tage! — sagte Demokritus. Die zeitverkürzende Gesellschaft, welche die Laune des Naturforschers un-
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erträglich zu finden anfieng, begab sich nun wieder nach Hause; und dahlte unterwegs, beym Glanz des Abendsterns und einer schönen Dämmerung, von Sphinxen, Einhörnern, Gymnosophisten und Schlaraffenländern; und so viel Mannichfaltigkeit auch unter allen den Albernheiten, welche gesagt wurden, herrschte, so stimmten doch alle darinn überein: daß Demokritus ein wunderlicher, einbildischer, überkluger, tadelsüchtiger, wiewohl bey allem dem
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ganz kurzweiliger Sonderling sey. „Sein Wein ist das Beste, was man bey ihm findet,“ sagte der Rathsherr. Gütiger Anubis! dachte Demokritus, da er wieder allein war: was man nicht mit diesen Abderiten reden muß, um sich — die Zeit von ihnen vertreiben zu lassen!
Eilftes Kapitel. Etwas von den abderitischen Philosophen, und wie Demokritus das Unglück hat, sich mit ein Paar wohlgemeynten Worten in sehr schlimmen Credit zu setzen. Daß man sich aber gleichwohl nicht einbilde, als ob alle Abderiten, ohne Aus-
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nahme, durch ein Gelübde oder durch ihren Bürgereid verbunden gewesen seyen, nicht mehr Verstand zu haben als ihre Großmütter, Ammen und Rathsherren! Abdera, die Nebenbuhlerinn von Athen, hatte auch P h i l o s o p h e n , das heißt, sie hatte Philosophen — wie sie M a l e r und D i c h t e r hatte. Der berühmte Sophist P r o t a g o r a s war ein Abderit gewesen, und hatte eine Menge von Schülern hinterlassen, die ihrem Meister zwar nicht an Witz und Beredtsamkeit gleich kamen, aber ihm dafür auch an Eigendünkel und Albernheit desto überlegener waren. Diese Herren hatten sich eine bequeme Art von Philosophie zubereitet, vermittelst welcher sie ohne Mühe auf jede Frag’ eine Antwort fanden, und
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von allem, was unter und über der Sonne ist, so geläufig schwatzten, daß — in so ferne sie nur immer Abderiten zu Zuhörern hatten — die guten Zuhörer sich festiglich einbildeten, ihre Philosophen wüßten sehr viel mehr davon als sie selbst; wiewohl im Grunde der Unterschied nicht so groß war, daß ein vernünftiger Mann eine Feige darum gegeben hätte. Denn am Ende lief es doch immer darauf hinaus, daß der abderitische Philosoph, etliche lange nichtsbedeutende Wörter abgerechnet, gerade so viel von der Sache wußte, als derjenige unter allen Abderiten, der — am wenigsten davon zu wissen glaubte. Die Philosophen, vermuthlich weil sie es für zu klein hielten, in den D e t a i l d e r N a t u r herabzusteigen, gaben sich mit lauter Aufgaben ab, die außerhalb
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der Gränzen des menschlichen Verstandes liegen. Bis in diese Region, dachten sie, folgt uns niemand, als — wer unsers Gleichen ist; und was wir auch den Abderiten davon vorsagen, so sind wir wenigstens gewiß, daß uns niemand Lügen strafen kann. Zum Exempel, eine ihrer Lieblingsmaterien war die Frage: „W i e , w a r u m , und w o r a u s die Welt entstanden sey?“ „Sie gieng aus einem Ey hervor, sagte E i n e r ; der Äther war das Weiße, das Chaos der Dotter, und die Nacht brütete es aus *).“ „Sie ist aus Feuer und Wasser entstanden,“ sagte ein A n d r e r . 10
„Sie ist gar nicht entstanden, sprach der D r i t t e . Alles war immer so wie es ist, und wird immer so bleiben wie es war.“ Diese Meynung fand in Abdera wegen ihrer Bequemlichkeit vielen Beyfall. Sie erklärt alles, sagten sie, ohne daß man nöthig hat, sich erst lange den Kopf zu zerbrechen. E s i s t i m m e r s o g e w e s e n , war die gewöhnliche Antwort eines Abderiten, wenn man ihn nach der Ursache oder dem Ursprung einer Sache fragte; und wer sich daran nicht ersättigen wollte, wurde für einen stumpfen Kopf angesehen. „Was ihr Welt nennt, sagte der V i e r t e , ist eigentlich eine ewige Reihe von Welten, die, wie die Häute einer Zwiebel, über einander liegen, und sich nach
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und nach ablösen.“ Sehr deutlich gegeben, riefen die Abderiten, sehr deutlich! Sie glaubten den Philosophen verstanden zu haben, w e i l s i e s e h r g u t w u ß t e n , w a s e i n e Zwiebel war. „Schimäre! sprach der F ü n f t e . Es giebt freilich unzählige Welten; aber sie entstehen aus der ungefähren Bewegung untheilbarer Sonnenstäubchen, und es ist viel Glück, wenn, nach zehntausendmal tausend übelgerathenen, endlich eine herauskömmt, die noch so leidlich vernünftig aussieht wie die unsrige.“ „Atomen geb’ ich zu, sprach der S e c h s t e : aber keine Bewegung von Un-
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*)
Um denjenigen Lesern, welche weder den D i o g e n e s L a e r t i u s , noch des D e s l a n d e s ,
oder B r u c k e r s kritische Geschichte der Philosophie, noch die Compendien des Herrn F o r m e y oder D. B ü s c h i n g s , gelesen haben, irrige Vermuthungen zu ersparen, erinnert der Verfasser, daß alle hier vorkommende Hypothesen sich eines sehr ehrwürdigen Alterthums, und zum Theil einer Menge Verfechter und Anhänger rühmen können. Die Meynung unsers Demokritus ist die einzige, welche, vermuthlich blos weil sie die vernünftigste ist, keine Secte gemacht hat.
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gefähr und ohne Richtung. Die Atomen sind nichts, oder sie haben bestimmte Kräfte und Eigenschaften, und, je nachdem sie einander ähnlich oder unähnlich sind, ziehen sie einander an, oder stoßen sich zurücke. Daher machte der weise E m p e d o k l e s (der Mann, der, um die wahre Beschaffenheit des Ätna zu erkundigen, sich weislich mitten in den Crater desselben hineingestürzt haben soll,) H a ß und L i e b e zu den ersten Ursachen aller Zusammensetzungen; und Empedokles hat Recht.“ „Um Vergebung, meine Herren, ihr habt alle Unrecht, sprach der Philosoph S i s a m i s . In Ewigkeit wird weder aus euerm m y s t i s c h e n E y , noch aus euerm B ü n d n i ß z w i s c h e n F e u e r u n d Wa s s e r , noch aus euern A t o -
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m e n , noch aus euern H o m ö o m e r i e n , eine Welt herauskommen, wenn ihr keinen G e i s t zu Hülfe nehmt. Die Welt ist, wie jedes andre Thier, eine Zusammensetzung von Materie und Geist. Der Geist ist es, der dem Stoffe F o r m giebt; beyde sind von Ewigkeit her vereinigt; und, so wie einzelne Körper aufgelöst werden, sobald der Geist, der ihre Theile zusammenhielt, sich zurückzieht, so würde, wenn der allgemeine Weltgeist aufhören könnte das Ganze zu umfassen und zu beleben, Himmel und Erde im nämlichen Augenblick in einen einzigen, ungeheuren, gestaltlosen, finstern und todten Klumpen zusammenfallen.“ Davor wolle Jupiter und Latona seyn! riefen die Abderiten, nicht ohne sich
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zu entsetzen, wie sie den Mann eine so fürchterliche Drohung ausstoßen hörten. Es hat keine Gefahr, sagte der Priester S t r o b y l u s ; so lange wir d i e F r ö s c h e d e r L a t o n a in unsern Mauern haben, soll es d e r We l t g e i s t d e s S i s a m i s wohl bleiben lassen, solchen Unfug in der Welt anzurichten. „Meine Freunde, sprach der A c h t e , der Weltgeist des weisen Sisamis ist mit den Atomen, Homöomerien, Zwiebeln und Eyern meiner Collegen von gleichem Schlage. Einen D e m i u r g müssen wir annehmen, wenn wir eine Welt haben wollen: denn ein Gebäude setzt einen Baumeister oder wenigstens einen Zimmermeister voraus; und n i c h t s m a c h t s i c h v o n s i c h selbst, wie wir alle wissen.“ Aber man spricht doch alle Tage: D i e s w i r d v o n s i c h s e l b s t k o m m e n , v o n s i c h s e l b s t g e h e n — sagten die Abderiten. „Man spricht wohl so, antwortete der Philosoph: allein, wo habt ihr jemals gesehen, daß es wirklich so erfolgt wäre? Ich habe freylich unsre Archonten wohl tausendmal sagen hören: es wird sich schon geben; es wird schon kom-
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men! dies oder jenes wird sich schon machen! Aber wir hatten gut warten! Es gab sich nicht, kam nicht, und machte sich nicht.“ Nur allzuwahr, was d i e We r k e u n s r e r A r c h o n t e n betrifft; (sagte ein alter S c h u h f l i c k e r , der für einen Mann von Einsicht beym Volke galt, und große Hoffnung hatte, bey der nächsten Wahl Z u n f t m e i s t e r zu werden;) aber mit d e n We r k e n d e r N a t u r , wie die We l t ist, mag es doch wohl anders bewandt seyn. Warum sollte die Welt nicht eben so gut aus dem Chaos hervorwachsen können, wie ein Pilz aus der Erde wächst? „ M e i s t e r P f r i e m e , versetzte der Philosoph, zum Zunftmeister soll er 10
meine und aller meiner Vettern Stimme haben; aber keine Einwürfe gegen mein System, wenn ich bitten darf! Die Pilze wachsen freylich von selbst aus der Erde hervor, weil — weil — weil sie Pilze sind; aber eine Welt wächst nicht von selbst, weil sie kein Pilz ist; versteht Er mich nun, Meister Pfrieme?“ Alle Anwesende lachten von Herzen, daß Meister Pfrieme so abgeführt war. „Die Welt ist kein Pilz; dies ist klar wie Taglicht, riefen die Abderiten; da ist nichts einzuwenden, Meister Pfrieme!“ — Verzweifelt! murmelte der künftige Zunftmeister; aber so geht es, wenn man sich mit den Herren abgiebt, welche beweisen können, daß der Schnee weiß ist.
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„Schwarz ist, wolltet ihr sagen, Nachbar.“ Ich weiß, was ich gesagt habe, und was ich sagen wollte, antwortete Meister Pfrieme; und ich wünsche nur, daß die Republik — „Vergeß’ Er die vierzehn Stimmen nicht, die ich Ihm verschaffe, Meister Pfrieme!“ rief der Philosoph. — Wohl, wohl! alles wohl! Aber D e m i u r g — das klingt mir bald so wie D e m a g o g ; und ich will weder Demagogen noch Demiurgen haben; ich bin für d i e F r e y h e i t , und wer ein guter Abderite ist, der schwinge seinen Hut und folge mir! Und hiemit gieng Meister Pfrieme davon, (denn der Leser merkt von selbst,
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daß alles dies in einer Halle von Abdera gesprochen wurde;) und einige müßige Tölpel, die ihn allerwegen zu begleiten pflegten, folgten ihm. Aber der Philosoph, ohne zu thun als ob er es gewahr werde, fuhr fort: „Ohne einen Baumeister, einen Demiurgen, oder wie ihr ihn nennen wollt, läßt sich vernünftiger Weise keine Welt bauen. Aber, merket wohl, es kam auf den Demiurg an, ob er bauen wollte; und laßt sehen wie er es anfieng. Stellt
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euch die Materie als einen ungeheuren Klumpen von vollkommen dichtem Krystall vor *); und den Demiurg, wie er mit einem großen Hammer von Diamant diesen Klumpen auf einen Schlag in so viele unendlich kleine Stückchen zerschmettert, daß sie durch den leeren Raum viele Millionen Cubicmeilen herumstieben. Natürlicher Weise brachen sich diese unendlich kleine Stückchen Krystall auf verschiedene Art; und indem sie, mit der ganzen Heftigkeit der Bewegung, die ihnen der Schlag mit dem diamantenen Hammer gab, auf tausendfache Art wider einander fuhren, und sich unter einander auf allen Seiten stießen, schlugen und rieben, so entstund daraus nothwendig eine unzählige Menge Körperchen von allerley regelmäßigen und unregelmäßigen
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Figuren: dreyeckige, viereckige, achteckige, vieleckige, und runde. Aus den runden wurde Wa s s e r und L u f t , welche nichts anders als verdünntes Wasser ist; aus den dreyeckigen F e u e r ; aus den übrigen die E r d e , und aus diesen vier Elementen setzt die Natur, wie ihr wißt, alle Körper in der Welt zusammen.“ Das ist w u n d e r b a r , sehr wunderbar! aber e s b e g r e i f t s i c h d o c h , sagten die Abderiten. Ein Klumpen Krystall, ein diamantner Hammer, und ein Demiurg, der den Krystall so meisterhaft in Stücken schlägt, daß aus den Splittern, ohne seine weitere Bemühung, eine Welt entsteht! In der That die scharfsinnigste Hypothese, die man sehen kann, und gleichwohl so sim-
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pel, daß man dächte, man hätte sie alle Augenblicke selbst erfinden können! „Ich erkläre mittelst dieser so simpeln Voraussetzung alle möglichen Wirkungen der Natur,“ sagte der Philosoph mit selbst zufriednem Lächeln. „Nicht ein Wespennest, rief ein N e u n t e r , D ä m o n a x genannt, der den Behauptungen seiner Mitbrüder bisher mit stillschweigender Verachtung zugehöret hatte. Es gehören andre Kräfte und Anstalten dazu, ein so großes, so schönes, so wundervolles Werk, als dieses Weltgebäude ist, zu Stande zu bringen. Nur ein höchstvollkommner Verstand konnte den P l a n davon erfinden; wiewohl ich gerne gestehe, daß zur A u s f ü h r u n g geringere Werkmeister hinlänglich waren. Er überließ sie verschiedenen Klassen der subalternen Götter, wies einer jeden Klasse ihren besondern Kreis an, in welchem sie arbeitet, und begnügte sich, die allgemeine Aufsicht über das Ganze zu führen. Es ist *)
Dieser Philosoph war also ein Cartesianer vor dem Cartesius.
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lächerlich, den Ursprung der Weltkörper, des Erdbodens, der Pflanzen, der Thiere, und alles dessen, was in Luft und Wasser ist, aus Atomen oder Sympathien oder ungefährer Bewegung, oder einem einzigen Hammerschlag erklären zu wollen. G e i s t e r sind es, welche in den Elementen herrschen, die Sphären des Himmels drehen, die organischen Körper bilden, das Frühlingsgewand der Natur mit Blumen sticken, und die Früchte des Herbsts in ihren Schoos ausgießen. Kann etwas faßlicher und angenehmer seyn als diese Theorie? Sie erklärt alles; sie leitet jede Wirkung aus einer ihr angemessenen Ursache ab; und durch sie begreift man die, in jedem andern System unerklär10
bare, K u n s t d e r N a t u r eben so leicht, als man begreift, wie Zeuxis oder Parrhasius mit ein wenig gefärbter Erde eine bezaubernde Landschaft oder ein Bad der Diana erschaffen kann.“ Was für eine schöne Sache es um die Philosophie ist! sagten die Abderiten. Alles, was man daran aussetzen möchte, ist, d a ß e i n e m u n t e r s o v i e l f e i n e n T h e o r i e n d i e Wa h l s a u e r w i r d . Indessen machte doch der P y t h a g o r ä e r , der alles durch G e i s t e r bewerkstelligte, das meiste Glück. Die P o e t e n , die M a l e r , und alle übrigen S c h u t z v e r w a n d t e n d e r M u s e n , mit dem sämmtlichen F r a u e n z i m m e r v o n A b d e r a an ihrer Spitze, erklärten sich für — die Geister; doch
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unter der Bedingung, daß es ihnen erlaubt seyn müsse, sie in so angenehme Gestalten, als jedem gefällig sey, einzukleiden. Ich bin nie ein besonderer Freund der Philosophie gewesen, (sagte d e r P r i e s t e r S t r o b y l u s , ) und aus Ursache: aber wenn die Abderiten ihr Grübeln über das W i e und Wa r u m der Dinge nun einmal nicht lassen können, so habe ich gegen die Physik des Dämonax noch immer am wenigsten einzuwenden; unter den gehörigen Einschränkungen verträgt sie sich noch so ziemlich. — „O sie verträgt sich mit allem in der Welt, sagte Dämonax; dies ist eben die Schönheit davon!“
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Soll ich euch meine Meynung sagen? sprach Demokritus. Wenn es euch etwan wirklich darum zu thun seyn sollte, die Beschaffenheit der Dinge, die euch umgeben, kennen zu lernen, so däucht mich, ihr nehmt einen ungeheuren Umweg. Die Welt ist sehr groß; und von dem Standort, woraus wir in sie hineingucken, nach ihren vornehmsten Provinzen und Hauptstädten, ist es so weit, — daß ich nicht wohl begreife, wie sich einer von uns einfallen lassen
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kann, die Charte eines Landes aufzunehmen, wovon ihm (sein angebornes Dörfchen ausgenommen) alles übrige, und sogar die Grenzen unbekannt sind. Ich dächte, ehe wir K o s m o g o n i e n und K o s m o l o g i e n träumten, setzten wir uns hin und beobachteten, zum Exempel, den Ursprung einer Spinnewebe; und dies so lange, bis wir so viel davon herausgebracht hätten, als f ü n f M e n s c h e n s i n n e , m i t Ve r s t a n d a n g e s t r e n g t , daran entdecken können. Ihr werdet zu thun finden, das könnt ihr mir auf mein Wort glauben. Aber dafür werdet ihr auch erfahren, daß euch diese einzige Spinnewebe mehr A u f s c h l u ß ü b e r d a s g r o ß e S y s t e m d e r N a t u r , und w ü r d i g e r e B e g r i f f e v o n s e i n e m U r h e b e r geben wird, als alle die feinen Weltsysteme,
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die ihr zwischen Wachen und Schlaf aus eurem eignen Gehirne herausgesponnen habt. Demokritus meynte dies im ganzen Ernst; aber die Philosophen von Abdera glaubten, daß er ihrer spotten wolle. Er versteht nichts von der P n e v m a t i k , sagte der eine. Von der P h y s i k noch weniger, sagte der andere. Er ist ein Z w e i f l e r — e r g l a u b t k e i n e G r u n d t r i e b e — k e i n e n We l t g e i s t — k e i n e n D e m i u r g — k e i n e n G o t t ! — sagte der dritte, vierte, fünfte, sechste und siebente. M a n s o l l t e s o l c h e L e u t e g a r n i c h t i m g e m e i n e n We s e n d u l d e n , sagte d e r P r i e s t e r S t r o b y l u s .
Zwölftes Kapitel.
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Demokritus zieht sich weiter von Abdera zurück. Wie er sich in seiner Einsamkeit beschäftigt. Er kömmt bey den Abderiten in den Verdacht, daß er Zauberkünste treibe. Ein Experiment, das er bey dieser Gelegenheit mit den abderitischen Damen macht, und wie es abgelaufen. Bey dem allen war Demokritus ein M e n s c h e n f r e u n d in der ächtesten Bedeutung des Worts. Denn er meynte es gut mit der Menschheit, und freute sich über nichts so sehr, als wenn er irgend etwas Böses verhüten, oder etwas Gutes thun, veranlassen oder befördern konnte. Und wiewohl er glaubte, daß der Charakter eines We l t b ü r g e r s Verhältnisse in sich schließe, denen, im Collisionsfall, alle andere weichen müßten: so hielt er sich doch darum nicht
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weniger verbunden, als e i n B ü r g e r v o n A b d e r a , an dem Zustande seines Vaterlandes Antheil zu nehmen, und so viel er könnte, zu dessen Verbesserung beyzutragen. Allein, da man nur in so fern Gutes thun kann, als das Subject dessen fähig ist: so fand er sein Vermögen durch die unzähligen Hindernisse, die ihm die Abderiten entgegensetzten, in so enge Grenzen eingeschlossen, daß er Ursache zu haben glaubte, sich als eine der entbehrlichsten Personen in dieser kleinen Republik anzusehen. Was sie am nöthigsten haben, dacht’ er, und das Beste was ich an ihnen thun könnte, wäre, sie klug zu machen. Aber die Abderiten sind freye Leute. Wenn sie nun nicht klug seyn w o l l e n : wer 10
kann sie nöthigen? Da er also bey so bewandten Umständen wenig oder nichts für die Abderiten als Abderiten thun konnte, glaubte er hinlänglich gerechtfertigt zu seyn, wenn er wenigstens seine eigene Person in Sicherheit zu bringen suchte, und einen so großen Theil als immer möglich von derjenigen Zeit rettete, die er der Erfüllung seiner weltbürgerlichen Pflichten schuldig zu seyn vermeynte. Weil nun seine bisherige Freystätte entweder nicht weit genug von Abdera entfernt war, oder wegen ihrer Lage und anderer Bequemlichkeiten so viel Reiz für die Abderiten hatte, daß er, ungeachtet seines Aufenthalts auf
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dem Lande, sich doch immer mitten unter ihnen befand: so zog er sich noch etliche Stunden weiter in einen Wald, der zu seinem Gute gehörte, zurück, und bauete sich in die wildeste Gegend desselben ein kleines Haus, wo er die meiste Zeit — in der einsamen Ruhe, die das eigene Element des Philosophen und des Dichters ist, — dem Erforschen der Natur und der Betrachtung oblag. Einige neuere Gelehrte — ob Abderiten oder nicht, wollen wir hier unentschieden lassen — haben sich von den Beschäftigungen dieses g r i e c h i s c h e n B a c o n s in seiner Einsamkeit wunderliche, wiewohl auf ihrer Seite sehr natürliche Begriffe gemacht. „Er arbeitete a m S t e i n d e r We i s e n , s a g t B o r -
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r i c h i u s , und er fand ihn, und machte Gold.“ Zum Beweis davon, beruft er sich darauf, daß Demokritus ein Buch von S t e i n e n u n d M e t a l l e n geschrieben habe. Die Abderiten, seine Zeitgenossen und Mitbürger, giengen noch weiter; und ihre Vermuthungen — die in abderitischen Köpfen gar bald zur Gewißheit wurden — gründeten sich auf eben so gute Schlüsse, als jener des Borrichius.
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Demokritus war von p e r s i s c h e n M a g i s erzogen worden *); er war zwanzig Jahre in den M o r g e n l ä n d e r n herumgereist; hatte mit ä g y p t i s c h e n P r i e s t e r n , C h a l d ä e r n , B r a c h m a n e n und G y m n o s o p h i s t e n Umgang gepflogen, und war in allen ihren Mysterien initiirt; hatte tausend Arcana von seinen Reisen mit sich gebracht, und wußte zehntausend Dinge, wovon niemals etwas in eines Abderiten Sinn gekommen war. — Machte dies alles zusammengenommen nicht den vollständigsten Beweis, daß er e i n a u s g e l e r n t e r M e i s t e r i n d e r M a g i e und allen davon abhängenden Künsten seyn mußte? — Der ehrwürdige Pater D e l r i o hätte Spanien, Portugall und Algarbien auf die Hälfte eines Beweises, wie dieser ist, verbrennen lassen.
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Aber die guten Abderiten hatten noch nähere Beweisthümer in Händen, daß ihr gelehrter Landsmann — ein wenig hexen könne. Er sagte S o n n e n u n d M o n d f i n s t e r u n g e n , M i s w a c h s , S e u c h e n und a n d r e z u k ü n f t i g e D i n g e z u v o r . Er hatte einem verbuhlten Mädchen aus der Hand geweissagt, daß sie — zu Falle kommen, und einem Rathsherrn von Abdera, dessen ganzes Leben zwischen Schlafen und Schmausen getheilt war, daß er — an einer Unverdaulichkeit sterben würde; und beydes war genau eingetroffen. Überdem hatte man Bücher mit w u n d e r l i c h e n Z e i c h e n in seinem Cabinette gesehen; man hatte ihn bey allerley, v e r m u t h l i c h magischen Operationen mit Blut von Vögeln und Thieren angetroffen; man hatte
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ihn v e r d ä c h t i g e Kräuter kochen gesehen; und einige junge Leute wollten ihn sogar in später Nacht bey sehr blassem Mondschein zwischen G r ä b e r n sitzend überschlichen haben. „Um ihn zu schrecken, hatten wir uns in die scheuslichsten Larven verkleidet, sagten sie: Hörner, Ziegenfüße, Drachenschwänze, nichts fehlte uns, um leibhafte Feldteufel und Nachtgespenster vorzustellen; wir bliesen sogar Rauch aus Nasen und Ohren, und machten es so arg um ihn herum, daß ein Herkules vor Schrecken hätte zum Weibe werden mögen. Aber Demokritus achtete unser nicht; und, da wir es ihm endlich zu lange machten, sagte er blos: Nun, wird das Kinderspiel noch lange währen **)? —“ *)
X e r x e s , der bey seinem Kriegszuge gegen die Griechen einige Tage zu Abdera bey dem
Vater des Demokritus sein Hauptquartier gehabt, hatte den damals noch sehr jungen Demokritus lieb gewonnen, und zu dessen besserer Erziehung ein paar von den Magis, die er bey sich hatte, zurückgelassen. D i o g e n . L a e r t . **)
S. L u c i a n im P h i l o p s e u d e s .
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Da sieht man augenscheinlich, sagten die Abderiten, daß es nicht recht richtig mit ihm ist; Geister sind nichts Neues für ihn; er muß wohl wissen, wie er mit ihnen steht! — „Er ist ein Zauberer; nichts kann gewisser seyn, sagte der Priester Strobylus; wir müssen ein wenig besser Acht auf ihn geben!“ Man muß gestehen, daß Demokritus, entweder aus Unvorsichtigkeit, oder, (welches glaublicher ist,) weil er sich wenig aus der Meynung seiner Landsleute machte, zu diesen und andern bösen Gerüchten einige Gelegenheit gab. Man konnte in der That nicht lange unter den Abderiten leben, ohne in Ver10
suchung zu gerathen, i h n e n e t w a s a u f z u h e f t e n . Ihr Vorwitz und ihre Leichtgläubigkeit auf der einen Seite, und die hohe Einbildung, die sie sich von ihrer eignen Scharfsinnigkeit machten, auf der andern, foderten einen gleichsam heraus; und überdieß war auch sonst kein Mittel, sich für die Langeweile, die man bey ihnen hatte, zu entschädigen. Demokritus befand sich nicht selten in diesem Falle; und da die Abderiten albern genug waren, alles, was er ihnen i r o n i s c h e r We i s e sagte, im b u c h s t ä b l i c h e n S i n n e zu nehmen: so entstunden daher die vielen ungereimten Meynungen und Mährchen, die auf seine Rechnung in der Welt herumliefen, und noch viele Jahrhunderte nach seinem Tode von andern Abderiten für baares Geld angenom-
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men, oder wenigstens ihm selbst, unbilliger Weise, zur Last geleget wurden. Demokritus hatte sich, unter andern, auch mit der Physiognomie abgegeben, und theils aus seinen eigenen Beobachtungen, theils aus dem, was ihm andere von den ihrigen mitgetheilt, sich eine Theorie davon gemacht, von deren Gebrauch er (sehr vernünftig, wie uns däucht) urtheilte, daß es damit eben so w i e m i t d e r T h e o r i e d e r p o e t i s c h e n oder i r g e n d e i n e r a n d e r n K u n s t beschaffen sey. Denn so wie noch keiner durch die bloße Wissenschaft der Regeln ein guter Dichter oder Künstler geworden sey, und nur derjenige, welchen angebornes Genie, emsiges Studium, hartnäckiger Fleiß und lange Übung zum Dichter oder Künstler gemacht, ge-
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schickt sey, die Regeln seiner Kunst recht zu verstehen und anzuwenden: so sey auch die Theorie d e r K u n s t , a u s d e m Ä u ß e r l i c h e n d e s M e n s c h e n a u f d a s I n n e r l i c h e zu schließen, nur für Leute von großer Fertigkeit im Beobachten und Unterscheiden brauchbar, für jeden andern hingegen eine höchst ungewisse und betrügliche Sache; und eben darum müsse sie als eine von den g e h e i m e n W i s s e n s c h a f t e n o d e r g r o ß e n M y s t e r i e n
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der Philosophie immer nur der kleinen Zahl der E p o p t e n * ) vorbehalten bleiben. Diese Art von der Sache zu denken bewies, daß Demokritus kein Scharlatan war: aber den Abderiten bewies sie blos, daß er ein Geheimniß aus seiner Wissenschaft mache. Daher ließen sie nicht ab, ihn, so oft sich die Rede davon gab, zu necken und zu plagen, daß er ihnen etwas davon entdecken sollte. Besonders drückte dieser Vorwitz die Abderitinnen. Sie wollten von ihm wissen — an was für äußerlichen Merkmalen ein getreuer Liebhaber zu erkennen sey? ob M i l o n v o n K r o t o n a * * ) eine sehr große Nase gehabt habe? ob eine blasse Farbe ein nothwendiges Zeichen eines Verliebten sey? — und hundert
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andre Fragen dieser Art, mit denen sie seine Geduld so sehr ermüdeten, daß er endlich, um ihrer los zu werden, auf den Einfall kam, sie ein wenig zu erschrecken. Aber das haben Sie Sich wohl nicht vorgestellt, sagte Demokritus, daß die Jungferschaft ein unbetrügliches Merkzeichen in den Augen haben könnte? „In den Augen? riefen die Abderitinnen. O! das ist nicht möglich! Warum just in den Augen?“ Es ist nicht anders, versetzte Demokritus; und was Sie mir gewiß glauben können, ist, daß mir dieses Merkmal schon öfters von den Geheimnissen junger und alter Schönen mehr entdeckt hat, als diese Lust gehabt haben würden, mir von freyen Stücken
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anzuvertrauen ***).
Der zuversichtliche Ton, womit er dies sagte, verursachte einige Entfärbungen; wiewohl die Abderitinnen (die in allen Fällen, wo es auf die gemeine Sicherheit ihres Geschlechtes ankam, einander getreulich beyzustehen pflegten,) mit großer Hitze darauf bestunden, daß sein vorgebliches Geheimniß eine Schimäre sey.
*)
E p o p t e n hießen diejenigen, welche nach ausgestandner Prüfung zum A n s c h a u e n der
großen Mysterien zu Eleusis zugelassen wurden. S. Wa r b u r t o n’ s Divine Legation Vol. I. p. 155 der 4ten Ausgabe. **)
Ein Mann, von dessen wunderbarer Leibesstärke und Gefräßigkeit die fabelhaften Grae-
culi erstaunliche Dinge zu erzählen wissen; z. E. daß er einen wohlgemästeten Ochsen dreyhundert Schritte weit auf den Schultern getragen, und, nachdem er ihn mit einem einzigen Faustschlag tod gemacht, in einem Tage aufgegessen habe. ***)
Eine der Hälfte des menschlichen Geschlechts verhaßte Sagacität — nennt dies Joh. Chry-
sostomus M a g n e n u s , in seinem Leben des Demokritus.
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Sie nöthigen mich durch Ihren Unglauben, daß ich Ihnen noch mehr sagen muß, fuhr der Philosoph fort. Die Natur ist voll solcher Geheimnisse, meine schönen Damen; und wofür sollt’ ich auch, wenn es sich der Mühe nicht verlohnte, bis nach Äthiopien und Indien gewandert seyn? Die Gymnosophisten, deren Weiber — wie Sie wissen — nackend gehen, haben mir sehr artige Sachen entdeckt. „Zum Exempel?“ — sagten die Abderitinnen. Unter andern ein Geheimniß, welches ich, wenn ich ein Ehmann wäre, lieber nicht zu wissen wünschen würde. 10
„Ach, nun haben wir die Ursache, warum sich Demokritus nicht verheirathen will,“ rief die schöne T h r y a l l i s . „Als ob wir nicht schon lange wüßten, sagte S a l a b a n d a , daß es seine äthiopische Venus ist, die ihn für unsre griechische so unempfindlich macht. — Aber Ihr Geheimniß, Demokritus, wenn man es keuschen Ohren anvertrauen darf.“ Zum Beweise, daß man es darf, will ich es den Ohren aller gegenwärtigen Schönen anvertrauen, antwortete der Naturforscher. Ich weiß ein unfehlbares Mittel, wie man machen kann, daß ein Frauenzimmer, im Schlafe, mit vernehmlicher Stimme alles sagt, was sie auf dem Herzen hat.
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„O gehen Sie, riefen die Abderitinnen, Sie wollen uns bange machen; aber — wir lassen uns nicht so leicht erschrecken.“ Wer wird auch an Erschrecken denken, sagte Demokritus, wenn von einem Mittel die Rede ist, wodurch einer jeden ehrlichen Frau Gelegenheit gegeben wird, zu zeigen, daß sie keine Geheimnisse hat, die ihr Mann nicht wissen dürfte? „Würket Ihr Mittel auch bey Unverheiratheten?“ fragte eine Abderitinn, die weder jung noch reizend genug zu seyn schien, um eine solche Frage zu thun. Es würkt vom zehnten Jahre an bis zum achtzigsten, erwiederte Demokritus, ohne Beziehung auf irgendeinen andern Umstand, worinn sich ein Frau-
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enzimmer befinden kann. Die Sache fieng an ernsthaft zu werden. — „Aber Sie scherzen nur, Demokritus?“ sprach die Gemahlinn eines T h e s m o t h e t e n , nicht ohne eine geheime Furcht des Gegentheils versichert zu werden. Wollen Sie die Probe machen, L y s i s t r a t a ? „Die Probe? — Warum nicht? — Voraus bedungen, daß nichts Magisches
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dazu gebraucht wird. Denn mit Hülfe Ihrer Talismane und Geister könnten Sie eine arme Frau sagen machen, was Sie wollten.“ Es haben weder Geister noch Talismane damit zu thun. Alles geht natürlich zu. Das Mittel, das ich gebrauche, ist die simpelste Sache von der Welt. Die Damen fiengen an, bey allen Grimassen von Herzhaftigkeit, wozu sie sich zu zwingen suchten, eine Unruhe zu verrathen, die den Philosophen sehr belustigte. „Wenn man nicht wüßte, daß Sie ein Spötter sind, der die ganze Welt zum Besten hat — Aber darf man fragen, worinn Ihr Mittel besteht?“ Wie ich Ihnen sagte, die natürlichste Sache von der Welt. Ein ganz kleines unschädliches Ding, einem schlafenden Frauenzimmer aufs Herzgrübchen
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gelegt, das ist das ganze Geheimniß: aber es thut Wunder, dies können Sie mir glauben. Es macht reden, so lange noch im innersten Winkel des Herzens was zu entdecken ist. Unter sieben Frauenzimmern, die sich in der Gesellschaft befanden, war nur eine, deren Miene und Geberde unverändert die nämliche blieb wie vorher. Man wird denken, sie sey alt, oder häßlich, oder gar tugendhaft gewesen; aber nichts von allem diesem! Sie war — taub. „Wenn Sie wollen, daß wir Ihnen glauben sollen, Demokritus, so nennen Sie Ihr Mittel.“ Ich will es dem Gemahl der schönen T h r y a l l i s ins Ohr sagen, sprach der
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boshafte Naturkündiger. Der Gemahl der schönen Thryallis war, ohne blind zu seyn, so glücklich, als H a g e d o r n einen Blinden schätzt, dessen Gemahlinn schön ist. Er hatte immer gute Gesellschaft, oder wenigstens was man zu Abdera so nannte, in seinem Hause. Der gute Mann glaubte, man finde so viel Vergnügen an seinem Umgang, und an den Versen, die er seinen Besuchen vorzulesen pflegte. In der That hatte er das Talent, die schlechten Verse, die er machte, nicht übel zu lesen; und weil er mit vieler Begeisterung las: so ward er nicht gewahr, daß seine Zuhörer, anstatt auf seine Verse Acht zu geben, mit der schönen Thryallis liebäugelten. Kurz, der Rathsherr S m i l a x war ein Mann, der eine viel zu gute Meynung von sich selbst hatte, um von der Tugend seiner Gemahlinn eine schlimme zu hegen. Er bedachte sich also keinen Augenblick, dem Geheimniß des Demokritus sein Ohr darzubieten.
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Es ist weiter nichts, flüsterte ihm der Philosoph ins Ohr, als die Zunge eines lebendigen Frosches, die man einer schlafenden Dame auf die linke Brust legen muß. Aber Sie müssen sich beym Ausreißen wohl in Acht nehmen, daß nichts von den daranhängenden Theilen mit geht, und der Frosch muß wieder ins Wasser gesetzt werden. „Das Mittel mag nicht übel seyn, sagte Smilax leise; nur Schade daß es ein wenig bedenklich ist! Was würde der Priester Strobylus dazu sagen?“ Sorgen Sie nicht dafür, versetzte Demokritus: ein Frosch ist doch keine Diana, der Priester Strobylus mag sagen was er will. Und zudem geht es dem 10
Frosche ja nicht ans Leben. „Ich darf es also weiter geben?“ fragte Smilax. Von Herzen gerne! alle Mannspersonen in der Gesellschaft dürfen es wissen; und ein jeder mag es ungescheut allen seinen Bekannten entdecken; nur mit der Bedingung, daß es keiner weder seiner Frau noch seiner Geliebten wieder sage. Die guten Abderitinnen wußten nicht was sie von der Sache glauben sollten. Unmöglich schien sie ihnen nicht; und was sollte auch Abderiten unmöglich scheinen? — Ihre gegenwärtigen Männer oder Liebhaber waren nicht viel ruhiger; jeder setzte sich heimlich vor, das Mittel ohne Aufschub zu probiren,
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und jeder (den glücklichen Smilax ausgenommen) besorgte, gelehrter dadurch zu werden als er wünschte. „Nicht wahr, Männchen — sagte Thryallis zu ihrem Gemahl, indem sie ihn freundlich auf die Backen klopfte, du kennst mich zu gut, um einer solchen Probe nöthig zu haben?“ „Der meinige sollte sich so etwas einfallen lassen, sagte L a g i s k a . Eine Probe setzt Zweifel voraus, und ein Mann, der an der Tugend seiner Frau zweifelt —“ — Ist ein Mann, der Gefahr läuft, seine Zweifel in Gewißheit verwandelt zu sehen, setzte Demokritus hinzu, da er sah, daß sie einhielt. Das wollten Sie
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doch sagen, schöne Lagiska? „Sie sind ein Weiberfeind, Demokritus, riefen die Abderitinnen allzumal; aber vergessen Sie nicht, daß wir in Thracien sind, und hüten Sie sich vor dem Schicksal des Orpheus!“ Wiewohl dies im Scherz gesagt wurde, so war doch Ernst dabey. Natürlicher Weise läßt man sich nicht gerne ohne Noth schlaflose Nächte machen;
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eine Absicht, von welcher wir den Philosophen um so weniger frey sprechen können, da er die Folgen seines Einfalles nothwendig voraussehen mußte. Wirklich gab diese Sache den sieben Damen so viel zu denken, daß sie die ganze Nacht kein Auge zuthaten; und da das vorgebliche Geheimniß des Demokritus den folgenden Tag in ganz Abdera herumlief, so verursachte er dadurch etliche Nächte hinter einander eine allgemeine Schlaflosigkeit. Indessen brachten die Weiber bey Tage wieder ein, was ihnen bey Nacht abgieng; und weil verschiedene sich nicht einfallen ließen, daß man ihnen das Arcanum, wenn sie unter Tages schliefen, eben so gut appliciren könne als bey Nacht, und daher ihr Schlafzimmer zu verriegeln vergaßen: so bekamen die
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Männer unverhofft Gelegenheit, von ihren Froschzungen Gebrauch zu machen. Lysistrata, Thryallis, und einige andere, die am meisten dabey zu wagen hatten, waren die ersten, an denen die Probe, mit demjenigen Erfolg, den man leicht voraussehen kann, gemacht wurde. Aber eben dies stellte in kurzem die Ruhe in Abdera wieder her. Die Männer dieser Damen, nachdem sie das Mittel zwey- oder dreymal ohne Erfolg gebraucht hatten, kamen in vollem Sprunge zu unserm Philosophen gelaufen, um sich zu erkundigen, was dies zu bedeuten hätte. So? rief er ihnen entgegen; hat die Froschzunge ihre Wirkung gethan? Haben Ihre Weiber gebeichtet? — Kein Wort, keine Sylbe, sagten die Abderiten. Desto besser, rief Demokritus; triumphiren Sie darüber! Wenn
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eine schlafende Frau mit einer Froschzunge auf dem Herzen nichts sagt, so ist es ein Zeichen, daß sie — nichts zu sagen hat. Ich wünsche Ihnen Glück, meine Herren! Jeder von Ihnen kann sich rühmen, daß er den Phönix der Weiber in seinem Hause besitze. Wer war glücklicher als unsre Abderiten! Sie liefen so schnell, als sie gekommen waren, wieder zurück, fielen ihren erstaunten Weibern um den Hals, erstickten sie mit Küssen und Umarmungen, und bekannten nun freywillig, was sie gethan hatten, um sich von der Tugend ihrer Hälften (wiewohl wir davon schon gewiß waren, sagten sie) noch gewisser zu machen. Die guten Weiber wußten nicht, ob sie ihren Sinnen glauben sollten. Aber, wiewohl sie Abderitinnen waren, hatten sie doch Verstand genug, sich auf der Stelle zu fassen, und ihren Männern ein so unzärtliches Mißtrauen, als dasjenige war, dessen sie sich selbst anklagten, nachdrücklich zu verweisen. Einige trieben die Sache bis zu Thränen; aber alle hatten Mühe, die Freude zu verbergen, die ihnen eine so u n v e r h o f f t e Bestätigung ihrer Tugend verursach-
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te; und wiewohl sie, der Anständigkeit wegen, auf den Demokritus schmählen mußten, so war doch keine, die ihn nicht dafür hätte umarmen mögen, daß er ihnen einen so guten Dienst geleistet hatte. Freylich war dies nicht, was er gewollt hatte. Aber die Folgen dieses einzigen unschuldigen Scherzes mochten ihn lehren, d a ß m a n m i t A b d e r i t e n n i c h t b e h u t s a m g e n u g s c h e r zen kann ! Indessen (wie alle Dinge dieser Welt mehr als eine Seite haben) so fand sich auch, daß aus dem Übel, welches unser Philosoph den Abderiten wider seine Absicht zugefügt hatte, gleichwohl mehr Gutes entsprang, als man vermuth10
lich hätte erwarten können, wenn die Froschzungen gewirkt hätten. Die Männer machten die Weiber durch ihre unbegrenzte S i c h e r h e i t , und die Weiber die Männer durch ihre G e f ä l l i g k e i t und g u t e L a u n e glücklich. Nirgends in der Welt sah man zufriednere Ehen als in Abdera. Und bey allem dem waren die Stirnen der Abderiten so glatt, und — die Ohren und Zungen der Abderitinnen so keusch, als die von andern Leuten.
Dreyzehntes Kapitel. Demokritus soll die Abderitinnen die Sprache der Vögel lehren. Im Vorbeygehen eine Probe, wie sie ihre Töchter bildeten. Ein andermal geschah es, daß sich Demokritus an einem schönen Frühlings20
abend mit einer Gesellschaft in einem von den Lustgärten befand, womit die Abderiten die Gegend um ihre Stadt verschönert hatten. „Wirklich verschönert?“ — Dies nun eben nicht: denn woher hätten die Abderiten nehmen sollen, daß die Natur schöner ist als die Kunst, und daß zwischen k ü n s t e l n und v e r s c h ö n e r n ein Unterschied ist? — Doch davon soll nun die Rede nicht seyn. Die Gesellschaft lag auf weichen mit Blumen bestreuten Rasen, unter einer hohen Laube, im Kreise herum. In den Zweigen eines benachbarten Baums sang eine Nachtigall. Eine junge Abderitinn von vierzehn Jahren schien etwas dabey zu empfinden, wovon die übrigen nichts empfanden. Demokritus ward
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es gewahr. Das Mädchen hatte eine sanfte Gesichtsbildung und Seele in den Augen. Schade für dich, daß du eine Abderitinn bist! dacht’ er. Was sollte dir in
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Abdera eine empfindsame Seele? Sie würde dich nur unglücklich machen. Doch es hat keine Gefahr! Was die Erziehung deiner Mutter und Großmutter an dir unverdorben gelassen hat, werden die Söhnchen unsrer Archonten und Prytanen, und, was diese verschonen, wird das Beyspiel deiner Freundinnen zu Grunde richten. In weniger als vier Jahren wirst du eine Abderitinn seyn wie die andern; und wenn du erst erfährst, daß eine Froschzunge auf dem Herzgrübchen nichts zu bedeuten hat — Was denken Sie, schöne N a n n i o n ? sagte Demokritus zu dem Mädchen. „Ich denke, daß ich mich dort unter die Bäume setzen möchte, um dieser Nachtigall recht ungestört zuhören zu können.“
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Das alberne Ding! sagte die Mutter des Mädchens. Hast du noch keine Nachtigall gehört? „ N a n n i o n hat Recht, sagte die schöne T h r y a l l i s ; ich selbst höre für mein Leben gern den Nachtigallen zu. Sie singen mit einem solchen Feuer, und es ist etwas so wollüstiges in ihren Modulationen, daß ich schon oft gewünscht habe, zu verstehen, was sie damit sagen wollen. Ich bin gewiß, man würde die schönsten Dinge von der Welt hören. Aber Sie, Demokritus, der alles weiß, sollten Sie nicht auch die Sprache der Nachtigallen verstehen?“ Warum nicht? antwortete der Philosoph mit seinem gewöhnlichen Phlegma; und die Sprache aller übrigen Vögel dazu!
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„Im Ernste?“ Sie wissen ja, daß ich immer im Ernste rede. „O das ist allerliebst! Geschwinde, übersetzen Sie uns was aus der Sprache der Nachtigallen! Wie hieß das, was diese dort sang, als Nannion so davon gerührt wurde?“ Das läßt sich nicht so leicht ins Griechische übersetzen als Sie denken, schöne Thryallis. Es giebt keine Redensarten in unsrer Sprache, die dazu zärtlich und feurig genug wären. „Aber wie können Sie denn die Sprache der Vögel verstehen, wenn Sie nicht auf Griechisch wiedersagen können, was Sie gehört haben?“ Die Vögel können auch kein Griechisch, und verstehen einander doch? „Aber Sie sind kein Vogel, wiewohl Sie ein loser Mann sind, der uns immer zum Besten hat.“ Daß man in Abdera doch so gerne Arges von seinem Nächsten denkt! Indessen verdient Ihre Antwort, daß ich mich näher erkläre. Die Vögel verste-
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hen einander durch eine gewisse Sympathie, welche ordentlicher Weise nur unter gleichartigen Geschöpfen statt hat. Jeder Ton einer singenden Nachtigall ist der lebende Ausdruck einer Empfindung, und erregt in der zuhörenden unmittelbar den Unisono dieser Empfindung. Sie verstehet also, vermittelst ihres eignen innern Gefühls, was ihr jene sagen wollte; und gerade auf die nämliche Weise versteh ich sie auch. „Aber wie machen Sie denn das?“ — fragten etliche Abderitinnen. Die Frage war, nachdem Demokritus sich bereits so deutlich erklärt hatte, gar zu abderitisch, als daß er sie ihnen so ungenossen hätte hingehen lassen 10
können. Er besann sich einen Augenblick. „Ich verstehe den Demokritus,“ sagte die kleine N a n n i o n leise. „Du verstehst ihn, du naseweises Ding? — schnarrte sie die Mutter an. — Nun laß hören, Puppe, was verstehst du denn davon?“ „Ich kann es nicht zu Worte bringen; aber ich empfind’ es, däucht mich,“ erwiederte N a n n i o n . „Sie ist, wie Sie hören, noch ein Kind, sagte die Mutter; wiewohl sie so schnell aufgeschossen ist, daß viele Leute sie für meine jüngere Schwester angesehen haben. Aber halten wir uns nicht mit dem Geplapper eines läppischen Mädchens auf, das noch nicht weiß was es sagt!“
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N a n n i o n hat Empfindung, sagte Demokritus. Sie findet den Schlüssel zur allgemeinen Sprache der Natur in ihrem Herzen, und vielleicht versteht sie mehr davon als — „O mein Herr, ich bitte Sie, machen Sie mir die kleine Närrinn nicht noch einbildischer; sie ist ohnedies naseweis und schnippisch genug —“ Bravo, dachte Demokritus; nur so fortgefahren! Auf diesem Wege möchte noch Hoffnung für den Kopf und das Herz der kleinen N a n n i o n seyn. „Bleiben wir bey der Sache! (fuhr die Abderitinn fort, die, ohne jemals recht gewußt zu haben, wie und warum, die u n e r k a n n t e E h r e hatte, Nannions Mutter zu seyn.) Sie wollten uns ja erklären, wie es zugienge, daß Sie die Spra-
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che der Vögel verstehen?“ Wir sind den Abderitinnen die Gerechtigkeit schuldig, nicht zu bergen, daß sie alles, was Demokritus von seiner Kenntniß der Vögelsprache gesagt hatte, für bloße P r a l e r e y hielten. Aber dies hinderte nicht, daß die Fortsetzung dieses Gesprächs nicht etwas sehr unterhaltendes für sie gehabt hätte: denn sie hörten von nichts lieber reden, als von Dingen, die sie n i c h t glaubten und
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d o c h glaubten; als da ist, von Sphinxen, Meermännern, Sibyllen, Kobolten, Popanzen, Gespenstern, und allem, was in diese Rubrik gehört; und die Sprache der Vögel gehörte auch dahin, dachten sie. Es ist ein Geheimniß, sagte Demokritus, das ich von dem Oberpriester zu Memphis lernte, da ich mich in den ägyptischen Mysterien initiiren ließ. Er war ein langer hagerer Mann, hatte einen sehr langen Namen, und einen noch längern eisgrauen Bart, der ihm bis an den Gürtel reichte. Sie würden ihn für einen Mann aus der andern Welt gehalten haben, so feyerlich und geheimnißvoll sah er in seiner spitzigen Mütze und in seinem schleppenden Mantel aus. Die Aufmerksamkeit der Abderiten nahm merklich zu. N a n n i o n , die sich
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ein wenig weiter zurückgesetzt hatte, lauschte mit dem linken Ohr der Nachtigall entgegen; aber von Zeit zu Zeit schoß sie einen dankvollen Seitenblick auf den Philosophen, welchen dieser, so oft die Mutter auf ihren Busen sah oder ihren Hund küßte, mit aufmunterndem Lächeln beantwortete. Das ganze Geheimniß, fuhr er fort, besteht darinn: Man schneidet, unter einer gewissen Constellation, sieben verschiedenen Vögeln, deren Namen ich nicht entdecken darf, die Hälse ab, läßt ihr Blut in eine kleine Grube, die zu dem Ende in die Erde gemacht wird, zusammenfließen, bedeckt die Grube mit Lorbeerzweigen, und — geht seines Weges. Nach Verfluß von ein und zwanzig Tagen kömmt man wieder, deckt die Grube auf, und findet einen
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kleinen Drachen von seltsamer Gestalt, der aus der Fäulniß des vermischten Blutes entstanden ist — *)
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P l i n i u s , der in seiner Natur- und Kunstgeschichte Wahres und Falsches ohn Unterschied
zusammengetragen hat, erzählt, im Capit. 49 seines zehnten Buchs, in ganzem Ernst: Demokritus habe in einer seiner Schriften gewisse Vögel benennet, aus deren vermischtem Blut eine Schlange entstehe, welche die Eigenschaft habe, daß derjenige, der sie esse, (ob mit Eßig und Öl? sagt er nicht) von Stund an alles verstehe, was die Vögel mit einander reden. Wegen dieser und anderer ähnlicher Albernheiten, wovon (wie er sagt) die Schriften des Demokritus wimmeln, liest er ihm an einem andern Orte seines Werkes den Text sehr schulmeisterhaft. Aber G e l l i u s (Noct. Atticar. L. X. Cap. 12.) vertheidigt unsern Philosophen mit besserm Grund, als Plinius ihn verurtheilt. Was konnte Demokritus dafür, daß die Abderiten dumm genug waren, alles, was er im Ernste sagte, für Ironie, und alles, was er scherzweise sagte, für Ernst zu nehmen? Oder wie konnt’ er verhindern, daß nicht lange nach seinem Tode abderitische Köpfe tausend Albernheiten, an die er nie gedacht hatte, unter seinem Namen und Ansehen an andre Abderiten verkauften? Was für klägliches Zeug ließ ihn nicht erst im Jahr 1646 M a g n e n u s in seinem Democritus rediuiuus sagen? Und was müssen nicht die Leute in der andern Welt von sich sagen lassen?
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„Einen Drachen!“ — riefen die Abderitinnen mit allen Merkmalen des Erstaunens. Einen Drachen, wiewohl nicht viel größer als eine gewöhnliche Fledermaus. Diesen Drachen nehmen sie, schneiden ihn in kleine Stücke, und essen ihn mit etwas Essig, Öl und Pfeffer, ohne das Mindeste davon übrig zu lassen; gehen darauf zu Bette, decken sich wohl zu, und schlafen ein und zwanzig Stunden in einem Stücke fort. Darauf erwachen sie wieder, kleiden sich an, gehen in ihren Garten, oder in ein Wäldchen, und erstaunen nicht wenig, indem sie sich augenblicklich auf allen Seiten von Vögeln umgeben und gegrüßt finden, deren 10
Sprache und Gesang sie so gut verstehen, als ob sie alle Tage ihres Lebens nichts als Elstern, Gänschen und Truthühner *) gewesen wären. Demokritus erzählte den Abderitinnen alles dies mit einer so gelassenen Ernsthaftigkeit, daß sie sich um so weniger entbrechen konnten, ihm Glauben beyzumessen, da er, ihrer Meynung nach, die Sache unmöglich mit so vielen Umständen hätte erzählen können, wenn sie nicht wahr gewesen wäre. Indessen wußten sie itzt doch gerade nur so viel davon, als nöthig war, um desto ungeduldiger zu werden, alles zu wissen — „Aber, fragten sie, was für Vögel sind es denn, die man dazu braucht? Ist der Sperling, der Finke, die Nachtigall, die Elster, die Wachtel, der Rabe, der
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Kibitz, die Nachteule, u. s. f. auch darunter? Wie sieht der Drache aus? Hat er Flügel? Wie viele hat er deren? Ist er gelb, oder grün, oder blau, oder rosenfarb? Speyt er Feuer? Beißt oder sticht er nicht, wenn man ihn anrühren will? Ist er gut zu essen? Wie schmeckt er? Wie verdaut er sich? Was trinkt man dazu?“ — Alle diese Fragen, womit der gute Naturforscher von allen Seiten bestürmt wurde, machten ihm so warm, daß er sich endlich am kürzesten aus dem Handel zu ziehen glaubte, wenn er ihnen gestünde, er habe die ganze Historie nur zum Scherz ersonnen. „O, dies sollen Sie uns nicht weiß machen! — riefen die Abderitinnen: Sie wollen nur nicht, daß wir hinter Ihre Geheimnisse kommen. Aber wir werden
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Ihnen keine Ruhe lassen; verlassen Sie sich darauf! Wir wollen den Drachen sehen, betasten, beriechen, kosten, und mit Haut und Knochen aufessen, oder — Sie sollen uns sagen, warum nicht!“ *)
Dies ist wohl ein Irrthum des Übersetzers. Denn wer weiß nicht, daß die Truthühner dem
Aristoteles selbst unbekannt waren, und unbekannt seyn mußten, weil sie erst aus Westindien zu uns und in die übrigen Theile unsrer Halbkugel gekommen sind? S. B u f f o n Histoire naturelle des Oiseaux, T. 3. p. 187 u. f. E r s t e s B u c h . ¼…½ D r e y z e h n t e s K a p i t e l
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Die Abderiten. Zweytes Buch, oder Hippokrates in Abdera. Erstes Kapitel. Eine Abschweifung über den Charakter und die Philosophie des Demokritus, welche wir den Leser nicht zu überschlagen bitten. Wir wissen nicht, wie Demokritus es angefangen, um sich die neugierigen Weiber vom Halse zu schaffen. Genug, daß uns diese Beyspiele begreiflich machen, wie ein bloßer zufälliger Einfall Gelegenheit habe geben können, den unschuldigen Naturforscher in den Ruf zu bringen, als ob er Abderite genug 10
gewesen wäre, alle die Mährchen, die er seinen albernen Landesleuten aufheftete, selbst zu glauben. Diejenigen, die ihm dies zum Vorwurf nachgesagt haben, berufen sich auf seine Schriften. Aber schon lange vor den Zeiten des Vitruvius und Plinius wurden eine Menge unächter Büchlein mit vielbedeutenden Titeln unter seinem Namen herumgetragen. Man weiß, wie gewöhnlich diese Art von Betrug den müßigen G r ä c u l i s der spätern Zeiten war. Die Namen H e r m e s Tr i s m e g i s t u s , Z o r o a s t e r , O r p h e u s , P y t h a g o r a s , D e m o k r i t u s , waren ehrwürdig genug, um die armseligsten Geburten schaaler Köpfe verkäuflich zu machen; insonderheit nachdem die alexandrische Philosophenschule die Magie in eine Art von allgemeiner Achtung, und
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die Gelehrten in den Geschmack gebracht hatte, sich bey den Ungelehrten das Ansehen zu geben, als ob sie gewaltige Wundermänner wären, die den Schlüssel zur Geisterwelt gefunden hätten, und für die nun in der ganzen Natur nichts geheimes sey. Die Abderiten hatten den Demokritus in den Ruf der Zauberey gebracht, weil sie nicht begreifen konnten, wie man, ohne ein Hexenmeister zu seyn, so viel wissen könne, a l s s i e — n i c h t w u ß t e n ; und spätere Betrüger fabricirten Zauberbücher in seinem Namen, um sich jenen Ruf bey den Dummköpfen ihrer Zeit zu Nutzen zu machen. Überhaupt waren die Griechen große Liebhaber davon, mit ihren Philoso-
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phen den Narren zu treiben. Die A t h e n i e n s e r lachten herzlich, als ihnen der witzige Possenreißer Aristophanes weiß machte, S o k r a t e s halte die Wolken für Göttinnen, messe aus, wie viele Flohfüße hoch ein Floh springen könne *), lasse sich, wenn er meditiren wolle, in einem Korbe aufhängen, damit die anziehende Kraft der Erde seine Gedanken nicht einsauge, u. s. f. und es dünkte sie überaus kurzweilig, den Mann, der ihnen immer die Wahrheit und also oft unangenehme Dinge sagte, wenigstens auf dem Schauplatze platte Pedantereyen sagen zu hören. Und wie mußte sich nicht D i o g e n e s (der unter den Nachahmern des Sokrates noch am meisten die Miene seines Originals hatte,) von diesem Volke, das so gerne lachte, mißhandeln lassen? Sogar der
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begeisterte P l a t o und der tiefsinnige A r i s t o t e l e s blieben nicht von Anklagen frey, wodurch man sie zu dem großen Haufen der alltäglichen Menschen herabzusetzen suchte. Was Wunder also, daß es dem Manne nicht besser ergieng, der so verwegen war, mitten unter Abderiten Verstand zu haben? Demokritus lachte zuweilen, wie wir alle, und würde vielleicht, wenn er zu Korinth, oder Smyrna, oder Syrakus, oder an irgend einem andern Orte der Welt gelebt hätte, nicht mehr gelacht haben, als jeder andre Biedermann, der sich, aus Gründen oder von Temperaments wegen, aufgelegter fühlt, die Thorheiten der Menschen zu belachen als zu beweinen. Aber er lebte unter Abderiten. Es war nun einmal die Art dieser guten Leute, immer etwas zu thun,
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worüber man entweder lachen, oder weinen, oder ungehalten werden mußte; *)
Nichts ist möglicher, als daß Sokrates wirklich einmal etwas gesagt haben konnte, das zu
dieser Türlipinade Anlaß gegeben. Er durfte nur in einer Gesellschaft, wo die Rede von Größe und Kleinheit war, den Irrthum angemerkt haben, den man gewöhnlich begeht, da man von Groß und Klein als von wesentlichen Eigenschaften spricht, und nicht bedenkt, daß es blos auf den Maasstab ankommt, ob etwas groß oder klein seyn soll. Er konnte nach seiner scherzhaften Art gesagt haben: man habe Unrecht, den Sprung eines Flohs nach der attischen Elle zu messen; man müsse, um die Schnellkraft des Flohs mit derjenigen eines Luftspringers zu vergleichen, nicht den menschlichen Fuß, sondern den Flohfuß zum Maas nehmen, wenn man anders den Flöhen Gerechtigkeit widerfahren lassen wolle — und dergleichen. Nun brauchte nur ein Abderite in der Gesellschaft zu seyn, so können wir sicher darauf rechnen, daß er es als eine große Ungereimtheit, die dem Philosophen entfahren sey, nach seiner eignen Art wieder erzählt haben werde; und wenn gleich Aristophanes klug genug war, zu begreifen, daß Sokrates etwas kluges gesagt hatte, so war es doch für einen Mann von seiner Profeßion und zu seiner Absicht, den Philosophen lächerlich zu machen, schon genug, daß man diesem Einfall eine Wendung geben konnte, wodurch er geschickt wurde, die Zwerchfelle der Athenienser, welche (den Geschmack und den Witz abgerechnet) ziemlich Abderiten waren, einen Augenblick zu erschüttern.
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und D e m o k r i t u s lachte, wo ein P h o c i o n die Stirne gerunzelt, ein C a t o gepoltert, und ein S w i f t zugepeitscht hätte. Bey einem ziemlich langen Aufenthalt in Abdera konnte ihm also die Miene der Ironie wohl eigenthümlich werden: aber daß er im buchstäblichen Verstande immer aus vollem Halse gelacht habe, wie ihm ein Dichter, der die Sachen gern übertreibt, nachsagt *), dies hätte wenigstens niemand in Prosa sagen sollen. Doch diese Nachrede möchte immer hingehen, zumal da ein so gepriesener Philosoph wie S e n e c a unsern Freund Demokritus über diesen Punkt rechtfertigt, und sogar nachahmenswürdig findet. „Wir müssen uns dahin bestre10
ben, sagt S e n e c a * * ) , daß uns die Thorheiten und Gebrechen des großen Haufens sammt und sonders nicht hassenswürdig, sondern lächerlich vorkommen; und wir werden besser thun, wenn wir uns hierinn den D e m o k r i t u s als den H e r a k l i t u s zum Muster nehmen. D i e s e r pflegte, so oft er unter die Leute gieng, zu weinen; j e n e r , zu l a c h e n : d i e s e r sah in allem unserm Thun eitel N o t h u n d E l e n d ; j e n e r e i t e l Ta n d u n d K i n d e r s p i e l . Nun ist es aber f r e u n d l i c h e r , das menschliche Leben a n z u l a c h e n als es a n z u g r i n s e n ; und man kann sagen, daß sich derjenige um das Menschengeschlecht verdienter macht, der es belacht, als der es bejammert. Denn jener läßt uns doch noch immer ein wenig H o f f n u n g übrig; dieser hingegen
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weint alberner Weise über Dinge, die er bessern zu können v e r z w e i f e l t . Auch zeigt derjenige eine g r ö ß e r e S e e l e , der, wenn er einen Blick über das Ganze wirft, sich nicht des Lachens — als jener, der sich der Thränen nicht enthalten kann; denn er giebt dadurch zu erkennen, daß alles, was andern g r o ß und wichtig genug scheint, um sie in die h e f t i g s t e n Leidenschaften zu setzen, in seinen Augen so k l e i n ist, daß es nur den l e i c h t e s t e n und k a l t b l ü t i g s t e n unter allen Affecten in ihm erregen kann.“ ***) *)
Perpetuo risu pulmonem agitare solebat Democritus. — J u u e n a l . Sat. X. 33.
**) ***) 30
De Tranquill. animi c. 15. Bey allem dem erklärt sich doch Seneca bald darauf, daß es noch besser und einem weisen
Manne anständiger sey, die herrschenden Sitten und Fehler der Menschen sanft und gleichmüthig zu ertragen, als darüber zu lachen oder zu weinen. Mich dünkt, er hätte mit wenig Mühe finden können, daß es — noch was bessers giebt als dies Bessere. Warum i m m e r lachen, i m m e r weinen, i m m e r zürnen, oder i m m e r gleichgültig seyn? Es giebt Thorheiten, welche belachenswerth sind; es giebt andere, die ernsthaft genug sind, um dem Menschenfreund Seufzer auszupressen; andre, die einen Heiligen zum Unwillen reizen könnten; endlich noch andre, die man der menschlichen Schwachheit zu gut halten soll. Ein weiser und guter Mann (nisi pituita molesta est,
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Im Vorbeygehen däucht mich, die Entscheidung des S o p h i s t e n S e n e c a habe Verstand; wiewohl er vielleicht besser gethan hätte, seine Gründe weder so weit herzuholen, noch in so gekünstelte Antithesen einzuschrauben. Doch, wie gesagt, der bloße Umstand, daß Demokritus unter A b d e r i t e n lebte, und über A b d e r i t e n lachte, macht den Vorwurf, von welchem die Rede ist, so übertrieben er auch seyn mag, zum erträglichsten unter allem, was unserm Weisen aufgebürdet worden. Läßt doch H o m e r die Götter selbst über einen weit weniger lächerlichen Gegenstand — über den hinkenden Vulcan, der aus der gutherzigen Absicht, Friede unter den Olympiern zu stiften, den Mundschenken macht — in ein u n a u s l ö s c h l i c h e s G e l ä c h t e r ausbrechen! Aber
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das Vorgeben, d a ß D e m o k r i t u s s i c h s e l b s t f r e y w i l l i g d e s G e s i c h t s b e r a u b t h a b e , und d i e U r s a c h e n , w a r u m e r e s g e t h a n h a b e n s o l l , dies setzt auf Seiten derjenigen, bey denen es Eingang finden konnte, eine Neigung voraus, die wenigstens ihrem Kopfe wenig Ehre macht. Und was für eine Neigung mag denn das seyn? — Ich will es euch sagen, lieben Freunde, und gebe der günstige Himmel, daß es nicht gänzlich in den Wind gesagt seyn möge! Es ist die armselige Neigung, jeden Dummkopf, jeden hämischen Buben für einen unverwerflichen Zeugen gelten zu lassen, sobald er einem großen Manne irgend eine überschweng-
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liche Ungereimtheit nachsagt, welche auch der alltäglichste Mensch bey fünf gesunden Sinnen zu begehen unfähig wäre. Ich möchte nicht gerne glauben, daß diese Neigung so allgemein sey, als die Verkleinerer der menschlichen Natur behaupten. Aber dies wenigstens lehrt die Erfahrung: daß die kleinen Anekdoten, die man von großen Geistern auf Unkosten ihrer Vernunft circuliren zu lassen pflegt, sehr leicht bey den Meisten Eingang finden. Doch vielleicht ist dieser Hang im Grunde nicht sträflicher als das Vergnügen, womit die Sternseher Flecken in der Sonne entdeckt haben? Vielleicht ist es blos das Unerwartete und Unbegreifliche, was die Entdeckung solcher Flecken so angenehm macht? Außerdem findet sich auch nicht selten, daß die armen Leute, indem sie einem großen Manne Widersinwie Horaz weislich ausbedingt,) lacht oder lächelt, bedaurt oder beweint, entschuldigt oder verzeiht, je nach dem es Personen und Sachen, Ort und Zeit mit sich bringen. Denn lachen und weinen, lieben und hassen, züchtigen und loslassen, hat seine Zeit, sagt S a l o m o , welcher älter, klüger und besser war als Seneca mit allen seinen Antithesen.
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nigkeiten andichten, ihm (nach ihrer Art zu denken) noch viel Ehre zu erweisen glauben; und dies mag wohl, was die freywillige Blindheit unsers Philosophen betrifft, der Fall bey mehr als einem abderitischen Gehirne gewesen seyn. „Demokritus beraubte sich des Gesichtes, sagt man, damit er d e s t o t i e f e r d e n k e n könnte. Was ist hierinn so unglaubliches? Haben wir nicht Beyspiele freywilliger Verstümmelungen von ähnlicher Art. C o m b a b u s — O r i g e n e s —“ Gut! — Combabus und Origenes warfen einen Theil ihrer selbst von sich, 10
und zwar einen Theil, den wohl die meisten, im Fall der Noth, mit allen ihren Augen, und wenn sie deren soviel als A r g u s hätten, erkaufen würden. Allein sie hatten auch einen großen Beweggrund dazu. Was giebt der Mensch nicht um sein Leben? Und was thut oder leidet man nicht, d e r G ü n s t l i n g e i n e s F ü r s t e n z u b l e i b e n , oder gar e i n e P a g o d e z u w e r d e n ? — Demokritus hingegen konnte keinen Beweggrund von dieser Stärke haben. Es möchte noch hingehen, wenn er ein M e t a p h y s i k e r oder ein P o e t gewesen wäre. Dies sind Leute, die zu ihrem Geschäfte des Gesichts entbehren können. Sie arbeiten am meisten mit der Einbildungskraft, und diese gewinnt sogar durch die Blindheit. Aber wenn hat man jemals gehört, daß ein Beobachter der Na-
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tur, ein Zergliederer, ein Sternseher, sich die Augen ausgestochen hätte, um desto besser zu beobachten, zu zergliedern, und nach den Sternen zu sehen? Die Ungereimtheit ist so handgreiflich, daß Te r t u l l i a n u s die angebliche That unsers Philosophen aus einer andern Ursache ableitet, die ihm aber zum wenigsten eben so ungereimt hätte vorkommen müssen, wenn er ein besserer Raisonneur gewesen wäre, oder nicht gerade v o n n ö t h e n g e h a b t h ä t t e , die Philosophen, die er zu Boden legen wollte, in Strohmänner zu verwandeln. „ E r b e r a u b t e s i c h d e r A u g e n , sagt Tertullian *), w e i l e r k e i n We i b a n s e h e n k o n n t e , o h n e i h r e r z u b e g e h r e n . “ — Ein feiner Grund für einen griechischen Philosophen aus dem Jahrhundert des Perikles! Demo-
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kritus, der sich gewiß nicht einfallen ließ, weiser seyn zu wollen als Solon, Anaxagoras, Sokrates, hatte auch vonnöthen, zu einem solchen Mittel seine Zuflucht zu nehmen! Wahr ists, der Rath des letztern **) (der Demokriten ge*) **)
Apolog. C. 46. Memorab. Socrat. Lib. I. Cap. 3. Num. 14.
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wiß nichts unbekanntes war, weil er Verstand genug hatte, sich ihn selbst zu geben) verfängt wenig gegen die Gewalt der L i e b e ; und einem Philosophen, der sein ganzes Leben dem Erforschen der Wahrheit widmen wollte, war allerdings sehr viel daran gelegen, sich vor einer so tyrannischen Leidenschaft zu hüten. Allein von dieser hatte auch Demokritus, wenigstens in Abdera, nichts zu besorgen. Die Abderitinnen waren zwar schön; aber die gütige Natur hatte ihnen die D u m m h e i t zum G e g e n g i f t i h r e r k ö r p e r l i c h e n R e i z u n g e n gegeben. Eine Abderitinn war nur schön bis sie — den Mund aufthat, oder bis man sie in ihrem Hauskleide sah. Leidenschaften von drey Tagen waren das Äußerste, was sie einem ehrlichen Manne, der kein Abderite war,
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einflößen konnte; und eine Liebe von drey Tagen ist einem Demokritus am Philosophiren so wenig hinderlich, daß wir vielmehr allen Naturforschern, Zergliederern, Meßkünstlern und Sternsehern demüthig rathen wollten, sich dieses Mittels, als eines vortrefflichen Recepts gegen Milzbeschwerungen, öfters zu bedienen, wenn nicht zu vermuthen wäre, daß diese Herren zu weise sind, eines Rathes vonnöthen zu haben. Ob Demokritus selbst die Kraft dieses Mittels, zufälliger Weise, bey einer oder der andern von den abderitischen Schönen, die wir bereits kennen gelernt, versucht haben möchte, können wir aus Mangel avthentischer Nachrichten weder bejahen noch verneinen. Aber daß er, um g a r n i c h t , oder nicht z u s t a r k , von so unschädlichen Geschöp-
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fen eingenommen zu werden, und weil er auf allen Fall sicher war, daß sie ihm die Augen nicht auskratzen würden — schwach genug gewesen sey, sich solche selbst auszukratzen: dies mag Tertullianus glauben so lang es ihm beliebt; wir zweifeln sehr, daß es jemand mitglauben wird. Aber alle diese Ungereimtheiten werden unerheblich, wenn wir sie mit demjenigen vergleichen, was ein sonst in seiner Art sehr verdienter Sammler von Materialien zur Geschichte des menschlichen Verstandes *) d i e P h i l o s o p h i e d e s D e m o k r i t u s nennt. Es würde schwer seyn, von einem Haufen einzelner Trümmer, Steine und zerbrochener Säulen, die man als vorgebliche Überbleibsel des großen Tempels zu Olympia aus unzähligen Orten zusammengebracht hätte, mit Gewißheit zu sagen, daß es wirklich Trümmer dieses Tempels seyen. Aber was würde man von einem Manne denken, der — wenn er *)
B r u c k e r ; vom M a g n e n u s , der den Demokritus nach seiner eignen Phantasie raisonni-
ren und deraisonniren läßt, nichts zu sagen!
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diese Trümmer, so gut es ihm in der Eile möglich gewesen wäre, auf einander gelegt, und mit etwas Leim und Stroh zusammengeflickt hätte — ein so armseliges Stückwerk, ohne Plan, ohne Fundament, ohne Größe, ohne Symmetrie und Schönheit, für den Tempel zu Olympia ausgeben wollte? Überhaupt ist es gar nicht wahrscheinlich, daß Demokritus ein System gemacht habe. Ein Mann, der sein Leben mit R e i s e n , B e o b a c h t u n g e n und Ve r s u c h e n zubringt, lebt selten lange genug, um die Resultate dessen, was er gesehen und erfahren, in ein kunstmäßiges Lehrgebäude zusammenzufügen. Und in dieser Rücksicht könnte wohl auch Demokritus, wiewohl er 10
über ein Jahrhundert gelebt haben soll, noch immer zu früh vom Tod überrascht worden seyn. Aber daß ein solcher Mann, mit dem durchdringenden Verstande und mit dem brennenden Durste nach Wahrheit, den ihm das Alterthum einhellig zuschreibt, fähig gewesen sey, h a n d g r e i f l i c h e n U n s i n n z u b e h a u p t e n , ist noch etwas weniger als unwahrscheinlich. „Demokritus (sagt man uns) erklärte das Daseyn der Welt lediglich aus den Atomen, dem leeren Raum, und der Nothwendigkeit oder dem Schicksal. E r f r a g t e d i e N a t u r a c h t z i g J a h r e l a n g , und s i e s a g t e i h m k e i n Wo r t v o n i h r e m U r h e b e r , von s e i n e m P l a n , von s e i n e m E n d z w e c k ? Er schrieb den A t o m e n allen e i n e r l e y A r t v o n B e w e g u n g zu, und w u r d e
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n i c h t g e w a h r * ) , daß aus Elementen, die sich in p a r a l l e l e n L i n i e n bewegen, in Ewigkeit keine Körper entstehen können? Er läugnete, daß die Verbindung der Atomen nach d e m G e s e t z e d e r Ä h n l i c h k e i t geschehe; er erklärte alles in der Welt aus einer unendlich schnellen, aber b l i n d e n Bewegung: und behauptete gleichwohl, daß die Welt e i n G a n z e s sey?“ u. s. f. Diesen und andern ähnlichen Unsinn setzt man auf seine Rechnung; citirt den S t o b ä u s , S e x t u s , C e n s o r i n u s ; und bekümmert sich wenig darum, ob es unter die möglichen Dinge gehöre, daß ein Mann von Verstande (wofür man gleichwohl den Demokritus ausgiebt,) so gar erbärmlich raisonniren könnte. Freylich sind große Geister von der Möglichkeit sich zu irren, oder unrichtige
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Folgerungen zu ziehen, eben so wenig frey als die kleinen; wiewohl man gestehen muß, daß sie unendlichmal seltener in diese Fehler fallen, als es die L i l l i p u t t e r gerne hätten; aber es giebt Albernheiten, die nur ein Dummkopf zu denken oder zu sagen fähig ist, so wie es Unthaten giebt, die nur ein *)
Bruck. Histor. Crit. Philos. T. I. p. 1190.
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Schurke begehen kann. Die besten Menschen haben ihre A n o m a l i e n , und die Weisesten leiden zuweilen eine v o r ü b e r g e h e n d e Ve r f i n s t e r u n g : aber dies hindert nicht, daß man nicht mit hinlänglicher Sicherheit von einem verständigen Manne sollte behaupten können: daß er gewöhnlich, und besonders in solchen Gelegenheiten, wo auch die Dummsten allen den ihrigen zusammenraffen, wie ein Mann von Verstande verfahren werde. Diese Maxime könnte uns, wenn sie gehörig angewendet würde, im Leben manches rasche Urtheil, manche v o n w i c h t i g e n F o l g e n b e g l e i t e t e Verwechslung des S c h e i n s mit der Wa h r h e i t ersparen helfen. Aber den Abderiten half sie nichts. Denn zum Anwenden einer Maxime wird gerade das
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Ding erfordert – das sie nicht hatten. Die guten Leute behalfen sich mit einer ganz andern Logik als vernünftige Menschen; und in ihren Köpfen waren Begriffe associirt, die, wenn es keine Abderiten gäbe, sonst in aller Ewigkeit nie zusammenkommen würden. Demokritus untersuchte die Natur der Dinge, und bemerkte die Ursachen gewisser Naturbegebenheiten ein wenig früher als die Abderiten, — also war er ein Zauberer. Er dachte über alles anders als sie, lebte nach andern Grundsätzen, brachte seine Zeit auf eine ihnen unbegreifliche Art mit sich selbst zu, — a l s o w a r e s n i c h t r e c h t r i c h t i g i n s e i n e m K o p f e ; der Mann hatte sich überstudirt; und man besorgte, daß es einen unglücklichen Ausgang mit ihm nehmen werde.
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Zweytes Kapitel. Demokritus wird eines schweren Verbrechens beschuldiget, und von einem seiner Verwandten damit entschuldiget, daß er seines Verstandes nicht recht mächtig sey. Wie er das Ungewitter, welches ihm der Priester Strobylus zubereiten wollte, noch zu rechter Zeit ableitet — ein Arcanum, dessen Wirkung selten ausbleibt, wenn es recht applicirt wird. Was hört man vom Demokritus? — sagten die Abderiten unter einander. — „Schon sechs ganzer Wochen will niemand nichts von ihm gesehen haben — Man kann seiner nie habhaft werden; oder wenn man ihn endlich trifft, so sitzt er in tiefen Gedanken, und ihr seyd eine halbe Stunde vor ihm gestanden, habt
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mit ihm gesprochen, und seyd wieder weggegangen, ohne daß er es gewahr worden ist. Bald wühlt er in den Eingeweiden von Hunden und Katzen herum; bald kocht er Kräuter, oder steht mit einem großen Blasebalg in der Hand vor einem Zauberofen, und macht Gold, oder noch was ärgers. Bey Tage klettert er wie ein Gems die steilsten Klippen des Hämus hinan, um — Kräuter zu suchen, als ob es deren nicht genug in der Nähe gäbe; und bey Nacht, wo sogar die unvernünftigen Geschöpfe der Ruhe pflegen, wickelt er sich in einen scythischen Pelz und guckt, beym Castor! durch ein Blaserohr nach den Sternen.“ „Ha, ha, ha! Man könnte sichs nicht närrischer träumen lassen! Ha, ha, ha!“ 10
(lachte der kurze dicke Rathsherr.) „Es ist, bey allem dem, Schade um den Mann, sagte d e r A r c h o n v o n A b d e r a ; man muß gleichwohl gestehen, daß er viel weiß.“ „ A b e r w a s h a t d i e R e p u b l i k d a v o n ? “ — versetzte ein Rathsherr, der sich mit Projecten, Verbesserungsvorschlägen, und Deductionen veralteter Ansprüche eine hübsche runde Summe von der Republik verdient hatte, und in Kraft dessen immer aus vollen Backen von seinen Verdiensten um d a s a b d e r i t i s c h e We s e n prahlte, wiewohl das abderitische Wesen sich durch alle seine Projecte, Deductionen und Verbesserungen nicht um hundert Drachmen besser befand.
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„Es ist wahr, sprach ein andrer; mit seiner Wissenschaft läuft es auf lauter Spielwerk hinaus; nichts gründliches! In minimis maximus! “ „Und dann sein unerträglicher Stolz! — Seine Widersprechungssucht! — Sein ewiges Vernünfteln, und Tadeln, und Spötteln!“ „Und sein schlimmer Geschmack!“ „Von der Musik wenigstens versteht er nicht den Guguck,“ sagte der N o mophylax. „Vom Theater noch weniger,“ rief H y p e r b o l u s . „Und von der hohen Ode gar nichts,“ sagte P h y s i g n a t h u s . „Er ist ein Scharlatan, ein Windbeutel —“
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„Und ein Freygeist obendrein, schrie der Priester S t r o b y l u s ; ein ausgemachter Freygeist, ein Mensch der nichts glaubt, dem nichts heilig ist. Man kann ihm beweisen, daß er einer Menge von Fröschen die Zungen bey lebendigem Leibe ausgerissen hat.“ „Man spricht stark davon, daß er deren etliche sogar lebendig zergliedert habe,“ sagte jemand.
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„Ists möglich? rief S t r o b y l u s mit allen Merkmalen des äußersten Entsetzens; sollte dies bewiesen werden können? Gerechte Latona! Wozu diese verfluchte Philosophie einen Menschen nicht bringen kann! Aber, sollt’ es wirklich bewiesen werden können?“ „Ich geb’ es wie ich es empfangen habe,“ erwiederte jener. „Es muß untersucht werden, schrie Strobylus, hochpreislicher Herr Archon! — Wohlweise Herren! — ich fodre Sie hiermit im Namen der Latona auf! die Sache muß untersucht werden!“ „Wozu eine Untersuchung? sagte T h r a s y l l u s , einer von den Häuptern der Republik, ein naher Anverwandter und vermuthlicher Erbe des Philoso-
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phen. Die Sache hat ihre Richtigkeit. Aber sie beweiset weiter nichts, als was ich leider! schon seit geraumer Zeit an meinem armen Vetter wahrgenommen habe, — daß es m i t s e i n e m Ve r s t a n d e nicht so gut steht, als zu wünschen wäre. Demokritus ist kein schlimmer Mann; er ist kein Verächter der Götter: aber er hat Stunden, wo er nicht bey sich selber ist. Wenn er einen Frosch zergliedert hat, so wollt’ ich für ihn schwören, daß er den Frosch für eine Katze ansah.“ „Desto schlimmer!“ sagte S t r o b y l u s . „In der That, desto schlimmer — für seinen Kopf, und für sein Hauswesen! — fuhr Thrasyllus fort. Der arme Mann ist in einem Zustande, wobey wir
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nicht länger gleichgültig bleiben können. Die Familie wird sich genöthiget sehen, die Republik um Hülfe anzurufen. Er ist in keinerley Betrachtung fähig, sein Vermögen selbst zu verwalten. Er wird bevogtet werden müssen.“ „Wenn dies ist —“ sagte der A r c h o n mit einer bedenklichen Miene — und hielt inne. „Ich werde die Ehre haben, Ihre Herrlichkeit näher von der Sache zu unterrichten,“ versetzte der Rathsherr T h r a s y l l u s . „Wie? Demokritus sollte nicht bey Verstande seyn? rief einer aus den Anwesenden. Meine Herren von Abdera, bedenken Sie wohl was Sie thun! Sie sind in Gefahr, dem ganzen Griechenland ein großes Lachen zuzubereiten. Ich will meine Ohren verloren haben, wenn Sie einen verständigern Mann diesseits und jenseits des Hebrus finden, als diesen nämlichen Demokritus. Nehmen Sie sich in Acht, meine Herren! die Sache ist kitzlicher als Sie vielleicht denken.“ Unsre Leser erstaunen — aber wir wollen Ihnen sogleich aus dem Wunder
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helfen. Derjenige, der dies sagte, war k e i n A b d e r i t . Er war ein Fremder aus Syrakus, und (was die Rathsherren von Abdera im Respect erhielt,) ein naher Verwandter des ältern Dionysius, der sich vor kurzem zum Fürsten dieser Republik aufgeworfen hatte. „Sie können versichert seyn, antwortete der A r c h o n dem Syrakusaner, daß wir nicht weiter in der Sache gehen werden, als wir Grund finden.“ „Ich nehme zu viel Antheil an der Ehre, welche der erlauchte Syrakusaner meinem Vetter durch seine gute Meynung erweist, sagte T h r a s y l l u s , als daß ich nicht wünschen sollte, sie bestätigen zu können. Es ist wahr, Demo10
kritus hat seine h e l l e n Augenblicke; und in einem solchen wird ihn der Prinz gesprochen haben. Aber leider! es sind nur Augenblicke —“ „So müssen die Augenblicke in Abdera sehr lang seyn,“ fiel der Syrakusaner ein. „Hoch- und Wohlweise Herren, sagte der Priester Strobylus; die Umstände mögen beschaffen seyn wie sie wollen, bedenken Sie, daß die Rede von einem lebendig zergliederten Frosche ist! Die Sache ist wichtig, und ich dringe auf Untersuchung. Denn dafür sey Latona und Apollo, daß ich fürchten sollte —“ „Beruhigen Sie sich, Herr Oberpriester, fiel ihm der A r c h o n ins Wort — der (unter uns gesagt) selbst ein wenig im Verdachte stund, von den Fröschen
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der Latona nicht so g e s u n d zu denken, wie man in Abdera davon denken mußte — Auf die erste Anregung, welche von Seiten d e r Vo r s t e h e r d e s g e h e i l i g t e n Te i c h e s beym Senat gemacht werden wird, sollen die Frösche alle gebührende Genugthuung erhalten!“ Der Syrakusaner ließ den Demokritus unverzüglich von allem benachrichtigen, was in dieser Gesellschaft gesprochen worden war. Laß den fettesten jungen Pfauen *) im Hühnerhofe würgen, und an den *)
Hier scheint sich eine Unrichtigkeit in den Text eingeschlichen zu haben. Der Pfau war v o r
A l e x a n d e r s E r o b e r u n g d e s p e r s i s c h e n R e i c h e s ein unbekannter Vogel in Griechenland. Und da er nachmals aus Asien nach Europa übergieng, war er anfangs so selten, daß man ihn zu 30
Athen um Geld sehen ließ. Jedoch wurde er in kurzer Zeit (nach dem Ausdruck des Komödienschreibers A n t i p h a n e s ) so gemein als die Wachteln. In der üppigen Epoche von Rom wurde deren eine unendliche Menge daselbst erzogen, und der Pfau machte ein vorzügliches Gerichte auf den römischen Tafeln aus. Woher der Herr von B ü f f o n genommen hat, daß die Griechen keine Pfauen gegessen, weiß ich nicht; das Gegentheil hätte ihm eine Stelle aus dem Poeten A l e x i s beym A t h e n ä u s beweisen können. Indessen wäre doch, wenn es vor Alexandern keine Pfauen in Europa gegeben hätte, gewiß, daß Demokritus dem Priester Strobylus keinen gebrat-
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Bratspieß stecken, sagte Demokritus zu seiner Haushälterinn, und benachrichtige mich wenn er gahr ist. Des nämlichen Abends, als sich S t r o b y l u s zu Tische setzte, ward der gebratne Pfau in einer silbernen Schüssel, als ein Geschenk des Demokritus, aufgetragen. Als man ihn öffnete, siehe, da war er mit hundert goldnen D a r i k e n * ) gefüllt. Es muß doch nicht so gar übel mit dem Verstande des Mannes stehen, dachte Strobylus. Das Mittel wirkte unverzüglich, was es wirken sollte. Der Oberpriester ließ sich den Pfauen herrlich schmecken, trank griechischen Wein dazu, strich die hundert Dariken in seinen Beutel, und dankte der Latona für die Genugthu-
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ung, die sie ihren Fröschen verschafft hatte. „Wir haben alle unsre Fehler, sagte S t r o b y l u s des folgenden Tages in einer großen Gesellschaft. Demokritus ist zwar ein Philosoph; aber ich finde doch, daß er es so übel nicht meynt, als ihn seine Feinde beschuldigen. Die Welt ist schlimm; man hat wunderliche Dinge von ihm erzählt: aber ich denke gern das Beste von jedermann. Ich hoffe, sein Herz ist besser als sein Kopf! Es soll nicht gar zu richtig in dem letztern seyn; und ich glaub es selbst. Einem Menschen in solchen Umständen muß man viel zu gut halten. Ich bin gewiß, daß er der feinste Mann in ganz Abdera wäre, wenn ihm die Philosophie den Verstand nicht verdorben hätte!“
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S t r o b y l u s fieng durch diese Rede zwo Fliegen mit einer Klappe. Er entledigte sich seiner Verbindlichkeit gegen unsern Philosophen, da er von ihm als von einem guten Manne sprach; und machte sich ein Verdienst um den Rathsherrn Thrasyllus, indem er es auf Unkosten seines Verstandes that. Woraus zu ersehen ist, daß der Priester Strobylus, bey aller seiner Einfalt, oder Dummheit, (wenn man es so nennen will), ein schlauer Gast war.
nen Pfauen hätte schicken können; man müßte denn voraussetzen, daß dieser Naturforscher unter andern Seltenheiten auch Pfauen aus Indien mitgebracht hätte. Und warum sollte man dies nicht voraussetzen können? Im Nothfall könnten uns auch die alten samischen Münzen, auf denen man neben der Juno einen Pfau abgebildet sieht, aus der Schwierigkeit helfen — wenn es der Mühe werth wäre. *)
Eine persische Goldmünze, die von Cyaxares II. oder Darius aus Medien, nach der Erobe-
rung Babylons zuerst soll geschlagen worden seyn.
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Drittes Kapitel. Eine kleine Abschweifung in die Regierungszeit S c h a h B a h a m s d e s We i s e n . Charakter des Rathsherrn T h r a s y l l u s . Es giebt eine Art von Menschen, die man viele Jahre lang kennen und beobachten kann, ohne mit sich selbst einig zu werden, ob man sie in die Classe der s c h w a c h e n oder der b ö s e n Leute setzen soll. Kaum haben sie einen Streich gemacht, dessen kein Mensch von einiger Überlegung fähig zu seyn scheint, so überraschen sie uns durch eine so wohl ausgedachte Bosheit, daß wir, mit allem guten Willen von ihrem H e r z e n das Beste zu denken, uns in der Un10
möglichkeit befinden, die Schuld auf ihren K o p f zu legen. Gestern nahmen wir es für ausgemacht an, daß Herr Q u i d a m so schwach von Verstande sey, daß es Sünde wäre, ihm seine Ungereimtheiten zu Verbrechen zu machen; heute überführt uns der Augenschein, daß der Mann zu übelthätig ist, um ein bloßer Dummkopf zu seyn; wir sehen keinen Ausweg, ihn von der Schuld eines bösen Willens frey zu sprechen. Aber kaum haben wir hierüber unsre Parthey genommen: so sagt oder thut er etwas, das uns wieder in unsre vorige Hypothese zurückwirft, oder wenigstens in eine der unangenehmsten Seelenlagen, in die Verlegenheit setzt, nicht zu wissen, was wir von dem Manne denken, oder — wenn unser Unstern will, daß wir mit ihm zu thun haben müssen —
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was wir mit ihm anfangen wollen. Die geheime Geschichte von A g r a sagt, daß der berühmte S c h a h - B a h a m sich einsmals mit einem seiner O m r a h s in diesem Falle befunden habe. Der Omrah wurde beschuldigt, daß er Ungerechtigkeit ausgeübt habe. So soll er gehangen werden, sagte Schah-Baham. „Aber, Sire, (sagte man,) der arme K u r l i ist ein so schwacher Kopf, daß noch die Frage ist, ob er den Unterschied zwischen Recht und Link deutlich genug einsieht, um z u w i s s e n , wenn er eine Ungerechtigkeit begeht oder nicht.“ Wenn dies ist, (sagte Schah-Baham,) so schickt ihn ins Narrenhospital!
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„Gleichwohl, Sire, da er Verstands genug hat, einem Wagen mit Heu auszuweichen, und bey einem Pfeiler, an dem er sich den Kopf zerschnellen könnte, vorbeyzugehen, weil er wohl merkt, daß der Pfeiler nicht bey ihm vorbeygehen würde —“ Z w e y t e s B u c h . ¼…½ D r i t t e s K a p i t e l
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Merkt er das? rief der Sultan; beym Barte des Propheten! so sagt mir nichts weiter. Morgen soll man sehen, ob Justiz in Agra ist. „Indessen giebt es Leute, die Eur. Majestät versichern werden, daß der Omrah — seine Dummheit ausgenommen, die ihn zuweilen boshaft macht — der ehrlichste Mann von der Welt ist.“ „Um Vergebung! (fiel ein andrer von den Anwesenden Höflingen ein,) gerade das Gegentheil! Kurli hat alles, was noch gut an ihm ist, seiner Dummheit zu danken. Er würde zehnmal schlimmer seyn als er ist, wenn er Verstand genug hätte, um zu wissen wie ers anfangen soll.“ Wißt ihr auch, meine Freunde, daß in allem, was ihr mir da sagt, kein Men-
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schenverstand ist? versetzte Schah-Baham. Vergleicht euch mit euch selbst, wenn ich bitten darf! Kurli, spricht dieser, ist ein böser Mann, weil er d u m m ist — Nein, spricht jener, er ist dumm weil er boshaft ist — Gefehlt, spricht der dritte; er würde ein schlimmer Mann seyn, wenn er n i c h t s o d u m m w ä r e — Wie wollt ihr, daß unser einer aus diesem Galimathias klug werde? Da entscheide mir einmal jemand, was ich mit ihm anfangen soll! Denn entweder ist er zu boshaft fürs Narrenspital, oder zu dumm für den Galgen. „Dies ist es eben, sagte die Sultaninn D a r e j a n . Kurli ist zu dumm, um sehr boshaft zu seyn; und doch würde Kurli noch weniger boshaft seyn als er ist, wenn er weniger dumm wäre.“
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Der Henker hole den räthselhaften Kerl! rief S c h a h - B a h a m . Da sitzen wir und zerbrechen uns die Köpfe, um ausfindig zu machen, ob er ein Esel oder ein Schurke sey; und am Ende werdet ihr sehen, daß er Beydes ist. — Alles wohl überlegt, wißt ihr was ich thun will? Ich will ihn laufen lassen! Seine Bosheit und seine Dummheit werden einander schon die Wage halten. Er wird, i n s o f e r n e r n u r k e i n O m r a h i s t , weder durch diese noch jene großen Schaden thun. Die Welt ist weit; laß ihn laufen, I t i m a d d u l e t ! aber vorher soll er kommen, und sich bey der Sultaninn bedanken! Nur noch vor drey Minuten wollt ich ihm keine Feige um seinen Hals gegeben haben! Man hat lange nicht ausfindig machen können, w a r u m S c h a h - B a h a m den Beynamen des We i s e n in den Geschichtbüchern von Hindostan führt. Aber nach dieser Entscheidung kann es keine Frage mehr seyn. Alle sieben Weisen aus Griechenland hätten den Knoten nicht besser auflösen können, als ihn S c h a h - B a h a m — zerhieb. Der Rathsherr T h r a s y l l u s hatte das Unglück, einer von diesen (zum
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Glück der Welt) nicht so gar gewöhnlichen Menschen zu seyn, in deren Kopf und Herzen Dummheit und Bosheit, nach dem Ausdruck des Sultans, einander die Wage halten. Seine Anschläge auf das Vermögen des Demokritus waren nicht von gestern her. Er hatte darauf gezählt, daß sein Verwandter, nach einer so langen Abwesenheit, gar nicht wiederkommen würde; und auf diese Voraussetzung hatte er sich die Mühe gegeben, einen Plan zu machen, den die Wiederkunft des Philosophen auf eine sehr unangenehme Art vereitelte. Thrasyllus, dessen Einbildung schon daran gewöhnt war, das Erbgut des Demokritus für einen Theil seines eignen Vermögens anzusehen, konnte sich 10
nun nicht so leicht gewöhnen, anders zu denken. Er betrachtete also den Demokritus als einen Räuber, der ihm das Seinige vorenthielt. Aber unglücklicher Weise hatte dieser, der Räuber — die Gesetze auf seiner Seite. Der arme Thrasyllus durchsuchte alle Winkel in seinem Kopfe, ein Mittel gegen diesen ungünstigen Umstand zu finden; und suchte lange vergebens. Endlich glaubte er in der Lebensart des Philosophen einen Grund, auf den er bauen könnte, gefunden zu haben. Die Abderiten waren schon vorbereitet, dachte Thrasyllus; denn daß Demokritus ein Narr sey, war zu Abdera eine ausgemachte Sache. Es kam also nur noch darauf an, dem großen Rath l e g a l i t e r darzuthun, daß seine Narrheit von derjenigen Art sey, welche den
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damit Behafteten unfähig macht, sein eigner Herr zu seyn. Dies hatte nun einige Schwierigkeiten. Mit seinem eignen Verstande würde Thrasyllus schwerlich durchgekommen seyn! Aber in solchen Fällen finden seines gleichen für ihr Geld immer einen Spitzbuben, der ihnen seinen Kopf leiht; und dann ist es so viel, als ob sie selbst einen hätten.
Viertes Kapitel. Kurze, doch hinlängliche, Nachrichten von den abderitischen S y k o p h a n t e n . Ein Fragment aus der Rede, worin Thrasyllus um die Bevogtung seines Vettern ansuchte. Es gab damals zu Abdera eine Art von Leuten, die sich von der Kunst nährten, 30
s c h l i m m e H ä n d e l so zurechte zu machen, d a ß s i e w i e g u t a u s s a h e n . Sie gebrauchten dazu nur zween Hauptkunstgriffe: entweder s i e v e r f ä l s c h -
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t e n d a s F a c t u m , oder s i e v e r d r e h t e n d a s G e s e t z . Weil diese Lebensart sehr einträglich war, so legten sich nach und nach eine so große Menge von müßigen Leuten darauf, daß die Pfuscher zuletzt die Meister verdrangen. Die Profeßion verlor dadurch von ihrem Ansehen. Man nannte diejenigen, die sich damit abgaben, S y k o p h a n t e n , weil die meisten so arme Schelme waren, daß sie für eine F e i g e alles s a g t e n was man wollte. Indessen, da die Sykophanten wenigstens den zwanzigsten Theil der Einwohner von Abdera ausmachten, und die Leute gleichwohl nicht blos von Feigen leben konnten: so reichten die gewöhnlichen Gelegenheiten, wobey die Rechtshändel zu entstehen pflegen, nicht mehr zu. Die Vorfahren der Syko-
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phanten hatten gewartet, bis man sie um ihren Beystand ansprach. Aber bey dieser Methode hätten die neuern Sykophanten hungern oder graben müssen! Denn zu betteln war in Abdera nicht erlaubt; welches (im Vorbeygehen zu sagen) das einzige war, was die Fremden an der abderitischen Polizey zu loben fanden. Nun waren die Sykophanten zum Graben zu faul; folglich blieb den meisten kein ander Mittel übrig, als — die Händel, die sie führen wollten, selbst zu machen. Weil die Abderiten Leute von sehr hitziger Gemüthsart und von geringer Besonnenheit waren, so fehlt’ es dazu nie an Gelegenheit. Jede Kleinigkeit gab also einen Handel; jeder Abderite hatte seinen Sykophanten; und so wurde
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wieder eine Art von Gleichgewicht hergestellt, wodurch sich die Profeßion um so mehr in Ansehen erhielt, weil die Nacheiferung große Talente entwikkelte. Abdera gewann dadurch den Ruhm, daß die Kunst Facta zu verfälschen und Gesetze zu verdrehen in Athen selbst nicht so hoch gebracht worden sey; und dieser Ruhm wurde in der Folge dem Staat einträglich. Denn wer einen ungewöhnlich schlimmen Handel von einiger Wichtigkeit hatte, verschrieb sich einen abderitischen Sykophanten; und es müßte nicht natürlich zugegangen seyn, wenn der Sykophant eher von einem solchen Clienten abgelassen hätte, bis nichts mehr an ihm zu saugen übrig war. Doch dies war noch nicht der größte Vortheil, den die Abderiten von ihren Sykophanten zogen. Was diese Leute in ihren Augen am vorzüglichsten machte, war — die Bequemlichkeit, eine jede Schelmerey ausführen zu können, ohne sich selbst dabey bemühen zu müssen, oder sich mit der Justiz abzuwerfen. Man brauchte die Sache nur einem Sykophanten zu übergeben, so konnte
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man, gewöhnlicher Weise, des Ausgangs wegen ruhig seyn. Ich sage gewöhnlicher Weise; denn freylich gab es, mitunter, auch Fälle, wo der Sykophant, nachdem er sich erst von seinem Clienten wohl hatte bezahlen lassen, gleichwohl heimlich dem Gegentheil zu seinem Rechte verhalf; aber dies geschah auch niemals, als wenn dieser wenigstens zween Drittel mehr gab als der Client. Übrigens konnte man nichts erbaulichers sehen als das gute Vernehmen, worin zu Abdera die Sykophanten mit den M a g i s t r a t s p e r s o n e n stunden. Die einzigen, die sich übel bey dieser Eintracht befanden, waren — d i e C l i 10
e n t e n . Bey allen andern Unternehmungen, so gefährlich und gewagt sie auch immer seyn mögen, bleibt doch wenigstens eine M ö g l i c h k e i t , mit ganzer Haut davon zu kommen. Aber ein abderitischer Client war immer gewiß, um sein Geld zu kommen, er mochte seinen Handel gewinnen oder verlieren. Nun rechteten die Leute zwar darum weder mehr noch weniger; allein ihre Justiz kam dabey in einen Ruf, gegen welchen nur Abderiten gleichgültig seyn konnten. Denn es wurde zu einem Sprüchwort in Griechenland, demjenigen, dem man das Ärgste an den Hals wünschen wollte, e i n e n P r o ceß in Abdera zu wünschen. Aber, beynahe hätten wir über den Sykophanten vergessen, daß die Rede
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von den Absichten des Rathsherrn Thrasyllus auf das Vermögen unsers Philosophen, und von den Mitteln war, wodurch er seinen vorhabenden Raub unter dem Schutze der Gesetze zu begehen versuchen wollte. Um den geneigten Leser mit keiner langweiligen Umständlichkeit aufzuhalten, begnügen wir uns zu sagen, daß Thrasyllus die Sache seinem Sykophanten auftrug. Es war einer von den geschicktesten in ganz Abdera; ein Mann, der die gemeinen Kunstgriffe seiner Mitbrüder verachtete, und sich viel darauf zu gut that, daß er, seitdem er sein edles Handwerk trieb, ein paar hundert schlimme Händel gewonnen hatte, ohne jemals eine einzige d i r e c t e L ü g e zu sagen. Er steifte sich auf lauter u n l ä u g b a r e F a c t a ; aber seine
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Stärke lag in der Z u s a m m e n s e t z u n g und im H e l l d u n k e l n . Demokritus hätte in keine bessern Hände fallen können. Wir bedauren nur, daß wir, weil die Acten des ganzen Processes längst von Mäusen gefressen worden, außer Stande sind, jungen neuangehenden Sykophanten zum Besten, die Rede vollständig mitzutheilen, worin dieser Meister in der Kunst dem großen Rathe zu Abdera bewies: daß Demokritus seines Vermögens entsetzt werden
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müsse. Alles, was von dieser Rede übrig geblieben, ist ein kleines Fragment, welches uns merkwürdig genug scheint, um, zur Probe, wie diese Herren eine Sache zu wenden pflegten, ein paar Blätter in dieser Geschichte einzunehmen. „Die größten, die gefährlichsten, die unerträglichsten aller Narren (sagte er) sind d i e r a i s o n n i r e n d e n Narren. Ohne weniger Narren zu seyn als andre, verbergen sie dem undenkenden Haufen die Zerrüttung ihres Kopfes durch die Fertigkeit ihrer Zunge, und werden für weise gehalten, weil sie z u s a m m e n h a n g e n d e r r a s e n als ihre Mitbrüder im Tollhause. Ein u n g e l e h r t e r Narr ist verloren, so bald es so weit mit ihm gekommen ist, d a ß
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e r U n s i n n s p r i c h t . Bey dem gelehrten Narren hingegen sehen wir gerade das Widerspiel. Sein Glück ist gemacht und sein Ruhm befestiget, so bald er Unsinn zu reden oder zu schreiben anfängt. Denn die meisten, wiewohl sie sich ganz eigentlich bewußt sind, d a ß s i e n i c h t s d a v o n v e r s t e h e n , sind entweder zu m i ß t r a u i s c h gegen ihren eigenen Verstand, um gewahr zu werden, daß die Schuld nicht an ihnen liegt; oder zu d u m m , um es zu merken, und also zu eitel, um zu gestehen, daß sie nichts verstanden haben. Je mehr also der gelehrte Narr Unsinn spricht, desto lauter schreyen die dummen Narren über Wunder; desto emsiger verdrehen sie sich die Köpfe, um Sinn in dem hochtönenden Unsinn zu finden. Jener, gleich einem durch den
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öffentlichen Beyfall angefrischten Luftspringer, thut immer desto verwegnere Sätze, je mehr ihm zugeklatscht wird. Diese klatschen immer stärker, um den gelehrten Gaukler noch größere Wunder thun zu sehen. Und so geschieht es oft, daß der Schwindelgeist eines Einzigen ein ganzes Volk ergreift; und daß, so lange die Mode des Unsinns dauert, dem nämlichen Manne Altäre aufgerichtet werden, den man zu einer andern Zeit, ohne viele Umstände mit ihm zu machen, in einem Hospital versorgt haben würde. Glücklicher Weise für unsere gute Stadt Abdera ist es so weit mit uns noch nicht gekommen. Wir erkennen und bekennen alle aus einem Munde, daß Demokritus ein Sonderling, ein Phantast, ein Grillenfänger ist. Aber wir begnügen uns über ihn zu lachen; und dies ist es eben, worinn wir fehlen. Itzt lachen wir über ihn; aber wie lange wird es währen, so werden wir anfangen, etwas Außerordentliches in seiner Narrheit zu finden? Vom Erstaunen zum Bewundern ist nur ein Schritt; und haben wir diesen erst gethan — Götter! wer wird uns sagen können, wo wir aufhören werden? — Demokritus ist ein Phantast,
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sprechen wir itzt und lachen. Aber was für ein Phantast ist Demokritus? ein eingebildeter starker Geist; ein Spötter unsrer uralten Gebräuche und Einrichtungen; ein Müßiggänger, dessen Beschäftigungen dem Staate nicht mehr Nutzen bringen, als wenn er gar nichts thäte; ein Mann, der Katzen zergliedert, der die Sprache der Vögel versteht, und den Stein der Weisen sucht; ein Nekromant, ein Schmetterlingsjäger, ein Sterngucker! — Und wir können noch zweifeln, ob er e i n e d u n k l e K a m m e r verdient? Was würde aus Abdera werden, wenn seine Narrheit endlich ansteckend würde? Wollen wir lieber die Folgen eines so großen Übels erwarten, als das einzige Mittel 10
vorkehren, wodurch wir es verhüten könnten? Zu unserm Glücke geben die Gesetze dieses Mittel an die Hand. Es ist einfach; es ist rechtmäßig; es ist unfehlbar. Ein dunkles Kämmerchen, Hochweise Väter, ein dunkles Kämmerchen! So sind wir auf einmal außer Gefahr, und Demokritus mag rasen so viel ihm beliebt. Aber, sagen seine Freunde — denn so weit ist es schon mit uns gekommen, daß ein Mann, den wir alle für unsinnig halten, Freunde unter uns hat — Aber, sagen sie, wo sind die Beweise, daß seine Narrheit schon zu jenem Grade gestiegen ist, den die Gesetze zu einem dunkeln Kämmerchen erfodern? — Wahrhaftig! wenn wir, nach allem was wir schon wissen, noch Beweise fodern:
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so wird er glühende Kohlen für Goldstücke ansehen, oder die Sonne am Mittag mit einer Laterne suchen müssen, wenn wir überzeugt werden sollen. Hat er nicht behauptet, daß die Liebesgöttinn in Äthiopien schwarz sey? Hat er unsre Weiber nicht bereden wollen, nackend zu gehen wie die Weiber der Gymnosophisten? Versicherte er nicht neulich in einer großen Gesellschaft, die Sonne stehe still, die Erde überwälze sich dreyhundert und fünf und sechzigmal des Jahrs durch den Thierkreis; und die Ursache, warum wir nicht ins Leere hinausfallen, sey, weil mitten in der Erde ein großer Magnet liege, der uns, gleich eben so viel Feilspänen, anziehe, wiewohl wir nicht von Eisen sind? Doch, ich will gerne zugeben, daß dies alles Kleinigkeiten sind. Man kann
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närrische Dinge r e d e n , und k l u g e t h u n . Wollte Latona, daß der Philosoph sich in diesem Falle befände! Aber (mir ist leid, daß ich es sagen muß) seine Handlungen setzen einen so ungewöhnlichen Grad von Wahnwitz voraus, daß alle Niesewurz in der Welt zu wenig seyn würde, das Gehirn zu reinigen, worinn sie ausgeheckt werden. Um die Geduld des erlauchten Senats nicht zu ermüden, will ich aus unzähligen Beyspielen nur zwey anführen, deren Ge-
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wißheit gerichtlich erwiesen werden kann, falls sie ihrer Unglaublichkeit wegen in Zweifel gezogen werden sollten. Vor einiger Zeit wurden unserm Philosophen Feigen vorgesetzt, die, wie es ihm däuchte, einen ganz besondern Honiggeschmack hatten. Die Sache schien ihm von Wichtigkeit zu seyn. Er stund vom Tisch auf, gieng in den Garten, ließ sich den Baum zeigen, von welchem die Feigen gelesen worden waren, untersuchte den Baum von unten bis oben, ließ ihn bis an die Wurzeln aufgraben, erforschte die Erde, worinn er stund, und (wie ich nicht zweifle) auch die Constellation, in der er gepflanzt worden war. Kurz, er zerbrach sich etliche Tage lang den Kopf darüber, wie und welchergestalt die Atomen sich
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mit einander vergleichen müßten, wenn eine Feige nach Honig schmecken sollte. Er ersann eine Hypothese, verwarf sie wieder; fand eine andre, dann die dritte und vierte; und verwarf alle wieder, weil ihm keine scharfsinnig und gelehrt genug zu seyn schien. Die Sache lag ihm so sehr am Herzen, daß er Schlaf und Essenslust darüber verlor. Endlich erbarmte sich seine Köchinn über ihn. Herr, sagte die Köchinn, wenn Sie nicht so gelehrt wären, so hätte Ihnen wohl längst einfallen müssen, warum die Feigen nach Honig schmeckten. — Und warum denn? fragte Demokritus. — Ich legte sie, um sie frischer zu erhalten, in einen Topf, worinn Honig gewesen war, sagte die Köchinn; dies ist das ganze Geheimniß, und da ist weiter nichts zu untersuchen, dächt’
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ich — Du bist ein dummes Thier, rief der mondsüchtige Philosoph. Eine feine Erklärung, die du mir da giebst! Für Geschöpfe deines gleichen mag sie vielleicht gut genug seyn; aber meynst du, daß wir andern uns mit so einfältigen Erklärungen befriedigen lassen? Gesetzt, die Sache verhielte sich wie du sagst; was geht das mich an? Dein Honigtopf soll mich warlich nicht abhalten, nachzuforschen, wie die nämliche Naturbegebenheit auch o h n e H o n i g t o p f hätte erfolgen können. Und so fuhr der weise Mann fort, der Vernunft und seiner Köchinn zu Trotz, eine Ursache, die nicht tiefer als in einem Honigtopfe lag, i n d e n u n e r g r ü n d l i c h e n B r u n n e n z u s u c h e n , w o r i n n (seinem Vorgeben nach) d i e Wa h r h e i t v e r b o r g e n l i e g t ; bis eine andre Grille, die seiner Phantasie in den Wurf kam, ihn zu ändern vielleicht noch ungereimteren Nachforschungen verleitete. Doch, so lächerlich diese Anekdote ist, so ist sie doch nichts gegen die Probe von Klugheit, die er ablegte, als im abgewichenen Jahre die Oliven in Thracien und allen angrenzenden Gegenden mißgerathen waren. Demokritus hatte das
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Jahr zuvor (ich weiß nicht, ob durch Punctation oder andre magische Künste) herausgebracht: daß die Oliven, die damals sehr wohlfeil waren, im folgenden Jahre gänzlich fehlen würden. Ein solches Vorwissen würde hinlänglich seyn, das Glück eines v e r n ü n f t i g e n M a n n e s auf seine ganze Lebenszeit zu machen. Auch hatte es Anfangs das Ansehen, als ob Demokritus diese Gelegenheit nicht entwischen lassen wollte; denn er kaufte alles Öl im ganzen Lande zusammen. Ein Jahr darauf stieg der Preis des Öls, theils des Mißwachses wegen, theils weil aller Vorrath in des Demokritus Händen war, viermal so hoch als es ihn gekostet hatte. Nun gebe ich allen Leuten, welche wissen, daß 10
Viere viermal mehr als Eins sind, zu errathen, was der Mann that? — Können Sie sich vorstellen, daß er unsinnig genug war, seinen Verkäufern ihr Öl um den nämlichen Preis, wie er es von ihnen erhandelt hatte, zurückzugeben? *) Wir wissen auch, wie weit die Großmuth bey einem Menschen, der seiner Sinne mächtig ist, gehen kann. Aber diese That lag so weit außer den Grenzen der Glaubwürdigkeit, daß die Leute, die dabey gewannen, selbst die Köpfe schüttelten, und gegen den Verstand des Mannes, der einen Haufen Gold für einen Haufen Nußschalen ansah, Zweifel bekamen, die, zum Unglück für seine Erben, nur zu wohl gegründet waren.“
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Wie ungleich sich doch das nämliche F a c t u m erzählen läßt! Von eben dieser That, die
unser Sykophant für den vollständigsten Beweis eines verrückten Gehirnes hält, spricht P l i n i u s als von einer höchst edeln und der Philosophie Ehre machenden Handlung. Demokritus war viel zu gutherzig, um sich auf Unkosten andrer, die nicht so viel entbehren konnten wie er, bereichern zu wollen. Ihre ängstliche Unruhe und Verzweiflung, einen so großen Gewinnst verfehlt zu haben, rührte ihn; er gab ihnen ihr Öl, oder das daraus gelöste Geld zurück, und begnügte sich, den Abderiten gezeigt zu haben, daß es nur von ihm abhange, Reichthümer zu erwerben, wenn er es für der Mühe werth hielte. In diesem Lichte sieht P l i n i u s die Sache an; und in der That muß man ein Abderite, ein Sykophant, und ein Schurke zugleich seyn, um so wie unser Sykophant davon zu sprechen.
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Fünftes Kapitel. Die Sache wird auf ein medicinisches Gutachten ausgestellt. Der Senat läßt ein Schreiben an den Hippokrates abgehen. Der Arzt kommt in Abdera an, erscheint vor Rath, wird vom Rathsherrn Thrasyllus zu einem Gastgebot gebeten, und hat — Langeweile. Ein Beyspiel, daß ein Beutel voll Dariken nicht bey allen Leuten anschlägt. So weit geht das Fragment; und wenn man von einem so kleinen Theile auf das Ganze schließen könnte: so hätte der Sykophant allerdings mehr als einen Korb voll Feigen von dem Rathsherrn T h r a s y l l u s verdient. Seine Schuld
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war es wenigstens nicht, wenn der hohe Senat von Abdera unsern Philosophen nicht zu einem dunkeln Kämmerchen verurtheilte. Aber Thrasyllus hatte Mißgönner im Senate; und M e i s t e r P f r i e m e , der inzwischen Zunftmeister worden war, behauptete mit großem Eifer: daß es wider die Freyheit von Abdera laufen würde, einen Bürger für wahnwitzig zu erklären, eh’ er von einem unpartheyischen Arzte so befunden worden sey. „Wohl, rief Thrasyllus, meinetwegen kann man den H i p p o k r a t e s s e l b s t über die Sache sprechen lassen! Ich bins wohl zufrieden.“ Sagten wir nicht oben, daß die Dummheit des Rathsherrn Thrasyllus seiner Bosheit die Wage gehalten habe? — Es war ein dummer Streich von ihm, sich
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in einer so mißlichen Sache auf den H i p p o k r a t e s zu berufen. Aber freylich fiel es ihm auch nicht ein, daß man ihn beym Worte nehmen würde. Hippokrates, sagte der A r c h o n , ist allerdings der Mann, der uns am besten aus diesem bedenklichen Handel ziehen könnte. Zu gutem Glück befindet er sich eben zu Thasos; vielleicht läßt er sich bewegen, zu uns herüber zu kommen, wenn wir ihn im Namen der Republik einladen lassen. Thrasyllus entfärbte sich ein wenig, da er hörte, daß man Ernst aus der Sache machen wollte. Aber die Mehrheit der Stimmen fiel dem Archon bey. Man schickte unverzüglich einen Deputirten mit einem Einladungsschreiben *) an *)
Es befindet sich noch etwas unter dieser Rubrik in den Ausgaben der Werke des Hippo-
krates. Es ist aber ohne allen Zweifel untergeschoben, und die Arbeit irgend eines schaalen G r ä -
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den Arzt ab, und brachte den Rest der Seßion damit zu, sich über die E h r e n b e z e u g u n g e n zu berathschlagen, womit man ihn empfangen wollte. „ D i e ß w a r d o c h s o a b d e r i t i s c h n i c h t “ — werden die Ärzte denken, die sich vielleicht unter unsern Lesern befinden. Aber wo sagten wir denn, daß die Abderiten gar nichts gethan hätten, was auch einem vernünftigen Volke anständig seyn würde? Indessen lag doch der wahre Grund, warum sie dem Hippokrates so viel Ehre erweisen wollten, keinesweges in der Hochachtung, die sie für ihn empfanden; sondern lediglich in der Eitelkeit, für Leute gehalten zu werden, die einen großen Mann zu schätzen wüßten. Und überdieß, 10
merkten wir nicht schon bey einer andern Gelegenheit an, daß sie von je her außerordentliche Liebhaber von Feyerlichkeiten gewesen? Die Abgeordneten hatten Befehl, dem Hippokrates nichts weiter zu sagen, als daß der Senat von Abdera seiner Gegenwart und seines Ausspruchs in einer sehr wichtigen Angelegenheit vonnöthen habe; und Hippokrates konnte sich, mit aller seiner Philosophie, nicht einbilden, was für eine wichtige Sache dies seyn könnte. Denn wozu (dacht’ er) haben sie nöthig, ein Geheimniß daraus zu machen? Der Senat von Abdera kann doch schwerlich i n C o r p o r e mit einer Krankheit befallen seyn, die man nicht gerne kund werden läßt? Indessen entschloß er sich um so williger zu dieser Reise, weil er schon
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lange gewünscht hatte, unsern Philosophen persönlich kennen zu lernen. Aber wie groß war sein Erstaunen, da ihm — nachdem er mit großem Gepränge eingeholt, und vor den versammelten Rath geführt worden war, — von dem regierenden A r c h o n in einer wohlgesetzten Rede zu wissen gemacht wurde: „daß man ihn bloß darum nach Abdera berufen habe, um die Wahnsinnigkeit ihres Mitbürgers Demokritus zu untersuchen, und gutächtlich zu berichten, ob ihm noch geholfen werden könne, oder ob es nicht schon so weit mit ihm gekommen sey, daß man ihn ohne Bedenken für bürgerlich todt erklären könne?“ — Dies muß ein andrer Demokritus seyn, dachte der Arzt Anfangs. Aber die
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Herren von Abdera ließen ihn nicht lange in Zweifel. Gut, gut, sprach er bey sich selbst: bin ich nicht in Abdera? Wie man auch so was vergessen kann! Hippokrates ließ ihnen nichts von seinem Erstaunen merken. Er begnügte c u l u s späterer Zeiten; so wie die ganze Erzählung von der Zusammenkunft dieses Arztes mit dem Demokritus in einem der unächten Briefe, die den Namen des erstern führen.
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sich, den Senat und das Volk von Abdera zu loben, daß sie eine so große Empfindung von dem Werth eines Mitbürgers, wie Demokritus, hätten, um seine Gesundheit als eine Sache, woran dem gemeinen Wesen gelegen sey, anzusehen. „Wahnwitz (sagte er mit großer Ernsthaftigkeit) ist ein Punkt, worinn die größten Geister und die größten Schöpse zuweilen zusammentreffen. Wir wollen sehen!“ Thrasyllus lud den Arzt zur Tafel ein, und hatte die Höflichkeit, ihm die feinsten Herren und die schönsten Frauen in der Stadt zur Gesellschaft zu geben. Aber Hippokrates, der ein kurzes Gesicht und keine Lorgnette *) hatte, wurde nicht gewahr, daß die Damen s c h ö n waren; und so kam es denn (ohne
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Schuld der guten Geschöpfe, die sich, zum Überfluß, in die Wette herausgeputzt hatten), daß sie nicht völlig den Eindruck auf ihn machten, den sie sich sonst versprechen konnten. Es war wirklich Schade, daß er nicht besser sah. Für einen Mann von Verstande ist der Anblick einer schönen Frau allemal etwas sehr unterhaltendes. Und wofern die schöne Frau etwas dummes sagt, (welches den schönen Frauen zuweilen so gut begegnen soll als den häßlichen,) macht es einen merklichen Unterschied, ob man sie nur h ö r t , oder ob man sie zugleich s i e h t . Denn im letzten Falle ist man immer geneigt, alles, was sie sagen kann, vernünftig, oder artig, oder wenigstens erträglich zu finden. Da die Abderitinnen diesen Vortheil bey dem kurzsichtigen Fremden verloren; da
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er genöthiget war, von ihrer Schönheit durch den Eindruck, den sie auf seine O h r e n machten, zu urtheilen: so war freylich nichts natürlicher, als daß der Begriff, den er dadurch von ihnen bekam, demjenigen ziemlich ähnlich war, den sich ein Ta u b e r mittelst eines Paars gesunder A u g e n von einem C o n c e r t e machen würde. — „Wer ist die Dame, die itzt mit dem witzigen Herrn sprach?“ fragte er den Thrasyllus leise. — Man nannte ihm die Gemahlinn eines Matadors der Republik. — Er betrachtete sie nun mit neuer Aufmerksamkeit. Verzweifelt! (dacht er bey sich selbst,) daß ich mir die verwünschte A u s t e r f r a u nicht aus dem Kopfe bringen kann, die ich neulich vor meinem Hause zu Larissa mit einem molossischen Eseltreiber scherzen hörte. T h r a s y l l u s hatte geheime Absichten auf unsern Äskulap. Seine Tafel war *)
Denen, welche sich etwan hierüber verwundern möchten, dienet zur Nachricht, daß die
Lorgnetten damals noch nicht erfunden waren.
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gut, sein Wein verführerisch, und zum Überfluß ließ er milesische Tänzerinnen kommen. Aber Hippokrates aß wenig, trank Wasser, und hatte in Aspasiens Hause zu Athen weit schönere Tänzerinnen gesehen. Es wollte alles nichts verfangen. Dem weisen Manne begegnete etwas, das ihm vielleicht in vielen Jahren nicht begegnet war: e r h a t t e L a n g e w e i l e , und es schien ihm nicht der Mühe werth, es den Abderiten zu verbergen. Die Abderitinnen b e m e r k t e n a l s o , ohne großen Aufwand von Beobachtungskraft, was er ihnen deutlich genug sehen ließ; und natürlicher Weise waren die Glossen, so sie darüber machten, nicht zu seinem Vortheil. Er soll 10
sehr gelehrt seyn, flisterten sie einander zu. Schade, daß er nicht mehr Welt hat! — Was ich gewiß weiß, ist dies, daß mir der Einfall nie kommen wird, ihm zu Liebe krank zu werden, sagte die schöne T h r y a l l i s . T h r a s y l l u s machte inzwischen Betrachtungen von einer andern Art. So ein großer Mann dieser Hippokrates seyn mag, dacht’ er, so muß er doch seine schwache Seite haben. Aus den Ehrenbezeugungen, womit ihn der Senat überhäufte, schien er sich nicht viel zu machen. Das Vergnügen liebt er auch nicht. Aber ich wette, daß ihm ein Beutel voll neuer funkelnder Dariken diese sauertöpfische Miene vertreiben soll! So bald die Tafel aufgehoben war, schritt Thrasyllus zum Werke. Er nahm
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den Arzt auf die Seite, und bemühte sich (unter Bezeugung des großen Antheils, den er an dem unglücklichen Zustande seines Verwandten nehme,) ihn zu überzeugen: daß die Zerrüttung seines Gehirns eine so kundbare und ausgemachte Sache sey, daß nichts, als die Pflicht, allen Formalitäten der Gesetze genug zu thun, den Senat bewogen habe, eine Thatsache, woran niemand zweifle, noch zum Überfluß durch den Ausspruch eines auswärtigen Arztes bestätigen zu lassen. „Da man Sie aber gleichwohl in die Mühe gesetzt hat, eine Reise zu uns zu thun, die Sie vermuthlich ohne diese Veranlassung nicht unternommen haben würden: so ist nichts billiger, als daß derjenige, den die Sache am nächsten angeht, Sie wegen des Verlustes, den Sie durch Verabsäu-
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mung Ihrer Geschäfte dabey erleiden, in etwas schadlos halte. Nehmen Sie diese Kleinigkeit als ein Unterpfand einer Dankbarkeit an, von welcher ich Ihnen stärkere Beweise zu geben hoffe —“ Ein ziemlich runder Beutel, den Thrasyllus bey diesen Worten dem Arzt in die Hand drückte, brachte diesen aus der Zerstreuung zurück, womit er die Rede des Rathsherrn angehört hatte. „Was wollen Sie, daß ich mit diesem
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Beutel machen soll?“ fragte Hippokrates mit einem Phlegma, welches den Abderiten völlig aus der Fassung setzte — „Sie wollten ihn vermuthlich Ihrem Haushofmeister geben. Sind Ihnen solche Zerstreuungen gewöhnlich? Wenn dies wäre, so wollt’ ich Ihnen rathen, Ihrem Arzte davon zu sagen — Aber Sie erinnerten mich vorhin an die Ursach, warum ich hier bin. Ich danke Ihnen dafür. Mein Aufenthalt kann nur sehr kurz seyn; und ich darf den Besuch nicht länger aufschieben, den ich, wie Sie wissen, dem Demokritus schuldig bin.“ Mit diesen Worten machte der Äskulap seine Verbeugung, und verschwand. Der Rathmann hatte in seinem Leben nie so dumm ausgesehen, als in die-
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sem Augenblick. — Wie hätte sich aber auch ein abderitischer Rathsherr einfallen lassen sollen, daß ihm so etwas begegnen könnte? Dies sind doch keine Zufälle, auf die man sich gefaßt hält!
Sechstes Kapitel. Hippokrates legt einen Besuch beym Demokritus ab. Geheimnachrichten von dem uralten Orden der Kosmopoliten. Hippokrates traf, wie die Geschichte sagt, unsern Naturforscher bey der Zergliederung verschiedener Thiere an, deren innerlichen Bau und animalische Ökonomie er untersuchen wollte, um vielleicht auf die Ursachen gewisser
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Verschiedenheiten in ihren Eigenschaften und Neigungen zu kommen. Diese Beschäftigung bot ihnen reichen Stoff zu einer Unterredung an, welche den Demokritus nicht lang über die Person des Fremden ungewiß ließ. Ihr gegenseitiges Vergnügen über eine so unvermuthete Zusammenkunft war der Größe ihres beyderseitigen Werthes gleich, aber auf Demokrits Seite um so viel lebhafter, je länger er in seiner Abgeschiedenheit von der Welt des Umgangs mit einem Wesen seiner Art hatte entbehren müssen. Es giebt eine Art von Sterblichen, deren schon von den Alten hier und da unter dem Namen der K o s m o p o l i t e n Erwähnung gethan wird, und die – ohne Verabredung, ohne Ordenszeichen, ohne Loge zu halten, und ohne durch Eidschwüre gefesselt zu seyn — eine Art von B r ü d e r s c h a f t ausmachen,
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welche fester zusammenhängt als irgend ein anderer Orden in der Welt. Zween Kosmopoliten kommen, der eine von Osten, der andere von Westen, sehen einander zum erstenmale, und sind Freunde — nicht vermöge einer geheimen Sympathie, die vielleicht nur in Romanen zu finden ist; — nicht, weil beschworne Pflichten sie dazu verbinden — sondern, w e i l s i e K o s m o p o l i t e n s i n d . In jedem andern Orden giebt es auch falsche oder wenigstens unwürdige Brüder; in dem Orden der Kosmopoliten ist dies eine Unmöglichkeit, und dies ist, däucht uns, kein geringer Vorzug der K o s m o p o l i t e n vor allen andern Gesellschaften, Gemeinheiten, Innungen, Orden und Brüder10
schaften in der Welt. Denn wo ist eine von allen diesen, welche sich rühmen könnte, daß sich niemals kein Ehrsüchtiger, kein Neidischer, kein Geiziger, kein Wucherer, kein Verläumder, kein Prahler, kein Heuchler, kein Zweyzüngiger, kein heimlicher Ankläger, kein Undankbarer, kein Kuppler, kein Schmeichler, kein Schmarozer, kein Sklave, kein Mensch ohne Kopf oder ohne Herz, kein Pedant, kein Mückensäuger, kein Verfolger, kein falscher Prophet, kein Heuchler, kein Gaukler, kein Plusmacher und kein Hofnarr in ihrem Mittel befunden habe? Die K o s m o p o l i t e n sind die einzigen, die sich dessen rühmen können. Ihre Gesellschaft hat nicht vonnöthen, durch geheimnißvolle Ceremonien und abschreckende Gebräuche, wie ehmals die ägyptischen
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Priester, die Unreinen von sich auszuschließen. Diese schließen sich selbst aus; und man kann eben so wenig ein Kosmopolit s c h e i n e n , wenn man es nicht i s t , als man sich ohne Talent für einen guten Sänger oder Geiger ausgeben kann. Der Betrug würde an den Tag kommen, so bald man sich hören lassen müßte. Die Art, wie die Kosmopoliten denken, ihre Grundsätze, ihre Gesinnungen, ihre Sprache, ihr Phlegma, ihre Wärme, sogar ihre Launen, Schwachheiten und Fehler, l a s s e n s i c h u n m ö g l i c h n a c h m a c h e n , weil sie für alle, die nicht zu ihrem Orden gehören, ein wahres Geheimniß sind. Nicht ein Geheimniß, das von der Verschwiegenheit der Mitglieder, oder von ihrer Vorsichtigkeit, nicht behorcht zu werden, abhängt; sondern ein Geheim-
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niß, auf welches die Natur selbst ihren Schleyer gedeckt hat. Denn die Kosmopoliten könnten es ohne Bedenken bey Trompetenschall durch die ganze Welt auskündigen lassen; sie dürften sicher darauf rechnen, daß außer ihnen selbst kein Mensch etwas davon begreifen würde. Bey dieser Bewandtniß der Sache ist nichts natürlicher, als das innige Einverständniß, und das gegenseitige Zutrauen, das sich unter zween Kosmopoliten sogleich in der ersten Stun-
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de ihrer Bekanntschaft festsetzt. P y l a d e s und O r e s t e s waren, nach einer zwanzigjährigen Dauer ihrer durch alle Arten von Prüfungen und Opfern bewährten Freundschaft, nicht mehr Freunde, als es jene von dem Augenblick an, da sie einander erkennen, sind. Ihre Freundschaft hat nicht vonnöthen, durch die Zeit zur Reife gebracht zu werden; sie bedarf keiner Prüfungen; sie gründet sich auf das nothwendigste aller Naturgesetze, auf die Nothwendigkeit, uns selbst in demjenigen zu lieben, der uns am ähnlichsten ist. Man würde etwas, wo nicht unmögliches, doch gewiß ungereimtes, von uns verlangen, wenn man erwartete, daß wir uns über das Geheimniß der Kosmopoliten deutlicher herauslassen sollten. Denn es gehört (wie wir deutlich
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genug zu vernehmen gegeben haben,) zur Natur der Sache, daß alles, was man davon sagen kann, ein Räthsel ist, wozu nur die Glieder dieses Ordens den Schlüssel haben. Das einzige, was wir noch hinzusetzen können, ist, daß ihre Anzahl zu allen Zeiten sehr klein gewesen, und daß sie, ungeachtet der U n s i c h t b a r k e i t ihrer Gesellschaft, einen Einfluß in die Dinge dieser Welt haben, dessen Wirkungen desto gewisser und dauerhafter sind, weil sie kein Geräusch machen, und meistens durch Mittel erzielt werden, deren s c h e i n b a r e Direction die Augen der Menge irre macht. Wem dies ein neues Räthsel ist — den ersuchen wir lieber fortzulesen, als sich mit einer Sache, die ihn so wenig angeht, ohne Noth den Kopf zu zerbrechen.
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D e m o k r i t u s und H i p p o k r a t e s gehörten beyde zu dieser wunderbaren und seltnen Art von Menschen. Sie waren also schon lange, wiewohl unbekannter Weise, die vertrautesten Freunde gewesen; und ihre Zusammenkunft glich vielmehr dem Wiedersehen nach einer langen Trennung, als einer neuangehenden Verbindung. Ihre Gespräche, nach welchen der Leser vielleicht begierig ist, waren vermuthlich interessant genug, um der Mittheilung werth zu seyn. Aber sie würden uns zu weit von den Abderiten entfernen, die der eigentliche Gegenstand dieser Geschichte sind. Alles, was wir davon zu sagen haben, ist: daß unsre Kosmopoliten den ganzen Abend und den größten Theil der Nacht in einer Unterredung zubrachten, wobey ihnen die Zeit sehr kurz wurde, und daß sie ihrer G e g e n f ü ß l e r , der Abderiten, und ihres Senats, und der Ursache, warum sie den Hippokrates hatten kommen lassen, so gänzlich darüber vergaßen, als ob niemals so ein Ort und solche Leute in der Welt gewesen wären. Erst des folgenden Morgens, da sie, nach einem leichten Schlaf von wenigen
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Stunden, wieder zusammenkamen, um auf einer an die Gärten des Demokritus gränzenden Anhöhe der Morgenluft zu genießen, erinnerte der Anblick der unter ihnen im Sonnenglanz liegenden Stadt den Hippokrates, daß er in Abdera Geschäfte habe. „Kannst du wohl errathen, sagte er zu seinem Freunde, zu welchem Ende mich die Abderiten eingeladen haben?“ — Die Abderiten haben dich eingeladen? rief Demokritus. Ich hörte doch, diese Zeit her, von keiner Seuche, die unter ihnen wüte! Es ist zwar eine gewisse Erbkrankheit, mit der sie alle sammt und sonders, bis auf sehr wenige, von alten Zeiten her behaftet sind; aber — 10
„Getroffen, getroffen, guter Demokritus! dies ist die Sache!“ — Du scherzest, erwiederte Demokritus; die Abderiten sollten zum Gefühl, w o e s i h n e n f e h l t e , gekommen seyn? Ich kenne sie zu gut. Darinn liegt eben ihre Krankheit, daß sie dies nicht fühlen. — „Indessen, sagte der Andre, ist nichts gewisser, als daß ich itzt nicht in Abdera wäre, wenn die Abderiten nicht von dem nämlichen Übel, wovon du sprichst, geplagt würden. Die armen Leute!“ Ach! nun versteh ich dich, versetzte der Philosoph — Deine Berufung konnte eine Wirkung ihrer Krankheit seyn, ohne daß sie es wußten. Laß doch sehen! — Ha! da haben wirs. Ich wette alles in der Welt, sie haben dich kommen
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lassen, um dem ehrlichen Demokritus so viel Aderlässe und Niesewurz zu verordnen, als er vonnöthen haben möchte, um ihres gleichen zu werden! Nicht wahr? — „Du kennst deine Leute vortrefflich, wie ich sehe, Demokritus; und in der That, man muß so an ihre Narrheit gewöhnt seyn wie du, um so kaltblütig davon zu sprechen.“ Als ob es nicht allenthalben Abderiten gäbe, sagte der Philosoph. — „Aber Abderiten in diesem Grade! vergieb mir, wenn ich von deinem Vaterlande nicht mit so viel Nachsicht urtheilen kann als du. Indessen versichre dich, sie sollen mich nicht umsonst zu sich berufen haben!“
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Siebentes Kapitel. Hippokrates ertheilt den Abderiten seinen gutächtlichen Rath. Große und gefährliche Bewegungen, die darüber im Senat entstehen, und wie, zum Glück für das abderitische Gemeinwesen, der Stundenweiser alles auf einmal wieder in Ordnung bringt. Die Zeit kam heran, wo der Äskulap dem Senat von Abdera seinen Bericht erstatten sollte. Er kam, trat mitten unter die versammelten Väter, und sprach mit einer Wohlredenheit, die alle Anwesenden in Erstaunen setzte: „Friede sey mit Abdera! Edle, Veste, Fürsichtige und Weise, liebe Herren und
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Abderiten! Gestern lobte ich Sie wegen Ihrer Fürsorge für das Gehirn Ihres Mitbürgers Demokritus; und heute rathe ich Ihnen wohlmeynend, diese Fürsorge auf Ihre ganze Stadt und Republik zu erstrecken. Gesund an Leib und Seele zu seyn, ist das höchste Gut, das Sie sich selbst, Ihren Kindern und Ihren Bürgern verschaffen können; und dies wirklich zu thun, ist die erste Ihrer obrigkeitlichen Pflichten. So kurz mein Aufenthalt unter Ihnen ist, so ist er doch schon lang genug, um mich zu überzeugen, daß sich die Abderiten nicht so wohl befinden, als es zu wünschen wäre. Ich bin zwar zu Cos geboren, und wohne bald zu Athen, bald zu Larissa, bald anderswo; itzt zu Abdera, morgen vielleicht auf dem Wege nach Byzanz. Aber ich bin weder ein Coer noch ein
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Athenienser, weder ein Larisser noch Abderite; ich bin ein Arzt. So lange es Kranke auf dem Erdboden giebt, ist meine Pflicht, so viel Gesunde zu machen als ich kann. Die gefährlichsten Kranken sind die, die n i c h t w i s s e n , daß sie krank sind; und dies ist, wie ich finde, der Fall der Abderiten. Das Übel liegt für meine Kunst zu tief; aber was ich thun kann, um die Heilung v o r z u b e r e i t e n , ist dies! Senden Sie mit dem ersten guten Winde sechs große Schiffe nach A n t i c y r a . Meinethalben können sie, mit welcherley Waaren es den Abderiten beliebt, dahin befrachtet werden; aber zu Anticyra lassen Sie alle sechs Schiffe so viel Niesewurz laden, als sie tragen können, ohne zu sinken. Man kann zwar auch Niesewurz aus Galatien haben, die etwas wohlfeiler ist; aber die von Anticyra ist die beste. Wenn die Schiffe angekommen seyn werden: so lassen Sie das gesammte Volk auf Ihrem großen Markte versammeln;
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stellen Sie, mit Ihrer ganzen Priesterschaft an der Spitze, einen feyerlichen Umgang zu allen Tempeln in Abdera an, und bitten Sie die Götter, daß sie dem Senat und dem Volke zu Abdera g e b e n möchten, was dem Senat und dem Volke zu Abdera f e h l t . Sodann kehren Sie auf den Markt zurück, und theilen den sämmtlichen Vorrath von Niesewurz, auf gemeiner Stadt Unkosten, unter alle Bürger aus; auf jeden Kopf sieben Pfund; nicht zu vergessen, daß den Rathsherren, welche (außerdem was sie für sich selbst gebrauchen) noch für so viele andre Verstand haben müssen, eine doppelte Portion gereicht werde! Die Portionen sind stark, ich gesteh es; aber eingewurzelte Übel sind hartnäk10
kig, und können nur durch anhaltenden Gebrauch der Arzney geheilt werden. Wenn Sie nun dieses Vorbereitungsmittel, nach der Vorschrift, die ich Ihnen geben will, durch die erforderliche Zeit gebraucht haben werden: dann überlasse ich Sie einem andern Arzte. Denn, wie ich sagte, die Krankheit der Abderiten liegt zu tief für meine Kunst. Ich kenne funfzig Meilen rings um Abdera nur einen einzigen Mann, der Ihnen von Grund aus helfen könnte, wenn Sie sich geduldig und folgsam in seine Cur begeben wollten. Der Mann nennt sich Demokritus, des Damasippus Sohn. Stoßen Sie sich nicht an dem Umstande, daß er zu Abdera geboren ist; er ist darum kein Abderit, dies können Sie mir auf mein Wort glauben; oder wenn Sie m i r nicht glauben wollen, so
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fragen Sie den Apollo zu Delphi. Es ist ein gutherziger Mann, der sich ein Vergnügen daraus machen wird, Ihnen seine Dienste zu leisten. Und hiermit, meine Herren und Bürger von Abdera, empfehle ich Sie und Ihre Stadt den Göttern. Verachten Sie meinen Rath nicht, weil ich ihn u m s o n s t gebe; es ist der beste, den ich jemals einem Kranken, der sich für gesund hielt, gegeben habe!“ Als Hippokrates dies gesagt hatte, machte er dem Senat eine höfliche Verbeugung, und gieng seines Weges. Niemals — sagt der Geschichtschreiber Hekatäus, ein desto glaubwürdigerer Zeuge, weil er selbst ein Abderite war *) — niemals hat man zweyhundert
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Menschen, alle zugleich, in einer so sonderbaren Attitüde gesehen, als diejenige des Senats von Abdera in diesem Augenblicke war; es müßten nur die zweyhundert Phönicier seyn, welche Perseus, durch den Anblick des Kopfs *)
Zum Unglück sind alle seine Werke verloren gegangen. V. Recherches sur Hecatée de Milet,
Tom. IX. des Mém. de Litterat.
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der M e d u s a , auf einmal in eben so viele Statuen verwandelte, als ihm ihr Anführer Phineus seine Geliebte und theuer erworbene Andromeda mit Gewalt wieder abjagen wollte *). In der That hatten sie alle mögliche Ursachen von der Welt, auf etliche Minuten versteinert zu werden. Beschreiben zu wollen, was in ihren Seelen vorgieng, würde vergebliche Mühe seyn. N i c h t s gieng in ihnen vor; ihre Seelen waren so versteinert als ihre Leiber. Mit dummem sprachlosen Erstaunen sahen sie alle nach der Thüre, durch welche der Äskulap sich zurückgezogen hatte; und auf jedem Gesichte drückte sich zugleich die angestrengte Bemühung und das gänzliche Unvermögen aus, etwas von dieser Begebenheit zu begreifen. Endlich schienen sie nach und nach,
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einige früher, einige später, wieder zu sich selbst zu kommen. Sie sahen einander mit großen Augen an; funfzig Mäuler öffneten sich zugleich zu der nämlichen Frage, und fielen wieder zu, weil sie sich aufgethan hatten, eh sie wußten w a s sie fragen wollten. Zum Henker, meine Herren, rief endlich der Zunftmeister P f r i e m e , ich glaube gar, der Quacksalber hat uns mit seiner doppelten Portion Niesewurz zum Narren! — Ich versah mir gleich vom Anfang nichts gutes zu ihm, sagte Thrasyllus. — Meiner Frau wollt’ er gestern gar nicht einleuchten, sprach der Rathsherr S m i l a x . — Ich dachte gleich es würde übel ablaufen, wie er von den sechs Schiffen sprach, die wir nach Anticyra senden sollten, sagte ein Anderer. — Und die verdammte Ernsthaftigkeit,
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womit er uns alles das vordeclamirte, rief ein Dritter; ich gestehe, daß ich mir gar nicht einbilden konnte, wo es hinaus laufen würde. — Ha, ha, ha, ein lustiger Zufall, so wahr ich ehrlich bin, sagte der k l e i n e d i c k e R a t h s h e r r , indem er sich vor Lachen den Bauch hielt: gestehen wir, daß wir fein abgeführt sind! Ein verzweifelter Streich! Das hätt’ uns nicht begegnen sollen! Ha, ha, ha! — Aber wer konnte sich auch zu einem solchen Manne so etwas versehen? rief der Nomophylax. — Ganz gewiß ist er auch einer von euern Philosophen, sagte Meister Pfrieme; der Priester Strobylus hat warlich so unrecht nicht; wenn es nicht wider unsre Freyheiten wäre, so wollt’ ich der erste seyn, der darauf antrüge, daß man alle diese Spitzköpfe zum Lande hinaus jagte. „Meine Herren, fieng itzt der Archon an; die Ehre der Stadt Abdera ist angegriffen, und anstatt daß wir hier sitzen und uns verwundern, oder Glossen machen, sollten wir mit Ernst darauf denken, was uns in einer so kitzli*)
Ovid. Metamorph. L. V, v. 218.
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chen Sache zu thun gezieme. Vor allen Dingen sehe man, wo Hippokrates hingekommen ist!“ Ein Rathsdiener, der zu diesem Ende abgeschickt wurde, kam nach einer ziemlichen Weile mit der Nachricht zurück, daß er nirgends mehr anzutreffen sey. Ein verfluchter Streich, riefen die Rathsherren aus einem Munde; wenn er uns nun entwischt wäre! — Er wird doch kein Hexenmeister seyn, sagte der Zunftmeister Pfrieme, indem er nach einem Amulet sah, das er gewöhnlich zu seiner Sicherheit gegen böse Geister und böse Augen bey sich zu tragen pfleg10
te. Bald darauf wurde berichtet, daß man den fremden Herrn auf seinem Maulesel ganz gelassen hinter dem Tempel der Dioskuren dem Landgute des Demokritus zu traben gesehen habe. „Was ist nun zu thun, meine Herren?“ sagte der A r c h o n . Ja — Allerdings! — was nun zu thun ist — was nun zu thun ist? — dies ist eben die Frage! riefen die Rathsherren indem sie einander ansahen. Nach einer langen Pause zeigte sich, daß die Herren nicht wußten, was nun zu thun war. Der Mann steht in großem Ansehen beym Könige von Macedonien, fuhr der
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A r c h o n fort; er wird im ganzen Griechenlande wie ein zweyter Äskulap verehrt! Wir könnten uns leicht in böse Händel verwickeln, wenn wir einer, wiewohl gerechten, Empfindlichkeit Gehör geben wollten. Bey allem dem liegt mir die Ehre von Abdera — Ohne Unterbrechung, Herr A r c h o n ! fiel ihm der Z u n f t m e i s t e r P f r i e m e ein; die Ehre und Freyheit von Abdera kann niemanden näher am Herzen liegen als mir selbst. Aber, alles wohl überlegt, seh’ ich warlich nicht, was die Ehre der Stadt mit dieser Begebenheit zu thun haben kann. Dieser Harpokratus oder Hypokritus, wie er sich nennt, ist ein Arzt; und ich habe mein Tage gehört, daß ein Arzt die ganze Welt für ein großes Siechhaus, und alle Men-
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schen für seine Kranken ansieht. Ein jeder spricht und handelt wie ers versteht; und was einer wünscht, das glaubt er gerne. Hypokritus möcht’ es, denk’ ich, wohl leiden, wenn wir alle krank wären, damit er desto mehr zu heilen hätte. Nun denkt er, wenn ich sie nur erst dahin bringen kann, daß sie meine Arzeneyen einnehmen, dann sollen sie mir krank genug werden. Ich heiße nicht Meister Pfrieme, wenn dies nicht das ganze Geheimniß ist.
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Mein Seele! getroffen, rief der kleine dicke Rathsherr; weder mehr noch weniger! Der Kerl ist so närrisch nicht! — Ich wette, wenn er kann, so hängt er uns alle mögliche Flüsse und Fieber an den Hals, blos damit er den Spaß habe, uns für unser Geld wieder gesund zu machen! Ha, ha, ha! „Aber vierzehn Pfund Niesewurz auf jeden Rathsherrn! rief einer von den Ältesten, dessen Gehirn, nach seiner Miene zu urtheilen, schon völlig ausgetrocknet seyn mochte. Bey allen Fröschen der Latona, dies ist zu arg! Man muß beynahe auf den Argwohn kommen, daß etwas mehr dahinter steckt!“ Vierzehn Pfund Niesewurz auf jeden Rathsherrn! wiederholte M e i s t e r P f r i e m e , und lachte aus vollem Halse —
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Und für jeden Z u n f t m e i s t e r , setzte Smilax mit einem bedeutenden Ton hinzu. Das bitt ich mir aus, rief M e i s t e r P f r i e m e ; er sagte kein Wort von Zunftmeistern. Aber das versteht sich doch wohl von selbst, versetzte jener; Rathsherren und Zunftmeister, Zunftmeister und Rathsherren; ich sehe nicht, warum die Herren Zunftmeister hierinn was besonders haben sollten. Wie, was? rief M e i s t e r P f r i e m e mit großem Eifer; ihr seht nicht, was die Zunftmeister vor den Rathsherren besonders haben? — Meine Herren, Sie haben es gehört! — Herr Stadtschreiber, ich bitt’ es zum Protocoll zu nehmen.
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Die Zunftmeister stunden alle mit großem Gebrumme von ihren Sitzen auf. „Sagt’ ich nicht, rief der alte hypochondrische Rathsmeister, daß etwas mehr hinter der Sache stecke? Ein geheimer Anschlag gegen d i e A r i s t o k r a t i e — Aber die Herren haben sich ein wenig zu früh verrathen.“ Gegen die Aristokratie? schrie P f r i e m e mit verdoppelter Stimme; gegen welche Aristokratie? Zum Henker, Herr Rathsmeister, seit wenn ist Abdera eine Aristokratie? Sind wir Zunftmeister etwan nur an die Wand hingemalt? Stellen wir nicht das Volk vor? Haben wir nicht seine Rechte und Freyheiten zu vertreten? Herr Stadtschreiber, zum Protocoll, daß ich gegen alles Widrige protestire, und dem löblichen Zunftmeisterthum sowohl als gemeiner Stadt Abdera — Protestirt! protestirt! schrien die Zunftmeister alle zusammen. Reprotestirt! reprotestirt! schrien die Rathsherren. Der Lerm nahm überhand. „Meine Herren, rief der regierende A r c h o n , so laut er konnte, was für ein Schwindel hat Sie überfallen? Ich bitte, beden-
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ken Sie, wer Sie sind, und wo Sie sind! Was werden die Eyerweiber und Obsthändlerinnen da unten von uns denken, wenn sie uns wie die Zahnbrecher schreyen hören?“ Aber die Stimme der Weisheit verlor sich ungehört in dem betäubenden Getöse. Niemand hörte sein eigen Wort. Zu gutem Glücke war es seit undenklichen Zeiten in Abdera gebräuchlich, auf den Punct zwölf Uhr durch die ganze Stadt zu Mittag zu essen; und, vermöge der Rathsordnung mußte, so wie eine Stunde abgelaufen war, eine Art von Herold vor die Rathsstube treten, und die Stunde ausrufen. 10
G n ä d i g e H e r r e n , rief der Herold mit der Stimme des homerischen Stentors, die zwölfte Stunde ist vorbey ! „Stille; der Stundenrufer!“ — Was rief er? — „ Z w ö l f e , m e i n e H e r r e n , z w ö l f e v o r b e y ! “ — Schon zwölfe? — Schon vorbey? — So ist es hohe Zeit! Der größte Theil der gnädigen Herren war zu Gaste gebeten. Das glückliche Wort Z w ö l f e versetzte sie also auf einmal in eine Reihe angenehmer Vorstellungen, die mit dem Gegenstand ihres Zankes nicht in der mindesten Verbindung stunden. Schneller als die Figuren in einem Guckkasten sich verwandeln, stund eine große Tafel, mit einer Menge niedlicher Schüsseln bedeckt, vor ihrer Stirne, ihre Nasen weideten sich zum voraus an Düften von bester
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Vorbedeutung, ihre Ohren hörten das Geklapper der Teller, ihre Zunge kostete schon die leckerhaften Brühen, in deren Erfindung die abderitischen Köche mit einander wetteiferten: kurz, d a s u n w e s e n t l i c h e G a s t m a l beschäftigte alle Kräfte ihrer Seelen; und auf einmal war die Ruhe des abderitischen Staats wieder hergestellt. „Wo werden Sie heute speisen?“ — Bey P o l y p h o n t e n — „Dahin bin ich auch geladen.“ — Ich erfreue mich über die Ehre Ihrer Gesellschaft — „Sehr viel Ehre für mich!“ — Was werden wir diesen Abend für eine Komödie haben? — „Die A n d r o m e d a d e s E u r i p i d e s . “ — Also ein Trauerspiel! — „O! mein Lieblingsstück! — Und eine Musik! Unter uns, der Nomophylax hat et-
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liche Chöre selbst gesetzt; Sie werden Wunder hören!“ Unter so sanften Gesprächen erhuben sich die Väter von Abdera, in eilfertigem, aber friedsamen Gewimmel, vom Rathhause; zu großer Verwunderung der Eyerweiber und Obsthändlerinnen, welche kurz zuvor die Wände der Rathsstube von ächtem thracischem Geschrey wiederhallen gehört hatten. Alles dies hatte man dir zu danken, w o h l t h ä t i g e r S t u n d e n r u f e r !
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Ohne deine glückliche Dazwischenkunft würde wahrscheinlicher Weise der Zank der Rathsherren und Zunftmeister, gleich dem Zorn des Achilles (so lächerlich auch seine Veranlassung war), in ein Feuer ausgebrochen seyn, welches die schrecklichste Zerrüttung, wo nicht gar den Umsturz der Republik Abdera hätte verursachen können. — Wenn jemals ein Abderit mit einer öffentlichen Ehrensäule belohnt zu werden verdient hatte, so war es gewiß dieser Stundenrufer! Zwar muß man gestehen, der große Dienst, den er in diesem Augenblicke seiner Vaterstadt leistete, verliert seine ganze Verdienstlichkeit durch den einzigen Umstand, daß er nur z u f ä l l i g e r We i s e nützlich wurde. Denn der ehrliche Mann dachte, da er zur gesetzten Zeit maschinen-
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mäßig Zwölfe rief, an nichts weniger als an die unabsehbaren Übel, die er dadurch von dem gemeinen Wesen abwendete. Aber dagegen muß man auch bedenken, daß seit undenklichen Zeiten kein Abderite sich auf andre Weise um sein Vaterland verdient gemacht hatte. Wenn es sich daher zutrug, daß sie etwas verrichteten, das d u r c h i r g e n d e i n e n g l ü c k l i c h e n Z u f a l l der Stadt nützlich wurde, so dankten sie den Göttern dafür; denn sie fühlten wohl, daß sie als bloße We r k z e u g e oder g e l e g e n t l i c h e U r s a c h e n mitgewirkt hatten. Indessen ließen sie sich doch das Verdienst des Zufalls so gut bezahlen, als ob es ihr eigenes gewesen wäre; oder richtiger zu reden: eben weil sie sich keines eignen Verdiensts dabey bewußt waren, ließen sie sich das Gute, was der Zufall unter ihrem Namen that, auf eben den Fuß bezahlen, wie ein Mauleseltreiber den täglichen Verdienst seines Esels einzieht. Es versteht sich, daß die Rede hier blos von Archonten, Rathsherren und Zunftmeistern ist. Denn der ehrliche Stundenrufer mochte sich Verdienste um die Republik machen so viel oder so wenig er wollte; er bekam seine sechs Pfennige des Tags in guter abderitischer Münze, und — Gott befohlen!
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G e s c h i c h t e d e r A b d e r i t e n (Anfang Oktober 1781)
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Die Abderiten. Drittes Buch, oder Euripides unter den Abderiten. Erstes Kapitel. Die Abderiten machen sich fertig, in die Komödie zu gehen. Es war bey den Rathsherren von Abdera eine alte hergebrachte Gewohnheit und Sitte, die bey dem Rath verhandelten Materien unmittelbar darauf bey Tische (es sey nun daß sie Gesellschaft hatten, oder mit ihrer Familie allein speiseten) zu recapituliren und zu einer reichen Quelle entweder von witzigen Einfällen und spaßhaften Anmerkungen, oder von patriotischen Stoßseuf10
zern, Klagen, Wünschen, Träumen, Aussichten u. d. gl. zu machen; zumal wenn etwa in dem abgefaßten Rathsschluß d i e Ve r s c h w i e g e n h e i t ausdrücklich empfohlen worden war. Aber diesesmal — wiewohl das Abentheuer der Abderiten mit dem Fürsten der Ärzte sonderbar genug war, um einen Platz in den Jahrbüchern ihrer Republik zu verdienen — wurde an allen Tafeln, wo ein Rathsherr oder Zunftmeister obenan saß, des Hippokrates und Demokritus eben so wenig gedacht, als ob gar keine Männer dieses Namens in der Welt gewesen wären. In diesem Stücke hatten die Abderiten einen ganz besondern Public-Spirit, und ein feineres Gefühl, als man ihnen in Betracht ihres gewöhnlichen Eigendünkels hätte zutrauen sollen. In der That konnte ihre
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Geschichte mit dem Hippokrates, man hätte sie wenden und coloriren mögen wie man gewollt hätte, auf keine Art, die ihnen Ehre machte, erzählt werden. Das Sicherste war also, die Sache auf sich beruhen zu lassen, und zu schweigen. Die heutige Komödie machte also diesmal, wie gewöhnlich, den Hauptgegenstand der Unterhaltung aus. Denn seitdem sich die Abderiten, nach dem Beyspiel ihres großen Musters, der Athenienser, mit einem eignen Theater versehen hatten, wurde in Gesellschaften, so bald die übrigen Gemeinplätze — Wetter, Putz, Stadtneuigkeiten und Scandala — erschöpft waren, un-
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fehlbar entweder von der Komödie, die gestern gespielt worden, oder von der Komödie, die heute gespielt werden sollte, gesprochen — und die Herren von Abdera wußten sich, besonders gegen Fremde, nicht wenig damit, daß sie ihren Mitbürgern und Mitbürgerinnen eine so schöne Gelegenheit zu Verfeinerung ihres Witzes und Geschmacks, einen so unerschöpflichen Stoff zu unschuldigen Gesprächen in Gesellschaften, und besonders dem schönen Geschlecht ein so herrliches Mittel gegen die Leib und Seele verderbliche L a n g e w e i l e verschafft hätten. Wir sagen es nicht um zu tadeln, sondern zum verdienten Lob der Abderiten, daß sie ihr Komödienwesen für wichtig genug hielten, die Aufsicht dar-
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über einem besondern Rathsausschuß zu übergeben, dessen Vorsitzer immer der zeitige N o m o p h y l a x , folglich einer der obersten Väter des Vaterlandes, war. Dies war unstreitig sehr löblich. Alles, was man mit Recht an dieser Einrichtung aussetzen konnte, war, daß es darum nicht um ein Haar besser mit ihrem Komödienwesen stund. Gleichwohl war dies nicht mehr, als wessen man sich zu Abdera versehen haben wird. Weil nun die Wahl der Stücke von dieser Rathsdeputation abhieng, und die Erfindung der Komödienzettel unter die ansehnliche Menge von Erfindungen gehört, die den Vorzug der N e u e r n vor den A l t e n außer allen fernern Widerspruch setzen: so wußte das Publicum — ausgenommen wenn ein neues abderitisches Originalstück aufs Thea-
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ter gebracht wurde — selten vorher, was gespielt werden würde. Denn wiewohl die Herren von der Deputation eben kein Geheimniß aus der Sache machten: so mußte sie doch, ehe sie publik wurde, durch so manchen schiefen Mund, und durch so viele dicke Ohren gehen, daß fast immer ein Quid pro quo herauskam, und die Zuhörer, wenn sie zum Exempel die A n t i g o n e des S o p h o k l e s erwarteten, die E r i g o n e des P h y s i g n a t h u s für lieb und gut nehmen mußten — woran sie es dann auch selten oder nie ermangeln ließen. Wa s w e r d e n s i e u n s h e u t e f ü r e i n S t ü c k g e b e n ? war also itzt die allgemeine Frage in Abdera — eine Frage, die an sich selbst die unschuldigste Frage von der Welt war, aber durch einen einzigen kleinen Umstand e r z a b d e r i t i s c h wurde; nämlich, d a ß d i e A n t w o r t s c h l e c h t e r d i n g s v o n k e i n e m p r a k t i s c h e n N u t z e n s e y n k o n n t e . Denn die Leute giengen in die Komödie, es mochte ein altes oder neues, gutes oder schlechtes Stück gespielt werden. Eigentlich zu reden gab es für die Abderiten g a r k e i n e s c h l e c h t e Stük-
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ke: denn sie nahmen alles für gut; und eine natürliche Folge dieser unbegrenzten Gutmüthigkeit war, daß es für sie auch k e i n e g u t e Stücke gab. Schlecht oder gut, was sie amüsirte, war ihnen recht, und alles was wie ein Schauspiel aussah, amüsirte sie. — Jedes Stück also, so elend es war, und so elend es gespielt worden seyn mochte, endigte sich mit einem Geklatsch, das gar nicht aufhören wollte. Alsdann ertönte auf einmal durchs ganze Parterre ein allgemeines „W i e h a t I h n e n d a s h e u t i g e S t ü c k g e f a l l e n ? “ und wurde stracks durch ein eben so allgemeines „ S e h r w o h l “ beantwortet. So geneigt auch unsre werthen Leser seyn mögen, sich nicht leicht über 10
etwas zu verwundern, was wir ihnen von den Idiotismen unsers thracischen Athens erzählen können: so ist doch dieser eben erwähnte Zug etwas so ganz besonderes, daß wir besorgen müssen, keinen Glauben zu finden, wofern wir ihnen nicht begreiflich machen, wie es zugegangen, daß die Abderiten mit einer so großen Neigung zu Schauspielen es gleichwohl zu einer so hohen unbeschränkten d r a m a t i s c h e n A p a t h i e oder vielmehr H i d y p a t h i e bringen konnten, daß ihnen ein elendes Stück nicht nur kein Leiden verursachte, sondern sogar eben — (oder doch beynahe eben) so wohl that als ein gutes. Man wird uns, wenn wir das Räthsel auflösen sollen, eine kleine Ausschweifung über das ganze abderitische Theaterwesen erlauben müssen. Wir
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sehen uns aber genöthiget, uns von dem günstigen und billig denkenden Leser vorher eine kleine Gnade auszubitten, an deren großmüthiger Gewährung ihm selbst am Ende noch mehr gelegen ist als uns. Und dies ist, sich — aller widrigen Eingebungen seines Kakodämons ungeachtet — ja nicht einzubilden, als ob hier, unter verdeckten Namen, die Rede von den Theaterdichtern, den Schauspielern, und dem Parterre seiner lieben Va t e r s t a d t die Rede sey. Wir läugnen zwar nicht, daß die ganze Abderitengeschichte in gewissen Betracht einen doppelten Sinn habe: aber ohne den Schlüssel zu Aufschließung des g e h e i m e n Sinnes, den unsere Leser von uns selbst erhalten sollen, würden sie Gefahr laufen, alle Augenblicke falsche Deutungen zu machen. Bis dahin
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also ersuchen wir Sie Per genium, dextramque, Deosque Penates,
sich aller unnachbarlichen und unfreundlichen Anwendungen zu enthalten, und alles was folgt, so wie dies ganze Buch, in keiner andern Gemüthsverfas-
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sung zu lesen, als womit sie irgend eine andre alte oder neue unpartheyische Geschichtserzählung lesen würden.
Zweytes Kapitel. Nähere Nachrichten von dem abderitischen Nationaltheater. Geschmack der Abderiten. Charakter des Nomophylax Gryllus. Als die Abderiten beschlossen hatten, ein stehendes Theater zu haben, wurde zugleich aus patriotischen Rücksichten festgesetzt, daß es ein N a t i o n a l t h e a t e r seyn sollte. Da nun die Nation, wenigstens dem größten Theile nach, aus Abderiten bestund: so mußte ihr Theater nothfolglich ein a b d e r i t i s c h e s werden. Dies war natürlicherweise die erste und unheilbare Quelle
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alles Übels. Der Respect, den die Abderiten für die heilige Stadt der Minerva, als ihre vermeynte Mutter, trugen, brachte es zwar mit sich, daß die Schauspiele der sämmtlichen a t h e n i e n s i s c h e n D i c h t e r , nicht weil sie g u t waren, (denn das war eben nicht immer der Fall,) sondern weil sie v o n A t h e n kamen, in großem Ansehen bey ihnen stunden. Und Anfangs konnte auch, aus Mangel einer genugsamen Anzahl e i n h e i m i s c h e r Stücke, beynahe nichts anders gegeben werden. Allein eben deswegen hielt man, sowohl zur Ehre der Stadt und Republik Abdera, als mancherley anderer Vortheile wegen für nöthig, eine K o m ö d i e n - u n d Tr a g ö d i e n f a b r i k in ihrem eigenen Mittel anzule-
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gen, und diese neue poetische Manufactur — in welcher abderitischer Witz, abderitische Sentiments, abderitische Sitten und Thorheiten als eben so viele r o h e N a t i o n a l p r o d u c t e zu eigenem Gebrauch dramatisch verarbeitet werden sollten — wie guten weisen Regenten und Patrioten zusteht, a u f a l l e m ö g l i c h e A r t a u f z u m u n t e r n . Dies a u f K o s t e n d e s g e m e i n e n S e k k e l s zu bewerkstelligen, gieng aus zwo Ursachen nicht wohl an: erstens, weil nicht viel drin war; und zweytens, weil es damals noch nicht Mode war, die Zuschauer bezahlen zu lassen, sondern das Ärarium die Unkosten des Theaters tragen mußte, und also ohnedies bey diesem neuen Artikel schon genug auszugeben hatte. Denn an eine neue Auflage auf die Bürgerschaft war, vor der Hand, und bis man wußte wie viel Geschmack sie dieser neuen Lustbar-
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keit abgewinnen würde, nicht zu gedenken. Es blieb also kein ander Mittel, als die abderitischen Dichter a u f U n k o s t e n d e s G e s c h m a c k s g e m e i n e r S t a d t a u f z u m u n t e r n ; d. i. alle Waaren, die sie gratis liefern würden, für gut zu nehmen — nach dem alten Sprüchwort: g e s c h e n k t e m G a u l s i e h n i c h t i n s M a u l ; oder, wie es die Abderiten gaben: w o m a n u m s o n s t i ß t , w i r d i m m e r g u t g e k o c h t . Was Horaz von seiner Zeit in Rom sagt: Scribimus indocti doctique poemata passim,
galt nun von Abdera im superlativsten Grade. Weil es einem zum Ve r d i e n s t angerechnet wurde, wenn er ein Schauspiel schrieb, und weil schlechterdings 10
nichts dabey zu wagen war, so machte Tragödien wer Athem genug hatte, ein paar Dutzend zusammengeraffte Gedanken in eben so viel von Bombast strotzende Perioden aufzublasen; und jeder platte Spaßmacher versuchte es, die Zwerchfelle der Abderiten, auf denen er sonst in Gesellschaften oder Weinhäusern getrommelt hatte, itzt auch einmal vom Theater herab zu bearbeiten. Diese patriotische Nachsicht gegen die Nationalproducte hatte eine natürliche Folge, die das Übel zugleich vermehrte und fortdaurend machte. So ein gedankenleeres, windichtes, aufgeblasenes, ungezogenes, unwissendes, und aller Anstrengung unfähiges Völkchen es auch um die jungen Patricier und Damoiseaux von Abdera war, so ließ sich doch gar bald einer von ihnen, wir
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wissen nicht ob von seinem Mädchen, oder von seinen Schmaruzern, oder auch von seinem eignen angestammten Dünkel, weiß machen, daß es nur an ihm liege, dramatische Epheukränze zu erwerben so gut als ein anderer. Dieser erste Versuch wurde mit einem so glänzenden Erfolg gekrönt, daß B l e m m i a s (ein Neffe des Archon O n o l a u s ) , ein Knabe von 17 Jahren, und (was in der Familie der O n o l a u s nichts ungewöhnliches war,) ein notorisches Ganshaupt, ein unwiderstehliches Jucken in seinen Fingern fühlte auch ein B o c k s s p i e l zu machen, wie man damals das Ding hieß, das wir itzt ein Trauerspiel zu schelten pflegen. Niemals seitdem Abdera auf thracischem Boden stund, hatte man ein dummeres Nationalproduct gesehen: aber der Verfasser war ein
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Neffe des Archon, und so konnt’ es ihm nicht fehlen. Der Schauplatz war so voll, daß die jungen Herren den schönen Abderitinnen auf dem Schooße sitzen mußten; die gemeinen Leute standen einander auf den Schultern. Man hörte alle fünf Acte in unverwandter dummwartender Stille an; man gähnte, seufz-
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te, wischte die Stirne, rieb die Augen, hatte Langeweile, und hörte zu; und wie nun endlich das langerseufzte Ende kam, wurde so abscheulich geklatscht, daß etliche zartnervichte Muttersöhnchen das Gehör darüber verloren. Nun war’s klar, daß es keine so große Kunst seyn müsse, eine Tragödie zu machen, weil sogar der junge Blemmias eine gemacht hatte. Jedermann konnte sich ohne große Unbescheidenheit eben so viel zutrauen. Es wurde ein Familienehrenpunkt, daß jedes gute Haus wenigstens mit einem Sohn, Neffen, Schwager oder Vetter mußte prangen können, der die Nationalschaubühne mit einer Komödie, oder einem Bocksspiel, oder wenigstens mit einem Singspielchen beschenkt hatte. Wie groß dies Verdienst seinem innern Gehalt nach
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etwa sey, daran dachte niemand; gutes, mittelmäßiges und elendes lief in einer Heerde untereinander her. Es bedurfte, um ein schlechtes Stück zu schützen, keiner Kabale. Eine Höflichkeit war der andern werth. Und weil die Herren allerseits Eselsöhrchen hatten: so konnte keinem einfallen, dem andern das Auriculas asini Mida rex habet zuzuflüstern. Man kann sich leicht vorstellen, daß d i e K u n s t bey dieser Toleranz nicht viel gewonnen haben werde. Aber was kümmerte die Abderiten das Interesse der Kunst? Genug, daß es für die Ruhe ihrer Stadt und das allerseitige Vergnügen der Interessenten zuträglicher war, dergleichen Dinge friedlich und schiedlich abzuthun. „Da kann man sehen, pflegte der Archon O n o l a u s zu
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sagen, wie viel drauf ankommt, daß man ein Ding beym rechten Ende nimmt. Das Komödienwesen, das zu Athen alle Augenblicke die garstigsten Händel anrichtet, ist zu Abdera ein Band des allgemeinen guten Vernehmens, und der unschuldigste Zeitvertreib von der Welt. Man geht in die Komödie, man amüsirt sich auf die eine oder andere Art, entweder mit Zuhören oder mit seiner Nachbarinn, oder mit Träumen und Schlafen, wie es einem jeden beliebt; dann wird geklatscht, jedermann geht zufrieden nach Hause, und gute Nacht!“ Wir sagten vorhin, die Abderiten hätten sich mit ihrem Theater so viel zu thun gemacht, daß sie in Gesellschaften beynahe von nichts als von der Komödie gesprochen: und so verhielt sichs auch wirklich. Aber wenn sie von Theaterstücken und Vorstellung und Schauspielern sprachen, so geschah es nicht, um etwa zu untersuchen, was daran in der That beyfallswürdig seyn möchte oder nicht. Denn, ob sie sich ein Ding gefallen oder nicht gefallen lassen wollten, das hieng, ihrer Meynung nach, lediglich v o n i h r e m f r e y e n W i l l e n ab; und, wie gesagt, sie hatten nun einmal eine Art von schweigender
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Abrede mit einander getroffen, ihre einheimische dramatische Manufacturen a u f z u m u n t e r n . „Man sieht doch recht augenscheinlich (sagten sie), was es auf sich hat, wenn die Künste an einem Orte aufgemuntert werden. Noch vor zwanzig Jahren hatten wir kaum zween oder drey Poeten, von denen, außer etwa an Geburtstagen oder Hochzeiten, kein Mensch Notiz nahm: itzt, seit den zehn bis zwölf Jahren, daß wir ein eignes Theater haben, können wir schon über 600 Stücke, groß und klein in einander gerechnet, aufweisen, die alle auf abderitischem Grund und Boden gewachsen sind.“ Wenn sie also von ihren Schauspielen schwatzten, so war es nur, um einan10
der zu fragen, ob z. E. das gestrige Stück nicht s c h ö n gewesen sey? und einander zu antworten, ja es sey sehr s c h ö n gewesen — und was die Actrice, welche die Iphigenia oder Andromacha vorgestellt (denn zu Abdera wurden die weiblichen Rollen von wirklichen Frauenzimmern gemacht, und das war eben nicht so abderitisch), für ein schönes neues Kleid angehabt? Und das gab dann Gelegenheit zu tausend kleinen interessanten Anmerkungen, Reden und Gegenreden, über den Putz, die Stimme, den Anstand, den Gang, das Tragen des Kopfs und der Arme, und zwanzig andre Dinge dieser Art, an den Schauspielern und Schauspielerinnen. Mitunter sprach man auch wohl von dem Stücke selbst, sowohl von der Musik als von d e n Wo r t e n (wie sie die Poesie
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davon nannten), d. i. ein jedes sagte, was ihm am besten oder wenigsten gefallen hätte; man hob die vorzüglich r ü h r e n d e n und e r h a b n e n Stellen aus; tadelte auch wohl hier und da einen A u s d r u c k , e i n a l l z u n i e d r i g e s Wo r t , oder ein S e n t i m e n t , das man übertrieben oder anstößig fand. Aber immer endigte sich die Kritik mit dem ewigen abderitischen Refrein: e s bleibt doch immer ein schönes Stück — und hat viel Moral in s i c h , s c h ö n e M o r a l ! pflegte d e r k u r z e d i c k e R a t h s h e r r hinzuzusetzen — und immer traf sichs zu, daß die Stücke, die er ihrer schönen Moral wegen selig pries, gerade die elendesten waren. Man wird vielleicht denken: da die besondern Ursachen, die man zu Abdera
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gehabt, alle einheimische Stücke ohne Rücksicht auf Verdienst und Würdigkeit aufzumuntern, bey a u s w ä r t i g e n nicht statt gefunden, so hätte doch wenigstens die große Verschiedenheit der atheniensischen Schauspieldichter, und der Abstand eines Astydamas von einem Sophokles etwas dazu beytragen sollen, i h r e n G e s c h m a c k z u b i l d e n , und ihnen den Unterschied zwischen gut und schlecht, vortrefflich und mittelmäßig, — besonders den mäch-
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tigen Unterschied zwischen natürlichem Beruf und bloßer Prätension und Nachäfferey, zwischen dem muntern, gleichen, aushaltenden Gang des wahren Meisters, und dem Stelzenschritt oder dem Nachkeuchen, Nachhinken und Nachkriechen der Nachahmer — anschaulich zu machen. Aber, fürs erste, ist der Geschmack eine Sache, die sich ohne natürliche Anlage, ohne e i n e gewisse Feinheit des Seelenorgans, womit man schmecken soll, durch keine Kunst noch Bildung erlangen läßt; und wir haben gleich zu Anfang dieser Geschichte schon bemerkt, daß die Natur den Abderiten diese Anlage ganz versagt zu haben schien. Ihnen schmeckte A l l e s . Man fand auf ihren Tischen die Meisterstücke des Genies und Witzes mit den Producten der
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schaalsten Köpfe, den Taglöhnerarbeiten der elendesten Pfuscher, unter einander liegen. Man konnte ihnen in solchen Dingen weiß machen was man wollte; und es war nichts leichter, als einem Abderiten die erhabenste Ode von Pindar für den ersten Versuch eines Anfängers, und umgekehrt das sinnloseste Geschmier, wenn es nur den Zuschnitt eines Gesangs in Strophen und Antistrophen hatte, für ein Werk von Pindar zu geben. Daher war bey einem jeden neuen Stücke, das ihnen zu Gesicht kam, immer ihre erste Frage: v o n w e m ? — — und man hatte hundert Beyspiele, daß sie gegen das vortrefflichste Werk gleichgültig geblieben waren, bis sie erfahren hatten, daß es einem berühmten Namen zugehöre.
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Dazu kam dann noch der Umstand, daß der N o m o p h y l a x G r y l l u s , Cyniskus Sohn, der an der Errichtung des abderitischen Nationaltheaters den meisten Antheil gehabt hatte, und der Oberaufseher über ihr ganzes Schauspielwesen war, Anspruch machte, ein großer Musikverständiger und der erste Componist seiner Zeit zu seyn — ein Anspruch, wogegen die gefälligen Abderiten um so weniger einzuwenden hatten, weil er ein sehr p o p u l a r e r H e r r war, und weil seine ganze Compositionskunst in einer kleinen Anzahl m e l o d i s c h e r F o r m e n oder L e i s t e n bestund, welche zu allen Arten von Texten passen mußten, und daher nichts leichter war, als seine Melodien zu singen und auswendig zu lernen. Die Eigenschaft, auf die sich H e r r G r y l l u s am meisten zu gut that, war s e i n e B e h e n d i g k e i t im Componiren. „Nun wie gefällt Ihnen m e i n e I p h i g e n i a , H e k u b a , A l c e s t i s , oder was es sonsten war, he?“ — O, ganz vortrefflich, Herr Nomophylax! — „Gelt! da ist doch ein reiner Satz! fließende Melodie! hä, hä, hä! Und wie lange denken Sie daß ich daran gemacht ha-
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be? — Zählen Sie nach! — Heute haben wir den 13ten — Den vierten Morgens um 5 Uhr — Sie wissen ich bin früh — setzt’ ich mich an mein Pult und fieng an — und gestern punct 10 Uhr Vormittags macht’ ich den letzten Strich! — Nun zählen Sie nach, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, — macht, wie Sie sehen, nicht volle 9 Tage, und darunter 2 Rathstage, und zwey oder drey wo ich zu Gaste gebeten war; andre Geschäfte nicht gerechnet — Hm! was sagen Sie? Heißt das nicht fix gearbeitet? Ich sag es eben nicht um mich zu rühmen: aber das getraue ich mir, wenns eine Wette gälte, daß mir kein Componist im ganzen europäischen und asiatischen Griechenland bälder mit einem Stücke fertig 10
werden soll als ich! Es ist nichts! Aber es ist doch so eine eigne Gabe die ich habe, hä, hä, hä!“ — Wir hoffen unsre Leser sehen den Mann nun vor sich, und wenn sie einige Anlage zur Musik haben, so muß ihnen seyn, sie hätten ihn bereits seine ganze Iphigenia, Hekuba und Alcestis herunterorgeln gehört. Nun hatte dieser große Mann noch nebenher die kleine Schwachheit, daß er keine Musik gut finden konnte als — seine eigene. Keiner von den besten Componisten zu Athen, Theben, Korinth u. s. w. konnt’ es ihm zu Dank machen. Den berühmten Damon selbst, dessen gefällige, geistreiche und immer zum Herzen sprechende Art zu componiren, außerhalb Abdera, alles, was eine Seele hatte, bezauberte, nannte er unter seinen Vertrauten nur den B ä n k e l s ä n -
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g e r c o m p o n i s t e n . Bey dieser Art zu denken, und vermöge der unendlichen Leichtigkeit, womit er seinen musikalischen Laich von sich gab, hatte er nun binnen wenig Jahren zu mehr als 60 Stücken von berühmten und unberühmten atheniensischen Schauspieldichtern die Musik gemacht — denn die abderitischen Nationalproducte überließ er meistens seinen Schülern und Nachahmern, und begnügte sich blos mit der Revision ihrer Arbeit. Freylich fiel seine Wahl, wie man denken kann, nicht immer auf die besten Stücke; die Hälfte wenigstens waren bombastische Carricaturnachahmungen des Äschylus, oder abgeschmackte Possenspiele, Jahrmarktstücke, die von ihren Verfassern selbst blos für die Belustigung des untersten Pöbels bestimmt waren. Aber
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genug, d e r N o m o p h y l a x , ein Haupt der Stadt, h a t t e s i e c o m p o n i e r t ; sie wurden also unendlich beklatscht und wenn sie denn auch bey der öftern Wiederholung mitunter gähnen und hojahnen machten, daß die Kinnladen hätten auseinander gehen mögen, so versicherte man einander doch beym Herausgehen sehr tröstlich: es sey gar ein schönes Stück und gar eine schöne Musik gewesen!
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Und so vereinigte sich denn alles nicht nur gegen die Arten und Stufen des Schönen, sondern gegen den innern Unterschied des Vortrefflichen und Schlechten selbst, bey diesen g r i e c h e n z e n d e n T h r a c i e r n , jene m e c h a n i s c h e K a l t s i n n i g k e i t hervorzubringen, wodurch sie sich als durch e i n e n f e s t e n N a t i o n a l c h a r a k t e r z u g von allen übrigen policirten Völkern des Erdbodens auszeichneten; eine Kaltsinnigkeit, die dadurch desto sonderbarer wurde, weil sie ihnen demungeachtet die Fähigkeit ließ, zuweilen von dem wirklich Schönen auf eine gar seltsame Art afficirt zu werden — wie man in kurzem aus einem merkwürdigen Beyspiel ersehen soll.
Drittes Kapitel.
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Beyträge zur abderitischen Litterargeschichte. Nachrichten von ihren ersten theatralischen Dichtern, H y p e r b o l u s , P a r a s p a s m u s , A n t i p h i l u s und T h l a p s . Bey aller dieser anscheinenden Gleichgültigkeit, Toleranz, Apathie, Hidypathie, oder wie man’s nennen will, müssen wir uns die Abderiten gleichwohl nicht als Leute o h n e a l l e n G e s c h m a c k einbilden. Denn ihre fünf Sinnen hatten sie richtig und vollgezählt; und wiewohl ihnen, unter den angegebnen Umständen, A l l e s g u t g e n u g schmeckte: so däuchte sie doch, dieses oder jenes schmecke ihnen b e s s e r als ein andres; und so hatten sie denn ihre L i e b l i n g s s t ü c k e und L i e b l i n g s d i c h t e r so gut als andre Leute.
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Damals, als ihnen der kleine Verdruß mit dem Arzt Hippokrates zustieß, waren unter einer ziemlichen Anzahl von Theaterdichtern, welche Handwerk davon machten — d i e F r e y w i l l i g e n nicht gerechnet — vornehmlich zween im Besitz der höchsten Gunst des abderitischen Publicums. Der eine machte Tragödien und eine Art Stücke, die man itzt k o m i s c h e O p e r n nennt; der andere, Namens Thlaps, eine Art von Mitteldingen, wobey einem weder wohl noch weh geschah, wovon er der erste Erfinder war, und die deswegen nach seinem Namen T h l a p s ö d i e n genennet wurden. Der erste war eben der H y p e r b o l u s , dessen schon zu Anfang dieser eben so wahrhaften als wahrscheinlichen Geschichte als des berühmtesten unter den abderitischen Dichtern erwähnt worden ist. Er hatte sich zwar auch in
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den übrigen Gattungen hervorgethan; die außerordentliche Partheylichkeit seiner Landsleute für ihn hatte ihm in allen den Preis zuerkannt; und eben dieser Vorzug erwarb ihm den hochtrabenden Zunamen H y p e r b o l u s : denn von Haus aus nannte er sich Hegesias. Der Grund, warum dieser Mensch ein so besonderes Glück bey den Abderiten machte, war der natürlichste von der Welt — nämlich eben der, weswegen er und seine Werke an jedem andern Orte der Welt als in Abdera ausgepfiffen worden wären. Er war unter allen ihren Dichtern derjenige, in welchem der eigentliche Geist von Abdera, mit allen seinen Idiotismen und Abweichungen von den schönern 10
Formen, Proportionen und Lineamenten der Menschheit, am leibhaftesten wohnte — derjenige, mit dem alle übrigen am meisten sympathisirten — der immer alles just so machte, wie sie es auch gemacht haben würden — ihnen immer das Wort aus dem Munde nahm — immer das eigentliche Pünktchen traf, wo sie gekützelt seyn wollten — mit einem Wort, der Dichter nach ihrem Sinn und Herzen; und das nicht etwa in Kraft eines außerordentlichen Scharfsinns, oder als ob er sich ein besonderes Studium daraus gemacht hätte, sondern lediglich, weil er unter allen seinen Brüdern im Marsyas am meisten — Abderit war. Bey ihm durfte man sich darauf verlassen, daß der Gesichtspunkt, woraus er eine Sache ansah, immer der schiefste war, woraus sie an-
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gesehen werden konnte; daß er zwischen zwey Dingen allemal die Ähnlichkeit just fand, wo ihr wesentlichster Unterschied lag; daß er je und allezeit feyerlich aussehen würde, wo ein vernünftiger Mensch lacht, und lachen würde, wo es nur einem Abderiten einfallen kann zu lachen, u. s. w. Ein Mann, der des abderitischen Genius so voll war, konnte natürlicher Weise in Abdera alles seyn, was er wollte. Auch war er ihr Anakreon, ihr Alcäus, ihr Pindar, ihr Äschylus, ihr Aristophanes, und seit kurzem arbeitete er an einem großen N a t i o n a l h e l d e n g e d i c h t in acht und vierzig Gesängen, d i e A b d e r i a d e genannt — zu großer Freude des ganzen abderitischen Volks! „Denn, sagten sie, e i n H o m e r ist das einzige, was uns noch abgeht: und wenn Hyperbolus
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mit seiner Abderiade fertig seyn wird, so haben wir Ilias und Odyssee in einem Stücke beysammen; und dann laß die andern Griechen kommen, und uns noch über die Achseln ansehen, wenn sie das Herz haben! Sie sollen uns dann e i n e n M a n n s t e l l e n , dem wir nicht einen aus unserm Mittel gegenüber stellen wollen!“ — Indessen war doch die Tragödie das eigentliche Fach des Hyperbolus. Er
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hatte deren hundert und zwanzig (vermuthlich a u c h g r o ß u n d k l e i n i n e i n a n d e r g e r e c h n e t ) verfertiget — ein Umstand, der ihm bey einem Volke, das in allen Dingen nur auf A n z a h l und k ö r p e r l i c h e n U m f a n g sah, allein schon einen außerordentlichen Vorzug geben mußte. Denn von allen seinen Nebenbulern hatte es keiner auch nur auf das Drittel dieser Zahl bringen können. Ungeachtet ihn die Abderiten wegen des Bombasts seiner Schreibart i h r e n Ä s c h y l u s zu nennen pflegten, so wußte er sich selbst doch nicht wenig mit seiner O r i g i n a l i t ä t . Man weise mir, sprach er, einen Charakter, einen Gedanken, ein Sentiment, einen Ausdruck, in allen meinen Werken, den ich aus einem andern genommen hätte! — o d e r a u s d e r N a t u r ,
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setzte D e m o k r i t u s hinzu — „O! (rief Hyperbolus) was das betrifft, das kann ich Ihnen zugeben, ohne daß ich viel dabey verliere. Natur! Natur! die Herren klappern immer mit ihrer Natur, und wissen am Ende nicht was sie wollen. Die gemeine Natur — und die meynen Sie doch — gehört in die K o m ö d i e , ins P o s s e n s p i e l , in die T h l a p s ö d i e , wenn Sie wollen! Aber die Tragödie muß ü b e r d i e N a t u r gehen, oder ich gebe nicht eine hohle Nuß darum.“ Von den seinigen galt dies im vollesten Maas. So wie s e i n e P e r s o n e n hatte nie kein Mensch ausgesehen, nie kein Mensch gefühlt, gedacht, gesprochen noch gehandelt. Aber das wollten die Abderiten eben — und daher kam es auch, daß sie unter allen auswärtigen Dichtern am wenigsten aus dem S o p h o k l e s
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machten. „Wenn ich aufrichtig sagen soll, wie ich denke,“ sagte einst Hyperbolus in einer vornehmen Gesellschaft, wo über diese Materie auf gut Abderitisch raisonnirt wurde — „ich habe nie begreifen können, was an dem Ödipus oder an der Elektra des Sophokles, insonderheit was an s e i n e m P h i l o k t e t so außerordentliches seyn soll? Für einen Nachfolger eines so erhabnen Dichters wie Äschylus, fällt er warlich gewaltig ab! N u n j a , a t t i s c h e U r b a n i t ä t , die streit’ ich ihm nicht ab! Urbanität so viel Sie wollen! Aber der Feuerstrom, die wetterleuchtenden Gedanken, die Donnerschläge, der hinreißende Wirbelwind — kurz, die Riesenstärke, der Adlersflug, der Löwengrimm, der Sturm und Drang, der den wahren tragischen Dichter macht, wo ist der?“ — Das nenn’ ich wie ein Meister von der Sache sprechen, sagte einer von der Gesellschaft — O! über solche Dinge verlassen Sie sich auf das Urtheil des Hyperbolus (rief ein andrer); wenn er das nicht verstehen sollte! — Er hat 120 Tragödien gemacht, flüsterte eine Abderitinn einem Fremden ins Ohr; ’s ist der erste Theaterdichter von Abdera!
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Indessen hatte es doch unter allen seinen Nebenbulern, Schülern und Caudatarien ihrer zweenen geglückt, ihn auf dem tragischen Thron, auf den ihn der allgemeine Beyfall hinauf geschwungen, wanken zu machen — Dem einen durch ein Stück, worinn der H e l d gleich in der ersten Scene des ersten Acts seinen Va t e r e r m o r d e t , im zweyten s e i n e l e i b l i c h e S c h w e s t e r h e i r a t h e t , im dritten entdeckt, d a ß e r s i e m i t s e i n e r M u t t e r g e z e u g t h a t t e , im vierten s i c h s e l b e r O h r e n u n d N a s e a b s c h n e i d e t , und im fünften, nachdem er d i e M u t t e r v e r g i f t e t und d i e S c h w e s t e r e r d r o s s e l t , von den F u r i e n u n t e r B l i t z u n d D o n n e r i n d i e H ö l l e g e h o l t 10
w i r d — Dem andern durch e i n e N i o b e , worinn außer einer Menge V´ V´
Ai, Ai ! FeyÄ, FeyÄ, und EleleleleyÄ, und einigen Blasphemien, wobey den Zuhörern die Haare zu Berge standen, das ganze Stück in lauter A c t i o n u n d P a n t o m i m e gesetzt war. Beyde Stücke hatten den erstaunlichsten Effect gemacht. — Nie waren binnen drey Stunden so viele Schnupftücher voll geweint worden, seit ein Abdera in der Welt war. Nein, es ist nicht zum Aushalten, schluchzten die schönen Abderitinnen — Der arme Prinz! wie er heulte! wie er sich herumwälzte! Und die Rede, die er hielt, da er sich die Nase abgeschnitten hatte, rief eine andere — und die Furien, die Furien, schrie eine dritte — ich konnte vier Wochen lang kein Auge vor ihnen zuthun — Es war 20
schrecklich, ich muß es gestehen, sagte die vierte; aber, o! d i e N i o b e ! wie sie mitten unter ihren übereinander hergewälzten Kindern dasteht, sich die Haare ausrauft, sie über die dampfenden Leichen hinstreut, dann sich selbst auf sie hinwirft, sie wieder beleben möchte, dann in Verzweiflung wieder auffährt, die Augen wie feurige Räder im Kopf herumrollt, dann mit ihren eigenen Nägeln sich die Brust aufreißt, und Hände voll Bluts unter entsetzlichen Verwünschungen gen Himmel wirft — Nein, so was r ü h r e n d e s muß nie gesehen worden seyn! Was das für ein Mann seyn muß, der P a r a s p a s m u s , der S t ä r k e genug hatte, so eine Scene aufs Theater zu bringen! — Nun, was die Stärke anbetrifft, sagte die schöne S a l a b a n d a , darauf läßt sich eben
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nicht immer so sicher schließen. Ich zweifle, ob P a r a s p a s m u s alles halten würde, was er zu versprechen scheint; große Prahler, schlechte Fechter. — Man kannte die schöne Salabanda für eine Frau, die so was nicht ohne guten Grund sagte — Dieser einzige Umstand brachte so viel zuwege, daß die Niobe des P a r a s p a s m u s bey der zweyten Vorstellung nicht mehr die Hälfte der vorigen Wirkung that; und der Dichter selbst konnte sich in der Folge nicht
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wieder von dem Schlag erholen, den ihm Salabanda durch ein einziges Wort in der Einbildungskraft der Abderitinnen gegeben hatte. Indessen blieb ihm und seinem Freunde A n t i p h i l u s doch immer die Ehre, der Tragödie zu Abdera einen neuen Schwung gegeben zu haben, und die Erfinder zwoer neuer Gattungen, der g r i ß g r a m m i s c h e n , und der p a n t o m i m i s c h e n , zu seyn, in welchen den abderitischen Dichtern eine Laufbahn eröffnet wurde, wo es um so viel sichrer war, Lorbeern einzuerndten, da im Grunde nichts leichters ist als — Kinder zu erschrecken, und seine Helden vor lauter Affect — gar nichts sagen zu lassen. Wie aber die menschliche Unbeständigkeit sich auch an dem, was in seiner
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Neuheit noch so angenehm ist, gar bald ersättiget, so fiengen auch die Abderiten bereits an, es überdrüßig zu werden, immer und alle Tage gar schön zu finden, was ihnen in der That schon lange gar wenig Vergnügen machte: als ein junger Dichter, Namens T h l a p s , auf den Einfall kam, Stücke aufs Theater zu bringen, die weder Komödie noch Tragödie noch Posse, sondern eine Art von lebendigen abderitischen F a m i l i e n g e m ä l d e n wären; wo weder Helden noch Narren, sondern gute ehrliche hausgebackne Abderiten auftreten, ihren täglichen Stadt- Markt- Haus- und Familiengeschäften nachgehen, und vor einem löblichen Spectatorium gerade so handeln und sprechen sollten, als ob sie auf der Bühne zu Hause wären, und es sonst keine Leute in der Welt gäbe
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als sie. Man sieht, daß dies ungefehr die nämliche Gattung war, wodurch sich M e n a n d e r in der Folge so viel Ruhm erwarb. Der Unterschied bestand bloß darinn: daß e r A t h e n i e n s e r und j e n e r A b d e r i t e n auf die Bühne brachte; und daß e r M e n a n d e r , u n d j e n e r T h l a p s war. Allein da dieser Unterschied den Abderiten nichts verschlug, oder vielmehr gerade zu Thlapsens Vortheil gereichte: so wurde sein erstes Stück *) in dieser Gattung mit einem Entzücken aufgenommen, wovon man noch kein Beyspiel gesehen hatte. Die ehrlichen Abderiten sahen sich selbst zum erstenmal auf der Schaubühne in puris Naturalibus, ohne Carricatur, ohne Stelzen, ohne Löwenhäute, Keulen, Scepter und Diademe, in ihren gewöhnlichen Hauskleidern, ihre gewöhnliche Sprache redend, nach ihrer angebornen eigenthümlichen abderitischen Art *)
Es nannte sich E u g a m i a , oder d i e v i e r f a c h e B r a u t . Eugamia war von ihrem Vater an
einen, von der Mutter an den andern, und von einer Tante, an deren Erbschaft ihr gelegen war, an den dritten Mann versprochen worden. Am Ende kam heraus, daß das voreilige Mädchen sich selbst in aller Stille bereits an einen vierten verschenkt hatte.
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und Weise leiben und leben, essen und trinken, freyen und sich freyen lassen, u. s. w. und das war eben was ihnen so viel Vergnügen machte. Es gieng ihnen wie einem jungen Mädchen, das sich zum erstenmal in einem Spiegel sehen würde; sie konnten’s gar nicht genug kriegen. Die vierfache Braut wurde vierzehnmal hinter einander gespielt, und eine lange Zeit wollten die Abderiten nichts als T h l a p s ö d i e n sehen. Thlaps, dem es nicht so fix von der Faust gieng als dem großen Hyperbolus und dem Nomophylax G r y l l u s , konnte deren nicht genug fertig kriegen. Aber da er seinen Mitbrüdern einmal den Ton angegeben hatte, so fehlte es ihm nicht an Nachahmern. Alles legte sich 10
auf die neue Gattung; und in weniger als drey Jahren waren alle mögliche Süjets und Titel von Thlapsödien so erschöpft, daß es wirklich ein Jammer war, die Noth der armen Dichter zu sehen, wie sie druckten und schwitzten, um aus dem Schwamme, den schon so viele vor ihnen ausgedruckt hatten, noch einen Tropfen trübes Wasser herauszupressen. Die natürliche Folge davon war, daß unvermerkt alle Dinge wieder ins gehörige Gleichgewicht kamen. Die Abderiten, die, nach ziemlich allgemeiner menschlicher Weise, Anfangs für jede Gattung eine ausschließende Neigung faßten, fanden endlich, daß es nur desto besser sey, wenn sie dem Überdruß durch Abwechslung und Mannigfaltigkeit wehren konnten. Die Tragödien,
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gemeine, grißgrammische und pantomimische, die Komödien, Operetten und Possenspiele kamen wieder in Umlauf; der N o m o p h y l a x componirte die Tragödien des Euripides; und Hyperbolus (zumal da ihm das Project, a b d e r i t i s c h e r H o m e r zu werden, im Kopfe stack,) ließ sichs, weil’s doch nicht zu ändern war, am Ende gerne gefallen, die höchste Gunst des abderitischen Parterre mit Thlapsen zu theilen; zumal, da dieser durch die Heirath mit der Nichte eines Oberzunftmeisters seit kurzem eine wichtige Person geworden war.
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Viertes Kapitel. Merkwürdiges Beyspiel von der guten Staatswirthschaft der Abderiten. Beschluß der Digression über ihr Theaterwesen. Ehe wir von dieser Abschweifung zum Verfolg unsrer Geschichte zurückkehren, möchte vonnöthen seyn, dem geneigten Leser einen kleinen Zweifel zu benehmen, der ihm während vorstehender kurzen Abschattung des abderitischen Schauspielwesens aufgestoßen seyn möchte. Es ist nicht wohl zu begreifen, wird man sagen, wie das Ärarium von Abdera, dessen Einkünfte eben nicht so gar beträchtlich seyn konnten, eine so ansehnliche Nebenausgabe, wie ein tägliches Schauspiel mit allen seinen Ar-
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tikeln ist, in die Länge habe bestreiten können; gesetzt auch, daß die Dichter ohne Sold noch Lohn, aus purem Patriotismus, oder um die bloße Ehre, gedient hätten. Wofern aber dies letztere war, wird man kaum glaublich finden, daß es so manchen Theaterdichter von Profeßion in Abdera gegeben, und daß der große Hyperbolus, mit allem seinem Patriotismus und Eigennutz, es bis auf 120 dramatische Stücke sollte getrieben haben. Um nun den günstigen Leser nicht ohne Noth aufzuhalten, wollen wir ihm nur gleich unverhohlen gestehen — daß ihre Theaterdichter keineswegs umsonst arbeiteten (denn das große Gesetz: „ d e m O c h s e n , d e r d a d r i s c h t , s o l l s t d u n i c h t d a s M a u l v e r b i n d e n ! “ ist ein Naturgesetz, dessen all-
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gemeine Verbindlichkeit auch sogar die Abderiten fühlten), und daß, vermöge einer besondern Finanzoperation, das Stadtärarium durch das Theater eigentlich keine neue Ausgabe zu bestreiten hatte, sondern dieser Aufwand größtentheils an andern n ö t h i g e r n und n ü t z l i c h e r n A r t i k e l n erspart wurde. Die Sache verhielt sich so. So bald die Gönner des Theaters sahen, daß die Abderiten Feuer gefaßt, und Schauspiele zum Bedürfniß für sie geworden, ermangelten sie nicht, dem Volk durch die Zunftmeister vorstellen zu lassen: daß das Ärarium einem so großen Zuwachs von Ausgaben ohne neue Einnahmequellen oder Einziehung andrer Ausgaben nicht gewachsen sey. Dies veranlaßte denn, daß eine Commißion niedergesetzt wurde, welche, nach mehr als sechzig z a h l b a r e n Seßionen, endlich einen Entwurf einer Einrichtung des gemeinen abderitischen Theaterwesens vor Rath legte, den man so gründ-
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lich und wohlausgesonnen befand, daß er stracks in einer allgemeinen Versammlung der Bürgerschaft zu einem F u n d a m e n t a l g e s e t z der Stadt Abdera gestempelt wurde. Wir würden uns ein Vergnügen daraus machen, dieses abderitische Meisterstück auch vor unsre Leser zu legen, wenn wir ihnen Geduld genug zutrauen dürften, es zu lesen. Sollte aber irgend ein gemeines Wesen in oder außer dem heil. röm. Reiche die Mittheilung desselben wünschen: so ist man erbötig, solche auf beschehene Requisition, gegen bloße Erstattung der Schreibauslagen unentgeltlich zu communiciren. Alles, was wir hier davon 10
sagen können, ist: daß, vermöge dieser Einrichtung, sine aggravio Publici hinlängliche Fonds ausgemacht wurden, die Abderiten wöchentlich viermal mit Schauspielen zu tractiren; sowohl Dichter, Schauspieler und Orchester, als die Herren Deputirten und den Nomophylax condigne z u r e m u n e r i r e n ; und überdies noch die beyden untersten Classen der Zuschauer bey jeder Vorstellung viritim mit einem Pfennigbrod und zwo trocknen Feigen zu gratificiren. Der einzige Fehler dieser schönen Einrichtung war, daß die Herren von der Commißion sich in Berechnung der Einnahme und Ausgabe (wegen deren Richtigkeit man sich auf i h r e b e k a n n t e D e x t e r i t ä t verließ) um 28000 Drachmen (ungefehr dritthalb tausend Thaler unsers Geldes) ver-
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rechnet hatten, die das Ärarium mehr bezahlen mußte, als die angewiesenen Fonds betrugen. Das war nun freylich kein ganz gleichgültiger Rechnungsverstoß! Indessen waren die Herren von Abdera gewohnt, so glattweg und bona fide bey ihrem Ärario zu Werke zu gehen, daß etliche Jahre verstrichen, bis man gewahr wurde, woran es liege, daß alle Jahre 2500 Thaler in ihrem Stadtseckel zu wenig waren. Wie man es endlich mit vieler Mühe heraus gebracht hatte, fanden die Häupter für nöthig, die Sache vor das gesammte Volk zu bringen, und — pro forma auf Einziehung der Schaubühne anzutragen. Allein die Abderiten gebehrdeten sich zu diesem Vorschlag, als ob man ihnen Wasser und Feuer nehmen wolle. Kurz, es wurde ein P l e b i s c i t u m errichtet,
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daß die jährlich abgängigen dritthalb Talente aus dem gemeinen Schatz, der im Tempel der Latona niedergelegt war, genommen werden sollten; und derjenige, der sich künftig unterfangen würde, auf Abschaffung der Schaubühne anzutragen, sollte für einen Feind der Stadt Abdera angesehen werden. Die Abderiten glaubten nun, ihre Sache recht klug gemacht zu haben, und pflegten gegen Fremde sich viel darauf zu gut zu thun, daß ihre Schaubühne
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jährlich 80 Talente (80,000 Thaler) und gleichwohl der Bürgerschaft von Abdera keinen Heller koste. „Es kommt alles auf eine gute Einrichtung an, sagten sie. Aber dafür haben wir auch ein Nationaltheater, wie kein andres in der Welt seyn muß!“ — Das ist eine große Wahrheit, sagte D e m o k r i t u s ; solche Dichter, solche Schauspieler, solche Musik, und wöchentlich viermal, für 80 Talente! Ich wenigstens habe das an keinem andern Ort in der Welt angetroffen. Was man ihnen lassen mußte, war, daß ihr Theater für eines der prächtigsten in Griechenland gelten konnte. Freylich hatten sie dem Könige von Macedonien ihr bestes Amt versetzt, um es bauen zu können. Aber da ihnen der
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König zugestanden, daß der Amtmann, der Amtsschreiber und der Rentmeister allezeit Abderiten bleiben sollten, so konnte ja niemand was dagegen einzuwenden haben. Wir bittens den Lesern ab, wenn Sie mit dieser allgemeinen Nachricht von dem abderitischen Theaterwesen zu lange aufgehalten worden sind. Es hat nun 6 Uhr geschlagen, und wir versetzen uns also, ohne weiters, in das Amphitheater dieser preiswürdigen Republik, wo die geneigten Leser nach Gefallen, entweder bey dem kleinen dicken Rathsherrn, oder bey dem Priester Strobylus, oder bey dem Schwätzer Antistrepsiades, oder bey irgend einer von den schönen Abderitinnen, mit welchen wir sie in den vorigen Kapiteln be-
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kannt gemacht haben, Platz zu nehmen belieben werden.
Fünftes Kapitel. Die Andromede des Euripides wird aufgeführt. Großer Succeß des Nomophylax, und was die Sängerinn Eukolpis dazu beygetragen. Ein paar Anmerkungen über die übrigen Schauspieler, die Chöre und die Decoration. Das Stück, das diesen Abend gespielt wurde, war d i e A n d r o m e d e d e s E u r i p i d e s : eines von den 60 oder 70 Werken dieses Dichters, wovon nur wenige kleine Späne und Splitter der Vernichtung entronnen sind. Die Abderiten trugen, ohne eben sehr zu wissen warum, große Ehrerbietung für den Namen Euripides und alles was diesen Namen trug. Verschiedne seiner Tragödien,
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oder Singspiele (wie wir sie eigentlich nennen sollten), waren schon öfters aufgeführt, und allemal s e h r s c h ö n gefunden worden. Die Andromede, eines der neuesten, wurde itzt zum erstenmal auf die abderitische Schaubühne gebracht. Der N o m o p h y l a x hatte die Musik dazu gemacht, und (wie er seinen Freunden ziemlich laut ins Ohr sagte) diesmal sich selbst übertroffen; das heißt, der Mann hatte sich vorgesetzt, alle seine Künste auf einmal zu zeigen, und darüber war ihm der gute Euripides unvermerkt ganz aus den Augen gekommen. Kurz, Herr G r y l l u s hatte s i c h s e l b s t componirt; unbekümmert, ob seine Musik den Text, oder der Text seine Musik zu Unsinn 10
mache — welches dann gerade der Punkt war, der auch die Abderiten am wenigsten kümmerte. Genug, sie machte großen L e r m , hatte (wie seine Brüder, Vettern, Schwäger, Clienten und Hausbedienten, als sämmtliche Kenner, versicherten) sehr e r h a b n e und r ü h r e n d e Stellen, und wurde mit dem lautsten entschiedensten Beyfall aufgenommen. Nicht, als ob nicht sogar in Abdera noch hier und da Leute gesteckt hätten, die — weil sie vielleicht etwas dünnere Ohren auf die Welt gebracht als ihre Mitbürger, oder weil sie anderswo was Bessers gehört haben mochten — einander unter vier Augen gestunden: daß der Nomophylax, mit aller seiner Anmaßung ein Orpheus zu seyn, nur ein Leyermann, und das beste seiner Werke eine Rhapsodie ohne G e -
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s c h m a c k , und meistens auch ohne S i n n sey. Diese wenigen hatten sich ehmals sogar erkühnt, etwas von dieser ihrer Heterodoxie ins Publicum erschallen zu lassen: aber sie waren jedesmal von den Verehrern der g r y l l i s c h e n M u s e so übel empfangen worden, daß sie, um mit heiler Haut davon zu kommen, für gut befanden, sich in Zeiten den M a j o r i b u s z u s u b m i t t i r e n ; und nun waren diese Herren immer die, die — bey den elendesten Stellen — am ersten und am lautsten klatschten. Das Orchester that diesmal sein Äußerstes, um sich seines Oberhauptes würdig zu zeigen. „ I c h h a b’ i h n e n a b e r a u c h a l l e H ä n d e v o l l z u t h u n g e g e b e n , “ sagte G r y l l u s , und schien sich viel darauf zu gut zu thun, daß
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die armen Leute schon im zweyten Act keinen trocknen Faden mehr am Leibe hatten. Im Vorbeygehen gesagt, das Orchester war eins von den Instituten, worinn die Abderiten es mit allen Städten in der Welt aufnahmen. Das erste, was sie einem Fremden davon sagten, war: daß es hundert und zwanzig Köpfe stark sey. „Das Atheniensische, pflegten sie mit bedeutendem Accent hinzuzuset-
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zen, soll nur 80 haben: aber freylich mit 120 Mann läßt sich auch was ausrichten!“ — Wirklich fehlte es, unter so vielen, nicht an geschickten Leuten, wenigstens an solchen, aus denen ein Vorsteher wie — in Abdera keiner war noch seyn konnte, etwas hätte machen können. Aber was half das ihrem Musikwesen? Es war nun einmal im Götterrathe beschlossen, daß im thracischen Athen nichts an seinem Platz, nichts seinem Zweck entsprechend, nichts r e c h t und nichts g a n z seyn sollte. Weil die Leute wenig für ihre Mühe hatten, so glaubte man auch nicht viel von ihnen fordern zu können; und weil man mit einem Jeden zufrieden war, der s e i n B e s t e s that (wie sie’s nannten), so that n i e m a n d sein Bestes. Die geschickten wurden lässig, und wer
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noch auf halbem Wege war, verlor den Muth und zuletzt auch das Vermögen, weiter zu kommen. Wofür hätten sie sich am Ende auch Mühe um Vo l l k o m m e n h e i t geben sollen, da sie für abderitische Ohren arbeiteten? — Freylich hatten die l e i d i g e n F r e m d e n auch Ohren: aber sie hatten doch keine Stimme zu geben; fandens auch nicht einmal der Mühe werth, oder waren zu höflich, oder zu politisch, gegen den Geschmack von Abdera Sturm laufen zu wollen. Der Nomophylax, so dumm er war, merkte zwar selbst so gut als ein Andrer, daß es nicht so recht gieng wie es sollte. Aber außerdem, daß er keinen Geschmack hatte, oder (welches auf eins hinaus lief) daß ihm nichts schmeckte was er nicht selbst gekocht hatte, und er also immer die rechten Mittel,
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wodurch es besser werden konnte, verfehlte — war er auch zu träge und zu ungeschmeidig, sich mit andern auf die gehörige Art abzugeben. Vielleicht mocht’ er’s auch am Ende wohl leiden, daß er, wenn sein Leyerwerk (wie wohl zuweilen geschah) sogar den Abderiten nicht recht zu Ohren gehen wollte, die Schuld aufs Orchester schieben, und die Herren und Damen, die ihm Ehren halben ihr Compliment deswegen machten, versichern konnte: daß nicht eine Note, so wie er sie gedacht und geschrieben habe, vorgetragen worden sey. Allein das war doch immer nur eine Feuerthüre für den Nothfall. Denn aus dem naserümpfenden Ton, worinn er von allen andern Orchestern zu sprechen pflegte, und aus den Verdiensten, die er sich um das abderitische beylegte, mußte man schließen, daß er so gut damit zufrieden war, als es — einem patriotischen Nomophylax von Abdera ziemte. Wie es aber auch mit der Musik dieser Andromeda und ihrer Ausführung beschaffen seyn mochte: gewiß ist, daß in langer Zeit kein Stück so allgemein gefallen hatte. Dem Sänger, der den P e r s e u s machte, wurde so gewaltig
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zugeklatscht, daß er mitten in der schönsten Scene aus dem Tone kam, und in eine Stelle aus dem C y k l o p s sich verirrete. A n d r o m e d a — in der Scene, wo sie, an den Felsen gefesselt, von allen ihren Freunden verlassen, und dem Zorn der Nereiden Preis gegeben, angstvoll das Auftauchen des Ungeheuers erwartet — mußte ihren Monolog dreymal wiederholen. Der Nomophylax konnte seine Freude über einen so glänzenden Succeß nicht bändigen. Er gieng von Reihe zu Reihe herum, den Tribut von Lob einzusammeln, der ihm aus allen Lippen entgegenschallte; und mitten unter der Versichrung, daß ihm zu viel Ehre widerfahre, gestand er, daß er selbst mit keinem seiner Spiel10
werke (wie er seine Opern mit vieler Bescheidenheit zu nennen beliebte) so zufrieden sey, wie mit dieser Andromeda. Indessen hätt’ er doch, um sich selbst und den Abderiten Gerechtigkeit zu erweisen, wenigstens die Hälfte des glücklichen Erfolgs auf Rechnung der Sängerinn E u k o l p i s setzen müssen, die zwar ohnehin schon im Besitz zu gefallen war, aber in der Rolle der Andromeda Gelegenheit fand, sich in einem so vortheilhaften Lichte zu zeigen, daß die jungen und alten Herren von Abdera sich gar nicht satt an ihr — sehen konnten. Denn da war so viel zu sehen, daß an’s H ö r e n gar nicht zu denken war. E u k o l p i s war eine große wohlgedrehte Figur — zwar um ein Namhaftes materieller, als man in Athen zu
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einer Schönheit erfoderte — aber in diesem Stücke waren die Abderiten, wie in vielen andern, ausgemachte T h r a c i e r ; und ein Mädchen, aus welchem ein Bildhauer in S i c y o n zwo gemacht hätte, war nach ihrem angenommenen Ebenmaas ein Wunder von einer Nymphenfigur. Da die Andromeda nur sehr dünne angezogen seyn durfte, so hatte Eukolpis, die sich stark bewußt war, worinn eigentlich die Kraft ihres Zaubers liege, eine Draperie von r o s e n f a r b n e m k o i s c h e m Z e u g erfunden, unter welcher, ohne daß der Wohlstand sich allzu sehr beleidigt finden konnte, von den schönen Formen, die man an ihr bewunderte, wenig oder nichts für die Zuschauer verloren gieng. Nun hatte sie gut singen! Die Composition hätte, wo möglich, noch abge-
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schmackter, und ihr Vortrag noch zehnmal fehlerhafter seyn können, immer würde sie ihren Monologen haben wiederholen müssen, weil das doch immer der ehrlichste Vorwand war, sie desto länger mit lüsternen Blicken — betasten zu können. Warlich, beym Jupiter, ein herrliches Stück, sagte einer zum andern mit halbgeschloßnen Augen; ein unvergleichliches Stück! Aber finden Sie nicht auch, daß Eukolpis heute wie eine Göttinn singt? — „O! über allen
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Ausdruck! Es ist, b e y m A n u b i s ! nicht anders als ob Euripides das ganze Stück bloß um ihrentwillen gemacht hätte!“ — Der junge Herr, der dies sagte, pflegte immer beym Anubis zu schwören, um zu zeigen, daß er in Ägypten gewesen sey. Die Damen, wie leicht zu erachten, fanden die neue Andromeda nicht ganz so wundervoll als die Mannsleute. — „Nicht übel! Ganz artig! sagten sie: aber wie kömmts, daß die Rollen diesmal so unglücklich ausgetheilt wurden? Das Stück verlor dadurch. Man hätte die Rollen tauschen und die Mutter der d i k k e n E u k o l p i s geben sollen! Zu einer C a s s i o p e a hätte sie sich trefflich geschickt.“ — Gegen ihren Anzug, Kopfputz u. s. w. war auch viel zu erin-
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nern — Sie war nicht zu ihrem Vortheil aufgesetzt — der Gürtel war zu hoch, und zu stark geschürzt — und besonders fand man die Ziererey ärgerlich, immer ihren Fuß zu zeigen, „auf dessen u n p r o p o r t i o n i r t e K l e i n h e i t sie sich ein wenig zu viel einbilde“ — sagten die Damen, die aus dem entgegengesetzten Grunde die ihrigen zu verbergen pflegten. Indessen kamen doch Frauen und Herren sämmtlich darinn überein, d a ß s i e ü b e r a u s s c h ö n s i n g e , und daß nichts n i e d l i c h e r s seyn könne, als die Arie, worinn sie ihr Schicksal b e j a m m e r t e . E u k o l p i s , wiewohl ihr Vortrag wenig taugte, hatte eine gute, klingende biegsame Stimme; aber was sie eigentlich zur Lieblingssängerinn der Abderiten gemacht hatte, war die Mühe, die sie sich mit ziemli-
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chem Erfolge gegeben, d e n N a c h t i g a l l e n gewisse Läufer und Tonfälle abzulernen, in denen sie sich selbst und ihren Zuhörern so wohl gefiel, daß sie solche überall, zu rechter Zeit und zur Unzeit, einmischte, und immer damit willkommen war. Sie mochte zu thun haben was sie wollte, zu lachen oder zu weinen, zu klagen oder zu zürnen, zu hoffen oder zu fürchten: immer fand sie Gelegenheit, ihre N a c h t i g a l l e n anzubringen, und war immer gewiß, beklatscht zu werden, wenn sie gleich die besten Stellen damit verdorben hätte. Von den übrigen Personen, die den P e r s e u s als den ersten Liebhaber, den Agenor, vormaligen Liebhaber der Andromeda, den Vater, die Mutter, und einen Priester des Neptuns vorstellten, finden wir nicht viel mehr zu sagen, als daß man im Einzelnen zwar viel an ihnen auszustellen hatte, im Ganzen aber s e h r w o h l mit ihnen zufrieden war. P e r s e u s war ein schöngewachsner Mensch, und hatte ein großes Talent für einen — abderitischen P i c k e l h e r i n g . Der vorerwähnte C y k l o p s , im Satyrenspiele dieses Namens von Euripides, war seine Meisterrolle. Er spielt den Perseus gar schön, sagten die
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Abderitinnen; nur Schade daß ihm zuweilen unvermerkt d e r C y k l o p s d a z w i s c h e n k o m m t . C a s s i o p e a , ein kleines zieraffichtes Ding, voller angemaßter Grazien, hatte keinen einzigen natürlichen Ton; aber sie galt alles bey der Gemahlinn des zweyten Archon, hatte eine gar drollichte Manier, kleine Liedchen zu singen, und — that ihr B e s t e s . D e r P r i e s t e r d e s N e p t u n s brüllte einen ungeheuren Matrosenbaß; und A g e n o r — sang so elend, als e i n e m z w e y t e n L i e b h a b e r zusteht. Er sang zwar auch nicht besser, wenn er den ersten machte; aber weil er sehr gut tanzte, so hatte er eine Art von Privilegium erhalten, desto schlechter singen zu dürfen. E r t a n z t s e h r 10
s c h ö n , war immer die Antwort der Abderiten, wenn jemand anmerkte, daß sein Krächzen unerträglich sey; indessen tanzte Agenor nur selten, und sang hingegen in allen Singspielen und Operetten. Um die Schönheit dieser Andromeda ganz zu übersehen, muß man sich noch zwey Chöre, einen von N e r e i d e n , und einen von den G e s p i e l i n n e n d e r A n d r o m e d a , einbilden, beyde a u s v e r k l e i d e t e n S c h u l j u n g e n b e s t e h e n d , die sich so ungeberdig dazu anschickten, daß die Abderiten (zu ihrem großen Troste) genug und satt zu lachen bekamen. Besonders that der Chor der Nereiden, durch die Erfindungen, die der Nomophylax dabey angebracht hatte, die schnurrigste Wirkung von der Welt. Die Nereiden erschienen
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mit halbem Leib aus dem Wasser hervorragend, mit falschen gelben Haaren, und mit mächtigen falschen Brüsten, die von ferne recht natürlich wie — ausgestopfte Ballons und also s i c h s e l b s t vollkommen gleich sahen. Die Symphonie, unter welcher diese Meerwunder herangeschwommen kamen, war eine Nachahmung des berühmten Wr e c k e c k e c k K o a x K o a x i n d e n F r ö s c h e n d e s A r i s t o p h a n e s ; und, um die I l l u s i o n vollkommner zu machen, hatte Herr Gryllus verschiedene K ü h h ö r n e r angebracht, die von Zeit zu Zeit einfielen, um die auf ihren Schneckenmuscheln blasenden Tr i t o n e n nachzuahmen. Von den D e c o r a t i o n e n wollen wir, beliebter Kürze halben, weiter nichts
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sagen, als daß sie — von den Abderiten s e h r s c h ö n befunden wurden. Insonderheit bewunderte man einen S o n n e n u n t e r g a n g , den sie vermittelst eines mit langen Schwefelhölzern besteckten Windmühlenrades zuwege brachten; welches einen guten Effect gethan hätte, sagten sie, wenn es nur ein wenig schneller umgetrieben worden wäre. Bey der Art, wie Perseus mit seinen Mercurstiefeln aufs Theater angeflogen kam, hätten d i e K e n n e r wohl wünschen
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mögen, daß man die Stricke, in denen er hieng, luftfarbig angestrichen hätte, damit sie nicht sogar deutlich in die Augen gefallen wären.
Sechstes Kapitel. Sonderbares N a c h s p i e l , das die Abderiten mit einem unbekannten Fremden spielten, und dessen höchst unvermuthete Entwicklung. Sobald das Stück geendigt war, und das betäubende Klatschen ein wenig nachließ, fragte man einander, wie gewöhnlich: Nun, wie hat Ihnen das Stück gefallen? und erhielt überall die gewöhnliche Antwort. Einer von den jungen Herren, der für einen vorzüglichen Kenner passirte, richtete die große Frage
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auch an einen etwas bejahrten Fremden, der in einer der mittlern Reihen saß, und dem Ansehen nach kein gemeiner Mann zu seyn schien. Der Fremde, der sichs vielleicht schon gemerkt hatte, was man zu Abdera auf eine solche Frage antworten mußte, war so ziemlich bald mit seinem S e h r w o h l heraus; aber weil seine Miene diesen Beyfall etwas verdächtig machte, und sogar eine unfreywillige, wiewohl ganz schwache Bewegung der Achseln, womit er ihn begleitete, für ein A c h s e l z u c k e n ausgedeutet werden konnte: so ließ ihn der junge abderitische Herr nicht so wohlfeil durchwischen. „Es scheint, sagte er, das Stück hat Ihnen nicht gefallen? Es passirt doch für eine der besten Piecen vom Euripides!“
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D a s S t ü c k m a g n i c h t ü b e l s e y n , erwiederte der Fremde. — „So haben Sie vielleicht an der Musik etwas auszusetzen?“ — An der Musik ? — O ! was die Musik betrifft, die ist eine Musik — wie man sie nur zu Abdera hört. — „Sie sind sehr höflich! In der That, unser Nomophylax ist ein großer Mann in seiner Art.“ — Ganz gewiß ! — „So sind Sie vermuthlich mit den Schauspielern nicht zufrieden?“ — I c h b i n m i t d e r g a n z e n We l t z u f r i e d e n . — „Ich dächte doch, die Andromeda hätte ihre Rolle s c h a r m a n t gemacht?“ —
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O! s e h r s c h a r m a n t ! — „Sie thut einen großen Effect: nicht wahr?“ — Das werden Sie am besten wissen ; ich bin dazu nicht mehr jung genug. — „Wenigstens werden Sie doch gestehen, daß Perseus ein großer Acteur ist?“ — In der That, ein hübscher wohlgewachsner Mensch ! — „Und die Chöre? das waren doch Chöre, die dem Meister Ehre machten? Finden Sie z. E. den Einfall, wie die Nereiden eingeführt worden, nicht unge10
mein glücklich?“ Der Fremde schien des Abderiten satt zu seyn: I c h f i n d e , versetzte er mit einiger Ungeduld, d a ß d i e A b d e r i t e n g l ü c k l i c h s i n d , a n a l l e n d i e sen Dingen so viel Freude zu haben. „Mein Herr, sagte der junge Geelschnabel in einem spöttelnden Tone, gestehen Sie nur, daß das Stück die Ehre und das Glück nicht gehabt hat, Ihren Beyfall zu erhalten.“ Was ist Ihnen an meinem Beyfall gelegen? D i e M a j o r a e n t s c h e i d e n . „Da haben Sie Recht. Aber ich möchte doch um Wunders willen hören, was Sie denn gegen unsre Musik oder gegen unsre Schauspieler einwenden könn-
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ten?“ K ö n n t e n ? sagte der Fremde etwas schnell, hielt aber gleich wieder an sich — Ve r z e i h e n S i e m i r , i c h m a g n i e m a n d s e i n Ve r g n ü g e n a b disputiren. Das Stück, wie es da gespielt worden, hat zu Abdera allgemein gefallen ; was wollen Sie mehr ? — „Nicht so allgemein, da es Ihnen nicht gefallen hat!“ Ich bin ein Fremder — „Fremd oder nicht, Ihre Gründe möcht’ ich hören! Hi, hi, hi! Ihre Gründe, mein Herr, Ihre Gründe! die werden doch wenigstens k e i n e F r e m d e seyn! Hi, hi, hi, hi!“
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Dem Fremden fieng die Geduld an auszugehen. Junger Herr, sagte er, ich habe für meine Komödie bezahlt; denn ich habe geklatscht wie ein andrer. Lassen Sie’s damit gut seyn! Ich bin im Begriff wieder abzureisen. Ich habe meine Geschäfte. „Ey, ey, sagte ein andrer abderitischer junger Mensch, der dem Gespräch zugehört hatte, Sie werden uns ja nicht schon verlassen wollen? Sie scheinen
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ein großer Kenner zu seyn; Sie haben unsre Neugier, unsre Lehrbegierde (er sagte dies mit einem dumm-naseweisen Hohnlächeln) gereizt; wir lassen Sie warlich nicht gehen, bis Sie uns gesagt haben, was Sie an dem heutigen Singspiel zu tadeln finden. Ich will nichts von d e n Wo r t e n sagen; i c h b i n k e i n K e n n e r : aber die Musik, dächt ich, war doch unvergleichlich?“ Das müßten am Ende doch wohl d i e Wo r t e entscheiden, wie Sie’s nennen, sagte der Fremde. „W i e m e y n e n S i e d a s ? Ich denke Musik ist Musik, und man braucht nur Ohren zu haben, um zu hören, was schön ist.“ Ich gebe Ihnen zu, wenn Sie wollen, erwiederte jener, daß schöne Stellen in
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dieser Musik sind; es mag überhaupt eine gelehrte, nach allen Regeln der Kunst zugeschnittene, schulgerechte, artikelmäßige Musik seyn: ich habe d a g e g e n nichts; ich sage nur, d a ß e s k e i n e M u s i k z u r A n d r o m e d a d e s Euripides ist ! „Sie meynen, daß d i e Wo r t e besser ausgedrückt seyn sollten?“ O! d i e Wo r t e sind zuweilen nur z u s e h r ausgedrückt; aber im Ganzen, meine Herren, im Ganzen ist der Ton des Dichters verfehlt. Der C h a r a k t e r der Personen, die Wa h r h e i t der Affecten und Empfindungen, das e i g e n e S c h i c k l i c h e der Situationen — das, was die Musik seyn kann und seyn muß, um Sprache der Natur, Sprache der Leidenschaft zu seyn — was sie seyn
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muß, damit der Dichter auf ihr wie in seinem Elemente schwimme, und e m p o r g e t r a g e n , n i c h t e r s ä u f t w e r d e — das alles ist durchaus verfehlt — kurz, d a s G a n z e t a u g t n i c h t s ! da haben Sie meine Beichte in drey Worten! „ D a s G a n z e , schrien die beyden Abderiten, d a s G a n z e t a u g t n i c h t s ? Nun, das ist viel gesagt! Wir möchten wohl hören, wie Sie das beweisen wollten?“ Die Lebhaftigkeit, womit unsre beyden Verfechter ihres vaterländischen Geschmacks dem graubärtigen Fremden zusetzten, hatte bereits verschiedne andre Abderiten herbeygezogen; jedermann wurde aufmerksam auf einen Streit, der die Ehre ihres Nationaltheaters zu betreffen schien. Alles drängte sich hinzu; und der Fremde, wiewohl er ein langer stattlicher Mann war, fand für nöthig, sich an einen Pfeiler zurückzuziehen, um wenigstens den Rücken frey zu behalten. W i e i c h d a s b e w e i s e n w o l l t e ? erwiederte er ganz gelassen: ich werde
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es n i c h t beweisen! Wenn Sie das Stück gelesen, die Aufführung gesehen, die Musik gehört haben, und können noch verlangen, daß ich Ihnen mein Urtheil davon beweisen soll: so würd’ ich Zeit und Athem verlieren, wenn ich mich weiter mit Ihnen einließe. „Der Herr ist, wie ich höre, ein wenig schwer zu befriedigen, sagte ein Rathsherr, der sich ins Gespräch mischen wollte, und dem die beyden jungen Abderiten aus Respect Platz machten. Wir haben doch hier in Abdera auch Ohren! Man läßt zwar jedem seine Freyheit; aber gleichwohl —“ „Wie? was? was giebts da? schrie der kurze dicke Rathsherr, der auch her10
bey gewatschelt kam; hat der Herr da etwas wider das Stück einzuwenden? Das möcht’ ich hören! ha, ha, ha! Eins der besten Stücke, mein Treu! die seit langem aufs Theater gekommen sind! Viel Action! Viel — ä — ä — was ich sage! Ein schön Stück! Und schöne Moral!“ Meine Herren, sagte der Fremde, ich habe Geschäffte. Ich kam hieher, um ein wenig auszurasten; ich habe geklatscht, wie’s der Landesgebrauch mit sich bringt, und wäre still und friedlich wieder meines Weges gegangen, wenn mich diese jungen Herren hier nicht auf die zudringlichste Art genöthigt hätten, ihnen meine Meynung zu sagen. „Sie haben auch vollkommnes Recht dazu, erwiederte der andre Rathsherr,
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der im Grunde kein großer Verehrer des Nomophylax war, und aus politischen Ursachen seit einiger Zeit auf Gelegenheit laurte, ihm mit guter Art wehzuthun. Sie sind ein Kenner der Musik, wie es scheint, und —“ Ich spreche nach meiner Überzeugung, sagte der Fremde. Die Abderiten um ihn her wurden immer lauter. Endlich kam Herr Gryllus, der von ferne gehört hatte, daß die Rede von seiner Musik war, in eigner Person dazu. Er hatte eine ganz eigne Art, die Augen zusammenzuziehen, die Nase zu rümpfen, die Achseln zu zucken, zu grinsen und zu meckern, wenn er jemand, mit dem er sich in einen Wortwechsel einließ, seine Verachtung zum Voraus zu empfinden geben wollte. — „So?
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sagte er, hat meine Composition nicht das Glück, dem Herrn zu gefallen? Er ist also ein Kenner? Hä, hä, hä! — Versteht ohne Zweifel die Setzkunst? Ha?“ — „Es ist der N o m o p h y l a x , “ sagte jemand dem Fremden ins Ohr — um ihn durch die Entdeckung des hohen Rangs des Mannes, von dessen Werke er so ungünstig geurtheilt hatte, auf einmal zu Boden zu schlagen.
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Der Fremde machte dem Nomophylax sein Compliment, wie’s in Abdera Sitte war, und schwieg. „Nun, ich möchte doch hören, was der Herr gegen die Composition vorzubringen hätte? Für die Fehler des Orchesters geb’ ich kein gut Wort; aber hundert Drachmen für e i n e n F e h l e r i n d e r C o m p o s i t i o n ! Hä, hä, hä! Nun! Laß hören!“ Ich weiß nicht, was Sie Fehler nennen, sagte der Fremde; meines Bedünkens hat die ganze Musik, wovon die Rede ist, nur einen Fehler. „ U n d d e r i s t ? “ grinste der Nomophylax naserümpfend — Daß der Sinn und Geist des Dichters durchaus verfehlt ist,
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antwortete der Fremde. „So? Nichts weiter? Hä, hä, hä, hä! Ich hätte also den Dichter nicht verstanden? Und d a s w i s s e n S i e ? Denken Sie, daß wir hier nicht auch Griechisch verstehen? Oder haben Sie dem Poeten etwa im Kopfe gesessen? hi, hi, hi!“ Ich weiß was ich sage, versetzte der Fremde; und wenn’s denn seyn muß, so erbiet ich mich, von Vers zu Vers, durchs ganze Stück, mein Urtheil z u O l y m p i a v o r d e m g a n z e n G r i e c h e n l a n d e zu beweisen. „Das möchte zu viel Umstände machen,“ sagte der politische Rathsherr. „Es braucht’s auch nicht, rief der Nomophylax. Morgen geht ein Schiff nach
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Athen; ich schreibe an den E u r i p i d e s , an d e n D i c h t e r ! schicke ihm die ganze Musik! Der Herr wird das Stück doch wohl nicht besser verstehen wollen als der Poet selbst? Sie alle hier unterschreiben sich als Zeugen. Euripides soll selbst den Ausspruch thun!“ Die Mühe können Sie sich ersparen, sagte der Fremde lächelnd; denn, um dem Handel mit einem Wort ein Ende zu machen, der Euripides, an den Sie appelliren — bin ich selbst. Unter allen möglichen schlimmen Streichen, welche Euripides dem Nomophylax von Abdera hätte spielen können, war unstreitig der schlimmste, daß er — in dem Augenblicke, da man an ihn als an einen Abwesenden appellirte — in eigner Person da stand. Aber wer konnte sich auch eines solchen Streichs vermuthen seyn? Was zum — Anubis hatte er in Abdera zu thun? Und gerade in dem Augenblick, wo man lieber einen Wolf gesehen hätte, als ihn? Wär er, wie man doch natürlicher Weise glauben mußte, zu Athen gewesen, wo er hin gehörte — nun so wäre alles seinen ordentlichen Weg gegangen. Der
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Nomophylax hätte seine Composition mit einem hübschen Briefe begleitet, und seinem Namen alle seine Titel und Würden beygefügt. Das hätte doch wirken müssen! Euripides hätte eine urbane attische Antwort gegeben; Gryllus hätte sie im ganzen Abdera lesen lassen: und wer hätte ihm dann den Sieg über den Fremden streitig machen wollen? — Aber daß der Fremde, der naseweise kritische Fremde, der ihm so frisch ins Gesicht gesagt hatte — was in Abdera niemand einem Nomophylax ins Gesicht sagen durfte — E u r i p i d e s s e l b s t war: das war einer von den Zufällen, auf die ein Mann, wie er, sich nicht gefaßt gehalten hatte, und die vermögend wären, jeden andern als — 10
einen Abderiten zu Schanden zu machen. Der Nomophylax wußte sich zu helfen; indessen betäubte ihn doch der erste Schlag auf einen Augenblick. E u r i p i d e s ! rief er, und prallte drey Schritte zurück; und „ E u r i p i d e s ! “ riefen im nämlichen Augenblick der politische Rathsherr, der kurze dicke Rathsherr, die beyden jungen Herren, und alle Umstehenden, indem sie ganz erstaunt herum guckten, als ob sie sehen wollten, aus welcher Wolke Euripides so auf einmal mitten unter sie herabgefallen sey. Der Mensch ist nie ungeneigter zu glauben, als wenn er von einer Begebenheit überrascht wird, an die er nur nicht als eine mögliche Sache gedacht
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hatte. — Wie? Das sollte Euripides seyn? Der nämliche Euripides, von dem die Rede war? der die Andromeda gemacht? an den der Nomophylax zu schreiben drohte? — Wie konnte das zugehen? Der politische Rathsherr war der erste, der sich aus dem allgemeinen Erstaunen erholte. Ein glücklicher Zufall, wahrhaftig, rief er; beym Kastor! ein glücklicher Zufall, Herr Nomophylax! so brauchen sie ihre Musik nicht abschreiben zu lassen, und ersparen einen Brief. Der Nomophylax fühlte die ganze entscheidende Wichtigkeit des Moments; und wenn der ein großer Mann ist, der in einem solchen entscheidenden Augenblick auf der Stelle die einzige Parthey ergreift, die ihn aus der Schwierig-
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keit ziehen kann: so muß man gestehen, daß Gryllus eine starke Anlage hatte, ein großer Mann zu seyn. „Euripides! rief er — Wie? Der Herr sollte so auf einmal Euripides worden seyn? Hä, hä, hä! Der Einfall ist gut! Aber wir lassen uns hier in Abdera nicht so leicht Schwarz für Weiß geben.“ — Das wäre lustig, sagte der Fremde, wenn ich mir in Abdera das Recht an meinen Namen streitig machen lassen müßte.
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„Verzeihen Sie, mein Herr, fiel der S y k o p h a n t d e s T h r a s y l l u s ein, nicht das Recht an ihren Namen, sondern das Recht, sich für den Euripides auszugeben, auf den der Nomophylax provocirte. Sie können Euripides heißen; ob Sie aber Euripides s i n d , das ist eine andere Frage.“ Meine Herren, sagte der Fremde, ich will alles seyn, was Ihnen beliebt, wenn Sie mich nur gehen lassen wollen. Ich verspreche Ihnen, mit diesem Schritte gehe ich den geradesten Weg, den ich finden werde, zu ihrem Thore hinaus, und der Nomophylax soll mich — componiren, wenn ich in meinem Leben wieder komme! „Nä, nä, nä, rief der Nomophylax, das geht so hurtig nicht; der Herr hat sich
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für den Euripides ausgegeben, und nun da er sieht, daß es Ernst gilt, tritt er auf die Hinterbeine — Nä! so haben wir nicht gewettet! Er soll nun beweisen, daß er Euripides ist, oder — so wahr ich Gryllus heiße —“ „Erhitzen Sie sich nicht, Herr College, sagte der politische Rathsherr. Ich bin zwar kein Physiognomiste: aber der Fremde sieht mir doch völlig darnach aus, daß er Euripides seyn könnte; und ich wollte unmaaßgeblich rathen, piano zu gehen.“ „Mich wundert, fieng einer von den Umstehenden an, daß man hier so viel Worte verlieren mag, da der ganze Handel in Ja und Nein entschieden seyn könnte. Da, oben über dem Portal, steht ja d i e B ü s t e d e s E u r i p i d e s leib-
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haftig. Es braucht ja nichts weiter als zu sehen, ob der Fremde der Büste gleich sieht?“ „Bravo, bravo, schrie d e r k l e i n e d i c k e R a t h s h e r r ; das ist doch ein Wort von einem gescheuten Manne! Ha, ha, ha! Die Büste! das ist gar keine Frage, die Büste muß den Ausspruch thun — wiewohl sie nicht reden kann, ha, ha, ha, ha, ha!“ Die umstehenden Abderiten lachten alle aus vollem Halse über den witzigen Einfall des kurzen runden Männchens, und nun lief alles, was Füße hatte, dem Portale zu. Der Fremde ergab sich mit guter Art in sein Schicksal, ließ sich von vorn und hinten betrachten, und Stück vor Stück mit seiner Büste vergleichen, so lange sie wollten. Aber leider! die Vergleichung konnte unmöglich zu seinem Vortheil ausfallen; denn besagte Büste sah jedem andern Menschen oder Thiere ähnlicher als ihm. „Nun, schrie der Nomophylax triumphirend — was kann der Herr nun zu seinem Vorstand sagen?“
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Ich kann etwas sagen (versetzte der Fremde, den die Komödie nachgerade zu belustigen anfieng), woran von Ihnen allen keiner zu denken scheint: wiewohl es eben so wahr ist, als daß Sie — Abderiten, und ich Euripides bin. „Sagen, sagen! grinste der Nomophylax; man kann freylich viel sagen, hä, hä, hä! Und was kann der Herr sagen?“ Ich sage, daß diese Büste dem Euripides ganz und gar nicht ähnlich sieht. „Nein, mein Herr, rief der dicke Rathsherr, das müssen Sie nicht sagen! Die Büste ist eine schöne Büste; sie ist von weißem Marmor, wie Sie sehen, Marmor von Paros, straf mich Jupiter! und kostet uns hundert baare D a r i k e n 10
Species, das können Sie mir nachsagen. Es ist ein schönes Stück, von unserm S t a d t b i l d h a u e r — Ein geschickter berühmter Mann! — nennt sich Moschion — werden von ihm gehört haben? — ein berühmter Mann! Und, wie gesagt, alle Fremden, die noch zu uns gekommen sind, haben die Büste bewundert! Sie ist ächt, das können Sie mir nachsagen! Sie sehen ja selbst, es steht mit großen goldnen Buchstaben drunter Eyripidhw“ Meine Herren, sagte der Fremde, der alle seine angeborne Ernsthaftigkeit zusammennehmen mußte, um nicht auszubersten: darf ich nur eine einzige Frage thun? „Von Herzen gern,“ riefen die Abderiten.
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Gesetzt, fuhr jener fort, es entstünde zwischen mir und meiner Büste ein Streit darüber, wer mir am ähnlichsten sehe — wem wollen Sie glauben, der Büste oder mir? „Das ist eine curiöse Frage,“ sagte der Abderiten einer, sich hinter den Ohren kratzend — „Eine captiose Frage, beym Jupiter! rief ein andrer; nehmen Sie sich in Acht, was Sie antworten, Hochgeachter Herr Rathsherr!“ Ist der dicke Herr ein Rathsherr dieser berühmten Republik? — fragte der Fremde mit einer Verbeugung — so bitte ich sehr um Verzeihung; ich gestehe, die Büste ist ein schönes glattes Werk, von schönem parischen Marmor — und wenn sie mir nicht ähnlich sieht, so kömmt es wohl blos daher, weil Ihr be-
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rühmter Stadtbildhauer d i e B ü s t e schöner gemacht hat, als die Natur — m i c h . Es ist immer ein Beweis seines guten Willens, und der verdient alle meine Dankbarkeit. Dieses Compliment that einen großen Effect; denn die Abderiten hatten’s gar zu gerne, wenn man fein höflich mit ihnen sprach. „Es muß doch wohl Euripides selber seyn,“ murmelte einer dem andern ins Ohr, und der dicke
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Rathsherr selbst bemerkte, bey nochmaliger Vergleichung der Büste mit dem Fremden, d a ß d i e B ä r t e e i n a n d e r v o l l k o m m e n ä h n l i c h s ä h e n . Zu gutem Glücke kam der Archon O n o l a u s und sein Neffe O n o b u l u s dazu, der den Euripides zu Athen hundertmal gesehen, und öfters gesprochen hatte. Die Freude des jungen Onobulus über eine so unverhoffte Zusammenkunft, und seine positive Bejahung, daß der Fremde wirklich der berühmte Euripides sey, hieb den Knoten auf einmal durch; und die Abderiten versicherten nun einer den andern: s i e h ä t t e n’ s i h m g l e i c h b e y m e r s t e n Blick angesehen. Der Nomophylax, wie er sah, daß Euripides gegen seine Büste Recht be-
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hielt, machte sich seitwärts davon. — Ein verdammter Streich! brummelte er zwischen den Zähnen vor sich her: wozu brauchte es aber auch so hinterm Berge zu halten? Wenn er wußte, daß er Euripides war, warum ließ er sich mir nicht p r ä s e n t i r e n ? Da hätte alles einen ganz andern Schwung bekommen! Der Archon Onolaus, der in solchen Fällen gemeiniglich die Honneurs der Stadt Abdera zu machen pflegte, lud den Dichter mit großer Höflichkeit ein, das Gastrecht bey ihm zu nehmen, und bat sich zugleich von dem politischen und dicken Rathsherrn die Ehre auf den Abend aus; welches beyde mit vielem Vergnügen annahmen. „Dacht ich’s nicht gleich? (sagte der dicke Rathsherr zu einem der Umstehenden;) der leibhafte Euripides! Bart, Nase, Stirn, Ohrenläppchen, Augenbraunen, alles auf ein Haar! Man kann nichts gleichers sehen! Wo doch wohl der Nomophylax seine Sinne hatte? Aber, — ja — ja, er mochte wohl ein bischen — Hm! Sie verstehen mich? — Cantores amant humores — Ha, ha, ha, ha! — Basta! Desto besser, daß wir den Euripides bey uns haben! Was ich sage, ein feiner Mann, beym Jupiter! und der uns viel Spaß machen soll! Ha, ha, ha!“
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Siebentes Kapitel. Wie Euripides nach Abdera gekommen, nebst einigen Geheimnachrichten von dem Hofe zu Pella. So möglich es an sich selbst war, daß sich Euripides zu Abdera befinden konnte, und eben so gut in dem Augenblick, wo der Nomophylax Gryllus auf ihn provocirte, als in jedem andern — und so gewohnt man dergleichen unvermutheter Erscheinungen a u f d e m T h e a t e r ist: so begreifen wir doch wohl, daß es eine andre Bewandtniß hat, wenn sich eine solche Erscheinung im P a r t e r r e ereignet; und es ist solchenfalls d e r M a j e s t ä t d e r G e 10
s c h i c h t e * ) gemäß, den Leser zu verständigen, wie es damit zugegangen. Wir wollen alles, was wir davon wissen, getreulich berichten; und sollte dem scharfsinnigen Leser dem ungeachtet noch einiger Zweifel übrig bleiben: so müßte es nur die allgemeine Frage betreffen, die sich bey jeder Begebenheit unter und über dem Monde aufwerfen läßt: nämlich, w a r u m z. E. just von einer M ü c k e , und just von d i e s e r individuellen Mücke, just in d i e s e r Secunde — d i e s e r zehnten Minute — d i e s e r sechsten Nachmittagsstunde, d i e s e s 10ten Augusts — d i e s e s 1778 Jahres gemeiner Zeitrechnung, just d i e s e nämliche Frau oder Fräulein von *** nicht ins Gesicht, nicht in den Nacken, Ellnbogen, Busen, nicht auf die Hand, noch in die Ferse, u. s. w. son-
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dern g e r a d e v i e r D a u m e n h o c h ü b e r d e r l i n k e n K n i e s c h e i b e gestochen worden u. s. w. — und da bekennen wir ohne Scheu, daß wir auf dieses Wa r u m nichts zu antworten wissen. F r a g t d i e G ö t t e r — könnten wir allenfalls mit einem großen Manne sagen: aber weil dieses offenbar eine — h e r o i s c h e Antwort wäre, so halten wirs für anständiger, die Sache lediglich auf sich beruhen zu lassen. Also — was wir wissen. Der König A r c h e l a u s in Macedonien, ein großer Liebhaber der schönen Künste und der — s c h ö n e n G e i s t e r (wie man damals gewisse verzärtelte Kinder der Natur n i c h t nannte, und wie man heu-
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Ein Ausdruck, der vor kurzem von einem französischen Schriftsteller bey einer solchen
Gelegenheit gebraucht worden ist, daß er nun für unwiederbringlich ruinirt angesehen werden kann, und allein noch in einem Possenspiel auszustehen ist.
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tigs Tages einen Jeden nennt, von dem man nicht sagen kann, was er ist) — dieser König Archelaus war auf den Einfall gekommen, ein eignes Hofschauspiel zu haben; und vermöge einer Zusammenkettung von Umständen, Ursachen, Mitteln und Zwecken, woran niemanden mehr viel gelegen seyn kann, hatte er den Euripides unter sehr vortheilhaften Bedingungen vermocht, mit einer Truppe ausgesuchter Schauspieler, Virtuosen, Baumeister, Maler und Machinisten, kurz mit allem, was zu einem vollständigen Theaterwesen gehört, nach Pella an sein Hoflager zu kommen, und die Direction über die neue Hofschaubühne zu übernehmen. Auf dieser Reise war itzt Euripides mit seiner ganzen Gesellschaft begriffen; und wiewohl der Weg über Abdera weder
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der einzige noch der kürzeste war, so hatte er ihn doch genommen, weil er Lust hatte, eine wegen des Witzes ihrer Einwohner so berühmte Republik mit eignen Augen zu sehen. Wie es aber gekommen, daß er an dem nämlichen Tage eingetroffen, da der Nomophylax seine Andromeda zum erstenmale gab; davon können wir, wie gesagt, keine Rechenschaft geben. Dergleichen A p r o p o’ s tragen sich häufiger zu als man denkt; und es ist wenigstens kein größeres Mirakel, als daß z. E. der junge Herr von ** eben im Begriff war, seine Beinkleider hinaufzuziehen, als unvermuthet seine Nähterinn ins Zimmer trat, die seidnen Strümpfe, die er ihr zu stoppen geschickt hatte, zu überbringen — welches, wie Sie wissen, die Veranlassung zu einer zufälligen Begeben-
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heit war, die in seiner hohen Familie wenigstens eben so große Bewegungen verursachte, als die unvorbereitete Erscheinung des Euripides in dem abderitischen Parterre. Wer sich über so was wundern kann, muß sich nicht viel auf die Daimonia verstehen, wie eben dieser Euripides sagt. Übrigens, wenn wir sagten, daß der K ö n i g A r c h e l a u s ein großer Liebhaber der schönen Künste und schönen Geister gewesen sey, so muß das eben nicht so genau und im strengsten Sinn der Worte genommen werden; denn es ist eigentlich nur so eine Art zu reden, und dieser Herr war im Grunde nichts weniger als ein Liebhaber der schönen Künste und schönen Geister. Das Wahre davon war: daß besagter König Archelaus seit einiger Zeit öfters Langeweile hatte — weil ihn alle seine vormaligen Amüsemens, als da sind — F**, G**, H**, I**, K**, L**, M**, u. s. w. nicht länger amüsiren wollten. Überdem war er ein Herr von großer A m b i t i o n , der sich von seinem Oberkammerherrn hatte sagen lassen, daß es schlechterdings unter die Zuständigkeiten eines großen Fürsten gehöre, Künste und Wissenschaften in seinen Schutz zu neh-
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men. Denn, sagte der Oberkammerherr, Ew. Majestät werden bemerkt haben, daß man niemals eine Statue, oder ein Brustbild eines großen Herrn auf einer Medaille u. s. w. sieht, an dessen rechter Hand nicht eine Minerva stünde, neben einem Trophee von Panzern, Fahnen, Spießen und Morgensternen — zur Linken knien immer etliche geflügelte Jungen oder halbnackte Mädchen, mit Pinsel und Palet, Winkelmaß, Flöte, Leyer und einer Rolle Papier in den Händen, die Künste vorstellend, die sich dem großen Herrn gleichsam zur Protection empfehlen; oben drüber aber schwebt eine Fama, mit der Trompete am Mund, anzudeuten, daß Könige und Fürsten sich durch den Schutz, den sie 10
den Künsten angedeihen lassen, einen unsterblichen Ruhm erwerben u. s. w. Der König Archelaus hatte also die Künste in seinen Schutz genommen; und dem zufolge wissen uns die Geschichtschreiber ein Langes und Breites davon zu erzählen, wie viel er gebaut habe, und wie viel er auf Malerey und Bildhauerey, auf schöne Tapeten und andre schöne Meublen verwandt; und wie alles, bis auf die Commodität, bey ihm habe h e t r u r i s c h seyn müssen; und wie er berühmte Künstler, Virtuosen und schöne Geister an seinen Hof berufen habe, u. s. w. welches alles, sagen sie, er um so mehr that, weil ihm daran gelegen war, das Andenken der Übelthaten auszulöschen, durch die er sich den Weg zum Throne, zu dem er nicht geboren war, gebahnt hatte — wie
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E. E. aus Ihrem B a y l e mit mehrerm ersehen können. Nach dieser kleinen Abschweifung kehren wir zu unserm attischen Dichter zurück, den wir unter einem schimmernden Zirkel von Abderiten und Abderitinnen vom ersten Range, unter einem grünen Pavillon im Garten des Archon Onolaus antreffen werden.
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Achtes Kapitel. Wie sich Euripides mit den Abderiten benimmt. Sie machen einen Anschlag auf ihn, wobey sich ihre politische Betriebsamkeit in einem starken Lichte zeigt, und der ihnen um so gewisser gelingen muß, weil alle Schwierigkeiten, so sie dabey sehen, blos eingebildet sind. Es ist oben schon bemerkt worden, daß Euripides schon lange, wiewohl unbekannter Weise, bey den Abderiten in großem Ansehen stund. Itzt, so bald es erschollen war, daß er in Person zugegen sey, war die ganze Stadt in Bewegung. Man sprach von nichts als vom Euripides. — „Haben Sie den Euripides
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schon gesehen? Wie sieht er aus? Hat er eine große Nase? Wie trägt er den Kopf? Was hat er für Augen? Er spricht wohl in lauter Versen? Ist er stolz?“ — und hundert solche Fragen machte man einander schneller als es möglich war, auf eine zu antworten. Die Neugier, den Euripides zu sehen, zog noch außer denen, die der Archon hatte bitten lassen, verschiedene herbey, die nicht geladen waren. Alles drängte sich um den guten glatzköpfigen Dichter her, um zu beaugenscheinigen, ob er auch so aussehe, wie sie sich vorgestellt hatten, daß er aussehen müsse. Verschiedne, insonderheit unter den Damen, schienen sich zu verwundern, daß er am Ende doch just so aussah wie ein andrer Mensch. Andre bemerkten, daß er viel Feuer in den Augen habe;
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und die schöne T h r y a l l i s raunte ihrer Nachbarinn ins Ohr, man seh es ihm stark an, daß er ein ausgemachter Weiberfeind *) sey. Sie machte diese Bemerkung mit einem Ausdruck von anticipirtem Vergnügen über den Triumph, den sie sich davon versprach, wenn ein so erklärter Feind ihres Geschlechts die Macht ihrer Reizungen würde bekennen müssen. Die Dummheit hat ihr S u b l i m e s so gut als der Verstand, und wer darinn bis zum A b s u r d e n gehen kann, hat das Erhabne in dieser Art erreicht, welches für gescheute Leute immer eine Quelle von Vergnügen ist. Die Abderiten hatten das Glück, im Besitz dieser Vollkommenheit zu seyn. Ihre Ungereimt*)
Es ist bekannt, daß dieses häßliche Laster dem Euripides, wiewohl unverdienter Weise,
Schuld gegeben wurde.
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heit machte einen Fremden Anfangs wohl zuweilen ungeduldig; aber so bald man sah, daß sie so ganz a u s e i n e m S t ü c k e war, und (eben darum) so viele Zuversicht und Gutmüthigkeit in sich hatte: so versöhnte man sich gleich wieder mit ihnen, und belustigte sich oft besser an ihrer Albernheit, als an andrer Leute Witz. Euripides war in seinem Leben nie bey so guter Laune gewesen, als bey diesem Abderitenschmause. Er antwortete mit der größten Gefälligkeit auf alle ihre Fragen, lachte über alle ihre platten Einfälle, ließ jeden so hoch gelten als er sich selbst würdigte, und erklärte sich sogar über ihr Theater und Mu10
sikwesen so billig, daß jedermann vollkommen mit ihm zufrieden war. — „ E i n f e i n e r G a s t ! raunte der politische Rathsherr der Dame Salabanda, die über ihm saß, ins Ohr; d e r t r i t t l e i s e a u f ! “ — „Und so höflich, so bescheiden, als ob er kein großer Kopf wäre,“ erwiederte Salabanda. — „Der drolligste Mann von der Welt, beym Jupiter! sagte der kurze dicke Rathsherr, beym Aufstehen von Tische; ein recht kurzweiliger Mann! Hätt’s ihm nicht zugetraut, mein Seel!“ — Die Damen, die er s c h ö n gefunden hatte, waren dafür so höflich, und thaten, als ob sie ihn um zwanzig Jahre j ü n g e r fänden als er war; kurz, man war ganz von ihm bezaubert, und bedauerte nur, daß man die E h r e u n d d a s Ve r g n ü g e n , ihn in Abdera zu sehen, nicht
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länger haben sollte. Denn Euripides blieb dabey, daß er sich nicht aufhalten könne. Endlich nahm F r a u S a l a b a n d a den politischen Rathsherrn und den jungen Onobulus auf die Seite. „Was meynen Sie, sagte sie, wenn wir ihn dahin bringen könnten, daß er uns seine Andromeda gäbe? Er hat seine eigne Truppe bey sich. Es sollen ganz außerordentliche Virtuosen seyn.“ — O n o b u l u s fand den Einfall g ö t t l i c h — „Ich hatte ihn eben selbst gehabt, sagte der p o l i t i s c h e R a t h s h e r r , und war im Begriff, es Ihnen vorzutragen. Aber es wird Schwierigkeiten absetzen. Der Nomophylax“ — „O, dafür lassen Sie mich sorgen, fiel Salabanda ein; ich will ihm schon warm machen!“
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„Für meinen Oheim steh ich, sagte O n o b u l u s ; und noch in dieser Nacht will ich unter unsern jungen Leuten eine Parthey zusammentrommeln, die Lerms genug in der Stadt machen soll.“ „Nur nicht zu hitzig, munkelte der p o l i t i s c h e R a t h s h e r r mit dem Kopf wackelnd; wir wollen uns nichts merken lassen! Erst das Terrain sondirt, und fein leise aufgetreten! das ist was ich immer sage.“
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„Aber, wir haben keine Zeit zu verlieren, Herr Froschpfleger, *) Euripides geht fort —“ „Wir wollen ihn schon aufhalten, sagte S a l a b a n d a ; er soll morgen bey mir seyn — eine Gartenparthie, und alle unsre hübschen Leute dazu eingeladen — Lassen Sie nur mich machen; es soll gewiß gehen.“ Frau S a l a b a n d a paßirte in Abdera für eine gar weise Frau. Sie war stark in Politicis und hatte großen Einfluß auf den Archon Onolaus. Der Oberpriester war ihr Oheim, und fünf oder sechs Rathsherren, die sie in ihrer Freundschaft zählte, gaben selten eine andre Meynung im Rath von sich, als die sie ihnen des Abends zuvor eingetrichtert hatte. Überdies stunden ihr die Lieb-
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haber der schönen T h r y a l l i s , mit der sie in engstem Vertrauen lebte, gänzlich zu Gebot; nichts von ihren eignen zu sagen, deren sie immer einige hatte, die a u f H o f f n u n g dienten, und also so geschmeidig waren wie Handschuhe. Ihr Haus, das unter die besten in der Stadt gehörte, war der Ort, wo alle Geschäfte vorbereitet, alle Händel geschlichtet, und alle Wa h l e n ins Reine gebracht wurden; mit einem Wort, Frau Salabanda machte in Abdera was sie wollte. Euripides, ohne die mindeste Absicht Gebrauch von der Wichtigkeit dieser Frau zu machen, hatte sich diesen Abend so gut bey ihr insinuirt, als ob er zum wenigsten eine Froschpflegerstelle auf dem Korn gehabt hätte. Brachte sie ein
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politisches Weidsprüchlein als einen G e d a n k e n vor, so fand er, daß es eine s e h r s c h a r f s i n n i g e B e m e r k u n g sey; citirte sie den Simonides oder Homer, so bewunderte er ihr Talent, Verse zu declamiren. Sie hatte ihn mit einigen Stellen seiner Werke aufgezogen, die ihn zu Athen in den bösen Ruf eines Weiberfeindes gesetzt; und er hatte, indem er sich gegen sie und die schöne Thryallis verbeugte, versichert, daß es sein Unglück sey, nicht eher nach Abdera gekommen zu seyn. Kurz, er hatte sich so aufgeführt, daß Frau Salabanda bereit war, einen Aufstand zu erregen, falls ihr mit dem politischen Rathsherrn eingefädeltes Project durch kein gelinderes Mittel hätte durchgesetzt werden können. Man säumte sich nicht, sich vor allen Dingen d e s A r c h o n s zu versichern,
*)
Der Rathsherr war einer von d e n F ü r s o r g e r n d e s g e h e i l i g t e n F r o s c h g r a b e n s ,
welches in Abdera eine sehr ansehnliche Stelle war. Man nannte sie die B a t r a c h o t r o p h e n , welches zu deutsch sehr füglich durch Froschpfleger gegeben werden kann.
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der gewöhnlich bald gewonnen war, wenn man ihm sagte, daß eine Sache der Republik Abdera zu großem Ruhm gereichen, und dem Volk sehr angenehm seyn werde. Aber, weil er ein Herr war, der seine Ruhe liebte, so erklärte er sich: er überlasse es ihnen, alles i n d i e g e h ö r i g e We g e einzuleiten; er seines Orts möchte sich mit niemand deswegen abwerfen, am wenigsten mit dem Nomophylax, der ein Grobian sey, und unter dem Volk einen starken Anhang habe. — „Wegen des Volkes machen sich Ew. Herrlichkeit keine Sorge, flüsterte ihm der Rathsherr zu; das will ich durch die dritte Hand schon stimmen lassen, wie wirs nur wünschen können.“ — „Und ich, sagte Salabanda, 10
nehme die Rathsherren auf mich.“ — Wir wollen sehen, sprach der Archon, indem er zur Gesellschaft zurückkehrte. „Seyn Sie ruhig, sprach die Dame zum politischen Rathsherrn, indem sie ihn auf die Seite nahm: ich kenne den Archon. Wenn man ihn haben will, so muß man ihn nur des Abends von einer Sache sprechen, und wenn er N e i n gesagt hat, des Morgens wiederkommen, und, ohne den Mund zu verkrümmen, so reden, als ob er J a gesagt habe, und ihm dabey zeigen, daß man des Erfolgs gewiß ist: so kann man sich auf ihn verlassen wie auf Gold. Es ist nicht das erstemal, daß ich ihn auf diese Art drangekriegt habe.“ „Sie sind eine schlaue Frau, versetzte der Herr Froschpfleger, indem er sie
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sachte auf den runden Arm klopfte — Was Sie leise auftreten! — Aber man wird merken, daß wir etwas vorhaben — und das könnte nachtheilig seyn — Wir müssen p i a n o gehn!“ In diesem Augenblick trippelten ein paar Abderitinnen herbey, denen bald alle übrigen von der Gesellschaft folgten, um zu hören, wovon die Rede sey. Der politische Rathsherr schlich sich weg. „Nun, wie gefällt euch Euripides? sagte Frau Salabanda; nicht wahr, das ist ein Mann?“ O! ein scharmanter Mann, riefen die Abderitinnen. Nur Schade, daß er so kahl ist — setzte eine hinzu; und daß ihm ein paar
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Zähne fehlen, sagte die andre. Närrchen, destoweniger kann er dich beißen, sagte die dritte; und weil dies ein witziger Einfall war, so lachten sie alle herzlich darüber. Ist er schon verheurathet, fragte ein junges Ding, das so aussah, als ob es wie ein Pilz in einer einzigen Nacht aus dem Boden aufgeschossen wäre.
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Möchtest D u ihn etwa haben? antwortete ein andres Fräulein spöttisch; ich denke, er hat schon Urenkel zu verheurathen. O! die will ich D i r überlassen, sagte jene schnippisch; und der Stich war desto wespenartiger, weil das besagte Fräulein, wiewohl sie so jung that als ein Mädchen von achtzehn, wenigstens ihre volle fünf- und dreyßig auf dem Nakken trug. „Kinder, unterbrach sie Frau Salabanda, von dem allen ist itzt die Rede nicht. Es ist was ganz anders auf dem Tapet. Wie gefiel’ es euch, wenn ich den fremden Herrn beredete, etliche Tage hier zu bleiben, und uns mit der Truppe, die er bey sich hat, eine seiner Komödien zu geben?“
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O das ist herrlich, riefen die Abderitinnen alle vor Freuden aufhüpfend; o ja, wenn Sie das machen könnten! „Das will ich schon machen können, versetzte Salabanda; aber ihr müßt alle dazu helfen!“ O ja, o ja, schnatterten die Abderitinnen; und nun liefen sie in hellen Haufen auf den Euripides zu, und schrien alle auf einmal: O ja, Herr Euripides, Sie müssen uns eine Komödie spielen! Wir lassen Sie nicht gehen, bis Sie uns eine Komödie gespielt haben. Nicht wahr? Sie versprechens uns? Der arme Mann, dem diese Zumuthung auf den Hals kam wie ein Kübel Wassers übern Kopf, trat ein paar Schritte zurück, und versicherte sie, es sey
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ihm nie in den Sinn gekommen, in Abdera Komödie zu spielen; er müsse seine Reise beschleunigen u. s. w. Aber das half alles nichts — O Sie müssen, schrien die Abderitinnen; wir lassen Ihnen keine Ruhe; Sie sind viel zu artig, als daß Sie uns was abschlagen sollten. Wir wollen Sie so schön bitten — „Im Ernst, sagte Frau Salabanda, wir haben einen Anschlag auf Sie gemacht —“ und der nicht zu Wasser werden soll, fiel Onobulus ein, oder ich will nicht Onobulus heißen. Was giebts? Was giebts? fragte der politische Rathsherr, der den Unwissenden machte, indem er langsam und mit unstetem Blick hinzuschlich; was haben Sie mit dem Herrn vor? — Der kurze dicke Rathsherr kam auch herbeygewatschelt. „Ich glaube gar, straf mich! sie wollen alle auf einmal sein Herz mit Arrest beschlagen, ha, ha, ha!“ — schrie er und lachte, daß er sich die Seiten halten mußte. Man verständigte ihn, wovon die Rede sey. — „Ha, ha, ha, ha! Ein schöner Gedanke! straf mich Jupiter! da komm ich gewiß auch, das versprech ich Ihnen! Der Meister selbst! das muß der Mühe werth seyn! Wird
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recht viel Ehre für Abdera seyn, Herr Euripides, große Ehre! Haben uns glücklich zu schätzen, daß unsre Leute von so einem geschickten Manne profitiren sollen!“ — Noch ein paar Herren von Bedeutung machten ihm ungefähr das nämliche Compliment. Euripides, wiewohl er den Einfall nicht so übel fand, sich diese Lust mit den Abderiten zu machen, spielte noch immer den Erstaunten, und entschuldigte sich damit, daß er dem König Archelaus versprochen habe, seine Reise zu beschleunigen. „Ey, was, sagte Onobulus, Sie sind ein Republikaner, und eine Republik hat 10
ein näheres Recht an Sie.“ „Sagen Sie dem Könige nur, schnarrte die schöne M y r i s , daß wir Sie so gar schön gebeten haben. Er soll ein galanter Herr seyn. Er wird Ihnen nicht übel nehmen, daß Sie sechs Frauenzimmern auf einmal nichts abschlagen konnten.“ O d u , Ty r a n n d e r G ö t t e r u n d d e r M e n s c h e n , A m o r ! rief Euripides im Ton der Tragödie, indem er zugleich die schöne T h r y a l l i s ansah. „Wenn das Ihr Ernst ist, sagte Thryallis, mit der Miene einer Person, die nicht gewohnt ist, weder abzuweisen, noch abgewiesen zu werden; wenn das Ihr Ernst ist, so beweisen Sie es dadurch, daß Sie sich von mir erbitten las-
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sen.“ Dies v o n m i r verdroß die andern Abderitinnen. Wir wollen nicht unbescheiden seyn, sagte eine, indem sie die Lippen einzog, und auf die Seite sah — Man muß dem Herrn nichts zumuthen, was ihm unmöglich ist, sagte eine Andre. Um Ihnen Vergnügen zu machen, meine schönen Damen, sprach der Dichter, könnte mir das Unmögliche möglich werden. Weil dies N o n s e n s war, so gefiel es allgemein. Onobulus war hurtig mit seiner Schreibtafel heraus, u m s i c h d e n G e d a n k e n aufzunotiren. Die Weiber und Mädchen warfen einen Blick auf Thryallis, als ob sie sagen wollten:
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Ätsch! er hat uns auch s c h ö n geheißen! Madam braucht sich eben nicht so viel auf ihre A t a l a n t e n f i g u r einzubilden; er bleibt so gut um unsertwillen hier als um ihrentwillen. Salabanda machte endlich dem Handel ein Ende, indem sie sich blos die Gefälligkeit ausbat, daß er ihr und ihren Freunden, die alle seine großen Verehrer seyen, nur noch den morgenden Tag schenken möchte. Weil Euripides
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im Grunde nichts zu eilen hatte, und sich in Abdera sehr gut amüsirte, so ließ er sich nicht lange bitten, eine Einladung anzunehmen, die ihm hübsche Beyträge zu — Possenspielen für den Hof zu Pella versprach. Und so gieng dann die Gesellschaft, auf die Ehre, sich morgen bey Frau Salabanda wiederzusehen, gegen Mitternacht in allerseitigem Vergnügen auseinander.
Neuntes Kapitel. Euripides besieht die Stadt, wird mit dem Priester Strobylus bekannt, und vernimmt von ihm die Geschichte der Latonenfrösche. Merkwürdiges Gespräch, welches bey dieser Gelegenheit zwischen Demokritus, dem Priester
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und dem Dichter vorfällt. Inzwischen führte O n o b u l u s , in Begleitung etlicher junger Herren seines Schlages, seinen Gast in der Stadt herum, um ihm alles, was darinn sehenswürdig wäre, zu zeigen. Unterwegens begegnete ihnen D e m o k r i t u s , mit welchem Euripides schon von langem her bekannt war. Sie giengen also mit einander; und da die Stadt Abdera ziemlich weitläufig war, so hatten die beyden Alten Gelegenheit genug, von den jungen Herren zu profitiren, die immer den Mund offen hatten, über alles entschieden, alles wußten, und sich gar nicht zu Sinne kommen ließen, daß es ihres gleichen in Gegenwart von Männern anständiger sey, zu hören als sich hören zu lassen.
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Euripides hatte also diesen Morgen genug zu hören und zu sehen. Die jungen Abderiten, die nie weiter als bis an die äußersten Schlagbäume ihrer Vaterstadt gekommen waren, sprachen von allem, was sie ihm zeigten, als von Wundern, die gar nicht ihres gleichen in der Welt hätten. Onobulus hingegen, der die große Reise gemacht hatte, verglich alles mit dem, was er in eben dieser Art zu Athen, Korinth und Syrakus gesehen, und brachte, in einem albernen Ton von Entschuldigung, eine Menge lächerlicher Ursachen hervor, warum diese Dinge in Athen, Korinth und Syrakus schöner und prächtiger wären als in Abdera. Junger Herr, sagte Demokritus, es ist hübsch, daß Sie Ihre Vater- und Mutterstadt in Ehren haben; aber wenn Sie uns einen Beweis davon geben wollen,
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so lassen Sie Athen, Korinth und Syrakus aus dem Spiele. Nehmen wir jedes Ding wie es ist, und keine Vergleichung, so brauchts auch keine Entschuldigung! Euripides fand alles, was man ihm zeigte, sehr merkwürdig; und das war es auch! Denn man zeigte ihm eine Bibliothek, worinn viel unnütze und ungelesene Bücher, ein Münzcabinet, worinnen viel abgegriffene Münzen, ein reiches Spital, worinn viel übelverpflegte Arme, ein Arsenal, worinn wenig Waffen, und einen Brunnen, worinn noch weniger Wasser war. Man zeigte ihm auch das Rathhaus, wo die gute Stadt Abdera so wohl berathen wurde, 10
den Tempel d e s J a s o n s , und ein vergoldetes Widderfell, welches sie, wiewohl wenig Gold mehr daran zu sehen war, für das berühmte g o l d n e V l i e s ausgaben. Sie nahmen auch den alten rauchigten Tempel der Latona in Augenschein, und das Grabmal des A b d e r u s , der die Stadt zuerst erbaut haben sollte, und die Gallerie, wo alle Archonten von Abdera in Lebensgröße gemalt stunden, und einander alle so ähnlich sahen, als ob der folgende immer die Copie von dem vorhergehenden gewesen wäre. Endlich, da sie alles gesehen hatten, führte man sie auch an den g e h e i l i g t e n Te i c h , worinn auf Unkosten gemeiner Stadt die größten und fettesten Frösche gefüttert wurden, die man je gesehen hat; und die, wie d e r P r i e s t e r S t r o b y l u s sehr
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ernsthaft versicherte, in gerader Linie von den lycischen Bauren abstammten, die der umherirrenden nirgends Ruhe findenden, und vor Durst verschmachtenden Latona nicht gestatten wollten, aus einem Teiche, der ihnen zugehörte, zu trinken, und dafür vom Jupiter zur Strafe in Frösche verwandelt wurden. O Herr Oberpriester, sagte Demokritus, erzählen Sie doch dem fremden Herrn die Geschichte dieser Frösche, und wie es zugegangen, daß der geheiligte Teich aus Lycien über das ionische Meer herüber bis nach Abdera versetzt worden; welches, wie Sie wissen, eine ziemliche Strecke Wegs über Länder und Meere ausmacht, und, wenn man so sagen darf, beynahe ein noch
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größeres Wunder ist, als die Froschwerdung der lycischen Bauern selbst. Strobylus sah dem Demokritus und dem Fremden mit einem bedenklichen Blick unter die Augen. Weil er aber nichts darinn sehen konnte, das ihn berechtigt hätte, sie für Spötter zu erklären, welche nicht verdienten, zu so ehrwürdigen Mysterien zugelassen zu werden: so bat er sie, sich unter einen großen wilden Feigenbaum zu setzen, der eine Seite des kleinen Latonentempels
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beschattete, und erzählte ihnen hierauf, mit eben der Treuherzigkeit, womit man die alltäglichste Begebenheit erzählen kann, alles, was er von der Sache zu wissen glaubte. „Die Geschichte des Latonendiensts in Abdera, sagte er, verliert sich im Nebel des grauesten Alterthums. Unsre Vorfahren, die Tejer, die sich vor ungefähr 140 Jahren von Abdera Meister machten, fanden ihn bereits seit unendlichen Zeiten eingeführt; und dieser Tempel hier ist vielleicht einer der ältesten in der Welt, wie Sie schon aus seiner Bauart und andern Zeichen eines hohen Alterthums schließen können. Es ist, wie Sie wissen, nicht erlaubt, mit strafbarem Vorwitz den heiligen Schleyer aufzuheben, den die Zeit um den
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Ursprung der Götter und ihres Dienstes geworfen hat. Alles verliert sich in Zeiten, wo die Kunst zu schreiben noch nicht erfunden war. Allein die mündliche Überlieferung, die von Vater zu Sohn durch so viele Jahrhunderte fortgepflanzt wurde, ersetzt den Abgang schriftlicher Urkunden mehr als hinlänglich, und macht, so zu sagen, eine lebendige Urkunde aus, die dem todten Buchstaben billig noch vorzuziehen ist. Diese Tradition sagt: als die vorerwähnte Verwandlung der lycischen Bauren vorgegangen, hätten die benachbarten Einwohner und einige von den besagten Bauren selbst, welche an dem Frevel der übrigen keinen Theil genommen, als Zeugen des vorgegangenen Wunders, die Latona mit ihren noch an der Brust liegenden Zwillingen, Apollo
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und Diana, für Gottheiten erkannt, an dem Teiche, wo die Verwandlung geschehen, einen Altar errichtet, auch die Gegend und das Gebüsche, das den Teich umgab, zu einem Hain geheiligt. Das Land hieß damals noch M i l i a , und die in Frösche verwandelten Bauren waren also eigentlich zu reden M i l i e r ; als aber lange Zeit hernach L y c u s , Pandions des zweyten Sohn, sich mit einer attischen Colonie des Landes bemächtigte, bekam es von ihm den Nahmen L y c i a , und der ältere Name verlor sich gänzlich. Bey dieser Gelegenheit verließen die Einwohner der Gegend, wo der Altar und Hain der Latona stund, weil sie sich der Herrschaft des besagten Lycus nicht unterwerfen wollten, ihr Vaterland, setzten sich zu Schiffe, irrten eine Zeit lang auf dem ägeischen Meere herum, und ließen sich endlich zu Abdera nieder, welches kurz zuvor durch die Pest beynahe gänzlich entvölkert worden war. Bey ihrem Abzuge schmerzte sie, wie die Tradition sagt, nichts so sehr, als daß sie den geheiligten Hain und Teich der Latona zurücklassen mußten. Sie sannen hin und her, und fanden endlich, das Beste wäre, einige junge Bäume aus dem
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besagten Hain mit Wurzel und Erde, und eine Anzahl von Fröschen aus dem besagten Teich in einer Tonne voll geheiligten Wassers mitzunehmen. Sobald sie zu Abdera anlangten, war ihre erste Sorge, einen neuen Teich zu graben, welches eben dieser ist, den Sie hier vor sich sehen. Sie leiteten einen Arm des Flusses Nestus in denselben, und besetzten ihn mit den Abkömmlingen der in Frösche verwandelten Lycier oder Milier, die sie in dem geweihten Wasser mit sich gebracht. Um den neuen Teich her, dem sie sorgfältig die völlige Gestalt und Größe des alten gaben, pflanzten sie die mitgebrachten heiligen Bäume, weiheten sie aufs neue der Latona zum Hain, 10
bauten ihr diesen Tempel, und verordneten einen Priester, der den Dienst desselben versehen, und des Hains und Teiches warten sollte, welche sich auf diese Weise, ohne ein so großes Wunder, als Herr Demokritus für nöthig hielt, aus Lycien nach Abdera versetzt befanden. Dieser Tempel, Hain und Teich erhielt sich, vermöge der Ehrfurcht, welche sogar die benachbarten wilden Thracier für denselben hegten, durch alle Veränderungen und Unfälle, denen Abdera in der Folge unterworfen war, bis die Stadt endlich von den Tejern, unsern Vorfahren, zu den Zeiten des großen Cyrus wiederhergestellt, und, wie man ohne Ruhmredigkeit sagen kann, zu einem Glanz erhoben wurde, daß sie keine Ursache hat, irgend eine andre in der Welt zu beneiden.“
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Sie reden wie ein wahrer Patriot, Herr Oberpriester, sagte Euripides. Aber wenn es erlaubt wäre, eine bescheidene Frage zu thun — „Fragen Sie — was Sie wollen, fiel ihm Strobylus ein; ich werde Gott Lob! nie verlegen seyn, Antwort zu geben.“ Mit Ew. Ehrwürden Erlaubniß also! — fuhr Euripides fort — Die ganze Welt kennt die edle Denkart und die Liebe zur Pracht und zu den schönen Künsten, die den tejischen Abderiten eigen ist, und wovon ihre Stadt überall die merkwürdigsten Beweise darstellt. Wie kömmt es also, da zumal die Tejer schon von alten Zeiten her im Ruf einer besondern Ehrfurcht für die Latona stehen, daß die Abderiten nicht auf den Gedanken gekommen sind, ihr einen ansehnli-
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chern Tempel aufzubauen? „Ich vermuthete mir diesen Einwurf,“ sagte Strobylus, mit einem Lächeln, wobey er die Augenbraunen in die Höhe zog, und mächtig weise aussehen wollte — Es soll kein Einwurf seyn, versetzte Euripides, sondern blos eine bescheidene Frage.
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„Ich will sie Ihnen beantworten, sagte der Priester. Ohne Zweifel wäre es der Republik leicht gewesen, der Latona als einer G ö t t i n n v o m e r s t e n R a n g einen so prächtigen Tempel aufzubauen, wie sie dem Jason, der doch n u r e i n H e r o s war, gebaut hat. Aber sie hat mit Recht geglaubt, daß es der Ehrfurcht, die wir der Mutter des Apollo und der Diana schuldig sind, gemäßer sey, ihren uralten Tempel zu lassen, wie sie ihn gefunden; und er ist und bleibt demungeachtet der oberste und heiligste Tempel von Abdera, was auch immer der Priester des Jasons dagegen einwenden mag.“ Strobylus sagte dieses letzte mit einem Eifer und einem Crescendo il Forte, daß Demokritus für nöthig fand, ihn zu versichern, daß dies wenigstens bey
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allen Gesunddenkenden eine ausgemachte Sache sey. „Indessen, fuhr der Oberpriester fort, hat die Republik gleichwohl solche Beweise ihrer besondern Devotion für den Tempel der Latona und dessen Zubehörden abgelegt, daß gegen die Lauterkeit ihrer Absichten nicht der geringste Zweifel übrig seyn kann. Sie hat zu Versehung des Dienstes nicht nur ein Collegium von sechs Priestern, deren Vorsteher zu seyn ich unwürdiger Weise die Ehre habe, sondern auch aus dem Mittel des Senats drey Pfleger des geheiligten Teichs angeordnet, von welchen der erste allezeit eines von den Häuptern der Stadt ist. Ja sie hat, aus Beweggründen, deren Richtigkeit streitig zu machen, nicht länger erlaubt ist, die Unverletzlichkeit der Frösche des
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Latonenteichs auf alle Thiere dieser Gattung in ihrem ganzen Gebiet ausgedehnt; und zu diesem Ende das ganze Geschlecht der Störche, Kraniche und aller andern Froschfeinde aus ihren Grenzen verbannt.“ Wenn die Versicherung, daß es nicht länger erlaubt ist, an der Richtigkeit dieses Verfahrens zu zweifeln, mir nicht die Zunge bände, sagte Demokritus, so würde ich mir die Freyheit nehmen zu erinnern, daß selbiges mehr in einer, zwar an sich selbst löblichen, aber doch aufs äußerste getriebnen D e i s i d ä m o n i e , * ) als in der Natur der Sache oder der Ehrfurcht, die wir der Latona schuldig sind, gegründet zu seyn scheint. Denn in der That ist nichts gewisser, als daß die Frösche zu Abdera und in der Gegend umher, die den Einwohnern bereits sehr beschwerlich sind, mit der Zeit sich unter einer solchen Protec*)
Der Apostel P a u l bedient sich des von diesem Worte abgeleiteten Beyworts, da er die
Athenienser, ironischer oder wenigstens zweydeutiger Weise, wegen ihrer unbegrenzten Religiosität zu loben scheint. Apost. Gesch. XVII. 22. Man könnte es G ö t t e r f u r c h t oder D ä m o n e n f u r c h t übersetzen.
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tion so überschwenglich vermehren werden, daß ich nicht begreife, wie unsre Nachkommen sich mit ihnen werden vergleichen können. Ich rede hier blos m e n s c h l i c h e r We i s e , und unterwerfe meine Meynung dem Urtheil der Obern, wie einem rechtgesinnten Abderiten zukommt. „Daran thun Sie wohl, sagte Strobylus, es mag nun Ihr Ernst seyn oder nicht; und Sie würden, nehmen Sie mirs nicht übel, noch besser thun, wenn Sie dergleichen Meynungen gar nicht laut werden ließen. Übrigens kann nichts lächerlichers seyn, als sich vor Fröschen zu fürchten; und unter dem Schutze der Latona können wir, denke ich, gefährlichere Feinde verachten, als 10
diese guten unschuldigen Thierchen jemals seyn könnten, wenn sie auch unsre Feinde würden.“ Das sollt ich auch denken, sagte Euripides. Mich wundert, wie einem so großen Naturforscher, als Demokritus, unbekannt seyn kann, daß die Frösche, die sich von Insecten und kleinen Schnecken nähren, dem Menschen vielmehr nützlich als schädlich sind. Der Priester Strobylus nahm diese Anmerkung so wohl auf, daß er von diesem Augenblick an ein hoher Gönner und Beförderer unsers Dichters wurde. Die Herren hatten sich kaum von ihm beurlaubt, so gieng er in einige der besten Häuser, und versicherte, Euripides sey ein Mann von großen Verdien-
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sten. „Ich habe sehr wohl bemerkt, sagte er, daß er mit dem Demokritus nicht zum Besten steht; er gab ihm ein- oder zweymal tüchtig auf den Kolben. Er ist wirklich ein hübscher verständiger Mann — für einen Poeten.“
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Zehntes Kapitel. Der Senat zu Abdera giebt dem Euripides, ohne daß er darum angesucht hätte, Erlaubniß, eines seiner Stücke auf dem abderitischen Theater aufzuführen. Kunstgriff, wodurch sich die abderitische Kanzley in solchen Fällen zu helfen pflegte. Schlaues Betragen des Nomophylax. Merkwürdige Art der Abderiten, einem, der ihnen im Wege stund, allen Vorschub zu thun. Nachdem Euripides die Wa h r z e i c h e n v o n A b d e r a sämmtlich in Augenschein genommen, führte man ihn nach dem Garten der Salabanda, wo er den
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Rathsherrn ihren Gemahl, (einen Mann, der blos durch seine Gemahlinn merkwürdig wurde,) und eine große Gesellschaft von abderitischem BeauMonde fand, alle sehr begierig zu sehen, w i e m a n e s m a c h t e , um Euripides zu seyn. Euripides sah nur Ein Mittel, sich mit Ehren aus der Sache zu ziehen; und das war — in so guter abderitischer Gesellschaft nicht E u r i p i d e s — sondern so sehr A b d e r i t zu seyn, als ihm nur immer möglich war. Die guten Leute wunderten sich, ihn so gleichartig mit ihnen selbst zu finden. Es ist ein scharmanter Mann, sagten sie; man dächte, er wäre sein Leben lang in Abdera gewesen.
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Die Cabale der Dame Salabanda gieng inzwischen tapfer ihren Gang, und des folgenden Morgens war schon die ganze Stadt des Gerüchtes voll, der fremde Dichter würde mit seinen Leuten eine Komödie aufführen, wie man in Abdera noch keine gesehen habe. Es war ein Rathstag. Die Herren versammelten sich, und einer fragte den andern, wenn Euripides sein Stück geben würde? Keiner wollte was davon wissen, wiewohl jeder positiv versicherte, daß bereits die Zurüstungen dazu gemacht würden. Als der Archon die Sache in Vortrag brachte, formalisirten sich die Freunde des Nomophylax nicht wenig darüber. „Wozu, sagten sie, braucht’s uns noch zu fragen, ob wir erlauben wollen, was schon beschlossen ist, und wovon jedermann als von einer ausgemachten Sache spricht?“
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Einer der hitzigsten behauptete, daß der Senat eben deswegen Nein dazu sagen, und dadurch zeigen sollte, daß Er Meister sey. „Das wäre mir ein s a u b e r e s P a r t i c i p i u m , rief der Zunftmeister P f r i e m e ; weil die ganze Stadt für die Sache b o r d i r t ist, und die fremden Komödianten zu hören wünscht, so soll der Senat Nein dazu sagen? Ich behaupte just das Gegentheil. Eben weil das Volk sie zu hören wünscht, so sollen sie aufspielen! F o x p o b u l u s , F o x D e u s ! Das ist immer mein S i m p l u m gewesen, und soll es bleiben, so lange ich Zunftmeister Pfrieme heißen werde!“ 10
Die Meisten traten auf des Zunftmeisters Seite. Der politische Rathsherr zuckte die Achseln, sprach Pro und Contra, und beschloß endlich: wenn der Nomophylax nichts dabey zu erinnern hätte, so glaubte er, man könnte für diesmal c o n n i u e n d o geschehen lassen, daß die Fremden auf dem Stadttheater spielten. Der Nomophylax hatte bisher blos die Nase gerümpft, gegrinst, seinen Knebelbart gestrichen, und einige abgebrochne Worte mit untermischtem Hä, hä, hä, gemeckert. Er hätte nicht gerne dafür angesehen werden mögen, als ob ihm daran gelegen sey, die Sache zu hintertreiben. Allein je mehr er’s verbergen wollte, desto stärker fiel’s in die Augen. Er schwoll zusehends auf, wie ein
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Truthahn, dem man ein rothes Tuch vorhält, und endlich, da er entweder bersten oder reden mußte, sagte er: „Die Herren mögen nun glauben was sie wollen — aber ich bin wirklich der erste, der das neue Stück zu hören wünscht. Ohne Zweifel hat der Poet den Text und die Musik selbst gemacht, und da muß es ja wohl ein ganzes Wunderding seyn. Indessen, weil er sich nicht aufhalten kann, wie man sagt, so seh ich nicht, wie man mit den Decorationen wird fertig werden können. Und wenn wir zu den Chören unsre Leute hergeben sollen, wie zu vermuthen ist: so bedaur ich, daß ich sagen muß, vor vierzehn Tagen wird nicht daran zu denken seyn.“ Dafür lassen wir den Euripides sorgen, sagte einer von den Vätern, aus
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deren Sprachröhren die Stimme der Dame Salabanda sprach; man wird ihm ohnehin Ehren halben die ganze Direction seines Schauspiels überlassen müssen — Den Rechten eines zeitigen Nomophylax und der Theatercommißion unpräjudicirlich, setzte der Archon hinzu. „Ich bin alles zufrieden, sagte G r y l l u s ; die Herren wollen was Neues — Gut! Wünsche, daß es wohl bekomme! Bin selbst begierig, das Ding zu hören,
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wie gesagt. Es kommt freylich alles blos darauf an, ob man Glauben an die Leute hat — Verstehen Sie mich? — Indessen wird Recht Recht, und Musik Musik bleiben; und ich wette was die Herren wollen, die Terzen und Quinten und Octaven der Herren Athenienser werden just so klingen wie die unsrigen, hä, hä, hä, hä!“ Es gieng also mit einem großen Mehr durch, „daß den fremden Komödianten, semel pro semper und c i t r a c o n s e q u e n t i a m , erlaubt seyn sollte, eine Tragödie auf der Nationalschaubühne aufzuführen, und daß ihnen hiezu von Seiten der Theaterdeputation aller Vorschub gethan und die Kosten von der Cassa bestritten werden sollten.“ Allein, weil der Ausdruck e r l a u b t
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s e y n s o l l t e dem Euripides, der nichts verlangt hatte, sondern sich blos erbitten lassen, hätte anstößig seyn können: so v e r a n s t a l t e t e F r a u S a l a b a n d a , daß der Rathsschreiber, der ihr besonderer Freund und Diener war, im B e s c h e i d die Worte e r l a u b t s e y n s o l l t e in e r s u c h t w e r d e n s o l l t e , und die fremden Komödianten in d e n b e r ü h m t e n E u r i p i d e s verwandelte — Alles übrigens dem Rathschluß und der Kanzley o h n p r ä j u d i c i r l i c h und c i t r a c o n s e q u e n t i a m ! So wie der Senat auseinander gieng, begab sich der Nomophylax zum Euripides, überschüttete ihn mit Complimenten, bot ihm seine Dienste an, und versicherte ihn, daß ihm a l l e r m ö g l i c h e r Vo r s c h u b gethan werden sollte,
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um sein neues Stück recht bald aufführen zu können. Der Effect dieser Versicherung war, daß ihm, ohne daß jemand Schuld daran haben wollte, alle mögliche Hindernisse in den Weg gelegt wurden, und daß es immer an allem fehlte, was er nöthig hatte. Beschwerte er sich, so wies ihn immer einer an den andern — und jeder betheuerte seine Unschuld und seinen guten Willen, indem er ganz deutlich zu verstehen gab, daß der Fehler blos an diesem oder jenem liege, der eine Viertelstunde zuvor seinen guten Willen eben so stark betheuert hatte. Euripides fand die abderitische Art, allen möglichen Vorschub zu thun, so beschwerlich, daß er sich nicht entbrechen konnte, der Dame Salabanda am Morgen des dritten Tages zu erklären: seine Meynung sey, sich mit dem ersten Winde, woher er auch blasen möchte, wieder einzuschiffen, wofern sie nicht einen Rathschluß auswirkte, der den Herren von der Commißion anbeföhle, ihm k e i n e n Vo r s c h u b z u t h u n . Da der Archon, wiewohl eigentlich alle e x e c u t i v e Gewalt von ihm abhieng, kein Mann von Execution war, so war
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das einzige Mittel in dieser Noth, den Zunftmeister Pfriem und den Priester Strobylus, welche alles beym Volke vermochten, in Bewegung zu setzen. Salabanda übernahm beydes mit so guter Wirkung, daß binnen Tag und Nacht alles, was von Seiten der Theatercommißion besorgt werden mußte, fertig und bereit war; welches um so leichter geschehen konnte, da Euripides seine eignen Decorationen bey sich hatte, und also beynahe nichts weiter zu thun war, als sie dem abderitischen Theater anzupassen.
Eilftes Kapitel. Die Andromeda des Euripides wird endlich, trotz aller 10
Hindernisse, von seiner eignen Truppe aufgeführt. Außerordentliche Empfindsamkeit der Abderiten, mit einer Digression, welche unter die lehrreichsten in diesem ganzen Werke gehört, und daher auch von gar keinem Nutzen seyn wird. Die Abderiten hatten ein n e u e s Stück erwartet, und waren daher übel zufrieden, da sie hörten, daß es eben die Andromeda war, die sie vor wenig Tagen schon gesehen zu haben glaubten. Noch weniger wollten ihnen Anfangs die fremden Schauspieler einleuchten, deren Ton und Action so natürlich war, daß die guten Leute — gewohnt ihre Helden und Heldinnen wie Besessene
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herumfahren zu sehen, und schreyen zu hören wie der verwundete Mars in der Iliade — gar nicht wußten, was sie daraus machen sollten. Das ist eine wunderliche Art zu agiren, flüsterten sie einander zu; man merkt gar nicht, daß man in der Komödie ist; es klingt ja ordentlich, als ob die Leute ihre eigne Rollen spielten. Indessen bezeugten sie doch ihr Erstaunen über die Decorationen, die zu Athen von einem berühmten Meister in der Theaterperspectiv gemalt waren; und da die Meisten in ihrem Leben nichts Gutes in dieser Art gesehen hatten, so glaubten sie bezaubert zu seyn, wie sie das Ufer des Meers, den Felsen, wo Andromeda angefesselt war, und den Hain der Nereiden an einer kleinen Bucht auf der einen Seite, und den Palast des Königs Cepheus in
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der Ferne auf der andern, so natürlich vor sich sahen, daß sie geschworen hätten, es sey alles wirklich und wahrhaftig so, wie es sich darstellte. Da nun
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überdies die Musik vollkommen nach dem Sinn des Dichters, und also das alles w a r , was die Musik des Nomophylax Gryllus — nicht war; da sie immer gerad aufs Herz wirkte, und ungeachtet der größten Einfalt und Singbarkeit doch immer neu und überraschend war: so brachte alles dieß, mit der Lebhaftigkeit und Wahrheit der Declamation und Pantomime, und mit der Schönheit der Stimmen und des Vortrags, einen Grad von Täuschung bey den guten Abderiten hervor, wie sie noch in keinem Schauspiel erfahren hatten. Sie vergaßen gänzlich, daß sie in ihrem Nationaltheater saßen; glaubten unvermerkt mitten in der wirklichen Scene der Handlung zu seyn, nahmen Antheil an dem Glück und Unglück der handelnden Personen, als ob es ihre näch-
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sten Blutsfreunde gewesen wären, betrübten und ängstigten sich, hofften und fürchteten, liebten und haßten, weinten und lachten, wie es dem Zauberer, unter dessen Gewalt sie waren, gefiel, — kurz, die Andromeda wirkte so außerordentlich auf sie, daß Euripides selbst gestand, noch niemals des Schauspiels einer so vollkommnen Empfindsamkeit genossen zu haben. Wir bitten — in Parenthesi — die empfindsamen Frauenzimmerchen und Jüngelchen unsrer von lauter Empfindsamkeit höchst unempfindsamen Zeit sehr um Verzeihung! — aber es war in der That unsre Meynung nicht, durch diesen Zug der außerordentlichen E m p f i n d s a m k e i t der Abderiten — I h n e n einen Stich zu geben — und gleichsam dadurch einigen Zweifel gegen
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i h r e n g u t e n Ve r s t a n d bey Ihnen selbst oder bey andern Leuten zu erwekken. — In ganzem Ernst, wir erzählen die Sache blos wie sie sich zutrug; und wem eine so große Empfindsamkeit a n A b d e r i t e n befremdlich vorkommt, den ersuchen wir höflichst — zu bedenken, daß sie, bey aller ihrer A b d e r i t h e i t , am Ende doch Menschen waren wie andre; ja, in gewissem Sinn, n u r d e s t o m e h r M e n s c h e n — j e m e h r A b d e r i t e n s i e w a r e n . Denn gerade ihre Abderitheit machte, daß es eben so leicht war, sie zu betrügen, a l s d i e V ö g e l , d i e i n d i e g e m a l t e n Tr a u b e n d e s Z e u x i s h i n e i n p i c k t e n ; indem sie sich jedem Eindruck, besonders den Illusionen der Kunst, viel ungewahrsamer und treuherziger überließen, als feinere und kältere, folglich auch gescheutere Leute zu thun pflegen, als welche man so leicht nicht verhindern kann, durch jeden Zauberdunst, den man um sie her macht, durchzusehen. Übrigens macht der Verfasser dieser Geschichte hier die Anmerkung: D i e große Disposition der Abderiten, sich von den Künsten der Ein-
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bildungskraft und der Nachahmung täuschen zu lassen, sey e b e n n i c h t d a s , w a s e r a m w e n i g s t e n a n i h n e n l i e b e . Er mag aber wohl dazu seine besondern Ursachen gehabt haben. In der That haben Dichter, Tonkünstler, Maler, einem aufgeklärten und verfeinerten Publico gegenüber schlimmes Spiel; und just d i e e i n g e b i l d e t e n K e n n e r , die unter einem solchen Publico immer den größten Haufen ausmachen, sind am schwersten zu befriedigen. Anstatt der Einwirkung still zu halten, thut man alles, was man kann, um sie zu verhindern. Anstatt zu genießen, was da ist, raisonnirt man darüber, was da seyn könnte. Anstatt sich 10
zur Illusion zu bequemen, *) wo die Vernichtung des Zaubers zu nichts dienen kann, als uns eines Vergnügens zu berauben: setzt man ich weiß nicht welche kindische Ehre darinn, den Philosophen zur Unzeit zu machen, zwingt sich zu lachen, wo Leute, die sich ihrem natürlichen Gefühl überlassen, Thränen im Auge haben, und, wo diese lachen, die Nase aufzurümpfen, um sich das Ansehen zu geben, als ob man z u s t a r k oder z u f e i n oder z u g e l e h r t sey, u m s i c h v o n s o w a s aus seinem Gleichgewicht setzen zu lassen. — Aber auch die wirklichen Kenner verkümmern sich selbst den Genuß, den sie von tausend Dingen, die i n i h r e r A r t gut sind, haben könnten, durch Ve r g l e i c h u n g e n derselben mit Dingen anderer Art; Vergleichungen, die
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meistens ungerecht und immer wider unsern eignen Vortheil sind. Denn das, was unsre Eitelkeit dabey gewinnt, e i n Ve r g n ü g e n z u v e r a c h t e n , ist doch immer nur ein Schatten, nach welchem wir schnappen, indem uns das Wirkliche entgeht. Wir finden daher, daß es allezeit unter noch rohen Menschen war, wo die Söhne des Musengottes jene großen Wunder thaten, wovon man noch immer spricht, ohne recht zu wissen was man sagt. Die Wälder in Thracien tanzten zur Leyer d e s O r p h e u s , und die wilden Thiere schmiegten sich zu seinen Füßen, nicht weil e r — e i n H a l b g o t t war, sondern weil d i e T h r a c i e r — B ä r e n waren; nicht, weil er ü b e r m e n s c h l i c h sang, sondern weil seine
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Zuhörer w i e b l o ß e N a t u r m e n s c h e n h ö r t e n ; kurz, aus eben dem Grun-
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Es versteht sich von selbst, daß der Dichter das Seinige gethan haben muß, um die Illusion
zu bewirken und zu unterhalten; denn sonst hat er freylich kein Recht, von uns zu verlangen, daß wir, ihm zu gefallen, thun sollen, als ob wir sähen, was er uns nicht zeigt, fühlten, was er uns nicht fühlen macht, u. s. w.
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de, warum (nach F o r s t e r s Bericht) eine schottische Sackpfeife die guten Seelen v o n Ta h i t i in Entzücken setzte. Die Anwendung dieser nicht sehr neuen, aber sehr praktischen Bemerkung, die man so oft gehört hat, und doch fast immer aus der Acht läßt, wird der geneigte Leser selbst machen, wenn’s ihm beliebt. Unser eigen Gewissen mag uns sagen, ob und in wie fern wir in andern Dingen, mehr oder weniger, Thracier und Abderiten sind: aber wenn wir’s in diesem einzigen Puncte wären, so möcht’ es nur desto besser für uns — und freylich auch für den größten Theil unsrer poetischen Sackpfeifer, seyn.
Zwölftes Kapitel.
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Wie ganz Abdera vor Bewunderung und Entzücken über die Andromeda des Euripides zu Narren wurden. Philosophischkritischer Versuch über diese seltsame Art von Phrenesie, welche bey den Alten insgemein d i e a b d e r i t i s c h e K r a n k h e i t genannt wird — den Geschichtschreibern ergebenst zugeeignet. Als der Vorhang gefallen war, sahen die Abderiten noch immer mit offnem Aug und Munde nach dem Schauplatz hin; und so groß war ihre Verzückung, daß sie nicht nur ihrer gewöhnlichen Frage, w i e h a t I h n e n d a s S t ü c k g e f a l l e n ? vergaßen, sondern sogar des Klatschens vergessen haben würden,
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wenn Salabanda und Onolaus (die bey der allgemeinen Stille am ersten wieder zu sich selbst kamen) nicht eilends diesem Mangel abgeholfen, und dadurch ihren Mitbürgern die Beschämung erspart hätten, gerade zum erstenmale, wo sie wirklich Ursache dazu hatten, nicht geklatscht zu haben. Aber dafür brachten sie auch das Versäumte mit Wucher ein. Denn sobald der Anfang gemacht war, wurde so laut und so lange geklatscht, bis kein Mensch mehr seine Hände fühlte. Diejenigen, die nicht mehr konnten, pausirten einen Augenblick, und fiengen dann wieder desto stärker an, bis sie von andern, die inzwischen ausgeruht, wieder abgelöst wurden. Es blieb nicht bey diesem lärmenden Ausbruch ihres Beyfalls. Die guten Abderiten waren so voll von dem, was sie gehört und gesehen hatten, daß sie sich genöthiget fanden, ihrer Repletion
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noch auf andere Weise Luft zu machen. Verschiedene blieben im Nachhausegehen auf öffentlicher Straße stehen, und declamirten überlaut die Stellen des Stücks, wovon sie am stärksten gerührt worden waren. Andre, bey denen die Leidenschaft so hoch gestiegen war, daß sie s i n g e n mußten, fiengen zu singen an, und wiederholten, wohl oder übel, was sie von den schönsten Arien im Gedächtniß behalten hatten. Unvermerkt wurde, wie es bey solchen Gelegenheiten zu gehen pflegt, der Paroxysmus allgemein; eine Fee schien ihren Stab über Abdera ausgereckt, und alle seine Einwohner in Komödianten und Sänger verwandelt zu haben. Alles was Odem hatte sprach, sang, trallerte, leyerte 10
und pfiff, wachend und schlafend, viele Tage lang nichts als Stellen aus der Andromeda des Euripides. Wo man hin kam, hörte man die große Arie — O d u , d e r G ö t t e r u n d d e r M e n s c h e n H e r r s c h e r , A m o r u . s . w . und sie wurde so lange gesungen, bis von der ursprünglichen Melodie gar nichts mehr übrig war, und die Handwerksbursche, zu denen sie endlich herabsank, sie bey Nacht auf der Straße nach eigner Melodie brüllten. Wenn der Rath nicht (wie so viele andre, die uns von Weisen gegeben werden) den einzigen Fehler hätte — daß er nicht praktikabel ist, so würden wir eilen was wir könnten, allen Menschen den Rath zu geben, n i e m a l s v o n i r g e n d e i n e r B e g e b e n h e i t , d i e i h n e n e r z ä h l t w i r d , e i n Wo r t z u
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g l a u b e n . Denn unzählige Erfahrungen, die wir hierüber seit mehr als dreyßig Jahren gemacht, haben uns überzeugt, daß an allen solchen Erzählungen ordentlicher Weise kein Wort w a h r ist; und wir wissen uns in ganzem Ernst nicht eines einzigen Falles zu besinnen, wo eine Sache, wiewohl sie sich erst vor wenigen Stunden zugetragen, nicht von jedem, der sie erzählte, anders, und also (weil doch ein Ding nur auf eine Art wahr ist) von jedem falsch erzählt worden wäre. Da es diese Bewandtniß mit Dingen hat, die zu unsrer Zeit, an dem Ort unsers Aufenthalts, und beynahe vor unsern sichtlichen Augen geschehen: so kann man leicht ermessen, wie es um die historische Treue und Zuverläßigkeit
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solcher Begebenheiten stehen müsse, die sich vor langer Zeit zugetragen, und für die wir keine andre Gewähr haben, als was uns davon in geschriebenen oder gedruckten Büchern weißgemacht wird. Weiß der liebe Gott, wie sie da der armen ehrlichen Wahrheit mitspielen, und was von ihr übrig bleiben kann, wenn sie ein paar tausend Jahre lang durch alle die verfälschenden Mediums von Traditionen, Chroniken, Jahrbüchern, pragmatischen Geschichten, kur-
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zen Inbegriffen, historischen Wörterbüchern, Anekdotensammlungen u. s. w., und durch so manche gewaschne oder ungewaschne Hände von Schreibern und Abschreibern, Setzern und Übersetzern, Censoren und Correctoren etc. durchgebeutelt, geseigt und gepreßt worden ist! Ich meines Orts bin durch die genauere Betrachtung dieser Umstände schon lange bewogen worden, ein Gelübde zu thun, keine andre Geschichte zu schreiben, als von Personen, an deren Existenz — und von Begebenheiten, an deren Zuverläßigkeit — keinem Menschen in der Welt etwas gelegen seyn kann. Was mich zu dieser kleinen Expectoration veranlaßt, ist gerade die Begebenheit, die wir vor uns haben, und die von den verschiedenen Schriftstellern,
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welche ihrer Erwähnung thun, so seltsam behandelt und mißhandelt worden ist, als ein gutherziger nichts Arges wähnender Leser sich kaum vorstellen kann. Da ist nun, zum Exempel, dieser Yo r i k , dieser Erfinder, Vater, Protoplastus und Prototypus aller empfindsamen Reisen und empfindelnden Wandersleute, die ohne Beutel und Tasche, ja ohne nur ein paar Schuhsolen darüber abgenutzt zu haben, empfindsame Reisen, wer weiß wohin, blos in der Absicht gethan haben, mit deren Beschreibung ihre Bier- und Tabaksrechnung zu saldiren — ich sage, da ist nun dieser Yo r i k , der, um ein hübsches Kapitelchen in sein berühmtes Sentimental Journey daraus zu machen, diese nämliche
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Begebenheit so accommodirt hat, daß sie zwar so wunderbar und abentheuerlich als ein Feenmährchen worden ist, aber auch darüber alle ihre i n d i v i d u e l l e Wa h r h e i t , und sogar alle abderitische Familienähnlichkeit verloren hat. Man höre nur an! — „Die Stadt Abdera (sagt er) war d i e s c h ä n d l i c h s t e und g o t t l o s e s t e Stadt in ganz Thracien — wimmelte und brudelte von Giftmischerey, Verschwörungen, Meuchelmord, Schmähschriften, Pasquillen und Tumult. Bey hellem Tage war man seines Lebens nicht sicher; bey Nacht wars noch ärger. Nun begab sichs (fährt er fort), als der Gräuel aufs höchste gestiegen war, daß man zu Abdera die Andromeda des Euripides vorstellte. Sie gefiel allen Zuschauern; aber von allen Stellen, die dem Volke gefielen, wirkten keine stärker auf seine Imagination als die zärtlichen Naturzüge, die der Dichter in die rührende Rede des Perseus verwebt hatte — O du, der Götter und der Menschen Herrscher, Amor!
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Alle Welt sprach den folgenden Tag in Jamben, und von nichts als der rührenden Anrede des Perseus: O A m o r , d u d e r G ö t t e r u n d d e r M e n s c h e n H e r r s c h e r ! * ) — In jeder Gasse von Abdera, in jedem Hause: , O A m o r , O A m o r‘ ! — In jedem Munde u. s. w. nichts als: O d u , d e r G ö t t e r u n d d e r M e n s c h e n H e r r s c h e r , A m o r ! Das Feuer griff um sich, und die ganze Stadt, gleich dem Herzen eines einzigen Mannes, öffnete sich der Liebe. Kein Drogist konnte einen Scrupel Niesewurz los werden — kein Waffenschmied hatte das Herz, ein einziges Werkzeug des Todes zu schmieden — F r e u n d s c h a f t u n d Tu g e n d begegneten sich auf den Gassen — das goldne Alter 10
kehrte zurück, und schwebte über der Stadt Abdera. Jeder Abderit nahm sein Haberrohr, und jede Abderitinn verließ ihr Purpurgewebe, und setzte sich keusch und horchte auf den Gesang.“ In der That ein sehr schönes Kapitelchen! Alle jungen Knaben und Mädel fanden es d e l i c i ö s — „ O A m o r , A m o r ! d e r G ö t t e r u n d d e r M e n s c h e n H e r r s c h e r , A m o r ! “ — Und daß ein einziger Vers aus dem Euripides — ein Vers, wie wahrlich — bey beyden Ohren des Königs Midas! — der geringste unter euern Haberrohrsängern sich alle Augenblicke zwanzig auf einem Beine stehend zu machen getrauen kann — ein Wunder gewirkt haben soll, das alle Priester, Propheten und Weisen der ganzen Welt mit gesammter
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Hand nicht im Stande gewesen sind, nur ein einzigesmal zu bewirken — das Wunder, eine so schändliche, heillose und gottesvergessene Stadt und Republik, wie Abdera gewesen seyn soll, auf einmal in ein unschuldiges, liebevolles Arkadien zu verwandeln — das gefällt freylich den gauchhaarigten, empfindsamen, geelschnäblichten Turteltäubchen und Turteltaubern! Nur Schade, wie gesagt, daß am ganzen Histörchen, so wie es Bruder Yorik erzählt, kein wahres Wort ist. Das ganze Geheimniß ist: der wunderliche Mensch w a r v e r l i e b t , als er sich das alles einbildete; und so s c h r i e b er (wie es jedem ehrlichen Amoroso *)
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Aufrichtig zu reden, dieser Vers ist der einzige r ü h r e n d e in dem ganzen Fragment der
Rede des Perseus, das zufälliger Weise noch vorhanden ist, wie unsre des Griechischen kundige Leser selbst urtheilen mögen — denn so lauten die Worte:
AllÆ v Ä tyranne Uevn te kaÆnurvpvn, Ervw, H mh didaske ta kaka fainesuai kala, H toiw ervsin, vën sy dhmioyrgow ei, Moxuoysi moxuoyw eytyxvw synekponei, k. t. l.
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und Virtuoso, Steckenpferdler und Mondritter zu gehen pflegt) alles, was er sich einbildete, für Wahrheit hin. Nur ists nicht hübsch an ihm, daß er — um seinem L e i b g ö t z e n und F e t i s c h , A m o r , ein desto größeres Compliment zu machen — den armen Abderiten das Ärgste nachsagt, was sich von Menschen denken und sagen läßt. Aber das ganze griechische und römische Alterthum soll auftreten und zeugen, ob jemals so etwas auf die guten Leute gebracht worden sey! Sie hatten freylich, wie man weiß, ihre Launen und Mucken, und was man im eigentlichen Verstande Klugheit und Weisheit nennt, war nie ihre Sache gewesen; aber ihre Stadt deswegen zu einer Mördergrube zu machen, das geht ein wenig über die Grenzen der berüchtigten
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Dichterfreyheit, die (so einen großen Tummelplatz man ihr auch immer zugestehen will) doch am Ende, wie alle andere Dinge in der Welt, ihre Grenzen haben muß. L u c i a n v o n S a m o s a t a , im Eingang seines berühmten Büchleins, w i e m a n d i e G e s c h i c h t e s c h r e i b e n m ü ß t e — w e n n m a n k ö n n t e , erzählt die Sache ganz anders, wiewohl, mit seiner Erlaubniß, nicht viel richtiger als Yorik. Er muß, wie es scheint, etwas vom König Archelaus und von der Andromeda des Euripides und von der seltsamen Schwärmerey, die sich der Abderiten bemächtigte, gehört haben; und daß man zuletzt genöthiget war, den Hippokrates zu Hülfe zu rufen, damit er alles zu Abdera wieder ins alte
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Gleis setzen möchte — Und nun sehe man einmal, wie der Mann das alles durch einander wirft! — „Der Komödiant A r c h e l a u s (der damals so viel war, als wenn man bey uns B r o k m a n n , oder S c h r ö t e r , oder, ne vous déplaise, d e r d e u t s c h e G a r r i k sagt) — dieser Archelaus kam in den Tagen des Königs Lysimachus nach Abdera, und gab die Andromeda des Euripides. Es war just ein außerordentlich heißer Sommertag. Die Sonne brannte den Abderiten auf ihre Köpfe, die wahrlich ohnehin schon warm genug waren. Die ganze Stadt brachte ein starkes Fieber aus der Komödie nach Hause. Am siebenten Tage brach sich bey den Meisten die Krankheit entweder durch heftiges Nasenbluten oder einen starken Schweiß; hingegen blieb ihnen eine seltsame Art von Zufall davon zurück. Denn wie das Fieber vorbey war, überfiel sie allesammt ein unwiderstehlicher Drang, tragische Verse zu declamiren. Sie sprachen in lauter Jamben, schrien, wo sie stunden und giengen, aus vollem Halse ganze Tiraden aus der Andromeda daher, sangen den Monologen des Perseus“ u. s. w.
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L u c i a n , nach seiner spöttischen Art, macht sich sehr lustig mit der Vorstellung, wie närrisch es ausgesehen haben müsse, alle Straßen in Abdera von bleichen, entbauchten, und vom siebentägigen Fieber ausgemergelten Tragikern wimmeln zu sehn, die aus allen ihren Leibeskräften, „ D u a b e r , d e r G ö t t e r u n d d e r M e n s c h e n H e r r s c h e r A m o r , “ u. s. w. gesungen; und er versichert, diese Epidemie habe so lange gedauert, bis der Winter und eine eingefallne große Kälte dem Unwesen endlich ein Ende gemacht. Man muß gestehen, Lucians Art, den Hergang zu erzählen, hat vor der yorikischen vieles voraus. Denn so seltsam dieses abderitische Fieber schei10
nen mag, so werden doch a l l e Ä r z t e gestehen, daß es wenigstens m ö g l i c h , und a l l e D i c h t e r , daß es c h a r a k t e r m ä ß i g ist. Es gilt also davon, was die Italiäner zu sagen pflegen: se non è vero, è ben trovato. Aber w a h r ists freylich nicht; wie schon aus dem einzigen Umstand erhellt, daß um die Zeit, da sich diese Begebenheit in Abdera zugetragen haben soll, eigentlich kein Abdera mehr war, weil die Abderiten schon einige Jahre zuvor ausgezogen waren, und ihre Stadt den Fröschen und Ratten überlassen hatten. Kurz, die Sache begab sich — wie wir sie erzählt haben; und wenn man den Paroxysmus, der die Abderiten nach der Andromeda des Euripides überfiel, ein Fieber nennen will: so war es wenigstens von keiner andern Art als das
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Schauspielfieber, womit wir bis auf diesen Tag manche Städte unsers werthen deutschen Vaterlandes behaftet sehen. Das Übel lag nicht sowohl im Blute, als in der Abderitheit der guten Leute überhaupt. Indessen ist nicht zu läugnen, daß es bey einigen, bey denen es mehr Zunder und Nahrung als bey andern finden mochte, ernsthaft genug wurde, um des Arztes zu bedürfen — woraus denn vermuthlich in der Folge der Irrthum Lucians entstanden seyn mag, die ganze Sache für eine Art von hitzigem Fieber zu halten. Zum Glücke befand sich Hippokrates noch in der Nähe; und da er die Natur der Abderiten schon ziemlich kennen gelernt hatte: so setzten e t l i c h e P f u n d N i e s e w u r z alles in kurzem wieder in den alten Stand — d. i.
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die Abderiten hörten auf: „O du, der Götter und der Menschen Herrscher, Amor!“ zu singen, und waren nun sammt und sonders wieder — so weise als zuvor.
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Geschichte der Abderiten von C. M. Wieland. Zweyter Theil, der das vierte und fünfte Buch und den Schlüssel enthält. Neu umgearbeitete und vermehrte Ausgabe. Leipzig, bey Weidmanns Erben und Reich. 1781.
Die Abderiten. Viertes Buch, oder der Proceß um des Esels Schatten. Erstes Kapitel. Veranlassung des Processes, und Facti Species. Der P e r i o d u s f a t a l i s der Stadt Abdera schien endlich gekommen zu seyn. Kaum hatten sie sich von dem wunderbaren Theaterfieber, womit sie des ehrlichen, arglosen Euripides Götter- und Menschenherrscher Amor heimgesucht hatte, wieder ein wenig erholt; kaum sprachen die Bürger wieder in Prosa mit einander auf den Straßen; kaum verkauften die Drogisten wieder 10
ihre Niesewurz, schmiedeten die Waffenschmiede wieder ihre Rappiere und Transchirmesser, machten sich die Abderitinnen wieder keusch und emsig an ihr Purpurgewebe, und warfen die Abderiten ihr leidiges Haberrohr weg, um ihren verschiednen Berufsarbeiten wieder mit ihrem gewöhnlichen guten Verstande obzuliegen: als die Schicksalsgöttinnen, ganz ingeheim, aus dem schaalsten, dünsten, unhaltbarsten Stoff, der jemals von Göttern oder Menschen versponnen worden ist, ein so verworrenes Gespinnste von Abentheuern, Händeln, Verbitterungen, Verhetzungen, Kabalen, Partheyen, und anderm Unrath herauszogen, daß endlich ganz Abdera davon umwickelt und umsponnen wurde, und, da das heillose Zeug durch die unbesonnene Hitze
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der Helfer und Helfershelfer in Flammen gerieth, diese berühmte Stadt darüber beynahe, und vielleicht gänzlich, zu Grunde gegangen wäre, wofern sie, nach des Schicksals Schluß, durch eine geringere Ursache als — F r ö s c h e u n d R a t t e n hätte vertilgt werden können. Die Sache fieng sich (wie alle große Weltbegebenheiten) mit einer sehr geringfügigen Veranlassung an. Ein gewisser Zahnarzt, Namens Struthion, von Geburt und Vorältern aus Megara gebürtig, hatte sich schon seit vielen Jahren in Abdera häuslich niedergelassen; und weil er vielleicht im ganzen Lande der einzige von seiner Profeßion war, so erstreckte sich seine Kundschaft über
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einen ansehnlichen Theil des mittäglichen Thracien. Seine gewöhnliche Weise, denselben in Contribution zu setzen, war, daß er die Jahrmärkte aller kleinen Städte und Flecken auf mehr als dreyßig Meilen in der Runde bereisete, wo er, neben seinem Zahnpulver und seinen Zahntincturen, gelegenheitlich auch verschiedene A r c a n a wider Milz- und Mutterbeschwerungen, Engbrüstigkeit, böse Flüsse u. s. w. mit ziemlichem Vortheil absetzte. Er hatte zu diesem Ende eine eigene Eselinn im Stalle, welche bey solchen Gelegenheiten zugleich mit seiner eignen kurzdicken Person, und mit einem großen Queersack voll Arzneyen und Victualien beladen wurde. Nun begab sichs einsmals, da er den Jahrmarkt zu G e r a n i a besuchen sollte, daß seine Eselinn Abends zuvor ein
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Füllen geworfen hatte, folglich nicht im Stande war, die Reise mitzumachen. Struthion miethete sich also einen andern Esel, bis zum Ort, wo er sein erstes Nachtlager nehmen wollte; und der Eigenthümer begleitete ihn zu Fuß, um das lastbare Thier zu besorgen und wieder nach Hause zu reiten. Der Weg gieng über eine große Haide. Es war mitten im Sommer, und die Hitze diesen Tag sehr groß. Der Zahnarzt, dem sie unerträglich zu werden anfieng, sah sich lechzend nach einem Schattenplatz um, wo er einen Augenblick absteigen, und etwas frische Luft schöpfen könnte. Aber da war weit und breit weder Baum noch Staude, noch irgend ein andrer schattengebender Gegenstand zu sehen. Endlich, als er seinem Leibe keinen Rath wußte, machte er Halt, stieg
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ab, und setzte sich in den Schatten des Esels. Nu, Herr, was macht Ihr da, sagte der Eseltreiber, was soll das? — Ich setze mich ein wenig in den Schatten, versetzte Struthion, denn die Sonne giebt mir ganz unleidlich auf den Schädel. Nä, mein guter Herr, erwiederte der andre, so haben wir nicht gehandelt! Ich vermiethete euch den Esel, aber des Schattens wurde mit keinem Wort dabey gedacht. I, sagte der Zahnarzt lachend, der Schatten geht mit dem Esel, das versteht sich. Ey, beym Jason! das versteht sich nicht, rief der Eselmann ganz trotzig; ein anders ist der Esel, ein anders ist des Esels Schatten. Ihr habt mir den Esel um so und so viel abgemiethet. Hättet Ihr den Schatten auch dazu miethen wollen, so hättet Ihrs sagen müssen. Mit einem Wort, Herr, steht auf, und setzt Eure Reise fort, oder bezahlt mir für des Esels Schatten was billig ist. Was, schrie der Zahnarzt, ich habe für den Esel bezahlt, und soll itzt auch
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noch für seinen Schatten bezahlen? Nennt mich selbst einen dreydoppelten Esel, wenn ich das thue! Der Esel ist einmal für diesen ganzen Tag mein, und ich will mich in seinen Schatten setzen, so oft mirs beliebt, und darinn sitzen bleiben, so lange mirs beliebt, darauf könnt Ihr Euch verlassen! Ist das im Ernst Eure Meynung? fragte der andre mit der ganzen Kaltblütigkeit eines thracischen Eseltreibers. In ganzem Ernste, versetzte Struthion. So komm der Herr nur gleich stehenden Fußes wieder zurück nach Abdera vor die Obrigkeit, sagte jener, da wollen wir sehen, wer von uns beyden Recht 10
behalten wird. So wahr Priapus mir und meinem Esel gnädig sey, ich will sehen, wer mir den Schatten meines Esels wider meinen Willen abtrotzen soll! Der Zahnarzt hatte große Lust, den Eseltreiber durch die Stärke seines Arms zur Gebühr zu weisen. Schon ballte er seine Faust zusammen, schon hob sich sein kurzer Arm: aber als er seinen Mann genauer betrachtete, fand er für besser, ihn — allmählig wieder sinken zu lassen, und es noch einmal mit gelindern Vorstellungen zu versuchen. Aber er verlor seinen Athem dabey. Der ungeschlachte Mensch bestand darauf, daß er für den Schatten seines Esels bezahlt seyn wollte; und da Struthion eben so hartnäckig dabey blieb, n i c h t bezahlen zu wollen: so war zuletzt kein andrer Weg übrig, als nach Abdera
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zurückzukehren, und die Sache bey dem Stadtrichter anhängig zu machen.
Zweytes Kapitel. Verhandlung vor dem Stadtrichter Philippides. Der Stadtrichter P h i l i p p i d e s , vor den alle Händel dieser Art in erster Instanz gebracht werden mußten, war ein Mann von vielen guten Eigenschaften; ein ehrbarer, nüchterner, seinem Amte fleißig vorstehender Mann, der jedermann mit großer Geduld anhörte, den Leuten freundlichen Bescheid gab, und im allgemeinen Ruf stund, daß er unbestechlich sey. Überdies war er ein guter Musikus, sammelte Naturalien, hatte einige Schauspiele gemacht, die, nach Gewohnheit der Stadt, s e h r w o h l gefallen hatten, und war beynahe gewiß, 30
beym ersten Erledigungsfalle N o m o p h y l a x zu werden. Zu allen diesen Verdiensten hatte der gute Philippides nur einen einzigen
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kleinen Fehler, und das war: daß, so oft zwo Partheyen vor ihn kamen, ihm allemal derjenige Recht zu haben schien, der zuletzt gesprochen hatte. Die Abderiten waren so dumm nicht, daß sie das nicht gemerkt hätten: aber sie glaubten, daß man einem Manne, der so viele gute Eigenschaften besitze, e i n e n e i n z i g e n F e h l e r leicht zu gut halten könne. Ja, sagten sie, wenn Philippides d i e s e n Fehler nicht hätte, er wäre der beste Stadtrichter, den Abdera jemals gesehen hat. — Indessen hatte doch der Umstand, daß dem ehrlichen Manne immer beyde Partheyen Recht zu haben schienen, natürlicher Weise die gute Folge, daß er nichts angelegners hatte, als die Händel, die vor ihn gebracht wurden, in Güte auszumachen; und so würde die Blödigkeit
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des guten Philippides ein wahrer Segen für Abdera gewesen seyn, wenn die Wachsamkeit der Sykophanten, denen mit seiner Friedfertigkeit übel gedient war, nicht Mittel gefunden hätte, ihre Wirkung fast in allen Fällen zu vereiteln. Der Z a h n a r z t S t r u t h i o n und der E s e l t r e i b e r A n t h r a x kamen also brennend vor diesen würdigen Stadtrichter gelaufen, und brachten beyde zugleich mit großem Geschrey ihre Klage vor. Er hörte sie mit seiner gewöhnlichen Langmuth an; und, da sie endlich fertig oder des Schreyens müde waren, zuckte er die Achseln, und der Handel däuchte ihm einer der verworrensten, die ihm jemals vorgekommen. Und wer von euch beyden ist denn
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eigentlich der Kläger, fragte er? Ich klage gegen den Eselmann, antwortete Struthion, daß er unsern Contract gebrochen hat. Und ich, sagte dieser, klage gegen den Zahnarzt, daß er sich ohnentgeltlich einer Sache angemaßt hat, die ich ihm nicht vermiethet hatte. Da haben wir zween Kläger, sagte der Stadtrichter, und wo ist der Beklagte? Ein wunderlicher Handel! Erzählt mir die Sache noch einmal mit allen Umständen — aber einer nach dem andern — denn es ist unmöglich, klug daraus zu werden, wenn beyde zugleich schreyen. Hochgeachter Herr Stadtrichter, sagte der Zahnarzt, ich habe ihm den Gebrauch des Esels auf einen Tag abgemiethet. Es ist wahr, des Esels Schatten wurde dabey nicht erwähnt. Aber wer hat auch jemals erhört, daß bey einer solchen Miethe eine Clausel wegen des Schattens wäre eingeschaltet worden? Es ist ja, beym Herkules, nicht der erste Esel, der zu Abdera vermiethet wird. Da hat der Herr Recht, sagte der Richter.
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Der Esel und sein Schatten gehen mit einander (fuhr Struthion fort); und warum sollte der, der den Esel selbst gemiethet hat, nicht auch den Nießbrauch seines Schattens haben? Der Schatten ist ein Accessorium, das ist klar, versetzte der Stadtrichter. Gestrenger Herr, schrie der Eseltreiber, ich bin nur ein gemeiner Mann, und verstehe nichts von euren Arien und Orien. Aber das geben mir meine vier Sinne, daß ich nicht schuldig bin, meinen Esel umsonst in der Sonne stehen zu lassen, damit sich ein andrer in seinen Schatten setze. Ich habe dem Herrn d e n E s e l vermiethet, und er hat mir die Hälfte voraus bezahlt; das gesteh ich. 10
Aber ein anders ist der Esel, ein anders ist sein S c h a t t e n . Auch wahr, murmelte der Stadtrichter. Will er diesen haben, so mag er halb so viel dafür bezahlen als für den Esel selbst; denn ich verlange nichts als was billig ist, und ich bitte mir zu meinem Rechte zu verhelfen. Das Beste, was ihr hierbey thun könnt, sagte Philippides, ist, euch in Güte von einander abzufinden. Ihr, ehrlicher Mann, laßt immerhin des Esels Schatten, weils doch nur ein Schatten ist, mit in die Miethe gehen; und Ihr, Herr Struthion, gebt ihm eine halbe Drachme dafür: so können beyde Theile zufrieden seyn.
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Ich gebe nicht den vierten Theil von einem Blaffert, schrie der Zahnarzt, ich verlange mein Recht! Und ich, schrie sein Gegenpart, besteh auf dem meinigen. Wenn der Esel mein ist, so ist der Schatten auch mein, und ich kann damit als mit meinem Eigenthum schalten und walten; und weil der Mann da nichts von Recht und Billigkeit hören will: so verlang ich itzt das Doppelte, und will sehen, ob noch Justiz in Abdera ist! Der Richter war in großer Verlegenheit. Wo ist denn der Esel, fragte er endlich, da ihm in der Angst nichts anders einfallen wollte, um etwas Zeit zu gewinnen.
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Der steht unten auf der Gasse vor der Thüre. Führt ihn in den Hof herein, sagte Philippides. Der Eigenthümer des Esels gehorchte mit Freuden; denn er hielt es für ein gutes Zeichen, daß der Richter die Hauptperson im Spiele sehen wollte. Der Esel wurde herbey geführt. Schade, daß er seine Meynung nicht auch zu der Sache sagen konnte! Aber er stund ganz gelassen da, schaute mit gereckten
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Ohren erst den beyden Herren, dann seinem Meister ins Gesicht, verzog das Maul, ließ die Ohren wieder sinken, und — sagte kein Wort. Da seht nun selbst, gnädiger Herr Stadtrichter, rief Anthrax, ob der Schatten eines so schönen, stattlichen Esels nicht seine zwo Drachmen unter Brüdern werth ist, zumal an einem so heißen Tage wie der heutige? Der Stadtrichter versuchte die Güte noch einmal, und die Partheyen fiengen schon an, es allmählig näher zu geben: als, unglücklicher Weise, P h y s i g n a t h u s und P o l y p h o n u s , zween von den namhaftesten Sykophanten in Abdera, dazu kamen, und, nachdem sie gehört, wovon die Rede war, der Sache auf einmal eine andere Wendung gaben. Herr Struthion hat das Recht völlig
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auf seiner Seite, sagte P h y s i g n a t h u s , der den Zahnarzt für einen wohlhabenden und dabey sehr hitzigen und eigensinnigen Mann kannte. Der andre Sykophant, wiewohl ein wenig verdrießlich, daß ihm sein Handwerksgenosse so eilfertig zuvorgekommen war, warf einen Seitenblick auf den Esel, der ihm ein hübsches wohlgenährtes Thier zu seyn schien, und erklärte sich sogleich mit dem größten Nachdruck für den Eseltreiber. Beyde Partheyen wollten nun kein Wort mehr vom Vergleichen hören, und der ehrliche Philippides sah sich genöthigt, einen Rechtstag anzusetzen. Sie begaben sich nun jeder mit seinem Sykophanten nach Hause; der Esel aber, mit seinem Schatten als dem Object des Rechtshandels, wurde bis zu Austrag der Sache in den Marstall
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gemeiner Stadt Abdera abgeführt.
Drittes Kapitel. Wie die Partheyen sich höhern Orts um Unterstützung bewerben. Nach dem Stadtrecht der Abderiten wurden alle über Mein und Dein unter den gemeinen Bürgern entstandne Händel vor einem Gerichte von zwanzig Ehrenmännern abgethan, welche sich wöchentlich dreymal in der Vorhalle des Tempels der Nemesis versammelten. Alles wurde, aus billiger Rücksicht auf die Nahrung der Sykophanten, s c h r i f t l i c h vor diesem Gerichte verhandelt; und weil der Gang der abderitischen Justiz eine Art von Schneckenlinie beschrieb, und sich auch mit der Geschwindigkeit der Schnecke fortbewegte; zumal die Sykophanten nicht eher zum Beschließen verbunden waren, bis sie
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nichts mehr zu sagen hatten: so währte das Libelliren gemeiniglich so lange, als es die Mittel der Partheyen wahrscheinlicher Weise aushalten konnten. Allein diesesmal kamen so viele besondere Ursachen zusammen, der Sache einen schnellern Schwung zu geben, daß man sich nicht darüber zu verwundern hat, wenn der Proceß über des Esels Schatten binnen weniger als vier Monaten schon so weit gediehen war, daß nun am nächsten Gerichtstage das Endurtheil erfolgen sollte. Ein Rechtshandel über eines Esels Schatten würde sonder Zweifel in jeder Stadt der Welt Aufsehen machen. Man denke also, was er in A b d e r a thun 10
mußte? Kaum war das Gerüchte davon erschollen, als von Stund an alle andre Gegenstände der gesellschaftlichen Unterhaltung fielen, und jedermann mit eben so v i e l T h e i l n e h m u n g von diesem Handel sprach, als ob er ein Großes dabey zu gewinnen oder zu verlieren hätte. Die einen erklärten sich für den Zahnarzt, die andern für den Eseltreiber. Ja, sogar der Esel selbst hatte seine Freunde, welche dafür hielten, daß derselbe ganz wohl berechtigt wäre, i n t e r u e n i e n d o einzukommen, da er durch die Zumuthung, den Zahnarzt in seinem Schatten sitzen zu lassen, und unterdessen in der brennenden Sonnenhitze zu stehen, offenbar am meisten p r ä g r a v i r t worden sey. Mit einem Worte, der besagte Esel hatte seinen Schatten auf ganz Abdera geworfen, und
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die Sache wurde mit einer Lebhaftigkeit, einem Eifer, einem Interesse getrieben, die kaum größer hätten seyn können, wenn das Heil gemeiner Stadt und Republik auf dem Spiele gestanden hätte. Wiewohl nun diese Verfahrungsweise überhaupt niemanden, der die Abderiten aus der vorgehenden wahrhaften Geschichtsklitterung kennen gelernt hat, befremden wird: so glauben wir doch denen Lesern, welche eine Geschichte nur alsdenn recht zu wissen glauben, wenn ihnen das Spiel der Räder und Triebfedern mit dem ganzen Zusammenhang der Ursachen und Folgen einer Begebenheit aufgeschlossen wird — keinen unangenehmen Dienst zu erweisen, wenn wir ihnen etwas umständlicher erzählen, wie es
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zugegangen, daß dieser Handel — der in seinem Ursprung nur zwischen Leuten von geringer Erheblichkeit, und über einen äußerst unerheblichen Gegenstand vorwaltete — wichtig genug werden konnte, um zuletzt die ganze Republik in seinen Strudel hineinzuziehen. Die sämmtliche Bürgerschaft in Abdera war (wie von jeher die meisten Städte in der Welt) in Zünfte abgetheilt, und vermöge einer alten Observanz
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gehörte der Zahnarzt Struthion in d i e S c h u s t e r z u n f t . Der Grund davon war, wie Gründe der Abderiten immer zu seyn pflegten, mächtig spitzfindig. In den ersten Zeiten der Republik hatte nämlich diese Zunft blos die Schuster und Schuhflicker in sich begriffen. Nachmals wurden alle Arten von F l i k k e r n mit dazu genommen; und so kam es, daß in der Folge die Wundärzte, als M e n s c h e n f l i c k e r , und somit (ob paritatem rationis) alle Arten von Ärzten zu dieser Zunft geschlagen wurden. Struthion hatte demnach (blos die Ärzte ausgenommen, mit denen er immer stark über’n Fuß gespannt war) die ganze löbliche Schusterzunft, und besonders alle Schuhflicker, auf seiner Seite, die (wie man sich noch erinnern wird) einen sehr ansehnlichen Theil
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der Bürgerschaft von Abdera ausmachten. Natürlicherweise wandte sich also der Zahnarzt vor allen andern sogleich an seinen Vorgesetzten, den Zunftmeister P f r i e m e ; und dieser Mann, dessen patriotischer Eifer für die Constitution der Republik niemanden unbekannt ist, erklärte sich sogleich mit seiner gewöhnlichen Hitze: daß er sich eher mit seinem eigenen Schusterahl erstechen, als geschehen lassen wollte, daß die Rechte und Freyheiten von Abdera in der Person eines seiner Zunftverwandten so gröblich verletzt würden. „ B i l l i g k e i t , sagte er, i s t d a s h ö c h s t e R e c h t . Was kann aber billiger seyn, als daß derjenige, der einen Baum gepflanzet hat, wiewohl es dabey
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eigentlich auf die Früchte angesehen war, nebenher auch den Schatten des Baums genieße? Und warum soll das, was von einem Baume gilt, nicht eben so wohl von einem Esel gelten? Wo, zum Henker, soll es mit u n s r e r F r e y h e i t hinkommen, wenn einem zünftigen Bürger von Abdera nicht einmal frey stehen soll, sich in den Schatten eines Esels zu setzen? Gleich als ob ein Eselsschatten vornehmer wäre, als der Schatten des Rathhauses oder des Jasontempels, in den sich stellen, setzen und legen mag wer da will. Schatten ist Schatten, er komme von einem Baum oder von einer Ehrensäule, von einem Esel oder von Sr. Gnaden dem Archon selbst! Kurz und gut, setzte Meister Pfrieme hinzu, verlaßt euch auf mich, Herr Struthion; der Grobian soll euch nicht nur den Schatten, sondern zu eurer gebührenden Saxfazion den Esel noch obendrein lassen, oder es müßte weder Freyheit noch Eigenthum mehr in Abdera seyn; und dahin solls, beym Element! nicht kommen, so lang ich der Zunftmeister Pfrieme heiße!“ Während daß der Zahnarzt sich der Gunst eines so wichtigen Mannes ver-
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sichert hatte, ließ es der Eseltreiber Anthrax seines Orts auch nicht fehlen, sich um einen Beschützer zu bewerben, der jenem wenigstens das Gleichgewicht halten könnte. Anthrax war eigentlich kein Bürger von Abdera, sondern nur ein Freygelassener, der sich in dem Bezirk des Jasontempels aufhielt; und er stand als ein Schutzverwandter desselben unter der unmittelbaren Gerichtsbarkeit des Erzpriesters dieses H e r o e n , der bekanntermaßen zu Abdera göttlich verehrt wurde. Natürlicherweise war also sein erster Gedanke, wie er dazu gelangen könnte, daß der Erzpriester A g a t h y r s u s sich seiner mit Nachdruck annehmen möchte. Allein der Erzpriester Jasons war zu Ab10
dera eine sehr große Person, und ein Eseltreiber konnte schwerlich hoffen, ohne einen besondern Canal den Zutritt zu einem Herrn von diesem Range zu erhalten. Nach vielen Berathschlagungen mit seinen vertrautesten Freunden wurde endlich folgender Weg beliebt. Seine Frau, Krobyle, war mit einer Putzmacherinn bekannt, deren Bruder der begünstigte Liebhaber des Aufwartmädchens einer gewissen milesischen Tänzerinn war, welche, wie die Rede gieng, bey dem Erzpriester in großen Gnaden stund. Nicht als ob er etwan — wie es zu gehen pflegt — sonderlich weil die Priester des Jasons unverheirathet seyn mußten — kurz, wie die Welt argwöhnisch ist, man sprach freylich allerley —
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Aber das Wahre von der Sache ist: der Erzpriester Agathyrsus war ein großer Liebhaber von pantomimischen Solotänzen; und weil er die Tänzerinn, um kein Ärgerniß zu geben, nicht bey Tage zu sich kommen lassen wollte: so blieb ihm nichts anders übrig, als sie, mit der erforderlichen Vorsicht, bey Nacht durch eine kleine Gartenthür in sein Cabinet führen zu lassen. Da nun einst gewisse Leute eine dichtverschleyerte Person in der Morgendämmerung wieder herausgehen gesehen hatten: so war das Gemurmel entstanden, als ob es die Tänzerinn gewesen sey, und als ob der Erzpriester eine besondere Freundschaft auf diese junge Person geworfen habe; welche in der That fähig gewesen wäre, in jedem andern als einem Erzpriester noch etwas mehr zu erregen. —
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Wie nun dem auch seyn mochte, genug, der Eseltreiber sprach mit s e i n e r F r a u , Frau Krobyle mit der Putzmacherinn, die Putzmacherinn mit i h r e m B r u d e r , der Bruder mit d e m A u f w a r t m ä d c h e n , und, weil das Aufwartmädchen alles über die Tänzerinn vermochte, von welcher vorausgesetzt wurde, daß sie alles über d e n E r z p r i e s t e r vermöge, der alles über d i e M a g n a t e n v o n A b d e r a und — i h r e We i b e r vermochte: so zweifelte Anthrax
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keinen Augenblick, seine Sache in die besten Hände von der Welt gelegt zu haben. Aber unglücklicher Weise zeigte sichs, daß die Favoritinn der Tänzerinn ein Gelübde gethan hatte, ihre Allvermögenheit eben so wenig unentgeltlich auszuleihen, als Anthrax den Schatten seines Esels. Sie hatte eine Art von Taxordnung, vermöge deren der geringste Dienst, den man von ihr verlangte, wenigstens eine Erkenntlichkeit von vier Drachmen voraussetzte; und in gegenwärtigem Falle war ihr um so weniger zuzumuthen, auch nur eine halbe Drachme nachzulassen, da sie ihrer Schamhaftigkeit eine so große Gewalt anthun sollte, eine Sache zu empfehlen, worinn ein Esel die Hauptfigur war.
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Kurz, die Iris bestand auf vier Drachmen, welches just doppelt so viel war, als der arme Teufel, im glücklichsten Falle, mit seinem Proceß zu gewinnen hatte. Er sah sich also wieder in der vorigen Verlegenheit. Denn wie konnte ein schlechter Eseltreiber hoffen, ohne eine haltbarere Stütze als die Gerechtigkeit seiner Sache, gegen einen Gegner zu bestehen, der von einer ganzen Zunft unterstützt wurde, und sich überall rühmte, daß er den Sieg bereits in Händen habe? Endlich besann sich der ehrliche Anthrax eines Mittels, wie er vielleicht den Erzpriester ohne Dazwischenkunft der Tänzerinn und ihres Aufwartmädchens auf seine Seite bringen könnte. Das Beste davon däuchte ihm, daß er es
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nicht weit zu suchen brauchte. Ohne Umschweife — er hatte eine Tochter, G o r g o genannt, die, in Hoffnung auf eine oder andre Weise beym Theater unterzukommen, ganz leidlich Singen und Zitherspielen gelernt hatte. Das Mädchen war eben keine von den schönsten. Aber eine schlanke Figur, ein paar große schwarze Augen, und die frische Blume der Jugend ersetzten, seinen Gedanken nach, reichlich, was ihrem Gesichte abgieng; und wirklich, wenn sie sich tüchtig gewaschen hatte, sah sie in ihrem Festtagsstaat, mit ihren langen pechschwarzen Haarzöpfen, und mit einem Blumenstraus vor dem Busen so ziemlich dem w i l d e n t h r a c i s c h e n M ä d c h e n A n a k r e o n s ähnlich. Da sich nun bey näherer Erkundigung fand, daß der Erzpriester Agathyrsus auch ein Liebhaber vom Zitherspielen und von kleinen Liedern war, deren die junge Gorgo eine große Menge nicht übel zu singen wußte: so machten sich Anthrax und Krobyle große Hoffnung, durch das Talent und die Figur ihrer Tochter am kürzesten zu ihrem Zweck zu kommen. Anthrax wandte sich also an den Kammerdiener des Erzpriesters, und Kro-
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byle unterrichtete inzwischen das Mädchen, wie sie sich zu betragen hätte, um, wo möglich, die Sängerinn auszustechen, und von der kleinen Gartenthür ausschließlich Meister zu bleiben. Die Sache gieng nach Wunsch. Der Kammerdiener, der durch die Neigung seines Herrn zum N e u e n und M a n c h f a l t i g e n nicht selten ins Gedränge kam, ergriff diese gute Gelegenheit mit beyden Händen; und die junge Gorgo spielte ihre Rolle für eine Anfängerinn meisterlich. Agathyrsus fand eine gewisse Mischung von Naivheit und Muthwillen, und eine Art wilder Grazie bey ihr, die ihn reizte, weil sie ihm neu war — Kurz, sie hatte kaum zwey- oder dreymal in seinem Cabinette gesungen, 10
so erfuhr Anthrax schon von sichrer Hand, daß Agathyrsus seine gerechte Sache verschiedenen Richtern empfohlen, und sich mit einigem Nachdruck habe verlauten lassen: wie er nicht gesonnen sey, auch den allergeringsten Schutzverwandten des Jasontempels ein Schlachtopfer der Schikanen des Sykophanten Physignathus und der Partheylichkeit des Zunftmeisters Pfrieme werden zu lassen.
Viertes Kapitel. Gerichtliche Verhandlung. Relation des Assessor Miltias. Urthel, und was daraus erfolgt. Inzwischen war nun der Gerichtstag herbeygekommen, da dieser seltsame 20
Handel durch Urthel und Recht entschieden werden sollte. Die Sykophanten hatten in Sachen beschlossen, und die Acten waren einem Referenten, Namens M i l t i a s , übergeben worden, gegen dessen Unpartheylichkeit die Mißgönner des Zahnarztes verschiedenes einzuwenden hatten. Denn es war nicht zu läugnen, daß er mit dem Sykophanten Physignatus sehr vertraut umgieng; und überdies wurde ganz laut davon gesprochen, daß die Dame Struthion *) (die für eine von den hübschen Weibern in ihrer Classe passirte) ihm die gerechte Sache ihres Mannes zu verschiedenenmalen in eigner Person
*)
Wir wissen wohl, daß dies nicht à la grecque gesprochen ist; aber die D a m e S t r u t h i o n ist
wie F r a u D a m o n in unsern Komödien: und was liegt dem Leser daran, wie die Zahnärztinn mit 30
ihrem eigenen Namen geheißen haben mag.
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empfohlen habe. Allein da diese Einwendungen auf keinem rechtsbeständigen Grunde beruhten, und der Turnus nun einmal an diesem Miltias war, so blieb es bey der Ordnung. Miltias trug die Geschichte des Streits so unbefangen, und beydes, sowohl Zweifels- als Entscheidungsgründe, so ausführlich vor, daß die Zuhörer lange nicht merkten, wo er eigentlich hinaus wolle. Er läugnete nicht, daß beyde Partheyen vieles für und wider sich hätten. Auf der einen Seite scheine nichts klärer, sagte er, als daß derjenige, der den Esel, als das P r i n c i p a l e , gemiethet, auch das A c c e s s o r i u m , des Esels Schatten, stillschweigend mit einbedungen habe; oder (falls man auch keinen solchen stillschweigenden Ver-
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trag zugeben wollte) daß der Schatten seinem Körper v o n s e l b s t folge, und also demjenigen, der die Nutznießung des Esels an sich gebracht, auch der beliebige Gebrauch seines Schattens ohne weitere Beschwerde zustehe; um so mehr, als dem Esel selbst dadurch an seinem Seyn und Wesen nicht das Mindeste benommen werde. Hingegen scheine auf der andern Seite nicht weniger einleuchtend: daß, wiewohl der Schatten weder als ein wesentlicher noch außerwesentlicher Theil des Esels anzusehen sey, folglich von dem Abmiether des letztern keinesweges vermuthet werden könne, daß er jenen zugleich mit diesem stillschweigend habe miethen wollen, gleichwohlen, da besagter Schatten schlechterdings nicht für sich selbst, oder ohne besagten Esel, be-
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stehen könne, und ein E s e l s s c h a t t e n im Grunde nichts anders als e i n S c h a t t e n e s e l sey, der Eigenthümer des l e i b h a f t e n E s e l s mit gutem Fug auch als Eigenthümer des von jenem ausgehenden S c h a t t e n e s e l s betrachtet, folglich keineswegs angehalten werden könne, letztern ohnentgeltlich an den Abmiether des erstern zu überlassen. Überdies, und wenn man auch zugeben wollte, daß der Schatten ein Accessorium des mehr eröfterten Esels sey, so könne doch dem Abmiether dadurch noch kein Recht an denselben zuwachsen: indem er durch den Miethcontract nicht j e d e n G e b r a u c h desselben, sondern nur denjenigen, ohne welchen die Absicht des Contracts, nämlich seine vorhabende Reise, ohnmöglich erzielt werden könne, an sich gebracht habe. Allein da sich unter den Gesetzen der Stadt Abdera keines finde, worinn der vorliegende Fall klar und deutlich enthalten sey, und das Urtheil also lediglich aus der Natur der Sache gezogen werden müsse: so komme es hauptsächlich auf einen Punct an, der von den beyderseitigen Sykophanten aus der Acht gelassen, oder wenigstens nur obenhin berührt worden, nämlich auf die
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Frage: ob dasjenige, w a s m a n S c h a t t e n n e n n e , u n t e r d i e g e m e i n e n D i n g e , an welche jedermann gleiches Recht hat, oder unter d i e e i g e n t h ü m l i c h e n , zu welchen einzelne Personen ein ausschließendes Recht haben, oder erwerben können, zu zählen sey? Da nun, in Ermangelung eines positiven Gesetzes, die Übereinstimmung und allgemeine Gewohnheit des menschlichen Geschlechts, als ein wahres Orakel der Natur selbst, billig die Kraft eines positiven Gesetzes habe; vermöge dieser allgemeinen Gewohnheit aber die Schatten der Dinge (auch dererjenigen, die nicht nur einzelnen Personen, sondern ganzen Gemeinheiten, ja den unsterblichen Göttern selbst 10
eigenthümlich zugehören) bisher aller Orten einem jeden, wer er auch sey, frey, ungehindert und ohnentgeltlich zur Benutzung überlassen worden: so erhelle daraus, daß, ex Consensu et Consuetudine Generis Humani, besagte S c h a t t e n , eben so wie f r e y e L u f t , W i n d u n d We t t e r , f l i e ß e n d e s Wa s s e r , Ta g u n d N a c h t , M o n d s c h e i n , D ä m m e r u n g , und dergleichen mehr, unter die g e m e i n e n D i n g e zu rechnen seyen, deren Genuß jedem offen stehe, und auf welche — in so fern etwa besagter Genuß, unter gewissen Umständen, etwas Ausschließendes bey sich führe — der erste, der sich ihrer bemächtige, ein momentanes Besitzrecht erhalten habe. — Diesen Satz (zu dessen Bestätigung der scharfsinnige Miltias eine Menge Inductionen
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vorbrachte, die wir unsern Lesern erlassen wollen) — diesen Satz zum Grunde gelegt, könne er also nicht anders, als dahin stimmen: daß der Schatten aller Esel in Thracien, folglich auch derjenige, der zu vorliegendem Rechtshandel unmittelbaren Anlaß gegeben, eben so wenig einen Theil des Eigenthums einer einzelnen Person ausmachen könne, als der Schatten des Berges Athos oder des Stadtthurms von Abdera; folglich mehrbesagter Schatten weder geerbt, noch gekauft, noch inter viuos oder mortis causa geschenkt, noch vermiethet, noch auf irgend eine andre Art zum Gegenstand eines bürgerlichen Contracts gemacht werden könne; und daß also aus diesen und andern angeführten Gründen, in Sachen des Eseltreibers Anthrax, Klägern, an einem,
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entgegen und wider den Zahnarzt Struthio, Beklagten, am andern Theil, pcto. des von Beklagten zu Klägers angeblicher Gefährde und Schaden angemaaßten Eselsschatten (saluis tamen melioribus) zu Recht zu erkennen sey: daß Beklagter sich des besagten Schattens zu seinem Gebrauch und Nutzen zu bedienen, wohl befugt gewesen; Kläger aber, Einwendens ungeachtet, nicht nur mit seiner unbefugten Foderung abzuweisen, sondern auch in alle Kosten,
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wie nicht weniger zum Ersatz alles dem Beklagten verursachten Verlusts und Schadens, nach vorgängiger gerichtlicher Ermäßigung, zu verurtheilen sey. V. R. W. Wir überlassen es dem geneigten und rechtserfahrnen Leser, über dieses, zwar nur auszugsweise, mitgetheilte Gutachten des weisen Miltias, nach Belieben, seine Betrachtung anzustellen. Und da wir in dieser ganzen Sache uns keines Urtheils anzumaßen, sondern blos die Stelle eines unpartheyischen Geschichtschreibers zu vertreten, entschlossen sind: so begnügen wir uns, zu berichten, daß es seit undenklichen Zeiten eine Observanz bey dem Stadtgerichte zu Abdera war, das gutächtliche Urtheil des Referenten jedesmal ent-
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weder einhellig, oder doch mit einer großen Mehrheit der Stimmen zu bestätigen. Wenigstens hatte man seit mehr als hundert Jahren kein Beyspiel vom Gegentheil gesehen. Es konnte auch, nach Gestalt der Sachen, nicht wohl anders seyn. Denn während der Relation, welche gemeiniglich sehr lange dauerte, pflegten die Herren Beysitzer eher alles andre zu thun, als auf die Rationes dubitandi et decidendi des Referenten Acht zu geben. Die meisten stunden auf, guckten zum Fenster hinaus, oder giengen weg, um in einem Nebenzimmer Kuchen oder kleine Bratwürste zu frühstücken, oder machten einen fliegenden Besuch bey einer guten Freundinn; und die wenigen, welche sitzen blieben, und einigen Theil an der Sache zu nehmen schienen, hatten alle
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Augenblicke etwas mit ihrem Nachbar zu flüstern, oder schliefen wohl gar überm Zuhören ein. Kurz, es waltete eine Art von stillschweigendem Compromiß auf den Referenten vor, und es geschah blos um der Form willen, daß einige Minuten, eh er zur wirklichen Conclusion kam, sich jedermann wieder auf seinem Platz einfand, um mit gehöriger Feyerlichkeit das abgefaßte Urthel zu bekräftigen. So war es bisher immer, auch bey ziemlich wichtigen Händeln, gehalten worden. Allein dem Proceß über des Esels Schatten widerfuhr die unerhörte Ehre, daß das ganze Gericht beysammen blieb, und (drey bis vier Beysitzer ausgenommen, welche dem Zahnarzt ihre Stimme schon versprochen hatten, und ihr Recht, in der Session zu schlafen, nicht vergeben wollten) jedermann mit aller Aufmerksamkeit zuhörte, die eines so wundervollen Processes würdig war; und als die Stimmen gesammelt wurden, fand sich, daß das Urthel nur mit einem Mehr von 12 gegen 8 bekräftiget wurde. Sogleich nach geschehener Publication ermangelte P o l y p h o n u s , der klä-
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gerische Sykophant, nicht, seine Stimme zu erheben, und gegen das Urthel, als ungerecht, partheiisch und mit unheilbaren Nullitäten behaftet, an den großen Rath von Abdera zu appelliren. Da der Proceß über eine Sache geführt wurde, die der beschwert zu seyn vermeynte Theil selbst nicht höher als zwo Drachmen geschätzt hatte, und dieses, auch selbst mit Einschluß aller billig mäßigen Kosten und Schaden, noch lange nicht Summa appellabilis war: so erhub sich hierüber ein großer Lerm im Gerichte. Die Minorität erklärte sich, daß es hier gar nicht auf die Summe, sondern auf eine allgemeine Rechtsfrage ankomme, die das Eigenthum betreffe, und noch durch kein Gesetz in Abdera 10
bestimmt sey, folglich, vermöge der Natur der Sache, vor den Gesetzgeber selbst gebracht werden müsse; als welchem allein es zukomme, in zweifelhaften Fällen dieser Art den Ausspruch zu thun. Wie es zugegangen, daß der Referent, bey aller seiner Affection zur Sache des Beklagten, nicht daran gedacht, daß die Gönner des Gegentheils sich dieses Vorwandes bedienen würden, die Sache vor den großen Rath zu spielen — davon wissen wir keinen andern Grund anzugeben, als d a ß e r e i n A b d e r i t w a r , und, nach der allgemeinen althergebrachten Gewohnheit seiner Landesleute, jedes Ding nur von einer Seite, und auch da nur ziemlich obenhin, anzusehen pflegte. Doch kann vielleicht noch zu seiner Entschuldigung die-
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nen, daß er einen Theil der letzten Nacht bey einem großen Gastmahl zugebracht, und, als er nach Hause gekommen, der Dame Struthion noch eine ziemlich lange Audienz hatte geben müssen, und also vermuthlich — nicht ausgeschlafen hatte. Genug, nach langem Streiten und Lärmen erklärte sich endlich der Stadtrichter Philippides: daß er, bewandten Umständen nach, nicht umhin könne, die Frage, ob die von Klägern eingewandte Appellation statt finde, vor den Senat zu bringen. Hiermit stund er auf; das Gericht gieng ziemlich tumultuarisch auseinander; und beyde Partheyen eilten, sich mit ihren Freunden, Gönnern und Sykophanten zu berathen, was nun weiter in der Sache anzufangen sey.
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Fünftes Kapitel. Gesinnungen des Senats. Tugend der schönen Gorgo, und ihre Wirkungen. Der Priester Strobylus tritt auf, und die Sache wird ernsthafter. Der Proceß über des Esels Schatten, der Anfangs die Abderiten blos durch seine Ungereimtheit belustigt hatte, fieng nun an, eine Sache zu werden, in welche die Gerechtsamen, das Point d’honneur, und allerley Leidenschaften und Interessen verschiedner zum Theil ansehnlicher Glieder der Republik verwickelt wurden. Der Zunftmeister P f r i e m e hatte seinen Kopf darauf gesetzt, daß sein
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Zunftangehöriger gewinnen müßte; und da er sich meistens alle Abende in den Versammlungsorten der gemeinen Bürger einfand, hatte er schon beynahe die Hälfte des Volks auf seine Seite gebracht, und sein Anhang nahm täglich zu. Der E r z p r i e s t e r hingegen hatte den Handel bisher nicht für wichtig genug gehalten, sein ganzes Ansehn zu Gunsten seines Beschützten anzuwenden. Allein da die Sachen zwischen ihm und der schönen Gorgo ernsthafter zu werden anfiengen, indem sie, anstatt einer gewissen Gelehrigkeit, die er bey ihr zu finden gehofft hatte, einen Widerstand that, dessen man sich zu ihrer Herkunft und Erziehung nicht hätte vermuthen sollen, ja sich sogar verneh-
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men ließ: „Wie sie Bedenken trage, i h r e Tu g e n d noch einmal den Gefahren eines Besuchs durch die kleine Gartenthüre auszusetzen“ — so war es ganz natürlich, daß er nun nicht länger säumte, durch den Eifer, womit er die Sache des Vaters zu unterstützen anfieng, sich ein näheres Recht an die Dankbarkeit der Tochter zu erwerben. Der neue Lärm, den der Eselsproceß durch die Provocation an den großen Rath in der Stadt machte, gab ihm Gelegenheit, mit einigen von den vornehmsten Rathsherren aus der Sache zu sprechen. „So lächerlich dieser Handel an sich selbst sey, sagte er, so könne doch nicht zugegeben werden, daß ein armer Mann, der unter dem Schutze Jasons stehe, durch eine o f f e n b a r e K a b a l e unterdrückt werde. Es komme nicht auf die Ve r a n l a s s u n g an, die oft zu den wichtigsten Begebenheiten sehr gering sey; sondern a u f d e n G e i s t ,
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w o m i t m a n d i e S a c h e t r e i b e , und auf die A b s i c h t e n , die man i m S c h i l d e , oder wenigstens i n P e t t o führe. Die Insolenz des Sykophanten P h y s i g n a t u s , der eigentlich an diesem ganzen Skandal Schuld habe, müsse gezüchtigt, und dem herrschsüchtigen, unverständigen D e m a g o g e n (dem Zunftmeister Pfrieme) noch in Zeiten ein Zügel angeworfen werden, eh es ihm gelinge, die Aristokratie gänzlich über den Haufen zu werfen, u. s. w.“ Wir müssen es zur Steuer der Wahrheit sagen, Anfangs gab es verschiedene Herren des Raths, welche die Sache ungefähr so ansahen, wie sie anzusehen war, und es dem Stadtrichter Philippides sehr verdachten, daß er nicht Sinn 10
genug gehabt, einen so ungereimten Zwist gleich in der Geburt zu ersticken. Allein unvermerkt änderten sich die Gesinnungen; und der Schwindelgeist, der bereits einen Theil der Bürgerschaft auf die Köpfe gestellt hatte, ergriff endlich auch den größern Theil der Rathsherren. Einige fiengen an die Sache für wichtiger anzusehen, weil ein Mann wie der Erzpriester Agathyrsus sich derselben so ernstlich anzunehmen schien. Andre setzte die Gefahr, die der Aristokratie aus den Unternehmungen des Zunftmeisters Pfrieme erwachsen könnte, in Unruhe. Verschiedene ergriffen die Parthey des Eseltreibers blos aus Widersprechungsgeist; andre aus einem wirklichen Gefühl, daß ihm Unrecht geschehe; und noch andre erklärten sich für den Zahnarzt, weil gewisse
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Personen, mit denen sie nie einer Meynung seyn wollten, sich für seinen Gegner erklärt hatten. Mit allem dem würde dennoch dieser geringfügige Handel, so sehr die Abderiten auch — Abderiten waren, niemals eine so heftige Gährung in ihrem gemeinen Wesen verursacht haben, wenn der böse Dämon dieser Republik nicht auch den P r i e s t e r S t r o b y l u s angeschürt hätte, sich, ohne einigen nähern Beruf, als seinen unruhigen Geist und seinen Haß gegen den Erzpriester Agathyrsus, mit ins Spiel zu mischen. Um dies dem geneigten Leser verständlicher zu machen, werden wir die Sache, wie jener alte Dichter seine Ilias, ab ovo anfangen müssen; um so mehr,
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als auch gewisse Stellen in unsrer Erzählung des Abentheuers mit dem Euripides, und gewisse Ausdrücke, die dem Priester Strobylus gegen den Demokrit entfielen, ihr gehöriges Licht dadurch erhalten werden.
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Sechstes Kapitel. Verhältniß des Latonentempels zum Tempel des Jasons. Contrast in den Charakteren des Oberpriesters Strobylus und des Erzpriesters Agathyrsus. Strobylus erklärt sich für die Gegenparthey des letztern, und wird von Salabanda unterstützt, welche eine wichtige Rolle in der Sache zu spielen anfängt. Der Dienst der L a t o n a war (wie Strobylus den Euripides versichert hatte) so alt zu Abdera, als die Verpflanzung der lycischen Colonie; und die äußerste Einfalt der Bauart ihres kleinen Tempels konnte als eine hinlängliche Bekräftigung dieser Tradition angesehen werden. So unscheinbar dieser Latonen-
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tempel war, so gering waren auch die gestifteten Einkünfte ihrer Priesterschaft. Wie aber die Noth erfindsam ist, so hatten die Herren schon von langem her Mittel gefunden, zu einiger Entschädigung für die Kargheit ihres ordentlichen Einkommens, den Aberglauben der Abderiten in Contribution zu setzen; und da auch dieses nicht zureichen wollte, hatten sie es dahin gebracht, daß der Senat (weil er doch von k e i n e r B e s o l d u n g s z u l a g e hören wollte) z u U n t e r h a l t u n g d e s g e h e i l i g t e n F r o s c h g r a b e n s gewisse Einkünfte aussetzte, deren größten Theil die billigdenkenden Frösche ihren Versorgern überließen. Eine ganz andre Beschaffenheit hatte es mit dem Tempel d e s J a s o n , die-
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ses berühmten Anführers der Argonauten, welchem in Abdera die Ehre der Erhebung in den Götterstand und eines öffentlichen Dienstes widerfahren war; ohne daß wir hievon einen andern Grund anzugeben wissen, als daß verschiedne der ältesten und reichsten Familien in Abdera ihr Geschlechtsregister von d i e s e m H e r o s ableiteten. Einer von dessen Enkeln hatte sich, wie die Tradition sagte, in dieser Stadt niedergelassen, und war der gemeinsame Stammvater verschiedener Geschlechter geworden, von welchen einige noch in den Tagen unserer gegenwärtigen Geschichte in voller Blüthe stunden. Dem Andenken des Helden, von dem sie abstammten, zu Ehren hatten sie Anfangs, nach uraltem Gebrauch, nur eine kleine Hauskapelle gestiftet. Mit der Länge der Zeit war eine Art von öffentlichem Tempel daraus geworden, den die Frömmigkeit der Abkömmlinge Jasons nach und nach mit vielen Gü-
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tern und Einkünften versehen hatte. Endlich, als Abdera durch Handelschaft und glückliche Zufälle eine der reichsten Städte in Thracien geworden war, entschlossen sich d i e J a s o n i d e n , ihrem vergötterten Ahnherrn einen Tempel zu erbauen, dessen Schönheit der Republik und ihnen selbst bey der Nachwelt Ehre machen könnte. Der neue Jasonstempel wurde ein herrliches Werk, und machte mit den dazu gehörigen Gebäuden, Gärten, Wohnungen der Priester, Beamten, Schutzverwandten u. s. w. ein ganzes Quartier der Stadt aus. Der Erzpriester desselben mußte allezeit v o n d e r ä l t e s t e n L i n i e d e r J a s o n i d e n seyn; und da er, bey sehr beträchtlichen Einkünften auch die Ge10
richtsbarkeit über die zu dem Tempel gehörigen Personen und Güter ausübte: so ist leicht zu erachten, daß die Oberpriester der Latona alle diese Vorzüge nicht mit gleichgültigen Augen ansehen konnten, und daß zwischen diesen beyden Prälaten eine Eifersucht obwalten mußte, die auf die Nachfolger forterbte, und bey jeder Gelegenheit in ihrem Betragen sichtbar wurde. Der Oberpriester der Latona wurde zwar als das Haupt der ganzen abderitischen Priesterschaft angesehen; allein der Erzpriester Jasons stand nicht unter ihm, sondern machte mit seinen Untergebenen ein besonderes Collegium aus, welches, außer der Schutzherrlichkeit der Stadt Abdera, von aller andern Abhänglichkeit frey war. Die Feste des Latonentempels waren die ei-
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gentlichen großen Festtage der Republik; allein da die Mäßigkeit seiner Einkünfte keinen sonderlichen Aufwand zuließ, so war das Fest des Jason, welches mit ungemeiner Pracht und großen Feyerlichkeiten begangen wurde, in den Augen des Volks, wo nicht das vornehmste, wenigstens das, worauf es sich am meisten freute; und alle die Ehrerbietung, die man für das Alterthum des Latonendienstes hegte, und der große Glaube des Pöbels an den Priester desselben und seine heiligen Frösche, konnte doch nicht verhindern, daß d i e g r ö ß r e F i g u r , die der Erzpriester machte, ihm nicht auch einen höhern Grad von Ansehen gegeben haben sollte. Und wiewohl d a s g e m e i n e Vo l k überhaupt mehr Zuneigung zu dem Latonenpriester trug, so wurde doch die-
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ser Vorzug dadurch wieder überwogen, daß der Jasonpriester mit den a r i s t o k r a t i s c h e n H ä u s e r n in einer Verbindung stund, die ihm so viel Einfluß gab, daß es einem ehrgeizigen Manne an diesem Platz ein Leichtes gewesen wäre, einen kleinen Tyrannen von Abdera vorzustellen. Zu so vielen Ursachen der althergebrachten Eifersucht und Abneigung zwischen den beyden Fürsten der abderitischen Klerisey, kam bey Strobylus und
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Agathyrsus noch ein p e r s ö n l i c h e r W i d e r w i l l e , der eine natürliche Frucht des Contrasts ihrer Sinnesarten war. Agathyrsus, mehr Weltmann als Priester, hatte in der That vom letztern wenig mehr als die Kleidung. Die Liebe zum Vergnügen war seine herrschende Leidenschaft. Denn, wiewohl es ihm nicht an Stolz fehlte, so kann man doch von niemand sagen, daß er ehrgeizig sey, so lange sein Ehrgeiz eine andre Leidenschaft neben sich herrschen läßt. Er liebte die Künste und den vertraulichen Umgang mit Virtuosen aller Arten, und stund in dem Ruf einer von den Priestern zu seyn, die wenig Glauben an ihre eignen Götter haben. Wenigstens ist nicht zu läugnen, daß er öfters ziemlich frey ü b e r d i e F r ö s c h e d e r
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L a t o n a s c h e r z t e ; und es war jemand, der es beschwören wollte, aus seinem eignen Munde gehört zu haben: „ d i e F r ö s c h e d i e s e r G ö t t i n n w ä r e n schon längst alle in elende Poeten und abderitische Sänger verw a n d e l t w o r d e n . “ — Daß er mit dem D e m o k r i t u s in ziemlich gutem Vernehmen lebte, war auch nicht sehr geschickt, seine Orthodoxie zu bestätigen. Kurz, Agathyrsus war ein Mann von gutem Temperament, munterm Kopf und ziemlich freyem Leben; beliebt bey dem abderitischen Adel, noch beliebter bey dem schönen Geschlecht, und — wegen seiner Freygebigkeit und jasonmäßigen Figur — beliebt sogar bey den untersten Classen des Volks. Nun hätte die Natur, in ihrer launigsten Minute, keinen völligern Antipo-
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den von allem, was Agathyrsus war, machen können, als den Priester Strobylus. Dieser Mann hatte, wie viele seines gleichen, ausfindig gemacht, daß eine in Falten gelegte Miene und ein steifes Wesen unfehlbare Mittel sind, bey dem großen Haufen für einen weisen und unsträflichen Mann zu gelten. Da er nun von Natur ziemlich sauertöpfisch aussah, so hatte es ihm wenig Mühe gekostet, sich diese G r a v i t ä t anzugewöhnen, die bey den Meisten weiter nichts beweist, als d i e S c h w e r e i h r e s W i t z e s u n d d i e U n g e s c h l i f f e n h e i t i h r e r S i t t e n . Ohne Sinn für das Große und Schöne, war er ein geborner Verächter aller Talente und Künste, die diesen Sinn voraussetzen; und sein Haß gegen die Philosophie war blos eine Maske für den natürlichen Groll eines Dummkopfes gegen alle, die mehr Verstand und Wissenschaft haben als er. In seinen Urtheilen war er schief und einseitig, in seinen Meynungen eigensinnig, im Widerspruch hitzig und grob, und wo er entweder in seiner eignen Person oder in den Fröschen der Latona beleidigt zu seyn glaubte, äußerst rachgierig; aber nichts destoweniger bis zur Niederträchtigkeit ge-
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schmeidig, sobald er eine Sache, an der ihm gelegen war, nicht ohne Hülfe einer Person, die er haßte, durchsetzen konnte. Überdies stand er mit einigem Grund in dem Ruf, daß er mit einer gehörigen Dose von D a r i k e n und P h i l i p p e n zu allem in der Welt zu bringen sey, was mit dem Äußerlichen seines Charakters nicht ganz unverträglich war. Aus so entgegengesetzten Gemüthsarten, und so vielen Veranlassungen zu Neid und Eifersucht auf Seiten des Priesters Strobylus, entsprang nothwendig bey beyden ein wechselseitiger Haß, der den Zwang, den ihnen ihr Stand und Platz auferlegte, mit Mühe ertrug, und nur darinn verschieden war, daß Aga10
thyrsus den Oberpriester zu sehr v e r a c h t e t e , um ihn sehr zu hassen, und dieser jenen zu sehr b e n e i d e t e , um ihn so herzlich verachten zu können, als er wohl gewünscht hätte. Zu diesem allem kam noch, daß A g a t h y r s u s , kraft seiner Geburt und ganzen Lage, f ü r d i e A r i s t o k r a t i e ; S t r o b y l u s hingegen, ohngeachtet seiner Verhältnisse zu einigen Rathsherren, ein erklärter Freund der Demokratie, und nächst dem Zunftmeister Pfrieme derjenige war, der durch seinen persönlichen Charakter, seine Würde, seine schwärmerische Hitze, und eine gewisse populäre Art von Beredtsamkeit den meisten Einfluß auf den Pöbel hatte.
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Man sieht nun leicht voraus, daß die Sache mit dem Eselsschatten oder Schattenesel nothwendig ernsthafter werden mußte, sobald ein paar Männer wie die beyden Oberpriester von Abdera darein verwickelt wurden. Strobylus hatte, so lange der Proceß v o r d e n S t a d t r i c h t e r n geführt wurde, nicht anders Theil daran genommen, als daß er sich gelegenheitlich erklärte: er würde an des Zahnarztes Platz eben so gehandelt haben. Aber kaum erfuhr er durch die Dame S a l a b a n d a , seine Nichte, daß Agathyrsus die Sache seines in der ersten Instanz verurtheilten Schutzverwandten zu seiner eignen mache: so fühlte er sich auf einmal berufen, sich mit an die Spitze der Parthey des Beklagten zu stellen, und die Kabale des Zunftmeisters mit
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allem Ansehen, das er bey den Rathsherren sowohl als bey dem Volk hatte, zu unterstützen. S a l a b a n d a war zu sehr gewohnt, ihre Hand in allen abderitischen Händeln zu haben, als daß sie unter den letzten gewesen seyn sollte, die in dem gegenwärtigen Parthey nahmen. Außer ihrem Verhältniß mit dem Priester Strobylus hatte sie noch eine besondere Ursache, es mit ihm zu halten; eine
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Ursache, die darum nicht weniger wog, weil sie solche in Petto behielt. Wir haben bey einer andern Gelegenheit erwähnt, daß diese Dame, es sey nun aus blos politischen Absichten, oder daß sich vielleicht auch ein wenig Coquetterie — und wer weiß, ob nicht auch zuweilen das, was man in der neuern französischen Feinenweltsprache d a s H e r z einer Dame nennt, mit einmischen mochte: genug, ausgemacht war es, daß sie immer eine Anzahl demüthiger Sclaven an der Hand hatte, unter denen (wie man glaubte) doch immer wenigstens der eine oder andre wissen müsse, w o f ü r e r d i e n e . Die geheime Chronik von Abdera sagte, daß der Erzpriester Agathyrsus eine geraume Zeit die Ehre gehabt, einer von den letztern zu seyn; und in der That kamen eine
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Menge Umstände zusammen, warum man dieses Gerüchte für etwas mehr als eine bloße Vermuthung halten konnte. Kurz, die vertrauteste Freundschaft hatte seit geraumer Zeit unter ihnen obgewaltet, als die Tänzerinn nach Abdera kam, und dem flatterhaften Jasoniden in kurzem so merkwürdig wurde, daß Salabanda endlich nicht länger umhin konnte, sich selbst für aufgeopfert zu halten. Agathyrsus besuchte zwar ihr Haus noch immer auf den Fuß eines alten Bekannten, und die Dame war zu politisch, um in ihrem äußern Betragen gegen ihn die geringste Veränderung durchscheinen zu lassen. Aber ihr Herz kochte Rache. Sie vergaß nichts, was den Erzpriester immer tiefer in die Sache
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verwickeln, und immer in Feuer setzen konnte; heimlich aber beleuchtete sie alle seine Schritte und Tritte, und alle großen und kleinen, Vorder- und Hinterthüren, die zu s e i n e m K a b i n e t führen konnten, so genau, daß sie seine Intrigue mit der jungen G o r g o gar bald entdeckte, und den Priester Strobylus in den Stand setzen konnte, den Eifer des Erzpriesters für die Sache des Eseltreibers in ein eben so v e r h a ß t e s Licht zu stellen, als sie selbst unter der Hand bemüht war, ihm e i n e n l ä c h e r l i c h e n Anstrich zu geben. A g a t h y r s u s , so wenig es ihm kostete, politische und ehrgeizige Vortheile dem Interesse seiner Vergnügungen aufzuopfern, hatte doch Augenblicke, wo der kleinste Widerstand in einer Sache, an der ihm im Grunde gar nichts gelegen war, seinen ganzen Stolz aufrührisch machte; und so oft dies geschah, pflegte ihn seine Lebhaftigkeit gemeiniglich unendlich weiter zu führen, als er gegangen wäre, wenn er die Sache einiger kühlen Überlegung gewürdiget hätte. Die Ursache, warum er sich Anfangs mit diesem abgeschmackten Handel bemengt hatte, fand itzt zwar nicht länger statt. Denn die schöne Gorgo hatte,
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ungeachtet des Unterrichts ihrer Mutter Krobyle, entweder nicht Geschicklichkeit oder nicht innern Halt genug gehabt, den anfänglich entworfnen Vertheidigungsplan gegen einen so gefährlichen und erfahrnen Belagerer gehörig zu befolgen. Allein er war nun einmal in die Sache verwickelt; seine Ehre war dabey betroffen; er erhielt täglich und stündlich Nachrichten, wie unziemlich der Zunftmeister und der Priester Strobylus mit ihrem Anhang wider ihn loszögen, wie sie drohten, wie übermüthig sie die Sache durchzusetzen hofften, und dergleichen — und dies war mehr, als es brauchte, um ihn dahin zu bringen, daß er seine ganze Macht anzuwenden beschloß, um Gegner, die er so 10
sehr verachtete, zu Boden zu werfen, und für die Verwegenheit, sich gegen ihn aufgelehnt zu haben, zu züchtigen. Der Kabalen der Dame Salabanda ungeachtet, die nicht fein genug gesponnen waren, um ihm lange verborgen zu bleiben, war der größte Theil des Senats auf seiner Seite; und wiewohl seine Gegner nichts unterließen, was das Volk gegen ihn erbittern konnte: so hatte er doch, zumal unter den Zünften der Gerber, Fleischer und Becker, einen Anhang von derben stämmigten Gesellen, die eben so hitzig vor der Stirne als nervicht von Armen, und auf jeden Wink bereit waren, für ihn und seine Parthey, je nachdem es nöthig wäre, zu schreyen, oder zuzuschlagen.
Siebentes Kapitel. 20
Das ganze Abdera theilt sich in zwo Partheyen. Die Sache kommt vor Rath. In dieser Gährung befanden sich die Sachen, als auf einmal die Namen S c h a t t e n und E s e l in Abdera gehört, und in kurzem durchgängig dazu gebraucht wurden, die beyden Partheyen zu bezeichnen. Man hat über den wahren Ursprung dieser Übernamen ganz zuverläßige Nachricht. Vermuthlich, weil doch Partheyen nicht lange ohne Namen bestehen können, hatten die Anhänger des Zahnarztes Struthion unter dem Pöbel den Anfang gemacht, sich selbst, weil sie für sein Recht an des E s e l s S c h a t t e n stritten, die Schatten, und i h r e G e g n e r , weil sie den Schatten gleichsam z u m E s e l s e l b s t ma-
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chen wollten, aus Spott und Verachtung, die Esel zu nennen. Da nun die Anhänger des Erzpriesters diese Benennung nicht verhindern konnten, so hatten
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sie, wie es zu gehen pflegt, sich unvermerkt daran gewöhnt, sie, wiewohl blos anfänglich zum Scherz, zu gebrauchen; nur mit dem Unterschiede, daß sie den Spieß umdrehten, und das Verächtliche mit dem Schatten, und das Ehrenvolle mit dem Esel verknüpften. Wenn es ja eins von beyden seyn soll, sagten sie, so wird jeder braver Kerl doch immer lieber ein wirklicher leibhafter Esel mit all seinem Zubehör, als der bloße Schatten von einem Esel seyn wollen. Wie es auch damit zugegangen seyn mag, genug, in wenig Tagen war ganz Abdera in diese zwo Partheyen getheilt; und so wie sie nun einen Namen hatten, nahm auch der Eifer auf beyden Seiten so schnell und heftig zu, daß es gar
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nicht mehr erlaubt war, neutral zu bleiben. B i s t d u e i n S c h a t t e n o d e r e i n E s e l , war immer die erste Frage, die die gemeinen Bürger an einander thaten, wenn sie sich auf der Straße oder in der Schenke antrafen; und wenn ein Schatten just das Unglück hatte, an einem solchen Ort der einzige seines gleichen unter einer Anzahl Eseln zu seyn, so blieb ihm, wofern er sich nicht gleich mit der Flucht rettete, nichts übrig, als entweder auf der Stelle zu a p o s t a s i r e n , oder sich mit tüchtigen Stößen zur Thüre hinaus werfen zu lassen. Die Unordnungen, die hieraus entstehen mußten, kann man sich ohne unser Zuthun vorstellen. Die Verbitterung gieng in kurzem so weit, daß e i n S c h a t t e n sich lieber vor Hunger zum wirklichen stygischen Schatten abge-
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zehrt, als einem Becker von der Gegenparthey für einen Dreyer Brod abgekauft hätte. Auch die Weiber nahmen, wie leicht zu erachten, Parthey, und gewiß nicht mit der wenigsten Hitze. Denn das erste Blut, das aus Gelegenheit dieses seltsamen Bürgerkriegs vergossen wurde, kam von den Nägeln z w o e r H ö k e r w e i b e r her, die einander auf öffentlichem Markte in die Physionomie gerathen waren. Man bemerkte indessen, daß bey weitem der größte Theil d e r A b d e r i t i d e n sich für d e n E r z p r i e s t e r erklärte; und wo in einem Hause der Mann ein Schatten war, da konnte man sich darauf verlassen, die Frau war eine E s e l i n n , und gemeiniglich eine so hitzige und unbändige Eselinn, als man sich eine denken kann. Unter einer Menge theils heilloser theils lächerlicher Folgen dieses Partheygeists, der in die Abderitinnen fuhr, war keine der geringsten, daß mancher Liebeshandel dadurch auf einmal abgebrochen wurde, weil der eigensinnige Seladon lieber seine Ansprüche als seine Parthey aufgeben wollte; so wie hingegen auch mancher, der sich schon Jahre lang
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vergebens um die Gunst einer Schönen beworben, und ihre Antipathie gegen ihn durch nichts, was jemals von einem unglücklichen Liebhaber versucht worden, hatte überwinden können, itzt auf einmal keines andern Titels bedurfte, um glücklich zu werden, als seine Dame zu überzeugen, daß er — e i n E s e l sey. Inzwischen wurde die Präjudicialfrage, ob die von Klägern eingewandte Abberufung an den großen Rath statt finde oder nicht, vor den Senat gebracht. Wiewohl dies das erstemal war, daß es über die Eselssache bey diesem ehrwürdigen Collegio zur Sprache kam: so zeigte sich doch bald, daß jedermann 10
schon seine Parthey genommen hatte. Der Archon O n o l a u s war der einzige, der in Verlegenheit zu seyn schien, wie er der Sache einen leidlichen Anstrich geben könnte. Denn man bemerkte, daß er viel leiser als gewöhnlich sprach, und am Schluß seines Vortrags in die merkwürdigen und o m i n o s e n Worte ausbrach: er besorge sehr, der Eselsschatten, über welchen itzt mit so vieler Hitze gestritten werde, m ö c h t e d e n R u h m d e r R e p u b l i k a u f v i e l e J a h r h u n d e r t e v e r f i n s t e r n . Seine Meynung war, man würde am besten thun, die eingelegte Appellation als unstatthaft abzuweisen, den Spruch des Stadtgerichts (bis auf den Punkt der Kosten, die gegen einander aufgehoben werden könnten) zu bestätigen, und beyden Partheyen ein ewiges Stillschwei-
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gen aufzulegen. Indessen setzte er doch hinzu: wofern die Majora davor hielten, daß die Gesetze von Abdera nicht zureichend wären, einen so geringfügigen Handel auszumachen, so m ü s s e er sich gefallen lassen, daß der große Rath den Ausspruch darüber thue; jedoch wollte er darauf angetragen haben, vorher im Archiv nachsuchen zu lassen, ob sich nicht etwa schon in ältern Zeiten dergleichen ungewöhnliche Fälle ereignet, und wie man sich dabey benommen habe. Diese Mäßigung des Archon — die ihm von der unpartheyischrichtenden Nachwelt einstimmig als ein Beweis von wahrer Regentenweisheit zum Verdienst angerechnet werden wird — wurde damals, da der Partheygeist alle
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Augen verblendet hatte, als Schwachheit und phlegmatische Gleichgültigkeit ausgelegt. Verschiedene Senatoren von der Parthey des Erzpriesters ließen sich weitläuftig und mit großem Eifer vernehmen: Man könne nichts geringfügig nennen, was die Rechte und Freyheiten der Abderiten betreffe; wo kein Gesetz sey, finde auch kein gerichtliches Verfahren statt; und das erste Beyspiel, wo den Richtern gestattet würde, einen Handel nach e i n e r w i l l k ü h r -
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l i c h e n B i l l i g k e i t zu entscheiden, würde das Ende der Freyheit von Abdera seyn. Wenn der Streit auch noch was geringeres beträfe, so komme es nicht auf die Frage an, w i e v i e l o d e r w e n i g e r w e r t h s e y , sondern w e l c h e v o n d e n P a r t h e y e n R e c h t h a b e ; und da kein Gesetz vorhanden sey, welches in vorliegendem Fall entscheide, ob des Esels Schatten stillschweigend in der Miethe begriffen sey oder nicht: so könne sich weder das Untergericht noch der Senat selbst ohne die offenbarste Tyrannie anmaßen, dem Abmiether etwas zuzusprechen, woran der Vermiether wenigstens eben so viel Recht habe, oder vielmehr ein ungleich besseres, da aus der Natur ihres Contracts keineswegs n o t h w e n d i g f o l g e , daß die Meynung des letztern gewesen, jenem
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auch den Schatten seines Esels zu vermiethen u. s. w. Einer von diesen Herren gieng so weit, daß er in der Hitze heraus fuhr: er sey jederzeit ein eifriger Patriot gewesen; und eh er zugeben würde, daß einer seiner Mitbürger sich anmaßen sollte, nur d e n S c h a t t e n e i n e r t a u b e n N u ß dem andern willkührlich abzusprechen, eh wollt’ er ganz Abdera in Feuer und Flammen sehen. Itzt verlor der Zunftmeister Pfrieme alle Geduld. Das Feuer, sagte er, womit man die ganze Stadt mit solcher Verwegenheit bedrohe, sollte mit demjenigen angezündet werden, der sich zu reden unterstehe. „Ich bin kein studirter Mann, fuhr er fort; aber, bey allen Göttern, ich lasse mir Mäusedreck
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nicht für Pfeffer verkaufen! Man muß den Verstand verloren haben, um einem gesunden Menschen weiß machen zu wollen, daß es ein eignes Gesetz brauche, wenn die Frage ist, ob sich einer auf eines Esels Schatten setzen dürfe, wenn er mit baarem Geld das Recht erkauft hat, auf dem Esel selbst zu sitzen. Überhaupt ist es Schande und Spott, daß so viel ernsthafte gescheute Männer sich den Kopf über einen Handel zerbrechen, den jedes Kind auf der Stelle entschieden haben würde. Wenn ist denn jemals in der Welt erhört worden, daß Schatten unter die Dinge gehören, die man einander vermiethet?“ Herr Zunftmeister, fiel der Rathsherr B u p h r a n o r ein, Ihr schlagt Euch selbst auf den Mund, wenn Ihr das behauptet. Denn wenn des Esels Schatten nicht vermiethet w e r d e n k o n n t e , so ist klar, daß er nicht vermiethet w o r d e n i s t ; denn a non posse ad non esse valet consequentia. Der Zahnarzt kann also, nach Eurem eignen Grundsatz, kein Recht an den Schatten haben, und das Urthel ist an sich null und nichtig. Der Zunftmeister stutzte; und weil ihm nicht gleich einfiel, was sich auf
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dieses feine Argument antworten ließe, so fieng er desto lauter an zu schreyen, und rief Himmel und Erde zu Zeugen an, daß er eher seinen grauen Bart Haar vor Haar ausraufen, als sich noch in seinen alten Tagen zum Esel machen lassen wollte. Die Herren von seiner Parthey unterstützten ihn aus allen Kräften: allein sie wurden überstimmt; und alles, was sie endlich mit Beyhülfe des Archon und des Rathsherrn, der immer l e i s e a u f t r a t , erhalten konnten, war: d a ß d i e S a c h e e i n s w e i l e n i n s t a t u q u o b l e i b e n s o l l t e , b i s man im Archiv nachgesehen hätte, ob sich kein Präjudicium fänd e , w o d u r c h d i e s e r H a n d e l o h n e g r ö ß r e We i t l ä u f t i g k e i t e n e n t 10
schieden werden könnte.
Achtes Kapitel. Gute Ordnung in der Kanzley von Abdera. Präjudicialfälle, die nichts ausmachen. Das Volk will das Rathhaus stürmen, und wird von Agathyrsus besänftigt. Der Senat beschließt, die Sache dem großen Rath zu überlassen. Die Kanzley der Stadt Abdera — weil es doch die Gelegenheit mit sich bringt, ihrer hier mit zwey Worten zu erwähnen — war überhaupt so gut eingerichtet und bedient, als man es von einer so weisen Republik erwarten wird. Indessen hatte sie doch mit vielen andern Kanzleyen zween Fehler gemein, über welche 20
zu Abdera, schon seit Jahrhunderten, fast täglich Klage geführt wurde, ohne daß darum jemand auf den Einfall gekommen wäre: o b e s n i c h t e t w a m ö g l i c h s e y n k ö n n t e , d e m Ü b e l a u f e i n e o d e r a n d r e We i s e a b zuhelfen ? Das eine dieser Gebrechen war: daß die Urkunden und Acten in einigen sehr dumpfen und feuchten Gewölben verwahrt lagen, wo sie aus Mangel der Luft verschimmelten, vermoderten, von Motten gefressen, und nach und nach ganz unbrauchbar wurden; das andre: d a ß m a n , a l l e s S u c h e n s u n g e a c h t e t , n i c h t s d a r i n n f i n d e n k o n n t e . So oft dies begegnete, pflegte irgend ein patriotischer Rathsherr, meistens mit Beystimmung des ganzen
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Senats, die Anmerkung zu machen: „es komme blos daher, w e i l k e i n e O r d n u n g i n d e r K a n z l e y g e h a l t e n w e r d e . “ In der That ließ sich schwerlich
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eine Hypothese erdenken, vermittelst welcher diese Erscheinung auf eine leichtere und begreiflichere Weise zu erklären gewesen wäre. Daher kam es nun, daß fast allemal, wenn bey Rath beschlossen wurde, daß in der Kanzley nachgesehen werden sollte, jedermann schon voraus wußte, und meistens sicher darauf rechnete, d a ß s i c h n i c h t s f i n d e n w ü r d e . Und eben daher kam es auch, daß die gewöhnliche Erklärung, die bey der nächsten Rathssitzung erfolgte: „es habe sich, alles Suchens ungeachtet, nichts in der Kanzley gefunden,“ mit der kaltsinnigsten Gelassenheit, als eine Sache, die man erwartet hatte, und die sich von selbst verstund, aufgenommen wurde. Dies war nun auch dermalen der Fall gewesen, da die Kanzley den Auftrag
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erhalten hatte, in den ältern Acten nachzusehen, ob sich nicht vielleicht ein Präjudicium finde, das der Weisheit des Senats bey Entscheidung des höchstbeschwerlichen Handels über den Eselsschatten zur Fackel dienen könnte. E s h a t t e s i c h n i c h t s g e f u n d e n , ungeachtet verschiedene Herren in der letzten Seßion ganz positiv versicherten: es müßten u n z ä h l i g e ähnliche Fälle vorhanden seyn. Indessen hatte gleichwohl der Eifer eines Rathsherrn von der Parthey d e r E s e l die Acten von zween alten Rechtshändeln aufgetrieben, die einst vielen Lärm in Abdera gemacht, und mit dem gegenwärtigen eine Ähnlichkeit zu haben schienen.
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Der eine betraf einen Streit zwischen den Besitzern zweyer Grundstücke in der Stadtflur, über das Eigenthumsrecht an einen zwischen beyden gelegnen kleinen Hügel, der ungefähr fünf oder sechs Schritte im Umfang betrug, und mit Verlauf der Zeit aus etlichen zusammengeflossenen Maulwurfshaufen entstanden seyn mochte. Tausend kleine Nebenumstände hatten nach und nach eine so heftige Verbitterung zwischen den beyden im Streite befangnen Familien angestiftet, daß jeder Theil entschlossen war, lieber Haus und Hof als sein vermeyntes Recht an diesen Maulwurfshügel zu verlieren. Die abderitische Justiz wurde dadurch in eine desto größere Verlegenheit gesetzt, da Beweis und Gegenbeweis von einer so ungeheuern Combination unendlich kleiner, zweifelhafter und unaufklärbarer Umstände abhieng, daß nach einem Proceß von fünf und zwanzig Jahren die Sache nicht nur der Entscheidung nicht um einen Schritt näher gekommen, sondern im Gegentheil gerade fünf und zwanzigmal verworrener geworden war als Anfangs. Wahrscheinlicherweise würde sie auch nie zu Ende gebracht worden seyn, wenn sich nicht
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beyde Partheyen endlich gezwungen gesehen hätten, die Grundstücke, zwischen welchen der strittige Maulwurfshügel lag, ihren Sykophanten für Proceßkosten und Advocatengebühren cum omni causa et actione abzutreten. Da nun hierunter auch das vermeyntliche Recht an den besagten kleinen Hügel begriffen war, so hatten die Sykophanten sich noch selbigen Tages in Güte dahin verglichen, dieses Hügelchen der großen T h e m i s zu heiligen, einen Feigenbaum darauf zu pflanzen, und unter denselben auf gemeinschaftliche Kosten die Bildsäule besagter Göttinn aus gutem Förenholz, mit Steinfarbe angestrichen, setzen zu lassen. Auch wurde, unter Garantie des abderitischen 10
Senats, festgesetzt, daß die Besitzer beyder Grundstücke zu ewigen Zeiten schuldig seyn sollten, besagte Bildsäule nebst dem Feigenbaum gemeinschaftlich zu unterhalten. Gestalten dann auch beyde, und zwar der Feigenbaum in sehr ansehnlichen, die Bildsäule aber in sehr verfallnen und wurmstichigen Umständen, zum ewigen Gedächtniß dieses merkwürdigen Handels, noch zur Zeit des gegenwärtigen zu sehen waren. Der andre Proceß schien mit dem vorliegenden noch eine nähere Verwandtschaft zu haben. Ein Abderit, Namens Pamphus, besaß ein Landgut, dessen vornehmste Annehmlichkeit darinn bestund, daß es auf der südwestlichen Seite eine ganz herrliche Aussicht über ein schönes Thal hatte, welches zwi-
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schen zween waldigten Bergen hinlief, in der Ferne immer schmäler wurde, und sich endlich in das ägeische Meer verlor. Pamphus pflegte oft zu sagen: daß ihm diese Aussicht nicht um hundert attische Talente feil wäre; und er hatte um so mehr Ursache, sie so hoch zu taxiren, da das Gut an sich selbst so unerheblich war, daß ihm niemand, der blos auf den Nutzen sah, fünf Talente darum gegeben haben würde. Unglücklicherweise fand ein ziemlich begüterter abderitischer Bauer, der auf eben dieser südwestlichen Seite sein Nachbar war, sich veranlaßt, eine Scheune bauen zu lassen, die dem guten Pamphus einen so großen Theil seiner Aussicht entzog, daß sein Landgütchen, seiner Rechnung nach, wenigstens um 80 Talente dadurch schlechter wurde. Pam-
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phus wandte alles Mögliche an, den Nachbar in Güte und Ernst von einem so fatalen Bau abzuhalten. Allein der Bauer bestand auf seinem Rechte, seinen erbeigenthümlichen Grund und Boden zu überbauen, wo und wie es ihm beliebte. Es kam also zum Proceß. Pamphus konnte zwar nicht erweisen, daß die strittige Aussicht ein nothwendiges und wesentliches Pertinenzstück seines Gutes sey; oder, daß ihm Luft und Licht dadurch entzogen werde; oder, daß
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sein Großvater, der es käuflich an seine Familie gebracht, um besagter Aussicht willen nur eine Drachme mehr bezahlt habe, als das Gut nach damaligem Preise an sich selbst werth war; noch, daß ihm sein Nachbar, der Bauer, mit einiger Servitut verhaftet sey, Kraft deren er ein Recht hätte, ihm den Bau niederzulegen. Allein sein S y k o p h a n t behauptete, daß die Entscheidungsgründe dieser Sache viel tiefer lägen, und aus der ersten ursprünglichen Quelle alles Eigenthumsrechts unmittelbar geschöpft werden müßten. Wäre die Luft nicht ein durchsichtiges Wesen, sagte der Sykophant: so möchte Elysium und der Olympus selbst dem Landgute meines Principals gegenüber liegen, er würde so wenig jemals davon zu sehen bekommen haben, als ob unmittelbar
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vor seinen Fenstern eine Mauer stünde, die bis an den Himmel reichte. Die durchsichtige Natur und Eigenschaft der Luft ist also die erste und wahre Grundursache der schönen Aussicht, die das Gut meines Principals beseligt. Nun ist aber die freye durchsichtige Luft, wie jedermann weiß, eines von den gemeinen Dingen, an welche ursprünglich alle ein gleiches Recht haben; und eben darum ist jede noch von niemand occupirte Portion derselben als eine Res Nullius, als eine Sache, die noch niemanden eigenthümlich angehört, anzusehen, und wird folglich ein Eigenthum des ersten, der sie occupirt. Seit unfürdenklichen Zeiten haben die Vorfahren meines Principals an diesem Gute die dermalen im Streit verfangne Aussicht inne gehabt, besessen und
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genossen, von männiglichen ungehindert und unangefochten. Sie haben also die dazu erforderliche Portion der Luft wirklich m i t i h r e n A u g e n occupirt, und sie ist durch diese Occupation so wohl, als durch einen Besitz seit unfürdenklicher Zeit, ein eigenthümlicher Theil des mehrbesagten Gutes geworden, wovon solchem nicht das Geringste entzogen werden kann, ohne die Grundgesetze aller bürgerlichen Ordnung und Sicherheit umzustoßen. — Der Senat von Abdera fand diese Gründe ganz bedenklich; es wurde lange für und wider mit großer Subtilität gestritten; und da Pamphus einige Zeit darauf in den Rath gewählt worden war, schien die Sache um so viel verwickelter, und seine Gründe von Zeit zu Zeit immer b e d e n k l i c h e r zu werden. Der Bauer starb endlich, ohne den Ausgang des Handels zu erleben; und seine Erben, welche zuletzt merkten, daß arme Bauersleute wie sie, gegen einen so großen Herrn als ein Rathsherr von Abdera war, nichts gewinnen könnten, ließen sich endlich von ihrem Sykophanten zu einem Vergleich bereden: vermöge dessen sie die Proceßkosten bezahlten, und von dem Bau der strittigen Scheune um so
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mehr abstanden, da sie — kein Geld mehr dazu hatten, und der Proceß von ihrem Erbgut so viel weggefressen hatte, daß sie keiner neuen Scheune mehr bedurften, um die wenigen Früchte, die ihnen noch zu bauen übrig blieben, aufzubehalten. Nun war es zwar ziemlich klar, daß diese beyden Rechtshändel zu Entscheidung des vorliegenden sehr wenig Licht geben konnten; zumal da in keinem von beyden definitive war gesprochen worden, sondern beyde durch gütlichen Vergleich ihre Endschaft erreicht hatten: allein der Rathsherr, der sie producirte, schien auch keinen andern Gebrauch davon machen zu wollen, als 10
dem Senat zu zeigen: daß diese beyden Händel, die sowohl in Rücksicht auf die Wichtigkeit des Gegenstandes als die Subtilität der Rechtsg r ü n d e sehr viele Ähnlichkeit mit dem Eselsproceß zu haben schienen, so viele Jahre lang vor dem abderitischen kleinen Rath geführt und verhandelt worden, ohne daß sich jemand habe beygehen lassen, an den großen Rath zu provociren, oder nur zu zweifeln, ob der kleine auch wohl Fug und Macht habe, in Sachen dieser Art zu erkennen. Die sämmtlichen E s e l unterstützten diese Meynung ihres Partheyverwandten mit desto größerm Eifer, da sie die Majora in Händen hatten, wofern die Sache vor Rath abgethan worden wäre; allein eben darum beharrten die
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Schatten desto hartnäckiger bey ihrem Widerspruch. Der ganze Morgen wurde mit Streiten und Schreyen zugebracht; und die Herren würden endlich (wie ihnen öfters zu begegnen pflegte) um Mittagsessenszeit unverrichteter Dinge auseinander gegangen seyn, wenn eine große Anzahl gemeiner Bürger von d e r S c h a t t e n p a r t h e y , die sich auf Veranstaltung des Zunftmeisters Pfrieme vor dem Rathhause versammelt hatte, und durch eine Menge herbey gelaufnen Pöbels von der niedrigsten Gattung verstärkt worden war, der Sache nicht endlich den Ausschlag gegeben hätte. Die Parthey des Erzpriesters legte in der Folge dem Zunftmeister zur Last, daß er geflissentlich ans Fenster getreten sey, und das Volk durch gegebne
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Zeichen zum Aufruhr angereizet habe. Allein die Gegenparthey läugnete diese Beschuldigung schlechterdings, und behauptete: das unziemliche Geschrey, das e i n i g e E s e l auf einmal erhoben hätten, habe die unten versammelten Bürger auf die Gedanken gebracht, als ob den Herren von ihrem Anhang Gewalt geschehe, und dieser Irrthum habe den ganzen Lärm veranlaßt.
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Wie dem auch seyn mochte, auf einmal schallte ein brüllendes Geschrey zu den Fenstern des Rathhauses hinauf: F r e y h e i t , F r e y h e i t ! E s l e b e d e r Z u n f t m e i s t e r P f r i e m e ! We g m i t d e n E s e l n ! We g m i t d e n J a s o n i d e n ! u. s. w. Der Archon kam ans Fenster, und gebot den Aufrührern Ruhe. Aber ihr Geschrey nahm überhand; und einige der Frechsten drohten, das Rathhaus auf der Stelle anzuzünden, wenn die Herren nicht unverzüglich aus einander gehen, und die Sache dem großen Rath und dem Volk anheimstellen würden. Etliche lose Buben und Heringsweiber drangen wirklich mit Gewalt in die benachbarten Häuser, rissen Brände von den Feuerheerden, und kamen da-
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mit zurück, um den gnädigen Herren zu zeigen, daß es mit ihrer Drohung im Ernste gemeynet sey. Indessen hatte der Auflauf, der hierdurch verursacht wurde, eine Anzahl von E s e l n herbey gerufen, die den Herren von ihrer Parthey mit Knitteln, Feuerzangen, Fleischmessern, Mistgabeln, und dem ersten dem Besten, was ihnen in die Hände gefallen war, zu Hülfe kommen wollten; und wiewohl sie von den Schatten bey weitem übermehrt waren: so trieb sie doch ihre Herzhaftigkeit und die Verachtung, womit sie die ganze Parthey der Schatten ansahen, die wörtlichen Beleidigungen mit so nachdrücklichen Hieben und Stößen zu erwiedern, daß es blutige Köpfe absetzte, und das Handgemeng in
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wenig Augenblicken allgemein wurde. Bey so gestalten Sachen war nun freylich in der Rathsstube nichts anders zu thun, als e i n h e l l i g zu beschließen: daß man, lediglich aus Liebe zum Frieden und um des gemeinen Bestens willen, für diesesmal und citra praeiudicium sich gleichwohl gefallen lassen wolle, daß der Handel wegen des Eselsschattens vor den großen Rath gebracht, und der Entscheidung desselben überlassen werden könnte. Inzwischen war den guten Rathsherren so enge in ihrer Haut, daß sie, so bald man sich (wiewohl auf eine sehr tumultuarische Weise) dieses Schlusses vereiniget hatte, den Zunftmeister Pfrieme mit aufgehabnen Händen baten, sich herunter zu begeben, und das aufgebrachte Volk zu beruhigen. Der Zunftmeister, dem es mächtig wohl that, die stolzen Patricier so tief unter die Gewalt des Knieriemens gedemüthigt zu sehen, zögerte zwar nicht, Ihnen diese Probe seines guten Willens und seines Ansehens bey dem Volke zu geben; aber der Tumult war schon so groß, daß seine Stimme, wiewohl eine der besten
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Bierstimmen von ganz Abdera, eben so wenig gehört wurde, als das Geschrey eines Schiffjungens im Mastkorbe unter dem donnernden Geheul des Sturms und dem Brausen der zusammenprallenden Wellen. Er würde sogar in der ersten Wut, in welche der Pöbel (der ihn nicht sogleich erkannte) bey seinem Anblick aufbrannte, seines eignen Lebens nicht sicher gewesen seyn, wenn nicht glücklicher Weise der Erzpriester A g a t h y r s u s — der diesen zufälligen Tumult für den geschicktesten Augenblick hielt, der Gegenparthey in die Flanke zu fallen — mit seinem v e r g o l d e t e n H a m m e l s f e l l an einer Stange vor sich her, und mit seiner ganzen Priesterschaft hinterdrein, in eben diesem 10
Momente herbeygekommen wäre, dem Aufruhr Einhalt zu thun; indem er dem Pöbel die Versicherung gab, daß ihnen genug gethan werden sollte, und daß er selbst der erste sey, der darauf antrage, daß die Sache vor dem großen Rath abgethan werden müsse. Diese öffentliche Versicherung des Erzpriesters, und seine Herablassung und Leutseligkeit, zugleich mit der Ehrfurcht, die das abderitische Volk für das vergoldete Hammelsfell zu tragen gewohnt war, that eine so gute Wirkung, daß in wenig Augenblicken alles wieder ruhig war, und der ganze Markt von einem lauten: Lebe der Erzpriester Agathyrsus! erschallte. Die Verwundeten schlichen sich ganz geruhig nach Hause, um sich ihre Köpfe verbinden
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zu lassen. Der übrige Troß strömte hinter dem zurückkehrenden Erzpriester her. Der Zunftmeister aber hatte den Verdruß zu sehen, daß ein großer Theil seiner sonst so treuergebenen S c h a t t e n , von der Ansteckung des übrigen Haufens hingerissen, den Triumph seines Gegners vergrößern half, und in diesem Augenblick des Taumels leicht dahin hätte gebracht werden können, allen den wilden Muthwillen, den sie kurz zuvor an ihren vermeyntlichen Feinden, d e n E s e l n , auszuüben bereit waren, nun an ihren eignen Freunden, d e n S c h a t t e n , auszulassen.
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Neuntes Kapitel. Politik beyder Partheyen. Der Erzpriester verfolgt seinen erhaltenen Vortheil. Die Schatten ziehen sich zurück. Der entscheidende Tag wird fest gesetzt. Dieser unvermuthete Vortheil, den der Erzpriester über d i e S c h a t t e n gewann, kränkte diese um so viel empfindlicher, da er ihnen nicht nur die Freude und Ehre des Sieges, den sie im Senat erhalten hatten, verkümmerte, sondern ihre Parthey selbst merklich schwächte und ihnen überhaupt zu erkennen gab, wie wenig sie sich auf die Unterstützung eines leichtsinnigen Pöbels verlassen dürften, der von jedem Wind auf eine andere Seite geworfen
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wird, und selten recht weiß was er selbst will, geschweige was diejenigen mit ihm machen wollen, von denen er sich treiben läßt. Agathyrsus, der nun das erklärte Haupt der Esel war, hatte durch seine Emissarien erfahren, daß die Gegenparthey durch nichts mehr bey der gemeinen Bürgerschaft gewonnen habe, als durch den Widerstand, den die Beschützer des Eseltreibers anfänglich thaten, da die Sache vor den großen Rath gespielt werden sollte. Da dieser Rath aus v i e r h u n d e r t M ä n n e r n bestund, welche als die Repräsentanten der gesammten Bürgerschaft von Abdera angesehen wurden, und wovon beynahe die Hälfte wirklich bloße Krämer und Handwerksleute
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waren: so glaubte sich jeder gemeine Mann durch die vermeynte Absicht, die Vorrechte desselben einschränken zu wollen, persönlich beleidigt; und die Vorspieglung des Zunftmeister Pfrieme, daß es auf einen gänzlichen Umsturz ihrer demokratischen Verfassung abgezielt sey, fand desto leichter Eingang. In der That war es auch um das, was in der abderitischen Staatseinrichtung demokratisch schien, bloßes Schattenwerk und politisches Gaukelspiel. Denn der kleine Rath, dessen zwey Drittel aus alten Geschlechtern bestunden, machte im Grunde alles was er wollte; und die Fälle, wo d i e v i e r h u n d e r t zusammenberufen werden mußten, waren in dem abderitischen Grundgesetz auf solche Schrauben gesetzt, daß es beynahe gänzlich von dem Urtheil des kleinen Rathes abhieng, wenn und wie oft sie die Vierhundertmänner zusammenberufen wollten, um zu dem, was jener schon beschlossen hatte, ihre Bey-
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stimmung zu geben. Aber eben darum, weil dieses Vorrecht der abderitischen Gemeinen nicht sehr viel zu bedeuten hatte, waren sie desto eifersüchtiger darauf; und um so nöthiger war es, dem Volk das Gängelband zu verbergen, an welchem man es führte, indem es allein zu gehen glaubte. Es war also ein wahrer Meisterstreich von dem Erzpriester, daß er sich nun auf einmal und in einem Augenblick, wo die Wirkung davon plötzlich und entscheidend seyn mußte, dem Volk in einer Sache zu Willen erklärte, auf die es einen so hohen Werth legte. Und da er, anstatt etwas dabey zu wagen, vielmehr dadurch einen starken Riß in den Plan der Gegenparthey machte: so 10
hatte diese letztere alle Ursache, nun auf neue Mittel und Wege zu denken, wie sie den Erzpriester und seinen Anhang wieder aus dem Vortheil heben, und den günstigen Eindruck auslöschen möchte, den er auf das gemeine Volk gemacht hatte. Die Häupter d e r S c h a t t e n kamen noch an selbigem Abend in dem Hause der Dame Salabanda zusammen, und beschlossen: daß man, anstatt die Ernennung eines nahen Tages zur Zusammenberufung d e r V i e r h u n d e r t bey dem Archon zu betreiben, sich vielmehr (falls es nöthig seyn sollte) verwenden wolle, solche zu verzögern, um dem Volke Zeit zu geben, sich wieder abzukühlen. Inzwischen wollte man die Bürgerschaft unter der Hand und mit aller
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Gelassenheit zu überzeugen suchen: wie thöricht sie wären, sich von dem Erzpriester und seinen Miteseln als etwas Verdienstliches anrechnen zu lassen, was doch nichts weniger als guter Wille, sondern bloße gezwungne Folge ihrer Schwäche sey. Wenn die E s e l es in ihrer Gewalt gehabt hätten, die Sache dem großen Rath aus den Händen zu reißen, so würden sie es gethan, und sich wenig darum bekümmert haben, ob es dem Volke lieb oder leid sey. Dieser plötzliche Absprung von ihrem vorigen stadtkundigen Betragen sey ein allzu grober Kunstgriff, die Volksparthey zu trennen, als daß man sich dadurch betrügen lassen könne. Vielmehr habe man um desto mehr Ursache, auf seiner Hut zu seyn, da es augenscheinlich darauf angesehen sey, das Volk durch
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süße Worte einzuschläfern und unvermerkt dahin zu bringen, daß es unwissenderweise ein Werkzeug seiner eignen Unterdrückung werde. Der Oberpriester Strobylus, der bey dieser Berathschlagung zugegen war, billigte zwar alles, was man thun könnte, um das Ansehen seines Nebenbulers bey der Bürgerschaft zu vermindern, und seine Absichten verdächtig zu machen: „Allein ich zweifle sehr, setzte er hinzu, daß wir die gehofften Früchte
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davon erleben werden. Ich bereite ihm aber eine andere und schärfere Lauge zu, die desto besser wirken wird, wenn sie ihm ganz unversehens über den Kopf kommt. Es ist noch nicht Zeit, mich deutlicher zu erklären. Laßt mich nur machen! Mag er sich doch eine Weile mit der Hoffnung schmeicheln, den Priester Strobylus im Triumph hinter sich herzuschleppen! Die Freude soll ihm übel versalzen werden, darauf verlaßt euch! Inzwischen wenn wir, wie ich hoffe, ehrlich an einander sind, und wenn es uns Ernst ist, den Sieg über unsre Feinde zu erhalten, so müssen wir reinen Mund über das halten, was ich euch von meinem geheimen Anschlag habe merken lassen, und seiner Zeit davon entdecken werde. Agathyrsus muß sicher gemacht werden. Er muß glauben,
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daß wir nur noch mit einem Flügel schlagen, und daß alle unsre Hoffnung auf unserm Vertrauen, das Übergewicht im großen Rathe zu machen, beruht.“ — Jedermann fand, daß der Oberpriester die Sache sehr richtig gefaßt habe, und die Gesellschaft trennte sich, sehr neugierig, was das wohl für ein Anschlag seyn könne, den er gegen den Erzpriester i n P e t t o behalte, aber auch sehr überzeugt, daß, wenn es auf den Sturz des letztern angesehen sey, die Sache in keine bessere als in des Priesters Strobylus Hände gestellt werden könne. A g a t h y r s u s ermangelte inzwischen nicht, aus dem kleinen Siege, den er durch eine ihm eigene Gegenwart des Geistes zu so gelegener Zeit über seine Gegner erhalten hatte, allen möglichen Vortheil zu ziehen. Er hatte unter den
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Haufen gemeinen Volks, der ihn bis in den Vorhof des erzpriesterlichen Palasts begleitete, Brod und Wein austheilen lassen, bevor er sie mit einer ernstlichen Vermahnung, ruhig zu seyn, wieder nach Hause gehen ließ; wo sie nun vom Lobe seiner Person, seiner Leutseligkeit und Freygebigkeit gegen ihre Nachbarn und Bekannten überflossen. Aber, wiewohl er den Geist der Republiken zu gut kannte, u m d i e G u n s t d e s P ö b e l s f ü r n i c h t s z u a c h t e n , so wußte er doch wohl, daß er damit noch n i c h t v i e l gewonnen hatte. Das Nothwendigste war, sich der Zuneigung des größten Theils der V i e r h u n d e r t gänzlich zu versichern; theils weil itzt auf diese alles ankam, theils weil man, wenn sie einmal gewonnen waren, mehr Staat auf sie machen konnte, als auf das übrige Volk. Er hatte zwar bereits einen ansehnlichen Anhang unter ihnen; aber außer einer Anzahl erklärter und eifriger S c h a t t e n , mit denen er sich nicht einlassen mochte, befanden sich noch sehr viele — und sie bestanden meistens aus den Vermöglichsten und Angesehensten von der Bürgerschaft — die sich entweder noch gar nicht erklärt hatten, oder nur darum
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gegen die Parthey der Schatten hinneigten, weil ihnen die Häupter der Gegenparthey als herrschsüchtige, gewaltthätige Leute beschrieben worden waren, die diese ganze lächerliche O n o s k i a m a c h i e blos darum angezettelt hätten, um die Stadt in Verwirrung zu setzen, und die Unruhen, wovon sie selbst die Urheber wären, zum Vorwand und zu Werkzeugen ihrer ehrgeizigen Absichten zu gebrauchen. Diese Leute auf seine Seite zu bringen, schien ihm nun eben so leicht, als es für den Triumph seiner Parthey entscheidend war. Er ließ sie alle noch an selbigem Abend zu Gaste bitten. Die meisten erschienen; und der Erzpriester, 10
der eine besondere Gabe hatte, seiner Politik einen Firniß von Offenheit und aufrichtigem Wesen anzustreichen, machte ihnen kein Geheimniß daraus, daß er sie zu sich gebeten habe, um mit Hülfe so braver und verständiger Männer die Vorurtheile zu zerstreuen, die, wie er hörte, der Bürgerschaft wider ihn beygebracht worden. „Daß man, sagte er, in dem Handel zwischen einem E s e l t r e i b e r und einem Z a h n a r z t , und in einem Handel, wo es blos um den S c h a t t e n e i n e s E s e l s zu thun sey, einen Mann seines Standes zum Haupt einer Parthey machen wolle, komme ihm allzu lächerlich vor, als daß er sich jemals einfallen lassen werde, eine so alberne Beschuldigung von sich abzulehnen. Indessen sey der arme Anthrax ein Schutzverwandter des Jason-
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tempels, und er habe ihm also nicht versagen können, sich seiner, so weit als es die Gerechtigkeit erfodre, anzunehmen. Ohne die bekannte auffahrende Hitze des Zunftmeisters Pfrieme, der sich etwas unzeitig zum Sachwalter des Zahnarztes aufgeworfen — nicht weil dieser Recht habe, sondern blos weil er bey den Schustern zünftig sey — würde eine so unbedeutende Sache ohnmöglich zu solcher Weitläuftigkeit gekommen seyn. Sey aber einmal ein Feuer angezündet, so fänden sich immer Leute, denen damit gedient sey, es anzublasen und zu nähren. Er seines Orts habe sich immer zum Gesetz gemacht, sich in nichts zu mischen, das ihn nichts angehe. Daß er sich aber dazu verwendet habe, den gefährlichen Tumult, der diesen Morgen von den Anhän-
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gern des Zunftmeisters vor dem Rathhause erregt worden, durch seine Dazwischenkunft und gütliche Zureden zu stillen, werde ihm hoffentlich von keinem Billigdenkenden als eine ungeziemende Anmaßung, sondern vielmehr als die That eines guten Bürgers und Patrioten ausgelegt werden; zumal, da es dem Charakter eines Priesters immer anständiger sey, Friede zu machen und Unordnungen zu verhüten, als Öl ins Feuer zu gießen, wie von manchen
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bekannt sey, die er nicht zu nennen nöthig habe. Im übrigen läugne er nicht, daß er — da die Sache mit dem Eselsschatten nun einmal in erster Instanz verdorben worden, und zu einem Handel erwachsen sey, an welchem ganz Abdera Antheil zu nehmen sich gleichsam genöthigt sehe — immer gewünscht habe, daß die Sache je bälder je lieber vor den großen Rath gebracht würde; nicht sowohl, damit der arme Anthrax die gebührende Genugthuung erhalte (wiewohl nicht zu zweifeln sey, daß ihm solche bey dieser hohen Gerichtsstelle keineswegs werde versagt werden), als damit der zügellose Muthwille der Sykophanten endlich einmal durch irgend ein angemeßnes Gesetz eingeschränkt, und dergleichen Händeln, die der Stadt Abdera zu schlechter Ehre
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gereichten, fürs künftige nach Möglichkeit vorgebaut werden möchte.“ Agathyrsus brachte alles dies mit so vieler Gelassenheit und Mäßigung vor, daß seine Gäste sich nicht genug über die Ungerechtigkeit derjenigen verwundern konnten, welche einen so gut denkenden Herrn zum vornehmsten Anstifter dieser Unruhen hätten machen wollen. Sie hielten sich nun alle von dem Gegentheil vollkommen überzeugt; und es gelang ihm in wenigen Stunden, diese wackern Leute, ohne daß sie es selbst merkten, und indem sie noch immer ganz unpartheyisch zu seyn glaubten, zu so guten E s e l n zu machen, als es vielleicht in Abdera gab; zumal nachdem die vortrefflichen Weine, womit er sie bey der Abendmahlzeit beträufte, jeden Schatten des Mistrauens
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vollends ausgelöscht, und jede Seele zur Empfänglichkeit aller Eindrücke, die er ihnen geben wollte, geöffnet hatten. Man kann sich leicht vorstellen, daß dieser Schritt des Agathyrsus die Gegenparthey nicht wenig beunruhigen mußte. Da die Revolution, welche unter demjenigen Theil der Bürgerschaft, der bisher gleichgültig geblieben war, dadurch bewirkt worden, bald darauf sehr merklich zu werden anfieng, und alle Batterien, die man mit verdoppeltem Eifer dagegen spielen ließ, nicht nur ohne Wirkung blieben, sondern gerade die gegentheilige Wirkung thaten, und die Übelgesinntheit der S c h a t t e n durch die Vergleichung mit der Mäßigung und den patriotischen Gesinnungen des Prälaten nur desto auffallender machten: so würden die besagten Schatten äußerst verlegen gewesen seyn, was sie anfangen wollten, um ihrer beynahe ganz gesunknen Parthey wieder einen Schwung zu geben, wenn der Priester Strobylus sie nicht bey Muth erhalten, und versichert hätte, daß er, sobald der Gerichtstag festgesetzt seyn würde, dem k l e i n e n J a s o n (wie er ihn zu nennen pflegte) ein Gewitter über
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den Hals schicken wolle, dessen er sich mit aller seiner Schlauheit gewiß nicht versehn, und wodurch die Sache sogleich ein ganz ander Aussehen gewinnen werde. D i e S c h a t t e n schienen sich nun so ruhig zu halten, daß Agathyrsus und sein Anhang diese anscheinende Niedergeschlagenheit ihrer Geister sehr wahrscheinlich der wenigen Hoffnung zuschreiben konnten, welche ihnen nach dem über sie erhaltnen zwiefachen Vortheil übrig blieb. Sie verdoppelten daher ihre Bemühungen bey d e m A r c h o n O n o l a u s (dessen Sohn ein vertrauter Freund des Erzpriesters und einer der hitzigsten Esel war), einen na10
hen Tag zur Versammlung des großen Raths anzuberaumen; und sie erhielten endlich durch ihr ungestümes Anhalten, daß diese Feyerlichkeit auf den sechsten Tag nach der letzten Rathssitzung festgestellt wurde. Diejenigen, welche die Weisheit eines Plans oder einer genommenen Maasregel nach dem Erfolg zu beurtheilen pflegen, werden vielleicht die Sicherheit des Erzpriesters bey der plötzlichen Unthätigkeit seiner Gegenparthey eines Mangels an Klugheit und Vorsicht beschuldigen, von welchem wir ihn allerdings nicht gänzlich freysprechen können. Wir läugnen es nicht, es würde behutsamer von ihm gewesen seyn, diese Unthätigkeit vielmehr irgend einem wichtigen Streich, über welchem sie in der Stille brüteten, als einem zu Boden
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gesunknen Muthe zuzuschreiben. Allein es war einer von den Fehlern dieses Jasoniden, daß er aus allzulebhaftem Gefühl seiner eignen Stärke seine Gegner immer mehr verachtete, als die Klugheit erlaubte. Er handelte fast immer wie einer, der es nicht der Mühe werth hält zu berechnen, was ihm seine Feinde schaden können, weil er sich überhaupt bewußt ist, daß es ihm nie an Mitteln fehlen werde, das Ärgste, was sie ihm thun können, von sich abzutreiben. Indessen ist doch in gegenwärtigem Falle zu vermuthen, daß tausend andre an seinem Platz, und bey so günstigen Anscheinungen, eben so gedacht, und, wie er, geglaubt hätten, sehr wohl daran zu thun, wenn sie sich den guten Willen ihrer neuen Freunde zu Nutze machten, bevor er wieder erkaltete, und
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ihren Feinden keine Zeit ließen, wieder zu sich selbst zu kommen. Daß der Erfolg seiner Erwartung nicht gemäß war, kam von einem Streich des Priesters Strobylus her, den er mit aller seiner Klugheit nicht voraus sehen konnte; und der, so sehr er auch in dem Charakter dieses Mannes gegründet seyn mochte, doch so beschaffen war, daß man nur durch die unmittelbare Erfahrung dahin gebracht werden konnte, ihn dessen für fähig zu halten.
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Zehntes Kapitel. Was für eine Miene der Priester Strobylus gegen seinen Collegen springen läßt. Zusammenberufung der Zehnmänner. Der Erzpriester wird vorgeladen, findet aber Mittel, sich sehr zu seinem Vortheil aus der Sache zu ziehen. Tages vorher, eh der Proceß über den Eselsschatten, der seit einigen Wochen die unglückliche Stadt Abdera in so weit aussehende Unruhen gestürzt hatte, vor dem großen Rath entschieden werden sollte, kam der Oberpriester Strobylus, mit zween andern Priestern der Latona und verschiedenen Personen aus dem Volke, in großer Gemüthsbewegung und Eilfertigkeit frühmorgens
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zu dem Archon Onolaus, um Seiner Gnaden e i n Wu n d e r z e i c h e n zu berichten, welches (wie man die höchste Ursache habe zu fürchten) die Republik mit irgend einem großen Unglück bedrohe. Es hätten nämlich schon in der ersten und zweyten Nacht vor dieser letztern einige zum Latonentempel gehörige Personen zu hören geglaubt, daß d i e F r ö s c h e d e s g e h e i l i g t e n Te i c h e s , anstatt des gewöhnlichen Wr e c k e c k e k K o a x K o a x , welches sie sonst mit allen andern natürlichen Fröschen, und selbst mit denen in den s t y g i s c h e n S ü m p f e n (wie aus dem A r i s t o p h a n e s zu ersehen) gemein hätten, ganz ungewöhnliche und klägliche Töne von sich gegeben; wiewohl besagte Leute sich nicht getraut, so nahe
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hinzuzugehen, um solche genau unterscheiden zu können. Auf die Anzeige, die ihm, dem Oberpriester, gestern Abends hievon gemacht worden, habe er die Sache wichtig genug gefunden, um mit seiner untergebnen Priesterschaft die ganze Nacht bey dem geheiligten Teiche zuzubringen. Bis gegen Mitternacht habe die tiefste Stille auf demselben geruht: allein um besagte Zeit habe sich plötzlich ein dumpfes, unglückweissagendes Getön aus dem Teich erhoben; und da sie näher hinzugetreten, hätten sie insgesammt die Töne: We h ! We h ! P h e u ! E l e l e l e l e l e u ! ganz deutlich unterscheiden können. Dieses Wehklagen habe eine ganze Stunde lang gedauert, und sey, außer den Priestern, noch von allen denen gehört worden, die er als Zeugen eines so unerhörten und höchst bedenklichen Wunders mit sich gebracht habe. Da nun gar nicht zu bezweifeln sey, daß die Göttinn ihr bisher geliebtes Abdera durch
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dieses drohende und wundervolle Anzeichen vor irgend einem bevorstehenden großen Unglück habe warnen, oder vielleicht zur Untersuchung und Bestrafung irgend eines noch unentdeckten Frevels auffordern wollen, der den Zorn der Götter auf die ganze Stadt ziehen könnte: so wolle er, kraft seines Amtes und im Namen der Latona, Seine Gnaden hiemit ersucht haben, das Collegium d e r Z e h n m ä n n e r unverzüglich zusammen berufen zu lassen, damit die Sache ihrer Wichtigkeit gemäß erwogen, und die weitern Vorkehrungen, die ein solcher Vorfall erfodere, getroffen werden könnten. Der Archon, der in dem Ruf war, sich in Absicht der geheiligten Frösche 10
ziemlich stark auf die freyen Meynungen des D e m o k r i t u s zu neigen, schüttelte bey diesem Vortrag den Kopf, und stund eine Weile, ohne den Priestern eine Antwort zu geben. Allein der Ernst, womit diese Herren die Sache vorbrachten, und der seltsame Eindruck, den solche bereits auf die gegenwärtigen Personen aus dem Volke gemacht zu haben schien, ließen ihn leicht voraussehen, daß in wenig Stunden die ganze Stadt von diesem vorgeblichen Wunder voll seyn, und in schreckenvolle Ahndungen gesetzt werden würde, bey welchen ihm nicht erlaubt seyn würde, gleichgültig zu bleiben. Es war ihm also nichts übrig, als sogleich in Gegenwart der Priester den Befehl zu geben, daß d i e Z e h n m ä n n e r sich wegen eines außerordentlichen Vorfalls
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binnen einer Stunde in dem Tempel der Latona versammeln sollten. Inzwischen hatte, durch Veranstaltung des Oberpriesters, das Gerücht von einem furchtbaren Wunderzeichen, welches seit drey Nächten in dem Haine der Latona gehört werde, sich bereits durch ganz Abdera verbreitet. Die Freunde des Erzpriesters Agathyrsus, die nicht so einfältig waren, sich durch solches Gaukelwerk täuschen zu lassen, wurden dadurch erbittert, weil sie nicht zweifelten, daß irgend ein böser Anschlag gegen ihre Parthey darunter verborgen liege. Verschiedene junge Herren und Damen von der ersten Classe affectirten über das vorgegebene Wunder zu spotten, und machten Parthien, in der nächsten Nacht der neumodischen Trauermusik im Froschteich der
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Latona beyzuwohnen. Aber auf das gemeine Volk und auf einen großen Theil der Vornehmern, die in Sachen dieser Art allenthalben g e m e i n e s Vo l k zu seyn pflegen, machte die Erfindung des Oberpriesters ihre vollständige Wirkung. Das P h e u , P h e u , E l e l e l e l e l e u der Latonenfrösche unterbrach auf einmal alle bürgerliche und häusliche Beschäftigungen. Alte und Junge, Weiber und Kinder liefen auf den Gassen zusammen, und forschten mit er-
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schrocknen Gesichtern nach den Umständen des Wunders. Und da beynahe ein jedes die Sache aus dem eignen Munde der ersten Zeugen gehört haben wollte, und der Eindruck, den man dergleichen Erzählungen auf die Zuhörer machen sieht, eine natürliche Anreizung für den Erzähler zu seyn pflegt, immer etwas, das die Sache interessanter macht, hinzuzuthun: so wurde das Wunder in weniger als einer Stunde in den verschiedenen Gegenden der Stadt mit so furchtbaren Umständen gefüttert, daß den Leuten beym bloßen Hören die Haare zu Berge standen. Einige versicherten, d i e F r ö s c h e , als sie den fatalen Gesang angestimmt, h ä t t e n M e n s c h e n k ö p f e a u s d e m Te i c h e m p o r g e r e c k t ; andere, d a ß s i e g a n z f e u r i g e A u g e n v o n d e r G r ö ß e
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e i n e r Wa l l n u ß g e h a b t h ä t t e n ; noch andere, d a ß m a n z u e b e n d e r Zeit allerley fürchterliche Gespenster, ungeheure heulende T ö n e v o n s i c h g e b e n d , i m H a i n u m h e r f a h r e n g e s e h e n ; wieder andere, d a ß e s b e y h e l l e m H i m m e l g a n z e r s c h r e c k l i c h ü b e r d e n Te i c h g e b l i t z t u n d g e d o n n e r t h a b e ; und endlich betheuerten e i n i g e O h r e n z e u g e n , daß sie ganz deutlich die Worte: We h d i r A b d e r a ! zu wiederholtenmalen, hätten unterscheiden können. Kurz das Wunder wurde, wie gewöhnlich, immer größer, je weiter es sich fortwälzte, und fand desto mehr Glauben, je ungereimter, widersprechender und unglaublicher die Berichte waren, die davon gegeben wurden. Und da man bald die Zehnmänner zu einer
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ungewöhnlichen Zeit in großer Hast und mit bedeutungsvollen Gesichtern dem Tempel der Latona zueilen sah: so zweifelte nun niemand mehr, daß Begebenheiten von der größten Wichtigkeit in dem Becher des abderitischen Schicksals gemischt würden, und die ganze Stadt schwebte in zitternder Erwartung der Dinge, die da kommen sollten. Das Collegium der Z e h n m ä n n e r war aus dem Archon, den vier ältesten Rathsherren, den zween ältesten Zunftmeistern, dem Oberpriester der Latona, und zween Vorstehern des geheiligten Teiches zusammengesetzt, und stellte das ehrwürdigste unter allen abderitischen Tribunalien vor. Alle Sachen, bey denen die Religion von Abdera unmittelbar betroffen war, standen unter seiner Gerichtsbarkeit, und sein Ansehen war beynahe unumschränkt. Es ist eine alte Bemerkung, daß verständige Leute durchs Alter gewöhnlich weiser, und Narren mit den Jahren immer alberner werden. Ein a b d e r i t i s c h e r N e s t o r hatte daher selten viel dadurch gewonnen, daß er zwo oder drey neue Generationen gesehen hatte; und so konnte man ohne Gefahr vor-
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aussetzen, daß die Z e h n m ä n n e r v o n A b d e r a , im Durchschnitt genommen, den Ausschuß der blödesten Köpfe in der ganzen Republik ausmachten. Die guten Leute waren so bereitwillig, die Erzählung des Oberpriesters für eine Thatsache, die gar keinem Einwurf ausgesetzt seyn könne, anzunehmen, daß sie die Abhörung der Zeugen für eine bloße Formalität anzusehen schienen, womit man so schnell als möglich fertig zu werden suchen müsse. Da nun Strobylus die Herren von der Richtigkeit des Wunders schon zum voraus so wohl überzeugt fand: so glaubte er um so weniger zu wagen, wenn er ohne Zeitverlust zu demjenigen fortschritte, weswegen er sich die Mühe genom10
men, die ganze Fabel zu erfinden. „Von dem ersten Augenblick an, sagte er, da meine eignen Ohren Zeugen dieses Wunderzeichens gewesen sind, welches, wie ich wohl sagen kann, in den Jahrbüchern von Abdera niemals seines gleichen gehabt hat, stieg der Gedanke in mir auf: daß es eine Warnung der Göttinn seyn könnte vor den Folgen ihrer Rache, die, wegen irgend eines geheimen unbestraften Verbrechens, über unsern Häuptern schweben möchte; und dies setzte mich in die Nothwendigkeit, des Archons Gnaden zu gegenwärtiger Versammlung des sehr ehrwürdigen Zehnmännergerichts zu veranlassen. Was damals blos Vermuthung war, hat sich seit einer einzigen Stunde zur Gewißheit aufgeklärt. Der
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Frevler ist bereits entdeckt, und das Verbrechen durch Augenzeugen erweislich, gegen deren Wahrhaftigkeit um so weniger einiger Zweifel vorwaltet, da der Thäter ein Mann von zu großem Ansehen ist, als daß etwas geringeres als die Furcht der Götter Leute von gemeinem Stande dahin bringen könnte, als Zeugen wider ihn aufzutreten. Sollten Sie es jemals für möglich gehalten haben, Hochgeachte Herren, daß jemand mitten unter uns verwegen genug seyn könne, unsern uralten, von den ersten Stiftern unsrer Stadt auf uns angeerbten, und durch so viele Jahrhunderte unbefleckt erhaltenen Gottesdienst und dessen Gebräuche und heilige Dinge zu verachten, und, ohne Ehrerbietung weder für die Gesetze noch den gemeinen Glauben und die Sitten unsrer Stadt,
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muthwilligerweise zu mißhandeln, was uns allen heilig und ehrwürdig ist? Mit einem Wort, können Sie glauben, daß ein Mann mitten in Abdera lebt, der, dem Buchstaben des Gesetzes zu Trotz, S t ö r c h e i n s e i n e m G a r t e n u n t e r h ä l t , d i e s i c h t ä g l i c h m i t F r ö s c h e n a u s d e m Te i c h d e r L a t o n a u n d a n d e r n g e h e i l i g t e n Te i c h e n f ü t t e r n ? “ Erstaunen und Entsetzen drückte sich bey diesen Worten auf jedem Gesicht
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aus. Wenigstens mußte der Archon, um nicht der einzige zu seyn, der die Ausnahme machte, sich eben so bestürzt anstellen, als es seine übrigen Collegen wirklich waren. Ists möglich? schrieen drey oder vier von den Ältesten zugleich; und wer kann der Bösewicht seyn, der sich eines solchen Verbrechens schuldig gemacht hat? „Verzeihen Sie mir, erwiederte Strobylus, wenn ich Sie bitte, diesen harten Ausdruck zu mildern. Ich meines Orts will lieber glauben, daß nicht Gottlosigkeit, sondern bloßer Leichtsinn, und was man heut zu Tage, zumal seit Demokritus sein Unkraut unter uns ausgestreut hat, P h i l o s o p h i e zu nennen pflegt, die Quelle dieser anscheinenden Verachtung unsrer heiligen Ge-
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bräuche und Ordnungen sey. Ich will und muß dies um so mehr glauben, da der Mann, der des besagten Frevels durch das einhellige Zeugniß von mehr als sieben glaubwürdigen Personen überwiesen werden kann, selbst ein Mann von geheiligtem Stande, selbst ein Priester, mit einem Wort, da es d e r J a s o n i d e A g a t h y r s u s ist.“ Agathyrsus? riefen die erstaunten Zehnmänner aus einem Munde. Drey oder vier von ihnen erblaßten, und schienen verlegen zu seyn, einen Mann von solcher Bedeutung, und mit dessen Hause sie immer in gutem Vernehmen gestanden, in einen so schlimmen Handel verwickelt zu sehen. Strobylus ließ ihnen keine Zeit sich zu erholen. Er befahl, die Zeugen her-
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einzurufen. Sie wurden einer nach dem andern abgehört; und es ergab sich: daß Agathyrsus allerdings seit einiger Zeit zween Störche in seinen Gärten unterhielt; daß man sie öfters über dem geheiligten Teiche schweben, und wirklich einen seiner quakenden Bewohner, der sich eben am Ufer sonnen wollte, die Beute derselben werden gesehen habe. Wiewohl nun hierdurch die Wahrheit der Beschuldigung außer allen Zweifel gesetzt schien: so glaubte der Archon Onolaus dennoch, daß es der Klugheit gemäß seyn würde, zu Verhütung unangenehmer Folgen, mit einem Manne wie der Erzpriester Jasons säuberlich zu verfahren. Er trug also darauf an, daß man sich begnügen sollte, ihm von Seiten der Zehnmänner freundlich bedeuten zu lassen: „Man sey geneigt für diesmal zu glauben, daß die Sache, worüber man sich zu beklagen habe, ohne sein Vorwissen geschehen sey; man verspreche sich aber von seiner bekannten billigen Denkart, daß er keinen Augenblick Anstand nehmen werde, die verbrecherischen Störche an die Vorsteher des heiligen Teiches auszuliefern, und den Zehnmännern sowohl als
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der ganzen Stadt hiedurch eine gefällige Probe seiner Achtung gegen die Gesetze und religiösen Gebräuche seiner Vaterstadt zu geben.“ Drey Stimmen von neunen bekräftigten den Antrag des Archon: aber Strobylus und die übrigen setzten sich mit großem Eifer dagegen. Sie behaupteten: außerdem, daß es auf keine Weise zu billigen sey, eine so übermäßige Gelindigkeit gegen einen Bürger von Abdera zu gebrauchen, der eines Verbrechens von solcher Schwere überwiesen sey, so erfodere auch die Gerichtsordnung, daß man ihn nicht eher verurtheile, eh er gehört und zur Verantwortung gelassen worden. Strobylus trug also darauf an: daß der Erzpriester 10
vorgeladen werden sollte, unverzüglich vor den Zehnmännern zu erscheinen, und sich auf die wider ihn angebrachte Klage zu verantworten; und dieser Antrag gieng, Einwendens ungeachtet, mit sechs Stimmen gegen viere durch. Der Erzpriester wurde also mit allen in solchen Fällen üblichen Förmlichkeiten vorgeladen. A g a t h y r s u s war nicht unvorbereitet, als die Abgeordneten der Zehnmänner in seinem Haus erschienen. Nachdem er sie über eine Stunde hatte warten lassen, wurden sie endlich in einen Saal geführt, wo der Erzpriester, in seinem ganzen Ornat, auf einem erhöhten elfenbeinernen Lehnstuhl sitzend, das stotternde Anbringen ihres Worthalters mit großer Gelassenheit anhörte. Als sie
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damit fertig waren, winkte er mit der Hand einem Bedienten, der seitwärts hinter seinem Stuhle stand. Führe die Herren, sagte er zu ihm, in die Gärten, und zeige ihnen die Störche, von denen die Rede ist, damit sie ihren Principalen sagen können, daß sie solche mit eignen Augen gesehen haben; hernach bringe sie wieder hieher. Die Abgeordneten machten große Augen; aber die Ehrfurcht vor dem Erzpriester band ihre Zungen, und sie folgten dem Diener stillschweigend und als Leute, denen nicht ganz wohl bey der Sache war. Als sie wieder zurückgekommen, fragte sie Agathyrsus: ob sie die Störche gesehen hätten? und da sie insgesammt mit Ja geantwortet hatten, fuhr er fort: Nun so geht, macht dem sehr ehrwürdigen Gericht der Zehnmänner mein Compli-
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ment, und sagt denen, die euch geschickt haben: ich lasse ihnen wissen, daß diese Störche, wie alles übrige, was in dem Umfang des Jasontempels lebt, unter Jasons Schutze stehen; und daß ich die Anmaßung, einen Erzpriester dieses Tempels vorzuladen, und nach den abderitischen Gesetzen richten zu wollen, sehr lächerlich finde. Und damit winkte er ihnen, sich wegzubegeben. Diese Antwort — deren sich die Zehnmänner um so mehr hätten versehen
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sollen, da ihnen nicht unbekannt seyn konnte, daß der Jasontempel mit seiner Priesterschaft von der Gerichtsbarkeit der Stadt Abdera gänzlich befreyt war — setzte sie in eine unbeschreibliche Verlegenheit; und der Oberpriester S t r o b y l u s gerieth darüber in einen so heftigen Zorn, daß er vor Wut gar nicht mehr wußte, was er sagte, und endlich damit endigte, der ganzen Republik den Untergang zu drohen, wofern dieser unleidliche Stolz eines kleinen aufgeblasenen Pfaffen, der (wie er sagte) nicht einmal als ein öffentlicher Priester anzusehen sey, nicht gedemüthigt, und der beleidigten Latona die vollständigste Genugthuung gegeben werde. Allein der Archon und seine drey Rathsherren erklärten sich: daß Latona
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(für deren Frösche sie übrigens alle schuldige Ehrerbietung hegten) nichts damit zu thun habe, wenn die Zehnmänner die Grenzen ihrer Gerichtsbarkeit überschritten. Ich hab’ euchs vorhergesagt, sprach der Archon; aber ihr wolltet nicht hören. Würde mein Vorschlag angenommen worden seyn, so bin ich gewiß, der Erzpriester hätte uns eine höfliche und gefällige Antwort gegeben, denn ein gut Wort findet eine gute Statt. Aber der ehrwürdige Oberpriester glaubte eine Gelegenheit gefunden zu haben, seinen alten Groll an dem Erzpriester auszulassen; und nun zeigt es sich, daß er und diejenigen, die sich von seinem unzeitigen Eifer hinreißen ließen, dem Gericht der Zehnmänner einen Schandfleck zugezogen haben, den alles Wasser des H e b r u s u n d N e s t u s in
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hundert Jahren nicht wieder abwaschen wird. Ich gestehe es, (setzte er mit einer Hitze hinzu, die man in vielen Jahren nicht an ihm wahrgenommen hatte,) ich bin es müde, der Vorsteher einer Republik zu seyn, die sich von Eselsschatten und Fröschen zu Grunde richten läßt, und ich bin sehr gesonnen, mein Amt, eh es Morgen wird, niederzulegen; aber so lang’ ich es noch trage, Herr Oberpriester, sollt ihr mir für jede Unordnung haften, die von diesem Augenblick an auf den Straßen von Abdera entstehen wird. Und mit diesen Worten, die mit einem sehr ernstlichen Blick auf den betroffnen S t r o b y l u s begleitet waren, begab sich der A r c h o n mit seinen drey Anhängern hinweg, und ließ die übrigen in sprachloser Bestürzung zurücke. Was ist nun anzufangen, sagte endlich der Oberpriester, den die Wendung, die das Werk seiner Erfindung wider alles Vermuthen genommen hatte, nicht wenig zu beunruhigen anfieng; was ist nun zu thun, meine Herren? Das wissen wir nicht, sagten die beyden Zunftmeister und der vierte Rathsherr, und giengen ebenfalls davon; so daß S t r o b y l u s mit den zween Vor-
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stehern des geheiligten Teichs allein blieben, und nachdem sie eine Zeit lang alle drey zugleich gesprochen hatten, ohne selbst recht zu wissen, was sie sagten, endlich des Schlusses eins wurden: fördersamst bey dem einen der Vorsteher — die Mittagsmahlzeit einzunehmen, und sodann mit ihren Freunden und Anhängern zu Rathe zu gehen, wie sie es nun anzufangen hätten, um die Bewegung, worein das Volk diesen Morgen gesetzt worden war, auf einen Zweck zu lenken, der den Sieg ihrer Parthey entscheiden könnte.
Eilftes Kapitel. Agathyrsus beruft seine Anhänger zusammen. Substanz seiner 10
Rede an sie. Er ladet sie zu einem großen Opferfeste ein. Der Archon Onolaus will sein Amt niederlegen. Unruhe der Parthey des Erzpriesters über dieses Vorhaben. Durch was für eine List sie solches vereiteln. Inzwischen ließ A g a t h y r s u s , so bald die Abgeordneten der Zehnmänner sich wieder wegbegeben, unverzüglich die Vornehmsten von seinem Anhang im Rath und unter der Bürgerschaft, nebst allen J a s o n i d e n , zu sich berufen. Er erzählte ihnen, was ihm so eben auf Anstiften des Priesters S t r o b y l u s mit den Zehnmännern begegnet war, und stellte ihnen vor, wie nothwendig es nun für das Ansehen ihrer Parthey so wohl als für die Ehre und selbst für die
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Erhaltung der Stadt Abdera sey, die Anschläge dieses ränkevollen Mannes zu vereiteln, und dem Volke, welches er durch die lächerliche Fabel von der Wehklage der Latonenfrösche in Unruhe gesetzt, wieder einen entgegengesetzten Stoß zu geben. Es falle einem jeden von selbst in die Augen, daß S t r o b y l u s dieses armselige Mährchen nur deswegen ersonnen habe, um die eben so ungereimte, aber wegen der abergläubischen Vorurtheile des Volkes desto gefährlichere Anklage, die er gegen ihn, den Erzpriester, bey den Zehnmännern angebracht, v o r z u b e r e i t e n , und eine wichtige, die Wohlfahrt der ganzen Republik betreffende Sache daraus zu machen. Aber auch dies sey im Grunde doch nur ein Mittel, wozu er in der Verzweiflung gegriffen habe, um seiner
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darnieder gesunknen Parthey wieder auf die Füße zu helfen, und von den Bewegungen, welche in der Stadt dadurch erregt worden, bey der bevorste-
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henden Entscheidung des Eselsschattenhandels Vortheil zu ziehen. Weil nun aus eben diesem Grunde leicht vorauszusehen sey, daß der unruhige Priester aus dem, was diesen Morgen mit den Zehnmännern vorgegangen, neuen Stoff hernehmen werde, ihn, den Erzpriester, bey dem Volke verhaßt zu machen, und im Nothfall wohl gar einen abermaligen noch gefährlichern Aufstand zu erregen: so habe er für nöthig gehalten, seine und des gemeinen Wesens zuverläßigste Freunde in den Stand zu setzen, dem Volke und allen, die dessen bedürften, richtigere Begriffe von dem heutigen Vorgang und dessen allenfallsigen Folgen geben zu können. Was also die Störche anbelange, so wären solche ohne sein Zuthun von selbst gekommen, und hätten sich auf einen
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Baum seines Gartens ein Nest gebaut. Er habe sich nicht für berechtigt gehalten, sie darinn zu stören; theils weil die Störche seit undenklichen Zeiten bey allen gesitteten Völkern im Besitz einer Art von geheiligtem Gastrechte stünden; theils weil die Freyheit des Jasontempels und der Schutz dieses Gottes alle lebende und leblose Dinge angehe, die sich in dem Umfang seiner Mauern befänden. Das Gesetz, wodurch die Zehnmänner vor einigen Jahren die Störche aus dem Gebiet von Abdera verwiesen hätten, gehe ihn nichts an; indem die Gerichtsbarkeit dieses Tribunals sich nur über dasjenige erstrecke, was auf den Dienst der Latona und die Gebräuche desselben Bezug habe. Und überhaupt sey bekannt, daß der Jasontempel nur in so ferne mit der Republik
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in Verbindung stehe, als sich diese bey dessen Stiftung öffentlich verbindlich gemacht, ihn gegen alle gewaltsame Unternehmungen einheimischer oder auswärtiger Feinde zu beschützen, übrigens aber von allem Gerichtszwange der abderitischen Tribunalien, und von aller Oberherrlichkeit der Republik selbst, vollkommen und auf ewig befreyt sey. Er habe also, indem er die unbefugte Vorladung von sich abgewiesen, nichts gethan, als was seine Würde von ihm erfordert; die Zehnmänner hingegen hätten durch diesen unbesonnenen Schritt, wozu die Mehrheit derselben von dem Priester S t r o b y l u s verleitet worden, ihn in den Fall gesetzt, von der Republik wegen einer so groben Verletzung seiner erzpriesterlichen Vorrechte, im Namen Jasons und aller Jasoniden die strengste und vollständigste Genugthuung zu fordern. Die Sache wäre von wichtigern Folgen, als die Anhänger des Zunftmeister P f r i e m e u n d S t r o b y l u s mit seinen Froschpflegern sich vielleicht vorstellten. Das goldne Vließ, welches die Jasoniden als ihr wichtigstes Erbgut in diesem Tempel aufbewahrten, wäre seit Jahrhunderten als das Palladium von Abdera
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betrachtet und verehrt worden. Die Abderiten hätten sich also wohl vorzusehen, keine Schritte zu thun noch zuzulassen, wodurch sie vielleicht durch eigne Schuld desjenigen beraubt werden könnten, an welches nach einem uralten und zur Religion gewordnen Glauben das Schicksal und die Erhaltung ihrer Republik gebunden sey. Der Erzpriester empfieng auf diesen Vortrag von allen Anwesenden die stärksten Versicherungen ihres Eifers sowohl für die gemeine Sache, als für die Rechte und Freyheiten des Jasontempels. Man besprach sich über die verschiednen Maasregeln, die man nehmen wollte, um die Bürgerschaft in ihren 10
guten Gesinnungen zu befestigen, und diejenigen wieder zu gewinnen, die entweder das vorgegebne Wunderzeichen mit den Fröschen der Latona irre gemacht, oder Strobylus gegen die Störche des Erzpriesters aufgewiegelt haben würde. Die Versammlung trennte sich hierauf, und jeder begab sich an seinen Posten, nachdem Agathyrsus sie alle zu einem feyerlichen Opfer eingeladen hatte, welches er diesen Abend dem Jason in seinem Tempel bringen wollte. Während daß dies im Palast des Erzpriesters vorgieng, war der Archon, äußerst mißvergnügt über die nicht allzuehrenfeste Rolle, die er wider Willen hatte spielen müssen, nach Hause gekommen, und hatte alle seine Verwandte,
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Brüder, Schwäger, Söhne, Tochtermänner, Neffen und Vettern, zu sich berufen lassen, um ihnen anzukündigen: was gestalten er fest entschlossen sey, morgenden Tages vor dem großen Rath seine Würde niederzulegen, und sich auf ein Landgut, das er vor einigen Jahren auf der Insel Thasos gekauft hatte, zurückzuziehen. Sein ältester Sohn und noch etliche von der Familie waren bey diesem Familienconvent nicht zugegen, weil sie eine halbe Stunde zuvor zu dem Erzpriester waren gebeten worden. Da nun die übrigen sahen, daß Onolaus, aller ihrer Bitten und Vorstellungen ungeachtet, unbeweglich auf seinem Vorsatz beharrte: so schlich sich einer von ihnen weg, um der Versammlung im Jasonstempel Nachricht davon zu geben, und sie um ihren Bey-
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stand gegen einen so unverhofften widrigen Zufall zu ersuchen. Er langte eben an, da die Versammlung im Begriff war, auseinander zu gehen. Diejenigen, denen die Gemüthsart des Archons von langem her bekannt war, fanden die Sache bedenklicher, als sie beym ersten Anblick den Meisten vorkam. Seit zehn Jahren, sagten sie, ist dies vielleicht das erstemal, daß der Archon eine Entschließung aus sich selbst genommen hat. Gewiß ist
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sie ihm nicht plötzlich gekommen! Er brütet schon eine geraume Zeit darüber, und der heutige Vorgang hat nur die Schale gesprengt, die über kurz oder lang doch hätte brechen müssen. Kurz, diese Entschließung ist sein eigen Werk; man kann also sicher darauf rechnen, daß es nicht so leicht seyn wird, ihn davon zurückzubringen. Die ganze Versammlung gerieth darüber in Unruhe. Man fand, daß dieser Streich in einem so schwankenden Zeitpunkt, wie der gegenwärtige, der ganzen Parthey und der Republik selbst sehr nachtheilig werden könnte. Es wurde also einhellig beschlossen; daß man zwar so viel von diesem Vorhaben des Archons unter das Volk kommen lassen müßte, als vonnöthen sey, solches in
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Furcht und Ungewißheit zu setzen; zugleich aber wollte man auch veranstalten, daß noch vor dem Opfer im Jasonstempel die Angesehensten von den Räthen und Bürgern beyder Partheyen sich zu dem Archon begeben, und ihn im Namen des ganzen Abdera beschwören sollten, das Ruder der Republik nicht mitten in einem Sturm zu verlassen, wo sie eines so weisen Piloten am meisten vonnöthen hätten. Der Gedanke, die Vornehmsten von beyden Partheyen hierinn zu vereinigen, wurde dadurch nothwendig, weil man voraus sah, daß ohne dieses alle ihre Arbeit an dem Archon fruchtlos seyn würde. Denn wiewohl er von Jugend an der Aristokratie eifrig ergeben war: so hatte er sich doch zu einem Grund-
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satz gemacht, n i c h t d a f ü r a n g e s e h e n s e y n z u w o l l e n ; und die Popularität, die er zu diesem Ende schon so lange affectirte, daß sie ihm endlich ganz natürlich ließ, war es eben, was ihn beym Volke so beliebt gemacht hatte, als noch wenige von seinen Vorfahren gewesen waren. Besonders aber hatte er, seitdem sich die Stadt in die zwo Partheyen der Esel und der Schatten getheilt befand, einen ordentlichen Ehrenpunct darinn gesetzt, sich so zu betragen, daß er keiner von beyden Partheyen Ursach gäbe, ihn zu der ihrigen zu zählen; und wiewohl beynahe alle seine Freunde und Anverwandte erklärte E s e l waren, so blieben die S c h a t t e n doch überzeugt, daß sie nichts dadurch verlören, und die E s e l nichts dabey gewönnen, indem diese letztere genöthigt waren, alle ihre Schritte vor ihm zu verbergen, und bey jedem Vortheil, den sie über die Schatten erhielten, sich darauf verlassen konnten, daß er, um die Sachen wieder ins Gleichgewicht zu bringen, sich auf die Seite ihrer Gegner neigen würde, wiewohl er keinen einzigen von ihnen persönlich liebte. Die Bekanntmachung der Entschließung des Archons hatte alle die Wir-
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kung, die man sich davon versprochen hatte. Das Volk gerieth darüber in neue Bestürzung; die Meisten sagten, man brauche nun weiter nicht nachzuforschen, was die Wehklage der geheiligten Frösche vorbedeute. Wenn der Archon die Republik in dem betrübten Zustande, worinn sie sich befinde, verlasse, so sey alles verloren. Der Priester Strobylus und der Zunftmeister Pfrieme erhielten die Nachricht von dem großen Opfer, das der Erzpriester veranstalte, und das Gerüchte von dem Entschluß des Archon, seine Stelle niederzulegen, zu gleicher Zeit. Sie übersahen beym ersten Blick die Folgen dieses gedoppelten Streichs, und 10
eilten den einen zu erwiedern und dem andern zuvorzukommen. Strobylus ließ das Volk zu einer E x p i a t i o n einladen, welche auf den Abend in dem Tempel der Latona mit großen Feyerlichkeiten angestellt werden sollte, um die Stadt von geheimen Verbrechen zu reinigen, und die schlimme Vorbedeutung des E l e l e l e l e l e u der geheiligten Frösche abzuwenden. Der Zunftmeister hingegen gieng, die Räthe, Zunftmeister und angesehensten Bürger von seiner Parthey aufzusuchen, und sich mit ihnen zu berathen, wie der Archon auf andere Gedanken zu bringen seyn möchte. Die Meisten waren schon durch die geheimen Werkzeuge der Gegenparthey vorbereitet, welche als ein großes Geheimniß herumgeflüstert hatten: man wüßte ganz gewiß,
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daß die Esel sich alle mögliche Mühe gäben, den Archon unter der Hand in seinem Entschluß zu bestärken. Die Schatten hielten sich dadurch überzeugt, daß ihre Gegner einen aus ihrem Mittel zu der höchsten Würde in der Republik zu erheben gedächten, und also der Mehrheit im großen Rath, bey welchem die Wahl stund, schon ganz gewiß seyn müßten. Diese Betrachtung setzte sie in so großen Allarm, daß sie mit einer Menge Volks hinter ihnen her zur Wohnung des Onolaus eilten, und während der Pöbel ein Vivat nach dem andern erschallen ließ, hinaufgiengen, um Seine Gnaden im Namen der ganzen Bürgerschaft flehentlich zu bitten, den unglücklichen Gedanken an Resignation aufzugeben, und sie niemals, am wenigsten zu einer Zeit zu verlassen, wo
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seine Weisheit zu Beruhigung der Stadt unentbehrlich sey. Der Archon zeigte sich über diesen öffentlichen Beweis der Liebe und des Vertrauens s e i n e r w e r t h e n M i t b ü r g e r sehr vergnügt. Er verhielt ihnen nicht, daß kaum vor einer Viertelstunde der größte Theil der Rathsherren, der Jasoniden, und aller übrigen alten Geschlechter von Abdera, bey ihm gewesen, und eben diese Bitte in eben so geneigten und dringenden Ausdrücken an ihn
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gethan hätten. So große Ursache er auch habe, der beschwerlichen Regierungslast müde zu seyn, und zu wünschen, daß sie auf stärkere Schultern als die seinigen gelegt werden möchte: so habe er doch kein Herz, das diesem so lebhaft ausgedrückten Zutrauen beyder Partheyen widerstehen könne. Er sehe diese ihre Einmüthigkeit in Absicht auf seine Person und Würde als eine gute Vorbedeutung für die baldige Wiederherstellung der gemeinen Ruhe an, und werde seines Orts alles Mögliche mit Vergnügen dazu beytragen. Als der Archon diese schöne Rede geendigt hatte, sahen die S c h a t t e n einander aus großen Augen an, und fanden sich, zu ihrem empfindlichsten Mißvergnügen, auf einmal um die Hälfte klüger als zuvor. Denn sie merkten
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nun, daß sie von den E s e l n betrogen, und zu einem falschen Schritt verleitet worden waren. Sie hatten, in der Meynung, daß sie diesen Schritt a l l e i n thäten, den Archon ganz dadurch auf ihre Seite zu ziehen gehofft; und nun befand sichs, daß er ihren Gegnern eben so viel Verbindlichkeit hatte als ihnen; welches just so viel war, als ob er ihnen gar keine hätte. Aber das war noch nicht das Ärgste. Das hinterlistige Betragen der Esel war ein offenbarer Beweis, wie viel ihnen daran gelegen sey, daß die Stelle des Archons nicht ledig würde. Nun konnte ihnen aber an der Person des Onolaus selbst nicht viel gelegen seyn; denn er hatte nie das Geringste für ihre Parthey gethan. Wenn sie also so eifrig wünschten, daß er seinen Platz behalten möchte: so konnt’ es
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aus keiner andern Ursache geschehen, als weil sie sich versichert hielten, daß d i e S c h a t t e n Meister von der Wahl des neuen Archons bleiben würden. Diese Betrachtungen, die sich ihnen itzt in einem Blick darstellten, waren von einer so verdrießlichen Art, daß die armen S c h a t t e n alle Mühe von der Welt hatten, ihren Unmuth zu verbergen, und sich, zu großem Vergnügen des Archons, ziemlich eilfertig wegbegaben, ohne daß es diesem eingefallen wäre, sich darüber zu verwundern, oder die Veränderung in ihren Gesichtern wahrzunehmen. Der heutige Tag war ein großer Tag für den weisen und ziemlich schwerbeleibten O n o l a u s gewesen, und er war nun vollkommen wieder mit Abdera zufrieden. Er befahl also, daß seine Thüre geschlossen werden sollte, zog sich in sein Gynäceum zurück, warf sich in seinen Lehnstuhl, schwatzte mit seiner Frau und seinen Töchtern, aß zu Nacht, gieng zeitig zu Bette, und schlief, wohlgetröstet, und unbesorgt um das Schicksal von Abdera, bis an den hellen Morgen.
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Zwölftes Kapitel. Der Entscheidungstag. Maasregeln beyder Partheyen. Die Vierhundert versammeln sich, und das Gericht nimmt seinen Anfang. Philanthropischpatriotische Träume des Herausgebers dieser merkwürdigen Geschichte. Die verschiedenen Maschinen, welche man diesen Tag über auf beyden Seiten hatte spielen lassen, brachten den abderitischen Staatskörper, bey dem Anschein der größten innerlichen Bewegung, durch die Stöße, die er nach entgegengesetzter Richtung erhielt, in eine Art von wagerechtes Schwanken, 10
vermöge dessen um die Zeit, da d i e V i e r h u n d e r t zu Entscheidung des Eselsschattenhandels zusammenkamen, sich alles ungefähr in eben dem Stande befand, worinn es einige Tage zuvor gewesen war, d. i. daß die E s e l den größten Theil des Raths, die Patricier und die Ansehnlichsten und Vermöglichsten von der Bürgerschaft auf ihrer Seite hatten, die S c h a t t e n hingegen ihre meiste Stärke von der größern Anzahl zogen. Denn, seit dem großen feyerlichen Umgang um den Froschteich der Latona, welchen Strobylus den Abend zuvor veranstaltet, und dem die sämmtlichen Schatten, mit dem Nomophylax G r y l l u s und dem Zunftmeister P f r i e m e an ihrer Spitze, sehr andächtig beygewohnt hatten, war der Pöbel wieder gänzlich für die letztere
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Parthey erklärt. Es würde bey Gelegenheit dieses Umgangs dem Priester Strobylus und den übrigen Häuptern derselben ein Leichtes gewesen seyn, mittelst ihres Ansehens über einen fanatischen Haufen Volkes, welcher größtentheils bey gänzlicher Zerrüttung der Republik mehr zu gewinnen als zu verlieren hatte, noch an selbigem Abend viel Unheil in Abdera anzurichten. Allein — außerdem, daß der Oberpriester im Namen des Archons noch einmal nachdrücklichst angewiesen worden war, den Pöbel in gehöriger Ordnung zu erhalten, und dafür zu sorgen, daß der Tempel und alle Zugänge zu dem geheiligten Teiche noch vor Sonnenuntergang geschlossen wären — so waren sie auch selbst weit
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entfernt, die Sache, ohne höchste Noth, aufs äußerste treiben, oder die ganze Stadt in Blut und Flammen setzen zu wollen; und so klug waren sie doch, Trotz ihrer übrigen Abderitheit, um einzusehen, daß, wenn ihnen der Pöbel einmal
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die Zügel aus den Händen gerissen hätte, es nicht mehr in ihrer Gewalt seyn würde, der ungestümen Wut eines so blinden reissenden Thiers wieder Einhalt zu thun. Der Zunftmeister begnügte sich also, da der Umgang vorbey war, und die Thüren des Tempels geschlossen wurden, dem auseinandergehenden Volke zu sagen: er hoffe, daß sich alle redliche Abderiten morgen um neun Uhr auf dem Markte bey dem Urtheil über den Handel ihres Mitbürgers Struthion einfinden, und, so viel an ihnen wäre, dazu verhelfen würden, daß seine gerechte Sache den Sieg davon trage. Die Einladung war zwar, ungeachtet der glimpflichen, und, seiner Meynung nach, sehr behutsamen Ausdrücke, worinn er sie vorbrachte, nicht viel
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besser, als ein höchst illegales Verfahren eines aufrührischen Zunftmeisters, der im Nothfall die Richter durch die unmittelbare Gefahr eines Tumults nöthigen wollte, das Urtheil nach seinem Sinn abzufassen. Allein dies war es auch, worauf es ankommen zu lassen die S c h a t t e n fest entschlossen waren; und da die andere Parthey hievon völlig überzeugt war, so hatten sie ihrerseits alle mögliche Maasregeln genommen, sich auf das Äußerste, was begegnen könnte, gefaßt zu machen. Der Erzpriester ließ, sobald das Gericht den Anfang nahm, alle Zugänge zum Jasontempel von einer Schaar handfester Gerber und Fleischer, die mit tüchtigen Knitteln und Messern versehen waren, besetzen; und in den Häu-
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sern der vornehmsten E s e l hatte man sich in eine Verfassung gesetzt, als ob man eine Belagerung auszuhalten gedenke. D i e E s e l selbst erschienen mit Dolchen unter ihren langen Kleidern auf dem Gerichtsplatz; und einige von denen, die am lautesten sprachen, hatten die Vorsicht gebraucht, sogar einen Panzer unter ihrem Brustlatz zu tragen, um ihren patriotischen Busen mit desto größerer Sicherheit den Stößen der Feinde der guten Sache entgegensetzen zu können. Die neunte Stunde kam nun heran. Ganz Abdera stund in zitternder Bewegung, erwartungsvoll des Ausgangs, den ein so unerhörter Handel nehmen würde; und niemand hatte sein Frühstück ordentlich zu sich genommen, wiewohl alles schon mit Tagesanbruch auf den Füßen war. D i e V i e r h u n d e r t versammelten sich auf der Terrasse der Tempel des Apollo und der Diana (dem gewöhnlichen Platz, wo der große Rath unter freyem Himmel gehalten wurde), dem großen Marktplatz gegenüber, von welchem man auf einer breiten Treppe von vierzehn Stufen zur Terrasse hinauf stieg. Auch die Partheyen
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mit ihren nächsten Anverwandten und mit ihren beyden Sykophanten hatten sich bereits eingefunden, und ihren gehörigen Platz eingenommen; indessen sich der ganze Markt mit einer Menge Volks anfüllte, dessen Gesinnungen durch ein lärmendes Vivat, so oft ein Rathsherr oder Zunftmeister von der Schattenparthey einhergestiegen kam, sich deutlich genug verriethen. Alles wartete nun auf den N o m o p h y l a x , der, nach den Gewohnheiten der Stadt Abdera, in allen Fällen, wo die Versammlung des großen Rathes nicht unmittelbare Angelegenheiten des gemeinen Wesens betraf, das Präsidium bey demselben führte. Die E s e l hatten zwar alles angewandt, den Ar10
chon Onolaus dahin zu bringen, daß er, weil es doch um ein neues Gesetz zu thun wäre, den elfenbeinernen Lehnstuhl (der, um drey Stufen über die Bänke der Räthe erhöht, für den Präsidenten gesetzt war) mit seiner eignen ehrwürdigen Person ausfüllen möchte. Aber er erklärte sich: daß er lieber das Leben lassen, als sich dazu verstehen wolle, über ein Eselsschattengericht zu präsidiren. Man hatte sich also gezwungen gesehen, seiner Delicatesse nachzugeben. Der Nomophylax — als ein großer Anhänger der Etikette, gewohnt, bey dergleichen Gelegenheiten auf sich warten zu lassen — hatte dafür gesorgt, daß die Versammlung indessen mit einer Musik von seiner Composition un-
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terhalten, und (wie er sagte) zu einer so feyerlichen Handlung vorbereitet würde. Dieser Einfall, wiewohl er eine Neuerung war, wurde dennoch sehr wohl aufgenommen, und that, (gegen die Absicht des Nomophylax, der seine Parthey dadurch in verstärkte Bewegungen von Muth und Eifer hatte setzen wollen) eine sehr gute Wirkung. Denn die Musik gab denen von der Parthey des Erzpriesters zu einer Menge späßiger Einfälle Anlaß, über welche sich von Zeit zu Zeit ein großes Gelächter erhob. Einer sagte: Dieses A l l e g r o klingt ja wie ein Schlachtgesang — z u e i n e m Wa c h t e l k a m p f e , fiel ein anderer ein. Dafür tönt aber auch, sagte ein dritter, d a s A d a g i o , als ob es dem Zahnbrecher Struthion und Meister K n i e r i e m e n , seinem Schutzpatron, zu Gra-
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be singen sollte. Die ganze Musik, meynte ein vierter, verdiene von Schatten gemacht, und von Eseln gehört zu werden, u. s. w. Wie frostig nun auch diese Scherze waren, so brauchte es doch bey einem so jovialischen und so leicht anzusteckenden Völkchen nichts mehr, um die ganze Versammlung unvermerkt in ihre natürliche komische Laune umzustimmen; eine Laune, die der Partheywut, wovon sie noch besessen waren, unvermerkt ihren Gift benahm,
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und vielleicht mehr als irgend etwas anders zur Erhaltung der Stadt in diesem kritischen Augenblicke beytrug. Endlich erschien der Nomophylax mit seiner Leibwache von armen alten Invalidenhandwerkern, welche, mit stumpfen Hellebarten und mit einer friedsamen Art von eingerosteten Degen bewaffnet, mehr das Ansehen von den lächerlichen Figuren hatten, womit man in Gärten die Vögel schreckt, als von Kriegsmännern, die dem Gericht beym Pöbel Würde und Furchtbarkeit verschaffen sollten. Wohl indessen der Republik, die zu Beschirmung ihrer Thore und innerlichen Sicherheit keiner andern Helden nöthig hat als solcher!
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Der Anblick dieser grotesken Milizer, und die ungeschickte poßierliche Art, wie sie sich in dem kriegerischen Aufzuge, worein man sie nicht ohne Mühe verkleidet hatte, geberdeten, erweckte bey dem zuschauenden Volke einen neuen Anstoß von Lustigkeit; so daß der Herold viele Mühe hatte, die Leute endlich zu einer leidlichen Stille, und zu dem Respect, den sie dem höchsten Gerichte schuldig waren, zu bringen. Der Präsident eröffnete nunmehr die Seßion mit einer kurzen Rede; der Herold gebot ein abermaliges Stillschweigen; und die Sykophanten beyder Theile wurden namentlich aufgefodert, sich mit ihrer Klage und Verantwortung mündlich vernehmen zu lassen.
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Den Sykophanten, welche für große Meister in ihrer Art paßirten, mußte die Gelegenheit, ihre Kunst an einem E s e l s s c h a t t e n sehen zu lassen, an sich allein schon eine große Aufmunterung seyn. Man kann also leicht denken, wie sie sich nun vollends zusammengenommen haben werden, da dieser Eselsschatten ein Gegenstand geworden war, an dem die ganze Republik Antheil nahm, und um dessen willen sie sich in zwo Partheyen getrennt hatte, deren jede die Sache ihres Clienten zu ihrer eignen machte. Seit ein Abdera in der Welt war, hatte man noch keinen Rechtshandel gesehen, der so lächerlich an sich selbst, und so ernsthaft durch die Art, wie er behandelt wurde, gewesen wäre. Ein Sykophant müßte nur ganz und gar kein Genie und keinen S y k o p h a n t e n s i n n gehabt haben, der bey einer solchen Gelegenheit nicht sich selbst übertroffen hätte. Um so mehr ist es zu beklagen, daß der übelberüchtigte Zahn der Zeit, dem so viele andere große Werke des Genies und Witzes nicht entgehen konnten, noch künftig entgehen werden, leider! auch der Originale dieser beyden be-
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rühmten Reden nicht verschont hat! wenigstens so viel uns bekannt ist. Denn wer weiß, ob es nicht vielleicht einem künftigen F o u r m o n t oder S e v i n , der auf Entdeckung alter Handschriften ausgeht, dereinst gelingen mag, eine Abschrift derselben in irgendeinem bestaubten Winkel einer alten griechischen Klosterbibliothek aufzuspüren? Oder, wenn dies nicht zu hoffen stünde, wer kann sagen, ob nicht in der Folge der Zeiten Thracien selbst wieder in die Hände christlicher Fürsten fallen wird, die sich (nach dem Beyspiel einiger großen Könige unsers philosophischheroischen Alters) eine Ehre daraus machen werden, mächtige Beförderer der Wissenschaften zu seyn, Akademien zu 10
stiften, versunkne Städte ausgraben zu lassen, u. s. w. wer weiß, ob nicht alsdann diese gegenwärtige Abderitengeschichte selbst (so unvollkommen sie ist), in die Sprache dieses künftig b e s s e r n T h r a c i e n s übersetzt, die Ehre haben wird, Gelegenheit zu geben, daß ein solcher n e u t h r a c i s c h e r M u s a g e t e auf den Einfall kommt, die Stadt Abdera aus ihrem Schutte hervorgraben zu lassen? Da dann ohne Zweifel auch die Kanzley und das Archiv dieser berühmten Republik, und in demselben die sämmtlichen Originalacten des Processes um des Esels Schatten, nebst den beyden Reden, deren Verlust wir beklagen, sich wieder finden werden? — Es ist wenigstens angenehm, sich solchergestalt auf den Flügeln p a t r i o t i s c h m e n s c h e n f r e u n d l i c h e r
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Tr ä u m e in die Zukunft zu schwingen, und sich an den Glückseligkeiten zu laben, die unsern Nachkommen noch bevorstehen; Glückseligkeiten, für welche die (bekanntermaaßen) immer steigende Vervollkommnung der Wissenschaften und Künste, und der von ihnen sich über alles Fleisch ergießenden Erleuchtung, Verschönerung und Sublimirung der Denkart, des Geschmacks und der Sitten uns sichre Bürgschaft leistet! Inzwischen gereicht es uns doch zu einigem Troste, daß wir uns im Stande sehen, aus den Papieren, aus welchen gegenwärtige Fragmente der Abderitengeschichte genommen sind, wenigstens einen A u s z u g dieser Reden zu liefern, dessen Ächtheit um so weniger verdächtig ist, da kein Leser, der eine
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Nase hat, den D u f t d e r A b d e r i t h e i t verkennen wird, der daraus emporsteigt — ein innerliches Argument, das am Ende doch immer das beste zu seyn scheint, das für das Werk irgend eines Sterblichen, er sey nun ein O s s i a n , oder ein a b d e r i t i s c h e r F e i g e n r e d n e r , sich geben läßt.
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Dreyzehntes Kapitel. Rede des Sykophanten Physignathus. Der Sykophant P h y s i g n a t h u s , der als Sachwalter des Zahnarztes Struthion zuerst redete, war ein Mann von Mittelgröße, starken Muskeln und breiten Lungenflügeln. Er wußte sich viel damit, daß er ein Schüler des berühmten Gorgias gewesen war, und machte Ansprüche, einer der größten Redner seiner Zeit zu seyn. Aber darinn war er, wie in vielen andern Stücken, ein offenbarer Abderit. Seine größte Kunst bestund darinn, daß er, um seinem wortreichen Vortrag durch die manchfaltige Modulation seiner Stimme mehr Lebhaftigkeit und Ausdruck zu geben, in dem Umfang von anderthalb Octa-
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ven von einem Intervall zum andern wie ein Eichhorn herumsprang, und so viel Grimassen und Gesticulationen dazu machte, als ob er seinen Zuhörern nur durch Geberden verständlich werden könnte. Indessen wollen wir ihm doch hiemit das Verdienst nicht abläugnen, daß er mit allen den Handgriffen, womit man die Richter zu seinem Vortheil einnehmen, ihren Verstand verwirren, seinen Gegentheil verhaßt, und überhaupt eine Sache besser, als sie ist, scheinen machen kann, ziemlich fertig umzuspringen, — auch, bey Gelegenheit, keine unfeine G e m ä l d e zu machen wußte — wie der scharfsinnige Leser aus seiner Rede selbst, ohne unser Erinnern, am besten abnehmen wird.
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Physignathus trat mit der ganzen Unverschämtheit eines Sykophanten auf, der sich darauf verläßt, daß er Abderiten zu Zuhörern hat, und fieng also an: „Edle, Ehrenfeste und Weise, Großmögende Vierhundertmänner! Wenn jemals ein Tag war, an welchem sich die Vortrefflichkeit der Verfassung unsrer Republik in ihrem größten Glanz enthüllt hat, und wenn jemals ich mit dem Gefühl, was es ist ein Bürger von Abdera zu seyn, unter euch aufgetreten bin: so ist es an diesem großen festlichen Tage; da vor diesem ehrwürdigen höchsten Gerichte, vor dieser erwartungsvollen und theilnehmenden Menge des Volks, vor diesem ansehnlichen Zusammenfluß von Fremden, die der Ruf eines so außerordentlichen Schauspiels schaarenweise herbeygezogen hat, ein Rechtshandel zur Entscheidung gebracht werden soll, der in einem minder
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freyen, minder wohleingerichteten Staat, der selbst in einem Theben, Athen oder Sparta, nicht für wichtig genug gehalten worden wäre, die stolzen Verwalter des gemeinen Wesens nur einen Augenblick zu beschäftigen. Edles, preiswürdiges, dreymal glückliches Abdera! Du allein genießest unter dem Schutz einer Gesetzgebung, der auch die geringsten, auch die zweifelhaftesten und spitzfündigsten Rechte und Ansprüche der Bürger heilig sind, du allein genießest das Wesen einer Sicherheit und Freyheit, von denen andere Republiken (was auch sonst die Vorzüge seyn mögen, womit sich ihre patriotische Eitelkeit brüstet) nur den Schatten zum Antheil haben. 10
Oder, saget mir, in welcher andern Republik würde ein Rechtshandel zwischen einem gemeinen Bürger und einem der Geringsten aus dem Volke, ein Handel, der dem ersten Anblick nach kaum zwo oder drey Drachmen beträgt, ein Handel über einen Gegenstand, der so unbedeutend scheint, daß die Gesetze ihn bey Benennung der Dinge, welche ins Eigenthum kommen können, gänzlich vergessen zu haben scheinen, ein Handel über etwas, dem ein subtiler Dialektiker sogar den Namen eines Dinges streitig machen könnte, mit einem Wort, ein Streit über den Schatten eines Esels — zum Gegenstand der allgemeinen Theilnehmung, zur Sache eines jeden, und also, wenn ich so sagen darf, gleichsam zur Sache des ganzen Staats geworden seyn? In welcher andern
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Republik sind die Gesetze des Eigenthums so bestimmt, die gegenseitigen Jura vel quasi der Bürger vor aller Willkühr der obrigkeitlichen Personen so sicher gestellt, die geringfügigsten Ansprüche oder Foderungen selbst des Ärmsten in den Augen der Obrigkeit so wichtig und hoch angesehen, daß das höchste Gericht der Republik selbst es nicht unter seiner Würde hält, sich feyerlich zu versammeln, um über das zweifelhaft scheinende Recht a n e i n e n E s e l s s c h a t t e n zu erkennen? Wehe dem Mann, der bey diesem Worte die Nase rümpfen, und aus albernen kindischen Begriffen von dem, was groß oder klein ist, mit unverständigem Hohnlächeln ansehen kann, was die höchste Ehre unsrer Justizverfassung, der Ruhm unsrer Obrigkeit, der Triumph des ganzen
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abderitischen Wesens und eines jeden guten Bürgers ist! Wehe dem Mann, ich wiederhol’ es zum zweyten- und drittenmal, der keinen Sinn hat, dies zu fühlen! Und Heil der Republik, in welcher — sobald es auf die Gerechtsame der Bürger, auf einen Zweifel über Mein und Dein, die Grundfeste aller bürgerlichen Sicherheit, ankömmt — auch ein Eselsschatten keine Kleinigkeit ist! Aber, indem ich solchergestalt auf der einen Seite mit aller Wärme eines
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Patrioten, allem gerechten Stolz eines ächten Abderiten, fühle und erkenne, welch ein glorreiches Zeugniß von der vortrefflichen Verfassung unsrer Republik sowohl, als von der unpartheyischen Festigkeit und nichts übersehenden Sorgfalt, womit unsre ruhmwürdigst regierende Obrigkeit die Wage der Gerechtigkeit handhabet, dieser vorliegende Handel bey der spätesten Nachkommenschaft ablegen wird: wie sehr muß ich auf der andern Seite die Abnahme jener treuherzigen Einfalt unsrer Vorältern, das Verschwinden jener mitbürgerlichen und freundnachbarlichen Sinnesart, jener gegenseitigen Dienstgeflissenheit, jener freywilligen Geneigtheit, aus Liebe und Freundschaft, aus gutem Herzen, oder wenigstens um des Friedens willen, etwas von
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unserm vermeynten strengen Recht fahren zu lassen — wie sehr, mit einem Wort, muß ich den Verfall der guten alten abderitischen Sitten beklagen, der die wahre und einzige Quelle des unwürdigen, des schamvollen Rechtshandels ist, in welchem wir heute befangen sind! — Wie? werd ichs ohne glühende Schamröthe heraus sagen können? — O du einst so berühmte Biederherzigkeit unsrer guten Alten, ist es dahin mit dir gekommen, daß abderitische Bürger — sie, die bey jeder Gelegenheit, aus vaterländischer Treue und nachbarlicher Freundschaft, bereit seyn sollten, das Herz im Leibe mit einander zu theilen — so eigennützig, so karg, so unfreundlich, was sag’ ich, so unmenschlich sind, einander sogar den Schatten eines Esels zu versagen?
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Doch — verzeiht mir, werthe Mitbürger — ich irrte mich in dem Worte — verzeiht mir eine unvorsetzliche Beleidigung. Derjenige, der einer so niedrigen, so rohen und barbarischen Denkart fähig war, ist keiner unsrer Mitbürger! Es ist ein bloßer geduldeter Einwohner unsrer Stadt, ein bloßer Schutzverwandter des Jasontempels, ein Mensch aus den dicksten Hefen des Pöbels, ein Mensch, von dessen Geburt, Erziehung und Lebensart nichts bessers zu erwarten war, mit einem Wort, e i n E s e l t r e i b e r — der, außer dem gleichen Boden und der gemeinsamen Luft, die er athmet, nichts mit uns gemein hat, als was uns auch mit den wildesten Völkern der hyperboreischen Wüsten gemein ist. Seine Schande klebt an ihm allein; u n s kann sie nicht besudeln. Ein abderitischer Bürger, ich unterstehe michs zu sagen, hätte sich keiner solchen Unthat schuldig machen können. Aber — nenn ich sie vielleicht mit einem zu strengen Namen, diese That? — Stellet euch, ich bitte, an den Platz eures guten Mitbürgers Struthion, und — fühlet!
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Er reiset in seinen Geschäften, in Geschäften seiner edeln Kunst, die es blos mit Vermindrung der Leiden seiner Nebenmenschen zu thun hat, von Abdera nach Gerania. Der Tag ist einer der schwülsten Sommertage. Die strengste Sonnenhitze scheint den ganzen Horizont in den hohlen Bauch eines glühenden Backofens verwandelt zu haben. Kein Wölkchen, das ihre sengende Stralen dämpfe! Kein wehendes Lüftchen, den verlechzten Wandrer anzufrischen. Die Sonne flammt über seinem Scheitel, saugt das Blut aus seinen Adern, das Mark aus seinen Knochen. Lechzend, die dürre Zung’ am Gaumen, mit trüben, von Hitze und Glanz erblindenden Augen, sieht er sich nach einem Schatten10
platz, nach irgend einem einzelnen mitleidigen Baum um, unter dessen Schirm er sich erholen, er einen Mund voll frischerer Luft einathmen, einen Augenblick vor den glühenden Pfeilen des unerbittlichen Apollo sicher seyn könnte. Umsonst! Ihr kennet alle die Gegend von Abdera nach Gerania. Zwey Stunden lang, zur Schande des ganzen Thraciens sey es gesagt! kein Baum, keine Staude, die das Auge des Wandrers in dieser abscheulichen Fläche von magern Brach- und Kornfeldern erfrischen, oder ihm gegen die mittägliche Sonne Zuflucht geben könnte! Der arme Struthion sank endlich von seinem Thier herab. Die Natur ver-
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mocht’ es nicht länger auszudauern. Er ließ den Esel halten, und setzte sich in seinen Schatten. — Schwaches, armseliges Erholungsmittel! Aber so wenig es war, war es doch etwas! Und welch ein Ungeheuer mußte der Gefühllose, der Felsenherzige seyn, der seinem leidenden Nebenmenschen, in solchen Umständen, den Schatten eines Esels versagen konnte? Wär’ es glaublich, daß es einen solchen Menschen gebe, wenn wir ihn nicht mit eignen Augen vor uns sähen? Aber hier steht er, und, was beynahe noch ärger, noch unglaublicher als die That selbst ist — er bekennt sich von freyen Stücken dazu; scheint sich seiner Schande noch zu rühmen; und, damit er keinem seines gleichen, der künftig geboren
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werden mag, eine Möglichkeit, ihm an schamloser Frechheit gleich zu kommen, übrig lasse, treibt er sie so weit, nachdem er schon von dem ehrwürdigen Stadtgericht in erster Instanz verurtheilet worden, sogar vor der Majestät dieses höchsten Gerichtshofes der Vierhundertmänner zu behaupten, daß er Recht daran gethan habe. ,Ich versagte ihm den Eselsschatten nicht, spricht er, wiewohl ich nach dem strengen Recht nicht schuldig war, ihn darinn sitzen
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zu lassen; ich verlangte nur eine billige Erkenntlichkeit dafür, daß ich ihm, zu dem Esel, den ich ihm vermiethet hatte, nun auch den Schatten des Esels überlassen sollte, den ich nicht vermiethet hatte.‘ Elende, schändliche Ausflucht! Was würden wir von dem Manne denken, der einem halbverschmachtenden Wandrer verwehren wollte, sich ohnentgeltlich in den Schatten seines Baumes zu setzen? Oder wie würden wir denjenigen nennen, der einem vor Durst sterbenden Fremdling nicht gestatten wollte, sich aus dem Wasser zu laben, das auf seinem Grund und Boden flösse? Erinnert euch, o ihr Männer von Abdera, daß dies allein, und kein andres, das Verbrechen jener lycischen Bauren war, die der Vater der Götter und der
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Menschen zur Rache wegen einer gleichartigen Unmenschlichkeit, die diese Elenden an seiner geliebten Latona und ihren Kindern ausübten — zum schrecklichen Beyspiel aller Folgezeiten, in Frösche verwandelte. Ein furchtbares Wunder, dessen Wahrheit und Andenken mitten unter uns in dem heiligen Hain und Teich der Latona, der ehrwürdigen Schutzgöttinn unsrer Stadt, lebendig erhalten, verewigt, und gleichsam täglich erneuert wird! Und du, A n t h r a x , du ein Einwohner der Stadt, in welcher dieses furchtbare Denkmal des Zorns der Götter über verweigerte Menschlichkeit ein Gegenstand des öffentlichen Glaubens und Gottesdienstes ist, du scheutest dich nicht, ihre Rache durch ein ähnliches Verbrechen auf dich zu ziehen?
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Aber, du trotzest auf dein Eigenthumsrecht — ,Wer sich seines Rechts bedient, sprichst du, der thut niemand Unrecht. Ich bin einem andern nicht mehr schuldig, als er um mich verdient. Wenn der Esel mein Eigenthum ist, so ist es auch sein Schatten.‘ Sagst du das? Und glaubst du, oder glaubt der scharfsinnige und beredte Sachwalter, in dessen Hände du die schlimmste Sache, die jemals vor ein Götter- oder Menschengericht gekommen, gestellt hast, glaubt er, mit aller Zauberey seiner Beredtsamkeit, oder mit allem Spinngewebe sophistischer Trugschlüsse unsern Verstand dergestalt zu überwältigen und zu umspinnen, daß wir uns überreden lassen sollten, einen Schatten für etwas Wirkliches, geschweige für etwas, an welches jemand ein directes und ausschließendes Recht haben könne, zu halten? Ich würde, großmögende Herren, eure Geduld mißbrauchen, und eure Weisheit beleidigen, wenn ich alle Gründe hier wiederholen wollte, womit ich bereits in der ersten Instanz, actenkundigermaaßen, die Nichtigkeit der geg-
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nerischen Scheingründe dargethan habe. Ich begnüge mich, für itzt, nach Erforderniß der Nothdurft, nur dies Wenige davon zu sagen. Ein Schatten kann, genau zu reden, nicht unter die wirklichen Dinge gerechnet werden. Denn das, was ihn zum Schatten macht, ist nichts Wirkliches und Positives, sondern gerade das Gegentheil; nämlich, die Entziehung desjenigen Lichtes, welches auf den übrigen, den Schatten umgebenden Dingen liegt. In vorliegendem Fall ist die schiefe Stellung der Sonne und d i e U n d u r c h s i c h t i g k e i t des Esels (eine Eigenschaft, die ihm nicht, in so fern er ein Esel, sondern in so fern er e i n o p a k e r K ö r p e r ist, anklebt) die einzige wahre Ursache des 10
Schattens, den der Esel zu werfen scheint, und den jeder andre Körper an seinem Platze werfen würde; denn die Figur des Schattens thut hier nichts zur Sache. Mein Client hat sich also, genau zu reden, nicht in den Schatten e i n e s E s e l s , sondern in den Schatten e i n e s K ö r p e r s gesetzt; und der Umstand, daß dieser Körper ein Esel, und der Esel ein Hausgenosse eines gewissen Anthrax aus dem Jasontempel zu Abdera war, gieng ihn eben so wenig an, als er zur Sache gehörte. Denn, wie gesagt, nicht die A s i n i t ä t oder E s e l h e i t (wenn ich so sagen darf), sondern die Körperlichkeit und Undurchsichtigkeit des mehrbesagten Esels ist der Grund des Schattens, den er zu werfen scheint. Allein, wenn wir auch zum Überfluß zugeben, daß der Schatten unter d i e
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D i n g e gehöre: so ist aus unzähligen Beyspielen klar und weltbekannt, daß er zu den g e m e i n e n D i n g e n zu rechnen ist, an welche ein jeder so viel Recht hat, als der andre, und an die sich derjenige das nächste Recht erwirbt, der sie zuerst in Besitz nimmt. Doch, ich will noch mehr thun; ich will sogar zugeben, daß des Esels Schatten e i n Z u b e h ö r des Esels sey, so gut als es seine Ohren sind: was gewinnt der Gegentheil dadurch? Struthion hatte den Esel gemiethet, folglich auch seinen Schatten. Denn es versteht sich bey jedem Miethcontract, daß der Vermiether dem Abmiether die Sache, wovon die Rede ist, mit allem ihrem Zubehör und mit allen ihren Nießbarkeiten zum Gebrauch überläßt. Mit wel-
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chem Schatten eines Rechts konnte Anthrax also begehren, daß ihm Struthion für den Schatten des Esels noch besonders bezahle? Das Dilemma ist außer aller Widerrede: Entweder ist der Schatten des Esels ein Theil und Zubehör des Esels, oder nicht. Ist er es nicht: so hat Struthion und jeder andre eben so viel Recht daran als Anthrax. Ist er’s aber: so hatte Anthrax, indem er den Esel vermiethete, auch den Schatten vermiethet; und seine Forderung ist eben so
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ungereimt, als wenn mir einer seine Leyer verkauft hätte, und verlangte dann, wenn ich darauf spielen wollte, daß ich ihm auch noch für ihren K l a n g bezahlen müßte. Doch wozu so viele Gründe in einer Sache, die dem allgemeinen Menschensinn so klar ist, daß man sie nur zu hören braucht, um zu sehen, auf welcher Seite das Recht ist? Was ist ein Eselsschatten? Welche Unverschämtheit von diesem Anthrax, wofern er kein Recht an ihn hat, sich dessen anzumaßen, um Wucher damit zu treiben? Und wofern der Schatten wirklich sein war: welche Niederträchtigkeit, ein so weniges, das Wenigste was sich nennen oder denken läßt, etwas in tausend andern Fällen gänzlich Unbrauchbares, einem Men-
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schen, einem Nachbar und Freunde, in dem einzigen Falle zu versagen, wo es ihm unentbehrlich ist? Lasset, Edle und Großmögende Vierhundertmänner, lasset nicht von Abdera gesagt werden, daß ein solcher Muthwille, ein solcher Frevel, vor einem Gericht, vor welchem (wie vor jenem berühmten zu Athen) Götter selbst nicht erröthen würden, ihre Streitigkeiten entscheiden zu lassen, Schutz gefunden habe! Die Abweisung des Klägers mit seiner unstatthaften, ungerechten und lächerlichen Klage und Appellation, die Verurtheilung desselben in alle Kosten und Schäden, die er dem unschuldigen Beklagten durch sein unbefugtes Betragen in dieser Sache verursacht hat, ist itzt das Wenigste, was ich im
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Namen meines Clienten fodern kann. Auch Genugthuung, und warlich eine ungeheure Genugthuung, wenn sie mit der Größe seines Frevels in Ebenmaße stehen soll, ist der unbefugte Kläger schuldig! Genugthuung dem Beklagten, dessen häusliche Ruhe, Geschäfte, Ehre und Leumund von ihm und seinen Beschützern während dem Lauf dieses Handels auf unzählige Art gestört und angegriffen worden! Genugthuung dem ehrwürdigen Stadtgerichte, von dessen gerechtem Spruch er, ohne Grund, an dieses hohe Tribunal appellirt hat! Genugthuung diesem höchsten Gerichte selbst, welches er mit einem so nichtswürdigen Handel muthwilligerweise zu behelligen sich unterstanden! Genugthuung endlich der ganzen Stadt und Republik Abdera, die er bey dieser Gelegenheit in Unruhe, Zwiespalt und Gefahr gesetzt hat! Fodre ich zu viel, Großmögende Herren! fodre ich etwas Unbilliges? Sehet hier das ganze Abdera, das sich unzählbar an die Stufen dieser hohen Gerichtsstätte drängt, und im Namen eines verdienstvollen schwergekränkten Mitbürgers, ja im Namen der Republik selbst, Genugthuung e r w a r t e t , Genug-
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thuung f o r d e r t . Bindet die Ehrfurcht ihre Zungen: so funkelt sie doch aus jedem Auge, diese gerechte, diese nicht zu verweigernde Forderung! Das Vertrauen der Bürger, die Sicherheit ihrer Gerechtsame, die Wiederherstellung unsrer innerlichen und öffentlichen Ruhe, die Begründung derselben auf die Zukunft, mit einem Worte, die Wohlfahrt unsers ganzen Staats, hängt von dem Ausspruch ab, den ihr thun werdet, hängt von Erfüllung einer gerechten und allgemeinen Erwartung ab. Und wenn in den ersten Zeiten der Welt e i n E s e l das Verdienst hatte, die schlummernden Götter bey dem nächtlichen Überfall der Titanen mit seinem Geschrey zu wecken, und dadurch den Olympus selbst 10
vor Verwüstung und Untergang zu retten: so möge itzt d e r S c h a t t e n e i n e s E s e l s die Gelegenheit, und der heutige Tag die glückliche Epoke seyn, in welcher diese uralte Stadt und Republik nach so vielen und gefahrvollen Erschütterungen wieder beruhiget, das Band zwischen Obrigkeit und Bürgern wieder fest zusammengezogen, alle vergangne Mißhelligkeiten in den Abgrund der Vergessenheit versenkt, durch gerechte Verurtheilung eines einzigen frevelhaften Eseltreibers der ganze Staat gerettet, und dessen blühender Wohlstand auf ewige Zeiten sicher gestellt werde!“
Vierzehntes Kapitel. Antwort des Sykophanten Polyphonus. 20
Sobald Physignathus zu reden aufgehört hatte, gab das Volk, oder vielmehr der Pöbel, der den Markt erfüllte, seine Beystimmung mit einem lauten Geschrey, welches so heftig und anhaltend war, daß die Richter endlich zu besorgen anfiengen, die ganze Handlung möchte dadurch unterbrochen werden. Die Parthey des Erzpriesters gerieth in Verlegenheit. D i e S c h a t t e n hingegen, wiewohl sie im großen Rath die kleinere Zahl ausmachten, faßten neuen Muth, und versprachen sich von dem Eindruck, den dieses Vorspiel auf die Esel machen müßte, einen günstigen Erfolg. Indessen ermangelten die Zunftmeister nicht, das Volk durch Zeichen zur Ruhe zu vermahnen; und nachdem der Herold endlich durch einen dreymaligen Ruf die allgemeine Stille wieder
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hergestellt hatte, trat Polyphonus, der Sykophant des Eseltreibers, ein untersetzter stämmichter Mann, mit kurzem krausem Haar und dicken pech-
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schwarzen Augenbraunen, auf, erhob eine Baßstimme, die auf dem ganzen Markt wiederhallte, und ließ sich folgendermaaßen vernehmen: „Großmögende Vierhundertmänner! Wahrheit und Licht haben das vor allen andern Dingen in der Welt voraus, daß sie keiner fremden Hülfe bedürfen, um gesehen zu werden. Ich überlasse meinem Gegenpart willig alle Vortheile, die er von seinen Rednerkünsten zu ziehen vermeynt hat. Dem, der Unrecht hat, kommt es zu, durch Figuren und Wendungen, und Fechterstreiche, und das ganze Gaukelspiel der Schulrhetorik Kindern und Narren einen Dunst vor die Augen zu machen. Gescheute Leute lassen sich nicht dadurch blenden. Ich will nicht untersuchen, wie viel
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Ehre und Nachruhm die Republik Abdera bey diesem Handel über einen Eselsschatten gewinnen wird. Ich will die Richter weder durch grobe Schmeicheleyen zu bestechen, noch durch versteckte Drohungen zu schrecken suchen. Noch viel weniger will ich dem Volk durch aufwiegelnde Reden das Signal zu Lärmen und Aufruhr geben. Ich weiß, warum ich da bin, und zu wem ich rede. Kurz, ich werde mich begnügen zu beweisen, daß der Eseltreiber Anthrax R e c h t h a t . Der Richter wird alsdann schon wissen, was seines Amtes ist, ohne daß ich ihn daran zu erinnern brauche.“ Hier fiengen einige wenige vom Pöbel, die zunächst an den Stufen der Terrasse standen, an, den Redner mit Geschrey, Schimpfreden und Drohungen
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zu unterbrechen. Da aber der Nomophylax von seinem elfenbeinernen Thron aufstund, der Herold abermals Stille gebot, und die Bürgerwache, die an den Stufen stund, ihre langen Spieße lupfte: so ward plötzlich alles wieder stille, und der Redner, der sich nicht so leicht aus der Fassung bringen ließ, fuhr also fort: „Großmögende Herren, ich stehe hier nicht als Sachwalter des Eseltreibers Anthrax, sondern als Bevollmächtigter des Jasontempels, und von wegen des Erlauchten und sehr Ehrwürdigen A g a t h y r s u s , zeitigen Erzpriesters und Obervorstehers desselben, Hüters des wahren goldnen Vließes, obersten Gerichtsherrn über alle dessen Stiftungen, Güter, Gerichte und Gebiete, Oberhaupts des hochedeln Geschlechts der Jasoniden etc. um im Namen Jasons und seines Tempels von euch zu begehren, daß dem Eseltreiber Anthrax Genugthuung geschehe, w e i l e r i m G r u n d e d o c h a m m e i s t e n R e c h t h a t ; und daß ers habe, hoffe ich, trotz allen den Kniffen, die mein Gegner von
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seinem Meister G o r g i a s gelernt zu haben rühmt, so klar und laut zu beweisen, daß es die Blinden sehen, und die Tauben hören sollen. Also, ohne weitere Vorrede, zur Sache! Anthrax vermiethete dem Zahnarzt Struthion seinen Esel auf einen Tag; nicht zu selbstbeliebigem Gebrauch, sondern um ihn, den Zahnarzt, mit seinem Mantelsack, halbenweges nach Gerania zu tragen, welches, wie jedermann weiß, acht starke Meilen von hier entfernt liegt. Bey der Vermiethung des Esels dachte natürlicherweise keiner von beyden an seinen Schatten. Aber als der Zahnarzt mitten auf dem Felde abstieg, den 10
Esel, der warlich von der Hitze noch mehr gelitten hatte als er, in der Sonne halten ließ, und sich in dessen Schatten setzte, war es ganz natürlich, daß der Herr und Eigenthümer des Esels dabey nicht gleichgültig blieb. Ich begehre nicht zu läugnen, daß Anthrax eine alberne und eselhafte Wendung nahm, da er von dem Zahnbrecher verlangte, daß er ihm für des Esels S c h a t t e n deswegen bezahlen sollte, weil er ihm den S c h a t t e n nicht mit vermiethet habe. Aber dafür ist er auch nur ein Eseltreiber von Vorältern her, d. i. ein Mann, der eben darum, weil er unter lauter Eseln aufgekommen ist, und mehr mit Eseln als ehrlichen Leuten lebt, eine Art von Recht hergebracht und erworben hat, selbst nicht viel besser als ein Esel zu seyn. Im Grunde
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war’s also blos — der Spaß eines Eseltreibers. Aber in welche Classe von Thieren sollen wir den setzen, der aus einem solchen Spaß Ernst machte? Hätte der Herr Struthion wie ein verständiger Mann gehandelt, so brauchte er dem Grobian nur zu sagen: ,Guter Freund, wir wollen uns nicht um eines Eselsschattens willen entzweyen. Weil ich dir den Esel nicht abgemiethet habe, um mich in seinen Schatten zu setzen, sondern um darauf nach Gerania zu reiten: so ist es billig, daß ich dir die etlichen Minuten Zeitverlust vergüte, die dir mein Absteigen verursacht; zumal da der Esel um so viel länger in der Hitze stehen muß, und dadurch nicht besser wird. Da, Bruder, hast du eine halbe Drachme; laß mich einen Augenblick hier
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verschnaufen, und dann wollen wir uns, in aller Frösche Namen, wieder auf den Weg machen.‘ — Hätte der Zahnarzt aus diesem Tone gesprochen, so hätt’ er gesprochen wie ein ehrliebender und billiger Mann. Der Eseltreiber hätte ihm für die halbe Drachme noch Vergelts Gott! gesagt; und die Stadt Abdera wäre des ungewissen Nachruhms, den ihr mein Gegentheil von diesem Eselsproceß ver-
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spricht — und aller der Unruhen, die daraus entstehen mußten, sobald sich so viele große und angesehene Herren und Damen in die Sache mischten — überhoben gewesen. Statt dessen setzt sich der Mann auf seinen eignen Esel, besteht auf seinem bodenlosen Recht, sich vermöge seines Miethcontracts in des Esels Schatten zu setzen, so oft und so lange er wolle, und bringt dadurch den Eseltreiber in die Hitze, daß er vor den Stadtrichter läuft, und eine Klage anbringt, die eben so abgeschmackt und unsinnig ist, als die Verantwortung des Beklagten. Ob es nun nicht, zu Statuirung eines lehrreichen Beyspiels, wohl gethan wäre, wenn dem Sykophanten Physignathus, meinem werthesten Collegen —
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als dessen Aufhetzung es ganz allein zuzuschreiben ist, daß der Zahnbrecher den von dem ehrwürdigen Stadtrichter Philippides vorgeschlagnen billigen Vergleich nicht eingegangen — für den Dienst, den er dem abderitischen gemeinen Wesen dadurch geleistet, die Ohren gestutzt, und allenfalls, zum ewigen Andenken, ein paar Eselsohren dafür angesetzt würden; imgleichen, was für einen öffentlichen Dank der ehrwürdige Zunftmeister Pfriem, und die übrigen Herren, die durch ihren patriotischen Eifer Öl ins Feuer gegossen, für ihre Mühe verdient haben möchten: überläßt der erlauchte Erzpriester, mein Principal, dem eignen einsichtsvollen Ermessen des höchsten Gerichts der Vierhundert. Er, seines Ortes, wird, als angeborner Oberherr und Richter des
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Eseltreibers Anthrax, nicht ermangeln, ihm, zu wohlverdienter Belohnung seines in diesem Handel bewiesenen Unverstands, unmittelbar nach geendigtem Proceß, fünf und zwanzig Prügel geben zu lassen. Da aber darum das Recht des mehrbesagten Eseltreibers, wegen der von dem Zahnarzt Struthion erlittnen Ungebühr, wegen des Mißbrauchs, den dieser von seinem Esel gemacht, und wegen der Weigerung einer billigen Vergütung des dadurch verursachten Zeitverlusts und Deterioration seines lastbaren Thieres, Genugthuung zu fordern, nichts destoweniger in seiner ganzen Kraft besteht: so begehret und erwartet der erlauchte Erzpriester von der Gerechtigkeit dieses hohen Gerichts, daß seinem Unterthanen, ohne längern Aufschub, die gebührende vollständigste Entschädigung und Genugthuung verschafft werde. Euch aber (setzte er hinzu, indem er sich umdrehte und gegen das Volk kehrte) soll ich im Namen Jasons ankündigen, daß alle diejenigen, die auf eine ungebührliche und aufrührische Art an der bösen Sache des Zahnbrechers Antheil genommen, so lange, bis sie dafür gebührenden Abtrag gethan haben
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werden, von den Wohlthaten, die der Tempel Jasons alle Monate den armen Bürgern zufließen läßt, ausgeschlossen seyn und bleiben sollen. Dixi.“
Funfzehntes Kapitel. Bewegungen, welche die Rede des Polyphonus verursachte. Nachtrag des Sykophanten Physignathus. Verlegenheit der Richter. Diese kurze und unerwartete Rede brachte auf einige Augenblicke ein tiefes Stillschweigen hervor. Der Sykophant P h y s i g n a t h u s schien zwar große Lust zu haben, sich über die Stelle, die ihn persönlich betroffen hatte, mit 10
Hitze vernehmen zu lassen. Allein, da er die Niedergeschlagenheit bemerkte, die der Inhalt der letzten Periode seines Gegners unter dem gemeinen Volke hervorgebracht zu haben schien: so begnügte er sich, gegen die ehrenrührige Stelle vom Ohrenabschneiden und andre Anzüglichkeiten sich quaevis competentia vorzubehalten, zuckte die Achseln, und schwieg. Das Licht, in welches der Sykophant P o l y p h o n u s den wahren Statum controversiae gestellt hatte, that einen so guten Effect, daß unter den sämmtlichen Vierhundertmännern kaum ihrer zwanzig überblieben, die, nach abderitischer Gewohnheit, nicht versicherten, d a ß s i e d i e S a c h e g l e i c h v o m A n f a n g a n e b e n s o a n g e s e h e n ; und es wurde in ziemlich lebhaften
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Ausdrücken gegen diejenigen gesprochen, welche Schuld daran hätten, daß eine so simple Sache zu solchen Weitläuftigkeiten getrieben worden sey. Die Meisten schienen darauf anzutragen: daß dem Erzpriester nicht nur die für seinen Angehörigen verlangte Entschädigung und Genugthuung zugesprochen, sondern auch eine Commißion aus dem großen Rath niedergesetzt werden sollte, um nach der Schärfe zu untersuchen: wer die ersten Anstifter und Verhetzer dieses Handels eigentlich gewesen seyen. Dieser Antrag brachte den Zunftmeister und diejenigen, die ihre Parthey mit ihm gegen allen Erfolg zum voraus genommen hatten, auf einmal wieder in Harnisch. Der Sykophant Physignathus, der dadurch wieder Muth bekam,
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verlangte von dem Nomophylax noch einmal zum Gehör gelassen zu werden, weil er auf die Rede seines Gegentheils etwas neues vorzubringen habe; und da
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ihm dieses, den Rechten nach, nicht versagt werden konnte, so ließ er sich folgendermaßen vernehmen: „Wenn das gerechte Vertrauen zu einem so ehrwürdigen Gericht, wie das gegenwärtige, den verhaßten Namen einer bestechenden Schmeicheley, womit mein Gegentheil solches zu belegen sich nicht gescheut hat, verdient — so muß ich mich darein ergeben, einen Vorwurf auf mir sitzen zu lassen, den ich nicht vermeiden kann; und ich glaube allenfalls durch eine allzuhohe Meynung von Euch, Großmögende Herren, weniger zu sündigen, als mein Gegner durch die Einbildung, Eure Gerechtigkeit und Einsicht in einer so groben Schlinge zu fangen, als diejenige ist, die er Euch gelegt hat. Der Schein von
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gesunder Vernunft, womit er seine plumpe Vorstellungsart der Sache überstrichen, und ein Ton, den er seinem Clienten abgeborgt zu haben scheint, können höchstens eine augenblickliche Überraschung wirken: aber daß sie die Weisheit des obersten Raths von Abdera ganz umzuwerfen vermögend wären, wäre an mir Lästerung zu fürchten, und war Unsinn an ihm, zu hoffen. Wie? Polyphonus, anstatt die gerechte Sache seines Clienten zu behaupten, wie er vor dem ehrwürdigen Stadtgerichte und bisher immer hartnäckig gethan hat, gesteht nun auf einmal selbst ein, daß der Eseltreiber unrecht und unsinnig daran gethan habe, seine gegen den Zahnarzt Struthion erhobne Klage auf sein vermeyntes Eigenthumsrecht an den Eselsschatten zu gründen; er
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bekennt öffentlich, daß der Kläger eine unbefugte, ungegründete, frivole Klage erhoben habe: und er untersteht sich von Recht an Schadloshaltung zu schwatzen, und in dem trotzigen Tone eines Eseltreibers G e n u g t h u u n g z u f o r d e r n ? Was für eine neue unerhörte Art von Rechtsgelehrsamkeit, wenn der unrechthabende Theil damit durchkäme, daß er am Ende, wenn er sich nicht mehr anders zu helfen wüßte, selbst gestünde, er habe Unrecht, und mit fünfundzwanzig Prügel, die er sich dafür geben ließe (und die ein Kerl, wie Anthrax, schon auf seinen Buckel nehmen kann), sich noch ein Recht an Entschädigung und Satisfaction erwerben könnte? Gesetzt auch, des Eseltreibers Fehler bestünde blos darinn, daß er n i c h t d i e r e c h t e A c t i o n instituirt: was geht das den unschuldigen Gegentheil oder den Richter an? Jener muß sich mit seiner Verantwortung nach der Klage richten; und dieser urtheilt über die Sache, nicht wie sie vielleicht in einem andern Licht und unter einem andern Gesichtspunct erscheinen könnte, sondern wie sie ihm vorgetragen worden. Ich verspreche mir also im Namen meines Clienten, daß, der gegen-
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theilischen Luftstreiche ungeachtet, die vorliegende Sache nicht nach dem neuen und allen bisherigen Verhandlungen zuwiderlaufenden Schwunge, den ihr Polyphonus zu geben gesucht, sondern nach Beschaffenheit der Klage und des Beweises abgeurtheilt werde. Die Rede ist in gegenwärtigem Rechtsstreit nicht von Zeitverlust und Deterioration des Esels, s o n d e r n v o n d e s E s e l s S c h a t t e n . Kläger behauptete, daß sein Eigenthumsrecht an den Esel sich auch auf dessen Schatten erstrecke, und hat es n i c h t b e w i e s e n . Beklagter behauptete, daß er so viel Recht an des Esels Schatten habe, als der Eigenthümer, oder was allenfalls daran abgehen könnte, hab’ er durch den Mieth10
contract erworben; und was er behauptete, h a t e r b e w i e s e n . Ich stehe also hier, Großmögende Herren, und verlange einen richterlichen Spruch über das, was bisher den Gegenstand des Streits ausgemacht hat. Um dessentwillen allein ist gegenwärtiges höchstes Gericht niedergesetzt worden! Dies allein macht itzt die Sache aus, worüber es zu erkennen hat! Und ich unterstehe michs, vor diesem ganzen mich hörenden Volke zu sagen: entweder ist kein Recht in Abdera mehr, oder meine Forderung ist gesetzmäßig, und die Rechte eines jeden Bürgers sind darunter befangen, daß meinem Clienten das seinige zugesprochen werde!“ Der Sykophant schwieg, die Richter stutzten, das Volk fieng von neuem an
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zu murmeln und unruhig zu werden, und die Schatten reckten ihre Köpfe wieder empor. Nun, sagte der Nomophylax, indem er sich an Polyphonus wandte, was hat der klägerische Anwald hierauf beyzubringen? „Hochgeachter Herr Oberrichter, erwiederte Polyphonus, Nichts — als Alles von Wort zu Wort, was ich schon gesagt habe. Der Proceß über des Esels Schatten ist ein so böser Handel, daß er nicht bald genug ausgemacht werden kann. Der Kläger hat dabey gefehlt, der Beklagte hat gefehlt, die Anwälde haben gefehlt, der Richter der ersten Instanz hat gefehlt, ganz Abdera hat gefehlt! Man sollte denken, ein böser Wind habe uns alle angeblasen, und es
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sey nicht so ganz richtig mit uns gewesen, als wohl zu wünschen wäre. Käm’ es schlechterdings darauf an, uns noch länger zu prostituiren: so sollte mirs wohl auch nicht an Athem fehlen, für das Recht meines Clienten an seines Esels Schatten eine Rede zu halten, die von Sonnenaufgang bis zu Sonnenuntergang dauren sollte. Aber, wie gesagt, wenn die Komödie, die wir gespielt haben, so lange sie blos Komödie blieb, noch zu entschuldigen ist: so wär’ es doch, dünkt
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mich, auf keine Weise recht, sie vor einem so ehrwürdigen Gerichte, wie der hohe Rath von Abdera, länger fortzuspielen. Wenigstens habe ich keine Instruction dazu, und überlasse Euch also, Großmögende Herren, unter nochmaliger Wiederholung alles dessen, was ich im Namen des erlauchten und sehr ehrwürdigen Erzpriesters zu Recht gefodert habe, den Handel nun abzuurtheln und auszumachen — wie es Euch die Götter eingeben werden.“ Die Richter befanden sich in großer Verlegenheit; und es ist schwer zu sagen, was für ein Mittel sie endlich ergriffen haben würden, um mit Ehren aus der Sache zu kommen, wenn der Zufall, der zu allen Zeiten der große Schutzgott aller Abderiten gewesen ist, sich ihrer nicht angenommen, und diesem
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feinen b ü r g e r l i c h e n D r a m a eine Entwicklung gegeben hätte, deren sich einen Augenblick vorher kein Mensch versah, noch versehen konnte.
Sechzehntes Kapitel. Unvermuthete Entwicklung der ganzen Komödie und Wiederherstellung der Ruhe in Abdera. Der Esel, dessen Schatten zeither (nach dem Ausdruck des Archon Onolaus) eine so seltsame Verfinsterung in den Hirnschädeln der Abderiten angerichtet hatte, war bis zu Austrag der Sache in den öffentlichen Stall der Republik abgeführt, und bisher daselbst nothdürftig verpflegt worden. Das Beste, was man davon sagen kann, ist, daß er nicht fetter davon gewor-
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den war. Diesen Morgen nun war es den Stallbedienten der Republik, welche wußten, daß der Handel zu Ende gehen sollte, auf einmal eingefallen: der Esel, der gleichwohl eine Hauptperson bey der Sache vorstellte, sollte doch billig auch von der Parthie seyn. Sie hatten ihn also gestriegelt, mit Blumenkränzen und Bändern herausgeputzt, und brachten ihn nun, unter der Begleitung und dem Nachjauchzen unzähliger Gassenjungen, in großem Pomp herbey. Der Zufall wollte, daß sie in der nächsten Gasse, die zum Markt führte, anlangten, als Polyphonus eben seinen Nachtrag geendigt hatte, und die armen Richter sich gar nicht mehr zu helfen wußten, das Volk hingegen zwischen der Furcht vor dem Erzpriester und dem neuen Stoß, den ihm die zwote
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Rede des Sykophanten Physignathus gegeben, in einer ungewissen und unmuthigen Art von Bewegung schwankte. Der Lerm, den die besagten Gassenjungen um den Esel her machten, drehte jedermanns Augen nach der Seite, woher er kam. Man stutzte und drängte sich hinzu. Ha! rief endlich einer aus dem Volke, da kommt der Esel selbst! — Er wird den Richtern wohl zu einem Ausspruch helfen wollen, sagte ein andrer. — Der verdammte Esel, rief ein dritter, er hat uns alle zu Grunde gerichtet! Ich wollte, daß ihn die Wölfe gefressen hätten, eh er uns diesen gottlosen Handel auf 10
den Hals zog! — Heyda! schrie e i n K e s s e l f l i c k e r , der immer einer der eifrigsten S c h a t t e n gewesen war; w a s e i n b r a v e r A b d e r i t i s t , ü b e r d e n E s e l h e r ! Er soll uns die Zeche bezahlen! Laßt nicht ein Haar aus seinem schäbigten Schwanz von ihm übrig bleiben! In einem Augenblick stürzte sich die ganze Menge auf das Thier, und, ehe man eine Hand umkehren konnte, war es in tausend Stücke zerrissen. Jedermann wollte auch einen Bissen davon haben. Man riß, schlug, zerrte, kratzte, balgte und raufte sich darum mit einer Hitze, die gar nicht ihres gleichen hatte. Bey einigen gieng die Wut so weit, daß sie ihren Antheil auf der Stelle roh und blutig auffraßen; die meisten aber liefen mit dem, was sie davon
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gebracht, nach Hause; und da ein jeder eine Menge hinter sich her hatte, die ihm seinen Raub mit großem Geschrey abzujagen suchten: so wurde der ganze Markt in wenig Minuten so leer als um Mitternacht. Die Vierhundertmänner waren im ersten Augenblick dieses Aufruhrs, wovon sie die Ursache nicht sogleich sehen konnten, in so große Bestürzung gerathen, daß sie alle, ohne selbst zu wissen, was sie thaten, die Dolche hervorzogen, die sie heimlich unter ihren Mänteln bey sich führten; und die Herren sahen einander mit keinem kleinen Erstaunen an, da auf einmal, vom Nomophylax bis zum untersten Beysitzer, in jeder Hand ein bloßer Dolch funkelte. Als sie aber endlich sahen und hörten was es war, steckten sie geschwin-
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de ihre Messer wieder in den Busen, und brachen allesammt, gleich den Göttern im ersten Buch der Ilias, in ein unauslöschliches Gelächter aus. Dank sey dem Himmel, rief endlich, nachdem die sehr ehrwürdigen Herren wieder zu sich selbst gekommen waren, der Nomophylax lachend aus: mit aller unsrer Weisheit hätten wir der Sache keinen schicklichern Ausgang geben können. Wozu wollten wir uns nun noch länger die Köpfe zerbrechen? Der
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Esel, der unschuldige Anlaß dieses leidigen Handels, ist (wie es zu gehen pflegt) das Opfer davon geworden; das Volk hat sein Müthchen an ihm abgekühlt; und es kommt itzt nur noch auf eine gute Entschließung von unsrer Seite an: so kann dieser Tag, der noch kaum so aussah, als ob er ein trübes Ende nehmen würde, ein Tag der Freude und der Wiederherstellung der allgemeinen Ruhe werden. Da der Esel selbst nicht mehr ist, was hülf’ es, noch lange über seinen Schatten zu rechten? Ich trage also darauf an: daß diese ganze E s e l s s a c h e hiemit öffentlich für geendigt und abgethan genommen, beyden Theilen, u n t e r Ve r g ü t u n g a l l e r i h r e r K o s t e n u n d S c h ä d e n a u s d e m S t a d t ä r a r i o , ein ewiges Stillschweigen auferlegt, dem armen
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Esel aber auf gemeiner Stadt Kosten e i n D e n k m a l aufgerichtet werde, das zugleich uns und unsern Nachkommen zur ewigen Erinnerung diene, w i e leicht eine große und blühende Republik sogar um eines Esels Schatten willen hätte zu Grunde gehen können. Jedermann klatschte dem Antrag des Nomophylax seinen Beyfall zu, als dem klügsten und billigsten Auswege, den man, nach Gestalt der Sachen, treffen könne. Beyde Partheyen konnten damit zufrieden seyn, und die Republik erkaufte ihre Beruhigung und Verhütung größeren Schimpfs und Unheils noch immer wohlfeil genug. Der Schluß wurde also von den V i e r h u n d e r t m ä n n e r n einhellig diesem Vortrag gemäß abgefaßt, wiewohl es einige Mühe
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kostete, den Zunftmeister Pfrieme dahin zu bringen, daß er nicht den Ungeraden machte; und der große Rath, mit seiner martialischen Bürgerwache im Vor- und Hintertreffen, begleitete den Nomophylax bis vor seine Wohnung zurück, wo er die Herren Collegen sammt und sonders auf den Abend zu einem großen Concert einlud, welches er ihnen, zu Befestigung der wiederhergestellten Eintracht zum Besten geben wollte. Der Erzpriester Agathyrsus erließ dem Eseltreiber nicht nur die versprochnen fünf und zwanzig Prügel, sondern schenkte ihm noch obendrein drey schöne Maulesel aus seinem eignen Stalle, mit dem ausdrücklichen Verbot, keine Schadloshaltung aus dem abderitischen Ärario anzunehmen. Des folgenden Tages gab er den sämmtlichen S c h a t t e n aus dem kleinen und großen Rath ein prächtiges Gastmahl; und am Abend ließ er unter die gemeinen Bürger von allen Zünften eine halbe Drachme auf den Mann austheilen, um dafür auf seine und aller guten Abderiten Gesundheit zu trinken. Diese Freygebigkeit gewann ihm auf einmal wieder aller Herzen; und da die Abderiten
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ohnehin (wie wir wissen) Leute waren, denen es nichts kostete, von einer Extremität zur andern überzugehen: so ist sich, bey einem so edeln Betragen des bisherigen Oberhaupts der stärkern Parthey, nicht zu verwundern, daß die Namen von Eseln und Schatten in kurzem gar nicht mehr gehört wurden. Die Abderiten lachten itzt selbst über ihre Thorheit als einen Anstoß von fiebrischer Raserey, der nun, Gottlob! vorüber sey. Einer ihrer Balladenmänner (deren sie sehr viele und sehr schlechte hatten) eilte was er konnte, die ganze Geschichte in ein Gassenlied zu bringen, das sogleich auf allen Straßen gesungen wurde; und der Dramenmacher T h l a p s ermangelte nicht, binnen we10
nigen Wochen sogar eine Komödie daraus zu verfertigen, wozu der Nomophylax eigenhändig die Musik componirte. Dieses schöne Stück wurde öffentlich mit großem Beyfall aufgeführt, und beyde ehmalige Partheyen lachten so herzlich darinn, als ob die Sache sie gar nichts angienge. D e m o k r i t u s , der sich von dem Erzpriester hatte bereden lassen, mit in dies Schauspiel zu gehen, sagte beym Herausgehen: D i e s e Ähnlichkeit mit den A t h e n i e n s e r n muß man den Abderiten wenigstens eingestehen, daß sie recht treuherzig über ihre eigne Narrenstreiche lachen können. Sie werden zwar nicht weiser darum: aber es ist immer schon viel gewonnen, wenn ein
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Volk leiden kann, daß ehrliche Leute sich über seine Thorheiten lustig machen, und mitlacht, anstatt, wie die Affen, tückisch darüber zu werden. Es war die letzte abderitische Komödie, in welche Demokritus in seinem Leben gieng: denn bald darauf zog er mit Sack und Pack aus der Gegend von Abdera weg, ohne einem Menschen zu sagen, wo er hingienge; und von dieser Zeit an hat man keine weitere Nachrichten von ihm.
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Die Abderiten. Fünftes Buch, oder die Frösche der Latona. Erstes Kapitel. Erste Quelle des Übels, welches endlich den Untergang der abderitischen Republik nach sich zog. Politik des Erzpriesters Agathyrsus. Er läßt einen eignen öffentlichen Froschgraben anlegen. Nähere und entferntere Folgen dieses neuen Instituts. Die Republik Abdera genoß einige Jahre auf die eben so gefährlichen als — Dank ihrem gutlaunigen Genius! — so glücklich abgelaufnen Bewegungen 10
wegen des Eselsschatten der vollkommensten Ruhe von innen und außen; und wenn es natürlicherweise möglich wäre, daß Abderiten sich lange wohl befinden könnten: so hätte man, dem Anschein nach, ihrem Wohlstande die längste Dauer versprechen sollen. Aber, zu ihrem Unglück, arbeitete eine ihnen allen verborgene Ursache — ein geheimer Feind, der desto gefährlicher war, weil sie ihn in ihrem eignen Busen herumtrugen — unvermerkt an ihrem Untergang. Die Abderiten verehrten (wie wir wissen) seit undenklichen Zeiten die L a t o n a als ihre Schutzgöttinn. So viel sich auch immer mit gutem Fug gegen den Latonendienst einwenden läßt: so war es nun einmal ihre von Vorältern auf sie geerbte Volks- und
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Staatsreligion; und sie waren in diesem Stücke nicht schlimmer dran, als alle übrigen griechischen Völkerschaften. Ob sie, wie die Athenienser, Minerven, oder Juno, wie die von Samos, oder Dianen, wie die Ephesier, oder die Grazien, wie die Orchomenier, oder ob sie Latonen verehrten, darauf kam’s nicht an: eine Religion mußten sie haben, und in Ermangelung einer bessern war eine jede besser als gar keine. Aber der Latonendienst hätte auch ohne den geheiligten Froschgraben bestehen können. Wozu hatten sie nöthig, den einfältigen Glauben der alten Tejer, ihrer Vorältern, durch einen so gefährlichen Zusatz aufzustutzen? Wozu
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die Frösche der Latona, da sie die Latona selbst hatten? — Oder, wenn sie ja ein sichtbares Denkmal jener wundervollen Verwandlung der lycischen Bauern zur Nahrung ihres abderitischen Glaubens bedurften: hätten ein Halbdutzend ausgestopfte Froschhäute, mit einer schönen goldnen Inschrift, in einer Kapelle des Latonentempels aufgestellt, mit einem brokatnen Tuch umschleyert, und alle Jahr mit gehörigen Feyerlichkeiten dem Volke vorgezeigt, ihrer Einbildungskraft nicht die nämlichen Dienste gethan? Demokritus, ihr guter Mitbürger, aber zum Unglück ein Mann, dem man nichts glauben konnte, weil er in dem bösen Rufe stand, daß er selbst nichts glaube, hatte, während er sich unter ihnen aufhielt, bey Gelegenheit zuweilen
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ein Wort davon fallen lassen: d a ß m a n d e s G u t e n , z u m a l w o F r ö s c h e m i t i m S p i e l e w ä r e n , l e i c h t z u v i e l t h u n k ö n n e ; und da seine Ohren, nach einer zwanzigjährigen Abwesenheit, an das liebliche B r e k e k e k e k K o a x K o a x , das ihm zu Abdera bey Nacht und Tag um die Ohren schnarrte, nicht so gewöhnt waren, als die etwas dicken Ohren seiner Landesleute: so hatte er ihnen einigemal nachdrückliche Vorstellungen gegen ihre D e i s i b a t r a c h i e (wie ers nannte) gethan, und ihnen öfters bald im Scherz, bald im Ernst, vorhergesagt, daß, wenn sie nicht in Zeiten Vorkehrung thäten, ihre quakenden Mitbürger sie endlich aus Abdera hinausquaken würden. Die Vornehmern konnten über diesen Punct sehr gut Scherz vertragen; denn sie woll-
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ten wenigstens nicht dafür angesehen seyn, als ob sie mehr von den Fröschen der Latona glaubten, als Demokritus selbst. Aber das Übel war, daß er sie weder durch Schimpf noch Ernst dahin bringen konnte, die Sache aus einem vernünftigen Gesichtspuncte zu beherzigen. Scherzte er darüber, so scherzten sie mit; sprach er ernsthaft, so lachten sie über ihn, daß er ü b e r s o w a s ernsthaft seyn könne. Und so blieb es denn, Einwendens ungeachtet, wie in allen Dingen, so auch hierinnen zu Abdera immer — b e y m a l t e n B r a u c h . Indessen wollte man doch zu Demokritus Zeiten eine gewisse L a u i g k e i t in Absicht auf die Frösche unter der edeln abderitischen Jugend wahrgenommen haben. Gewiß ist, daß der Priester S t r o b y l u s öfters große Klaglieder darüber anstimmte, daß die meisten guten Häuser die Froschgräben, die sie von Alters her in ihren Gärten unterhalten hätten, unvermerkt eingehen ließen; und daß der gemeine Mann beynahe der einzige sey, der in diesem Stücke noch fest an dem löblichen alten Brauch hange, und seine Ehrfurcht für den geheiligten Teich auch durch freywillige Gaben zu Tage lege.
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Wer sollte nun bey so bewandten Sachen vermuthet haben, daß gerade unter allen Abderiten derjenige, auf den am wenigsten ein Verdacht, daß er an der D e i s i b a t r a c h i e krank sey, fallen könnte — kurz, daß der Erzpriester A g a t h y r s u s der Mann war, der, bald nach Endigung der Fehde zwischen den E s e l n und S c h a t t e n , dem erkalteten Eifer der Abderiten für die Frösche wieder ein neues Leben gab? Gleichwohl ist es unmöglich, ihn von diesem seltsamen Widerspruch zwischen seiner innern Überzeugung und seinem äußerlichen Betragen freyzusprechen; und wenn wir nicht bereits von seiner Art zu denken unterrichtet 10
wären, würde das Letztere kaum zu erklären seyn. Aber wir kennen diesen Priester als einen ehrgeizigen Mann. Er hatte sich während der letzten Unruhen an der Spitze einer mächtigen Parthie gesehen, und hatte keine Lust, dieses Vergnügen gegen ein geringeres Äquivalent zu vertauschen, als einen fortdaurenden Einfluß auf die ganze nun wieder beruhigte Republik — eine Sache, die er nunmehr durch kein gewissers Mittel erhalten konnte, als durch eine große P o p u l a r i t ä t , und durch eine Gefälligkeit gegen die Vorurtheile des Volks, die ihn um so weniger kostete, da er (wie so viele seines gleichen) die Religion blos als eine p o l i t i s c h e M a s c h i n e ansah, und im Grunde äußerst gleichgültig darüber war, ob es Frösche oder Eulen oder Hammelsfelle seyen,
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was ihm die freyeste und sicherste Befriedigung seiner Lieblingsleidenschaften gewährte. Diesemnach also, und um sich a u f d i e w o h l f e i l s t e A r t bey dem Volke im Ansehen und Einfluß zu erhalten, verbannte er bald nach Endigung des Schattenkriegs nicht nur die Störche, über welche d i e F r o s c h p f l e g e r Klage geführt hatten, aus allen Gerichten und Gebieten des Jasontempels; sondern trieb die Gefälligkeit gegen seine neuen Freunde so weit, daß er mitten auf einer Esplanade (die einer seiner Vorfahren zu einem öffentlichen Spazierplatz gewidmet hatte) einen Canal graben ließ, und sich zu Besetzung desselben auf eine sehr verbindliche Art einige Fässer mit Froschlaich aus dem
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geheiligten Teiche von dem Oberpriester Strobylus ausbat; welche ihm denn auch, nach einem der Latona gebrachten feyerlichen Opfer in Begleitung des ganzen abderitischen Pöbels mit großer Feyerlichkeit zugeführet wurden. Von diesem Tage an war Agathyrsus der Abgott des Volks, und ein Froschgraben, zu rechter Zeit angelegt, verschaffte ihm, was er sonst mit aller Politik, Wohlredenheit und Freygebigkeit nie erlangt haben würde. Er herrschte,
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ohne die Rathsstube jemals zu betreten, so unumschränkt in Abdera als ein König; und weil er den Rathsherren und Zunftmeistern alle Wochen zweyoder dreymal zu essen gab, und ihnen seine Befehle nie anders als in vollen Bechern von Chierwein insinuirte: so hatte niemand etwas gegen einen so liebenswürdigen Tyrannen einzuwenden. Die Herren glaubten nichts destoweniger auf dem Rathhause ihre eigne Meynung zu sagen, wenn ihre Vota gleich nur der Wiederhall der Schlüsse waren, welche Tages zuvor im Speisesaal des Erzpriesters abgefaßt wurden. Agathyrsus war der erste, der sich, unter guten Freunden, über seinen neuen Froschgraben lustig machte. Aber das Volk hörte nichts davon. Und da sein
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Beyspiel auf die Edeln von Abdera mehr wirkte, als seine Scherze: so hätte man den Wetteifer sehen sollen, womit sie, um ebenfalls Proben von ihrer Popularität abzulegen, entweder die vertrockneten Froschgräben in ihren Gärten wieder herstellten, oder neue anlegten, wo noch keine gewesen waren. Wie in Abdera alle Thorheiten ansteckend waren, so blieb auch von dieser niemand frey. Anfangs war es nur Mode, eine Sache die zum guten Ton gehörte. Ein Bürger von einigem Vermögen würde sichs zur Schande gerechnet haben, hierinn hinter seinem vornehmern Nachbar zurückzubleiben. Aber unvermerkt wurde es ein unvermeidliches R e q u i s i t u m eines guten Bürgers; und wer nicht wenigstens eine kleine Froschgrube innerhalb seiner vier
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Pfähle aufweisen konnte, würde für einen Feind Latonens und für einen Verräther am Vaterlande ausgeschrien worden seyn. Bey einem so warmen Eifer der Privatpersonen ist leicht zu erachten, daß der Senat, die Zünfte und übrigen Collegien nicht die letzten waren, der Latona gleichmäßige Beweise ihrer Devotion zu geben. Jede Zunft ließ sich ihren eignen Froschzwinger graben. Auf jedem öffentlichen Platz der Stadt, ja gar vor dem Rathhause selbst (wo die Kräuter- und Eyerweiber ohnehin Lerms genug machten), wurden große mit Schilf und Rasen eingefaßte Bassins zu diesem Ende angelegt; und das Policeycollegium, dem hauptsächlich d i e Ve r s c h ö n e r u n g d e r S t a d t in seine Pflichten gegeben war, kam endlich gar auf den Einfall, durch die Alleen, womit Abdera ringsumgeben war, zu beyden Seiten schmale Canäle ziehen, und mit Fröschen besetzen zu lassen. Das Project wurde vor Rath gebracht, und paßirte ohne Widerspruch; wiewohl man sich genöthigt sah, um diese Canäle und die übrigen öffentlichen Froschteiche mit dem benöthigten Wasser zu versehen, den Fluß Nestus bey-
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nahe gänzlich abgraben zu lassen. Weder die Kosten, die durch alle diese Operationen dem Ärario aufgeladen wurden, noch der vielfältige Nachtheil, der aus dem Abgraben des Flusses entstund, wurden in die mindeste Betrachtung gezogen; und als ein junger Rathsherr nur im Vorbeygehn erwähnte, daß der Nestus nahe am Eintrocknen wäre — desto besser, rief einer von d e n F r o s c h p f l e g e r n ; so haben wir einen großen Froschgraben mehr, ohne daß es der Republik einen Heller kostet. Wer sich bey diesem — freylich nur in Abdera möglichen — Enthusiasmus f ü r d i e Ve r s c h ö n e r u n g d e r S t a d t d u r c h F r o s c h g r ä b e n am besten 10
befand, waren die Priester des Latonentempels. Denn, ungeachtet sie den Laich aus dem heiligen Teiche sehr wohlfeil, nämlich den abderitischen C y a t h u s (der ungefähr ein Nösel unsers Maaßes betragen mochte) nur für zwo Drachmen verkauften: so wollte doch jemand berechnet haben, daß sie in den ersten zwey bis drey Jahren, da die Schwärmerey am wirksamsten war, über fünftausend D a r i k e n damit gewonnen hätten. Die Summe scheint uns bey allem dem zu hoch angesetzt; wiewohl nicht zu läugnen ist, daß sie sich für den Laich, den sie d e r R e p u b l i k ablieferten, das Duplum aus der Baucasse bezahlen ließen. Übrigens dachte in ganz Abdera niemand an die Folgen dieser schönen
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Anstalten. Die Folgen kamen, wie gewöhnlich, von sich selbst. Aber weil sie nicht auf einmal da stunden, so währte es nicht nur eine geraume Zeit, bis man sie bemerkte; sondern, da sie endlich auffallend genug wurden, um nicht länger, sogar von Abderiten, übersehen zu werden: so konnten diese doch, trotz ihrem bekannten Scharfsinn, die Quelle derselben nicht ausfindig machen. Die abderitischen Ärzte zerbrachen sich die Köpfe, um zu errathen, woher es käme, daß Schnuppen, Flüsse und Hauptkrankheiten aller Arten von Jahr zu Jahr so mächtig überhand nahmen, und so hartnäckig wurden, daß sie aller ihrer Kunst und aller Niesewurz von Anticyra Trotz boten. Kurz, Abdera mit der ganzen Gegend umher war beynahe in einen allgemeinen unabseh-
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baren Froschteich verwandelt, eh es einem ihrer Philosophen einfiel, die Frage aufzuwerfen: ob eine grenzenlose Vermehrung der F r o s c h m e n g e einem Staat nicht vielleicht mehr Schaden thun könnte, als die Vortheile, die man sich davon verspreche, jemals wieder gut zu machen vermöchten?
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Zweytes Kapitel. Charakter des Philosophen Korax. Nachrichten von der Akademie der Wissenschaften zu Abdera. Korax wirft in derselben eine verfängliche Frage, in Betreff der Latonenfrösche, und sich selbst zum Haupt der Gegenfröschler auf. Betragen der Latonenpriester gegen diese Secte, und wie sie bewogen wurden, selbige für unschädlich anzusehen. Der merkwürdige Kopf, der zuerst die Wahrnehmung machte, daß die Menge der Frösche in Abdera in der That übermäßig sey, und mit der Anzahl und dem Bedürfniß der zweybeinigten unbefiederten Einwohner ganz und gar in
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keinem Verhältniß stehe, nannte sich K o r a x . Es war ein junger Mann von gutem Hause, der sich etliche Jahre zu A t h e n aufgehalten, und in der Akademie (wie die von P l a t o gestiftete Philosophenschule bekanntermaaßen genennt wurde) gewisse Grundsätze eingesogen hatte, die d e n F r ö s c h e n der Latona nicht allzugünstig waren. Die Wahrheit zu sagen, L a t o n a s e l b s t hatte durch seinen Aufenthalt zu Athen so viel bey ihm verloren, daß es kein Wunder war, wenn er ihre Frösche nicht mit aller der Ehrfurcht ansehen konnte, die von einem rechtdenkenden Abderiten gefodert wurde. „Eine jede schöne Frau ist eine Göttinn, pflegte er zu sagen: wenigstens eine Göttinn der Herzen; und Latona war unstreitig eine sehr schöne Frau: aber was geht d a s
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d i e F r ö s c h e , und — die Sache blos menschlich und im Lichte der Vernunft betrachtet — was gehen am Ende die Frösche L a t o n e n an? Und gesetzt auch, die Göttinn — für die ich übrigens so viel Ehrfurcht hege, als einer schönen Frau und einer Göttinn gebührt — gesetzt, sie habe die Frösche vor allem andern Geziefer und Ungeziefer der Welt in ihren besondern Schutz genommen: folgt denn daraus, daß man der Frösche n i e z u v i e l haben könne?“ Korax war, als er so zu raisonniren anfieng, ein Mitglied der Akademie, welche in Abdera zur Nachahmung der atheniensischen gestiftet worden war. Denn die Abderiten waren, wie wir wissen, schon von langem her darauf gestellt, alles wie die Athenienser haben zu wollen. Diese Akademie war ein kleiner in Spaziergänge ausgehauener Wald, ganz nahe bey der Stadt; und da sie unter dem Schutz des Senats stund, und auf Kosten des Ärariums angelegt
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worden war: so hatten d i e H e r r e n v o n d e r P o l i z e y c o m m i ß i o n nicht ermangelt, sie reichlich mit F r o s c h g r ä b e n zu versehen. Die Glieder der Akademie fanden sich zwar nicht selten durch den eintönigen Chorgesang dieser quakenden Philomelen in ihren tiefsinnigen Betrachtungen gestört. Allein, da dies an jedem andern Orte in und um die Stadt Abdera eben so wohl der Fall gewesen wäre: so hatten sie sich immer in Geduld darein ergeben; oder, richtiger zu reden, man war des Froschgesangs in Abdera so gewohnt, daß man nicht mehr davon hörte, als die Einwohner von K a t a d u p a von dem großen Nilfall, in dessen Nachbarschaft sie leben, oder als die Anwohner ir10
gend eines andern Wasserfalls in der Welt. Allein mit Korax, dessen Ohren durch seinen Aufenthalt zu Athen die Empfindlichkeit, die allen gesunden menschlichen Ohren natürlich ist, wieder erlangt hatten, war es eine andre Sache. Man wird es also nicht befremdlich finden, daß er gleich bey der ersten Sitzung, der er beywohnte, die spitzige Anmerkung machte: er glaube, das Käuzlein der Minerva qualificire sich ungleich besser zu einem außerordentlichen Mitgliede der Akademie, als die Frösche der Latona. — „Ich weiß nicht, meine Herren, wie S i e die Sache ansehen, setzte er hinzu: aber, mich däucht, die Frösche haben seit einigen Jahren auf eine ganz unbegreifliche Art in Abdera zugenommen.“
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Die Abderiten waren ein dumpfes Völklein, wie wir alle wissen; und es gab vielleicht (eine einzige berühmte Nation allenfalls ausgenommen) kein anderes in der Welt, das in der sonderbaren Eigenschaft, „ d e n Wa l d v o r l a u t e r B ä u m e n n i c h t s e h e n z u k ö n n e n , “ ihnen den Vorzug streitig machen konnte. Aber dies mußte man ihnen lassen, sobald es nur einem unter ihnen einfiel, eine Bemerkung zu machen, die jedermann eben so gut hätte machen können als er, wiewohl sie niemand vor ihm gemacht hatte: so schienen sie allesammt plötzlich aus einem langen Schlaf zu erwachen, sahen nun auf einmal — was ihnen vor der Nase lag, verwunderten sich der gemachten Entdekkung, und glaubten demjenigen sehr verbunden zu seyn, der ihnen dazu ver-
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holfen hatte. In der That, antworteten d i e H e r r e n v o n d e r A k a d e m i e , die Frösche haben seit einiger Zeit auf eine ganz unbegreifliche Art zugenommen. „Wenn ich sagte, ,auf eine ganz unbegreifliche Art,‘ (versetzte K o r a x ,) so will ich damit keineswegs gesagt haben, daß etwas übernatürliches in der Sache sey. Im Grunde ist nichts begreiflicher, als daß die Frösche sich auf eine
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ganz ungeheure Art an einem Orte vermehren müssen, wo man solche Anstalten zu ihrer Unterhaltung vorkehrt, wie zu Abdera: das Unbegreifliche liegt, meiner geringen Meynung nach, blos darinn, wie die Abderiten einfältig genug seyn können, diese Anstalten vorzukehren?” Die sämmtlichen Mitglieder der Akademie stutzten über die Freyheit dieser Rede, sahen einander an, und schienen verlegen zu seyn, was sie von der Sache denken sollten. „Ich rede blos menschlicher Weise,“ sagte K o r a x . Wir zweifeln nicht daran, versetzte der P r ä s i d e n t d e r A k a d e m i e , der ein Rathsherr und einer von den Z e h n m ä n n e r n war; allein die Akademie
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hat sichs bisher zum Gesetz gemacht, dergleichen schlüpfrige Materien, auf welchen die Vernunft so leicht ausglitschen kann, lieber gar nicht zu berühren. — „Die Akademie zu Athen hat sich kein solches Gesetz gemacht, fiel ihm Korax ein; wenn man nicht ü b e r a l l e s philosophiren darf, so wär’s eben so gut, man philosophirte über — g a r n i c h t s . “ Über alles, sagte der Präsident Zehnmann mit einer bedenklichen Miene, nur nicht über Latonen, und — I h r e F r ö s c h e ? — setzte Korax lächelnd hinzu. Dies war’s auch wirklich, was der Präsident hatte sagen wollen: aber bey dem Wörtchen u n d überfiel
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ihn eine Art von Beklemmung, als ob er wider Willen fühlte, daß er im Begriff sey, eine Sottise zu sagen; und so hielt er plötzlich mit offnem Munde still, und überließ es dem Korax, die Periode zu vollenden. „Ein jedes Ding kann von sehr vielerley Seiten, und in mancherley Lichte betrachtet werden, fuhr Korax fort; und dies zu thun, ist, däucht mich, just, was dem Philosophen zukömmt, und was ihn von dem dummen undenkenden Haufen unterscheidet. Unsere Frösche, zum Exempel, können als F r ö s c h e s c h l e c h t w e g , und als F r ö s c h e d e r L a t o n a betrachtet werden. Denn in so fern sie Frösche schlechtweg sind, sind sie weder mehr noch weniger Frösche als andre. Ihr Verhältniß gegen die Abderiten ist i n s o f e r n ungefähr das nämliche, wie das Verhältniß aller übrigen Frösche zu allen übrigen Menschen; und i n s o f e r n kann nichts unschuldigers seyn, als zu untersuchen, ob z. E. d i e F r o s c h m e n g e in einem Staat mit d e r Vo l k s m e n g e in gehörigem Verhältniß stehe oder nicht? und — wofern sich fände, daß der Staat einen großen Theil mehr Frösche ernähren müßte, als er nöthig hätte — die
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diensamsten Mittel vorzuschlagen, wodurch ihre übermäßige Menge vermindert werden könnte.“ Korax spricht verständig, sagten e t l i c h e j u n g e A k a d e m i s t e n . „Ich rede blos menschlicherweise von der Sache,“ sagte K o r a x . Ich wollte lieber, daß wir gar nicht davon angefangen hätten, sagte d e r Präsident. Dies war der erste Funke, den Korax in die schwindlichten Köpfe einiger speculativen jungen Abderiten warf. Unvermerkt wurde er zum Haupt und Worthalter einer philosophischen Secte, von deren Grundsätzen und Meynun10
gen in Abdera nicht allzuvortheilhaft gesprochen wurde. Sie wurden, nicht ohne Grund, beschuldiget, daß sie nicht nur unter sich, sondern sogar in großen Gesellschaften und auf den öffentlichen Spazierplätzen behaupteten: „es lasse sich mit keinem einzigen triftigen Grunde beweisen, daß die Frösche der Latona etwas besser als gemeine Frösche wären; die Sage, daß sie von den milischen Froschbauern, oder Bauerfröschen abstammten, wäre ein albernes Volksmährchen; und selbst die alte Tradition, daß Jupiter die milischen Bauern, weil sie Latonen mit ihren Zwillingen nicht aus ihrem Teiche hätten trinken lassen wollen, in Frösche verwandelt habe, sey etwas, woran man allenfalls zweifeln könnte, ohne sich eben darum an Jupitern oder Latonen zu
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versündigen. Es möchte aber auch damit seyn wie es wollte, so sey es doch ungereimt, aus Devotion gegen die schöne Latona, die ganze Stadt und Republik Abdera zu einer Froschpfütze zu machen“ — und was dergleichen Behauptungen mehr waren, die, so simpel und vernunftmäßig sie u n s heutiges Tages vorkommen, zu Abdera gleichwohl, zumal in den Ohren der Latonenpriester, sehr ü b e l k l i n g e n d gefunden wurden, und dem Philosophen Korax und seinen Anhängern den verhaßten Namen B a t r a c h o m a c h e n oder G e g e n f r ö s c h l e r zuzogen; ein Titel, dessen sie sich jedoch um so weniger schämten, weil es ihnen gelungen war, beynahe die ganze j u n g e und s c h ö n e Welt mit ihren freyen Meynungen anzustecken.
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Die Priester des Latonentempels und das Collegium der Froschpfleger ermangelten nicht, bey jeder Gelegenheit ihr Mißfallen an dem muthwilligen Witze der Gegenfröschler zu zeigen; und der Oberpriester S t i l b o n vermehrte, aus dieser Veranlassung, sein Buch v o n d e n A l t e r t h ü m e r n d e s L a t o n e n t e m p e l s mit einem großen Kapitel über die Natur der Latonenfrösche. Indessen hatten sie einen sehr wesentlichen Beweggrund, es dabey
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bewenden zu lassen; und dieser war: daß, ungeachtet der freygeisterischen Denkart über die Frösche, welche Korax in Abdera zur M o d e gemacht hatte, nicht ein einziger Froschgraben in und um die Stadt weniger zu sehen war als zuvor. Der Philosoph Korax und seine Anhänger waren schlau genug gewesen, zu merken, daß sie sich die Freyheit, „von den Fröschen ü b e r l a u t z u d e n k e n , was sie wollten,“ nicht wohlfeiler erkaufen könnten, als wenn sie es, was d i e A u s ü b u n g betraf, gerade eben so machten, wie alle andre Leute. Ja, der weise Korax, als derjenige, auf den man am meisten Acht gab, hatte für schicklich angesehen, lieber zu viel als zu wenig zu thun; und also, gleich nach seiner Aufnahme in die Akademie, auf seinem angeerbten Grund und Boden einen
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der schönsten Froschgräben in ganz Abdera angelegt, und mit einer beträchtlichen Menge schöner wohlbeleibter Frösche aus dem geheiligten Teich besetzt, wovon er den Priestern jedes Stück mit vier Drachmen bezahlte. Dies war eine Höflichkeit, für welche diese Herren, so wenig sie sich ihm auch sonst dafür verbunden halten mochten, doch, u m d e s g u t e n B e y s p i e l s w i l l e n , nicht umhin konnten, dankbar zu s c h e i n e n ; zumal da diese nämliche Handlung des sogenannten Philosophen hinlänglichen Vorwand gab, diejenigen, die sich an seinen freyen Meynungen und witzigen Einfällen hätten ärgern mögen, zu überzeugen, d a ß e s i h m n i c h t E r n s t d a m i t s e y . Seine Zunge ist schlimmer als sein Gemüth, pflegten sie zu sagen; er will dafür
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angesehen seyn, als ob er zu viel Witz hätte, um zu denken wie andre Leute: aber im Grunde ists bloße Ziererey. Wenn er nicht im Herzen eines Bessern überzeugt wäre, würde er wohl seine freygeisterischen Meynungen durch seine Handlungen widerlegen? Man muß solche Leute nicht nach dem, was sie sprechen, beurtheilen, sondern nach dem, was sie thun. Bey allem dem ist nicht zu läugnen, daß Korax unter der Hand mit keinem geringern Anschlag umgieng, als, gleich einem neuen Herkules, Theseus oder Harmodius, s e i n Va t e r l a n d v o n d e n — F r ö s c h e n z u b e f r e y e n , von welchen es, wie er zu sagen pflegte, mit größerm Unheil bedroht würde, als alle die Ungeheuer, Räuber und Tyrannen, von denen j e n e H e r o e n das ihrige befreyten, jemals im ganzen Griechenlande angerichtet hätten.
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Drittes Kapitel. Ein unglücklicher Zufall nöthigt den Senat, von der unmäßigen Froschmenge in Abdera Notiz zu nehmen. Unvorsichtigkeit des Rathsherrn M e i d i a s . Die Majora beschließen, ein Gutachten der Akademie einzuholen. Der Nomophylax Hypsiboas protestirt gegen diesen Schluß, und eilt, den Oberpriester S t i l b o n dagegen in Bewegung zu setzen. Das Ungemach, das die Abderiten von der ungeheuren Vermehrung ihrer heiligen Frösche erduldeten, wurde inzwischen von Tag zu Tag drückender, 10
ohne daß der damalige Archon O n o k r a d i a s (ein Schwestersohn des berühmten Onolaus, und, die Wahrheit zu sagen, der lockerste Kopf, der jemals am Ruder von Abdera gewackelt hatte) vermocht werden konnte, die Sache vor den Senat zu bringen — bis bey einer großen Feyerlichkeit, wo der Rath und die ganze Bürgerschaft in Proceßion durch die Hauptstraßen ziehen mußte, das Unglück begegnete, „daß ein paar Dutzend Frösche, die sich zu weit aus ihren Gräben herausgewagt hatten, im Gedränge des Volks zertreten wurden, und, aller schleunig vorgekehrten Hülfe ungeachtet, jämmerlich ums Leben kamen.“ Dieser Vorfall schien so bedenklich, daß sich der Archon genöthiget fand,
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eine außerordentliche Rathsversammlung ansagen zu lassen, um sich zu berathen, was für eine Genugthuung die Stadt für dieses zwar unvorsetzliche, aber nichts desto weniger höchst unglückliche S a c r i l e g i u m der Latona zu leisten hätte, und durch was für Vorkehrungen einem ähnlichen Unglücke fürs künftige vorgebaut werden könnte? Nachdem eine gute Weile viel abderitische Plattheiten über die Sache vorgetragen worden waren, platzte endlich der Rathsherr M e i d i a s , ein Verwandter und Anhänger des Philosophen Korax, heraus: „Ich begreife nicht, warum die Herren um ein halb Schock Frösche mehr oder weniger ein solches Aufheben machen mögen. Jedermann ist überzeugt, daß die Sache ein bloßer
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Zufall war, den uns Latona unmöglich übel nehmen kann; und weil das Schicksal, das über Götter, Menschen und Frösche zu befehlen hat, doch nun einmal den Untergang einiger quakenden Geschöpfe bey dieser Gelegenheit verhän-
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gen wollte: möchten’s doch anstatt vier und zwanzig eben so viele Myriaden gewesen seyn!“ Es waren im ganzen Senat vielleicht nicht fünfe, die in ihrem Hause, oder in Privatgesellschaften, (wenigstens seit K o r a x die erste Entdeckung gemacht,) nicht tausendmal über die allzugroße Vermehrung der Frösche geklagt hätten. Gleichwohl da es in vollem Senat noch nie darüber zur Sprache gekommen war, stutzte jedermann über die Kühnheit des Rathsherrn Meidias, nicht anders, als ob er der Latona selbst an die Kehle gegriffen hätte. Einige alte Herren sahen so erschrocken aus, als ob sie erwarteten, daß ihr Herr College für diese verwegene Rede auf der Stelle zum Frosch werden würde.
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„Ich hege alle gebührende Achtung für den geheiligten Teich“ (fuhr M e i d i a s , der alles wohl bemerkte, ganz gelassen fort); „aber ich berufe mich auf die innere Überzeugung aller Menschen, deren Mutterwitz noch nicht ganz eingetrocknet ist, ob jemand unter uns ohne Unverschämtheit läugnen könne, daß die Menge der Frösche in Abdera ungeheuer ist?“ Die Rathsherren hatten sich indessen von ihrem ersten Schrecken wieder erholt; und wie sie sahen, daß Meidias noch immer in seiner eignen Gestalt da saß, und ungestraft hatte sagen dürfen, was sie im Grunde allesammt als Wahrheit fühlten: so fieng einer nach dem andern an zu bekennen; und nach einer kleinen Weile zeigte sichs, daß der ganze Senat einhellig der Meynung
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war: e s w ä r e z u w ü n s c h e n , d a ß d e r F r ö s c h e i n A b d e r a w e n i g e r seyn möchten. Man ist in seinem eignen Hause nicht mehr vor ihnen sicher, sagte einer. — Man kann nicht über die Straße gehen, ohne Gefahr zu laufen, einen oder ein paar zugleich mit jedem Tritte zu zerquetschen, sagte ein andrer. — Man hätte der Freyheit, Froschgräben anzulegen, gleich Anfangs Schranken setzen sollen, sagte ein dritter. — Wär ich damals im Senat gewesen, da die Stiftung der öffentlichen Froschteiche beschlossen wurde, ich würde meine Stimme nimmermehr dazu gegeben haben, sagte ein vierter. — Wer hätte aber auch gedacht, daß sich die Frösche in wenig Jahren so unmenschlich vermehren würden? sagte ein fünfter. — Ich sah es wohl vorher, sagte d e r P r ä s i d e n t d e r A k a d e m i e ; aber ich habe mir zum Gesetze gemacht, mit den Priestern der Latona in Frieden zu leben. Ich auch, sagte Meidias; aber unsre Umstände werden dadurch nichts gebessert.
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Was ist also bey so gestalten Sachen anzufangen, meine Herren? frug endlich in seinem gewöhnlichen nieselnden Tone d e r A r c h o n O n o k r a d i a s . Da sitzt eben der Knoten, antworteten die Rathsherren aus einem Munde! Wenn uns nur jemand sagen wollte, was anzufangen ist? Was anzufangen ist? rief M e i d i a s hastig, und hielt plötzlich wieder inne. Es erfolgte eine allgemeine Stille in der Rathsstube. Die weisen Männer ließen ihre Häupter auf die Brust fallen, und schienen, mit Anstrengung aller ihrer Gesichtsmuskeln nachzusinnen, w a s a n z u f a n g e n s e y ? Aber wofür haben wir denn eine Akademie der Wissenschaften in Abdera? 10
rief nach einer Weile d e r A r c h o n zu allgemeiner Verwunderung aller Anwesenden. Denn man hatte ihn seit seiner Erwählung zum Archontat noch nie seine Meynung in einer rhetorischen Figur vorbringen hören. Der Gedanke Seiner Hochweisheit ist unverbesserlich, versetzte der Rathsherr M e i d i a s ; man trage der Akademie auf, ihr Gutachten zu geben, durch was für Mittel — Das ists eben, was ich meyne, unterbrach ihn der Archon; wofür haben wir eine Akademie, wenn wir uns mit dergleichen subtilen Fragen die Köpfe zerbrechen sollen? Vortrefflich! riefen eine Menge dicker Rathsherren, indem sie sich alle zu-
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gleich mit der flachen Hand über ihre platten Stirnen fuhren — die Akademie! die Akademie soll ein Gutachten stellen! Ich bitte Sie, meine Herren, rief H y p s i b o a s , einer der Häupter der Republik; denn er war zur Zeit N o m o p h y l a x , e r s t e r F r o s c h p f l e g e r , und M i t g l i e d d e s e h r w ü r d i g e n C o l l e g i u m s d e r Z e h n m ä n n e r . Aller dieser Würden ungeachtet lebte schwerlich im ganzen Abdera ein Mann, der an Latonen und ihren Fröschen im Herzen weniger Antheil nahm als er. Aber weil ihm d e r J a s o n i d e O n o k r a d i a s bey der letzten Archonswahl vorgezogen worden war, so hatte er sichs zum Grundsatz gemacht, dem neuen Archon immer und in allem zuwider zu seyn. Er wurde daher von den J a s o -
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n i d e n und ihren Freunden nicht unbillig beschuldiget: daß er ein unruhiger Kopf sey, und mit nichts geringerm umgehe, als eine Parthey im Rathe zu formiren, welche sich allen Absichten und Schlüssen der Jasoniden (die freylich seit langer Zeit den Meister in der Stadt gespielt hatten) entgegen setzen sollte. — „Ich bitte Sie, meine Herren, übereilen Sie sich nicht,“ rief Hypsiboas; „die Sache gehört nicht vor die Akademie, sie gehört vor das Collegium
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der B a t r a c h o t r o p h e n . Es wäre wider alle gute Ordnung, und würde von den Priestern der Latona als die gröbste Beleidigung aufgenommen werden müssen, wenn man eine Frage von dieser Natur und Wichtigkeit der Akademie auftragen wollte!“ Es betrifft aber keine bloße F r o s c h s a c h e , Hochgeachteter Herr Nomophylax, sagte M e i d i a s mit seiner gewöhnlichen spöttelnden Gelassenheit; leider! ists, Dank sey es den schönen Anstalten, die man seit einigen Jahren getroffen hat, eine S t a a t s s a c h e — Und vielleicht die wichtigste, die jemals ein allgemeines Zusammentreten aller vaterländischgesinnten Gemüther nothwendig gemacht hat, fiel ihm
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S t e n t o r ins Wort; Stentor, einer der heißesten Köpfe in der Stadt, und der seiner polternden Stimme wegen viel im Senat vermochte. Die Jasoniden hatten ihn, wiewohl er nur ein P l e b e j e r war, durch die Vermählung mit einer natürlichen Tochter des verstorbenen Erzpriesters Agathyrsus, auf ihre Seite gebracht, und pflegten sich gewöhnlich seiner guten Stimme zu bedienen, wenn etwas gegen den Nomophylax H y p s i b o a s durchzusetzen war, der eine eben so starke, wiewohl nicht völlig so polternde Stimme hatte als S t e n t o r . Wohl bekam es diesmals den Ohren der abderitischen Rathsherren, daß sie durch das ewige Koax Koax ihrer Frösche ein wenig dickhäutig geworden waren; sie würden sonst in Gefahr gewesen seyn, bey dieser Gelegenheit völlig
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taub zu werden. Aber man war solcher Artigkeiten auf dem Rathhause zu Abdera schon gewohnt, und ließ also die beyden mächtigen Schreyer, gleich zween eifersüchtigen Bullen, einander so lange anbrüllen, bis sie — vor Heißerkeit nicht mehr schreyen konnten. Da es von diesem Augenblick an nicht mehr der Mühe werth war, ihnen zuzuhören, so fragte der Archon den Stadtschreiber: wieviel die Uhr sey? — und auf die Versicherung, daß die Mittagsessenszeit herannahe, wurde unverzüglich zur Umfrage geschritten. Hier beliebe man sich zu erinnern, daß es auf dem Rathhause zu Abdera bey Abfassung eines Schlusses niemals darum zu thun war, die Gründe, welche für oder wider eine Meynung vorgetragen worden waren, kaltblütig gegen einander abzuwägen, und sich auf die Seite desjenigen zu neigen, der d i e b e s t e n gegeben hatte: sondern man schlug sich entweder zu dem, der am längsten und lautsten geschrien hatte, oder zu dem, dessen Parthey man hielt. Nun pflegte zwar die Parthey des Archon in currenten Sachen fast immer die
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stärkere zu seyn; aber diesesmal, da es (mit dem Präsidenten der Akademie zu reden) eine so schlüpfrige Sache betraf, würde Onokradias schwerlich die Oberhand erhalten haben, wenn S t e n t o r seine Lungenflügel nicht so außerordentlich angegriffen hätte. Es wurde also mit 28 Stimmen gegen 22 beschlossen: daß der Akademie ein Gutachten abgefodert werden sollte, durch was für Mittel und Wege der übermäßigen Vermehrung der Frösche in und um Abdera (jedoch der schuldigen Ehrfurcht für Latonen und den Rechten ihres Tempels in alle Wege unbeschadet) Einhalt gethan werden könnte? Die Clausel hatte der Rathsherr Meidias ausdrücklich einrücken lassen, um 10
die Parthey des Nomophylax entweder zu gewinnen, oder ihr wenigstens keinen Vorwand zu lassen, dessen sie sich bedienen könnte, das Volk gegen die Majorität aufzuwiegeln. Aber der Nomophylax und sein Anhang versicherten, daß sie nicht so einfältig wären, sich durch Clauseln eine Nase drehen zu lassen. Sie protestirten gegen den Schluß ad Protocollum, ließen sich davon Extractum in forma probante ertheilen, und begaben sich unverzüglich in Proceßion zu dem Oberpriester S t i l b o n , um ihn von diesem unerhörten Eingriffe in die Rechte der Batrachotrophen und des Latonentempels Nachricht zu geben, und die Maaßnehmungen abzureden, welche zu Aufrechthaltung ihres Ansehens schleunigst ergriffen werden müßten.
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Viertes Kapitel. Charakter und Lebensart des Oberpriesters S t i l b o n . Verhandlung zwischen den Latonenpriestern und den Rathsherren von der Minorität. Stilbon sieht die Sache aus einem eignen Gesichtspunct an, und geht, dem Archon selbst Vorstellungen zu machen. Merkwürdige Unterredung zwischen den Zurückgebliebnen. Der Oberpriester S t i l b o n war bereits der dritte, der dem ehrwürdigen Strobylus (dessen Asche im Frieden ruhe!) in dieser Würde gefolgt war. In den Charakteren dieser beyden Männer war, den Eifer für die Sache ihres Ordens
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ausgenommen, sonst wenig ähnliches. S t i l b o n hatte von Jugend an die Einsamkeit geliebt, und sich in den unzugangbarsten Gegenden des Latonen-
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hains, oder in den abgelegensten Winkeln ihres Tempels mit Speculationen beschäftigt, die desto mehr Reiz für seinen Geist hatten, je weiter sie sich über die Gränzen der menschlichen Erkenntniß zu erheben schienen; oder, richtiger zu reden, je weniger sich der mindeste praktische Gebrauch zum Vortheil des menschlichen Lebens davon machen ließ. Gleich einer unermüdeten Spinne saß er im Mittelpunct seiner Gedanken- und Wortgewebe; ewig beschäftigt, den kleinen Vorrath von Ideen, den er in dem engen Bezirke des Latonentempels und bey einer so abgeschiedenen Lebensart hatte erwerben können, in so klare und dünne Fäden auszuspinnen, daß er alle die unzählbaren leeren Zellen seines Gehirns über und über damit austapeziren konnte.
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Außer diesen metaphysischen Speculationen hatte er sich am meisten mit den Alterthümern von Abdera, Thracien und Griechenland, und besonders mit der Geschichte aller festen Länder, Inseln und Halbinseln, die (nach uralten Traditionen) einst da gewesen, aber seit undenklichen Zeiten nicht mehr da waren, zu thun gemacht. Der ehrliche Mann wußte kein Wort davon, was zu seiner eignen Zeit in der Welt vorgieng, und noch weniger, was 50 Jahre v o r seiner Zeit darinn vorgegangen; sogar die Stadt Abdera, an deren einem Ende er lebte, war ihm wenig bekannter als Memphis oder Persepolis. Dafür aber war er desto einheimischer in dem alten Pelasgerlande, wußte genau, wie jedes Volk, jede Stadt und jeder kleine Flecken geheißen, ehe sie ihren gegen-
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wärtigen Namen führten; wußte, wer jeden in Ruinen liegenden Tempel gebauet hatte, und zählte die Succeßionen aller der Könige an den Fingern her, die v o r d e r Ü b e r s c h w e m m u n g D e u k a l i o n s unter den Thoren ihrer kleinen Städte saßen, und jedem Recht sprachen, der — sichs nicht selbst zu verschaffen im Stande war. Die berühmte Insel A t l a n t i s war ihm so bekannt, als ob er alle ihre herrlichen Paläste, Tempel, Marktplätze, Gymnasien, Amphitheater u. s. w. mit eignen Augen gesehen hätte; und er würde untröstbar gewesen seyn, wenn ihm jemand in seinem dicken Buche v o n d e n Wa n d e r u n g e n d e r I n s e l D e l o s , oder in irgend einem andern von den dicken Büchern, die er über eben so interessante Materien hatte ausgehen lassen, die kleinste Unrichtigkeit hätte zeigen können. Mit allen diesen Kenntnissen war Stilbon freylich ein sehr gelehrter, aber auch, ungeachtet derselben, ein sehr beschränkter, und in allen Sachen, die das praktische Leben betrafen, höchsteinfältiger Mann. Seine Begriffe von den menschlichen Dingen waren fast alle unbrauchbar, weil sie selten oder nie auf
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die Fälle paßten, wo er sie anwandte. Er urtheilte immer schief von dem, was gerade vor ihm stund, schloß immer richtig aus falschen Vordersätzen, wunderte sich immer über die natürlichsten Ereignisse, und erwartete immer einen glücklichen Erfolg von Mitteln, die seine Absichten nothwendig vereiteln mußten. Sein Kopf war und blieb, so lang er lebte, ein Sammelplatz aller populären Vorurtheile. Das blödeste alte Mütterchen in Abdera war nicht leichtgläubiger als er; und, so ungereimt es vielen unsrer Leser scheinen wird, so gewiß ist es, daß er vielleicht der einzige Mann in Abdera war, der in vollem Ernst an die Frösche der Latona glaubte. 10
Bey allem dem wurde der Oberpriester Stilbon durchgehends für einen wohlgesinnten und friedliebenden Mann gehalten — und in so ferne man ihm die n e g a t i v e n Tu g e n d e n , die eine nothwendige Folge seiner Lebensart, seines Standes und seiner Neigung zum speculativen Leben waren, für voll anrechnete: so konnte er allerdings für weiser und besser gelten, als irgend einer seiner Mitabderiten. Diese letztern hielten ihn für einen Mann ohne Leidenschaften, weil sie sahen, daß nichts von allem, was die Begierden andrer Leute zu reizen pflegt, Gewalt über ihn hatte. Aber sie dachten nicht daran, daß er auf alle diese Dinge keinen Werth legte: entweder, weil er sie nicht kannte; oder, weil er durch eine lange Gewohnheit, blos in Speculationen zu
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leben, sich Untüchtigkeit und Abneigung zu allem, was andre Gewohnheiten voraussetzt, zugezogen hatte. Indessen hatte der gute S t i l b o n , wiewohl ohne es selbst zu wissen, eine Leidenschaft, welche ganz allein hinreichend war, soviel Unheil in Abdera anzustiften, als alle übrigen, die er nicht hatte — und das war die Leidenschaft f ü r s e i n e M e y n u n g e n . Selbst aufs vollkommenste von ihrer Wahrheit überzeugt, konnte er nicht begreifen, wie ein Mensch, wenn er auch nichts als seine bloßen fünf Sinne und den allgemeinsten Menschenverstand hätte, über irgend etwas eine andre Vorstellungsart haben könne, als er. Wenn sich also dieser Fall zutrug, so wußte er sich die Möglichkeit desselben nicht anders zu
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erklären, als durch die Alternative: daß ein solcher Mensch entweder n i c h t b e y S i n n e n — oder daß er ein b o s h a f t e r , v o r s e t z l i c h e r u n d v e r s t o c k t e r F e i n d d e r Wa h r h e i t , und also ein ganz verabscheuenswürdiger Mensch seyn müsse. Durch diese Denkart war der Oberpriester Stilbon, mit aller seiner Gelehrsamkeit und mit allen seinen negativen Tugenden, ein gefährlicher Mann in Abdera; und würde es noch ungleich mehr gewesen seyn,
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wenn seine Indolenz und sein entschiedener Hang zur Einsamkeit nicht alles, was um ihn her geschah, so weit von ihm entfernt hätte, daß es ihm selten bedeutend genug vorkam, um die mindeste Kenntniß davon zu nehmen. Ich habe nie gehört, daß man Ursache haben könnte, sich über eine allzugroße Menge der Frösche zu beklagen, sagte Stilbon ganz gelassen, als d e r N o m o p h y l a x mit seinem Vortrag zu Ende war. Davon soll itzt die Rede nicht seyn, Herr Oberpriester, versetzte jener. Der Senat ist über diesen Punct so ziemlich einer Meynung, und, ich denke, die ganze Stadt dazu. Aber daß d e r A k a d e m i e aufgetragen worden, die Mittel und Wege, wodurch der übermäßigen Froschmenge am füglichsten
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abgeholfen werden könne, vorzuschlagen: das ists, was wir niemals zugeben können. Hat der Senat der Akademie einen solchen Auftrag gethan? fragte S t i l bon. „Sie hören ja, rief H y p s i b o a s etwas ungeduldig; das ists ja eben, was ich Ihnen sagte, und warum wir da sind.“ So hat der Senat einen Schritt gethan, wobey ihn seine gewöhnliche Weisheit gänzlich verlassen hat, erwiederte der Priester eben so kaltblütig wie zuvor. Haben Sie den Rathschluß bey sich? „Hier ist eine Abschrift davon!“
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Hm, hm, sagte Stilbon und schüttelte den Kopf, nachdem er ihn sehr bedächtlich ein- oder zweymal überlesen hatte; hier sind ja beynahe so viel Absurditäten als Worte! P r i m o : muß erst erwiesen werden, daß z u v i e l Frösche in Abdera sind; oder vielmehr, dies kann in Ewigkeit nicht erwiesen werden. Denn, um bestimmen zu können, was z u v i e l ist, muß man erst wissen, was g e n u g ist; und dies ist gerade, was wir unmöglich wissen können, es wäre denn, daß der delphische Apollo, oder seine Mutter Latona selbst, uns durch ein Orakel darüber verständigen wollte. Die Sache ist s o n n e n k l a r . Denn da die Frösche unmittelbar unter dem Schutz und Einfluß der Göttinn stehen: so ist es ungereimt zu sagen, daß ihrer jemals mehr seyen, als der Göttinn beliebt; und also b r a u c h t die Sache nicht nur gar keiner Untersuchung, sondern s i e l ä ß t a u c h keine Untersuchung z u . S e c u n d o : gesetzt, daß der Frösche wirklich zu viel wären, so ist es doch ungereimt, von Mitteln und Wegen zu reden, wodurch ihre Anzahl vermindert werden könnte. Denn es giebt keine solche Mittel und Wege, wenigstens keine, die in unsrer Willkühr
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stehen, welches eben so viel ist, als ob es gar keine gebe. Te r t i o : ist es ungereimt, der A k a d e m i e einen solchen Auftrag zu machen. Denn die Akademie hat nicht nur kein Recht, über Gegenstände von dieser Wichtigkeit zu erkennen, sondern sie besteht auch, wie ich höre, größtentheils aus Witzlingen und seichten Köpfen, die von solchen Dingen gar nichts verstehen; und zum klaren Beweis, daß sie nichts davon verstehen, sollen sie, wie ich höre, sogar a l b e r n genug seyn, darüber zu scherzen und zu spotten. Ich traue diesen armen Leuten zu, daß es a u s U n v e r s t a n d geschieht. Denn, hätten sie mein Buch v o n d e n A l t e r t h ü m e r n d e s L a t o n e n t e m p e l s mit Bedacht gelesen: so müß10
ten sie entweder aller Sinne beraubt, oder offenbare Bösewichter seyn, wenn sie der Wahrheit, die ich darinn s o n n e n k l a r dargelegt habe, widerstehen könnten. Das S e n a t u s c o n s u l t u m ist also, wie gesagt, durchaus ungereimt, und kann folglich von keinem Effect seyn, indem ein absurder Satz eben so viel ist, als gar kein Satz. Sagen Sie dies unsern gnädigen Herren in der nächsten Seßion, hochgeachteter Herr Nomophylax! Deyterai frontidew sofoterai. Unsre gnädigen Herren werden sich unfehlbar eines Bessern besinnen; und solchenfalls werden wir am besten thun, die Sache a u f s i c h b e r u h e n z u lassen. „Herr Oberpriester, antwortete ihm H y p s i b o a s , Sie sind ein grundge-
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lehrter Mann, das wissen wir alle. Aber, nehmen Sie mir nicht übel, auf Welthändel und Staatssachen verstehen Sich Ew. Ehrwürden nicht. Die Majora im Senat haben einen Schluß gefaßt, der den Gerechtsamen der B a t r a c h o t r o p h e n präjudicirlich ist. Indessen nach der Regel ,Majora concludunt‘ bleibts bey diesem Rathsschlusse, und der Archon wird ihn zur Execution gebracht haben, eh ich in der nächsten Seßion Ihre logikalischen Einwendungen vortragen könnte, wenn ich mich auch damit beladen wollte.“ Es kommt aber ja in solchen speculativen Dingen nicht auf die Majora, sondern auf die Saniora an, sagte S t i l b o n . „Vortrefflich, Herr Oberpriester, versetzte der N o m o p h y l a x . Das ist ein
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Wort! Die Saniora! die Saniora h a b e n ohnstreitig Recht. Die Frage ist also itzt nur, wie wir es anzugreifen haben, daß sie auch Recht b e h a l t e n . Wir müssen auf ein schleuniges Mittel denken, die Vollstreckung des Rathsschlusses zu suspendiren.“ Ich will Sr. Gnaden, dem Archon, augenblicklich mein Buch von den Alterthümern des Latonentempels schicken. Er muß es noch nicht gelesen haben.
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Denn in dem Kapitel v o n d e n F r ö s c h e n ist alles, was über diesen Gegenstand zu sagen ist, ins Klare gesetzt. Der Archon hat in seinem Leben kein Buch gelesen, Herr Oberpriester, (sagte einer von den Rathsherren lachend,) als das abderitische Intelligenzblatt; dies Mittel wird nicht anschlagen, dafür bin ich Ihnen gut! Desto schlimmer, erwiederte S t i l b o n . In was für Zeiten leben wir, wenn das wahr ist? Wenn das Oberhaupt des Staats ein solches Beyspiel giebt — Doch, ich kann unmöglich glauben, daß es schon so weit mit Abdera gekommen sey. „Sie sind auch gar zu unschuldig, Herr Oberpriester, sagte der Nomophy-
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lax. Aber lassen wir das auf sich beruhen! Es stünde noch gut genug, wenn das der größte Fehler des Archons wäre.“ „Ich sehe nur ein Mittel in der Sache, sprach itzt einer von den Priestern, Namens P a m p h a g u s ; das hochpreisliche Collegium der Zehnmänner ist ü b e r den Senat — folglich —“ Um Vergebung, fiel ihm e i n R a t h s h e r r ins Wort, nicht ü b e r den Senat, sondern nur — „Sie haben mich nicht ausreden lassen, sagte der Priester etwas hitzig. Die Zehnmänner sind nicht ü b e r den Senat, in Justiz- Staats- und Policeysachen. Aber da alle Sachen, wobey der Latonentempel betroffen ist, vor die Zehn-
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männer gehören, und von ihrer Entscheidung nicht weiter appellirt werden kann: so ist klar, daß —“ Die Zehnmänner n i c h t ü b e r den Senat sind; fiel jener ein; denn der Senat behängt sich mit Latonensachen gar nicht, und kann also nie mit den Zehnmännern in Collision kommen. „Desto besser für den Senat, sagte der Priester. Aber, wenn sich denn ja einmal der Senat beygehen ließe, über einen Gegenstand, der dem Dienst der Latona wenigstens sehr nahe verwandt ist, erkennen zu wollen, wie dermalen wirklich der Fall ist: so sehe ich kein ander Mittel, als die Zehnmänner zusammenberufen zu lassen.“ Das kann nur der Archon, wandte Hypsiboas ein, und natürlicherweise wird er sich dessen weigern. „Er kann sich nicht weigern, wenn er von dem Collegio der Priester darum angegangen wird,“ sagte P a m p h a g u s . Herr College, ich bin nicht Ihrer Meynung, fiel der Oberpriester ein. Es
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wäre wider die Würde der Zehnmänner, und sogar wider die Ordnung, wenn wir in vorliegendem Falle auf ihre Zusammenberufung dringen wollten. Die Zehnmänner können und müssen sich versammeln, wenn die Religion wirklich verletzt worden ist. Wo ist aber hier die Verletzung? Der Senat hat einen absurden Schluß gefaßt, das ist alles. Es ist schlimm, aber nicht schlimm g e n u g ; Sie müßten denn erweisen können, daß die Zehnmänner darum da seyen, den Senat zu syndiciren, wenn er ungereimte Schlüsse macht. Der Priester P a m p h a g u s biß die Lippen zusammen, drehte sich nach dem Sitze des Nomophylax, und murmelte ihm etwas ins linke Ohr. 10
S t i l b o n , ohne darauf Acht zu geben, fuhr fort: ich will stehenden Fußes selbst zum Archon gehen. Ich will ihm mein Buch von den Alterthümern des Latonentempels bringen. Er soll das Kapitel von den Fröschen lesen! Es ist unmöglich, daß er nicht sogleich von der Ungereimtheit des Rathsschlusses überzeugt werde. „So gehen Sie dann und versuchen Sie Ihr Heil,“ sagte der Nomophylax. Der Oberpriester gieng unverzüglich. Was das für ein Kopf ist! sagte der Priester P a m p h a g u s , wie er weggegangen war. Er ist ein sehr gelehrter Mann, versetzte der Rathsherr B u c e p h a l u s ;
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aber — — Ein gelehrter Mann? (sagte jener.) Was nennen Sie gelehrt? Gelehrt in lauter Dingen, die kein Mensch zu wissen verlangt — — Davon können Ew. Ehrwürden besser urtheilen als unser einer, erwiederte der Rathsherr; ich verstehe nichts davon: aber es ist mir doch immer unbegreiflich vorgekommen, daß ein so gelehrter Mann in Geschäftssachen so einfältig seyn kann wie ein kleines Kind. Es ist unglücklich für den Latonentempel, sagte ein andrer Priester — — Und für den ganzen Staat, setzte ein dritter hinzu. Das weiß ich eben nicht, sprach der N o m o p h y l a x mit einem spitzfün-
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digen Naserümpfen; wir wollen aber bey der Sache bleiben. Die Herren scheinen mir sämmtlich der Meynung zu seyn, daß die Zehnmänner zusammenberufen werden müßten — — Um so mehr, sagte einer der Rathsherren — weil wir gewiß sind, die M a j o r a gegen den Archon zu machen. Wenn wir uns nicht besser helfen können, fuhr der Nomophylax fort, so bin
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ichs zufrieden. Aber sollten wir in einer Sache, wobey Latona und ihre Priesterschaft auf unsrer Seite sind, uns nicht noch besser helfen können? Machen wir nicht beynahe die Hälfte des Raths aus? Wir sind blos mit sechs Stimmen majorisirt worden; und wenn wir fest zusammenhalten — — Das wollen wir, schrien die Rathsherren aus voller Kehle. „Ich habe einen Gedanken, meine Herren; aber ich muß ihn reifer werden lassen. Erkiesen Sie zwey oder drey aus Ihrem Mittel, mit denen ich mich diesen Abend auf meinem Gartenhause näher von der Sache besprechen könne. Es wird sich inzwischen zeigen, wie weit es der Oberpriester mit dem Archon Onokradias gebracht haben wird.“
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Ich wette meinen Kopf gegen eine Melone, sagte der Priester C h a r o x , er wird aus arg ärger machen. Desto besser, sagte der Nomophylax.
Fünftes Kapitel. Was zwischen dem Oberpriester und dem Archon vorgefallen — eines der lehrreichsten Kapitel in dieser ganzen Geschichte. Während daß dies in dem Vorsaal des Oberpriesters verhandelt wurde, hatte sich dieser in eigner Person zum Archon erhoben, und über eine Sache, w o r a n d e m A r c h o n v i e l g e l e g e n s e y , Audienz verlangt. O, das wird ganz gewiß die Frösche betreffen, sagte der Rathsherr M e i -
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d i a s , der eben allein bey dem Archon war, und ihm berichtet hatte, daß man den Nomophylax mit seinem ganzen Anhang nach dem Latonentempel gehen gesehen habe. Daß doch der Henker — verzeih mirs Latona! alle Frösche hätte, rief O n o k r a d i a s ungeduldig; da wird mir der sauertöpfische Pfaffe die Ohren so voll Wa r u m s und D a r u m s schwatzen, daß ich am Ende nicht wissen werde, wo mir der Kopf steht! Helfen Sie mir, ich bitte Sie, von dem gespenstmäßigen alten Kerl! M e i d i a s lachte über die Verlegenheit des Archons. Hören Sie ihn immer an, sagte er; aber halten Sie fest ü b e r I h r e m A n s e h e n , und an dem G r u n d s a t z e , d a ß N o t h k e i n G e s e t z h a t . Wir können uns doch wahrlich
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nicht von Fröschen auffressen lassen; und wenn’s so fortgehen sollte wie bisher, so möchte uns Latona eben sowohl allzumal in Frösche verwandeln. Es wäre immer noch das Glücklichste, was uns widerfahren könnte, wenn uns nicht bald auf andre Weise geholfen wird. Allenfalls kann’s auch nicht schaden, wenn Ew. Gnaden dem Priester zu verstehen geben, daß J a s o n auch einen Tempel zu Abdera hat, und daß Götter nur in so fern Götter sind als sie Gutes thun. Schön, schön, sagte der Archon. Wenn ich nur alles so behalten könnte, wie Sie mir’s da gesagt haben! Aber ich will mich schon zusammennehmen. Laßt 10
den Priester nur anrücken! — Gehn Sie indessen in mein Cabinet, Meidias. Sie werden eine feine Anzahl k l e i n e r S t ü c k e v o m P a r r h a s i u s darinn finden, die man nicht überall sieht — Aber sagen Sie meiner Frau nichts davon! Sie verstehen mich doch? Meidias schlich sich in das Cabinet; der Archon stellte sich in Positur, und Stilbon wurde vorgelassen. „Gnädiger Herr Archon, sagte er, ich komme Ew. Gnaden einen guten Rath zu geben, weil ich eine große Meynung von Dero Weisheit hege, und gerne Unheil verhüten möchte.“ Ich danke Ihnen für beydes, Herr Oberpriester ! Ein guter
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R a t h f i n d e t , w i e S i e w i s s e n , e i n e g u t e S t a t t . Wa s h a b e n S i e a n z u bringen ? „Der Senat, fuhr Stilbon fort, hat sich, wie ich höre, in Sachen, die Frösche der Latona betreffend, eines übereilten Schlusses schuldig gemacht“ — Herr Oberpriester! — — „Ich sage nicht, daß sie es aus bösem Willen gethan. Die Menschen sündigen blos, weil sie unwissend sind. Hier bringe ich Ew. Gnaden ein Buch, woraus Sie sich belehren können, was es mit unsern Fröschen für eine Bewandtniß hat. Es hat mir viele Mühe und Nachtwachen gekostet. Sie können daraus lernen, daß die Akademie, die von gestern her ist, kein Recht haben kann, über Frösche zu
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erkennen, die so alt sind, als die Gottheit der Latona. Die Frösche zu Abdera sind, wie wir alle wissen sollten, ganz ein ander Ding als die Frösche anderer Orte in der Welt. Sie gehören der Latona an. Sie sind niemals aussterbende Zeugen und lebendige Documente ihrer Gottheit. Es ist Unsinn, zu sagen, daß ihrer z u v i e l seyn könnten, und ein Sacrilegium, von Mitteln zu reden, wodurch ihre Anzahl vermindert werden soll.“
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Ein Sacrilegium, Herr Oberpriester ? „Ich verdiente nicht Oberpriester zu seyn, wenn ich zu solchen Dingen schweigen wollte. Denn wenn wir einmal zugelassen hätten, daß die Anzahl der Latonenfrösche vermindert werden dürfe: so möchten unsre noch schlimmern Nachkommen wohl gar so weit verfallen, sie gänzlich ausrotten zu wollen. Wie gesagt, in diesem Buche werden Ew. Gnaden alles finden, was von der Sache zu glauben ist. Sorgen Sie dafür, daß Abschriften davon gemacht, und jedes Haus mit einem Exemplar versehen werde. Ist dies geschehen, dann wird das Sicherste seyn, gar nicht mehr über die Sache zu raisonniren. Die Akademie mag sonst Gutachten stellen worüber sie immer will. Die ganze
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Natur liegt vor ihr offen. Sie kann reden vom Elephanten bis zur Blattlaus, vom Adler bis zur Wassermotte, vom Wallfisch bis zur Schmerle, und von der Zeder bis zum Lykopodion: aber von d e n F r ö s c h e n soll sie schweigen!“ Herr Oberpriester, sagte der Archon, die Götter sollen mich bewahren, daß ich mir jemals einfallen lasse zu untersuchen, was es mit ihren Fröschen für eine Bewandtniß hat. Ich bin Archon, um alles in Abdera zu lassen wie ich es gefunden habe. Indessen liegt am Tage, daß wir uns vor lauter Fröschen nicht mehr rühren können; und diesem Unwesen muß gesteuert werden. Denn schlimmer darfs nicht mit uns werden, das sehen Sie selbst. Unsre Vorältern begnügten sich, den geheiligten Teich zu unterhalten, und wer seinen eignen
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Froschgraben haben wollte, dem stund’s frey. Dabey hätte man’s lassen sollen. Da es aber nun einmal so weit mit uns gekommen ist, daß wir nächstens in Gefahr sind, lebendig oder todt von Fröschen gegessen zu werden: so werden uns Ew. Ehrwürden doch wohl nicht zumuthen wollen, daß wirs darauf ankommen lassen sollen? Denn wenn einer von Fröschen gegessen würde, so möcht’s ihm wohl ein schlechter Trost seyn, zu denken, daß es keine gemeine Frösche seyen. Kurz und gut, Herr Oberpriester! die Akademie soll ihr Gutachten stellen, weil ihr’s vom Senat aufgetragen worden ist, und — mit aller Achtung, die ich Ew. Ehrwürden schuldig bin, ich werde Ihr Buch nicht lesen; und es soll mir ein für allemal ausgemacht werden, ob die Frösche um der Abderiten willen, oder die Abderiten um der Frösche willen da sind. Denn sobald die Republik durch die Frösche in Gefahr gesetzt wird, sehen Sie, so wird eine Staatssache daraus, und da haben die Priester der Latona nichts drein zu reden, wie Sie wissen. Denn Noth hat kein Gesetz, und — mit einem Wort, Herr Oberpriester, wir wollen uns nicht von Ihren Fröschen essen las-
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sen. Sollten Sie aber wider Verhoffen darauf bestehen: so thäte mirs leid, wenn ich Ihnen sagen müßte, daß der Latonentempel nicht der einzige in Abdera ist, und das goldne Vlies, dessen Verwahrung die Götter meiner Familie anvertraut haben, könnte vielleicht eine bisher noch unerkannte Tugend äußern, und Abdera auf einmal von — aller Noth befreyen. Mehr will ich nicht sagen. Aber merken Sie sich das, Herr Oberpriester! Der Krug geht so lange zum Wasser, bis er bricht. Der gute Oberpriester wußte nicht, ob er wache oder träume, da er den Archon, den er immer für einen wohldenkenden und exemplarischen Regen10
ten gehalten hatte, eine solche Sprache führen hörte. Er stund eine Weile da, ohne ein Wort hervorbringen zu können; nicht weil er n i c h t s zu sagen wußte, sondern weil er s o v i e l zu sagen hatte, daß er nicht wußte, wo er anfangen sollte. Das hätte ich nimmermehr für möglich gehalten, fieng er endlich an, daß ich die Zeit erleben sollte, wo der Oberpriester der Latona aus dem Munde eines Archons hören müßte, was ich gehört habe! Dem Archon fieng bey diesen Worten an unheimlich zu werden. Denn, weil er selbst nicht mehr so eigentlich wußte, was er dem Oberpriester gesagt hatte, so wurde ihm bange, daß er mehr gesagt haben möchte, als sich geziemte. Er sah mit einiger Verlegenheit nach der Kabinetthüre, als ob er seinen ge-
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heimen Rath Meidias gerne zu Hülfe gerufen hätte. Da er sich aber diesmal allein helfen mußte, so zupfte er sich wechselsweise bald an der Nase, bald am Bart, hustete, räusperte sich, und erwiederte endlich dem Oberpriester mit aller Würde, die er sich in der Eile geben konnte: Ich weiß nicht wie ich das nehmen soll, was Sie mir da sagten. Aber das weiß ich, wenn Sie was gehört zu haben glauben, das Sie nicht hätten hören sollen, so müssen Sie mich ganz unrecht verstanden haben. Sie sind ein sehr gelehrter Mann, und ich trage alle mögliche Achtung für Ihre Person und Ihr Amt — Sie wollen also mein Buch lesen? fragte Stilbon. „Das eben nicht — aber — wenn Sie darauf bestehen — wenn Sie glauben,
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daß es schlechterdings —“ Man soll das Gute niemand aufdringen, sagte der Priester mit einer Empfindlichkeit, über die er nicht Meister war. Ich will es Ihnen da lassen. Lesen Sie es oder nicht! Desto schlimmer für Sie, wenn Ihnen gleichgültig ist, ob Sie richtig oder unrichtig denken — Herr Oberpriester, fiel ihm der Archon, der endlich auch warm zu werden
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anfieng, ins Wort, Sie sind ein empfindlicher Mann, wie ich sehe. Ich verdenk’ es Ihnen zwar nicht, daß Ihnen die Frösche am Herzen liegen, denn dafür sind Sie Oberpriester. Sie sollten aber auch bedenken, daß ich Archon über Abdera und nicht über einen Froschteich bin. Bleiben Sie in Ihrem Tempel, und regieren Sie dort wie Sie wollen und können; auf dem Rathhause lassen Sie uns regieren. Die Akademie soll ihr Gutachten über die Frösche stellen, dafür geb’ ich Ihnen mein Wort — und es soll Ihnen communicirt werden, eh der Senat einen Schluß darüber faßt, darauf können Sie sich auch verlassen! Der Oberpriester verschlang seinen Unwillen über den ganz unerwarteten
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schlechten Erfolg seines Besuchs so gut er konnte, machte seinen Bückling, und zog sich zurück, mit der Versicherung, daß er vollkommen überzeugt sey, daß der Senat nichts in Sachen weiter verfügen werde, ohne mit den Priestern des Latonentempels vorher einverstanden zu seyn. Der Archon versicherte ihm dagegen zurück, daß ihm die Rechte des Latonentempels so heilig seyen, als die Rechte des Senats und das Beste der Stadt Abdera; und somit schieden sie, nach Gestalt der Sachen, noch ziemlich höflich von einander. Der — hat mir warm gemacht, sagte der Archon zum Rathsherrn Meidias, indem er sich mit seinem Schnupftuch die Stirne wischte. Sie haben sich aber auch tapfer gehalten, versetzte der Rathsherr. Das
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Pfäffchen wird Gift und Galle kochen; aber seine Blitze sind nur von Bärenlappen. Man braucht nur sich auf seine Distinctionen und Syllogismen nicht einzulassen, so ist er geschlagen, und weiß weder wo aus noch wo ein. Ja, wenn der Nomophylax nicht hinter ihm stäcke, erwiederte der Archon. Ich wollte, daß ich mich nicht so weit herausgelassen hätte. Aber was das auch für eine Zumuthung ist, das dicke Buch zu lesen, woran sich der hohläugige alte Kerl blind geschrieben hat! Wer hätte nicht ungeduldig werden sollen? Sorgen Sie für nichts, Herr Archon! Wir haben die Akademie für uns, und in wenig Tagen sollen auch die Lacher in ganz Abdera auf unsrer Seite seyn. Ich will Liedchen und Gassenhauer unter das Volk streuen. Der Balladenmacher L e l e x soll mir die Geschichte der lycischen Froschbauern in eine Ballade bringen, über die sich die Leute krank lachen sollen. Man muß die Herren mit ihren Fröschen lächerlich machen. Auf eine feine Art, versteht sich; aber Schlag auf Schlag, Gassenhauer auf Gassenhauer! Sie sollen sehen, wie das Mittel anschlagen wird!
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Ich will es herzlich wünschen, sagte der Archon; denn Sie können sich kaum vorstellen, wie mir die verwetterten Frösche diesen Sommer über meinen Garten zugerichtet haben! Ich kann den Jammer gar nicht mehr ansehen — Es fehlt uns nichts, als daß nächstens ein trocknes Jahr käme, und uns noch eine Armee von Feldmäusen und Maulwürfen über den Hals schickte! Fürs erste wollen wir uns die Frösche vom Leibe schaffen, versetzte Meidias: für die Mäuse, die noch kommen sollen, wirds dann auch Mittel geben! Aber was, zum Henker, soll ich mit dem dicken Buche machen, das mir der Oberpriester zurückgelassen hat? sagte der Archon — Sie werden mir doch 10
nicht zumuthen wollen, daß ichs lesen soll? Da sey Jason und Medea für, Herr Archon, versetzte Meidias. Geben Sie m i r’ s . Ich will’s meinem Vetter K o r a x bringen, dem ohne Zweifel die Ausfertigung des Gutachtens von der Akademie aufgetragen werden wird. Er wird guten Gebrauch davon machen, dafür bin ich Ihnen Bürge. Es mag schönes Zeug drinn stehen — sagte der Archon. Wenn’s sonst zu nichts zu gebrauchen ist, erwiederte der Rathsherr, so machen wir’s zu Pulver, und geben’s den Ratten ein, die, nach Ew. Gnaden Weissagung, noch kommen sollen. Es muß ein herrliches Rattenpulver geben!
Sechstes Kapitel. 20
Was der Oberpriester Stilbon that, als er wieder nach Hause gekommen war. Das erste was der Oberpriester Stilbon that, als er wieder in seiner Zelle angelangt war, war, daß er sich hinsetzte, und sein Werk v o n d e n A l t e r t h ü m e r n d e s L a t o n e n t e m p e l s vor die Hand nahm, in der Absicht, das Kapitel von den Fröschen, welches das größte Kapitel in dem ganzen Buche war, wieder zu durchlesen; und zwar (wie er sich wenigstens schmeichelte) mit aller Unpartheylichkeit eines Richters, der kein ander Interesse bey der Sache hat, als die Entdeckung der Wahrheit. Denn so überzeugt er auch von den Resultaten seiner Untersuchungen war, so hielt er doch für billig und nöthig,
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eh er sich weiter einließe, sein ganzes System und die Beweise desselben noch einmal Punct vor Punct zu prüfen; um es, wenn er’s auch bey dieser neuen und
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scharfen Untersuchung wahr befände, desto zuversichtlicher gegen alle Anfechtungen des Witzes und der Modephilosophie seiner Zeit behaupten zu können. Armer Stilbon! wenn du (wie ich lieber glauben als nicht glauben will) aufrichtig warst, was für ein betrügliches Ding ist es um eines Menschen Ve r n u n f t ! und was für eine glatte verführerische Schlange ist die große Erzzauberinn E i g e n l i e b e ! Stilbon durchlas sein Kapitel von den Fröschen mit aller Unpartheylichkeit, deren er fähig war; prüfte jeden Satz, jeden Beweis, jeden Syllogismus mit der Kaltblütigkeit eines A r c e s i l a s , und — fand: „ d a ß m a n e n t w e d e r d e m
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allgemeinen Menschensinn entsagen, oder von seinem System überzeugt werden müsse.“ Das kann nicht möglich seyn, sagt ihr? — Um Verzeihung, das kann sehr möglich seyn; denn es ist geschehen, und geschieht noch immer alle Tage. Nichts ist natürlicher. Der gute Mann liebte sein System wie sein eigen Fleisch und Blut. Er hatte es aus sich selbst gezeugt. Es war ihm statt Weib und Kind, statt aller Güter, Ehren und Freuden der Welt, auf die er bey seinem Eintritt in den Latonentempel Verzicht gethan hatte; es war ihm über Alles. Als er sich hinsetzte, es von neuem zu prüfen, war er bereits so vollkommen von der Wahrheit und Schönheit desselben überzeugt, als von seinem eignen Daseyn.
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Es ergieng ihm also natürlicherweise eben so, als wenn er sich hingesetzt hätte, um mit aller Kaltblütigkeit von der Welt zu untersuchen, ob der Schnee auf dem Gipfel des Hämus weiß oder schwarz sey? „Daß die milischen Bauren, die der durstenden Latona aus ihrem Teiche zu trinken verwehrten, in Frösche verwandelt worden,“ (sagte Stilbon in seinem Buche,) „das i s t T h a t s a c h e — “ „Daß eine Anzahl dieser Frösche, auf die Art und Weise, wie die Tradition berichtet, nach Abdera in den Teich des Latonenhains versetzt worden, i s t Thatsache.“ „Beyde Facta gründen sich auf das, worauf sich alle historische Wahrheit gründet, auf menschlichen Glauben an menschliches Zeugniß; und so lange Abdera steht, hat sich kein vernünftiger Mensch einfallen lassen, dem allgemeinen Glauben der Abderiten an diese Facta zu widersprechen. Denn wer sie läugnen wollte, müßte ihre Unmöglichkeit beweisen können; und wo ist der Mensch auf Erden, der dies könnte?“
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„Aber, ob die Frösche, die sich zu unsern heutigen Zeiten in dem geheiligten Teiche befinden, eben diejenigen seyen, die von Latonen, oder (was auf Eines hinausläuft) von Jupitern auf Latonens Bitte, in Frösche verwandelt worden: darüber sind bisher verschiedene Meynungen gewesen.“ „Unsre Gelehrten haben größtentheils davor gehalten, daß die Unterhaltung des geheiligten Teichs als bloßes Institut unsrer Vorältern, und die darinn aufbewahrten Frösche, als bloße Erinnerungszeichen der Macht unsrer Schutzgöttinn, mit gebührender Ehre anzusehen seyen.“ „Das gemeine Volk hingegen hat von diesen Fröschen immer eben so ge10
sprochen und geglaubt, als ob sie die nämlichen wären, an denen das bekannte Wunder geschehen sey.“ „Und Ich — Stilbon, von Jupiters und Latonens Gnaden, zur Zeit Oberpriester von Abdera, habe nach reiflicher Erwägung der Sache befunden, daß dieser Glaube des Volks sich auf unumstößliche Gründe stützt; und hier ist mein Beweis! —“ Der geneigte Leser würde sich wahrscheinlicherweise schlecht erbaut finden, wenn wir ihm diesen Beweis, so weitläuftig als er in besagtem Buch des Oberpriesters Stilbon vorgetragen ist, zu lesen geben wollten; zumal da wir alle von dem Ungrund desselben z u m v o r a u s wenigstens eben so vollkom-
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men überzeugt sind, als es der gute Stilbon von dessen Gründlichkeit war. Wir begnügen uns also nur mit zwey Worten zu sagen: daß sich sein ganzes System über die mehrbesagten Frösche um eine heutigs Tages sehr gemeine, damals aber (in Abdera wenigstens) ganz neue, und (nach Stilbons ausdrücklicher Versicherung) von ihm selbst erfundene Hypothese drehte; nämlich um die Lehre: „daß alle Zeugung nichts anders als Entwicklung ursprünglicher Keime sey. —“ Stilbon fand diese Entdeckung, als er sie zuerst machte, so schön, und wußte sie mit so vielen dialektischen und moralischen Gründen (denn die Physik war seine Sache nicht) zu unterstützen, daß sie ihm mit jedem Tage wahrscheinlicher vorkam.
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Endlich glaubte er sie auf den h ö c h s t e n G r a d d e r Wa h r s c h e i n l i c h k e i t gebracht zu haben. Da nun von dieser zur Gewißheit nur noch ein leichter Sprung zu thun ist: was Wunder, daß ihm eine so sinnreiche, so subtile, so wahrscheinliche Hypothese — eine Hypothese, die er selbst erfunden, mit so vieler Mühe ausgearbeitet, mit allen seinen übrigen Ideen in Verbindung gesetzt, und zur Grundlage eines neuen durchaus raisonnirten Systems über die
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Latonenfrösche gemacht hatte, — zuletzt eben so gewiß, anschaulich und unzweifelhaft vorkam, als irgend ein Lehrsatz im Euklides? „Als die milischen Bauren verwandelt wurden, (sagte Stilbon,) führten sie die Keime aller Bauren und Nichtbauren, die von damals an bis auf diesen Tag, und von diesem Tage bis ans Ende der Tage nach dem ordentlichen Lauf der Natur von ihnen entspringen konnten und sollten, in eben soviel ineinandergeschobenen Keimen bey sich; und in dem Augenblick, da besagte milische Bauren zu Fröschen wurden, wurden auch die sämmtlichen Menschenkeime, die jeder bey sich führte, in Froschkeime verwandelt. Denn (sagt er) entweder wurden diese Keime v e r n i c h t e t , oder sie wurden r a n i f i c i r t , oder sie
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wurden g e l a s s e n w i e s i e w a r e n . D a s e r s t e ist unmöglich, weil aus Etwas eben so wenig Nichts, als aus Nichts Etwas werden kann. D a s d r i t t e läßt sich auch nicht denken; denn wären die besagten Keime M e n s c h e n k e i m e geblieben, so müßten die milischen Anurvpobatraxoi oder M e n s c h e n f r ö s c h e w i r k l i c h e M e n s c h e n gezeugt haben, welches wider die historische Wahrheit, und an sich selbst in alle Wege ungereimt ist. Es bleibt also nur d a s z w e y t e übrig, nämlich: sie sind r a n i f i c i r t , d . i . i n F r o s c h k e i m e verwandelt worden; und man kann also mit vollkommner Richtigkeit sagen: daß die Frösche, die sich auf diesen Tag in dem geheiligten Teiche befinden, und alle übrigen, deren Abstammung von denselben erweislich ist, folglich die
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sämmtlichen Frösche in Abdera, eben diejenigen sind, welche von Latonen in Frösche verwandelt worden; nämlich in so fern sie damals in den froschwerdenden Bauern i m K e i m vorhanden waren, und zugleich uno eodemque actu mit ihnen verwandelt wurden.“ Dies nun ein für allemal als erwiesene Wahrheit angenommen, schien dem ehrlichen Stilbon nichts sonnenklarer (wie er zu sagen pflegte) als die Folgerungen, die gleichsam von selbst daraus abflossen. „So wie, zum Beyspiel, eine vom Stral getroffne Eiche, als eine R e s s a c r a , als dem Donnerer Zevs angehörig und geheiligt, mit schaudernder Ehrfurcht angesehen wird: eben so müssen, sagte er, die von Latonen oder Jupitern verwandelten Menschenfrösche, nebst allen ihren im Keim mitverwandelten Abkömmlingen bis ins tausendste und zehntausendste Glied, als eine Art wundervoller der Latona angehöriger M i t t e l w e s e n angesehen, und also auch als solche behandelt und geehret werden. Sie sind zwar, dem Äußerlichen nach, Frösche wie andre; aber sie sind gleichwohl auch k e i n e Frösche wie andre. Denn, da sie von
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Geburt und Natur Menschen gewesen waren, und alles was wir von Natur und Geburt sind uns einen unauslöschlichen Charakter giebt: so sind sie nicht sowohl Frösche als F r o s c h m e n s c h e n , und also in gewissem Sinne noch immer u n s e r s G e s c h l e c h t s , unsre Brüder, unsre verunglückten Brüder, zu unsrer Warnung mit dem furchtbaren Stempel der Rache der Götter bezeichnet, aber eben darum unsers zärtlichsten M i t l e i d e n s würdig. — Doch nicht nur unsers Mitleidens (setzte Stilbon hinzu), sondern auch unsrer E h r e r b i e t u n g ; da sie fortdaurende unverletzliche Denkmäler der Macht unsrer Göttinn sind, an denen man sich nicht vergreifen kann, ohne sich an ihr selbst 10
zu vergreifen; indem ihre Erhaltung durch so viele Jahrhunderte der redendste Beweis ist, daß sie solche erhalten wissen wolle.“ Der gute Oberpriester — ein Mann, der unsern Lesern so gar verächtlich, wie er ihnen vermuthlich ist, nicht vorkommen würde, wenn sie sich recht an seinen Platz zu stellen wüßten — hatte den ganzen Abend mit Durchlesung und Überdenkung seines Kapitels über die Frösche zugebracht, und sich in die Bestrebung, sein System mit neuen Gründen zu befestigen, so vertieft, daß ihm gänzlich aus dem Sinne gekommen war, wie er dem Nomophylax versprochen habe, ihm von dem Erfolg seines Besuchs bey dem Archon Nachricht zu geben. Er erinnerte sich dessen nicht eher, als da er um die Dämmerungs-
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zeit die Thüre seiner Zelle aufgehen hörte, und den N o m o p h y l a x in eigner Person vor sich stehen sah. „Ich habe Ihnen nicht viel tröstliches zu berichten, rief er ihm entgegen; wir sind in schlechtern Händen als ich mir jemals vorgestellt hätte. Der Archon weigerte sich, mein Buch zu lesen, vielleicht weil er überall g a r n i c h t lesen kann.“ — Dafür wollt’ ich nicht Bürge seyn, sagte Hypsiboas. „Und er sprach in einem Tone, dessen ich mich zu einem Oberhaupte der Republik nimmermehr versehen hätte.“ Was sagte er denn?
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„Ich danke dem Himmel, daß ich das Meiste wieder vergessen habe, was er sagte. Genug, er bestand darauf, daß die Akademie ihr Gutachten geben müßte —“ Das soll sie wohl bleiben lassen müssen, fiel der Nomophylax ein; die Gegenfröschler sollen mehr Widerstand finden, als sie sich vermuthen waren. Aber, damit man uns nicht beschuldigen könne, daß wir gewaltthätig zu
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Werke gehen, eh wir die gelindern Mittel versucht haben, ist die sämmtliche Minorität entschlossen, dem Senat ungesäumt eine schriftliche Vorstellung zu thun, wofern die Latonenpriesterschaft geneigt ist, gemeine Sache mit uns zu machen. „Von Herzen gerne, sagte Stilbon — ich will die Vorstellung selbst aufsetzen; ich will ihnen darthun“ — Vor der Hand, unterbrach ihn der Nomophylax, kann es an einem kurzen Promemoria, welches ich bereits, sub spe rati et grati, aufgesetzt habe, genug seyn. Wir müssen eine so gelehrte Feder wie die Ihrige auf den letzten Nothfall aufsparen.
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Der Oberpriester ließ sich zwar berichten; setzte sich aber vor, noch in dieser Nacht an einem kleinen Tractätchen zu arbeiten, worinn er sein System über die Latonenfrösche in ein neues Licht setzen, und auf eine noch feinere Art, als es in seinem Werke von den Alterthümern des Latonentempels geschehen war, allen Einwendungen zuvorkommen wollte, welche der Philosoph Korax dagegen machen könnte. Vorgesehene Pfeile schaden desto weniger, sagte er zu sich selbst. Ich will die Sache so klar und deutlich hinlegen, daß auch die Einfältigsten überzeugt werden sollen. Es müßte doch wahrlich nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn die Wahrheit ihre natürliche Macht über den Verstand der Menschen nur gerade in diesem Falle verloren haben
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sollte!
Siebentes Kapitel. Auszüge aus dem Gutachten der Akademie. Ein Wort über die Absichten, welche Korax dabey gehabt, mit einer Apologie, woran Stilbon und Korax gleichviel Antheil nehmen können. Inzwischen hatte, während aller dieser Bewegungen unter der Minorität des Senats und unter den Latonenpriestern, die Akademie eine Weisung bekommen, ihr Gutachten, „ d u r c h w a s f ü r d i e n s a m e M i t t e l d e r ü b e r m ä ß i g e n F r o s c h m e n g e (den Gerechtsamen der Latona unbeschadet) a u f s s c h l e u n i g s t e g e s t e u e r t w e r d e n k ö n n t e , “ binnen sieben Tagen an den Senat abzugeben.
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Die Akademie ermangelte nicht, sich den nächstfolgenden Morgen zu versammeln. Da die G e g e n f r ö s c h l e r zur Zeit den größten Theil derselben ausmachten: so wurde die Ausfertigung des Gutachtens dem Philosophen K o r a x aufgetragen; jedoch von Seiten des Präsidenten mit der ausdrücklichen Erinnerung: daß er sich aufs sorgfältigste hüten möchte, die Akademie in keine böse Händel mit der Latonenpriesterschaft zu verwickeln. Korax versprach, daß er alle seine Weisheit aufbieten wolle, die Wahrheit, wo möglich, auf eine unanstößige Art zu sagen. Denn zum U n m ö g l i c h e n , setzte er hinzu, ist, wie meine Hochgeehrten Herren wissen, niemand in kei10
nem Falle verbunden. Darinn haben Sie recht, versetzte der Präsident: meine Meynung gieng auch blos dahin, daß Sie sich m ö g l i c h s t in Acht nehmen sollten. Denn der Wa h r h e i t darf die Akademie freylich — s o v i e l m ö g l i c h — nichts vergeben. Das ists was ich immer sage, erwiederte Korax. „In was für eine seltsame Lage doch ein ehrlicher Mann kommen kann, sobald er das Unglück hat, ein Abderit zu seyn!“ — sagte K o r a x zu sich selbst, da er sich anschickte, das Gutachten der Akademie über die Froschsache zu Papier zu bringen. „In welcher andern Stadt auf dem Erdboden würde man
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sichs einfallen lassen, einer Akademie der Wissenschaften eine solche Frage vorzulegen? — Und gleichwohl ists dem Senat noch zum Verdienste anzurechnen, daß er noch so viel Verstand und Muth gehabt hat, die Akademie zu fragen. Es giebt Städte in der Welt, wo man so was nicht auf die Akademie ankommen läßt. Man muß gestehen, daß die Abderiten zuweilen vor lauter Narrheit auf einen guten Einfall stoßen!“ K o r a x setzte sich also an seinen Schreibtisch, und arbeitete mit so viel Lust und Liebe zum Ding, daß er noch vor Sonnenuntergang mit seinem Gutachten fertig war. Da wir dem geneigten Leser eine, wo nicht ausführliche, doch hinlängliche
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Nachricht von dem System des Oberpriesters Stilbon gegeben haben: so erfodert die Unpartheylichkeit, welche die erste Pflicht eines Geschichtschreibers ist, daß wir ihnen auch von dem Inhalt dieses akademischen Gutachtens wenigstens so viel mittheilen, als zum Verständniß dieser merkwürdigen Geschichte vonnöthen zu seyn scheint. „Der hohe Senat, sagte Korax im Eingang seiner Schrift, setzt in dem der
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Akademie zugefertigten verehrlichen Rathsschlusse voraus, daß die Froschmenge in Abdera die Volksmenge dermalen in einem unmäßigen und enormen Grade übersteige; und überhebt dadurch die Akademie der unangenehmen Arbeit, erst b e w e i s e n zu müssen, was als eine stadt- und weltkundige Thatsache vor jedermanns Augen liegt. Es gewinnt demnach das Ansehen, als ob die Akademie, bey s o bewandter Sache, sich blos ü b e r d i e M i t t e l zu erklären hätte, wodurch diesem Unwesen am schleunigsten abgeholfen werden kann. Allein, da die Frösche in Abdera, vermöge eines uralten und ehrwürdig gewordnen Instituts und Glaubens unsrer Vorältern, Vorrechte erlangt haben,
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in deren Besitze sie zu stören vielen bedenklich, und manchen wohl gar unerlaubt scheinen mag; und da es, vermöge der Natur der Sache, leicht geschehen könnte, daß die einzigen diensamen Mittel, welche die Akademie in dem gegenwärtigen äußersten Nothstande des gemeinen Wesens vorzuschlagen haben möchte, jenen wirklichen oder vermeynten Gerechtsamen der abderitischen Frösche Abbruch zu thun scheinen könnten: so wird es eben so zweckmäßig als unumgänglich seyn, eine historisch-pragmatische Beleuchtung der Frage: ,was es mit unsern besagten Fröschen für eine besondere Bewandtniß habe,‘ vorauszuschicken. Die Akademie bittet sich also bey diesem theoretischen Theile ihres unter-
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thänigsten und unmaaßgeblichen Gutachtens von allen hoch- und wohlansehnlichen Mitgliedern des hohen Senats um so mehr geneigte Aufmerksamkeit aus, als der glückliche Erfolg dieser ganzen der Republik so hoch angelegnen Sache lediglich von Berichtigung der Präliminarfrage abhängt: ob und in wiefern die Frösche zu Abdera als w i r k l i c h e F r ö s c h e anzusehen seyen oder nicht?“ Diese Berichtigung nimmt in dem Gutachten selbst mehr als zwey Drittel des Ganzen ein. Der schlaue Philosoph, wohl eingedenk dessen, was er dem vorsichtigen Präsidenten versprochen, erwähnt der Verwandlung der milischen Bauern nur im Vorbeygehen, und mit aller Ehrerbietung, die man einer alten Volkssage schuldig ist. Er setzt sie, mit Beziehung auf das Buch des Oberpriesters Stilbon von den Alterthümern des Latonentempels, als eine Sache voraus, die keinem mehrern Zweifel ausgesetzt ist, als die Verwandlung des Narcissus in eine Blume, des Cyknus in einen Schwan, der Daphne in einen Lorbeerbaum, oder irgend eine andre Verwandlung, die auf einem eben so
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festen Grunde beruhet. Wenn es auch nicht unzuläßig und unanständig wäre, dergleichen uralte Sagen läugnen zu wollen: so wäre es, meynt er, unverständig. Denn da es auf der einen Seite unmöglich sey, ihre Glaubwürdigkeit durch historische Zeugnisse umzustoßen, und auf der andern kein Naturforscher in der Welt im Stande sey, ihre absolute Unmöglichkeit zu erweisen: so werde jeder Verständige sich um so lieber enthalten sie zu bezweifeln, als er doch weiter nichts dagegen sagen könnte, als die gemeinen Plattheiten, „es ist u n g l a u b l i c h , es ist w i d e r d e n L a u f d e r N a t u r “ und dergleichen Formeln, die auch dem schaalsten Kopfe beym ersten Anblick eben so gut einfal10
len mußten. Er betrachte also die Umgestaltung der milischen Bauern in Frösche als e i n e a u f s i c h b e r u h e n d e S a c h e ; behaupte aber, daß ihre Wahrheit bey der vorliegenden Frage vollkommen gleichgültig sey. Denn es werde doch wohl niemand läugnen wollen, daß diese milischen M e n s c h f r ö s c h e schon ein paar tausend Jahre wenigstens todt und abgethan seyen — und gesetzt auch, daß die a b d e r i t i s c h e n F r ö s c h e ihre Abstammung von denselben genüglich erweisen könnten; so würden sie damit doch weiter nichts erwiesen haben, als daß sie seit undenklichen Zeiten von Vater zu Sohn wahre ächtgebrochne F r ö s c h e seyen. Denn so wie die mehrbesagten milischen Bauern durch ihre Verwandlung, und von dem Augenblick ihrer Ein-
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froschung an, aufgehört hätten, Menschen zu seyn, so hätten sie auch, von solchem Augenblick an, nichts anders als ihres gleichen, nämlich leibhafte natürliche Frösche zeugen können. Mit einem Wort, F r ö s c h e s e y e n F r ö s c h e , und der Umstand, daß ihre ersten Stammväter v o r i h r e r Ve r w a n d l u n g milische Bauern gewesen, verändre eben so wenig an ihrer gegenwärtigen Froschnatur, als wenig ein von zwey und dreyßig Ahnen her geborner Bettler für einen Prinzen angesehen werde, wenn gleich erweislich wäre, daß der erste Bettler seines Stammbaums in gerader Linie von N i n u s u n d S e m i r a m i s entsprossen sey. Die Anhänger der entgegenstehenden Meynung schienen dieses auch selbst so gut einzusehen, daß sie, um die vorgebliche
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höhere Natur der abderitischen Frösche zu begründen, ihre Zuflucht zu einer Hypothese nehmen müßten, deren bloße Darstellung alle Widerlegung überflüßig mache. Der scharfsinnige Leser (und es versteht sich von selbst, daß ein Werk wie dies keine andre Leser haben kann) wird sogleich ohne unser Erinnern bemerkt haben, daß Korax durch diese Einlenkung auf des Oberpriesters Stilbon
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S y s t e m v o n d e n K e i m e n kommen wollte, welches er — ehe er es wagen durfte, mit seinem Vorschlag wegen Verminderung der Frösche hervorzurükken — entweder w i d e r l e g e n oder l ä c h e r l i c h m a c h e n mußte. Da von diesen zween Wegen der letzte zugleich der bequemste und der Fähigkeit der Hoch- und Wohlweisheiten, mit denen er’s zu thun hatte, der angemessenste war: so begnügte sich Korax, das Unbegreifliche dieser Hypothese durch eine komische Berechnung der unendlichen Kleinheit der angeblichen Keime zum Ungereimten zu treiben. „Wir wollen, sagte er, um die Aufmerksamkeit des hohen Senats nicht ohne Noth mit arithmetischen Subtilitäten zu ermüden, annehmen, der Sohn des
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größten und dicksten von den froschgewordnen Miliern habe sich in seinem Keimstande zu seinem Vater verhalten wie 1 zu 10,000000. Wir wollen es, blos um der runden Zahl willen, so annehmen; wiewohl ohne große Mühe zu erweisen wäre, daß der größte unter allen Homunculis, als ein Keim, wenigstens noch zehnmal kleiner ist, als ich angegeben habe. Nun steckt, nach des Priester Stilbons Meynung, in diesem Keim, nach gleicher Proportion verkleinert, der Keim des Enkels, im Keim des Enkels der Keim des Urenkels, und so in jedem folgenden Abkömmling bis ins tausendste Glied, immer mit jedem Grad 10 millionenmal kleiner, der Keim des nächstfolgenden; so daß der Keim eines itzt lebenden abderitischen Frosches, gesetzt daß er auch nur im drey-
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ßigsten Grade von seinem Stammvater dem milischen Froschmenschen entfernt wäre, damals da er sich als Keim in seinem besagten Stammvater befand, um so viele Millionen, Billionen, Trillionen u. s. w. kleiner als eine Käsemilbe hätte gewesen seyn müssen, daß der geschwindeste Schreiber, den der hohe Senat von Abdera in seiner Kanzley hat, in zweyhundert Jahren mit allen den Nullen, die er, um diese Zahl zu bezeichnen, schreiben müßte, kaum fertig werden könnte; und das ganze Gebiet der preiswürdigen Republik (so viel nämlich davon noch nicht in Froschgräben verwandelt ist) schwerlich Raum genug für das Papier oder Pergament hätte, welches diese ungeheure Zahl zu fassen groß genug wäre. Die Akademie überläßt es dem Ermessen des Senats, ob das allerwinzigste aller kleinen Thierchen in der Welt winzig genug sey, sich von einer solchen unaussprechlich winzigen Kleinheit einen Begriff zu machen? und ob man also anders glauben könne, als daß dem ehrwürdigen Oberpriester etwas Menschliches begegnet seyn müsse, da er die Hypothese von den Keimen erfunden, um der vorgeblichen Heiligkeit der abderitischen
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Frösche eine zwar nicht sehr scheinbare, aber wenigstens doch sehr dunkle und unbegreifliche Unterlage zu geben? Die Akademie hat mit allem Fleiß die Einbildungskraft der erlauchten Väter des Vaterlandes nicht über die Gebühr anstrengen wollen. Wenn man aber bedenkt, wie kurz das natürliche Leben eines Frosches ist, und daß unsre dermaligen Frösche, nach der Voraussetzung, wenigstens im fünfhundertsten Grade von den milischen Bauern abstammen: so verliehrt sich die Hypothese des sehr ehrwürdigen Oberpriesters in einem solchen Abgrund von Kleinheit, daß es ungereimt, und, die Wahrheit zu sagen, g r a u s a m wäre, nur ein Wort 10
weiter davon zu sagen. D i e N a t u r i s t (wie die berühmte Aufschrift zu S a i s sagt) a l l e s w a s i s t , was war und was seyn wird, und ihren Schleyer hat noch kein S t e r b l i c h e r a u f g e d e c k t . Die Akademie, von dieser großen Wahrheit tiefer als sonst irgend jemand durchdrungen, ist weit entfernt, sich einiger besondern und genauern Einsicht in Geheimnisse, welche unergründlich bleiben sollen, anzumaßen. Sie glaubt, daß es vergebens sey, von der Entstehungsart der organisirten Wesen mehr wissen zu wollen, als was die Sinnen bey einer anhaltenden Aufmerksamkeit davon entdecken. Und wenn sie es ja für e r l a u b t hält, dem angebornen Triebe des menschlichen Geistes — sich alles
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begreiflich machen zu wollen — durch H y p o t h e s e n nachzuhängen: so findet sie diejenige noch immer die natürlichste, vermöge deren die Keime der organischen Körper durch die geheimen Kräfte der Natur erst alsdann gebildet werden, wenn sie ihrer wirklich vonnöthen hat. Dieser Erklärungsart zufolge, ist der Keim eines jeden itztlebenden quakenden Geschöpfes in allen Sümpfen und Froschgräben von Abdera nicht älter als der Moment seiner Zeugung, und hat mit dem individuellen Frosche, der zur Zeit des trojanischen Krieges quakte, und von welchem der itztlebende in gerader Linie abstammt, weiter nichts gemein, als daß die Natur beyde nach einem gleichförmigen Modell, durch gleichförmige Werkzeuge, und zu gleichförmigen
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Absichten gebildet hat.“ Der Philosoph Korax, nachdem er ein langes und breites zu Befestigung dieser Meynung vorgebracht, zieht endlich die Folgerung daraus: daß die abderitischen Frösche eben so natürliche, gemeine und alltägliche Frösche seyen als alle übrige Frösche in der Welt; und daß also die sonderbaren Vorrechte, deren sie sich in Abdera zu erfreuen hätten, sich nicht auf irgend eine Vor-
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züglichkeit ihrer Natur und vorgebliche Verwandtschaft mit der menschlichen, sondern blos auf einen populären Glauben gründeten, welchen man, zu größtem Nachtheil des gemeinen Wesens, allzulange unbestimmt und in einem Dunkel gelassen habe, unter dessen Begünstigung die Einbildungskraft der einen und der Eigennutz der andern freyen Spielraum gehabt habe, mit diesen Fröschen eine Art von Unfug zu treiben, wovon man außerhalb Ägypten schwerlich ein ähnliches Beyspiel in der Welt finden werde. „Die Alterthümer von Abdera (fährt er fort) liegen, ungeachtet alles Lichtes, welches der ehrwürdige und gelehrte Stilbon so reichlich über sie ausgegossen, noch immer — wie die Alterthümer aller andern Städte in der Welt —
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in einem Nebel, dessen Undurchdringlichkeit dem wahrheitsbegierigen Forscher wenig Hoffnung läßt, seine Begierde jemals befriediget zu sehen. Aber, wozu hätten wir denn auch vonnöthen, mehr davon zu wissen als wir wirklich wissen? Was es auch mit dem Ursprung des Latonentempels und seines geheiligten Froschgrabens für eine Bewandtniß haben mag, würde etwa, wenn wir diese Bewandtniß wüßten, Latona mehr oder weniger G ö t t i n n , ihr Tempel mehr oder weniger Te m p e l , und ihr Froschgraben mehr oder weniger F r o s c h g r a b e n seyn? — Latona soll und muß in ihrem uralten Tempel verehrt, und ihr uralter Froschgraben soll und muß in gebührenden Ehren gehalten werden. Beydes ist Institut unsrer ältesten Vorfahren, ehrwürdig durch
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das graueste Alterthum, befestigt durch die Gewohnheit so vieler Jahrhunderte, unterhalten durch den ununterbrochnen fortgepflanzten allgemeinen Glauben unsers Volkes, geheiligt und unverletzlich gemacht durch die Gesetze unsrer Republik, welche die Bewachung und Beschützung desselben dem ansehnlichsten Collegio des Staats anvertraut haben. Aber, wenn Latona, oder Jupiter um Latonens willen, die milischen Bauren in Frösche verwandelt hat: folgt denn daraus, daß a l l e Frösche der Latona heilig sind, und sich des priesterlichen Vorrechts der persönlichen Unverletzlichkeit anzumaßen haben? Und, wenn unsre wackern Vorfahren für gut befunden haben, zum ewigen Gedächtniß jenes Wunders, im Bezirk des Latonentempels einen kleinen Froschgraben zu unterhalten: folgt denn daraus, daß ganz Abdera in eine Froschlache verwandelt werden muß? Die Akademie kennt sehr wohl die Achtung, die man gewissen Meynungen und Gefühlen des Volks schuldig ist. Aber dem Aberglauben, in welchen sie immer auszuarten bereit sind, kann doch nur so lange nachgesehen werden,
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als er die Gränzen der Unschädlichkeit nicht gar zu weit überschreitet. F r ö sche können in Ehren gehalten werden : aber die Menschen den F r ö s c h e n a u f z u o p f e r n i s t u n b i l l i g . Der Zweck, um dessentwillen die Abderiten, unsre Vorfahren, den geheiligten Froschteich einsetzten, hätte freylich auch durch einen einzigen Frosch erreicht werden können. Doch, laß es seyn, daß ein ganzer Teich voll gehalten wurde; wenn es nur bey diesem einzigen geblieben wäre! Abdera würde darum nicht weniger blühend, mächtig und glücklich gewesen seyn. Blos der seltsame Wahn, daß man der Frösche und Froschteiche nicht zuviel haben könne, hat uns dahin gebracht, daß uns 10
nun wirklich keine andre Wahl übrig bleibt — als, uns entweder dieser überlästigen und allzufruchtbaren Mitbürger ungesäumt zu entladen, oder alle insgesammt mit bloßen Häuptern und Füßen nach dem Latonentempel zu wallen, und mit fußfälligem Bitten so lange bey der Göttinn anzuhalten, bis sie das alte Wunder an uns erneuert, und auch uns, so viel unsrer sind, in Frösche verwandelt haben wird. Die Akademie müßte sich sehr gröblich an der Weisheit der Häupter und Väter des Vaterlandes versündigen, wenn sie nur einen Augenblick zweifeln wollte, daß das Mittel, welches sie in einer so verzweifelten Lage vorzuschlagen aufgefodert worden, und das einzige, welches sie vorzuschlagen im Stande
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ist, nicht mit beyden Händen ergriffen werden sollte. Dieses Mittel hat alle von dem hohen Senat erforderten Eigenschaften; es ist in unsrer Gewalt, es ist zweckmäßig und von unmittelbarer Wirkung; es ist nicht nur mit keinem Aufwand, sondern sogar mit einer namhaften Ersparniß verbunden; und weder Latona noch ihre Priester können, unter den gehörigen Einschränkungen, etwas dagegen einzuwenden haben.“ Und nun rathe der geneigte Leser, was für ein Mittel das wohl seyn konnte? — Es ist, um ihn nicht lange aufzuhalten, das simpelste Mittel von der Welt. Es ist etwas in Europa von langen Zeiten her bis auf diesen Tag sehr gewöhnliches; eine Sache, worüber in der ganzen Christenheit sich niemand das min-
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deste Bedenken macht — und wovor gleichwohl, wie diese Stelle des Gutachtens im Senat zu Abdera abgelesen wurde, der Hälfte der Rathsherren die Haare zu Berge stunden. Mit einem Worte, das Mittel, das die Akademie von Abdera vorschlug, um der überzähligen Frösche mit guter Art los zu werden, war — s i e z u e s s e n . Der Verfasser des Gutachtens betheuerte, daß er auf seinen Reisen zu
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Athen und Megara, zu Korinth, in Arkadien und an hundert andern Orten Froschkeulen essen gesehen und selbst gegessen habe. Er versicherte, daß es eine sehr gesunde nahrhafte und wohlschmeckende Speise sey, man möchte sie nun gebacken oder marinirt, frikassirt oder in kleinen Pastetchen auf die Tafel bringen. Er berechnete, daß auf diese Weise die übermäßige Froschmenge in kurzer Zeit auf eine sehr gemäßigte Zahl gebracht, und dem gemeinen und Mittelmann, bey dermaligen klemmen Zeiten, keine geringe Erleichterung durch diese neue Eßwaare verschafft werden würde. Und wiewohl der daher entstehende Vortheil sich vermöge der Natur der Sache von Tag zu Tage vermindern müßte: so würde hingegen der Abgang um so reichlicher ersetzt
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werden, indem man nach und nach einige tausend Froschteiche und Gräben austrocknen und wieder urbar machen könnte; ein Umstand, wodurch wenigstens der vierte Theil des zu Abdera gehörigen Grund und Bodens wieder gewonnen werden und den Einwohnern zu Nutzen gehen würde. Die Akademie (setzt er hinzu) habe die Sache aus allen möglichen Gesichtspuncten betrachtet, und könne nicht absehen, wie von Seiten der Latona oder ihrer Priester die mindeste Einwendung dagegen sollte gemacht werden können. Denn was die Göttinn selbst betreffe, so würde sie sich ohne Zweifel durch den bloßen Argwohn, als ob ihr an den Fröschen mehr als an den Abderiten gelegen sey, sehr beleidiget finden. Von den Priestern aber sey zu erwarten, daß sie
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viel zu gute Bürger und Patrioten seyen, um sich einem Vorschlag zu widersetzen, durch welchen dasjenige, was bisher das größte Übel und Drangsal des abderitischen gemeinen Wesens gewesen, blos durch eine geschickte Wendung in den größten Nutzen desselben verwandelt würde. Da es aber nicht mehr als billig sey, sie, die Priester, um des gemeinen Bestens willen nicht zu beschädigen: so hielte die Akademie ohnmaßgeblich davor, daß ihnen nicht nur die Unverletzlichkeit des uralten Froschgrabens am Latonentempel von neuem zu garantiren, sondern auch die Verordnung zu machen wäre: daß von dem Augenblick an, da die abderitischen Froschkeulen für eine erlaubte Eßwaare erklärt seyn würden, von jedem Schock derselben eine Abgabe von 2 oder 3 O b o l e n an den Latonentempel bezahlt werden müßte. Eine Abgabe, die, nach einem sehr mäßigen Überschlag, in kurzer Zeit eine Summe von dreyßig bis vierzig tausend Drachmen abwerfen, und also den Latonentempel wegen aller andern kleinen Vortheile, die durch die neue Einrichtung aufhörten, reichlich schadlos halten würde.
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Endlich beschloß der Philosoph Korax sein Gutachten mit diesen merkwürdigen Worten: „Die Akademie glaube durch diesen eben so nothgedrungnen als gemeinnützigen Vorschlag ihrer Schuldigkeit genug gethan zu haben. Sie sey nun wegen des Erfolgs ganz ruhig, indem sie dabey nicht mehr betroffen sey, als alle übrigen Bürger von Abdera. Aber da sie überzeugt sey, daß nur ganz e r k l ä r t e B a t r a c h o s e b i s t e n fähig seyn könnten, sich einer so unumgänglichen Reformation entgegen zu setzen: so hoffte sie, die preiswürdigen Väter des Vaterlandes würden nicht zugeben, daß eine so lächerliche Secte die Oberhand gewinnen, und vor den Augen aller Griechen und Barbaren den 10
abderitischen Namen mit einem Schandflecken beschmitzen sollte, den keine Zeit wieder ausbeizen würde.“ Es ist s c h w e r , von den A b s i c h t e n eines Menschen aus seinen H a n d l u n g e n zu urtheilen, und h a r t , schlimme Absichten zu argwohnen, blos weil eine Handlung eben so leicht aus einem bösen als guten Beweggrunde hergeflossen seyn k o n n t e : aber einen jeden, dessen Vorstellungsart nicht die unsrige ist, blos darum für einen s c h l i m m e n Mann zu halten, ist d u m m . Wiewohl wir also nicht mit Gewißheit sagen können, wie r e i n die Absichten des Philosophen K o r a x bey Abfassung dieses Gutachtens gewesen seyn mochten: so können wir doch nicht umhin zu glauben, daß der Priester Stil-
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bon in seiner Leidenschaft zu weit gegangen, da er besagten Korax dieses Gutachtens wegen für einen o f f e n b a r e n F e i n d d e r G ö t t e r u n d d e r M e n s c h e n erklärte, und ihn einer augenscheinlichen Absicht alle Religion über den Haufen zu werfen beschuldigte. So überzeugt auch immer der Hohepriester Stilbon von seinem System war: so ist doch, bey der großen und unwillkührlichen Verschiedenheit der Vorstellungsarten unter den armen Sterblichen, nicht unmöglich, daß Korax von der Wahrheit s e i n e r Meynungen eben so aufrichtig überzeugt war; daß er die abderitischen Frösche im Innersten seines Herzens für nichts mehr als bloße natürliche Frösche hielt, und durch seinen Vorschlag seinem Vaterlande wirklich einen wichtigen
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Dienst zu leisten glaubte. Indessen bescheidet sich Schreiber dieses ganz gerne, daß es für uns Itztlebende, und in Betrachtung, daß die allgemein in Europa angenommenen Grundsätze den Fröschen wenig günstig sind, eine äußerst delicate Sache ist, über diesen Punkt ein vollkommen unpartheyisches Urtheil zu fällen. Wie es also auch um die Moralität der Absichten des Philosophen Korax
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stehen mochte, so viel ist wenigstens gewiß, daß er so wenig ohne Leidenschaften war als der Oberpriester, und daß er sich die Vermehrung seiner Anhänger viel zu eifrig angelegen seyn ließ, um nicht den Verdacht zu erwekken, daß die Eitelkeit das Haupt einer Parthey zu seyn, die Begierde über Stilbon den Sieg davon zu tragen, und der stolze Gedanke in den Annalen von Abdera dereinst Figur zu machen, wenigstens eben so viel zu seiner großen Thätigkeit in dieser Froschsache beygetragen, als seine Tu g e n d . Aber daß er alles, was er gethan, aus bloßer Näscherey gethan habe, halten wir für eine Verläumdung schwachköpfiger und paßionirter Leute, woran es bekanntermaßen bey solchen Gelegenheiten (zumal in kleinen Republiken) nie zu fehlen
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pflegt. K o r a x hatte solche Maaßregeln genommen, daß sein Gutachten bey der zweyten Zusammenkunft der Akademie einhellig genehmigt wurde. Denn der Präsident, und drey oder vier Ehrenmitglieder, die sich nicht bloß geben wollten, hatten Tags zuvor eine Reise aufs Land gethan.
Achtes Kapitel. Das Gutachten wird bey Rath verlesen, und nach verschiednen heftigen Debatten, einhellig beschlossen, daß es den Latonenpriestern communicirt werden sollte. Das Gutachten wurde in der vorgeschriebenen Zeit dem Archon eingehändigt,
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und bey der nächsten Sitzung des Senats von dem Stadtschreiber P y r o p s , einem erklärten Gegenfröschler, aus voller Kehle, und mit ungewöhnlich scharfer Beobachtung aller Komma’s und übrigen Unterscheidungszeichen, abgelesen. Die M i n o r i t ä t hatte zwar indessen bey dem Archon große Bewegungen gemacht, um ihn dahin zu bringen, die Execution des Rathsschlusses aufzuschieben, und es in einer außerordentlichen Rathsversammlung noch einmal auf die Mehrheit ankommen zu lassen, ob die Sache nicht, mit Vorbeygehung der Akademie, dem Collegio der Zehnmänner übergeben werden sollte. O n o k r a d i a s hatte auch diesen Antrag auf Bedenkzeit angenommen, aber ungeachtet des täglichen Anhaltens der Gegenparthey seine Antwort um so mehr
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aufgeschoben, da er versichert worden war, daß das Gutachten bis zum nächsten gewöhnlichen Rathstage fertig seyn sollte. Der Nomophylax H y p s i b o a s und seine Anhänger fanden sich also nicht wenig beleidigt, da, nachdem die gewöhnlichen Geschäfte abgethan waren, der Archon ein großes Heft unter seinem Mantel hervorzog, und dem Senat berichtete, daß es das Gutachten sey, welches, vermöge des letzten Rathsschlusses, der Akademie in der bekannten l e i d i g e n Froschsache aufgetragen worden. Sie stunden alle auf einmal mit Ungestüm auf, beschuldigten den Archon, daß er hinterlistig zu Werke gegangen, und erklärten sich, daß sie die 10
Verlesung des Gutachtens nimmermehr zugeben würden. O n o k r a d i a s , der unter andern kleinen Naturfehlern auch diesen hatte, immer hitzig zu seyn wo er kalt, und kalt wo er hitzig seyn sollte, war im Begriff, eine sehr hitzige Antwort zu geben, wenn ihn der Rathsherr M e i d i a s nicht gebeten hätte, ruhig zu seyn, und die Herren schreyen zu lassen. Wenn sie alles gesagt haben werden, flüsterte er ihm zu, so werden sie nichts mehr zu sagen haben, und dann müssen sie wohl von selbst aufhören. Dies war auch was geschah. Die Herren lärmten, krähten und fochten mit den Händen, bis sie es müde waren; und da sie endlich merkten, daß ihnen niemand zuhörte, setzten sie sich brummend wieder hin, wischten den
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Schweiß von der Stirne und — das Gutachten wurde verlesen. Wir kennen die Art der Abderiten, so schnell wie man die Hand umdreht vom Tragischen zum Komischen überzugehen, und über der kleinsten Gelegenheit zum Lachen die ernsthafte Seite eines Dinges gänzlich aus den Augen zu verlieren. Kaum war der dritte Theil des Gutachtens gelesen, so zeigte sich schon die Wirkung dieser jovialischen Laune sogar bey denjenigen, die kurz zuvor so laut dagegen geschrieen hatten. Das nenn ich doch beweisen, sagte einer der Rathsherren zu seinem Nachbar, während daß Pyrops innhielt, um nach damaliger Gewohnheit eine Prise Nieswurz zu nehmen. Man muß gestehen, sagte ein andrer, das Ding ist meisterhaft geschrieben. Ich will gerne
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sehen, sagte ein dritter, was man gegen den Beweis, daß Frösche am Ende doch nur Frösche sind, wird einwenden können. Ich habe schon lange so was gemerkt, sagte ein vierter mit einer schlauen Miene, aber es ist doch angenehm, wenn man sieht, daß gelehrte Leute mit uns einer Meynung sind. Nur weiter, Herr Stadtschreiber, sagte Meidias, denn das Beste muß noch erst kommen.
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Pyrops las fort. Die Rathsherren lachten daß sie die Bäuche halten mußten über die Berechnung der Kleinheit der Keime des Priesters Stilbon; wurden aber auf einmal wieder ernsthaft, da die traurige Alternative vorkam, und sie sich vorstellten, was für ein Jammer das wäre, wenn sie in Corpore, den regierenden Archon an der Spitze, nach dem Latonentempel ziehen und sichs noch zur besondern Gnade anrechnen lassen müßten, in Frösche verwandelt zu werden. Sie reckten die dicken Hälse und schnappten nach Odem, bey dem bloßen Gedanken, wie ihnen bey einer solchen Katastrophe zu Muthe seyn würde, und waren von Herzen geneigt, jedes Mittel gut zu heissen, wodurch ein solches Unglück verhütet werden könnte.
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Aber wie das Geheimniß nun heraus war; wie sie hörten, daß die Akademie kein ander Mittel vorzuschlagen hätte, als die Frösche, deren sie einen Augenblick zuvor um jeden Preis los zu werden gewünscht hatten, z u e s s e n — — welche Zunge vermöchte das Gemisch von Erstaunen, Entsetzen, und Verdruß über fehlgeschlagene Erwartung zu beschreiben, das sich auf einmal in den verzerrten Gesichtern der alten Rathsherren malte, welche beynahe die Hälfte des Senats ausmachten? Die Leute sahen nicht anders aus, als ob man ihnen zugemuthet hätte, ihre eignen leiblichen Kinder in kleine Pastetchen hacken zu lassen. Auf einmal von der unbegreiflichen Macht des Vorurtheils überwältigt, fuhren sie alle mit Entsetzen auf und erklärten: daß sie nichts
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weiter hören wollten, und daß sie sich einer solchen Gottlosigkeit zu der Akademie nimmermehr versehen hätten. Sie hören aber ja, daß es nur gemeine natürliche Frösche sind die wir essen sollen, rief der Rathsherr Meidias. Essen wir doch Pfauen und Tauben und Gänse, ungeachtet jene der Juno und Venus, und diese dem Priapus selbst heilig sind. Bekömmt uns denn etwa das Rindfleisch schlechter, weil die Prinzessinn Jo in eine Kuh verwandelt worden? Oder machen wir uns das mindeste Bedenken, alle Arten von Fischen zu essen, ungeachtet sie unter dem Schutze aller Wassergötter stehen? Aber die Rede ist weder von Gänsen noch Fischen, sondern von Fröschen, schrieen die alten Rathsherren und Zunftmeister; das ist ganz was anders. Gerechte Götter! die Frösche der Latona zu essen! Wie kann ein Mensch von gesundem Kopfe sich so etwas nur zu Sinne kommen lassen? So fassen Sie sich doch, meine Herren, schrie ihnen der Rathsherr S t e n t o r entgegen; Sie werden doch nicht solche Batrachosebisten seyn wollen. —
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Lieber B a t r a c h o s e b i s t e n als B a t r a c h o p h a g e n , rief der N o m o p h y l a x , der diesen glücklichen Augenblick nicht entwischen lassen wollte, sich zum Haupt einer Partey aufzuwerfen, auf deren Schultern er sich in kurzem zum Archontat erhoben zu sehen hoffte. Lieber alles in der Welt als Batrachophagen, schrieen die Rathsherren von der Minorität, und ein Paar graubärtige Zunftmeister, die sich zu ihnen schlugen. „Meine Herren, sagte der Archon Onokradias, indem er mit einiger Hitze von seinem elfenbeinernen Stuhl auffuhr, da die Batrachosebisten so laut zu 10
schreyen anfiengen, daß ihm um sein Gehör bange wurde; ein Vorschlag der Akademie ist noch kein Rathsschluß. Setzen Sie sich und hören Sie Vernunft an, wenn Sie können! Ich will nicht hoffen, daß hier jemand ist, der sich einbildet, daß mir so viel daran gelegen sey, Frösche zu essen. Auch werd’ ich noch wohl Rath zu schaffen wissen, daß sie mich nicht fressen sollen. Aber die Akademie, die aus den gelehrtesten Leuten in Abdera besteht, muß doch wohl wissen was sie sagt —“ (Nicht immer, murmelte M e i d i a s zwischen den Zähnen.) „Und da das gemeine Beste allem vorgeht, und nicht billig ist, daß die Frösche den Menschen — daß die Menschen, sage ich, den Fröschen aufgeopfert
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werden, wie die Akademie sehr wohl erwiesen hat: so ist meine Meynung — daß das Gutachten ohne weiters der ehrwürdigen Latonenpriesterschaft communicirt werde. Können Sie einen bessern Vorschlag thun, so will ich der erste seyn, der ihn unterstützen hilft. Denn ich habe für meine Person nichts gegen die Frösche, in so fern sie keinen Schaden thun.“ Da der Antrag des Archons nichts anders war, als worauf beyde Parteyen ohnehin hätten antragen müssen, so wurde die Communication des Gutachtens zwar einhellig beliebt: aber die Ruhe im Senat wurde dadurch nicht hergestellt; und von dieser Stunde an fand sich die arme Stadt Abdera wieder, unter andern Namen, in E s e l und S c h a t t e n getheilt.
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Neuntes Kapitel. Der Oberpriester Stilbon schreibt ein sehr dickes Buch gegen die Akademie. Es wird von Niemand gelesen; im übrigen aber bleibt vor der Hand alles beym Alten. Jedermann bildete sich ein, daß der Oberpriester über das Gutachten der Akademie Feuer und Flammen sprühen werde, und man war nicht wenig verwundert, da er, dem Anschein nach, so gelassen dabey blieb, als ob ihn die Sache gar nichts angienge. Was für armselige Köpfe! sagte er den seinigen schüttelnd, indem er das Gutachten mit flüchtigem Blicke überlief; und gleichwohl sollte man denken,
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sie müßten mein Buch von den Alterthümern gelesen haben, worinn alles so augenscheinlich dargelegt ist. Es ist unbegreiflich, wie man mit fünf gesunden Sinnen so dumm seyn kann. Aber ich will ihnen noch wohl das Verständniß öffnen. Ich will ein Buch schreiben — ein Buch, das mir alle Akademien der Welt widerlegen sollen wenn sie können. Und S t i l b o n , der Oberpriester, setzte sich hin und schrieb ein Buch, dreymal so dick als das erste, das der Archon Onokradias nicht lesen wollte; und er bewies darinn: daß der Verfasser des Gutachtens keinen Menschenverstand habe; daß er ein Unwissender sey, der nicht einmal gelernt habe, wie nichts groß und nichts klein in der Natur sey; nicht wisse, daß die Materie ins
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Unendliche getheilt werden könne, und daß die unendliche Kleinheit der Keime (wenn man sie auch noch unendlich kleiner annehme als Korax in seiner ganz lächerlich übertriebnen Berechnung gethan habe,) gegen ihre M ö g l i c h k e i t nicht ein Minimum beweise. Er unterstützte die Gründe seines Systems von den abderitischen Fröschen mit neuen Gründen, und beantwortete mit großer Genauigkeit und Weitläuftigkeit alle mögliche Einwürfe die er sich selbst dagegen machte. Seine Einbildung und seine Galle erhitzte sich unterm Schreiben unvermerkt so sehr, daß er in sehr bittere Sarkasmen gegen seine Gegner ausbrach, sie eines vorsetzlichen und verstockten Hasses gegen die Wahrheit anklagte, und ziemlich deutlich zu verstehen gab, daß solche Menschen in einem wohlpolizirten Staat gar nicht geduldet werden sollten.
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Der Senat von Abdera erschrack, da der Archon nach etlichen Monaten (denn eher hatte Stilbon, wiewohl er Tag und Nacht schrieb, nicht mit seinem Buche fertig werden können,) die Gegenschrift des Oberpriesters vor Rath brachte, die so voluminos war, daß er sie, um die Sache kurzweiliger zu machen, durch zween von den breitschultrigsten Sackträgern von Abdera auf einer Trage herein schleppen und auf den großen Rathstisch legen ließ. Die Herren fanden, daß es keine Möglichkeit sey eine so weitläuftige Deduction verlesen zu lassen. Es wurde also durch die Mehrheit der Stimmen beschlossen, das Werk geradenwegs dem Philosophen K o r a x zuzuschicken, mit dem 10
Auftrag, dasjenige was er etwa dagegen zu erinnern hätte schriftlich und sobald als möglich an den regierenden Archon gelangen zu lassen. K o r a x stund eben mitten unter einem Haufen nasenweiser abderitischer Jünglinge in der Vorhalle seines Hauses, als die Sackträger mit ihrer gelehrten Ladung bey ihm anlangten. Als er nun von den mitkommenden Rathsboten vernommen hatte, warum es zu thun sey, entstund ein so unmäßiges Gelächter unter der gegenwärtigen Versammlung, daß man es über drey oder vier Gassen bis in der Rathsstube hören konnte. Der Priester Stilbon hat einen schlauen Genius, sagte Korax; er hat gerade das unfehlbarste Mittel ergriffen, um nicht widerlegt zu werden. Aber er soll sich doch betrogen finden! Wir
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wollen ihm zeigen, daß man ein Buch widerlegen kann, ohne es gelesen zu haben. Wo sollen wir denn abladen, fragten die Sackträger, die schon eine gute Weile mit ihrer Trage dagestanden waren, und von allen den scherzhaften Einfällen der gelehrten Herren nichts verstanden. In meinem Häuschen ist kein Platz für ein so großes Buch, sagte Korax. Wissen Sie was, fiel einer von den jungen Philosophen ein: weil das Buch doch geschrieben ist um n i c h t gelesen zu werden, so stiften Sie es auf d i e R a t h s b i b l i o t h e k . Dort liegt es sicher, und wird unter dem Schutz einer Kruste von fingerdickem Staub ungelesen und wohlbehalten auf die späte
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Nachwelt kommen. Der Einfall ist trefflich, sagte Korax. Gute Freunde, fuhr er fort, sich an die Sackträger wendend, hier sind zwo Drachmen für eure Mühe; tragt eure Ladung auf die Rathsbibliothek, und bekümmert euch weiter um nichts; ich nehme die ganze Sache auf meine Verantwortung. S t i l b o n , dem das Schicksal eines Buches, das ihm so viele Zeit und Mühe
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gekostet hatte, nicht lange verborgen bleiben konnte, wußte vor Erstaunen und Ingrimm weder was er denken noch thun sollte. Große Latona, rief er einmal übers andre aus, in was für Zeiten leben wir! Was ist mit Leuten anzufangen, die nicht hören wollen? — Aber sey es darum! Ich habe das Meinige gethan. — Wollen sie nicht hören, so mögen sie’s bleiben lassen! Ich setze keine Feder mehr an, rühre keinen Finger mehr für ein so undankbares, ungeschliffnes und unverständiges Volk. So dachte er im ersten Unmuth: aber der gute Priester betrog sich selbst durch diese anscheinende Gelassenheit. Seine Eigenliebe war zu sehr beleidigt, um so ruhig zu bleiben. Je mehr er der Sache nachdachte, (und er konnte
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die ganze Nacht an nichts anders denken,) je stärker fühlte er sich überzeugt, daß ihm nicht erlaubt sey bey einer so lauten Aufforderung für die gute Sache stille zu sitzen. Der Nomophylax und die übrigen Feinde des Archons Onokradias ermangelten nicht, seinen Eifer durch ihre Aufstiftungen vollends zu entflammen. Man hielt fast täglich Zusammenkünfte, um sich über die Maaßregeln zu berathschlagen, welche man zu nehmen hätte, dem einreissenden Strom der Unordnung und Ruchlosigkeit (wie es Stilbon nannte) Einhalt zu thun. Aber die Zeiten hatten sich wirklich sehr geändert. Stilbon war kein Strobylus. Das Volk kannte ihn wenig, und er hatte keine von den Gaben, wodurch
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sich sein besagter Vorgänger mit unendlichmal weniger Gelehrsamkeit so wichtig in Abdera gemacht hatte. Beynahe alle junge Leute beyderley Geschlechts waren v o n d e n G r u n d s ä t z e n d e s P h i l o s o p h e n K o r a x angesteckt. Der größere Theil der Rathsherren und angesehenen Bürger neigte sich o h n e G r u n d s ä t z e auf die Seite wo es am meisten zu lachen gab. Und sogar unter dem gemeinen Volke hatten d i e G a s s e n l i e d e r , womit einige Versifexe von Koraxens Anhang die Stadt angefüllt hatten, so gute Wirkung gethan, daß man sich vor der Hand wenig Hoffnung machen konnte, den Pöbel so leicht als ehmals in Aufruhr zu setzen. Aber was noch das allerschlimmste war, man hatte Ursache zu glauben, daß es unter d e n P r i e s t e r n s e l b s t einen und den andern gebe, der ingeheim mit den Gegenfröschlern in Verbindung stehe. Es war in der That mehr als bloßer Argwohn, daß der Priester P a m p h a g u s mit einem Anschlag schwanger gehe, sich die gegenwärtigen Umstände zu Nutze zu machen, und den ehrlichen Stilbon von einer Stelle zu verdrängen, welcher er (wie Pamphagus unter der Hand zu verstehen
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gab) wegen seiner gänzlichen Unerfahrenheit in Geschäften in einer so bedenklichen Krisis auf keine Weise gewachsen sey. Bey allem dem machten gleichwohl die B a t r a c h o s e b i s t e n eine ansehnliche Partey aus, und Hypsiboas hatte Geschicklichkeit genug, sie immer in einer Bewegung zu erhalten, welche mehr als einmal gefährliche Ausbrüche hätte nehmen können, wenn die Gegenpartey — zufrieden mit ihren erhaltenen Siegen und ungeneigt das Übergewicht in dessen Besitz sie war in Gefahr zu setzen — nicht so unthätig geblieben, und alles was zu ungewöhnlichen Bewegungen hätte Anlaß geben können, sorgfältig vermieden hätte. Denn, 10
wiewohl sie sich des Namens der Batrachophagen eben nicht zu weigern schienen, und die Frösche der Latona den gewöhnlichsten Stoff zu lustigen Einfällen in ihren Gesellschaften hergaben: so ließen sie es doch, nach ächter abderitischer Weise, dabey bewenden, und die Frösche blieben trotz dem Gutachten der Akademie und den Scherzen des Philosophen Korax noch immer ungestört und ungegessen im Besitz der Stadt und Landschaft von Abdera.
Zehntes Kapitel. Seltsame Entwicklung des ganzen abderitischen tragikomischen Possenspiels. Aller Wahrscheinlichkeit nach würden die Frösche der Latona dieser Sicher20
heit noch lange genossen haben, wenn nicht unglücklicherweise im nächsten Sommer eine unendliche Menge Mäuse und Ratten von allen Farben auf einmal die Felder der unglücklichen Republik überschwemmt, und dadurch die ganz unschuldige und ungefähre Weissagung des Archons Onokradias auf eine unvermuthete Art in Erfüllung gebracht hätten. Von Fröschen und Mäusen zugleich aufgegessen zu werden, war für die armen Abderiten zuviel auf einmal. Die Sache wurde ernsthaft. Die G e g e n f r ö s c h l e r drangen nun ohne weiters auf die Nothwendigkeit, den Vorschlag der Akademie unverzüglich ins Werk zu setzen. Die B a t r a c h o s e b i s t e n schrieen: die gelben, grünen, blauen, blutrothen,
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und flohfarben Mäuse, die in wenig Tagen die greulichste Verwüstung auf den abderitischen Feldern angerichtet hatten, seyen eine sichtliche Strafe der
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Gottlosigkeit der B a t r a c h o p h a g e n , und augenscheinlich von Latonen unmittelbar abgeschickt, die Stadt, die sich des Schutzes der Göttinn unwürdig gemacht, gänzlich zu verderben. Vergebens bewies die Akademie, daß gelbe, grüne und flohfarbe Mäuse darum nicht mehr Mäuse seyen als andre; daß es mit diesen Mäusen und Ratten ganz natürlich zugehe; daß man in den Jahrbüchern aller Völker ähnliche Beyspiele finde; und daß es nunmehr, da besagte Mäuse entschlossen schienen, den Abderiten ohnehin nichts anders zu essen übrig zu lassen, um so nöthiger sey, sich des Schadens, den beyderley gemeine Feinde der Republik verursachten, wenigstens an der eßbaren Hälfte derselben, nämlich an den
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Fröschen, zu erholen. Vergebens schlug sich der Priester P a m p h a g u s ins Mittel, indem er den Vorschlag that, die Frösche künftig zu ordentlichen Opferthieren zu machen, und, nachdem der Kopf und die Eingeweide der Göttinn geopfert worden, die Keulen als Opferfleisch zu ihren Ehren zu verzehren. Das Volk, bestürzt über eine Landplage, die es sich nicht anders als unter dem Bilde eines Strafgerichts der erzürnten Götter denken konnte, und von den Häuptern der Froschpartey empört, lief in Rotten vor das Rathhaus, und drohte, kein Gebein von den Herren übrig zu lassen, wenn sie nicht auf der Stelle ein Mittel fänden die Stadt vom Verderben zu erretten.
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Guter Rath war noch nie so theuer auf dem Rathshause zu Abdera gewesen als jetzt. Die Rathsherren schwitzten Angstschweiß. Sie schlugen vor ihre Stirne; aber es hallte hohl zurück. Je mehr sie sich besannen, je weniger konnten sie finden was zu thun wäre. Das Volk wollte sich nicht abweisen lassen, und schwur, Fröschlern und Gegenfröschlern die Hälse zu brechen, wenn sie nicht Rath schafften. Endlich fuhr der Archon O n o k r a d i a s auf einmal wie begeistert von seinem Stuhl auf. — Folgen Sie mir, sagte er zu den Rathsherren, und gieng mit großen Schritten auf die marmorne Tribüne hinaus, die zu öffentlichen Anreden an das Volk bestimmt war. Seine Augen funkelten von einem ungewöhnlichen Glanz; er schien eines Haupts länger als sonst, und seine ganze Gestalt hatte etwas Majestätischers als man jemals an einem Abderiten gesehen hatte. Die Rathsherren folgten ihm stillschweigend und erwartungsvoll. „Höret mich, ihr Männer von Abdera, sagte O n o k r a d i a s mit einer Stimme die nicht die seinige war; Jason, mein großer Stammvater, ist vom Sitz der
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Götter herabgestiegen, und giebt mir in diesem Augenblick das Mittel ein, wodurch wir uns alle retten können. Gehet, jeder nach seinem Hause, packet alle eure Geräthschaften und Haabseligkeiten zusammen, und morgen bey Sonnenaufgang stellet euch mit Weibern und Kindern, Pferden und Eseln, Rindern und Schaafen, kurz mit Sack und Pack, vor dem Jasonstempel ein. Von da wollen wir mit dem goldnen Vließe, dem heiligen Palladium der Abderiten an unsrer Spitze, ausziehen, diesen von den Göttern verachteten Mauren den Rücken wenden, und in den weiten Ebnen des fruchtbaren Macedoniens einen andern Wohnort suchen, bis der Zorn der Götter sich gelegt haben, 10
und uns oder unsern Kindern wieder vergönnt seyn wird, unter glücklichen Vorbedeutungen in die schöne Abdera zurückzukehren. Die verderblichen Mäuse, wenn sie nichts mehr zu zehren finden, werden sich unter einander selbst auffressen, und was die Frösche betrifft — denen mag Latona gnädig seyn! — Geht, meine Kinder, und macht euch fertig. Morgen, mit Aufgang der Sonne, werden alle unsre Drangsale ein Ende haben.“ Das ganze Volk jauchzte dem begeisterten Archon Beyfall zu, und in einem Augenblick athmete wieder nur Eine Seele in allen Abderiten. Ihre leichtbewegliche Einbildungskraft stund auf einmal in voller Flamme. Neue Aussichten, neue Scenen von Glück und Freuden tanzten vor ihrer Stirne. Die weiten
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Ebnen des glücklichen Macedoniens lagen wie fruchtbare Paradiese vor ihren Augen ausgebreitet. Sie athmeten schon die mildern Lüfte, und sehnten sich mit unbeschreiblicher Ungeduld aus dem dicken froschsumpfichten Dunstkreise ihrer ekelhaften Vaterstadt heraus. Alles eilte, sich zu einem Auszug zu rüsten, von welchem wenige Augenblicke zuvor kein Mensch sich hatte träumen lassen. Am folgenden Morgen war das ganze Volk von Abdera reisefertig. Alles was sie von ihren Haabseligkeiten nicht mitnehmen konnten, ließen sie ohne Bedauren in ihren Häusern, so ungeduldig waren sie an einen Ort zu ziehen, wo sie weder von Fröschen noch Mäusen mehr geplagt werden würden.
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Am vierten Morgen ihrer Auswanderung begegnete ihnen der König K a s s a n d e r . Man hörte das Getöse ihres Zugs von weitem, und der Staub, den sie erregten, verfinsterte das Tageslicht. K a s s a n d e r befahl den Seinigen Halt zu machen, und schickte jemand aus sich zu erkundigen was es wäre. Sire, sagte der zurückkommende Abgeschickte, es sind die Abderiten, die vor Fröschen und Mäusen nicht mehr in Abdera zu bleiben wußten, und einen andern Wohnplatz suchen. F ü n f t e s B u c h . ¼…½ Z e h n t e s K a p i t e l
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Wenn’s dies ist, so sind’s gewiß die Abderiten, sagte Kassander. Indem erschien O n o k r a d i a s an der Spitze einer Deputation von Rathsmännern und Bürgern, dem König ihr Anliegen vorzutragen. Die Sache kam Kassandern und seinen Höflingen so lustig vor, daß sie sich, mit aller ihrer Höflichkeit, nicht enthalten konnten, den Abderiten überlaut ins Gesicht zu lachen; und die Abderiten, wie sie den ganzen Hof lachen sahen, hielten es für ihre Schuldigkeit mitzulachen. K a s s a n d e r versprach ihnen seinen Schutz, und wies ihnen einen Ort an den Gränzen von Macedonien an, wo sie sich so lange aufhalten könnten, bis sie Mittel gefunden haben würden, mit den Fröschen und Ratten ihres Vater-
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landes einen billigen Vergleich zu treffen. Von dieser Zeit an weiß man wenig mehr als nichts von den Abderiten und ihren Begebenheiten. Doch ist so viel gewiß, daß sie einige Jahre nach dieser seltsamen Auswanderung (deren historische Gewißheit durch das Zeugniß des vom J u s t i n u s in einen Auszug gebrachten Geschichtschreibers Tr o g u s P o m p e j u s L. XV. c. 2. ausser allen Zweifel gesetzt wird) wieder nach Abdera zurück gezogen. Allem Vermuthen nach müssen sie d i e R a t t e n i n i h r e n K ö p f e n , die sonst immer mehr Spuck darinn gemacht als alle Ratten und Frösche in ihrer Stadt und Landschaft, in Macedonien zurückgelassen haben. Denn v o n d i e s e r E p o c h e an sagt die Geschichte weiter nichts von ihnen,
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als daß sie, unter dem Schutze der macedonischen Könige und der Römer, verschiedene Jahrhunderte durch ein stilles und geruhiges Leben geführt; und, da sie weder witziger noch dummer gewesen als andre Municipalen ihres Gleichens, den Geschichtschreibern keine Gelegenheit gegeben weder Böses noch Gutes von ihnen zu sagen. Um übrigens unsern geneigten Lesern eine vollkommne Probe unsrer Aufrichtigkeit zu geben, wollen wir ihnen unverhalten lassen, daß — wofern der ältere P l i n i u s und sein aufgestellter Gewährsmann Va r r o hierinn Glauben verdienten, A b d e r a nicht die einzige Stadt in der Welt gewesen wäre, die von so unansehnlichen Feinden, als Frösche und Mäuse sind, ihren natürlichen Einwohnern abgejagt worden. Denn Va r r o soll nicht nur einer Stadt in S p a n i e n erwähnen, die von K a n i n c h e n , und einer andern, die von M a u l w ü r f e n zerstört worden, sondern auch einer Stadt in G a l l i e n , deren Einwohner, wie die Abderiten, den F r ö s c h e n hätten Platz machen müssen. Allein, da P l i n i u s weder die Stadt, welcher dies Unglück begegnet seyn soll, mit Na-
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men nennt, noch ausdrücklich sagt, aus welchem von den unzähligen Werken des gelehrten Va r r o er diese Anekdote genommen habe: so glauben wir der Ehrerbietung, die man diesem großen Manne schuldig ist, nicht zu nahe zu treten, wenn wir vermuthen, daß sein Gedächtniß (auf dessen Treue er sich nicht selten zu viel verließ) ihm für T h r a c i e n Gallien untergeschoben habe; und daß die Stadt, von welcher beym Va r r o die Rede war, keine andre gewesen, als unser Abdera selbst. Und hiemit sey dann der Gipfel auf das Denkmal gesetzt, welches wir dieser einst so berühmten und nun schon so viele Jahrhunderte lang wieder vergeß10
nen Republik zu errichten ohne Zweifel von einem für ihren Ruhm sorgenden Dämon angetrieben worden: nicht ohne Hoffnung, daß es, ungeachtet es aus so leichten Materialien als die seltsamen Launen und jovialischen Narrheiten der Abderiten sind, zusammengesetzt ist, so lange dauren werde, bis unsre Nation den glücklichen Zeitpunct erreicht haben wird, wo diese Geschichte niemand mehr angehen, niemand mehr unterhalten, niemand mehr verdrießlich und niemand mehr aufgeräumt machen wird; mit einem Wort, wo die Abderiten n i e m a n d m e h r ä h n l i c h sehen, und also ihre Begebenheiten eben so unverständlich seyn werden, als uns Geschichten aus einem andern Planeten seyn würden: ein Zeitpunct, der nicht mehr weit entfernt seyn kann,
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wenn die Knaben in der ersten Generation des neunzehnten Jahrhunderts nur um eben so viel weiser seyn werden, als die Knaben im letzten Viertel des achtzehnten sich weiser als die Männer des vorgehenden dünken — oder wenn alle die Erziehungsbücher, womit wir seit zehn Jahren so reichlich beschenkt worden sind und täglich noch beschenkt werden, nur den zehnten Theil der herrlichen Wirkungen thun, die uns die wohlmeynenden Verfasser hoffen lassen.
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Der Schlüssel zur Abderitengeschichte. Als Homers Gedichte unter den Griechen bekannt worden waren, hatte das Volk, das in vielen Dingen mit seinem schlichten Menschenverstand richtiger zu sehen pflegt als die Herren mit bewaffneten Augen, gerade Verstand genug, um zu sehen, daß in diesen großen heroischen Fabeln, ungeachtet des Wunderbaren, Abentheuerlichen und Unglaublichen, womit sie so reichlich durchwebt sind, daß eine Amme Mährchen genug um ihr Kind in Schlaf zu singen daraus machen konnte, mehr Weisheit und Unterricht fürs praktische Leben liege, als in einem milesischen Ammenmährchen; und wir sehen aus Horazens Brief an Lollius, und aus dem Gebrauch, welchen Plutarch von Ho-
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mers Gedichten macht und zu machen lehrt, daß noch viele Jahrhunderte nach Homer die verständigsten Weltleute unter Griechen und Römern der Meynung waren, daß man was recht und nützlich, was unrecht und schädlich sey, und wie viel ein Mann durch Tugend und Weisheit vermöge, so gut und noch besser aus Homers Fabeln lernen könne, als aus den subtilsten oder beredtesten stoischen Sittenlehrern. Man überließ es alten Kindsköpfen (denn die Jungen belehrte man eines Bessern,) an dem bloßen materiellen Theil der Dichtung kleben zu bleiben; verständige Leute fühlten und erkannten den Geist, der in diesem Leibe athmete, und ließen sichs nicht einfallen, scheiden zu wollen, was die Muse untrennbar zusammengefügt hatte, das Wahre
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unter der Hülle des Wunderbaren, und das Nützliche durch eine Mischungskunst, die nicht allen geoffenbart ist, vereinbart mit dem Schönen und Angenehmen. Wie es bey allen menschlichen Dingen geht, so gieng es auch hier. Nicht zufrieden, in Homers Gedichten warnende oder aufmunternde Beyspiele, einen lehrreichen Spiegel des menschlichen Lebens in seinen mancherley Ständen, Verhältnissen und Scenen zu finden, wollten die Gelehrten späterer Zeiten noch tiefer eindringen, noch mehr sehen, als ihre Vorfahren; und so entdeckte man (denn was entdeckt man nicht, wenn man sichs einmal in den Kopf gesetzt hat, etwas zu entdecken) in dem was nur B e y s p i e l war, A l l e g o r i e , in allem, sogar in den bloßen Maschinen und Decorationen des poe-
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tischen Schauplatzes, einen mystischen Sinn, und zuletzt in jeder Person, jeder Begebenheit, jedem Gemälde, jeder kleinen Fabel, Gott weiß was für Geheimnisse von hermetischer, orphischer und magischer Philosophie, an die der gute Dichter in der Unschuld seines Herzens gewiß so wenig gedacht hatte, als Virgil, daß man zwölf hundert Jahre nach seinem Tode mit seinen Versen die bösen Geister beschwören würde. Immittelst wurde es unvermerkt zu einem wesentlichen Requisit eines epischen Gedichts (wie man die größern und heroischen poetischen Fabeln zu nennen pflegte,) daß es außer dem natürlichen Sinn und der Moral, die es 10
beym ersten Anblick darbot, noch einen andern geheimen und allegorischen haben müsse — wenigstens gewann diese Grille bey den Italiänern und Spaniern die Oberhand; und es ist mehr als lächerlich, zu sehen, was für eine undankbare Mühe sich die Ausleger oder auch wohl die Dichter selbst geben, um aus einem A m a d i s und O r l a n d o , aus Trissins b e f r e y t e m I t a l i e n oder Camoens L u s i a d e , ja sogar aus dem A d o n e des Marino, alle Arten von metaphysischer, politischer, moralischer, physikalischer und theologischer Allegorien herauszuspinnen. Da es nun nicht die Sache der Leser war, in diese Geheimnisse aus eigner Kraft einzudringen: so mußte man ihnen, wenn sie so herrlicher Schätze nicht verlustigt werden sollten, nothwendig einen S c h l ü s -
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s e l dazu geben; und dieser Schlüssel war eben die Exposition des allegorischen oder mystischen Sinnes; wiewohl der Dichter, gewöhnlicherweise, erst wenn er mit dem ganzen Werk fertig war, daran dachte, was vor versteckte Ähnlichkeiten und Beziehungen sich etwa aus seinen Dichtungen herausholen lassen könnten. Was bey vielen Dichtern bloße Gefälligkeit gegen eine herrschende Mode war, über welche sie sich nicht hinwegzusetzen wagten, wurde für andre wirklicher Zweck und Hauptwerk. Der berühmte Z o d i a c u s v i t a e des sogenannten P a l i n g e n i u s , die A r g e n i s d e s B a r c l e y , die F e e n k ö n i g i n n d e s S p e n c e r , die n e u e A t l a n t i s der Dame M a n l e y , die m a l a b a r i -
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s c h e n P r i n z e ß i n n e n , das M ä h r c h e n v o n d e r To n n e , die Geschichte von J o h a n n B u l l und eine Menge andrer Werke dieser Art, woran besonders das sechzehnte und siebenzehnte Jahrhundert fruchtbar gewesen ist, waren ihrer Natur und Absicht nach a l l e g o r i s c h , und konnten also ohne Schlüssel nicht verstanden werden, wiewohl einige derselben, z. B. Spencers Feenköniginn, und die allegorischen Satyren des D. Swift, so beschaffen sind, daß eine
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jede verständige und der Sachen kundige Person den Schlüssel dazu ohne fremde Beyhülfe in ihrem eignen Kopfe finden kann. Diese kurze Deduction wird mehr als hinlänglich seyn, um denen, die noch nie daran gedacht haben, begreiflich zu machen, wie es zugegangen sey, daß sich unvermerkt eine Art von gemeinem Vorurtheil und wahrscheinlicher Meynung in den meisten Köpfen festgesetzt hat, als ob ein jedes Buch, das einem satyrischen Roman ähnlich sieht, mit einem versteckten Sinn begabt sey, und also einen Schlüssel nöthig habe. Daher hat auch der Herausgeber der gegenwärtigen Geschichte, wie er gewahr wurde, daß die meisten unter der großen Menge von Lesern, welche sein Werk zu finden die Ehre gehabt hat,
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sich fest überzeugt hielten, daß noch etwas mehr dahinter stecken müsse, als was die Worte beym ersten Anblick zu besagen scheinen, und also einen Schlüssel zu der Abderitengeschichte, als ein unentbehrliches Bedürfniß zu vollkommner Verständniß eines so interessanten Buches zu erhalten wünschten, sich dieses ihm häufig zu Ohren kommende Verlangen seiner werthen Leser keineswegs befremden lassen; sondern er hat es im Gegentheil für eine Aufmerksamkeit die er ihnen schuldig ist gehalten, bey gegenwärtiger neuer und vollständiger Originalausgabe, demselben, so viel an ihm ist, ein Genüge zu thun, und ihnen, als einen Schlüssel oder statt des verlangten Schlüssels (welches im Grunde auf eins hinausläuft) alles mitzutheilen, was zu gründli-
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cher Verständniß und nützlichem Gebrauch dieses zum Vergnügen aller Klugen, und zur Lehre und Züchtigung aller N**n geschriebenen Werkes, dienlich seyn kann. Zu diesem Ende findet er nöthig, ihnen vor allen Dingen die Geschichte der Entstehung desselben, unverfälscht und mit den eignen Worten des Verfassers, eines zwar wenig bekannten, aber seit dem Jahr 1753 sehr stark gelesenen Schriftstellers, mitzutheilen. „Es war (so lautet sein Bericht) — es war ein schöner Herbstabend im Jahr 177*; ich befand mich allein in dem obern Stockwerk meiner Wohnung und sah — denn ich schäme mich nicht zu bekennen, wenn mir etwas menschliches begegnet — vor langer Weile zum Fenster hinaus; denn schon seit vielen Wochen hatte mich mein Genius gänzlich verlassen. Ich konnte weder denken noch lesen. Alles Feuer meines Geistes schien erloschen, alle meine Laune, gleich einem flüchtigen Salze, verduftet. Ich war d u m m , aber ach! ohne an den Seligkeiten der Dummheit Theil zu haben, ohne einen einzigen Gran von
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dieser stolzen Zufriedenheit mit sich selbst, dieser unerschütterlichen Überzeugung, welche gewisse Leute versichert, daß alles, was sie denken, sagen, träumen und im Schlaf reden, wahr, witzig, weise, und in Marmor gegraben zu werden würdig sey — einer Überzeugung, die den ächten Sohn der großen Göttinn, wie ein Muttermahl, kennbar und zum glücklichsten aller Menschen macht. Kurz, ich fühlte meinen Zustand, und er lag schwer auf mir; ich schüttelte mich vergebens; und es war, wie gesagt, so weit mit mir gekommen, daß ich durch ein ziemlich unbequemes kleines Fenster in die Welt hinaus guckte, ohne zu wissen was ich sah, oder etwas zu sehen, das des Wissens werth ge10
wesen wäre. Auf einmal war mir, als höre ich eine Stimme — ob es Wahrheit oder Täuschung war, will ich nicht entscheiden — die mir zurief: setze dich und schreibe die Geschichte der Abderiten! Und plötzlich ward es Licht in meinem Kopfe. Ja, ja, dacht ich, die Abderiten! Was kann natürlicher seyn? Die Geschichte der Abderiten will ich schreiben! Wie war es doch möglich, daß mir ein so natürlicher Einfall nicht schon längst gekommen ist? Und also setzt ich mich und schrieb, und schlug nach, und compilirte, und ordnete zusammen, und schrieb wieder, und es war eine Lust zu sehen, wie mir das Werk von den Händen gieng. Indem ich nun so im besten Schreiben war, (fährt unser Verfasser in seiner
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treuherzigen Beichte fort,) kam mir in einem Anstoß von Capriccio, oder Laune, oder wie man’s sonst nennen will, der Einfall, meiner Phantasie den Zügel schießen zu lassen, und die Sachen so weit zu treiben, als sie gehen könnten. Es betrifft ja nur die Abderiten, dacht ich, und an den Abderiten kann man sich nicht versündigen: sie sind ja doch am Ende weiter nichts als ein Pack Narren; die Albernheiten, die ihnen die Geschichte zur Last legt, sind groß genug, um das Ungereimteste, was du ihnen andichten kannst, zu rechtfertigen. Ich gesteh es also unverhohlen — und wenn’s unrecht war, so verzeihe mirs der Himmel! — ich strengte alle Stränge meiner Erfindungskraft bis zum Reißen an, um die Abderiten so närrisch denken, reden und sich betragen zu lassen,
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als es nur möglich wäre. Es ist ja schon über zweytausend Jahre, daß sie allesammt todt und begraben sind, sagte ich zu mir selbst; es kann weder ihnen noch ihrer Nachkommenschaft schaden; denn auch von dieser ist schon lange kein Gebein mehr übrig. Zu diesem allem kam noch eine andre Vorstellung, die mich durch einen gewissen Schein von Gutherzigkeit einnahm. Je närrischer ich sie mache, dachte ich, je weniger habe ich zu besorgen, daß man die
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Abderiten für eine S a t y r e halten, und Anwendungen davon auf Leute machen wird, die ich doch wohl nicht gemeynt haben kann, da mir ihr Daseyn nicht einmal bekannt ist. Aber ich irrte mich sehr, indem ich so schloß. Der Erfolg bewies, daß ich unschuldigerweise A b b i l d u n g e n gemacht hatte, da ich nur P h a n t a s i e zu malen glaubte.“ Man muß gestehen, dies war einer der schlimmsten Streiche, die einem Autor begegnen können, der keine List in seinem Herzen hat, und, ohne irgend eine Seele ärgern oder betrüben zu wollen, blos sich selbst und seinem Nebenmenschen die Langeweile zu vertreiben sucht. Gleichwohl war dies was dem Verfasser der Abderiten schon mit den ersten Kapiteln seines Werkleins
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begegnete. Es ist vielleicht keine Stadt in Deutschland, und so weit die natürlichen Gränzen der deutschen Sprachen gehen (welches, im Vorbeygehen gesagt, eine größere Strecke Landes ist, als irgend eine andre europäische Sprache inne zu haben sich rühmen kann), wo die Abderiten nicht Leser gefunden haben sollten; und wo man sie las, da wollte man die Originale zu den darinn vorkommenden Bildern gesehen haben. „In tausend Orten (sagt der Verfasser) wo ich weder selbst jemals gewesen bin, noch die mindeste Bekanntschaft habe, wunderte man sich, woher ich die Abderiten, Abderitinnen und Abderitismen dieser Orte und Enden so genau kenne; und man glaubte, ich müßte schlechterdings einen geheimen Briefwechsel oder einen kleinen Cabinetsteu-
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fel haben, der mir Anekdoten zutrüge, die ich mit rechten Dingen nicht hätte erfahren können. Nun wußte ich (fuhr er fort) nichts gewisser, als daß ich weder diesen noch jenen hatte: folglich war klar wie Taglicht, daß das alte Völklein der Abderiten nicht so ausgestorben war, als ich mir eingebildet hatte.“ Diese Entdeckung veranlaßte den Autor Nachforschungen anzustellen, die er für unnöthig gehalten hatte, so lange er bey Verfassung seines Werkes mehr seine eigne Phantasie und Laune als Geschichte und Urkunden zu Rathe gezogen hatte. Er durchstöberte manche große und kleine Bücher ohne sonderlichen Erfolg, bis er endlich in der sechsten Dekade des berühmten H a f e n S l a w k e n b e r g i u s p. m. 864. folgende Stelle fand, die ihm einigen Aufschluß über diese unerwartete Ereignisse zu geben schien. „Die gute Stadt Abdera in Thracien (sagt Slawkenbergius am angeführten Orte), ehmahls eine große, volkreiche, blühende Handelsstadt, das thracische A t h e n , die Vaterstadt eines Protagoras und Demokritus, das Paradies der
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Narren und der Frösche, diese gute schöne Stadt Abdera — ist nicht mehr. Vergebens suchen wir sie in den Landcharten und Beschreibungen des heutigen Thraciens; sogar der Ort, wo sie ehmahls gestanden, ist unbekannt, oder kann wenigstens nur durch Muthmaßungen angegeben werden. Aber nicht so die Abderiten! diese leben und weben noch immer fort, wiewohl ihr ursprünglicher Wohnsitz längst von der Erde verschwunden ist. Sie sind ein unzerstörbares, unsterbliches Völkchen; ohne irgendwo einen festen Sitz zu haben, findet man sie allenthalben; und wiewohl sie unter allen andern Völkern zerstreut leben, haben sie sich doch bis auf diesen Tag rein und unvermischt 10
erhalten, und bleiben ihrer alten abderitischen Art und Weise so getreu, daß man einen Abderiten, wo man ihn auch antrifft, nur einen Augenblick zu sehen braucht, um eben so gewiß z u s e h e n und z u h ö r e n , daß er ein Abderit ist, als man es zu Frankfurt und Leipzig, Constantinopel und Aleppo einem Juden anmerkt, daß er ein Jude ist. Das Sonderbarste aber, und ein Umstand, worinn sie sich von den Israeliten, Beduinen, Armeniern und allen andern unvermischten Völkern wesentlich unterscheiden, ist dieses: daß sie sich ohne mindeste Gefahr ihrer A b d e r i t h e i t mit allen übrigen Erdbewohnern vermischen, und — ungeachtet sie allenthalben die Sprache des Landes, wo sie wohnen, reden, Staatsverfassung, Religion und Gebräuche mit den
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N i c h t a b d e r i t e n gemein haben, auch essen und trinken, handeln und wandeln, sich kleiden und putzen, sich frisiren und parfümiren, purgiren und klysterisiren lassen, kurz, alles was zur Nothdurft des menschlichen Lebens gehört ungefähr eben so machen wie andre Leute — daß sie, sage ich, nichts destoweniger in allem was sie zu Abderiten macht sich selbst so unveränderlich gleich bleiben, als ob sie von jeher durch eine diamantne Mauer, dreymal so hoch und dick als die Mauern des alten Babylons, von den vernünftigen Geschöpfen auf unserm Planeten abgesondert gewesen wären. Alle andre Menschenarten verändern sich durch Verpflanzung, und zwo verschiedne Arten bringen durch Vermischung eine dritte hervor. Aber an den Abderiten,
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wohin sie auch verpflanzt wurden und soviel sie sich auch mit andern Völkern vermischt haben, hat man nie die geringste wesentliche Veränderung wahrnehmen können. Sie sind immer noch die nämlichen Narren die sie vor zweytausend Jahren zu Abdera waren; und wiewohl man schon längst nicht mehr sagen kann: siehe hie ist Abdera oder da ist Abdera: so ist doch in Europa, Asia, Africa und America, soweit diese große Erdviertel policirt sind, keine Stadt,
Der Schlüssel zur Abderitengeschichte
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kein Marktflecken, Dorf noch Dörfchen, wo nicht einige Glieder dieser unsichtbaren Genossenschaft anzutreffen seyn sollten.“ — So weit besagter H a fen Slawkenbergius. „Nachdem ich diese Stelle gelesen hatte, fährt unser Verfasser fort, so hatte ich nun auf einmal d e n S c h l ü s s e l zu den vorbesagten Erfahrungen, die mir ersten Anblicks so unerklärbar vorgekommen waren; und so wie der Slawkenbergische Bericht das was mir mit den Abderiten begegnet war, begreiflich machte, so bestätigte dieses hinwieder die Glaubwürdigkeit von jenem. Die Abderiten hatten also einen Saamen hinterlassen, der in allen Landen aufgegangen war und sich in eine sehr zahlreiche Nachkommenschaft ausge-
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breitet hatte; und da man beynahe allenthalben die Charaktere und Begebenheiten der a l t e n Abderiten für Abbildungen und Anekdoten der n e u e n ansah: so erwies sich dadurch auch die seltsame Eigenschaft der Einförmigkeit und Unveränderlichkeit, welche dieses Volk, nach dem angeführten Zeugniß, von andern Völkern des festen Landes und der Inseln des Meeres unterscheidet. Die Nachrichten, die mir hierüber von allen Orten zukamen, gereichten mir aus einem doppelten Grunde zu großem Troste: erstens, weil ich mich nun auf einmal von allem innerlichen Vorwurf den Abderiten vielleicht zuviel gethan zu haben erleichtert fand; und zweytens, weil ich vernahm, daß mein Werk überall, auch von den Abderiten selbst, mit Vergnügen gelesen, und
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besonders die treffende Ä h n l i c h k e i t zwischen den alten und neuen bewundert werde, welche den letztern, als ein augenscheinlicher Beweis der Ächtheit ihrer Abstammung, allerdings sehr schmeichelhaft seyn mußte. Die Wenigen, welche sich beschwert haben sollen, daß man sie z u ä h n l i c h geschildert habe, kommen in der That gegen die Menge derer die zufrieden sind in keine Betrachtung; und auch diese Wenigen thäten vielleicht besser, wenn sie die Sache anders nähmen. Denn da sie, wie es scheint, nicht gerne für das angesehen seyn wollen was sie sind, und sich deswegen in die Haut irgend eines edlern Thieres gesteckt haben: so erfodert die Klugheit, daß sie ihre Ohren nicht selbst hervorstrecken, um eine Aufmerksamkeit auf sich zu erregen, die nicht zu ihrem Vortheil ausfallen kann. Auf der andern Seite aber ließ ich mir auch den Umstand, daß ich die Geschichte der alten Abderiten gleichsam unter den Augen der neuern schrieb, zu einem Beweggrund dienen, meine Einbildungskraft, die ich anfangs bloß ihrer Willkühr überlassen hatte, kürzer im Zügel zu halten, mich
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vor allen Karikaturen sorgfältig zu hüten, und den Abderiten in allem was ich von ihnen erzählte, die strengste Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. Denn ich sah mich nun als den Geschichtschreiber der Alterthümer einer noch fortblühenden Familie an, welche berechtigt wäre, es übel zu vermerken, wenn man ihren Vorfahren irgend etwas ohne Grund und gegen die Wahrheit aufbürdete.“ Die Geschichte der Abderiten kann also mit gutem Grunde als eine der wahresten und zuverläßigsten, und eben darum als ein getreuer Spiegel betrachtet werden, worinn die Neuern ihr Antlitz beschauen, und, wenn sie nur 10
ehrlich gegen sich selber seyn wollen, genau entdecken können, in wiefern sie ihren Vorfahren ähnlich sind. Es wäre sehr überflüßig, von dem Nutzen, den das Werk in dieser Rücksicht so lange als es noch Abderiten geben wird — und dies wird vermuthlich sehr lange seyn — stiften kann und muß, viele Worte zu machen. Wir bemerken also nur, daß es beyläufig auch noch den Nutzen haben könnte, die Nachkömmlinge der alten Teutschen unter uns behutsamer zu machen, sich vor allem zu hüten was den Verdacht erwecken könnte, als ob sie entweder aus abderitischem Blute stammten, oder aus übertriebner Bewundrung der abderitischen Art und Kunst und daher entspringender Nachahmungssucht, sich selbst Ähnlichkeiten mit diesem Volke geben wollten, wo-
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bey sie aus vielerley Ursachen wenig zu gewinnen hätten. Und dies, werthe Leser, wäre also der versprochne Schlüssel zu diesem merkwürdigen Originalwerke, mit beygefügter Versicherung, daß nicht das kleinste geheime Schubfach darinn ist, welches Sie sich mit diesem Schlüssel nicht sollten aufschließen können; und wofern Ihnen jemand ins Ohr raunen wollte, als ob noch mehr darinn verborgen sey, so können Sie sicherlich glauben, daß er entweder nicht weiß was er sagt, oder nichts Gutes im Schilde führt. — — Sapientia prima est stvltitia carvisse —
Der Schlüssel zur Abderitengeschichte
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Der Teutsche Merkur. Herbstmond 1781.
¼Soll man ihnen Weiber geben? Antwort aus der Erfahrung auf dieß Problem d e r C h r o n o l o g e n B. 7. No. III. S. 242. …½
Von einem U n g e n a n n t e n eingeschikt.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang/Mitte Oktober 1781)
¼Ein Ungenannter an Hrn. C h o d o w i e c k i ½ (auf Ersuchen eingerükt.) ¼…½
¼Anmerkung½ E i n U n g e n a n n t e r a n H r n . C h o d o w i e c k i
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Den H i r s c h f e l d i s c h e n Gartenkalender und die Z w e y b r ü c k i s c h e Ausgabe der Rousseauischen Werke betreffend. Ich habe i m Wo n n e m o n d (May) dieses Jahres einen G a r t e n - K a l e n d e r angekündigt, welchen der berühmte Herr Justizrath H i r s c h f e l d in Kiel aufs Jahr 1782 auf Pränumeration herauszugeben gedenkt. Die Pränumerationszeit auf das Jahr 1782 soll zwar mit Michaelis zu Ende gehen; jedoch ist zu hoffen, daß dieser Termin, zu Gunsten der etwaigen Liebhaber in den entferntern Gegenden, wenigstens um einen Monat werde verlängert werden. Sollten also, wie nicht zu zweifeln, einige Gartenliebhaber hiesigen Orts oder umliegender Gegend, von der Gelegenheit, sich diesen Gartenkalender um den Prä-
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numerationspreis, nehmlich E i n e n C o n v e n t i o n s G u l d e n , oder 16 ggr. Sächs. Courant, anzuschaffen, Gebrauch machen wollen: so erbiete ich mich hiermit, auf Ersuchen des Hrn. Herausgebers, die Pränumeration anzunehmen, und dafür zu sorgen, daß die bestellte Exemplarien zu rechter Zeit an die Interessenten abgeliefert werden sollen. Auch wird noch angezeigt, daß man auf die im H e u m o n d (Julius) d. J. angekündigte Neue Französische Ausgabe d e r s ä m t l i c h e n We r k e J . J . R o u s s e a u’ s (welche aus 24 Duodezbänden bestehen und nicht mehr als E i n e n S c h i l d - L o u i s d’ o r kosten wird) bey mir unterzeichnen könne; daher die etwaigen Liebhaber in hiesiger Gegend ihre Nahmen in Zeiten bey mir anzugeben geziemend ersucht werden. Weimar, den 25. Herbstm. 1781. Wieland.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang/Mitte Oktober 1781)
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Gnädigste Herzogin! Hier lege E u . D u r c h l a u c h t mich und die Verse zu Füßen, die der Eifer, Ihre Befehle nach Möglichkeit zu vollziehen, mir diesen Morgen eingegeben hat. Möchten Sie Meiner angebeteten Fürstin nicht mißfallen, und der erhabenen Muse nicht ganz unwürdig scheinen, die mich seit 16 Jahren immer am glüklichsten begeistert hat! W.
A n O l y m p i a ¼Widmungsanschreiben½ „ G n ä d i g s t e H e r z o g i n ! “
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An Olympia. Am Vier und Zwanzigsten des Weinmonds 1781.
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A n O l y m p i a (Mitte Oktober 1781)
Z w o M u s e n , deren Zwist zu steuern Drey Weise Männer unsrer Zeit viel Aufwand von Beredsamkeit und Witz gemacht, begonnen ihren Streit am Vier und Zwanzigsten des Weinmonats zu erneuern. Den andern Musen ward die Weile lang dabey; es schien, daß solch ein Zwist zu nichts behülflich sey als Beyder Galle zu versäuern. Ihr Kinder, sprach zulezt der schöne Gott des Lichts, 10
Laßt eure Zungen einmal feyern! in diesem Streit, ich kanns beym Styx betheuern, hilft Lock und Wolf und Plato selber nichts als eure Eyfersucht vergeblich anzufeuern; denn soviel zeigt sich Angesichts D u kannst nicht mahlen, D u nicht leyern. Was Jede kann ist schon in seiner Art, Ihr würket Einzeln viel, und zehnmal mehr Gepaart; Doch, Welche m e h r ? soll izt die That entscheiden. Laßt sehn und hören was ihr könnt
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um einer F ü r s t i n , Die euch beyden gleich hold ist — (Ihren Namen nennt euch euer Herz) — und Die von ihrem schönen Leben Euch immer wechselsweis den schönsten Theil gegönnt, was Sie um euch verdient, Unsterblichkeit, zu geben! Ich bin bereit, rief P o l y h y m n i a . Und Alles schwieg, und lag in stiller Feyer und jedes Herz zerfloß, und jedes Auge sah entzükt zum Himmel auf, da ihrer goldnen Leyer die Harmonie bald zaubrischsüß entfloß,
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bald majestätisch sich wie Meereswogen wälzte,
An Olympia
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Bald Feuerströmen gleich aus Donnerwolken schoß; Die Seelen bald in Liebeswehmuth schmelzte, bald kühn und stolz, in immer höherm Flug, dem Adler gleich zum Siz der Götter trug. Die Aganippe vor Vergnügen hielt ihren Strom zurük; es schien der Lorbeerhayn zum himmlischen Getön die Wipfel hinzubiegen, und in den Lüften hielt im Fliegen Der Vögel Schaar, auf einmal, lauschend ein. Die Musen sahn sich an, und schwiegen:
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Apollo lächelte — und P o l y h y m n i a , die, was man ihr verschwieg, in jeder Miene sah, verbirgt in Kalliopens Busen ihr glühendes Gesicht. Ein andermal, mein Kind, vergiß nicht, spricht der Gott der Musen, daß selbst der Götter Ohren — blind und alle deine Zaubereyen nur lieblicher Tumult und dunkle Räthsel sind, wenn andre Musen dir nicht ihren Beystand leyhen. Izt warf er einen Blick dahin
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wo, mit Palett und Pinsel in den Händen, Apellens schöne Lehrerin beschäftigt stand ein Bildnis zu vollenden, das mit den lezten Pinselstrich als wie ins Leben sprang, und ganz in allen Zügen d e r F ü r s t i n D i e e r l i e b t e glich. Zu ihren Füßen sah man liegen was größern Glanz I h r schuldig war als gab, den Fürstenhut, den goldnen Hirtenstab; Ihr huldigten, mit einer Blumenkette umschlungen von den Grazien, die Musenkünste in die Wette
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und alle milden Tugenden; Und über Ihr, aus eines Volkes Mitten das Sie als Mutter einst beglükt, sah man die Töchter Zevs, die demuthsvollen Bitten, vom frommen Dank empor geschikt, mit tausend Wünschen für Ihr Leben und Glück, hinauf zum Thron des Göttervaters schweben. Die Musen hatten kaum das edle Bild erblikt, so flogen sie die Schwester zu umarmen; 10
S i e i s t s , S i e i s t s , rief jeder Mund entzükt, Und K l i o trug das Bild in ihren Armen die Stirn des Musenbergs hinauf, Und stellt es am Altar des ew’gen Ruhmes auf.
An Olympia
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Der Teutsche Merkur vom Jahr 1781. Ihro Römisch-Kayserlichen Majestät zugeeignet. Mit Königl. Preuß. und Churfürstl. Brandenburg. gnädigstem Privilegio.
Viertes Vierteljahr. Weimar.
Der Teutsche Merkur. Weinmond 1781.
Horazens siebenter Brief. An Mäcenas. Fünf Tage nur, M ä c e n , versprach ich dir auf meinem Gütchen frische Luft zu schöpfen: Nun läßt, den ganzen Erndtemonat durch, der lügenhafte Mensch vergebens sich erwarten! Indessen, willst du gerne mich gesund und gutes Muthes sehn, so wirst du schon die Nachsicht, die du mit dem Kranken trügest, dem krank zu werden Fürchtenden so lange
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zu statten kommen lassen, als die Hitze die ersten Feigen reiffet, und der Leichenbesorger, mit seinem Zug von schwarzen Amtstrabanten, zu Rom die große Rolle spielt *); die Zeit, da jeder Vater, jedes Mütterchen für seine Kinder zittert, und pflichtschuldige Geflissenheit Patronen und Klienten genug zu thun, von bösen Gallenfiebern begleitet wird, und Testamente öfnet. Beginnt nun vollends die Albanschen Felder
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der erste Frost mit Schnee zu übertünchen; dann wird von seinen Bergen sich dein Dichter zum wärmern Meere ziehn, und taugt nun sonst zu nichts, als sich zu schonen, und zusammen*)
Im Monat S e x t i l , welcher in der Folge dem August zu Ehren diesen lezten Namen erhielt,
pflegten in Rom die bösartigen Gallenfieber die meisten Menschen wegzuraffen. Die Leichenbesorger hatten also in dieser Zeit am meisten zu thun, und Horaz nennt deswegen, in seiner scherzhaften Manier ihre Handlanger und Diener schwarze L i c t o r e n , und macht die Leichenbesorger dadurch zu Amtspersonen vom ersten Rang als deren Gewalt um diese Zeit selbst den Consuln und Prätorn furchtbar war.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Oktober /Anfang November 1781)
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geschrumpft die langen Nächte sich mit Lesen zu kürzen: Aber mit dem ersten milden Lüftchen, der ersten Schwalbe, kommt er, süßer Freund, wenn du’s erlaubst, dich wieder zu besuchen. Du hast mich s o nicht reich gemacht, wie m e i n e K a l a b r i e r * ) den Gast von ihren Birnen zu essen nöthigen — „Eßt doch, guter Freund!“ I c h h a b e s a t t — „So steck’ er immer ein soviel er will“ — I c h d a n k e s c h ö n s t e n s — „I, 10
so nehm er doch! er kanns ja seinen Kleinen zum Gruß nach Hause bringen“ — S e h r v e r b u n d e n ! Soll seyn als ob ich schwer beladen heimg e k o m m e n w ä r e — „Wie’s dem Herrn beliebt! U n s spart er nichts, es bleibt nur für die Schweine.“ So giebt der Grobian verschwendrisch weg was keinen Werth in seinen Augen hat; und dies ist eine Saat, die immer Undankbare getragen hat und ewig tragen wird. Ein edler Mann steht allen Würd’gen Leuten
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zu Dienst, und weiß gleichwohl Theatergold **) von gangbarm Geld so gut zu unterscheiden als andre Leute. Würdig will auch Ich des Beyfalls eines Freundes, der soviel um mich verdient hat, immer mich erhalten. Doch, sollt ich niemals mich entfernen dürfen, so müßtest du die Jugendstärke auch mir wiedergeben können, und den Busch *) **)
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Horaz hatte nach der Lage seines Gutes, Kalabrische Bauern oder Pächter zu Nachbarn. Wer die Lustspiele des Plautus und Terenz kennt, weiß, daß es darinne fast immer darum zu
thun war, einem geitzigen Alten mit Hülfe eines spizbübischen Knechts zu Gunsten eines lüderlichen Jünglings und zur Befriedigung irgend eines raubgierigen Mädchenhändlers einen tüchtigen Beutel mit Geld abzuschwazen oder abzuschinden. Die Alten bedienten sich in solchen Fällen eines Beutels oder Saks voll Wo l f s b o h n e n (Lupini) und dies kann für izt zum Verstande dieser Stelle hinreichend seyn.
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von schwarzen Locken um die schmale Stirne, den leichten Witz, die muntre Laune wieder mir geben, die mich dir gefällig machte, und daß mirs noch so gut, wie ehmals, ließe beym Trinkgelag des Schelmenmädchens Flucht, das sich davonschlich, lachend zu beweinen. Ein Mäuschen hatte sich in einen vollen Getraidekasten einst durch eine kleine Spalte hineingeschlichen, und sich dick und rund darinn gefressen; aber wie es wieder
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heraus sich pressen wollte, war’s umsonst. Da rief ein Wiesel ihm von ferne zu: Mein gutes Mäuschen, zu entfliehn ist nur Ein Mittel: mager schlupftest du hinein; nun schlupfe mager wieder ’raus. Gilt diese Fabel mir, so geb ich alles wieder. Denn, wenn ich mir den guten derben Schlaf der Armen Leute lobe, ists nicht weil ich satt von Ortolanen und Kapaunen bin; noch würd’ ich meine unumschränkte Muße
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um alles Gold Arabiens vertauschen. Oft hast du meine leichtgenügsame Bescheidenheit gerühmt; auch bist du es an mir gewohnt mein König und mein Vater zu heissen, und ich bin nicht sparsamer mit solchen Namen wenn du ferne bist. Versuch’ es, ob ich was du mir geschenkt mit frohem Muth zurückegeben könne! Nicht übel spricht dort Telemach, der Sohn des duldsamen Ulysses: „Ithaka taugt nicht zur Pferdezucht; es mangelt uns an weiten Ebnen und an guter Weide. Behalt’ Atride, dein Geschenk, du kannst
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es besser brauchen.“ *) — Kleinen Leuten paßt was klein ist an. Das königliche Rom ist mir zu groß; dafür gefällt hingegen das leere Tibur mir, das ruhige Tarent. Der edle M a r c i u s P h i l i p p u s war bekanntlich einer der beredtesten und Rechtsgelehrtsten Männer seiner Zeit. Einst da er, um die achte Stunde, von Geschäften nach Hause gieng, und als ein ziemlich schon 10
bejahrter Mann den weiten Weg vom Markte nach seiner Wohnung zu Carinä **) sehr beschwerlich fand, erblikt’ er, sagt man, einen gewissen Glattgeschohrnen, der im Schatten eines leeren Barbierschupfs, sehr gelassen sich mit einem Messerchen die Nägel stuzte. Geh — spricht P h i l i p p , zum Diener der ihm folgte und der in seines Herren Laune sich nicht übel zu schicken wußte — geh, D e m e t r i u s , und frag’, und bringe mir die Antwort, wer er sey?
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Was für ein Landsmann? Welchen Standes? Wie sein Vater heisse oder sein Patron? Der Diener geht und bringt die Nachricht: M e n a Vu l t e j u s nenn’ er sich, sey seines Zeichens Ausrufer; steure wenig; übrigens ein wohlbekannter unbescholtner Mann, betriebsam wo was zu verdienen sey, um sich dafür in müß’gen Stunden wieder mit frohen Brüdern seines Stands und Sinnes am kleinen Heerde was zu lieb zu thun;
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versäume nebenher mit Willen keine
*) **)
Im vierten Buch der Odyssee, v. 600 u. f. Eine Gegend in Rom, wo auch Pompejus Magnus, Cicero, und andre vornehme Römer ihre
Häuser hatten.
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Komödie, und spreche, nach geendigten Geschäften, abends stets im C a m p u s zu. D a s a l l e s m u ß i c h v o n i h m s e l b s t e r f r a g e n ; s a g’ , e r s o l l z u m E s s e n b e y m i r k o m m e n . — M e n a stuzt wie er den Antrag hört; das Ding kömmt ihm nicht gar zu richtig vor, und, kurz, der Mann verbittet sichs. — E r w i l l n i c h t k o m m e n , s a g s t d u ? „Nicht anders, Herr! aus Mangel oder aus zuviel Respect, der Schuft beharrt dabey er komme nicht“ — Den nächsten Morgen trift
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P h i l i p p u s seinen Mann bey einem Hauffen zerlumpter Bauren an, der ihnen alten Trödel verkauft — geht auf ihn zu, und grüßt ihn. Jener entschuldigt sich aufs beste daß er gestern nicht gekommen sey — er sey im Tagelohn verdingt gewesen — bittet übrigens sehr um Verzeihung, daß er Ihn nicht gleich gewahr geworden — S o l l i c h d i r v e r z e i h n , so ists auf die Bedingung, daß du heute m e i n G a s t z u s e y n v e r s p r e c h e s t — „Nach Befehl!“
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So komm nach Neune.*) Mach indessen dein G e s c h ä f t’ , u n d G l ü c k z u e i n e m g u t e n Z u g ! Mein M e n a stellt sich ein, schwazt was sich schikt und nicht schikt, läßt sichs wohl belieben, und wird zulezt mit schwerem Haupt zu Bette gebracht. Von nun an schien der Fisch von selbst dem unsichtbaren Hamen zuzuziehen. Vu l t e i , der alle Morgen sich seitdem, im Vorgemach, und alle Abend richtig
*)
Die Römer rechneten die Stunden des Tages von Sonnenaufgang. Ihre Stunden waren aber
einander nicht gleich. Indessen correspondierte ihre 6te Stunde mit unserm Mittag, und also die Neunte ungefehr mit unsrer Dritten Nachmittags.
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bey Tafel einfand, kriegt, beym Eintritt der Lateinschen Ferien, Befehle, den Patron auf seine Güter zu begleiten. Außer sich vor Wohlbehagen rollt in ofnem Wagen mein Mann, dem hohen Freunde gegenüber, daher, und kann nicht sattsam Worte finden die große Schönheit des Sabinschen Himmels und Landes anzupreisen. M a r c i u s (der ihm ins Herz sieht und bey Laune ist 10
sich zu belust’gen, oder auch vielleicht mit guter Art des Menschen loß zu werden) indem er ihm dreyhundert Thaler schenkt, und noch dreyhundert anzuleyhn verspricht, beredet ihn, ein Gütchen sich zu kaufen. Der Kauf wird richtig, und (um nicht zu lange dich aufzuziehn) der schmucke Städter wird ein Bauer, klappert nun von nichts als Äckern und Rebeland, sezt Ulmen, sät und pflanzt, berechnet stündlich Einnahm und Gewinn,
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und wird, vor Hunger immer mehr zu haben, in kurzer Frist, blaß, hager, alt und grau. Allein, wie nun die Unglüksfälle kommen auf die er nicht gerechnet, seine Schafe gestohlen werden, seine Ziegen sterben, die Erndte fehlt, sein Ochs am Pfluge fällt, schwingt mitten in der Nacht mein M e n a sich in voller Wuth auf seinen dürren Klepper, und sporenstreichs dem Konsular vors Haus. E y , e y , spricht Dieser, da er ihn so schmutzig
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und ungeschoren sieht, d u t h u s t d e r S a c h e , d ä u c h t m i c h , z u v i e l , Vu l t e i ! b i s t g a r z u h ä u s l i c h , g a r z u g e n a u ! — „Bey Gott, Patron, ruft jener, wenn ihr mir meinen rechten Namen geben wollt, so nennt mich einen armen Teufel! Denn der bin ich! Und bey euerm Genius,
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bey dieser rechten Hand, und euers Hauses Schuzgöttern, bitt ich und beschwör ich euch, sezt mich zurük in meinen alten Stand!“ Wer einmal eingesehn, wieviel, Was er zurükließ, besser ist als Was er suchte, der kehr in Zeiten um. Das Wahre ist, ein jeder messe sich mit seinem eignen Fuß! W.
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Friedel, Maydieu, und Baron von St****, Gentilhomme Allemand. Eine Litterarische Neuigkeit. Quicquid delirant Reges, plectuntur Achivi. Horat.
Verschiedene Ü b e r s e t z u n g e n der Werke von Haller, Geßner, Klopstock, Wieland, u. a. m. s o l l e n (wenn man dem Ungenannten Verfasser der Recension von Hrn. Engels E d e l k n a b e n im No. 244. des Iournal de Paris von diesem Jahre glauben darf) der neuesten A l l e m a n n i s c h e n L i t t e r a t u r in 10
Frankreich eine g r o ß e R e p u t a t i o n g e g e b e n h a b e n . Mit dem T h e a t e r der Teutschen aber, sagt eben dieser Ungenannte, verhalte sichs anders. Man habe zwar einige D r a m e n , einige L u s t s p i e l e übersezt, aber keines dieser Stücke habe einen merklichen Succeß gehabt — ohne daß man zur Zeit noch wissen könne, ob der Fehler an den teutschen Autoren, die sich in diesem Fache g e ü b e t , oder ob er daran liege, daß die Übersetzer sich in der Wahl der Stücke vergriffen und unglüklicher Weise gerade über die schlechtesten gerathen seyn. *) Das erste behauptete wie es scheint ein gewisser Hr. Abbe M a y d i e u in der Vorrede zu dem von ihm übersezten oder vielmehr verbesserten und ver-
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schönerten teutschen Trauerspiel E d u a r d M o n t r o s e . Des leztern bezüchtigt eben diesen Herrn Maydieu ein gewisser Herr F r i e d e l , Professor (der teutschen Sprache vermuthlich) bey den Pagen des Königlichen Marstalles zu Versailles, in einem Briefe an die Herausgeber des Journals von Paris vom 28sten August d. J. *)
Es ist auch noch ein drittes möglich, nehmlich d a ß d i e Ü b e r s e t z e r — entweder weil sie
beyde Sprachen nicht genug verstanden, oder aus Mangel an Urtheil, Geschmak und Talent der unternommenen Arbeit nicht gewachsen gewesen — s c h l e c h t ü b e r s e z t h a b e n k ö n n t e n — welches wohl bey den meisten teutschen Werken, die das Unglük gehabt haben ins Französische travestirt zu werden, der Fall gewesen seyn dürfte.
Friedel, Maydieu, und Baron von St****
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Herr F r i e d e l nimmt es sehr übel daß man von dem Theater einer Nation nach e i n e m e i n z i g e n S t ü k urtheilen wolle; und noch übler, daß man, um der Französischen ein Probestük dessen was die Teutsche in diesem Fache geleistet hätte zu geben, gerade e i n s c h l e c h t e s gewählt habe. „ E d u a r d M o n t r o s e (sagt er) ist in Teutschland sehr schlecht aufgenommen worden; es findet sich, seitdem es ans Licht getreten (d. i. seit 1776.) in keinem Verzeichnis der Stücke die in den ansehnlichsten teutschen Städten gespielt werden; die Journale (z. B. d i e a l l g e m e i n e t e u t s c h e B i b l i o t h e k im 29sten Bande S. 503.) urtheilen nichts weniger als vortheilhaft davon: und mit einem solchen Stücke will man den Franzosen zeigen, wie weit die Teutschen noch in der Litteratur zurük sind? Aber z u a l l e m
Glücke*)
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giebt es in Frankreich eine
Menge Gens de Lettres, welchen die guten dramatischen Dichter Teutschlands, Leßing, Engel, Göthe, Gotter, Brandes, Weisse, Wezel und verschiedene andre, wohl bekannt sind.“ **) — „Die Teutschen (sezt Herr F r i e d e l hinzu) wiewohl sie an Schauspielen nicht so reich sind als die Franzosen, haben derer gleichwohl sehr vortrefliche, wovon ich mir vorgesezt habe mit ehestem e i n e Ü b e r s e t z u n g i n 1 0 B ä n d e n (Hinc ille lacrymæ!) herauszugeben.“ Nach diesem vorbereitenden Schritte trat Hr. F r i e d e l bald darauf, nemlich den 14ten des Herbstmonds, im nehmlichen Journal mit einem Prospectus seines N o u v e a u * * *) T h e a t r e A l l e m a n d , ou Recueil des Pieces mo-
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dernes qui ont paru a v e c S u c c é s sur les Theatres des Capitales de l’Allemagne, hervor, worinn er mit vielem Vertrauen auf seine gute Sache
*)
Dieses Heureusement bezieht sich doch wohl mehr auf das Vorhaben des Hrn. F r i e d e l s
ein Nouveau Theatre Allemand auf Subscription herauszugeben, als auf das Glük unsrer g u t e n Schriftsteller; indem nicht wohl abzusehen ist, was Diesen dadurch an ihrem Werth oder Wohlbefinden ab- oder zugehen sollte, wenn man sich zu Paris richtige oder unrichtige Vorstellungen von ihnen macht. **)
Dem Namen nach nehmlich; und das ist auch schon hinlänglich, um einem Teutschen
Schriftsteller bey Gelegenheit die schönsten Complimente von der Welt von einem Französischen zuzuziehen; wiewohl der lezte keine Zeile von den Werken des ersten gelesen hat, noch aus Mangel der Sprache lesen kann, noch vielleicht, wenn er sie lesen könnte, nach seinem Geschmak finden würde. ***)
Er nennt es den N e u e n Te u t s c h e n S c h a u p l a z , weil schon vor 10 Jahren ein Theatre
Allemand herauskam, an dessen Spitze — G o t t s c h e d s C a t o figurierte. Was es Teutschland für Ehre gemacht, kann man sich leicht vorstellen. Daß doch die Raben zu schweigen wüßten und ihren Fraß in der Stille verzehrten, sagt H o r a z .
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versicherte: „Dieser Zweig der Teutschen Litteratur, so wenig bekannt er auch den Ausländern sey, sey um soviel kostbarer und verdiene um soviel mehr Aufmerksamkeit, weil man erst alsdann, wenn man das Theater einer Nation kenne, im Stande sey von ihren Sitten und von ihrem Charakter richtig zu urtheilen.“ — Da sehen nun unsre Herren Theaterdichter was sie gethan haben, und was für schöne Händel sie in kurzem der Nation zugezogen haben werden! Von ihren Stücken wird man also auf unsre Sitten, auf unsern National-Charakter Schlüsse machen. Nach dem Maaße von Genie, Erziehung, Talente, Gefühl und Urtheilskraft, Menschenkentnis, Weltkent10
nis, Sprachkentnis, Lebensart, u. s. w. womit unsre Herren D ü r k , B o c k , Schink, Klein, Schletter, Babo, Brandes, Klinger, Großmann, S t e p h a n i e , K r a u s e n e c k , R a u t e n s t r a u c h , e t c . e t c . e t c , mehr oder weniger versehen sind, wird d i e N a t i o n gemessen werden; und jeden Fehler gegen Grammatik, Logik, Psychologie, Moral, Geschmak, guten Ton, u. s. w. den sie (wie wir — Menschen sind) etwa begangen haben möchten, wird d i e N a t i o n auf ihrem Rücken tragen müssen! — Aber da sehe auch das Publicum in jeder teutschen Hauptstadt, was es riskiert, wenn es so bereitwillig ist, bey einem E d u a r d M o n t r o s e (nach der Versicherung eines gewissen Hrn. Baron von St****) gleich ganze Ströme von Thränen zu vergie-
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ßen; oder bey — andern, wo eine Person von Geschmack fast immer die Achseln zucken muß, sich halb tod zu lachen. Immerhin möchte unsre teutsche Gutmüthigkeit mit allem fürlieb nehmen was uns vorgesezt wird, und eben den Beyfall, den wir heute einem Lessing zugeklatscht haben, Morgen der unzeitigen Geburt eines von Eigendünkel platzenden Wizlings, oder dem armseligen Tagwerk irgend eines hungrigen mechanischen Stümpers zuklatschen: wenn keine Übersetzer wären, hätte das nichts zu sagen. Aber, da ist leider! ein Herr Friedel, der uns ins Französische t r a n s f e r i e r e n wird! Es wird uns nicht länger erlaubt seyn, unsern Kopf wie der Straus ins Gras zu stecken und uns einzubilden daß uns nun niemand sehe. Wir werden an’s ofne
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helle Tageslicht hervorgezogen, und vor den Areopagus aller Richter des Schönen und Guten in ganz Europa gestellt werden. Die Stücke, bey welchen das Publicum in Wien, Prag, München, Mannheim, Dresden, Berlin, Hamburg, Frankfurt, Nürnberg, u. s. w. geweint oder gelacht hat, werden, d e r W ü r k u n g wegen die sie gethan haben, als Stücke welche d i e N a t i o n mit ihrem Beyfall gestempelt hat, übersezt — und nach diesen Stücken, Ihr Teut-
Friedel, Maydieu, und Baron von St****
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schen, wird euer Geschmak, werden eure Sitten, wird die Stufe von Kultur auf der Ihr steht, beurtheilt werden! Mir wird ganz schwühl, wenn ich mir diese Folgen der 10 Bände des Nouveau Theatre Allemand in einiger Klarheit denke. Hrn. F r i e d e l n ist so wenig bange davor, daß er, eh’ er noch den ersten seiner 10 Bände gegeben hat, schon von Mehr spricht. „Teutschland, sagt er, siehet i n d i e s e m A u g e n b l i k eine M e n g e Gens de Lettres *) von einem s e l t n e n und v o r z ü g l i c h e n Ve r d i e n s t e blühen, und wir haben gute Hofnung, künftig die Anzahl dieser Bände noch vermehren zu können, die wir vor der Hand n u r auf 10 setzen wollen.“ — Nun! viel Glüks zum Vorhaben! An Muth fehlt es, wie wir sehen,
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dem Unternehmer nicht, und an Bänden werden’s ihm unsre rüstigen Theaterdichter auch nicht fehlen lassen. Wie viel oder wenig die Franzosen, nach Dem was sie von unsrer Litteratur und besonders von dem Dramatischen Hauptzweig derselben bereits wissen können, sich von dieser Unternehmung des Hrn. F. versprechen möchten, können wir nicht sagen. Wenigstens mußte die Aufmerksamkeit rege werden, da man, unmittelbar, nachdem der Abt Maydieu ein so ungünstiges Zeugnis von unserm Fortgang in diesem Fache abgelegt hatte, einen Teutschen mitten in Paris aufstehen sah, um eine Teutsche Schaubühne in 10 und mehr Bänden anzukündigen; und die Anklage, die er gegen den Hrn. Maydieu beym Publi-
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cum anhängig machte, war doch nicht so unerheblich, daß man nicht hätte erwarten sollen, Beklagter werde sich darauf vernehmen lassen. Allein der Hr. Abt M. gab sich die Mine dem Hrn. F. bloß durch stillschweigende Verachtung zu antworten. Diese Art zu antworten — welche in manchen Fällen eine ganz unzweydeu*)
Ich weiß nicht ob es Ehre oder Schande für unsre Sprache ist, daß wir kein gleichbedeuten-
des Wort für Homme de Lettres, Gens de Lettres, haben. Die Franzosen begreiffen unter diesem Worte alle die Gelehrten und Ungelehrten, die von Wohlredenheit, Poesie, Geschichte, Philosophie, Philologie, Kritik, Romanenschreiben, Broschürenschreiben, journalisieren und dergl. Profession machen; und sie gebrauchen es als eine ehrenhafte Benennung, welche Allen zukömmt, die in einem oder mehreren dieser Fächer, es sey mit Recht oder Unrecht, Ansprüche machen. Daher ist das Wort G e l e h r t e zu weit, und das ohnehin unteutsche B e l l e t t r i s t e n zu enge für Gens de Lettres; überdies führt auch das Lezte, so wie das kürzlich am Rheine in Schwang gekommne S c h ö n g e i s t , bey uns eine verächtliche Nebenbedeutung mit sich; und mit dem leztern wird es nun wohl bald soweit kommen, daß ein Ehrenmann es mit einer Ohrfeige zu erwiedern verbunden seyn wird.
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tige Würkung unsrer Gewißheit seyn kann daß eine Antwort oder Rechtfertigung überflüßig sey — konnte in d i e s e m Falle leicht so aufgenommen werden, als ob Hr. M . stillschweigend anerkenne, daß er nichts befriedigendes zu antworten im Stande sey. So legte es auch ohnezweifel Hr. F r i e d e l aus. Die Sache des Hrn. M a y d i e u wurde, wie leicht zu erachten, nicht besser dadurch; und Hr. F . konnte, da sein Gegner nicht mehr zum Vorschein kam, als Meister des Kampfplatzes sich mit einem leichterworbnen Siege schmeicheln. Wer hätte, bey dieser Lage der Sache, denken sollen, daß, nach Verfluß einiger Wochen, auf einmal ein Gentilhomme Allemand, gleich einem Deus ex 10
Machina, aus den Wolken fallen, die Sache des Hrn. Maydieu nicht nur zur Seinigen, sondern sogar zur Sache der g a n z e n Te u t s c h e n N a t i o n machen, und, in der Absicht die leztere gegen allen eiteln Eigendünkel desto kräftiger zu verwahren, das Trauerspiel E d u a r d M o n t r o s e — ein Stük das in Teutschland keine Sensation gemacht hat, und von einem Verfasser herrührt, dessen Namen unter die unbekanntesten gehört, — zu einem der Besten, welche unsre Schaubühne aufzuweisen habe, erheben würde? Und das war gleichwohl was geschah. Denn am 25sten des letztverflossenen Herbstmonds erschien in No. 268. des Iournal de Paris ein Schreiben eines Gentilhomme Allemand an die Herausgeber; und dieses Schreiben macht,
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seinem ganzen Inhalt nach (zumal wenn es würklich einen Teutschen zum Verfasser haben sollte) eine so merkwürdige Beylage zu den Annalen der Teutschen Litteratur vom 1780. und 1781. aus, daß wir unsern Lesern das Vergnügen nicht vorenthalten können, es ihnen mitzutheilen. Es lautet, so getreu als möglich übersezt, und mit bloßer Weglassung einiger nicht zur Hauptsache gehörigen Stellen, folgendermaßen. „Meine Herren! Wenn der Brief, welchen Herr F r i e d e l , teutscher Sprachmeister zu Versailles, in ihr Journal vom 27sten vergangenen August hat einrücken lassen, sonst niemand beleidigte als den Herrn M a y d i e u , so würde ichs nicht auf
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mich genommen haben drauf zu antworten. Aber wiewohl ich das Stillschweigen lobe, welches der hochachtungswürdige Übersetzer des E d u a r d M o n t r o s e * ) über diesen unedeln Brief, ohne Zweifel aus gerechter Verachtung, beobachtet hat: so muß ich doch meine Landsleute vor den schädlichen *)
Herr M a y d i e u nehmlich.
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Vorurtheilen, die er in meinem Vaterlande autorisieren *) könnte, zu verwahren suchen. Sie kennen ohnezweifel, meine Herren, das Werk welches der König von Preußen im Jahr 1780 zu Berlin drucken lassen **) und worinn dieser unter den Gelehrten eben so sehr als unter den Monarchen hervorglänzende Fürst ***), nachdem er die Mängel in den verschiedenen Zweigen der Teutschen Litteratur gerüget, von den Schauspielen besonders zu behaupten kein Bedenken trägt: ,daß die Teutschen kein einziges Stük hätten dessen Vorstellung ein Mann von Geschmak aushalten könnte, viel weniger eines das sich lesen ließe.‘ — Sie haben mit dem ganzen erleuchteten Publico d e n M i t t e l n d i e E r
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d e n Te u t s c h e n g i e b t , wie sie die Keime von Genie, womit die Natur sie beschenkt hat, entwikeln und zur Vollkommenheit bringen könnten, Ihren Beyfall zugeklatscht, und zweifeln nicht, sie werden einen so weisen Rath mit dem größten Eifer zu benuzen suchen. Wie groß muste also — um das gelindeste zu sagen, — ihr Erstaunen seyn, als sie die lächerliche Mühe sahen, die e i n Te u t s c h e r , e i n U n t e r t h a n d e s K ö n i g s v o n P r e u ß e n (denn Herr F r i e d e l ist ein Preuße von Geburt) sich gab a l l e d i e s e Vo r s c h l ä g e z u v e r e i t e l n , und seine Landsleute, g e g e n d i e D e n k a r t s e i n e s H e r r n , zu überreden, daß sie in der schönen Litteratur sehr große Schritte gethan, und besonders ihr Theater eine solche
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Menge dramatischer Meisterstücke aufzuweisen habe, daß er, Hr. Fr. sich im Stande sehe, uns eine Sammlung in vielen Bänden davon zuliefern. Gott bewahre mich! daß ich ihm die schmeichelhafte Hofnung, die er auf eine sowohl ausgedachte Speculation gründen mag, zu Wasser machen wollte. Mag ihm doch seine Unternehmung, auf Kosten aller die Lust haben, aufs beste von statten gehen! Ich habe nichts dagegen. Man muß leben und leben lassen. Nur hätte er, um sich bey den Käuffern in Credit zu setzen, nicht sagen sollen: der Übersetzer des Eduard Montrose habe von dem Teutschen Theater nach dem allerschlechtesten Stücke geurtheilt: Denn man kann Hrn. Friedel kühnlich herausfodern, den Franzosen eines zu liefern, das in der Übersetzung stärker rühren und mit mehr Vergnügen gelesen werden wird als jenes *)
Man hat dieses im Original gebrauchte Wort seines Nachdruks wegen mit Fleiß beybehalten.
**) ***)
Sur La Litterature Allemande etc. Im Original: ce Prince, aussi d i s t i n g u é parmi les Savans qu’ i l l u s t r e parmi les Sou-
verains, welches sich nicht wohl wörtlich verteutschen läßt.
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des Hrn. Maydieu. Er hätte nicht sagen sollen: man finde dieses Trauerspiel in keinem Theaterverzeichniß irgend einer beträchtlichen Stadt Teutschlands. Denn (nichts von einer Menge andrer Städte zu sagen) wenn sich Herr Friedel nur die Mühe genommen hätte das Verzeichniß der Stadt M ü n c h e n zu Rathe zu ziehn: so würde er gesehn haben, daß das Trauerspiel Ed. Montrose im vorigen Jahre zu verschiednenmalen in dieser Stadt, die eine der beträchtlichsten in Teutschland ist, gespielt worden sey. Er hätte nicht sagen sollen, es habe keinen Beyfall gefunden: denn man könnte dem Hrn. Friedel eine u n z ä h l i c h e M e n g e Z u s c h a u e r nennen, die es nicht anhören können, ohne 10
d u r c h i h r e T h r ä n e n den u n z w e y d e u t i g s t e n B e w e i ß des lebhaften Eindruks, welchen es auf ihre Herzen gemacht, abzulegen. Wie dem aber auch seyn mag, so lob ich den Hrn. Maydieu sehr, daß er diesen unartigen Brief des Hrn. F. keiner Aufmerksamkeit gewürdiget hat; und ich hoffe er wird sich dadurch nicht in seinem Eifer stöhren lassen, uns in fernern Proben zu zeigen, wie wir es angreiffen m ü s s e n , u m u n s d i e Vo r s c h l ä g e d e s g r o ß e n F r i e d r i c h s z u Ve r vollkommnung unsrer Litteratur recht zu Nutze zu machen. Eins der besten Mittel u n s r e N a c h e i f r u n g z u e r w e c k e n war ohne Zweifel, durch den edelsten und reinsten Styl einer mit dem feinsten Gefühl
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des Schiklichen ausgearbeiteten Übersetzung, u n s a l l e S c h ö n h e i t e n z u zeigen, die wir unsern Produkten zu geben fähig wären, und alle F e h l e r d i e w i r z u v e r m e i d e n h a b e n , um den Glanz jener Schönheiten nicht durch eigne Schuld wieder zu beflecken. Dieß hat Hr. Maydieu durch seine Übersetzung des Ed. Montrose geleistet, die ich mit eben so viel Rührung als Vergnügen gelesen habe; und ich versichre ihn aufrichtig, daß ihm Niemand für die Mühe und Arbeit, die sie ihm gekostet haben mag, mehr Dank wissen kann als ich. Ich habe die Ehre zu seyn Der Baron von St * * * *.“
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Das laß mir einen Gentilhomme Allemand seyn, der der Nation Ehre macht! Minder eyfersüchtig für ihren Ruhm als für ihre wahre Vortheile, erzittert er vor der Gefahr, womit er sein Vaterland bedrohet glaubt, durch die irrige Meynung, die ein unbekannter Sprachlehrer zu Versailles von unserm Fortgang in der Dramatischen Kunst gefaßt, zu einer eben so irrigen Selbstzufrie-
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denheit verleitet zu werden; und er hat also nichts dringenders zu thun, als den schädlichen Vorurtheilen eilends vorzubauen, die dieser Sprachmeister (wie er ihn aus Verachtung nennt) in seinem Vaterlande a u t o r i s i e r e n könnte. Natürlicher weise sollte man denken, wenn es dem Patriotischen Edelmann bloß um diese wohlthätige Absicht zu thun gewesen wäre: so hätte er sein Gegengift in Wien oder Berlin, oder München oder irgend einer andern a n s e h n l i c h e n Teutschen Stadt, und nicht in Paris, austheilen sollen. Aber keinesweges! In der Einbildung, das Journal de Paris werde in Teutschland eben so allgemein gelesen als die Hamburger Zeitung, debitiert er sein Verwahrungsmittel gegen die schädlichen Vorurtheile welche Herr F r i e d e l in
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dem lieben teutschen Vaterlande a u t o r i s i e r e n möchte, m i t t e n i n P a r i s — und um die Autorität des Sprachmeisters mit Einem Streich zu pulverisieren, sezt er ihm gar das Ansehen des großen Königs entgegen, welcher ohne Bedenken versichert habe, die Teutschen hätten nicht ein einziges Stück *), wovon ein Mann von Geschmack die Vorstellung aushalten könnte, geschweige eines das sich lesen ließe. Man muß gestehen, das Präservativ des Hrn. Baron von St**** ist etwas stark; aber vermuthlich hält er auch die Gefahr für größer als sie wohl seyn mag. Es ist mit der Vaterlandsliebe wie mit den andern zärtlichen Leidenschaften. In einem heftigen Anstoß von Patriotismus hat man, eben so wenig
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als in einem Paroxysmus von Liebe, Besonnenheit genug, immer recht zu wissen was man thut. Man verwundet oft wo man liebkosen wollte. Kurz, aus gerechter Furcht, die Freude der Teutschen Nation über das Nouveau Theatre Allemand en X. Volumes möchte uns dahin bringen, binnen Jahr und Tagen dem Hrn. Friedel noch mit 10 andern Volumes unsre Dankbarkeit zu bezeugen, wußte sich der gute Mann in der Angst nicht anders zu helfen, als — daß er die Schande seines Vaterlandes auf einmal aufdekt, und uns Teutsche vor der ganzen Welt als arme Unmündige darstellt, in welchen zwar einige Keime von Genie verborgen liegen, deren Entwiklung aber bisher noch nicht möglich war, weil es uns bis zum Jahr 1780 an den ersten und allgemeinsten Kentnissen mangelte und wir noch nicht wußten wie und wozu wir unsre Organen brauchen sollten; von denen sich aber gleichwohl vieles hoffen läßt, wenn wir uns nur die neuerlich dargebotnen Mittel u n s r e K e i m e z u e n t w i k e l n , und *)
D e n P o s t z u g des Hrn. v. Ayrenhofers ausgenommen.
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besonders die Großmuth zu nutze machen wollen, womit der Hr. A b b é M a y d i e u uns in seiner Übersetzung des E d u a r d M o n t r o s e g e z e i g t h a t , w a s f ü r S c h ö n h e i t e n w i r u n s e r n We r k e n z u g e b e n f ä h i g w ä r e n , u n d was für Fehler wir zu vermeiden haben. Es ist freylich in dieser sublunarischen Welt schwehr zu sagen, was u n m ö g l i c h ist; und man sieht alle Tage Dinge begegnen, bey welchen sogar dem ausschweiffendsten Poeten, wenn er sie in einem bürlesken Werke zu dichten gewagt hätte, vor dem Vorwurf der Tollheit bange gewesen wäre. Wer wollte sich also unterstehen, schlechterdings zu läugnen, daß es in allen zehn 10
Kreisen des so weitläuffigen Teutschen Reiches nicht irgend einen Gentilhomme geben könnte, der (with a vengeance!) einen Brief wie dieser geschrieben zu haben fähig wäre? Und, in der That, die Franzosen sind entweder sehr unverschämt, oder, wenn der P r i n c e Wo u r s t b e r g und sein G r a n d Chambellan,
und die Prinzeßin G u d u l e ,
und der Herr B a r o n
S c h l o f f , und andre teutsche Personagen dieses Schlags, mit denen sie sich auf ihren Theatres de Societé lustig machen, nicht aus der Luft gegriffne Undinge sind, von deren Erfindung sie mehr Schande haben als wir: so muß es doch wohl hier und da Originale in Allemannien geben, welche verdienten, daß irgend ein Französischer Ex-Perückenmacher oder verunglükter Bel20
Esprit mit ihnen in der Welt herumzöge und sie für Geld sehen liesse. Indessen müssen wir doch gestehen, daß uns dieser Brief, seinem ganzen Inhalt nach, verdächtig vorkommt; und alles zusammengenommen, können wir fast nicht umhin zu glauben, der Hr. Baron von St**** Gentilhomme Allemand, der sich so demüthig vor der Französischen Litteratur und — dem Hrn. Abt M a y d i e u prosterniert, und zu gleicher Zeit auf eine so sonderbare Art gegen seine eigne Nation den Hofmeister macht, sey am Ende kein andrer Mensch als d e r H e r r A b t M a y d i e u s e l b s t . Denn, in ganzem Ernst, für einen Kammerherrn des Prince Wourstberg oder Wourrsberg, hat der Verfasser des Briefes z u v i e l Analogum Rationis, schreibt auch ungleich besser
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Französisch als es irgend ein teutscher Edelmann in den P r o v e r b e s D r a m a t i q u e s s p r i c h t : er hat einen J a r g o n und eine Mine comme qui diroit d’un Homme d’Esprit; aber eine Mine und einen Jargon woran wir unmöglich einen unsrer Landesleute erkennen mögen. Kurz — der Mann ist zu gut — und zu schlecht um das zu seyn wofür er sich ausgiebt. Ein Teutscher Edelmann, zum Exempel, würde doch wohl nicht so gar ab-
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schätzig von seinen Compatrioten gedacht haben, um sich einzubilden, daß es eines Präservativs bedürfe sie gegen die schädlichen Vorurtheile zu verwahren, welche die Meynung eines einzelnen Particuliers wie Herr Friedel ist, in Teutschland autorisieren könnte. Ein Teutscher Edelmann könnte auch vermuthlich so niedrig und unverständig nicht seyn, in Sachen der Wissenschaften, der Sprache, des Geschmaks, — wo doch wohl Jedermann weiß daß es nicht auf Autorität, sondern auf Kenntniß der Sache ankommt; wo also der erste aller Könige nicht mehr als Eine Stimme, und diese Stimme, (wie die Stimme des geringsten Privatmanns) nicht mehr Gewicht hat als sie von der Wahrheit und Gründlichkeit
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des Gesagten erhält — sich auf die Autorität eines Königs zu berufen. Ein Teutscher (Gentilhomme oder nicht) würde, bey Erörterung einer die Litteratur seiner Nation betreffenden Frage der Schrift Sur la Litterature Allemande entweder aus Ehrerbietung gar nicht erwähnt, oder, wofern er ja geglaubt hätte sich dessen nicht entbrechen zu können, mit anständiger Freyheit die Ursachen berührt haben, warum Ausländer sich daraus keinen ganz richtigen Begriff von dem gegenwärtigen Zustande der teutschen Litteratur machen können. Von dem Franzosen Maydieu hingegen, der wenigstens ohne Nachtheil sich so anstellen kann, als ob er von Dingen, welche ganz Teutschland weiß, nichts wisse, läßt sich sehr wahrscheinlich präsumieren, daß er
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sich mit größtem Vergnügen einer so glänzenden Autorität prävaliert haben könnte, um den armen Sprachmeister, seinen Gegner, damit wie mit einem Blitze zu Boden zu schmettern. Noch viel weniger würde ein edler Teutscher Mann fähig seyn, Hrn. Friedeln ein Verbrechen daraus zu machen daß er in Litteratursachen a n d e r s d e n k e a l s s e i n H e r r — „es é t o n n a n t pour ne rien dire plus (also wohl gar ein Majestätsverbrechen?) zu finden, daß ein Te u t s c h e r , ein U n t e r t h a n , c o n t r e l a F a c¸ o n d e p e n s e r d e s o n M a i t r e , seine Compatrioten bereden wolle, sie hätten einen sehr großen Fortgang in der Litteratur gethan.“ Nein, wahrlich, soweit ist es mit dem Verfall der Teutschen noch nicht gekommen, und so tief sind wir noch nicht unter unsre Väter herabgesunken, daß ein teutscher Unterthan eines solchen Sklavensinnes, oder ein teutscher Fürst einer so N e r o n i s c h e n Anmassung über den Ve r s t a n d seiner Unterthanen fähig seyn sollte. Und wahrlich keiner von allen hat stärkere Proben davon gegeben, wie weit er davon entfernt ist das Königliche Vorrecht bis über
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d i e D e n k a r t seiner Unterthanen ausdehnen zu wollen, als der große Fürst, dem der angebliche Baron von St**** durch diesen Zug, der eines Römischen Delators aus Domitians Zeiten würdiger ist als eines teutschen Edelmanns, auf eine so ungeschikte als niederträchtige Weise Cour zu machen vermeynt hat. Ein solcher Zug konnte nur aus der Feder eines Menschen kommen, dem Sclavengesinnungen gegen seinen Herren angebohren und mit der Ammenmilch eingeflößt sind. So kann nur eine sehr kleine Seele allenfalls unter einer Nation denken und reden, wo die Ehrfurcht gegen den Souverain soweit getrieben wird, daß nach den eignen Worten eines ganz neuen geprießnen Fran10
zösischen Schriftstellers „sogar seine Wiege schon der Thron seiner Kindheit ist; wo sich schon vor dem K i n d e , das dereinst die Nation beherrschen soll, alles zur Erde beugt, jeder mit Ehrfurcht anhört und aufschnapt was es s t a m m e l t , zittert wenn es sich erzürnt, und, wenn es weint oder schreyt, sich nicht anders gebehrdet als ob die Ordnung der Schöpfung unterbrochen worden sey“ — *) Unter einer solchen Nation mag es vielleicht ein Verbrechen seyn, contre la Fac¸on de penser de son Maitre schlechte Schriftsteller für gut oder gute für schlecht zu halten! In Teutschland verträgt sich weder der Nationalcharakter, noch die Verfassung, noch die Denkart der Fürsten mit einer solchen Abwürdigung der Menschheit.
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Was es indessen mit dem Verfasser dieses Schreibens für eine Bewandtnis haben mag, so können wir uns doch darauf verlassen, daß es in Paris nicht ohne Würkung bleiben wird. Die wünschenswürdigste, aber gerade die einzige die es n i c h t thun wird, wäre, wenn es den Hrn. Friedel abschrekte, sein Nouveau Theatre Allemand en X. Volumes herauszugeben — eine Unternehmung, die aus vielen Ursachen schwehrlich zu unsrer Ehre ausfallen könnte, wenn wir auch würklich auf jedes halbe Schock elender oder mittelmäßiger Stücke, die seit Gottscheds Zeiten bis auf diesen Tag für unsre Schaubühne geschrieben worden sind, Ein Vortrefliches aufzuweisen hätten; die aber, so wie die Sachen würklich stehen, zu nichts dienen wird, als unsre Blöße aufzu-
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decken, und schiefe Urtheile bey den Ausländern zu veranlassen; welche der wahren Beschaffenheit unsrer Litteratur, und der Ursachen warum wir, bey allen dem was schon geschehen ist, in einigen Fächern, und vielleicht im Gan*)
S. L’Eloge du Duc de Montausieur, Gouverneur du Dauphin Fils de Louis XIV. par Mr. l a
C r e t e l l e eine Schrift die das A c c e s s i t von der Academie Francoise in J. 1781. erhalten hat.
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zen selbst, noch so weit u n t e r u n s s e l b s t zurücke sind, nicht anders als durch eine gründliche, wohlgeschriebne und ganz unpartheyische G e schichte der teutschen Sprache und Litteratur von ihren ältes t e n Z e i t e n a n , verständiget werden können; ein Werck, wozu wir, vor dem Neunzehnten Jahrhundert wenigstens, uns schwehrlich Hofnung machen dürfen. Überhaupt möchte ich wohl wissen, wozu die Franzosen oder Wir selbst nöthig hätten, daß unsre guten Stücke (denn daß wir e i n i g e haben, die sich neben d e m P o s t z u g sehen lassen dürfen, gebe ich gerne zu) ins Französische übersezt werden? Sollten die Franzosen, welche mit einem C o r n e i l l e ,
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R a c i n e , C r e b i l l o n , Vo l t a i r e , M o l i e r e , R e g n a r d , D e s t o u c h e s , prangen können, und eine so unendliche Menge guter und schlechter D r a men, kleiner Stücke, Comödien mit Arietten, Komischer Opern, B o u l e v a r d s - S t ü c k e , D r a m a t i s c h e r S p r ü c h w ö r t e r , P a r a d e n , und wie die kleinen Ungeheuer weiter heissen, besitzen, daß sie die ganze Welt damit versehen können — sollten S i e unsrer guten Schauspiele, oder W i r Ihres Beyfalls bedürfen? Und was nennen wir unsre g u t e n S c h a u s p i e l e ? Einige u n s r e r b e s t e n (derer sehr wenige sind) weichen so sehr von der Französischen F o r m , A r t und K u n s t , fast in allen Stücken, ab, daß sie zu Paris unmöglich gefallen können. Viele, bey deren Vorstellung eine unzähli-
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che Menge Menschen (wie der Herr B a r o n v o n S t * * * * sagt) zu M ü n c h e n und in andern a n s e h n l i c h e n Städten Teutschlands die hellen Thränen geweint haben sollen, sind, dessen ungeachtet, so beschaffen, daß wir uns ihrer entweder izt schon schämen, oder doch gewiß in zehn Jahren schämen werden. Viele andre könnten vielleicht vor den Franzosen, als N a c h a h m u n g e n der Modelle welche Sie selbst uns gegeben, Gnade finden: aber was soll uns die Ehre, die wir davon haben könnten, wenn es auch einer von unsern Tragödienoder Dramen-Machern soweit brächte, daß man ihm in irgend einem Caffe zu Paris eingestünde: er habe seine Sachen f ü r e i n e n Te u t s c h e n so ziemlich hübsch gemacht? Man könnte zwar als einen Grund, warum die Einfuhr unsrer dramatischen Landesproducte in Frankreich iziger Zeit weniger als ehmals überflüsig sey, anführen; daß die Französische Schauspiel-Manufactur, nach den wiederhohltesten Versicherungen ihrer eignen Schriftsteller und Kunstrichter, neuerlich in großen Abfall gekommen seyn soll. Allein, wenn dies auch wäre,
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was für eine Pflicht haben wir Teutsche, Ihrem Mangel auf unsre eignen Kosten zu Hülfe zu kommen? Sollte es einmal einem französischen D y c k und M y l i u s einfallen so gut Teutsch zu lernen als diese Herren das Französische verstehen, und dann, à leur tour, unsre teutsche Schauspiele in Französische umzuschmelzen — Mögen sie doch! wir werden’s ihnen nicht wehren können. Aber warum sollten wir ihnen ohne Noth zuvorkommen, und wie das Sprüchwort sagt, unsre Haut selbst zum Kürschner tragen? Doch, Herr F r i e d e l hat schon zuviel Schritte vorwärts gemacht, um wieder zurükgehen, oder, wie die Franzosen in ihrer eleganten Sprache *) sagen, r ü k a r s c h e n ( r e c u l i eren) zu 10
können. Auch hat er nicht für gut befunden, sich mit dem angeblichen Gentilhomme Allemand einzulassen. Er hat sich begnügt, unmittelbar nach dem Anfall, den dieser auf ihn gethan, in No. 269 des Journal de Paris anzuzeigen: daß er zu Paris wohne, und kein Maitre de Langue Allemande à Versailles sondern Professeur en Survivance des Pages de la grande Ecurie du Roi sey; und daß er den Brief des Gentilhomme Allemand nicht anders als mit dem ersten Theil des Nouveau Theatre Allemand beantworten werde, auf dessen Erscheinung mit dem 1. Jenner 1782 man sicher rechnen könne. Was bey diesem Allem nicht am wenigsten merkwürdig ist, ist dies: daß zu eben der Zeit, da Hr. Friedel das Amt auf sich nimmt die Teutsche Melpomene
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und Thalia in die Pariserwelt einzuführen, und, zu einer Probe was man von seinen Dichtern, und von Ihm selbst als ihrem Übersetzer, zu erwarten habe — E n g e l s E d e l k n a b e n vorangeschikt hat, auch noch ein Andrer der sich durch die Buchstaben J. H. E. andeutet, aufgetreten ist, der ebenfalls eine Auswahl der besten Teutschen Stücke übersetzen will, und ebenfalls mit E n g e l s E d e l k n a b e n den Anfang gemacht hat. Nach der Recension der b e y d e n E d e l k n a b e n im J. de P. zu urtheilen, scheint Hr. Friedel mehr von dem was man die Übersetzers-Klugheit nennen möchte, zu besitzen als sein Nebenbuler — welcher (sagt man) nicht so gut wie jener „verschiedene Ausdrücke und Tours de Phrases zu vermeiden gewußt hat, die im Teutschen vielleicht er-
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*)
Schon Vo l t a i r e hat ihnen, unter andern Unanständigkeiten, die Culs, die in ihrer Sprache
so häufig am unrechten Ort paradieren, mit einer Bitterkeit vorgeworfen, die sie nur ihrem ersten Schriftsteller verzeyhen konnten. Aber dies ist doch, däucht uns, nicht zu läugnen, daß eine Sprache, worinn man r ü k a r s c h e n statt zurückweichen, L a m p e n a r s c h statt Buchdrucker-Verzierung, A r t i s c h o k e n a r s c h statt Kern der Artischocke u. s. w. sagt, keine Ursache hat mit ihrer Ve r f e i n e r u n g gegen irgend eine andre groß zu thun.
Friedel, Maydieu, und Baron von St****
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träglich seyn mögen, aber im Französischen eine S o r t e d e t r i v i a l i t é haben.“ So sagt z. E. der Fürst zum ältern Bruder des Edelknaben: Tenez, Monsieur le Lieutenant, voici Madame votre Mere une tres respectable femme & votre frere un tres aimable Garc¸on. So t r i v i a l spricht in Frankreich kein Prinz. Auch hat Hr. Friedel die ganze Stelle von dem F r a n z ö s i s c h e n W i n d b e u t e l , dessen der Fürst gegen den Herrn Director seines Gymnasiens erwähnt, weislich weggelassen. Denn dans la maison du Penduˆ, il ne faut pas parler de potence. Man kann sich also von Hrn. Friedel versprechen, daß er unsre teutschen Corneillen, Racinen, Molieren, la Chausseen, Diderote, u. s. w. wenigstens m i t D i s c r e t i o n übersetzen werde; und dies ist bey einer Unternehmung, wobey der Ruhm der Allemannischen Musen so große Gefahr läuft, doch immer noch einiger Trost. W.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Oktober /Anfang November 1781)
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Der Teutsche Merkur. Windmond 1781.
Eine Metrische Übersetzung der s ä m t l i c h e n B r i e f e d e s H o r a z , von dem Hofrath Wieland in Weimar. (32 bis 34 Bogen) in 8vo. Subscriptionspreis 1 Rthlr. Ladenpreis 1 Rthlr. 6 gr. Es sind von dieser Arbeit einige Proben (nemlich die vier ersten und der siebente Brief) im Sommermond, Erntemond und Weinmond des Te u t s c h e n M e r k u r s als erste Versuche ausgestellt worden, um zu sehen wie das Publikum eine Übersetzung der Horazischen Briefe von d i e s e r Hand aufnehmen würde. Der Verfasser hat seinen Zweck in so fern erreicht, daß er nicht zweifeln kann etwas dem Publicum angenehmes unternommen zu haben: er wünscht aber nicht, daß seine Arbeit nach jenen ersten noch sehr
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unvollendeten Skizzen und nach den flüchtig hingeworfnen Anmerkungen beurtheilt werden möchte. Der Fleiß in der Ausfeilung und Vollendung, den er auf seine eigne Gedichte zu wenden gewohnt ist, glaubt er einem Autor wie H o r a z doppelt schuldig zu seyn, und das strengste Leser-Gericht kann schwerlich mehr von ihm fodern, als er von sich selbst fodert. Er hat daher schon die zween leztverfloßne Monate dazu verwandt und wird diesen Winter hauptsächlich dazu anwenden, diese Übersetzung sowohl was die Tr e u e , als was die D e u t l i c h k e i t und andre nicht gleichgültige Eigenschaften des Styls und der Versification betrift, von der Unvollkommenheit so weit zu entfernen als ihm nur immer möglich ist. Zu völliger Verständnis des Textes ist eine Art
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von Commentar unentbehrlich; es wird also jedem Brief eine (nach Erfordernis größere oder kleinere) E i n l e i t u n g vorangeschikt, und die nöthigen E r l ä u t e r u n g e n nachgesezt werden. In beydem wird sich jedoch der Verfasser nicht bloß auf das g a n z u n e n t b e h r l i c h e einschränken, sondern sich freye Hand erlauben, dem Zweck, diese Briefe des Horaz zu einem für junge Studierende lehrreichen, und für das feinere Publikum überhaupt angenehm und nüzlich unterhaltenden Buche zu machen, das möglichste Genüge zu thun. Zu diesem Ende wird insonderheit vom M ä c e n , A u g u s t , und andern h a u p t s ä c h l i c h e n P e r s o n e n die in diesen Briefen vorkommen, ingleichen von den S i t t e n und dem h ä u s l i c h e n L e b e n d e r R ö m e r in diesen Zeiten, u. s. w. vornemlich aber von dem Dichter selbst soviel Nachricht gegeben werden, als der besagte Zweck erfodert; und der Verfasser wird auch in Ausar-
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende November 1781)
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beitung dieser Theile seines Werkes nicht vergessen, was er dem Horaz, den Lesern, und sich Selbst schuldig ist.
¼Anzeige½ E i n e M e t r i s c h e Ü b e r s e t z u n g
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Der Teutsche Merkur. Wintermond 1781.
¼Über einige Mahlereyen des Hrn. F r a t r e l , Churfürstl. Hofmahlers zu Manheim. … Maria ist ein wunderschönes junges Weib von griechischem Wuchse und Attischer Gesichtsbildung.* )½ *)
Aber wie kommt die Tochter Davids, Maria, zu einer Attischen Gesichtsbil-
dung? D. H.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Dezember 1781)
Berichtigung eines Gedächtnißfehlers, im T. Merkur vom Weinmond 1781. Unter den Erratis dieser Gattung, welche entweder i n c u r i a f u d i t , oder humana parum cavit natura, ereignen sich auch wohl solche, deren Möglichkeit man kaum seinen eignen Augen glaubt. Was sogar ein gutes Gedächtnis gelehrtern Männern als ich zu seyn mir anmaße für alberne Streiche spielen könne, davon kommen mir, seit einiger Zeit (da ich viele Gelegenheit zu solchen zufälligen Entdeckungen habe) zuweilen die lustigsten Beyspiele vor. So stieß ich, z. E. vor kurzem, in des J . H . M e i b o m i u s , eines weiland sehr 10
belesenen und gelehrten Mannes, Ausgabe der Elegien des Pedo auf den Tod Mäcens, die seiner Vita Maecenatis beygefügt ist, bey dem Verse L o l l i u s hoc ergo conciliavit opus,
auf folgende stupende Note: intelligit Maximum Lollium, T r o j a n i b e l l i s c r i p t o r e m , e x H o r a t i o n o t u m . — Mein böser Genius hat gewollt, daß ich den Samlern dieser Art von literarischen Lusibus Naturae den Pendant zu jenem Meibomischen Mißgriff liefern sollte. Er befindet sich auf der 37 Seite des 9ten Monatsstüks vom T. Merkur dieses Jahres: wo vermuthlich auch Schulknaben in der Note mit Erstaunen gelesen haben werden, d a ß H o r a z nach der Lage seines Gutes Calabrische Bauren oder Pächter zu 20
N a c h b a r n g e h a b t h a b e . Jedermann weiß, daß Horazens Gut im SabinerLande, wenige Stunden von Tivoli, lag, und daß Calabrien eine Provinz von dem ehmals sogenannten Griechischen Italien, und, wenn man sich das Ganze als einen Stiefel vorstellt, der Absaz desselben ist. Horaz hatte also nach der Lage seines Sabinums keine Calabrische Bauren zu Nachbarn — und die Note, da sie nichts erklärt, und ihren Verfasser noch dem Vorwurf der gröbsten Unwissenheit aussezt, läßt weder eine Rechtfertigung noch Entschuldigung zu. Es wäre zwar etwas leichtes gewesen, die Leser mit einem Histörchen zu hintergehen, welches ihnen begreiflich gemacht hätte, wie dieser alberne Fehler, ohne meine Schuld, durch einen sehr möglichen Zusammenfluß von zu-
Berichtigung
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fälligen Umständen sich habe einschleichen können — und ich würde vermuthlich um so mehr Glauben gefunden haben, da mir die Welt doch wohl zutraut, eine Carte von Italien gesehen zu haben. — Aber warum sollte ein Mensch sich schämen, fehlen zu können, und nicht in aller Demuth gestehen, wenn ihm so etwas menschliches begegnet ist? Zufälle dieser Art sind Warnungen, und verdoppeln unsre Behutsamkeit, welche meistens am nöthigsten ist, wo man am wenigsten Ursache zu haben glaubt auf seiner Hut zu seyn. W.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Dezember 1781)
¼Eine Neue Producten-Karte von Europa, angekündigt. …½ Hier in Weimar nimmt der Hofrath W i e l a n d Pränumeration darauf an.
¼Anmerkung: Crome½ E i n e n e u e P r o d u c t e n - K a r t e
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Die vor einigen Wochen eingeschikte Romanze kann nicht eingerükt werden.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Dezember 1781)
¼Die Unbeständige.* )½ *)
Sowohl das Original, nebst der Englischen Melodie, als die Übersetzung
dieses Liedes (welche, ohne alle Prätension, bloß die Stelle einer Prosaischen vertreten soll,) ist mir von einem gebohrnen Engländer zugeschikt worden, dem ich hiermit öffentlich meinen Dank erstatte. d. H.
¼Anmerkung: Tr.½ D i e U n b e s t ä n d i g e
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Im schönsten Hayne von Amathunt sang jüngst, O l y m p i a , der Musen eine Dein Lob der Rose den G r a z i e n vor: ihr horcht der holde Chor mit süßem Staunen, und aus den Rosen 10
ragt das gespizte Ohr der jungen Faunen entzükt hervor: und Musen, Grazien, und Amoretten und Faunchen schlingen mit Rosenketten sich in ein tanzend Rund, und alle singen aus vollem Mund:
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„Rosa, delizia degli Amori, Rosa, bellissima de tutti i fiori!“ und Alle kränzen mit ew’gen Rosen (die, dankerfüllt, noch schöner glänzen, noch süßer düften,) Olympiens Bild.
„Im schönsten Hayne …“
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An D i e H e r z o g i n Amalia. 1782.
An Die Herzogin
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Am Neujahrs Tag 1782. Wenn es wahr ist was die frommen Alten sangen, und was Alle die in D i r B e s t e F ü r s t i n , glüklich sind, was wir Alle aus Empfindung gern für Wahrheit halten: Wenn die guten Fürsten G e n i u s s e sind, die in menschlichen Gestalten unter uns das Götteramt verwalten, die der Tafeln, wo der Nectar rinnt sich begaben, bloß, uns irdischem Gesind
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auch davon, wir unsers Leids vergessen dann und wann ein Tröpfchen zuzumessen, Wenn dies Wahrheit ist, A m a l i a , o! so bleib uns lange hold und nah! So ermüde nicht bey uns zu weilen! Denn, verließest D u uns, alle edleren schönern Freuden, die wir mit D i r theilen, Musen, Künste, Scherze, Grazien, spannten flugs D i r nachzueilen ihre Flügel aus und ließen uns allein. Also laß die Lust in deine Sfären h o l d e G ö t t i n , wieder heimzukehren, uns zu Lieb noch weit verschoben seyn! Lang umtanze D i c h der schönen H o r e n bunter Zirkel, gieße, neugebohren, frische Blumen stets in D e i n e n Tr i t t : und wenn endlich ja das Heimweh nach dem Himmel D i c h besiegt, so nimm aus diesem Weltgetümmel Nimm uns, wenn D u auffliegst, Alle mit!
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A n D i e H e r z o g i n (Anfang Januar 1782)
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¼Incerta½
Sonderbares Project eines Menschenfreunds zum Besten der armen Officiersfrauen und Wittwen in Frankreich. Diejenigen von unsern schönen Landsmänninnen, welche gewohnt sind, sich ordentlicherweise blos mit — frischem Brunnenwasser zu schminken (und diese machen doch wohl bey weitem den größern Theil aus) werden nicht wenig erstaunt seyn, zu hören, daß, nach der Berechnung eines Französischen Schriftstellers *) die Damen in Frankreich vom hohen und niedern Adel, die Finance, die Bürgerlichen von Distinction und die Actricen, (die sehr zahlrei10
che Classe, die in Paris und in den Hauptstädten der Provinzen unter der Fahne von Cythere dient nicht dazu gerechnet) also S u m m a S u m m a r u m , alles was man in Frankreich unter dem allgemeinen Worte D a m e n begreift, ein Jahr ins andre Z w e y M i l l i o n e n Pots de Rouge (Töpfchen mit rother Schminke) verbrauchen. Ein Menschenfreund, der C h e v a l i e r d’ E l b e e genannt, ist im ganzen Ernst auf den Einfall gekommen, diese erstaunliche Consumtion von Schminke, (einem eingebildeten Bedürfnis, welches die allmächtige Gewohnheit bey seiner Nation zu einer unentbehrlichen Sache gemacht hat) zum Besten einer eben so zahlreichen als unglüklichen und bedürftigen Classe im Staat, nemlich des armen Adels, anzuwenden; und er scheint sich zu
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schmeicheln, daß sein Vorschlag, in einem Jahrhundert, welches man mit einigem Schein Rechtens das Jahrhundert der Wohlthätigkeit nennt, den verdienten Beyfall finden werde. Sein Vorschlag geht dahin, daß einer besondern Schminke-Fabrik ein ausschließendes Privilegium ertheilt werden sollte, mit der Bedingung, dafür jährlich 25 fols von jedem Schminktöpfchen, welches 3 Livres oder einen kleinen Thaler kostet, abzugeben. Der Herr Chevalier d’Elbee berechnet, angeregtermaßen, den ganzen jährlichen Verbrauch der
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S. La Veritable ressource qu’on, peut tirer du Rouge en faveur des pauvres femmes et veuves
d’Officiers, par L e C h e v a l i e r d’ E l b e é , eine Broschüre, die zu Paris beym Buchhändler Esprit, au Palais Royal, um wenig Sous zu haben ist.
Sonderbares Project eines Menschenfreunds
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Schminke, in einem gemeinen Jahre, auf mehr als 2000000 Töpfchen, jedes, eins ins andre, zu 3 lb. gerechnet. Die Abgabe würde also, in einem gemeinen Jahre, (nach Abzug aller etwaigen Perceptions- und Distributions-Kosten) eine Summe von wenigstens 800 000 kleinen Thalern abwerfen; wovon das Publicum nichts zu tragen hätte, und welche man in eine beträchtliche Anzahl von Pensionen für arme Officiersfrauen und Wittwen verwandeln könnte. Das Publicum würde überdies noch den sehr wichtigen Vortheil dabey gewinnen, daß es der Güte und Unschädlichkeit der Schminke versichert seyn könnte; da die Regierung nicht ermangeln würde, auch diesen Punct zu einer Bedingung des ausschließenden Privilegiums zu machen, und die Schminke-Monopoli-
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sten zu solchem Ende der Medicinischen Facultät und der Akademie der Wissenschaften in Paris unterworfen werden könnten. Das ganze Project ist so sonderbar, und giebt der Classe des schönen Geschlechts, die man (im Gegensaz mit den Devotes) Femmes du Monde nennt, ein so leichtes Mittel an die Hand, sich aus einem Zweig von sündlicher Eitelkeit — welchem jede Dame qui veut faire s o n S a l u t sträflich entsagen muß — eines der größten Verdienste zu machen: daß wir nicht zweifeln, es werde von den schönen Gallierinnen mit Enthusiasmus aufgenommen werden, und folglich bey einer Nation, wo der Einfluß des schönen Geschlechts allvermögend ist, gar bald zur Würklichkeit gedeyhen. Wenigstens scheint der menschenfreundliche Erfinder auf diesen Umstand stark gerechnet zu haben.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1781)
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Eine problematische Rechtsfrage. Das Factum, wie es in der Affiche du Dauphiné erzählt wird, ist kürzlich dieses. Ein Privatmann zu L o d e v e in Dauphinè lebte nach dem Tode seiner Ehefrau mit einer ledigen Person, die als Haushälterin bey ihm war, in einem Verständnis, welches die Schwiegermutter dieses Mannes äusserst beleidigte; nicht so wohl wegen des Ärgernisses, das er dadurch gab, als weil sie sich fest in den Kopf gesezt hatte, der Gram über die Untreue ihres Mannes, und der Schmerz, sich von ihm dieser Kreatur nachgesezt und aufgeopfert zu sehen, habe ihrer Tochter das Herz abgedrükt. Wir wollen, der Bequemlichkeit halben, die 10
Schwiegermutter D a m e P e r n e l l e , den Mann O r g o n , und die Dirne, die er unterhielt, C o l e t t e nennen. D a m e P e r n e l l e also, die auf C o l e t t e n , als die vermeinte Mörderin ihrer Tochter, einen tödtlichen Haß geworfen, gab sich nicht zur Ruhe, bis sie ihrem Schwiegersohn O r g o n , der noch eine reiche Erbschaft von ihr zu erwarten hatte, das Versprechen abgedrungen, alle Gemeinschaft mit dem Mädchen aufzugeben. Es gieng aber wie man sichs leicht vorstellen kann. Es währte nicht lange so fand C o l e t t e Mittel, sich wieder in vollen Besitz ihrer gewohnten Herrschaft über O r g o n s Herz, Person und Vermögen zu setzen. Die Schwiegermutter, der dies nicht lange verborgen bleiben konnte, gerieth darüber in die heftigste Leidenschaft; und — es sey nun aus
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bloßer Rachbegier, oder weil sie es für unmöglich ansah, den bethörten O r g o n auf andre Weise von C o l e t t e n abzuziehen — kurz, sie beschloß, die Dirne heimlich aus dem Wege räumen zu lassen; und es fand sich ein S c h ä f e r , der, gegen eine versprochne Belohnung von 500 Livres, die Vollziehung eines so gefährlichen Auftrags übernahm. Der Schäfer war einer von den halben Bösewichtern, die mehr Lust als Muth zur Ausführung einer vortheilhaften Übelthat haben; er wollte also die versprochnen 500 Livr. lieber theilen, als mit größerer Gefahr allein verdienen. Er sah sich um einen Gehülfen um, und seine Wahl fiel auf einen seiner Bekannten, der eben von den Galeeren zurükkam, wozu er (vermuthlich nicht um seiner Tugend willen) auf einige Jahre
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verurtheilt gewesen war. Der gewesene Galerien überlegte die Sache mit seinem Gespanen; und weil ihn das noch frische Andenken an die Ruderbank
Eine problematische Rechtsfrage
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furchtsamer oder klüger gemacht hatte: so that er ihm den Vorschlag, von der versprochnen Belohnung zu profitiren, ohne das Verbrechen zu begehen. Sie entdekten also C o l e t t e n das ganze Geheimniß, unter der Bedingung, daß sie ihnen ihr goldnes Halskreuzchen und ihren silbernen Schlüsselhaken leyhen mußte, als welches die Zeichen waren, woran ihre Feindin (abgeredeter maaßen) erkennen sollte, daß der mörderische Auftrag vollzogen worden sey. Auch versprach C o l e t t e , sich eine Zeitlang verborgen zu halten. D a m e P e r n e l l e , wie sie das Kreuzchen und den Schlüsselhaken in ihren Händen sah, hielt sich nun vollkommen versichert, daß ihre Rache vollzogen sey. Diese Leidenschaft war nun abgekühlt, und machte einer andern Plaz, die, wie es
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scheint, eben soviel Gewalt über das schlechte Herz dieser Frau hatte. Sie schikanierte die vermeynten Mörder über den bedungnen Lohn, und gab ihnen statt 500 nicht mehr als 200 Livres. Aber kaum hatten sie das Geld, (wovon Colette auch einen Theil erhielt) empfangen, so zeigte sich diese Dirne wieder öffentlich, und machte den ganzen Handel bey den Gerichten anhängig. Die Richter und Rechtsgelehrten, die mit dieser seltsamen Criminalsache zu schaffen haben, sollen, dem Verlauten nach, verlegen seyn, wie sie sich dabey benehmen wollen. Wo das Verbrechen nicht ausgeführt worden, da existirt freylich kein Corpus delicti: indessen scheint doch die mörderische Absicht der Beklagten D a m e P e r n e l l e offenbar, und diese Absicht, wiewohl
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sie nicht als ein würklicher Mord bestraft werden kann, ist doch unstreitig ein Verbrechen das nicht ungestraft bleiben darf. Aber eh man die Strafe dictiren kann, muß das Verbrechen e r w i e s e n seyn; und da sizt hier eben der Gordische Knoten. Klägerin C o l e t t e kann keinen andern Beweis führen als durch das Zeugnis der zween Männer, welche die Beklagte gegen ihr Leben gedungen haben soll. Bey Verbrechen von so finstrer und geheimer Art wär’ es auch an zween Zeugen genug; aber diese Zeugen sind die Denuncianten, auf deren bloße Aussage die Klage angestellt worden; Einer von ihnen ist ein Galerien, und hat also infamiam juris et facti auf sich sitzen; und beyde gestehen selbst, daß sie sich zu einem Meuchelmord dingen lassen und den Lohn dafür empfangen haben. Was für Zeugen! Überdem sind sie interessiert ihre Denunciation zu behaupten, um nicht in die Strafe der Verläumder zu fallen. Ihre Glaubwürdigkeit ist also auf mancherley Weise verdächtig. Gleichwohl scheint doch auch, auf der andern Seite, nicht zu glauben, daß Colette und die beyden Denuncianten sich zu einer falschen Anklage gegen Dame Pernelle
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1781)
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zusammen verschworen haben sollten. Denn, wenn dies der Fall gewesen wäre, würden die leztern unfehlbar das Factum auf eine ihnen selbst minder nachtheilige Art erzählt haben. Auch ist nicht abzusehen, was Coletten zu einer solchen falschen Anklage hätte bewegen, und was sie damit hätte zu gewinnen hoffen können. Nimmt man an, daß sie würklich überzeugt gewesen, Frau Pernelle habe sie ermorden lassen wollen: so ist begreiflich, daß sie durch Furcht und Rachgier zur Klage habe angetrieben werden können, und daß sie in der Hitze der Leidenschaft nicht bedacht habe, wie schlecht sie beym Beweise bestehen werde. War aber alles bloße Erfindung, so ist unbe10
greiflich, daß sie die Sache nicht besser überlegt, und zur Unterstützung ihres Mährchens nicht zwekmäßigere Maasregeln genommen. Der ganze Handel scheint so beschaffen zu seyn, daß er eine Stelle unter jenen verdient hätte, welche der berühmte S t a t t h a l t e r v o n B a r a t a r i a , ohne sich viel um das Punctum juris zu bekümmern, mit der bloßen Schärfe seines bäurischen Mutterwitzes so glüklich zu — zerschneiden wußte. Uns däucht wir hören ihn, von seinem richterlichen Lehnstuhl herab, mit einem bedenklichen Achselzucken folgenden Ausspruch thun: „Es ist ein tummer Handel, so wahr ich Sancho bin! Wer von beyden Theilen Recht hat, mag der liebe Gott wissen: aber daß hier vier Personen sind, wovon die beste keinen
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Schuß Pulver werth ist, das greift sich mit Händen. Denn der muß sehr blind seyn, der nicht durch ein Sieb sehen kann. Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch Verstand. Und also verordnen und befehlen wir hiemit, kurz und gut: daß die b e y d e n Z e u g e n , da sie selbst bekannt haben, daß sie Sold und Lohn zu Begehung eines Bubenstüks empfangen, sich belieben lassen sollen, stehendes Fußes nach Malaga zu wandern, und dem König zehn Jahre auf den Galeeren zu dienen. K l ä g e r i n n , welche nicht zu läugnen begehren wird daß sie eine H** ist, soll, um ihr Brod auf eine ehrbarere Art verdienen zu lernen, vor der Hand sechs Jahre im Zuchthause Wolle spinnen; und was die D a m e P e r n e l l e betrift — die übrigens eine ehrliche Frau seyn mag,
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wiewohl ich sie nicht zur Schwiegermutter haben möchte — so soll ihr, weil Colette und die beyden Kerls ihre Anklage doch nicht wohl aus den Fingern gesogen haben können, hiemit durch Urthel und Recht zuerkannt seyn, 500 Pfund ins Waysenhaus und eine zehnpfündige Wachskerze für unsre liebe Frau zu Segovia zu erlegen; und wer was bessers weiß, der mag reden, oder enthalte sich hernach etwas gegen unsre statthalterliche Verordnung einzuwenden.“ Eine problematische Rechtsfrage
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De la Litterature Allemande &c. — Sie wollen meine Meynung über diese Schrift wissen, von welcher seit etlichen Monaten soviel gesprochen wird? Mich däucht es ist nur Eine Meynung darüber möglich; wenigstens scheint die teutsche Nation noch über keine andre so einstimmig gewesen zu seyn als über diese. Seit vielen Jahren waren wir so gut als gewiß, daß der erhabene Verfasser niemals an unsrer Litteratur einigen Antheil genommen habe. Nunmehr werden wir durch diese Bogen eines andern überzeugt. Wir sehen, daß Er sich in vorigen Zeiten mit ihr beschäftigt, und die besten Gesinnungen für sie hegt, auch noch das Beste von 10
ihr zu hoffen und zu wünschen geneigt ist. Nur wird das Vergnügen, das wir hierüber empfinden, wieder unterbrochen, da sich freylich aufs deutliche zu Tage legt, daß er sie in den neuern Zeiten seiner königlichen Aufmerksamkeit und väterlichen Sorgfalt, die für uns so fruchtbar hätte werden können, nicht gewürdigt habe. Vieles Gute, das sich bey uns hervorgethan, manche Mängel die man uns noch vorwerfen kann, manche Fehler in die wir gefallen sind, scheinen Ihm alle gleich unbekannt. — Sollen wir nicht hoffen, daß, in diesen lezten friedlichen Zeiten Seiner Regierung auch die teutschen Musen den günstigen Einfluß seiner Vorsorge, die sich über Alles erstrekt, empfinden werden? — Dies werden Sie mir wenigstens zugeben, daß es nicht an Schriftstel-
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lern fehlt, welche, wenn sie die auf uns passenden Anmerkungen und Vorschläge benutzen wollten, großen Vortheil aus diesen wenigen Bogen ziehen könnten.
¼Rezension: Friedrich II.½ D e l a L i t t e r a t u r e A l l e m a n d e & c .
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Ein neuer Thaumaturg. Von Strasburg wird geschrieben, daß sich daselbst seit einigen Monaten ein Fremder aufhalte, der, ohne ein Arzt zu seyn, sich gleichwohl, als solcher, die erstaunlichste Reputation macht. Er nennt sich einen G r a f e n v o n C a l l i o s t r o , und man sagt, er besitze Chymische Geheimnisse, die ihn in den Stand setzen, Wunderdinge zu thun. Er hat bereits über 300 Kranke unter Händen, von welchen ihm noch kein einziger gestorben ist, und worunter sich einige in Umständen befinden, worinn man sonst keine Rettung mehr für möglich hält. Einer von diesen, der ohnlängst in einer Konsultation von vier Ärzten und 10
Wundärzten verurtheilt war, an den Folgen eines fürchterlichen Krebses längstens binnen zweymal vier und zwanzig Stunden zu sterben, nahm in dieser Noth seine Zuflucht zu unserm Fremden. Der Herr Graf von Calliostro gab ihm einige Tropfen ein: und siehe da, der Sterbende gerieth in einen starken Schweis; das vom Krebs angegrifne Glied begann wieder aufzuleben; und nach fortgeseztem Gebrauch der Milch von Ziegen, in deren Futter der Graf verschiedene Zubereitungen mischt, ist der Kranke, mit dem bloßen Verlust einiger Knöchel an den Zehen, so weit hergestellt, daß die Wunden sich bereits geschlossen haben. Man kann sich, nach dieser Probe, vorstellen, wieviel wundervolle Dinge von diesem neuen Äsculap erzählt werden. Viele wollen ihn für
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keinen Italiener halten, sondern vermuthen daß er ein Franzose sey, und der Erbe der Geheimnisse des berühmten Adepten, der unter dem Namen von S t . G e r m a i n schon so lange in Europa gesehen worden ist, und, in Kraft eines geheimnisvollen Elixirs, würklich schon über 200 Jahre alt seyn soll. Wie es nun auch damit seyn mag, soviel ist gewiß, daß der Herr Graf C a l l i o s t r o , ein sehr gutes Haus und eine Menge Bediente hält, und sich für seine Curen schlechterdings unter keinerley Benennung nichts bezahlen läßt. — Ein Umstand, der nicht wenig dazu beyträgt, den Nimbus des Wunderbaren, der sich um eine so ausserordentliche Person zu verbreiten pflegt, zu vergrössern.
Ein neuer Thaumaturg
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¼Avertissement. …½
Hiesige Liebhaber belieben sich mit ihrer Subscription an die Hoffmannische Buchhandlung zu wenden.
¼Zusatz zu½ A v e r t i s s e m e n t
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Auszug aus einem Schreiben des Herrn Johann Baptista Manso, Marchese d i V i l l a , an den Prinzen von Conca, Großadmiral von Neapoli — einen Geist betreffend, mit welchem der berühmte Dichter To r q u a t o Ta s s o Umgang zu haben glaubte. *) [Dieser M a r c h e s e Joh. Bapt. M a n s o d i V i l l a , ist auch der Verfasser einer ausführlichen Lebensbeschreibung des Tasso, welche der Ausgabe aller Werke 10
dieses Dichters in sechs Foliobänden (Florenz 1724.) vorgesezt und woraus dieser Brief gezogen ist. Er war einer der gelehrtesten, tapfersten und würdigsten Cavaliers seiner Nation und Zeit, ein Liebhaber und Beschützer aller Leute von Genie, Wissenschaft und Virtu, und besonders ein vertrauter Freund unsers Torquato, der ihn in der 142ten Stanze des XXsten Gesangs seines e r o b e r t e n J e r u s a l e m s verewigt hat, in den Worten: Fra Cavalier’ magnanimi e cortesi Risplende i l M a n s o — —
Es ist eben dieser M a n s o , der auch den großen M i l t o n , schon als Jüngling, während seines Auffenthalts zu Neapel, lieb gewann und mit Freundschaft
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*)
In dem vor einem Jahre zu Leipzig bey Weygand herausgekommenen Buche v o n G e i s t e r n
u n d G e i s t e r s e h e r n , findet sich in einer Anmerkung zu S. 42. folgendes: „Ta s s o glaubte mit einem Geiste genauen Umgang zu haben. Er pflegte in Gegenwart eines Freundes sein Gesicht und seine Augen unverrükt nach den Fenstern zu richten, und rief alsdenn, da komt mein Geist. Ta s s o unterredete sich darauf mit dem Geiste im erhabenen Tone, aber er war der Fragende und Antwortende zugleich.“ S. Muratori della Forza della Phantasia, c. 9–11. Diese Stelle aus dem Muratori beziehet sich augenscheinlich auf gegenwärtige Urkunde, und bedarf sehr, aus derselbigen berichtiget zu werden.
Auszug aus einem Schreiben
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überhäufte; der den Gedanken, ein Episches Gedicht in seiner Sprache zu unternehmen, zuerst in ihm veranlaßt haben soll, und an welchen Milton damals ein lateinisches Gedicht, Mansus überschrieben, richtete, das immer ein sehr ehrenvolles Denkmal der vortreflichen Eigenschaften dieses edeln Mannes bleiben wird. Der P r i n z v o n C o n c a , an welchen dieses Gedicht gerichtet ist, hieß M a t t e o d i C a p u a , und war ebenfalls ein eifriger Freund der schönsten Geister seiner Zeit, vornehmlich des Ta s s o , und des zu wenig unter uns bekannten M a r i n o , dem, mit allen seinen schimmernden Fehlern, ein Plaz unter den größten Dichtern Italiens nicht abgesprochen werden kann.]
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Ta s s o ist ein gewaltiger Jäger geworden, und achtet dabey weder der Rauhigkeit der Jahrszeit, noch des Landes. Die schlimmen Tage, und die Abende bringen wir bey Musik zu, und hören oft ganze Stunden lang singen; denn Tasso findet ein außerordentliches Vergnügen an den Gesängen der I m p r o v i s a t o r e n , und beneidet diese Leute um ihre Fertigkeit im Versemachen und reimen, worinn, wie er sagt, die Natur so geizig gegen ihn gewesen sey. Zuweilen tanzen wir auch wohl mit den Damen unsrer Nachbarschaft, woran er ebenfalls vieles Belieben hat; aber meistens sitzen wir beym Feuer und unterhalten uns mit Gesprächen. Bey solchen Gelegenheiten sind wir schon öfters auf den G e i s t zu spre-
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chen gekommen, der ihm, seinem Vorgeben nach, erscheinen soll; und er hat so davon gesprochen, daß ich würklich nicht weiß was ich von der Sache sagen und glauben soll; beynahe befürchte ich; sein Wahnwitz werde mich endlich selbst unsinnig machen. Ich, der Ihn aus diesem Zustande, den ich für eine Krankheit halte, gern retten wollte, habe ihm öfters mit den ernsthaftesten Gründen bewiesen, daß diese seine Erscheinungen nicht wahr seyn können; sondern bloße Erfindungen seiner Einbildung sind, welche, durch melancholische Dünste verdüstert, ihm diese eitle Hirngespenster vorspiegelt, und ihm Dinge sehen läßt, die nicht sind und auch großentheils nicht seyn können. Denn daß dieser angebliche Geist nicht etwa würklich e i n b ö s e r G e i s t sey, läßt sich aus vielen Merkmalen erkennen; als da sind: daß er von geistlichen und andächtigen Dingen mit ihm spricht, und ihm dieselben anrathet, daß er die heiligen Nahmen Jesus und Maria ausspricht, daß er das Zeichen des Kreuzes und die Reliquien der Heiligen, wie er selbst gesteht, verehret; aber mehr als dies alles, der Trost und die Stärkung die er ihm hinterläßt wenn er von ihm
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Juli 1781)
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scheidet; welches gerade das Gegentheil von dem ist was die bösen Geister zu thun pflegen. Auf der andern Seite sage ich ihm, daß es auch kein E n g e l seyn könne. Denn ob Er gleich ein Christ und ein tugendhafter Mensch, ja seit vielen Jahren sehr geistlich gesinnt ist: so pflegen doch dergleichen Gnaden von Erscheinungen der Engel keinen Menschen von gemeiner Tugend, sondern nur den Vollkommnen und Heiligen verstattet zu werden; dergestalt, daß es Aufgeblasenheit seyn würde, zu glauben, daß dieser Geist ein Engel sey, so wie man ihm Unrecht thun würde, ihn für einen Teufel zu halten. Weil es nun *) keine andere Gattung von Geistern als Engel und Teufel giebt und der 10
Seinige weder das eine noch andere seyn kann, so folget, daß das was ihm erscheint kein wirklicher Geist, sondern daß es eine bloße Täuschung der Einbildungskraft ist, welche ihm dieses Bild mit den Farben der Wahrheit vorstellt; eine Sache die vielen andern auch begegnet ist, zumal Personen, die mit Hypochondrie so sehr behaftet sind wie er. Auf alles dieses antwortet er mir: daß man das Gegentheil ganz augenscheinlich aus der langen Zeit abnehmen könne seit welcher er diese Erscheinungen sehe, und aus der Gleichförmigkeit die er beständig dabey beobachtet habe; als welche nicht statt haben könnte, wenn die von ihm gesehenen Dinge nicht würklich für sich bestünden, sondern bloß aus wahnsinnigen Einbildun-
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gen seiner Fantasie erwachsen wären. Auch könnten die Gespräche, die der Geist mit ihm halte, nicht zusammentreffend seyn; denn in phantastischen Visionen würkten die Seelenkräfte nicht nach der Leitung der Vernunft und könnten also weder Zusammenhang noch Ordnung haben; wie man an den Erscheinungen, welche schwermütigen Personen vorkommen, an den Träumen der Fieberhaften und an den Einfällen der Betrunknen wahrnehmen könne. Ferner spricht er: wenn die Dinge die Er hört und sieht, phantastische Erscheinungen und Werke seiner eignen Einbildungskraft wären: so könnten sie nicht so beschaffen seyn, daß sie seinen Verstand überstiegen; denn die Einbildung würke durch eine Reflexion der Bilder von Dingen welche wir
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vorher aufgefaßt und im Gedächtnis erhalten haben; hingegen habe Er in den *)
Der M a r c h e s e spricht hier nach den Grundsätzen der katholischen Orthodoxie. Unter
den Platonikern des 15ten und 16ten Jahrhunderts in Italien war es etwas ausgemachtes, daß es außer diesen zweyen Hauptgattungen noch allerley Arten von Mittelgeistern gebe: aber dies behaupteten sie nur a l s P h i l o s o p h e n ; als gute Katholiken unterwarfen sie sich, wie billig, dem Ausspruch der Kirche.
Auszug aus einem Schreiben
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vielen und langen zusammenhangenden Unterredungen die Er mit diesem Geist gehalten, Dinge von ihm gehört, die Er vorher weder gehört noch gelesen, noch gewußt daß sie jemals einem andern Menschen bekannt gewesen seyen. Daraus zieht er also die Folge, daß seine Visionen keine leeren Einbildungen seyn könnten, sondern wahre und wirkliche Erscheinungen eines Geistes, der, aus welcher Ursach es auch sey, sich ihm auf eine empfindbare weise zu erkennen gebe. Da ich ihm nun hierinn immer wiedersprach und alles dieses streitig machte, Er aber immer auf meine Einwürfe eine Antwort bereit hatte, kam eines Tages die Sache so weit, daß er mir sagte: weil ich Sie doch mit Gründen nicht
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überzeugen kann, so will ich Sie durch die Erfahrung überführen. Sie sollen den Geist mit eigenen Augen sehen, den Sie auf mein Wort nicht glauben wollen. Ich willigte darein, und als wir den folgenden Tag ganz allein beym Feuer saßen, wandte er sein Gesicht gegen ein Fenster, und, nachdem er es eine gute Weile darauf geheftet hatte ohne mir auf meine Gespräche Gehör zu geben, sagte er endlich zu mir: da ist mein Freund, der Geist, welcher so freundlich gewesen ist, mir wieder einen Besuch zu geben; sehen Sie ihn an, so werden Sie sehen, daß ich die Wahrheit gesagt habe. Ich richtete sogleich meine Augen dahin; allein, so sehr ich sie auch anstrengte, so sah ich nichts als die Sonnenstrahlen, welche durch die Fensterscheiben in das Zimmer fielen. Aber
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während ich gleichwohl mit den Augen herumlief, ohne etwas wahrzunehmen, hörte ich, daß Tasso sich in ein sehr hohes Gespräche mit jemand, wer er auch war, eingelassen hatte. Denn, wiewohl ich niemand sah’ und hörte, als ihn: so waren doch seine Reden, da er bald etwas vortrug, bald etwas beantwortete, so beschaffen, wie sie unter Personen sind, die sich von einer wichtigen Sache besprechen; und aus s e i n e n Reden begrif ich mit meinem Verstande, ohne Mühe, diejenigen die er zur Antwort erhielt, ob ich sie gleich nicht mit den Ohren hörte. Diese Gespräche waren so erhaben und wunderbar, sowohl wegen der Hoheit des Inhalts, als wegen einer gewißen ungebräuchlichen Art zu reden, daß ich, in einer ungewohnten Betroffenheit wie außer mir und über mich selbst erhaben, mich nicht unterstand sie zu unterbrechen, noch den Tasso um den Geist, den er mir mit dem Finger gezeigt hatte und ich nicht sah, zu befragen. In diesem Zustande, und indem ich so zwischen Erstaunen und Entzückung schwebend, zuhörte, blieben wir unvermerkt eine gute Weile; bis endlich, da der Geist (wie ich aus den Reden meines
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Juli 1781)
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Freundes abnahm) wieder seinen Abschied genommen, Tasso sich zu mir wandte, und sagte: Nun werden alle Zweifel aus deiner Seele vertilget seyn! Ich erwiederte: Sie haben vielmehr zugenommen; denn ich habe zwar viele wundernswürdige Dinge gehört, aber nichts von allem dem gesehen, was Sie mir zu Hebung meiner Zweifel, sehen zu lassen versprochen hatten. Er erwiederte mir lächelnd: du hast schon viel mehr gesehen und gehört als vielleicht … und hier schwieg er; und weil ich mich nicht unterfieng, ihn mit neuen Fragen zu beunruhigen, so machten wir dem Gespräch ein Ende. So daß ich also aus diesem allem bisher nichts anders schließen kann, als was ich Anfangs sagte, 10
daß ich über diesen seinen Erscheinungen oder Phantasien viel eher selbst von Sinnen kommen könnte, als ich dazu kommen werde, ihm diese seine es sey nun wahre oder nur eingebildete Meynung aus dem Kopf zu bringen.
Auszug aus einem Schreiben
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Eine neue Ausgabe aller Werke des Hrn. von Voltaire. Die E t t i n g e r s c h e B u c h h a n d l u n g zu Gotha, hat eine Edition complette des Oeuvres de Mons. de Voltaire, nach der Ausgabe dieser Werke, welche Herr von Beaumarchais zu Paris herausgiebt, auf Pränumeration in einem ausführlichern Avertissement angekündiget. Da die Pariser Ausgabe in Octav 15 Schildlouisd’or oder sogenannte Carolins kostet, und wegen dieses hohen Preises sich nicht so weit verbreiten kann als sie verdient, so hat obgenannte Buchhandlung darauf gedacht, dieses kostbare Werk durch Veranstaltung einer wohlfeilern, aber doch dabey zierlichen Ausgabe, in mehrere Hän10
de zu bringen. Diese wohlfeile Ausgabe enthält, so wie die Originalausgabe, (die von Wort zu Wort, und zwar so abgedruckt wird, daß sogar die Anfangsund Schlußwörter der Seiten übereintreffen sollen,) 60 Bände in gros Octav, worunter sich 20 ganz neue, noch ungedruckte Bände befinden. Von Zeit der ersten Auslieferung des Originalwerks an gerechnet, sollen sechs Monate darauf die ersten 20 Bände, und die 40 übrigen, von 6 zu 6 Monaten erscheinen, so, daß ein und ein halb Jahr nach Erscheinung der Beaumarchaisschen Ausgabe, die Ettingersche Ausgabe auch geendiget seyn soll. Der Preis der Leztern ist für die Pränumeranten 30 Rthlr. in alten Louisd’or zu 5 Thlr., wovon 2 Louisd’or bey der Subscription, 2 Louisd’or bey der Auslieferung der zwan-
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zig ersten, und endlich 2 Louisd’or der zwanzig mittlern Bände vorausbezahlet, die lezten zwanzig aber frey ausgehändiget werden. Die Pränumerationszeit stehet bis zu Ende dieses Jahres offen. Hier in We i m a r kann man sich dieserwegen bey dem Hofrath W i e l a n d melden.
¼Anzeige½ E i n e n e u e A u s g a b e ¼…½ v o n Vo l t a i r e
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Ein neues teutsches Wörterbuch. Der kuhrpfälzische Hofkammerrath und Hofbuchhändler S c h w a n in Manheim, hat in Verbindung mit dem dortigen privilegirten französischen Buchhändler Hrn. F o n t a i n e folgendes Werk angekündiget: Dictionnaire de la langue allemande à l’usage des Etrangers, précedé d’une Introduction grammaticale. ¼…½
¼Ankündigung: Schwan½ E i n n e u e s t e u t s c h e s W ö r t e r b u c h
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Eine neue hexametrische Übersetzung der Iliade. Nach den beyden Hexametrischen Übersetzungen, womit uns B o d m e r und G r a f L e o p o l d z u S t o l l b e r g beynahe zu gleicher Zeit beschenkt haben, binnen einem so kurzem Zeitraum als drey Jahre, noch eine d r i t t e ans Licht treten zu sehen, ist eine Erscheinung, die Niemanden, der für den Ruhm und Fortgang unsrer Litteratur nicht ganz unempfindlich ist, gleichgültig seyn kann. Der ungenannte Verfasser der neuen Übersetzung, deren erster Theil in der nächsten Herbstmesse zu Leipzig herauskommen wird, sagt in seinem Vor10
bericht: wiewohl er solche unternommen, ehe der Herr Graf S t . die seinige angekündigt, und ehe das Publicum darauf habe rechnen können daß die Bodmerische zu Stande kommen würde: so würde er doch, nach Erscheinung dieser beyden, mit der seinigen zurükgeblieben seyn, wenn er sich hätte überzeugen können, daß eine derselben alle fernere Bemühung, unsrer Nation das alte Meisterstük der Dichtkunst in ihrer Sprache vorzulegen, überflüßig mache. Er begehre zwar keiner von jenen beyden ihren Werth, noch den Lesern, welche sie befriedigen, ihren Geschmak streitig zu machen; er glaube aber, die Anmerkung des Übersetzers der Lucianischen Panthea (die man vor einiger Zeit im T. Merkur gelesen hat) „daß n e u n l e i d l i c h e Übersetzer, von
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welchen immer der Neueste gut genug geschienen, einem Z e h n t e n noch viel zu leisten übrig lassen“ habe ihre gute Richtigkeit, und lasse sich auf eine Übersetzung Homers vorzüglich anwenden. Wenn es auch nicht zu voreilig wäre von einer so großen Arbeit als eine metrische Übersetzung der Ilias, nach den zween ersten Gesängen (welche alles sind was mir davon zu Gesichte gekommen) urtheilen zu wollen, so würden mir doch andere Betrachtungen verbieten, über den Werth dieser neuen Übersetzung, sowohl in Vergleichung mit dem Original und den ältern hexametrischen Übersetzungen, als in Vergleichung mit der Idee einer verteutschten Ilias, wie sie in meiner eignen Seele schwebt, und (ich wolle oder wolle
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nicht) das Maas ist, womit ich den Werth dieser Arbeiten zu messen genöthigt bin, ein kunstrichterliches Urtheil zu fällen. Ein Gelehrter oder Kunstverwandter kann mit dem Werke eines noch lebenden Zunftgenossen schwerlich
Eine neue hexametrische Übersetzung
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eine scharfe Prüfung vornehmen, ohne sich auf eine oder andre Art dem Mißtrauen und Tadel der Welt auszusetzen: und ein Freund kann über das Werk eines Freundes schwerlich ein öffentliches Urtheil fällen, wodurch er d i e s e m und s i c h s e l b s t ein Genüge thut. Ich kenne nur Eine anständige Art, wie ich meine eigentliche Meynung von den sämtlichen Übersetzungen Homers in Vergleichung mit meinem eignen Ideal öffentlich sagen könnte; und dies wäre — wenigstens mit Einem Gesang, s e l b s t einen Versuch zu machen, wieweit ich mich diesem (wie alle Ideale) unerreichbarn Non plus ultra nähern könnte. Die gewöhnlichen Formulare wie man lobt oder tadelt sind so tief unter dem, was ein Mann der
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Welt und dem Verfasser, von welchem er urtheilt, schuldig ist! Ins Detail aber zu gehen, und zu sagen: das hätte s o , und jenes s o seyn sollen, dies ist ü b e r und dies u n t e r der Linie, dies zu s t a r k , jenes zu s c h w a c h ; oder zu sagen, w i r w ü n s c h t e n der Verfasser hätte das so oder so gemacht, der Strom seiner Sprache flöße reiner, schöner, voller — sprudelte nie, schäumte nie, stokte nie, würde nie trübe und schlammicht — seine Versification wäre sorgfältiger gearbeitet, hätte mehr Numerus, einen leichtern Schwung, mehr Mannichfaltigkeit, mehr Anmuth, — und tausend dergleichen Dinge zu sagen, mit Beyspielen zu belegen, u. s. w. das kann, zur Noth, auch wohl jedes geelschnäblichte Kunstjüngerlein; ja der schlechteste Schuhflicker
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kann einem Apelles an seinem besten Werke einen Fehler zeigen. Aber die einzige edle und die Kunst würklich befördernde Art ein Werk zu tadeln, ist, d u r c h d i e T h a t zeigen w i e es besser gemacht werden könne — und dies ist in Rüksicht der Übersetzungen, wovon die Rede ist, mehr als ich mir selbst zutraue, oder wenigstens mehr als wozu ich mich anheischig machen möchte. Unser U n g e n a n n t e r hat diesen edeln Weg eingeschlagen, um über s e i n e Vo r g ä n g e r nach s e i n e m Gefühl zu urtheilen; und ich rathe einem jeden, der über i h n urtheilen will, daß er hingehe und desgleichen thue. Was ich inzwischen, — mit einiger Überzeugung daß die Meisten, welche diese neue Übersetzung mit den beyden ältern und dem Original unpartheyisch vergleichen wollen und können, es a u c h s o finden werden — überhaupt davon sagen kann, ist: daß sie, meines Bedünkens dem Original getreuer, oder einer wörtlichen Übersetzung (ohne unteutsch zu werden) meistens näher komme als die B o d m e r i s c h e ; daß sie sorgfältiger gearbeitet sey als die
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte September 1781)
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S t o l l b e r g i s c h e ; und daß sie besser versificiret sey als b e y d e . Von Versen im Geschmak des berühmten Nuper quidam doctus coepit scribere versus
oder von solchen die man gar nicht zu scandieren weiß, kommt hier nichts vor; auch sind in den Griechischen Namen die richtigen Sylben-Quantitäten immer beobachtet, und nicht nach Convenienz des Übersetzers die nehmliche Sylbe bald lang bald kurz gebraucht, welches allerdings zu loben ist. Hingegen wird vermuthlich den meisten Lesern, sehr wohlgefällig zu vernehmen seyn, daß in dieser neuen Übersetzung nicht alle Griechische Namen mit der Grie10
chischen (würklichen oder angeblichen) Orthographie beybehalten, sondern, wo es der alte Brauch mit sich bringt, die Lateinischen, an welche sich unser Aug und Ohr von Kindheit an gewöhnt hat, substituirt sind; und daß also die Gemahlin des Zevs nicht H ä r ä sondern Juno, Vulcan nicht H ä f a i s t o s , Diomedes nicht D i o m ä d ä s , Ulyß nicht O d ü s s e u s , Eneas nicht A i n e i a s heißt, u. s. w. Dies sind freylich nur Kleinigkeiten. Es giebt aber etwas, das keine Kleinigkeit ist, wovon in jeder Übersetzung eines vortreflichen Werkes mehr oder weniger verlohren geht — und dies ist d e r G e i s t und l e b e n d i g e O t h e m desselben. Daß ihm, während der Operation einer meistens sehr getreuen und
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fleißigausgearbeiteten Übersetzung, von Homers Geist nichts verflogen sey, wird gewiß der ungenannte Übersetzer selbst am wenigsten behaupten. W i e v i e l aber oder w i e w e n i g — wird (wie gesagt) der am richtigsten bestimmen können, der es versuchen wird b e s s e r zu machen. Nur noch Eines sey uns erlaubt zu sagen — und dies ist: daß wofern es (wie wir glauben) eine wesentliche Eigenschaft einer vortreflichen Übersetzung eines vortreflichen Werkes ist, daß sie alles habe was ihr d e n S c h e i n e i n e s O r i g i n a l s geben kann — in dieser Rüksicht vornehmlich einem v i e r t e n Übersetzer der Ilias noch Raum gelassen sey, Ehre zu erjagen. Aber freylich — dem Homer nichts nehmen, nichts leyhen, ihn nur singen lassen, wie er
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gesungen hätte, wenn unsre teutsche Sprache s e i n e S p r a c h e gewesen wäre — es ist beynahe das unmögliche gefodert! Und doch ist dies gerade das Problem, welches aufzulösen war. Wir können uns izt nicht deutlicher hierüber erklären. Aber wie natürlich
Eine neue hexametrische Übersetzung
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führt uns diese Betrachtung auf den Wunsch, daß doch B ü r g e r aufgemuntert werden — oder, auch ohne fremde Aufmunterung, den edeln, seiner so würdigen, Stolz haben möchte, seine Übersetzung — in welcher die Ilias durch eine Art von wahrer Palingenesie als ein teutsches Original von den Toden auferstehen — und Homer, (troz allem Anschein des Gegentheils) in der That von seinem eigenthümlichen Geist und Feuer und von seiner kecken, festen, kraft und markvollen Manier am wenigsten verlieren würde — zu vollenden, und unsre Sprache dadurch mit einem Werke zu bereichern, dessen Nichtvollendung ein großer und unersezlicher Verlust für die Nation seyn würde. So denken und wünschen viele mit uns, deren Urtheil ihm nicht gleichgültig seyn
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kann — und diesen Wunsch glauben wir hier äussern zu können, ohne dem Verfasser der neuen h e x a m e t r i s c h e n Übersetzung Unrecht zu thun, oder ihn von der Vollendung einer Arbeit abzuschrecken, welche, unserer Meynung nach, Aufmunterung und Beyfall in reichen Maaße verdient, und in verschiednen Rüksichten, auch wenn die B ü r g e r i s c h e Ilias zu Stande käme, ihren Plaz als Ü b e r s e t z u n g mit Ehre behaupten würde. Vermuthlich werden unsre Leser den Namen unsers neuen Übersetzers zu erfahren wünschen; aber wir wissen selbst nichts davon. Er will schlechterdings weder gekannt noch erfragt seyn. Alles was wir mit einiger Gewisheit sagen können, ist, daß er kein Mann von gestern her zu seyn scheint.
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¼Johann Andreas Cramers sämtliche Gedichte. …½ Hier in We i m a r belieben diejenigen, welche auf diese von dem Publiko schon so lange gewünschte Sammlung subscribiren wollen, sich bey dem Hrn. D i r e c t o r H e i n z e deswegen zu melden.
¼Zusatz½ C r a m e r s s ä m t l i c h e G e d i c h t e
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Zweybrückische Ausgabe der sämtlichen Werke des P l a t o in 8. Mit großem Vergnügen haben wir vor einigen Tagen den e r s t e n T h e i l von dieser schönen H a n d a u s g a b e der sämtlichen Werke des H o m e r s d e r P h i l o s o p h e n erhalten, welche, weder an Correctheit des Textes noch Schönheit der Typen und des Druks, zumal in Rüksicht des äußerst niedrigen Preises, etwas zu wünschen übrig läßt. — Aber diese unsre Freude über eine Unternehmung, welche unsrer Nation Ehre macht und unsrer Litteratur so viel Gutes thun könnte, wurde beym Anblik des kaum auf 500 sich erstreckenden Verzeichnisses der Subscribenten, nicht wenig vermindert; indem wir die 10
Nachricht „daß die Entreprise mit den Griechischen Schriftstellern nicht viele Freunde finden zu wollen scheine“ dadurch mehr als zu sehr bestättigt fanden. Was sollen wir uns daraus von dem gegenwärtigen Zustand der Litteratur in Teutschland, für die Kenntnisse, den Geschmak, und die Art zu studieren unsrer meisten Gelehrten, besonders unsrer studierenden Jugend, für eine Vorstellung machen? — Plato wurde von den Meisten bisher wenig gekannt und genuzt, weil es an einer w o h l f e i l e n und zum G e b r a u c h b e q u e m e n Ausgabe s e i n e r s ä m t l i c h e n We r k e fehlte. Nun, da uns eine solche angeboten wird, welcher Gelehrte sollte sich, so beschränkt auch seine Umstände seyn möchten, die wenigen Gulden, die diese schöne Neue Ausgabe
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nach und nach kosten wird, nicht lieber an jedem zum Leben nicht ganz unentbehrlichen Ausgabs-Artikel abbrechen, als o h n e P l a t o seyn wollen? Welcher Schriftsteller verdient mehr von jedem wahren Gelehrten gelesen, studiert, und zur täglichen Nahrung seines Geistes gemacht zu werden, als Plato? Oder sollten wir den Horazischen Zuruf: Vos exemplaria Graeca nocturna versate manu versate diurnà weniger nöthig haben als die damaligen Römer? Doch, vermuthlich liegt es bloß an Nebenumständen und vielleicht an nicht genugsamer Bekanntwerdung der Entreprise, daß sich bisher nicht mehr Liebhaber angegeben haben; auch haben wir mit Vergnügen bemerkt daß wenigstens der fünfte Theil der namentlich Unterschriebenen Käufer aus
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jungen Studierenden besteht. — Dieser erste Band liefert 1) Platons Leben aus dem Diogenes Laertius. 2) Joh. Alb. F a b r i c i i litterarische Notiz von Plato, dessen Schriften, Auslegern und Ausgaben, aus dem IIten Buch seiner G r i e -
¼Anzeige½ Z w e y b r ü c k i s c h e A u s g a b e ¼…½ d e s P l a t o
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c h i s c h e n B i b l i o t h e k gezogen, und verbessert, vermehrt und fortgesezt von G. C. C r o l l . 3) Eine litterarische Notiz von den einzelnen Büchern, nemlich bey jedem Bande von denen, die darinn enthalten sind. 4) Den E u t h y p h r o n , die A p o l o g i e d e s S o k r a t e s , den K r i t o n und den P h ä d o n . Unter dem Text ist die Lateinische Übersetzung des Marsilius Ficinus; ein Hülfsmittel, welches wir, ungeachtet aller erheblichen Gründe welche noch neulich der verdiente Hr. Prof. Seybold für die Ausgaben ohne Übersetzung vorgebracht hat, nicht anders als gut heissen können; da es denen, die den Plato studieren wollen, zur Erleichterung dient, ohne daß es jemanden, der sich nicht selbst betrügen will, von der Bemühung den Text verstehen zu lernen abhalten wird. Die Herausgeber haben mit diesem ersten Theil eine Beylage mit ausgegeben, welche wir bekannter machen zu helfen ersucht worden sind. Sie lautet folgendermaßen. ¼…½
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Oktober /Anfang November 1781)
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Der Denker, eine Wochenschrift. Von dieser berühmten Wochenschrift des Hrn. J o s e p h C l a v i j o y F a x a r d o , auf welche das Publikum bereits durch die in des Herrn B e r t u c h S p a n i s c h e n M a g a z i n mitgetheilten drey Stücke aufmerksam gemacht worden, ist nun der Erste Band, unter dem Verlagsort B r e m e n bey J. H. Cramer 1781. in groß Octav, 332. S. stark erschienen. Ein Werk, dem in gewissen Stükken der Name des S p a n i s c h e n S p e k t a t o r s zukömmt, würde auch uns Teutschen bloß dadurch interessant genug seyn, wenn wir gleich keinen weitern Nutzen daraus ziehen könnten, als mit dem Grade der Kultur der Spanier 10
in dem Decennium von 1760–1770, in so fern sich solcher aus einem zu Verbesserung der Denkart und der Sitten der Nation abzweckenden Werke erkennen läßt, bekannter zu werden. Aber der Denker ist in allewege dazu qualifiziert, einen noch ausgebreitetern Nutzen zu stiften; er denkt auch f ü r u n s ; er rüget auch einen guten Theil u n s r e r Thorheiten, unsrer Laster und Unarten, besonders im Gesellschaftlichen Leben und Umgang; und die Art wie er dabey zu Werke geht, die edle Philosophische Freyheit und Freymüthigkeit seines Geistes, der Scharfsinn womit er die Menschen um sich her beobachtet, die feste Hand, womit er ihre moralische Gebrechen und Mißgestalten zeichnet, die gute Art wie er sie zu bessern sucht, die Lebhaftigkeit seines Witzes,
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die Richtigkeit seiner Grundsätze, die Weisheit seiner Sittenlehre, das Salz womit seine Satyre gewürzt ist, — alle diese Eigenschaften, mit den Vorzügen einer ungezwungnen, edlen und geistreichen Schreibart verbunden, machen das Werk des Don C l a v i j o zu einem der lehrreichsten und unterhaltendsten Lesebücher dieser Art, die uns in langer Zeit vorgekommen sind. Von der Übersetzung haben wir alles gesagt, was dem Publikum das beste Zutrauen geben muß, indem wir sagen, daß sie den berühmten Übersetzer des H u m f r e y K l i n k e r und Tr i s t r a m S c h a n d y zum Verfasser hat. Daß er uns ein Werk von dieser Art nur A u s z u g s w e i s e geliefert, und uns also alles was bloß National und Local darinn war, oder was für den g r ö ß t e n
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T h e i l der teutschen Leser weder verständlich noch erheblich seyn konnte, erlassen hat: verdient eher Dank als Tadel; wiewohl es einige Leser geben mag, denen gerade das Nationale und Locale in solchen Ausländischen Werken das
¼Anzeige: Übersetzung Bodes von Fajardo½ D e r D e n k e r
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Liebste ist — und für diese ist wohl kein beßrer Rath als Spanisch zu lernen und aus der Quelle selbst zu schöpfen.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Oktober /Anfang November 1781)
Ü b e r d i e b ü r g e r l i c h e Ve r b e s s e r u n g d e r J u d e n , von Christian Wilhelm D o h m . Berlin und Stettin bey Friedrich Nicolai. 8. S. 200. Dieses der Aufklärung und Menschlichkeit unsrer Zeiten würdige Buch, ist aus den Studien entstanden, welche Herr Kriegsrath D o h m seit mehrern Jahren, nach einem eignen Plan, über die Geschichte der Jüdischen Nation seit der Zerstörung ihres eignen Staats, angestellt, und wovon sich das Publicum, nach dem Fingerzeige, den er uns von diesem Plan giebt, ein vortrefliches Werk versprechen dürfte, wenn die veränderte Lage des V. ihm die nöthige Zeit zu Ausführung seines Plans vergönnte. Schäzbar, nüzlich und unterhal10
tend sind inzwischen auch diese seine Gedanken, wie die Juden nüzlichere Glieder der bürgerlichen Gesellschaft werden könnten. Der V. hat seine Vorschläge von allen Seiten überdacht, räumt alle Vorurtheile aus dem Wege, und kommt allen Einwürfen entgegen. Was er, aus Gründen, die ihm Menschlichkeit, Billigkeit und Staatsklugheit darboten, zu thun a n r ä t h , hat (während diese Schrift abgedrukt wurde) K a y s e r J o s e p h — in seinen Staaten würklich g e t h a n , und es kann dem V. nicht anders als sehr erfreulich seyn, seine Theorie mit der Ausübung eines so großen und weisen Fürsten zusammentreffen zu sehen. Wenn wir die Juden mitten unter uns leben lassen, so ist nicht nur billig, sondern auch, politisch und ökonomisch betrachtet, das Beste was
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man thun kann, sie soviel möglich, mit den übrigen Bürgern des Staats auf einerley Fuß zu setzen. Aber, wenn der Türkische Kayser, wie vor einiger Zeit verlautete (vermuthlich wars nur Traum eines müßigen Kopfs) auf den Einfall käme, ihnen das Land ihrer Väter wieder einzuräumen, und alle in der Christenheit zerstreuten Söhne Abrahams von der Einladung profitirten, und unter bessern auspiciis nach Palästina zögen — als unsre fanatischen Vorfahren in den mittlern Jahrhunderten dahinzogen, um das heil. Grab zu erobern: Wäre dies nicht am Ende doch für Sie selbst und für uns das Wünschenswürdigste?
¼Rezension: Dohm½ Ü b e r d i e b ü r g e r l i c h e Ve r b e s s e r u n g
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Von Herrn Bibliothekar J a g e m a n n s M a g a z i n d e r I t a l i e n i s c h e n L i t t e r a t u r u n d K ü n s t e haben wir diesen Herbst den fünften Band erhalten. Wir würden einen großen Raum nöthig haben, um alles Interessante in diesem Bande auszuzeichnen. Die Wahl des Hrn. Verf. verdient unsern ganzen Beyfall, auch in Absicht der M a n n i c h f a l t i g k e i t . Vorzüglich lehrreich und unterhaltend sind die Übersetzungen aus der S a m m l u n g d e r O r i g i n a l briefe der berühmtesten Mahler, Bildhauer und Baukünstler, welche in Rom von 1754 bis 68 in 6 Quartbänden herausgekommen, ferner, der weitläuffige Auszug aus den Werken des großen R a p h a e l M e n g s , wel10
che D. Joseph Nicolas von Azara i. J. 1781 zu Parma in 2 großen Real-Quartbänden herausgegeben; — der Auszug aus Fabronis Leben des berühmten Naturforschers R h e d i — und die sehr merkwürdigen Nachrichten von einem N a c h t w a n d l e r , beschrieben von Herrn S o a v e , öffentlichen Lehrer der Logik und Metaphysik zu Meiland, der ein beobachtender Augenzeuge dessen was er beschreibt gewesen. Der Nachtwandler ist ein Apothekerbursche von 22 Jahren, und die Geschichte dieser seiner unbegreiflichen Krankheit (womit er seit dem März 1779 nach einem überstandnen gefährlichen hitzigen Fieber behaftet ist) verdient die Aufmerksamkeit aller denkenden Menschen. Wir würden ungerecht seyn, der Übersetzung der H ö l l e d e s
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D a n t e , wovon hier abermals ein großes Stük vom 16ten bis zum 26sten Gesang erscheint, den Dank zu versagen, den die höchst mühsame Treue derselben von einem jeden, welcher diesen großen, aber äusserst schwehren und den meisten Italiänern selbst unverständlichen Dichter im Original studieren will, reichlich verdient — denn ein besseres Hülfsmittel dazu werden wir nirgends finden. — Mit Vergnügen haben wir auch (Seite 338—53) das sinnreiche Gedicht ü b e r d i e M o d e von C l e m e n s B o n d i , einem der besten iztlebenden Dichter Italiens, gelesen. — In den übrigen Artikeln verfolgt der Herausgeber seinen bisherigen Plan, und wir können nicht anders als die Fortsetzung einer Sammlung zu wünschen, die uns so viel Nützliches und
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Angenehmes aus dem an litterarischen Schätzen ewig unerschöpflichen Italien zuführt; und deren gelehrter Herausgeber während seines langen Auffenthalts in diesem Lande, Kenntniß und Connexion gesammelt hat, die ihn
¼Rezension: Jagemann½ M a g a z i n
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vorzüglich dazu qualificiren, sich auf diese Art um Teutschland verdient zu machen.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Dezember 1781)
Inhaltsverzeichnis [290] [290.1] [290.2]
Der Teutsche Merkur. Februar 1781
............................
1
¼Debitanzeige½ [ 279.1] Der alte Kirchengesang, Stabat Mater, zur bekannten Komposition des Pergolesi, in gleichartige Reimen übergetragen . . . . . . . . . . . . . . . . .
[290.3]
¼Fortsetzung½ Auszüge aus den Mélanges tirés d’une grande
[290.4]
¼Anmerkung zu: Sophie von La Roche½ Eine Baad-Bekanntschaft . . . .
[290.5]
Sonderbares Project eines Menschenfreunds zum Besten der armen
2
Bibliotheque [ 286.5.4] 10
Officiersfrauen und Wittwen in Frankreich [ Incerta] [290.6]
An den Herrn Herausgeber des Teutschen Museums . . . . . . . . . . . . . . . .
[290.7]
Eine problematische Rechtsfrage [ Incerta]
[290.8]
¼Anzeige,½ das versprochene Verzeichnis Französischer
11
Schriftstellerinnen ¼betreffend½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
[290.9]
Antwort an einige Correspondenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
[290.10]
¼Zusatz zu: Johann Heinrich Voß½ Neue Ankündigung der Teutschen Odüßee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
[291]
Der Teutsche Merkur. März 1781
................................
[291.1]
¼Debitanzeige½ [ 279.1]
[291.2]
Verzeichniß und Nachrichten von Französischen Schriftstellerinnen
21
welche sich hauptsächlich in Werken des Witzes und Geschmaks, besonders im Romantischen Fache, hervorgethan haben . . . . . . . . . . . . 22 [291.2.1]
Verzeichniß und Nachrichten von Französischen Schriftstellerinnen welche sich hauptsächlich in Werken des Witzes und Geschmaks, besonders im Romantischen Fache, hervorgethan haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
[291.2.1.0]
¼Einleitung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
[291.2.1.1]
Heloise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
[291.2.1.2]
Marie de France . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
[291.2.1.3]
Christine von Pisan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
Inhaltsverzeichnis
577
Zweyte Fortsetzung des Verzeichnisses Französ.
[291.2.2]
[291.2.2.1]
Schriftstellerinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
Margarite von Valois, Königin von Navarra . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
Dritte Fortsetzung der Nachrichten von Franz.
[291.2.3]
Schriftstellerinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 [291.2.3.1]
Loyse Labé, genannt La belle Cordiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
[291.2.3.2]
Pernette du Guillet, genannt La Cousine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Beschluß der im vorigen Jahre angefangenen Nachrichten von
[291.2.4]
Französischen Schriftstellerinnen des XVIten Jahrhunderts . . . . .
63
[291.2.4.1]
Magdalene und Catharine Des Roches, Mutter und Tochter . . . .
63
[291.2.4.2]
Marie von Romieu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
[291.2.4.3]
Georgette de Montenay und Anne de Marquets . . . . . . . . . . . . . . .
67
Anne Mallet de Graville . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
[291.2.4.4] [291.3]
Auszüge aus Briefen, merkwürdige Vorfälle und Angelegenheiten der Gelehrten Republik, neue Bücher, und andere Litteratursachen betreffend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
[291.3.0]
¼Einleitung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
[291.3.1]
¼Auszug aus einem Brief über Friedrichs II.½ De la Litterature Allemande &c. [ Incerta]
[291.3.2]
¼Auszug aus einem Brief über den Grafen Calliostro in Straßburg½ Ein neuer Thaumaturg [ Incerta]
[291.4]
¼Zusatz zu½ Avertissement [ Incerta]
Der Teutsche Merkur vom Jahr 1781. Zweytes Vierteljahr
..
71
.......................
73
[292.1]
¼Debitanzeige½ [ 279.1]
[292.2]
¼Anmerkung zu: Friedrich Münter½ Richard und Blondel . . . . . . . . . . .
74
[292.3]
¼Anmerkung zu: Strahl½ Theorie des Windes und der Kälte . . . . . . . . . .
75
[292.4]
¼Anmerkung und Zusatz zu½ Preisfragen von der Holländischen zu
[292]
Der Teutsche Merkur. Ostermonat 1781
Harlem errichteten Gesellschaft der Wissenschaften, besonders von dem Ökonomischen Fache, ausgegeben im Jahr 1779. 1780 . . . . . . . . . .
76
[292.4.1]
¼Anmerkung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
[292.4.2]
¼Zusatz½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
578
Inhaltsverzeichnis
[293]
Oberon¼.½ Ein Gedicht in Vierzehn Gesängen. Von C. M. Wieland. Neue verbesserte Auflage. Weimar, bey Karl Ludolf Hoffmanns seel. Wittwe und Erben. 1781 [ 277.2]
[293.1]
An Se. Durchlaucht den Prinzen August von Sachsen-Gotha und Altenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
[294]
Der Teutsche Merkur. May 1781
.................................
[294.1]
¼Debitanzeige½ [ 279.1]
[294.2]
Ob man begründet sey, aus einigen Stellen der Ilias zu vermuthen,
78
79
daß Homer ein Bastard gewesen sey? gegen A. Pope . . . . . . . . . . . . . . . . 80 [294.3]
Vorbericht ¼zu½ Heloise an Abälard. aus dem Französischen des ¼Charles Pierre½ Colardeau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
[294.4]
89
Beysaz des Herausgebers ¼zu C. H. W.½ Über die teutschen Monatsnahmen an den H. d. M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
[295]
Der Teutsche Merkur. Sommermond 1781
.....................
[295.1]
¼Debitanzeige½ [ 279.1]
[295.2]
¼Auszug aus einem Schreiben des Herrn Johann Baptista Manso,
91
Marchese di Villa, an den Prinzen von Conca, Großadmiral von Neapoli — einen Geist betreffend, mit welchem der berühmte Dichter Torquato Tasso Umgang zu haben glaubte½ . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 [295.2.1]
Betrachtung über den Standpunct, worinn wir uns in Absicht auf Erzählungen und Nachrichten von Geistererscheinungen befinden. (Als Einleitung zum folgenden Artikel.) . . . . . . . . . . . . . . . 92
[295.2.2]
Auszug aus einem Schreiben des Herrn Johann Baptista Manso, Marchese di Villa, an den Prinzen von Conca, Großadmiral von Neapoli — einen Geist betreffend, mit welchem der berühmte Dichter Torquato Tasso Umgang zu haben glaubte [ Incerta]
[295.2.2.1] [295.2.2.2]
¼Anmerkung 1½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 ¼Anmerkung 2½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
[295.3]
Versuch einer Übersetzung der ersten Epistel des Horaz . . . . . . . . . . . . 102
[295.4]
Zweyte Fortsetzung des Verzeichnisses Französ. Schriftstellerinnen [ 291.2.2]
[295.4.1]
Margarite von Valois, Königin von Navarra [ 291.2.2.1]
Inhaltsverzeichnis
579
[295.5]
¼Anzeige½ Eine neue Ausgabe aller Werke des Hrn. von Voltaire [ Incerta]
[295.6]
¼Ankündigung von: Christian Friedrich Schwan½ Ein neues teutsches Wörterbuch [ Incerta]
Der Teutsche Merkur vom Jahr 1781. Drittes Vierteljahr [296]
Der Teutsche Merkur. Heumond 1781
. . . . 111
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
[296.1]
¼Debitanzeige½ [ 279.1]
[296.2]
Athenion, genannt Aristion, oder das Glück der Athenienser unter der Regierung eines Philosophen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
[296.2.1]
Athenion, genannt Aristion, oder das Glück der Athenienser unter der Regierung eines Philosophen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
[296.2.2]
Athenion, oder das Glück der Athenienser unter der Regierung eines Philosophen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
[296.3]
Dritte Fortsetzung der Nachrichten von Franz. Schriftstellerinnen [ 291.2.3]
[296.3.1] [296.3.2] [296.4]
Loyse Labé, genannt La belle Cordiere [ 291.2.3.1] Pernette du Guillet, genannt La Cousine [ 291.2.3.2] Fortsetzung der Auszüge aus den Mélanges tirés d’une grande Bibliotheque [ 286.5.5]
[296.5]
¼Anmerkung zu: Johann Heinrich Merck½ Mineralogische Spaziergänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
[296.6]
¼Einleitung zu: Ludwig Philipp Hahn½ Eine neue Ausgabe von J. J. Rousseaus sämtlichen Werken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
[296.7]
¼Anmerkung zu½ Hr. Capellmeister Johann Friedrich Reichards Musikalisches Kunst-Magazin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Einige Drukfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
[297]
Journal von Tiefurth
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
[297.1]
An die Herausgeber des Journals von Tiefurth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
[297.2]
Versuch einer Beantwortung der in No: 1. des Journals von Tiefurth ausgestellten Preisfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
580
Inhaltsverzeichnis
[298]
Der Teutsche Merkur. Erntemond 1781
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
[298.1]
¼Debitanzeige½ [ 279.1]
[298.2]
Horazens zweyter, dritter und vierter Brief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
[298.3]
Athenion, oder das Glück der Athenienser unter der Regierung eines Philosophen [ 296.2.2]
[298.4]
¼Anzeige½ Eine neue hexametrische Übersetzung der Iliade ¼von Ernst Wetislaus Wilhelm von Wobeser½ [ Incerta]
[298.5]
Ein Wort von Herrn Voßens Einwendungen gegen die teutschen Monatsnamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
[299] [299.1]
Journal von Tiefurth
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
Erster Versuch über die Frage: Was würkt am stärksten auf des Menschen Seele, Mahlerey oder Musik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
[300]
Geschichte der Abderiten von C. M. Wieland ¼…½. Neu umgearbeitete und vermehrte Ausgabe. Leipzig, bey Weidmanns Erben und Reich. 1781
[300.I]
. . . . . . . . . . . . . . 177
Erster Theil, der das erste, zweyte und dritte Buch enthält . . . . . . . . . . 177
[300.I.0]
Vorbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
[300.I.1]
Die Abderiten. Erstes Buch, oder Demokritus unter den Abderiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
[300.I.1.1]
Erstes Kapitel. Vorläufige Nachrichten vom Ursprung der Stadt Abdera und dem Charakter ihrer Einwohner [ 191.I.3.1.1] . . . 181
[300.I.1.2]
Zweytes Kapitel. Demokritus von Abdera. Ob und wie viel seine Vaterstadt berechtigt war, sich etwas auf ihn einzubilden? [ 191.I.3.1.2] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
[300.I.1.3]
Drittes Kapitel. Was Demokritus für ein Mann war. Seine Reisen. Er kommt nach Abdera zurück. Was er mitbringt, und wie er aufgenommen wird. Ein Examen, das sie mit ihm vornehmen, welches zugleich eine Probe einer abderitischen Conversation ist [ 191.I.3.1.3] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
[300.I.1.4]
Viertes Kapitel. Das Examen wird fortgesetzt, und verwandelt sich in eine Disputation über die Schönheit, wobey dem Demokritus sehr warm gemacht wird [ 191.I.3.1.4] . . . . . . . . . . 196
Inhaltsverzeichnis
581
Fünftes Kapitel. Unerwartete Auflösung des Knotens, mit
[300.I.1.5]
einigen neuen Beyspielen von abderitischem Witz [ 191.I.3.1.5] 204 Sechstes Kapitel. Eine Gelegenheit für den Leser, um sein
[300.I.1.6]
Gehirn aus der schaukelnden Bewegung des vorigen Kapitels wieder in Ruhe zu setzen [ 191.I.3.1.6] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Siebentes Kapitel. Patriotismus der Abderiten. Ihre Vorneigung
[300.I.1.7]
für Athen, als ihre Mutterstadt. Ein paar Proben von ihrem Atticismus, und von der unangenehmen Aufrichtigkeit des weisen Demokritus [ 191.I.3.1.7] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 Achtes Kapitel. Vorläufige Nachricht von dem abderitischen
[300.I.1.8]
Schauspielwesen. Demokritus wird genöthigt, seine Meynung davon zu sagen [ 191.I.3.1.7] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Neuntes Kapitel. Gute Gemüthsart der Abderiten, und wie
[300.I.1.9]
sie sich an dem Philosophen Demokritus wegen seiner Unhöflichkeit zu rächen wissen. Eine seiner Strafpredigten zur Probe. Die Abderiten machen ein Gesetz gegen alle Reisen, wodurch ein abderitisches Mutterkind hätte klüger werden können. Merkwürdige Art, wie der Nomophylax Gryllus eine aus diesem Gesetz entstandene Schwierigkeit auflöst [ 191.I.3.1.8] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 [300.I.1.10]
Zehntes Kapitel. Demokritus zieht sich aufs Land zurück, und wird von den Abderiten fleißig besucht. Allerley Raritäten, und eine Unterredung vom Schlaraffenlande der Sittenlehrer [ 191.I.3.2.1] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
[300.I.1.11]
Eilftes Kapitel. Etwas von den abderitischen Philosophen, und wie Demokritus das Unglück hat, sich mit ein Paar wohlgemeynten Worten in sehr schlimmen Credit zu setzen [ 191.I.3.2.2] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
[300.I.1.12]
Zwölftes Kapitel. Demokritus zieht sich weiter von Abdera zurück. Wie er sich in seiner Einsamkeit beschäftigt. Er kömmt bey den Abderiten in den Verdacht, daß er Zauberkünste treibe. Ein Experiment, das er bey dieser Gelegenheit mit den abderitischen Damen macht, und wie es abgelaufen [ 191.I.3.2.3] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
582
Inhaltsverzeichnis
[300.I.1.13]
Dreyzehntes Kapitel. Demokritus soll die Abderitinnen die Sprache der Vögel lehren. Im Vorbeygehen eine Probe, wie sie ihre Töchter bildeten [ 191.I.3.2.4] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
[300.I.2] [300.I.2.1]
Die Abderiten. Zweytes Buch, oder Hippokrates in Abdera . . . . . . 253 Erstes Kapitel. Eine Abschweifung über den Charakter und die Philosophie des Demokritus, welche wir den Leser nicht zu überschlagen bitten [ 191.I.3.2.5] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
[300.I.2.2]
Zweytes Kapitel. Demokritus wird eines schweren Verbrechens beschuldiget, und von einem seiner Verwandten damit entschuldiget, daß er seines Verstandes nicht recht mächtig sey. Wie er das Ungewitter, welches ihm der Priester Strobylus zubereiten wollte, noch zu rechter Zeit ableitet — ein Arcanum, dessen Wirkung selten ausbleibt, wenn es recht applicirt wird [ 191.I.3.2.5] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
[300.I.2.3]
Drittes Kapitel. Eine kleine Abschweifung in die Regierungszeit Schah Bahams des Weisen. Charakter des Rathsherrn Thrasyllus [ 191.I.3.3.1] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
[300.I.2.4]
Viertes Kapitel. Kurze, doch hinlängliche, Nachrichten von den abderitischen Sykophanten. Ein Fragment aus der Rede, worin Thrasyllus um die Bevogtung seines Vettern ansuchte [ 191.I.3.3.1] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
[300.I.2.5]
Fünftes Kapitel. Die Sache wird auf ein medicinisches Gutachten ausgestellt. Der Senat läßt ein Schreiben an den Hippokrates abgehen. Der Arzt kommt in Abdera an, erscheint vor Rath, wird vom Rathsherrn Thrasyllus zu einem Gastgebot gebeten, und hat — Langeweile. Ein Beyspiel, daß ein Beutel voll Dariken nicht bey allen Leuten anschlägt [ 191.I.3.3.1] . . . . . . . 274
[300.I.2.6]
Sechstes Kapitel. Hippokrates legt einen Besuch beym Demokritus ab. Geheimnachrichten von dem uralten Orden der Kosmopoliten [ 191.I.3.3.1] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
[300.I.2.7]
Siebentes Kapitel. Hippokrates ertheilt den Abderiten seinen gutächtlichen Rath. Große und gefährliche Bewegungen, die darüber im Senat entstehen, und wie, zum Glück für das abderitische Gemeinwesen, der Stundenweiser alles auf einmal wieder in Ordnung bringt [ 191.I.3.3.1] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
Inhaltsverzeichnis
583
[300.I.3] [300.I.3.1]
Die Abderiten. Drittes Buch, oder Euripides unter den Abderiten 289 Erstes Kapitel. Die Abderiten machen sich fertig, in die Komödie zu gehen [ 191.I.3.5.1] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
[300.I.3.2]
Zweytes Kapitel. Nähere Nachrichten von dem abderitischen Nationaltheater. Geschmack der Abderiten. Charakter des Nomophylax Gryllus [ 191.I.3.5.2] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292
[300.I.3.3]
Drittes Kapitel. Beyträge zur abderitischen Litterargeschichte. Nachrichten von ihren ersten theatralischen Dichtern, Hyperbolus, Paraspasmus, Antiphilus und Thlaps [ 191.I.3.5.2] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
[300.I.3.4]
Viertes Kapitel. Merkwürdiges Beyspiel von der guten Staatswirthschaft der Abderiten. Beschluß der Digression über ihr Theaterwesen [ 191.I.3.5.2] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
[300.I.3.5]
Fünftes Kapitel. Die Andromede des Euripides wird aufgeführt. Großer Succeß des Nomophylax, und was die Sängerinn Eukolpis dazu beygetragen. Ein paar Anmerkungen über die übrigen Schauspieler, die Chöre und die Decoration [ 191.I.3.6.1] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
[300.I.3.6]
Sechstes Kapitel. Sonderbares Nachspiel, das die Abderiten mit einem unbekannten Fremden spielten, und dessen höchst unvermuthete Entwicklung [ 191.I.3.6.1] [ 191.I.3.7.1] . . . . . . . 312
[300.I.3.7]
Siebentes Kapitel. Wie Euripides nach Abdera gekommen, nebst einigen Geheimnachrichten von dem Hofe zu Pella [ 191.I.3.7.2] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
[300.I.3.8]
Achtes Kapitel. Wie sich Euripides mit den Abderiten benimmt. Sie machen einen Anschlag auf ihn, wobey sich ihre politische Betriebsamkeit in einem starken Lichte zeigt, und der ihnen um so gewisser gelingen muß, weil alle Schwierigkeiten, so sie dabey sehen, blos eingebildet sind [ 191.I.3.7.3] . . . . . . . . . . . . . . 324
[300.I.3.9]
Neuntes Kapitel. Euripides besieht die Stadt, wird mit dem Priester Strobylus bekannt, und vernimmt von ihm die Geschichte der Latonenfrösche. Merkwürdiges Gespräch, welches bey dieser Gelegenheit zwischen Demokritus, dem Priester und dem Dichter vorfällt [ 191.I.3.8.1] . . . . . . . . . 330
584
Inhaltsverzeichnis
[300.I.3.10]
Zehntes Kapitel. Der Senat zu Abdera giebt dem Euripides, ohne daß er darum angesucht hätte, Erlaubniß, eines seiner Stücke auf dem abderitischen Theater aufzuführen. Kunstgriff, wodurch sich die abderitische Kanzley in solchen Fällen zu helfen pflegte. Schlaues Betragen des Nomophylax. Merkwürdige Art der Abderiten, einem, der ihnen im Wege stund, allen Vorschub zu thun [ 191.I.3.9.1] . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
[300.I.3.11]
Eilftes Kapitel. Die Andromeda des Euripides wird endlich, trotz aller Hindernisse, von seiner eignen Truppe aufgeführt. Außerordentliche Empfindsamkeit der Abderiten, mit einer Digression, welche unter die lehrreichsten in diesem ganzen Werke gehört, und daher auch von gar keinem Nutzen seyn wird [ 191.I.3.9.2] [ 191.I.3.9.3] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339
[300.I.3.12]
Zwölftes Kapitel. Wie ganz Abdera vor Bewunderung und Entzücken über die Andromeda des Euripides zu Narren wurden. Philosophischkritischer Versuch über diese seltsame Art von Phrenesie, welche bey den Alten insgemein die abderitische Krankheit genannt wird — den Geschichtschreibern ergebenst zugeeignet [ 191.I.3.9.4] [ 191.I.3.9.5] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
[300.II]
Zweyter Theil, der das vierte und fünfte Buch und den Schlüssel enthält . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349
[300.II.1]
Die Abderiten. Viertes Buch, oder der Proceß um des Esels Schatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
[300.II.1.1]
Erstes Kapitel. Veranlassung des Processes, und Facti Species [ 191.I.3.10.1] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
[300.II.1.2]
Zweytes Kapitel. Verhandlung vor dem Stadtrichter Philippides [ 191.I.3.10.2] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353
[300.II.1.3]
Drittes Kapitel. Wie die Partheyen sich höhern Orts um Unterstützung bewerben [ 191.I.3.11.1] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356
[300.II.1.4]
Viertes Kapitel. Gerichtliche Verhandlung. Relation des Assessor Miltias. Urthel, und was daraus erfolgt [ 191.I.3.11.2] 361
[300.II.1.5]
Fünftes Kapitel. Gesinnungen des Senats. Tugend der schönen Gorgo, und ihre Wirkungen. Der Priester Strobylus tritt auf, und die Sache wird ernsthafter [ 191.I.3.12.1] . . . . . . . . . . . . . . . . 366
Inhaltsverzeichnis
585
[300.II.1.6]
Sechstes Kapitel. Verhältniß des Latonentempels zum Tempel des Jasons. Contrast in den Charakteren des Oberpriesters Strobylus und des Erzpriesters Agathyrsus. Strobylus erklärt sich für die Gegenparthey des letztern, und wird von Salabanda unterstützt, welche eine wichtige Rolle in der Sache zu spielen anfängt [ 191.I.3.12.1] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
[300.II.1.7]
Siebentes Kapitel. Das ganze Abdera theilt sich in zwo
[300.II.1.8]
Achtes Kapitel. Gute Ordnung in der Kanzley von Abdera.
Partheyen. Die Sache kommt vor Rath [ 191.I.3.12.2] . . . . . . . . 373
Präjudicialfälle, die nichts ausmachen. Das Volk will das Rathhaus stürmen, und wird von Agathyrsus besänftigt. Der Senat beschließt, die Sache dem großen Rath zu überlassen [ 191.I.3.13.1] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 [300.II.1.9]
Neuntes Kapitel. Politik beyder Partheyen. Der Erzpriester verfolgt seinen erhaltenen Vortheil. Die Schatten ziehen sich zurück. Der entscheidende Tag wird fest gesetzt [ 191.I.3.13.2] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384
[300.II.1.10]
Zehntes Kapitel. Was für eine Miene der Priester Strobylus gegen seinen Collegen springen läßt. Zusammenberufung der Zehnmänner. Der Erzpriester wird vorgeladen, findet aber Mittel, sich sehr zu seinem Vortheil aus der Sache zu ziehen [ 191.I.3.14.1] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390
[300.II.1.11]
Eilftes Kapitel. Agathyrsus beruft seine Anhänger zusammen. Substanz seiner Rede an sie. Er ladet sie zu einem großen Opferfeste ein. Der Archon Onolaus will sein Amt niederlegen. Unruhe der Parthey des Erzpriesters über dieses Vorhaben. Durch was für eine List sie solches vereiteln [ 191.I.3.14.2] . . . 397
[300.II.1.12]
Zwölftes Kapitel. Der Entscheidungstag. Maasregeln beyder Partheyen. Die Vierhundert versammeln sich, und das Gericht nimmt seinen Anfang. Philanthropischpatriotische Träume des Herausgebers dieser merkwürdigen Geschichte [ 191.I.3.15.1] 403
[300.II.1.13]
Dreyzehntes Kapitel. Rede des Sykophanten Physignathus [ 191.I.3.15.2] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408
[300.II.1.14]
Vierzehntes Kapitel. Antwort des Sykophanten Polyphonus [ 191.I.3.15.3] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415
586
Inhaltsverzeichnis
[300.II.1.15]
Funfzehntes Kapitel. Bewegungen, welche die Rede des Polyphonus verursachte. Nachtrag des Sykophanten Physignathus. Verlegenheit der Richter [ 191.I.3.15.4] . . . . . . . 419
[300.II.1.16]
Sechzehntes Kapitel. Unvermuthete Entwicklung der ganzen Komödie und Wiederherstellung der Ruhe in Abdera [ 191.I.3.15.5] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422
[300.II.2] [300.II.2.1]
Die Abderiten. Fünftes Buch, oder die Frösche der Latona . . . . . . . 427 Erstes Kapitel. Erste Quelle des Übels, welches endlich den Untergang der abderitischen Republik nach sich zog. Politik des Erzpriesters Agathyrsus. Er läßt einen eignen öffentlichen Froschgraben anlegen. Nähere und entferntere Folgen dieses neuen Instituts [ 191.I.3.16] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427
[300.II.2.2]
Zweytes Kapitel. Charakter des Philosophen Korax. Nachrichten von der Akademie der Wissenschaften zu Abdera. Korax wirft in derselben eine verfängliche Frage, in Betreff der Latonenfrösche, und sich selbst zum Haupt der Gegenfröschler auf. Betragen der Latonenpriester gegen diese Secte, und wie sie bewogen wurden, selbige für unschädlich anzusehen [ 191.I.3.16] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432
[300.II.2.3]
Drittes Kapitel. Ein unglücklicher Zufall nöthigt den Senat, von der unmäßigen Froschmenge in Abdera Notiz zu nehmen. Unvorsichtigkeit des Rathsherrn Meidias. Die Majora beschließen, ein Gutachten der Akademie einzuholen. Der Nomophylax Hypsiboas protestirt gegen diesen Schluß, und eilt, den Oberpriester Stilbon dagegen in Bewegung zu setzen [ 191.I.3.16] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437
[300.II.2.4]
Viertes Kapitel. Charakter und Lebensart des Oberpriesters S t i l b o n . Verhandlung zwischen den Latonenpriestern und den Rathsherren von der Minorität. Stilbon sieht die Sache aus einem eignen Gesichtspunct an, und geht, dem Archon selbst Vorstellungen zu machen. Merkwürdige Unterredung zwischen den Zurückgebliebnen [ 191.I.3.16] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441
[300.II.2.5]
Fünftes Kapitel. Was zwischen dem Oberpriester und dem Archon vorgefallen — eines der lehrreichsten Kapitel in dieser ganzen Geschichte [ 191.I.3.16] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448
Inhaltsverzeichnis
587
Sechstes Kapitel. Was der Oberpriester Stilbon that, als er
[300.II.2.6]
wieder nach Hause gekommen war [ 191.I.3.17] . . . . . . . . . . . . . . 453 Siebentes Kapitel. Auszüge aus dem Gutachten der Akademie.
[300.II.2.7]
Ein Wort über die Absichten, welche Korax dabey gehabt, mit einer Apologie, woran Stilbon und Korax gleichviel Antheil nehmen können [ 191.I.3.17] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 Achtes Kapitel. Das Gutachten wird bey Rath verlesen, und
[300.II.2.8]
nach verschiednen heftigen Debatten, einhellig beschlossen, daß es den Latonenpriestern communicirt werden sollte [ 191.I.3.17] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 Neuntes Kapitel. Der Oberpriester Stilbon schreibt ein sehr
[300.II.2.9]
dickes Buch gegen die Akademie. Es wird von Niemand gelesen; im übrigen aber bleibt vor der Hand alles beym Alten [ 191.I.3.17] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 [300.II.2.10]
Zehntes Kapitel. Seltsame Entwicklung des ganzen abderitischen tragikomischen Possenspiels [ 191.I.3.17] . . . . . . 475
[300.II.3]
[301]
Der Schlüssel zur Abderitengeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480
Der Teutsche Merkur. Herbstmond 1781
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489
[301.1]
¼Debitanzeige½ [ 279.1]
[301.2]
¼Anmerkung zu½ Soll man ihnen Weiber geben? Antwort aus der Erfahrung auf dieß Problem der Chronologen B. 7. No. III. S. 242 ¼von Ludwig Wilhelm Wekhrlin½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490
[301.3]
¼Notiz zu½ Ein Ungenannter an Hrn. Chodowiecki . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491
[301.4]
¼Zusatz zu½ Johann Andreas Cramers sämtliche Gedichte [ Incerta]
[301.5]
¼Anzeigen½ Den Hirschfeldischen Gartenkalender und die Zweybrückische Ausgabe der Rousseauischen Werke betreffend . . . . 492
[302] [302.1] [302.2]
¼An Olympia½
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493
¼Widmungsanschreiben½ „Gnädigste Herzogin!“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 An Olympia. Am Vier und Zwanzigsten des Weinmonds 1781 ¼„Zwo Musen, deren Zwist zu steuern …“½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494
588
Inhaltsverzeichnis
Der Teutsche Merkur vom Jahr 1781. Viertes Vierteljahr [303]
Der Teutsche Merkur. Weinmond 1781
. . . . 499
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501
[303.1]
Debitanzeige [ 279.1]
[303.2]
Horazens siebenter Brief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502
[303.3]
Friedel, Maydieu, und Baron von St** * *, Gentilhomme Allemand. Eine Litterarische Neuigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509
[303.4]
¼Anzeige½ Zweybrückische Ausgabe der sämtlichen Werke des Plato [ Incerta]
[303.5]
¼José Clavijo y Fajardo½ Der Denker, eine Wochenschrift ¼übersetzt von Johann Joachim Christoph Bode½ [ Incerta]
[304]
Der Teutsche Merkur. Windmond 1781
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523
[304.1]
¼Debitanzeige½ [ 279.1]
[304.2]
¼Anzeige½ Eine Metrische Übersetzung der sämtlichen Briefe des Horaz, von dem Hofrath Wieland in Weimar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524
[305]
¼Agnolo Firenzuola:½ Amor und Psyche ¼übersetzt von Anna Amalia½ [ ¤ 305]16.2
[305.1]
Amor und Psyche ¼„In einer gewißen Stadt, lebte vormals …“½
[305.2]
¼1. Fortsetzung: „Als Psyche auf dem weichen Rasen ausruhte …“½
[305.3]
¼2. Fortsetzung: „Der Geliebte der Psyche unterließ indeßen nicht …“½
[305.4]
¼3. Fortsetzung: „Hier wurden sie wie sonst in das Haus der Psyche gebracht …“½
[305.5]
¼4. Fortsetzung: „Amor setzte sich auf einen Cipressen Baum …“½
[305.6]
¼5. Fortsetzung: „Inzwischen, und während daß die unglükliche Psyche …“½
[305.7]
¼6. Fortsetzung: „Psyche durchirete die ganze Welt …“½
[305.8]
¼7. Fortsetzung: „Inzwischen sah Jener keine Möglichkeit die Psyche auf Erden zu finden. …“½
[305.9]
¼8. Fortsetzung: „Mit diesen Worten nahm er dem Krug u füllte ihn, …“½
Inhaltsverzeichnis
589
[306]
Der Teutsche Merkur. Wintermond 1781
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527
[306.1]
¼Debitanzeige½ [ 279.1]
[306.2]
¼Anmerkung zu: Friedrich v. Schaden½ Über einige Mahlereyen des Hrn. Fratrel, Churfürstl. Hofmahlers zu Manheim . . . . . . . . . . . . . . . . . 528
[306.3]
Berichtigung eines Gedächtnißfehlers, im T. Merkur vom Weinmond 1781 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529
[306.4]
¼Nachricht zu: August Friedrich Wilhelm Crome½ Eine Neue
[306.5]
¼Rezension½ Über die bürgerliche Verbesserung der Juden, von
Producten-Karte von Europa, angekündigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531
Christian Wilhelm Dohm. Berlin und Stettin bey Friedrich Nicolai [ Incerta] [306.6]
¼Rezension: Christian Joseph Jagemann½ Magazin der Italienischen
[306.7]
¼Nachricht½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532
Litteratur und Künste [ Incerta]
[306.8]
¼Nachricht zu: Anonymus½ The Inconstant ¼und die Übersetzung von Tr.½ Die Unbeständige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533
[307]
„Im schönsten Hayne …“
[308]
An Die Herzogin Amalia. 1782 ¼„Wenn es wahr ist was die frommen Alten …“½
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537
Incerta [290.5]
Sonderbares Project eines Menschenfreunds zum Besten der armen Officiersfrauen und Wittwen in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541
[290.7] [291.3.1]
Eine problematische Rechtsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 ¼Auszug aus einem Brief über Friedrichs II.½ De la Litterature Allemande &c. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547
[291.3.2]
¼Auszug aus einem Brief über den Grafen Calliostro in Straßburg½ Ein neuer Thaumaturg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549
[291.4] [295.2.2]
¼Zusatz zu½ Avertissement ¼ Incerta½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 Auszug aus einem Schreiben des Herrn Johann Baptista Manso, Marchese di Villa, an den Prinzen von Conca, Großadmiral von
590
Inhaltsverzeichnis
Neapoli — einen Geist betreffend, mit welchem der berühmte Dichter Torquato Tasso Umgang zu haben glaubte . . . . . . . . . . . . . . . 553 [295.5]
¼Anzeige½ Eine neue Ausgabe aller Werke des Hrn. von Voltaire . . . . . 559
[295.6]
¼Ankündigung von: Christian Friedrich Schwan½ Ein neues teutsches Wörterbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561
[298.4]
¼Anzeige½ Eine neue hexametrische Übersetzung der Iliade ¼von Ernst Wetislaus Wilhelm von Wobeser½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563
[301.4]
¼Zusatz zu½ Johann Andreas Cramers sämtliche Gedichte . . . . . . . . . . . 567
[303.4]
¼Anzeige½ Zweybrückische Ausgabe der sämtlichen Werke des Plato
[303.5]
¼José Clavijo y Fajardo½ Der Denker, eine Wochenschrift ¼übersetzt
[306.5]
¼Rezension ½ Über die bürgerliche Verbesserung der Juden, von
[306.6]
¼Rezension: Christian Joseph Jagemann½ Magazin der Italienischen
569
von Johann Joachim Christoph Bode½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571
Christian Wilhelm Dohm. Berlin und Stettin bey Friedrich Nicolai
573
Litteratur und Künste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575
Inhaltsverzeichnis
591