Wer pflegt Deutschland?: Transnationale Pflegekräfte - Analysen, Erfahrungen, Konzepte 9783748601029

Heimträger suchen händeringend auch nach internationalen Pflegefachkräften. In deutschen Privathaushalten arbeiten - häu

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German Pages 160 [162] Year 2017

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort der Herausgeber
Sorge(n)volle Zustände
Osteuropäische Pflegekräfte in Privathaushalten
Die Engel aus dem Osten
Vermittlung von Haushaltshilfen aus Mittel- und Osteuropa
CariFair: Qualitätsgesicherter Einsatz mittel- und osteuropäischer Haushaltsund Betreuungskräfte in deutschen Familien mit pflegebedürftigen Personen
Die „24-Stunden-Betreuung“ in Österreich
Transnationale Pflegekräfte
Ohne Fachkräfte aus Fernost geht es nicht?
Fachkräftesicherung im deutschen Pflegesektor aus international vergleichender Perspektive
Erfahrungen mit der Rekrutierung von Pflegekräften in Spanien
Migrationsgeschichten von Pflegekräften
Transnationale Pflege – eine Art Gebrauchsanweisung als Resümee
Autoren
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Wer pflegt Deutschland?: Transnationale Pflegekräfte - Analysen, Erfahrungen, Konzepte
 9783748601029

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Stefan Arend und Thomas Klie

Wer pflegt Deutschland Transnationale Pflegekräfte – Analysen, Erfahrungen, Konzepte

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Sämtliche Angaben und Darstellungen in diesem Buch entsprechen dem aktuellen Stand des Wissens und sind bestmöglich aufbereitet. Der Verlag und der Autor können jedoch trotzdem keine Haftung für Schäden übernehmen, die im Zusammenhang mit Inhalten dieses Buches entstehen.

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Inhalt Vorwort der Herausgeber

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Sorge(n)volle Zustände | Stefan Arend

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Osteuropäische Pflegekräfte in Privathaushalten Die Engel aus dem Osten | Thomas Klie

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Vermittlung von Haushaltshilfen aus Mittel- und Osteuropa | Alexander Kostrzewski

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CariFair: Qualitätsgesicherter Einsatz mittel- und osteuropäischer Haushalts- und Betreuungskräfte in deutschen Familien mit pflegebedürftigen Personen | Claudia Menebröcker

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Die „24-Stunden-Betreuung“ in Österreich | Walter Marschitz65 Transnationale Pflegekräfte Ohne Fachkräfte aus Fernost geht es nicht? | Thomas Klie

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Fachkräftesicherung im deutschen Pflegesektor aus international vergleichender Perspektive | Grit Braeseke

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Erfahrungen mit der Rekrutierung von Pflegekräften in Spanien | Axel Klopprogge, Eva Ariño Mateo, Christiane Heimann

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Migrationsgeschichten von Pflegekräften | Sieglinde Hankele147 Transnationale Pflege – eine Art Gebrauchsanweisung als Resümee | Stefan Arend

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Inhaltsverzeichnis

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Das vorliegende Buch behandelt ein Thema, das in ein Dunkelfeld führt, das ungern politisch thematisiert wird, das auch viele private Haushalte in Deutschland als delikat empfinden. In einer alternden Gesellschaft benötigen wir immer mehr sorgende Menschen, die pflegen, betreuen und begleiten. Doch das Humankapital für Sorgeaufgaben ist ein knappes Gut. Ohne die professionellen, aber auch die nichtausgebildeten helfenden Hände aus dem Ausland würde Pflege hierzulande (schon lange) nicht mehr funktionieren. Kliniken und Pflegeheime werben weltweit um gut qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Bundesregierung setzt spezielle Arbeitsmarktprogramme zur Rekrutierung von Pflegemitarbeitern aus dem Ausland in Gang, und in deutschen Privathaushalten sorgen – neben den Zugehfrauen und Putzkräften – Hunderttausende von Pflegekräften (vornehmlich aus Mittel- und Osteuropa) dafür, dass ambulant vor stationär funktioniert. So unterschiedlich sich die Themenkreise der pflegerischen Haushaltshilfen und die Rekrutierung von Pflegefachkräften aus dem Ausland auch darstellen, es sind doch zwei Seiten derselben Medaille: Mit den derzeitigen Strukturen gelingt es uns nicht, die anstehenden gesellschaftlichen Aufgaben in Sachen Pflege und Sorge befriedigend und dauerhaft zu lösen. Das weiß auch die Politik, doch die Herausforderungen beim Namen zu nennen und Probleme anzugehen, dazu fehlt bisher der Mut oder die Kraft oder beides zusammen. Auch die Politik nimmt die Vorteile grauer Arbeitsmärkte in der Pflege stillschweigend an. Dies gilt insbesondere für die Pflegemitarbeiter in den deutschen Privathaushaltungen. Weitestgehend ohne rechtliche Absicherung hat sich ein eher prekärer, milliardenschwerer Pflegemarkt entwickelt. Schwarzarbeit gilt als Kavaliersdelikt – oftmals zu Lasten der in den Privathaushalten Arbeitenden, die allein auf das Wohlwollen ihrer Arbeitgeber angewiesen sind und auf die Zuverlässigkeit und Seriosität der sie vermittelnden Agenturen und Entsendeunternehmen vertrauen müssen. Eine an sich untragbare Situation, doch scheint dies der Politik und weiten Teilen der Bevölkerung „egal“ zu sein, so lange das System funktioniert. „Egal und illegal“ titelte daher unlängst Thomas Öchsner recht treffend seinen Kommentar in der Süddeutschen Zeitung, in dem er über die Situationen der Haushaltshilfen in Deutschland raisonnierte.1

Vorwort der Herausgeber

Vorwort der Herausgeber

1  Öchsner, Thomas: Haushaltshilfen. Egal und illegal. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 177 vom 2.8.2016, S. 4. Vgl. auch von Bullion, Constanze: Drei Millionen Illegale. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 177 vom 2.8.2016, S. 6.

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Natürlich sind auch schon jetzt in Deutschland legale Gestaltungsmöglichkeiten für die Sorgearbeiten in Privathaushaltungen gegeben, und einige Träger und Organisationen bieten diese Dienstleistungen auch an. Aber im Vergleich zum Grau- und Schwarzmarkt sind diese Initiativen fast nicht wahrnehmbar. Man scheut die mit der legalen Gestaltung verbundenen höheren Kosten oder den Verwaltungsaufwand, wenn man als offizieller Arbeitgeber im eigenen Privathaushalt auftritt. Vielleicht erscheint es dringend angebracht, über andere, neue Gestaltungsmöglichkeiten nachzudenken. In Frankreich hat sich ein unkompliziertes Arbeitsmodell per Haushaltscheck2 für Haushaltshilfen (so genannter Borloo-Plan3) bewährt, und in Österreich ist seit 2007 die 24-StundenBetreuung zu Hause durch das Hausbetreuungsgesetz umfassend geregelt – allerdings erst, als hohe Staatsrepräsentanten mit illegal beschäftigten Haushaltshilfen aufgeflogen waren. Hoffen wir, dass nicht erst ein solcher „Skandal“ in Deutschland zum Aufwachen und Handeln der Politik führt. „Aufwachen“ werden auch die Träger von Kliniken und Pflegeeinrichtungen, wenn sie auf die Suche nach Fachkräften im Ausland gehen. Denn die immer noch weit verbreiteten Vorstellungen, im Ausland warten gut ausgebildete Fachkräfte allein oder vor allem auf Offerten aus Deutschland, erweisen sich schnell als Mythos. Deutsche Arbeitgeber müssen sich, insbesondere wenn es um Gesundheitsberufe geht, einem internationalen Wettbewerb um diese guten Köpfe stellen. Denn nicht nur deutsche Träger sind auf der Suche nach Pflegekräften, dieser Markt ist ein weltweiter. Fachkräfte können zwischen vielen Angeboten ihre Wahl treffen. Deutsche Arbeitgeber müssen nicht nur mit einem guten Gehalt locken, es geht vielmehr auch darum, den Bewerbern ein interessantes Beschäftigungsprofil zu bieten. Unterstützung bei der Wohnungssuche, Begleitung vor und nach der Ankunft in Deutschland sowie eine gute Einarbeitung gehören zu den Pflichtaufgaben. Mit allen diesen Themen beschäftigen sich die Aufsätze in diesem Buch, das die Beiträge des KWA Symposiums Transnationale Pflegekräfte, das im Frühjahr 2016 im KWA Georg-Brauchle-Haus in München stattfand, vereinigt. Das Symposium wurde durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege unterstützt, die Bank für Sozialwirtschaft (BfS) ermöglichte es, dass auf Teilnahmegebühren verzichtet werden konnte. Die Referenten und Diskutanten haben ihre Ausführungen für die Buchveröffentlichung noch ein2  CESU: Chèque emploi service universel. 3  Benannt nach dem französischen Politiker Jean-Louis Borloo: Verbesserung der Vergütungsbedingungen, der sozialen Rechte und der Qualifizierung von Haushaltshilfen. Pole d´Excellence Nationale dans le Secteur des Serveces à la Personne.

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mal überarbeitet, aktualisiert und ergänzt. Es finden sich aber auch Originalarbeiten, die hier erstmals veröffentlicht werden. Der Dank gilt den Autoren und den Förderern des Symposiums. Frau Monika Döbl erledigte dankenswerter Weise alle Koordinationsaufgaben zur Realisierung des Bandes und sorgte für die professionelle Endredaktion der Beiträge. Danken möchten wir aber auch dem Verlag Vincentz-Network Hannover, der den Band in sein Verlagsprogramm aufgenommen hat und so die wichtige Thematik einer weiteren Verbreitung zuführt und auf diese Weise ebenso hoffentlich für weitergehende Diskussionen sorgt. Es ist dringend geboten, dass sich Verbände und Politik mit dem Thema weiter und folgenreich befassen – das ist auch eine der Schlussfolgerungen des 7. Altenberichts der Bundesregierung, der dankenswerterweise an dem Thema nicht vorbeigegangen ist. Diese Veröffentlichung versteht sich auch als (weiterer) Beitrag, das Thema aus dem Schatten öffentlicher Wahrnehmung und politischer Befassung zu holen. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im gesamten Text auf die Nennung von weiblichen und männlichen Schreibform verzichtet! Freiburg i.Br. und München im Herbst 2016 Prof. Dr. Thomas Klie und Dr. Stefan Arend

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Sorge(n)volle Zustände

Status quo und Herausforderungen Keine Frage: Pflege in Deutschland, ob zu Hause in den eigenen vier Wänden, in stationären Einrichtungen oder in Kliniken und Krankenhäusern, ist bunt, global und schon lange multi- beziehungsweise transnational. Hunderttausende Menschen sind es, die aus aller Herren Länder in Deutschland Kranke, Ältere und Pflegebedürftige versorgen und begleiten. Ohne sie würde Pflege in Deutschland nicht funktionieren, wäre die Versorgung schon längst kollabiert. Pflegemitarbeiter sind bereits heute überall knapp und daher heiß begehrt, um sie herrscht in einigen Regionen ein heftiger Wettbewerb. Angesichts einer weiteren Zunahme von Pflegebedürftigkeit in einer Gesellschaft des langen Lebens, bei schwindenden familiären Sorgestrukturen, deutlich weniger Schulabgängern und einer in den nächsten Jahren einsetzenden Abnahme der Beschäftigtenzahlen durch Renteneintritt der Babyboomer wird sich die Situation auf dem Pflegearbeitsmarkt noch einmal deutlich verschärfen – in den Einrichtungen, aber auch im privaten Bereich, in der häuslichen Pflege. Die Zahlen sprechen für sich: Der Studienleiter des Barmer GEK Pflegereports, Professor Heinz Rothgang von der Universität Bremen, hat in seiner aktuellen Analyse festgestellt, dass die Zahl der Vollzeitstellen in der Pflege in Deutschland von 1999 bis 2013 um 70 Prozent gewachsen ist. Mit Blick auf die prognostizierte Zahl der künftigen Pflegebedürftigen ist mit einem weiteren Anstieg beim Personalbedarf zu rechnen. „Angesichts der hohen Zahl an Pflegebedürftigen ist es nötig, die Zahl der Pflegefachkräfte bis 2050 zu verdoppeln“, wird Rothgang zitiert (Ärzte Zeitung online, 17.11.2015). Denn nach den neuesten Zahlen des Barmer GEK Pflegereports 2015 (Barmer GEK Pflegereport 2015) muss man für das Jahr 2060 mit deutlich mehr Pflegebedürftigen rechnen als bislang angenommen. Demnach ist 2060 von insgesamt 4,52 Millionen pflegebedürftigen Menschen auszugehen. Die Zahl liegt, so der Pflegereport, um 221.000 über den bisherigen Schätzungen. Zuvor hatte bereits eine Untersuchung der Bertelsmann Stiftung dargestellt, wie sich die Nachfrage nach Gesundheits- und Pflegeleistungen bei uns Wer pflegt Deutschland

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Der multinationale deutsche Pflegearbeitsmarkt – Herausforderungen, Mythen, und Optionen Stefan Arend

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entwickelt hat. Demnach konnte im Zeitraum der Jahre 2000 bis 2011 die Gesundheitswirtschaft einen Beschäftigungsanstieg von 419.000 Vollzeitkräften verzeichnen. Nach der sogenannten Gesundheitspersonalrechnung des Statistischen Bundesamtes entfiel die Hälfte des Personalzuwachses (192.000) auf ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen (Bonin/Braeseke/Ganserer 2015, 20). Die Prognosen zu künftigen Entwicklungen variieren je nach Berechnungsgrundlage und Methode der Untersuchungen: „Sie reichen von 152.000 fehlenden Beschäftigten in Pflegeberufen im Jahr 2025 bis zu einer Lücke von 490.000 Vollzeitäquivalenten im Jahr 2030.“ (Bonin/Braeseke/ Ganserer 2015, 25) Wie dem auch sei, fest steht damit: Unser nationales Angebot an gut ausgebildeten Pflegeprofis, aber auch an versierten Mitarbeitern für die Privathaushalte, in denen Menschen mit einem Unterstützungsbedarf leben und versorgt werden müssen, reicht in Deutschland bei Weitem nicht aus, um den Bedarf zu befriedigen.

Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland Ein strategisches Element aus dem notwendigen Bündel von Maßnahmen gegen den sich weiter zuspitzenden Mangel an Mitarbeitern ist auch die Gewinnung von Mitarbeitern aus dem Ausland. Trotz einiger Vorbehalte angesichts bürokratischer Hürden und kultureller Herausforderungen suchen Träger von sozialen Einrichtungen händeringend auch nach internationalen Pflegefachkräften. Zudem arbeiten in deutschen Privathaushalten sogenannte Haushaltshilfen und betreuen vornehmlich ältere, auf Pflege angewiesene Menschen. Ohne sie wäre schon heute die politische und leistungsrechtliche Maxime „ambulant vor stationär“ kaum denkbar. Nicht nur aus den „Klassikern“, den Ländern in Mittel- und Osteuropa wie Polen, Slowakei, Ungarn, Kroatien, Rumänien, kommen sorgende Mitarbeiter(innen) zu uns; heutzutage arbeiten auch vermehrt Pflegekräfte aus Russland, den ehemaligen Sowjetrepubliken, dem Baltikum in Deutschland, aber auch aus Indien, Vietnam und China sowie von den Philippinen. Hinzu treten Mitarbeiter aus südeuropäischen EU-Ländern, die besonders von einer hohen Jugendarbeitslosigkeit betroffen sind. Offizielle Anwerbevereinbarungen existieren derzeit mit den Philippinen, China, Vietnam, Tunesien, Serbien und Bosnien-Herzegowina. Dabei lassen sich drei Strategien unterscheiden: zum einen (a) die unmittelbare Anwerbung von bereits fertig ausgebildeten Pflegefachkräften, zum anderen Programme, die (b) eine Pflegeausbildung in Deutschland vorsehen. Beides wird mit Un12

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terstützung der Agentur für Arbeit (Zentrale Auslands- und Fachvermittlung – ZAV) ausprobiert, beispielsweise durch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Pilotprojekt Triple Win und in Zusammenarbeit verschiedener Träger. Zudem gibt es als dritten Weg (c) die Konzeption der Ausbildung von Schülern zu Pflegefachkräften im Ausland. Nach erfolgreicher Prüfung und deutscher Anerkennung erfolgt dann der Einsatz in deutschen Einrichtungen. Darüber hinaus ist immer wieder auch von Einzelaktivitäten einzelner Einrichtungen und Privatpersonen zu lesen, die Mitarbeiter in Südamerika oder in Schwarzafrika anwerben. Diese Aktivitäten basieren in der Regel auf individuellen, persönlich motivierten Interessen. Aus der Vielzahl derzeitiger Aktivitäten seien hier beispielgebend Projekte vorgestellt: –– Die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit und die GIZ vermitteln im gemeinsamen Projekt „Triple Win“ qualifizierte Pflegefachkräfte an Unternehmen in Deutschland. Grundlage des Projekts sind Vermittlungsabsprachen der ZAV mit den Arbeitsverwaltungen der Partnerländer. Es bestehen derzeit Kooperationen mit den Partnerländern Serbien, Bosnien-Herzegowina und den Philippinen, geplant ist auch eine Zusammenarbeit mit Tunesien. Die GIZ unterstützt den Prozess mit ihren internationalen Kontakten und Verbindungen im Ausland. Sie fördert vor allem die sprachliche Qualifikation der Pflegekräfte, die fachliche Vorbereitung auf den Arbeitseinsatz, die Integrationsbegleitung nach der Ankunft in Deutschland und koordiniert den Anerkennungsprozess der im Ausland erworbenen Qualifikation. –– Die Teilnahme für Arbeitgeber kostet insgesamt 3.700 Euro pro Fachkraft (Bundesagentur für Arbeit 2012). In den ersten zwei Jahren (2012 – 2014) des Projektes konnten nach Auskunft der GIZ insgesamt 310 Pflegekräfte an deutsche Arbeitgeber in Kliniken, Altenpflegeeinrichtungen und ambulanten Pflegediensten vermittelt werden. Davon haben 250 eine Tätigkeit in Deutschland aufgenommen. Weitere 260 Pflegekräfte befinden sich in der Vorbereitungsphase. 170 weitere Triple-Win-Stellen liegen zur Besetzung vor (GIZ 2015). –– Die Innere Mission in München beteiligt sich im Rahmen des Projektes Triple Win an der Ausbildung von vietnamesischen Absolventen pflegerischer Hochschulen zu Altenpflegekräften. 100 Teilnehmer aus VietWer pflegt Deutschland

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nam wurden für das Programm ausgewählt. Neben Trägern aus Bayern beteiligen sich auch Einrichtungen in Baden-Württemberg, Berlin und Niedersachsen am Projekt. In München erhalten 23 Vietnamesinnen und Vietnamesen an der Evangelischen Pflegeakademie eine auf zwei Jahre verkürzte Ausbildung zur Altenpflegekraft (Diakonie Deutschland 2014). –– An der AWO-Altenpflegeschule der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Nordhessen in Fulda durchlaufen seit 2015 acht junge Menschen aus Bulgarien und Spanien eine Ausbildung in der Altenpflege. Hintergrund ist ein aus Mitteln der Bundesagentur für Arbeit (BA) finanziertes Modellprojekt mit dem Titel „Förderung der beruflichen Mobilität von ausbildungsinteressierten Jugendlichen aus Europa“ – kurz: „MobiPro-EU“. Bevor sie zur Ausbildung in Deutschland zugelassen wurden, mussten die Nachwuchs-Pfleger – allesamt zwischen 18 und 27 Jahren alt – zunächst einen geeigneten Schulabschluss vorweisen. Danach folgten ein siebenmonatiger Sprachkurs mit Abschlussprüfung sowie ein vierwöchiges Orientierungspraktikum in der Altenpflege in Nordhessen (AWO Nordhessen 2015). –– Die Diakonie Württemberg hat seit Herbst 2015 das Modellprojekt Kosovo gestartet. 27 junge Kosovaren absolvieren seitdem eine Ausbildung zur Altenpflegefachkraft bei diakonischen Trägern. 2016 sollen weitere 54 junge Menschen folgen. Die Teilnehmer dieses Programms durchlaufen in ihrer Heimat eine neunmonatige Vorbereitung mit der Sprachprüfung auf B1 – Niveau und beginnen dann ihre Ausbildung in Baden-Württemberg. Dies soll nach eigenem Bekunden der Diakonie ein Beispiel für legale Arbeitsmigration sein, vor allem auch durch die Zusammenarbeit mit der kosovarischen Agentur für Beschäftigungsförderung – APPK (Ärztezeitung 28.1.2016). –– Eine Ausbildung von Pflegefachkräften im Auftrag von deutschen Trägern in den Herkunftsländern, inklusive einer Sprachausbildung (B2-Niveau) und mit speziellen Ausbildungsinhalten, die der Träger bestimmen kann, der die Ausbildung finanziert, bieten die DEKRA Pflegeschulen in Mittel- und Osteuropa an. Derzeit werden nach DEKRA-Angaben 1.000 Pflegeschüler in Ungarn und Serbien ausgebildet. In Albanien sollen nunmehr weitere 150 Schüler ihre Ausbildung für den deutschen Arbeitsmarkt beginnen (Bastian 2015, 29).

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Gewinnung von Pflegekräften seit den 1960-er Jahren

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Die Rekrutierung internationaler Pflegekräfte für Deutschland ist kein wirklich neues Phänomen. Bereits in den 1960-er und 1970-er Jahren wurden in Westdeutschland angesichts über 30.000 offener Stellen (Fischer 2014) in der Krankenpflege mit offiziellen staatlichen Programmen zum Beispiel Pflegekräfte aus Korea und den Philippinen angeworben. Zudem gab es sogenannte bilaterale Anwerbevereinbarungen mit Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei, Portugal, Jugoslawien, Tunesien und Marokko (BT Drucksache 11/7165 vom 17.5.1990). Bis zum Anwerbestopp im Jahre 1973 sind allein 10.000 Krankenschwestern aus Korea nach Westdeutschland gekommen (Fischer 2014). Seit Ende der 1980-er Jahre und in den 1990-er Jahren kamen Pflegemitarbeiter vor allem aus Polen und dem damals vom Bürgerkrieg betroffenen Jugoslawien nach Deutschland (Bonin/Braeseke/ Ganserer 2015, 27). Der aktuellen Bertelsmann Studie zur internationalen Fachkräfterekrutierung ist zu entnehmen, dass im Jahr 2013 insgesamt ca. 73.600 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in den Pflegeberufen (Fach- und Hilfskräfte) eine ausländische Staatsangehörigkeit besaßen. Dies entspricht 5,5 Prozent aller sozialversicherungspflichtig tätigen Pflegekräfte. Damit lagen die Pflegeberufe, so die Aussage der Studie, bei der Beschäftigung von Ausländern im unteren Bereich. Denn im deutschen Gastgewerbe beispielsweise besitzt jeder vierte Beschäftigte eine ausländische Staatsbürgerschaft (Bonin/Braeseke/Ganserer 2015, 28). Die Studie weist aber darauf hin, dass man bei einer Betrachtung mit Blick auf die Migrationserfahrung (z. B. Eingebürgerte oder Spätaussiedler) der Beschäftigten ein anderes Bild erhält: „Im Jahr 2010 hatten gut 15,4 Prozent aller Pflegekräfte eigene Migrationserfahrung. Der Anteil der Beschäftigten mit eigener Migrationserfahrung ist in der Altenpflege markant höher – 19,5 Prozent – als in der Gesundheitsund Krankenpflege – 12,6 Prozent bei den Fachkräften.“ (Bonin/Braeseke/ Ganserer 2015, 29) Nach den Werten des Statistischen Bundesamtes arbeiteten im Jahr 2013 rund 76.000 Personen mit polnischen Wurzeln in Pflegeberufen in Deutschland, davon waren 93 Prozent Frauen. Demnach war Polen mit einem Anteil von 20 Prozent das häufigste Herkunftsland von zugewanderten Pflegekräften in Deutschland. Auf Platz 2 und 3 folgten Bosnien und Herzegowina mit 47.000 und Kasachstan mit 31.000 Pflegekräften (Statistisches Bundesamt 21.07.2015). 15

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Internationaler Wettbewerb um (Pflege)Fachkräfte Deutschland ist aber nicht die einzige wohlhabende Industrienation, die auf den Zuzug von gut qualifizierten Fachkräften und Haushaltshilfen für den Gesundheits- und Pflegemarkt angewiesen ist. So stammten beispielsweise im Jahre 2005 sage und schreibe 84 Prozent der in Irland registrierten hochqualifizierten Pflegekräfte aus dem Ausland (Kingma 2010, 2). Dabei stehen deutsche Pflegeeinrichtungen und Kliniken insbesondere mit der Schweiz, England, Norwegen und Schweden in einem harten Wettbewerb. Allerdings mit einem feinen Unterschied: Nach Deutschland zieht es eher Fachkräfte aus sogenannten Billiglohnländern, die sich mit der Hoffnung „auf ein vielleicht besseres Leben“ auf den Weg machen beziehungsweise gezielt von deutschen Arbeitgebern angeworben werden (können). In die skandinavischen Länder oder in die Schweiz gehen offensichtlich die Spezialisten, die sich fachlich weiterentwickeln wollen und nach besseren Arbeitsbedingungen suchen. So führt eine Untersuchung der University of Hertfordshire aus: “There is evidence that doctors and nurses in higher-income countries also move between countries to take advantage of better labour markets in terms of pay. Also better working conditions and/or work–life balance was cited as important.” (Oppertunities and challenges 2012) So wandern aus Deutschland kontinuierlich deutsche Pflegefachkräfte ins Ausland ab – es sollen rund 1.000 pro Jahr sein (Tießler-Marenda 2011), aber auch in Deutschland ausgebildete Ärzte, obwohl sie hier – wie die zitierten Statistiken zeigen – dringend gebraucht würden (Abwanderung von Ärzten ins Ausland 2013). Insbesondere die Schweiz ist bei deutschen Ärzten bekanntlich sehr beliebt: 2014 stammte nach der Statistik der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH fast ein Drittel der in der Schweiz berufstätigen Ärztinnen und Ärzte – knapp 10.500 Personen – aus dem Ausland. Deutsche Ärzte stellten dabei mit 5.972 Kräften allein die Hälfte des aus dem Ausland stammenden medizinischen Fachpersonals (Spielberg 2015). Und von den in Schweden berufstätigen rund 8.400 ausländischen Ärztinnen und Ärzten kommen gut 1.000 aus Deutschland (Preusker 2013). Die freien Arztstellen in Deutschland, die nicht durch in Deutschland ausgebildete Ärzte besetzt werden können, werden wiederum vor allem durch Mitarbeiter aus Mittel- und Osteuropa ersetzt (Ärztestatistik 2014). So arbeiten – neben den hunderttausenden Pflegekräften aus diesen Regionen – allein 4.000 Ärzte, die aus Rumänien stammen, in Deutschland. Auf diese Weise entste16

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hen skurrile Wanderungsbewegungen von Fachkräften der Gesundheitsbranche – nicht nur in Europa, sondern mittlerweile weltweit. Besonders dramatisch stellt sich die Situation beim Ärztenachwuchs dar. Nach den neuesten Zahlen stammt beispielsweise in der Region WestfalenLippe jeder zweite Assistenzarzt aus dem Ausland (Schlingensiepen 2016). Gerade aus Mittel- und Osteuropa gibt es immer mehr warnende wie verzweifelte Stimmen zum Aderlass von gut ausgebildeten Fachkräften. Man verstehe zwar, so heißt es von offiziellen Stellen, dass gerade junge Pfleger und Ärzte die beruflichen Perspektiven im westlichen Ausland locken, andererseits sorge man sich um die Versorgung der Menschen im eigenen Land. Auch seien die Investitionen in die Ausbildung für die jeweilige Volkswirtschaft verloren. In Bulgarien wird daher zum Beispiel überlegt, pensionierte Pfleger wieder zu reaktivieren und zudem in der Türkei und Indien Mitarbeiter anzuwerben (Veser 2011 und Kingma 2010, 3). Bemerkenswert ist auch, dass sich die Bundesregierung erst jüngst bemüßigt gefühlt hat, ausdrücklich zu unterstreichen, keine Pflegekräfte aus der Republik Moldawien anwerben zu wollen (BT-Drucksache 18/5794 und 18/5699). Marianne Egger de Campo von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin spottete diesbezüglich: „Heute scheint jedes reiche EU-Land seine Kolonien in Osteuropa zu haben, die ihm billige Arbeitskräfte liefern und in denen es Absatzmärkte für seine Produkte findet“ (Egger de Campo 2015, 24). In einer Stellungnahme im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz wird auf die einschneidenden Folgen für die Länder hingewiesen, die besonders unter dem Wegzug oder der Arbeitsmigration ihrer Bevölkerung zu leiden haben: „Wenn ein signifikanter Teil von Frauen, die privat Sorgearbeit leisten, das Land verlässt, hat dies Auswirkungen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Im Grunde exportiert ein Staat versorgende, emotionale Arbeitsleistungen, die schwer zu ersetzen sind. Durch den Abzug von Sorgearbeit, die die Versorgungslücken in westlichen Staaten füllt, entsteht im eigenen Land ein Versorgungsdefizit; zudem gehen Fähigkeiten und Kompetenzen im Sorgebereich verloren – care drain“ (Deutsche Bischofskonferenz 2015, 21). Man muss bedenken, dass allein die Zahl der rumänischen Wanderarbeiter zwischen zwei und drei Millionen liegen soll – das sind mehr als 10 Prozent der rumänischen Gesamtbevölkerung, die bei knapp 20 Millionen Menschen liegt. Offensichtlich gilt: Je ärmer die Region, desto größer die Zahl der Migranten (Klein 2015, 3). Bei der Gewinnung von Mitarbeitern aus dem Ausland für die Pflege in Deutschland stehen derzeit im Vordergrund: die Quantität (Wie viele Mit17

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arbeiter können wir im Wettbewerb zu anderen Ländern für den deutschen Markt gewinnen?), die rechtliche Anerkennung des im Ausland erworbenen Berufsabschlusses (Sind die Ausbildungen und Examina als gleichwertig einzuschätzen?) und die sprachliche Qualifikation (Welches sprachliche Niveau muss nachgewiesen werden bzw. ist für eine gelingende Berufsausführung notwendig?). Die vertraglichen und konzeptionellen Konstruktionen und Regelungen sind durchaus different: Die Bandbreite der Konzepte reicht von der sprachlichen Ausbildung im Heimatland, die der Bewerber selbst zu tragen hat, über die Sprachenschule in Deutschland bei Kost und Logis auf Firmenkosten, oder eine Entlohnung mit einem Taschengeld während der ersten Phase der Berufstätigkeit in Deutschland bis hin zu einem vollen tariflichen Gehalt (equal pay), aber einer (vertraglich wie auch immer gestalteten) zeitlich festen Bindung an den Arbeitgeber. Auch Verträge mit finanziellen Rückforderungsklauseln werden offensichtlich mit Fachkräften aus dem Ausland geschlossen. So fordert ein großer Einrichtungsträger eine Mindestbeschäftigungszeit von 30 Monaten, andernfalls sind die anteiligen Ausbildungskosten vom angeworbenen Mitarbeiter zurückzuzahlen (Höfle 2012 und Höfle 2014). Und Kornelius Knapp, Leiter des Welcome Centers Sozialwirtschaft in Baden-Württemberg, das sich seit Januar 2014 um internationale Fachkräfte müht, weist darauf hin, dass in den letzten Jahren immer wieder von Anwerbeprozessen berichtet wird, die als „ethisch fragwürdig“ zu bezeichnen sind (Knapp 2015). Das Welcome Center Sozialwirtschaft Baden-Württemberg hat daher acht Kriterien benannt, die in jedem Anwerbeprojekt zu berücksichtigen sind. Der Kriterienkatalog soll für Unternehmen der Sozialwirtschaft in zwei Hinsichten hilfreich sein: Für die Planung und Durchführung von Anwerbeprojekten sowie für die Auswahl von Kooperationspartnern bei Anwerbeprozessen (z. B. Recruiter, Personaldienstleister, Berater). Der Kriterienkatalog kann für internationale Fachkräfte dazu dienen, legitime Ansprüche an Projekte zu stellen. Für das Welcome Center Sozialwirtschaft dient der Kriterienkatalog der Auswahl von Kooperationspartnern (Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Württemberg e.V. 2015). Angesichts der geschilderten zum Teil fragwürdigen Praktiken bei der Rekrutierung von Mitarbeitern aus dem Ausland hat auch der Paritätische Wohlfahrtsverband am 11. Dezember 2015 eine beispielgebende Positionierung zur Anwerbung ausländischer Pflegefachkräfte (Der Paritätische 2015) vorgelegt. Darin werden zehn Punkte genannt: 18

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2. Die Anwerbung von ausländischen Pflegefachkräften sollte unter dem Schirm zwischenstaatlicher Abkommen erfolgen. Diese sollen vor allem die Rechte der angeworbenen Personen effektiv schützen. Die Familienzusammenführung darf selbst während der Zeit der Anpassungsqualifikationen nicht eingeschränkt werden. Die Möglichkeit eines langfristigen Aufenthalts in Deutschland soll von Anfang an garantiert werden.

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1. Eine zentrale Bedingung ist, dem globalen Verhaltenskodex der World Health Organization (WHO) für die Anwerbung von Gesundheitsfachleuten zu folgen, der die Gewinnung von Pflegepersonal aus Ländern mit Personalnotstand untersagt und die Gewinnung aus Ländern mit ähnlichen demografischen Entwicklungsprognosen wie in Deutschland kritisch bewertet.

3. Weiter sind, wenn Vermittlungsinstanzen einbezogen werden, transparente und zuverlässige Instanzen zu wählen, wie beispielsweise die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) bzw. von der ZAV zertifizierte Vermittler zuzulassen. 4. Die angeworbenen Personen erhalten die erforderliche Einarbeitungszeit, soziale Betreuung und Zugang zu Integrationsangeboten. Für Betriebe stellt dies ein Prozess der interkulturellen Öffnung dar. 5. Den Angeworbenen werden Möglichkeiten der weiteren Qualifizierung in Deutschland geboten. 6. Zudem darf eine Anwerbung von Pflegefachkräften nicht gewinnorientiert ausgerichtet sein und zu Lasten der potenziellen Fachkräfte gehen. 7. Für die Arbeit in der Pflege sind Mindeststandards mit Blick auf das sprachliche Niveau unabdingbar. Hierfür sollten bereits im Herkunftsland Deutschkenntnisse auf einem Sprachniveau von mindestens B2 aufgebaut werden. 8. Da sich die Berufe in der Pflege je nach Land stark unterscheiden, sollte bereits im Herkunftsland auf inhaltliche und strukturelle Gegebenheiten der Pflege in Deutschland vorbereitet werden. Dadurch ließen sich falsche Erwartungen vermeiden und im Falle einer durchlässigen Ausbildung auch Übertragungsmöglichkeiten auf die neue Umgebung generieren.

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9. Die allgemeinen Arbeitsbedingungen und die Entlohnung entsprechen denjenigen vergleichbarer Pflegefachkräfte in der Pflegeeinrichtung. 10. Die Kosten der Anwerbemaßnahme sowie die Kosten der Einreise trägt die anwerbende Stelle. Die Refinanzierung der zusätzlichen Aufwände zur nachträglichen Qualifikation und Integration in das deutsche Arbeitsverhältnis und somit zur Sicherstellung der Versorgung ist jedoch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Daher müssen diese Aufwände über die Pflegevergütung refinanzierbar sein. Es ist insgesamt abzuwägen, ob der Einsatz des finanziellen Aufwandes zur Anwerbung ausländischer Pflegefachkräfte im Verhältnis zu den Potenzialen steht, die ansonsten bei Einsatz dieser Mittel zur Hebung der inländischen Potenziale erreichbar wären. Es ist eher noch die Ausnahme, dass sich Träger der Aufgabe stellen, eine – wie auch immer geartete – Willkommenskultur für Pflegemitarbeiter aus dem Ausland zu entwerfen und die in vielerlei Hinsicht gegebene Attraktivität des Arbeitsmarkts Pflege in Deutschland zu kommunizieren. Damit werden Chancen verspielt. Denn eine Untersuchung der TU Berlin sieht durchaus gute Perspektiven des deutschen Pflegearbeitsmarktes, sich im internationalen Wettbewerb insbesondere mit anderen europäischen Nationen zu behaupten. Doch leider bestimmen eher Mythen über angeblich anderswo vorherrschende paradiesische Zustände die Diskussionen und Verlautbarungen in den öffentlichen Zirkeln und Fachpublikationen.

Haushaltshilfen in Pflegehaushalten Wirken manche vertraglichen Regelungen für Mitarbeiter aus dem Ausland in der professionellen Pflege zum Teil schon befremdlich, so haben die rechtlichen Gegebenheiten am Arbeitsplatz Privathaushalt in Deutschland oftmals Wildwestmanier. Der Bundesverband Haushaltshilfe und Seniorenbetreuung (BHSB) nimmt an, dass bis zu 90 Prozent der osteuropäischen Helferinnen „schwarz“ in deutschen Haushalten arbeiten (Hoffmeyer 2015b, 67). Ähnlich spricht das polnische Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik davon, dass 94 Prozent aller Anbieter auf dem deutschen Haushalts- und Pflegemarkt in einer „Schattenzone“ agieren (Kniejska 2015b, 3). Nach sehr vorsichtigen Schätzungen (Hoffmeyer 2015b, 67) sind mindestens 100.000 Personen als Haushaltshilfen in deutschen Seniorenhaushaltungen beschäftigt. Andere Quellen gehen von bis zu 300.000 Personen aus (Bo20

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nin/Braeseke/Ganserer 2015, 13 f.), Thomas Klie hingegen nennt anhand von Berechnungen auf Basis der Werte aus Österreich 600.000 Haushaltshilfen (Klie 2015, 2). Indes „genaue Zahlen gibt es nicht. Man will sie wahrscheinlich auch nicht kennen. Forschungsprojekte, die Licht in das Dunkel bringen würden, werden nicht in Auftrag gegeben […].“ (Klie 2014, 49) Zum Vergleich: Auf der Basis einer legalen Anwerbung nahmen in den Jahren zwischen 2002 und 2011 nur knapp 15.000 Haushaltshilfen aus Mittel- und Osteuropa eine Tätigkeit in Deutschland auf (Tießler-Marenda 2011, 1). Die Tatsache, dass bezahlte Sorgearbeit in deutschen Pflegehaushalten häufig irregulär geleistet wird, bestimmt – so in der Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz zu lesen – auch den Charakter dieser Arbeit: „Damit kehrt ein Beschäftigungstypus in westliche Gesellschaften zurück, der schon lange als ausgestorben galt. Statt eines schriftlichen Vertrags, in dem die Aufgaben der Arbeitnehmerinnen und die Rechte und Pflichten beider Parteien verbindlich festgehalten werden, sind informelle Absprachen und Aushandlungsprozesse bestimmend, in denen geklärt wird, welche Arbeit wie und unter welchen Bedingungen erledigt wird. Folglich können sich Zuständigkeiten und Ansprüche wandeln, Auftrag und Bedingungen der Arbeit müssen ggf. neu verhandelt werden.“ (Deutsche Bischofskonferenz 2015, 26) Elke Tießler-Marenda, Referentin für Migration und Integration im Deutschen Caritasverband Freiburg, stellt fest: „Es gibt kaum Unrechtsbewusstsein bei der oftmals prekären Beschäftigung von Haushaltshilfen aus Mittelund Osteuropa und solange das Unrechtsbewusstsein nicht wächst, bleibt Schwarzarbeit sehr rentabel. (Tießler-Marenda 2011, 1) „Die Gefahr, erwischt zu werden, ist gering. Es wird als eine Art Kavaliersdelikt gewertet. Man spricht auf Partys von den aufopferungsvollen Frauen aus dem Osten, die sich so rührend um den alten Vater kümmern […].“ (Klie 2014, 49) Thomas Klie spricht daher von einer allseits geduldeten Grauzone, in der Ausbeutungsverhältnisse entstehen und sich niemand um Arbeitsschutz und Arbeitszeiten schert (Klie 2015, 2). In der Tat: Die Untersuchung von Isfort und von der Malsburg zum Einsatz polnischer Haushaltshilfen in Deutschland hat ermittelt, dass zwar in 96 Prozent der Haushalte die Haushaltshilfe ein eigenes Zimmer hat. 91 Prozent gaben bei der Untersuchung an, dass der Privatraum völlig respektiert wird. Aber in nur 61 Prozent der Antworten wird bestätigt, dass der Privatraum eindeutig von den Räumen der hilfebedürftigen Person abgetrennt ist. Und nur 52 Prozent haben ein eigenes Bad (von der Malsburg/Isfort 2014, 30). Eine ähnlich 21

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gelagerte Untersuchung zu Haushaltshilfen in Deutschland, die die Deutsche Bischofskonferenz aktuell in Auftrag gegeben hat, kommt zusammenfassend zum Schluss, dass es „entwürdigend“ ist, wenn z. B. in Deutschland und anderen westlichen Ländern ein erheblicher Teil jener Pflegekräfte, die in Privathaushalten als „Live-ins“ arbeiten, nicht wenigstens ein Mal pro Woche eine Auszeit von 24 Stunden hat (Deutsche Bischofskonferenz 2015, 44). In Italien heißt die 24-Stunden-Pflege-Kraft (es sollen nach Klie 2014, 49, etwa 800.000 sein) „La Fix“, weil die Pflegerin „siamesisch gebunden an den alten, maladen Menschen, ohne Freizeit fixiert“ ist (Klein 2015, 3). Isfort und von der Malsburg machen deutlich, dass bestimmte Anbieter, Vermittler und Agenturen aufgrund der vorhandenen Versorgungslücken bezüglich häuslicher Dienstleistungen einen weitgehend nicht regulierten, grauen Markt geschaffen haben. „Agenturen vermitteln Haushaltshilfen aus mittelund osteuropäischen Ländern, die in den Familien leben (Live-ins) und dort die Beobachtungs- und Betreuungsaufgaben sowie haushalterische [sic!] Tätigkeiten übernehmen. In den vergangenen Jahren mehren sich kritische Berichte aus der Praxis und in den Medien, die bei zahlreichen Anbietern und Agenturen Strukturen einer gezielten Ausbeutung erkennen lassen. Sie nutzen in doppelter Hinsicht eine Notlage aus, um Profit zu generieren: die Notlage einer Familie mit einem unbeantworteten Hilfebedarf und die Notlage von Frauen aus Osteuropa, die eine bezahlte Arbeit suchen, mit der sie die ökonomischen Bedingungen der eigenen Familien verbessern können“ (von der Malsburg/Isfort 2014, 9). Hervorzuheben sei aber auch, so Isfort und von der Malsburg, dass nicht alle Vermittlungsagenturen unseriöse Arbeit leisten: „Es gibt zahlreiche qualitätsorientierte Unternehmen, die klare Strukturen besitzen und transparent die Bedarfseinschätzungen und Vermittlungen vornehmen. Einige Vermittlungsagenturen haben sich in verbandlichen Strukturen organisiert, um Qualitätsstandards zu vereinbaren und zuzusichern. In Deutschland gibt es den seit 2007 bestehenden Bundesverband Haushaltshilfe und SeniorenBetreuung e.V. (BSHB). Ein weiterer Verband ist der Bundesverband Europäischer Betreuungs- und Pflegekräfte e.V.“ (von der Malsburg/Isfort 2014, 9). Patrycja Kniejska, die sich im Rahmen ihrer Dissertation intensiv mit polnischen Pflegemitarbeiter in Deutschland beschäftigt hat, konnte ermitteln, dass auf dem Schwarzmarkt die Löhne der Pflegerinnen erheblich schwanken, zwischen circa 500 bis 1.800 Euro pro Monat. Die Vermittlung durch eine Agentur mit einem Dienstleistungsvertrag ermöglicht einen Verdienst zwischen circa 22

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850 bis 1.300 Euro netto und im Fall eines eigenen angemeldeten Gewerbes sind es 1.100 bis 1.500 Euro brutto (Kniejska 2015b, 3). Obwohl seit dem 1. Januar 2015 der Mindestlohn auch für Pflegekräfte aus Polen gilt, hat sich an der Situation in den Privathaushalten nichts geändert. Problematisch sei – so Patrycja Kniejska – vor allem die fehlende Definition, was zur Arbeits- und was zur Freizeit gehört. Zudem würden einige Vermittlungsagenturen von ihren Beschäftigten Erklärungen einfordern, mit denen sie bestätigen, dass sie den Mindestlohn bekämen (Kniejska 2015b, 3). Professor Bernhard Emunds von der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt macht zudem darauf aufmerksam, dass die deutsche Gesellschaft nichts für die Absicherung der ausländischen Frauen in deutschen Haushalten gegen Arbeitslosigkeit, gegen Krankheit und im Alter unternimmt. „Ihr Arbeitsvermögen wird durch den Einsatz rund um die Uhr komplett verbraucht. Nach der Rückkehr sind sie erst einmal völlig erschöpft.“ (Hoffmeyer 2015a, 67) Mit dem Übereinkommen 189 der International Labour Organization (ILO) über „Menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte“, das im Juni 2011 in Genf verabschiedet wurde, widmet sich erstmals eine UN-Organisation den Arbeitsbedingungen von Haushaltsarbeiterinnen. Die Bundesrepublik Deutschland hat das ILO-Übereinkommen 189 im September 2013 ratifiziert; zum 1. September 2014 ist es in Kraft getreten. Allerdings hat die Bundesregierung bei der Ratifizierung eine Klausel eingefügt, die vor allem Live-in-Pflegekräfte von den Schutzbestimmungen des Übereinkommens ausnehmen soll. Sie sieht sich entsprechend nicht verpflichtet, diese Haushaltsarbeiterinnen mit anderen Arbeitnehmern rechtlich gleichzustellen. Hintergrund ist, dass die Arbeitsbedingungen in der sogenannten 24-Stunden-Pflege vor allem in Bezug auf Arbeits- und Ruhezeiten massiv von den Bestimmungen des Übereinkommens abweichen (Deutsche Bischofskonferenz 2015, 8f.). Die Thematik der Haushaltshilfen hat es nun sogar auf die Kinoleinwand gebracht. Der Dokumentarfilm „Family Business“ (www.familybusiness-film. de) der Filmemacherin Christiane Büchner, der Anfang 2016 in die deutschen Kinos kam, dokumentiert die Geschichte zweier Familien in Deutschland und Polen, die die Sorge um die 88-jährige Anne verbindet. Die Töchter der Seniorin, die in Wuppertal lebt, erkennen, dass sie die Mutter nach dem Tode des Vaters nicht mehr alleine pflegen können. Jowita aus dem polnischen Lubin verlässt ihre eigene Familie, um die Seniorin in Deutschland zu pflegen. Jowita braucht das Geld, das ihr für die Pflege von Anne gezahlt wird, damit ihr 23

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Haus, das seit Jahren eine Baustelle ist, endlich fertiggestellt werden kann. Auf beeindruckende, schonungslose Weise wird dem Kinopublikum das ganz normale Leben in einem Pflegehaushalt erzählt: „Zwei Familien, die eine scheinbar perfekte Win-win-Situation zufällig zusammenführt. Indem Jowita als Betreuerin bei Anne einzieht, übernimmt sie die Aufgabe, die Annes berufstätige Töchter nicht leisten können: Rund um die Uhr für die Mutter da zu sein. Aber die alte Dame verliert zunehmend den Bezug zur Realität. Sie kann Jowita in ihrem Leben nicht einordnen. Die beiden Frauen verstehen sich nicht gut. Sie mögen sich auch nicht besonders. Die Tage werden zäh und lang für Jowita, die sich nun weit weg von der eigenen Familie in den Routinen einer alten Frau wiederfindet.” (Büchner Filmproduktion 2015)

Gesetzliche Regelungen in Österreich Bei der anhaltenden Diskussion um die Haushaltshilfen in deutschen Pflegehaushalten und die sogenannte 24-Stunden-Pflege wird immer wieder auf die Regelungen in Österreich verwiesen. Dort ist die 24-Stunden-Pflege als sogenanntes Personenbetreuungsgewerbe seit 2008 legalisiert. Dieser Legalisierung gingen in Österreich zum Teil heftige politische und öffentliche Auseinandersetzungen voraus. Almut Bachinger hat in ihrer Dissertation zur 24-Stunden-Pflege in Österreich (Bachinger 2009) dargelegt, dass bis zum Jahr 2006 die Tatsache, dass es sich bei der Arbeit der Pflegerinnen in Österreich um irreguläre, nicht gesetzeskonforme Beschäftigung handelte, „weitgehend unthematisiert“ blieb. „Als jedoch einige BeschäftigerInnen irregulärer Pflegekräfte angezeigt wurden, kam es zu einer breiten öffentlichen Debatte. Dass selbst die Schwiegermutter des damaligen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel von einer slowakischen Pflegerin betreut wurde, sorgte für zusätzlichen Zündstoff.“ Die bis dahin jahrelang in Österreich praktizierte „LaissezFaire-Politik hinsichtlich der irregulären Arbeitsverhältnisse“ konnte nicht länger aufrechterhalten werden, so Bachinger (Bachinger 2010, 400). Das Herzstück der Reformen in Österreich bildet das im Frühjahr 2007 beschlossene Hausbetreuungsgesetz. Mit diesem wurde eine Rechtsgrundlage für eine reguläre, selbständige oder unselbständige Beschäftigung von 24-Stunden-Pflegekräften geschaffen. Es bestehen demnach in Österreich zwei Gestaltungsmöglichkeiten: a. Die Betreuungskraft kann entweder von einer Privatperson oder auch einer Trägerorganisation nach dem Hausgehilfen- und Hausangestelltengesetz beschäftigt werden. 24

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a. Die zweite Möglichkeit besteht in der selbständigen Ausübung in Form des neugeschaffenen Personenbetreuungsgewerbes (Bachinger 2010, 406).

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Schließlich wurden im Jahr 2008 zudem die Kompetenzen der 24-Stunden-Betreuungskräfte erweitert. Den Pflegekräften ist es seitdem gestattet, bestimmte pflegerische und ärztliche Tätigkeiten zu übernehmen, vorausgesetzt die Betreuungskraft wurde von einem Arzt oder durch qualifiziertes Pflegepersonal entsprechend geschult. (Bachinger 2010, 407 f.) Per 31. März 2015 waren exakt 51.954 selbständige Personenbetreuer und Personenbetreuerinnen als aktive Mitglieder in den Wirtschaftskammern der österreichischen Bundesländer registriert, die in der sogenannten 24-Stunden-Betreuung tätig sind. 99 Prozent der Personenbetreuerinnen in Österreich arbeiten selbständig (Egger de Campo 2015, 18): „Damit sind Arbeitszeitbeschränkungen und Ruhe- und Erholungspausen freie Vereinbarungen zwischen der Personenbetreuerin und ihrem Auftraggeber; vor allem aber bedeutet diese Selbständigkeit, dass die wohlfahrtsstaatliche Absicherung von Arbeitsverhältnissen in Form von bezahltem Urlaub, Lohnfortzahlung bei Krankheit und Arbeitslosenunterstützung gänzlich entfällt. […] Wegen der Isoliertheit der Pflegekräfte und der extremen Nähe zu ihren Auftraggebern (sie wohnen schließlich im Haushalt ihres Auftraggebers) dürfte für ihre Verhandlungsmacht ähnliches gelten wie für Dienstboten vergangener Jahrhunderte“ (Egger de Campo 2015, 22) – so die Kritik am österreichischen System der 24-Stunde-Pflege durch Personenbetreuungskräfte in Privathaushaltungen (Klie 2014, 50 ff). Almut Bachinger kommt zu dem Schluss, dass „in Anbetracht des mangelnden arbeitsrechtlichen Schutzes die Legalisierung für die Pflegekräfte […] als wenig zufriedenstellend bezeichnet werden [kann]“, wenn auch zumindest „die Legalisierung der Arbeit an sich und die wenngleich rudimentäre Integration in das Sozialversicherungssystem […] die Situation, die vor der gesetzlichen Regelung herrschte“ verbessern. (Bachinger 2010, 412)

Resümee und Ausblick Die Träger von Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern wissen zwar, dass man auf gut qualifizierte und engagierte Mitarbeiter aus dem Ausland für die Pflege angewiesen ist, tun sich aber nachweislich schwer, sich dem internationalen Wettbewerb um Mitarbeiter zu stellen – im deutlichen Gegensatz Wer pflegt Deutschland

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zu anderen Branchen und Nationen. So sind zwar punktuelle Aktivitäten zur Anwerbung von Pflegemitarbeitern auszumachen, von einer nationalen, verbandsübergreifenden Strategie mit einheitlichen Aussagen und einer klaren Zielsetzung ist man in Deutschland weit entfernt. So sind zwar zweifelsfrei einige Erfolge bei den Anwerbestrategien zu verzeichnen, doch es sind mit Blick auf die Zahl derer, die zur Pflege nach Deutschland kommen, eher homöopathische Dosen zur Linderung eines enormen Bedarfes an qualifizierten Pflegekräften. Zudem sind die arbeitsrechtlichen Gestaltungen einiger Marktakteure eher abschreckend als vertrauensbildend. Es wird deutlich, dass noch nicht allen deutschen Marktakteuren bewusst ist, in welch hartem Wettbewerb um Talente sie sich befinden. Die Anwerbung von Mitarbeitern aus dem Ausland als ein Kosteneinsparprogramm zu sehen, ist zum Scheitern verurteilt. Zudem wurden viele Entwicklungen, die andere Nationen in den vergangenen Jahren für eine Weiterentwicklung und Förderung des Pflegeberufes vollzogen haben, in Deutschland nicht mit Verve angegangen. So sind eher geringe Kompetenzen, geringe Karrierechancen und eine überwiegend negativ ausgeprägte Reputation von Pflege in Deutschland nicht unbedingt Magneten für gut ausgebildete Pflegefachkräfte aus dem Ausland. Zudem fehlen innovative und gleichermaßen gerechte Regelungen für den Sektor der Pflege im Privathaushalt durch Haushaltshilfen. Soll ambulant vor stationär tatsächlich funktionieren, kann der Gesetzgeber vor dieser Aufgabe nicht weiter die Augen verschließen. Patrycja Kniejska formulierte dazu in der Süddeutschen Zeitung: „Die Pflege, insbesondere die von alten Menschen, wird in Deutschland in den kommenden Jahren erheblich zunehmen. Pflegekräfte aus Nachbarländern wie Polen können dabei eine gute Hilfe sein. Dies kann auf Dauer aber nur funktionieren, wenn die Arbeitsverhältnisse so gestaltet sind, dass die Betreuungskräfte dabei nicht ausgebeutet werden.“ (Kniejska 2015a, 3) Ebenso sieht es das Gutachten der Deutschen Bischofskonferenz: „Unser Staat muss sich davon verabschieden, die Probleme in der Pflege zu Billigstpreisen an andere Länder abzugeben.“ (Hoffmeyer 2015a, 67) „Auch wenn die Ratifizierung und das Inkrafttreten des ILO-Übereinkommens 189 in der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet blieben, bieten die Berichte an die ILO die Chance zu einer gesellschaftlichen Debatte über den Umgang mit Haushaltsarbeiterinnen – in Deutschland vor allem Live-InPflegekräfte oder Reinigungskräfte.“ (Deutsche Bischofskonferenz 2015, 9)

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Doch: „Eine Legalisierung mit breiter Resonanzfähigkeit ist in Deutschland nicht in Sicht.“ (Klie 2014, 49) Dem ist bis auf Weiteres nichts hinzuzufügen.

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Hintergründe, Situationen und Rechtslage von mittel- und osteuropäischen Haushaltshilfen und Pflegekräften Thomas Klie

Das Phänomen und seine Hintergründe Wie würden wir die häusliche Pflege gewährleisten, wenn wir nicht auf die 300.000 – 600.0001 osteuropäischen Haushaltshilfen und Pflegekräfte zurückgreifen könnten? Alle kennen sie, fast alle schauen weg, wenn es um die rechtlichen, die finanziellen, aber auch die fachlichen Anforderungen geht, die es zu thematisieren gilt, wenn man in einem zivilisierten Sozialstaat für alle Seiten faire und die fachliche Qualität sichernde Bedingungen von Sorge und Pflege gewährleisten will. Frauen aus dem globalen Süden beziehungsweise dem Südosten Europas migrieren, um für die Kinder und Älteren der arbeitenden Frauen aus dem „globalen Norden“ in deren Haushalten zu sorgen (vgl. Williams 2010). Hintergrund für die Frauen, die sich in den Norden aufmachen, ist zumeist der Wunsch bzw. die Notwendigkeit, die Lebensverhältnisse bzw. Lebenschancen ihrer Familien und Kinder zu verbessern. So machen sie sich auf den Weg, allein, mithilfe von Agenturen oder informellen Netzwerken, die den Nachzug aus dem Süden in den Norden ebnen. Der Wegzug aus den Herkunftsländern bleibt nicht ohne Folgen. Kinder und Eltern der migrierenden Frauen werden schlechter versorgt. Psychosoziale Probleme für Familien durch lange Trennungen sind vorprogrammiert, sprichwörtlich sind die Skype-Mamas (Berdt u.a., 2013). Die Herkunftsländer verlieren oft kompetente Arbeitskräfte, zumal es sich bei den Frauen, die in den Norden ziehen, meist um ausgebildete und der Mittelschicht zuzuordnende Personen handelt. Aber: Die Herkunftsländer und die Familien profitieren auch: vom Verdienst, von neuen Perspektiven.

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Die Engel aus dem Osten

1  Belastbare Studien zur Zahl Osteuropäischer Pflegekräfte gibt es nicht. Bei Hochrechnungen der Anzahl von osteuropäischen Pflegekräften in einzelnen Kommunen gelangt man zu Zahlen (Osteuropäische Pflegekräfte im Verhältnis zu Haushalten mit Pflegebedürftigen), die etwas unter den von Österreich liegen.

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Auf Zeit lassen sich vielfach auch Trennungen überbrücken. Sind die Kinder aus dem Haus, mögen die psychosozialen Folgen nicht dramatisch sein: Sind es doch häufig auch ältere Frauen, die nach der Familienphase Aufgaben im Haushalt in Deutschland und anderswo annehmen. Trotzdem bleibt: Die globalen wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse, sie spiegeln sich auf der Mikroebene in den personalen Beziehungen in diesen Haushalten: Hier schlecht verdienende Frauen aus Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit und großen wirtschaftlichen Problemen, dort einkommensstarke Haushalte in einer prosperierenden Wirtschaftsregion im Norden Europas. Das nachfolgende Bild veranschaulicht, in welche Richtung die Care-Wanderungen erfolgen. Dabei zeigt sich für die deutsche Situation, dass es vor allem die osteuropäischen Länder, Polen, die Slowakei, zunehmend Ungarn und Rumänien, aber auch Bulgarien sind, die als Herkunftsländer für die Haushaltshilfen dienen.

Politikfelder und das Thema osteuropäische Pflegekräfte und Haushaltshilfen Durch das Thema osteuropäische Haushaltshilfen werden sehr unterschiedliche Politikfelder berührt. Zunächst ist die Familienpolitik zu nennen. Je nach Ausmaß der gesellschaftlichen und sozialstaatlichen Verantwortung in finanzieller und struktureller Hinsicht ist der Grad der migrantischen Haushaltshilfen unterschiedlich hoch. In Deutschland fördert das Teilkasko-System der Sozialen Pflegeversicherung und die hohen Selbstkosten für die Pflege die Attraktivität osteuropäischer Pflegekräfte zu einem vergleichsweise niedrigen Lohn- respektive Preisniveau. Auch die Anreize für eine geschlechtergerechte Verteilung von Sorgearbeit sind in Deutschland unterausgeprägt und wirken auf die Nachfrage nach den „Engeln aus dem Osten“. Neben der Familienpolitik ist es die Arbeitsmarktpolitik, die Einfluss auf die Beschäftigung von Haushaltshilfen nimmt. Die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Sorgetätigkeit ist in Deutschland durch entsprechende Infrastrukturen respektive Karenz-Auszeiten anders als in nordeuropäischen Staaten schwerlich gegeben. Bei den Berufen der Pflege und Haushaltshilfe handelt es sich um weibliche Berufe mit typischerweise niedrigen Einkommen. Dabei ist der deutsche Arbeitsmarkt im Bereich der haushaltsnahen Arbeitsplätze von einer hohen Toleranz für graue Formen der Beschäftigung gekennzeichnet. Wer beschäftigt denn schon eine Raumreinigung, die Putzfrau, legal? Schließlich ist es die Zuwanderungspo32

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litik, die als maßgebliches Politikfeld zu nennen ist. Die Hürden für Zuwanderung und Einbürgerung fördern illegale und halblegale Beschäftigungsverhältnisse und lassen Arbeitskräfte mit einem problematischen Rechtsstatus in deutschem Haushalt tätig werden.

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facts and Figures on Healthy Ageing and Long-term Care.

Wohlfahrtsstaatliches Regime und osteuropäische Pflegekräfte Vergleicht man die öffentlichen Pflegeausgaben, so werden die deutlichen Unterschiede zwischen den Wohlfahrtstaaten Europas sichtbar (siehe Grafik). In Abhängigkeit von den öffentlichen Pflegeausgaben steht die jeweilige Zahl der migrantischen Haushaltshilfen in Familien in europäischen und außereuropäischen Ländern. Die nachfolgende Grafik gibt Schätzwerte wieder und weist aus, dass Deutschland über eine vergleichsweise hohe Quote verfügt, allerdings getoppt von Italien: Hier sind schätzungsweise eine Million migrantische Haushaltshilfen in Familien beschäftigt (Lamura 2006). Allgemein gilt: Je stärker die Langzeitpflege nach wohlfahrtsstaatlicher Orientierung in die familiäre Verantwortung gestellt und je geringer die gesamtstaatliche VerWer pflegt Deutschland

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antwortung ausgeprägt ist, desto häufiger machen (Mittelschicht-) Familien in den reicheren Ländern – bei steigender Erwerbstätigkeit der Frauen und sich entwickelnder Doppelverdienerstruktur – von diesem „Modell“ Gebrauch. In Skandinavien ist es kaum geläufig. Auch der Stil und die Methodik der rechtlichen und politischen Steuerung der Migration von Haushaltshilfen hat Einfluss auf die Zahl und die Arbeitsbedingungen. Je nachdem, ob die Migration der Haushaltshilfen staatlich kontrolliert oder unkontrolliert erfolgt, weisen sie verschiedene Profile auf (vgl. Rodrigez et al, 2012: 81). Bei der kontrollierten Care-Migration findet sich meist ein hoher Qualifikationsgrad der Wandernden, die Care-Migration ist staatlich reguliert und kontrolliert. Die Beschäftigungen erfolgen meist bei professionellen Pflegeanbietern. Die unkontrollierte Care-Migration kennt geringer Qualifizierte als Beschäftigte an. Die Beschäftigung erfolgt meist bei privaten Haushalten. Nur selten erfolgt ein Erwerb von Bürgerrechten, eine sozialversicherungsrechtliche Absicherung, zumindest auf einem hohen Niveau, ist kaum gegeben (vgl. Rodriquez a.a.O.).

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Merkmale der beruflichen Tätigkeit osteuropäischer Pflegekräfte und Haushaltshilfen

Die Rechtslage Wie das Bespiel Österreich zeigt, lassen sich in unseren wohlfahrtsstaatlichen Konzepten für die Haushalte finanziell attraktive Arrangements mit osteuropäischen Pflegekräften, die vollständig dem deutschen Arbeitsrecht unterworfen werden, nicht regeln. So drückt man die Augen zu und dies auch im Interesse des Fiskus. In Deutschland sind eine Reihe von gesetzlichen Regelungen der Beschäftigung von osteuropäischen Haushalts- und Pflegekräften bekannt. Sie werden in dem Beitrag von Kostrzewski und dem von Menebröcker in diesem Band gesondert gewürdigt. Da ist zunächst die Einstellung der Haushaltshilfen im Haushalt des auf Pflege angewiesenen Menschen. War früher noch eine Arbeitsgenehmigung gemäß § 284 SGB III notwendig, entfällt diese nach der vollständigen Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU für alle EU- Mitgliedsstaaten. Nach der Einführung des Mindestlohns gelten auch für die Arbeitsverhältnisse in Privathaushalten die Regelungen des Mindestlohns. Ebenfalls sind die Arbeitszeitregelungen zu beachten: Es handelt sich nicht um Familienangehörige oder in den Haushalt integrierte Personen, die die Aufgaben der alltäglichen Unterstützung übernehmen. Insofern gibt es kein Entkommen aus den Arbeitszeit- und Arbeitsschutzvorgaben. Der zweite Weg besteht in der sogenannten Entsendung. Die Erbringung von Dienstleistungen aus anderen EU-Staaten ist EU-rechtlich grundsätzlich zugelassen. Voraussetzung ist allerdings, dass das Weisungsrecht eines Arbeitgebers etwa in Polen oder in der Tschechei tatsächlich ausgeübt wird bzw. werden kann. Das ist regelmäßig in Privathaushalten nicht der Fall. Vielmehr befindet sich die im Haushalt tätige Person faktisch in einem Weisungsverhält-

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Die Arbeit der osteuropäischen Pflegekräfte wird durch bestimmte Merkmale gekennzeichnet. Zu ihnen gehört das Ineinandergreifen von Lebens- und Arbeitsort in Deutschland, das Pendeln zwischen Lebens- und Arbeitsort in Gastund Heimatland, eine geringe Entlohnung, fehlende Qualitätssicherung, Risiken der fachlichen Überforderung und eine funktionale Grauzone.

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nis zu den Haushaltsmitgliedern. Außerdem sind bei der Entsendung die zeitlichen Begrenzungen zu beachten. Schließlich kommt die selbstständige Tätigkeit in Betracht. Nach EU-Recht sind grenzüberschreitende selbstständige Tätigkeiten erlaubt. Auch die selbstständige Tätigkeit von Deutschen in Privathaushalten ist möglich. Die Voraussetzung ist allerdings, dass es mehrere Auftraggeber gibt, dass die jeweilige Person weisungsfrei handelt und auch frei über ihre Zeiteinteilung verfügen kann. Auch diese Merkmale sind in Privathaushalten schwer zu gewährleisten. Als weiterer, vierter Weg kommt die Einstellung von osteuropäischen Pflegekräften bei deutschen Assistenz- oder Pflegediensten in Betracht. Die Anstellung kann direkt beim Pflegedienst erfolgen. Um die Personalkosten zu senken, werden bei diesem Weg nicht selten Kooperationslösungen gesucht: Hier ein tarifgebundener Pflegedienst, dort ein Kooperationsunternehmen, das nicht tarifgebunden agiert und ggf. mit Selbstständigen arbeitet, um der Mindestlohnregelung zu entgehen. Durch das von Landesverbänden der Pflegekassen aus dem BSG Beschluss vom 17.03.2015 (AZ: B 3 P 1/15 S, B 3 P 1/15 B) abgeleitete Kooperationsverbot von ambulanten Pflegediensten mit Assistenzdiensten soll dieser Weg, der von manchen Anbietern unlauter genutzt wird, verschlossen werden.2 Eine wirklich legale Beschäftigungsperspektive, die für die Haushalte ökonomisch attraktiv ist, auch für die Arbeitnehmer faire Verdienst- und soziale Absicherungsoptionen gewährleistet, ist nicht leicht zu haben. Ob und inwieweit der Gesetzgeber gefordert ist, ähnlich wie in Österreich rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die für alle Beteiligten rechtssichere Bedingungen schaffen, ist eine schwer zu beantwortende Frage3. Noch ist die Szene davon geprägt, dass Rechtslücken genutzt werden, Schutzbestimmungen umgangen und das geringe öffentliche Interesse respektive die fehlende Sanktionswahrscheinlichkeit ins Kalkül gezogen wird. Von manchen Politikern wird gern, wie zuletzt auch in der Enquete „Pflege“ des Landtags Baden-Württemberg, das Beispiel Österreich als Regelungsvorbild herangezogen. Hier hatte das Parlament in einer besonderen politischen Konstellation, in der mehrere führende österreichische Politiker, unter ihnen auch der damalige Bundeskanzler Schüssel selbst, der illegalen Beschäfti2  Klie, Thomas (2016) 3  Landtag von Baden-Württemberg (Hg.) (2016): Bericht und Empfehlungen. der Enquetekommission. „Pflege in BadenWürttemberg zukunftsorientiert und generationengerecht gestalten“ unter: https://www.landtag-bw.de/files/live/sites/ LTBW/files/dokumente/WP15/Drucksachen/7000/15_7980_D.pdf

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gung von Haushaltshilfen für pflegebedürftige Angehörige überführt wurden, ein parteiübergreifend getragenes Hausbetreuungsgesetz verabschiedet, dass wie in dem Beitrag von Marschitz ausführlich dargetan, die Betreuung als selbstständige Tätigkeit qualifiziert, den Einsatz von Hausbetreuern an bestimmte Voraussetzungen (Pflegegrad, Demenz) knüpft und mit einem mehr oder weniger präzisen Tätigkeitsprofil versieht. Das Hausbetreuungsgesetz ist verbunden mit Sonderregelungen im Arbeitsrecht, das die Tätigkeit von bis zu 14 Tagen ebenso vorsieht wie 128 Stunden Arbeitszeit in zwei Wochen sowie Mindestlohnregelungen. Der Staat bietet eine finanzielle Förderung durch die Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge an. Das österreichische Beispiel wird gerne als katholische Lösung bezeichnet, in der über die Fiktion der Selbstständigkeit der osteuropäischen Haushaltshilfe die Arbeitnehmereigenschaft mit all den Konsequenzen, die sich aus ihr ergeben, ausgehebelt wird. Auch die fehlende Kompatibilität mit der EU-Dienstleistungsrichtlinie wird immer wieder und zu recht kritisiert. Insofern scheidet das Beispiel Österreich für eine Regelung in Deutschland zur Legalisierung des Einsatzes osteuropäischer Pflegekräfte aus. In jeder Hinsicht überzeugende und resonanzfähige Formen adäquater rechtlicher Regelungen, auch wenn sie in Modellprojekten erprobt wurden, liegen nicht vor (Isfort und Malsburg 2004). Es gibt sie nicht, die unbedenklichen Lösungen zur Legalisierung und der Gestaltung verträglicher und fairer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen für osteuropäische Pflegekräfte in Deutschland, die in der Bevölkerung angenommen werden. Bisher werden aufgrund hoher sozialer Akzeptanz und geringer rechtlicher Risiken eher graue oder illegale Beschäftigungen bevorzugt, für die zumeist Mittel der Pflegeversicherung (Pflegegeld) eingesetzt werden. Ver.di hat für die deutsche Situation Vorschläge für die Beschäftigung von Haushalts- und Pflegehilfen in Privathaushalten vorgelegt (Böning/Steffen 2015). Der Vorschlag von ver.di verbindet eine Profilierung der Tätigkeiten je nach Qualifikationshintergrund der Haushaltshilfen mit sicheren und transparenten rechtlichen Rahmenbedingungen auf der Basis der ILO-Konvention 180 Menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte. Zur letzteren gehört etwa die Anwendung des Arbeitszeitgesetzes und eine Anpassung der Ausnahmetatbestände, die Anwendung bestehender Mindestlohnregelungen auch auf Hausangestellte und entsprechende präventive und nachträgliche Kontrollen und Aufsichtsmöglichkeiten durch die zuständigen Behörden. Die Vorschläge von ver.di sehen als zentrale „Agentur“ der Beratung, Vermittlung, aber auch Kontrolle und Qualitätssicherung Dienstleistungszentren auf regionaler/kommunaler Ebene vor, in denen 37

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Angebote der Beratung, Vermittlung und Qualifizierung koordiniert bereitgehalten werden. Auch geht ver.di davon aus, dass osteuropäische Haushaltshilfen und Pflegekräfte sinnvoll in einen Mix aus Hilfen einzubinden sind, in denen sie ihre spezifische Funktion erfüllen und entfalten können. Entsprechend wären professionelle Hilfeplanverfahren auch auf die Integration von osteuropäischen Pflegekräften auszurichten. Eine realistische Chance zur Resonanz des ver.di Vorschlages ist nicht in Sicht.

Problematisierung und Ausblick Es bleibt dabei, einfache Lösungen für den Einsatz der Engel aus Osteuropa gibt es nicht und ihr Einsatz löst auch nicht die grundsätzlichen Probleme, für die die Attraktivität der osteuropäischen Pflegekräfte steht. Die unsichtbare Care-Arbeit in Privathaushalten wird nicht wertgeschätzt, weder von der Politik noch von der Gesellschaft. Auch ist man kaum bereit, über die Leistung der Pflegeversicherung hinaus Geld für den Einsatz von gut bezahlten Haushaltshilfen zu investieren. Es finden sich in Deutschland zahlreiche Anreize, die die Intransparenz befördern: –– Da sind die Kosten für den Privathaushalt, die bei legalen Lösungen entstehen. –– Da sind die zum Teil auch von den Haushalten als Einengung interpretierten Qualitätsvorgaben und strenge Dokumentationspflichten, an die sich Pflegedienste verbindlich halten müssen. –– Da ist die „lebensweltliche Autonomie“ der Privathaushalte, die ungern in das Visier staatlicher Kontrolle geraten. –– Auch ist das Thema Pflege und Sorge immer noch ein Thema, das nicht als öffentliches, als gemeinsam zu gestaltendes verstanden wird. –– Der graue, schwarze Markt besitzt eine hohe Funktionalität und wird in der Pflegepolitik nicht problematisiert. Problematisiert werden Missstände in Pflegeheimen. Dies geschieht in ritualisierter und regelmäßiger Art und Weise – verbunden mit hohen Investitionen eine in ihrer Wirksamkeit mehr als umstrittene Art der Qualitätssicherung. Die Privathaushalte bleiben im Dunkeln der Pflegepolitik. Das, was sich in den Privathaushalten abspielt, ist auch angesichts der psychosozialen Dynamiken zu problematisieren: Von den Haushaltshilfen wird auf 38

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der einen Seite professionelle Distanz verlangt, auf der anderen Seite werden sie in hohem Maße in intimitätsgeprägte Handlungszusammenhänge und Themen involviert. Gleichzeitig sind Care-Migrantinnen vom sozialen Abstieg betroffen: Sie stammen weitgehend aus Mittelschichtmilieus, verfügen in der Regel über recht gute Berufsabschlüsse und finden sich nun in einer Dienstbotenfunktion. Das, was früher Klassendifferenz war, bei den Hausgehilfinnen am Anfang des letzten Jahrhunderts, wird umgedeutet in eine Ethnizitätsdifferenz, die angesichts der aktuellen Debatten über Migration nicht ohne „Potenzial“ sind. Für die Care-Migrantinnen ist überdies eine Balance herzustellen zwischen den bezahlten Care-Arbeiten in Deutschland und der unbezahlten Arbeit im eigenen Land, wobei die Tätigkeitsprofile durchaus ähnliche sind. Kontos (Kontos 2010) spricht in diesem Zusammenhang von Sorgeketten. Ob und wie weit aus dem Kreis geflüchteter Menschen Personen gewonnen werden, die als Haushaltshilfen tätig werden, bleibt abzuwarten. Beispiele deuten darauf hin, dass nicht wenige unter Bedingungen der Schwarzarbeit in Ermangelung anderer Beschäftigungsoptionen in Privathaushalten tätig werden. Der eingangs gewählte Blick auf die Typik wohlfahrtsstaatlicher Regime macht deutlich, dass man das Thema osteuropäische Pflegekräfte nicht nur im Zusammenhang mit dem subsidiär angelegten deutschen Pflegeversicherungsrecht wird lösen und bearbeiten können. In Frankreich hat man den Weg eingeschlagen, den Privathaushalt als Arbeitsplatz, nicht zuletzt unter beschäftigungspolitischen Gesichtspunkten, zu fördern (vgl. ver.di 2011). In den skandinavischen Ländern hat man das formelle Pflegesystem viel stärker ausgebaut als in Deutschland. Die Konzeption der Pflege- und Familienpolitik auf der einen Seite und die Bedeutung der Care-Migrantinnen auf der anderen Seite – sie stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang, der bei allen Lösungsversuchen nicht geleugnet werden darf. Die Forschungslage ist von erheblichen Desideraten zu den quantitativen Dimensionen der osteuropäischen Haushaltshilfen gekennzeichnet, die dringend aufgearbeitet werden müssten (BMFSFJ 2016). Auch eine Flexibilisierung des Leistungsrechts der Pflegeversicherung könnte auf eine stärkere Nutzung legaler Beschäftigungsformen hinwirken. Eine rein beziehungsweise überwiegend pflegegeldbasierte Finanzierung der Pflege unter Einbeziehung osteuropäischer Pflegekräfte belässt das Thema im letztlich nicht kontrollierten Bereich der Pflegeversicherung. Die bisherige politische und gesellschaftliche Tatenlosigkeit sowie eine kaum problematisierende, häufig sogar positive Darstellung von Arrangements mit osteuropäischen Pflegekräften und Haushalts39

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hilfen in den Medien lassen darauf schließen, dass die Dilemmata nicht oder nur in wenigen Modellvorhaben aufgegriffen werden und Rechtsbrüche tendenziell ebenso in Kauf genommen werden, wie die in diesem Beitrag beschriebenen Problemlagen für die Beteiligten. Ohne osteuropäische Hilfen würde die häusliche Pflege in Deutschland nicht aufrechterhalten werden können, so lautet die vielfach geäußerte politische Einschätzung zu ihrer Bedeutung. Gleichzeitig lobt sich die deutsche Bundesregierung in ihrer zukunftsorientierten Pflegepolitik. Das passt nicht zusammen. Kurzfristig gilt es, die Arbeitsbedingungen von osteuropäischen Hilfen zu verbessern, das auch im Rahmen von Projekten, wie sie in diesem Band dargestellt werden. Sie sind nicht perfekt, sie kennen rechtliche Untiefen, sie berücksichtigen auch nicht hinreichend die tatsächlichen Interessenslagen der Beteiligten. Dennoch sind sie alternativlos. Auch an eine verantwortliche Öffnung des Leistungserbringungsrechts für osteuropäische Hilfen wird man denken müssen. An einer Strukturreform der Pflegeversicherung wird man aber nicht vorbeikommen, will man das Problem ernsthaft lösen. Und auch an einer familienpolitischen Debatte über Formen unsichtbarer Care Arbeit wird man nicht vorbeikommen. Die Sachverständigenkommissionen zum 2. Gleichstellungs- und 7. Altenbericht haben hier für Diskussionsstoff und eine Aufbereitung der Fragestellungen gesorgt. Mögen sie die Auseinandersetzung mit dem Thema qualifizieren und die Politik anhalten, sich des Themas anzunehmen.

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Klie, Thomas (2016): Ein Feld mit vielen Stolpersteinen. Kommentar in: Häusliche Pflege Ausgabe 3/2016, S. 18 Körner, Anne (2011): Pflegekräfte aus Osteuropa – Licht ins Dunkel der Schwarzarbeit? In: Neue Zeitschrift für Sozialrecht (NZS) (10): 370–374. Holch, Christine „Dann holen wir uns eben eine Polin“ chrismon 02.2016: 14-20. Kontos, M. u. Shinozaki, K (2010): Integration of New Female Migrants in the German Labour Market an Society, in Slany, K, Kontos, M. Liapi, M. (Hg): Woman in New Migrations. Current Debates in European Societies, Krakau, Jagiellonian University Press, S. 83-120 Lamura, G., Mnich, E., Wojszel, B., Nolan, M. u.a. (2006): Erfahrungen von pflegenden Angehörigen älterer Menschen in Europa bei der Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen. Ausgewählte Ergebnisse des Projektes EUROFAMCARE. In: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 39 (6): 429–442. Rodriquez, R., Huber, M., Lamura, G. (2012): Facts and Figures on Healthy Ageing and Longterm Care: Europe and North America. Wien, European Centre for Social Welfare Policy and Research: 81 ver.di (Hg.) (2011): »Grauer Pflegemarkt« und Beschäftigung ausländischer Pflegehilfskräfte. Eine Argumentationshilfe. Berlin. Online verfügbar unter http://www.epsu.org/IMG/pdf/ver.di-Broschure-Grauer-Arbeitsmarkt-2011.pdf, zuletzt geprüft am 06.04.2016. Williams, F. (2010): „Migration and care: themes, concepts an challenges.“ Social Policy and Society 9 (3): 385-396

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Vermittlung von Haushaltshilfen aus Mittel- und Osteuropa Alexander Kostrzewski

Aktuell gibt es in Deutschland ca. 2,63 Mio. Pflegebedürftige.1 Hiervon werden 29% stationär (764.000) und 71% ambulant (1,86 Mio.) versorgt.2 Der Großteil von ihnen wohnt somit noch in den eigenen vier Wänden bzw. bei ihrer Verwandtschaft und wird dort entweder von den Angehörigen selbst oder in Zusammenarbeit mit ambulanten Pflegediensten betreut und gepflegt. In der Zukunft wird die Anzahl der pflegebedürftigen Menschen noch weiter ansteigen. Deutschland steht vor der großen Herausforderung im Umgang mit dem demografischen Wandel. Dies betrifft vor allem die Versorgung und Pflege der immer älter werdenden Gesellschaft. Die Bevölkerung entwickelt sich dahin, dass immer mehr Ältere von immer weniger Jüngeren betreut bzw. deren Betreuung finanziert werden muss. Hinzu kommt die Auflösung traditioneller Familienmodelle, die Abwanderung der Erwerbsbevölkerung in die Städte mit der damit einhergehenden Entvölkerung ländlicher Gebiete, in denen viele der Senioren leben. Vor allem bei Demenzkranken, die zwar geistig schon beeinträchtigt sind, körperlich aber noch fit, kann der Aufwand für die eigentliche medizinische Behandlungspflege eher gering sein. Viel wichtiger ist in solchen Fällen die eigentliche Präsenz vor Ort. Es geht vielmehr darum, aufzupassen und den Betroffenen durch den Alltag zu begleiten, damit es nicht zu Vorfällen wie dem versehentlichen Anlassen des Herdes oder dem Verlaufen außerhalb des Haushalts kommt. Doch genau für die vielen betroffenen Familien mit einer solchen, zeitintensiven Konstellation sind bisher seitens der gesetzlichen Pflegeversicherung nur unzureichende Angebote geschaffen worden. Es herrscht eine völlig alltagsferne Situation, denn die herkömmlichen ambulanten Pflegedienste können in vertretbarem finanziellem Rahmen nur punktuell und zeitlich begrenzt eingesetzt werden. Um mit in Deutschland angestelltem Personal eine Rund-um-die-Uhr-Präsenzbetreuung in den eigenen vier Wänden umzusetzen, müsste ein enormer Aufwand betrieben werden. Man bräuchte pro Pflegebedürftigen täglich min-

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Einführung

1  Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2016a), S. 5. 2  Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2016a), S. 11.

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destens drei Kräfte, die sich in Acht-Stunden-Schichten abwechseln. Darüber hinaus wäre noch mindestens eine Springer-Kraft von Nöten, die im Krankheitsfall oder als Urlaubsvertretung zum Einsatz kommt. Nimmt man noch Ruhetage in die Überlegungen auf, so liegt der Personalschlüssel deutlich über vier Vollzeitkräften je betreuter Person. Alleine die reinen Personalkosten für ein solches Modell liegen weit jenseits der 10.000 Euro pro Monat. Hinzu kämen noch Kosten für Transport, Versorgung, Verwaltung etc. Diese Situation führt dazu, dass sich Schätzungen nach über 300.000 Betreuungskräfte aus Ost- und Mitteleuropa um deutsche Senioren in deren Haushalten kümmern.3 Im nun Folgenden sollen dieser Aspekt der ambulanten Versorgung und die herrschenden Umstände genauer beleuchtet werden.

Was ist die häusliche Betreuung? In Deutschland gibt es viele betroffene Senioren, die noch in ihrem eigenen Zuhause wohnen, eigentlich aber nicht mehr in der Lage sind, selbstständig dort ihren Alltag zu bestreiten. Um ihnen den Weg ins Alten- oder Pflegeheim so lange wie möglich zu ersparen, entstand das Angebot der häuslichen Betreuung. Da dies – wie eingangs beschrieben – für den Großteil der Bevölkerung finanziell nicht mit den herkömmlichen, lokalen Betreuungsangeboten darstellbar ist, greifen viele Familien auf Betreuungskräfte aus dem europäischen Ausland zurück. Diese Kräfte kommen meist aus mittel- und osteuropäischen Ländern und reisen in die betroffenen Haushalte und kümmern sich für einen Zeitraum von in der Regel ein bis drei Monate am Stück um die Betroffenen. Die Vorteilhaftigkeit dieses Ansatzes sowohl für die Familien als auch für die Betreuungskräfte selbst liegt in den unterschiedlichen Lohngefügen zu Deutschland. Meist ist in den Herkunftsländern das Lohnniveau deutlich niedriger als in Deutschland. Somit entsteht die Situation, dass ein für die Betreuungskräfte hoher Lohn, den sie für ihre Arbeit im Ausland erhalten, ein bezahlbares Niveau für deutsche Haushalte darstellt. Bei der häuslichen Betreuung geht es weniger um die fachpflegerische Versorgung von Pflegebedürftigen, sondern eher um hauswirtschaftliche Tätigkeiten. Im Wesentlichen lässt sie sich in zwei Teilbereiche gliedern, die Betreu-

3  ver.di (Hrsg.) (2014), S. 11.

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Die grundpflegerische Unterstützung lässt sich hauptsächlich unterteilen in –– die Unterstützung bei der oralen Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, –– Erinnerung an die Arzneimittelaufnahme, –– Hilfe bei der Hygiene und bei der Körperpflege, –– Unterstützung beim An- und Auskleiden –– sowie beim Toilettengang. Die Betreuungskräfte verfügen in der Regel über keine in Deutschland anerkannte fachpflegerische Ausbildung. Daher sollten unter bestimmten Umständen ambulante Pflegedienste vor Ort ergänzend in die Versorgung eingebunden werden. Gefunden werden die Betreuungskräfte entweder von den Familien direkt oder über eine Vielzahl mittlerweile entstandener Betreuungsagenturen. Diese achten auch darauf, dass zum Schutz der Betreuungskräfte gewisse Grundvoraussetzungen in den Haushalten herrschen. So muss jede Kraft Anspruch auf ein eigenes, möbliertes Zimmer und stets Zugang zu sanitären Einrichtungen haben. Im Zeitalter des Internets legen viele Kräfte heute zusätzlich Wert darauf, per Skype oder ähnlichen Anbietern kostengünstig mit ihren eigenen Familien in den Heimatländern in Kontakt bleiben zu können.

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ung im Alltag und die grundpflegerische Unterstützung. Die Betreuung im Alltag beinhaltet –– die hauswirtschaftliche Versorgung, –– die Zubereitung von Mahlzeiten, –– die allgemeine Gesellschafterfunktion –– sowie die Gestaltung des Tagesablaufes.

Arten der Tätigkeit Der deutsche und europäische Rechtsrahmen lässt im Wesentlichen Raum für drei verschiedene Beschäftigungsmodelle: direkte Anstellung der Betreuungskräfte im Haushalt, Betreuungskräfte betreiben als Selbstständige ein eigenes Gewerbe in Deutschland und die Entsendung von im Ausland angestellten Betreuungskräften nach Deutschland. Der folgende Abschnitt geht genauer auf die letzten beiden Modelle ein. Von der Möglichkeit, Kräfte im Haushalt als Arbeitnehmer anzustellen, nehmen nur sehr wenige Familien Gebrauch. Hintergrund ist der Verwaltungsaufwand, die damit einhergehenden Pflichten als Wer pflegt Deutschland

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Arbeitgeber und die Unsicherheit, wie die Versorgung während Urlaubs- und Krankheitszeiten sichergestellt werden kann.

Selbstständigkeit Wenn eine Person ein eigenes, in Deutschland registriertes Gewerbe für die Altenbetreuung betreibt und ihre Dienstleistung am Markt anbietet, spricht man von Selbstständigkeit. Die wesentlichen Merkmale der selbstständigen Tätigkeit sind: –– Entscheidungsfreiheit seitens des Selbssttändigen darüber, mit wem und zu welchen Konditionen der Gewerbetreibende einen Auftrag übernimmt. –– Der Selbstständige hat keine Weisungsgebundenheit bei der Ausführung seiner Tätigkeit. –– Die Arbeit des Selbstständigen muss auf eigene Rechnung erfolgen. –– Zu einer Selbstständigkeit bedarf es mehrerer Auftraggeber. Nur so kann sichergestellt werden, dass es sich um keine Scheinselbstständigkeit handelt. –– Als Selbstständiger ist man nicht an den in Deutschland neu eingeführten Mindestlohn gebunden. Dieser gilt nur für Anstellungsverhältnisse. Augenscheinlich stellt die Selbstständigkeit einen gangbaren Weg bei der Betreuung von Senioren in den eigenen vier Wänden dar. Problematisch in der praktischen Umsetzung ist jedoch der unflexible Rechtsrahmen in Deutschland. Hier ist in erster Linie zu nennen, dass der Selbstständige bzw. die Auftraggeber-Familie dem Vorwurf der Scheinselbstständigkeit unterliegen kann. Die in Deutschland traditionell arbeitnehmerfreundliche Rechtsauslegung kann schnell dazu führen, dass bei einem bestehenden Vertragsverhältnis von Scheinselbstständigkeit ausgegangen wird. Die Nachweispflichten hierzu sind in Deutschland nicht eindeutig geregelt, sondern unterliegen immer einem Interpretationsspielraum des zuständigen Richters in der Wahrnehmung der vor Ort herrschenden Umstände. Hier ist vor allem das Erfordernis mehrerer Auftraggeber kritisch zu betrachten. In der häuslichen Betreuung sind die Vertragsverhältnisse in der Regel auf Langfristigkeit ausgelegt. Schließlich soll sich der Betroffene so wenig wie möglich an neue Bezugspersonen gewöhnen müssen. Es herrscht jedoch keine klare Regel, ab wann und in welchen Zeiträumen mehrere Auftraggeber vorhanden sein müssen. So kann der Vorwurf der Scheinselbstständigkeit bereits greifen, wenn die Betreuungskraft einige Monate am 46

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Entsendung Die drei Grundprinzipen des Binnenmarktes der EU sind Freizügigkeit der Arbeitnehmer, Dienstleistungsfreiheit und Niederlassungsfreiheit. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer sieht freies Reisen, freier Aufenthalt, freies Wohnrecht und freie Wahl des Arbeitsplatzes vor. Die Dienstleistungsfreiheit gibt Unternehmen aus der gesamten Europäischen Union das Recht, Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat zu erbringen. Das Recht aller EU-Bürger, frei in einem anderen Mitgliedstaat zu arbeiten, ist durch die Niederlassungsfreiheit gegeben. Die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit regelt die Dienstleistungsfreiheit von Arbeitnehmern gemäß dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union.5 Artikel 13 regelt die Ausübung von Tätigkeiten in zwei oder mehr Mitgliedstaaten. Hierbei verbleibt der Arbeitnehmer im Rechtsraum und Sozialversicherungssystem des Wohnmitgliedstaates bzw. der Arbeitnehmer verbleibt im Rechtsraum und Sozialversicherungssystem des Mitgliedstaates, in dem sein Arbeitgeber seinen Sitz hat. Durch die o.g. Richtlinie ist die Dienstleistungsfreiheit innerhalb der Europäischen Union geregelt. Die Richtlinie 96/71/EG vom 16. Dezember

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Stück bei ein und derselben Familie weilt. Eine Möglichkeit der Familie sicherzustellen, dass es sich um keine Selbständigkeit handelt, besteht darin, bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund ein Statusfeststellungsverfahren für das Gewerbe der Betreuungskraft zu beantragen.4 In der Praxis ist dieses Verfahren jedoch bei jeder neu in den Haushalt kommenden Kraft zu wiederholen und somit für die Haushalte und auch für die öffentliche Verwaltung mit enormem Aufwand verbunden. Daher hat sich dieses Verfahren in der Praxis bisher nicht durchsetzen können. Ein zweiter Aspekt, der die Grenzen der Selbständigkeit aufzeigt, sind die abzuführenden Sozialabgaben. Als Selbstständiger hat man das Recht, auf die Zahlung von Sozialabgaben zu verzichten. Problematisch ist hier die Versuchung, auf die langfristige Vorsorge zu verzichten, um kurzfristig ein höheres Einkommen erzielen zu können. Wünschenswert wäre jedoch, dass sich die Betreuungskräfte durch Einzahlungen in die Renten- und Pflegeversicherung langfristig absichern, um selbst im Alter gut versorgt zu sein.

4  Vgl. Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.) (2016), S. 5. 5  Vgl. Amtsblatt der Europäischen Union (2004), S. 1.

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1996 beseitigt alle Hindernisse für den freien Personen- und Dienstleistungsverkehr und etabliert die Arbeitnehmer-Entsendung als Weg zur länderübergreifenden Dienstleistungserbringung.6 Bei der Arbeitnehmerentsendung entsendet ein ausländischer Arbeitgeber also einen seiner festangestellten Mitarbeiter auf Grundlage der europäischen Entsenderichtlinie an den Ort der zu betreuenden Person(en). Die wichtigsten Merkmale der Entsendung lauten: –– Ein Arbeitgeber im Ausland entsendet einen oder mehrere festangestellte Arbeitnehmer an den Ort der Betreuung. Grundlage hierzu ist die europäische Entsenderichtlinie. –– Der Lebensmittelpunkt der entsendeten Kräfte liegt in ihren Heimatländern und nicht in Deutschland. –– Die Dauer der Entsendung ist begrenzt auf 24 Monate. –– Der Arbeitgeber im Ausland beantragt bei der Entsendung eine sogenannte A1-Bescheinigung. Diese bestätigt den deutschen Behörden, dass die Sozialabgaben ordnungsgemäß im Heimatland abgeführt werden. Europäisches Recht steht in diesem Modell über nationalem deutschem Recht und bietet somit eine Lösung für einige Problembereiche. Der zugrundeliegende Werkvertrag regelt die zu erbringenden Dienstleistungen und entkoppelt somit die Erbringung dieser von der reinen Arbeitszeit. Zur Erfüllung der vereinbarten Dienstleistungen entsendet das ausländische Unternehmen einen Arbeitnehmer zum Erfüllungsort nach Deutschland. Somit hat die Familie auch Anspruch auf Ersatz der Betreuungskraft, sollte diese einmal ausfallen. Auch kann ein Wechsel der Betreuungskraft erfolgen, wenn die Chemie zwischen den Parteien nicht stimmt oder sich die Situation, Wünsche oder Bedürfnisse der Beteiligten ändern. Es finden auch regelmäßige Wechsel der eingesetzten Kräfte vor Ort statt, um diesen die Möglichkeit zu geben, sich daheim von der Arbeit zu erholen. Sie erfolgen in der Regel nahtlos und werden von den Betreuungsagenturen in Zusammenarbeit mit den Entsendeunternehmen organisiert. Jedoch weist auch die Entsendung einige Grenzen auf. Die Weisungsbefugnis liegt einzig und alleine beim Arbeitgeber im Ausland. So müssen Änderungen und Wünsche vor Ort immer umständlich erst mit dem Arbeitgeber 6  Vgl. Amtsblatt der Europäischen Union (1997), S. 1.

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Finanzierung der häuslichen Betreuung Die monatlichen Kosten für eine häusliche Betreuung sind von einigen Faktoren abhängig: Deutschkenntnisse der Betreuungskraft, Situation vor Ort, individuelle Wünsche und Bedürfnisse der betreuten Familien. Vor diesem Hintergrund hat sich aktuell ein Preisrahmen zwischen 2.000 Euro und 2.500 Euro pro Monat als am Markt durchsetzbar erwiesen. Diese Kosten entsprechen jedoch im Normalfall nicht der tatsächlichen monatlichen Belastung, welche die Angehörigen tragen müssen. Familien, die durch die Inanspruchnahme von Betreuungsangeboten mit ausländischen Kräften ihre Angehörigen versorgen, haben Anspruch auf Pflegegeld seitens der gesetzlichen Pflegeversicherung. Die Höhe des monatlich ausbezahlten Pflegegeldes ist abhängig von der Einstufung in eine Pflegestufe und davon, ob eine Demenz vorliegt. Für das Jahr 2016* gelten folgende Beträge(siehe nächste Seite). Eine weitere finanzielle Erleichterung bietet die Verhinderungspflege. Dies ist ein Geldbetrag, der wie der Name sagt, im Falle der Verhinderung der selbst organisierten Pflege in Anspruch genommen werden kann. Als Vo-

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abgeklärt werden und können nicht direkt mit den Betreuungskräften geregelt werden. Diese Aufgabe wird im Normalfall im Rahmen ihres Betreuungsauftrages von den zwischengeschalteten deutschen Betreuungsagenturen übernommen. Weiterhin darf das entsendete Personal keine medizinische Behandlungspflege durchführen. Diese darf nur von in Deutschland anerkannten ambulanten Pflegediensten erbracht werden. Ein weiteres Hindernis des Entsendemodells ist die Qualifikation des Personals. Es herrschen keine einheitlichen Standards über die Voraussetzungen, häuslich zu betreuen. Letztlich seien noch mögliche Änderungen der rechtlichen Voraussetzungen im Herkunftsland zu nennen. Man ist nicht nur abhängig von der Gesetzeslage in Deutschland, sondern auch von der im Herkunftsland. Kommt es hier zu gravierenden Änderungen, kann es sein, dass eine bisher eingespielte Betreuungssituation nicht mehr fortgeführt werden kann, weil bestimmte Umstände dies verhindern.

* Anmerkung der Herausgeber:Mit der Pflegereform durch das Pflegestärkungsgesetz PSG II haben sich die Pflegesätze und das Wording zum 1.1.2017 verändert. Die Endredaktion des Artikels lag vor diesem Termin. Die Veränderungen konnten daher nicht berücksichtigt werden. Die grundsätzlichen Aussagen des Textes sind davon aber nicht weiter berührt.

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raussetzung muss der Pflegebedürftige mindestens seit sechs Monaten in häuslicher Umgebung versorgt sein. Verhinderungspflege gilt auch, wenn die Familie privat die Pflege organisiert. Pro Kalenderjahr erstattet die Pflegekasse maximal Tab. 2.1 Pflegestufe Pflegestufe 0 (mit Demenz) Pflegestufe I Pflegestufe I (mit Demenz) Pflegestufe II Pflegestufe II (mit Demenz) Pflegestufe III

2016 123 € 244 € 316 € 458 € 545 € 728 €

Pflegegeld 2016 in Euro

1.612 Euro. Dieser Betrag kann durch maximal die Hälfte des noch nicht genutzten Anspruchs auf Kurzzeitpflege (806 Euro) auf 2.418 Euro erhöht werden. Über das Jahr verteilt, ergibt sich ein monatlicher Anteil in Höhe von 202 Euro. Die häusliche Betreuung gilt weiterhin als haushaltsnahe Dienstleistung und kann somit bei der persönlichen Steuererklärung geltend gemacht werden. Hier können 20 % der Lohnkosten, die der Steuerpflichtige an einen oder mehrere Dienstleister bezahlt hat, angerechnet werden. Dies gilt jedoch bis höchstens 4.000 Euro jährlich. Legt man diese Ersparnis auf das gesamte Jahr um, können sich bis zu 333 Euro monatlicher Ermäßigung ergeben. Die tatsächliche Ersparnis ist abhängig von den individuellen steuerlichen Gegebenheiten und sollte mit einem Steuerberater abgeklärt werden. Tab. 2.2 Betreuungskosten für 30 Kalendertage abzgl. Pflegegeld abzgl. Pflegegeld bei Demenz abzgl. Verhinderungspflege (2.418 €/Jahr) abzgl. Steuerermäßigung (Höchstsatz) Effektiver monatlicher Eigenbetrag

2.290 € -458 € -87 € -202 € -333 € 1.210 €

Musterrechnung für die monatliche Belastung anhand eines Pflegebedürftigen mit der Pflegestufe II mit Demenz

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Die Rechnung in Tabelle 2.2 stellt ein Beispiel für die Höhe der effektiven monatlichen Belastung einer betroffenen Familie dar. Sie basiert auf einem fiktiven Fall mit Pflegestufe 2 und diagnostizierter Demenz. Mit der oben genannten Preisspanne und den eben beschriebenen finanziellen Entlastungsmöglichkeiten erreicht man ein Preisniveau von hier 1.210 Euro, einem Betrag, den viele Familien noch in der Lage sind, für die Versorgung ihrer Angehörigen zu bezahlen.

Seit dem 01.01.2015 gilt in Deutschland das Mindestlohngesetz für abhängig Beschäftigte. Es besagt, dass jeder, der in Deutschland Arbeit leistet, einen Bruttolohn von mindestens 8,50 Euro pro Stunde verdienen muss. Unter den Geltungsbereich dieses Gesetzes fallen paradoxerweise auch Betreuungskräfte, die nach dem oben beschriebenen Entsendemodell in deutschen Seniorenhaushalten tätig und somit nicht in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Während die Höhe des Mindestlohns in der Branche der häuslichen Betreuung im Grunde nicht kritisiert wird, ist es vielmehr die Übertragung des Gesetzes in die Praxis, welches an der Realität einer häuslichen Gemeinschaft vorbeigeht. Bei der Ausgestaltung des MiLoG fehlt eine Trennung zwischen Arbeitszeit, Freizeit, Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst. Der Gesetzgeber hat hier keine klaren Richtlinien geschaffen und verlässt sich auf zukünftige Gerichtsentscheidungen. Nach dem heutigen Stand liegen diese jedoch immer noch nicht vor, so dass in absehbarer Zukunft keine Klarheit darüber herrschen wird, wie in der häuslichen Seniorenbetreuung damit umgegangen werden soll. Warum ist das problematisch? Ohne eine klare Abgrenzung und enger Auslegung würde prinzipiell für jede Präsenzstunde der Betreuungskraft im Haushalt der Mindestlohn anfallen, also für 24 Stunden am Tag. Der Mindestlohn würde auch gelten, wenn die Betreuungskraft schläft oder frei hat. Rechnet man dies auf einen ganzen Monat hoch, beläuft sich der reine Bruttolohn, den jede Familie zahlen muss, auf mindestens 6.324 Euro7. Vor dem Hintergrund, dass die deutsche Durchschnittsrente im Jahre 2015 bei 1.020 Euro pro Monat8 lag und ein allgemeiner Bruttomonatsverdienst in Höhe von 3.612 Euro9 erwirtschaf-

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Auswirkungen des Mindestlohngesetzes (MiLoG)

7  8,50 Euro x 24 [Stunden] x 31 [Tage] = 6.324 Euro. 8  Vgl. Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.) (2015), S. 35. 9  Vgl. Statistisches Bundesamt (2016b).

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tet wird, ist dieser Betrag fern jeglicher Praxis. Bisher noch nicht berücksichtigt sind Lohnnebenkosten, Feiertagszuschläge, Kost und Logis, Transferkosten etc.

Zusammenfassung und Ausblick Zu Beginn dieses Artikels wurde auf die Pflegesituation in Deutschland und den großen Stellenwert, den die ambulante Versorgung von Senioren hat, hingewiesen. Neben der Versorgung durch die Angehörigen selbst und durch ambulante Pflegedienste stellt die häusliche Betreuung durch mittel- und osteuropäische Betreuungskräfte eine wichtige Alternative dar. Diese kann durch verschiedene Ansätze erbracht werden, die jeweils ihre Vor- und Nachteile haben. Im Allgemeinen stellt die häusliche Betreuung durch selbstständige oder entsendete Betreuungskräfte eine bezahlbare und legale Alternative zur Schwarzarbeit und zum Alten- und Pflegeheim dar. Hier besteht jedoch vor allem von regulatorischer Seite noch Nachholbedarf. Vor allem fehlt eine praxisnahe Regelung zur Trennung von Arbeits- und Freizeit. Nur so kann es gelingen, die häusliche Betreuung als dritte Säule der ambulanten Versorgung zu etablieren, damit die Familien und Betreuungskräfte unbesorgt dafür sorgen können, hilfebedürftigen Senioren einen würdevollen und bezahlbaren Lebensabend in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen.

Literatur Amtsblatt der Europäischen Union (1997) Amtsblatt der Europäischen Union, L 018, 21. Januar 1997 Amtsblatt der Europäischen Union (2004) Amtsblatt der Europäischen Union, L 200, 07. Juni 2004 Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.) (2015) Rentenversicherung in Zahlen 2015, Berlin Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.) (2016) Selbständigkeit – wie die Rentenversicherung Sie schützt, Berlin Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2016a) Pflegestatistik – Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung, Ländervergleich – Pflegebedürftige 2013, Wiesbaden Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2016b) Durchschnittliche Bruttomonatsverdienste, URL: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/VerdiensteArbeitskosten/VerdiensteVerdienstunterschiede/Tabellen/Bruttomonatsverdienste. html [Stand 10.04.2016] ver.di (Hrsg.) (2014) Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten, Berlin

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CariFair: Qualitätsgesicherter Einsatz mittel- und osteuropäischer Haushaltsund Betreuungskräfte in deutschen Familien mit pflegebedürftigen Personen

Claudia Menebröcker

Engagement im Caritasverband für das Erzbistum Paderborn e.V. Seit etwa 2005 beschäftigt sich der Caritasverband für das Erzbistum Paderborn e.V. mit dem Thema der mittel- und osteuropäischen Haushalts- und Betreuungskräfte in deutschen Haushalten. Mitarbeitende der ambulanten Dienste berichteten, dass in einer zunehmenden Zahl von Haushalten ausländische Haushaltshilfen tätig wären, die dort auch lebten. Ausgehend von diesen Beobachtungen stellte sich die Frage, wie die Caritasverbände mit diesem Phänomen umgehen sollten. Offensichtlich gab es Bedarfe der Familien, die nicht durch die Sozialstationen gedeckt werden konnten. Die Familien selbst verhielten sich unterschiedlich. Einige haben offen darüber gesprochen, dass jemand in ihrem Hause wohnt, der sie bei den alltäglichen Aufgaben im Haushalt unterstützt. Andere versuchten, dieses zu verschweigen. Nun ist es nicht die Aufgabe der Caritas, illegale Beschäftigung zu verurteilen. Es war aber auch nicht geboten, einfach die Augen zu verschließen. Eine solche nicht legale Situation ist nicht nur für die beschäftigten Frauen und Männer kritisch, sondern auch für die hilfe- und pflegebedürftigen Menschen, die Unterstützung durch ausländische Helferinnen und Helfer in Anspruch nehmen. Zum einen lässt sich die Sicherheit der Versorgung in diesem Rahmen kaum gewährleisten, zum anderen drohen ihnen als Auftraggeber negative Konsequenzen, wenn das Arbeitsverhältnis entdeckt wird. Die Caritas hat den Leitsatz „Not sehen und handeln“. Aus dieser Motivation heraus haben wir uns entschieden, uns in diesem Feld zu engagieren. Pflegebedürftige sollten eine sichere Versorgung erfahren und die Beschäftigen sollten eine Möglichkeit zur legalen Tätigkeit unter fairen Bedingungen erhalten. Dieser Beitrag beschreibt im folgenden Kapitel die ersten Schritte der Caritasverbände in diesem Feld. Das zweite Kapitel erläutert die Grundlagen des Wer pflegt Deutschland

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Angebots, das von ihnen entwickelt worden ist. Es wurde 2013/2014 durch das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung (dip) evaluiert. Die Ergebnisse dieser Untersuchung werden in Kapitel drei dargelegt. Der letzte Teil dieses Beitrags berichtet von den Punkten, an denen wir derzeit arbeiten, um aus dem bisherigen Projekt ein Regelangebot zu entwickeln.

Das Projekt „Heraus aus der Grauzone“ Im Jahr 2007 haben die örtlichen Caritasverbände Olpe, Paderborn und Soest und der Caritasverband für das Erzbistum Paderborn e.V. vereinbart, gemeinsam Lösungen für die unbefriedigende Situation der nicht legalen Tätigkeit von Haushaltshilfen in deutschen Familien zu entwickeln. Es war zu klären, wie sie in dieser Situation Hilfestellung geben konnten und auf welche Weise die Arbeit der Haushalts- und Betreuungskräfte legal erbracht werden konnte. Zentral war die Frage, welches Beschäftigungsmodell geeignet ist. Die Möglichkeit der selbstständigen Tätigkeit der Haushalts- und Betreuungskräfte schied generell aus, da diese Art der Beschäftigung als Scheinselbstständigkeit einzustufen ist. Die Überlegung der Zusammenarbeit mit einer Vermittlungsagentur, die nach Deutschland entsendet, wurde ebenfalls verworfen, da die Rahmenbedingungen für die beschäftigten Frauen und Männer als zu wenig transparent bewertet wurden. Wir haben uns dann mit Caritas Polen zu dieser Fragestellung ausgetauscht. Der Caritasverband für das Erzbistum Paderborn e.V. und Caritas Polen pflegen seit vielen Jahren eine intensive Zusammenarbeit und das Engagement der deutschen Verbände stieß auf großes Interesse in Polen. Die polnischen Verbände betonten, dass die Frauen und Männer so oder so nach Deutschland gehen würden – ob auf legalem oder nicht legalem Wege – und sie haben entschieden, sich gemeinsam mit den deutschen Verbänden für eine faire und legale Beschäftigung zu engagieren. Die beteiligten Verbände haben in 2009 Folgendes beschlossen: Das Arbeitsverhältnis zwischen Familie und Haushalts- und Betreuungskräften soll als Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Modell organisiert werden. Auf Basis dieses Modells vermittelt unter anderem auch die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung der Bundesagentur für Arbeit Haushaltshilfen in deutsche Haushalte (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2015). Die Bezahlung der Beschäftigten erfolgt entsprechend dem Entgelttarifvertrag zwischen DHB-Netzwerk Haushalt und Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten für Beschäftigte in Pri54

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Grundlagen des Angebots Dieses Kapitel beschreibt zentrale Elemente des Angebots „Heraus aus der Grauzone“: die Aufgaben der polnischen und der deutschen Verbände, die Qualitätskriterien für den Einsatz einer Haushalts- und Betreuungskraft und die Kosten für die Beschäftigung einer solchen Kraft.

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vathaushalten im jeweiligen Bundesland. Die Caritasverbände in Polen sind erste Ansprechpartner für arbeitssuchende Frauen und Männer, die in einem deutschen Haushalt arbeiten wollen. Sie beraten sie zu den dortigen Arbeitsbedingungen. Die deutschen Verbände begleiten das Arbeitsverhältnis über den gesamten Zeitraum. Sie unterstützen die deutschen Familien bei der Administration und sind Ansprechpartner sowohl für die Pflegebedürftigen und deren Angehörige als auch für die beschäftigten Haushalts- und Betreuungskräfte. Das beschlossene Projekt erhielt den Titel „Heraus aus der Grauzone: Qualitätsgesicherter Einsatz polnischer Haushaltshilfen in deutschen Haushalten mit pflegebedürftigen Personen“. Mit der Kooperation zwischen den Caritasverbänden in Polen und Deutschland sollten die schutzwürdigen Interessen der Frauen und Männer aus Polen und ihrer Heimatfamilien und die der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen gewahrt werden. Zwischen 2009 und 2014 sind grundlegende Strukturen entwickelt worden, um diesen Anspruch zu gewährleisten. Sie werden im nächsten Kapitel erläutert.

Aufgaben der polnischen und deutschen Verbände Die Caritas Polen und der Caritasverband für das Erzbistum Paderborn e.V. haben 2009 eine Vereinbarung getroffen, die die Rahmenbedingungen für eine faire und legale Beschäftigung polnischer Haushalts- und Betreuungskräfte in deutschen Familien mit pflegebedürftigen Personen definiert. Diese Vereinbarung hat das Ziel, die Interessen der in Deutschland arbeitenden Frauen und Männer und ihrer Heimatfamilien und die Interessen der Menschen mit Unterstützungsbedarf und ihrer Angehörigen gleichermaßen zu schützen. Praktisch umgesetzt wird dieser Anspruch durch Diözesan-Caritasverbände in Polen und örtliche Caritasverbände in Deutschland. Zu diesem Zweck treten sie der Vereinbarung zwischen Caritas Polen und dem Caritasverband für das Erzbistum Paderborn e.V. bei. Sie übernehmen damit folgende Aufgaben. Wer pflegt Deutschland

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Diözesan-Caritasverbände in Polen Die Diözesan-Caritasverbände benennen einen Koordinator als Ansprechpartner für dieses Angebot. Die Koordinator der beteiligten Verbände informieren und beraten interessierte Frauen und Männer über eine Tätigkeit als Haushalts- und Betreuungskraft in Deutschland und die Rahmenbedingungen einer legalen Beschäftigung. Sie bereiten die interessierten Personen auf den Einsatz in Deutschland vor. Dazu gehören eine fachliche Schulung und das Angebot von Sprachkursen. Bei Bedarf begleiten die polnischen Verbände auch die Familien der in Deutschland arbeitenden Personen, damit auch Kinder und Angehörige in Polen sicher versorgt sind. Die Koordinatoren sind außerdem Ansprechpartner für die deutschen Verbände, die eine Haushalts- und Betreuungskraft für eine Familie in Deutschland suchen.

Örtliche Caritasverbände in Deutschland Die deutschen Verbände benennen ebenfalls jeweils einen Koordinator. Sie sind Ansprechpartner für die Koordinatoren der polnischen Diözesan-Caritasverbände, für die Haushalts- und Betreuungskräfte, die in Deutschland tätig sind, und für die Pflegebedürftigen und deren Angehörige. Sie sprechen in der Regel sowohl Deutsch als auch Polnisch. Sie beraten interessierte Personen mit Pflegebedarf und ihre Angehörigen über die Möglichkeiten und Rahmenbedingungen der legalen und fairen Beschäftigung einer ausländischen Haushalts- und Betreuungskraft. Sie unterstützen die Familien bei administrativen Fragen rund um das Arbeitsverhältnis und begleiten dieses über den gesamten Zeitraum. Sie begleiten die Haushalts- und Betreuungskraft in den ersten Tagen ihres Einsatzes und sorgen dafür, dass professionelle Pflegeleistungen durch Pflegefachkräfte durchgeführt werden. Sie unterstützen die Familien bei der Organisation ergänzender Betreuungsleistungen, um die freie Zeit der Haushalts- und Betreuungskraft und gleichzeitig die Versorgung der zu betreuenden Person sicherzustellen. Außerdem machen sie den Haushalts- und Betreuungskräften Angebote für sozialen Austausch und spirituelle Begleitung.

Qualitätskriterien für den Einsatz einer Haushalts- und Betreuungskraft Die Caritasverbände sind weder Arbeitgeber noch Entsender von Haushaltsund Betreuungskräften. Sie vermitteln lediglich den Kontakt zwischen ihnen und 56

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Menschen mit Unterstützungsbedarf und begleiten die Einsätze durch Koordinatoren. Arbeitgeber ist die zu betreuende Person beziehungsweise ihre Angehörigen. Mit dem Arbeitsvertrag ist die Haushalts- und Betreuungskraft sozialversichert, außerdem wird sie unfallversichert. Die Haushalts- und Betreuungskräfte, die im Rahmen dieses Angebots tätig sind, übernehmen Aufgaben der Haushaltsführung, unterstützen die zu betreuenden Personen durch einfache pflegerische Alltagshilfen und begleiten sie bei Freizeitaktivitäten innerhalb und außerhalb des Hauses. Diese Tätigkeiten erfordern keine besondere Berufsausbildung. Die Durchführung von Behandlungspflege und anderen pflegerischen Maßnahmen, die der pflegefachlichen Expertise bedürfen, ist Aufgabe von Pflegefachkräften und wird nicht von Haushalts- und Betreuungskräften übernommen. Um die Qualität der pflegerischen Versorgung zu gewährleisten, ist eine Zusammenarbeit mit dem ambulanten Pflegedienst oder einer Tagespflegeeinrichtung verbindlich. Diese Zusammenarbeit sorgt dafür, dass Pflegefachkräfte regelmäßig beurteilen, ob fachpflegerische Maßnahmen notwendig sind. Im Haushalt der zu betreuenden Person hat eine Haushalts- und Betreuungskraft Anspruch auf ein eigenes Zimmer. Sie hat Anrecht auf Privatsphäre, unter anderem um zu telefonieren und das Internet zu nutzen, damit sie ungestört Kontakt zu ihrer Familie halten kann. Die Betreuung ist keine 24-Stunden-Betreuung. Eine Haushalts- und Betreuungskraft arbeitet durchschnittlich 38,5 Stunden in der Woche. Ihre Freizeit kann sie nach eigenen Vorstellungen außerhalb des Hauses verbringen. Dazu gehören ein bis zwei freie Tage in der Woche und regelmäßige Pausen. Der Urlaubsanspruch beträgt 30 Tage bei einer 5-Tage-Woche bzw. 36 Tage bei einer 6-Tage-Woche. Im Krankheitsfall hat die Haushalts- und Betreuungskraft Anspruch auf Lohnfortzahlung. Für Zeiten, die nicht von ihr abgedeckt werden, werden individuelle Regelungen getroffen, zum Beispiel der Besuch des Pflegebedürftigen in einer Tagespflegeeinrichtung, die Übernahme der Betreuung durch Angehörige, der Einsatz einer zweiten Kraft oder die Nutzung anderer niedrigschwelliger Angebote. Auch ein Hausnotruf wird als geeigneter Baustein einer umfassenden Begleitung empfohlen. Diese Begrenzung der Arbeitszeiten überrascht einige Familien, die Unterstützung suchen, und wird von ihnen nicht in jedem Fall akzeptiert. Die Möglichkeit einer Rundum-die-Uhr-Betreuung wird oft als selbstverständlich angenommen und es ist eine wichtige Aufgabe des begleitenden Koordinators, zu erklären, dass das eben nicht so ist. Die Erfahrung zeigt jedoch auch, dass viele pflegebedürftige 57

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Tab. 3.1 Uhrzeit 8:15 bis 10:00

An 4 Tagen: Ganztägiger Einsatz der Haushaltsund Betreuungskraft • Unterstützung beim Aufstehen • Waschen, Duschen oder Baden • Zahnpflege • Kämmen • Rasieren • Toilettengang • Frühstück vorbereiten und ggf. Mahlzeit begleiten

An 2 Tagen: Besuch An 1 Tag: Freier Tag der Tagespflege der Betreuungskraft

• Unterstützung beim Aufstehen • Waschen, Duschen oder Baden • Zahnpflege • Kämmen • Rasieren • Toilettengang • Ggf. Erledigung hauswirtschaftlicher Tätigkeiten (wie Aufräumen, Reinigung, Wäsche, Einkaufen Tagespflege > freie 10:00 bis Pause � Betreuung durch 10:30 Hausnotrufdienst, Familien- Zeit der Betreuungsangehörige oder Nachbarn kraft 10:30 bis • Zubereitung Mittagessen 12:30 • Gemeinsame Mahlzeit • Toilettengang 12:30 bis Pause > Betreuung durch 14:30 Hausnotrufdienst, Familienangehörige oder Nachbarn

14:30 bis • Erledigung hauswirtschaft17:00 licher Tätigkeiten (wie Aufräumen, Reinigung, Wäsche, Einkaufen) • Ggf. Arztbegleitung • Spazierengehen o.Ä. 16:15 – Pause > Betreuung durch Nach dem Besuch 18:30 Hausnotrufdienst, Familien- der Tagespflege > angehörige oder Nachbarn Betreuung durch Hausnotrufdienst, Familienangehörige oder Nachbarn

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Körperpflege durch den ambulanten Pflegedienst (Vereinbarung der entsprechenden Aufgaben)

Betreuung durch Hausnotrufdienst, Familienangehörige, oder Nachbarn oder Betreuungsangebot (gem. § 45b SGB XI) Gemeinsames Mittagessen mit der Familie (kann bei Bedarf durch Pflegedienst übernommen werden) Gemeinsamer Nachmittag mit der Familie oder Betreuungsangebot gem. § 45 b SGB XI (kann bei Bedarf durch Pflegedienst übernommen werden)

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Ab 20:30 Freie Zeit der Haushaltsund Betreuungskraft > Betreuung durch Hausnotrufdienst oder Familienangehörige

Freie Zeit der Betreuungskraft (an einem Abend mit Tagespflege und am freien Tag): Abendessen mit der Familie (kann bei Bedarf durch Pflegedienst übernommen werden) Betreuungsangebot (gem. § 45 b SGB XI) oder Verhinderungspflege (gem. § 39 SGB XI) Körperpflege durch den Pflegedienst (Vereinbarung der entsprechenden Aufgaben) Freie Zeit der HausBetreuung durch halts- und BetreuHausnotrufdienst ungskraft > Betreuung oder Familienangedurch Hausnotrufhörige dienst oder Familienangehörige

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18:30 bis Begleitung durch Betreuungskraft (an 4 Tagen und 20:30 an einem Abend mit Tagespflege): • Zubereitung Abendessen • Gemeinsame Mahlzeit • Toilettengang • Waschen • Zahnpflege • Unterstützung beim Zu-Bett-Gehen

Wochenplan für die Einsatzzeiten einer Haushalts- und Betreuungskraft

Menschen durchaus auch eine Zeitlang ohne Begleitung sein können und dass bei Bedarf oftmals doch auch Angehörige oder Bekannte eine notwendige Begleitung übernehmen können. Der folgende Wochenplan zeigt ein Beispiel für die Einsatzzeiten einer Haushalts- und Betreuungskraft.

Kosten für die Beschäftigung einer Haushalts- und Betreuungskraft In der folgenden Übersicht sind die Arbeitgeberkosten für die Beschäftigung einer Haushalts- und Betreuungskraft zusammengestellt. Wer pflegt Deutschland

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Tab. 3.2 Monatlich: Bruttogehalt gem. Tarifvertrag (z. B. NRW) Sozialversicherungsbeiträge Begleitung durch Koordinator Im 1. Monat Im 2. Monat Auf Wunsch Übernahme der Gehaltsabrechnung Jährlich: Gesetzliche Unfallversicherung (je nach Bundesland) Unregelmäßig: An- und Abreisekosten bei Wechsel der Betreuungskraft

1.604,00 € Ca. 400,00 € 399,50 € 99,00 € 30,00 € 35,00 – 70,00 € 120,00 – 180,00 €

(Stand März 2016)

Der sich im Laufe dieses Projekts eingebürgerte Begriff „Caritas24“ impliziert eine 24-Stunden-Betreuung durch eine Haushalts- und Betreuungskraft, was jedoch nicht möglich ist. Seitens der Caritas kann jedoch dafür Sorge getragen werden, dass über 24 Stunden eine Absicherung erfolgt. Der Begriff „Caritas24“ wird zukünftig durch die Kurzform „CariFair“ ersetzt.

Evaluation des Projekts in 2014 Mit diesem Projekt haben sich die beteiligten Caritasverbände in ein Feld begeben, das wenig reguliert und durch einen hohen Anteil von Schwarzarbeit gekennzeichnet ist. Gesellschaft und Politik wissen um die problematische Situation aller Beteiligten, aber es gibt bisher nur wenige Ansätze, diese zu ordnen. Im Jahr 2013 hat der Caritasverband für das Erzbistum Paderborn e.V. das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung e.V. (dip) beauftragt, die Effekte dieses Projekts zu untersuchen. Ziel war es, die Wirksamkeit der Versorgung und Betreuung und die Zufriedenheit aller am Projekt beteiligten Akteure zu erfassen, aber auch Verbesserungspotenziale und Veränderungsbedarfe zu identifizieren. Die Ergebnisse der Untersuchung sollten letztlich darüber entscheiden, ob das Projekt „Heraus aus der Grauzone“ beendet oder als Regelangebot fortgeführt werden sollte. Im Zuge der Untersuchung sind die Familien, die eine Haushalts- und Betreuungskraft beschäftigen, die Haushalts- und Betreuungskräfte selbst und 60

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auch die Koordinator aus Polen und aus Deutschland befragt worden. Die Untersuchung hat insgesamt ein hohes Maß an Zufriedenheit mit den Leistungen und Angeboten festgestellt (vgl. Isfort/von der Malsburg 2014, S. 54f). Gleichwohl hat das dip verschiedene Hinweise für die Weiterentwicklung gegeben, die im Folgenden in Auszügen erläutert werden (vgl. Isfort/von der Malsburg 2014, S. 56ff): –– Ausbau und Förderung der Sprachkompetenz: In der Vorbereitung auf den Einsatz in Deutschland besuchen viele der Haushalts- und Betreuungskräfte einen Sprachkurs. Allerdings sind diese Kurse für einen Teil der Frauen und Männer nicht ausreichend, gerade wenn sie noch keine Deutschkenntnisse haben. Daher ist es notwendig, begleitend zur Tätigkeit in Deutschland weiterhin Sprachkurse anzubieten. –– Ausbau und Förderung der fachlichen Kompetenz: Laut dip sind die grundlegenden Kenntnisse der Haushalts- und Betreuungskräfte für die Begleitung alter Menschen ausreichend. Verbesserungsbedarfe gibt es allerdings im Umgang mit demenziellen Erkrankungen. Auch einzelne pflegerische Alltagshilfen, etwa die Unterstützung bei der Mobilität, könnten mit entsprechender Schulung sicherer ausgeführt werden. Als wichtig wird auch das Wissen über deutsche Kultur und besonders die Essgewohnheiten bewertet, das im Rahmen der Vorbereitung auf den Einsatz noch verbessert werden muss. –– Ausbau und Förderung der Arbeit der Koordinatoren: Die Arbeit der Koordinatoren in Polen und in Deutschland ist von enormer Bedeutung für die Zufriedenheit der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen und die der Haushalts- und Betreuungskräfte. Sie muss durch eine stabile Finanzierung gesichert werden. –– Ausbau und Förderung der Kommunikationswege und -werkzeuge: „Kommunikation und Informationsweitergabe sind der Dreh- und Angelpunkt, um die Zufriedenheit aller Beteiligten im Projekt „Heraus aus der Grauzone“ zu erhöhen […]“ (Isfort/von der Malsburg 2014, S. 60). Vor allem in der Anfangsphase sind ausführliche und klare, auch wiederholte, Informationen und eine enge Begleitung erforderlich. Nur so können die Erwartungen der Beteiligten geklärt und abgestimmt werden. Standardisierte Informationen können den Familien mit Unterstützungsbedarf und auch den arbeitssuchenden Frauen und Männern vorab bereits Orientierung geben.

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Die grundsätzlich positiven Ergebnisse haben uns bestärkt, das bisherige Projekt „Heraus aus der Grauzone“ – unter Berücksichtigung der Empfehlungen des dip – weiterzuentwickeln, daraus ein Regelangebot zu machen und dieses stärker zu verbreiten.

Weiterentwicklung vom Projekt zum Regelangebot Derzeit bieten 21 Caritasverbände in Deutschland das Angebot CariFair. Sie begleiten etwa 350 Familien mit pflegebedürftigen Personen. Die zunehmenden Nachfragen von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen und auch das Interesse von Nicht-Caritas-Verbänden weisen auf einen verstärkten Bedarf zur Ausweitung des Angebots hin. Die Übertragung auf eine größere Zahl von Verbänden und Trägern kann dafür sorgen, dass mehr Pflegebedürftige und deren Angehörige die Möglichkeit hätten, eine Haushalts- und Betreuungskraft legal zu beschäftigen. Gleichzeitig hätten damit mehr Frauen und Männer aus mittel- und osteuropäischen Ländern die Chance, unter fairen Bedingungen zu arbeiten. Ausgehend von den Vorschlägen des dip zur Weiterentwicklung des Projekts „Heraus aus der Grauzone“ arbeiten wir derzeit an folgenden Schwerpunkten: Eine Internetseite wird zukünftig alle Beteiligten und Interessierten umfassend und grundlegend über das Angebot informieren. Sie wird sich an Pflegebedürftige und ihre Angehörigen, an arbeitssuchende Frauen und Männer (auch in Polnisch) und an beteiligte und interessierte Verbände und Träger richten. Ergänzend dazu werden Informationsbroschüren erstellt. Als weitere Maßnahme werden die polnischen Verbände, in denen die Koordinatoren derzeit zum Teil ehrenamtlich tätig sind, eine Aufwandserstattung zur Refinanzierung ihres Engagements erhalten, um einen verlässlichen Einsatz zu gewährleisten. Die polnischen Koordinatoren werden zukünftig definierte Schulungen zur Verbesserung der fachlichen und sprachlichen Kompetenz der Haushalts- und Betreuungskräfte durchführen. In Deutschland werden ergänzende Sprachkurse angeboten, außerdem können die Beschäftigten an Fachschulungen teilnehmen, die die einzelnen Verbände ohnehin durchführen. Mittelfristig soll die Qualifizierung der Haushalts- und Betreuungskräfte in Anlehnung an die Richtlinien nach § 87b SGB XI erfolgen. Im Weiteren setzen wir uns dafür ein, dass die Tätigkeit einer entsprechend geschulten Kraft als niedrigschwelliges Entlastungsangebot im Sinne des § 45b SGB XI anerkannt wird. Damit könn62

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ten mehr Betroffene als bisher von der Beschäftigung einer Haushalts- und Betreuungskraft profitieren. Wir engagieren uns außerdem dafür, dass auch weitere (Nicht-Caritas-) Verbände dieses Angebot in ihr Portfolio aufnehmen. Es wird eine Fachtagung zur Information interessierter Verbände und Träger stattfinden, darüber hinaus können diese sich durch den Caritasverband für das Erzbistum Paderborn e.V. zu diesem Thema beraten lassen. Zentrale Aspekte für den qualitätsgesicherten Einsatz von Haushalts- und Betreuungskräften sind nicht Caritas-spezifisch und können von allen engagierten Verbänden etabliert werden: der Einsatz einer zweisprachigen Koordinatorin, die verbindliche Qualifizierung der Haushalts- und Betreuungskräfte, die Regelung der Arbeitsbedingungen und die Sicherung pflegefachlicher Anforderungen durch Zusammenarbeit mit einer Sozialstation und/oder Tagespflegeeinrichtung. Bisher war das Konzept auf den Einsatz arbeitssuchender Frauen und Männer aus Polen beschränkt. Zukünftig sollen auch Personen, die derzeit in nicht legalen Beschäftigungsverhältnissen bzw. in der Grauzone zwischen Legalität und Illegalität in Deutschland tätig sind, gezielt angesprochen werden. All diese Maßnahmen sollen einen qualitätsgesicherten Einsatz mittel- und osteuropäischer Haushalts- und Betreuungskräfte befördern und eine sichere Begleitung gewährleisten. Sowohl die Rechtmäßigkeit als auch die Qualität der sogenannten „24-Stunden-Betreuungen“ könnten auf diese Weise zunehmend gesichert werden. Verbände, die dieses Angebot etabliert haben, berichten, dass stationäre Angebote wahrscheinlich etwas weniger nachgefragt werden, da ein längerer Verbleib in der Häuslichkeit möglich wird. Einzelne Leistungen aus dem ambulanten Bereich, die keine pflegefachliche Expertise benötigen, werden weniger in Anspruch genommen, da sie durch Haushalts- und Betreuungskräfte übernommen werden. Die Tagespflege und die Kurzzeitpflege werden von den meisten Pflegebedürftigen, die durch eine Haushalts- und Betreuungskraft begleitet werden, regelmäßig genutzt. Mit dem Angebot CariFair werden auch neue Kunden gewonnen. Die Erfahrung zeigt aber auch, dass dieses Angebot keines ist, das die Einnahmen der Verbände langfristig steigert. Das Motiv für dieses Angebot ist und bleibt das Engagement für eine legale Beschäftigung unter fairen Bedingungen.

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Literatur Bundesagentur für Arbeit. Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (2015): Vermittlung europäischer Haushaltshilfen. URL: https://www.arbeitsagentur.de/web/content/DE/BuergerinnenUndBuerger/ArbeitundBeruf/ Vermittlung/Haushaltshilfen/index.htm (Stand: 23.03.2016). Isfort, Michael; von der Malsburg, Andrea (2014): Evaluation des Projektes Heraus aus der Grauzone – Qualitätsgesicherter Einsatz polnischer Haushaltshilfen in deutschen Familien mit pflegebedürftigen Angehörigen. URL: http://www.caritas-paderborn.de/beraten-helfen/alter-pflege/raus-aus-der-grauzone (Stand: 23.03.2016). Deutscher Caritasverband e.V. (2014): Information des Deutschen Caritasverbandes zu den Rahmenbedingungen der Beschäftigung von Haushaltshilfen in Haushalten von Pflegebedürftigen. URL: http://www.caritas.de/hilfeundberatung/ratgeber/alter/pflegeundbetreuung/haushaltshilfen-legal-beschaeftigen (Stand: 23.03.2016). Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen (2015): Ausländische Haushalts- und Betreuungskräfte in Privathaushalten. URL: https://www.verbraucherzentrale.nrw/neue-broschuere-der-verbraucherzentrale-nrw-alshilfreicher-wegweiser--auslaendische-haushalts--und-betreuungskraefte-im--grauen--pflegemarkt (Stand: 23.03.2016).

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Die „24-Stunden-Betreuung“ in Österreich Konzepte und Lösungen vom Nachbarn

Walter Marschitz

Unter 24-Stunden-Betreuung (oftmals auch als „24-Stunden-Pflege“ bezeichnet) versteht man die Betreuung pflegebedürftiger Menschen in ihrem Privathaushalt durch meist osteuropäische Pflegekräfte. In der Regel wohnen diese Pflegekräfte beim Kunden, meist wechseln sich zwei Pflegekräfte in einem zweiwöchigen Turnus in der Betreuung ab. Dieses vormals im rechtlichen Graubereich angesiedelte Angebot ist in Österreich seit 2007 legalisiert und hat sich mittlerweile zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Altenbetreuungslandschaft entwickelt. So werden durch die 24-Stunden-Betreuung annähernd halb so viele Menschen betreut wie im Pflegeheim.

Geschichte Rund um die Jahrtausendwende waren in Österreich verstärkt Pflegekräfte aus Osteuropa in Privathaushalten tätig. Der Zusammenbruch des kommunistischen Ostens hatte dazu geführt, dass insbesondere Pflegekräfte aus der ehemaligen Tschechoslowakei, die damals so etwas wie ein Kompetenzzentrum für den Krankenpflegebereich im Warschauer Pakt gebildet hat, nach Österreich kamen. Das Wochenpendlermodell verbunden mit den geringen Entfernungen ermöglichte es diesen Kräften, ihren Lebensmittelpunkt in ihrem Heimatland zu behalten. Durch das starke Lohngefälle zwischen Österreich und ihren Herkunftsländern war die Tätigkeit ökonomisch attraktiv, obwohl die Bezahlung gemessen an österreichischen Maßstäben gering war. Mit der EU-Osterweiterung 2004 war es für diese Personen noch leichter, nach Österreich einzureisen, die Zahl der 24-Stunden-Betreuungen stieg stark an. Allerdings hatte Österreich in den Beitrittsverhandlungen eine siebenjährige Übergangsfrist für die volle Freizügigkeit am Arbeitsmarkt vereinbart, weswegen eine legale Beschäftigung grundsätzlich erst mit 1. Mai 2011 möglich war. Wer pflegt Deutschland

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Begriffsdefinition

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Im Zuge der Nationalratswahl 2006 rückte die Pflege erstmals in den Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung. Fälle von behördlicher Verfolgung der mit der 24-Stunden-Betreuung verbundenen mehrfachen Rechtsverletzungen (Ausländerbeschäftigungsrecht, Sozialversicherungsrecht, Arbeitsrecht, Berufsrecht etc.) führten zu einer öffentlichen Diskussion, in deren Folge bekannt wurde, dass sowohl Angehörige des Bundeskanzlers als auch des Bundespräsidenten auf diese Weise betreut wurden. Nunmehr ließ sich das Thema nicht mehr weiter negieren. Schon einige Jahre zuvor hatten die Pflegeorganisationen gemeinsam vergeblich versucht, die Aufmerksamkeit der Politik auf dieses Thema zu lenken. Neben dem Druck der Kunden auf die etablierten Pflegeorganisationen, warum sie dieses gefragte Angebot nicht selbst anbieten konnten, war es vor allem ein Problem, das die Organisationen beschäftigte: Wie geht man damit um, wenn sich im Zuge der mobilen Pflege herausstellt, dass im Haushalt auch eine 24-Stunden-Kraft tätig ist? Eigentlich hätten die Organisationen das den Behörden melden müssen, was aber unweigerlich zur Empörung bei den Kunden und zu einem massiven Vertrauensverlust geführt hatte. Für die diplomierten Krankenpflegepersonen stellte sich die Frage, wieweit sie diese Personen für pflegerische Tätigkeiten einschulen und anleiten konnten bzw. wie die Zusammenarbeit mit ihnen zu gestalten wäre. Die Regierung unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel versuchte, das Thema im Wahlkampf noch klein zu halten, einer jener Fehler, der schließlich zu ihrer Abwahl geführt hat. Das Hilfswerk war damals eine der ersten Organisationen, die eine legale Lösung vorschlugen. Als rechtlicher Rahmen diente dabei das „alte“ Hausangestelltengesetz, das die Beschäftigung von im Haushalt tätigen Personen regelte. Diese Lösung wurde später auch als eine der Möglichkeiten aufgegriffen, findet aber in der Praxis kaum Anwendung. Nach der Wahl wurde eine Pflegereformkommission ins Leben gerufen und an einer umfassenden Lösung für das Problem gearbeitet. Neben Regelungen für die Zukunft sollte es auch eine Amnestie für vergangene Rechtsverstöße geben. Neben der Lösung über das Hausangestelltenrecht wurde insbesondere von Seiten der österreichischen Wirtschaftskammer ein Selbstständigenmodell über eine Gewerbeanmeldung ins Spiel gebracht. Diese Lösung bringt für das System zwei entscheidende Vorteile mit sich: Zum ersten kommen damit das Arbeitszeitrecht und die damit verbundenen Einschränkungen (Ruhezei66

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ten, Arbeitsbereitschaft etc.) nicht zur Anwendung, insbesondere kann damit die gelebte Praxis mit den zweiwöchigen Turnuszeiten gedeckt werden. Zum zweiten gelten für Selbstständige keine Entgeltvorschriften, was diese Rechtsform viel günstiger macht als ein Angestelltenmodell. Gegen diesen Vorschlag wurden vor allem rechtliche Bedenken geäußert, weil die Tätigkeit als Betreuer eher arbeitnehmerähnlich als selbstständig gesehen wurde. Bis heute sind diese Bedenken nicht ausgeräumt. Schließlich wurde im Juni 2007 das Hausbetreuungsgesetz (BGBl. I Nr. 33/2007) beschlossen, das mit 1. Juli 2007 in Kraft getreten ist. Im März 2008 wurden mit dem Gesundheitsberufe-Rechtsänderungsgesetz die berufsrechtlichen Regelungen geschaffen. Teil der rechtlichen Lösung war auch eine Amnestie für Rechtsverstöße, die sich aus der illegalen Inanspruchnahme einer 24-Stunden-Betreuung vor 2008 ergeben haben, die Verankerung der Kompetenzen der Personenbetreuer im Berufsrecht der Pflegeberufe sowie eine öffentliche Förderung für dieses Modell. Im November 2007 begann das Hilfswerk Österreich, der größte Anbieter mobiler Pflege in Österreich, sein Angebot in diesem Bereich. Auch andere etablierte Träger wie die Caritas oder die Volkshilfe (österreichische Schwesterorganisation der deutschen Arbeiterwohlfahrt, AWO) erweiterten ihr Angebot.

Das Hilfswerk Österreich als Anbieter von Personenbetreuungsleistungen Das Hilfswerk Österreich ist eine in Österreich gegründete gemeinnützige Sozialorganisation, die mit einem Umsatz von 270 Mio. Euro und fast 10.000 Mitarbeitern heute zu den größten Trägern privater Wohlfahrt in Österreich gehört. Die Vorläuferorganisation des Hilfswerks, der Österreichische Wohlfahrtsdienst, begann seine Tätigkeit 1947 mit Nachkriegshilfe. Seit den 70er-Jahren ist das Hilfswerk in einzelnen Bundesländern im Bereich der sozialen Dienstleistungen aktiv, seit 1988 besteht ein österreichweiter Dachverband. Die Tätigkeitsschwerpunkte liegen im Bereich der Pflege und Betreuung, hier insbesondere bei der mobilen Pflege sowie im Bereich der Kinderbetreuung, insbesondere bei Tagesmüttern und Kinderbetreuungseinrichtungen. Darüber hinaus bietet das Hilfswerk eine breite Palette an sozialen Dienstleistungen an und ist auch im Bereich der internationalen Entwicklungszusammenarbeit und Katastrophenhilfe aktiv. Wer pflegt Deutschland

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Seit der Legalisierung 2007 bietet das Hilfswerk in einer eigenen Gesellschaft (Hilfswerk-Personaldienstleistungs-GmbH) auch die Vermittlung und Begleitung von 24-Stunden-Betreuung durch selbstständige Personenbetreuer/innen an und gehört mit über 700 laufenden Kunden und über 1.400 vermittelten Personenbetreuern auch hier zu den größten österreichischen Anbietern. Das Hilfswerk war in die österreichische Diskussion zur Regelung der 24-Stunden-Betreuung intensiv eingebunden. Der Autor dieses Beitrages war als Geschäftsführer am Aufbau dieser Dienstleistung maßgeblich beteiligt.

Das System der 24-Stunden-Betreuung in Österreich Die arbeitsrechtliche Stellung der Personenbetreuer Das Hausbetreuungsgesetz, welches das rechtliche Rückgrat für die Personenbetreuung in Österreich bildet, sieht prinzipiell drei Formen des Angebots vor: –– Die Anstellung der Personenbetreuer bei einem Träger (Angestelltengesetz, Sozialwirtschafts-Kollektivvertrag). –– Die Anstellung in einem Haushalt (Hausangestelltengesetz, Mindestlohntarif). –– Selbstständige Personenbetreuer (Gewerbeordnung, keine Arbeitszeitund Entlohnungsvorschriften). In der Praxis hat sich fast ausschließlich die Selbstständigenvariante durchgesetzt. Für die Anstellung der Personenbetreuer bei einem Träger ist es nicht gelungen, kollektivvertragliche Rahmenbedingungen zu vereinbaren, die das Angebot für die Betroffenen leistbar machen könnten. Insbesondere ist ein zweiwöchiger Turnus unter den Rahmenbedingungen des Sozialwirtschafts-Kollektivvertrags nicht möglich (max. Zehn-Tages-Turnus möglich). Die Anstellung im Haushalt, die Lösung, die rechtsdogmatisch die Betreuungsverhältnisse vermutlich am besten abbildet, scheitert auch an den hohen Kosten, die sich aus den Bestimmungen des Hausangestelltenge68

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Exkurs: Sozialwirtschaft-Kollektivvertrag Seit Mai 2006 unterliegen praktisch alle Arbeitsverhältnisse im Sozialbereich in Österreich kollektivvertraglichen Bestimmungen. Leitkollektivvertrag ist dabei der Sozialwirtschafts-Kollektivvertrag (ursprünglich BAGS-Kollektivvertrag), der für alle Mitarbeiter gilt, deren Arbeitgeber nicht einem anderen Kollektivvertrag unterliegen (beispielsweise den Kollektivverträgen kirchlicher Organisationen). Zusätzlich gibt es noch in einigen Bereichen Mindestlohntarife, so dass praktisch die gesamte Branche Mindestentgeltbestimmungen unterliegt. Der Sozialwirtschaftskollektivvertrag wurde nach mehr als sechsjährigen Verhandlungen zwischen der Berufsvereinigung von Arbeitgebern für Gesundheits- und Sozialberufe (BAGS) und der Gewerkschaft der Privatangestellten, der Gewerkschaft Handel, Transport und Verkehr sowie der Gewerkschaft Hotel, Gastgewerbe und Persönlicher Dienst abgeschlossen. Geltungsbeginn war der 1. Juli 2004.

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setzes (z. B. 15 Monatsgehälter) und dem Mindestlohntarif für Hausangestellte ergeben. So gibt es nur vereinzelte Fälle, die über dieses Modell abgewickelt werden. Selbstständige Personenbetreuer müssen bei der österreichischen Gewerbebehörde ein eigens für dieses Angebot geschaffenes Gewerbe anmelden, für das allerdings nur formale Voraussetzungen und kein Eignungstest erforderlich sind. Die Personenbetreuer sind nach der Gewerbeanmeldung bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen in Pensions-, Krankheits-, und Unfallversicherung pflichtversichert und in das österreichische System der Mitarbeitervorsorge eingebunden. Eine Arbeitslosenversicherung kann freiwillig abgeschlossen werden.

Das Gewerbe der Personenbetreuung Die Betreuungsperson muss vor der Aufnahme ihrer Tätigkeit das freie Gewerbe der Personenbetreuung anmelden. Voraussetzungen für die Anmeldung sind die Vollendung des 18. Lebensjahres und das Fehlen von Gewerbeausschließungsgründen, wie Finanzstrafdelikte oder gerichtliche Verurteilung. Diese sind durch eine Strafregisterbescheinigung des Heimatstaates nachzuweisen. Für die Anmeldung ist eine österreichische Adresse notwendig, weswegen die meisten Personenbetreuer bei den von ihnen betreuten Kunden polizeilich gemeldet sind. Wer pflegt Deutschland

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Die Gewerbeanmeldung ist sofort rechtswirksam, mittels Gebührenbefreiung nach dem Neugründungsförderungsgesetz fallen auch keine Gebühren an. Mit der Anmeldung verbunden ist eine beitragspflichtige Sozialversicherung und die Mitgliedschaft bei der Österreichischen Wirtschaftskammer, für die ein jährlicher Mitgliedsbeitrag von 80 Euro zu entrichten ist. Für das Gewerbe der Personenbetreuung wurden per Verordnung des Wirtschaftsministeriums eigene Standesregeln erlassen. Bis 2015 gab es für Personenbetreuer und Vermittlungsagenturen die gleiche Gewerbeberechtigung und Standesregeln. 2015 wurde schließlich das Gewerbe der „Vermittlung von Personenbetreuung“ mit eigenen Standesregeln neu geschaffen. Die Standesregeln für die Vermittlung von Leistungen in der Personenbetreuung umfassen dabei insbesondere folgende Punkte: –– Transparenz hinsichtlich der Leistungsinhalte und Kosten, –– Mindestinhalte von Organisationsvertrag (Vertrag zwischen Agenturen und Personenbetreuer) und Vermittlungsvertrag (Vertrag zwischen Agenturen und Kunden/betreuten Personen), Beginn und Dauer, Leistungsinhalte, Kosten, Auflösungsbestimmungen, Transparenz bei Nebenleistungen (z. B. Transport), –– Dokumentationspflichten, –– Erhebung von Betreuungsbedarf und Betreuungssituation vor Ort, –– Eignungsfeststellung (samt Dokumentation) hinsichtlich des vermittelten Personenbetreuers.

Die sozialversicherungsrechtliche Absicherung der Personenbetreuer Die selbstständigen Personenbetreuer sind pflichtversichert (SVA – Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft) und selbst für die Entrichtung der Sozialabgaben und Steuern verantwortlich. Die Bemessung der Beiträge zur Sozialversicherung erfolgt auf Basis des Einkommensteuerbescheides. Im Detail berechnen sich die Sozialversicherungsbeiträge wie folgt (Werte für das Jahr 2016): –– Pensionsversicherung: 18,5 Prozent der Beitragsgrundlage bzw. 133,85 Euro/Monat bei Neugründern,

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–– Krankenversicherung: 7,65 Prozent der Beitragsgrundlage bzw. 31,80 Euro/Monat bei Neugründern, –– Unfallversicherung: 9,11 Euro/Monat (Fixbetrag), –– Selbstständigenvorsorge: 1,53 Prozent der Beitragsgrundlage in der Pensionsversicherung (für Neugründer 6,36 Euro pro Monat).

Die Vertragsgestaltung Wenn ein Personenbetreuer über eine Agentur vermittelt wird, kommt in der Regel ein Dreiecksverhältnis zum Tragen. Zwischen Personenbetreuer und betreuter Person bzw. deren Angehörigen oder Vertreter wird ein Werkvertrag über Leistungen in der Personenbetreuung geschlossen. Dieser Vertrag regelt das Betreuungsverhältnis, das Honorar und die zu erbringenden Leistungen. Die Agentur schließt mit den Kunden einen Vermittlungsvertrag, der in der Regel die Vermittlung geeigneter Personenbetreuer, die Ersatzvermittlung bei Ausfall einer Betreuungskraft sowie eine laufende Begleitung und Qualitätskontrolle beim Betreuungsverhältnis beinhaltet. Zudem werden Vermittlungsgebühren und Vergütung für die laufende Begleitung vereinbart. Die Leistungen unterscheiden sich in Umfang, Qualität und Preis zwischen den einzelnen Agenturen stark (siehe Abb. 1, Seite 72). Schließlich wird zwischen Agentur und Personenbetreuer ein Organisationsvertrag geschlossen. Dieser regelt die Bedingungen, unter denen die Agentur Vermittlungen durchführt, zusätzliche Betreuungsleistungen seitens der Agenturen (wie Unterstützung bei administrativen Angelegenheiten und Behördenwegen) sowie die Entgelte dafür. Auch hier gibt es große Unterschiede zwischen den Agenturen, was auch immer wieder Gegenstand öffentlicher Kritik am System ist. Viele Personenbetreuer sind ohne Vermittlungsagentur tätig. Die Vermittlung erfolgt über persönliche Netzwerke, die Angehörigen der Kunden helfen oft bei den bürokratischen Dingen. Zusätzlich gibt es auch „informelle“ Vermittlungsstrukturen, bei denen die Grenze zur Korruption oder Missbrauch von Matchingfunktionen im Gesundheitswesen fließend sind.

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In den ersten beiden Kalenderjahren sind die Beiträge zur Sozialversicherung etwas geringer (Jungunternehmerförderung).

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Werkvertrag (PB mit Kunde)

Vermittlungsvertrag (Agentur mit Kunde)

Organisationsvertrag (Agentur mit PB)

Abb.: 1

Bemerkenswert ist, dass die Legalisierung des Angebots im Gegensatz zu den Erwartungen nicht zu einer Marktbereinigung und -konzentration geführt hat, sondern im Gegenteil eine Vielzahl an neu entstandenen Anbietern am Markt tätig sind.

Kompetenzen der Personenbetreuer Die in der „24-Stunden-Betreuung“ tätigen Personenbetreuer dürfen u.a. die folgenden einfachen Betreuungstätigkeiten durchführen: –– Haushaltsnahe Dienstleistungen (Zubereitung von Mahlzeiten, Vornahme von Besorgungen, Reinigungstätigkeiten, Durchführung von Hausarbeiten und Botengängen, Sorgetragung für ein gesundes Raumklima, Betreuung von Pflanzen und Tieren, Wäscheversorgung etc.), –– Unterstützung bei der Lebensführung (Gestaltung des Tagesablaufs, Hilfestellung bei alltäglichen Verrichtungen), –– Gesellschafterfunktion (Gesellschaft leisten, Führung von Konversation, Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Kontakte, Begleitung bei diversen Aktivitäten). Zusätzlich dürfen Personenbetreuer folgende pflegerische Tätigkeiten ohne Aufsicht durchführen, solange keine medizinischen Gründe vorliegen, die eine Anordnung notwendig machen: 72

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–– Unterstützung bei der oralen Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme sowie bei der Arzneimittelaufnahme, –– Unterstützung bei der Körperpflege, –– Unterstützung beim An- und Auskleiden, –– Unterstützung bei der Benutzung von Toilette oder Leibstuhl einschließlich Hilfestellung beim Wechsel von Inkontinenzprodukten, –– Unterstützung beim Aufstehen, Niederlegen, Niedersetzen und Gehen, Transfer. Folgende ärztliche Tätigkeiten dürfen nach schriftlicher, ärztlicher Anordnung mit Anleitung und Unterweisung durch die diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegeperson oder den Arzt durchgeführt werden: –– Verabreichung von Arzneimitteln, –– Anlegen von Bandagen und Verbänden, –– Verabreichen von subkutanen Insulininjektionen und/oder subkutanen Injektionen von blutgerinnungshemmenden Arzneimitteln, –– Blutentnahme aus der Kapillare zur Bestimmung des Blutzuckerspiegels mittels Teststreifen, –– einfache Wärme- und Lichtanwendungen. Für die Delegation sind folgende Voraussetzungen notwendig: –– Es muss eine Anordnung eines Arztes bzw. einer diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegeperson hinsichtlich der Tätigkeiten vorliegen. –– Arzt bzw. Pflegepersonal muss sich vergewissern, dass der Personenbetreuer über die erforderlichen Fähigkeiten verfügt. –– Die diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegeperson hat die Anleitung und Unterweisung hinsichtlich der Durchführung der Tätigkeiten und die Anordnung zu dokumentieren. –– Der Personenbetreuer ist verpflichtet, die Durchführung der angeordneten Tätigkeiten ausreichend und regelmäßig zu dokumentieren. Er ist verpflichtet, alle Informationen weiterzugeben, die für die Anordnung von Bedeutung sein könnten. Die pflegerischen bzw. ärztlichen Tätigkeiten sind auf den Privathaushalt der zu betreuenden Person beschränkt und dürfen nur befristet (höchstens auf die Dauer des Betreuungsverhältnisses) sowie nach Einwilligung der betreuten Person (oder ihres gesetzlichen Vertreters) durchgeführt werden. Wer pflegt Deutschland

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Leistungen und Kosten einer Agentur am Beispiel des Hilfswerks Die Leistungen des Hilfswerks im Rahmen der 24-Stunden-Betreuung umfassen – ähnlich wie bei anderen Agenturen – folgende Bereiche: –– Rekrutierung der Personenbetreuer, direkt oder mithilfe einer Personalagentur im Heimatland (Kriterien: Ausbildung, Sprache, Erfahrung), –– persönlicher Erstbesuch beim Kunden, Beratung, Erstellung eines Anforderungsprofils, Abschluss eines Vermittlungsauftrags, –– Suche nach geeigneten Betreuern, –– Einschulung der Personenbetreuer auf das System der Personenbetreuung, Organisation Erstanreise, Gewerbeanmeldung, Vertragsgestaltung, Hilfe bei den Förderungsanträgen, –– Einschulung vor Ort, –– Laufende Begleitung, Delegation, Problemlösung, Qualitätssicherung, Ersatzstellung. Für diese Leistungen wird vom Hilfswerk eine Vermittlungsgebühr von 590 Euro (einmalig) sowie ein monatlicher Beitrag von 239 Euro (Stand: 2016) verrechnet. Dazu kommen die Kosten für eine Gruppen-Haftpflichtversicherung (für zwei Betreuer) von 9 Euro monatlich. Das Honorar der Personenbetreuer variiert je nach Schwere des Betreuungsfalls und Anzahl der betreuten Personen und reicht von 68 Euro/Tag (für eine betreute Person) bis 108,20 (Betreuung von zwei Personen durch diplomiertes Pflegepersonal). Zusätzlich bezahlen die Kunden in der Regel die Fahrtkosten vom Heimatzum Betreuungsort und gewähren freie Kost und Logis. Insgesamt müssen Kunden mit monatlichen Kosten von etwa 2.500 bis 2.800 Euro rechnen, unter Berücksichtigung der Förderungen bleibt ein Nettoaufwand von ca. 1.300 bis 1.600 Euro.

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Förderungen Insgesamt wird das System der 24-Stunden-Betreuung auf drei Wegen gefördert:

Weitere Voraussetzungen sind, dass die Personenbetreuer bei der Sozialversicherung angemeldet sind und Beiträge bezahlt werden. Zusätzlich muss für die Förderung der 24-Stunden-Betreuung noch eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt werden: –– Die Personenbetreuer müssen entweder eine theoretische Ausbildung, die im Wesentlichen derjenigen einer Heimhilfe entspricht (ca. 200 Stunden), nachweisen, –– oder seit mindestens sechs Monaten die Betreuung des Förderwerbers sachgerecht durchgeführt haben, –– oder es muss eine Delegation von pflegerischen oder ärztlichen Tätigkeiten an die Betreuungskraft vorliegen.

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Wenn die betreuungsbedürftige Person mindestens 48 Stunden pro Woche betreut werden muss, Pflegegeld ab Stufe 3 bezieht und ihr monatliches Nettoeinkommen 2.500 Euro nicht übersteigt, hat sie – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen – Anspruch auf eine Förderung. Die Förderhöhe beträgt –– Für selbstständige Betreuungskräfte: 275 Euro pro Monat und Betreuungskraft (max. zwei Betreuungskräfte werden gefördert), –– Für unselbstständige Betreuungskräfte: 550 Euro pro Monat und Betreuungskraft (max. zwei Betreuungskräfte werden gefördert).

Die spezielle Förderung der 24-Stunden-Betreuung wurde eingeführt, um den Mehraufwand durch die sozialversicherungsrechtliche Absicherung der Personenbetreuer abzugelten und damit den Kostenvorteil der Schwarzarbeit zu kompensieren.

Steuerliche Absetzbarkeit als außergewöhnliche Belastung beim Betreuten oder seinen Angehörigen Bei einer Betreuung zu Hause sind die damit verbundenen Aufwendungen wie bei einer Heimbetreuung als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig. Wer pflegt Deutschland

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Dabei können alle im Zusammenhang mit der Betreuung anfallenden Aufwendungen und Ausgaben, wie zum Beispiel Kosten für das Pflegepersonal und eventuelle Aufwendungen für die Vermittlungsorganisation, geltend gemacht werden. Diese werden um die erhaltenen steuerfreien Zuschüsse (z. B. Pflegegeld, Zuschuss zu den Betreuungskosten) gekürzt. Die steuerliche Absetzbarkeit kann von der betreuten Person oder vom alleinverdienenden (Ehe-)Partner in voller Höhe geltend gemacht werden, bei weiteren unterhaltsverpflichteten Personen (z. B. Kinder) wird ein Selbstbehalt abgezogen, der sich nach der Einkommenshöhe des Steuerpflichtigen richtet und derzeit zwischen sechs und zwölf Prozent liegt.

Pflegegeld Das Pflegegeld ermöglicht den pflegebedürftigen Menschen eine gewisse Unabhängigkeit und einen längeren Verbleib in der vertrauten Umgebung (zu Hause). Pflegegeld wird gewährt, wenn Pflegebedürftigkeit vorliegt und der ständige Betreuungs- und Pflegeaufwand mehr als 65 Stunden monatlich beträgt und voraussichtlich zumindest sechs Monate andauern wird. Die Einstufung erfolgt auf Basis eines ärztlichen Gutachtens und orientiert sich am monatlichen Pflegebedarf in Stunden, der auf Basis von Richtwerten in einer eigenen Einstufungsverordnung ermittelt wird. Das Pflegegeld ist eine reine Geldleistung, die österreichweit einheitlich und einkommensunabhängig von den Pensionsversicherungsanstalten ausbezahlt wird. Tab. 4.1 Pflegegeldstufen in Österreich (Stand 2016) Stufe 1 2 3 4 5 6 7

Betrag € 157,30 € 290,00 € 451,80 € 677,60 € 920,30

Pflegebedarf (pro Monat) Mehr als 60 Stunden Mehr als 85 Stunden Mehr als 120 Stunden Mehr als 160 Stunden Mehr als 180 Stunden & außergewöhnlicher Pflegebedarf (dauernde Bereitschaft) € 1.285,20 Mehr als 180 Stunden & zeitlich unkontrollierbare Betreuungsmaßnahmen € 1.688,90 Mehr als 180 Stunden & keine zielgerichteten Bewegungen mehr möglich

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Die Rolle der 24-Stunden-Betreuung im Versorgungssystem Tab. 4.2 Die Versorgung pflegebedürftiger Menschen in Österreich (Quelle: Statistik Austria, BMASK, eigene Berechnungen) Insgesamt 457.000 Pflegegeldbezieher (Stand 31.12.2014) Zu Hause versorgt ca. 392.000 (86%) Mithilfe von PflegeMit 24-StundenNur durch Angehörige diensten ca. 125.000 Betreuung ca. 27.000 ca. 240.000 PersoPersonen (27%) Personen (6%) nen (53%)

Insgesamt dürften Ende 2014 etwa 27.000 Personen in Österreich von Personenbetreuer betreut worden sein. Gemessen an der Gesamtzahl von 457.000 Pflegegeldbeziehern sind das etwa 6 % der pflegebedürftigen Menschen in Österreich. Welche Bedeutung diese Betreuungsform für die Versorgungslandschaft mittlerweile hat, kann man daran bemessen, dass das über 40% der in Pflegeheimen betreuten Personen sind. Gemessen an der Betreuungszeit dürfte die 24-Stunden-Betreuung auch über den Betreuungsstunden in der mobilen Pflege und Betreuung in Österreich liegen (16,1 Millionen Einsatzstunden).

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In Heimen versorgt ca. 65.000 (14%)

Die Entwicklung der Personenbetreuung (siehe Abb. 2, Seite 78) Ende Oktober 2015 übten in Österreich fast 57.000 Personen das Gewerbe der Personenbetreuung aktiv aus. Seit 2007 haben in Österreich insgesamt 169.000 Personen das Gewerbe der Personenbetreuung angemeldet, 92.000 Berechtigungen wurden in der Zwischenzeit wieder gelöscht, etwa 20.000 vorübergehend ruhend gestellt (wird von den Personenbetreuern in der Regel dann gemacht, wenn sie keinen aktuellen Kunden haben, um Sozialversicherungsbeiträge zu sparen). Ein Großteil der in Österreich tätigen Personenbetreuer stammt aus der Slowakischen Republik gefolgt von Rumänien. Überhaupt kommen 85% der Personenbetreuer aus diesen beiden Ländern. In der Zahl der österreichischen Personenbetreuer/innen sind auch noch die Vermittlungsagenturen enthalten (siehe Abb. 3, Seite 78).

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Abb. 2 Zahl der aktiven Personenbetreuer/innen in Österreich zu ausgewählten Zeitpunkten Bildrechte: Quelle: Wirtschaftskammer Österreich

Abb. 3 Nationalität der in Österreich angemeldeten Personenbetreuer/innen (Stand 31.12.2014) Bildrechte: Quelle: Wirtschaftskammer Österreich

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Strukturdaten zu den betreuten Personen (Kunden)

Geschlecht der betreuten Personen Beim Geschlecht der betreuten Personen zeigt sich bei den Hilfswerk-Kunden fast exakt die gleiche Korrelation wie bei der Gesamtheit der Pflegegeldbezieher, fast zwei Drittel (64,5%) der Betreuten sind Frauen, ein Drittel (35,5 %) machen die Männer aus.

Alter der betreuten Personen Das österreichische Pflegegeldsystem unterscheidet nicht zwischen behinderten und pflegebedürftigen Menschen. Aus diesem Grund wurden für den Altersvergleich nur die Pflegegeldbezieher über 70 Jahre herangezogen. Nicht wenig verwunderlich ist, dass die Kunden der 24-Stunden-Betreuung älter sind (Schnitt 84,9 Jahre) als die Vergleichsgruppe der Pflegegeldbezieher (Schnitt 83,3 Jahre) (siehe Abb. 4, Seite 80).

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Als einer der großen österreichischen Anbieter im Bereich der 24-StundenBetreuung verfügt das Hilfswerk über umfangreiche Strukturdaten der betreuten Personen. Diese können sicher nicht 1:1 auf die gesamtösterreichische Situation umgelegt werden, geben aber doch einen Überblick über die großen Trends.

Pflegegeldstufen der betreuten Personen Der durchschnittliche Hilfswerk-Kunde in der 24-Stunden-Betreuung weist bei der Aufnahme eine Pflegegeldstufe zwischen 3 und 4 auf (Schnitt: 3,4). Die Pflegegeldbezieher liegen durchschnittlich knapp unter der Pflegegeldstufe 3 (Schnitt: 2,8). Bei den höheren Pflegegeldstufen ist der Anteil an 24-Stunden-Betreuung höher als in den niedrigen Stufen. Niedere Pflegegeldstufen werden meist durch Angehörige oder mobile Dienste betreut. Auch die Förderung der 24-Stunden-Betreuung zielt auf höhere Pflegestufen (mindestens 3) ab (siehe Abb. 5, Seite 80).

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Abb. 4 Alter der Hilfswerk-Kund/innen im Vergleich zu den Pflegegeldbeziehern 70+ (Österreich gesamt) Bildrechte: [Urheberrecht beim Autor]

Abb.5: Pflegegeldstufen der betreuten Personen des Hilfswerks bei Aufnahme, Abb. Marschitz 5 Bildrechte: Hilfswerk-Personaldienstleistungs-GmbH, Statistik Austria, eigene Berechnungen

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Demenzielle Erkrankungen

Dauer der Betreuung Der durchschnittliche Hilfswerk-Kunde nimmt die 24-Stunden-Betreuung 18 Monate in Anspruch. Die aktuell laufenden Fälle sind im Schnitt bereits 30 Monate in Betreuung, bei den abgeschlossenen Fällen liegt der Wert bei etwa 14 Monaten. Diese Zahlen geben nur einen Zwischenbefund wieder, weil es noch immer Fälle aus der Anfangszeit der Hilfswerk-Betreuung gibt, die nach wie vor betreut werden. Fast die Hälfte der abgeschlossenen Betreuungen hat weniger als ein Jahr gedauert, ein Hinweis, dass das Angebot auch dazu genützt wird, schwerkranken Angehörigen ein Sterben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. Gründe für den Abschluss eines Betreuungsverhältnisses sind neben dem Tod der Wechsel in ein Pflegeheim und die kundenseitige Kündigung (Unzufriedenheit, Agenturwechsel etc.).

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40% jener Personen, die eine 24-Stunden-Betreuung in Anspruch nehmen, weisen eine Demenzdiagnose auf. Dieser Anteil ist doppelt so hoch wie bei den mit anderen Angeboten zu Hause betreuten Personen. Eine Demenzdiagnose ist sehr häufig der Grund für die Inanspruchnahme einer 24-StundenBetreuung, weil hier eine sehr zeitintensive Betreuungs- und Aufsichtsfunktion notwendig ist, die von einer mobilen Betreuung kaum geleistet werden kann.

Strukturdaten der Personenbetreuer Aus den Daten der beim Hilfswerk aktuell über 1.400 im laufenden Einsatz befindlichen Personenbetreuer lassen sich wichtige Rückschlüsse auf das System ableiten.

Geschlecht der Personenbetreuer Wie im gesamten Pflegebereich ist auch die Personenbetreuung eine weibliche Domäne. Über 93% der eingesetzten Personenbetreuer sind weiblich. Der verstärkte Einsatz männlicher Personenbetreuer scheitert nicht nur an mangelndem Interesse seitens der Bewerber, sondern auch an der Kundennachfrage. Meist werden weibliche Personenbetreuer gewünscht, oft lassen sich männliche Betreuer nur bei schwierigen Betreuungssituationen (schwerer Klient, Aggression seitens der betreuten Person) vermitteln. Wer pflegt Deutschland

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Abb. 6 Alter der im Hilfswerk eingesetzten Personenbetreuer

Alter der Personenbetreuer Die im Hilfswerk eingesetzten Personenbetreuer sind im Schnitt über 50 Jahre (50,1 Jahre) alt. Über ein Drittel der Personenbetreuer ist über 55 Jahre alt, dagegen nicht einmal jeder 25. unter 30. Dies hat mehrere Gründe. Zum ersten sind lebenserfahrene Personenbetreuer bei der Betreuung hochaltriger Menschen kein Nachteil. Zum anderen spiegelt diese Altersverteilung auch die ökonomische Triebfeder des Angebots wider. Frauen über 50 ohne einschlägige oder am Arbeitsmarkt nicht mehr nachgefragte Ausbildung (z. B. landwirtschaftliche Fachausbildungen) haben sowohl in Österreich als auch in den Herkunftsländern nicht viele Möglichkeiten, adäquate Arbeit zu finden. Viele weichen daher auf die Personenbetreuung aus, die es ihnen ermöglicht, ein im Vergleich zu den Herkunftsländern durchaus passables Einkommen zu erzielen. Ein Großteil der Personenbetreuer hat auch keine Betreuungspflichten für minderjährige Kinder mehr (siehe Abb. 6).

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Qualifikation der Personenbetreuer Überraschend hoch ist das Bildungsniveau der beim Hilfswerk eingesetzten Personenbetreuer. Drei Viertel haben zumindest Abitur, ein Viertel sogar die Hochschule besucht. 20,2 % haben im Heimatland eine Ausbildung als diplomierte Krankenpflegeperson, die restlichen eingesetzten Personenbetreuer in der Regel einen Pflegehelferkurs absolviert, der etwa mit der österreichischen Heimhilfe vergleichbar ist (siehe Abb. 7).

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Abb. 7 Höchster schulischer Abschluss der im Hilfswerk eingesetzten Personenbetreuer

Die Bewertung des Systems durch die Personenbetreuer Im Jahr 2013 hat das Hilfswerk mit wissenschaftlicher Unterstützung eine Umfrage unter seinen damals etwa 1.200 aktiven Personenbetreuer durchgeführt. Etwa 600 Personenbetreuer haben den ausführlichen schriftlichen Fragebogen retourniert, was einem sehr hohen Rücklauf von 50% entspricht. Dabei wurden Fragen zur persönlichen Situation und Motivation gestellt, aber auch das österreichische System der Personenbetreuung hinterfragt. Die wichtigsten Ergebnisse sollen in der Folge kurz dargestellt werden. Wer pflegt Deutschland

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Abb. 8 Beweggründe für die Arbeit als Personenbetreuer

Beweggründe für die Arbeit als Personenbetreuer und in Österreich Ökonomische Motive sind die Hauptgründe für die Arbeit als Personenbetreuer. Mit 74% ist der Verdienst wichtigste Triebfeder für die Arbeit. Fast die Hälfte der Personenbetreuer versucht damit einer drohenden Arbeitslosigkeit zu entgehen. Nicht-materielle Motive sind das Erlernen einer Fremdsprache und das Kennenlernen von Menschen (siehe Abb. 8). Für die Tätigkeit im Land Österreich sprechen die Nähe und dass die Tätigkeit in der 24-Stunden-Betreuung hier legal ausgeübt werden kann. Auch die jeweilige Agentur dürfte eine gewisse Rolle spielen, wie der Wert für das Hilfswerk zeigt (siehe Abb. 9). Die arbeitsmarktpolitische Relevanz zeigt sich auch bei der Frage, ob es im Heimatland schwierig wäre, eine Arbeit zu finden. Über 90% schätzen diese Herausforderung als sehr schwierig oder eher schwierig ein. Die Arbeitslosenrate lag in der Slowakischen Republik im November 2015 bei über 12%, in einzelnen Regionen bei 15% und mehr. Insgesamt waren in der Slowakischen Republik zu diesem Zeitpunkt etwa 350.000 Menschen arbeitslos gemeldet (siehe Abb. 10). 84

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Abb. 9 Beweggründe für die Arbeit als Personenbetreuer in Österreich

Abb. 10 Ist es in Ihrem Heimatland für Sie schwierig, eine Arbeit zu finden?

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Abb. 11 Wie zufrieden sind Sie mit der konkreten Arbeit in der Familie, die Sie in Österreich betreuen?

Zufriedenheit mit der Arbeit als Personenbetreuer Überraschend hoch war in der Umfrage die Zufriedenheit mit der konkreten Arbeit in der Familie des betreuten Kunden. Über 90% zeigten sich damit sehr zufrieden oder zufrieden, nur jeder hundertste Personenbetreuer ist nicht zufrieden (siehe Abb. 11). Über 60% gaben sogar an, das Gefühl zu haben, ein Mitglied der Familie zu sein (siehe Abb. 12). Auch die Zufriedenheit mit der Situation als Personenbetreuer in Österreich im Allgemeinen ist unter den Personenbetreuer sehr hoch. Über 80 % zeigen sich sehr zufrieden oder zufrieden. Dies kann so sicher nicht auf alle Personenbetreuer in Österreich übertragen werden, weil das Hilfswerk als etablierte Pflegeorganisation schon allein aus Imagegründen um eine möglichst seriöse Abwicklung des Angebots bemüht sein muss. Berichte über unseriöse Praktiken bei einzelnen Agenturen lassen vermuten, dass die Zufriedenheit nicht bei allen Anbietern gleich hoch sein dürfte (siehe Abb. 13). Auch das System der 24-Stunden-Betreuung in Österreich wird von zwei Drittel der befragten Personenbetreuer zumindest als gut bewertet. Ein wesentlicher Faktor dabei dürfte sein, dass das Angebot legal erbracht werden 86

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Abb. 12 Ich habe das Gefühl, ein Mitglied dieser Familie zu sein

Abb. 13 Wie zufrieden sind Sie mit der derzeitigen Situation als Personenbetreuer in Österreich

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Abb.14 Wie bewerten Sie das System der 24-Stunden-Betreuung in Österreich?

kann und dass die Personenbetreuer sozialversicherungsrechtlich abgesichert sind (siehe Abb. 14).

Resümee Das System der 24-Stunden-Betreuung hat sich in den letzten Jahren zu einem unverzichtbaren Bestandteil der österreichischen Betreuungslandschaft im Altenbereich entwickelt. Für viele Menschen bietet es die Möglichkeit, auch im Pflegefall in den eigenen vier Wänden betreut zu werden. Eine wichtige Rolle spielt dieses Betreuungssetting auch für demenzkranke Menschen. Die in Österreich entwickelte Lösung über eine selbstständige Berufsausübung und das dafür eigens geschaffene Gewerbe der Personenbetreuung wird von vielen Rechtsexperten noch immer kritisch gesehen. Viele Merkmale dieses Angebots ähneln eher einer unselbstständigen Berufsausübung. Tatsächlich wäre auch aus meiner Sicht ein modifiziertes Hausangestelltenrecht die rechtlich adäquatere Lösung gewesen. Allerdings war es offensichtlich durchaus auch im Interesse der österreichischen Arbeitnehmervertretung, die88

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ses Angebot außerhalb von Kollektivverträgen und Arbeitsrecht zu regeln, um keine Präzedenzfälle zu schaffen. Auch wenn die österreichische Lösung aus rechtlicher Betrachtung nicht ganz sauber erscheint, so hat sie doch unschätzbare Vorteile. Sie schafft Spielregeln und Rechtssicherheit für alle Beteiligten. Sie macht das Angebot zwar bei Weitem nicht für alle, aber doch nicht nur für Reiche leistbar. Sie regelt das Zusammenwirken zwischen Gesundheitsberufen und Personenbetreuer. Und sie gibt den Personenbetreuer eine rechtliche Absicherung bis hin zu einem späteren Pensionsanspruch. Österreich tut daher gut daran, dieses System auch langfristig zu etablieren. Ich sehe dafür mittelfristig auch keine Gefahr. Selbst wenn die Slowakische Republik als Hauptrekrutierungsgebiet in absehbarer Zeit an Bedeutung verlieren sollte, gibt es durch günstige Flugverbindungen ein weites Einzugsgebiet. Zweifellos lebt das System vom Einkommensgefälle zwischen Österreich und den Herkunftsländern der Personenbetreuer. Wer dies kritisiert, muss aber auch die globale arbeitsteilige Wirtschaft insgesamt, beispielsweise den Handel im Textil- oder Elektronikbereich kritisieren. Das Prinzip ist das Gleiche, nur dass die Menschen, die produzieren, nicht zu uns kommen. Letztlich entsteht eine Art Win-Win-Situation. Menschen in Österreich können sich eine 1:1-Betreuung leisten, die mit angestellten Betreuungskräften unbezahlbar wäre. Die Personenbetreuer finden hier eine Jobmöglichkeit, die sie in den Herkunftsländern nicht hätten und die im Vergleich zur heimischen Bezahlung gar nicht schlecht ist. Natürlich geht man mit der 24-Stunden-Betreuung, etwa was die Pflegequalität angeht, eine Art von Kompromiss ein. Angesichts der demografischen Entwicklung fürchte ich allerdings, dass das nicht der letzte Kompromiss sein wird, den wir in diesem Bereich eingehen müssen. Die Etablierung der 24-Stunden-Betreuung wurde auch durch eine Schwäche begünstigt, die dem System der mobilen Pflege und Betreuung innewohnt, nämlich die große Zahl an wechselnden Betreuungskräften. Im redlichen Bemühen, die Pflegequalität zu verbessern, hat man in Österreich die sozialen und pflegerischen Tätigkeiten, die zur Versorgung eines Pflegebedürftigen notwendig sind, auf drei Berufsgruppen (Heimhilfe, Pflegehilfe, diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonen) aufgeteilt. Durch unterschiedliche Kostensätze und arbeitsrechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen sind die Träger gezwungen, bei der Betreuung eines Kunden viele verschiedene Personen zum Einsatz zu bringen. Mit der zunächst am Schwarzmarkt etablierten 89

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24-Stunden-Betreuung haben viele Kunden das Statement abgegeben, dass ihnen eine konstante Betreuungsperson wichtiger ist als die Professionalität verschiedener Berufsgruppen. Die hohe Zufriedenheit der Personenbetreuer und offensichtlich auch der Kunden – sonst wäre die 24-Stunden-Betreuung nicht das am stärksten wachsende Betreuungssetting in Österreich – zeigt, dass die österreichische Lösung trotz mancher Schwächen durchaus erfolgreich und daher vielleicht auch nachahmenswert ist.

Wichtige Quellen Österreichischer Pflegevorsorgebericht (2014), Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, www.sozialministerium.at Merkblatt Personenbetreuung, Wirtschaftskammer Österreich Gründerservice, www.gruenderservice,.at 24-Stunden-Betreuung zu Hause, Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, www.sozialministerium.at Pflegedienstleistungsstatistik, Statistik Austria, www.statistik.at Analyse der optimalen 24-Stunden-Betreuung aus der Perspektive einer österreichischen Wohlfahrtsorganisation. Am Beispiel des Hilfswerks Österreich, Eva-Maria Pfandl, Masterarbeit eingereicht an der IMC Fachhochschule Krems, 2013, www.hilfswerk.at Hausbetreuungsgesetz (BGBl. I Nr. 33/2007), Gesundheitsberufe-Rechtsänderungsgesetz 2007 (BGBl. I Nr. 57/2008), Bundespflegegeldgesetz (BGBl. Nr. 110/1993), www.ris.bka.gv.at Qualitätssicherung in der häuslichen Pflege, Sozialversicherungsanstalt der Bauern im Auftrag des BMASK, www.svb.at

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Transnationale Pflegekräfte Ohne Fachkräfte aus Fernost geht es nicht? Pflege und Betreuung als globales Problem

Thomas Klie Transnationale Pflegekräfte

Bedarf an Erwerbstätigen in der Langzeitpflege Das vom Bundesgesundheitsministerium in Auftrag gegebene Projekt Herausforderung Pflege hatte die Aufgabe, den künftigen Bedarf an Erwerbstätigen in der Langzeitpflege zu beziffern1. Zu diesem Zweck wurden alle verfügbaren Studien herangezogen und ausgewertet.

Was passiert, wenn sich nichts ändert? Alle Arbeitskräfte in Einrichtungen und Diensten nach SGB XI Studie

Nachfrage 2030

Angebot 2030

Differenz 2030

Schnabel 2007

990.000 bis 1.250.000

550.000*

- 440.000 bis - 700.000

Enste & Pimpertz 2008

985.000 bis 1.120.000

550.000*

- 435.000 bis - 570.000

Hackmann & Moog 2008

1.025.000 bis 1.140.000

550.000*

- 475.000 bis - 590.000

Pohl 2011

708.000 bis 1.047.000

550.000*

- 158.000 bis - 497.000

1.070.000

550.000

bis - 520.000

803.000 bis 1.032.000

540.000

- 263.000 bis - 492.000

Prognos 2012 Rothgang, Müller & Unger 2012

* Keine eigne Angebotsrechnung; der Abgleich erfolgte mit Zahlen von Prognos 2012 (550.000 VZÄ-Stellen). Die Zahlen für 2030 sind, soweit vorhanden, den Veröffentlichungen entnommen oder wurden mit Annahme eines linearen Verlaufs geschätzt und auf 5.000 gerundet. Alle Zahlen sind in VZÄ-Stellen angegeben.

Abb. 1: AGP Sozialforschung 2014, 66

1 

Klie, Thomas et al (2013)

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Metaprognose: Verschärfung des Problems spätestens ab 2030 Alle Arbeitskräfte in Einrichtungen und Diensten nach SGB XI

1800

NF-Schnabel 2007 NF-Hackmann/ Moog 2008 NF-Prognos 2012 Angebot nach Rothgang/Prognos (Status Quo)

NF-Enste/ Pimpertz 2008 NF-Pohl 2011 NF-Rothgang et al. 2012

1600

VZÄ an Pflegpersonal (in Tsd.)

1400 1200 1000

800 600 400 200 0 2000

2005

2010

Annahme eines linearen Verlaufs

2015

2020

2025

2030

Angebotskurven

2035

2040

2045

2050

Nachfragekurven

Abb. 2: AGP Sozialforschung 2014, 67

Bei aller Unterschiedlichkeit der Studien wird allein in Institutionen der Langzeitpflege der nichtgedeckte Bedarf an Arbeitskräften auf etwa 500.000 beziffert. Alle Hochrechnungen und Prognosen sowie Projektionen und Szenarien lassen erkennen, dass sich das Problem der Gewinnung von Arbeitskräften in der Langzeitpflege spätestens ab 2030 verschärfen wird (siehe Abb. 2). Dabei zeigen sich heute schon regional erhebliche Rekrutierungsprobleme auf dem Arbeitsmarkt der Langzeitpflege. Das gilt für urbane Ballungsgebiete wie München und Berlin, aber auch in manchen ländlichen Gebieten. Es wurden zahlreiche Kampagnen durchgeführt, um die Pflegeberufe attraktiver zu machen. Auch die generalistische Ausbildung wird von ihren Müttern und Vätern als Beitrag verstanden, die Attraktivität der Pflegeberufe zu erhöhen. Trotzdem gilt: Der steigenden Zahl auf Pflege angewiesener Menschen stehen in der Zukunft nicht genügend Pflege- und berufliche Assistenzkräfte gegenüber. Die Strategien und Konzepte, mit denen dem Fachkräftebedarf in der Langzeitpflege begegnet werden soll, sind vielfältig. In dem o.g. Projekt Herausfor92

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derung Pflege wurde u.a. eine Delphi-Umfrage durchgeführt, die Experteneinschätzungen zu Fragen der zukünftigen Beantwortung des Fachkräftebedarfes zum Gegenstand hatte. Sie zeigt das Spektrum von möglichen Maßnahmen und ihre Bewertung.

Transnationale Pflegekräfte zur Deckung des Bedarfs?

2 

Transnationale Pflegekräfte

In Anbetracht der demografischen Entwicklungen und aktuellen Beobachtungen des Arbeitsmarktes in Deutschland verstärken sich die Überlegungen, mögliche Personalengpässe mithilfe von Arbeitskräften aus Drittstaaten zu schließen. Fragen der „transnationalen Pflegekräfte“ wurden ausführlich in der vom Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie in Auftrag gegebenen Studie Chancen zur Gewinnung von Fachkräften in der Pflegewirtschaft (Merda et al. 2012) aufgegriffen. Die Frage der (gezielten) Zuwanderung zur Gewinnung von Beschäftigten in der Pflege sowohl aus dem europäischen als auch aus dem außereuropäischen Raum – transnationale Pflegekräfte – gewinnt an Bedeutung und wird breit diskutiert. Der Begriff der transnationalen Migration beschreibt die „zirkulären, grenzüberschreitenden Wanderungen, die hauptsächlich erwerbs- oder lebensphasenbezogen“ sind (Glorius 2004, S. 30). Aus der verbandlichen und Praxis großer Träger entwickelten sich Initiativen, wobei diese in der Regel ohne wissenschaftliche Expertise und Begleitung durchgeführt wurden. Zu nennen sind in diesem Kontext etwa die gezielte Gewinnung von Pflegefachkräften für Pflegeheime aus Spanien (s. Beitrag Klopprogge), Portugal und anderen Mittelmeerländern mit einem Arbeitskräfteüberschuss, z. B. durch die Genossenschaft Care Trans Fair (Domradio 2013)2, oder verschiedene Aktivitäten der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit. Diese führte etwa im Rahmen eines Pilotprojekts in Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeberverband die gezielte Ausbildung von 150 Frauen in China für den späteren Einsatz in deutschen familiaren Pflegesettings (vgl. FAZ-Net 2013) durch. Anwerbungen aus den Philippinen wurden durch binationale Abkommen flankiert (vgl. BMAS 2013). Damit wird ohne genauere Analyse politisch zum Ausdruck gebracht,

http://www.domradio.de/themen/caritas/2013-07-18/pflegeeinrichtungen-holen-spanische-fachkraefte-nach-nrw

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dass in der Anwerbung eine (Teil-) Antwort auf den Fachkräftemangel in der Pflege gesehen wird. Merda et al. (2012) konstatieren in ihrer Studie, die durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie beauftragt wurde, dass ausländische Arbeitskräfte zur Deckung der erwarteten Personalengpässe in Deutschland benötigt werden. Der europäische Arbeitsmarkt alleine werde ihrer Meinung nach zur Deckung des Fachkräftebedarfs nicht ausreichen (vgl. Merda et al. 2012, S. 30). Neben den notwendigen rechtlichen Anpassungen für eine verstärke Zuwanderung wird als Voraussetzung dafür, dass Deutschland in dem globalen Wettbewerb um Arbeitskräfte (für Gesundheitsberufe) nicht ins Hintertreffen gerät, die gesellschaftliche Veränderung der Umgehensweise mit ausländischen Arbeitskräften und die Entwicklung einer „Willkommenskultur“ als wesentlich erachtet (vgl. Merda et al. (2012), S. 42). Für die zusätzliche Rekrutierung ausländischer Pflegekräfte empfiehlt die Studie, Modellprojekte zu initiieren, „bei denen an ausgewählten Modellstandorten, unter Ausschöpfung des aktuellen rechtlichen Rahmens, Pflegefachkräfte aus geeigneten Herkunftsländern (z. B. Indien, China, Vietnam) in der deutschen Pflege tätig werden. Die Projekte müssen ein umfassendes Konzept zur fachlichen, sprachlichen und kulturellen Vorbereitung, Begleitung und Rückkehr der teilnehmenden Fachkräfte erarbeiten“ (Merda et al. 2012: S. 42). Die Fachkraftsproblematik in den Anwerbeländern reflektiert die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) mit ihrem Projekt „Triple-Win-Migration“. Durch Ausbildung und Arbeit in Deutschland sollen zugewanderte Fachkräfte qualifiziert, der Deutsche Arbeitsmarkt entlastet und die Herkunftsländer durch den Know-how-Transfer nach der Rückkehr der Arbeitskräfte gestärkt werden (vgl. Mercartor Stiftung, Fachkräftebedarf und Zuwanderung 2011, S. 84).

Voraussetzungen und Fragestellungen für die Gewinnung und den Einsatz transnationaler Pflegekräfte Dabei stellen sich neben Fragen der inländischen Akzeptanz von Arbeitskräften aus Drittstaaten, Fragen der rechtlichen Anerkennung von Ausbildungen und der fachlichen Eignung auch Fragen der sprachlichen und kulturellen 94

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Passung der Arbeitskräfte. Nicht zuletzt sind die zugrunde liegenden Wanderungsmotive und deren ethische Beurteilung zu beachten. Grundlage für eine breite gesellschaftliche Diskussion unter Berücksichtigung globaler entwicklungspolitischer Aspekte bietet der WHO Global Code of Practice on the International Recruitment of Health Personal (vgl. WHO 2013). Dabei gilt es, neben wirtschaftlichen Entwicklungsperspektiven der „Geber- und Nehmerländer“ insbesondere die umfangreichen (ethischen) Fragestellungen der individuellen und kollektiven Auswirkungen in den Herkunftsländern zu sondieren und zu berücksichtigen. Besonderes Augenmerk bei der Diskussion um den Einsatz von transnationalen Arbeitskräften in der Langzeitpflege, die auch im Ausland intensiv geführt wird, ist auf die sprachliche und kulturelle Passfähigkeit zu legen. Die hohen Anforderungen an Kommunikations- und Empathiefähigkeit von in der Langzeitpflege Beschäftigten setzen ein hohes Maß an Sprach- und Sozialkompetenz sowie an Kenntnissen über die kulturelle Verortung und religiöse Zugehörigkeit der zu pflegenden und betreuenden Personen voraus. In ambulanten Versorgungssettings, in denen regelhaft nur eine Pflege- bzw. Betreuungskraft im Haushalt anwesend ist, stellt der Einsatz von Arbeitskräften aus Drittstaaten stärkere Anforderungen an die vorgenannten Fähigkeiten als im stationären Bereich dar. Im Rahmen der Delphi-Befragung von AGP/HWA zeigte sich, dass die Fragen, die sich um den Einsatz von transnationalen Arbeitskräften drehen, von Unsicherheit der befragten Experten begleitet sind. Dass transnationale Haushaltshilfen und Pflegekräfte in der häuslichen Versorgung und Pflege zu einer deutlichen Entspannung beitragen können, sehen über 40% der Experten als wahrscheinlich an. Von den Befragten können sich 37% bzw. 52% dies „teilweise“ vorstellen (siehe Abb.3, Seite 96). Ähnliche Unsicherheiten zeigen sich bei der Frage, ob sich durch den transnationalen Einsatz von Fachkräften in stationären Pflegeeinrichtungen und Pflegediensten die Versorgungslage deutlich entspannen kann. 45% der Experten stimmen der Prognose zu, dass der Bedarf an Pflegefachkräften lediglich durch den Zuzug von ausländischen Arbeitskräften gedeckt werden kann. 39% halten dies für möglich und 16% stimmen dem gar nicht bzw. weniger zu. Weitgehend einheitlich wird von den Experten die Ansicht vertreten, dass die steigende Anzahl von Pflegebedürftigen mit Migrationshintergrund auch den Bedarf an ausländischen Pflegekräften erhöhen wird. 95

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Abb. 3: AGP Sozialforschung 2014: 276

In Bezug auf den vermehrten Einsatz von nichtdeutschen Pflegekräften thematisieren die Experten eine stärkere Ausrichtung der deutschen Fachkräfte auf Anleitungs- und Steuerungsfunktionen sowie die steigende Gefahr der „wortlosen“ Pflege. Die Gefahr, dass der vermehrte transnationale Einsatz von Pflegekräften das Qualitätsniveau in der Pflege absenken oder zu einem anderen Pflegeverständnis führen könnte, kommunizieren nur 22% bzw. 30%. In einer vorsichtigen Einschätzung wird die Anwerbung von Pflegefachkräften aus dem Ausland als begrenzt wirksames Mittel gesehen, den Arbeitskräftebedarf in der Langzeitpflege zu decken. Erfolgversprechender und tragfähiger erscheinen die bei Weitem nicht ausgereizten Strategien betrieblicher und regionaler Personalarbeit für Beschäftigte in der Langzeitpflege. Bedenken begegnen vor allem Initiativen, die auf ausländische Mitarbeitende in der Langzeitpflege zielen, die als billigere Arbeitskräfte als ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen eingesetzt werden sollen. Hierin wird die Gefahr einer weiteren Abwertung des Arbeitsfeldes der Langzeitpflege gesehen. Anwerbestrategien müssen, wenn sie verfolgt werden, in ein Gesamtkonzept der Personalgewinnung, -bindung und -entwicklung eingebunden werden.

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Abb. 4: AGP Sozialforschung 2014, S. 277

Aktivitäten, Strategien und Erkenntnisse In jedem Fall ist das Thema transnationale Pflegekräfte zur Deckung des Fachkräftebedarfes in Deutschland auf der Agenda. Andere Länder verfügen über eine deutlich längere Tradition der Anwerbung. Dies gilt für Großbritannien, dies gilt für Israel, dies gilt für Irland, um nur einige Länder zu nennen. In Deutschland sind wie angedeutet mehrere Bundesministerien mit dem Thema der Anwerbung befasst: das Bundeswirtschaftsministerium, das Bundesarbeitsministerium aber auch das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die zentrale Arbeitsvermittlung der Bundesanstalt für Arbeit hat Vermittlungsabsprachen mit den Ländern Serbien, Kroatien, den Philippinen und Bosnien Herzegowina getroffen, wobei nach EU-Kriterien die Anwerbung aus Serbien, Kroatien und Bosnien Herzegowina Wer pflegt Deutschland

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nicht zulässig ist. Lediglich die Philippinen kommen als Anwerbeland für EU-Kriterien in Betracht. Die Initiativen vom BMAS und dem Bundesministerium für Wirtschaft sieht die Ausbildung von ausländischen Personen zu Pflegefachkräften vor. 100 Vietnamesinnen haben die Ausbildung absolviert (siehe Beitrag Braeseke). Ausbildungsprojekte in China und Indien wurden begonnen. Diese Länder scheiden jedoch als Anwerbeländer aus. Hier kann es nur darum gehen, die Qualifikation von ausländischen Pflegekräften für ihre Heimatländer zu betreiben, mit einem auf drei Jahre befristeten Aufenthalt in Deutschland. Ein Programm des BMAS und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit sieht die Anwerbung von an Pflegeausbildung Interessierten aus dem südlichen Afrika vor, mit einer Ausbildung von drei Jahren. Auch dies ist ein Triple-Win-Programm, das den Personen im Ausland helfen soll, für die Qualifizierung des Gesundheitswesens dort und auf Zeit auch in Deutschland zur Deckung des Personalbedarfs in der Langzeitpflege einen Beitrag zu leisten. Daneben finden sich Initiativen von Trägern. Zu nennen ist etwa die Care-Trans-Fair eG, eine Kooperation deutscher Altenhilfeträger mit spanischen Regionen, die allerdings nur begrenzt erfolgreich verlief. Das gilt auch für das von Kloprogge in diesem Band dargestellte Projekt von KWA gAG. Was in allen Projekten und Initiativen deutlich wird, ist, dass die Integration von transnationalen Pflegekräften in die deutsche Pflegelandschaft nicht einfach ist. Das gilt in besonderer Weise für die Langzeitpflege, die in Deutschland ganz anders aufgestellt und konturiert ist als im Ausland. Das gilt für die kulturelle Differenz, die auch die Interviews mit Pflegekräften mit Migrationsgeschichte veranschaulichen (s. Beitrag Hankele). Das gilt für die Berufsvorstellungen, die die Pflegefachkräfte mit ihrer Tätigkeit verbinden. Sie sind im Ausland meist anders profiliert als in der deutschen Langzeitpflege. Ein ganzheitliches Pflegeverständnis, aktivierende Pflege, die Beteiligung von Pflegefachkräften an Grundpflegeaufgaben, das sind für viele Pflegefachkräfte aus anderen Ländern „fachfremde“ Aufgaben, die man, wenn überhaupt, nur schwer akzeptieren mag. Nicht wenige kehren auch deshalb Deutschland den Rücken, weil sie ihre berufliche Vorstellung hier nicht realisieren können. Ein eigenständiger Aspekt ist der der jeweiligen Unternehmens- und Organsiationskulturen in der Pflege. Die Autoritätsgläubigkeit, die in den streng hierarchisch strukturierten Kliniken und Pflegeheimen in zahlreichen Anwerbeländern Teil der Organisationskultur sind, sie passen nicht in die deutsche 98

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Landschaft, auch wenn hierzulande nicht zuletzt durch die hoheitlich angeordneten Qualitätssicherungsvorgaben und -kontrollen einem Empowerment der Pflegekräfte nicht gerade gedient wird. Der brain drain in den Anwerbeländern ist darüber hinaus ein ernst zu nehmendes Problem: Die meisten Staaten in der Welt haben eigene Rekrutierungsprobleme, wenn es um die Gewinnung von Fachkräften in den Gesundheitsberufen geht. Das gilt für die Länder des südlichen Afrikas, das gilt für viele Länder in Asien, im Übrigen auch für China. Dies gilt für die meisten europäischen Länder (siehe hierzu den Beitrag von Braeseke). Sprachprobleme sind in der Langzeitpflege besonders gravierend und lassen sich nicht einfach beheben. Den B2-Level zu erreichen oder sogar noch zu übertreffen, ist vielen transnationalen Pflegekräften auch aufgrund ihrer Bildungskarriere nicht oder nur sehr schwer möglich. Insgesamt gilt: Die Rekrutierung von transnationalen Pflegekräften darf nicht von den pflegepolitischen Grundfragen in Deutschland ablenken. Warum ist die Langzeitpflege für viele nicht attraktiv? Was kann im Bereich der Personalarbeit, im Bereich der Personalentwicklung und –bindung getan werden. Diese Fragen gehörten zu den ganz wesentlichen Themen des Projektes Herausforderung Pflege, das das BMG in Auftrag geben hat3. Der Arbeitskreis Sozialwirtschaft im ddn4 wird sich mit good practice der Personalarbeit beschäftigen, eine der ganz wesentlichen Voraussetzungen dafür, dass in der Zukunft ausreichend Pflegekräfte gewonnen und vor allen Dingen auch gehalten werden können. Gleichwohl sollen die Chancen der internationalen Zusammenarbeit nicht vollständig negiert werden. Insbesondere dann, wenn die in Deutschland erworbene Kompetenz für die auf Zeit hier Arbeitenden zum Wissenstransfer in die Heimat und Herkunftsländer genutzt wird, ist dies positiv zu bewerten und es gilt entsprechende Formen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu stärken. Dies geht allerdings nicht ohne die Stärkung des jeweiligen Gesundheitssystems im Lande. Als eigene Hürde stellen sich die rechtlichen Voraussetzungen für die Beschäftigung von transnationalen Pflegekräften dar. Aufenthaltsrechtlich ist ein Aufenthalt in Deutschland für Pflegekräfte mit dem Ziel der Arbeitssuche nicht möglich. Der Familiennachzug ist in aller Regel ausgeschlossen und Geduldeten wird keine Arbeitsmöglichkeit eingeräumt. Auch die Anerkennung der beruflichen Qualifikation bereitet Probleme. Sie ist bürokratisch, langwie3  AGP Sozialforschung Freiburg 2014, Abschlussbericht Herausforderung Pflege 4 http://www.demographie-netzwerk.de/

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rig. Eine Zentralstelle in Bonn soll zur Abhilfe bringen, ob die Zentralisierung wirkt oder nicht, bleibt abzuwarten. Nach dem Deutschen bzw. Europäischen Qualifikationsrahmen wäre ein individueller Kompetenzcheck angebracht. Aber auch hiervon sind wir in der Praxis noch weit entfernt. Das Asylrecht und die Kooperation zwischen der Bundesagentur für Arbeit und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bieten Perspektiven für die geflüchteten Menschen, die eine Bleibeperspektive in Deutschland haben. Hier wird inzwischen konsequent kooperiert. Die legale Zuwanderung im Rahmen einer auch den Namen verdienenden Zuwanderungspolitik stellt sich ebenso als Perspektive dar wie die Beschäftigungsoption für geflüchtete Menschen (vgl. Netzwerk IQ: http://www. netzwerk-iq.de/ oder https://www.arbeitsagentur.de/web/content/DE/Unternehmen/Arbeitskraeftebedarf/Beschaeftigung/GefluechteteMenschen/Detail/index.htm?dfContentId=L6019022DSTBAI806581). Hier finden sich beispielgebende Projekte, etwa in Nordrhein-Westfalen. Aber auch hier sind, wie Weise betont, die Erwartungen an den Beitrag zur Deckung des Fachkräftebedarfs durch Geflüchtete im realistischen Rahmen zu halten, sie werden das Problem des Fachkräftemangels in Deutschland nicht beheben (Weise, 6 – 8). Für viele Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland, das darf nicht vergessen werden, bieten die Beschäftigung und die Ausbildungsgänge in der Langzeitpflege eine wichtige und tragfähige Qualifizierungsperspektive dar. Dabei kommen gerade sogenannte Assistenzberufe für diese Personengruppen als Einstieg in Betracht. Da hilft es, wenn regional die Differenzierung zwischen Assistenzberufen und der professionellen Pflege forciert wird.

Summa und Perspektive Ohne transnationale Pflegekräfte geht es nicht? Der Fachkräftebedarf der Zukunft wird ohne sie nicht vollständig befriedigt werden können. Es geht aber um die Frage, in welchem Umfang man auf transnationale Pflegekräfte setzt. Hier ist Vorsicht und Bescheidenheit gefragt. Vorrangig gilt es, die Bildungsbeteiligung in Gesundheits- und anderen sozialen Berufen zu fördern und für diese auch Menschen mit Migrationsgeschichte zu gewinnen, die bereits in Deutschland leben. Von noch größerer Bedeutung ist die Revision des Berufsgruppenkonzeptes. Die Fixierung auf die Pflege100

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fachberufe wird den künftigen Anforderungen nicht gerecht. Die Pflegeversicherung hat die Fachpflege zu stark und einseitig in den Vordergrund gerückt. Dabei sind die zeitintensiven Unterstützungsbedarfe eher von Assistenzkräften zu befriedigen. Sie sollten auch nicht den Pflegefachkräften unterstellt werden, so es nicht um die Beteiligung an Pflegeaufgaben geht, und anders als die sog. § 87 b SGB XI Kräfte ein eigenes fachliches Profil erhalten. Sie sind anständig zu bezahlen. Nur allein auf Fachkräfte zu setzen, entspricht weder einer modernen Teilhabeorientierung in der Langzeitpflege noch einer realistischen Rekrutierungschance von Pflegefachkräften. Zu den prognostizierten 500.000 fehlenden Beschäftigten in der Langzeitpflege gehören nicht nur Fachpflegekräfte. Es geht generell um Beschäftigte in der Langzeitpflege, die unmittelbar mit den auf Pflege angewiesenen Menschen arbeiten – begleitend, assistierend, betreuend. Will man Antworten auf den aktuellen und künftigen Personalbedarf in der Langzeitpflege finden, ist ein Mix aus Personalarbeit, neuen Sorgearrangements im Sinne des Welfare Mixes, dem Technikeinsatz und der Gewinnung von Menschen mit Migrationsgeschichte sowie transnationalen Pflegekräften gefragt. Wenn und soweit realistisch und seriös auf transnationalen Pflegekräfte gesetzt wird, dann bitte fair: Was die Bezahlung anbelangt, was die Rückkehroptionen anbelangt – und wenn es um dauerhafte Beschäftigung geht inclusive Familiennachzug. In jedem Fall ist die Einbettung der Anwerbung von transnationalen Pflegekräften in eine pflegepolitische Grundsatzdebatte gefragt. Sie wird nicht wirklich geführt, auch nicht im Zusammenhang mit den Pflegestärkungsgesetzen II und III. Dem ungedeckten Bedarf nach und dem Nachfrageüberhang nach Pflegefachkräften und anderen Beschäftigten in der Langzeitpflege muss vermehrte Aufmerksamkeit geschenkt werden, verbunden mit einem Ja zur Komplexität der Aufgabenstellung. Einfache Lösungen gibt es auch hier nicht, auch wenn viele nach einfachen Antworten Ausschau halten, die in der Politik derzeit gefragt sind – wenn Wahlen gewonnen werden sollen.

Literatur AGP Freiburg (Hg.) (2014): Herausforderung Pflege – Modelle und Strategien zur Stärkung des Berufsfeldes Altenpflege. Abschlussbericht FAZ-Net: (2013): Ich finde da keinen Link zu Einsatz in deutschen familiaren Pflegesettings Glorius, Elke, (2004): Migration aus Mittelosteuropa vor und nach der EU-Osterweiterung. In: Hallesches Jahrbuch für Geowissenschaften, Reihe A, Bd. 26. Halle, S. 37-50.

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Klie, Thomas; Heislbetz, Claus; Frommelt, Mona (2013): Abschlussbericht Herausforderung Pflege. Modelle und Strategien zur Stärkung des Berufsfeldes Altenpflege. Im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit. Freiburg, München. Online verfügbar unter http://agp-freiburg.de/downloads/Abschlussbericht_Herausforderung_Pflege_2013.pdf, zuletzt geprüft am 18.05.2015. Merda, Heiko; Braeseke, Grit; Dreher, Birger; Bauer, Thomas K.; Mennicken, Roman; Otten, Sebastian et al. (2012): Chancen zur Gewinnung von Fachkräften in der Pflegewirtschaft. Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Kurzfassung. Hg. v. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. Berlin. https://www.stiftung-mercator.de/de/presse/mitteilungen/nachrichten/abschlussbericht-der-hochrangigen-konsensgruppe-fachkraeftebedarf-und-zuwanderung/ WHO 2013 Sales, Mozart, et al. “Human resources for universal health coverage: from evidence to policy and action.” Bulletin of the World Health Organization 91.11 (2013): 798-798A. http://www.who.int/bulletin/volumes/91/11/13-118778/en/ Weise, Frank-Jürgen (2016), Berufliche Perspektiven für anerkannte Flüchtlinge. In: bpa Magazin 3/2016, S. 6-8. ZAV: https://www.arbeitsagentur.de/web/content/DE/service/Ueberuns/WeitereDienststellen/ZentraleAuslandsundFachvermittlung/Detail/index.htm?dfContentId=L6019022DSTBAI526093

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Fachkräftesicherung im deutschen Pflegesektor aus international vergleichender Perspektive 1

Gesundheitsfachkräfte – weltweit gesucht!

Grit Braeseke

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Das Recht auf körperliche und geistige Gesundheit gehört zu den grundlegenden Menschenrechten. Die Verbesserung der Gesundheit weltweit ist eines der im September 2000 beschlossenen Millennium-Entwicklungsziele, die bis 2015 erreicht werden sollen. Im Mittelpunkt stehen dabei vor allem die Verringerung der Müttersterblichkeit sowie die Eindämmung der Ausbreitung übertragbarer Krankheiten wie HIV und Malaria (UN Millenniumkampagne Deutschland). Das Gesundheitswesen ist in fast allen Ländern der größte Arbeitgeber. Bis zu 13 Prozent des nationalen Arbeitskräftepotentials sind in den Industrienationen in der Gesundheitsversorgung tätig – in Deutschland waren es 2011 fast 12 Prozent aller Erwerbstätigen, in den USA rund 11 Prozent (WHO 2014). Australien, Kanada, das Vereinigte Königreich und die USA sind die vier größten Zielländer für emigrierende Ärzte und Pflegende. Deutschland ist sowohl Zielals auch Entsendeland, da einerseits der Zugang zum Arbeitsmarkt lange eingeschränkt war und andererseits auch viele deutsche Ärzte und Pflegekräfte ins Ausland gehen, oft auf der Suche nach besseren Arbeitsbedingungen und mehr Anerkennung im Beruf. Insgesamt stehen zur Versorgung der Weltbevölkerung von ca. 6,7 Milliarden Menschen nach Schätzungen der WHO rund 27,2 Millionen ausgebildete Gesundheitsfachkräfte zur Verfügung (dazu gehören Ärzte, Pflegefachkräfte und Hebammen). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ermittlung aktueller, belastbarer und international vergleichbarer Daten zum Gesundheitspersonal äußerst schwierig ist. Es wurden die jeweils aktuellsten verfügbaren Daten je Land für diese Hochrechnung zugrunde gelegt (Durchschnitt 2008). Die Ausstattung der einzelnen Länder mit qualifizierten Ärzten, Pflegenden und Hebammen variiert sehr stark – sie liegt bei den insgesamt untersuchten 186 Ländern in einer Bandbreite von 2,7 bis 240 Gesundheitsfachkräften pro 1  Dieser Artikel fußt im Wesentlichen auf einem Beitrag der Autorin in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) 2015: Migration gerecht gestalten – Weltweite Impulse für einen fairen Wettbewerb um Fachkräfte (Verlag Bertelsmann Stiftung Gütersloh). Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Bertelsmann Stiftung.

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10.000 Einwohner (WHO 2014: 16). Deutschland liegt erwartungsgemäß mit ca. 180 im oberen Bereich (eigene Berechnung auf Basis der Gesundheitspersonalrechnung 2011, ohne Pflegehelfer). Angesichts dieser Unterschiede in der personellen Besetzung stellt sich die Frage, wie viele Fachkräfte zur Sicherstellung der Gesundheitsversorgung eines Landes eigentlich erforderlich sind und anhand welcher Kriterien dies überhaupt gemessen werden soll. In der Fachwelt unstrittig ist, dass belastbare Angaben nur unter Berücksichtigung einer Vielzahl von angebots- und nachfrageseitigen Faktoren gemacht werden können, die die Unterschiedlichkeit der nationalen Gesundheitssysteme, der Organisation der Behandlungsprozesse sowie des Gesundheitszustandes und der Präferenzen der Bevölkerung widerspiegeln. Um dennoch eine Aussage darüber treffen zu können, unterhalb welcher Personalausstattung mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Unterversorgung vorliegt, wurden seitens der WHO und der ILO (International Labour Organization) auf Basis von Vergleichsstudien Schwellenwerte im Bereich von 22 bis 60 Fachkräften pro 10.000 Einwohner identifiziert (WHO 2014: 17) (siehe Abbildung 1). Der untere Schwellenwert wurde 2006 im WHO World Health Report zugrunde gelegt, um Länder mit einem „kritischen“ Fachkräftemangel zu identifizieren. Der Wert von 34,5 wurde 2011 von der ILO als Indikator für die Sicherstellung des Zugangs der Bevölkerung zur Gesundheitsversorgung kalkuliert. Der obere Wert von rund 60 Ärzten, Pflegenden und Hebammen pro 10.000 Einwohner entspricht der Personalausstattung von Mexiko (2010/2011). Er wurde gewählt, da Mexiko nicht mehr als 50 Todesfälle von Müttern pro 100.000 Lebendgeburten aufweist – ein Wert, den die WHO als Zielwert weltweit bis 2035 erreichen möchte (siehe Abb. 1). Mit Blick auf diese Schwellenwerte zeigt sich, dass von 186 Ländern nur 37 Prozent (68 Länder) den oberen Schwellenwert überschreiten und die Gesundheitsversorgung in 45 Prozent aller Staaten (83) von weniger als 22,8 Gesundheitsfachkräften pro 10.000 Einwohner geleistet wird (WHO 2014: 17) (siehe Abbildung 2). Diese Länder liegen vor allem in Afrika, südlich der Sahara, sowie in Südostasien. Die WHO geht davon aus, dass bereits heute weltweit 7,2 Millionen Gesundheitsfachkräfte fehlen – davon 3,4 Millionen in Südostasien und 1,8 Millionen in Afrika, in Europa lediglich 70.000. Allein aufgrund des Bevölkerungswachstums wird dieses Defizit bis 2035 auf mindestens 12,9 Millionen Fachkräfte anwachsen (WHO 2014: 36) (siehe Abb. 2). 104

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(Daten WHO 2013 und Statistisches Bundesamt, Gesundheitspersonalrechnung)

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Abb. 1 Gesundheitsfachkräfte pro 10.000 Einwohner – Ist-Werte (Bandbreite international und Deutschland) und unterschiedliche Schwellenwerte für Mindestausstattung

Abb. 2 Anzahl der Länder mit einer Gesundheitspersonalausstattung ober- und unterhalb verschiedener Schwellenwerte  (Daten WHO 2013)

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Obwohl die meisten OECD-Länder im internationalen Vergleich bereits über hohe Personalressourcen in der Gesundheitsversorgung verfügen, steigt auch dort die Nachfrage infolge der demografischen Entwicklung und des medizinisch-technischen Fortschritts in den nächsten Jahren weiter an. Um zu verhindern, dass dieser Trend mit (weiteren) negativen Folgen für die schon unterversorgten Entwicklungsländer einhergeht, haben sich die 193 Mitgliedstaaten der WHO 2010 auf die Einhaltung ethischer Grundsätze bei der internationalen Rekrutierung von Gesundheitsfachkräften verständigt (WHO Global Code of Practice on the International Recruitment of Health Personnel). Der Code besagt im Wesentlichen, dass bei der Rekrutierung ausländischer Gesundheitsfachkräfte die Wirkungen auf das Herkunftsland zu berücksichtigen sind und durch geeignete, flankierende entwicklungspolitische Maßnahmen negative Auswirkungen minimiert werden sollen. Weiterhin sind alle Länder aufgerufen, aus eigener Kraft ausreichend Gesundheitspersonal zu qualifizieren und mittels attraktiver Arbeitsbedingungen im Land zu binden, um so den Bedarf an im Ausland ausgebildeten Fachkräften zu reduzieren.

Der Pflegesektor in Deutschland Der Pflegesektor ist ein bis dato noch nicht eindeutig in volkswirtschaftlichen Kategorien abgegrenzter Wirtschaftszweig. Er ist im Wesentlichen Bestandteil des „Gesundheits- und Sozialwesens“ (Abschnitt Q der Klassifikation der Wirtschaftszweige 2008, WZ08) und umfasst jene Einrichtungen und Dienstleistungen, die überwiegend bzw. in größerem Umfang pflegerische Tätigkeiten ausführen. Das sind in erster Linie Pflegeheime und ambulante Pflegedienste, aber auch Krankenhäuser, wo beruflich Pflegende mehr als die Hälfte des Personals stellen, Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen und sonstige Leistungserbringer. Die Zahlen der 2013 jeweils vorhandenen Einrichtungen mit den dort Beschäftigten (alle Berufe und in der Berufsgruppe 813 Gesundheitsund Krankenpflege, Rettungsdienst und Geburtshilfe) sind der folgenden Tabelle zu entnehmen:

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Tab. 2.1 Art der Einrichtung

Anzahl (2013) Beschäftigte (alle Berufe) Pflegeheime 13.030 685.500 Ambulante Pflegedienste 12.745 320.000 Krankenhäuser 1.996 1.086.000 Vorsorge- und Rehabilitati- 1.187 117.000 onseinrichtungen Summe 28.958 2.208.500

Berufsgruppe 813 (Ges.- u. Krankenpflege) 101.000 130.000 508.000 25.000 764.000

Unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsinhalte und Tätigkeiten lässt sich Pflege wie folgt definieren: „Pflege umfasst die eigenverantwortliche Versorgung und Betreuung, allein oder in Kooperation mit anderen Berufsangehörigen, von Menschen aller Altersgruppen, von Familien oder Lebensgemeinschaften sowie von Gruppen und sozialen Gemeinschaften, ob krank oder gesund, in allen Lebenssituationen (Settings). Pflege schließt die Förderung der Gesundheit, Verhütung von Krankheiten und die Versorgung und Betreuung kranker, behinderter und sterbender Menschen ein.“ (Statistisches Bundesamt) In Deutschland wird die professionelle Pflege von folgenden Berufen ausgeübt: –– Gesundheits- und Krankenpfleger, –– Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger, –– Altenpfleger.

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Ausgewählte Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens mit pflegerischen Leistungen, Anzahl und Beschäftigte (2013)

Darüber hinaus gibt es die Helferberufe – Gesundheits- und Krankenpflegehelfer sowie Altenpflegehelfer. Zusammen sind die Pflegenden eine zahlenmäßig große Berufsgruppe. Im März 2013 registrierte die Bundesanstalt für Arbeit insgesamt 1,33 Mio. sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Pflegeberufen, das waren 4,6 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland (Bundesagentur für Arbeit). Im Gesundheitswesen gab es 2011 knapp fünf Millionen Beschäftigungsverhältnisse (Die GPR erfasst nicht die Zahl der Beschäftigten, sondern „Beschäftigungsverhältnisse“, d. h. Personen mit mehreren Arbeitsverhältnissen (Teilzeit, geringfügig beschäftigt) werden mehrfach erfasst), daWer pflegt Deutschland

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Abb. 3: Zahl der Beschäftigungsverhältnisse in Pflegeberufen in Einrichtungen des Gesundheitswesen, 2011 (Quelle: Statistisches Bundesamt, GPR)

von waren 30 Prozent (1,5 Mio.) in Pflegeberufen tätig (Statistisches Bundesamt, Gesundheitspersonalrechnung). Diese verteilen sich auf die Pflegeberufe wie folgt (siehe Abb. 3). Pflegeberufe werden vor allem von Frauen ausgeübt – ihr Anteil liegt bei über 80 Prozent. Ein weiteres Merkmal ist der hohe Anteil an Teilzeitbeschäftigungen: 2011 waren 41 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse in der Pflege keine Vollzeitjobs (Statistisches Bundesamt, Gesundheitspersonalrechnung). Die folgende Abbildung 4 zeigt die Anzahl der in den unterschiedlichen Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens beschäftigten Pflegekräfte nach Berufen im Jahr 2011. Daraus geht hervor, dass zwei Drittel der Gesundheits- und Krankenpfleger in Krankenhäusern tätig sind, in stationären Pflegeeinrichtungen vor allem Fachkräfte mit einer Altenpflegeausbildung (80 Prozent) arbeiten und in der ambulanten Pflege beide Berufe gleichermaßen vertreten sind (siehe Abb. 4). Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle erwähnt, dass Pflege und Betreuungsleistungen in Deutschland zu einem großen Teil auch durch Familienangehörige und ehrenamtlich Tätige erbracht werden (die sogenannte Haushaltsproduktion). Im Jahr 2012 wurden rund 1,6 Millionen pflegebedürftige 108

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Abb. 4 Beschäftigte in Pflegeberufen (in 1.000 Personen) nach Einrichtungen, 2011 (Daten Statistisches Bundesamt, Gesundheitspersonarechnung, abgerufen am 17.11.2014)

Personen zu Hause versorgt. Anhand von Daten des SOEP (Sozio-ökonomisches Panel), wo u. a. nach der Ausführung von Pflegetätigkeiten (mindestens eine Stunde pro Tag) im Haushalt gefragt wird, wurde ermittelt, dass es 2012 rund vier Millionen Pflegepersonen gab, 38 Prozent davon Männer. Das ehrenamtliche Engagement im Gesundheitsbereich wurde auf Basis von Daten des Freiwilligensurvey 2009 auf ca. 900 Mio. Stunden im Jahr und damit auf 450.000 Vollzeitäquivalente geschätzt (Schneider, Ostwald et al. 2014). Zu berücksichtigen ist, dass beide Quellen zusammen (SOEP und Freiwilligensurvey) Doppelerfassungen enthalten können. Weiterhin sind im Bereich Pflege und Betreuung auch die sogenannte Haushaltshilfen zu nennen, die von priWer pflegt Deutschland

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vaten Haushalten engagiert werden und meist aus Osteuropa kommen. Ihre Zahl wird auf mindestens 100.000 Personen geschätzt (Neuhaus, Isfort und Weidner 2009: 4), andere Quellen gehen von bis zu 300.000 Personen aus (Böning, Brors und Steffen 2014:6). Insgesamt sind somit schätzungsweise mindestens 6 Mio. Menschen in Deutschland in die Pflege kranker und älterer Menschen involviert: Tab. 2.2 Professionell Pflegende (2011) Familienangehörige Haushaltshilfen Ehrenamtlich Tätige im Gesundheitsbereich Anzahl der Personen, die Pflege und Betreuung leisten

1.524.000 4.090.000 > 100.000 450.000 6.164.000

Pflegerische Leistungen sind der drittgrößte Leistungsblock im Gesundheitswesen hinter ärztlichen Leistungen und Arznei- und Hilfsmitteln einschließlich Zahnersatz. Mit 61,3 Milliarden Euro entfielen 2014 knapp ein Viertel aller Gesundheitsleistungen auf die Pflege. Die Finanzierung erfolgt vorwiegend über die Sozialversicherung – 48 Milliarden Euro allein durch die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung (je rund zur Hälfte). Drittgrößter Ausgabenträger bei Pflegeleistungen ist der private Haushalt mit 4,6 Milliarden und schließlich werden Pflegeleistungen für sozial Schwächere auch anteilig von den Kommunen getragen (3,5 Milliarden, Hilfe zur Pflege) (Statistisches Bundesamt, Gesundheitsausgabenrechnung 2014).

Die Arbeitsmarktsituation für Pflegeberufe und Prognosen zum künftigen Bedarf Die Alterung der Gesellschaft geht mit einer steigenden Nachfrage nach Gesundheits- und Pflegeleistungen einher. Im Zeitraum 2000 bis 2011 konnte die Gesundheitswirtschaft einen Beschäftigungsanstieg von 419.000 Vollzeitkräften verzeichnen – knapp die Hälfte des Personalzuwachses (+ 192.000) entfiel auf ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen (eigene Berechnungen, Daten Statistisches Bundesamt, Gesundheitspersonalrechnung). Damit erweist sich die Gesundheitswirtschaft, und ganz besonders 110

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die Pflege, als Stabilisator des Arbeitsmarktes auch in Zeiten der Finanzund Wirtschaftskrise. Spätestens seit 2009 übersteigt in den Pflegeberufen die Zahl der bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) gemeldeten offenen Stellen jene der arbeitslosen Fachkräfte (Bundesagentur für Arbeit 2012). Im Juni 2014 entfielen auf 100 vakante Stellen lediglich 44 Arbeitslose mit einer abgeschlossenen Altenpflegeausbildung (der niedrigste Wert im Vergleich mit allen anderen Berufen), in der Krankenpflege waren es 84 (Bundesagentur für Arbeit 2014). Mittlerweile dauert es im Durchschnitt vier Monate, bis eine freie Altenpflege- bzw. Krankenpflegestelle neu besetzt ist (Bundesagentur für Arbeit 2014). Es ist davon auszugehen, dass die Zahl der offenen Stellen tatsächlich höher liegt, da nicht alle Vakanzen bei der BA gemeldet werden. Regionale Unterschiede sind zu verzeichnen, aber es gibt kein Bundesland, wo das Fachkräfteangebot rein rechnerisch den (gemeldeten) Bedarf deckt. Auf dem Qualifikationsniveau der Pflegehelfer übersteigt das Angebot die Nachfrage noch. Nach vorübergehend rückläufigen Ausbildungszahlen ab 2005 steigt die Zahl der Pflegeschüler seit 2010 in allen Pflegeberufen wieder deutlich an, mit jährlich rund je 20.000 Neueintritten sowohl in der Gesundheits- und Kranken- als auch in der Altenpflege. Mittlerweile gibt es in Deutschland auch 93 Pflegestudiengänge an Hochschulen, 2012 begannen rund 1.800 Studienanfänger ein pflegewissenschaftliches Studium („Der Bachelor kommt ans Bett“. ZEIT online 2013). Die ersten Absolventen kommen nun in die Praxis. Allerdings mangelt es hier noch an entsprechend zugeschnittenen Arbeitsplätzen, auch hinsichtlich der Vergütung („Konkurrenz für den Doc“. ZEIT online 2014). Das Risiko, krank oder pflegebedürftig zu werden, nimmt mit steigendem Alter zu. Aufgrund der Alterung der deutschen Bevölkerung ist deshalb auch in den nächsten Jahren mit einem steigenden Bedarf an Gesundheits- und Pflegeleistungen zu rechnen. So wird prognostiziert, dass sich die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2030 von derzeit 2,5 Mio. auf 3,5 Mio. erhöht, bis 2050 sogar auf 4,7 Mio. Danach ist wieder mit leicht rückläufigen Zahlen zu rechnen (2060: 4,6 Mio.). Besonders hohe Zuwächse werden bis 2050 für die Bundesländer Baden-Württemberg (+ 316.000), Bayern (+ 345.000) und Nordrhein-Westfalen (+ 442.000) vorhergesagt (Rothgang, Müller, Mundhenk und Unger 2014: 73). Auch wird bis 2050 eine deutliche Zunahme von chronischen Erkrankungen wie Schwerhörigkeit, Osteoporose, Lungenentzündung, Diabetes, Arth111

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rose und Demenz prognostiziert. Allein die Zahl der Demenzkranken wird sich voraussichtlich bis 2050 um 1,1 Millionen Fälle erhöhen (Beske 2010: 21) – eine immense Herausforderung für die Gesundheits- und Sozialsysteme. Zwar lassen sich gegenläufige Trends feststellen (verbesserte Gesundheit infolge des medizinisch-technischen Fortschritts, besserer Ernährung etc.), diese werden aber die Erhöhung der Nachfrage nach Pflege und Betreuung nur geringfügig mindern. Auch angebotsseitig wirken mehrere Faktoren in unterschiedlicher Art und Weise auf Pflegeprozesse und den daraus resultierenden Personaleinsatz. Derzeit verändern sich die Pflegestrukturen deutlich: Das Angebot an neuen Wohn- und Betreuungsformen wie betreutes Wohnen oder Pflegewohngemeinschaften entwickelt sich dynamisch. Mehr und mehr Anbieter und Wohnungsunternehmen unterstützen die Pflegeprozesse durch Technikeinsatz. Der Eintritt von Pflegebedürftigen in Pflegeheime erfolgt in immer höherem Alter (2011: Männer mit 77,6 Jahren, Frauen mit 81,7 Jahren (Pattloch 2014)). Das Familienpflegepotenzial ist rückläufig. Berechnungen zum künftigen Pflegepersonalbedarf erfordern daher die Berücksichtigung vieler Parameter auf der Nachfrage- und Angebotsseite und sind meist mit großen Unsicherheiten behaftet. Je nach Annahme und Berechnungsgrundlage variieren die von verschiedenen Experten vorgelegten Schätzungen zum künftigen Pflegepersonalbedarf erheblich. Sie reichen von 152.000 fehlenden Beschäftigten in Pflegeberufen im Jahr 2025 (Afentakis und Maier 2010) bis zu einer Lücke von 490.000 Vollzeitäquivalenten im Jahr 2030 (Rothgang, Müller und Unger 2012). Neuere Untersuchungen berücksichtigen bereits die gestiegene Zuwanderung nach Deutschland in den Jahren 2011 und 2012, höhere Erwerbsquoten bei Frauen und Älteren sowie Lohnanpassungen (Maier u. a. 2014). Sie kommen zu dem Ergebnis, dass im Berufsfeld „Gesundheits- und Sozialberufe, Körperpfleger“ 2030 zwar ein Engpass in Personen bestehen wird, „rein rechnerisch“ aufgrund der hohen Teilzeitquoten jedoch bei Ausschöpfung der Arbeitsstundenpotentiale die Nachfrage gedeckt werden könnte. Derzeit ist allerdings im Gesundheits- und Sozialwesen eher eine Ausweitung als ein Rückgang der Teilzeitbeschäftigung festzustellen. Insofern ist es wahrscheinlich, dass bis 2030 in Pflegeberufen mindestens 100.000 bis 200.000 Vollzeitkräfte fehlen werden. Grundsätzlich gibt es vier Wege die ein Land verfolgen kann, um die Personalausstattung in der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung sicherzustellen: 112

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1. Förderung der Ausbildung 2. Erhöhung der Berufsverweildauer 3. Verbesserung der Produktivität 4. Rekrutierung internationaler Fachkräfte

Wie sieht die Situation in anderen Ländern aus? Beispiele aus den USA und Japan

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Angesichts des Ausmaßes des Fachkräftemangels in der Pflege, auch mit Blick auf die Situation weltweit, muss Deutschland Maßnahmen in allen vier Bereichen ergreifen, um die Herausforderung zu meistern. Nur wenn es gelingt, den Pflegeberuf und die Arbeitsbedingungen attraktiver zu machen, werden ausreichend in- und ausländische Fachkräfte zur Verfügung stehen. Ohne Verbesserungen in den Punkten eins bis drei werden weiterhin mehr professionell Pflegende den Beruf verlassen oder ins Ausland gehen als neu hinzugewonnen werden können.

In den USA werden rund 70 bis 80 % der Leistungen in der Langzeitpflege von Direct Care Workers (DCW) erbracht. 2013 gehörten ca. 4,1 Mio. Personen zu dieser Berufsgruppe. Nur 20 bis 30 % der Leistungen entfallen auf höher qualifiziertes Personal, sog. „licensed professionals“. Zu den DCW gehören: –– Pflegehelfer (nursing assistants, 1,4 Mio.) in Pflegeheimen, –– home care/personal care aides (1,1 Mio.) sowie –– home health aides (800.000). Diese drei Gruppen sind als Angestellte tätig, darüber hinaus gibt es „independent home care workers“ (ca. 800.000), die selbständig sind. Pflegefachkräfte werden ausschließlich anleitend und überwachend tätig bzw. führen die medizinische Pflege aus. Im Zeitraum 2010 bis 2020 werden schätzungsweise 1,7 Mio. zusätzliche Stellen für DCW geschaffen sowie rund 712.000 Stellen für Pflegefachkräfte (registered nurses, Gesundheitswesen insgesamt) (PHI 2013).

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Die Herausforderungen im Bereich der personellen Sicherstellung der Langzeitpflege sind (Stone 2015): 1. Schlechtes Image der Pflege 2. Geringe Bezahlung, schlechte berufliche Rahmenbedingungen 3. Mangelnde öffentliche Refinanzierung der Leistungen 4. Inadäquate bzw. fehlende Ausbildung Es werden Lösungswege auf verschiedenen Ebenen gesucht. Eine Erhöhung der Mindestlöhne auf 15 $/h wird diskutiert, ebenso höhere Medicaid-Vergütungen (Medicaid ist das staatliche Gesundheitsprogramm für alle Einwohner, die keine private Krankenversicherung (in der Regel über den Arbeitgeber) abschließen können), die zweckgebunden für Personalaufbau eingesetzt werden müssen. Bundesmittel zur Aus- und Weiterbildung von DCW und informell Pflegenden werden zur Verfügung gestellt. Die Ausbildung muss in Partnerschaften von Bildungsträgern und Home Care Agencies stattfinden, um zu gewährleisten, dass sowohl theoretisches Wissen als auch praktische Fertigkeiten vermittelt werden. Auch sollen neue Regulierungen helfen, die Qualität der Langzeitpflege zu verbessern. Für die jährliche Überprüfung stationärer Pflegeeinrichtungen sind neue Vorschriften zur Qualität und zur Personalausstattung in Abhängigkeit vom Pflegebedarf der Bewohner vorgesehen. Die staatliche Finanzierung von sog. Quality Improvement Organizations (Berater) soll Pflegedienstleister dabei unterstützen, die Qualität der Pflegeleistungen zu verbessern. Weiterhin wird auch der Neuzuschnitt der Aufgabenverteilung ins Auge gefasst, indem die Delegation von pflegerischen Tätigkeiten an Hilfs- oder Assistenzpersonal erleichtert werden soll. Hinsichtlich der Einwanderungspolitik der USA werden folgende Maßnahmen diskutiert: –– Erleichterungen der Legalisierung illegaler Einwanderer, –– Verbesserungen für temporäre Arbeitsmigration für DCW, –– Intensive Anwerbung von DCW zur Besetzung offener Stellen. Da bereits ein hoher Anteil der Direct Care Worker aus der Gruppe der Einwanderer kommt (insbesondere Spanisch sprechend), werden an diese Berufsgruppe, die immer unter Anleitung einer Fachkraft tätig ist, keine hohen Sprachanforderungen (Englischkenntnisse) gestellt (Stone 2015). 114

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Tab. 2.3 Certified social worker, psychiatric social worker Certified care worker, childcare worker Public health nurse, therapist

Beratung, Anleitung von Personen mit Unterstützungsbedarf infolge physischer oder psychischer Beeinträchtigungen Erbringen direkter (Pflege)Leistungen Professionelle Pflege zur Erhaltung oder Verbesserung körperlicher und psychischer Funktionen

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Japan ist demografisch gesehen das Land, in dem die Bevölkerungsalterung am weitesten fortgeschritten ist. Das Zusammenspiel aus niedriger Geburtenrate und sehr geringer Zuwanderung führt bis 2050 zu einer Schrumpfung der Einwohnerzahl von derzeit rund 127 auf dann 100 Mio. Einwohner. Trotz Einführung einer Pflegeversicherung nach deutschem Vorbild hat Japan große Probleme bei der pflegerischen Versorgung der Bevölkerung: Seit einigen Jahren gibt es lange Wartelisten bei Pflegeheimen (160.000 Bewerber 2012) – die Pflegeinfrastruktur muss dringend erweitert werden. Ein weiteres großes Problem ist der Wechsel von Pflegekräften in andere Branchen und hohe Austrittsraten (50 %) von Frauen nach der Familiengründung. Im Jahr 2025 werden voraussichtlich 370.000 Pflegekräfte fehlen. Folgende Berufsgruppen gibt im Bereich der Pflege und Betreuung (welfare-related national qualifications) (Yukawa 2015):

Quelle: Yukawa S. (2015)

Die besonderen Herausforderungen Japans bei der Fachkräftesicherung sind: –– Negatives Image der Pflegejobs, –– Niedriger Berufsverbleib, –– Schlechte Bezahlung. Die Regierung hat ein Programm zur Fachkräftesicherung in der Pflege bis 2025 aufgelegt, das folgende Maßnahmen beinhaltet: –– Förderung der Attraktivität der Branche, –– Verbesserung der Ausbildung und der Arbeitsbedingungen, Schaffung neuer Karrierechancen, –– Schaffung eines umfassenden „Community Care“-Systems,

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–– Erweiterung des Planungshorizontes von einer Mittel- zur Langfristperspektive. Obwohl es in Japan große Vorbehalte gegenüber Migration gibt (der Anteil der Ausländer liegt bei unter 2 %), wurden erste Versuche zur Rekrutierung von ausländischen Fachkräften (public health nurses und certified care workers) mittels sogenannter Economic Partnership Agreements unternommen, mit folgenden Ländern: –– Indonesien (2009), –– den Philippinen (2010) und –– Vietnam (2014). Im Zeitraum 2009 bis 2015 wurden 741 public health nurses und 1.128 certified care workers zur Einreise und Arbeitsaufnahme akzeptiert – nur 36 % aller Bewerber bestanden die Sprachprüfung, die einen längeren Arbeitsaufenthalt ermöglicht hätte. Mittlerweile können ausländische Pflegekräfte auch im Rahmen eines „on-the-job-training“-Systems ausgebildet werden (max. fünf Jahre) und die Anforderungen an das Sprachniveau wurden gesenkt. Allerdings dient auch diese Maßnahme primär dem Technologietransfer von Japan ins Ausland – die Fachkräfte sollen über kurz oder lang in ihre Heimatländer zurückkehren (Yukawa 2015).

Multikulti ist auch in der Pflege bereits Alltag Die Rekrutierung ausländischer Pflegekräfte ist in Deutschland kein neues Phänomen. Bereits in den 60er und 70er Jahren wurden u. a. koreanische Pflegekräfte ins Land geholt, es gibt seit vielen Jahren gute Erfahrungen mit dem Einsatz indischer Ordensschwestern und mittlerweile sind hierzulande Pflegekräfte aus Russland und vielen europäischen Staaten vertreten. Im Jahr 2013 besaßen ca. 73.600 beruflich Pflegende (Fach- und Hilfskräfte, nur sozialversicherungspflichtig Beschäftigte) einen ausländischen Pass. Das waren rund 5,5 Prozent aller sozialversicherungspflichtig beschäftigten Pflegekräfte (Merda, Braeseke und Kähler 2014: 8). Im Branchenvergleich liegt das Gesundheits- und Sozialwesen mit insgesamt ca. 5,1 Prozent ausländischen Beschäftigten im unteren Bereich – im Gastgewerbe kommt jeder vierte Beschäftigte aus dem Ausland, in der Land- und Forstwirtschaft sind 116

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Hier zeigt sich, dass ausländische Fachkräfte vor allem in der Altenpflege und als Pflegehelfer beschäftigt sind:

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es 18 Prozent und bei den wirtschaftlichen Dienstleistungen sowie im Baugewerbe rund 10 Prozent. Bezieht man allerdings all jene Beschäftigten ein, die eine eigene Migrationserfahrung haben, wandelt sich das Bild (Afentakis, Maier 2013). Dazu gehören neben den Ausländern auch Eingebürgerte sowie deutsche Spätaussiedler. 15,4 Prozent aller Pflegekräfte hatten 2010 eine eigene Migrationserfahrung – mehr als in der Gesamtwirtschaft (14,6 Prozent). Dieser Anteil ist in der Altenpflege höher (19,5 Prozent) als in der Krankenpflege (12,6 Prozent, Helfer 16,3 Prozent). Eine weitere Eingrenzung ermöglicht einen genaueren Vergleich hinsichtlich der tatsächlichen Arbeitsmigration. Zur Gruppe der Arbeitsmigranten zählen Personen, die –– ihren höchsten beruflichen Abschluss im Ausland erworben haben oder –– keinen beruflichen Abschluss haben und im Zuzugsjahr mindestens 15 Jahre alt waren.

Tab. 2.4 Gesamtwirtschaft Pflege Krankenpflege Helfer Altenpflege [Beschäftigung ausländischer Fachkräfte

Anteil Arbeitsmigranten 2010 8,3 % 7,6 % 6,2 % 9,4 % 9,2 %

Die Hauptherkunftsländer der sozialversicherungspflichtig beschäftigten ausländischen Pflegekräfte (2013) sind der folgenden Abbildung zu entnehmen. Mit knapp 10.000 Personen steht Polen an erster Stelle, gefolgt von der Türkei (9.000) und Kroatien (6.000) – hier besteht eine Vermittlungsabsprache mit der kroatischen Arbeitsverwaltung. Auch mit Bosnien und Herzegowina sowie Serbien gibt es entsprechende Vermittlungsvereinbarungen. Mit Ausnahme von Russland (Spätaussiedler) spielen Angehörige von Drittstaaten bisher, entWer pflegt Deutschland

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Abb. 5: Anzahl sozialversicherungspflichtig beschäftigter Pflegekräfte nicht-deutscher Nationalität nach Herkunftsland, 2013  (Quelle: Eigene Berechnung und Darstellung, Sonderauswertung von Daten der Bundesagentur für Arbeit)

sprechend den bis dato geltenden Einschränkungen des Arbeitsmarktzugangs für Angehörige von Pflegeberufen, eine untergeordnete Rolle (siehe Abb. 5).

Aktuelle Initiativen und Modellprojekte zur Fachkräftegewinnung im Ausland Größere Initiativen der Pflegebranche zur Rekrutierung ausländischer Pflegefachkräfte finden sich bisher wenige. Zum einen gibt es derzeit noch inländische Potenziale, deren Erschließung mit erhöhten Anstrengungen seitens der Unternehmen verbunden ist. Zu nennen sind hier die Verstärkung des Engagements in der Ausbildung, die zu steigenden Schülerzahlen geführt hat, die (Weiter-)Qualifizierung von angelernten Kräften und Pflegehelfern und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, insbesondere der Work-Life-Balance für das vorhandene Personal (Mitarbeiterbindung). Zum anderen sind die Möglichkeiten der Beschäftigung von Fachkräften aus EU118

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Staaten erst in den letzten Jahren verstärkt ins Blickfeld gerückt – durch den sukzessiven Abbau von Zuwanderungshemmnissen für die osteuropäischen Mitgliedstaaten und die hohe Arbeitslosigkeit in Krisenländern wie Spanien und Griechenland. Eine Reihe von Pilotprojekten wurde in der jüngeren Vergangenheit mit politischer Unterstützung vorbereitet bzw. initiiert, um Pflegekräfte aus dem Ausland, insbesondere aus Drittstaaten, zu gewinnen: –– Vietnam: Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) hat 2011 zunächst untersuchen lassen, welche Chancen zur Gewinnung von Fachkräften in der Pflegewirtschaft im In- und Ausland bestehen. Dort wurde u. a. auch analysiert, welche Länder für eine Zusammenarbeit in diesem Bereich besonders geeignet sind (Merda, Braeseke, Bauer et. al. 2012). Auf dieser Grundlage wurde vom BMWi 2012 das Projekt ‚Fachkräftegewinnung für die Pflegewirtschaft‘ mit dem Partnerland Vietnam ins Leben gerufen. Gut 100 sprachlich in Vietnam vorbereitete vietnamesische Pflegekräfte absolvieren seit Herbst 2013 in den vier Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin und Niedersachsen eine auf zwei Jahre verkürzte Altenpflegeausbildung. Anschließend sollen sie in deutschen Pflegeeinrichtungen tätig werden. Das Projekt wird von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) umgesetzt und vom IEGUS Institut für Europäische Gesundheits- und Sozialwirtschaft, Berlin, fachlich begleitet. Derzeit ist bereits ein Folgeprojekt am Start (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH 2014). Seit Spätsommer 2014 lernt eine zweite vietnamesische Gruppe (ca. 100) in Hanoi deutsch, um im Herbst 2015 mit einer 3jährigen Altenpflegeausbildung an unterschiedlichen Standorten in Deutschland zu beginnen. Gleichzeitig werden Kooperationen zwischen deutschen und vietnamesischen Ausbildungseinrichtungen geschlossen (ganz im Sinne des WHO-Kodex), um künftig Teile der deutschen Pflegeausbildung bereits vor Ort in Vietnam durchzuführen und so auch die Ressourcen im Herkunftsland zu stärken. –– China: Der Arbeitgeberverband Pflege führt mit Unterstützung der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit seit 2013 ein Projekt mit China durch. Seit Anfang 2014 ist eine erste Gruppe von fünf chinesischen Pflegekräften im CURANUM Senioren-

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pflegezentrum in Frankfurt tätig. Im Laufe des Jahres sollen weitere chinesische Pflegekräfte folgen (insgesamt 150, Arbeitgeberverband Pflege 2014). –– Philippinen, Serbien, Bosnien-Herzegowina und Tunesien: Im März 2013 wurde eine offene Vermittlungsabsprache zwischen der ZAV und der philippinischen Arbeitsverwaltung geschlossen (Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) 2013). Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) nutzt diese und weitere zwischenstaatliche Vereinbarungen mit Serbien, Bosnien-Herzegowina und Tunesien zur Gewinnung von bis zu 2.000 Gesundheits- und Krankenpflegekräften aus den genannten Ländern (GIZ 2013). –– Tunesien, Ägypten, Marokko: Der Hamburger Krankenhausträger Asklepios bildet seit 2013 mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums für Gesundheit 25 tunesische Pflegekräfte in der Krankenpflege aus (Bundesministerium für Gesundheit 2013). Im Rahmen der Transformationspartnerschaften sind weitere Projekte mit Tunesien, Ägypten und Marokko in Planung. –– Südeuropa/Baltikum: Im Zuge der Wirtschaftskrise in Europa und der damit einhergehenden hohen Arbeitslosigkeit u. a. in Griechenland und Spanien wurden in den vergangenen fünf Jahren in vielen Einrichtungen Pflegekräfte aus diesen Ländern, aber auch aus Bulgarien, Rumänien und den baltischen Staaten rekrutiert und zum Teil sehr gemischte Erfahrungen gemacht. Für die Altenpflege hat sich herausgestellt, dass die dortigen Arbeitsinhalte nicht den beruflichen Erwartungen vieler im Ausland ausgebildeter Pflegekräfte entsprechen, so dass z. B. spanische Fachkräfte teilweise wieder in ihr Heimatland zurückgekehrt sind. Es lässt sich auch beobachten, dass Pflegekräfte von Pflegeeinrichtungen rekrutiert und eingearbeitet werden, sie dann aber anschließend in besser bezahlte Jobs zu Krankenhäusern wechseln. In der Presse wurde auch von einigen Fällen in der häuslichen Intensivpflege berichtet, wo die ausländischen Fachkräfte nicht zu vergleichbaren Bedingungen wie deutsche Fachkräfte beschäftigt wurden („Zu Gast bei Ausbeutern“. Süddeutsche Zeitung 2014).

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Literatur

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Erfahrungen mit der Rekrutierung von Pflegekräften in Spanien 

Axel Klopprogge, Eva Ariño Mateo, Christiane Heimann

Deutschland und Spanien – zwei Arbeitsmärkte im Kontrast Transnationale Pflegekräfte

Die Nachwuchssituation in der deutschen Alten- und Krankenpflege ist dramatisch. Die Zahlen, die die wachsende Lücke zwischen dem Bedarf und dem Angebot an Pflegekräften aufzeigen, müssen hier nicht wiederholt werden. Neben der in Deutschland konjunkturell bedingt guten Beschäftigung schlägt die demografische Entwicklung im Pflegebereich gleich doppelt zu: Es gibt nicht nur wie in allen Berufen weniger junge Menschen, die die Arbeit machen können, sondern es gibt obendrein mehr ältere Menschen, die gepflegt werden müssen. Maßnahmen innerhalb des deutschen Arbeitsmarktes wie besseres Personalmarketing, Erhöhung der eigenen Berufsausbildung und vieles mehr sind alle sehr lobenswert, aber sie schaffen nicht einen einzigen zusätzlichen jungen Menschen und bleiben deshalb volkswirtschaftlich betrachtet ein Nullsummenspiel. Die Rekrutierung im Ausland ist somit ein naheliegender Gedanke. Er liegt auch deshalb nahe, weil es inzwischen in der EU die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit gibt. Arbeitsmarktdaten kombiniert mit einem unterstellten Gehaltsgefälle suggerieren ein natürliches Rekrutierungspotenzial, das scheinbar nur abgeerntet werden muss. Besonders Spanien stand in den vergangenen Jahren im Blickpunkt, und die Arbeitsmarktdaten von 2012, das heißt zu Beginn der Diskussionen um die Auslandsrekrutierung, zeigen warum: Tab. 1 Spanien Aragon Andalusien

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Arbeitslosenquote allgemein 2012 26,6 % 18,7% 35,4%

Arbeitslosenquote unter 25-Jährige 2012 56,5% 45,9% 65,1%

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Deutschland Bayern Mecklenburg-Vorpommern 12,0%

Arbeitslosenquote allgemein 2012 6,8% 3,7%

Arbeitslosenquote unter 25-Jährige 2012 6,0% 3,5% 11,9%

Arbeitslosigkeit in Deutschland und Spanien zu Beginn der Auslandsrekrutierung 

(Quelle: Eurostat)

Diese dramatische Arbeitsmarktsituation macht auch vor den Gesundheitsberufen nicht halt. In Spanien gab und gibt es rund 20.000 arbeitslose Enfermeras, wie die Pflegefachkräfte dort heißen. Im Prinzip hat sich am Gefälle zwischen diesen Arbeitsmärkten bis heute wenig geändert, aber es wurden in der Zwischenzeit wertvolle Erfahrungen gesammelt, von denen im Folgenden die Rede sein soll. Die Bundesregierung unterstützte die Auslandsrekrutierung. Bundeskanzlerin Angela Merkel vereinbarte seinerzeit persönlich mit dem spanischen Ministerpräsidenten Manuel Rajoi, dass die Anwerbung spanischer Fachkräfte von beiden Regierungen gefördert werden sollte. Im Jahre 2012 stellt die Bundesregierung über die Bundesagentur für Arbeit im Rahmen des Programmes „The Job of my life“ 139 Millionen Euro Fördermittel für die Gewinnung ausländischer Fachkräfte bereit, die bereits 2014 aufgebraucht waren. Wie vor 50 Jahren begrüßten Minister die ersten spanischen Pflegekräfte am Flughafen mit einem Blumenstrauß. Kurze Zeit später: Zeitungen vermelden Rückkehrquoten von 50% oder mehr. Die spanische Zeitung El Pais berichtete süffisant, dass zwei Drittel der Glücksritter noch vor Ablauf eines Jahres aus dem deutschen Paradies zurückkehren. Mittelständische Unternehmer halten sich auffällig zurück und sind überrascht, dass die Anwerbung ausländischer Fachkräfte nicht zum Nulltarif zu haben ist. Medien „enthüllen“, dass die Rekrutierung und Arbeitsintegration ausländischer Fachkräfte sowieso nicht funktioniert. Ist also alles nur eine Luftblase? Ist es das übliche Spiel der Medien, die erst ein Thema hochjubeln, um anschließend mit derselben Energie sein Scheitern zu inszenieren? Die berühmte Geschichte vom Fahrstuhl der Bildzeitung, mit dem man erst nach oben und dann wieder hinunterfährt? So einfach ist es leider nicht, denn der Fachkräftemangel bleibt uns als sehr reales Problem weiter erhalten. Aber ebenso 124

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sicher lässt sich die Beurteilung eines vermeintlichen Rekrutierungspotenzials nicht auf den Vergleich von Arbeitsmarktdaten reduzieren. Der Start unserer eigenen Rekrutierungsaktivitäten in Spanien unter dem Logo „Pasocebra“ (Zebrastreifen) im Jahr 2013 war sehr vielversprechend. Es gab genügend Bewerber und bei den Arbeitgebern herrschte allenthalben hohe Motivation. Die Personalauswahl in Spanien schien sich bewährt zu haben; nach einem dreiviertel Jahr waren noch alle Spanier an Bord und lernten fleißig die deutsche Sprache. Leider ist es im weiteren Verlauf nicht bei dieser positiven Bewertung geblieben. Ungefähr ein Drittel kehrte teilweise kurzfristig nach Spanien zurück – nach eigenen Angaben aus familiären Gründen. Eine weitere Gruppe wechselte von der Altenpflege ins Krankenhaus – teilweise sehr berechnend wenige Tage nach Erlangung der Anerkennung. Und mit dem Rest passieren natürlich die üblichen Wechselfälle des Lebens. Als problemlose Sunshine-Story lässt sich ein solcher Verlauf schwerlich verkaufen. Der folgende Beitrag soll anhand der Erfahrungen eines Beispiellandes, nämlich Spaniens, aufzeigen, mit welchen Herausforderungen man bei der Auslandsrekrutierung in der Praxis konfrontiert wird und welche zum Teil überraschenden Faktoren in die nüchterne Bilanz eingehen können und müssen. Es wird analysiert, worin die Fallstricke und Hindernisse bestehen und wie man sich dagegen wappnen und nachhaltige Konzepte verfolgen kann.

Die Motivation der Beteiligten So sehr der Vergleich des spanischen und deutschen Arbeitsmarktes quantitativ ein Potenzial nahelegt, das scheinbar nur abgegriffen werden muss, so sehr sagt das Arbeitsmarktgefälle auch etwas aus über die Motivation der beteiligten Parteien – spanischer Arbeitnehmer wie deutscher Arbeitgeber. Irgendein sachliches Interesse an internationaler Arbeitserfahrung oder an einer Internationalisierung der Belegschaft etwa unter dem Stichwort der Diversity fällt als Motiv aus. Anders als etwa in betriebswirtschaftlichen oder technischen Fächern, anders als in großen Industrieunternehmen ist die Internationalisierung in der Pflegebranche bisher kein Wert an sich und keine Lebensperspektive, die man schon früher ins Auge gefasst hätte. Die spanischen Enfermeras haben sich für den Beruf entschieden, weil er bis vor wenigen Jahren einen sicheren und gut bezahlten Job im öffentlichen Sektor und sozusagen auf der anderen Straßenseite versprach. Wie in DeutschWer pflegt Deutschland

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land ist der Berufshorizont der Pflegekräfte weder international noch national, ja nicht einmal regional, sondern im Prinzip lokal.1 Nicht im Traum dachte man daran, vor oder während der Ausbildung fachliche Erfahrungen oder einfach Lebenserfahrungen im Ausland zu sammeln und sich darauf zum Beispiel sprachlich vorzubereiten. Im Ausland zu arbeiten ist in Spanien auch nicht unbedingt positiv belegt. Es wird mit Armut und den Emigrationswellen vergangener Jahrzehnte verbunden. Als Motiv bleibt also ganz allein die Arbeitslosigkeit, der Druck der Familie, die ja mit hoher Wahrscheinlichkeit selbst von der hohen Arbeitslosigkeit betroffen ist, und der Wunsch, dieses Geld nicht in Tagelöhner-Jobs, sondern im erlernten Beruf zu verdienen. Nicht viel euphorischer sieht es auf der Arbeitgeberseite aus. Auch hier gibt es kein Interesse an der Internationalität an sich. So etwas wie eine internationale Geschäftssprache Englisch gibt es im Pflegesektor nicht. Im beruflichen Alltag reden nicht Fachkräfte mit Fachkräften in einer Fachsprache, sondern am Bett muss die Sprache des Patienten, Bewohners, Kunden gesprochen werden – am besten vielleicht sogar noch im lokalen Dialekt. Kein Unternehmen würde sich die Mühen und Kosten der Auslandsrekrutierung antun (übrigens auch nicht im gewerblichen Bereich), wenn es nicht durch die Arbeitsmarktsituation und den unerbittlichen Zwang der Fachkraftquote dazu gezwungen würde.

Die Ausbildung zur Enfermera in Spanien Angesichts des verbreiteten Stolzes auf das eigene Ausbildungssystem fragen wir Deutsche uns regelmäßig bei Anwerbungen aus dem Ausland, ob denn das Ausbildungsniveau derjenigen, die da kommen, für unsere Ansprüche gut genug sei. Gerade im Gesundheitsbereich gibt es ein aufwendiges Anerkennungsverfahren. Und es kursieren Horrorgeschichten von gefälschten Titeln und davon, dass angeblich examinierte Pflegekräfte bei einem persönlichen Test nicht einmal eine Spritze ziehen konnten. Wenn man sich nicht in Einzelanekdoten verlieren will und wenn das Reden über die Vergleichbarkeit von EU-Ausbildungsabschlüssen überhaupt einen Sinn haben soll, dann sind grundsätzliche Bedenken an der Ausbildungsqua1  Als KWA vor einigen Jahren im Rahmen einer Studie die Motive von Bewerbern abfragte und natürlich auf Aussagen zur Fachlichkeit und zur Attraktivität als Arbeitgeber hoffte, kam als häufigste Antwort, dass man die Einrichtung beim Vorbeifahren gesehen habe, dass sie verkehrsgünstig gelegen sein, dass man von Bekannten davon gehört habe – also alles Aspekte, die den lokalen Horizont belegen.

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lität der spanischen Enfermeras völlig unbegründet. Enfermeria ist in Spanien eine Universitätsausbildung, die zusammen mit anderen Fächern wie etwa Physiotherapie an den Fakultäten für Gesundheitswissenschaften angesiedelt ist. Das Studium der Enfermeria dauert vier Jahre und enthält diverse klinische Praktika von mehrmonatiger Dauer. Man kann an vielen Universitäten in Gesundheitswissenschaften auch einen Master machen oder sogar promovieren. Die Ausbildungsinhalte unterliegen einer strengen staatlichen Aufsicht. Alle uns bekannten Studiengänge sind nach Bologna zertifiziert. Die Ausbildungseinrichtungen an den Fakultäten sind auf einem sehr hohen Niveau. An der Universidad San Jorge in Saragossa gibt es modernste und aufwendigste Simulationsräume, in denen sich die Studenten bis ins Detail der Situation im Behandlungszimmer stellen müssen, während gleichzeitig von den Dozenten aus dem Kontrollraum heraus kritische Situationen simuliert werden und das Ganze live in den Hörsaal übertragen wird. An das Studium sind weitere Zusatzqualifikationen angeschlossen, zum Beispiel eine Art „Referendariat“ für die Übernahme in das staatliche Gesundheitswesen. Manches fällt sicher auch unter den spanischen Hang zur „Titulitis“, d.h. zur Vorliebe für möglichst viele mit schönen Stempeln versehene Zertifikate. Aber insgesamt sind Zweifel an der fachlichen Qualifikation ungerechtfertigt. Es gibt sogar noch eine weitere Qualitätskontrolle, die ausschließt, dass jemand sich selbst irgendwelche Operettentitel anfertigt: Um in Spanien als Enfermera arbeiten zu können, muss man Mitglied im Colegio Oficial de Enfermeria, einer Art Berufskammer, sein. Auch hier gibt es vor der Aufnahme eine Qualitätskontrolle, sogar des allgemeinen Lebenswandels. Vor diesem Hintergrund – verbunden mit dem grundsätzlichen Sinn des Bologna-Prozesses – erscheint es absurd, dass in deutschen Anerkennungsverfahren nicht nur der Nachweis von Deutschkenntnissen verlangt wird, sondern für spanische Enfermeras immer und immer wieder neu eine fachliche Einzelprüfung durchgeführt wird, so als kämen dort plötzlich Wilde aus einem unbekannten Urwald mit dem Anspruch, in Gesundheitsberufen arbeiten zu wollen. Übrigens unterliegt auch die Ausbildung und Anerkennung der Pflegehilfskräfte (Auxiliares) in Spanien einer strengen Regulierung. Wenn es ein Problem mit der spanischen Ausbildung in der Kranken- und Altenpflege gibt, dann besteht es darin, dass die spanischen Fachkräfte für das deutsche Berufsbild überqualifiziert und in vielen Fällen sehr klinisch ausgerich127

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tet sind. Geriatrische und gerontologische Inhalte stehen nicht im Mittelpunkt der Ausbildung. Altenpflege gilt nicht als sexy. Vor allem jedoch bestimmt der universitäre Charakter der Ausbildung auch das Selbstbild der Enfermeras. Basispflege am Bett gemeinsam mit den Hilfskräften gehört nicht unbedingt zum Selbstverständnis. Spanische Enfermeras sehen sich viel näher am Arzt. Sie haben größere Kompetenzen zum Beispiel in der Medikation, sie haben in spanischen Krankenhäusern oder Senioreneinrichtungen oft eigene Sprechzimmer direkt neben dem Arzt und sie sehen ihre Aufgabe darin, die größere Anzahl der Pflegehilfskräfte und Therapeuten anzuleiten. Dies ist in der Tat ein schwieriges Thema. Einerseits haben wir in Deutschland aus guten Gründen eine Vorliebe für handfeste und praxisorientierte Ausbildung. Und anders als in vielen anderen Ländern dient auch ein Studium bei uns nicht dazu, keiner praktischen Tätigkeit mehr nachgehen zu müssen. Auf der anderen Seite bringen die immer schwierigeren Anforderungen durch demenzielle Erkrankungen und Multimorbidität die klassischen Pflegeberufe immer deutlicher an ihre Grenzen. So stellt sich die Frage: Ist die spanische Enfermera-Ausbildung eine Über-Akademisierung oder ist sie die Zukunft? Auf jeden Fall stehen wir in Deutschland mit unserer nicht-akademischen Pflegeausbildung zunehmend allein auf weiter Flur.

Das Erlernen der deutschen Sprache Das Erlernen der deutschen Sprache gilt im Vorhinein als die wohl schwierigste Hürde. „Deutsch ist sehr schwierig.“ Das ist der Satz, der einem einheitlich entgegenschallt, wenn man in Spanien über Fremdsprachenkenntnisse redet – was nicht bedeutet, dass man stattdessen andere angeblich leichtere Fremdsprachen gelernt hätte (vgl. dazu Kraußlach/Stapf 2014). Fremdsprachenkenntnisse sind in Spanien generell nicht sehr verbreitet. Im europäischen Vergleich rangiert es auf einem der hinteren Plätze. Und selbst die in der Statistik genannte Zahl, nämlich dass 36 Prozent der Spanier ein Gespräch in einer Fremdsprache führen könnten, dürfte mehr als optimistisch sein (EU Kommission 2005, 4). Selbst dort, wo ein Sprachunterricht stattfindet, wird er sehr repetitiv durchgeführt. Im Unterricht wird wenig gesprochen. Es ist nicht üblich, fremdsprachige Literatur zu lesen oder fremdsprachige Filme zu schauen. Auslandsreisen oder Auslandssemester sind nach unseren Befragungen nur wenig üblich, schon gar nicht unter Enfermeras. 128

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Im Auswahlverfahren hatten wir Bewerber mit Kenntnissen in Englisch oder anderen Fremdsprachen bevorzugt, da es erfahrungsgemäß wesentlich leichter fällt, eine weitere Fremdsprache zu lernen, wenn man schon eine beherrscht. In den Bewerbungen hatten viele Kandidaten angegeben, über mittlere oder gute Kenntnisse in Englisch oder Französisch zu verfügen. In den Interviews führte ein entsprechender Test jedoch meist zu verlegenem Lächeln. Hinsichtlich der Deutschkenntnisse gingen wir also ganz desillusioniert an die Arbeit – wir haben sie schlichtweg nicht erwartet und uns über unerwartete Überraschungen gefreut, etwa wenn sich in einem Auswahlverfahren plötzlich vier Spanier aus Murcia bewarben, die bereits über das Niveau B1 oder B2 verfügten und sogar auf eigenen Wunsch das Bewerbungsgespräch auf Deutsch führen wollten. Rechnen darf man mit so etwas nicht, sondern jeder Arbeitgeber muss sich darauf einstellen, dass er den gesamten Weg von Null bis zum geforderten Sprachniveau – in Gesundheitsberufen in der Regel B2 – organisieren, begleiten, abwarten und bezahlen muss. In der Regel zieht sich dieser Weg über 6-12 Monate hin und kostet, abgesehen vom Arbeitsausfall ca. 6.000-10.000 € pro Person. Und alle Beteiligten müssen sich darüber klarwerden: Während die Anerkennung des Diploms angesichts des universitären Niveaus der spanischen Enfermera-Ausbildung zwar eine lästige, unnötige und zeitraubende, aber letztlich nur bürokratische Hürde mit hundertprozentiger Erfolgswahrscheinlichkeit ist, handelt es sich beim Sprachenlernen um eine reale Hürde, die ein erhebliches Engagement des Mitarbeiters und viel Geduld der Kollegen erfordert und keine Erfolgsgarantie beinhaltet. Umso positiver und vielleicht sogar überraschender war allerdings, dass trotz aller Probleme auf anderen Gebieten alle bisherigen Kandidaten die B2Hürde geschafft haben – teilweise in der Nachprüfung, aber geschafft. Es ist also möglich. Eine Lernerfahrung war allerdings die Organisation des Sprachunterrichts. Die Sprachenförderung des Programmes „The Job of my life“ war so angelegt, dass die ersten acht Wochen im Heimatland gelernt werden, auf welche dann weitere Monate in Deutschland folgen sollten. Uns erschien das aus verschiedenen Gründen sehr sinnvoll und dementsprechend haben wir auch die Sprachausbildung in unseren ersten Auswahlverfahren angelegt. Wo wir Einfluss darauf hatten, haben wir die Sprachschulen sorgfältig ausgesucht und spezielle Gruppen nur für unsere Kandidaten gebildet. Wie sich beim Einstufungstest für den Fortsetzungskurs in Deutschland herausstellte, war das Ergebnis allerdings mehr als enttäuschend – egal von 129

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welcher Sprachschule die neuen Mitarbeiter kamen. Vom erhofften A2 oder gar B1 konnte keine Rede sein – obwohl es jeweils bescheinigt worden war. Mit viel Wohlwollen reichte es für ein A1 und das ist praktisch gar nichts. In den folgenden Auswahlverfahren haben wir notgedrungen – trotz zum Beispiel der vertraglichen Gründe, die dagegen sprachen – die Sprachausbildung komplett in Deutschland durchführen lassen. Da die Förderung der Bundesagentur für Arbeit weggefallen war, war man auch von dieser Seite frei in der Gestaltung.

Was spanische Pflegekräfte persönlich mitbringen Durch unser Auswahlverfahren, im Besonderen durch den Pasocebra M+A Check, der weiter unten im Detail vorgestellt wird, verfügen wir über ein solides Datenmaterial darüber, was spanische Fachkräfte mitbringen. Über den Ausbildungsstand und die Sprachkenntnisse haben wir bereits gesprochen. Hier wollen wir uns auf die Elemente konzentrieren, die zur Mobilität und Adaptabilität gehören. Dazu muss man sich vor Augen halten, dass wir bei Enfermeras nicht von Jugendlichen reden, sondern von Menschen, die bereits ein Universitätsstudium abgeschlossen haben und im Durchschnitt ungefähr 27 Jahre alt sind. Der geografische Horizont der Bewerber ist sehr eng und zwar nicht nur bezogen auf die berufliche Mobilität, die ja auch in Deutschland nicht sehr entwickelt ist. Ein erheblicher Teil der Bewerber war noch nie im Ausland, nicht einmal für eine zweitägige organisierte Busreise über die Grenze nach Frankreich oder Portugal. Praktika, Studiensemester oder Ferienarbeit im Ausland sind unter der Zielgruppe der Enfermeras praktisch nicht existent. Die Kenntnisse zu Deutschland sind sehr begrenzt, selbst bei Fragen nach einem deutschen Fußballer, Schriftsteller oder Politiker müssen viele Bewerber passen. Obwohl die soziale Erwünschtheit der Antwort offensichtlich ist, gibt über ein Drittel der Bewerber an, noch nie mit einem Auto in eine fremde Stadt gefahren zu sein, auch nicht in Spanien. Ein noch größerer Teil hat noch nie die Erfahrung gemacht, wegen eines Umzugs der Eltern als Fremder in eine Schulklasse oder einen Sportverein gekommen zu sein, in dem alle sich kannten. Im Auswahlverfahren haben wir natürlich versucht, diejenigen herauszufiltern, die noch nie ihre Komfortzone verlassen hatten. Allerdings gelang das nicht immer. Als eine Bewerberin am Probearbeitstag vom Flughafen in 130

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München abgeholt wurde, wusste sie nicht, wie man aus einem Flughafen herauskommt, und dachte, sie würde direkt am Flugzeug empfangen. Oder es gab Fragen, ob man denn in Deutschland frei bekäme, wenn am spanischen Heimatort ein lokales Fest stattfinde. Diese internationale Unerfahrenheit drückt sich auch in der Widersprüchlichkeit aus, dass man zwar über das Zielland nichts weiß, aber sofort für sein ganzes Leben dorthin übersiedeln und doch gleichzeitig mehrfach im Monat nach Spanien reisen will. Eine besondere Bindung besteht an die Familie. Fast alle Bewerber wohnen zuhause bei ihren Eltern. Teilweise mussten sie ihre Eltern fragen, ob sie zum Vorstellungsgespräch nach Saragossa reisen dürften, obwohl die Reisekosten von uns erstattet wurden. Mütter begleiteten ihre 25jährigen „Kinder“ zu den Präsentationsveranstaltungen an der Universität. Besonders krass ging es im Praktikantenprogramm zu. Eltern erkundigten sich, ob es im vom Arbeitgeber gestellten Zimmer Handtücher gäbe, und drohten, ihre Kinder nicht fahren zu lassen. Diese Bindung an die Familie, die man sicher auch positiv bewerten kann, setzt sich auch nach Aufnahme der Arbeit fort. Krankheit eines Verwandten ist ein Grund, unverzüglich nach Spanien zurückzukehren. Teilweise erfolgte die Rückkehr, die vermutlich eine Rückkehr in die Arbeitslosigkeit war, Hals über Kopf und kurz vor der mühsam erkämpften Anerkennung von Sprachniveau und Diplom. Die hoffnungslose Arbeitsmarktsituation und die internationale Unerfahrenheit stehen teilweise in einem seltsamen Kontrast zum gleichzeitigen Anspruchsdenken. Auch dies war im Praktikumsangebot am auffälligsten, obwohl vom Arbeitgeber alles organisiert, eine kostenlose Unterkunft gestellt, die Reise bezahlt und vor allem eine Praktikumsvergütung bezahlt wurde, was in Spanien nicht üblich ist. Trotzdem erwies es sich als ein unüberwindliches Problem, dass nicht auch noch das Essen bezahlt wurde oder dass zwei Studentinnen in Einrichtungen eingesetzt werden sollten, die wenige Kilometer voneinander entfernt lagen.

Deutschland aus spanischer Sicht Internationale Unerfahrenheit gibt es allerdings auch auf der Gegenseite: Wie wenig Erfahrung Deutschland als Einwanderungsland hat, wird daran deutlich, wie man die eigene Attraktivität einschätzt. Man geht wie selbstverständlich davon aus, grenzenlos anziehend zu sein. Man müsse praktisch nur die Tür Wer pflegt Deutschland

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einen Spalt aufmachen und schon drängten sich alle herein. Schon vor Jahren gab es die Diskussionen um die berühmten Greencard-Inder, die dann mit dem Wahlkampf-Slogan „Kinder statt Inder“ konterkariert wurde. Beide Positionen ließen aber außer Acht, dass es für indische Software-Ingenieure nur mäßig attraktiv war, nach Deutschland zu kommen. Eine ähnliche Situation herrschte auch bezüglich der ausländischen, vor allem spanischen Pflegekräfte vor. Wie selbstverständlich ging man davon aus, dass die Arbeitsmarktsituation als Motivation ausreichen müsse. Und wie selbstverständlich ging man davon aus, dass deutsche Gehälter per Definition für andere Länder attraktiv sein müssten. Ein Blick auf Deutschland aus der Sicht spanischer Pflegekräfte zeigt, wie schief dieses Bild ist. Ein mehrfach erwähntes Hindernis ist die Sprache. Nicht nur dass Sprachkenntnisse in Spanien generell wenig entwickelt sind und die deutsche Sprache als schwierig gilt, es wird auch nicht als attraktiv empfunden, sie zu erlernen. England liegt sprachlich und geografisch näher. Hinzu kommt, dass England auch der wichtigste Wettbewerber auf dem spanischen Markt der Enfermeras ist. Die Jobangebote aus Großbritannien werden als attraktiver wahrgenommen: Es werden höhere Löhne (teilweise € 3.000 und mehr) gezahlt und mit guten Aufstiegschancen sowie attraktiven Angeboten der Weiterbildung und Spezialisierung geworben. Ohnehin ähneln sich Hochschul-Ausbildung und Berufsbild der Pflegekräfte verglichen mit Deutschland stärker. Es gibt auch mehr Stellen in Krankenhäusern, die häufig als attraktiver wahrgenommen werden. Die Anerkennung des Berufsabschlusses ist einfacher und übersichtlicher, weil zentral geregelt durch das Nursing and Midwifery Council. Überhaupt gibt es eine hochprofessionalisierte und spezialisierte Vermittlungsindustrie im Pflegebereich. Man verfügt in England über langjährige Erfahrung bei der internationalen Rekrutierung und Arbeitsintegration – immerhin ist ein Drittel des britischen Pflegepersonals in Ausland ausgebildet, wie aus aktuellen Studie der Queen Margaret University hervorgeht (Buchan 2015). Zwischen Anbietern herrscht ein hoher Wettbewerbsdruck, ausreichend Fachkräfte im Ausland zu finden. Vielfach gibt es Vereinbarungen mit spanischen Berufsverbänden. Zwischen ihnen und dem Nursing and Midwifery Council findet eine regelrechte zertifizierte Übergabe der Pflegekräfte statt. Bei den spanischen Pflegekräften, die sowohl die Arbeitssituation in Spanien als auch in Deutschland kennen, wird die Arbeitsbelastung als hoch empfunden. „Der Dienstplan ist tierisch!“ äußert sich eine junge spanische Pflege132

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kraft. Die Personalstärke wird vor allem in den Nachtstunden als unterbesetzt empfunden. Das vielleicht größte Hindernis ergibt sich jedoch aus dem Unterschied der Ausbildungssysteme. Wir hatten ein attraktives Praktikumsangebot auf den Weg gebracht, doch die Resonanz hielt sich in überschaubaren Grenzen. Neben verschiedenen Erklärungen sticht besonders hervor, dass die deutsche Krankenpflegeausbildung als minderwertig angesehen wird. Eine spanische Dozentin kommentiert es so: „Deutschland ist fast das einzige Land in Europa, wo die Krankenpflegeausbildung kein akademisches Studium ist. Nach Deutschland zu gehen ist ein beruflicher Rückschritt.“ Die Rolle, gemeinsam mit den Hilfskräften am Bett zu pflegen, entspricht nicht dem Selbstbild einer Enfermera. Umso mehr wird das umständliche Anerkennungsverfahren, während dem man nur als Hilfskraft arbeiten darf, als demütigend empfunden. Hinzu kommt, dass die Altenpflege nicht als eigener Zweig mit eigenem Prestige und eigener Fachlichkeit angesehen wird. Noch stärker als in Deutschland gibt es eine gefühlte Hierarchie des Prestiges vom Operationssaal bis zur Altenpflege. Und wie wir lernen mussten, stellt für eine spanische Enfermera eine private Altenpflegeeinrichtung die unterste Stufe einer Berufstätigkeit dar. In Spanien gibt es keine dem deutschen System vergleichbare Kranken- und Pflegeversicherung, die es im Prinzip erlaubt, im Rahmen der bereitgestellten und von eigenen Beiträgen finanzierten Mittel Arzt und Pflegeeinrichtung selbst zu wählen. Es gibt dagegen die Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Senioreneinrichtungen. Aus Unkenntnis hatten wir zunächst stolz hervorgehoben, dass es sich bei den deutschen Arbeitgebern um private Senioreneinrichtungen handle. Öffentliche Senioreneinrichtungen haben in Spanien einen guten Ruf, sowohl bei den Bewohnern als auch bei den Beschäftigten. Ihnen werden eine höhere Qualität, eine bessere Personalausstattung und bessere Arbeitsbedingungen zugebilligt. Sofern man über ausreichende Mittel verfügt, muss man entsprechend den Einkünften auch in der öffentlichen Pflegeeinrichtung einen eigenen Beitrag leisten, aber nur bis zu einer Höhe von maximal 1.300 €. Private Einrichtungen müssen dagegen komplett vom Bewohner bzw. seinen Angehörigen bezahlt werden. Obendrein wird privaten Einrichtungen eine schlechtere Qualität, notorische Unterbesetzung und schlechte Behandlung des Personals zugeschrieben. Dennoch liegt der Kostenbeitrag, der ohne irgendeine öffentliche Unterstützung von den Bewohnern zu leisten ist, monat133

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lich bei 1.500 bis 3.000 € oder mehr. Der einzige Grund für die Existenz und das Überleben privater Einrichtungen besteht darin, dass es in öffentlichen Einrichtungen nicht genug Plätze gibt. Nachdem die spanischen Enfermeras oder auch die Universitätsdozenten die Konzepte der Altenpflege in Deutschland kennengelernt hatten, waren sie in fachlicher Hinsicht beeindruckt. Aber das Imageproblem bleibt: Eine spanische Enfermera, die zuhause erzählt, dass sie in Deutschland in einer privaten Altenpflegeeinrichtung arbeitet, vielleicht gar als Hilfskraft in der Anerkennungszeit, wird ziemlich schief angeschaut.

Politische Komplikationen Die erste Rekrutierungswelle verlief vollkommen unproblematisch – sie war eine Angelegenheit allein zwischen den suchenden Unternehmen und den individuellen Bewerbern. Nicht anders wird es den meisten anderen Unternehmen ergangen sein, die in Spanien rekrutierten. Doch wenn viele Unternehmen aus mehreren Ländern in derselben Berufsgruppe eines Landes „wildern“, dann bleibt dies nicht unbemerkt. Es ist nicht mehr nur ein Handel zwischen privaten Marktteilnehmern auf einem freien Markt, sondern es kann leicht zum Politikum werden. Der naheliegende Angriffspunkt ist der Vorwurf, dass von anderen Ländern kostenlos hochqualifizierte junge Menschen abgesaugt würden, in deren Ausbildung das eigene Land viel Geld investiert habe. In Spanien spielte jedoch dieses Argument nie eine Rolle. Im Gegenteil, von den Ansprechpartnern an den Hochschulen wurden die zusätzlichen Berufsperspektiven begrüßt, nicht zuletzt wohl auch aus der nicht ganz uneigennützigen Sorge, dass die Studiengänge der Enfermería angesichts der Arbeitslosigkeit an Zulauf verlieren könnten. Der Angriff kam plötzlich und von unerwarteter Seite. In den Medien erschienen Berichte, die Krankenpfleger vor Betrug bei der Arbeit im Ausland warnten (Heraldo de Aragon, 15.10.2013 „El consejo de enfermería alterta de fraudes en ofertas de trabajo en el estranjero“). Zunächst wurde bei diesen Vorwürfen kein Land besonders hervorgehoben. Es ging in den Vorwürfen darum, dass sich vielfach hinter den angeblichen Stellen tatsächlich nur Sprachkurse verbargen und dass bei Abbruch Strafzahlungen drohten. Vor allem jedoch wurde kritisiert, dass die ausgebildeten Enfermeras nur als Hilfskräfte arbeiten sollten. Bald fokussierten sich die Vorwürfe ausschließlich auf Deutschland. Im Kern ging es um den Vorwurf, dass die Enfermeras mit dem Versprechen auf eine Fachkraftstelle 134

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angeworben worden seien, tatsächlich aber unter allerlei vorgeschobenen Begründungen nur als Hilfskräfte eingesetzt würden. Anders als in England, Italien, Finnland oder den Niederlanden biete man in Deutschland unerträgliche und oft genug illegale Arbeitsbedingungen an. Man werde sich an das Europäische Parlament wenden, um gegen solche Ungerechtigkeiten vorzugehen (Pressemitteilung von Máximo González Jurado, presidente del Consejo General de Enfermería, 07.09.2014 „Enfermeras españolas en Alemania: situación insostenible“). Die wiederholten Meldungen gingen alle zurück auf den Consejo General de Enfermería, die nationale Vereinigung der regionalen Colegios Oficiales de Enfermería – eine Standesorganisation mit Pflichtmitgliedschaft, wie es sie in Spanien für viele Berufe gibt. Dazu passte, dass sich der Consejo General plötzlich weigerte, unsere Stellenangebote zu publizieren, was vorher problemlos möglich gewesen war. Die Haltung des Dachverbades wurde von den regionalen Mitgliedsorganisationen offenbar kritiklos übernommen und in ihren jeweiligen Medien veröffentlicht. Dies war für unsere Rekrutierungsaktivitäten eine bedrohliche Situation. Unsere Kunden gehörten zu den besten Arbeitgebern ihrer Branche, alle Konditionen und der ganze Auswahlprozess waren zu 100 Prozent transparent, ganz zu schweigen davon, dass auch die Kosten des Sprachkurses zunächst noch von der Bundesagentur für Arbeit und dann vom Unternehmen übernommen wurde. All das würde jedoch nichts nützen, wenn man den Berufsverband gegen sich hätte und deutsche Pflegeunternehmen in den Medien generell mit Betrugsverwürfen konfrontiert würde. Seltsam war allerdings, dass zwar alle Versuche, die Lauterkeit des Angebots zu erklären, nichts fruchteten, dass aber ohne weitere Prüfung eine Publikation der Stellen möglich war, wenn man dafür zahlte. Mithilfe unserer befreundeten Universitäten kontaktierten wir den regionalen Verband in Aragon. Wir erklärten, dass sich hinter den Vorwürfen Missverständnisse verbargen: Nicht anders als in Spanien dürfe man eben auch in Deutschland einen medizinischen Beruf nur nach Anerkennung des Berufsabschlusses und nur mit entsprechenden Sprachkenntnissen ausüben. Entweder lerne man die Sprache auf eigene Faust und eigene Kosten und kümmere sich selbst um die Anerkennung – dann dürfe man auch vom ersten Tag an als Fachkraft arbeiten. Oder das Unternehmen beschäftige und bezahle den ausländischen Mitarbeiter schon in der Zeit des Spracherwerbs: Dann bekomme man zwar alles bezahlt und verdiene auch schon Geld (bei KWA ein volles Fachkraftgehalt), aber man dürfe eben bis zur Anerkennung nicht als Fachkraft arbeiten. 135

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Auf unsere Einladung kam der Präsident des Berufsverbandes nach Deutschland, um sich vor Ort ein Bild der Arbeitsbedingungen zu machen. Es wurde eine Vereinbarung über freundschaftliche Zusammenarbeit geschlossen und tatsächlich herrscht seitdem eine gegenseitige Unterstützung – auch in Fragen der Rekrutierung. Auch aus dem zentralen Dachverband kamen nach einem Brief keine Querschüsse mehr. Allerdings hat dies zweifellos Spuren hinterlassen. Die Bewerberzahlen pro Stelle sind deutlich gesunken (von ca. 50 auf ca. 10) und in den Bewerbungsgesprächen verbringt man viel Zeit, das Misstrauen aufzulösen.

Spanien – das falsche Land? Wenn man die mit der Rekrutierung von Enfermeras gemachten Erfahrungen Revue passieren lässt, könnte man leicht auf den Gedanken kommen, dass man hier offenbar in einem ganz und gar falschen Land gesucht habe. Dieser Eindruck wäre jedoch falsch. Zwar gibt es einige Aspekte, die ernste und strukturelle Hindernisse darstellen, und ihnen muss man sich ungeschminkt stellen. Vor allem jedoch – und das ist die eigentliche Absicht – spiegelt die spanische Fallstudie wider, auf was man sich gefasst machen muss, wenn man nicht nur zufällig-euphorisch und adhoc, sondern strukturell, längerfristig und in größerem Umfang in einem anderen Land rekrutiert. Spanien ist hier ein Beispiel, in dem inzwischen reiche Erfahrungen vorliegen. Aber in einem anderen Land würde man auf andere Widerstände und Hindernisse stoßen. In vielen Ländern ist die Pflegeausbildung ein Universitätsstudium und damit sind bestimmte Erwartungen verbunden. Wenn man längerfristig und in größerem Umfang rekrutiert, ist der leicht verfügbare Rahm schnell abgeschöpft und man muss für seine Stellen werben. Wenn man längerfristig und in größerem Umfang rekrutiert, bleibt das nicht unbemerkt, und es wird Leute geben, denen das aus unterschiedlichen Motiven nicht passt. Die Familienbindung spielt in vielen Ländern eine größere Rolle als bei uns – zum Beispiel kehren indische IT-Fachleute, die eine gutbezahlte Stelle in den Vereinigten Arabischen Emiraten haben, oft kurzfristig zurück, weil die Familie ruft. Wenn man in ein Land eintaucht, wird man auf Hindernisse auch an ganz unerwarteter Stelle treffen – siehe unser Beispiel mit dem Image der privaten Altenpflegeeinrichtungen. Im Folgenden soll anhand einiger Ansätze erläutert werden, wie man in dem beschriebenen Meer der Hindernisse und Stolpersteine Boden unter die Füße bekommen kann. 136

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Die beschriebene Relativierung der spanischen Stolpersteine bedeutet nicht, dass alle Länder gleich gut oder gleich schlecht sind. Je nach Bedürfnissen und Fähigkeiten sollte man seine unternehmensspezifische Bewertung möglicher Quellmärkte durchführen – dazu machen wir hier einen Vorschlag. Die meisten Kriterien werden selbsterklärend sein. Zwei Punkte sollen besonders hervorgehoben und erläutert werden: Erstens die Größe des Quellmarktes: Bei einem strukturellen Engagement in einem Quellmarkt, auf dem vielleicht auch andere tätig sind, ist der Rahm schnell abgeschöpft. In Spanien gibt es 20.000 und in Aragon 1.000 arbeitslose Enfermeras. Das erscheint auf den ersten Blick ein sehr großes Reservoir. Trotzdem kann es leicht passieren, dass ein Potenzial von 1.000 arbeitslosen Enfermeras in der Praxis nicht ausreicht, um auch nur zehn für eine gutbezahlte Arbeit in Deutschland zu gewinnen. In Ländern wie zum Beispiel Kroatien, für die aus anderen Gründen sehr viel spricht, könnte man deshalb schnell an die Grenzen kommen. Wenn die ein, zwei angepeilten Rekrutierungsquellen nicht passen oder irgendeiner Störung unterliegen, gibt es keine Ausweichmöglichkeiten. Eine kritische Masse von Alternativen ist von Vorteil. Zweitens der Aspekt der Geschäftsentwicklung: Rekrutierung in einem Land ist mehr als nur eine Einbahnstraße, die sich ganz eng auf das Thema Rekrutierung begrenzt. Tatsächlich baut man eine Beziehung zu einem Land auf, die fast zwangsläufig unterschiedliche Aspekte beinhaltet und neue Perspektiven eröffnet, Perspektiven zum Beispiel der fachlichen Zusammenarbeit mit Universitäten oder sonstigen Fachleuten des jeweiligen Landes, Perspektiven eines geschäftlichen Engagements im anderen Land. Wenn Geschäftsentwicklung im Ausland eine mögliche Option ist, sollte man sie in seine Bewertungsliste aufnehmen. Anhand dieser Liste kann man rasch ein begründetes Gefühl dafür bekommen, ob ein Land ein nachhaltiger Quellmarkt für die Rekrutierungsaktivitäten des eigenen Unternehmens sein kann. Wir haben aus aktuellem Anlass die Zielgruppe der Geflüchteten in den Vergleich einbezogen, auch wenn man dabei ein wenig Äpfel mit Birnen vergleicht und es für Bewertungen überhaupt noch sehr früh ist. Es ist viel von den Geflüchteten aus Syrien und anderen Ländern als Bereicherung des deutschen Arbeitsmarktes und Lösung des demografischen Problems die Rede. Und immerhin: Diese Menschen sind schon da und müssen nicht irgendwo mühsam angeworben werden. Gewiss ist hier noch 137

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keine gesicherte Bewertung möglich, aber eine grobe Abschätzung anhand der Kriterien macht auch hier deutlich, dass man vielleicht manche Probleme nicht hat, aber dafür andere nicht weniger gewichtige an anderer Stelle. Eine problemlose Rekrutierung von Ausländern gibt es nicht, auch nicht derjenigen, die als Geflüchtete bereits hier sind. Tab. 2 Ist ein Land ein geeigneter Quellmarkt für die Auslandsrekrutierung meines Unternehmens? Spanien Zum Vergleich Zum Vergleich Beispiel Portugal Flüchtlinge (Syrien) Gibt es ein ausreichendes +++++ +++ +++++ Gefälle der Arbeitslosigkeit zum deutschen Arbeitsmarkt? Ist im Ursprungsland der Ar- +++++ +++ +++++ beitsmarkt im Feld der Pflege groß genug? Gibt es ein Gehaltsgefälle, ++++(+) ++++ +++++ das das Arbeiten in Deutschland attraktiv macht? Gibt es ein ausreichendes +++++ ++++ + Ausbildungsniveau? Werden die Ausbildungs+++++ ++++ + abschlüsse in Deutschland ohne prinzipielle Hindernisse anerkannt? Ist das eigene Rollenver++ +++ +++ ständnis mit den tatsächlichen Aufgaben in Deutschland kompatibel? +++ ++++ ++ Wird eine Arbeit in der Altenpflege als attraktiv angesehen? Gibt es Deutschkenntnisse in + + + nennenswertem Umfang? Gibt es andere Fremdspra- ++ ++++ ++ chenkenntnisse in nennenswertem Umfang?

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Ist ein Land ein geeigneter Quellmarkt für die Auslandsrekrutierung meines Unternehmens? Gibt es eine Affinität zu +++ ++ +++++ Deutschland? Gibt es eine Chance im +++ ++ +++++ Wettbewerb mit anderen ausländischen Arbeitgeber? Gilt es als normal und po+ ++++ +++ sitiv, in anderen Ländern zu leben und zu arbeiten? Akzeptiert die öffentliche ++ +++ n.a. Meinung das Abwerben von Fachkräften durch ausländische Arbeitgeber? Sind die rückkehrrelevanten ++ ++++ ++++ Bindungen an die Heimat beherrschbar? Akzeptieren die (deutschen) ++++ ++++ ++ Kunden Pflegekräfte aus diesem Land? Gibt es im aufnehmenden ++++ ++ + Unternehmen Sprachkenntnisse des jeweiligen Ursprungslandes? Sind die relevanten Institu- ++++ ++++ n.a. tionen im Ursprungsland kooperativ? Ist der Sonderaufwand für ++++ ++++ n.a. Beziehungspflege mit Institutionen im Ursprungsland beherrschbar? Ist der Sonderaufwand für +++ +++ +++ Administration beherrschbar? Gibt es Potenzial für andere +++++ ++++ + Felder der Zusammenarbeit? Schema und Beispiel einer Quellmarktbewertung (unter Einschluss des Arbeitskräftepotenzials der Flüchtlinge)

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Pasocebra M&A Check. Ein Instrument zur Minderung des Abbruch- und Rückkehrrisikos Als wir begannen, in das Thema der Rekrutierung von Fachkräften aus Spanien (nicht nur im Pflegebereich) einzusteigen, stand für uns die Reduzierung des Risikos für die Unternehmen im Vordergrund. Angesichts der rein arbeitsmarktgetriebenen Motivation erschien uns das Risiko sehr hoch, dass sich Bewerber zu einem Schritt verführen ließen, für den sie tatsächlich gar nicht geeignet waren. Auf der anderen Seite haben die jungen Fachkräfte noch keine berufliche Vita, aus der man belastbare Schlüsse hinsichtlich der „Überlebensfähigkeit“ im Ausland ableiten könnte. Sie kommen frisch von der Uni oder gar mit 18 Jahren frisch von der Schule. Sie haben bisher ziemlich behütet gelebt. Jetzt geht es um eine ganz radikale Lebensentscheidung, nämlich die Entscheidung zur Emigration in ein anderes Land – im Prinzip ohne Zeitbegrenzung, mit anderer Sprache, anderem Klima, weg von Freunden und Familie. In vielen Fällen war das Arbeiten im Ausland nicht im Entferntesten Teil der Lebensplanung. Gerade in Gesundheitsberufen gibt es – nicht anders als in Deutschland – einen lokalen oder allenfalls regionalen Lebenshorizont. Das Interesse an einer Tätigkeit im Ausland ist allein der Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit im Heimatland geschuldet. Wir waren der Auffassung, dass es neben den klassischen persönlichen und fachlichen Auswahlkriterien das Kriterium einer Art „Überlebensfähigkeit“ geben müsste, wissenschaftlich ausgedrückt das Kriterium der Mobilität und Adaptabilität. Dies ist jedoch leichter gesagt als getan: Junge Fachkräfte verfügen über keinen Lebenslauf, aus deren Stationen man etwas über internationale Erfahrung ablesen könnte. Sie haben zu Hause gelebt und im Heimatort ihr Studium absolviert. Nicht mehr. Wie kann man etwas über Mobilität und Adaptabilität herausfinden mit Kriterien, die zum tatsächlichen Lebenshorizont der Zielgruppe passen? Mit wissenschaftlicher Unterstützung der Universität Leuphana in Lüneburg (Willecke 2012) sowie der Universität La Laguna in Teneriffa sowie hinsichtlich spezieller Aspekte (Storytelling) auch der Königlich Technischen Hochschule Stockholm wurde von Strategy for People ein Gesprächsleitfaden entwickelt, mithilfe dessen bereits in der Vorauswahl Bewerber herausgefiltert werden können, denen man die geforderte Überlebensfähigkeit nicht zutraut. Neben der eigenen praktischen Erfahrung in der internationalen Personalarbeit bestehen die Grundlagen des Fragebogens in folgenden Elementen: Migrations140

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forschung, Interkulturelle Forschung, Interviews mit Migranten (erfolgreichen und Rückkehrern), Erhebungen zur Lebenssituation von Jugendlichen, Wissenschaftliche Grundlagen der Fragemethodik, Praktische Handhabbarkeit. Für jede Frage sind die angenommenen Wirkungszusammenhänge dokumentiert.

Die einzelnen Fragen sind der Lebenswelt junger Menschen ohne Berufserfahrung angepasst. Der Fragebogen liegt in zwei Versionen vor: Eine Kurzversion, die zum Beispiel für eine Online-Anwendung schon vor dem persönlichen Gespräch geeignet ist, enthält 32 Fragen, die nur mit Ja oder Nein bzw. entsprechend dem Multiple-Choice-Verfahren zu beantworten sind. Der ausführliche Gesprächsleitfaden enthält 139 Fragen. Aus ihnen können situativ einzelne Fragen ausgelassen werden; allerdings müssen alle Felder durch eine kritische Masse von Fragen abgedeckt werden. Das für den Kunden sichtbare Ergebnis ist eine Zahl zwischen eins und fünf. Neben der wissenschaftlichen Grundlage liegt das Besondere des Fragebogens darin, eine komplexe und relativ weiche Problemstellung mit einer komplexen und weichen Fragemethode zu erfassen, das Ergebnis jedoch auf eine einfache und im Auswahlprozess handhabbare Größe zu reduzieren. Am deutlichsten wird dies in der ausführlichen Gesprächsversion des Fragebogens: Ausgehend von der Tatsache, dass Informationen ohne Kontext wenig Wert haben, werden die Interviewten eingeladen, ihre Aussagen gemäß der „Storytelling-Methode“ durch Geschichten zu illustrieren und zu belegen (Göranzon/Hammarén/Ennals 2006). So erhält der Interviewer einen Eindruck von der Stichhaltigkeit der Aussagen. Diese Geschichten selbst werden jedoch nicht dokumentiert, da sie für den weiteren Auswahlprozess nicht von Interesse sind. Vielmehr fällt der Interviewer im selben Augenblick ein numerisches Urteil über den jeweiligen Punkt. Wer pflegt Deutschland

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Der Inhalt des Fragebogens erstreckt sich auf folgende Faktoren: –– Bereitschaft zum Risiko, –– Familie und soziale Bindungen, –– Interesse am Ausland, –– Initiative und Durchhaltevermögen, –– Vorkenntnisse und Erwartungen, –– häusliche Situation, –– charakterliche Voraussetzungen.

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So erhält man in einem lebhaften Gespräch ein authentisches Bild, ohne in der Auswertung an einem sinnlosen Überfluss von Informationen zu ersticken. Mit anderen Worten: Das Verfahren ist seriös und fundiert, aber in der Praxis dennoch ganz pragmatisch handhabbar. Normalerweise wird das Verfahren in der Vorauswahl eingesetzt, so dass der Arbeitgeber überhaupt nur die Kandidaten zu Gesicht bekommt, die in der Bewertung zufriedenstellend abgeschnitten haben. Die Bewertung hat dabei einen „Ausschluss-Effekt“: Kandidaten, die im Pasocebra M+A Check schlecht abgeschnitten haben, können dies nicht durch andere Faktoren wie gute Noten oder ähnliches kompensieren. Der Pasocebra M+A Check, der urheberrechtlich geschützt ist, hat sich sowohl in der Fachdiskussion als auch im praktischen Einsatz bewährt. Das Verfahren wurde 2013 anlässlich einer Gastvorlesung an der Universität Leuphana präsentiert und diskutiert. Der Pasocebra M+A Check wurde für die Verleihung des „HR Excellence Awards 2013“ nominiert. Die Ansätze zum „Storytelling als Interviewmethode“ als auch zu „Faktoren der Mobilität und Adaptabilität bei jungen spanischen Fachkräften in Deutschland“ wurden auf dem Internationalen Kongress für Sozialpsychologie in Havanna (Kuba) im November 2014 präsentiert. Mehrere Zeitungen, Fachzeitschriften sowie der Bayerische Rundfunk haben über das Verfahren berichtet. Das Verfahren wird seit über drei Jahren erfolgreich eingesetzt. Neben dem üblichen Probearbeitstag, der direkt beim Arbeitgeber stattfindet, stellt der Pasocebra M+A Check das wohl wichtigste Auswahlinstrument dar. Es gibt inzwischen von verschiedenen Seiten Interesse, den ursprünglich auf Spanien zugeschnittenen Test auf andere Länder umzustricken.

Regionalkonzept Als Unternehmen unstrukturiert in einem anderen Land zu rekrutieren, macht wenig Sinn, wenn man einen langfristigen Bedarf hat. Deshalb bietet sich ein Ansatz an, den auch renommierte und bekannte Unternehmen seit jeher im Heimatland praktizieren: Sie setzen Schwerpunkte zum Beispiel in Form von Schlüsselhochschulen oder Partnerschulen, sie sind an diesen Schwerpunkten kontinuierlich präsent und bauen nachhaltige Beziehungen auf, unabhängig davon, ob man im Augenblick gerade jemanden einstellt oder nicht. Wir haben das für Spanien als Regionalkonzept bezeichnet. Die Region sollte groß genug sein, um den Bedarf zu decken, aber nicht so groß, dass sich das 142

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deutsche Unternehmen dort verliert. Durch kontinuierliche Präsenz, durch die Mundpropaganda der erfolgreich Vermittelten sowie durch Pressearbeit soll Schritt für Schritt ein positives Bild des Arbeitgebers (sowie des Arbeitens in Deutschland) entstehen. Die dabei entstehenden Verbindungen lassen sich auch für andere Zwecke als für die Rekrutierung von Fachkräften nutzen. Das Ziel ist, eine Art „Perpetuum mobile“ zu etablieren, das ohne Hauruck-Aktionen einen kontinuierlichen Zufluss erzeugt. Außerdem kann durch das Regionalprinzip eine bessere Qualitätskontrolle zum Beispiel des Spracherwerbs erfolgen und Kosten bei Interviews vermieden werden. Wir haben ein solches Regionalgeflecht zum Beispiel für KWA in der Region Saragossa aufgebaut. Es beinhaltet Vereinbarungen und regelmäßige Treffen mit den dortigen Universitäten. Dies wiederum hat zu Partnerschaften zwischen der spanischen Universität und dem neugegründeten European Campus Rottal-Inn der TH Deggendorf in der internationalen Pflegeausbildung geführt. Es gab Teilnehmer aus Spanien bei Fachsymposien von KWA. Es wurde eine Vereinbarung über freundschaftliche Zusammenarbeit mit dem regionalen Berufsverband unterzeichnet. Es gab Besuche in den jeweiligen Landesparlamenten, die zu weiteren Aktionen führen werden. Es gab Berichte in der Presse und vieles mehr. Die regionale Verankerung hat zum Beispiel dazu geführt, dass man die unberechtigten Angriffe auf das Arbeiten in Deutschland unterbinden konnte. KWA ist in diesem begrenzten Umfeld inzwischen zu so etwas wie einer Arbeitgebermarke geworden.

Unkonventionelle Wege Vielleicht muss man auch neue und unkonventionelle Wege gehen. Wir wurden zum Beispiel von einer großen, strategisch denkenden Zeitarbeitsfirma wegen der Rekrutierung von Pflegekräften aus Spanien angesprochen. Unsere Reaktion war zunächst relativ kritisch und verhalten: Wie soll es angesichts des schon heute bei spanischen Enfermeras vorherrschenden Misstrauens funktionieren, dass es noch einen weiteren Zwischenwirt gibt, der nicht selbst die Einrichtung ist, in der man nachher arbeiten soll? Wie soll das dann noch funktionieren mit den vermeintlich niedrigeren Gehältern, wie sie von Zeitarbeitsfirmen bezahlt werden? In der Diskussion stellte sich nicht nur heraus, dass manche unserer Vorbehalte unbegründet waren, sondern es entstand auch die Idee, dass man aus Wer pflegt Deutschland

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dem vermeintlichen Hindernis vielleicht einen Vorteil machen könnte. Zum einen sind die niedrigeren Gehälter in Mangelberufen längst ein Thema der Vergangenheit – oft ist das Gegenteil der Fall. Vor allem jedoch könnte das Zeitarbeitsmodell den spanischen Enfermeras die Möglichkeit bieten, in Deutschland zu arbeiten, ohne sich sofort nach dem Motto „Alles oder nichts“ für eine lebenslange Emigration entscheiden zu müssen. Es wird sich zeigen, ob sich die Idee zu einem tragfähigen Modell entwickeln lässt – einem Modell, das sich natürlich für alle Beteiligten rechnen muss.

Bewertung der Wirtschaftlichkeit In der vorliegenden Fallstudie wurde nicht der Versuch gemacht, die Schwierigkeiten zu beschönigen. Anhand des Fallbeispiels wurde veranschaulicht, mit welchen Herausforderungen und Hindernissen man konfrontiert wird, wenn man sich auf den Weg der Auslandsrekrutierung macht. Im Fall Spanien und im Thema der Pflegekräfte waren es die geschilderten Probleme; in einem anderen Land oder einem anderen Berufsfeld werden es andere Probleme sein. Das Volumen des Risikos soll auch nicht verharmlost werden: Das Honorar für die Agentur, die die Rekrutierung durchführt, ist dabei der geringste Posten. Und auch die schon aufwendigere Sprachausbildung ist nicht die größte Investition. Das größte Kostenrisiko entsteht vielmehr daraus, dass ein Mitarbeiter ein Jahr lang zu einem mehr oder weniger vollen Gehalt plus Lohnnebenkosten beschäftigt wird, ohne die volle Produktivität erbringen zu können. 30.000-50.000 € für eine Anwerbung, die nach einem Jahr in einem Abbruch endet, sind für ein kleines oder mittelgroßes Unternehmen keine „Peanuts“. Sollte man also doch lieber die Finger von dem offenbar schwierigen Thema der Auslandsrekrutierung lassen? (Vgl. hierzu auch Braun/Klopprogge 2015) Die Antwort kann nicht in dem Verweis darauf bestehen, dass Rekrutieren früher billiger war. Und auch nicht darin, dass man nichts tut, weil es zu teuer sei. Der Frage „Was kostet es, im Ausland zu rekrutieren?“ muss die Fragen gegenüber gestellt werden „Was kostet es, nicht im Ausland zu rekrutieren?“. Welche Auswirkungen hat es auf mein Unternehmen, wenn ich nicht die geeigneten Fachkräfte finde? Was kostet es mich, dass ich mein Krankenhaus oder meine Pflegeeinrichtung nicht auslasten kann? Was kostet es mich, dass ich Aufträge nicht annehmen kann? Was kostet es mich, wenn ich Aufträge nicht rechtzeitig oder nicht in der geforderten Qualität ausführen kann? 144

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Nicht vergessen sollte man auch die innerorganisatorischen Kosten: Welche Folgen hat es, wenn ich mangels Alternativen Bewerber einstellen muss, um die ich sonst einen Bogen gemacht hätte? Was kosten erhöhter Absentismus, erhöhte Fluktuation, Minderleistung und schlechtes Betriebsklima – Dinge, die in der Regel mit solchen Entwicklungen verbunden sind? Was kostet das Überbieten im Gehaltswettbewerb – ein fataler Teufelskreis, der trotzdem den Arbeitsmarkt nicht um eine einzige Fachkraft bereichert? Diese offenen und verdeckten Kosten sind der Maßstab, an dem man sich orientieren muss, nicht die angeblich paradiesisch niedrigen Rekrutierungskosten in der Zeit von Babyboomern und 6 Millionen Arbeitslosen. Wer aus welchen Gründen auch immer die beschriebenen Fachkraftprobleme nicht hat und auch in absehbarer Zeit nicht haben wird, der muss sich auch nicht unbedingt die Mühen und Risiken einer Auslandsrekrutierung antun. Wer aber mit den Problemen des Fachkräftemangels konfrontiert ist und die Konsequenzen ehrlich durchrechnet, wird oft merken, dass die Opportunitätskosten eine viel bedrohlichere Dimension annehmen als die erhöhten Rekrutierungskosten. Und wer die Risiken klar vor sich sieht und sich mit einem nachhaltigen Konzept auf den Weg macht, der wird auch positive Erfahrungen machen. Der Manager einer renommierten Münchener Pflegeeinrichtung bekannte: „Solche Bewerber bekomme ich auf dem leergefegten Münchner Arbeitsmarkt nicht zu sehen.“

Literatur Braun, Carina / Klopprogge, Axel (2015): Fachkräfte aus dem Ausland – Notwendigkeit und Hindernisse. In: Goinger Kreis (Hrsg.), Zukunft-Personal-Beschäftigung. Zwischen Praxis und Innovation, Unternehmen und Gesellschaft, Wiesbaden 2015 S.145ff. Buchan, James (2015): Nursing Workforce Sustainability: United Kingdom. In: Making Progress towards Health Workforce Sustainability in the WHO European Region, 2015 Göranzon, Bo / Hammarén, Maria / Ennals, Richard (Hrsg.) (2006): Dialogue, Skill & Tacit Knowledge, Chichester 2006 Kraußlach, Marianne / Stapf, Tobias (2014): Das Forschungsprojekt Bestandserhebung neue Arbeitsmigration. In: Pfeffer-Hoffmann, 2014. In: Pfeffer-Hoffmann, Christian, Projektkontor für Bildung und Forschung e.V. minor (Herausgeber), Arbeitsmigration nach Deutschland: Analysen zur Neuen Arbeitsmigration aus Spanien vor dem Hintergrund der Migrationsprozesse seit 1960, Berlin 2014 S. 112 – 210 Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an das Europäische Parlament und den Rat zur Einführung eines europäischen Indikators für Sprachenkompetenz KOM(2005) 356 endg.; Ratsdok. 11704/05; Bundesrat Drucksache 653/05 29.08.05 Willecke, Simon (2012): Mobilitäts- und Integrationsfähigkeit junger Migranten aus Spanien, Lüneburg. (Bachelor-Thesis Professor Dr. Jürgen Deller, Lehrstuhl für Wirtschaftspsychologie und Sprecher des Instituts für strategisches Personalmanagement, Universitär Leuphana Lüneburg

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Migrationsgeschichten von Pflegekräften 

Sieglinde Hankele

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Zwei Mitarbeiterinnen und ein Mitarbeiter von KWA haben beim Symposium „Transnationale Pflegekräfte – wer pflegt Deutschland?“ über ihre Migrationsgeschichte berichtet und in einer Gesprächsrunde Fragen von Moderator Thomas Klie beantwortet. Alle drei haben selbst die Initiative ergriffen, um nach Deutschland zu kommen. Wäre das Podiumsgespräch der Einstieg gewesen, hätte vermutlich so mancher Zuhörer gedacht: Na, das Problem kann nicht so groß sein, die Pflegekräfte kommen doch von allein. Doch diese aus Arbeitgebersicht erfreulichen Beispiele sind nicht repräsentativ. Und diese drei können keinesfalls die gigantische Lücke füllen, die sich im Pflegebereich abzeichnet. Allerdings können sie beschreiben, weshalb sie nach Deutschland gekommen sind und wie es ihnen in der Altenpflege nun geht. Solange Kamdem ist nach Deutschland gekommen, weil ihr Mann hier studiert hat. In ihrer Heimat Kamerun hat sie in der Krankenpflege gearbeitet, heute arbeitet sie in der Altenpflege, im KWA Parkstift St. Ulrich in Bad Krozingen. Sie hat drei Kinder, doch das Familienleben war ihr nicht genug. Ohne einen Platz für das acht Monate alte Baby zu haben, ergriff sie die Initiative, stellte sich vor – und wurde genommen. Bei der Suche nach Plätzen in einer Tagesstätte beziehungsweise im Kindergarten war der Arbeitgeber behilflich. – Sie ist seit Dezember 2011 eine Mitarbeiterin von KWA, macht derzeit eine Ausbildung zur Pflegefachkraft. Ihr mittlerer Bildungsabschluss aus Kamerun wurde in Deutschland als Realschulabschluss anerkannt. Sie hat die deutsche Staatsbürgerschaft. Thomas Klies Frage, ob sich Pflege in Kamerun und Deutschland sehr unterscheiden, beantwortet sie mit: „Oje, das sind zwei verschiedene Welten. In Kamerun ist Pflege fachliche Behandlungspflege. Pflege wie hier mit Körperpflege gibt es nicht. Das müssen die Angehörigen machen.“ Und: „Hier in Deutschland werden die Menschen in der Pflege verwöhnt. Bei uns in Kamerun nicht. Verwöhnung gibt es nur von den Angehörigen.“ – Wie anders die Bedingungen in Kamerun sind, wird spätestens klar, als Solange Kamdem von ihrem letzten Besuch in der Heimat berichtet: „Als ich in das Krankenhaus in meiner Heimat kam, gab es keine Bettwäsche.“

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Was ihr geholfen hat, hier in Deutschland in der Pflege Fuß zu fassen? Dazu sagt Solange Kamdem: „Ich hatte immer Unterstützung vom Betrieb. Ein Problem war meine Sprachbarriere. Aber ich wurde motiviert: Du kannst das, du schaffst das. – Ich gehe noch heute zum Sprachkurs, weil mein Deutsch noch nicht so ist, wie ich es will. Das zahle ich selbst. Aber ich bekomme am Mittwochnachmittag frei, damit ich da hingehen kann. – Und wenn ich ein gesellschaftliches Problem habe, ist meine PDL immer bereit, mir zuzuhören. Ich fühle mich nicht alleine.“ Sie berichtet auch, dass sie sich schon mal aufregt, wenn etwas nicht so ist, wie sie sich das vorstellt, dass sie auch mal laut wird und Kollegen dann sagen: Komm runter. Klie fragt, ob ihr Verhalten vielleicht manchmal falsch interpretiert wird. Die Antwort von Solange Kamdem: „Ich fühle mich manchmal nicht verstanden. Die kulturelle Kommunikation ist manchmal schwierig. Wir haben andere Werte. Und ich bin immer voll Temperament – und die Deutschen nicht.“ – Ihre impulsiven Antworten und lebhaften Schilderungen bringen auch Leben in die Gesprächsrunde. In dem Kameruner Krankenhaus, in dem sie in der Pflege gearbeitet hat, wurde sie bei einem Heimatbesuch gefragt: Was kann man tun, um nach Deutschland zu kommen? Wir haben gehört, in Deutschland gibt es einen Mangel an Fachkräften. Sie habe geantwortet: „Ich weiß nicht, wie es geht.“ – Zurück in Deutschland hat sie „eine kleine Reportage“ gemacht. Einige Pflegekräfte aus Kenia haben ihr gesagt, dass sie zunächst zum freiwilligen sozialen Dienst nach Deutschland gekommen sind. Stefania-Noela Mihuta hat bei einem Besuch in Deutschland ihren heutigen Mann kennengelernt. Ihm zuliebe hat sie ihre Anstellung als Rechtsanwältin aufgegeben und Rumänien verlassen. Heute macht sie eine Ausbildung in der Altenpflege im KWA Parkstift Hahnhof in Baden-Baden. Ursprünglich wollte sie damit nur ihre Deutschkenntnisse verbessern – doch inzwischen hat sie das Ziel, nach der Ausbildung den Bachelor in Sozialmanagement zu erwerben. Pflegedienst- oder Heimleitung sieht sie als gute Karrierechancen. – Sie arbeitet seit Juni 2014 bei KWA. Die Sprachprüfung B1 hat sie bereits abgelegt. Ihr Oberschulabschlusszeugnis und ihre Studiennachweise aus Rumänien wurden in Deutschland anerkannt. „Die Sprache fällt mir nicht ganz leicht. Das ist eine große Barriere“, gibt die junge Frau offen zu. Bei der Integration helfe ihr natürlich ihr Mann. – Auf die Frage, welche Anmutung von der Altenpflege in Deutschland sie hat, sagt Stefania Mihuta: „Es funktioniert sehr gut. Die aktivierende Pflege finde ich ganz toll und modern und ist an jedem einzelnen Bewohner orientiert.“ 148

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Ob sie sich willkommen fühlt bei Kollegen und Bewohnern? Dazu sagt sie: „Ich habe keine schlechten Erfahrungen gemacht. Und ich glaube, die Bewohner sehen uns nicht als Ausländer, sondern als Menschen. Wenn man fachlich kompetent ist und das Herz an der richtigen Stelle hat, zählt mehr wer man ist als woher man kommt.“ – Etwas später im Gesprächsverlauf sagt sie jedoch über Deutsche im Allgemeinen: „Manche sind ein bisschen kalt, wenn es um Ausländer geht.“ Stefania Mihuta hatte als Rechtsanwältin einen vergleichsweise angesehenen Beruf. – Was ihr besonders geholfen hat hier beim beruflichen Start in der Altenpflege? Stefania Mihuta sagt: „Ich bin vom Arbeitsamt gefördert. Ich mache keine normale Ausbildung, sondern eine Umschulung. Das bedeutet, dass ich besser entlohnt bin. Das spielt schon eine Rolle. – Auch der Erfahrungsaustausch mit Kollegen im Alltag hilft mir.“ Sofern man Menschen, die in Rumänien in Gesundheitsberufen arbeiten, für Deutschland gewinnen möchte, müssen sie laut Stefania Mihuta wissen, „dass hier in Deutschland die Arbeitsbedingungen gut sind und sie gut entlohnt werden. Und dass wir nach einem Plan arbeiten, in dem auch die freien Tage und Urlaub stehen.“ – Auf Klies Frage, ob ihr der Brain Drain möglicherweise Sorge bereite, entgegnet sie: „Hier haben Sie gute Chancen, ein gutes Leben zu führen. In Rumänien hatte ich als Juristin fast nie Urlaub und wurde sehr schlecht entlohnt. Ich habe von sieben bis siebzehn Uhr gearbeitet, mit einer Stunde Pause, von Montag bis Samstag. Dafür habe ich 350 Euro im Monat bekommen.“ Für Semir Šogorovic´ ist Deutschland sein Traum. Nach Schule und Praktikum hat er in Bosnien in einer Klinik gearbeitet. Doch die Zustände seien schlecht, die Kriminalität hoch, für junge Menschen gebe es keine Chancen. Obwohl er Probleme mit der Arbeitserlaubnis hatte, weil Bosnien nicht zur EU gehört, und auch Probleme mit der deutschen Sprache, sagt er klar und deutlich: „Aber ich will das. Ich kann das. Ich mach das.“ – Er arbeitet seit März 2015 als Pflegehilfskraft im KWA Hanns-SeidelHaus in Ottobrunn. Die Sprachprüfung B2 hat er erfolgreich absolviert. Ein Zeugnis der medizinischen Mittelschule aus Bosnien-Herzegowina wurde anerkannt. Eine Frage von Thomas Klie an Semir Šogorovic´: „Wenn Sie auf die Rolle der Pflegekraft in Bosnien schauen und auf die Tätigkeit, die Sie jetzt ausüben – unabhängig von der Frage der Standards und der Ausstattung der Krankenhäuser. Was ist anders?“ Seine Antwort: „Die Arbeit mit Menschen ist die gleiche, aber hier in Deutschland haben wir moderne Instrumente, alles ist modern. In Bosnien haben wir alte Methoden, das ist nicht gut für unsere Menschen.“ 149

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Thomas Klies‘ Frage, welche Erfahrungen er hier mit Integration gemacht hat, beantwortet Semir Šogorovic´ mit einem Hinweis auf seine sprachlichen Defizite: „Manchmal habe ich eine Idee, sage es aber nicht, weil ich mich auf Deutsch noch nicht so gut ausdrücken kann und vielleicht falsch verstanden werde. Aber meine Kollegen im Team verstehen mich. Und wenn gute Stimmung ist, ist alles gut.“ Auch in Bosnien fehlen Pflegekräfte. Semir Šogorovic´ ist nicht der Einzige, der von Bosnien nach Deutschland und in die Pflege geht. Ob ihn das beschäftigt, möchte der Moderator wissen. Dazu sagt der Angesprochene: „Ich bin nicht zufrieden mit meinem Land, mit der Politik. Ich habe da meine Eltern, darum gehe ich noch hin. Alles andere ist nicht so wichtig.“ Und er führt weiter aus: „Ich habe meine Eltern gefragt, wo meine Freunde sind. Ich komme aus einer kleinen Stadt. Siebzig, achtzig Prozent der jungen Leute sind schon weg. Nach Österreich oder nach Deutschland. Weil wir da eine Chance haben. Ich bin traurig, dass ich nur Schlechtes über mein Land sagen kann. Aber es gibt zu viel Kriminalität, keine Chancen für junge Leute. Als ich in einer Klinik mein Praktikum gemacht habe und danach ein Gespräch hatte wegen einer Stelle, schrieb der, mit dem ich geredet habe, auf einen Brief: 20.000 Mark, das sind 10.000 Euro. Und dann hat er gesagt: Du kannst dir überlegen, ob du dafür diesen Platz in der Klinik haben willst oder nicht. – Da habe ich mir gesagt: Jetzt ist Schluss, ich nehme meine Sachen und gehe hin, wo ich normal leben kann, wo ich eine Chance habe, meine Träume zu verwirklichen. Das ist traurig. Aber jetzt bin ich da.“ Das Fazit von Thomas Klie: „Schön, dass Sie da sind. – Das stimmt uns aber auch sehr nachdenklich. Wir dürfen hier nicht nur in unserem verwöhnten Deutschland daran denken, wie wir unseren Standard halten können, sondern wir sind in einer globalen Verantwortung. Das haben wir auch hier noch mal gehört. Vor der Haustür der EU gibt es noch wahnsinnig viel politisch zu gestalten, und da tragen wir in hohem Maße Mitverantwortung. Die Fachkräfterekrutierung – ein militärischer Ausdruck – mit chauvinistischer Haltung zu betreiben, das ist nicht sehr verantwortlich, gerade, wenn man in einem Wohlfahrtsstaat lebt und hier als wohlfahrtsverbandlich organisierte Einrichtung auch andere Verantwortung kennt, als dass man gewisse formale Standards einhält. Ich denke, das ist eine Lektion, die wir heute mitnehmen: Dass wir unsere Bemühungen auch immer mit den Folgewirkungen konfrontieren müssen, die unsere Rekrutierungsbemühungen anderswo auslösen.“

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„Wir brauchen in Deutschland Mitarbeiter aus dem Ausland, um alle jetzigen und künftigen Aufgaben in der Pflege und Begleitung meistern zu können – sei es ambulant zu Hause oder vollstationär in den Einrichtungen und Institutionen“. Diesen Satz hört man nicht nur immer wieder, landauf und landab, in den politischen Diskussionen. Auch von den Trägern der Einrichtungen, von den Sozialverbänden aber auch im privaten Umfeld – quasi als hörbare Volkes Meinung - werden diese Aussagen getroffen. Deutschland ein Zuwanderungsland – um die Pflege zu retten? In diesem Buch werden die Annahmen empirisch in differenzierter Weise veri–, aber auch falsifiziert. Die in den grundlegenden Aufsätzen des Buches (Klie und Arend) dargelegten Zahlen sprechen auf der einen Seite eine eindeutige Sprache: Ohne die helfenden Hände, die mittlerweile quasi aus aller Herren Länder zu uns nach Deutschland kommen, wären die vielfältigen sorgenden Aufgaben im Lande nicht mehr zu bewältigen. Es sind heute Hundertausende von Mitarbeiter aus dem Ausland, die in deutschen Privathaushalten und in den Pflegeheimen oder Krankenhäusern Pflege und Begleitung sicherstellen. Ohne sie alle, das wird durch die vorgelegten Ausführungen der Experten deutlich, würde unsere pflegerische Versorgung in der Akut- und Langzeitpflege zusammenbrechen, wäre „ambulant vor stationär“, also d i e (sozial) politische Strategie und Ausrichtung für die Begleitung von pflegebedürftigen Mitbürgern in den eigenen vier Wänden zuhause, nicht umzusetzen. Auf der anderen Seite muss konstatiert werden: Die Lösung der deutschen Pflegeherausforderungen lässt sich nicht (allein) durch transnationale Helfer finden: aus empirischen und aus normativen Gründen. Der Blick auf die Hochrechnungen für die kommenden Jahre macht deutlich, dass die Schere zwischen dem Bedarf an Mitarbeitern in der Pflege und den vorhandenen Ressourcen noch weiter auseinandergehen wird. Egal, ob dabei die eher optimistischen oder die eher pessimistischen Betrachtungen in den Blick genommen werden, wir müssen von etwa 500.000 fehlenden Mitarbeiter in der Langzeitpflege ausgehen. Und von einer Entspannung der dra151

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matischen Situation ist – trotz aller Imagekampagnen der vergangenen Jahre – keine Spur; im Gegenteil. Es mehren sich die Nachrichten in den Medien, die einen sich verschärfenden Wettbewerb um Pflege-Mitarbeiter besonders in den deutschen Großstadtzentren belegen. Die drohende Lücke fehlender Mitarbeiter, die beruflich Aufgaben in der Langzeitpflege übernehmen, gilt es zu schließen, wenn man eine menschenwürdige Versorgung für die Zukunft sichern und nicht auf heute übliche Qualitätsstandards verzichten will. Dazu ist es notwendig, neben einem ganzen Bündel an Maßnahmen, die darauf abzielen müssen, hierzulande mehr Menschen für einen helfenden, pflegerischen Beruf zu begeistern, attraktive Arbeitsbedingungen zu schaffen und den Mitarbeiter eine langfristige Perspektive in den Berufen der Langzeitpflege zu bieten, auch Mitarbeiter aus dem Ausland zu gewinnen – unter Beachtung der WHO-Kriterien für die Anwerbung von Mitarbeiter aus dem Gesundheitswesen. Dafür gibt es – und das zeigen die Beiträge im Buch eindrucksvoll – kein Patentrezept. Zum einen zeigt sich, dass die Herausforderungen und Aufgaben einer Gesellschaft des langen Lebens nicht nur für Deutschland und viele Länder Europas gelten. Es stehen vielmehr (fast) alle Industrienationen vor dem selben „Dilemma“ und agieren auf einem weltweiten, hartumkämpften Markt für Pflege(fach)kräfte. Diesem Wettbewerb muss sich Deutschland in fairer Weise stellen. Mittlerweile gibt es Länder (z.B. Philippinen und Vietnam), die diesen Markt bedienen und deutlich mehr Pflegefachkräfte – über den eigenen Bedarf – ausbilden. Diese Mitarbeiter gehen für einige Jahre (oder auch für immer) zur Sorgearbeit nach außen und sorgen mit den finanziellen Ressourcen, die sie in die Heimatländer zur Unterstützung von Angehörigen und Familienmitglieder zurückfließen lassen, für einen nicht unerheblichen Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt der jeweiligen Heimatländer. Der Export von Pflegemitarbeitern hat für diese Länder eine durchaus nicht unbedeutende volkswirtschaftliche Bedeutung (Beitrag Braesecke). Dem gegenüber gibt es Länder (Polen, Bulgarien, Moldawien oder Länder in Schwarzafrika), die in den vergangenen Jahren einen solch großen Aderlass an gut ausgebildeten Fachkräften erleben mussten, weil diese ins Ausland gegangen sind, dass sie nun gegensteuern müssen, wenn nicht die Versorgung im eigenen Land gefährdet werden soll. Internationale Übereinkünfte und Vereinbarungen gegen An- und Abwerbung von Mitarbeitern der Gesundheitsberufe sollen helfen. Wie wirksam solche Maßnahmen sind und wie lange sie wirken, wird sich in unserer globalen Welt zeigen. 152

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Und schließlich gibt es Länder, in denen aufgrund konjunktureller und arbeitsmarktpolitischer Gegebenheiten Pflegefachkräfte (besonders junge direkt nach der Ausbildung) arbeitslos sind. Es liegt nahe, diesen Fachkräften in den Ländern eine Beschäftigung anzubieten, in denen eine große, nicht zu befriedigende Nachfrage nach Pflegemitarbeitern herrscht. Doch es zeigt sich, dass trotz dieser ökonomisch eindeutigen Gleichungen die Rechnung in Sachen Pflegekräften nicht so einfach aufgeht, da kulturelle, sprachliche und fachliche Gesichtspunkte dem entgegenstehen. Am Beispiel „spanische Pflegefachkräfte für die deutsche Altenpflege“ (Aufsatz Klopprogge) konnte eindrucksvoll aufgezeigt werden, dass die beiden – nennen wir sie Pflegesysteme – aber auch das Verständnis von Pflege so divergieren, dass die alte Regel von Angebot und Nachfrage hier keine Wirksamkeit entfaltet. Obwohl ihnen Arbeitslosigkeit im eigenen Land droht, ist der deutsche Langzeitpflegemarkt für spanische Pflegefachkräfte so unattraktiv, dass sie ihm in der Regel schnell wieder den Rücken kehren. Die Beiträge im Buch von Klie, Kostrzewski, Menebröker und Marschitz setzen sich intensiv mit dem Thema der Haushaltshilfen (insbesondere aus Mittel- und Osteuropa) in Deutschland auseinander. Sie beleuchten einerseits, bewusst schonungslos den Status quo eines überwiegend grauen Marktes in einer Schattenwirtschaft, die jeder kennt. Gleichzeitig offenbaren die Aufsätze eine gewisse Scheinheiligkeit auf politischer und gesellschaftlicher Ebene angesichts weitgehender, geduldeter Rechtlosigkeit der Mitarbeiter in den Privathaushaltungen. Der Beitrag von Menebröker zeigt die Alternative einer (weitgehend) legalen Beschäftigung von Haushaltshilfen auf. Und der Aufsatz von Marschitz berichtet von den gesetzlichen und leistungsrechtlichen Lösungen der Problematik im Nachbarland Österreich. Ein Österreichischer Weg der Legalisierung scheidet allerdings für Deutschland – aus verschiedenen Gründen - aus. Trotzdem muss man sich zwingend der Frage stellen, wie man bei uns die Haushaltshilfen aus dem Bereich des grauen Marktes herauszuführen kann. Derzeit gibt es allerdings keine Anzeichen dafür, dieses „heiße Eisen“ anzufassen - im Gegenteil. Weder in der Auseinandersetzung um den Mindestlohn oder bei der Pflegereform waren die Haushaltshilfen in deutschen Privathaushalten, die „ambulant vor stationär“ erst möglich machen, ein Thema. Inwieweit eine weitgehende Rechtlosigkeit von hunderttausenden Mitarbeitern die pflegerische Versorgung in Deutschland weiterhin garantieren kann, bleibt abzuwarten. Träger von Einrichtungen sind gezwungen, sich mit der Thematik zu befassen und eine eindeutige Haltung dazu zu entwickeln. Der Aufsatz 153

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von Menebröker zeigt dazu „Suchbewegungen“ auf, wie man den Legalitätsdefiziten begegnen kann. Dieses Bemühen ist wichtig und unerlässlich. Aber damit einher geht die noch wichtigere Frage zur Weiterentwicklung der häuslichen Pflege – sowohl sozial- als auch ordnungsrechtlich. Die „große Pflegereform“ leistet hierzu nur einen eher kleinen Beitrag. Das Resümee der Beiträge des vorliegenden Buches muss also lauten, dass sich für die Träger von Einrichtungen, die Mitarbeiter aus dem Ausland für ihre Einrichtungen gewinnen möchten, einige grundlegende Fragestellungen und Handlungsempfehlungen herauskristallisieren, die es zu beherzigen gilt. Mittlerweile gibt es dazu auch einige sehr hilfreiche Tipps und Handreichungen, die bei der Vorbereitung, der Durchführung und der nachhaltigen Begleitung des Themas „Mitarbeiter aus dem Ausland“ nützlich sein können1 . 1. Die Gewinnung von Mitarbeiter aus dem Ausland ersetzt nicht die Hausaufgaben einer professionellen Personalarbeit. Die Gewinnung von Mitarbeiter aus dem Ausland ergänzt diese Aufgaben und ist ein Mosaikstein zur Sicherung des (mittel- und langfristigen) Mitarbeiterbedarfs. Die Gewinnung von Mitarbeiter aus dem Ausland ist daher auch als eine strategische Unternehmensentscheidung zu werten, die eine Fülle von Einzelüberlegungen und Maßnahmen mit sich bringt. Die Gewinnung von Mitarbeiter aus dem Ausland ist also keine adhoc-Maßnahme zur kurzfristigen Behebung von Mitarbeiterengpässen. 2. Vor der Suche und der Gewinnung von Mitarbeiter aus dem Ausland bedarf es zunächst einer intensiven grundsätzlichen Auseinandersetzung mit dem Thema „Rekrutierung“ (Wie „fit“ ist meine Organisation für die Gewinnung von Mitarbeitergruppen aus dem Ausland?) und einer Erstellung eines Konzepts mit den entsprechenden Berechnungen des Personalbedarfs, mit Aussagen zur Unternehmenskultur und Personalentwicklung sowie Gedanken zur internen Kommunikation sowie erste (arbeits)rechtliche Einschätzungen. Und zudem muss analysiert werden, welche finanziellen Ressourcen für die Rekrutierung und die damit verbundenen Investitionen eingesetzt werden können bzw. zur Verfügung stehen. 1  https://www.diakonie.de/media/Texte-11_2014-Arbeitsmigration-Pflege.pdf http://www.make-it-in-germany.com/fileadmin/content/make-it-in-germany/PDF/Handlungsempfehlung_Rekrutierung_ aus_dem_Ausland.pdf oder http://www.berlin-institut.org/fileadmin/user_upload/Gutachten/BPM_Studie_Internationale_ Arbeitskraefte_einstellen_final.pdf

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3. Die Gewinnung von Mitarbeiter aus dem Ausland ist kein Billigmodell. Gut ausgebildete Fachkräfte aus dem Ausland sind keine Mitarbeiter zweiter Klasse. Soll Rekrutierung erfolgreich und für die Unternehmung und die „Kunden“ wertvoll sein, dann ist zum Beispiel equal pay eine wichtige Grundlage der Zusammenarbeit.

5. Eine erfolgreiche Gewinnung gelingt natürlich nur mit guten deutschen Sprachkenntnissen der Mitarbeiter. Entweder lernen die Mitarbeiter Deutsch bereits im Heimatland (oder hatten Deutsch schon in der Schule) oder die sprachliche Ausbildung findet quasi als „training on the job“ in Deutschland statt. Auf jeden Fall sind umfangreiche Investitionen in die Sprachausbildung unerlässlich. Je nach Bundesland unterschiedlich, jedoch grundsätzlich notwendig ist in Deutschland die Vorlage eines offiziellen Sprachzeugnisses (B 1 + Fachsprachenprüfung oder B 2-Qualifikation) zur Anerkennung als Pflegefachkraft. Die Zeitdauer der Sprachenausbildung sollte eher großzügig bemessen werden. Ohne Vorkenntnisse erscheint es realistisch, von 9 Monaten bis zu einem Jahr Ausbildung bis zur Erlangung der B 2-Qualifikation auszugehen. In den ersten Monaten der Berufstätigkeit in Deutschland empfiehlt es sich, einen Vermittler / Dolmetscher / Paten einzusetzen, der die Muttersprache der Mitarbeiter aus dem Ausland beherrscht und über die ersten Hürden und Klippen hilft, die ansonsten schnell zu Missverständnissen führen.

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Transnationale Pflege – eine Art Gebrauchsanweisung als Resümee

4. Eine erfolgreiche Gewinnung von Mitarbeiter aus dem Ausland setzt eine intensive Auseinandersetzung und Beschäftigung mit (potenziellen) Herkunftsländern von künftigen Mitarbeitern voraus. Zum einen muss im Vorfeld geklärt werden, ob und wie eine Gewinnung überhaupt möglich ist und welche Formen von Ausbildung(en) es dort im Pflegesektor gibt. Diese Ausbildungen müssen auf die Möglichkeit einer Anerkennung hin in Deutschland geprüft werden. Dies beinhaltet auch eine fachliche Einschätzung, für welche Aufgaben genau die Mitarbeiter im jeweiligen Land qualifiziert sind und ob dies mit dem System in Deutschland vergleichbar und kompatibel ist. Denn davon abhängig sind mögliche vorbereitende Schulungen und Qualifizierungsmaßnahmen – entweder noch vor dem Arbeitsbeginn in Deutschland oder berufsbegleitend nach dem Start der Tätigkeit.

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6. Mitarbeiter aus dem Ausland müssen auch - besonders in der ersten Phase ihrer Berufstätigkeit in Deutschland - fachlich begleitet werden. Oftmals gibt es doch tiefgreifende Unterschiede in den pflegerischen und betreuenden Tätigkeiten, die erklärt werden müssen, oder es kommen andere Materialien und Hilfsmittel zum Einsatz, oder die Arbeitsorganisation unterscheidet sich. Alle diese grundlegenden Themen müssen besprochen und erklärt werden. Ebenso müssen Mitarbeiter aus dem Ausland die wichtigsten Grundlagen des deutschen Sozial- und Leistungsrechts kennenlernen. 7. Und last but not least hat es sich bewährt, Mitarbeiter aus dem Ausland auch bei der Suche nach einer Wohnung zu unterstützen und beim Einleben in Deutschland behilflich zu sein. Einige Träger stellen (zumindest für die ersten Monate) eine Dienstwohnung oder ein Zimmer und bieten kulturelle Kurse oder Angebote an. Für viele Mitarbeiter ist eine Tätigkeit in Deutschland oftmals der erste Auslandsaufenthalt überhaupt und stellt mit der Trennung von der Familie einen wirklich heftigen Sprung ins kalte Wasser dar, der begleitet werden sollte / muss.

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Autoren Dr. Stefan Arend M.A., Jahrgang 1963, studierte Management von Sozial- und Gesundheitseinrichtungen in Kaiserslautern und Witten/Herdecke sowie Geschichte, Sprachwissenschaft, Germanistik und Pädagogik in Marburg/Lahn. Seit 2008 ist er zusammen mit Horst Schmieder Vorstand von KWA Kuratorium Wohnen im Alter mit 18 Einrichtungen, darunter 14 Altenwohnstifte, eine eigene Klinik für Neurologische und Geriatrische Rehabilitation und das KWA Bildungszentrum mit diversen staatlich anerkannten Berufs- und Fachschulen. Prof. Dr. Thomas Klie ist Jurist und Gerontologe, Professor für öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften an der Evangelischen Hochschule in Freiburg. Seit den 1980er Jahren befasst er sich intensiv mit Rechtsfragen der Altenpflege. Er steht für ein Pflegerecht, das den Menschenrechten besonderes Gewicht gibt. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind u.a.: Zivilgesellschaft, Sozilae Gerontologie, Palliative Care, Teilhabe, Demenz. Dr. Alexander Kostrzewski studierte Betriebswirtschaftslehre an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Neben seiner Tätigkeit als Leiter Unternehmensentwicklung und später Managing Director im Unternehmen Medizinischer Dienst für Patientenbetreuung in Deutschland – Pharmar GmbH promovierte er extern zum Dr. rer. pol. am Lehrstuhl für Gesundheitsmanagement zum Thema „Internationalisierung im deutschen Gesundheitswesen“. Seit dem Jahre 2013 erweiterte er seine Tätigkeit um das Beteiligungsmanagement von Verbundunternehmen im Bereich der häuslichen Seniorenbetreuung.

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Claudia Menebröcker, arbeitet seit 2014 als Referentin beim Caritasverband für das Erzbistum Paderborn e.V. im Referat Altenhilfe, Hospiz und Sozialstationen. Ein Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ist die Begleitung des Angebots CariFair. Beruflicher Hintergrund: „CM Verpflegungskonzepte für Senioren“ – Selbständige Tätigkeit in Beratung und Fortund Weiterbildung, Leiterin der Abteilung Ernährung und Diätetik in einem Catering-Unternehmen, Diätassistentin und Diätküchenleiterin, Autorin von Fachartikeln und Büchern zur Ernährung alter Menschen Ausbildung / Studium: Master Soziologie, Bachelor Sozialwissenschaften und Erziehungswissenschaft, Fachwirtin für Organisation und Führung/Schwerpunkt Sozialwesen, Diätassistentin. Dr. Grit Braeseke, ist Wirtschaftswissenschaftlerin und seit 2016 beim IGES Institut GmbH in Berlin im Bereich Qualität, Evaluation & Reporting tätig. Davor war sie von 2008 - 2015 wissenschaftliche Leiterin des IEGUS Institut für europäische Gesundheits- und Sozialwirtschaft GmbH. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind der internationale Vergleich von Gesundheitssystemen, sozialpolitische Herausforderungen des demographischen Wandels, die Finanzierung von Gesundheits- und Pflegeleistungen und der Aufbau effizienter Versorgungsstrukturen, der volkswirtschaftliche Beitrag, die Produktivität und Innovationen der Gesundheitswirtschaft, Themen rund um den Fachkräftemangel (einschließlich Migration von Gesundheitspersonal) und Ausbildung in der Pflege. Axel Klopprogge, besitzt langjährige Erfahrung im internationalen Personalmanagement und in der Geschäftsentwicklung. Er ist Gründer und Geschäftsführer der internationalen Unternehmensberatung Strategy for People.

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Autoren

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Eva Ariño Mateo, hat an der Universität La Laguna in Sozialpsychologie promoviert. Sie hat mehrjährige Erfahrung im internationalen Personalmanagement. Die Entwicklung des pasocebra M+A Checks hat sie von der spanischen Seite aus wissenschaftlich begleitet und als Beraterin von Strategy for People zahlreiche Auswahlgespräche geführt. Christiane Heimann, hat in Deutschland und Spanien Soziologie studiert und auch in beiden Ländern gearbeitet. Zur Zeit arbeitet sie an ihrer von der Konrad-Adenauer-Stiftung geförderten Dissertation zur Rekrutierung und Arbeitsintegration spanischer Krankenschwestern und Ingenieure in Deutschland und Großbritannien. Sie ist Beraterin von Strategy for People. Sieglinde Hankele, arbeitet seit Dezember 2013 bei KWA Kuratorium Wohnen im Alter am Unternehmenssitz in Unterhaching als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie Chefredakteurin des KWA Journals „alternovum“. Sie nimmt verschiedene Aufgaben im Bereich Corporate Communications wahr und betreut auch die Online-Auftritte des Unternehmens. Als Ressortjournalistin (B. A.) hat sie vorher für verschiedene Redaktionen freiberuflich gearbeitet. Mag. Walter Marschitz, studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien. Seit 2016 ist erGeschäftsführer der Sozialwirtschaft Österreich, Verband der österreichischen Sozial- und Gesundheitsunternehmen. In den Jahren 2001-2016 war er Geschäftsführer des Hilfswerk Österreich, Non-Profit-Organisation im Sozial-, Gesundheits- Familien- und Kinderbetreuungsbereich, größer österreichischer Anbieter von mobiler Pflege; von 2008-2016 zusätzlich Geschäftsführer der Hilfswerk-PersonaldienstleistungsGmbH, die 24-Stunden-Betreuung organisiert.

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Dr. Stefan Arend M.A. ist seit 2008 zusammen mit Horst Schmieder Vorstand vom KWA Kuratorium Wohnen im Alter mit 18 Einrichtungen, darunter 14 Altenwohnstifte, eine eigene Klinik für Neurologische und Geriatrische Rehabilitation und das KWA Bildungszentrum mit diversen staatlich anerkannten Berufs- und Fachschulen.

Prof. Dr. Thomas Klie ist Jurist und Gerontologe. Er ist Professor für öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften an der Evangelischen Hochschule in Freiburg und praktiziert als Rechtsanwalt. Seit den 1980er-Jahren befasst er sich intensiv mit Rechtsfragen der Altenpflege. Er steht für ein Pflegerecht, das den Menschenrechten besonderes Gewicht gibt.

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