Weinkultur und Weingeschichte an Rhein, Nahe und Mosel 3515123865, 9783515123860

Mit insgesamt sechs Anbaugebieten (Rheinhessen, Pfalz, Mosel, Nahe, Mittelrhein und Ahr) und rund 64.000 Hektar Rebfläch

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German Pages 184 [186] Year 2019

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
(Michael Matheus) Einführung. Weinkultur und Weingeschichte an Rhein, Nahe und Mosel
(Margarethe König) Der römische Weinbau in Rheinland-Pfalz
(Michael Matheus) Zu den Anfängen des rheinhessischen Weinbaus in Antike und Mittelalter
(Andreas Lehnardt) Eine jüdische Weinprobe. Zu Handel und Verkostung von koscherem Wein in den SchUM-Städten
(Michael Rothmann) Spätmittelalterlicher Weinhandel am Rhein und seinen Nebenflüssen
(Rudolf Steffens) Wein und Sprache. Mainzer Forschungen zum Wortschatz des Weinbaus
(Henning Türk) Nationale Propaganda und Marketingcoup. Die „Reichsausstellung Deutscher Wein“ in Koblenz 1925
(Christof Krieger) „Trinkt deutschen Wein!“ Die Gründung des Reichsausschusses für Weinpropaganda in Mainz 1926
(Pia Nordblom) „Volksgemeinschaft“ im Weinglas? Zur Beziehungsgeschichte von Weinbau und Nationalsozialismus in Rheinhessen
(Daniel Deckers) Um jener geheimen Schönheit willen. Carl Zuckmayer, Carl Gunderloch und die Weinberge von Nackenheim
(Martin Sachse-Weinert) Information, Marketing und Kunst. Anmerkungen zur Multifunktionalität von Weinetiketten
Die Autorinnen und Autoren
Bildnachweis
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Weinkultur und Weingeschichte an Rhein, Nahe und Mosel
 3515123865, 9783515123860

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Weinkultur und Weingeschichte an Rhein, Nahe und Mosel

Herausgegeben von Michael Matheus

22 Mainzer Vorträge Franz Steiner Verlag

Weinkultur und Weingeschichte an Rhein, Nahe und Mosel Herausgegeben von Michael Matheus

mainzer vorträge Herausgegeben vom Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e.V. Band 22

Weinkultur und Weingeschichte an Rhein, Nahe und Mosel Herausgegeben von Michael Matheus

Franz Steiner Verlag

Umschlagabbildung: Neumagener Weinschiff, römischer Grabmalaufsatz aus der Zeit um 220 n. Chr. © GDKE / Rheinisches Landesmuseum Trier, Foto: Thomas Zühme

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2019 Druck: Beltz Grafische Betriebe, Bad Langensalza Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12386-0 (Print) ISBN 978-3-515-12387-7 (E-Book)

Inhaltsverzeichnis

M M Einführung Weinkultur und Weingeschichte an Rhein, Nahe und Mosel .....................



M K Der römische Weinbau in Rheinland-Pfalz ...........................................



M M Zu den Anfängen des rheinhessischen Weinbaus in Antike und Mittelalter .....................................................................................    Eine jüdische Weinprobe Zu Handel und Verkostung von koscherem Wein in den SchUM-Städten ..........................................................................  M M Spätmittelalterlicher Weinhandel am Rhein und seinen Nebenflüssen ......................................................................    Wein und Sprache Mainzer Forschungen zum Wortschatz des Weinbaus ................................ 

 Inhaltsverzeichnis

 K Nationale Propaganda und Marketingcoup Die „Reichsausstellung Deutscher Wein“ in Koblenz  ..........................   K „Trinkt deutschen Wein!“ Die Gründung des Reichsausschusses für Weinpropaganda in Mainz  .......................................................................................  P M „Volksgemeinschaft“ im Weinglas? Zur Beziehungsgeschichte von Weinbau und Nationalsozialismus in Rheinhessen .......................................................................................   K Um jener geheimen Schönheit willen Carl Zuckmayer, Carl Gunderloch und die Weinberge von Nackenheim ....  M -W Information, Marketing und Kunst Anmerkungen zur Multifunktionalität von Weinetiketten ........................  Die Autorinnen und Autoren ...............................................................  Bildnachweis ........................................................................................ 

Einführung

Weinkultur und Weingeschichte an Rhein, Nahe und Mosel

V

on den  Weinanbaugebieten in Deutschland mit insgesamt rund . Hektar bestockter Rebfläche liegen sechs innerhalb der Grenzen des Bundeslandes Rheinland-Pfalz. In den Anbaugebieten Ahr, Mittelrhein, Mosel, Nahe, Pfalz und Rheinhessen wird auf rund . Hektar weit mehr als die Hälfe des deutschen Weines produziert (Zahlen: Deutsches Weininstitut von ). Dieses Alleinstellungsmerkmal des Landes kommt durchaus in signifikanter Weise zum Ausdruck. So existiert nur in Rheinland-Pfalz ein Ministerium, welches auf den Wein in seinem Titel hinweist: Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau. Das Landeswappen wird über dem Wappenschild von einer Blätter- bzw. Volkskrone geschmückt, deren fünf goldfarbene stilisierte Weinblätter auf die Bedeutung des Weinbaus im Bundesland verweisen. Seit der Antike hat der Wein in dieser Region Wirtschaft und Handel mitgeprägt und auch in Kultur, Kunst, Sprache und Politik vielfältige Spuren hinterlassen. Wer freilich einschlägige Seiten im Internet wie die WikipediaArtikel „Weinbau in Rheinland-Pfalz“ oder „Weinbau in Mainz“ mustert, die hier nur stellvertretend für andere genannt seien, erfährt kaum etwas über die an anderer Stelle durchaus immer wieder beschworene jährige Weinkultur im Land. Dies gilt übrigens auch für die Internetseite des genannten Ministeriums. Mit der Veranstaltungsreihe des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz (IGL) im Jahre  gerieten ganz unterschiedliche Aspekte der Weingeschichte in den Blick: Weinbau in römischer Zeit, jüdische Weinkultur am Rhein, Weinhandel im Mittelalter und der Frühen Neuzeit. In den einzelnen Beiträgen, die im vorliegenden Band do1

Wilhelm Diepenbach, in: Mainzer Zeitschrift 41–43, 1946–1948, S. 127 ff. Ludwig Biewer, Das Wappen von Rheinhessen, in: Weinbrief 2015, S. 6–16.

 Einführung

kumentiert sind, werden sprach- und kunsthistorische Aspekte – mit Blick auf die spezifische Winzersprache oder die Gestaltung von Weinetiketten – und nicht zuletzt die politischen Dimensionen der Weinkultur – etwa zur Zeit des Nationalsozialismus – thematisiert. Wie in den jährlichen Vortragsreihen des IGL meist üblich, wird das Thema epochenübergreifend und interdisziplinär angesprochen. Der zeitliche Bogen reicht von der Römerzeit bis in die Gegenwart; neben der Geschichtswissenschaft spielen die Archäologie und Paläobotanik, die Sprachwissenschaft und die Judaistik eine Rolle. Dabei blickt das IGL auf eine lange Tradition weingeschichtlicher Forschungen zurück. Erinnert sei an die Bände in der Reihe Geschichtliche Landeskunde „Weinbau, Weinhandel und Weinkultur“ von , „Weinproduktion und Weinkonsum im Mittelalter“ von  und die Studie von Manfred Daunke zur nassauisch-preußischen Weinbaudomäne im Rheingau aus dem Jahre , ebenso an den von Wolfgang Kleiber initiierten „Wortatlas der kontinentalgermanischen Winzersprache“ sowie an das „Wörterbuch des Weinbaus“ von Rudolf Steffens. Im universitären Milieu fand Weingeschichte als Thema lange Zeit keine Beachtung. Das hat sich seit den siebziger und achtziger Jahren des . Jahrhunderts geändert, und dabei spielen in Deutschland die Universitäten in Trier und Mainz eine wichtige Rolle. Längst werden weingeschichtliche Themen auch von Studierenden in Abschlussarbeiten (BA, MA) und Dissertationen behandelt. Weinbau zur Römerzeit an Rhein und Mosel wurde zwar stets als wissenschaftlich nachgewiesen postuliert, doch brachte erst die Entdeckung römischer Keltern seit den siebziger Jahren des . Jahrhunderts im Zusammenhang mit Wegebauarbeiten der Flurbereinigung und anderen Baumaßnahmen zunächst an der Mosel sowie schließlich auch in der Pfalz wissenschaftlich gesicherte Nachweise. Margarethe König stellt die bisher entdeckten zwölf Kelteranlagen im Moseltal sowie eine in der Pfalz vor. Sie belegen römerzeitliche Weinproduktion ab dem . Jahrhundert n. Chr. in größerem Umfang. Dabei handelte es sich sowohl um staatliche als auch von Privatpersonen betriebene Einrichtungen. In Zusammenhang mit den archäologischen Ausgrabungen untersuchte König elf der Anlagen archäobotanisch. Zahlreiche Kulturpflanzenfunde und deren Begleiter bezeugen eine multifunktionale Nutzung der Kelterhäuser. Die teilweise aufwendigen Anlagen wurden in den Zeiten, in denen sie nicht zum Keltern des Weines dienten, als „Sammel- und Speicherbauten“ genutzt. Wenngleich von vielen Akteuren der Vermarktung rheinhessischer Weinkultur der römerzeitliche Anbau von Reben auch in dieser Region vorausgesetzt wird, fehlen bisher eindeutige Zeugnisse. Dennoch kann die Produktion von Wein in Rheinhessen in römischer Zeit nach jetzigem Kenntnisstand aber als wahrscheinlich gelten.

Weinkultur und Weingeschichte an Rhein, Nahe und Mosel 

Michael Matheus plädiert für Perspektiven und Forschungsvorhaben, welche die Rheinachse überspannen. Schon jetzt werde deutlich, dass der Weinbedarf der römischen Kapitale Mainz und des Umlandes nicht allein mit Importen zu decken war. Er zeigt zudem, dass, ähnlich wie an der Mosel schon im . und . Jahrhundert, mit Dienheim an der sogenannten Rheinfront der Typus des Winzerdorfes nachgewiesen ist. Dieses könnte, worauf der in Dienheim gefundene Siliusstein hinweist, mit dem zwischen Mainz und Worms in antiker Zeit belegten Buconica in Verbindung stehen. Weitere archäologische Untersuchungen sind freilich zur Beantwortung der Frage notwendig, ob Buconica im Bereich der heutigen Gemarkungen von Dienheim und Oppenheim lokalisiert werden kann. Bei den bisher in Rheinhessen großflächig und weitgehend ohne Beachtung möglicher Fundkonstellationen durchgeführten Flurbereinigungsmaßnahmen wurden wahrscheinlich Zeugnisse zur Weinkultur der Region zerstört. Noch immer aber könnten systematische und interdisziplinär ausgerichtete Forschungen im rheinhessischen Bodenarchiv zu wertvollen Einsichten führen. In seinem Beitrag stellt Andreas Lehnardt die für das Judentum bis heute konstitutive Bedeutung des Weines heraus. Seit dem Mittelalter lassen sich besonders in den großen Weinanbaugebieten am Rhein nachhaltige Veränderungen im täglichen Umgang von Juden mit Wein und Weinhandel beobachten. Nach einer wegweisenden Entscheidung, die mit dem bedeutenden Rabbiner Raschi verbunden wird, wurde der Handel mit nichtjüdischem Wein erlaubt. Die Absonderung von jüdischem Wein, d. h. von Juden konsumiertem Wein, wurde gleichzeitig weiter aufrechterhalten und wird bis heute weiter praktiziert. Anhand einiger Überlieferungen aus den SchUM-Gemeinden geht der Beitrag der spezifisch jüdischen Sicht auf das Thema Wein nach. Dabei lässt sich zeigen, dass Juden in den drei großen Gemeinden Speyer, Worms und Mainz exzellente Weinkenner waren und dies auch wirtschaftlich zu nutzen wussten. Schon in der Antike spielte der Rhein als Verkehrs- und Transportweg für Personen und Waren aller Art, nicht zuletzt für Wein, eine wichtige Rolle. Im späten Mittelalter bildete er die Hauptschlagader des mitteleuropäischen Handels. Michael Rothmann skizziert am Beispiel des Mittelrheingebietes die enge Verwobenheit von grundherrlich organisiertem Weinbau und der Weinvermarktung. In dieser Region war der Wein wohl schon seit dem frühen Mittelalter das wichtigste Handelsgut, und der Weinbau wurde in den folgenden Jahrhunderten zum wichtigsten Wirtschaftssegment. Am Beispiel des über weite Entfernungen hinweg gehandelten Elsässer Weins skizziert der Autor Absatzgebiete und Marktstrukturen. Der Weinhandel unterlag einem differenzierten und ausgeklügelten Kontroll- und Überwachungssystem. Am Beispiel der Grafen von Wertheim weist Rothmann auf typische Strategien

 Einführung

und Strukturen der Vermarktung im Weinhandel bis zum Endverbraucher hin. In Mainz haben nicht nur Forschungen zur Weingeschichte, sondern auch – wie der Beitrag von Rudolf Steffens zeigt – solche zur Sprache des Weinbaus eine beachtliche Tradition. Hier ist vor allem das Kartenwerk „Wortatlas der kontinentalgermanischen Winzerterminologie“ von Wolfgang Kleiber zu nennen. Es wurde in den er Jahren des letzten Jahrhunderts am Institut für Geschichtliche Landeskunde erarbeitet und in den Jahren –  in Einzellieferungen publiziert. Für den Atlas, der auf Karten die dialektale Fachterminologie des praktischen Weinbaus dokumentiert, wurden Winzer aus zahlreichen Ländern vor Ort befragt: Deutschland, Luxemburg, Frankreich (Elsass), der Schweiz, Liechtenstein, Italien (Südtirol), Österreich, der ehemaligen DDR. Sprecher aus den Sprachinseln in Osteuropa (vor allem Ungarn, Rumänien mit Siebenbürgen, der ehemaligen Sowjetunion mit dem Schwarzmeer-Gebiet und dem Kaukasus) wurden meist nach der Übersiedlung nach Deutschland am neuen Wohnort interviewt. Es zeigt sich, dass die Sprache der Winzer teilweise bis in die Antike zurückreicht. Diese Forschungen wurden um eine historische Tiefendimension erweitert, indem Steffens im „Wörterbuch des Weinbaus“ () die Fachterminologie nach spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Textquellen darstellte. Auch Verbreitung und Etymologie von Weinlagennamen zählen zu den Gegenständen Mainzer Forschungen. Die sich daran anschließenden Beiträge werfen Schlaglichter auf die Situation des Weinbaus im . Jahrhundert. Nach den schweren Einbußen in der Weinproduktion während des Ersten Weltkrieges geriet infolge des deutsch-spanischen Handelsvertrags vom . Juni  und des anschließenden anwachsenden Imports preiswerter Weine aus dem Süden die deutsche Weinwirtschaft erneut in eine schwere Absatzkrise. Der sogenannte „Bernkasteler Winzersturm“ vom . Februar  wurde zum Anlass, einen „Reichsausschuss für Weinpropaganda“ ins Leben zu rufen, der sich im Mai  in der Weinstadt Mainz konstituierte. Christof Krieger zeigt, wie mit dem Einsatz von eineinhalb Millionen Reichsmark – nach heutigem Geldwert annähernd  Millionen Euro – die Reichsregierung versuchte, den Absatz deutscher Rebenerzeugnisse anzukurbeln. Der Slogan „Trinkt deutschen Wein!“ begegnete den Deutschen für einige Zeit buchstäblich auf Schritt und Tritt. Der erhoffte langfristige Erfolg des in Mainz initiierten, bis dahin aufwendigsten Weinwerbefeldzuges im Reich blieb allerdings aus. Nach knapp drei Jahren – das kostspielige Werbefeuerwerk war schon verpufft – stand dem deutschen Weinbau im Zuge der Weltwirtschaftskrise erneut eine schwere Absatzkrise bevor.

Weinkultur und Weingeschichte an Rhein, Nahe und Mosel 

Im Spätsommer  bildete die „Reichsausstellung Deutscher Wein“ als erste große nationale Ausstellung zum Weinbau in Deutschland den Abschluss der Tausendjahrfeiern der Rheinlande. Henning Türk zeigt in seinem Beitrag, wie in der Ausstellung in ihren Texten und Darstellungen versucht wurde, die Verbundenheit der westlichen Weinbaugebiete mit dem restlichen Reichsgebiet zu demonstrieren. Die Ausstellung stilisierte den Wein zu einem Nationalgetränk der Deutschen, das eng mit ihren wirtschaftlichen und kulturellen Leistungen in der Vergangenheit verknüpft sei. Partikulare Interessen eines Wirtschaftszweiges und einzelner Regionen wurden auf diese Weise zu nationalen Interessen aufgewertet. Die Winzer und ihre Verbände versuchten mit dieser Strategie, den wirtschaftlichen Problemen des Weinbaus ein größeres Gehör zu verschaffen und ein größeres Publikum mit ihren Anliegen zu erreichen. Mit dem  in Berlin aufgeführten legendär-derben Lustspiel „Der Fröhliche Weinberg“ sowie in einem Feuilleton in der „Vossischen Zeitung“ setzte der „exzessive Weintrinker“ und „exzellente Weinkenner“ Carl Zuckmayer seiner „Geburtsheimat“ und seiner rheinhessischen Kindheit und Jugend ein unvergessliches literarisches Denkmal. „Der Fröhliche Weinberg“, das meistgespielte Bühnenstück der Weimarer Republik, stieß bei führenden Nationalsozialisten wie Joseph Goebbels auf entschiedene Ablehnung. In dem „bodenständig-prallen Schwank“ wurde zudem die Ehre des weit über die Region bekannten Nackenheimer Weingutsbesitzers Carl Gunderloch (wie er und seine Nachkommen es empfanden) in den Dreck gezogen. Anhand eines erstmals ausführlich erschlossenen Briefwechsels zeigt Daniel Deckers, wie lange es dauerte, bis die Familien Gunderloch-Usinger und Zuckmayer Freunde wurden, doch dann fürs Leben, bis in den Tod. Der Beitrag von Pia Nordblom untersucht die „Beziehungsgeschichte“ von Weinbau und Nationalsozialismus in Rheinhessen in ökonomischer, ideologischer, politischer und moralischer Hinsicht. Während viele Winzer von der nationalsozialistischen Agrarpolitik wirtschaftliche Hilfe und öffentliche Anerkennung ihres Berufsstandes erhofften, nutzte die nationalsozialistische Politik das Weingewerbe für propagandistische Zwecke zur Festigung der Volksgemeinschaft und in den Kriegsjahren zur Versorgung des Militärs. Zugleich wurden im Weingewerbe tätige Juden ihrer ökonomischen Grundlagen beraubt und bis hin zur physischen Vernichtung aus dieser konstruierten Volksgemeinschaft ausgegrenzt. Während Gauleiter Josef Bürckel in der Pfalz mit der Gründung der Deutschen Weinstraße () ein bis in die Gegenwart wirkendes Identitätsband stiftete, lässt sich in Rheinhessen nichts Vergleichbares feststellen. Die letzte Studie behandelt mit den Weinetiketten ein wichtiges Werbeinstrument der Weinwirtschaft. Schon vor rund . Jahren informierten

 Einführung

die Sumerer mittels Rollsiegeln an Weingefäßen über die Qualität des in ihnen enthaltenen vergorenen Rebensafts. Die ältesten gedruckten Etiketten stammen aus der Zeit um . Dank des lithographischen Druckverfahrens und des Mehrfarbendrucks wurde das Weinetikett im . Jahrhundert zu einem immer beliebteren Werbemittel. Martin Sachse-Weinert zeigt in seinem abschließenden Beitrag, dass moderne Weinetiketten verschiedenen Anforderungen gerecht werden müssen. Sie sollen erforderliche, teilweise gesetzlich vorgeschriebene Angaben transportieren, den Kunden zum Kauf anregen, und manche sollen sogar die (ästhetischen) Vorstellungen des Winzers graphisch zum Ausdruck bringen. Deutlich wird, wie in Vergangenheit und Gegenwart auf derart bisweilen heterogene Bedarfe eingegangen wurde und wird. Derzeitige Praktiken werden anhand einer Erhebung unter den rheinhessischen Weingütern dokumentiert. Die Vortragsreihe konnte als Veranstaltung des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e. V. in Kooperation mit dem Erbacher Hof – Akademie und Tagungszentrum des Bistums Mainz, mit der Generaldirektion Kulturelles Erbe – Direktion Landesmuseum Mainz, mit der Gesellschaft für Geschichte des Weines e. V. und dem Partnerschaftsverband Rheinland-Pfalz/Burgund e. V. durchgeführt werden. Allen Beteiligten und Kooperationspartnern sei herzlich gedankt. In bewährter Weise hat Hedwig Brüchert auch diesen Band der Mainzer Vorträge dankenswerterweise wieder redaktionell bearbeitet. Für die Unterstützung der Drucklegung des Bandes danken wir der Inneruniversitären Forschungsförderung der Johannes Gutenberg-Universität, namentlich dem Vizepräsidenten für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs, Univ.-Prof. Dr. Stefan Müller-Stach. Dem Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau, namentlich Herrn Minister Dr. Volker Wissing, sei für die Unterstützung des Projekts gedankt. Mainz, November 

Michael Matheus

M K

Der römische Weinbau in Rheinland-Pfalz

Einleitung

E

s ist eine in der allgemeinen Öffentlichkeit, aber auch in Teilen der Fachwissenschaft verbreitete Meinung, den Weinbau in den Gebieten nördlich der Alpen mit der Anwesenheit der Römer in Verbindung zu bringen. Zwischen dem . und . Jahrhundert n. Chr. wurden demnach die Technologie, wahrscheinlich auch das Pflanzenmaterial aus südlich oder westlich benachbarten Regionen importiert und an die lokalen Verhältnisse adaptiert. Bereits in vorrömischer Zeit bezogen die keltischen Bewohner Wein aus dem Mittelmeergebiet und schätzten das wohlschmeckende Gut. Kunsthandwerklich hochwertige Utensilien, die beim Weingenuss Einsatz finden, wie z. B. Schnabelkannen und bronzene Weinsiebe, belegen diesen Weinimport aus dem Süden für diejenigen sozialen Schichten, die ihn sich leisten konnten. Die zahlreichen Zeugnisse weisen den Konsum von Wein als Getränk nach, die Frage nach seiner lokalen oder regionalen Produktion in Mitteleuropa musste bis vor wenigen Jahrzehnten offenbleiben. Der Problematik, seit wann und in welchen Gebieten die Herstellung von Wein in unseren Breiten nach den römischen Eroberungszügen Eingang in die Lebensweise der damaligen Menschen fand, widmeten sich in den letzten Jahrzehnten archäologische und archäobotanische Untersuchungen. Archäologische Ausgrabungen im Moseltal und in der Pfalz bezeugen das Betreiben von örtlichem Weinbau, der die Kenntnis der Kultivierung, der Pflege und langfristigen Behandlung von Reben voraussetzt, sowie von der Produktion des alkoholischen Getränks in beträchtlichem Umfang. Darüber hinaus konnten Fachleute in einem interdisziplinären Projekt deutliche Hinweise auf eine vorrömische Kultivierung von Reben im Wallis finden. Damals wie heute stellten die Weinproduktion und der Weinhandel einen wesentlichen ökonomischen Faktor dar. Die interdisziplinäre Beschäfti-

 Margarethe König

gung mit diesem Thema und die Deutung der Befunde erbrachten nicht nur vielfältige Einblicke in die Herstellung und Behandlung von Wein, sondern beleuchten ebenso komplexe Zusammenhänge der landwirtschaftlichen Produktion und Organisation. Hinweise auf römischen Weinbau und ihre Bedeutung Die Frage, ob der Weinbau hierzulande römischen Ursprungs ist oder bereits vorrömische Wurzeln hat, erregte seit langem das Interesse sowohl von Archäologen, Historikern und Weinliebhabern als auch von Weinmarketingspezialisten. Gleichermaßen interessant ist der zeitliche Aspekt der Einführung von Rebkultivierung. Darstellungen von Weintrauben, -reben und -ranken auf Wandgemälden, Steindenkmälern, Mosaiken, von Fässern sowie die Anwesenheit von Trinkgeschirr und Weinsieben deuteten Optimisten als Dokumente des Weinanbaus, auch in den Gebieten nördlich der Alpen. Einer kritischen Betrachtung im Hinblick auf ihren eindeutigen Beweis für die örtliche Produktion hielten diese allerdings nicht stand. Denn die Rebpflanze hat durch ihr attraktiv ausgeformtes Blatt und ihre Ranken dekorativen Charakter und könnte „imitiert“ sein, die Weinutensilien benutzt man ebenso beim Konsum importierten Weines. So könnte das Grabdenkmal „Neumagener Weinschiff“ sowohl ein Zeugnis für den Transport von importiertem als auch von lokal produziertem Wein oder eines anderen Getränks darstellen. Selbst ein Transport von anderen Waren in Fässern ist nicht von der Hand zu weisen. Mehr oder weniger deutliche schriftliche Hinweise oder „Dokumente“ über einen römerzeitlichen Weinbau an der Mosel sollen die Edikte der Kaiser Domitian (um  n. Chr.) und Probus (um  n. Chr.) darstellen, wonach zunächst der Weinbau in Gallien zugunsten des Getreidebaus eingeschränkt und später diese Vorgabe aufgehoben wurde. Ob diese Vorschriften Auswirkungen auf die Kultivierung von Wein an Mosel und Rhein hatten, lässt sich nicht klar belegen. Mit gewissen Abstrichen bilden möglicherweise die Lobreden auf die Kaiser Maximianus ( n. Chr.) und Kaiser Constantin d. Gr. ( n. Chr.) zuverlässigere Quellen, in denen von extensivem Weinbau mit üppiger Ernte und nicht mehr feststellbarem Alter der Reben die Rede ist (nach Gilles , –). Den literarischen Ausführungen des antiken Schriftstellers Ausonius ist in der Mosella (um  n. Chr.) ein direkter Bezug auf den damaligen Weinbau an der Mosel zu entnehmen. Inwieweit die angeführten Zeugnisse den damaligen Verhältnissen entsprechen oder eher literarischen bzw. propagandistischen Charakter haben, lässt sich nicht sicher beantworten. Das Antreffen von Rebmessern, Karsten, Behältnissen und Keltersteinen stellt ebenfalls keine sicheren Belege von römerzeitlichem Weinbau dar. In

Der römische Weinbau in Rheinland-Pfalz 

seiner Abhandlung zum römischen Weinbau in Rheinhessen stellte Patrick Jung diese teils multifunktional einsetzbaren Werkzeuge, Gefäße und Teile der Presseinrichtung zusammen und kommt nachvollziehbar zu dem Schluss, dass diese keinen eindeutigen Weinbaunachweis bedeuten. Insbesondere den Keltersteinen ist die zeitliche Einordnung nicht anzusehen, wenn diese bei deren Antreffen keinen Befundzusammenhang an sekundären Standorten aufweisen. Lediglich die nachweislich lokal produzierten Amphoren bedeuten nach Untersuchungen von Martin-Kilcher und Ehmig Indizien für einen möglichen örtlichen Weinbau. Während die vielfältig einsetzbaren land- und forstwirtschaftlichen Geräte wie Karst, „Rebmesser“, Keltersteine u. a. nur äußerst bedingt als Beweis für Weinkultivierung anzusehen sind, konnte man durch die Produktion eines bestimmten Amphorentyps, der nicht für den Ferntransport geeignet ist, in Augst bei Basel eine mögliche lokale Weinherstellung oder das Lagern von Wein in den tönernen Behältnissen vermuten. Darüber hinaus wurde am gleichen Ort das Aussetzen von südgallischen Weinamphoren beobachtet und in Zusammenhang mit einem damit ursächlich verknüpften Aufschwung der Weinproduktion im Rhein- und Moselgebiet gesehen. Die Amphoren von Mainz und seinem Umland liegen aufgearbeitet vor und geben einen Überblick, aus welchen Gegenden Wein, Öl und andere Nahrungsmittel in derartigen Behältnissen nach Mainz transportiert worden sind. Auch eine im nördlichen Obergermanien produzierte Amphorenform lässt sich fassen und entspricht am ehesten den südspanischen Ölamphoren. Welchen Inhalt diese einheimischen Amphoren tatsächlich bargen, wäre in künftigen Analysen zu ermitteln. Die These „Wein“ wird in Betracht gezogen und durch Beobachtungen von stilisiertem Wein-Dekor und Trinksprüchen auf Miniaturen der einheimischen Amphorenform sowie durch die Tatsache gestützt, dass die Anzahl der lokal produzierten Formen an den Orten groß ist, wo bislang nur wenige importierte Weinamphoren geborgen wurden. Sie kann aber letztendlich nicht bewiesen werden. Das im Jahr  in einer römischen Villa bei Kinheim an der Mosel entdeckte Sucellus-Relief kann als Hinweis auf römischen Weinbau in der zweiten Hälfte des . Jahrhunderts gelten, ein eindeutiger Beleg ist es ohne das Antreffen von zeitgleichen Kelteranlagen allerdings m. E. nicht. Die Attribute Fässer, Schlegel und eine Traube sollen Sucellus als gallo-römischen Schutzgott der Moselwinzer und Küfer kennzeichnen. Einen klaren Beweis für die Kultivierung von Weinreben stellen Pollenfunde dar, die in Gebieten außerhalb des Vorkommens der Wildrebe (Vitis sylvestris) auftreten. Die heute durch die Flussregulierung und in deren Folge Trockenlegung sowie forstmäßige Bewirtschaftung der ehemaligen Auenwälder sehr selten vorkommende Wildform ist in der Oberrheinebene natürlicherweise verbreitet. Da man die Pollenkörner von Wild- und Kulturform

 Margarethe König

nicht unterscheiden kann, ist es schwierig, in diesem Gebiet den Beginn der Weinkultivierung mit Hilfe dieser Methodik zu beweisen. Anders sieht es im Moseltal aus, wo die Wildrebe nicht autochthon ist und dadurch ein erstmaliges Auftreten von Vitis-Pollen als terminus post quem für die Kultivierung von Reben anzusehen ist. Pollenfunde bezeugen dort ihr Vorkommen um  n. Chr., wobei diese auch von einzelnen oder in Gruppen stehenden Pflanzen stammen können. Eine großflächige Rebkultivierung, wie sie eine Weinproduktion voraussetzt, ist dadurch noch nicht nachgewiesen. Auch im Nahe- und Ahrtal könnte der Beginn des Anbaus von Weinreben bei Vorhandensein von geeignetem Substrat durch Vitis-Pollenfunde belegt werden. Überzeugende Belege könnten auch die Vorkommen von Rebholz darstellen. So lässt sich spätrömischer Weinbau um  n. Chr. durch einen C--datierten Rebstock aus dem Hinterland von Augst und Basel nachweisen. Die Anmerkung, dass diese Rebholzreste von einzelnen z. B. an einer Hauswand oder in einem Garten stehenden Rebpflanzen stammen können und entsprechend kein Zeugnis für das Bewirtschaften von Weinbergen sein müssen, ist nicht von der Hand zu weisen. Wird dieses Holz in einem für Weinbau klimatisch und edaphisch begünstigten Gebiet angetroffen, erlaubt der Fundkontext die Annahme einer Anpflanzung, und treten derartige Funde häufiger auf, ist ihnen sicher besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Ist zudem in unmittelbarer Nähe eine namhafte Klientel von Weinkonsumenten gegeben, liegt der Schluss doch recht nahe, dass gezielt und in ökonomisch sinnvoller Weise Weinanbau betrieben wurde. Insofern können archäologische Rebholzfunde einen wichtigen Schritt zum Beweis von römerzeitlicher Weinkultivierung bedeuten. Das Vorliegen von Traubenkernen in römischem Kontext sagt zunächst aus, dass entweder frische oder getrocknete Weinbeeren im Bereich der Fundstelle vorkamen. Möglicherweise bedeuten sie auch den Konsum von Wein als Getränk, das noch einige Kerne enthielt, bevor diese mit den bekannten Sieben zurückgehalten wurden und z. B. in den Abfall gerieten. Beim Antreffen von Kernen mit anhaftendem Fruchtfleisch, dessen Oberfläche trotz Verkohlung glatt geblieben ist, handelt es sich um ursprünglich frische Weinbeeren. Beobachtungen dieser Art kennen wir aus Augst/Schweiz, aus der Nähe von Lyon/Frankreich und aus Mainz, wobei der Mainzer Fund bei umsichtiger Interpretation auch von frischen Weintrauben von der Mosel oder aus der Pfalz stammen könnte. Weitere wichtige Indizien für die Kultivierung von Reben stellen die Beerenstielchen dar (Abb. ). Diese relativ empfindlichen Pflanzenteile wurden in Zusammenhang mit den archäobotanischen Untersuchungen der Keltereinrichtungen an der Mosel als Rückstände des Pressvorgangs recht häufig beobachtet und zeigen m. E. ebenfalls frische Trauben an, denn an Rosinen fallen diese Stielchen sehr leicht ab und

Der römische Weinbau in Rheinland-Pfalz 

Abb. 1: Verkohlte Traubenkerne (links), Beerenstielchen (rechts oben) und Walnussschalenfragmente (rechts unten) aus der Kelteranlage in Lieser

treten entsprechend in archäobotanischem Kontext äußerst selten auf. Auch in Zusammenhang mit Traubenkernfunden sind diese Pflanzenteile nicht beobachtet worden. Beim Pressvorgang fallen sie in großen Mengen kompakt an, so dass ihre Auffindungschance bei der Ausgrabung von Weinpressen deswegen größer ist. Die römischen Kelteranlagen im Moseltal und in der Pfalz Einen eindeutigen Beleg für römerzeitlichen Weinanbau stellt das Auffinden von Keltern dar. Im Bereich der Mittelmosel und in der Pfalz wurden in den letzten vier Jahrzehnten insgesamt dreizehn Baustrukturen archäologisch untersucht, die als eigenständige Gebäude ohne weiteren baulichen Kontext oder als Keltervorrichtungen als Teile eines römischen Gutshofes, einer villa rustica, einzuordnen sind. Der Schwerpunkt liegt hier eindeutig im Moseltal, wo zwölf Weinpressen nachgewiesen sind. Davon zählen zwei Anlagen als Wirtschaftsgebäude zu einem Gutshof, die übrigen als rein funktionale Einrichtungen vor allem zur Verarbeitung der reifen Weintrauben. Nach Martin-Kilcher () ist zwischen einem „extensiven Weinbau für Großproduktion und Export“ und einem „Rebbau für den eigenen oder allenfalls lokalen Bedarf, der archäologisch gar nicht in Erscheinung treten muß“, zu unterscheiden. In den bekannten Fällen können wir von einer mengenmäßig bemerkenswerten Weinproduktion ausgehen. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass es weitere Presseinrichtungen geringerer Größe gab, die sich derzeit nicht fassen lassen.

 Margarethe König

Alle Keltern an der Mosel liegen im Kreis Bernkastel-Wittlich, diejenige in der Pfalz im Kreis Bad Dürkheim: Brauneberg-Ost und -West, ErdenOst und -West, Graach, Lieser, Lösnich, Maring-Noviand, Piesport, Piesport-Müstert, Wolf, Zeltingen-Rachtig und Bad Dürkheim-Ungstein. Die älteste der Baustrukturen in Piesport-Müstert datiert an den Beginn des . Jahrhunderts, der Schwerpunkt liegt bei den meisten im . Jahrhundert und dauert bei einigen bis zum Beginn / in die erste Hälfte des . Jahrhunderts n. Chr. an. Es handelt sich entsprechend um ein spätantikes Phänomen. Mit Ausnahme der als Ökonomiebauten zu beurteilenden Häuser innerhalb eines römischen Gutshofs in Lösnich, Maring-Noviand und Bad-Dürkheim stellen die Baustrukturen rein funktionale Gebäude ohne Wohnbebauung in den qualitätvollen Weinlagen der Mittelmosel dar, wie z. B. Piesporter Goldtröpfchen, Brauneberger Juffer-Sonnenuhr, Graacher Himmelreich und Erdener Treppchen. Lediglich das westliche Erdener Kelterhaus war zweigeschossig angelegt und könnte im oberen Stockwerk Wohnraum für saisonal Beschäftigte geboten haben. In manchen Anlagen beobachteten die Ausgräber Nebenräume, die teilweise in den Fels eingearbeitet waren. In vier Fällen, im westlichen und östlichen Kelterhaus von Erden, in Graach und in Piesport, traten Fumarien zutage, die möglicherweise dazu dienten, dem Most/Wein eine besondere Geschmacksnote zu verleihen. Vom Kelterhaus in Maring-Noviand abgesehen, liegen alle Weinpressen an der Mosel am Fuß steiler Hänge verkehrsgünstig am Fluss in erreichbarer Distanz zur prosperierenden Metropole Trier, diejenige in der Pfalz nicht weit entfernt zur Hauptstadt Obergermaniens Mainz. Die Kelteranlagen kennzeichnen quadratische bis rechteckige Becken, die als Maische-, Press- und Mostbecken, angelegt auf zwei Arbeitsniveaus, genutzt wurden. In Piesport sind die genannten Becken paarweise über drei Ebenen angeordnet und weisen viertelrundförmige Pressbecken auf. Aufgrund der Anwesenheit von Keltersteinen lassen sich Pressen rekonstruieren, wonach Presskörbe an einer Baumkelter angebracht waren, in die das zunächst mit Füßen oder geeigneten Geräten gestampfte und anschließend gemaischte Lesegut umgefüllt und weiterbearbeitet wurde, um den Ertrag an Traubensaft zu steigern. In einigen Fällen erleichtern Trittstufen und Schöpfkuhlen das Entleeren der Mostbecken. Die kleineren mit nur je einem Tret-/Maische- und Mostbecken versehenen Keltern in den villae rusticae von Bad Dürkheim-Ungstein und einem zusätzlichen Kelter- oder Pressbecken in Lösnich und Maring-Noviand stellen wohl von privaten Personen betriebene Einrichtungen dar. Dagegen legen die Dimensionen und einige aussagekräftige Kleinfunde, wie staatliche oder militärische Ziegelstempel und Beschlagteile von Gürteln höher gestellter Beamter oder Militärs, es in den übrigen Keltern nahe, von staat-

Der römische Weinbau in Rheinland-Pfalz 

lich betriebenen Institutionen auszugehen. Über den sicheren, schnellen und kostengünstigen Wasserweg auf der Mosel konnte der Most in die Kaiserresidenz gebracht werden. Darüber hinaus erbrachte eine Sarkophaginschrift des späten . Jahrhunderts n. Chr., die einen Verwalter der staatlichen Weine bezeugt, den Beleg einer kaiserlichen Weinkellerei. Der Grabstein eines römischen Weinhändlers wohl aus der zweiten Hälfte des . Jahrhunderts ist darüber hinaus aus Passau bekannt. Die im Kontext der archäologischen Ausgrabungen durchgeführten archäobotanischen Untersuchungen erlaubten weitere Einblicke in die Bedeutung und Nutzung der spätantiken Baustrukturen. Mit Ausnahme von Maring-Noviand sowie eingeschränkt von Lösnich und Piesport konnten ausgrabungsbegleitend archäobotanische Sedimentanalysen stattfinden. Die Zerstörung der Gebäude durch Brandereignisse führte zur Verkohlung und dadurch Erhaltung von dort vorkommenden Pflanzenresten, die normalerweise mikrobiell abgebaut würden, im verkohlten Zustand aber nicht mehr zersetzbar sind. Dadurch bleiben sie über Jahrhunderte hinweg konserviert und lassen sich mit Hilfe von Stereolupen und Mikroskopen nach Pflanzenart oder -gattung determinieren. Das Antreffen von Traubenkernen (Abb. ) konnte man erwarten; in jeder untersuchten Anlage traten darüber hinaus weitere Kulturpflanzenreste und auch Wildpflanzenarten auf. Es handelt sich um verschiedene Getreidearten, Hülsenfrüchte, eine Ölpflanze, Kulturobst und eine kultivierte Nuss, Sammelobstarten und eine gesammelte Nuss sowie um Wildpflanzen. Letztere stellen kulturbegleitende Unkräuter und Vertreter der Wildvegetation dar.

Abb. 2: Verkohlte Traubenkerne aus der Kelteranlage in Piesport

 Margarethe König

Abb. 3: Verkohlte Traubenkerne (links), Körner von Echter Hirse (Mitte unten), Haselnussschalenfragmenten (rechts), Winden-Knöterich (oben rechts) und Spitz-Wegerich (Mitte rechts) aus der Kelteranlage in Piesport-Müstert

Abb. 4: Verkohlte Körner von Hanf aus der Kelteranlage von Erden-West

Zu den Getreiden zählen Gerste (Hordeum vulgare), Dinkel (Triticum spelta), Echte Hirse (Panicum miliaceum, Abb. ), Kolbenhirse (Setaria italica), Roggen (Secale cereale) und wohl Hafer (cf. Avena spec.); darüber hinaus Cerealia indeterminata, also verkohlte Getreidekörner, deren Art nicht exakt zuzuweisen ist. Weitere Belege stammen von kultivierten Hülsenfrüchten. Es handelt sich um Ackerbohne (Vicia faba), wohl Erbse (cf. Pisum sativum) und Linse (Lens culinaris) sowie Relikte, deren Pflanzenart aufgrund des Konservierungszustands nicht determiniert werden kann. Allerdings sind sie nach ihrer Größe eindeutig als kultivierte Leguminosen (Leguminosae sativae indeterminatae) anzusprechen. Als Ölpflanze förderten die Analysen Samen von Hanf (Cannabis sativa, Abb. ) und Lein (Linum usitatissimum) ans Tageslicht.

Der römische Weinbau in Rheinland-Pfalz 

Als kultivierte Obstarten liegen Apfel (Malus spec.), Birne (Pirus spec.), Süßkirsche (Prunus avium) und Pfirsich (Prunus persica) vor. Zahlreiche Steinobstkern-Fragmente bestätigen das Vorhandensein von Süßkirsche oder weiterer nicht näher bestimmbarer Steinobst-Arten. Die Anwesenheit von Schalenfragmenten der Walnuss (Juglans regia, Abb. ) verweisen auf das Vorkommen dieser Fruchtbaumart. Außer den angebauten Obst- und Nussarten sammelten unsere Vorfahren auch die wild wachsenden, aromatischen und vitamin- sowie mineralstoffreichen Früchte der Himbeere (Rubus idaeus), Brombeere (Rubus fruticosus), des Schwarzen und Trauben-Holunders (Sambucus nigra et S. racemosa), der Schlehe (Prunus spinosa) sowie die wertvolles Öl enthaltenden Nüsse der Hasel (Corylus avellana, Abb. ). Ob die Früchte der Eiche (Quercus spec.) als Nahrungspflanze genutzt wurden, muss offen bleiben. Ein Grab bei Büchel, Kreis Cochem-Zell, aus der Zeit um die Mitte des . Jahrhunderts n. Chr. enthält die Keimblätter der Eichel als Grabbeigabe, so dass eine Wertschätzung der Frucht angenommen werden kann. Darüber hinaus bestätigen weitere Wildpflanzen, die als Unkräuter des Getreides und der Hackfrüchte gelten können, die Anwesenheit der Kulturpflanzen; weitere Pflanzenarten besiedeln Weinberge, Gärten, Wegränder, Trittpflanzengesellschaften, Ufervegetation, Weidengebüsche, Wiesen und Weiden, Rasen und Heiden sowie Schuttplätze. Die Wildpflanzen gelangten wohl durch Mensch, Tier und Wind „zufällig“ in den Bereich der Gebäude. Durch deren Anwesenheit erhalten wir einen kleinen Einblick in die Umgebung der Installationen und eine Vorstellung von der Qualität der Böden, auf denen sie wuchsen. Es handelt sich um meist nährstoff- bis stickstoffreiche, teilweise kalkhaltige, sowohl trockene als auch frische bis feuchte Unterlagen. Die angetroffenen Pflanzenreste geben deutliche Hinweise auf die multifunktionale Nutzung der Anlagen, wie dies auch heute noch üblich ist. Diskussion und Ausblick Die vorangehenden Ausführungen machen einen vorrömischen Weinimport und Weingenuss in den Gebieten nördlich der Alpen deutlich, von einer lokalen Weinproduktion kann man jedoch erst ab dem . Jahrhundert n. Chr. ausgehen. Klare Belege für diese stellen die zahlreichen Kelteranlagen im Moseltal und diejenige in der Pfalz dar. In anderen Weinregionen von Rheinland-Pfalz fehlt bisher ein überzeugender Beweis für römischen Weinanbau. Da die Weinpressen sowohl als Ökonomieteil von römischen Landgütern in Erscheinung treten als auch als reine räumlich isolierte Funktionsbauten vorkommen, wird von einer Weinherstellung in überschaubarem Rahmen von privater und in umfangreichem Stil von staatlicher Seite ausgegangen. Diese Großkeltern an der Mosel stehen vermutlich mit dem Sitz der Kaiser-

 Margarethe König

residenz in Trier in engem Zusammenhang. Ebenso wie ein kaiserlicher Hofstaat kommt das Militär als Großabnehmer für Wein in Betracht. Denn zur täglichen Ration eines römischen Soldaten gehörte ein Quantum Wein von meist minderer Qualität. Der in römischer Zeit wichtige Militärstützpunkt Mainz mit zeitweise zwei stationierten Legionen könnte ein Großkonsument des Produkts gewesen sein, so dass römerzeitliche Weinpressen im Umfeld von Mainz nicht von der Hand zu weisen, derzeit aber nicht entdeckt sind und auch keine anderen zuverlässigen Belege für Weinkultivierung vorliegen. Den relativ hohen Investitionskosten für die langfristige Anlage, Pflege und Bewirtschaftung von Weinbergen, Kelter- und Kelleranlagen müssen der Produktion sichere, permanente Absatzmärkte gegenüberstehen. Die hohe Dichte römischer Landgüter in Rheinhessen, in deren Gebäudekomplex eine Weinpresse eingebaut gewesen sein könnte, spricht für ein agrarisch intensiv genutztes Gebiet. Möglicherweise besteht hier allerdings Konkurrenz zu anderen, für eine versorgungs-, absatz- und gewinnorientierte Produktion notwendigen landwirtschaftlichen Nutzungen, die sich bei den Steillagen im Moseltal per se nicht ergeben. Aufgrund der naturräumlichen Voraussetzungen ist ein römerzeitlicher Weinbau z. B. in Rheinhessen durchaus nachvollziehbar. Darüber hinaus liegt die frühe schriftliche Erwähnung von Weinbergen in frühmittelalterlichen Dokumenten rheinhessischer Dörfer nicht wesentlich später als diejenige im Moseltal, was eine römerzeitliche Weinkultivierung wahrscheinlich erscheinen lässt (vgl. den Beitrag von Michael Matheus in diesem Band). Das Auftreten der verschiedenen Kultur- und Wildpflanzen in Kelteranlagen führt zu der Hypothese, dass jene multifunktionale Bedeutung hatten und man sie in den Jahreszeiten, in denen sie nicht für die Bearbeitung der Trauben benötigt wurden, als Lagerraum und Sammelplätze verwendete. Vermutlich wurden hier Produkte der umliegenden, Überschuss produzierenden Gutshöfe gelagert, die zu den flussnahen Einrichtungen gebracht wurden, um sie weiter zu transportieren. Dies erscheint umso mehr einleuchtend, als es ökonomisch sinnvollen Regeln folgt, die solide gebauten Häuser möglichst ganzjährig zu nutzen. Auch in heutigen Weinbaubetrieben dienen die Kelterhäuser außerhalb der Erntezeit als Arbeitsort. Die vorkommenden Getreide- und Hülsenfruchtarten sind für römerzeitliche Plätze üblich. Relativ selten ist der umfangreiche Fund der Samen von Hanf, der als Öl- und Faserpflanze Verwendung fand. Einen weiteren umfangreicheren Nachweis kennen wir aus dem römischen Brunnen von Otterbach, Kreis Kaiserslautern, wo Hanf die weitere Öl- und Faserpflanze Lein zahlenmäßig wesentlich übertrifft. Die Belege von Kulturobstarten und einer Kulturnuss verdeutlichen die Übernahme von römischen agrikulturellen Errungenschaften und zeigen eine entwickelte Gartenkultur an.

Der römische Weinbau in Rheinland-Pfalz 

In Zusammenhang mit der Frage nach der Herkunft des Pflanzmaterials in den rheinland-pfälzischen Weinbergen sind die Ergebnisse des Europa-Versuchs der ehemaligen Landes-, Lehr- und Versuchsanstalt für Landwirtschaft, Weinbau und Gartenbau interessant. Dabei wurden während der Versuchsjahre  bis  verschiedene Rebsorten aus Europa angebaut. Es zeigte sich, dass die aus Südwest- und Osteuropa stammenden Weinsorten in mehreren Fällen bereits nach zwei Jahren geringen oder keinen Ertrag und schlechtere Qualität erzielten. Dies bedeutet, dass sich Rebsorten aus Südund Osteuropa nicht ohne weiteres dem mitteleuropäischen Klima anpassen können und ihre Kultur entsprechend problematisch bzw. erfolglos ist. Allerdings muss man einschränkend erwähnen, dass wir die Entwicklung von „Weinsorten“ in der Antike nicht kennen, diese aber sicher nicht der neuzeitlichen entsprechen und daher die erwähnten Versuchsergebnisse sicher nicht in allen Aspekten übertragbar sind. Eine „Züchtung“ aus lokal vorhandenen Wildreben erscheint eher unwahrscheinlich, da bereits entwickelte Rebpflanzen in anderen Gebieten des römischen Reiches erfolgreich kultiviert wurden. Zudem entstehen Sorten in einer längeren Züchtungsgeschichte. Erfolgversprechend müsste m. E. die Übernahme von Pflanzmaterial aus benachbarten Gebieten, z. B. der Burgundischen Pforte, gewesen sein, deren klimatische Verhältnisse sich nicht so gravierend von denjenigen im Moseltal und in der Pfalz unterscheiden. Die antiken Schriftsteller Cato, Varro, Columella und Plinius der Ältere beschreiben detailliert die Vermehrung von Rebstecklingen, woraus man genaue Kenntnisse dieses Kultivierungsprozesses erlangen kann. Derzeit ist diese Problematik nicht zuverlässig zu klären. In der Zukunft ist es sicher sinnvoll, in archäologischem Kontext in Rheinland-Pfalz auf Hölzer von Reben zu achten und diese zu datieren. Genetische Untersuchungen, wie sie am Julius Kühn-Institut (JKI), Institut für Rebenzüchtung Geilweilerhof, und am Institut für Naturwissenschaftliche und Prähistorische Archäologie (IPNA) der Universität Basel, Arbeitsgruppe Archäobotanik, stattfinden, bringen Licht in das Dunkel der Sortenfrage. Klärung und Sicherheit würde das Entdecken von römischen Kelteranlagen in den übrigen Weinanbaugebieten bringen. Dabei sind insbesondere die Ökonomiegebäude der villae rusticae interessant und aufschlussreich, die bei den Untersuchungen in der Vergangenheit häufig der pars urbana nachrangig ausgegraben wurden oder unbeachtet blieben.

 Margarethe König

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Der römische Weinbau in Rheinland-Pfalz 

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 Margarethe König

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Dank Herrn Univ.-Prof. Dr. Michael Matheus, Leiter des Arbeitsbereiches Mittlere und Neuere Geschichte und Vergleichende Landesgeschichte der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, danke ich vielmals für zahlreiche inspirierende Anregungen zur historischen Entwicklung des Weinbaus in Rheinland-Pfalz. Für hilfreiche Hinweise und kompetente Unterstützung danke ich Dipl. Designerin Irene Bell, Dr. Volker Grünewald, André Imschweiler B. A., alle Institut für Altertumswissenschaften, Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie, Dr. Jochen Haas, Mainz, Werner Hiller-König, Gau-Weinheim, Monika König M. A., Waldshut-Tiengen, Dr. Frank Unruh, Trier, und Dr. Christina Wustrow, Kiel.

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Zu den Anfängen des rheinhessischen Weinbaus in Antike und Mittelalter

W

ährend des Rheinhessenjubiläums  standen verständlicherweise die letzten  Jahre im Mittelpunkt des Interesses. Mit einer eindrucksvollen Mobilisierung von Ideen und engagierten Menschen wurde das Jubiläum zum Anlass genommen, die seit vielen Jahren angestrebte regionale Identität zu schärfen und zu festigen und sie mit einem möglichst unverwechselbaren Image zu verknüpfen.

Der römerzeitliche Weinbau in Rheinhessen in der aktuellen Wahrnehmung Zu den als unverzichtbar geltenden Ingredienzien dieses Images zählen Elemente historischer Erinnerung weit über die jüngere Vergangenheit hinaus. Dabei spielt die Vergegenwärtigung der römischen Zeit eine wichtige Rolle. Die römische Kultur prägte die Region nicht nur zwei, sondern vielmehr fünf Jahrhunderte, und dies wirkt bis heute nach. So rufen im Kontext des seit  entstandenen „Regionalparks Rheinhessen“ die von zahlreichen Initiativen kontinuierlich weiter ausgestaltete „Römerroute“ sowie der jährlich hierzu komplementär durchgeführte „Römertag Rheinhessen“ diese Vergangenheit und mit ihr verknüpfte Traditionen in Erinnerung. Hierzu leistet das Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz (IGL) seit Jahren Beiträge. Das Thema Wein und Weinkultur spielt dabei eine prominente Rolle. Allerdings wurden in Rheinhessen – anders als an der Mosel und in der Pfalz – bisher keine materiellen Zeugnisse entdeckt, welche Weinbau für die Römerzeit unmittelbar belegen (vgl. den Beitrag von Margarethe König in diesem Band). So können denn auch hier bis heute keine konservierten und rekonstruierten Zeugnisse römischer Weinkultur als touristische Attraktionen wie in der Pfalz und entlang der Mosel eingesetzt werden. Im

 Michael Matheus

Folgenden wird der Versuch unternommen, das Thema aus einer bisher nicht beachteten historischen Perspektive zu beleuchten und zugleich die Frage aufzuwerfen, ob die Menschen in Rheinhessen sich mit diesem negativen Befund bescheiden müssen. Zunächst aber wird die Frage zu diskutieren sein, welche Rolle das Thema römischer Weinbau in Rheinhessen im Rahmen von aktuellen Veröffentlichungen zum rheinhessischen Weinbau spielt, nicht zuletzt bei Akteuren der Vermarktung rheinhessischer Weinkultur. Mit berechtigtem Stolz weist die Homepage der Landeshauptstadt seit einigen Jahren Mainz als Mitglied der „Great Wine Capitals“ (GWC) aus. Dieses Netzwerk nimmt für sich in Anspruch, die bekanntesten Weinstädte und Weinanbauregionen der Welt unter seinem Dach zu versammeln, und seit  zählen die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt sowie die umliegende Weinbauregion zu den Mitgliedern. „Seit die Römer vor über  Jahren die ersten Reben setzten,“ – so heißt es auf der offiziellen Homepage der Landeshauptstadt Mainz – „hat sich in Mainz die Liebe zu dem köstlichen Rebensaft entwickelt wie in kaum einer anderen deutschen Stadt“ (https://www.mainz.de/tourismus/ weinerlebnis/weinerlebnis.php, abgerufen am . Mai ). Dieser Aussage entspricht inhaltlich der Artikel „Weinbau in Mainz“ in Wikipedia, wo einleitend vermerkt wird: „Der Weinbau in Mainz, der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt, geht bis in die Römerzeit zurück.“ Ein spezifischer Beleg für diese Aussage wird nicht erbracht, vielmehr auf die vielzitierte allgemeine Nachricht verwiesen, der römische Kaiser Probus (–) habe um das Jahr  n. Chr. den Galliern gestattet, Reben anzupflanzen, was offensichtlich als indirekter Beleg für eine Weinproduktion in und um Mainz in römischer Zeit herhalten muss (https://de.wikipedia.org/wiki/Weinbau_in_Mainz, abgerufen am . Mai ). Auch jüngere Printpublikationen vermitteln entsprechende Inhalte. Die Verantwortlichen des  publizierten Heftes „Merian Rheinhessen“ spürten den verschiedenen kulturellen Prägungen durch die hier siedelnden Bewohner von den Kelten bis zu den Franzosen nach. Mit Blick auf die Römer wird knapp und bündig konstatiert: „Sie brachten den Wein“. „Das ideale Klima des Mainzer Beckens“ – so führt Stefanie Jung  in der ideenreichen Veröffentlichung „Rheinhessen für Entdecker“ aus – „begünstigt den Weinanbau, der hier schon von den Römern gegen Ende des . Jahrhunderts gepflegt wurde.“ Auch die Homepage des Deutschen Weininstituts vermittelt die Botschaft: Schon die Römer haben auf dem linksrheinischen Gebiet Wein angebaut (http://www.deutscheweine.de/tourismus/in-den-anbaugebieten/ rheinhessen/, abgerufen am . Mai ). Andere sind zurückhaltender, und ein expliziter Bezug auf römischen Weinbau wird vermieden. Auf der Homepage der Gemeinde Dienheim –

Zu den Anfängen des rheinhessischen Weinbaus in Antike und Mittelalter 

Abb. 1: Steinrelief am Rathaus von Bretzenheim

deren Geschichte noch näher zu erörtern sein wird – findet sich die vage Formulierung: „Der Weinbau hat in Dienheim eine lange Tradition“ (http:// www.dienheim.de/index.epl, abgerufen am . Mai ). Tatsächlich stammen die frühesten Schriftbelege für den Weinbau und einzelne Weinberge in Rheinhessen aus dem . Jahrhundert. Dem ältesten aus dem Jahre  (nicht ) zufolge erwarb der Mainzer Erzbischof Bonifatius für das Kloster Fulda einen Weinberg in Mainz, der an die (antike) Stadtmauer angrenzte, und weiteres Rebengelände in Bretzenheim. Aufs Ganze gesehen ergibt sich ein ambivalentes Bild: Während für die einen (ohne belastbare Belege) der römische Weinbau in Mainz und Rheinhessen als gesichert gilt, ist bei anderen das Thema bewusst oder unbewusst ausgespart. Der römerzeitliche Weinbau in Rheinhessen – wissenschaftlich belegt? Was aber kann aus wissenschaftlicher Perspektive an Belegen für einen römerzeitlichen Weinanbau in Rheinhessen als gesichert gelten? Im Jahre  hat sich letztmals Patrick Jung hierzu einschlägig geäußert. In Rheinhessen – so die bis heute schlüssig erscheinende Forschungshypothese – habe die „Dominanz des Militärs in der Provinzmetropole Moguntiacum sowie die Notwendigkeit, über die Soldaten hinaus auch Zivilisten in großer Zahl in den Städten und vici wie Mainz, Alzey, Bingen, Worms und anderen versorgen zu müssen, zu einem Vorrang der Getreideproduktion geführt. Wie sich ein solches Deutungsmuster im lokalen Kontext auswirken kann, soll

 Michael Matheus

ein Beispiel illustrieren. Für Nierstein und die Umgebung gebe „es keine handfesten Belege für antiken Weinbau“. Vermutlich habe sich in römischer Zeit „der Anbau von Wein in größeren Mengen für die Niersteiner als unrentabel erwies(en)“. Die Rhein-Handelsroute „ermöglichte problemlos eine Versorgung des vicus (sic!) mit importiertem italischem Wein, Wein aus der Moselregion oder Südgallien“ (Rübeling, Leben im römischen vicus Buconica, S. ). Weshalb aber die Menschen am Rhein anders als jene an der Mosel in den zahlreich nachgewiesenen römerzeitlichen Siedlungen Rheinhessens über Getreide hinaus nicht auch die Weinproduktion betrieben haben sollen, erschließt sich dem Leser bei der Lektüre solcher Publikationen nicht. Patrick Jung wies zudem auf eine interessante antike Quelle explizit hin. Einer der bedeutendsten römischen Agrarschriftsteller, Columella († um  n. Chr.), identifizierte solche Fluren als für Rebenpflanzungen besonders geeignet, welche „weder flach noch steil“ seien, vielmehr „eher wie eine sanft ansteigende Fläche“. Auch wenn der Autor die „Rheinhessentoskana“ bei dieser Beschreibung nicht im Sinne hatte, so passt diese Hügellandschaft dennoch in signifikanter Weise zu dem von ihm genannten idealen Anforderungsprofil einer Weinbaulandschaft. Soll es also unter den zahlreichen rheinhessischen villae rusticae aus römischer Zeit keine gegeben haben wie in der Pfalz und an der Mosel, für die nachgewiesene antike Kelteranlagen den Weinbau im Umfeld des jeweiligen Landguts belegen? Ausdrücklich ist Patrick Jung zuzustimmen, es gebe in Rheinhessen „eine Reihe kaum erforschter oder sogar noch unbekannter villae rusticae“, in denen „durchaus für die Zukunft positive Ergebnisse zu erhoffen sind“. Und in diesem Zusammenhang wird zurecht auf die Möglichkeiten der modernen geophysikalischen Prospektionsmethoden verwiesen. Solche Fragen zu formulieren, bedeutet auch, die Hypothese zu hinterfragen, die (ohne Nachweise) suggeriert, in Rheinhessen sei allenfalls im Umfeld einer villa rustica mit Weinbergen, nicht aber mit umfangreicheren verdichteten Rebflächen zu rechnen. In der weinwissenschaftlichen Forschung besteht mit Blick auf folgende Aspekte weitgehende Übereinkunft: allgemeine dekorative, sich auf Weinbau und Weinkonsum beziehende Darstellungen können nicht als Beleg für einheimischen Weinbau gelten. Dies gilt etwa für die vielen überlieferten Darstellungen von Trauben erntenden Genien und Putten, aber auch für vermeintliche Nachweise des Weinkonsums wie Trinkbecher. Zeugnisse zum Weinhandel – wie die zahlreichen (auch in Mainz und in rheinhessischen römischen Landgütern) gefundenen Transportamphoren oder das bekannte, so genannte „Neumagener Weinschiff“ aus dem frühen . Jahrhundert – können sich auf Importweine beziehen und nicht als Belege für lokale oder regionale Weinproduktion in Anspruch genommen werden. Für sich alleine

Zu den Anfängen des rheinhessischen Weinbaus in Antike und Mittelalter 

genommen beweist ein derartiges Monument tatsächlich vor allem einen blühenden Handel auf der Mosel, nicht aber einen Weinbau in diesem Anbaugebiet. Dieser Vorbehalt gilt auch für ein aus Mainz stammendes Relief aus dem Ende des . / Anfang des . Jahrhunderts, auf dem drei Männer dargestellt sind, die Fässer über eine Planke auf ein Schiff rollen. Es ist noch nicht einmal gesichert, dass in diesen Fässern Wein transportiert wurde, weil auch etliche andere Güter in solchen „Containern“ der Antike und des Mittelalters verfrachtet wurden. Ferner können die meisten der in der lokalen Literatur oft zitierten „Rebmesser“ oder „Winzermesser“ nicht als Belege für örtlichen Weinbau gelten, weil diese Arbeitsgeräte auch in anderen landwirtschaftlichen Sektoren, wie im Obstbau und bei der Pflege von Weidenkulturen, zum Einsatz kamen und solche Stücke ohne Fundzusammenhang auch aus nachrömischer Zeit stammen können. Sichere archäologische Nachweise bieten vor allem Kelteranlagen aus römischer Zeit. Die dort in eindeutigen Fundzusammenhängen entdeckten Traubenkerne ermöglichen mit dem Nachweis von „Kulturreben in Entwicklung“ auch interessante archäobotanische Untersuchungsergebnisse, wenngleich Zuordnungen zu Rebsorten nicht möglich sind (vgl. den Beitrag von Margarethe König in diesem Band). Im Jahre  publizierte Adolf Neyses entsprechende Befunde, und ihm kommt das Verdienst zu, bei Flurbereinigungen an der Mosel entdeckte unscheinbare Überreste als Teile von Weinpressen identifiziert zu haben. Bis heute wurden an der Mosel zwölf Anlagen gefunden, die überwiegend aus der Zeit des ausgehenden . bis . Jahrhunderts stammen. Eine Anlage, in Bad Dürkheim-Ungstein, wurde bei einem römischen Weingut in der Pfalz entdeckt. An der Mosel existieren zudem weitere potentielle Fundstellen, die bisher noch nicht archäologisch untersucht wurden. Auf das Vorhandensein ehemaliger Kelteranlagen verweisen grundsätzlich auch Keltersteine, welche in den vormodernen mächtigen Baumkeltern unverzichtbar waren und oft beachtliche Dimensionen hatten. Sie zeigen mit den seitlichen Nuten sowie den Löchern in der Mitte der Oberseiten Charakteristika, die eine Identifizierung als Keltersteine gestatten. Im Jahre  waren in Rheinland-Pfalz  Stücke identifiziert. Erst seit den ausgehenden er Jahren wurden vier Steine für Rheinhessen bekannt, einer aus Bechtheim, zwei aus Monsheim und einer aus Worms. Während für manche damit römischer Weinbau in der Region belegt schien, ist festzuhalten, dass die Stücke aus verschiedenen Gründen nicht als Belege für römerzeitlichen Weinbau gelten können. Solche Steine kamen nämlich nicht nur in der Antike zum Einsatz, sondern auch in den nachrömischen Jahrhunderten. Wie die aus Lothringen stammende Baumkelter im Weinmuseum des Historischen Museums der Pfalz in Speyer aus dem Jahre

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Abb. 2: Keltersteine von Bechtheim und Worms

 zeigt, sind die bei solchen Anlagen verwendeten Stücke kaum von Steinen aus römischer Zeit zu unterscheiden. Karl-Josef Gilles hat auf spezifische Unterschiede zwischen den in römischen Kontexten entdeckten Steinen an der Mosel und jenen in Rheinhessen verwiesen. Vor allem deren deutlich höheres Gewicht lässt den Schluss zu, dass die Stücke aus Rheinhessen eher als Teile neuzeitlicher Kelteranlagen zu gelten haben. Weinbau in Rheinhessen im Frühen Mittelalter Ambivalente Einschätzungen zum rheinhessischen Weinbau sind nicht nur für die römische, sondern auch für die frühmittelalterliche Zeit festzustellen. In der genannten Studie konstatierte Patrick Jung, es könne dank fehlender Quellen „kaum beurteilt werden“, wie man sich seit „dem Dunkel des . Jahrhunderts“ die Verhältnisse „bis zu den ersten urkundlichen Belegen in der Mitte des . Jahrhunderts“ vorzustellen habe. Optimistischer urteilte Franz Staab. Man müsse wohl damit rechnen, dass die Rebenkultur römischer Tradition in Rheinhessen und in der Pfalz weitergeführt wurde. Eine wiederholt anzutreffende Einschätzung vermittelt Horst Dohms Buch über „Die Weinstadt Mainz“. In nachrömischer Zeit ist demnach der Weinbau zugrunde gegangen. Die Verwüstung von Mainz durch die Hunnen im . Jahrhundert führte dieser Interpretation nach dazu, dass die römische Stadt „zu einem bedeutungslosen Dorf“ wurde. „An Weinbau wagt keiner mehr zu denken.“ Die entscheidenden Impulse seien in nachrömischer Zeit von den Klöstern ausgegangen. Die ältesten Schriftbelege für den Weinbau und einzelne Weinberge stammten aus dem . Jahrhundert. Der Weinbau der Klöster in dieser Zeit sei „zwar noch jung“, aber immerhin seien nun für rund  rheinhessische Orte einzelne Weinberge und damit Weinbau belegt. Über solche unsicheren und vagen Einschätzungen hinaus können bisher nicht beachtete Zusammenhänge zu weiterführenden Fragen führen.

Zu den Anfängen des rheinhessischen Weinbaus in Antike und Mittelalter 

Zunächst sei auf ein moselländisches Exempel kurz eingegangen, das interessante Vergleichsmöglichkeiten eröffnet. Das dank günstiger Überlieferungslage gut fassbare Beispiel des Winzerdorfs Mehring zeigt, dass auf der Basis antiker Grundlagen nach dem Untergang des römischen Reiches an der Mosel der Weinbau zumindest partiell als Intensiv- bzw. Monokultur weiter betrieben wurde. Im vergleichsweise engen Moseltal wurden Steillagen im . Jahrhundert systematisch von großen, auf den Weinbau spezialisierten staatlichen bzw. vom Militär kontrollierten Gütern genutzt. Eine als römische Kelter interpretierte Konstruktion zwischen den Moselorten Lörsch und Mehring wurde schon im Jahre  angeschnitten und teilweise archäologisch untersucht. Umfangreiche Besitzungen gelangten in nachrömischer Zeit aus königlichem Fiskalgut an geistliche und weltliche Herrschaften. Diesen Prozess dokumentieren die im Jahre  von Pippin I. an das Kloster Prüm geschenkten Besitzungen in den Orten Schweich und Mehring. Für den Weinbau an der Mosel stellt das Prümer Urbar in den Fassungen von  bzw.  einen Glücksfall der Überlieferung dar. Die umfangreichen Aufzeichnungen gestatten nämlich Einblicke in wirtschaftliche und gesellschaftliche Verhältnisse, die zum Zeitpunkt der schriftlichen Fixierung bereits ein hohes Alter aufweisen. Bei Mehring handelt es sich um eine Siedlung mit  oder  auf Weinbau spezialisierten Winzerbetrieben. Das Winzerdorf wurde – wie an den Personenamen erkennbar ist – überwiegend von Galloromanen bewohnt. Sie verfügten nicht nur über Weinbergsparzellen des Klosters Prüm, sondern in beachtlichem Umfang auch über eigene Rebflächen. Ein durchaus vergleichbarer Überlieferungszufall existiert auch für eine Siedlung an der so genannten Rheinfront in Rheinhessen. Als Winzerdorf kann nämlich auch das in der Forschung wiederholt für das . und . Jahrhundert auf der Grundlage von Schenkungsurkunden analysierte Dienheim angesprochen werden, wenngleich hier neben Weinbergen in größerem Maße als bei Mehring auch andere landwirtschaftliche Flächen bewirtschaftet wurden. Dabei sind dem Siedlungstyp des Winzerdorfes fünf Kriterien zuzuschreiben (Michael Matheus): a) Weinbau als wichtige bis dominante Kultur mit Ansätzen zur Monokultur; b) genossenschaftliche Organisationsformen und differenziertes Weinbaugewerbe; c) kostspielige Infrastruktur: Keltern und Keller; d) Einbindung der Weinproduktion in überregionalen Handel bei günstiger Verkehrslage; e) Präsenz nichtansässiger Besitzer von Rebflächen. Das in vieler Hinsicht Mehring vergleichbare Dienheim wurde allerdings bisher allenfalls ansatzweise unter weinhistorischen Aspekten gewürdigt. Es handelt sich im frühen Mittelalter um ein wichtiges Zentrum zwischen Mainz und Worms, das erst später vom benachbarten Oppenheim als

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Zentralort überflügelt wurde. Zugleich gilt Dienheim als das „bestbelegte Dorf“ in karolingischer Zeit. Allerdings wirft eine solche Etikettierung die hier nicht zu diskutierende Frage auf, ob die Kategorie Dorf überhaupt angemessen die zentralörtlichen Funktionen der Siedlung bezeichnet. In Dienheim, erstmals  urkundlich erwähnt, lebten im . und . Jahrhundert in  bis  Hofstätten  Personen, möglicherweise sogar mehr. Das Königsgut im Ort wurde – eine Parallele zu Mehring – im Jahre  von Karl dem Großen einer geistlichen Institution, dem Kloster Fulda, geschenkt, das schon zuvor in dieser Siedlung infolge von Schenkungen über umfangreiche Besitzungen verfügte. Auch die Benediktinerabteien Lorsch und Prüm sowie weitere geistliche Einrichtungen waren hier begütert. So betrieb das Eifelkloster Prüm erheblichen Aufwand bei der Bestellung der in Eigenwirtschaft betriebenen Weinberge. Hörige des Klosters aus den relativ weit entfernt gelegenen Ortschaften Rheingönheim (heute Ludwigshafen) und Albisheim an der Pfrimm waren zum Einsatz bei der Weinlese in Dienheim verpflichtet. Die verkehrsgünstige Lage sowie die Einbindung dieses Ortes in Handelsstrukturen werden auch durch die Nennung von Waage, Zoll und Hafen bezeugt. Die Existenz eines Marktes ist vor dem Hintergrund dieser Ausstattung zu vermuten. Von der überregionalen Bedeutung des Weinhandels auf dem Rhein weiß man dank schriftlicher und archäologischer Zeugnisse. Die (möglicherweise befestigte) Siedlung Dienheim wird im frühen . Jahrhundert als villa publica bzw. als vicus publicus, in einem Fall sogar als oppidum bezeichnet. In diesem vicus kann neben geistlichem und weltlichem Fernbesitz eine Gruppe von lokalen Grundbesitzern nachgewiesen werden, die nicht nur im Winzerdorf, sondern auch in Orten der Umgebung über Besitz verfügten. In Dienheim sind ferner Formen erblichen Besitzes bzw. erblicher Leihe, mit ausgeprägter Besitzfragmentierung sowie beachtlicher Gütermobilität bereits in karolingischer Zeit, Phänomene, die bisher vor allem für die Weinbaulandschaften des Mittelrheins im . und . Jahrhundert beobachtet wurden. Zudem ist für Dienheim kollektives Handeln aller Landbesitzer, von denen viele als Zeugen tätig waren, erkennbar, so bei der gemeinsamen Verpflichtung zur Zahlung eines Forstzinses von einer carrada Wein im Lorscher Reichsurbar sowie durch die um  bezeugten Verpflichtungen der Dienheimer zu Arbeiten an der Wormser Stadtmauer. Für diesen Bischofssitz waren zu diesem Zeitpunkt noch in Teilen die aus der Spätantike stammenden Mauern ein unverzichtbarer Schutz. Aktuell ging es um die Sicherung der Wehrhoheit angesichts der drohenden Normannengefahr. Es dürfte sich aber lediglich um eine neue Organisation der Wehrhoheit gehandelt haben, in die ältere Mauerbaupflichten einbezogen wurden. Die Bindung der Dienheimer an den Wormser Bischofssitz und das dortige Befestigungswerk – so eine zu verifizierende Vermutung – könnte auf

Zu den Anfängen des rheinhessischen Weinbaus in Antike und Mittelalter 

Zeiten zurückgehen, in denen der Ort im Besitz des fränkischen Königtums oder sogar des spätantiken Staates bzw. dessen Militärorganisation war. Für die vermutlich sehr alten zentralörtlichen Funktionen Dienheims spricht ferner, dass die Dienheimer der Mainzer Mauerbauordnung zufolge auch einen Abschnitt der Stadtmauer dieser Bischofsstadt instand zu halten hatten. Zudem befindet sich der in karolingischer Zeit in Schriftquellen genannte vicus auf einem Siedlungsareal, das mit dem des spätantiken Ortes Buconica in Verbindung zu bringen sein könnte. Auffällig ist, dass unter den zur Beteiligung an den Wormser Verteidigungslasten herangezogenen Siedlungen keine auf der rechten Rheinseite lag. Die zu den Leistungen verpflichteten linksrheinischen Ortschaften liegen alle in einer früh dicht besiedelten und vom Weinbau geprägten Landschaft. Dass in Mehring wie in Dienheim der Übergang aus königlichem Fiskalbesitz in klösterliches Eigentum auch die Schenkung von umfangreichen Arealen implizierte, auf denen Weinbau betrieben wurde, kann gerade mit Blick auf die älteren Besitzungen des Klosters Lorsch in Dienheim nicht zweifelhaft sein. Als Fazit kann festgehalten werden, dass die an der Mosel und an der Rheinfront im . und . Jahrhundert erstmals fassbaren komplexen Siedlungs- und durch Weinbau geprägten Wirtschaftsverhältnisse im Falle Mehrings auf römischen Grundlagen fußen. Im Falle Dienheims bedarf die zu vermutende Kontinuität zwischen Antike und karolingischer Zeit noch der weiteren wissenschaftlichen Absicherung, sie kann aber als wahrscheinlich gelten. Mit dem frühmittelalterlichen Winzerdorf Dienheim kommen zugleich noch heute besonders geschätzte Weinlagen Rheinhessens an der so genannten Rheinfront in den Blick. Zur Frage von Kontinuitäten in römischer und mittelalterlicher Zeit Wie aber stellen sich die Siedlungsverhältnisse in Dienheim und dessen Umfeld entlang der wichtigen Rheintalstraße von Mainz nach Worms in römischer Zeit dar? Vor dem Versuch einer Standortbestimmung lohnt ein Blick auf eine andere Landschaft, das „Hessische Ried“. Dank eines fast zwanzig Jahre lang andauernden von Hans-Markus von Kaenel geleiteten und interdisziplinär ausgerichteten Projektes der Landschaftsarchäologie kann die Siedlungsgeschichte dieser Landschaft in römischer Zeit in großen Teilen neu geschrieben werden. Die Zahl der römischen Fundplätze konnte im Vergleich zur Bestandsaufnahme des Jahres  um nahezu das Zehnfache auf über  vermehrt und es konnten damit wichtige Informationen gesichert werden. Deutlich wird, in welchem Maße diese vor der Gründung des römischen Mogontiacum noch dünn besiedelte Landschaft durch die neue Metropole und die von ihr ausgehenden Impulse verändert wurde. Das

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Militär prägte die erste Siedlungsphase in diesem Raum. Bis jetzt konnten  Militärlager nachgewiesen werden, deren Besetzung in unterschiedliche Zeitphasen zu datieren ist. Im Umfeld der Lager entstanden Siedlungen, in denen die Angehörigen der Soldaten sowie eine bunt gemischte Bevölkerung lebten. Nach dem Abzug der meisten Truppen zu Beginn des zweiten Jahrhunderts n. Chr. wurde der Raum durch zahlreiche ländliche Siedlungen und Landgüter im Verlaufe des Jahrhunderts vollständig erschlossen. Mitte des . Jahrhunderts war die Besiedlungsdichte zwar dünn, doch erlebte der Raum seit dem Beginn des vierten Jahrhunderts eine neue Blüte. Neben Militäranlagen entstanden Siedlungen von zuwandernden Germanen (Alamannen), in denen der römische Einfluss gering war, doch standen die dort lebenden Menschen in engem Kontakt mit dem Zentrum Mainz. Exemplarisch für diese Entwicklung sind Forschungsergebnisse zum Kastellvicus von Groß-Gerau (Carsten Wenzel). Diese Siedlung wurde im dritten Viertel des . Jahrhunderts verlassen und blieb einige Zeit unbewohnt. Eine Neubesiedlung setzte am Beginn des . Jahrhunderts ein, nun aber lag das Zentrum der Siedlung unmittelbar westlich der „Ruinen“ des früheren vicus. Die Neusiedler sind aufgrund der Bauweise und materiellen Kultur als Germanen (Alamannen) anzusprechen. Das römische Fundmaterial in der Siedlung weist auf eine enge wirtschaftliche Anbindung an den linksrheinischen Raum, vor allem an Mainz, hin. Im Zuge der Turbulenzen und Verwüstungen seit der Mitte des . Jahrhunderts wurden etliche Siedlungen wie Groß-Gerau aufgegeben. Doch ist im fünften Jahrhundert n. Chr. weiterhin mit einer beachtlichen Siedlungsdichte im Ried zu rechnen, das im beginnenden . Jahrhundert Teil des neuen fränkischen Großreiches wurde. Für die Siedlungsgeschichte und die Formung der Kulturlandschaft ist die Nachfrage aus Mainz von großer Bedeutung, das sich seit dem . Jahrhundert als Garnisons- und Provinzhauptstadt von Obergermanien (Germania Superior) zu einem weit ausstrahlenden Zentrum entwickelte. Hier war von der augusteischen Zeit bis zur Spätantike mindestens eine Legion stationiert, deren Mannschaftsstärke zwischen  und  Soldaten umfasste. Im ersten Jahrhundert n. Chr. wurden längere Zeit zwei (kurzfristig sogar vier) Legionen nach Mainz abkommandiert. Zu berücksichtigen ist, dass neben diesen Tausenden von Legionären auch noch die Mitglieder von Auxiliartruppen, Angehörige der Provinzverwaltung sowie eine erhebliche Anzahl von Zivilisten in der Stadt und deren Umfeld lebten. Damit sind auch die Dimensionen der notwendigen Importe von Nahrungsmitteln angedeutet. Auch weil die Soldaten regelmäßige Einkünfte bezogen, waren die Auswirkungen auf das Umland der Metropole und dessen Siedlungsentwicklung erheblich. Die agrarwirtschaftliche Nutzung im wasserreichen Ried konnte

Zu den Anfängen des rheinhessischen Weinbaus in Antike und Mittelalter 

dank der Analyse von Pollenablagerungen weitgehend rekonstruiert werden. Die Bevölkerung vor Ort war vor allem im Getreideanbau und in der Viehwirtschaft aktiv, und ihre Produkte dienten sicher nicht nur der Eigenversorgung, sondern auch dem Export nach dem nahegelegenen Mainz. Dem heutigen Charakter des Ried als einer offenen, in großen Teilen aus Äckern und Weiden bestehenden Landschaft mit wenigen inselhaft eingestreuten Wäldern dürften die Verhältnisse, wie sie sich seit dem . Jahrhundert entwickelten, schon recht nahegekommen sein. In unserem Kontext sind archäologische Befunde zu einer in den er Jahren errichteten Schiffslände (burgus) mit einem von Mauern und Graben befestigten Steinturm bei Trebur-Astheim nahe der Schwarzbachmündung in den Rhein von besonderem Interesse. Der Turm stand als beeindruckende Ruine noch bis ins beginnende . Jahrhundert. Das Areal wurde von alemannischen, ab etwa  von fränkischen Siedlern als Begräbnisplatz genutzt. In einem von drei Grabhügeln fand man Reste der hölzernen Grabkammer einer ranghohen männlichen Person aus dem frühen achten Jahrhundert, die zusammen mit prachtvollen Waffen bestattet worden war. Es handelt sich wahrscheinlich um einen jener fränkischen Grundherren der damaligen Führungsschicht, die wenig später in klösterlichen Quellen wie jenen des  gegründeten Benediktinerklosters Lorsch namentlich fassbar sind – auch als Besitzer von Rebenflächen. Bisher sind nur wenige Siedlungsplätze bekannt, für die sich eine Nutzungskontinuität von römischer bis in karolingische Zeit nachweisen lässt. Eine derartige Kontinuität im Ried ist auch für den rechtsrheinischen Raum von Bedeutung, für den vergleichbare Ergebnisse immerhin für den etwa  km südlich von Mainz gelegenen römischen vicus Eisenberg vermutet werden können. Am westlichen Rand des Siedlungsareals entstand im Verlaufe der Spätantike eine Festung (burgus), deren Vorwerk und Kernanlage rund . Quadratmeter umfassten. Leider wurden deren noch bestehende Teile im Jahre  abgerissen. Bisher standen die Wechselwirkungen zwischen der Metropole Mainz und den Siedlungen im hessischen Ried im Mittelpunkt des Interesses. Es gilt aber auch den Siedlungsraum entlang der wichtigen Rheinuferstraße von Mainz nach Worms und die dort bisher nicht in vergleichbarer Weise erforschten Siedlungen in den Blick zu nehmen und eine die Flussachse des Rheins übergreifende Perspektive zu wählen. Auf der Karte der römischen Straßen im Ried (Thomas Maurer) ist mit Buconica eine linksrheinische Siedlung vermerkt. Diese Lokalisierung wurde wohl vor allem durch die Entdeckung von frühkaiserzeitlichen Militärlagern bei Trebur-Geinsheim veranlasst. Hier sind auf einer Fläche von knapp  ha mindestens sechs ineinander geschachtelte Lagergrundrisse unterschiedlicher Größe nachgewiesen. Anhand der Funde, vor allem der zahlreichen

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Abb. 3: Fundplätze des 1.–5. Jahrhunderts im Kreis Groß-Gerau mit römischen Straßen (durchgezogene Linien: Straßenverlauf weitgehend gesichert; gestrichelte Linien: Straßenverlauf weitgehend unsicher), Thomas Maurer, Das nördliche Hessische Ried in römischer Zeit. Untersuchungen zur Landschafts- und Siedlungsgeschichte im rechtsrheinischen Vorfeld von Mainz vom 1.–5. Jahrhundert n. Chr. (Frankfurter Archäologische Schriften 14), Bonn 2011, Tafel 109.

Münzen, können zwei Zeitabschnitte unterschieden werden, in denen der Platz über kürzere oder längere Zeit besetzt war. Der erste betrifft die Jahre zwischen etwa  und  n. Chr. (Regierungszeit des Kaisers Tiberius), der zweite die Jahrzehnte von etwa  bis  n. Chr. Aus den Lagergrundrissen ist zu schließen, dass es sich bei den Truppen, deren Namen wir nicht kennen, größtenteils um Auxiliarverbände gehandelt hat. Die Anlagen wurden in unmittelbarer Nähe des Rheinufers an einer strategisch wichtigen Stelle errichtet. Sie bildeten den rechtsrheinischen Brückenkopf an dem über Jahrtausende genutzten Rheinübergang zwischen Nierstein und dem Kornsand. Die Befunde sind für die linksrheinische Siedlungsgeschichte folglich von hoher Relevanz.

Zu den Anfängen des rheinhessischen Weinbaus in Antike und Mittelalter 

Ist aber, wie die Karte suggeriert, Buconica in Nierstein zu lokalisieren und als römischer vicus anzusprechen? Bisher ist die Zuweisung des antiken Buconica zu einer aktuellen Siedlung und deren Gemarkung umstritten. Von dem Ort ist in mehreren antiken Zeugnissen die Rede. Er wird beispielsweise auf dem Fragment eines Meilensteins aus der Zeit um  n. Chr. genannt, der in Tongeren entdeckt wurde. Der Tabula Peutingeriana zufolge lag die Siedlung an der römischen Rheinuferstraße elf Leugen nördlich von Borbetomagus (Worms) und acht Leugen südlich von Mogontiacum (Mainz). Galt sie älteren Deutungen zufolge als eine in Oppenheim zu lokalisierende „Stadt an der Heerstraße“ zwischen Mainz und Worms, wurde sie zuletzt meist in der Gemarkung von Nierstein verortet. Es handle sich – so die überwiegende Einschätzung – zudem eher um eine Straßenstation und nicht um einen vicus mit zentralörtlichen Funktionen. Diese Identifizierung ist aber Gerd Rupprecht zufolge zu korrigieren. Schon in den er Jahren seien in der Wormser Straße (im Anwesen Dahlem) in Oppenheim Mauerreste, Ziegelsteine als Bodenbelag, ein Wasserbecken und ein gemauerter Kanal aus römischer Zeit zu Tage gekommen. In den er Jahren seien eine Fortsetzung des Kanals und römische Fundamente dort entdeckt worden, wo wenige Meter entfernt die älteste Kirche Oppenheims, St. Sebastian, stand. Da Ziegel mit Stempeln der in Mainz seit dem . Jahrhundert n. Chr. stationierten Legion gefunden wurden, ist Rupprecht zufolge das recht große Gebäude als staatliches Anwesen anzusprechen. Die Deutung als Straßenstation, in der Reisende übernachten und die Pferde wechseln konnten, schien nahezuliegen. Aus archäologischer Sicht sei festzuhalten, dass „in Oppenheim bauliche Überreste gefunden wurden, in Nierstein und Dienheim aber nur Gräber“, und dies belege eindeutig den Standort Oppenheim. Es sei üblich gewesen, Gräber am Straßenrand anzulegen, aber nur außerhalb von Siedlungen – ein weiterer Hinweis auf Oppenheim. Zu diesem Ergebnis kam Gerd Rupprecht auch deshalb, weil er die Entfernungsangaben der Tabula Peutingeriana im Gelände vermaß. Der Verlauf der wichtigen Rheintalstraße ist stellenweise noch heute in situ erkennbar und weithin rekonstruierbar. Ungenauigkeiten ergeben sich aber bei der Bestimmung des Ausgangpunktes. Dass die für die Antike bezeugten Entfernungsangaben „genau auf die Fundstelle in der Wormser Straße“ zuträfen (so Gerd Rupprecht), erscheint keineswegs gesichert. Auch wenn Nierstein diesen Überlegungen zufolge für das antike Buconica nicht in Frage kommt, ist eine Festlegung auf Oppenheim keineswegs zwingend. Im Dezember  wurden im Dienheimer Baugebiet „Taubhaus Nord“ Reste eines römischen Baus entdeckt (Hinweis von Wigbert Faber), die bisher nur punktuell archäologisch untersucht und registriert werden konnten. Marion Witteyer, der wie Gerd Rupprecht für wertvolle Auskünfte und Ge-

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spräche gedankt sei, geht davon aus, dass ein nicht ausgemauerter römischer Keller angeschnitten wurde, der sich dank eines Keramikfundes ins . bzw. . Jahrhundert datieren lässt. Die Funddokumentation in der Landesarchäologie Mainz zeigt zudem, dass vom Baugebiet aus gesehen rheinaufwärts nicht nur entlang der den Ort durchziehenden Rheinstraße, sondern auch andernorts wie in der Rosenstraße eine Massierung von Artefakten aus der Römerzeit zu konstatieren ist, und zwar vor allem Grabfunde. Dies deutet auf eine in Richtung Oppenheim sich erstreckende Siedlung hin. Die Entfernung zwischen dem im Dienheimer Baugebiet „Taubhaus Nord“ gefundenen Keller und den römischen Funden bei der ehemaligen Oppenheimer Kirche St. Sebastian (Einmündung der Rathofstraße in die Wormser Straße) beträgt gerade einmal etwas mehr als  Meter. Derzeit spricht folglich einiges dafür, sowohl die Dienheimer als auch die Oppenheimer Gemarkung für eine Lokalisierung von Buconica in Erwägung zu ziehen. Zudem deutet die Fundsituation darauf hin, dass es sich bei Buconica nicht nur um einen Gebäudekomplex gehandelt haben könnte, welcher dem Pferdewechsel diente und Übernachtungsmöglichkeiten anbot, wie dies bisher erwogen wurde. Noch aber ist die Funddichte nicht ausreichend, um Buconica als antiken vicus anzusprechen. Auch die konkrete Verortung des vicus publicus aus karolingischer Zeit ist derzeit allenfalls ansatzweise möglich. Der Nachweis eines römischen Kellers in Dienheim ist auch mit Blick auf die hochmittelalterliche Überlieferung von Interesse. Im Jahre  wird der Besitz des Ritters Gotzo in Dienheim beschrieben. Er besteht damals aus einem steinernen Haus und einem darunterliegenden Keller, einem Kelterhaus und weiteren Gebäuden. Ein derartiges Ensemble dürfte für führende Familien in rheinhessischen Winzerdörfern nicht erst im . Jahrhundert typisch sein. Im vorliegenden Fall könnte ein römischer Keller weiter genutzt worden sein. Mit Buconica könnte auch der in einem römischen Reiterregiment (Ala Gallorum Picentiana) dienende Silius in Verbindung zu bringen sein. Das Regiment war Teil des niedergermanischen Heeresverbandes, der nach dem Bataveraufstand nach Obergermanien (Mainz) verlegt wurde. Silius starb in seinem . Dienstjahr im Alter von  Jahren und damit kurz vor dem Ende seiner Dienstzeit von  Jahren, nach der er römischer Bürger geworden wäre. Sein auch wegen der farbigen Fassung bemerkenswerter Grabstein wurde in der Gemarkung von Dienheim im Jahre  gefunden. Die Inschrift des aus der zweiten Hälfte des . Jahrhunderts stammenden Grabsteins nennt auch den Vater des Verstorbenen, Atto, wahrscheinlich ein keltischer Name. Silius könnte aus der Gegend von Dienheim stammen oder dort mithilfe der Soldzahlungen Grund und Boden erworben haben. Dieser Besitz fiel dann an namentlich nicht genannte Erben, die laut Inschrift das heute in

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Abb. 4: Der Siliusgrabstein und die Aquarellskizze von Johann Lindenschmit von 1835, die 1908 durch Beobachtungen von Heinrich Wallau in einer Zeichnung ergänzt wurde.

der Steinhalle des Mainzer Landesmuseums stehende Grabmal stifteten. Das Trinkgefäß, das Silius bei der Totenmahldarstellung in Händen hält, mag man sich mit Wein gefüllt vorstellen, als Beleg für lokalen Weinanbau kann diese Szene wie in vergleichbaren Fällen aber nicht gelten. Mit Silius fassen wir namentlich einen Angehörigen jener Auxiliartruppen, die entlang der Rheingrenze stationiert waren und mit Lebensmitteln versorgt werden mussten. Der Wein zählte zu den Grundnahrungsmitteln, und die Grundversorgung wurde in der Kaiserzeit zunehmend stärker reguliert. Je nach militärischem Rang standen Soldaten Tagesrationen von gut einem halben bis

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zu einem Liter Wein zu. Welche Bedeutung dieser Versorgung beigemessen wurde, belegt auch das für Trier bezeugte Amt des paepositus vini. Die Versorgung mit Wein muss aber in analoger Weise auch in der Stadt Mainz und den zahlreichen, vielfach erst in den letzten Jahren entlang der Rheingrenze entdeckten Lagern ein wichtiges Anliegen gewesen sein. Auch die am Obergermanisch-Raetischen Limes stationierten Soldaten waren mit Wein zu beliefern. Nur mit Importen aus dem Mittelmeerraum war der Bedarf von Militär und Zivilisten mittel- und langfristig nicht zu decken. Zudem ist zu berücksichtigen, dass im phasenweise dicht besiedelten rechtsrheinischen Ried kein Wein produziert werden konnte, aber auch die dort in Militäreinrichtungen, Siedlungen und Landgütern lebenden Menschen auf Lieferungen angewiesen waren. Legionäre und Angehörige von Hilfseinheiten waren nicht nur aufgrund der regelmäßig erfolgenden Soldzahlungen zu Investitionen (möglicherweise auch in der Weinwirtschaft) in der Lage. Etliche von ihnen dürften im Lande verblieben sein, wenn sie aus dem Militärdienst ausschieden und nun über Abfindungen und weitere Vergünstigungen verfügen konnten. In den Hilfstruppen dienten spätestens im . Jahrhundert n. Chr., wie der Grabstein zeigt, Soldaten nichtrömischer Abstammung. Die in lateinischer Sprache verfasste Inschrift sowie die Darstellungen demonstrieren zugleich die Aneignung römischer Formsprachen und Kultusancen eines in römischen Diensten stehenden Reitersoldaten. Solche Beobachtungen von sehr früh zu konstatierenden, gemischten materiellen und kulturellen Verhältnissen könnten auch den Befund erklären helfen, weshalb an der Mosel, kaum aber in Rheinhessen galloromanische Relikte in den Siedlungs-, Flur- und Personennamen langlebige Spuren hinterlassen haben. Als Mitglied eines in merowingisch-karolingischer Zeit führenden Verwandtenkreises um einen Hagano begegnen im . und . Jahrhundert ein älterer und ein jüngerer Atto als Zeugen und Landbesitzer in einer Reihe von rheinhessischen Orten, darunter in Dienheim. Besteht hier ein Zusammenhang zwischen der auf dem Grabstein genannten Person und den jüngeren fränkischen Attos des ./. Jahrhunderts? Völlig ausschließen kann man eine derartige Verbindung nicht. Aber aus sprachwissenschaftlicher Perspektive erscheint eine solche Kontinuität eher unwahrscheinlich. Wäre ein keltischer Atto in germanischem und dann althochdeutschem Munde „vererbt“ worden, „müsste er am Mittelrhein der hochdeutschen Lautverschiebung unterliegen, also ‚Atzo‘ lauten, so wie beispielsweise got.-hunnisches ‚Attila‘ zu ‚Etzel‘ wurde“ (Wolfgang Haubrichs).

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Die Anfänge des Weinbaus in Rheinhessen: Forschungschancen und Forschungsstrategien Die Bedeutung einer flussübergreifenden Perspektive soll ein weiterer Hinweis illustrieren, der sich erneut auf Dienheim bezieht. In karolingischer Zeit hatten die Dienheimer jährlich einen Forstzins in Höhe von einer Wagenladung bzw. einem Fuder Wein in Gernsheim auf der anderen Seite des Rheins an den königlichen Fiskus abzuliefern. Zu bedenken ist, dass die Zahlung solcher Abgaben für die Berechtigung, Holz im rechtsrheinischen königlichen Forst zu schlagen, für eine von Weinbau geprägte Gemeinde wie Dienheim von fundamentaler Bedeutung war. Diese regelmäßig durchgeführten Schiffsfahrten nach Gernsheim dürften von den Bewohnern des vicus auch dazu genutzt worden sein, linksrheinisch produzierten Wein in die rechtsrheinische königliche villa zu transportieren und dort zu verkaufen. Sowohl die Untersuchungen im Ried als auch an der Mosel bieten Anregungen, wie auch linksrheinisch weitere Ergebnisse nicht zuletzt für die Geschichte des Weinbaus erzielt werden können. Die Bedeutung dieser Sonderkultur als Element wirtschaftlicher und zivilisatorischer Kontinuität an der Mosel in Antike und Mittelalter konnte seit den achtziger Jahren des . Jahrhunderts vor allem dank der Zusammenarbeit von Archäologie, Sprach- und Geschichtswissenschaft deutlich herausgearbeitet werden. Das genannte Frankfurter landschaftsarchäologische Forschungsvorhaben zeichnete sich von Anfang an unter anderem dadurch aus, dass nicht nur öffentliche, sondern auch private Sammlungen und Archivbestände in die Untersuchungen mit einbezogen wurden. Seit  wurden zudem systematisch Feldbegehungen sowie an ausgewählten Fundplätzen geophysikalische Prospektionen durchgeführt und die Erkenntnisse luftbildarchäologischer Aufnahmen genutzt. Auf dieser Grundlage nahm man gezielte Grabungen vor. Entsprechende Forschungen inklusive systematischer bodenkundlicher und archäobotanischer Untersuchungen wären auch für die linksrheinische Seite wünschenswert. Zudem könnten sich die im Moselraum gewonnenen Erkenntnisse für potentielle Suchstrategien in Rheinhessen als fruchtbar erweisen. Wenngleich die bisherigen Kelterfunde an der Mosel ganz überwiegend im Kontext von Wegearbeiten und vor allem von Flurbereinigungen eher zufällig erfolgten, zeigt das Beispiel der Kelter von Erden an der Mosel, dass grundsätzlich auch Anlagen mittels gezielter Recherche „aufgespürt“ werden können. Als Indizien konnten inmitten von Rebenarealen gefundene Trümmerstellen gelten, welche schon von der Lage her nicht als Bestandteile von römischen Gutshöfen anzusprechen waren. Von besonderem Interesse wäre es, wenn sich an potentiellen Kelterstandorten Reste von wasserdichtem Estrich ausmachen und mit Hilfe von Mörtelanalysen identifizieren ließen.

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Für die entsprechenden Orte sind zudem sehr frühe Erstbelege für Weinbau bezeugt, die an der Mosel bis ins . Jahrhundert zurückreichen. Sie liegen fast alle in Flussnähe, was auf die Bedeutung des relativ schnellen, preiswerten und sicheren Transports auf dem Wasser verweist, und dies gilt eben nicht nur für die Mosel, sondern auch für den Rhein. Grundsätzlich ist mit Kelterfunden jedenfalls auch in Rheinhessen zu rechnen. Hier wurden seit den frühen er Jahren in vielen Gemeinden effiziente Wegenetze gebaut und ferner die stark zersplitterten Flurstücke durch Zusammenlegung zu wirtschaftlichen Flächeneinheiten geformt, beides wichtige Voraussetzungen für den wirtschaftlichen Aufschwung des Weinbaus in Rheinhessen in den letzten Jahrzehnten. Zu hoffen bleibt, dass bei diesen Flurbereinigungen nicht alle möglichen Fundkonstellationen zerstört wurden. Inwieweit die in verschiedenen Archiven lagernden Flurbereinigungsakten Aufschlüsse ergeben können, bleibt zu prüfen. In den heute rebenbesetzten Hängen bei Dienheim und Oppenheim kam es immer wieder zu Hangrutschungen. Auch der  in der Dienheimer Flur „Tafelstein“ aufgefundene sogenannte Siliusstein wurde wohl bei einer solchen Bodenbewegung verschüttet, was immerhin den Erhalt der farblichen Fassung begünstigt haben dürfte. Überreste werden generell am ehesten in jenen Bereichen zu finden sein, wo Bodenbewegungen zum Stehen kamen. Was infolge einer Rutschung nach unten geschoben wurde, sammelte sich dort an. Hier sind Funde in erheblicher Tiefe möglich. So wuchs das Erdreich nach einem Hangrutsch im Jahre  in Dienheim am Endpunkt auf über fünf Meter an. Ferner kommt es darauf an, bei anstehenden Baumaßnahmen Sorgfalt bei der Sicherung, Konservierung und wissenschaftlichen Aufbereitung walten zu lassen. Bevor das Bodenarchiv durch Flurbereinigungsmaßnahmen und Baumaßnahmen weiter beschädigt bzw. ganz zerstört ist, können noch wertvolle Einsichten gewonnen werden. Zusammenfassend lässt sich sagen: Dienheim als Winzerdorf und Oppenheim als Weinstadt stehen exemplarisch für Anfänge und Genese rheinhessischen Weinbaus. Lange übte Dienheim zwischen Mainz und Worms bedeutende zentralörtliche Funktionen aus, während das im . Jahrhundert zur Stadt erhobene Oppenheim schließlich die benachbarte Siedlung als Zentralort überflügelte. Ob im Umfeld einer villa rustica oder entlang der Rheinfront mit ihren schon jetzt bemerkenswerten weingeschichtlichen Zeugnissen eines Tages auch eine Kelteranlage aus römischer Zeit geborgen wird, hängt entscheidend davon ab, mit welchen Energien und Strategien die noch verbliebenen Zeugnisse aufgespürt werden. Als wahrscheinlich darf römischer Weinbau in Rheinhessen schon jetzt gelten.

Zu den Anfängen des rheinhessischen Weinbaus in Antike und Mittelalter 

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Eine jüdische Weinprobe Zu Handel und Verkostung von koscherem Wein in den SchUM-Städten

D

ie jüdische Beschäftigung mit Wein ist so alt wie die ersten hebräischen religiösen Quellen, die auf die Bedeutung der „Frucht des Weinstocks“, peri ha-gafen, verweisen. Seit biblischen Zeiten sind Kultus, Kunst und Ökonomie des Judentums eng mit dem Wein verbunden, und es finden sich nur wenige Bereiche jüdischen Lebens, die nicht in irgendeiner Weise mit dem Konsum oder Handel von Wein verwoben wären. Bereits in den antiken jüdischen Literaturen gibt es zahllose Hinweise auf die Bedeutung und Nutzung des Weins, und es verwundert angesichts dieser Belege nicht, dass die Forschung ihren Anfang darin genommen hat, die wichtigsten Texte und Quellen in Anthologien zusammenzustellen, zu übersetzen und zu kommentieren. Im besonderen Fokus des Interesses standen dabei zunächst die rabbinischen Schriften, und nur vereinzelt wurden auch Entwicklungen mit Blick auf die mittelalterliche und neuzeitliche Rezeption von Wein berücksichtigt. Die Aufhebung des strengen Verbotes von nicht-jüdischem Wein im mittelalterlichen Aschkenas ermöglichte die Ausweitung jüdischen Weinhandels und schuf erst die religionsgesetzliche Grundlage für ein wichtiges Wirtschaftsfeld. Diese halachische Entscheidung trug zu einer bemerkenswerten Veränderung in der kulturellen Adaption von Wein im Judentum bei und bildete eine entscheidende Voraussetzung für die Entwicklung jüdischen Weinhandels in Europa. Von Haym Soloveitchik ist dieser halachische Wandel im Umgang mit nicht-jüdischem (bzw. christlichem) Wein, der als Yeyn nesekh (Gußopferwein) bzw. Stam yeynam (einfach ihr Wein, d. h. der Wein von Nichtjuden) bezeichnet wurde, eingehend untersucht worden. Entscheidungen einflussreicher rabbinischer Autoritäten, insbesondere von Rabbi Shlomo ben Yitsḥaq, genannt Raschi (/–), selbst Weinhändler aus

 Andreas Lehnardt

Troyes in der Champagne, erlaubten es Juden ab dem . Jahrhundert, auch mit nicht-jüdischem Wein Handel zu treiben. In einem klassischen Text, der in einem von Raschi verfassten Responsum, einem halachischen Antwortschreiben, überliefert ist, heißt es dazu, dass nicht mehr zwischen Gussopferwein und Stam yeynam unterschieden werden müsse und dass deswegen nicht-jüdischer Wein zur Nutzung (nicht zum Verbrauch) geeignet sei. Denn die Goyim verwenden den Wein an unseren Orten (d. h. in den SchUM-Städten bzw. in Aschkenas) nicht mehr für den Götzendienst. Die sich in diesem Schreiben abzeichnende grundsätzliche Entscheidung, die möglicherweise schon vor Raschi vertreten wurde, und die damit verbundenen Anpassungen der Halacha an veränderte Lebensumstände eröffneten neue Erwerbsmöglichkeiten, deren Wirkungen bis in die Neuzeit zu verfolgen sind. Allerdings blieb diese Weichenstellung, insbesondere in christlich dominierten Lebenskontexten, in denen Wein für die Eucharistie verwendet wurde, lange umstritten. Bis in das ./. Jahrhundert – die Epoche der Rishonim und Acharonim, d. h. der nach-talmudischen Dezisoren und Rechtsgelehrten – entwickelte sich eine umfangreiche Literatur, die sich mit dem geeigneten Umgang mit solchem, nicht unter jüdischer Aufsicht produzierten und aufbewahrten Wein befasste. Unter orientalischen Juden blieben Verbote bezüglich des Kontaktes mit Muslimen sogar noch länger umstritten. Immer wieder wurden daher regionale halakhische Praktiken gefunden, etwa – um nur ein Beispiel zu nennen – im Hinblick auf den Wein, welcher in Jerusalem hergestellt wurde. Rabbinen im Jerusalem des . Jahrhunderts erlaubten den Genuss von Wein aus der Heiligen Stadt sogar, wenn er von Muslimen berührt worden war. Vermutlich geschah dies vor dem Hintergrund praktischer Erwägungen, weil es ansonsten nahezu unmöglich geworden wäre, überhaupt an Wein zu gelangen. In diesem Beitrag können nicht alle Aspekte des Handels und Wandels im Umgang mit Wein im Judentum berücksichtigt oder erwähnt werden. Die Stellung des Weins in der jüdischen Kultur seit der Antike ist, wie angedeutet, so zentral, dass hier nur eine kleine Auswahl von Aspekten zu den SchUM-Städten betrachtet werden kann. Grundlegend, aber genauso von Veränderungen gekennzeichnet, ist etwa die Kiddusch-Zeremonie, bei der der Segen über den Wein gesprochen wird, etwa im Tischsegen (Birkat ha-mazon) oder bei der Havdala am Ausgang von Shabbat- und Feiertagen. Nahm der Wein schon im Tempelkult eine besondere Stellung ein, so wurde ihm auch in den rabbinischen Diskussionen in der Zeit nach der Zerstörung Jerusalems ( n. d. Z.) besondere Aufmerksamkeit zuteil. Seit der Spätantike wurden viele Variationen und Interpretationen der den Wein betreffenden

Eine jüdische Weinprobe 

Abb. 1: Kiddusch-Becher, Chewra Kaddischa von Bingen, 1837

liturgischen Texte formuliert, wobei sich zahlreiche regionale Bräuche entwickelten, etwa auch in den SchUM-Gemeinden. Bereits eine frühmittelalterliche anonym überlieferte Schrift, in der die Unterschiede in den Bräuchen der babylonischen und palästinischen Juden aufgezählt werden, nimmt darauf Bezug, dass palästinische Juden im Unterschied zu babylonischen ihren Wein vor dem Segen stets zu zwei Teilen mit Wasser zu mischen pflegten. Solche Unterschiede wurden über Jahrhunderte bewahrt und lassen sich bis in die unterschiedlichen Bräuche aschkenasischer, orientalischer und sefardischer Juden unserer Tage verfolgen. In Ländern, in denen Weinanbau sehr aufwändig und klimatisch nahezu unmöglich war, musste im Übrigen nach Ersatzlösungen gesucht werden. So entwickelte sich in Polen und in den angrenzenden ost- und nordeuropäischen Ländern etwa der Brauch, den für das Pessach-Fest unerlässlichen Wein aus unvermischten Rosinen herzustellen. Dieser Brauch wurde von jüdischen Emigranten in die USA mitgenommen, obwohl dort koschere Weine aus frischen Trauben leichter zur Verfügung standen. Noch in der Prohibitionszeit brachte dies unerwartete Vorteile mit sich, die mit dazu beigetragen haben, diesen Brauch in Familien osteuropäischer Herkunft beizubehalten. Eine englische so genannte Prohibitionsbibel, in der jegliche Bezugnahmen auf Alkoholkonsum und somit auch auf Wein gestrichen wurden, konnte sich allerdings nicht durchsetzen. Wein blieb letztlich für den Ritus unerlässlich.

 Andreas Lehnardt

Die rituelle Verwendung von Wein und anderen alkoholischen Getränken während des Purim-Festes, dem Fest zu Erinnerung an die Errettung des Volkes durch Mordechai und Ester, hat ihren eigenen Hintergrund. Zwar lassen viele Quellen eine bemerkenswerte Zurückhaltung gegenüber dem Rausch erkennen, und schon in antiken Schriften wird oft vor übermäßigem Weingenuss gewarnt. Doch diese in vielen jüdischen Quellen aufscheinende Ethik der Mäßigung lässt im Umkehrschluss erkennen, was aus anderer Sicht auch die Rabbinen voraussetzen: Wein wurde auch von Juden gelegentlich in so großen Mengen genossen, dass ein gesundes Maß überschritten wurde. Die Verwendung von Wein und Weinprodukten in der Medizin ist im Judentum ebenfalls seit der Antike bekannt, und in diesem Zusammenhang werden auch zahlreiche magische Praktiken überliefert. Ein anonym überlieferter Abschnitt aus dem Sefer Chasidim, dem Buch der Frommen, welches den Kreisen der Chaside Aschkenas, der Frommen aus „Deutschland“, einer Frömmigkeitsbewegung um Jehuda he-Chasid im . Jahrhundert, zugeschrieben wird, gestattet etwa die Verabreichung von Wein zur Schmerzlinderung. Das Buch schärft jedoch gleichzeitig ein, dass Wein und „derjenige, der mit Frauen Umgang hat“, stets getrennt werden sollten. Zusätzliche, der älteren rabbinischen Tradition unbekannte Frömmigkeitspraktiken, die der Vermeidung von Gebotsübertretungen in Bezug auf koscheren Wein dienen sollten, entwickelten sich daraus später: Einer dieser Bräuche bestand (und besteht in vielen Familien) darin, beim häuslichen Segen über den Wein den Becher anwesenden Nichtjuden vorzuenthalten, um hierdurch „Mischehen“ zu vermeiden. Die bereits in der Bibel bekannte Vorstellung, nach der gemeinsamer Weingenuss mit Nichtjuden fast zwangsläufig zu sexuellen Kontakten führen muss, lebt so weiter fort. Im Talmud-Traktat ‘Avoda Zara, vom Fremdkult, heißt es dazu: Für alles genügt ein Siegel, ausgenommen der Wein. Dazu bemerkt Raschi in seinem Kommentar, dass ein Siegel nicht genüge, weil es nicht sicherstelle, dass dem versiegelten Fass nicht doch Wein entnommen werde. Die strenge Absonderung von nicht-jüdischem Wein und der besondere Schutz von koscheren Weinen werden seit jeher mit unterschiedlicher Konsequenz beachtet. Nach Auffassung einiger kabbalistischer Autoritäten genügte schon der Blick eines Nichtjuden auf koscheren Wein, um diesen kultisch unbrauchbar zu machen. Gelegentlich wurde daher sogar gefordert, Wein an gesonderten Orten aufzubewahren oder ihn gar zu verbergen, um ihn allen unstatthaften Blicken (von Nichtjuden) zu entziehen. Wein, der nicht von Händlern kam, die in großen Gemeinden wohnten, wurde im Übrigen von vornherein als ungeeignet, d. h. nicht-koscher, angesehen. Solcher Wein hätte leicht mit Nichtjuden in Berührung kommen können. Jede Berührung eines offenen Weines durch einen Nichtjuden lässt

Eine jüdische Weinprobe 

Abb. 2: Alte Synagoge Worms

diesen jedoch als so genannten Götzenopferwein, Yeyn nesekh (Libationsopferwein), erscheinen. Jeder Wein, der verdächtig ist, für fremde Kulte verwendet worden zu sein, gilt als nicht-koscher. Seit dem . Jahrhundert vollzog sich dabei ein weiterer Wandel im jüdischen Umgang mit Wein: Er betraf vor allem die Aufbewahrung von jüdischem Wein bei oder durch Nichtjuden. So hören wir etwa in dem Minhag-Buch des Jaakov ha-Levi Moeln, genannt Maharil, aus Mainz, gest.  in Worms, dass ein Weinfass, welches von einem Nichtjuden absichtlich geöffnet wurde, um einen Juden zu verärgern, weiterhin als koscher gelten kann, solange der Nichtjude aus diesem Fass nicht getrunken habe. Dies wurde von Maharil mit einem Präzedenzfall begründet, der sich in Wien ereignet haben soll: Ein Nichtjude soll in ein jüdisches Fass Wein gefasst haben, um seinen Besitzer zu demütigen und zu schmähen. Daraufhin hätten die Rabbinen vor Ort das Fass für koscher erklärt. Ebenso wurde laut Maharil verfahren, wenn auf einem Schiff transportierte Weinfässer verwechselt wurden. Eine ähnliche Sicht hatte bereits der wohl bedeutendste Rabbiner der SchUM-Städte, der in Worms bestattete Maharam von Rothenburg (gest. ), vertreten. In einem Responsum verweist er auf einen ähnlichen Fall und entscheidet dann wie folgt: „Einst vergaß ein Jude in Magenza (Mainz) am Vorabend des Shabbat seinen Weinkeller zu verschließen. Als er am Morgen nach dem Shabbat den Keller öffnete, fand er einen Becher mit Wein, der von einer nichtjüdischen Magd benutzt worden war, und er konnte sich nicht erklären, wie sie dazu gekommen war. Doch er fand an seinem Weinfass keine Spur von einem Tropfen Wein. Rabbenu Jehuda [bar Kalonymos] aus Speyer entschied darauf hin, dass dieses Fass erlaubt bliebe, weil der Zweifelsfall – ob die nichtjüdische Magd Wein aus

 Andreas Lehnardt

Abb. 3: Judensand Worms, Grabstein des Maharam von Rothenburg diesem Fass entnommen hatte – nicht geklärt werden könne. Und so entschieden auch die anderen Gelehrten aus Speyer.“

Trotz solcher Präzedenzfälle sollte man sich vor Augen halten, dass Wein nicht allein als Grund der Sorge um seine halachische Beschaffenheit und Zulässigkeit betrachtet wurde. Ebenso wird er als etwas Positives und als Mittel, „um das Herz zu erfreuen“, betrachtet. Davon zeugen nicht zuletzt zahlreiche hebräische Weinlieder, deren Vorbilder sich schon in der Bibel finden und in denen immer wieder neu der Genuss des Weines gepriesen wird. Insbesondere die jüdischen Dichter aus der Blüte des sefardischen Judentums in Andalusien (.–. Jahrhundert) hinterließen eine Reihe bemerkenswerter Weinlieder. In ihrer Offenheit und Unbefangenheit gegenüber Weinkonsum finden diese allerdings keine Entsprechung in den jüdischen Dichtungen aus christlichen Ländern. Dort musste größerer Wert darauf gelegt werden, den Weingenuss zu reglementieren, da er zu engeren Kontakten mit Nichtjuden führen konnte, was von den offiziellen Vertretern der Religion abgelehnt wurde. Vollkommene Abstinenz wird dabei nur in Ausnahmen gestattet. Dazu war und ist der Konsum von Wein für den jüdischen Ritus zu wichtig. Nur in Zeiten der öffentlichen Trauer und Klage wie am Neunten Av, dem Fastentag

Eine jüdische Weinprobe 

zum Gedenken an die Tempelzerstörung(en), ist Weingenuss untersagt. Nur dem einzelnen Trauernden war Wein als Trost gestattet. Der Gedanke einer temporären Weinabstinenz wird gelegentlich allgemein auf die Zeit nach der Tempelzerstörung übertragen, jedoch ohne prinzipiellen Charakter zu gewinnen. Neben zeitweiser Enthaltsamkeit, wie bei einem Nasiräer-Gelübde (nach . Buch Mose ) oder bei Abstinenz während kultischer Handlungen, entwickelte sich im Unterschied zum Islam – trotz einer gewissen Ambiguität – im Judentum nie ein absolutes Wein- bzw. Alkoholverbot. Allgemeine Verbote galten nur für solche Weine, deren halachische Beschaffenheit zweifelhaft war, wie etwa bei samaritanischem Wein. Im Falle, dass kein für die kultische Verwendung geeigneter frischer Wein verfügbar ist, konnte und kann bis heute statt dessen erhitzter Wein (Yayin mevushal) und gelegentlich sogar Branntwein verwendet werden. Die sich nach und nach durchsetzende Akzeptanz von Yayin mevushal ermöglichte weitere Erleichterungen im Zusammenleben mit Nichtjuden, denn der in einer Flasche oder in einem Gefäß aufbewahrte erhitzte Wein darf von Nichtjuden (Goyim) berührt, geöffnet und eingeschenkt werden. Durch seine Erhitzung verliert er nach rabbinischer Entscheidung seine Fähigkeit zur Verwendung als Libationsopferwein, bleibt aber koscher, solange er unter jüdischer Aufsicht zubereitet worden ist. In vielen koscheren Restaurants mit nicht-jüdischem Personal wird daher nur der zuweilen seltsam schmeckende Yayin mevushal angeboten. Das Beispiel des erhitzten Weins verweist darauf, dass die kulturelle Adaption des Weins im Judentum flexibel und realitätsbezogen verlief und sich nicht allein an den Religionsgesetzen ausrichtete. Diese Beweglichkeit und der dahinter aufscheinende religiöse Pragmatismus mögen letztlich auch dem

Abb. 4: Aus einer Zene Rene-Ausgabe, Kundschafter nach Numeri 13,1–15,41

 Andreas Lehnardt

paradoxen Charakter von Wein geschuldet sein, dessen Genuss sowohl Segen als auch Fluch mit sich bringen kann. Zudem erklärt sich durch diese regulierte Art des Weinkonsums das eigentliche Motiv der Speisegebote im Judentum: Letztlich geht es um ein Unterscheidungsmerkmal, um die eigene Erwählung gegenüber den anderen zu betonen und die Gruppenidentität zu stärken. Wein konnte für diese Ziele besonders gut herangezogen werden, gleichzeitig musste sich auch das Judentum an neue Gegebenheiten und veränderte soziale und wirtschaftliche Umstände anpassen. In den SchUM-Städten Speyer, Worms und Mainz verlief diese sich in die Umwelt einpassende Entwicklung nicht viel anders als an vielen anderen Orten, vielleicht nur etwas rascher, da der Konsum und Handel von Wein in dieser klimatisch günstigen Region von jeher eine wichtigere Rolle spielte als in anderen Teilen der Diaspora. Eine jüdische Weinprobe Der Handel mit Wein durch Juden lässt sich etwa seit  in Wormser Judenordnungen nachweisen. Diese Entwicklung dürfte zwar nicht mehr direkt mit der im Lehrhaus Raschis vertretenen Auffassung zusammenhängen, der den Handel von Wein mit Nichtjuden erlaubte, aber sie ist dennoch symptomatisch für den flexibleren Umgang mit der Tradition und den daraus zu ziehenden Konsequenzen. Wirtschaftliche Interessen dürften dabei unmittelbar auf diesen Wandel Einfluss genommen haben, zumal wegen der zunehmenden Mengen an produziertem Wein aufgrund besserer Herstellungsmethoden die Gewinne größer zu werden versprachen und Juden wie viele andere an dieser Erfolgsgeschichte partizipieren wollten. Neben Judenordnungen der Obrigkeiten bezeugen diesen Wandel im Umgang mit Wein einige hebräische Werke, die bislang weniger beachtet worden sind. Sie gehen nicht mehr so sehr von einem streng reglementierten Umgang mit Wein aus, sondern setzen einen unbefangeneren Genuss und seine massenhafte Herstellung in den SchUM-Gemeinden voraus. In dem hebräisch verfassten Minhag-Buch, d. h. der Brauch-Sammlung, des Wormser Synagogendieners Juspa Schammes (–) finden sich zwei für den jüdischen Weinkonsum sehr aufschlussreiche Abschnitte, die hier in Übersetzung dargeboten werden sollen. Das Buch des Juspa Shammes enthält im Unterschied zu vielen älteren Minhag-Sammlungen dieser Art keine speziellen Abschnitte über Wein bzw. Yeyn nesekh (Libationsopferwein), aber es baut dennoch auf älteren Kompendien (wie dem Sefer Minhagim von Maharil) auf und liefert gleichsam weitere Beispiele dafür, wie die halachischen Bestimmungen interpretiert bzw. wie sie umgesetzt wurden. Von Juspa erfahren wir zunächst Näheres über die Produktion von koscherem Wein in Worms:

Eine jüdische Weinprobe  § 272 „Wein muss unbedingt in den Häusern von Juden („Yudim“) hergestellt werden, nicht in den Häusern der Unbeschnittenen, und man kauft hierfür von den Unbeschnittenen den Wein in Fässern voll von zerstoßenen Weintrauben, samt Kernen und Stiel, und so brachten sie die Unbeschnittenen in die Gasse der Juden. Und danach füllte man sie in Kelter und Presse in der Gasse, und zwar durch die Hand von Juden. Und diese Vorgehensweise hatte sich bereits in der gesamten jüdischen Diaspora verbreitet. Sogar unter jenen Juden, die nur solchen Wein zu trinken pflegten, der von ihnen selbst oder durch Angehörige ihrer Familie produziert worden war. Doch auch sie tranken Wein von hier, aus der heiligen Gemeinde Worms, denn der Wein aus unserer Gemeinde steht unter ständiger Beaufsichtigung bezüglich der Reinheitsgebote (Kashrut) an jedem Ort. Einmal gelangte Wein aus der Stadt Oppenheim und aus Neustadt hierhin [nach Worms]. Und dieser Wein war viel besser als der Wein aus unserer Gemeinde. Der Hersteller dieses Weines wurde daraufhin nach und nach zu einem Großhändler für Wein, wie es in unserer heiligen Gemeinde üblich war. Doch nachher gereute es den hiesigen Rabbiner und die Angehörigen seiner Talmudschule (Jeschiva), dass sie es ihm gestattet hatten. Denn nachdem sie es ihm gestattet hatten, in der hiesigen heiligen Gemeinde Wein aus einem anderen Ort zu verkaufen – wo blieb nun die ständige Beaufsichtigung der Kashrut des Weines aus unserer Gemeinde mehr als bei Wein aus jedem anderen Ort, nachdem nun auch hier Wein aus anderen Orten verkauft werden darf? Daraufhin untersagten und beendeten sie es, weiterhin so zu verfahren, es sei denn, die Umstände würden es notwendig machen, etwa aus Mangel an Wein oder ähnlichem. Doch einmal fragte jemand an, ob es erlaubt sei, Wein aus Gernsheim zu verkaufen, und zwar ein gewisser Shimʽon aus Gernsheim, der den Wein hierher mit sich gebracht hatte. Denn er war vor der Gewalt der Soldaten aus seinem Ort geflohen und hatte nur das von seinem Besitz gerettet, was er bei sich tragen konnte, und darunter auch seinen Wein, den er nun hier verkaufen wollte. Doch der Vorsteher des Gerichtshofes (Av bet din), der Ehrenwerte (Aluf ), unser Lehrer und Rabbiner Susmann Brilin [Rabbi Meshulam ben Eliezer Brilin, gest. 1670, der Lehrer und Schwiegervater des berühmten Jair Bacharach], gestattete es ihm nicht, ihn zu verkaufen, denn nur sein Besitzer dürfe, wenn er es wünsche, von ihm trinken. Und so wurde nicht das geringste Maß von ihm an Mitglieder unserer Gemeinde verkauft.“

Dieser Abschnitt aus dem Minhag-Buch des Juspa gibt interessante Einblicke in den jüdischen Umgang mit Wein zu Beginn der Neuzeit. Offenbar konnten in der Zeit der Abfassung dieses Berichts Weinreben unverkeltert von Nichtjuden gekauft und dann zu koscherem Wein weiterverarbeitet werden. Das hier geschilderte Verfahren war jedoch so nach den Entscheidungen älterer Rechtsgelehrter (u. a. von Rabbenu Tam, dem Enkel Raschis) eigentlich nicht erlaubt. In Worms jedoch, einer der vier bedeutenden jüdischen Gemeinden in Europa zu Beginn des . Jahrhunderts, wird dieses Vorgehen als verbreitete Praxis dargestellt. Ihr hätte sich die gesamte Diaspora angeschlossen. Sogar streng observante Juden, die nicht so zu tun pflegten, tranken daher Wormser Wein – was zeigt, dass die Halacha durch die Gewohnheit,

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den lokalen Brauch, wenn nicht außer Kraft gesetzt werden, so doch in Frage gestellt werden konnte. Wenig später wird diese Praxis auch von Rabbi Jair Bacharach in seinem halachischen Hauptwerk, Shut Hovot Jair, erwähnt und als gängiger Brauch in aschkenasischen Gemeinden akzeptiert. Andere rabbinische Autoritäten, wie der Verfasser des Sefer Qav ha-yashar, Rabbi Zvi Hirsh Kaidanover im . Jahrhundert, haben dann sogar betont, dass in den deutschen Regionen, in denen besonders viel Wein angebaut werde, nicht mehr so streng auf die Unterscheidung von einfach nicht-jüdischem Wein und Wein, der für Götzendienst verwendet wird, geachtet wurde. Weiter lässt sich Juspas Darstellung entnehmen, dass jüdischer Wein von anderen Orten oder Regionen in Städte bzw. Gemeinden importiert wurde und dass dieser mitgebrachte jüdische Wein halakhische Kontroversen unter den ortsansässigen Gelehrten ausgelöst hat. Interessant ist das Detail, dass jüdischer Wein selbst auf der Flucht vor Soldaten nicht einfach zurückgelassen wurde. Er galt als so wertvoll, dass er sogar unter Gefahr mitgenommen wurde – zur Not, um ihn später weiterverkaufen zu können. Dies wird jedoch in Worms schließlich untersagt, weil solcher Wein zuvor möglicherweise in die Hände von Nichtjuden gelangt sein könnte, was ihn ungeeignet machen würde. Die Konkurrenz von nicht am Ort produziertem Wein wird dadurch gleichzeitig ausgeschlossen. Besonders bemerkenswert an dem zitierten Abschnitt ist schließlich, dass auch der Geschmack des Weins beachtet wurde, nicht nur seine koschere Zubereitung – ja, der Geschmack wurde offenbar als wichtiger angesehen als seine Herkunft und die halachische Kontrolle über ihn. In frühen halakhischen Diskussionen, etwa im Talmud, spielt das Aroma oder das Bouquet von Weinen eigentlich keine Rolle. Zwar wird gelegentlich der Alkoholgehalt oder die Farbe von Wein erwähnt. Hier, in der Weinregion, kommt es nun auf einmal auf den Geschmack an, der sogar gemessen werden kann. Welche Bedeutung dem Geschmack zuerkannt wird, kommt in einem weiteren Abschnitt von Juspa Schamms Minhag-Buch zum Ausdruck. In einem längeren Bericht, der auf den Verkauf von jüdischem Wein in Worms durch einen Weinschenk eingeht, wird auch die Verteilung von Weinen erläutert. Dazu teilt Juspa Folgendes mit: § 273 „Der Brauch beim Verkauf von Wein ist folgendermaßen: Die Parnasim (= Vorsteher) der Gemeinde ernennen zwei Männer, kräftige und zuverlässige Herren, die geübt darin sind, zwischen gutem und schlechtem Wein zu unterscheiden. Und falls beide gleich gut darin sind, können sie umso besser unterscheiden und wissen, welcher Wein der bessere ist. Auch müssen Leute vorhanden sein, die sich damit auskennen, was der Wert des Weines ist,

Eine jüdische Weinprobe  für welchen Preis der Fuder [ca. 800 Liter] verkauft wird. Und ebenso, gemäß dieses Wertes, wie viele Pshitim (Pfennige) ein Maß von dem Wein wert ist. Diese Beauftragten nennt man Weinschenk. Sie schicken den Diener (Shamash) von Haus zu Haus, und sie fragen durch ihn nach jedem Familienoberhaupt, welches Wein in seinem Keller aufbewahrt und von seinem Wein verkaufen möchte. Und wer etwas verkaufen möchte, gibt dem Diener einen Becher oder ein Glas voll mit Wein, und der Diener geht mit ihm in den Keller, um zu schauen, aus welchem Fass er den Wein entnommen hat. Er gibt ihm daraufhin Auskunft darüber, wie viel das Fass enthält, ein Fuder oder ein halbes Fuder oder so ähnlich. Und er teilt ihm dann mit, dass er für so und so viel Geld von diesem Maß haben möchte. Der Diener bringt es dann zu einem Platz, an dem der Weinschätzer sitzt, und benennt dem Weinschätzer die Geldsumme, die er für die Menge bezahlen möchte. Ebenso sagt ihm der Besitzer, wieviel das Fass beinhaltet. Auf diese Weise bringt man große Mengen an Wein zusammen, von jedem Hausbesitzer, der etwas verkaufen möchte. Und allen teilt der Diener die Summe mit, die er ihnen zahlen möchte, und die Menge, die das Fass enthält. Doch offenbart er nicht die Namen der Verkäufer. Und der Weinschenk selbst nimmt nicht an, dass ihm der Diener die Namen der Verkäufer benennt, damit er nicht wisse, von wem der Wein stammt, so dass man ihn gerecht beurteilt, zu Gottes Wohlgefallen, und man keine Ungerechtigkeit begehe, das sei ferne! Nachdem alle Weine zusammengetragen sind, probiere man sie, einen nach dem anderen, und danach spricht man bezüglich des ihrer Meinung nach besten und edelsten zu dem Diener: Geh zum Besitzer dieses Weines, den nur du kennst, und sprich zu ihm, dass er der Verkäufer ist, wenn er ihn für die genannte Summe verkaufen will; wenn es dem Besitzer beliebt, den Wein wie besprochen zu verkaufen, dann ist die Angelegenheit erledigt. Doch wenn nicht, schicken wir zu einem anderen Weinbesitzer, der seinen Wein ebenso zu ihnen geschickt hatte, bis sie einen Weinhändler finden, der ihnen für ihre Summe verkaufen möchte. Unmittelbar im Anschluss gehen der Weinschätzer und der Diener zu jenem Keller und verschließen jenen Wein mit ihrem Band, damit der Verkäufer sie nicht betrügen kann. Der Verkäufer muss aber sofort die Steuer entrichten, die man auch Ohm-Geld nennt und die der Gemeinde und dem Armenfürsorger (Gabbai tsedaqa) zusteht, wie es für den Verkauf eines jeden Fuders oder eines Ohm [ca. 130–160 Liter] vorgesehen ist. Unmittelbar darauf verkündet es der Diener auf allen Straßen mit folgendem Wortlaut: Jemand, der Wein ausschenkt, der muss so und so viel zahlen. Manchmal verkündet er dies sogar in der Synagoge.“

Dieser Abschnitt überliefert viele Details vom Weinverkauf, die möglicherweise ihre unmittelbare Parallele in christlichen Praktiken des Weinverkaufs finden. Allerdings sind mir für Worms bislang keine Belege für eine ähnliche Verfahrensweise im christlichen Bereich bekannt. Für den Umgang mit jüdischem Wein lässt sich aus dieser Quelle jedenfalls Vieles entnehmen: Der Verkauf von jüdischem Wein wurde von einem Schammash, dem Synagogendiener, der Gemeinde geregelt. Es wurden immer zwei Verkäufer eingesetzt, einer für den alten Wein, einer für den neuen. Dies ist auch wenig

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älteren Quellen wie dem Sefer Leqet Yosher von Josef ben Moshe aus Höchstädt zu entnehmen, und die Wormser Gemeinde hielt sich offenbar genau an diesen älteren Brauch. Die Verkündung der festgesetzten Preise erfolgte auf der Gasse oder in der Synagoge. Von einer ähnlichen Praxis hören wir schon im Sefer Minhagim des Maharil im . Jahrhundert. Somit beschreibt Juspa hier wiederum eine ältere Praxis, wie sie in vielen Gemeinden im Rheintal praktiziert wurde. Der Wein wurde von vielen Anwohnern der Judengasse hergestellt, doch wurde er anschließend anonym getestet. Über die Mengen von Wein, die in den Kellern der Wormser Judengasse lagerten, sind wir durch Dokumente im Stadtarchiv Worms gut informiert. Sie wurden von Fritz Reuter zusammengestellt und analysiert. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang vor allem der im Auftrag der Stadt im September  verfasste Bericht vom Ratsschreiber Benedikt Isenbeck. In ihm ist festgehalten, dass er in den Kellern der Judengasse nicht weniger als „ Fuder   / Ohm Wein der Jahrgänge  und “ vorgefunden hat. Salomon Büchs, dessen Keller bis heute erhalten ist und besichtigt werden kann, lagerte sogar  Fuder  Ohm vom Jahrgang ,  Fuder  Ohm von  und „noch etlichen neuen Wein.“ Über die Preise der Weinmengen erfahren wir schließlich etwas aus dem Pinkas der Gemeinde Worms aus den Jahren , in dem ein Schreiber, vermutlich Juspa selbst, immer wieder davon berichtet, dass Wein in einem Qinyan sudar, einem geordneten Verkauf, veräußert wurde – wahrscheinlich nach genau dem gleichen Verfahren, von dem in dem Minhag-Buch berichtet wird. Die wichtigste Erkenntnis, die dieser Quelle zu entnehmen ist, besteht aber wohl darin, dass Juden Wein zunächst kosteten und nach dem Geschmack entschieden, welcher Wein für welchen Preis zum öffentlichen Verkauf – d. h. in der jüdischen Wirtschaft, von der wir in einem weiteren Abschnitt bei Juspa hören –,gelangen sollte. Dabei wird großer Wert auf Gerechtigkeit der Beurteilung gelegt, und gleichzeitig werden sogar Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, um zu verhindern, dass der Verkäufer des ausgewählten Weins die Diener „betrügen kann.“ Geschmack als Kriterium des Weinkonsums wird in dieser Zeit – ähnlich wie im christlichen Bereich – zunehmend zu einem Faktor im Umgang mit dem Getränk. Spielten am Anfang der Entwicklung im jüdischen Raum eher halakhische Prinzipien die einzige Rolle bei der Frage, welcher Wein zur Verwendung gelangen durfte, zeichnet sich in Worms – in einem bedeutenden Weinanbaugebiet mit enger Berührung zur christlichen Kultur – ein Wandel ab, der verstärkt auch dem Aroma und den Geschmacksrichtungen Bedeutung zuerkannte. Dieser kulturell bedingte Wandel wurde unter entsprechend günstigen wirtschaftlichen Bedingungen möglich, wie sie insbe-

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sondere in Worms anzutreffen waren. Auch diese alte Gemeinde ging jedoch im Jahr  im Verlauf des so genannten pfälzischen Erbfolgekrieges, in der Folge eines von französischen Truppen verursachten Brandes, unter, und alte, von Juspa erwähnte Bräuche erlebten einen Einschnitt, so dass wir aus späteren Quellen von manchem Brauch nichts mehr hören. Zusammenfassend lässt sich anhand der vorgestellten Berichte aus Worms aufzeigen, dass der jüdische Umgang mit Wein von einer Kultur geprägt war, die sich des ambivalenten Charakters dieses Getränks stets bewusst blieb, Wein jedoch nicht kategorisch verbot, sondern kultisch und wirtschaftlich zu nutzen wusste und ihn so zu einem eigenen Merkmal jüdischer Identität werden ließ. Quellen- und Literaturverzeichnis M, M (Hg.): Responsa of Rabbi Meir of Rothenburg and his Colleagues. Critical Edition, Introduction and Notes, Bd. –, Jerusalem . ,  (Hg.): Wein und Judentum (Jüdische Kulturgeschichte in der Moderne ), Berlin . M, V (Hg.): Sefer Chasidim she-chibber Rabbenu Yehuda he-Chasid, Jerusalem . , Z: Warmaisa.  Jahre Juden in Worms, . Auflage Frankfurt am Main . PZ, M (Hg.): Sefer Maharil. Minhagim shel Rabbenu Jaaqov Molin, Jerusalem . VK, M: Wine in Ashkenaz in the Middle Ages. Yeyn Nesekh – A Study in the History of Halakhah, Jerusalem  (Hebräisch). Wormser Minhagbuch des R. Jousep (Juspa) Schammes. Nach Handschriften des Verfassers zum ersten Male vollständig herausgegeben, mit Ergänzungen von Jair Chaim Bachararach, hg. von Erich Zimmer, Bd. , Jerusalem  (Hebräisch).

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Spätmittelalterlicher Weinhandel am Rhein und seinen Nebenflüssen

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ie Attraktivität und der wirtschaftliche Erfolg von mittelalterlichen Warenmärkten lagen in der Vielfalt des Angebots. Die verschiedenen Wirtschaftsregionen tauschten auf den zentralen Märkten saisonal und regelmäßig ihre spezifischen Produkte aus. Nachdem man die eigenen Waren auf dem fremden Markt verkauft hatte, fand man zugleich die fremde Ware für den eigenen Markt, denn Leerfahrten hätten die Geschäfte unrentabel gemacht. In dieses wirtschaftliche Gesamtgefüge ist auch der Wein als Handelsgut einzuordnen. Schon die frühen Zolltarife nennen unter den erwähnten Handelsgütern den Wein an herausgehobener Stelle. Handelspartner waren vor allem die Dörfer und Städte, die, anders als die adligen oder klösterlichen Grundherrschaften, das Ideal der Selbstversorgung kaum erreichen konnten. Sie blieben für ihre Versorgung mit Wein auf den Markt angewiesen, selbst wenn sie mitten in einem Weinbaugebiet lagen. Wein war schließlich in vielen Gebieten ein Grundnahrungsmittel und zumindest als Messwein überall vorgeschrieben und notwendig. Zwar erstreckte sich bei dem damaligen Weinbedarf und dem wärmeren Klima der Weinbau über ganz Thüringen, Sachsen, die Mark Brandenburg, Mecklenburg bis an die Ostsee nach Danzig und Thorn, doch ließ sowohl die Quantität als auch die Qualität zu wünschen übrig. Vor allem in Norddeutschland ist wohl der Weinbau selten über das Versuchsstadium hinausgegangen, blieben die Städte abhängig vom Markt und vom Weinhandel. Die Rheinachse gewann seit dem Niedergang der Champagnemessen, dem bis dahin größten europäischen Fernhandelsplatz, im . Jahrhundert für den europäischen Transithandel massiv an Bedeutung. Seit der Mitte des . Jahrhunderts war der Rhein zwischen Mainz und Köln für etwa  Jahre die Hauptschlagader des mitteleuropäischen Handels. Für den Fernverkehr gab es keine wirkliche Alternative. Für den Wein kam hinzu, dass der Rhein

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und seine Nebenflüsse günstige Anbaubedingungen mit ebensolchen Transportbedingungen glückhaft verbanden. Aufgrund der besonderen schifffahrts- und verkehrstechnischen Bedingungen der Strecke zwischen Mainz und Köln herrschte der Schiffstyp des „Oberländers“ vor, der besonders für den Transport von Weinfässern geeignet war, mit denen er nahezu überall beladen werden konnte. Die meisten auf dem Rhein verkehrenden Schiffe wurden am Main oder Oberrhein gebaut, während heimische Handwerker am Mittelrhein den weiteren Ausbau und notwendige Schiffsreparaturen übernahmen. Die Personenbeförderung und der regionale und überregionale Reiseverkehr, die im . und . Jahrhundert deutlich zunahmen, trugen ganz wesentlich zur Höhe des spätmittelalterlichen Verkehrsaufkommens auf dem Rhein bei. Reisende aller Art fuhren auf besonderen Personenschiffen oder ließen sich von einem Lastschiff mitnehmen, um zu ihren Reisezielen zu gelangen. Die Personen- und Frachtschifffahrt wurde von den regionalen Schifffahrtszünften organisiert. Im Folgenden wird an exemplarisch ausgewählten Beispielen ein vertiefender Einblick in die Besonderheiten des mittelalterlichen Weinhandels gewährt. Im Zentrum der Untersuchung steht der klassische Exportwein des Spätmittelalters, der elsässische Wein. Sein Export folgte nicht nur den Flussläufen, sondern war aufgrund seiner hohen Qualität und Haltbarkeit wegen seines natürlichen, hohen Schwefelgehalts auch für den Landhandel attraktiv. Der räumlichen Verteilung der Absatzgebiete folgt ein vertiefender Abschnitt über die Marktstrukturen im Weinhandel. Am Beispiel der Grafen von Wertheim werden typische Vermarktungsstrategien bis zum Endverbraucher beschrieben. Beginnen möchte ich jedoch mit der engen Verwobenheit von grundherrlichem Weinanbau und Vermarktung, die am Mittelrheingebiet erläutert werden soll. Weinanbau und Weinhandel im Mittelrheingebiet. Der Weinbau war seit dem späten Mittelalter der zentrale Wirtschaftsbereich des Mittelrheintals. Der größte Teil der mittelrheinischen Bevölkerung war unmittelbar oder mittelbar mit der Weinerzeugung und Weinverarbeitung beschäftigt und damit von der Entwicklung des Weingeschäfts abhängig. Der mittelrheinische Weinbau war durch langfristig stabile Produktionsverhältnisse und Produktionsformen gekennzeichnet. Die wichtigsten Produktionseinheiten des spätmittelalterlichen Weinbaus waren die selbständig wirtschaftenden Winzerbetriebe im Haupt- oder Nebenerwerb und die Weinhöfe geistlicher und adliger Grundherren. Die mittelrheinische Winzerschaft des späten Mittelalters erscheint auf den ersten Blick als eine wirtschaftlich, sozial und ständisch relativ einheit-

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liche Schicht freier bäuerlicher Produzenten. Sie bestand jedoch schon zu dieser Zeit zu einem erheblichen Teil aus Nebenerwerbswinzern, die einen wesentlichen Anteil ihres Einkommens aus handwerklichen oder anderen Tätigkeiten bestritten. Von den Winzern der Rheintalorte unterschieden sich die Winzerbauern der Terrassendörfer, die den Weinbau in einem Mischbetrieb mit Getreidebau und Viehwirtschaft betrieben. Das typische Wingertspachtverhältnis umfasste dabei im späten Mittelalter praktisch keine feudalen, sondern im Wesentlichen nur noch ökonomische Beziehungen zwischen Pächtern und Verpächtern. Der Wein war vermutlich seit dem frühen Mittelalter zugleich das wichtigste mittelrheinische Handelsgut. Mit dem Aufblühen des Städtewesens, der Ausweitung der Warenproduktion und der Intensivierung des Warenaustauschs nahmen die Mengen des Weins vom Mittelrhein, die in den Handel gebracht wurden, erheblich zu. Der rheinische Weinhandel war im Mittelalter stets auf Köln orientiert. Größere Grundherrschaften übernahmen auch im Spätmittelalter den Absatz ihrer Weine noch selbst und realisierten damit auch den ansonsten den Weinhändlern zustehenden Handelsgewinn, mussten dafür aber den Transport, die Verzollung, die Lagerung, den Verkauf und andere Aufgaben selbst übernehmen. Die Kölnfahrten waren für sie zentrale Ereignisse des Wirtschaftsjahres. Die Erträge wurden vor allem durch die Verfügung über Zollprivilegien garantiert. Seit dem . Jahrhundert wurde jedoch ein immer größerer Teil des Weins von berufsmäßigen Weinhändlern im mittelrheinischen Erzeugergebiet vor Ort aufgekauft. Spätestens seit dem . Jahrhundert übernahmen die Gemeinden zum Schutz ortsansässiger Winzer die Aufsicht über die Preisfestsetzung und die Modalitäten des Weinmarktes. Dem Weinmarkt folgten die typischen Bedarfsgewerbe des Weinbaus – wie Faßbender, Schröter (Weinfasstransporteure) und dergleichen. Erweitern wir nun die Perspektive auf andere Weinanbaugebiete und insbesondere auf den Elsässer Wein und seine Vermarktung. Schon für das Jahr  sind in einer Urkunde Karls des Dicken typische Weinanbaugebiete über ihre Weinabgaben genannt: so die königlichen Villae Tribur, Frankfurt, Ingelheim, Kreuznach, Lautern, Gernsheim, Nierstein und „was zu Worms aus den Vogesen gehörig ist“. Dies ist zugleich der erste Hinweis für eine Beziehung ins Elsaß. Für den Handel mit fremden Weinen stellten Köln und Straßburg, aber auch Mainz und Frankfurt stets die großen Absatzmärkte dar, Frankfurt besonders durch seine beiden Messen. Zu den gehandelten Weinen zählten Frankenweine, „Rheinweine“, worunter nicht nur der Rheingauwein von Biberach bis Lorch, sondern auch alle linksrheinischen Weine vom Speyergau, Wormsgau, Oppenheimer Gau, Mainzgau und aus dem kurpfälzischen

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Gebiet, von Landau bis Bacharach, verstanden wurden, ferner Südweine, wie Malvasier, Welscher, Reynfal, Romani, Passauer und vor allen anderen der Elsässer Wein. Einen Ausschnitt aus dem Weinangebot zeigt ein Ratsspruch aus dem Jahre , in dem dem Kurmainzer Diener Thomas von der Wassermühle geboten wurde, den von ihm verzapften „welschen win, Romani, Malvesii etc.“, auf keinen Fall mit „Elsasserm, Rinschem oder anderm win“, zu vermengen oder zu vermischen. Hier wird zudem deutlich, dass man sehr genau die Qualität eines Weines zu schätzen wusste und bestrebt war, die Reinheit der verschiedenen Weine zu gewährleisten. „Du wirdst geloben und sweren, dasz du selber, oder Jemand von deinetwegen, die Wein die du bracht hast, und verkauffen willt, nit anderst gemacht habst, und wissest auch nit, das soliche Wein zuvor und ehe Sy dir zuhanden kamen, anderst gemacht gewest seien, dan wie Sy got an den reben lassen wychsen und geschaffen hat. on allen betrug und geverde“, so lautete ein entsprechender Kölner Eid, den die fremden Kaufleute zu schwören hatten. Freilich halten sich die Quellen selten an das Reinheitsgebot, bezeichnen die verschiedenen Weine zumeist mit dem Sammelbegriff Wein, erwähnen manchmal Farbe, Machart (gebrannt), Qualität und Herkunftsort (dieser fungiert oft als Qualitätsausweis), jedoch nur selten Sorten. Eine Identifizierung über den Preis bleibt, angesichts der starken Preisschwankungen selbst bei näher bezeichnetem Wein, ebenfalls problematisch. Der begehrteste Exportwein war der Elsässer. Die Quellen verzeichnen für ihn bei weitem die meisten namentlichen Nennungen. Die städtischen Räte und mit ihm die Weinhändler legten großen Wert auf die Reinheit dieses Weines. Die Straßburger etwa mussten bei der Weineinfuhr in Frankfurt beschwören, dass ihr Wein aus dem Elsaß stammte und keiner aus dem Breisgau, von der Saar usw. sich darunter befand. Frankfurt hatte hier gewissermaßen trotz der Messefreiheit die Funktion eines Stapelplatzes inne. Denn die Elsässer brachten ihre Weine zumeist nur nach Frankfurt, von wo aus sie dann von Frankfurter Weinkaufleuten teils im Aktivhandel, teils im Zwischenhandel weitervertrieben wurden. Die Führungsrolle hatte dabei eindeutig Straßburg inne. Seitdem in Frankfurt die Quellen häufiger werden, finden wir Straßburger und ihre Weine in der Stadt am Main. Ein gesondertes Zollbuch von , angefertigt anlässlich einer heftigen Auseinandersetzung über die gegenseitigen Abgaben, gibt auch einen Einblick in die gehandelten Mengen. Der Weinhandel machte dabei die Hauptsache aus. Es finden sich bei den  Straßburgern (davon  Frauen), die die Frankfurter Messe insgesamt besuchten, allein  Posten mit mehr als  Fudern Elsässer, immerhin also allein aus Straßburg mindestens . Hektoliter Wein und damit, bei einer Ladung pro Schiff von  bis  Fudern, etwa

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 Schiffe auf einer Messe, und dieses in einem durch die Zollstreitigkeiten beeinträchtigten Jahr. Auch die Straßburger schraubten ihre Zollforderungen an die Frankfurter, die in Straßburg handelten, nicht herunter. So enthält die parallele Frankfurter Buchführung für die Schädigungen der Frankfurter in Straßburg  Verzeichnisse mit Zollvergehen. Wiederum spielt Wein die Hauptrolle. An der Spitze stehen Henne Rorbach mit  Fudern und Henne Kempe mit  Fudern Wein, für die sie in Straßburg Pfundzoll zahlen mussten.  wurde zwischen Schlettstadt und Frankfurt ebenfalls ein Vertrag über beiderseitige Zölle mit Sonderbestimmungen über die Weine der Schlettstädter in Frankfurt geschlossen. Wiederum war es zu Zollstreitigkeiten gekommen, weil die Frankfurter Bürger in Schlettstadt mit neuen Zöllen belastet worden waren und Frankfurt deshalb in der Fastenmesse  seinerseits Strafzölle gegen die Schlettstädter erhoben hatte. In den folgenden Jahren verlief der Handel mit den Elsässer Weinen in etwas ruhigeren Fahrwassern. Der Wein wird regelmäßig erwähnt, lediglich kleinere Unregelmäßigkeiten traten auf, die aber mehr den Handelsalltag betrafen als grundsätzliche Auseinandersetzungen. So teilte Frankfurt Straßburg  mit, dass Klagen darüber laut wurden, dass von Straßburg und sonst von oben her von den Kaufleuten zu große Weinfässer gebracht würden, die Kranen und Waage beschädigten. Schon  hatte es eine ähnliche Korrespondenz wegen ungleicher Weinfässer und einer Überlastung des Krans gegeben. Der Bitte um Vereinheitlichung hatte man aber anscheinend nicht entsprochen. Einen gewissen Bruch im Handel mit Elsässer Wein scheint es gegen Ende des . Jahrhunderts gegeben zu haben. Der Elsässer Wein verschwindet sukzessive zugunsten des gehobenen Rheingauer Weines aus den Rechenbüchern. Träger des Weinhandels waren neben den Kaufleuten der Herkunftsorte und der Winzer in vielen Fällen die Bürger der großen Weinhandelsorte. Der Wein war ein beliebtes Spekulationsobjekt, eine vorzügliche Kapitalanlage und versprach im Handel eine relativ große Gewinnspanne. Etliche große Vermögen wurden im Weinhandel erwirtschaftet, in den fast alle vermögenden Bürger und Patrizier des Untersuchungsraums involviert waren. Noch intensiver als im direkten Handel mit den Weinbaugebieten finden wir die Weinkaufleute am Absatz des Weins in den Hauptabnahmegebieten beteiligt. Im wirtschaftlichen Hinterland des Rhein-Main-Gebietes, in Hessen, finden wir zahlreiche Belege für exportierten Wein seit  für Grünberg, seit  für Alsfeld, für Treysa seit , für Wetter seit , für Fritzlar seit

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. Im Jahre  verkaufte ein Straßburger Wein an die Stadt Kassel und  ein Colmarer Bürger an drei Bürger von Haiger. Seltener sind die Belege verständlicherweise main- und vor allem rheinabwärts. Hier war die Konkurrenz zu groß, der eigene Weinbau zu intensiv und Köln als der große Weinhandelsplatz in seiner Anziehungskraft zu stark. Nur für den Elsässer Wein wurden gelegentlich Handelsbeziehungen rheinabwärts hergestellt. Die eigentlichen Hauptabsatzgebiete waren aufgrund der für den dortigen Weinbau schlechteren klimatischen und landwirtschaftlichen Gegebenheiten die Gebiete des Nordens und des Ostens. Zunächst finden wir Rhein-Wein auf den verschiedenen Straßen nordostwärts nach Thüringen hinein.  ist er für Fulda nachweisbar. Um  wird ein Fass Elsässer, das für einen Eisenacher bestimmt war, durch Graf Gottfried von Ziegenhain bekümmert. Der Schriftwechsel zeigt einen regelmäßigen Weinhandel nach Eisenach. Gotha beklagt um  die Beschlagnahme der Weine. Besonders gut belegt ist der Weinhandel mit Mühlhausen/Thüringen. Wir erkennen wiederum einige Eigenarten des Weinhandels. Sie zeigen den Vorrang des Elsässer Weins für die Region. Vor allem aber treten häufig die Wirte als Informanten und Zwischenhändler auf. Im Frühjahr  etwa beauftragte die Stadt Mühlhausen / Th. Heinrich Wydenbach, ihren Wirt in Treysa, einem bekannten Fuhrleuteort, mit der Bestellung von ein oder zwei Fässern besten farbhaltigen Weines, das Ohm zu  Gulden. Reger Kontakt bestand ferner zu Nordhausen. Für Erfurt, der Handelsmetropole des thüringischen Wirtschaftsgebietes, ist der Weinhandel seit der Mitte des . Jahrhunderts belegt. Die weiteste Verbindung nach Osten reichte nach Breslau, wo das Handelshaus der Poplau / regelmäßig elsässischen Wein einkaufte. In Richtung Norden – die Transporte gingen dabei zumeist zu Land, manchmal ein Stück zu Wasser, etwa auf Fulda und Weser – stammt der früheste Beleg aus Hildesheim, wo  einem Weinhändler seine Weine ausgetrunken, aber nicht bezahlt wurden. Ebenfalls sehr früh und gut belegt datieren die Quellen für Göttingen. Zwischen  und  datiert ein besonders aussagekräftiger Brief. Ein Straßburger Bürger teilte der Stadt Göttingen darin mit, dass er die vier Stücke Wein, um die sie baten, liefern werde, sobald seine Wagen, die in „daz Flydeka“ unterwegs sind, zurückkommen. Auf dem Rückweg von Göttingen solle man dann seine Wagen mit Salz beladen, das er für sie um den Höchstpreis absetzen wolle oder selbst zu kaufen bereit sei. Die Stadt Göttingen hatte geschrieben, dass sie keine Rückfracht habe, sich aber darum bemühen werde. Der Straßburger hatte seine beiden Wagen, die je zwei Fuder Wein transportieren konnten, anscheinend immer in Bewegung, Stillstand hätte Verlust bedeutet. Außerdem verhandelte er mit

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der Stadt Göttingen nach deren Bestellungen sofort um eine Rückfracht auf Göttinger oder eigene Rechnung, um die Leerfahrt zu vermeiden. Göttingen scheint zudem als Zwischenstation des Weinhandels nach Lübeck von Bedeutung. Beziehungen nach Hannover bestanden seit , Bielefeld wird  erwähnt. Für Lüneburg findet sich der erste Beleg , als ein Fuhrmann und Untertan des Grafen Gottfried von Ziegenhain seinen Lohn für einen Weintransport nach Lüneburg einklagt. Sehr intensiv war der Weinhandel aber auch mit den Seestädten der Hanse.  beklagten sich die Hansetage zu Lübeck und Rostock über häufig vorkommende Weinverfälschungen. Man solle die Weine verkaufen, wie Gott sie wachsen lasse. Außerdem werde oft „niederlendischer“ Wein für „oberlendischen“ verkauft. Die befragten Weinkaufleute antworteten, dass es aus Transportgründen und wegen der verschiedenen Fassgrößen durchaus gebräuchlich sei, oberländischen Wein in niederländische Fässer und umgekehrt zu füllen. Sie hätten jedoch nie den niederländischen Wein für oberländischen verkauft. Weiter nördlich werden Wismar, Rostock und Stralsund erwähnt. Der elsässische Wein nahm aufgrund seiner Haltbarkeit und Qualität weite Wege bis zum Endverbraucher auf sich. Die zahlreichen Klagen über Panschereien und die Wachsamkeit der Kundschaft unterstreichen die herausragende Bedeutung dieses wichtigsten Exportweines. Der Markt und seine Einrichtungen Bisher sind wir in großen Zügen dem Warenaustausch gefolgt. Der alltägliche Ablauf, die Organisationsformen des Marktgeschehens wurden lediglich gestreift. Der im folgenden beschriebene Ablauf des Marktes ist idealtypisch und beschreibt einen großen Absatzmarkt; doch dürfte angesichts des zu schildernden, feinmaschig strukturierten Kontrollsystems der idealtypische Fall eher die Regel als die Ausnahme gewesen sein. Diesem dichten Netz an Bestimmungen und Kontrollorganen mit mehrfacher Absicherung konnte man sich nur schwer entziehen. Denn die Getränkesteuer, namentlich auf den Wein, war die wichtigste städtische Einnahmequelle. Das sogenannte Ungeld als ältester Lebensmittelzoll betrug in der Regel ein Zwölftel von jedem Fuder Wein und machte in vielen Orten zum Teil die Hälfte aller städtischen Einnahmen aus. Vergleichbares gilt für die adligen Haushalte. Schon in der Umgebung lauerten die herrschaftlichen Zolleinnehmer auf die herannahenden Weinkaufleute, wobei der Wein häufig bei der Abgabeerhebung als Leitware und Bezugsgröße fungierte. Hatte der Kaufmann

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oder der von ihm mit dem Transport beauftragte Schiffs- oder Fuhrmann die zahlreichen Zoll- und Geleitsstellen, die zu seinem Schutz und gegen sein Geld entlang der Land- und Wasserstraßen eingerichtet waren, überwunden, so wurde er an den Stadttoren hoffnungsfroh erwartet, wenn er nicht schon vor der Stadt von den städtischen Geleitsreitern an der Landwehr empfangen wurde oder, wie etwa in Mainz, auf das tägliche verkehrende Frankfurt-Mainzer Marktschiff umgestiegen war. Der Bedeutung des Weins als Handelsgut und städtische Einnahmequelle entsprechend war der Markt ausgesprochen straff organisiert. Von der Ankunft bis zum Trinken oder Abtransport waren der Weinhandel und -ausschank strengstens und mehrfach kontrolliert. Man war darauf bedacht, dass immer die Öffentlichkeit hergestellt und gewahrt blieb. Schon bei der Ankunft stand der Wein unter Beobachtung, ankommende Schiffe wurden gerne mit einem Trompetenstoß angekündigt. Im Herbst, wenn die neuen Weine kamen, war die Wachsamkeit am größten. So sollten die Visierer „in dem infuren (…) getruwelichen warten und erlernen, wievil iglicher burger wins worden sij und das von stont an in ire buche schriben, und die burgere off ire eide fragen, wivil sie des vor der encken, zu spanwinen, sewenwinen, alande, rappus, berkorn oder andern winen oder sachen verkaufft haben, soliches auch anschriben und dan von stont bynnen dem nesten mande die nyderlage davon getruweliche fordern und nemen, als herkommen ist.“ Keiner sollte unbemerkt seinen Wein an den Verbraucher oder Käufer bringen. Bis es zum eigentlichen Handel kam, war der Wein durch eine ganze Reihe Hände städtischer „Dienstleute“ gegangen und keine Minute aus den Augen gelassen worden. Sobald ein Schiff angelegt hatte, waren die Zöllner angehalten, nachdem der Zoll entrichtet war, einen Visierer, der sich in der Nähe aufhielt, zu sich zu rufen und, bevor der Wein auf der Rentkiste berechnet wurde, in das Weinschiff zu gehen, dort die Fässer zu zählen, sie durch den Visierer mit der Visierrute ausmessen zu lassen, den Inhalt aufzuzeichnen und die Fässer mit einem Zeichen zu versehen. Der Visierer hatte seinerseits die ermittelten Angaben sofort an die Ratsfreunde zu übermitteln. Sobald der Wein verkauft war, hatte der Visierer wiederum anzuzeigen, wem der Wein und wieviel verkauft worden war. Mitgebrachter und selbst vertrunkener Trinkwein war abgabefrei, für verkauften und an andere ausgeschenkten Wein mussten die Abgaben entrichtet werden. Die Visierer durften ferner selbst keinen Gastwein warten, kaufen oder verkaufen. Nach den Visierern übernahmen in Gemeinschaftsarbeit der (die) Kranenmeister und Kranenknechte, deren Zahl sich nach der Zahl der Kranen richtete, bzw. die Weinschröter. Eng mit dem Aufgabenbereich der Weinschröter verbunden und abgestimmt waren die Lohnfuhrleute. Sie durften z. B. nichts ausführen, was mit dem Kranen hätte gehoben werden müssen.

Spätmittelalterlicher Weinhandel am Rhein und seinen Nebenflüssen



Auch was den eigentlichen Handel betraf, waren die Kaufleute nicht unter sich. Zwischen den Käufer und den Verkäufer waren die Weinsticher als Vermittler des Geschäftes eingesetzt. Sie versahen ihre Aufgabe selten länger als zwei Jahre und stammten fast immer selbst aus dem Weinhandel, den sie dann auch wieder ausübten. Sie fungierten als Unterkäufer. Sobald sie erfuhren, dass ein Schiff mit Wein angekommen war, hatten sie ihre Dienste anzubieten. In Köln etwa sollten zwei von ihnen bei der Ankunft auf ein Schiff gehen, einer bei dem Kaufmann bleiben, der andere das Schiff inspizieren. Der Kaufmann hatte seine Ladung zu deklarieren. Die Weinsticher versahen die geladenen Fässer, ähnlich den Visierern, mit ihren Zeichen. Danach stellten sie den Kontakt zum Käufer her. Die Weinsticher durften keinen Käufer oder Verkäufer bevorzugen. Wer zuerst mit Kaufabsichten zu ihnen kam, dem mussten sie den Wein zu trinken geben und beim Kauf behilflich sein. Sie sollten ferner Gäste, die Wein kaufen wollten, nicht bevorzugt in einen bestimmten Keller führen, sondern in den, den der Gast beabsichtigte. Die Weinsticher durften selbst keinen Wein ausschenken oder einkaufen, bei dem sie als Vermittler fungierten. Ferner war es ihnen verboten, Weinkaufleute zu beherbergen. Von dem verkauften Wein durfte nichts mehr ausgeschenkt werden, es sei denn mit Willen und Wissen des Käufers. Nach erfolgreichem Geschäft stand den Weinstichern eine Unterkaufsgebühr zu. Wenn die Weinsticher Käufer und Verkäufer zusammengeführt hatten, ein Verkaufsabschluss aber zunächst nicht zustande gekommen war und erst später und ohne Weinsticher der Verkauf abgeschlossen wurde, so blieb dennoch die Gebühr an die Weinsticher zu entrichten. War aber zu keiner Zeit ein Weinsticher dabei (trotz der anderslautenden Bestimmungen!!), so war nur der Anteil der Stadt zu zahlen. Auch musste dabei das Verbot des Verkaufes ohne Weinsticher berücksichtigt werden bzw. war die Strafe bei Nicht-Beachtung zu entrichten – eine nachgerade klassische Maklerklausel. Die Weinwirte waren wegen ihrer Kenntnis des Weinmarktes beliebte Ansprechpartner beim Weineinkauf, dies haben die obigen Abschnitte über die Nachfrage gezeigt. Sie durften selbst in ihren Schenken aber keinen Wein im großen Stile verkaufen, sondern waren auf den Ausschank festgelegt. Auf Anweisung etwa des Straßburger Rates waren hierzu die Weinknechte hinzuzuziehen. Jedem Wirt wurden maximal zwei Weinknechte zugeordnet, wobei einer das Zapfen im Keller und das Auftragen des Weines erledigte, der andere teils dem ersteren half, teils das Weinrufen zu besorgen hatte. Dabei ging er durch die Straßen, verkündete, dass sein Wirt Wein zu schenken begonnen habe, und rief den Preis aus. Die hier als Teil des Marktes vorgestellten Dienstleute changierten zwischen dem Nutzen für alle Marktbesucher und der Abschöpfungsfunktion im Abgabewesen der Obrigkeiten. Diese jedenfalls konnten dadurch den ge-

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regelten Ablauf des Marktgeschehens gewährleisten, ohne selbst jemals den Überblick oder gar Einnahmen zu verlieren. Das bis ins kleinste Detail durchorganisierte Netz von städtisch vereidigten Kontrolleuren arbeitete sehr erfolgreich und keineswegs vergeblich, wie die Markt- und Verbrauchsabgaben auf den Wein belegen. Sie machten einen großen Teil der öffentlichen Einnahmen aus und waren zu Marktzeiten jeweils bei weitem am höchsten. Lassen sie uns abschließend noch einen letzten Blick auf die Vermarktungsstrategien eines mittleren Adelshauses am Main, der Grafen von Wertheim, werfen, denn der Adel war keineswegs lediglich Konsument, sondern als Grundherr und Unternehmer nicht minder intensiv in das Marktgeschehen verwickelt. Der Weinbau und Weinausschank am Main: die Grafen von Wertheim Neben der Schafzucht waren der Weinbau und vor allem der Erlös aus dem Verkauf und den Schankrechten das einträglichste Geschäft der Grundherrschaften der Grafen von Wertheim. Weingärten der Grafen von Wertheim lassen sich in den Rechnungen für  in Seckmauern,  in Wersau, / in Mömlingen und unterhalb der Burg Breuberg belegen, wobei der Weinanbau am Burgberg oberhalb von Neustadt für  nachweisbar ist, aber wesentlich älter sein dürfte. Die vergleichsweise größte Bedeutung unter diesen herrschaftlichen Weingärten kam dem Anbau in Seckmauern zu. / bzw. / gingen von Mömlingen lediglich noch Weingartenzinsen ein, während die anderen gräflichen Weingärten noch im Eigenbau bewirtschaftet wurden. Die Grafen von Wertheim besaßen in den breubergischen Zenten zudem allein das Recht, Wein auszuschenken, den die Zentbewohner zu kaufen hatten, wie an den regelmäßigen Geldeinnahmen aus „Bannwein“ zu ersehen ist. Größere Mengen Wein wurden dabei an den Kirchweihfesten umgesetzt. Für diesen Zweck ließ der Keller bisweilen auch den Wein auswärts kaufen. So bezog er  ein Fuder und zwei Viertel Wein für  lb. (Pfund)  tur. Turnosen) zu Großostheim, um ihn zu Höchst „uff der kirbe“ für  Pfennige das Maß ausschenken zu lassen. Obwohl  Ohm davon zunächst übrigblieb, dann aber für  Pfennige das Maß verkauft wurde und der Amtmann und seine Begleiter auf dieser Höchster Kirchweih auf Rechnung des Grafen auch noch selbst  Maß getrunken haben, blieb immerhin noch ein beachtlicher Gewinn von  lb. (Pfund)  d (Denar), d. h. ca.  . Ebenfalls zu Großostheim kaufte man Wein, der auf der Kirchweih zu Arnheiden am Bartholomäustag des gleichen Jahres ausgeschenkt wurde. Dabei erzielte man aus diesem Bannwein sogar einen Gewinn von fast  .  gehörte diese

Spätmittelalterlicher Weinhandel am Rhein und seinen Nebenflüssen

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Aufgabe übrigens in die Zuständigkeit des gräflichen Küchenmeisters. Dieser sollte Wein ausschenken lassen auf den Kirchweihen zu Arnheiden (St. Bartholomäustag), Höchst, Sandbach, Kirch-Brombach (St. Albanstag), Wersau ( Tage nach dem St. Bartholomäustag), Mümling-Grumbach, Rimhorn (St. Laurentiustag), Vielbrunn (St. Bartholomäustag), Seckmauern (St. Margarethentag), Lützelbach ( Tage nach Pfingsten) und Breitenbrunn (auf unser Frauen Klibeltag). Man nutzte die Schankrechte also intensiv und mit eindeutiger Gewinnabsicht. Dieses adlige Beispiel der Weinvermarktung vom Eigenbau, Ankauf und Weinausschank zeigt, wie vernetzt der Weinhandel sich gestaltete. Grundherrschaftlicher Anbau und dörflich-städtische Vermarktung waren auf das Engste miteinander verbunden. Ausgewählte Literatur MM, K: Von der Wirtschaftsgestaltung des Elsaß im Mittelalter. In: Alemannisches Jb. . M, M (Hg.): Weinbau zwischen Maas und Rhein in der Antike und im Mittelalter (Trierer Historische Forschungen ), Mainz . – . (Hg.): Weinproduktion und Weinkonsum im Mittelalter (Geschichtliche Landeskunde ), Stuttgart . M, M: Die Frankfurter Messe als Weinhandelsplatz im Mittelalter. In: Weinbau zwischen Rhein und Maas in Antike und im Mittelalter, hg. v. Michael Matheus (Trierer Historische Studien ), Mainz , S. –. – .: Die Frankfurter Messen im Mittelalter (Frankfurter Historische Abhandlungen ), Stuttgart . – .: Wirtschaft am Mittelrhein um . In: Schrei nach Gerechtigkeit. Leben am Mittelrhein am Vorabend der Reformation, hg. v. Winfried Wilhelmy, Regensburg , S. –. VK, : Wirtschaft und Gesellschaft am Mittelrhein vom . bis zum . Jahrhundert, Wiesbaden . WK, W: Kultur-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Odenwaldes im . Jahrhundert. Die ältesten Rechnungen für die Grafen von Wertheim in der Herrschaft Breuberg (–), Breuberg-Neustadt .

 

Wein und Sprache Mainzer Forschungen zum Wortschatz des Weinbaus

W

er sich mit dem Wortschatz einer Sprache beschäftigt, muss hin und wieder mal ein Wörterbuch aufschlagen. Zum Beispiel das „Deutsche Wörterbuch“ der Gebrüder Jacob und Wilhelm Grimm beim Buchstaben „W“. Die Artikel der ersten drei Bände sind von den Grimms Mitte des . Jahrhunderts noch selbst formuliert worden. Die Texte in den Folgebänden stammen von anderen Bearbeitern. Im Bd. XIV, I. Abteilung, . Teil, erschienen , wird das Wort „Wein“ und Zusammensetzungen (Komposita) mit „Wein“ wie „Weinberg“ auf den Spalten – abgehandelt. Das heißt, Komposita, welche „Wein“ als Erstglied haben, nehmen mehr als  eng im Petit-Druck gesetzte Wörterbuchspalten ein. Lediglich die Wortstrecke „Gott“ im Band IV dürfte umfangreicher sein. Wir wollen uns das etwas genauer ansehen. Bd. XIV, I. Abteilung, . Teil, Spalte  des Grimmschen Wörterbuchs: Der Bearbeiter Alfred Götze listet mehr als  Komposita mit „-wein“ als Zweitglied auf wie „Kräuterwein“, „Opferwein“, „Osterwein“, „Sterbewein“, „Weiberwein“. Hinsichtlich der Erstglieder schreibt er: „WEIN- ist erster bestandtheil von einigen tausend zusammensetzungen, von denen hier [gemeint ist das Grimmsche Wörterbuch R. St.] nur die sprach- und kulturgeschichtlich wichtigsten erscheinen.“ Die Wortstrecke mit „Wein-“ als Erstglied von Komposita beginnt mit „Weinabgabe“ (Sp. ) und endet mit „Weinzwang“ (Sp. .). Es ist ganz offensichtlich, dass der Wein und der Weinbau, der Weingenuss und der Weinhandel – also: die Weinkultur – im Wortschatz unserer Sprache nicht unbeträchtliche Spuren hinterlassen haben. Das Wort „Wein“ ist ein Lehnwort aus dem Lateinischen: „vînum“. Es ist aber kein lateinisches Wort. Griechisch „oinos“ und hethitisch „wijana“ (Hethitisch: ausgestorbene Sprache auf dem Gebiet der heutigen Türkei, in Keilschrift überliefert) deuten darauf hin, dass das Wort einer nicht bekann-

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ten altorientalischen Sprache entstammt. Die Entlehnung ins Germanische erfolgte, als es noch keine germanischen Einzelsprachen wie Deutsch oder Englisch gab. In frühen Lehnwörtern, die im Lateinischen einen „w“-Laut enthielten wie „vînum“, ist im Deutschen dieses „w“ erhalten: „Wein“. Das „w“ des klassischen Latein ist spätlateinisch zu einem „f “-Laut geworden. Diese Wörter gelangten mit ihrem ‚neuen‘ „f “ ins Deutsche, wie z. B. „Veilchen“. Über römisch-germanische Handelskontakte dürfte das Getränk Wein und die Bezeichnung dafür in unsere Gegenden gekommen sein. Aufgrund des Lautstandes, nämlich „w“ in „Wein“, ist sicher, dass es sich um ein sehr altes Lehnwort handelt. Jetzt sollen einige Forschungsarbeiten zum Komplex ‚Wein und Sprache‘ vorgestellt werden. Das sind zunächst Wörterbücher und wörterbuchartige Publikationen. Dann soll ein in Mainz erarbeitetes Atlaswerk zur Winzersprache präsentiert werden. Hierbei wird an einem Beispiel gezeigt, dass es Bereiche des Weinbaus (Bezeichnungen für die Traubenpresse) gibt, in denen sprachliche Raumstrukturen seit dem Spätmittelalter nahezu unverändert fortbestehen. Anschließend sei ein Wörterbuch zum historischen Weinbauwortschatz besprochen. Auch die Themen Familiennamen und Weinbau sowie Weinlagenamen sollen knapp angerissen werden. „Rheinische Flurnamen“ ist der Titel eines alphabetischen Namenlexikons von Heinrich Dittmaier (). Es enthält auch Karten über die Verbreitung von Flurnamen. Die Karte  zeigt uns das Vorkommen von „Wingert“ in der ehemaligen Preußischen Rheinprovinz. Der Flurname ist für Gebiete bezeugt, in denen der Weinbau seit langem aufgegeben ist: Taunus, Hunsrück, Eifel, Raum Köln/Aachen, der Niederrhein bis hinunter nach Wesel. Auf der Karte sind auch die heutigen (Stand ) Weinbauorte enthalten. Hier ist leicht zu sehen, wie über die Namenverbreitung von „Wingert“ auf spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Weinbau geschlossen werden kann. Heute ist der nördlichste Weinbauort am Rhein Oberdollendorf, rechtsrheinisch gegenüber dem Bonner Stadtteil Bad Godesberg gelegen. Die nördlichsten Weinbauflächen im Osten Deutschlands sind in Werder bei Potsdam an der Havel bzw. im Stargarder Land bei Neubrandenburg zu finden. Die drei größten Weinbaugebiete in Deutschland sind Rheinhessen, Pfalz und Baden (in dieser Reihenfolge). Die größten Weinbauorte in Deutschland sind Neustadt an der Weinstraße und Landau, beide in der Pfalz, mit jeweils ca.  Hektar bestockter Rebfläche. Das größte deutsche Weingut ist/sind die Hessischen Staatsweingüter Kloster Eberbach im Rheingau. Ausgerechnet ein finnischer Germanist, Eero Alanne, war es, der Mitte des vergangenen Jahrhunderts als erster damit begann, den historischen und dialektalen Fachwortschatz des deutschsprachigen Weinbaus aufzuarbeiten.

Wein und Sprache 

Sein Hauptwerk ist das Wörterbuch „Die deutsche Weinbauterminologie in althochdeutscher und mittelhochdeutscher Zeit“ (). Alanne geht so vor, dass er die vorhandenen Wörterbücher für das Alt- und Mittelhochdeutsche heranzieht und sie nach Weinbauwörtern durchforstet. Er betreibt hier also keine eigenen Quellenstudien. Kleinere Publikationen in Aufsatzform, die sowohl den historischen Fachwortschatz als auch die Tradierung dieser Bezeichnungen bis ins . Jahrhundert berücksichtigen, tragen Titel wie „Das Fortleben einiger mhd. Weinbauwörter am Oberrhein“ (), „Das Fortleben einiger mhd. Gefäß- und Handwerkernamen am Oberrhein“ (), „Das Fortleben der mhd. Ausdrücke für den Weinberg, die Weinbergsarbeiten und die Weinbehandlung in Österreich und Südtirol“ (). Wolfgang Kleiber, Inhaber der Professur für Deutsche Philologie und Volkskunde an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz von  bis  und langjähriger zweiter Vorsitzender des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz (IGL), hat in seiner Studie „Historische Wortgeographie im Alemannischen unter besonderer Berücksichtigung der Maßbezeichnungen“ () die Verbreitung von historischen Flächenmaßen in Landwirtschaft und Weinbau kartographiert. Hinsichtlich alter Längenmaße wie „Elle“ f., „Fuß“ m. oder „Schuh“ m. spricht man von anthropogenen Maßsystemen. Flächenmaße wie „Morgen“ m., „Mannwerk“ n., „Tagwerk“ m. oder „Joch“ n. leiten sich vom Benennungsmotiv ‚Arbeit, die in einer bestimmten Zeiteinheit von einer Person oder einem Ochsen- oder Pferdegespann erledigt werden kann‘, ab. Die Karte  (der Publikation von Kleiber) hat das Thema „Tagesarbeit als Flächenmaße für Wiesen- und Rebland im ./. Jahrhundert“. Für die Region Baden (vom Rheinknie bei Basel bis hinunter nach Bühl) wird die Verbreitung der Bezeichnungen „Tagwan“ m. (Wiesen- und Rebmaß), „Mannshauet“ m. (nur Rebmaß) und „Mannsmad “ (nur Wiesenmaß) kartiert. „-wan“ in „Tagwan“ ist der Präteritalstamm von „gewinnen“. „Mannshauet“ (auch mit Umlaut „-häuet/-heuet“ möglich) ist mit dem Verb „hauen“ gebildet. Die Wörter „hauen“ und „Heu“ sind etymologisch verwandt. „Heu“ ist das „gehauene“ (und getrocknete) Gras. In „Mannsmad “ f. bezeichnet „-mad“ das Abgemähte. Es sind allesamt Maße nach der Tagesleistung: was ein Mann an einem Tag umhauen (umgraben) oder mähen kann. Das Wort „Heuet“ m./f. war z. B. in der Pfalz (auch am Oberrhein) eine Bezeichnung für ‚Zeit der Heugewinnung‘. Dieses Wort ist in volksetymo1

Nachfolgend wird bei Fachwörtern in der Regel das grammatische Geschlecht angegeben: f. = Femininum, m. = Maskulinum, n. = Neutrum. Weitere Abkürzungen: ahd. = althochdeutsch, afranz. = altfranzösisch, franz. = französisch, gallorom. = galloromanisch, lat. = lateinisch, mhd. = mittelhochdeutsch, mlat. = mittellateinisch.

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logischer Umdeutung im pfälzischen Weinlagenamen „Eselshaut“ erhalten (Mußbach, Stadtteil von Neustadt an der Weinstraße, hier auch als Straßenname „An der Eselshaut“). Dieser ursprüngliche Flurname ist a.  und  für Mußbach als „Eselsheut“ belegt. Es dürfte eine Wiese zur Heugewinnung für Esel gewesen sein. Das Zweitglied „-heut“ wurde vermutlich irgendwann nicht mehr verstanden. Als jetzt der Umlaut ausgeworfen wurde (a.  „Esselshauth“) war der Weg frei für die Volksetymologie ‚Haut des Esels‘ (wenngleich der Esel keine Haut, sondern ein Fell hat). Einen vergleichbaren Namen als offiziellen Weinlagenamen haben wir im rheinhessischen Gau-Bickelheim: „Bockshaut“. Wir wollen uns ins . Jahrhundert begeben. Die Studie „Zur sprachgeographischen Struktur der deutschen Winzerterminologie“ () von Wolfgang Kleiber versteht sich als Testlauf für das Großprojekt WKW (s. weiter unten). Ein Fragebuch zur dialektalen Weinbauterminologie wurde entwickelt. Sprachaufnahmen wurden in den Jahren – in Weinbauorten in Deutschland, in Luxemburg, in Frankreich (Elsass) und in der Schweiz durchgeführt. Die Finanzierung geschah weitgehend durch das Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz. Die Veröffentlichung enthält  Karten. Wolfgang Kleiber hat später mit Materialien des „Badischen Wörterbuchs“ in Freiburg (die ab  gesammelt wurden) und aufgrund eigener Befragungen eine Wortkarte zum Thema „Das abgeschnittene Rebholz“ vorgelegt (). Im Frühjahr werden am Weinstock die verholzten Triebe des Vorjahrs abgeschnitten. Ein oder zwei Triebe verbleiben am Stock für den neuen Austrieb. Das abgeschnittene Rebreisig wurde früher zum Teil zum Verbrennen nach Hause gebracht. Heute wird es säuberlich in die Rebzeilen gelegt und anschließend maschinell kleingehäckselt. Das lateinische Wort „sarmenta“ f. bildet die Grundlage für die badisch-dialektalen Wörter „Särmde“, „Särme“, „Sämde“, „Sände“, „Särmete“ usw. (alle f.) für das abgeschnittene Rebholz. Der Autor wertet die flächendeckende Verbreitung dieser Bezeichnungen in Baden als sprachliches Indiz für römerzeitlichen Weinbau in der Region, für den es wohl keine archäologischen Belege gibt. Ich möchte nun den „Wortatlas der kontinentalgermanischen Winzerterminologie“ (WKW) vorstellen. Es handelt sich ein Projekt, das am Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz angesiedelt war und das von – zuerst von der Stiftung Volkswagenwerk und dann von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde. Ziel war die Erhebung und kartographische Dokumentation des älteren dialektalen Fachwortschatzes deutschsprachiger Winzer in Europa. Für die Sprachaufnahmen wurde ein Ortsnetz von  Weinbauorten konzipiert, das folgende Staaten umfasste: die Bundesrepublik Deutschland, die ehem. DDR, Luxemburg,

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Frankreich (Elsaß und Lothringen), Schweiz, Liechtenstein, Italien (Südtirol). In Ostmittel- und Osteuropa Polen, die ehem. Tschechoslowakei, das ehem. Jugoslawien, Ungarn, Rumänien und die ehem. Sowjetunion. Die Karten  (sog. Westblatt) und  (sog. Ostblatt) zeigen (nach einem Werbeprospekt des Niemeyer-Verlags Tübingen aus dem Jahre , Verlag heute nicht mehr existierend) das Bearbeitungsgebiet des Atlasses anhand des Kartenthemas Nr.  „Die Weintraube“ (Bezeichnungen dafür). Es reicht von Luxemburg im Westen bis in den Kaukasus im Osten. Mit Ausnahme der Weinbauorte in Polen, der ehem. Tschechoslowakei und der ehem. Sowjetunion, die nach  infolge der Vertreibung der deutschstämmigen Bevölkerung meist keinen deutschsprachigen Weinbau mehr aufwiesen, wurden die Weinbauorte von den Exploratoren persönlich aufgesucht. Weinbaukundige und dialektsichere Informanten wurden im Vorfeld ermittelt und dann von den Exploratoren, die mit Fragebuch, Tonbandgerät und Mikrophon „bewaffnet“ waren, befragt. Die Sprachaufnahmen im binnendeutschen Gebiet fanden vor Ort statt. Winzer aus den deutschen Sprachinseln in Osteuropa wurden nach ihrer Übersiedlung nach Deutschland meist am neuen Wohnort befragt. In Ungarn und in Siebenbürgen (Rumänien) konnten viele Interviews nach den behördlichen Genehmigungen auch vor Ort getätigt werden. Das Fragebuch berücksichtigte den gesamten Komplex des praktischen Weinbaus und der Kellerwirtschaft: Fragen zum Weinstock als Pflanze (Stamm und Wurzel, Augen und Triebe, Blätter und Blüte); die Traube und ihre Teile; der Weinberg (Bezeichnungen, Flächenmaße) und die hier anfallenden Arbeiten (Neuanlage, Rebsorten, Reberziehungsarten, Rebvermehrung, Rebschnitt, Laubarbeiten, Schädlinge); die Weinlese und Mostbereitung (Gerätschaften, Gefäße, Keltern, Bräuche); Kellerwirtschaft (Holzfässer, Geräte und Gefäße, Hohlmaße, Weinherstellung, Weinausbau); Weingenuss. Die moderne und zum Teil hochartifizielle Weinansprache (nach Geschmack, Säure-, Zucker- und Alkoholgehalt, Farbe usw. des Weines) war nicht Gegenstand dieses Atlasunternehmens. Der monströse Titelbestandteil „kontinentalgermanisch“ erklärt sich dadurch, dass in Bezug auf die Erhebungen im Ausland in den er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, insbesondere im osteuropäischen sozialistischen Ausland, das Sprachadjektiv „deutsch“ vermieden werden sollte. Der Atlas wurde in den Jahren  bis  (Einleitungsband,  Kartenlieferungen, Kommentare im Ringordner) publiziert. Auf Karte  ist das binnendeutsche Sprachgebiet enthalten (Westblatt, im WKW als Karte I bezeichnet). Beim außendeutschen Sprachgebiet (Ostblatt, im WKW als Karte II, in diesem Beitrag ohne Karte) handelt sich um die deutschen Sprachinseln in Ostmittel- und in Osteuropa. Die Sprachinsel im rumänischen Siebenbürgen ist hochmittelalterlich. Die übrigen Sprach-

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Karte 1: „Wortatlas der kontinentalgermanischen Winzerterminologie“ (WKW), sog. Westblatt zum Kartenthema „Die Weintraube“.

inseln sind meist durch Auswanderungen Ende des . bzw. im Verlauf des . Jahrhunderts entstanden. Es sind das z. B. das Ungarische Mittelgebirge, die Schwäbische Türkei, das Ungarische und das Rumänische Banat, das Ge-

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biet Sathmar. Oberhalb des Kartenteils II befindet sich die Legende, in der die Symbole konkreten Wörtern zugeordnet werden. An jedem Ortspunkt ist eine Zahl eingetragen: Auf dem Westblatt stehen z. B. die Zahlen  für Pünderich an der Mosel,  für Zöbing in Österreich,  für Naturns in Südtirol. Die zu den Zahlen gehörenden Weinbaugemeinden können über Verzeichnisse im Einleitungsband aufgefunden werden. Den bei den Ortszahlen mittels Plotter eingezeichneten Symbolen können über die Legende die zugehörenden Wörter zugeordnet werden: ein senkrechter Strich steht für „Traube“ f., ein durch Querstriche modifizierter senkrechter Strich steht für „Weintraube“ f. Durch solche Strichsymbole und auch geometrische Symbole (Kreise, Ellipsen, Rechtecke, Quadrate, die jeweils durch Striche oder Füllungen binnendifferenziert werden können) kann das gesamte Bezeichnungenspektrum für die Karte „Die Weintraube“ visualisiert werden. Ein Kommentartext im separaten Ringordner liefert jeweils ausführliche Erläuterungen zu den Karten. Die sechs Lieferungen des WKW enthalten  Sprachkarten. Für die Weinbaugebiete innerhalb Deutschlands sei jeweils die Zahl der Erhebungsorte angeführt: Ahr , Mosel , Mittelrhein , Nahe , Rheingau , Rheinhessen , Pfalz , Hessische Bergstraße , Franken , Württemberg , Baden . Die noch zu Zeiten der ehem. DDR explorierten Orte im deutschen Osten (/) gehören heute zu den Weinbaugebieten Saale-Unstrut bzw. Sachsen. Im Sprachmaterial des WKW sind fast alle deutschen Dialekte vertreten (Einleitungskarte E ). Zum westmitteldeutschen Sprachraum Ripuarisch, Moselfränkisch und Rheinfränkisch gehören die Weinbauorte Ort an Ahr, Mosel und Mittelrhein mit dem Rheingau, der Pfalz und der Hessischen Bergstraße. Die Weinbaugemeinden am Main sind sprachlich zum Ostfränkischen zu stellen. Alemannisch-schwäbisch und südalemannisch-schweizerisch spricht man am Neckar, in Baden, im Elsass und in der Schweiz. Die Weinbauorte in Österreich und Südtirol gehören zum Bairischen. Auf die komplexe Sprachsituation der Siedlungen in Osteuropa kann hier nicht im Einzelnen eingegangen werden. Zwei Bemerkungen müssen genügen: Die Siebenbürger Sachsen haben die Landschaft im heutigen Rumänien seit der zweiten Hälfte des . Jahrhunderts aus dem luxemburgisch-moselländischen Raum heraus besiedelt. Hier spricht man noch heute einen moselfränkischen Dialekt. Der Sachsenname ist ebenso wie die in siebenbürgischen Quellen belegten „Flandrenses“ oder „hospites Theutonici“ eine allgemeine Bezeichnung für deutschsprachige Kolonisten. Die Siedler im Schwarzmeer-Gebiet waren zum Teil aus dem niederdeutschen Dialektbereich eingewandert.

 Rudolf Steffens

Einen Eindruck davon, welche Fülle von Bezeichnungen für ein und dieselbe Sache erhoben wurden, mag Karte  (des WKW) geben. Gefragt wurde nach Benennungen für „Das Stielgerüst der Traube (Traubenkamm), an dem die Beeren hängen“. Wörter wie „Kamm“ m., „Traubenkamm“, „Weintraubenkamm“ wurden vor allem in der Südpfalz, in Württemberg und in den mainfränkischen Weinbauorten gemeldet (in Österreich: „Kamb“). In Rheinhessen und am Mittelrhein sagt man „Rappen“ m. Am nördlichen Mittelrhein und in einigen Moselorten gilt „Krappe“ m./f. In Baden und im Elsass haben sich keine erkennbaren Worträume herausgebildet. Hier werden Wörter wie „Butzen“ m., „Kamm“ m., „Rappen“ m. und „Stiel“ m. verwendet. Am deutschen Hochrhein und in den benachbarten Gebieten der Schweiz gilt „Trappe“ f., am Bodensee wieder „Rappen“ m. Im schweizerischen Wallis kennt man die Bezeichnung „Rappola“ f. Die Weinbauorte des Alpenrheins melden „Ratte“ f., in Südtirol wird das Stielgerüst „Pratsch“ f. genannt. Die schwäbischen Siedler im Kaukasus-Gebiet haben ihr bodenständiges Wort mit in die neue Heimat genommen, nämlich „Kamm“. Ähnliches gilt für siebenbürgische Weinbauorte. Hier dominiert die Bezeichnung „Grappe“ f./m., eine Variante des moselländischen „Krappe“. In den Sprachinseln in Ungarn finden sich oft die Bezeichnungen „Stengel“ m. oder „Stiel“ m. Archaisch anmutende Maschinen wie die aus Holz gefertigten Keltern (Dauerausstellung solcher Keltern des ./. Jahrhunderts im ehem. Laienrefektorium des Klosters Eberbach im Rheingau) wurden bis ins . Jahrhunderts hinein benützt. Karte  des WKW kartiert die dialektalen Bezeichnungen. Es zeigen sich klare Raumstrukturen: „Kelter“ m. an Mosel und Ahr, „Kelter“ f. an Mittelrhein, Nahe und Main sowie in Rheinhessen, in der Pfalz, an der Hessischen Bergstraße und zum Teil in Württemberg (lat. „calcātōrium“ n. ‚Kelter‘ und lat. „calcātūra“ f. ‚das Keltern‘); in Württemberg auch einige Male „Presse“ f. (mlat. „pressa“ f. ‚Presse‘). „Trotte“ f. gilt im alemannischen Sprachraum: Baden, Elsass, Schweiz (substantiviert aus ahd. „trotōn“ ‚treten‘). Im schweizerischen Wallis werden die Trauben im „Trüel“ m. gepresst (afranz. „treuil“ m. ‚Traubenpresse‘). Am Bodensee gilt „Torkel“ m., in Südtirol „Torkel“ f. (lat. „torcular“ n., „torculum“ n. ‚Traubenpresse‘), daneben in Südtirol auch „Preil“ m. (lat. „prēlum“ n. ‚Traubenpresse‘). Die Sprachinseln im Osten haben generell „Presse“, mit Ausnahme von Siebenbürgen: Hier gilt fast ausnahmslos „Kelter“ m. Rund  Jahre seit der ersten Ansiedlung wird das moselländische Wort mitsamt dem maskulinen Genus tradiert. Wenn man von „Trotte“ absieht, besteht das dialektale Bezeichnungsfeld für die Traubenpresse ausschließlich aus romanischen Entlehnungen. Auch in anderen Fällen haben die Siedler aus dem geschlossenen deutschen Sprachgebiet ihr heimisches Wort mit an den neuen Wohnort genommen. Wie die Karte  des WKW zeigt, haben die nach Ungarn ausgewan-

Wein und Sprache 

derten Schwaben ihr Wort „Aberzein“ m. als Bezeichnung für die Geiztriebe mitgebracht. Geiztriebe sind unerwünschte Nebentriebe am Weinstock. Sie bleiben grün, verholzen nicht und wurden früher manuell entfernt. Interessant auch der Befund aus Karte  „Das noch geschlossene, schlafende Auge der Rebe“. Historische Wörterbücher buchen für den Moselraum das Wort „Gimme“ f., das zu lat. „gemma“ f. ‚Knospe‘, auch ‚Edelstein‘ zu

Karte 2: Bezeichnungen für die Traubenpresse im Südwesten des deutschen Sprachgebiets nach Urbaren des 13.–15. Jahrhunderts.

 Rudolf Steffens

stellen ist. Es handelt sich um ein sog. Reliktwort. Für den Atlas konnte das Wort an der Mosel gerade noch in einem Ort (Graach) in der Mundartform „gum“ erhoben werden. Ganz anders in Siebenbürgen. Hier war das Wort, das die Siedler im . Jahrhundert mit an ihre neuen Wohnplätze genommen hatten, noch in acht Fällen greifbar. Der gute Konservierungsstand in Siebenbürgen hängt mit dem Fehlen einer überdachenden deutschen Standardsprache zusammen. In den rheinischen Weinbaugebieten werden die alten Ausdrücke durch überregional gültige Bezeichnungen wie „Auge“ oder „Knospe“ verdrängt. Heute wird man das Wort „Gimme“ an der Mosel vielleicht gar nicht mehr vorfinden. Zurück zur Traubenpresse. Weil Bezeichnungen für die Traubenpresse in spätmittelalterlichen Textquellen gut fassbar sind, bot es sich an, das historische Bezeichnungsfeld mit dem rezenten Befund kartographisch zu kontrastieren. Karte  dieses Beitrags bietet die Bezeichnungen für die Traubenpresse im Südwesten des deutschen Sprachgebiets nach Urbaren des .–. Jahrhunderts. Karte  beruht auf dem Sprachmaterial, das bis zum Jahre  für den Mainzer WKW erhoben wurde. Die großen Wortareale nämlich „Kelter, alemannisches „Trotte“ und „Torkel“ am Bodensee sind seit mehr  Jahren stabil. In Württemberg ist „Presse“ offenbar erst in der Neuzeit heimisch geworden. In diesem Zusammenhang darf auf Luthers Bibelübersetzung und ihre Rezeption in der Schweiz hingewiesen werden. In Luthers Übersetzung des Neuen Testaments aus dem Jahre  ist das Wort „Kelter“ vorhanden (Mt , ). Luthers Text wird Ende  von Adam Petri in Basel nachgedruckt. Jetzt kommt es zu Beschwerden der Leserschaft. Manche Wörter aus Luthers Übersetzung sind für Personen aus dem alemannischen Sprachraum nämlich unverständlich. Dazu gehört auch „Kelter“. Der zweiten Auflage seines Nachdrucks aus dem Jahre  gibt Petri ein Glossar bei, das  Wörter Luthers durch alemannisches Wortgut ersetzt. Das Ersatzwort für Luthers „Kelter“ ist das alemannische „Trotte“. Luthers Bibelübersetzung kann nicht übergangen werden, wenn wir nach Bezeichnungen für das mit Rebstöcken bepflanzte Land fragen. Die Atlas-Karte  visualisiert ihre Verbreitung: „Weinberg“ gilt in Sachsen und in Thüringen. Die rheinischen Anbaugebiete (inklusive Mainfranken) kennen nur den „Wingert“ (ahd. „wîngarto“ m.). Am Oberrhein spricht man vom „Rebberg“. Luther verwendet in seiner Bibelübersetzung das Wort seiner Heimat, nämlich „Weinberg“ (z. B. im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg Mt , –). Dieses Wort verdrängt in der Schriftsprache die im Westen des deutschen Sprachgebiets bodenständigen „Wingert“ und „Rebberg“. „Weinberg“ wird zum überregional gültigen Wort. Das kann auch mit seinem

Wein und Sprache 

Karte 3: Bezeichnungen für die Traubenpresse im Südwesten des deutschen Sprachgebiets um 1980/85.

Bau erklärt werden: Die Bauweise von „Weinberg“ ist transparent, nämlich „Wein“ + „Berg“. Das trifft für „Wingert“ nicht zu. „Wingert“ < ahd. „wîngarto“ ist zudem sprachhistorisch älter als „Weinberg“. Alfred Götze hat das Wort „Weinberg“ einen „jungen Eindringling und Emporkömmling“ () genannt. „Weinberg“, ursprünglich ein lexikalischer Regionalismus des thüringisch-sächsischen Sprachraums, kann jetzt am Rhein zum Straßennamen

 Rudolf Steffens

werden: Weinbergstraße in Wiesbaden. Authentischer ist Am Weingarten im rheinhessischen Gau-Bischofsheim. Die Atlaskarte  hat Bezeichnungen für den Winzer zum Thema: „Häcker“, „Rebbauer“, „Rebmann“, „Weinmann“, „Wingerter“, „Wingertsmann“, „Winzer“. Nur in seltenen Fällen sind solche Bezeichnungen zu Familiennamen geworden. Rudolf Steffens hat in seinem regionalen „Familiennamenatlas“ () die Verbreitung des Namens „Wingerter“ (nach Festnetzanschlüssen) aufgezeigt, der vor allem in der Südpfalz vorkommt. Für Bayern sei folgender Hinweis gestattet: spätmittelalterlicher Weinbau in Bayern (an Donau, Isar und Inn) ist gesichert. Die heutige Verbreitung des Familiennamens „Weinzierl“ korreliert nahezu vollständig mit der ehemaligen Ausdehnung der bayerischen Weinbauflächen. Als im . Jahrhundert die Familiennamen fest wurden, gab es in Bayern – wie wir auch durch historische Untersuchungen wissen – florierenden Weinbau. Verschiedene kleinere Skizzen haben vorbereitend das Erscheinen des Atlaswerks angekündigt. Zu nennen ist z. B. der Aufsatz „Wortatlas der kontinentalgermanischen Winzerterminologie“ (mit Wortkarten und Abbildungen) von Wolfgang Kleiber (). Dieser Autor hat dann zusammen mit Sigrid Bingenheimer und Rudolf Steffens die Studie „Weinbau und Sprachgeschichte vom Mittel- bis zum Oberrhein (Aus der Werkstatt des Wortatlasses der kontinentalgermanischen Winzerterminologie – WKW)“ (mit Wortkarten) vorgelegt (). Zum Umfeld der Atlasarbeit gehört der von einem Germanisten (Wolfgang Kleiber) und einem Romanisten (Max Pfister) verfasste Text „Germanisch-romanische Interferenz an Beispielen aus der Winzerterminologie von Salurn/Salorno und in Südtirol“ (). Hinzuweisen ist noch auf Wolfgang Kleibers Handbuchartikel „Die Fachsprache der Winzer unter besonderer Berücksichtigung des Rhein-Mosel-Gebiets“ (). Die germanistische Mediävistik hat den mainfränkischen Raum als ‚Heimat‘ des mittelhochdeutschen Dichters Wolfram vom Eschenbach (ca. / bis ca. ) herausgearbeitet. In „Dialektale Bestandteile in Wolframs Wortschatz. Beiträge zur Erschließung des historischen fränkischen Winzerlexikons“ () kann Wolfgang Kleiber zeigen, dass die in den Werken Wolframs („Parzival“, „Willehalm“, „Titurel“) gebrauchten Weinbauwörter die mainfränkische Heimatthese stützen. Wolfgang Kleiber und Johannes Venema haben für den „Geschichtlichen Atlas der Rheinlande“ zwei Kartenkomplexe zum Thema Germanisch-romanische Lehnbeziehungen in der Winzerterminologie“ erarbeitet (). Karte X... betrifft das historische (nach Flurnamen) und Karte X... das heutige (nach dem Material des WKW) Bezeichnungsfeld für Rebneuanlagen. Rein deutsche Bezeichnungen für den neu angelegten Weinberg sind z. B. „Gesetz“ n., „Junggesetz“ n., „Rod“ n./m., „Geröds“ n., „Junganlage“ f.,

Wein und Sprache 

„Jungstück“ n. usw. Auf Karte X... wurden ausschließlich Flurnamen eingetragen, welche auf lat. „plantārium“ n. mit der ursprünglichen Bedeutung ‚Baumschule‘ zurückgehen. Formen wie „Plenzer“ (Pfalz, Rheinhessen, Nahe, Rheingau, Mittelrhein, Ahr) sind vollkommen eingedeutscht: sie zeigen die sog. Zweite Lautverschiebung von „t“ > „z“ und den Umlaut „a“ > „e“. Die deutschen Lautgesetze greifen nicht in den Belegen des Moselraumes, da hier bis um das Jahr  herum eine galloromanische Sprachinsel anzusetzen ist. In Formen wie „Planter“ ist weder die Zweite Lautverschiebung noch der Umlaut vorhanden. Karte X... des Autorenduos Kleiber/Venema enthält Wörter aus dem Komplex „Fruchtknospe der Rebe“. An der Mosel dominieren die Bezeichnungen „Gimme“ f. (< lat. „gemma“ f. ‚Knospe‘) und „Potte“ f., wohl ein Lehnwort aus franz. „bouton“ m. ‚Knopf, Knospe‘. „Potte“ tritt auch am Mittelrhein und in Rheinhessen auf. Rein deutsche Bezeichnungen sind „Auge“ f. oder „Knopp“ m. (Ahr, Untermosel, Rheinhessen, Pfalz). Das „Rückentraggefäß für Trauben“ lautet die Überschrift zu Karte X.... Mit „Bäschoff“ f. (Mosel), „Legel“ f./m./n. (Mittelrhein, Rheinhessen), „Butte“ f. (Rheinhessen) und „Logel“ f. liegen mehrheitlich gallorom. („Bäschoff“) und lat. Bezeichnungen vor. In diesem Zusammenhang ist auf die Mainzer Dissertation von Rudolf Post mit dem Titel „Romanische Entlehnungen in den westmitteldeutschen Mundarten“ () zu verweisen, die auch romanische Lehnwörter in der dialektalen Winzerfachsprache behandelt und etymologisiert. Diese romanischen Lehnwörter (galloromanisch als keltisch-lateinische Synthese, lateinisch, altfranzösisch) können vor allem im Moselraum nachgewiesen werden. Das „Wörterbuch des Weinbaus“ () von Rudolf Steffens ist rein historisch ausgerichtet. Es beschränkt sich auf den Sprachraum des Westmitteldeutschen und dokumentiert den fachsprachlichen Wortschatz, wie er in Textquellen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit zu finden ist. Ausgewertet wurden Urkunden, Güterverzeichnisse, Rechnungen, chronikalische Texte, Weistümer, Dorf- und Gemeindeordnungen, Inventare, Rezepte zur Herstellung von besonderen Weinen (z. B. Kräuter- und Gewürzweine), Zunftordnungen usw. Die Wortartikel bestehen aus dem Lemma oder Stichwort in Fettdruck, z. B. „Daube“ f. Das ist eine Bezeichnung für die entsprechend bearbeiteten Bretter, aus denen Fässer gefertigt wurden. Nach dem Dokumentationsteil werden Quellenbelege geboten. Hier datiert der früheste Fall aus dem Jahre  (Cochemer Ungeldordnung) und der späteste aufgenommene Beleg aus dem Jahre  (Schaffneirechnung aus dem Kloster Hornbach in der Pfalz). Im Erläuterungsteil erfolgen sprachliche und sachliche Erläuterungen mit Verweisen auf die einschlägige Literatur. Das

 Rudolf Steffens

Buch enthält  Abbildungen (Weinstock, Erziehungsarten, Geräte und Gefäße, die Kelter und ihre Teile). Die Publikation „Wein und Weinbau im Spiegel der Sprache“ () von Rudolf Steffens beruht auf einem Vortrag an der Universität Tübingen. Hier werden vor allem Karten zur geographischen Verbreitung von historischen und dialektalen Weinbauwörtern im Bereich des deutschen Südwestens reproduziert. Steffens’ umfangreiche Dokumentation „Arbeitsgeräte der Winzer und Küfer in Torschluss- und Wappensteinen der Pfalz“ () (mit  Abbildungen) ist vor allem volkskundlich orientiert. In diesen Torsteinen haben die Hausbesitzer – vor allem im . und . Jahrhundert – durch die Steinmetzen Arbeitsgeräte aus ihrem Beruf einarbeiten lassen. Es handelt sich zum Beispiel um Rebmesser (pfälzisch „Sesel“), Rebsägen, Küferhämmer, Fasszirkel usw. Eine besonders auffällige Bildungsweise bei Weinlagenamen hat Rudolf Steffens in „Die Hölle in den deutschen Weinlagenamen“ () untersucht. Namen wie „Kreuzhalde“ oder „Sonnenhalde“ treten vor allem in den Weinbaugebieten Baden und Württemberg auf. „Hölle“-Namen wie „Geiershöll“ oder „Höllenpfad“ sind hingegen nur weiter nördlich zu finden. Weinlagenamen mit dem Bestandteil „Halde“ gehen auf ahd. „halda“ f. ‚Abhang‘ zurück. Die „Hölle“-Namen sind zu ahd. „haldi“ f. ‚Abhang‘ zu stellen. Das nebensilbige „-i“ bewirkt Umlaut: „heldi“. Im Zuge der spätahd. Vokalschwächung entsteht „helde“. Die spätmittelalterliche/frühneuzeitliche Assimilation „-ld-“ > „-ll-“ ergibt „helle“. Im . Jahrhundert erfolgt die Vokalrundung „e“ > „ö“. „Hölle“ ist entstanden. Die „Hölle“ in Weinlagenamen hat also mit „Hölle“ im Sinne von Unterwelt nichts zu tun. Mit ihr werden Hanglagen bezeichnet. Literatur , : Die deutsche Weinbauterminologie in althochdeutscher und mittelhochdeutscher Zeit (Annales Academiae Scientiarum Fennicae, Serie B, ,), Helsinki . , : Das Fortleben einiger mhd. Weinbauwörter am Oberrhein. In: Annales Academiae Scientiarum Fennicae, Serie B,  (), S. – . , : Das Fortleben einiger mhd. Gefäß- und Handwerkernamen am Oberrhein. In: Neuphilologische Mitteilungen  (), S. –. , : Das Fortleben der mhd. Ausdrücke für den Weinberg, die Weinbergsarbeiten und die Weinbehandlung in Österreich und Südtirol. In: Neuphilologische Mitteilungen  (), S. –.

Wein und Sprache 

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 Rudolf Steffens

K, W: Wortatlas der kontinentalgermanischen Winzerterminologie. In: Sprache in der sozialen und kulturellen Entwicklung. Beiträge eines Kolloquiums zu Ehren von Theodor Frings (–) (Abhandlungen der sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Philologisch-historische Klasse, Bd. , Heft ), Berlin , S. –. K, W: Die Fachsprache der Winzer unter besonderer Berücksichtigung des Rhein-Mosel-Gebiets. In: Fachsprachen. Ein internationales Handbuch zur Fachsprachenforschung und Terminologiewissenschaft. . Halbband, hg. von Lothar Hoffmann, Hartwig Kalverkämper und Herbert Ernst Wiegand, Berlin, New York , S. –. K, W / M,  / , : Weinbau und Sprachgeschichte vom Mittel- bis zum Oberrhein (Aus der Werkstatt des Wortatlasses der kontinentalgermanischen Winzerterminologie – WKW). In: Weinbau, Weinhandel und Weinkultur. Sechstes Alzeyer Kolloquium, hg. von Alois Gerlich (Geschichtliche Landeskunde ), Stuttgart , S. –. K, W / P, M: Germanisch-romanische Interferenz an Beispielen aus der Winzerterminologie von Salurn/Salorno und in Südtirol. In: Das zweisprachige Individuum und die Mehrsprachigkeit in der Gesellschaft. Wilhelm Theodor Elwert zum . Geburtstag, hg. von Günter Holtus, Stuttgart , S. –. K, W / VM, J: Germanisch-romanische Lehnbeziehungen in der Winzerterminologie. In: Geschichtlicher Atlas der Rheinlande, X: Sprachgeschichte  (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde XII. Abt. b N. F.), Köln  [zwei Karten nebst Beiheft]. KZ, K: Der Winzer in Familiennamen. In: Sprachgeschichte, Dialektologie, Onomastik, Volkskunde. Beiträge zum Kolloquium am ./. Dezember  an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Wolfgang Kleiber zum . Geburtstag, hg. von Rudolf Bentzinger, Damaris Nübling und Rudolf Steffens (Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik, Beihefte ), Stuttgart , S. –. P, : Romanische Entlehnungen in den westmitteldeutschen Mundarten. Diatopische, diachrone und diastratische Untersuchungen zur sprachlichen Interferenz am Beispiel des landwirtschaftlichen Sachwortschatzes (Mainzer Studien zur Sprach- und Volksforschung ), Wiesbaden . , : Wörterbuch des Weinbaus. Historischer Fachwortschatz des Weinbaus, der Kellerwirtschaft und des Weinhandels, Mainz . , : Familiennamenatlas: Rheinland-Pfalz, Hessen, Saarland, Ubstadt-Weiher .

Wein und Sprache 

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 K

Nationale Propaganda und Marketingcoup Die „Reichsausstellung Deutscher Wein“ in Koblenz 

Einleitung

A

m . August  war es endlich soweit. Nach monatelangen Vorbereitungen durften die Pressevertreter als erste Gäste der „Reichsausstellung Deutscher Wein“ noch vor der offiziellen Eröffnung einen ganzen Tag lang die Bauten und Ausstellungsgegenstände in Koblenz bewundern. Oberbürgermeister Dr. Karl Russell und das Team der Stadtverwaltung hatten keine Kosten und Mühen gescheut, um einen feierlichen Rahmen für die Journalisten zu bieten. Nach einem Gang durch die Ausstellungshallen unterhielt der Koblenzer Bäckermeister Peter Ferges als „Bürgermeister von Blaukittelsbach“ die geladenen Gäste mit humoristischen Einlagen, und eine Tanzgruppe junger Mädchen präsentierte „Winzerinnentänze“. Am Abend wurde das für die Ausstellung gebaute „Weindorf“ mit bengalischen Feuern beleuchtet. Dort wurden die Medienvertreter nicht nur mit gutem Wein versorgt, sondern genossen auch fünfzig von der Rüdesheimer Weinbrennerei Asbach spendierte Flaschen ihres „Asbach Uralt“. Bei guter Stimmung feierten sie gemeinsam mit Vertretern der Stadt den deutschen Wein in bekannten Rheinliedern. Lieder, wie etwa der romantisch-nationale Gassenhauer „Strömt herbei ihr Völkerscharen“, ließen den deutschen Wein hochleben, der besser sei als der Wein des „Franzmanns“. Der Journalistenempfang verknüpfte auf diese Weise bereits anschaulich die zentralen Themen der Ausstellung: die Stilisierung des Weins zum deutschen Nationalgetränk, das die westdeutschen Gegenden mit dem Gesamtreich verband, und die Werbung für den Konsum des deutschen Weins. Im Folgenden soll daher genauer beleuchtet werden, warum diese Ausstellung  in Koblenz stattfand. Wer waren die Ausrichter, und welche Intentionen verfolgten sie mit der großen Schau? Wie schlugen sich die Ziele

 Henning Türk

der Veranstalter in der Ausstellung und ihrer medialen Verarbeitung nieder? Um diese Fragen beantworten zu können, ist der Aufsatz in drei Kapitel gegliedert. Im ersten Teil steht der Kontext der Ausstellung im Fokus. Hier geht es um die Situation des Rheinlands nach dem Ersten Weltkrieg und die  ausgerichtete Jahrtausendfeier der Rheinlande. Der zweite Teil befasst sich mit der Organisation der Ausstellung und ihren Zielen. Im dritten Teil werden die Inhalte der Ausstellung und ihre mediale Darstellung beleuchtet. Das Rheinland nach dem Ersten Weltkrieg und die rheinischen Tausendjahrfeiern  Den Hintergrund für die Ausstellung lieferte die Besetzung des Rheinlands nach dem Ersten Weltkrieg. Der Versailler Vertrag hatte  die Besetzung durch die alliierten Siegermächte Frankreich, Großbritannien, Belgien und die USA festgelegt, die das Gebiet durch die unter französischer Führung stehende Interalliierte Hohe Kommission mit Sitz in Koblenz verwalteten. Vor allem die französische Regierung sah „das Rheinland als Objekt und Faustpfand ihrer Sicherheitspolitik“ (Gertrude Cepl-Kaufmann). Dabei kam ihr der  erfolgte Regierungswechsel in den USA zugute. Der neue US-Präsident Warren G. Harding verfügte den Abzug des größten Teils der US-Truppen aus Deutschland, deren Besatzungszone um Koblenz und Trier von der französischen Regierung übernommen wurde. Kurz darauf verschlechterte sich das Verhältnis Deutschlands zu den alliierten Besatzungsmächten drastisch. Als das Deutsche Reich mit seinen Reparationsleistungen in Rückstand geriet, besetzten französische und belgische Truppen das rechtsrheinische Ruhrgebiet. In der Folge kam es nicht nur im Ruhrgebiet, sondern auch im besetzten Rheinland zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Zivilbevölkerung, Streiks und passivem Widerstand. Zahlreiche Beamte, wie etwa der damalige Koblenzer Oberbürgermeister Russell, wurden zeitweise inhaftiert oder aus der besetzten Zone ausgewiesen. In dieser Phase versuchten separatistische Gruppen, gefördert von der französischen Besatzungsmacht, in verschiedenen Orten des Rheinlands eine Loslösung dieser Gebiete vom Deutschen Reich durchzusetzen. Diese Gruppierungen konnten sich jedoch nicht an der Macht halten. Diese Situation erschien regionalen Historikern, wie etwa dem Leiter des Düsseldorfer Stadtarchivs, Paul Wentzcke, als eine günstige Gelegenheit, die im Jahre  erfolgte Eingliederung Lotharingiens in das Ostfrankenreich aufwendig zu feiern. Mit dieser sogenannten Jahrtausendfeier der Rheinlande sollte die Verbundenheit der rheinischen Gebiete zum Gesamtstaat unterstrichen und die Aufmerksamkeit der Reichsregierung auf die Situation im Rheinland gelenkt werden. Gestützt wurde diese Initiative von einfluss-

Nationale Propaganda und Marketingcoup 

reichen Lokalpolitikern, wie etwa dem Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer. Wie die Historikerin Franziska Wein verdeutlicht, wurde mit der Rückbesinnung auf das Jahr  „ein marginales Ereignis der westeuropäischen Geschichte zum Anlass aufwendiger Jubelfeiern im Rheinland gemacht“. Dabei konkurrierten mit Koblenz, Köln und Düsseldorf drei Städte um die zentrale Gedenkfeier. Diese fand letztendlich in Düsseldorf, dem Sitz der Provinzialverwaltung, statt. Das unterstreicht die bedeutende Rolle, welche die Provinzialorgane bei der Organisation der Feierlichkeiten spielten. Dafür wurde in Köln unter maßgeblicher Förderung durch Adenauer mit der „Jahrtausendausstellung der Rheinlande“ die größte Ausstellung zum Thema auf die Beine gestellt. Koblenz, als Sitz des preußischen Oberpräsidiums der Rheinprovinz, wurde mit einer kleineren Festveranstaltung bedacht. Hier, am Sitz der Interalliierten Kommission, achtete die französische Besatzungsmacht besonders penibel darauf, dass keine antifranzösischen Töne in der Veranstaltung anklangen. So wurde unter anderem das Absingen des „Deutschlandlieds“ verboten. Zudem durften keine Veranstaltungselemente im Freien dargeboten werden, so dass die Festlichkeiten nur für die geladenen Gäste zugänglich waren. Auch das geplante abendliche Feuerwerk wurde untersagt. Die im Vergleich zu Düsseldorf deutlich abgespeckte Feier konnte die Stadt anschließend mit der „Reichsausstellung Deutscher Wein“ kompensieren, die von den Organisatoren bewusst als Schlusspunkt der Tausendjahrfeiern dargestellt wurde. Finanziert wurden die Jubiläumsfeierlichkeiten nur zu einem kleinen Teil von den Kommunen. Den größten Teil übernahmen die Reichsregierung, die preußische Regierung und die Rheinprovinz selbst. Insgesamt stellten sie , Millionen Reichsmark zur Verfügung. Der größte Teil des Geldes floss mit . Reichsmark nach Köln, um die dortige Ausstellung zu finanzieren. Koblenz erhielt mit . Reichsmark immerhin den zweitgrößten Anteil zur Finanzierung der Wein-Leistungsschau. Hinzu kamen Gelder der Stadt Koblenz und benachbarter Städte und Regionen, die sich von der Ausstellung auch einen entsprechenden Werbeeffekt erhofften. Die Organisation der „Reichsausstellung Deutscher Wein“ und die Ziele der Ausstellung Die ersten Planungen für die Ausstellung begannen bereits Ende . Zunächst konkurrierten noch Trier und Koblenz um die Ausrichtung der Veranstaltung, die zunächst als „Deutsche Weinbau-Ausstellung“ firmierte. Die Koblenzer Stadtverwaltung trieb das Projekt jedoch energischer voran und setzte sich damit durch. So wurden bereits Ende  die Aufteilung der Aus-

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stellung in verschiedene Abteilungen und die Verteilung der Zuständigkeiten auf einer Versammlung von kommunalen und regionalen Verwaltungsbeamten, Winzern, Weinhändlern und Weinwissenschaftlern in Koblenz beschlossen. Die Stadt Koblenz versicherte, die Festhalle und das angrenzende Gelände für die Ausstellung kostenlos zur Verfügung zu stellen. Die preußischen Vertreter regten an, in der Ausstellung auch das Thema „Staat und Weinbau“ zu behandeln, um die Rolle des Staates stärker als geplant betonen zu können. Dieser übe etwa über die staatlichen Domänen oder die Weinbauschulen großen Einfluss aus. Das korrespondierte mit dem Wunsch der preußischen Regierung, welche die Jahrtausendfeiern auch mit der Maßgabe unterstützte, dass diese auf die segensreichen Wirkungen der preußischen Herrschaft am Rhein hinweisen sollten. Auf der folgenden Versammlung beschlossen die Organisatoren der Weinausstellung dann die Einrichtung sogenannter „Kosthallen“, in denen sich die verschiedenen Weinbaugebiete präsentieren sollten und die jeweils den regionalen Baustilen angepasst werden sollten. Hier lag die Geburtsstunde des bekannten Koblenzer „Weindorfs“. Zudem wurde das Projekt jetzt in „Reichsausstellung Deutscher Wein“ umbenannt, um den Zusammenhang zu den rheinischen Jahrtausendfeiern stärker zu betonen.

Abb. 1: Erster Entwurf für Werbematerial, das noch für die „Deutsche Weinbau Ausstellung“ warb.

Nationale Propaganda und Marketingcoup 

Zur finanziellen Abwicklung der Reichsausstellung gründeten die Stadt Koblenz, der Deutsche Weinbauverband und der Bund Südwestdeutscher Weinhändler am . Februar  die „Reichsausstellung Deutscher Wein Koblenz  GmbH“. Im Gesellschaftsvertrag wurde der Auftrag der GmbH deutlich umrissen: „Sie bezweckt durch Veranstaltung einer auf wissenschaftlicher, kultureller und wirtschaftlicher Grundlage aufgebauten Ausstellung von Weinbau, Weinhandel und verwandten Gewerben die Notlage des deutschen Winzerstands zu mildern, den deutschen Weinbau zu heben und durch Wachrufung des Interesses für den deutschen Wein, dessen Wettbewerbskraft gegenüber dem Auslande zu stärken. Ferner soll die Ausstellung in wissenschaftlicher, kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht als ein Bindemittel zwischen dem deutschen Westen und dem deutschen Osten wirken und dadurch den Zwecken der Tausendjahrfeier der Rheinlande dienstbar gemacht werden.“

Wie der Gesellschaftsvertrag verdeutlicht, ging es zum einen um die Einordnung des Weins in die Jahrtausendfeiern und zum anderen um die Steigerung des Konsums der deutschen Weine. Diesen konnte die Ausstellung auf direkte Weise durch den Ausschank und Weinverkauf und auf indirekte Weise über die Darstellung der Lage des deutschen Weins fördern. Hintergrund dieser Werbemaßnahme war die Notlage vieler Winzer, die nicht nur von der Inflation  getroffen worden waren, sondern in den er Jahren auch zahlreiche Missernten verkraften mussten. Zudem waren die Winzer mit der Handelspolitik des Deutschen Reiches sehr unzufrieden, denn sie sahen sich einer zunehmenden Konkurrenz ausländischen Weins ausgesetzt und führten ihre prekäre Lage daher auf die Reichspolitik zurück. Wie Christof Krieger in seiner kürzlich erschienenen Dissertation und in seinem Aufsatz in diesem Band herausgearbeitet hat, wirkte insbesondere der deutsch-spanische Handelsvertrag verheerend auf den Absatz des deutschen Weins. Die Ausstellung war daher auch eine, wie es damals hieß, Propagandamaßnahme für den deutschen Wein und steht somit am Anfang der Weinpropagandamaßnahmen in der Weimarer Republik, die ein Jahr später mit der Einrichtung des Reichsausschusses für Weinpropaganda auf Reichsebene eine organisatorische Grundlage erhielten. Für die Stadt Koblenz bot die Ausstellung zudem die Möglichkeit, zahlreiche Besucher in die Stadt zu holen und auf diese Weise den Tourismus anzukurbeln. Bürgermeister Russell führte gegenüber der Interalliierten Rheinlandkommission aus, dass die Stadt die Absicht habe, mit der Ausstellung „den früher lebhaften Reiseverkehr nach Koblenz wieder zu beleben.“ Dementsprechend trug die Stadt den Löwenanteil an der GmbH und stellte mit dem städtischen Verkehrsdirektor Franz Lanters und dem Leiter des städtischen Presseamtes Günther Wohlers die beiden Geschäftsführer. Diesen gelang es in den folgenden Monaten, eine beeindruckende Ausstellung auf die

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Beine zu stellen. Dazu trugen ein Arbeitsausschuss und diverse beratende Gremien bei, welche die Crème de la Crème der deutschen Weinwissenschaft und -wirtschaft versammelten: So gehörten den Ausschüssen u. a. der Leiter der Geisenheimer Lehr- und Forschungsanstalt für Wein-, Obst- und Gartenbau Franz Muth, der Leiter der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Weinund Obstbau in Neustadt an der Haardt (heute an der Weinstraße) Achilles Zschokke, der Direktor des Badischen Weinbauinstituts Karl Müller und der Alzeyer Weinbauinspektor und Experte für Rebenzüchtung Georg Scheu an. Die Inhalte der Ausstellung: Weinpropaganda und Nationalisierung des Weinbaus und Weinkonsums Die „Reichsausstellung“ wurde am . August offiziell eröffnet, allerdings ohne die Besatzungsmächte. Als Begründung führte Oberbürgermeister Russell gegenüber den Besatzungsbehörden aus, dass diese die bisherigen Veranstaltungen der Tausendjahrfeier als feindlichen Akt angesehen hätten und auch die Reichsausstellung entsprechend einstufen würden. Daher könne man die Besatzungsbehörden nicht einladen, zumal die Bevölkerung nach den Schikanen gegen die vorherigen Veranstaltungen dafür kein Verständnis haben werde. Trotz dieses Affronts erlaubte die Hohe Kommission das Beflaggen der Stadt während der Eröffnungsfeier. Dort hoffte Russell auch den erst wenige Monate zuvor gewählten neuen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg begrüßen zu dürfen. In seiner Einladung an Hindenburg legte der Oberbürgermeister dar, dass nach den vorangegangenen Rheinlandfeiern auch die Weinausstellung die „Zusammengehörigkeit aller deutschen Gaue“ unterstreichen wolle. Hindenburg sagte aus terminlichen Gründen ab. Der Reichspräsident, dessen Wahl den Besatzungsmächten aufgrund seiner Rolle im Ersten Weltkrieg nicht gepasst hatte, hielt sich generell bei den Jahrtausendfeiern zurück, um die Besatzungsmächte nicht unnötig zu provozieren. Russell und die ausstellenden Weinhändler-Vereinigungen ließen es sich jedoch nicht nehmen, Hindenburg einen „Weingruß“ zu senden. Die Ausstellung als Abschlussfeier der Jahrtausendfeier der Rheinlande würde nicht „harmonisch ausklingen, wenn man nicht dem Könige mit Wein huldigen würde“, führte Russell in seinem Brief an Hindenburg unverblümt aus. Insgesamt sandte man  Flaschen der besten Gewächse an den „Ersatzkaiser“: Kaseler Hitzlay des Trierer Weinguts Reichsgraf von Kesselstatt, Forster Musenhang aus dem Pfälzer Weingut Bassermann-Jordan und Riesling des Rheingauer Weinguts Schloss Vollrads. Zur Eröffnung kam auch ohne Hindenburg die Prominenz des Reiches, Preußens und der Stadt Koblenz. Die Eröffnungsansprache hielt unter anderem der Staatssekretär des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirt-

Nationale Propaganda und Marketingcoup 

Abb. 2: Das Ehrenmal des Deutschen Weins vor der Koblenzer Rheinhalle

schaft Fred Hagedorn. Auch der sozialdemokratische preußische Innenminister Carl Severing kam zu Wort. Nicht nur die  Gäste der Eröffnungsfeier bestaunten die umfangreiche Ausstellung, sondern in den folgenden Wochen strömten über . Besucher nach Koblenz, um sich die gigantische Schau anzusehen. Die Ausstellungshallen waren zentral gelegen und gruppierten sich um einen „Ehrenhof“. Dort stand ein von der Koblenzer Firma „Vereinigte Weingutsbesitzer“ in Auftrag gegebenes „Ehrenmal des Deutschen Weins“, angefertigt vom aufstrebenden Münchener Bildhauer Josef Henselmann. Dieser hatte kurz zuvor in Berlin den Großen Staatspreis der Preußischen Akademie der Künste erhalten. In jeweils zwei üppigen männlichen und weiblichen Figuren stellte er den Rheinwein, den Moselwein, den Jungwein und den Schaumwein dar (Abb. ). Nach der Ausstellung geriet das Denkmal ins Visier aufgebrachter Bürger, denen die Darstellungen zu anstößig waren.  stellte die Stadt daher an seiner Stelle einen Brunnen mit neutralen Traubenmotiven auf. Um die Aufmerksamkeit der Besucher zu fesseln, bedienten sich die Ausstellungsmacher der modernsten Präsentationstechniken. Mit Panoramen, Diashows, Fotos, Objekten und Texttafeln wurden die verschiedenen Sinne angesprochen. Die Besucher sollten auf diese Weise animiert werden, zukünftig den Konsum deutschen Weines zu bevorzugen und damit den Absatz zu steigern.

 Henning Türk

Die Veranstalter stellten das umfangreiche Oberthema in drei Abteilungen dar. In der ersten Abteilung wurde die Wissenschaft vom Wein präsentiert. Dort lernten die Besucher zunächst die deutschen Weinbaugebiete kennen. Zudem konnten sie anhand der Ausstellungsgegenstände geologische Voraussetzungen und den Wuchs der Weinreben nachvollziehen. Auch ampelographische Aspekte sowie Rebkrankheiten und ihre Behandlung wurden dargestellt. Insbesondere die Bekämpfung der Reblaus mit dem Ziel einer „Gesunderhaltung des deutschen Weinbaus“ (amtlicher Führer) nahm hier einen großen Raum ein. Die Ausstellung lobte die staatlichen Maßnahmen als große Hilfe für die Winzer und betonte, dass der deutsche Weinbau bisher einen „erfolgreichen Kampf“ zur Erhaltung des „Europäerweinbaus“ und gegen den Pfropfrebenweinbau führe. Mit Hilfe von Apparaten und Präparaten wurde außerdem die Behandlung des Weines im Keller präsentiert. Die erste Abteilung nutzten die Aussteller bereits, um unter dem Aspekt der „Betriebswissenschaft“ auf die wirtschaftliche Not der Winzer aufmerksam zu machen. Die tabellarischen Darstellungen schwankender Ernteerträge und gestiegener Produktionskosten veranschaulichten die wirtschaftlichen Risiken des Weinbaus. Mit Vergleichen demonstrierten die Winzerverbände die klimatischen Vorteile des französischen Weinbaus gegenüber dem deutschen und wiesen auf die enorme Konkurrenz durch den ausländischen Wein hin. Tabellarisch dargestellt wurde auch die vorteilhafte Wirkung eines potenziellen Schutzzolls. Der Besucher sollte offensichtlich einen Eindruck von der großen wirtschaftlichen Notlage der Winzer und den Lösungsmöglichkeiten erhalten. In der zweiten Abteilung wurden vor allem die kulturellen Aspekte des Weinbaus präsentiert und Verbindungslinien vom deutschen Wein zur deutschen Kultur gezogen. Dort wurden Weingläser, aber auch Gemälde und literarische Werke mit Bezug zum Wein ausgestellt. Die Ausstellung wollte hier veranschaulichen, dass „seit Jahrhunderten der Deutsche in frohem Kreise des deutschen Weines gedacht habe“, so der offizielle Ausstellungsführer. Kulturleistungen der deutschen literarischen Klassik oder Romantik, auf die das Bürgertum besonders stolz war, wurden in dieser Abteilung eng mit dem deutschen Wein verbunden. Die meisten Ausstellungsgebäude widmeten sich dem dritten Bereich: der Weinwirtschaft. Dort präsentierten die Aussteller unter anderem Weinbergsgeräte und demonstrierten die Weiterverarbeitung des Weins zu Sekt oder Weinbrand. Der Ausstellungskatalog wies in diesem Kontext besonders auf die Konkurrenz zum französischen Cognac und Champagner hin. Der Autor dieses Abschnitts hob vor allem die große Leistung der deutschen Sektproduktion hervor: „Die deutsche Sektindustrie erspart heute der deutschen Volkswirtschaft […] ungeheuer große Beträge, die früher an die französische

Nationale Propaganda und Marketingcoup 

Volkswirtschaft abgeführt wurden.“ In mehreren Hallen wurde auch die Verbindung des Weinbaus zur deutschen Industrie dargestellt. Hier ging es den Veranstaltern darum aufzuzeigen, welche negativen Wirkungen eine notleidende deutsche Weinproduktion für die gesamte deutsche Wirtschaft hatte. Abschluss und Höhepunkt der Ausstellung war das sogenannte „Weindorf“. Es bestand aus mehreren Häusern, die das Architekturbüro Stähler & Horn im Baustil verschiedener deutscher Weinregionen geplant hatte. Hier konnten die Besucher entsprechenden Wein aus der Region trinken und die Ausstellung noch einmal Revue passieren lassen. Die Weinleistungsschau wurde mit aufwendigen Darstellungen in der Presse begleitet. Engagiertester Promotor war dabei der Winzer und Weinhistoriker Felix Meyer aus Zeltingen an der Mosel. Er hatte über die „Entwicklung des Moselweinbaues und -weinhandels im . Jahrhundert“ promoviert und war Mitglied im fachwissenschaftlichen Beirat der Ausstellung. Zudem war er für die Redaktion des amtlichen Ausstellungsführers verantwortlich. Auch in den Sonderausgaben der „Coblenzer Volkszeitung“, die in unregelmäßigen Abständen erschienen und die Ausstellung begleiteten, war Felix Meyer immer wieder präsent. Hier vertrat er eine Nationalisierung des Weins, den er zum deutschen Volksgetränk stilisierte. So griff er am . August  in einem Artikel die Ideologie der Jahrtausendfeier auf und führte aus: „Der deutsche Wein, der ehedem das Nationalgetränk der Deutschen darstellte, […] war stets ein starkes, einigendes wirtschaftliches und geistiges Band, das die Westmark mit der Ostmark verband.“ Die Aufgabe der Ausstellung sah er darin, „das Verständnis für die Lage des deutschen Weinbaus und Weinhandels, aber auch für die deutsche Weinwissenschaft, Gewerbe und Industrie und nicht auch zuletzt die Liebe und das Verständnis für den deutschen Wein in der breiten Masse“ zu wecken. Seine Apotheose des deutschen Weins gipfelte in den patriotischen Zitaten aus dem „Weinlied“ des Dichters Theodor Körner: „Freiheit, Kraft und Männerstolz, Männerlust und Wonne Reift am deutschen Rebenholz, Reift in deutscher Sonne. Am Rhein, am Rhein Reift deutscher Wein Und deutsche Kraft Im Rebensaft.“

In ähnlich pathetischer Weise wie Felix Meyer betonte auch der deutschnationale Stadtarchivar von Koblenz, Hans Bellinghausen, in seiner Besprechung der Ausstellung in den „Rheinischen Vierteljahresblättern“ die Zugehörigkeit des Rheinlands zum Deutschen Reich: „Möge der Weinstock mit sei-

 Henning Türk

nen tiefen Wurzeln das Symbol sein für die Treue, welche die tausendjährige Schicksalsgemeinschaft zusammengehalten hat.“ Abschließend führte er aus: „Die Reichsausstellung Deutscher Wein stellt sich bewußt in den Dienst des deutschen Wiederaufbaus. Sie sieht hierin ihre hehrste Aufgabe, die zusammengefaßt sei in die Worte: ‚Für Rheinland und Reich‘.“ Durch die Veröffentlichungen von Autoren wie Felix Meyer oder Hans Bellinghausen wurde der Wein national aufgeladen. Ähnlich wie es Coleen M. Guy für den französischen Wein im Anschluss an den Ersten Weltkrieg nachgewiesen hat, deklarierten die Autoren der Ausstellung und der begleitenden Publikationen regionale wirtschaftliche Anliegen als nationale Anliegen, um ihnen auf diese Weise eine höhere Weihe zu erteilen. Weinkonsum und Weinbau erschienen als integraler Bestandteil einer nationalen deutschen Kultur, die auf der Vielfalt der Regionen aufbaute und die es staatlicherseits zu schützen gelte. Die Forderungen an die Politik, etwa nach Einführung von Schutzzöllen, ließen sich auf diese Weise nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell legitimieren. Daher bot die Einbettung der Reichsausstellung in die Jahrtausendfeier der Rheinlande nicht nur die Möglichkeit, die Zusammengehörigkeit von Rheinland und Reich zu betonen, sondern auch die Verbundenheit von Weinkultur und Nation hervorzuheben. Fazit und Ausblick Die „Reichsausstellung Deutscher Wein“ war die erste große nationale Ausstellung zum Weinbau in Deutschland. Sie bildete den Abschluss der Tausendjahrfeier des Rheinlands und versuchte daher, in ihren Texten und Darstellungen die Verbundenheit der westlichen Weinbaugebiete mit dem restlichen Reichsgebiet zu demonstrieren. Die Ausstellung stilisierte den Wein zu einem Nationalgetränk der Deutschen, das eng mit den wirtschaftlichen und kulturellen Leistungen der Deutschen in der Vergangenheit verknüpft sei. Partikulare Interessen eines Wirtschaftszweiges und einzelner Regionen wurden auf diese Weise zu nationalen Interessen aufgewertet. Die Winzer und ihre Verbände versuchten mit dieser Strategie, den wirtschaftlichen Problemen des Weinbaus ein größeres Gehör zu verschaffen und ein großes Publikum mit ihren Anliegen zu erreichen. Auch in Koblenz selbst hatte die Ausstellung längerfristige Wirkungen. Aufgrund ihres großen Erfolgs riss die Stadt das „Weindorf“ nicht wie ursprünglich geplant ab, sondern nutzte die Häuser und angrenzenden Ausstellungshallen auch in den nächsten Jahren für Weinausstellungen. Diese hatten aber einen deutlich stärkeren regionalen Charakter, wie etwa das rheinische Winzerfest von . Erst in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft wurde das Gelände wieder für nationale Propaganda genutzt. So

Nationale Propaganda und Marketingcoup 

fand vom . bis . November  eine sogenannten „Braune Woche“ im Weindorf und den angrenzenden Hallen statt. Jetzt ging es nicht mehr nur darum, deutschen Wein zu trinken. Stattdessen wollten die Nationalsozialistischen Handwerks-, Handels- und Gewerbeorganisationen (NS-HAGO) als Veranstalter mit ihrem Programm „die Seele des deutschen Verkäufers erringen“, wie der Organisationsleiter Peter Hildebrandt gegenüber der Stadtverwaltung ausführte. Unter dem Motto „Kauft deutsche Ware und ihr schafft Arbeit und Brot“ präsentierten sich die verschiedenen Wirtschaftszweige. Dabei war das „Weindorf“ erneut den Winzern vorbehalten. Nationalismus und Marketing gingen auch hier wieder Hand in Hand. Quellen , : Reichsausstellung „Deutscher Wein“. In: Rheinische Heimatblätter  (), S. –, https://www.dilibri.de/rlb/periodical/ pageview/ (..). Deutscher Wein. Reichsausstellung . August bis . September , Sonderausgabe der Coblenzer Volkszeitung Nr.  vom . August , https:// www.dilibri.de/rlb/periodical/pageview/ (..). Hauptstaatsarchiv Koblenz, Bestand , Bde. –: Oberpräsidium der Rheinprovinz, Rheinische Jahrtausendfeiern. Hauptstaatsarchiv Koblenz, Bestand , Bd. : Regierung Coblenz, Akten betr. Tausendjahrfeier der Rheinlande. Hauptstaatsarchiv Koblenz, Bestand , Bd. : Weinbauausstellungen und Prämierungen. Hauptstaatsarchiv Koblenz, Bestand ,, Bd. : Reichsausstellung Deutscher Wein GmbH. Reichsausstellung Deutscher Wein. Amtlicher Führer, Koblenz , https:// www.dilibri.de/rlb/content/pageview/ (..). Stadtarchiv Koblenz, Bestand , Bde. –: Jahrtausendfeier der Rheinlande am .. in Koblenz. Stadtarchiv Koblenz, Bestand , Bd. : Reichsausstellung Deutscher Wein. Stadtarchiv Koblenz, Bestand , Bd. : Akten betr. Braune Messe. Stadtarchiv Koblenz, Bestand , Bd. : Eröffnung des ersten rheinischen Winzerfestes im Weindorf am ...

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Literatur P-KM,  (Hg.): Jahrtausendfeiern und Befreiungsfeiern im Rheinland. Zur politischen Festkultur  und  (Düsseldorfer Schriften zur neueren Landesgeschichte und zur Geschichte NordrheinWestfalens, Bd. ), Essen . K, : Im Zeichen des Traubenadlers. Eine Geschichte des deutschen Weins, Mainz . Energieversorgung Mittelrhein (Hg.): Geschichte der Stadt Koblenz, Bd. : Von der französischen Stadt bis zur Gegenwart, Stuttgart . K, Z: Denkmal im politischen Raum. Das Kaiser-Wilhelm-Denkmal am Deutschen Eck in seinem Jahrhundert, masch. Diss., Bochum . , : Die deutsche Weinwirtschaft nach dem Ersten Weltkrieg bis  (Schriften zur Weingeschichte, Bd. ), Wiesbaden . , K M.: When Champagne became French. Wine and the Making of a National Identity, Baltimore/London . KP, M / V, M (Hg.): Das Rheinland in zwei Nachkriegszeiten. – und –, Koblenz . K, : Wein ist Volksgetränk: Weinpropaganda im Dritten Reich am Beispiel des Anbaugebiets Mosel-Saar-Ruwer, Zell/Mosel . W, ZK: Deutschlands Strom – Frankreichs Grenze. Geschichte und Propaganda am Rhein – (Düsseldorfer Schriften zur neueren Landesgeschichte und zur Geschichte Nordrhein-Westfalens, Bd. ), Essen .

 K

„Trinkt deutschen Wein!“ Die Gründung des Reichsausschusses für Weinpropaganda in Mainz 

Vorgeschichte: Das spanische Handelsabkommen

B

ei allen gravierenden Kriegsfolgen des verlorenen Ersten Weltkrieges war die verheerende Absatzkrise des deutschen Weines, die gerade nach der vorläufigen Stabilisierung der politischen Verhältnisse der Weimarer Republik einsetzte, durchaus in erheblichem Maße hausgemacht: Um die wiedergewonnene Handelsfreiheit angesichts der drückenden Reparationslasten zur Aufbesserung der Exportbilanz des Reiches zu nutzen, schloss die Regierung Luther-Stresemann am . Juli  ausgerechnet mit dem wirtschaftlich rückständigen Spanien einen Handelsvertrag zur Öffnung des iberischen Marktes für deutsche Industriegüter. Nachdem Spanien im Krieg zum größten Weinexporteur der Welt aufgestiegen war und jetzt dringend neue Absatzmärkte suchte, hatten die dortigen Vertragspartner im Gegenzug indes erwartungsgemäß neben Einfuhrerleichterungen für Südfrüchte explizit auch auf einer drastischen Senkung der Importschranken für ihre Rebenerzeugnisse bestanden. Folglich lief das Abkommen faktisch auf einen Tausch deutscher Industrieprodukte gegen spanischen Wein hinaus, was in den Weinanbaugebieten des Reiches verständlicherweise als Außenhandelspolitik auf dem Rücken der Winzer empfunden wurde. Obschon sämtliche Interessenvertretungen des deutschen Weinbaues in unzähligen Protestkundgebungen, Notappellen und -resolutionen bereits vor Vertragsabschluss eindringlich vor den unweigerlichen Konsequenzen des spanischen Handelsabkommens gewarnt hatten, sollte die Realität schließlich selbst die schwarzmalerischsten Befürchtungen noch in den Schatten stellen: Schutzlos der südlichen Konkurrenz ausgesetzt, die nicht nur weitaus preisgünstiger, sondern (aufgrund des damaligen deutschen Weingesetzes, das eine deklarationsfreie Beimischung von bis zu  Prozent fremder Kres-

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zenzen erlaubte!) überdies meist auch noch im Schafspelz wohlklingender deutscher Bezeichnungen auf den Markt drängte, besaßen die seit jeher mit höheren Produktionskosten verbundenen heimischen Rebenerzeugnisse keinerlei Wettbewerbschance. Innerhalb von nur  Monaten wurde aus Spanien das Dreifache dessen eingeführt, was ansonsten etwa in einem „vollen Herbst“ an der Mosel und ihren Nebenflüssen wuchs. Die Folgen dieser „Überschwemmung des inländischen Marktes mit ausländischen Weinen, die viel billiger als die hiesigen sind“, ließen nicht auf sich warten: „Zunächst trat ein starker Preissturz der Moselweine daraufhin ein. Sie fielen um mehr als die Hälfte, zum Teil sogar auf / gegenüber den Preisen, die im Frühjahr  gezahlt worden waren“, berichtete der Regierungspräsident in Trier am . Juni  dem preußischen Landwirtschaftsminister (LHAKo Best. , Nr. ). Daraufhin habe „die Nachfrage nach Moselweinen immer mehr nach[gelassen], sodass der Moselweinhandel seit längerer Zeit sozusagen still liegt.“ Fast die gesamte er Ernte liege unverkäuflich in den Kellern. Aus Rheinhessen und der Pfalz sind ähnlich alarmierende Berichte überliefert. Paradoxerweise richtete die preußische Staatsregierung ausgerechnet zu dieser Zeit das größte Weinspektakel aus, das es bis dahin auf deutschem Boden gegeben hatte: So fand vom . August bis . September  in Koblenz eine Reichsausstellung „Deutscher Wein“ statt, bei der es sich allerdings keineswegs um eine groß angelegte Werbeveranstaltung handelte, die angesichts der verheerenden Absatzkrise der deutschen Weinbauern den Konsum heimischer Rebenerzeugnisse im Reich ankurbeln sollte. Vielmehr war die Ausstellung Teil der „Tausendjahrfeier der Rheinlande“, die der Vereinigung Lotharingiens mit dem Ostfränkischen Reich im Jahre  gedachte. Dieses eher marginale Jubiläum, das ansonsten wohl der Vergessenheit anheimgefallen wäre, gab angesichts der prekären politischen Lage des westlichen Grenzlandes nach dem verlorenen Weltkrieg den Vorwand zu einer patriotischen Veranstaltungsreihe, die im kaum verhüllenden Mantel historischer Gedenkfeiern als ostentative Demonstration unverbrüchlicher Treue des besetzten linksrheinischen Gebiets zu Deutschtum und Reich gedacht war. Nachdem anlässlich dieses hochoffiziellen Festreigens Düsseldorf die politische Zentralveranstaltung und Köln die ergänzende historisch-kulturelle Schaustellung zugesprochen erhalten hatten, war man auf den Gedanken verfallen, als Ausgleich hierzu in Koblenz – immerhin war die Rhein-Mosel Stadt Dienstsitz des Oberpräsidenten der Rheinprovinz – dem heimischen Rebensaft zu huldigen. Doch während man sich am „Deutschen Eck“ unter Verausgabung beträchtlicher Steuergelder in noch nie dagewesener Weise an Geschichte, Kultur und vorgeblicher qualitativer wie wissenschaftlicher Weltgeltung des deutschen Weinbaues berauschte, warben wie zum Hohn

„Trinkt deutschen Wein!“ 

auf allen größeren Reichsbahnhöfen Deutschlands großformatige Plakate ausgerechnet für den Konsum spanischer Gewächse! Gescheiterte Initiative aus Bayern Dieser augenfällige Widerspruch sollte selbst innerhalb einer deutschen Amtsstube nicht unentdeckt bleiben, wo man sich kurzerhand entschloss, dieser ungenierten Auslandsreklame eine eigene Werbung für deutsche Rebenerzeugnisse entgegenzusetzen. Die Initiative zu einer solchen groß angelegten – und folglich allein aus öffentlichen Mitteln finanzierbaren – staatlichen Weinpropaganda kam ausgerechnet aus dem traditionellen Bierland Bayern, das mit Franken und insbesondere der damals noch bayrischen Pfalz indessen auch über die größte Weinanbaufläche Deutschlands verfügte. Bereits für den . Juli  – und damit noch vier Wochen vor der Koblenzer Reichsausstellung – hatte das Münchener Staatsministerium für Landwirtschaft Vertreter der übrigen weinbautreibenden Länder sowie der wichtigsten Weinbauorganisationen des Reichs hierzu zu einer Besprechung in die bayrische Hauptstadt gebeten. In dem diesbezüglichen Schreiben hieß es: „Der deutsche Weinbau und Weinhandel befindet sich zur Zeit in einer schweren Absatzkrise. Im Einvernehmen mit dem Deutschen Weinbauverband soll versucht werden, durch eine umfangreiche Propaganda dieser Absatzkrise entgegenzutreten: Die Propaganda soll […] durch den Deutschen Weinbauverband mit Unterstützung und auf Kosten der weinbautreibenden Länder mit Hilfe der vom Reich zur Verfügung gestellten Mittel durchgeführt werden. Die Regierungen der nicht weinbautreibenden Länder sollen gebeten werden, die Propaganda gleichfalls zu unterstützen“ (GstA PK I. HA, Rep.  B, Nr. , Bl. ). Wie ernst es den bayrischen Initiatoren mit ihrem Anliegen war, bewies zudem die Tatsache, dass bereits der Einladung detaillierte „Richtlinien“ einer solchen etwaigen Kampagne beigelegt waren (a. a. O., Bl. ): „1. Verbreitung eines künstlerischen Plakates mit Darstellung des Weinbaues, etwa in Gestalt einer Traube, eines Römers oder eines erntenden Winzers mit der Überschrift ‚Trinkt echten deutschen Wein‘ oder ‚Deutsche Männer trinken deutschen Wein‘. 2. Neben diesen Bildplakaten Druckplakate mit der Aufschrift ‚Ausschank von echtem deutschen Wein bei …‘ (Aufführung der Geschäfte, welche Gewähr dafür bieten, dass sie unverfälschten deutschen Wein zum Ausschank oder zum Verkauf bringen). Aufstellung des Verzeichnisses durch Vertrauensleute des Deutschen Weinbauverbandes in allen deutschen Großstädten. 3. Eisenbahnpropaganda. Verhandlung mit der Reichsbahngesellschaft a) wegen Anschlag des Plakates

 Christof Krieger

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6. 7. 8.

b) wegen Aufhängen von gleichen Plakaten in kleinerer Form in den Eisenbahnrestaurationen c) wegen Aufhängen von Bildplakaten in noch kleinerer Form in den Eisenbahnwagen d) wegen Verkauf von Wein in den Eisenbahnrestaurationen. Pressepropaganda, Propaganda in der Mitropa-Zeitung. Kennzeichnung der bevorzugten Ausschankstätten durch Fahnen, die vom Deutschen Weinbauverband herausgegeben werden. Die Fahne soll ein ähnliches Bild, wie das Hauptplakat, bekommen und zwar auf weißem Grund, an der Fahnenspitze ein grüner Kranz aus Bux, Fahnenbänder nach der Farbe der Stadt, des Landes oder des Reiches, nach Wunsch der Ausschankstellen. Ansichtspostkartenpropaganda. Einrichtung oder Betreuung von Weinkosthallen, Weinstuben bei Ausstellungen, Volksfesten u. ä. Massenansammlungen. Ausschreiben einer Weinwerbewoche, in welcher zu herabgesetzten Preisen Wein in den bevorzugten Gaststätten zum Ausschank kommt.“

Der kreative Eifer, mit dem die Propagandaaktion im bayrischen Staatsministerium vorbereitet worden war, stieß bei den Repräsentanten der übrigen deutschen Weinbauländer jedoch allenfalls auf ein gedämpftes Echo – sofern sie überhaupt der Einladung nach München gefolgt waren. So notierte der als Vertreter des preußischen Landwirtschaftsministeriums an die Isar entsandte Ministerialrat Georg Breuhahn missmutig: „Als Vertreter des Verbandes preußischer Weinbaugebiete war weder der Präsident Graf v. Plettenberg noch sein Stellvertreter v. Stedmann erschienen. Die hessischen, württembergischen und badischen Weinbauverbände waren überhaupt nicht vertreten. Nach dem ganzen Eindruck, den man während der Besprechung gewann, handelte es sich eigentlich um eine Veranstaltung, die mehr für den Weinbau in Bayern bestimmt war“ (a. a. O., Bl. ). Diesem offenkundigen Desinteresse der außerbayrischen Weinbauvertreter entsprach gleichfalls die durchweg verhaltene Resonanz, auf welche die Vorschläge auch im Einzelnen bei den Besprechungsteilnehmern stießen: So fand keiner der vorgelegten Plakatentwürfe den ungeteilten Beifall der auswärtigen Gäste, während die Punkte  und  (also die Kennzeichnung von Gaststätten und Geschäften, die unverfälschten deutschen Wein zum Verkauf bringen) „übereinstimmend als völlig undurchführbar bezeichnet“ wurden (ebd.). Dies galt insbesondere auch für die später so überaus erfolgreiche Idee der Ausrichtung von „Weinwerbewochen“, die in Verbindung mit den sogenannten „Weinpatenschaften“ zehn Jahre später zum Kernstück der nationalsozialistischen Weinpropaganda werden sollte (Krieger, „Wein ist Volksgetränk!“, S.  ff.). Auch den somit verbleibenden Plänen einer Plakat-, Film- und Pressepropaganda stimmten die Anwesenden lediglich unter Vorbehalt zu.

„Trinkt deutschen Wein!“ 

Insbesondere sprach man sich nachdrücklich dafür aus, dass die gesamte Werbeaktion nach außen hin ausschließlich unter dem Namen des Deutschen Weinbauverbandes durchgeführt werden dürfe: Eine „behördliche Propaganda“ erschien allen Beteiligten aus grundsätzlichen Erwägungen heraus „als inopportun“. Auch dürfe dabei die in den vorangegangenen Krisenjahren zwischen Weinbau und Weinhandel zunehmend aufgerissene Kluft nicht weiter aufgerissen werden. Waren doch etwa unter Umgehung des Weinhandels insbesondere Genossenschaften zwischenzeitlich dazu übergegangen, eigene Ausschankstätten in den Großstädten zu errichten. Wie wenig Anklang die Idee einer reichsweiten Weinpropaganda tatsächlich außerhalb Bayerns selbst unter den Weinbaufunktionären gefunden hatte, sollte sich indessen erst in aller Deutlichkeit zeigen, als sich Breuhahn nach einigen Monaten bei der Mainzer Geschäftsstelle des Deutschen Weinbauverbands – dem in München schließlich die Federführung aller künftigen Propagandamaßnahmen zugesprochen worden war – erkundigte, „welche Schritte in dieser Angelegenheit getan worden“ seien (a. a. O., Bl. ). Von dort erhielt der preußische Ministerialrat am . Dezember  allerdings die verblüffende Mitteilung, dass man „in vorliegender Angelegenheit […] noch keine Schritte unternommen“ habe, „weil es sich gezeigt hat, dass zu jeder Propagandamaßnahme sehr viel Geld gehört. Dieses hat aber dem Deutschen Weinbauverband stets gefehlt“ (a. a. O., Bl. ). Angesichts der Tatsache, dass nie irgend ein Zweifel daran bestanden hatte, dass die geplante Weinwerbeaktion explizit „mit Unterstützung und auf Kosten der weinbautreibenden Länder“ durchgeführt werden solle, wobei infolge des zwischenzeitlich angesparten Weinsteuerdrittels nunmehr sogar möglicherweise Millionensummen zur Verfügung standen, mutet die Reaktion des Weinbauverbandes selbst noch aus der Rückschau rätselhaft, ja geradezu skandalös an: Während die Absatznot der deutschen Weinbauern infolge des deutsch-spanischen Handelsvertrages zunehmend aberwitzigere Ausmaße annahm, war ein halbes Jahr verstrichen, ohne dass sich ihre höchste originäre Interessenvertretung über eine etwaige – und zudem sogar staatlicherseits initiierte und finanzierte(!) – Maßnahme zur möglichen Linderung dieser Not auch nur Gedanken gemacht hätte. Der Bernkasteler Finanzamtssturm Wenige Wochen später ereignete sich allerdings ein Vorfall, der an der Notwendigkeit zum sofortigen Handeln keinerlei Zweifel ließ. Wenn es denn in den kurzen, krisengeschüttelten Jahren der Weimarer Republik je ein Ereignis gegeben hat, das die existentielle Notlage der Winzer der gesamten deutschen Öffentlichkeit schlagartig ins Bewusstsein rief, dann war es unbestrit-

 Christof Krieger

ten die als „Bernkasteler Winzersturm“ bekannt gewordene Verzweiflungstat vom . Februar . An diesem Tag geriet eine Protestkundgebung von etwa . Weinbauern, die einem Aufruf der Zentrumspartei nach Bernkastel-Kues gefolgt waren, urplötzlich außer Kontrolle. Vorgeblich „ohne Besinnung“ und ohne vorgefasste Absicht ließ allein die Not und mehr noch die Erbitterung über die Tatenlosigkeit der Regierung und die Rücksichtslosigkeit ihrer Steuerbeamten die Versammelten blindwütig zum Mittel der Gewalt greifen. Und allein den brennenden Steuerakten gelang schlagartig, was Dutzenden von Nottelegrammen, Bittbriefen und papiernen Resolutionen zuvor versagt geblieben war: Als der Reichstag eine knappe Woche nach den Unruhen zu seiner nächsten Sitzung zusammentrat, wurde die Parlamentsdebatte nunmehr ausschließlich von der Winzernot beherrscht. Und mehr noch: Obwohl der Bernkasteler Finanzamtssturm immerhin den juristisch nicht unerheblichen Tatbestand des Landfriedensbruches erfüllt hatte, zumal neben der mutwilligen Zerstörung mehrerer Verwaltungsgebäude ja auch etliche Polizei- und Finanzbeamte unmittelbar bedroht worden waren, überschlugen sich am . März  sämtliche Parteivertreter von den Kommunisten bis hin zu den Deutschnationalen in seltener Einmütigkeit geradezu mit Solidaritätsbekundungen für die revoltierenden Weinbauern. Einem Vorschlag der Zentrumsfraktion folgend, setzten die Abgeordneten noch am selben Tag einen (in der Presse sogleich ironisch als „die Bernkasteler Doctoren“ titulierten) -köpfigen Sonderausschuss zur „Notlage der

Abb. 1: Sturm auf das Bernkasteler Finanzamt am 25. Februar 1926

„Trinkt deutschen Wein!“ 

Winzer“ ein, der fünf Tage darauf, am . März , zu seiner ersten Sitzung zusammentrat. Wichtigster Verhandlungsgegenstand des Gremiums war die Hauptforderung der Winzer nach Abschaffung der noch kurz vor Ende des Ersten Weltkrieges als Kriegssteuer eingeführten Weinsteuer. Tatsächlich beschloss der Reichstag auf dessen Empfehlung – allerdings gegen das entschiedene Votum der Reichsregierung – bereits am . März die sofortige Aussetzung der Steuer zum . April . An der Mosel und in den übrigen Weinbaugebieten wurde diese Nachricht wie ein Sieg gefeiert. Angesichts der einhelligen Euphorie über diesen vermeintlichen Erfolg ahnten nur wenige, dass es sich dabei möglicherweise um einen Pyrrhussieg handelte, war doch die Weinsteuer schließlich für die ins Reich eingeführten Auslandsweine in gleicher Weise wie für deutsche Rebenerzeugnisse erhoben worden. Ihre Aussetzung vermochte folglich an der grundsätzlichen Konkurrenzsituation zwischen heimischen und auswärtigen Gewächsen nicht zu rütteln. Und damit nicht genug: Zudem hatte der Reichstag bereits im Vorjahr beschlossen, die Weinsteuer nicht allein von  auf  Prozentpunkte zu senken, sondern zudem immerhin ein Drittel dieses (vom Auslandswein ja nicht unerheblich mitfinanzierten!) Steueraufkommens für die gezielte Unterstützung des deutschen Weinbaues zu verwenden. Folglich hatten sich die Winzer für künftige Hilfsmaßnahmen selbst den Geldhahn abgedreht … Neue Dynamik der staatlichen Weinpropaganda: Das Würzburger Konzept Mit den spektakulären Ausschreitungen des Bernkasteler Finanzamtssturms erhielt neben der Abschaffung der Weinsteuer (und der Vergabe neuer Winzerkredite) insbesondere auch die Frage der Absatzwerbung schlagartig eine neue Dynamik, zumal der zur Beseitigung der Winzernot eingesetzte Sonderausschuss des Reichstages nunmehr sogar selbst explizit die „Durchführung einer großzügigen Propaganda“ anregte. Hinzu kam, dass jetzt auch der Deutsche Weinbauverband endlich aus seiner bisherigen Lethargie erwacht schien, wobei ihn möglicherweise die zwischenzeitlich hastig erfolgte Gründung eines regionalen „Propagandaverbandes Preußischer Weinbaugebiete“ zusätzlich alarmiert hatte. So war man in Preußen offenkundig davon ausgegangen, dass die staatlicherseits zur Weinpropaganda in Aussicht gestellten Gelder nach dem Muster der Winzerkredite ebenfalls auf die Länder unterverteilt würden. Um hierbei möglichst rasch ein möglichst großes Stück vom Kuchen zu erhalten bzw. mit der Werbung früher als andere Länder beginnen zu können – erfolgte daraufhin auf Initiative des Oberpräsidenten der Rheinprovinz noch im März  die Gründung eines „Propagandaverbandes Preußischer Wein-

 Christof Krieger

baugebiete“ mit Sitz in Koblenz. Tatsächlich nahm der Verband, der sich eine amtlich eingetragene Vereinssatzung gab, die eingeschriebene Mitglieder und folglich auch Mitgliedsbeiträge vorsah, bereits am . April seine Tätigkeit auf; unmittelbar darauf stellte er sogleich einen Antrag auf einen staatlichen Zuschuss von . RM. Hätte diese Gründung anschließend auch in den anderen Ländern bzw. Weinbaugebieten Schule gemacht und wären die staatlichen Fördermittel dann tatsächlich auf diese aufgeteilt worden, wäre der Deutsche Weinbauverband bei der bis dahin größten Weinwerbeaktion des Reiches folglich zum passiven Zuschauer degradiert worden. Offenkundig um dies zu verhindern, gelang es ihm nunmehr sogar kurzfristig, sich allen früheren Querelen zum Trotz mit der „Geschäftsstelle Deutscher Weinhandelsverbände“ (ein „richtiger“ Weinhandelsverband existierte aufgrund der zu großen Interessengegensätze zwischen Inlands- und Importhandel nicht) auf ein gemeinsames Vorgehen in der Weinpropagandafrage zu einigen. Als am . April  in Würzburg auf Einladung des Reichsernährungsministers eine Aussprache mit Regierungsvertretern aller am Weinbau beteiligten Länder über die vom Reichstag beschlossenen Winzerhilfsmaßnahmen stattfand, konnten beide Organisationen den Delegierten überdies sogar ein gemeinsames Konzept vorlegen, das die Bildung eines kollegialen Gremiums vorsah, „bestehend aus  Vertretern des Weinhandels und  Vertretern des Weinbaues, welcher die Aufgabe haben soll, in Gemeinschaft mit Vertretern des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und hierfür zu bestimmenden Länderregierungen ein Programm für die Ausführung einer wirksamen Weinpropaganda-Tätigkeit aufzustellen und dasselbe zur Ausführung zu bringen“ (GstA PK I. HA, Rep.  B, Nr. , Bl. ). Für die künftige Tätigkeit eines solchen „Reichsausschusses für Weinpropaganda“ hatten Weinhändler- und Weinbauverband ebenfalls schon vorab einen detaillierten Maßnahmenkatalog erarbeitet, der bezeichnenderweise auffällige Übereinstimmungen mit den vorjährigen Münchener Vorschlägen aufwies. So sollten neben der obligaten Plakatpropaganda namentlich in den großen deutschen Illustrierten Werbeinserate geschaltet wie auch eine Filmproduktion finanziert werden, für die sogar bereits erste Kontakte zur Ufa geknüpft worden waren. Ferner sah der Plan eine „Schriftsteller- und Rundfunkpropaganda“ sowie die Ausrichtung „ein[es] zweckdienliche[n] Preisausschreiben[s]“ vor, von dem man sich zusätzlich „passende Gedichte, Anekdoten, Verse, Witze usw.“ versprach (a. a. O., Bl.  f.). Den einzelnen Weinanbaugebieten wurden demgegenüber lediglich „Propagandamaßnahmen ergänzender Natur“ zugestanden: „Zu denken ist hier an Postkarten-Propaganda, Herausgabe von Schriften mit Schilderung der Eigenarten des betreffenden Weinbaugebietes und anderes mehr“, hieß

„Trinkt deutschen Wein!“ 

es dazu in dem Exposé, nicht ohne aber auch diesbezüglich von vornherein ein umfassendes Mitspracherecht einzufordern: „Diese Propaganda-Maßnahmen sollen aber unter keinen Umständen losgelöst von den Arbeiten des zentralen Ausschusses durchgeführt werden, sondern die Vorschläge sind jedesmal dem Arbeitsausschuss zu unterbreiten, der sie begutachten und die Mittel zu ihrer Durchführung bereitstellen wird.“ Um allerdings künftig überhaupt über eine solche Mittelvergabe entscheiden zu können, galt es zunächst einmal für die Initiatoren selbst, ihrerseits die Staats- bzw. Landesregierungen zur Bereitstellung einer angemessenen finanziellen Ausstattung zu bewegen. „Sämtliche Vertreter von Weinbau und Weinhandel waren einmütig der Auffassung, dass die geplante Propaganda nur dann ihre Wirkung nicht verfehlen wird, wenn sie großzügig und nicht mit unzulänglichen Mitteln durchgeführt wird“, lautete folglich deren nachdrückliche Forderung an die Behördenvertreter (a. a. O., Bl. ). Zur Bestreitung des intendierten Weinwerbefeldzuges bezifferte man dabei einen vorläufigen(!) Betrag von nicht weniger als zwei Millionen Reichsmark, zu deren Verausgabung die selbsternannten Ausschussmitglieder überdies bereits auch schon einen detaillierten Kostenkatalog vorlegten. Obschon daraufhin die Werbevorschläge selbst durchaus den ungeteilten Beifall der anwesenden Regierungsbeamten fanden, stieß die Begeisterung der Ländervertreter angesichts der Höhe der veranschlagten Summe demgegenüber rasch an ihre Grenze: Statt der verlangten zwei Millionen Mark bewilligte das Reichsernährungsministerium gemäß dem Votum der übrigen Länderregierungen gerade einmal die Hälfte des geforderten Geldbetrages, der für eine auf sechs Monate berechnete Propagandatätigkeit verwandt werden sollte. „Für den Fall der Bewährung der Propaganda“ sollte „eine weitere halbe Million zu ihrer Fortsetzung flüssig gemacht“ werden (a. a. O., Bl. ). Die Gründung des „Reichsausschusses für Weinpropaganda“ in Mainz Nur zwei Wochen nach der Würzburger Zusammenkunft sollte bereits die konstituierende Sitzung des „Reichsausschusses für Weinpropaganda“ stattfinden. „Der am . d[e]s M[ona]ts in Würzburg gebildete Ausschuss zur Durchführung der Weinpropaganda tritt am Sonntag, den . Mai, vormittags  Uhr in Mainz […], zu seiner ersten Sitzung zusammen“, hieß es in dem diesbezüglichen Einladungsschreiben des Deutschen Weinbauverbands (a. a. O., Bl. ), woraufhin sich insgesamt sechzehn Teilnehmer – unter ihnen auch der Inhaber der größten jüdischen Weinhandlung in Mainz, Hermann Sichel – in der Bistumsstadt versammelten. Neben den jeweils fünf Vertretern von Weinbau und Weinhandel mit den jeweiligen Verbandsvorsitzenden und Geschäftsführern an ihrer Spitze, die zugleich auch als Vor-

 Christof Krieger

sitzende und Geschäftsführer des Ausschusses agierten, waren die staatlichen Behörden u. a. durch die Ministerialräte Joseph Streil (Berlin) und Albrecht Hänlein (München) als Vertreter des Reichsernährungs- bzw. bayrischen Landwirtschaftsministeriums vertreten. „Der Vorsitzende des Reichsausschusses für Weinpropaganda eröffnet um  Uhr vorm[ittags] die Sitzung. Es werden im Verlauf der Sitzung folgende Beschlüsse gefasst“, so das diesbezügliche Protokoll (a. a. O., Bl. ): „I. Der zur Durchführung der Weinpropaganda gebildete Ausschuss erhält den Namen „Reichsausschuss für Weinpropaganda“. Er hat seinen Sitz in Berlin. II. Eine besondere Rechtsform wird dem Reichsausschuss für Weinpropaganda vorläufig nicht gegeben. Bis zur nächsten Sitzung des Ausschusses soll von der Geschäftsführung ein Vorschlag ausgearbeitet werden, welche Rechtsform für den Ausschuss am geeignetsten erscheint. III. Bei einer Berliner Bank wird ein Konto „Reichsausschuss für Weinpropaganda“ errichtet. Zeichnungsberechtigt für dieses Konto sind die beiden Vorsitzenden des Ausschusses gemeinsam oder ein Vorsitzender und ein Geschäftsführer.“

Bereits mit dem zweiten Punkt war eine der entscheidenden Weichenstellungen der neuen Weinwerbeinstitution vollzogen worden: Indem die Anwesenden auf jegliche juristisch fixierte Organisationsstruktur etwa nach dem Vorbild des kurz zuvor gegründeten Propagandaverbandes Preußischer Weinbaugebiete verzichteten, hatten sie festgelegt, dass sich die Tätigkeit des Reichsausschusses fortan allein in der Verausgabung staatlicher Mittel erschöpfen würde. Damit schien von vornherein aber auch das Schicksal der Werbegemeinschaft besiegelt, sobald eines Tages solche öffentlichen Gelder nicht mehr zur Verfügung stehen sollten. Dieses Manko wog umso schwerer, als der Reichsfinanzminister bei der Abschaffung der Weinsteuer erst wenige Wochen zuvor in aller Deutlichkeit erklärt hatte, dass er danach keine Mittel für Winzerhilfsmaßnahmen mehr zur Verfügung stellen werde. Zunächst kam dieser Problematik allerdings lediglich theoretische Bedeutung zu. Obwohl die ursprünglich geforderte Summe amtlicherseits bereits halbiert worden war, stand dem Ausschuss schließlich immer noch der Betrag von einer Million Reichsmark (nach heutigem Geldwert rd.  Millionen Euro) zur Verfügung. Der anlässlich der Mainzer Zusammenkunft von den Anwesenden rasch revidierte Kostenkatalog sah daraufhin folgende Ausgaben vor (a. a. O., Bl. ): . Filmreklame . M . Inseratenreklame . M . Plakatreklame auf Bahnhöfen . M . Reklame in D-Zügen . M . Plakatreklame in Stadtbahnen . M . Herstellungskosten der Plakate . M

„Trinkt deutschen Wein!“ 

. Rundfunk . Schriftstellerhonorare . Preisausschreiben . Allgemeine Unkosten . Sonstige Maßnahmen . Zur weiteren Verfügung des Ausschusses zusammen

. M . M . M . M . M . M .. M

„Bei der Inseratenreklame sollen in erster Linie die Zeitschriften und zwar möglichst lückenlos berücksichtigt werden“, vermerkte das Protokoll als weiteren Beschluss. „Die Tagesblätter sollen erst in zweiter Linie und nur von Fall zu Fall mit Inserataufträgen bedacht werden. […] Die Plakatreklame soll durchgeführt werden nach den Vorschlägen der Geschäftsführung: a) auf den Bahnhöfen b) in den D-Zügen c) in den Stadtbahnen von Berlin und Hamburg. Die Personenzüge und die Straßenbahnen sollen bei der Plakatreklame vollkommen ausscheiden.“ Ohne dass dies explizit ausgesprochen worden wäre, offenbarte sich allein in der Auswahl der Werbeträger die eigentliche Zielrichtung der staatlichen Weinpropaganda der Weimarer Republik, zählten doch Zeitschriften im Gegensatz zur Tagespresse keineswegs zur Standardlektüre der Bevölkerungsmehrheit des Reiches, wie auch D-Züge sicherlich nicht als alltägliches Transportmittel von der Arbeiterschaft genutzt wurden. Daraus erhellt, dass die Bemühungen des Reichsausschusses offenkundig allein dem bürgerlichen Mittelstand galten. Nachdem gerade das Bürgertum, das in den Vorkriegsjahren vorwiegend die meist hochwertigeren und damit teureren deutschen Rebenerzeugnisse goutiert hatte, von den Folgen der Inflation mit am härtesten getroffen worden und daraufhin mehr und mehr zu den billigeren Auslandsweinen gewechselt war, sollten diese traditionellen Konsumentenkreise augenscheinlich für den Genuss heimischer Gewächse zurückgewonnen werden. Ziel des „Reichsausschusses für Weinpropaganda“ war folglich nicht etwa eine Erweiterung der bestehenden Konsumentenkreise, sondern lediglich eine Verlagerung des Konsumverhaltens der vorhandenen Weintrinker, schien es doch allein auf diese Weise möglich, sowohl das Absatzproblem der heimischen Weinbauern zu beseitigen als auch zugleich die Ausgaben der knappen Devisen für Weinimporte zu senken. Die Tätigkeit des Reichsausschusses Sah der anlässlich der Mainzer Zusammenkunft beschlossene Maßnahmenkatalog allein . RM für „Filmreklame“ in den –  ja ebenfalls noch vorwiegend vom großstädtischen Bürgertum besuchten – Kinos vor, wäh-

 Christof Krieger

rend . Reichsmark für die Zeitschrifteninserate verausgabt werden sollten, so waren ebenfalls mehr als . RM für Plakatwerbung veranschlagt worden. Nachdem indes der vorjährige bayerische Entwurf in Mainz nur unter Vorbehalt die Zustimmung der Anwesenden gefunden hatte, sollten zudem allein . RM zur Ausrichtung eines bei der Münchener Besprechung noch vergeblich angeregten Künstlerwettbewerbes vorgesehen werden. Der bereits damals kreierte Werbeslogan wurde dabei allerdings unverändert beibehalten: „Die gesamte Reklame des Reichsausschusses, mithin auch besonders die Plakatreklame, steht unter dem Motto ‚Trinkt deutschen Wein‘“, so die Vorgabe der am . Juni  erfolgenden Ausschreibung (a. a. O., Bl. ). Das bereits im Monat darauf auf der nächsten Sitzung des Reichsausschusses am . Juli  in Berlin gekürte Siegerplakat des Darmstädter Werbegraphikers Hartmuth Wilhelm Pfeil ähnelte indessen in frappierender Weise dem vorjährigen Münchener Entwurf: Wie dieser zeigte es wiederum einen sogenannten „Weinrömer“, wobei das Trinkgefäß nun allerdings etwas massiger geformt war und zudem anstelle einer Traube von einer markanten Faust umfasst wurde. Während der Inhalt des grün gehaltenen Glases der verbesserten Signalwirkung wegen nunmehr in knalligem Gelb-Orange (das wohl Gold imitieren sollte) leuchtete, hatte es der Künstler bezüglich der Beschriftung allein bei dem vorgegebenen Slogan belassen.

Abb. 2: „Trinkt deutschen Wein“ – Das Siegermotiv von Hartmuth Wilhelm Pfeil beim Plakatwettbewerb 1926

„Trinkt deutschen Wein!“ 

„Diesem ‚Trinkt deutschen Wein!‘ ist wohl kein einziger Deutscher nicht begegnet“, hieß es in einer rückblickenden Darstellung des daraufhin mit dem Siegermotiv initiierten beispiellosen Werbefeldzuges: „Überall konnte man dieses Schlagwort finden“ (Meininger: Wein Werbung, S. ). Tatsächlich schlug die im Sommer  zunächst in sämtlichen namhaften Badeund Kurorten des Reichs einsetzende Kampagne ein neues Kapitel in der Geschichte der deutschen Weinwerbung auf, zierten doch ab Herbst des Jahres großformatige Plakate mit dem gelb-orange prangenden Weinkelch über Wochen hinweg nicht allein die Litfaßsäulen der Reichshauptstadt wie auch die Bahnhöfe aller anderen deutschen Städte; eigens dafür auf Papptafeln gedruckte kleinere Formate waren zugleich in den D-Zug-Wagen erster und zweiter Klasse der Reichsbahn, sowie in den Stadtbahnen von Berlin und Hamburg ausgehängt. Zugleich waren Tausende weiterer Werbeposter in mittlerer Größe „und besonders guter Ausführung […] durch Vermittlung der Anzeigenzentrale des Reichsverbandes Deutscher Hotelbesitzer-Vereine“ (Der Deutsche Weinbau Nr.  v. ..) sämtlichen einschlägigen Weingaststätten, Restaurants, Hotels, Einzelhandelsgeschäften und Weinhandlungen zur Verfügung gestellt worden. Ergänzt wurde die umfassende Plakatpropaganda von mehr als zwei Millionen Postkarten und rund  Millionen Briefverschlussmarken mit dem gleichen Motiv und Slogan. Zudem hatte der Reichsausschuss seiner Mainzer Vorgabe gemäß bei der Inseratvergabe keine „bessere“[sic!] deutsche Zeitschrift oder illustrierte Wochenendbeilage der Tageszeitungen unberücksichtigt gelassen, während manche Verlage – um sich ein noch größeres Stück des hochdotierten staatlichen Werbekuchens zu sichern – gleich eigene „Wein-Sondernummern“ auflegten. Hinzu kam die Kinowerbung, die sich dabei indes keineswegs auf die simplen Stehbilder beschränkte, die üblicherweise der UFA-Wochenschau angehängt waren, sondern zusätzlich mit diversen einaktigen „Beiprogrammfilmen“ und sogar einer eigenen UFA-Filmproduktion mit dem Titel „Wein Weib Gesang“ aufwartete. Auch der Rundfunk konnte für diverse das Thema „Wein“ behandelnde Sendungen gewonnen werden; überdies wurde am . Februar  auf Initiative des Messeamtes der Reichshauptstadt unter dem Berliner Funkturm eine einmonatige Werbeausstellung „Deutscher Rhein – Deutscher Wein“ eröffnet. Neben dieser „Weinmesse“, die zudem mit einem „Rheinischen Winzerfest“ in der Funkhalle sowie einer ergänzenden Propagandaausstellung zu „Werden und Wachsen des Weines“ aufwartete, sollten ferner im ganzen Reich über . Werbebroschüren „Vom deutschen Wein“ wie auch . jeweils mit dem Werbelogo versehene Straßen- und . Speisekarten zur Verteilung kommen. „Endlich ist noch darauf hinzuweisen, dass auf Veranlassung des Reichsausschusses der bekannte Schlager-Komponist Ru-

 Christof Krieger

Abb. 3: „Weindorf im Funkhaus“ anlässlich der Werbeausstellung „Deutscher Rhein – Deutscher Wein“ in Berlin 1927

dolf Nelson ein Wein- und Tanzlied komponiert hat, das in seinem Kehrreim gleichfalls ständig in die Aufforderung ausmündet: ‚Trinkt deutschen Wein!‘“ (Meininger: Wein Werbung, S. ). Eine Notenausgabe für Klavier und Singstimme sollte in allen Buch- und Musikalienhandlungen zum Preise von , RM angeboten werden, während Mitglieder der Weinbau- und Weinhandelsverbände diese direkt beim Reichsausschuss zum Sonderpreis von nur einer Reichsmark beziehen konnten. „Angesichts des bekannten Namens des Komponisten wird man damit rechnen können, dass dieses Lied sehr bald in zahlreichen Lokalen mit Weinausschank, sowie bei festlichen Gelegenheiten in Vereinen und im Familienkreise ertönen und auch seinerseits dazu beitragen wird, die stimmungsmäßigen Voraussetzungen für den Genuss deutscher Weine zu vermehren“, zeigten sich die Werbeorganisatoren überzeugt (Der Deutsche Weinbau Nr.  v. .. ), die sich allein diesen „offiziellen Schlachtgesang“ nicht weniger als . Reichsmark hatten kosten lassen. Der demselben Zweck dienende, ergänzend ausgerichtete „literarische Wettbewerb“, der „‚mengenmäßig‘ eine ganz überraschend große Beteiligung“ finden sollte, schlug sogar mit noch annähernd Tausend Reichsmark mehr zu Buche.

„Trinkt deutschen Wein!“ 

Erfolg und jähes Ende der staatlichen Weinpropaganda Wenngleich die Tauglichkeit mancher Einzelmaßnahmen des Reichsausschusses zur Stimulierung des Weinkonsums bereits von den Zeitgenossen in Zweifel gezogen worden war (entpuppte sich doch allen voran der eigens komponierte Weinschlager rasch als teurer Flop!), so ließen die erhofften wirtschaftlichen Auswirkungen der bis dahin kostspieligsten Weinwerbekampagne auf deutschen Boden dennoch nicht lange auf sich warten: Tatsächlich erfuhr die Nachfrage nach deutschen Rebenerzeugnissen noch im Laufe des Jahres  eine durchaus messbare Steigerung, was den Winzern signifikant höhere Verkaufserlöse einbrachte. Ob und in welcher Weise die Weinpropaganda allein oder aber andere Faktoren – etwa die Aufhebung der Weinsteuer oder die Revision der Handelsverträge – dabei die entscheidende Rolle spielten, lässt sich auch rückwirkend schwerlich mit Bestimmtheit feststellen. Dies umso weniger, als infolge der schlechten Ernteaussichten für den Herbst  nunmehr selbst auch die bislang sich so negativ auswirkenden Marktgesetze kurzzeitig zugunsten der Erzeuger ausschlugen, indem sie aufgrund der drohenden Weinverknappung die noch reichlich lagernden Kellervorräte der Winzer schlagartig aufwerteten. Aber auch der Nachwirkung des spektakulären Finanzamtssturms könnte in diesem Zusammenhang eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zukommen, dürften doch die spektakulären Bernkasteler Ereignisse, die im Jahr zuvor im ganzen Reich Schlagzeilen gemacht hatten, der breiten Öffentlichkeit auch jetzt noch unterschwellig zumindest so weit in Erinnerung geblieben sein, dass die vom Reichsausschuss allerorten propagierte Parole: „Trinkt deutschen Wein!“ über den Status einer beliebigen Reklamephrase herausgehoben wurde und indirekt zu einem eindringlichen Solidaritätsappell mit dem Not leidenden heimischen Winzerstand avancierte. Und dieser Appell konnte zudem mit einer umso größeren Resonanz rechnen, als die Weimarer Republik gerade in diesen Monaten ihrer kurzen wirtschaftlichen Blüte zustrebte. Dennoch zeigten sich die Initiatoren selbst nach wie vor peinlich darum bemüht, den amtlichen Charakter der Werbeaktion nach Möglichkeit vor der Öffentlichkeit zu verbergen. „Wenn auch die Weinpropaganda mit öffentlichen Mitteln betrieben wird, so ist doch zu bedenken, dass die Tatsache nach außen hin kaum oder nur wenig bekannt und dass es auch nicht erwünscht ist, diese Tatsache besonders in der Außenwelt zu unterstreichen“, stellte Ministerialrat Breuhan in diesem Zusammenhang ausdrücklich fest (GstA PK I. HA, Rep.  B, Nr. , Bl. ): Überdies könne man damit „auch die Antialkoholiker auf den Plan rufen“. Die Furcht des preußischen Weinbaubeamten vor öffentlicher Kritik sollte sich keinesfalls als gänzlich unbegründet erweisen. „Mit einer in die Millionen gehenden staatlichen Sub-

 Christof Krieger

vention ist unter dem Kampfrufe: ‚Trink[t] deutschen Wein‘ eine sogenannte Weinpropaganda ins Leben gerufen worden“, hieß es tatsächlich in einer augenscheinlich aus Kreisen der Prohibitionisten inspirierten Pressezuschrift (a. a. O., Bl. ): „Man hat dazu eine sehr schöne Geschäftsstelle geschaffen, die allen, die es glauben wollten, erzählte, die Propaganda sollte dem schwerleidenden deutschen Winzerstande dienen. […] Immerhin: theoretisch mögen kleine ideale Gesichtspunkte bei der ganzen Geschichte vorhanden gewesen sein, praktisch ist sie so gut wie erfolglos verpufft; die aus den Taschen der Steuerzahler aufgebrachten Subventionsmillionen sind futsch und die Winzer haben das Nachsehen. Noch mehr! Die Regierung sieht tatenlos zu, wie trotz der eigentlich doch nur von ihr bezahlten ‚Trinkt deutschen Wein‘-Propaganda Monat um Monat stattliche Mengen ausländischen Weins eingeführt werden. So belief sich allein im Januar und Februar d. J. der Einfuhrüberschuss an Wein und Most auf  / Millionen Mark […]. Und das bei einer fortgesetzt sich steigernden passiven Handelsbilanz!“ Obschon die Werbeinitiatoren diese harsche Kritik sogleich entrüstet von sich wiesen, vermochten sie die Behauptung, dass die zur Verfügung gestellte Million an (Wein-)Steuergeldern in einem gewaltigen Propagandafeuerwerk binnen nur weniger Monate sprichwörtlich verpulvert worden war, schwerlich zu leugnen. Allerdings hatte die kurzfristige Verausgabung der hierzu bewilligten Reichsmittel ja durchaus der bewussten Absicht des Reichsausschusses wie insbesondere auch der staatlichen Geldgeber entsprochen. Dass der Geldhahn sofort danach abrupt und endgültig abgedreht werden würde, entsprach indes keineswegs den ursprünglichen Planungen der Organisatoren. „Die dem Ausschuss zur Verfügung gestellten Mittel sind nahezu verausgabt“, hieß es folgerichtig bereits in dem Einladungsschreiben der nächsten Zusammenkunft des Propagandagremiums, dessen Mitglieder am . April  nach Berlin berufen wurden (a. a. O., Bl. ), „um einen Bericht über die Arbeit in den letzten Monaten entgegenzunehmen und gleichzeitig über die etwaige Fortführung der Werbetätigkeit Beschluss zu fassen.“ Die berechtigte Erwartung der Anwesenden, zur Fortsetzung ihres Reklamefeldzuges nunmehr zumindest die anfangs in Aussicht gestellten zusätzlichen . Reichsmark zu erhalten, sollte jedoch umgehend enttäuscht werden, zumal das Reichsernährungsministerium auch alle übrigen öffentlichen Zuwendungen, die zwischenzeitlich für regionale und lokale Weinwerbemaßnahmen verausgabt worden waren, hierbei in Anrechnung gebracht hatte. „Als unwiderruflich letzten Betrag“, wie Ministerialrat Streil im Auftrag des Ernährungsministers ausdrücklich betonte, zeigte man sich behördlicherseits lediglich dazu bereit, „noch einmal die Summe von höchstens . Mark zur Verfügung zu stellen“ (a. a. O., Bl. ) Und mit diesem Geld solle der

„Trinkt deutschen Wein!“ 

Ausschuss nicht allein bis zum . Dezember  „haushalten“, auch für dessen Verwendung habe das Ministerium durchaus konkrete Vorstellungen, so Streil weiter: „Vorzusehen sei dabei die Veranstaltung einer Pressefahrt in die Hauptweingebiete unter Heranziehung von Vertretern der großstädtischen Tageszeitungen und eine Wiederholung der in diesem Frühjahr abgehaltenen Ausstellung ‚Deutscher Rhein – Deutscher Wein‘ in Berlin“. Entsprechend eng war der den Ausschussmitgliedern damit verbliebene Handlungsspielraum: Mit der Entscheidung, die Inseraten-Reklame „nach Abwicklung der laufenden Verbindlichkeiten“ (a. a. O., Bl. ), einzustellen, entledigten sich diese daraufhin umgehend ihres größten Kostenfaktors. Da es allerdings durchaus „unerwünscht wäre, wenn die Weinpropaganda plötzlich abgebrochen werden müsste“, sollten zumindest der Plakataushang in den D-Zügen um weitere drei Monate verlängert, wie auch die Bahnhofsplakatierungen ebenfalls so lange wie möglich fortgesetzt werden. Obschon der Reichsausschuss für Weinpropaganda nach Abwicklung auch dieser letzten Weinwerbemaßnahmen keineswegs offiziell aufgelöst wurde, so waren dessen Werbeaktivitäten damit zum Jahresende faktisch beendet. „Am . d[e]s M[ona]ts wird unter Berücksichtigung der bereits früher eingegangenen, aber noch zu erfüllenden Verpflichtungen ein Kassenbestand von voraussichtlich . Mark noch verfügbar sein“, vermeldete das letzte im preußischen Landwirtschaftsministerium überlieferte Mitgliederrundschreiben der Geschäftsführung vom . Dezember  (a. a. O., Bl. ): Dieser Betrag solle zur „Aufrechterhaltung des Büros in beschränktem Umfang“ für ein weiteres Jahr, für eine zweite Pressefahrt im Frühsommer , für die Unterstützung eines „Zusammenschluss[es] wirtschaftlicher Verbände der verschiedensten Art […], der auf breitester Grundlage den Kampf für den Konsum deutscher Waren […] führen will“, sowie für den vom Reichsernährungsministerium gewünschten Zuschuss für die Neuauflage der Veranstaltung des Berliner Messeamtes verwandt werden. „Mit der Tätigkeit des Reichsausschusses für Weinpropaganda darf jedoch die Propagandatätigkeit für den deutschen Wein keinesfalls ihr Ende erreichen“, wollten sich die Verantwortlichen selbst keineswegs so ohne Weiteres den Realitäten beugen (Der Deutsche Weinbau Nr.  v. ..). „Es wäre eine schwere Unterlassungssünde, wenn die wirksame Propagandawelle, die erzeugt wurde, nicht auch fernerhin in Schwingung gehalten, wenn das für den deutschen Wein erweckte stärkere Interesse nicht dauernd wach gehalten würde“, so lautete etwa der Appell des Generalsekretärs des Deutschen Weinbauverbandes Dr. Karl-Heinrich Fahrnschon, der den Posten eines der beiden Geschäftsführer des Gremiums bekleidet hatte. Der von dem Verbandsfunktionär daraufhin vorgebrachte Verweis auf „eine Reihe von Maßnahmen, die auch ohne große Geldmittel durchgeführt werden können“, er-

 Christof Krieger

wies sich jedoch letztlich als ebenso illusorisch wie die in diesem Zusammenhang noch späterhin von Weinbaupräsident Dr. Karl Müller ausgesprochene Hoffnung, „dass das Reich von Fall zu Fall Mittel für die Weinwerbung bereitstellen werde“ (LHAKo Best. , Nr. ). Während der Reichsausschuss für Weinpropaganda nach dem jähen Versiegen seiner – ja unmittelbar aus der vormaligen Weinsteuer gespeisten – Geldquelle lediglich „auf dem Papier“ fortbestand, blieb das Feld der staatlichen Weinwerbung in Deutschland damit faktisch allein den zwischenzeitlich ins Leben gerufenen regionalen Organisationen, allen voran dem Propagandaverband preußischer Weinbaugebiete, vorbehalten. Letzterer vermochte es, seine – allerdings ungleich bescheidenere – Tätigkeit nicht allein in den wenigen verbleibenden Jahren der Weimarer Republik, sondern selbst über die Etablierung des Dritten Reiches hinaus bis  weitgehend unbehelligt fortzusetzen. Quellen Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA, Repertorium , Abt. B (Staatsministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten; Landwirtschaftsabteilung), Nr. , („Förderung des Weinabsatzes“; –). Landeshauptarchiv Koblenz, Bestand  (Landratsamt Wittlich), Nr.  („Propagandaverband preußischer Weinbaugebiete“; –). Verhandlungen des Reichstages. Stenographische Berichte. Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Bd. ., Berlin .

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 Christof Krieger

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P M

„Volksgemeinschaft“ im Weinglas? Zur Beziehungsgeschichte von Weinbau und Nationalsozialismus in Rheinhessen

Einführung „Das besondere Blut aber in dieser Landschaft, (…), das ist unser Wein.“ Mit diesen wenigen Worten, der Metapher vom Wein als Lebenssaft, brachte Gauleiter Josef Bürckel die Ideologie des Nationalsozialismus und den Mythos Wein zusammen, als er in einem beispiellosen propagandistischen Coup die bis heute für die Pfalz identitätsprägende „Deutsche Weinstraße“ von Schweigen bis Bockenheim im Oktober  eröffnete. Doch wie stand es im benachbarten Rheinhessen jenseits des „schönen Scheins“ vom Wein als Volksgetränk um die Förderung von Weinbau und Weinwirtschaft durch die nationalsozialistischen Machtwalter in den Jahren  bis ? Welche Rolle spielten die in der Weinwirtschaft Tätigen, also insbesondere Winzer und Weinhändler, beim Aufstieg und dem Machtausbau der NSDAP in diesem Landstrich zwischen Rhein und Nahe seit den er Jahren? Wer zählte zu den Gewinnern, wer waren die Verlierer? Und was veränderte sich in den Kriegsjahren? Welche zentralen Zusammenhänge zwischen nationalsozialistischer Ideologie sowie staatlicher Politik auf der einen Seite und dem Wirtschaftssektor Wein sowie den dort tätigen Menschen auf der anderen Seite lassen sich also in dem vom Weinbau so stark geprägten Rheinhessen ausmachen, kurz: wie entwickelte sich die Beziehungsgeschichte von Weinbau und Nationalsozialismus in dieser Region? Zwei Themenkomplexe sollen dabei im Mittelpunkt stehen: – Waren die nationalsozialistische Ideologie und die NSDAP mit ihren Organisationen für den Sektor Weinbau attraktiv, und wenn ja, warum? – Welchen Nutzen zogen bis  die NS-Bewegung und ab  der nationalsozialistische Staat vor allem in den Vorkriegsjahren bis  aus dem

 Pia Nordblom

Wirtschaftssektor Wein? War die Weinwirtschaft an der Formierung der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ beteiligt? Inwieweit machten sich Partei- und Staatsorgane diesen Wirtschaftszweig zunutze? Fand also Volksgemeinschaftsbildung auch über das Weinglas und das Weinfass statt? Wurde Wein, um an den eingangs genannten Ausspruch Josef Bürckels vom Oktober  anzuknüpfen, gewissermaßen zum „Blut der Volksgemeinschaft“? Konstituierte sich die nationalsozialistische Volksgemeinschaft im übertragenen Sinne auch ein Stück weit im Weinglas? Wie relevant die Pfalz und Rheinhessen für die Weinerzeugung im Reich waren, obwohl die beiden Regionen  nur zwei von  (heute ) offiziell ausgewiesenen Anbaugebieten im Reich darstellten, zeigt der Umstand, dass Rheinhessen und die Pfalz  mehr als   der Weinbaufläche im Reich stellten. Insofern kommt den Befunden auch eine entsprechende Aussagekraft für den gesamten Sektor des Weinbaus im Reich bis  zu, als sich mit dem sogenannten Anschluss von Österreich auch die Zahl der Weinbauregionen vergrößerte. Ausgangslagen – Was trieb Winzer der NSDAP zu, was machte die NSDAP für das Weingewerbe interessant? Die Interessenslagen der Weinwirtschaft in Rheinhessen seit den er Jahren vor dem Hintergrund ihrer wirtschaftlichen Situation unterschieden sich nicht wesentlich von denen anderer weinerzeugender Regionen auf dem linken Rheinufer. Insgesamt kann man von einer Dauerklage der Weinproduzenten in den Jahren der Weimarer Republik sprechen. Die eher agrarisch orientierte Provinz Rheinhessen mit den linksrheinischen Kreisen () Mainz, Bingen, Alzey, Oppenheim und Worms zählte  fast . Bewohner. Nahezu   der landwirtschaftlichen Betriebe Rheinhessens betrieben  auch Weinbau, insgesamt zählte die Reichsstatistik in diesem Jahr dort  weinbautreibende Gemeinden. Fast die Hälfte dieser landwirtschaftlichen Betriebe bewirtschaftete weniger als einen Hektar Land, und nur ein Drittel der wohl etwa . Weinbauern bestellten mehr als einen halben Hektar Rebfläche. In den drei Ingelheimer Gemeinden Nieder- und Ober-Ingelheim sowie Frei-Weinheim etwa wurden Anfang der er Jahre von . Landwirten, wenig mehr als   der Bevölkerung, mehr als   der Bodenfläche Ingelheims bestellt. Mischbetriebe, die Landwirtschaft und Weinbau verbanden, waren keine Seltenheit. Kam zu günstigen Bodenverhältnissen und klimatischen Bedingungen noch eine gute Verkehrsstruktur, wie in der reichsweit größten weinbautreibenden Gemeinde Nierstein (), dann stieß man auf zahlreiche Weinhandlungen und Handelsfirmen, so vor allem in Mainz,

„Volksgemeinschaft“ im Weinglas? 

dem Zentralort des rheinhessischen Weinhandels. Diese Unternehmungen sorgten dafür, dass der Wein vom Erzeuger zum Verbraucher gelangte. Doch warum klagten die Weinbauern in den er Jahren? Sie spürten die Folgen des Ersten Weltkrieges sowohl im Hinblick auf die internationale Marktsituation als auch durch den Umstand der militärischen Besatzungsherrschaft. Zusammen mit „hausgemachten“ Schwierigkeiten stellten sie schwierige wirtschaftliche Ausgangslagen dar. Nur stichwortartig sei auf die Zollbestimmungen verwiesen, die die alliierten und assoziierten Siegerstaaten des Ersten Weltkrieges bei der Weineinfuhr nach Deutschland begünstigten, aber deutsche Exporte benachteiligten. Dazu kam die anfängliche Zollfreiheit für Weine aus dem Elsass und Lothringen sowie Importe französischer Weine über den Saarraum, das sogenannte Loch im Westen. Zum Kristallisationspunkt des Unmuts und vielfacher Proteste – nicht zuletzt in Bodenheim im Sommer  – wurde das deutsch-spanische Handelsabkommen vom . Juli , das Spanien vorübergehend die unbegrenzte Einfuhr von Wein zu ermäßigtem Zoll erlaubte (vgl. auch den Beitrag von Christoph Krieger in diesem Band). Die Besatzungsherrschaft auf der linken Rheinseite stellte zunächst eine weitere binnendeutsche Hürde beim Handel über den Rhein dar. Nach einer neuerlichen Zuspitzung im Jahr  durch die Ruhrkrise und die Abtrennungsbestrebungen separatistischer Gruppen entspannte sich zwar das Verhältnis zwischen der Bevölkerung und der Besatzungsmacht, und die deutsch-französischen Beziehungen verbesserten sich in der zweiten Hälfte der er Jahre. Doch die Wirtschaft im Linksrheinischen und damit auch die Weinwirtschaft sahen sich zu Beginn der Erholungsphase wegen der vielfachen Vorbelastungen aus der ersten Hälfte der er Jahre in einer insgesamt schlechteren Ausgangslage als ihre rechtsrheinischen Marktkonkurrenten, die vom faktischen Ausfall der linksrheinischen Mitbewerber der vergangenen Jahre durchaus profitiert hatten. Überdies hatten auch innere Faktoren den Notstand verstärkt, wie z. B. ein sehr geringes Lohnniveau für Landarbeiter. Rückläufige Gewerbesteuereinnahmen und Arbeitslosigkeit in Höhe von fast   im Februar  waren sichtbare Zeichen dieser angespannten Situation. Doch anders als bei den Protesten an der Mosel, wo am . Februar  . Winzer das Finanzamt, die Finanzkasse und das Zollamt in Bernkastel-Kues stürmten, um ihren Protest gegen hohe Steuerbelastungen und drückende ausländische Konkurrenz kundzutun sowie Hilfen einzufordern, entwickelten sich in Rheinhessen die Unzufriedenheit und Not nicht zur „Bauernrevolution“. Die Folgen der Weltagrarkrise von  und der  einsetzenden Weltwirtschaftskrise verstärkten neuerlich die wirtschaftlichen Notlagen, weil der Konsum von besonders hochwertigen Qualitätsweinen, wie sie insbesondere

 Pia Nordblom

in Nierstein und Oppenheim angebaut wurden, zurückging. Der jährliche Weinkonsum in Deutschland betrug  noch , Liter (zum Vergleich:  knapp  Liter), ein knappes Drittel davon entfiel auf Weine aus dem Ausland. Die hohe Verschuldung auch großer Weinbaubetriebe, steuerliche Belastungen durch die Getränkesteuer, unfinanzierbare Personalkosten trotz geringen Lohnniveaus mache die Qualitätsweinbau treibenden Gemeinden Rheinhessens geradezu zum „Notstandsgebiet“, hielt die Bürgermeisterei Oppenheim in einem „Brandbrief“ im April  an das hessische Finanzministerium fest und erbat dringende Hilfe der Landes- und Reichsregierung. Zur Absatzsteigerung beschritten beispielsweise die  gegründeten Winzergenossenschaften von Ober- und Nieder-Ingelheim neue Wege. Im November  eröffnete die Winzergenossenschaft Nieder-Ingelheim ein eigenes Lokal. Sie knüpfte damit an die Popularität ihrer Straußwirtschaft in ihrer Kellerei in den Sommermonaten an. In Frankfurt wurde eigens ein Lokal zum glasweisen Verkauf von Wein aus Nieder-Ingelheim angemietet. Doch derartige kleine Schritte genügten nicht, um die vielfach drängenden Probleme grundsätzlich zu lösen. Diese langjährige hohe Unzufriedenheit der Winzerschaft Rheinhessens angesichts ihrer wirtschaftlichen Lage ging einher mit politischer Mobilisierung. Die Vereinigte Freie Rheinhessische Bauernschaft, eine Art Agrargewerkschaft, war im Februar  als Zusammenschluss verschiedener Gruppierungen gegründet worden und zählte ein gutes Jahr später bereits . Mitglieder. Seit  kooperierte die Vereinigung mit Wählerinitiativen des rechten Parteienspektrums und schloss sich  dem deutsch-nationalen Hessischen Landbund an. Bereits im Frühjahr  hatte der Reichsvertreter in Hessen, Eduard David, berichtet, dass die Verbandsleitung danach trachte, „die besondere Notlage der Winzer zu benutzen, um die Mitgliedschaft in’s rechtsradikale Lager zu führen“. Im Februar kooperierte die Vereinigung  schließlich mit der NSDAP, deren Konkurrenz um die Gunst ihrer bäuerlichen Klientel sie lange gefürchtet und von der sie bereits unterwandert worden war. Wie in anderen ländlichen Regionen im Reich war es also auch in Rheinhessen der NSDAP bis  gelungen, in das vorwiegend protestantische ländliche Agrarmilieu einzudringen. Eine bedeutsame Rolle für die Rekrutierung von Wählern und Mitgliedern der NSDAP spielten lokale Meinungsführer und Eliten, darunter auch Winzer und Händler. Die Erfolge der Partei zeigten sich auch an den Wahlurnen: Bei den Reichstagswahlen am . Juli  erreichte die NSDAP in den mehrheitlich protestantisch geprägten Kreisen Alzey und Oppenheim mehr als die Hälfte aller Wähler (Alzey , ; Oppenheim , ), im katholisch dominierten Kreis Mainz hingegen kaum ein Drittel (, ). Die enge Korrelation von Konfession und Wahlverhalten zeigte sich auch deutlich

„Volksgemeinschaft“ im Weinglas? 

im nördlichen Rheinhessen am Beispiel der Ingelheimer Gemeinden: Lag in Ober- und Nieder-Ingelheim mit protestantischen Bevölkerungsanteilen von mehr als   die Zustimmung zur NSDAP bei ca.  , so belief sie sich im zu   katholisch geprägten Frei-Weinheim auf nur etwas über  . Welchen Stellenwert maß die nationalsozialistische Bewegung dem Wirtschaftssektor Wein bei? Welchen Nutzen zog sie aus ihm? Die nationalsozialistische Ideologie unterschied nicht nennenswert zwischen Winzern und Bauern. Den Bauern wurde eine zentrale Rolle in der nationalsozialistischen Ideologie und Politik zugeschrieben. Das Schlagwort vom „Bauerntum als Blutsquell der Nation“, die Rede von „Blut und Boden“, verbunden mit der Idealvorstellung eines „mittelbäuerlichen Familienbetriebs“, charakterisiert diese ideologische Zuschreibung, und mit dem Bild vom Wein als „Blut“ spielte auch der pfälzische Gauleiter Josef Bürckel. Auf der politischen Ebene kam dem Bauernstand die Aufgabe zu, die wirtschaftlichen und expansiven Ziele des nationalsozialistischen Herrschaftsapparats zu unterstützen: So sollte durch Produktionssteigerung Autarkie erreicht werden, um im Kriegsfall die eigene Bevölkerung ausreichend ernähren zu können. Die Devisen, die man durch die somit überflüssig gewordenen landwirtschaftlichen Importe einzusparen gedachte, sollten für die Rüstungsindustrie eingesetzt werden. In seiner programmatischen Reichstagsrede am . März  verkündete Reichskanzler Adolf Hitler „die Rettung des deutschen Bauern“ als vorrangiges Regierungsziel. Doch Schritt um Schritt trat die Ideologie hinter die politischen Zielsetzungen zurück. Mit der Gründung des Reichsnährstandes am . September  wurden alle an der Produktion und dem Vertrieb landwirtschaftlicher Erzeugnisse Beteiligten in einem „ernährungswirtschaftlichen Zwangskartell“ zusammengefasst. Die bislang in großer Vielzahl bestehenden landwirtschaftlichen Organisationen wurden aufgelöst, wie beispielsweise der Deutsche Weinbauverband, bzw. sie wurden dem Reichsnährstand ein- oder – wie der  gegründete Verband deutscher Naturweinversteigerer (VDNV) seiner international besonders hochwertigen Weine wegen (lediglich) – angegliedert. Mit dem Reichsnährstand hatten die Nationalsozialisten ein wichtiges Lenkungsinstrument der Ernährungswirtschaft unter Leitung von Richard Walther Darré geschaffen. Auf der administrativen Ebene gewann der Reichsnährstand in Rheinhessen durch die Landes-, Kreis- und Ortsbauernführer ein persönliches Gesicht. Die Ortsbauernführer sollten der Bevölkerung die agrarpolitischen Maßnahmen vermitteln. Als Druckmittel wurden unwilligen Bauern Zuschüsse, Rohstoffe, Arbeitsmittel und Arbeitskräfte gestrichen.

 Pia Nordblom

Das vormalige Organ des Deutschen Weinbauverbandes erschien fortan als Zentralorgan für den Weinbau im Reichsnährstand in einem vom Landesbauernführer Hessen-Nassau kontrollierten Verlag. Der Diplom-Landwirt Robert Dünges, seit  Mitglied der NSDAP, war nun für die Schriftleitung von „Der deutsche Weinbau“ zuständig. Ungeachtet dieser vormaligen Funktion im NS-Staat übernahm er  die Geschäftsführung des rheinhessischen Weinbauverbandes. Weitere Lenkungsmaßnahmen folgten der Errichtung des Reichsnährstandes. Besonders markant war die Zuordnung von Weinbaugemeinden zu je einem Anbaugebiet im September , die die Herkunft der Weine deutlich machte. Im Hinblick auf den Weinvertrieb ist vor allem die Marktordnung der Landwirtschaft bedeutsam, die den freien Handel zugunsten eines Festpreissystems zurückzudrängen versuchte, sowie die Eingliederung der Land- in die Kriegswirtschaft im Zuge des Vierjahresplanes ab . Selbst die Sprache der Landwirtschaft wurde in den Dienst des Krieges gestellt, wenn von der „Erzeugungsschlacht“ oder der „Arbeitsschlacht“ der Bauern die Rede war.. Der Reichsbauernführer und Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft Walther Darré (Frühjahr  bis ) zeigte indessen kein erkennbar gesteigertes persönliches Interesse am Weinbau. Dass Hitler als Abstinenzler galt, wenngleich sich in seinem Adlerhorst in Berchtesgaden nach Kriegsende ein riesiger Weinkeller fand, förderte die Sache der Winzer ebensowenig. Ging es also auf der Ebene des Reiches darum, die Partikularinteressen des Weingewerbes gesamtwirtschaftlichen Erwägungen nationalsozialistischer Reichspolitik unterzuordnen, so waren es vor allem die Gauleiter und Parteiwalter, die zum Zweck der Herrschaftssicherung daran interessiert sein mussten, die Bedürfnisse der Weinwirtschaft zu befriedigen. Dass sie hierbei durchaus in Konkurrenz miteinander traten und die Belange der Winzer ihres eigenen Sprengels nutzten, um ihre persönliche politische Position im polykratischen Herrschaftssystem auszubauen, zeigte sich dabei sehr deutlich. Der Gauleiter von Hessen-Nassau, Jakob Sprenger, der einer Bauernfamilie mit Weinbau-Mischbetrieb entstammte, setzte sich im Herbst  letztlich erfolgreich für die Preisbegrenzung beim Verkauf von Sekt in Gaststätten und die Abschaffung der Schaumweinsteuer ein, um die Sektindustrie seines Gaus, zu dem auch Rheinhessen gehörte, zu stützen. Sprengers Erfolge zu Gunsten auch der rheinhessischen Sekthersteller währten indessen nur vorübergehend, denn als die Regierung in der Reichskriegsverordnung vom . September  der Bevölkerung vielfache Kriegszuschläge auferlegte, wurden auch Schaumweine und ähnliche Getränke mit einer Kriegssteuer von einer Reichsmark belegt, und die Steuer für Weingeist zur Herstellung von Branntweinerzeugnissen wurde erhöht.

„Volksgemeinschaft“ im Weinglas? 

„Saufen für den Führer“: Wie innovativ waren die nationalsozialistischen Amtswalter in Partei und Staat bei der Förderung des Weinsektors? Zunächst hielt das Hessische Staatsministerium im Herbst , als die Ernte in diesem Jahr sehr schlecht ausfiel, an den eingefahrenen Mustern der klassischen Wirtschaftsbeihilfe durch einige Teilsteuerbefreiungen fest. Die Jahre  und  bescherten den Winzern dann sensationell gute Ernten. Hatten sie  in Rheinhessen pro Hektar  Hektoliter eingefahren, so waren es  fast  und im Folgejahr . Im Sommer  entstand daher die Idee, wegen der noch vollen Keller und der sich abzeichnenden Ausnahmeernte reichsweit im Oktober ein „Fest der Deutschen Traube und des Weines“ abzuhalten. Eine Woche lang sollten in den Städten des Reiches Weine aus Patengemeinden konsumiert werden. Folkloristische Vergnügungen und Delegationsbesuche ergänzten das Programm. Die Preise waren günstig zu halten, um Wein den Nimbus des Luxusgetränks zu nehmen: „Deutscher Wein als Volksgetränk“ – das war die Parole dieser Aktion. Die Nieder-Ingelheimer beispielsweise schmückten aus diesem Anlass ihren Weinausschank in Frankfurt. Der Publikumszuspruch war so groß, dass sie Wein nachliefern mussten. Freilich: Die Moselaner, aber auch die Pfälzer und die Winzer an Saar und Ruwer seien  derart forsch vorgegangen und hätten sich ihre Wunschpartnerstädte – nämlich Großstädte – flink in Eigeninitiative ausgesucht, so dass sich, wie der Bürgermeister von Oppenheim, Dr. Heinz Scheller, im Herbst  klagte, seine Gemeinde und Rheinhessen insgesamt in diesem Wettbewerb von Berlin hintergangen wähnten. Diese Klagen waren durchaus berechtigt, wenn man bedenkt, dass das südpfälzische Landau und seine Nachbargemeinde Godramstein die einwohnerstarken Metropolen Berlin und München als Patenstädte gewonnen hatten. Ober-Ingelheim wurde zunächst Gleiwitz und Cottbus,  dann auch Apolda, Erlangen, Hersfeld, Dessau, Rheinhausen und Herford zugeteilt; Nieder-Ingelheim erhielt im selben Jahr als Paten die Städte Finow, Eberswalde, Waldenburg, Mönchen-Gladbach und Oldenburg. Wie drängend zusätzlicher Weinabsatz war, zeigt der Umstand, dass alleine in Nierstein am . September , also kurz vor der neuen Ernte, noch fast , Millionen Liter Wein in den Kellern gelagert hatten – die in der Weinwerbewoche abgesetzten . Liter waren zwar auf den ersten Blick beachtlich, aber angesichts der Lagermenge kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Im Folgejahr wurde die Aktion reichsweit wiederholt. Letztlich führte der Staat den  wenig erfolgreichen Versuch des Reichsausschusses für Weinpropaganda zu einer Konsumsteigerung unter dem Motto „Trinkt deutschen Wein!“ fort und versuchte, einen höheren Be-

 Pia Nordblom

darf zu wecken. Tatsächlich umging er mit dieser Symbolpolitik eine staatliche Subvention oder eine substanzielle Strukturhilfe für die Winzer. Das „Saufen für den Führer“, wie die Aktion im Volksmund hieß, verfolgte ein doppeltes Ziel: Zum einen wurde sie als Solidaritätsaktion „für den letzten Volksgenossen in der Westmark“ und den schwer um seinen Lohn ringenden Winzer propagiert, zum anderen sollte damit der Gegensatz von Stadt und Land verschmolzen und durch den Genuss von Wein unabhängig vom Einkommen die Volksgemeinschaft gefestigt werden. Mit der Ausrufung von Wein als Volksgetränk hatte die nationalsozialistische Regierung das Kulturgut Wein seiner sozialen Distinktionskraft beraubt und zum Massenkonsumartikel einer mit den leidklagenden Winzern solidarischen Volksgemeinschaft umfunktioniert, ohne dass dies den Staat – wie z. B. beim Genussmittel Kaffee – Devisen kostete. Der Konsumentenkreis war ausgeweitet worden, Klagen der Winzer schien durch öffentliche Zuwendung und einer von den Verbrauchern letztlich selbst finanzierten Unterstützung abgeholfen worden zu sein. In ähnlicher Weise wirkte auch die Begründung einer Vielzahl von zum Teil bis heute begangenen Weinfesten, wie z. B. in Worms, Alzey, Nierstein oder Bingen, sowie die Anlockung von „Kraft-durch Freude“-Urlaubern an

Abb. 1: Internationaler Weinbaukongress Bad Kreuznach (Programmheft), 21. bis 30. August 1939, hg. v. Internationaler Weinbaukongress Bad Kreuznach in Verbindung mit der Zeitschrift „Der deutsche Weinbau“ Mainz, [Berlin] 1939.

„Volksgemeinschaft“ im Weinglas? 

den Rhein um Bingen im Schulterschluss von Hotelgewerbe, Gastronomie und Winzern. Seit Herbst  veranstaltete die NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ (KdF) beispielsweise auch in Ingelheim „Rheinische Abende“, bei denen der Wein gleichfalls in Strömen fließen sollte. In Ober-Ingelheim wurde im Oktober  eine Woche vor dem Erntedankfest das „Rotweinlesefest“ eingeführt. Es verband Absatzförderung, Festkultur mit politischer Instrumentalisierung und „kaperte“ gleichsam das christlich ausgerichtete Erntedankfest. Derartige Aktionen markierten den Aufmerksamkeitshöhepunkt in der Weinpolitik des nationalsozialistischen Regimes gegenüber der eigenen Bevölkerung. Im internationalen Rahmen fiel mit dem Internationalen Weinbaukongress in Bad Kreuznach Ende August , kurz vor Kriegsbeginn, ein letzter Glanz auf das besonders enge Zusammenwirken von Wissenschaft und Weinbau in Deutschland. Volksgemeinschaft für alle? Die nationalsozialistische Ideologie einer Volksgemeinschaft basierte auf den Prinzipien von Inklusion und Exklusion. Dies galt auch für den Weinsektor. So waren beispielsweise Juden beim Fest der deutschen Traube und des Weines im Juni  von der Mitwirkung als Weinerzeuger oder Händler oder in weiteren Funktionen ausgeschlossen. Eine besondere Rolle kam indessen dem Weinhandel zu, den die nationalsozialistische Bewegung besonders mit Juden in Verbindung brachte. Der damalige Weinhandel gliederte sich in einen Zweig, der in der Anbauregion selbst Trauben, Maische, Most und Wein von den Winzern sammelte und verarbeitete, und in einen zweiten Zweig, der diese Erzeugnisse zumeist als Fasswein in Großmengen übernahm, für die Abfüllung und Verteilung sorgte und diesen Handel meist von Städten aus betrieb. Wie hoch der Anteil von Juden im Weinhandel tatsächlich war, lässt sich nicht exakt feststellen, sondern nur punktuell erschließen. Daniel Deckers beziffert den Anteil des von Juden gehandelten Weins für das Jahr  beim Absatz im Inland auf   und taxiert ihn für den Auslandshandel noch höher. Für die  Weinhandlungen, die die Stadt Mainz  zählte, schätzt Julia Kreuzburg den Anteil der jüdischen Besitzer auf etwa ein Drittel. Insgesamt sollte man sich davor hüten, die gelegentlich kolportierte nationalsozialistische Argumentationsfigur, wonach der Weinhandel ein ausschließlich von Juden besetztes Gewerbe gewesen sei, ungeprüft zu tradieren. Hier schwangen ideologisch begründete antisemitische Vorurteile gegen den freien Handel mit. Die gegen Juden und jüdische Gewerbetreibende gerichteten Maßnahmen der nationalsozialistischen Herrschaftsjahre erstreckten sich in vollem Umfang auch auf die im Weinsektor tätigen Juden in Rheinhessen. Mit

 Pia Nordblom

Abb. 2: Antisemitischer Motivwagen beim Mainzer Rosenmontagszug 1936

Mitteln der Diskriminierung, Schikanierung und Kriminalisierung wurde eine Kluft zur „arischen“ Volksgemeinschaft konstruiert, die die „Arisierung“ der Unternehmen im Weinsektor und die Verdrängung der jüdischen Inhaber öffentlichkeitswirksam unterstützte. Besonders markant brachte diese Absicht beispielsweise ein Motivwagen beim Mainzer Rosenmontagsumzug  zum Ausdruck. Unter dem Motto „Han mer auch gemacht Eintopf!“ wurde das nationalsozialistische antisemitische Stereotyp von Juden als betrügerischen Weinhändlern, die sich unrechtmäßige Handelsvorteile durch Weinpanscherei verschafften, massenwirksam transportiert und auf angebliche Missstände bei jüdischen Weinhändlern in Mainz angespielt. Auch das antisemitische Wochenblatt „Der Stürmer“, herausgegeben von Julius Streicher in Nürnberg, thematisierte den Topos des Weinbetrugs in Mainz in mehreren großaufgemachten Beiträgen. Stellvertretend für das Schicksal jüdischer Weinhändler in Rheinhessen sei an Moritz Mayer erinnert. Er hatte in Alsfeld in den er Jahren als maßgeblicher Sponsor den Bau der örtlichen Turnhalle ermöglicht und konnte sein Geschäft bis Oktober  fortführen; auch Parteimitglieder zählten zu seinen Kunden. Nach einer Odyssee, beginnend in der Reichspogromnacht am . November , verloren sich seine Spuren im Spätsom-

„Volksgemeinschaft“ im Weinglas? 

mer . Vermutlich zählte er ebenso wie seine Ehefrau Irma zu den vielen Opfern des Vernichtungslagers Belzec. Für die Ingelheimer Gemeinden seien die jüdischen Weinhändler Ferdinand Oppenheimer und Karl Neumann genannt. Für Mainz sei beispielhaft auf die Inhaber der Weingroßhandelsfirmen, H. Sichel Söhne und S. Heymann Söhne sowie auf die Weinhandlung Blum und die Sektkellerei Eugen Schönberger verwiesen. Unter entwürdigenden Umständen wurden sie aus ihren bisherigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wirkungskreisen gedrängt. Ihnen und anderen jüdischen Familien im Weingewerbe Rheinhessens und in benachbarten Weinanbaugebieten waren nach vielen Etappen der Ausgrenzung aus dem öffentlichen und Geschäftsleben spätestens im Gefolge der Reichspogromnacht die Erwerbs- und Existenzgrundlagen entzogen. Vormalige Prominenz und wirtschaftliche Potenz konnten diesen Prozess höchstens verzögern, nicht jedoch verhindern. Die jüdischen Unternehmerfamilien gingen einer gänzlich ungewissen Zukunft entgegen, die mindestens gravierende oder vollständige Vermögensverluste bedeutete, manche in Flucht und Emigration führte, nicht wenige zu Mordopfern in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern machte und andere in den Selbstmord trieb. Von ihrer Austreibung profitierte die „arische“ Konkurrenz. Betriebe und Weinberge wechselten zumeist unter deutlichem Wertverlust unter dem legalistischen Schein der „Arisierung“ die Besitzer. Die Erlöse wurden zunehmend durch neue Steuern und finanzielle Auflagen für Juden so gemindert, dass man geradezu von einer Ausraubung sprechen muss. In etlichen Fällen hatte dieser Besitztransfer auch über den Systemwechsel von  hinaus Bestand. Aus einigen der im Zusammenhang mit Rückerstattungsfragen überlieferten Akten der Nachkriegsjahre lassen sich unterschwellige oder gar offene antisemitische Attitüden mancher vormaliger Arisierungsgewinner herauslesen. Bedarfsdeckung im Krieg Mit Kriegsbeginn veränderten sich die Rahmenbedingungen für den Weinbau auch in Rheinhessen. Die Winzer Rheinhessens standen vor katastrophal schlechten Ernten, nachdem in den ersten beiden Kriegsjahren zwei sogenannte Polarwinter den Weinbergen schwer zugesetzt hatten und diese zu einem erheblichen Teil neu angelegt werden mussten. Dazu kamen weitere ungünstige Umstände: Den mit fortschreitender Kriegsdauer immer gravierender werdenden Arbeitskräftemangel durch den Ausfall militärverpflichteter Winzer und Fachkräfte suchte man durch oft ungelernte Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter auszugleichen. Die Beschaffung von Betriebsmitteln, wie beispielsweise Dünger oder Spritzmittel, gestaltete sich immer schwieriger, weil viele Bestandsstoffe für wehrwirtschaftliche Zwecke benö-

 Pia Nordblom

tigt wurden. Ein Referent bei einer Weinbautagung in Oppenheim empfahl angesichts der Mangelsituation bei Düngemitteln seinen Zuhörern schon : „Nach wie vor bleibt daher der Komposthaufen die Sparbüchse des Bauern und Winzers.“ Die Parole „Leergut ist Volksgut“ forderte im Zuge des „totale[n] Krieg[es]“ zum sorgsamen Umgang mit Fässern, Leergut und Korken auf, um ihre Wiederverwendung zu ermöglichen. Stoffe, die bei der Weinherstellung anfielen, mussten Importe, wie z. B. Weinstein oder Weinhefe, ersetzen, und die Weinberge wurden zeitweilig für Zwischenkulturen (Gemüseanbau) genutzt.

Abb. 3: „Diejenigen, die heute die Winzerdörfer mit Korbflaschen besuchen, um unkontrollierbare Weinmengen vom Markt zu nehmen, wollen wir mit aller Bestimmtheit auf unsere kriegsverpflichtete Aufgabe hinweisen und wieder mit leeren Flaschen heimschicken. Wenn eben freundliche Worte nichts nützen sollten, schlage man ihnen die Türe vor der Nase zu.“

„Volksgemeinschaft“ im Weinglas? 

Auch wenn die kriegsbedingten Beschränkungen und Schäden nicht von der Hand zu weisen sind, so stand in den Kriegsjahren nicht die Ausdehnung der Produktion im Mittelpunkt der nationalsozialistischen Weinbaupolitik, sondern man bemühte sich um Deckung des Bedarfs und nutzte hierfür auch Weine aus Erzeugerregionen eroberter und besetzter Gebiete. Die Verteilung der Weinerzeugnisse wurde stark gelenkt, dabei wurden die Preise reglementiert. Gegen Kriegsende, im Januar , war in der Zeitschrift „Der deutsche Weinbau“ in Anknüpfung an die Idee der „Volksgemeinschaft“ zu lesen, dass jetzt die im Weinfach Tätigen „eine Dankespflicht gegenüber den anderen Volksgenossen“ abstatten müssten, die in Notzeiten durch Patenschaftsaktionen dazu beigetragen hätten, den Wein volkstümlich zu machen. Es gehe jetzt nicht darum, „wenigen viel, sondern vielen wenig“ zu bringen. Insgesamt stand in den Kriegsjahren nicht die Bedürfnisbefriedigung der Zivilbevölkerung an Weinerzeugnissen im Mittelpunkt, sondern der Bedarf der Wehrmacht. Sie wurde zum geradezu unersättlichen Kunden. In der Folge wurden die Winzer  zunächst zur Abgabe nahezu der ganzen und ab August dann der vollständigen Ernte verpflichtet. Viele handelten sich den Vorwurf ein, entgegen dieser Auflage Wein zurückzuhalten. Bilanz Das Beziehungsgefüge zwischen den Ausprägungen der nationalsozialistischen Ideenwelt und Politik in Rheinhessen und dem Weingewerbe seit den er Jahren soll abschließend in fünf Punkten bilanziert werden: .

Die großen Hoffnungen, die viele rheinhessische Winzer in ökonomisch schwieriger Ausgangslage der NSDAP und der nationalsozialistischen Regierung entgegengebracht hatten, erfüllten sich in den Jahren  bis  in der Summe nur teilweise. Auf Reichsebene wurde der Weinbau stets politischen Zweckerwägungen untergeordnet. Dass mit einer außergewöhnlich intensiven Propagandaaktion in den Vorkriegsjahren der Weinbau, dessen räumlicher Schwerpunkt an der ideologisch aufgeladenen Westgrenze lag, zeitweilig durch Patenschaftsaktionen und besondere Festivitäten in bis dahin beispielloser Weise in den Mittelpunkt des ganzen Reichs rückte, fügt sich in diesen Befund ein. Faktisch, das zeigen die Zahlen deutlich, haben die rheinhessischen Winzer eher symbolisch von dieser Aktion profitiert. Gleichwohl verbreitete sich damit unter ihnen das Gefühl, Beachtung bei dieser Regierung zu finden und geschätzter Teil der Volksgemeinschaft zu sein. Eine dem Ausmaß der Weinpatenschaften vergleichbare

 Pia Nordblom

steuerliche Begünstigung oder Strukturförderung des Weinbaus durch die Regierung lässt sich hingegen nicht feststellen. . In der Rivalität der Weinbauregionen im Linksrheinischen und im Machtkampf der jeweiligen Gauleiter waren die rheinhessischen Winzer gegenüber denen an der Mosel und der Pfalz eindeutig Verlierer. Dem Vorpreschen der Moselaner  bei der Verteilung der Weinpatenschaften oder Gauleiter Josef Bürckels eingangs genannter Errichtung der „Deutschen Weinstraße“ im Herbst desselben Jahr setzte man in Rheinhessen nichts Vergleichbares entgegen. Wenn man bedenkt, wie sehr Bürckel mit diesem Schritt die Identität der Pfälzer weit über die Zeit des Nationalsozialismus hinaus befestigt hat, dann fällt diese langwirkende Lücke in Rheinhessen umso mehr auf. Dass Bürckel den Anspruch erhob, für die Pfalz eine deutschlandweite Weinstraße zu etablieren, dass er damit das Narrativ der Zeitgenossen auf seine Person lenkte und sich als charismatischer, fürsorglicher und „guter“ Nazi inszenierte, war ein beispielloser strategischer Zug. Damit schloss er an seinen vorherigen Erfolg bei der Saarabstimmung am . Januar  an und prädestinierte sich für weitere verantwortliche Aufgaben, z. B. im Zusammenhang mit dem sogenannten Anschluss Österreichs  oder mit der de facto Annexion Lothringens . In der Langzeitperspektive ließ der Erfolg des Weinstraßenkonzepts dessen Urheberschaft unkenntlich werden. Selbst heute, wo sich  der . Geburtstag der Weinstraße und  der . Jahrestag der Errichtung des Deutschen Weintors in Schweigen gejährt haben, findet sich bislang an keiner Stelle der Weinstraße oder des Weintors ein irgendwie gearteter Hinweis auf die historische Genese dieser Einrichtung. . Juden im Weingeschäft wurden sukzessive ihrer beruflichen Erwerbsgrundlagen und gesellschaftlichen Verankerung beraubt. Während man ihre Geschäftstätigkeit insbesondere im Exportgeschäft des Weingroßhandels als Devisengeber in den ersten Jahren nach  noch (aus-) nutzte, wurden ihre Unternehmen in mehreren Stufen „arisiert“ und die Inhaber – sofern sie nicht emigrieren konnten – nach der Reichspogromnacht massiv verfolgt und viele von ihnen ermordet. . Seit Sommer  kämpften die rheinhessischen Weinbaubetriebe zunehmend auch mit vielen kriegsbedingten Beeinträchtigungen und einer stark gelenkten Marktordnung, doch waren ihre Erzeugnisse durch den hohen Bedarf der Wehrmacht nachgefragt, auch wenn strenge Preisauflagen die Einkünfte begrenzten. Dem Ziel der Bedarfsweckung innerhalb der Zivilgesellschaft in den Vorkriegsjahren stand das Ziel der Bedarfsdeckung für die Zwecke des Militärs in den Kriegsjahren gegenüber. Beide Ziele hatten keinen Eigenwert, sondern waren dem Primat von Politik

„Volksgemeinschaft“ im Weinglas? 

und Krieg untergeordnet und unter dem propagandistischen Etikett der „Volksgemeinschaft“ zusammengefügt. . Insgesamt sind in ökonomischer Hinsicht die Jahre der NS-Herrschaft nicht zuletzt für die rheinhessischen Weinbauern keine durchweg rosigen Jahre gewesen. In politischer Hinsicht haben sich viele Winzer früh dem Nationalsozialismus angenähert und wurden unbestrittener Teil der Volksgemeinschaft. Die moralische Dimension der Verdrängung jüdischer Marktmitbewerber, insbesondere im Handel, ihre völlige, bis zur Vernichtung reichende Ausgrenzung aus der Gesellschaft zeichnet – nicht nur – die rheinhessische Geschichte des Weingewerbes in der nationalsozialistischen Zeit aus. Unveröffentlichte Quellen Landesarchiv Speyer LA Speyer U ,  N;  N

Veröffentlichte Quellen Bürckel zur Eröffnung der Weinstraße , „Kampf und Volk – Wein und Wahrheit“, NSZ Rheinfront, Nr. , .. Der deutsche Weinbau, Jg. – (–). Internationaler Weinbaukongress Bad Kreuznach (Hrsg.): Internationaler Weinbaukongress Bad Kreuznach, . bis . August  [Programmheft], [Berlin] []. K,  P. (Bearb.): Die Berichte Eduard Davids als Reichsvertreter in Hessen – (Geschichtliche Landeskunde; Bd. VI), Wiesbaden . Reichsnährstand (Hg.): Richtlinien für das „Fest der deutschen Traube und des deutschen Weins“. .–. September , Teil –, Berlin o. J. , P M. .: The Secrets of My Life. Vintner, Prisoner, Soldier, Spy, Bloomington . Statistikportal de.statista.com (URL: https://de.statista.com/statistik/daten/ studie//umfrage/pro-kopf-konsum-von-wein-in-deutschland/) [Aufruf am ..].

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 Pia Nordblom

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Um jener geheimen Schönheit willen Carl Zuckmayer, Carl Gunderloch und die Weinberge von Nackenheim

E

s war Sonntag, der letzte vor dem Weihnachtsfest des Jahres . Mehr als zwei Jahre waren vergangen, seit die Inflation gebannt und die Rentenmark eingeführt wurden, gut zwei Monate seit der Konferenz von Locarno, auf der die Weimarer Republik wieder in den Kreis der zivilisierten Nationen aufgenommen worden war. Ob die bitteren Nachkriegsjahre wohl vorbei waren? „Deutsch-Französische Einigung“ lautete die Schlagzeile der in Berlin erscheinenden Vossischen Zeitung, der Leitartikler haderte mit der Sozialdemokratie, weil die sich einer Regierungsbildung verweigerte, im Innenteil wurde über die exorbitanten Preise für Weihnachtsbäume geklagt, und eine anzeigensatte Sonderbeilage unter dem Titel „Die Festtafel“ steigerte die Vorfreude auf die kommenden Tage. Noch war es nicht so weit. „Das Unterhaltungsblatt“, das der Sonntag-Ausgabe beilag, entführte den Leser unvermittelt in die „Weinberge von Nackenheim“. In farbiger, von unmittelbarer Anschauung gesättigter Sprache ließ da einer das Leben in einem kleinen, vom Weinbau geprägten Dorf am Rhein erstehen: „Nirgends ist so viel Rot in wechselnder Schicht durch die Landschaft gesprengt“, hieß es über die unverwechselbare Färbung jenes südlich von Mainz gelegenen Hangs, an dessen Fuß sich das kleine Dorf duckt, „… der matte Ton dünner Rohrpfeifen, das Grell zerbröckelnder Ziegel, das verwaschene Karmin gewittriger Abendhimmel, der rostige Brand

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Eine kürzere, mit Illustrationen versehene Version dieses Beitrags erschien in: Fine. Das Weinmagazin, Heft 4/2015, 138–144. Mein besonderer Dank gilt Frau Agnes Hasselbach, die mir neben vielen anderen Unterlagen aus dem Weingut Gunderloch auch die Korrespondenz zwischen ihren Eltern und Carl Zuckmayer zur Kenntnis brachte.

 Daniel Deckers

alter Radreifen auf regenweichen Fahrstraßen und die volle, gesättigte Röte von den Brustfedern des Buchfinks …“. Nicht alles war in das milde Licht romantischer Landschaftsbeschreibung getaucht. Ein kurzer Vorspann ließ den Leser wissen, dass es sich bei diesem kleinen Feuilleton um eine Art Ouvertüre handele. Ein Theaterstück namens „Der fröhliche Weinberg“ stehe vor seiner Uraufführung, vorab schildere der Dichter „Luft und Landschaft, aus der seine Komödie erwachsen ist“: Die Nackenheimer sprachen Mundart („Die Stenze sin dies Jahr langsam“), bei der Kirmes kamen alle elementaren Bedürfnisse zu ihrem Recht („… der Hof ohne Scheu benutzt, wenn die Natur sich regt, Stuhlbein und Weinbuttel, wenn der Mut schwillt, und die Scheuer, die Laube, der Stall, wenn die Liebe kein Maß kennt“), und der Tod war Teil des Lebens von Beginn an. Eines Morgens hing „die alte Bärb am Fenster …, und die Kinder standen blaß mit offenen Mäulern am Zaun und streckten die Zunge heraus wie der Leichnam da droben“. Der Verfasser war dem Berliner Publikum nicht unbekannt. Nach einer turbulenten Jugend in Mainz und vier Jahren als blutjunger Offizier an der Westfront hatte es den gebürtigen Nackenheimer Carl Zuckmayer über die Universitäten Frankfurt und Heidelberg sowie erste dramaturgische Gehversuche in Kiel und München nach Berlin verschlagen. Über das jüngste, erst im Frühjahr  auf die „Junge Bühne“ des Deutschen Theaters gebrachte Drama namens „Pankraz erwacht oder Die Hinterwäldler“ hatte die Kritik, anders als bei seinen früheren Stücken, nicht mehr rundheraus ablehnend reagiert: „Carl Zuckmayer gehört zu jenem Häuflein Pioniere, denen es von 2 3 4

Carl Zuckmayer: Die Weinberge von Nackenheim. In: Vossische Zeitung, 20. Dezember 1925, S. 11. Ebd. Zuckmayer hat in verschiedenen Phasen seines Lebens autobiographische Werke vorgelegt. 1930 erschien eine „Autobiographische Skizze“, die sein Leben mit den Worten intonierte: „Der Fluß war zugefroren, die Hebamme war besoffen, der Arzt war nicht da. Aber es ging alles rasch und gut.“ (Zitiert nach H. Kieser, Hg.: Carl Zuckmayer. Materialien zu Leben und Werk, Frankfurt 1986, S. 29) Kurz nach seiner Flucht aus Österreich erschien 1938 im Verlag Bermann-Fischer (Stockholm)„Pro Domo“. Im amerikanischen Exil veröffentliche Zuckmayer „Second Wind“ (With an introduction by D. Thompson. Translated by E. R. Hapgood, London u. a. (Harrap) 1941). 1966 erschien bei S. Fischer in Frankfurt a. M. „Als wär’s ein Stück von mir. Horen der Freundschaft.“ Aus der umfangreichen Literatur seien nur herausgehoben der von Gunter Nickel und Ulrike Weiß erstellte Ausstellungskatalog „Carl Zuckmayer 1896– 1977 „Ich wollte nur Theater machen“, Marbach/Mainz 1996 (Marbacher Katalog 49) und Jochen Becker: Carl Zuckmayer und seine Heimaten. Ein biographischer Essay, Mainz 1984. Dort auch weitere Literatur. Des weiteren sei verwiesen auf das mittlerweile eingestellte „Zuckmayer-Jahrbuch“ sowie die inzwischen wieder erscheinenden „Blätter der Carl Zuckmayer Gesellschaft e. V. Mainz“.

Um jener geheimen Schönheit willen 

der Natur bestimmt scheint, Material, Brücke, Füllsel zu sein für den Graben, der heute und morgen trennt“, hieß es in einer Besprechung. Der Rezensent sollte Recht behalten. Schon das kleine, vorweihnachtliche Sonntags-Feuilleton atmete einen neuen Geist. Nichts mehr von dem übersteigerten Expressionismus der frühen Dramen und der ersten lyrischen Versuche, stattdessen Farben und Töne, Charaktere und Stimmen, die dem wirklichen Leben buchstäblich abgelauscht waren. Doch wie würde das verwöhnte Berliner Theaterpublikum die Kehrtwende namens „Der Fröhliche Weinberg“ aufnehmen? An Vorschusslorbeer fehlte es nicht. Paul Fechter, der einflussreiche Theaterkritiker der Deutschen Allgemeinen Zeitung, hatte dem Stück nach Durchsicht aller Einsendungen noch vor der Uraufführung den Kleist-Preis des Jahres  zuerkannt, seinerzeit die renommierteste Auszeichnung für ein Bühnenwerk. Nun stürzte sich das Ensemble des Theaters am Schiffbauerdamm mit Haut und Haar in das Abenteuer, anstelle eines weiteren expressionistischen Dramas einen bodenständig-prallen Schwank auf die Bühne zu bringen. Das Premierenpublikum, das sich am . Dezember  einfand, ließ sich nicht lange bitten. „It was an orgy. It was orgy of sunshine, harvest, love, lewdness, tenderness, satire and gargantuan mirth“, hielt Dorothy Thompson, die Korrespondentin der New Yorker Evening Post, Jahre später im Vorwort zu „Second Wind“ fest. Dass die Amerikanerin große Teile des Textes nicht verstand, weil das Stück durchweg in Mundart verfasst war und sich manches rheinhessische Wort aus dem Mund Berliner Schauspieler doppelt komisch anhörte, tat nichts zu Sache. Lachsalven, Begeisterungsstürme, rauschender Beifall. Als Zuckmayer auf die Bühne trat, um die Ovationen entgegenzunehmen, war die Flasche leer, die die Schauspieler ihm geschenkt hatten: Ein Nackenheimer des grandiosen Jahrgangs . „Beifallsstürme vom Parkett bis zu den Rängen, von den Rängen bis ins Parkett wieder hinunter – so einig sah man das Publikum bei keinem französischen Schwank, bei keinem amerikanischen Melodrama“, resümierte der Theaterkritiker Herbert Ihering am . Dezember  im Berliner Börsen-Courier. In der Vossischen Zeitung hieß es am selben Tag: „Gestern hat sich im Theater etwas Wichtiges ereignet: der erste starke Publikumserfolg 5 6 7 8

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Vgl. Zuckmayer, Ich wollte nur Theater machen (Anm. 4), S. 83. Ebd. S. 94. Second Wind (Anm. 4), S. 6. So die Schilderung in „Als wär’s ein Stück von mir“ (Anm. 4, S. 480). In „Second Wind“ (Anm. 4, S. 204) hatte Zuckmayer formuliert: „During the final act I stood once more in the wings and, without realizing it, I drank a whole bottle of Old Rhine Wine which the actors had presented to me.“ Abgedruckt bei Kieser (Anm. 4), S. 37–39.

 Daniel Deckers

eines Bühnendichters der jungen Generation. Selbst die Krönung mit einem Preise, die nach Bülows bekanntem Wort mit Sicherheit den Durchfall auf der Bühne verbürgt, konnte die Wirkung des Lustspiels von Carl Zuckmayer nicht hemmen.“ Doch Berlin war nicht überall. Zwar sollte „Der fröhliche Weinberg“ das meistgespielte Bühnenwerk der Weimarer Republik werden. Doch Nationalsozialisten wie Joseph Goebbels spürten sofort, dass sie es in Zuckmayer mit einem Freigeist zu tun hatten, dem jede dumpf-totalitäre Geisteshaltung zuwider war – im „Fröhlichen Weinberg“ verkörpert von dem Korpsstudenten Knuzius. „Das Ganze ist eine geist- und witzlose Schweinerei“, schrieb der Völkische Beobachter am . Februar . Und: „Eine Frage an die Korpsstudenten Münchens: Laßt Ihr euch die schamlose Verhöhnung der schlagenden Verbindungen durch den Halbjuden Zuckmayer gefallen?“ Die braunen Schläger und andere humorlose Zeitgenossen waren nicht die einzigen, die sich über Zuckmayer erregten – bis dahin, dass Aufführungen gezielt gestört wurden. Auch in Zuckmayers rheinhessischer Heimat herrschte Aufruhr – freilich nicht wegen des „Halbjuden“, dessen Mutter der honorigen, längst zum evangelischen Glauben konvertierten jüdischen Mainzer Familie Goldschmidt entstammte. Als der „Fröhliche Weinberg“ im März  in Mainz auf die Bühne gebracht werden sollte, sahen mehrere tausend Demonstranten die Ehre ihrer Heimat im Allgemeinen und die einer hoch angesehenen Familie im Besonderen in den Berliner Dreck gezogen. Was war geschehen? Die Hauptperson des Schwanks trug keinen anderen Familiennamen als den des weit über die Region hinaus bekannten Nackenheimer Weingutsbesitzers Carl Gunderloch, eines ehemaligen Mainzer Bankiers. Mehr noch: In den „Weinbergen von Nackenheim“ hatte es am . Dezember  noch lakonisch geheißen: „Die Gunderlöcher sin schon fertig.“ Zwei Tage erfuhr ein begeistertes Berliner Publikum aus dem Mund des Protagonisten Jean-Baptiste Gunderloch, dass er einst „hinterrücks“ mit einem Schiffermädchen eine Tochter gezeugt habe, weil seine Frau keine Kinder bekommen konnte. Jetzt wollte der inzwischen verwitwete Vater sichergehen, dass seine einzige Tochter, die die Hälfte der Weinberge erben 10 11 12 13 14 15

Vossische Zeitung, 23. Dezember 1925, S. 3. Vgl. Zuckmayer, Ich wollte nur Theater machen (Anm. 4), S. 97. Ebd. Am eindringlichsten die Schilderung bei Zuckmayer, Pro Domo (Anm. 4), S. 16 ff. Zuckmayer, Als wär’s ein Stück von mir (Anm. 4), S. 486 ff. Karl-Otto Usinger: Zuckmayers Nackenheimer Gunderloch! Vortrag anlässlich des Abendmeetings des Rotary-Clubs Mainz-Churmeyntz am 14. November 1978 in Nackenheim, MS. 16 Zuckmayer, Weinberge (Anm. 2).

Um jener geheimen Schönheit willen 

sollte, nur von einem Mann als Braut heimgeführt wird, der dieser seine Zeugungsfähigkeit schon vor der Ehe bewiesen hat: „Wenn einer e Sau kauft, muss er wisse dass se ferkelt.“ Carl Gunderloch, der  dabei gewesen war, als der Verband Deutscher Naturweinversteigerer (VDNV, heute VDP) aus der Taufe gehoben wurde, und der mit . Mark für ein Viertelstück er den höchsten Preis erzielt hatte, der je für einen Wein aus Rheinhessen gezahlt worden war, sah sich und sein Lebenswerk der Lächerlichkeit preisgegeben. Und das nicht von irgendjemandem, sondern von dem Spross einer Familie, mit der er stets in bestem Einvernehmen verkehrt hatte: Den Zuckmayers gehörte die Kapselfabrik in Nackenheim. Und wann immer Vater Zuckmayer von Mainz aus in Nackenheim nach dem Rechten sah, führte ihn der Weg an dem Gunderlochschen Anwesen vorbei, und oft entspann sich ein Gespräch zwischen den beiden Herren. Mit dem Einvernehmen zwischen den Familien war es vorbei. Und nicht nur damit: Über der Lektüre der Erstausgabe des Bühnenstücks, die ein nichtsahnender Enkel dem Großvater zu Weihnachten  schenkte, erregte sich der fast achtzigjährige Gunderloch so sehr, dass er einen Schlaganfall erlitt und einen Teil seines Augenlichts bis an sein Lebensende nicht wiedererlangte. Ob Carl Zuckmayer, der schon in jungen Jahren ein ebenso exzessiver Weintrinker wie exzellenter Weinkenner war („… drinking up a liquid map of the Rhine and Moselle valleys“, wie sich Dorothy Thompson im Vorwort zu „Second Wind“ erinnerte), nach diesen Vorkommnissen dem Wein aus Nackenheim weiterhin so unbeschwert zusprach wie während der Premiere, ist nicht überliefert. Wohl aber, dass Zuckmayer im Hause Gunderloch, vornehm ausgedrückt, eine „persona non grata“ geworden war – wenn man überhaupt noch auf ihn zu sprechen kam: „Sein Name durfte nicht mehr genannt werden.“ Die zweite Hälfte der zwanziger Jahre brachte für den Weinbau auch in Nackenheim genügend andere Probleme mit sich. Just im November  hatte Carl Gunderloch die übliche Herbstversteigerung als „nicht opportun“ absagen müssen. Seit  hatte sich ein Fehljahr an das andere gereiht – und viele weitere sollten noch kommen. Weinbergsarbeiter verdingten sich 17 Vgl. Daniel Deckers: Im Zeichen des Traubenadlers. Eine Geschichte des deutschen Weins, Mainz 2010 (Neuauflage Frankfurt 2017), S. 7–38. 18 Weinbau und Weinhandel 31 (1913), S. 148 f. 19 Karl-Otto Usinger (Anm. 15), S. 4. 20 Ebd. S. 6. 21 Anm. 4, S. 7. 22 Karl-Otto Usinger (Anm. 15), S. 5. 23 Rundbrief der Carl-Gunderloch’schen-Weinbauverwaltung, Ende November 1925.

 Daniel Deckers

der höheren Löhne wegen im Opelwerk auf der anderen Rheinseite, seit Oktober  ließ die Wirtschaftskrise die ohnehin schwache Kaufkraft der Bevölkerung von Monat zu Monat sinken. Dass Zuckmayer  in Berlin mit dem „Hauptmann von Köpenick. Ein deutsches Märchen“ nochmals einen Bühnenerfolg feiern konnte, wird man am Rhein vielleicht noch registriert haben. Dass der „Halbjude“  aus seinem österreichischen Domizil in Henndorf bei Salzburg nicht mehr in das nationalsozialistische Deutschland zurückkehrte, womöglich nicht mehr. Um Zuckmayer wurde es still. Zwar blieb seinen Werken  das Schicksal erspart, verbrannt zu werden. Noch lange durften sie in Deutschland gedruckt und verkauft werden. Aber über seine Stücke wurde ein Aufführungsverbot verhängt. Der endgültige Bannstrahl der Nazis traf ihn erst, nachdem er nach dem „Anschluss“ Österreichs im Frühjahr  fluchtartig über die Schweiz nach Amerika emigriert war. In „Pro Domo“, seiner nach der Flucht aus Österreich vollendeten autobiographischen Schrift, grüßte er „im Jahr des Herrn “ nochmals die Welt der Gunderlöcher: „das wahre, künftigem unvergängliche Deutschland“. Am . Dezember  standen seine Werke auf der „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“. Am . Mai  war dem „Deutschen Reichs- und Preußischen Staatsanzeiger“ zu entnehmen, dass man ihm, der sich  als nicht einmal Achtzehnjähriger freiwillig zum Dienst an der Front gemeldet hatte, zusammen mit seiner Frau Alice und der Tochter Marie Winnetou die Staatsangehörigkeit entzogen und deren Vermögen beschlagnahmt hatte. Als Carl Zuckmayer  nach Deutschland zurückkehrte, lagen dreizehn Jahre Exil hinter ihm. Er hatte die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen, die deutsche mochte er nicht mehr wiedererlangen und auch seinen Wohnsitz nicht mehr in der Bundesrepublik Deutschland nehmen.  ließ er sich in der Schweiz nieder. Doch so fern er der rheinhessischen Heimat lebte, so vertraut blieb sie ihm sein Leben lang. Die Sprache gab ihn als Rheinhessen zu erkennen, mehr aber noch seine Liebe zum Rheinwein – was Respekt vor anderen Gewächsen nicht ausschloss. Die Freundschaft, die den Dichter des „Fröhlichen Weinberg“, des „Hauptmann von Köpenick“ und jetzt „Des Teufels General“ mit Bundespräsident Theodor Heuss ver-

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Vgl. Mainzer Journal v. 31. Januar 1928. Zuckmayer, Ich wollte nur Theater machen (Anm. 4), S. 181–208. Ebd. S. 229. Anm. 4, S. 96. Zuckmayer, Ich wollte nur Theater machen (Anm. 4), S. 261 f. Ebd.

Um jener geheimen Schönheit willen 

band, schloss dessen Vorliebe für Rotwein aus seiner württembergischen Heimat ein. Also: Trollinger und Lemberger aus dem Unterland rings um Heilbronn. Mehr noch dürfte „Zuck“ (wie auch Heuss ihn nannte) den Riesling nach den langen Jahren im Exil nicht verschmäht haben. Doch sollte es Riesling aus seiner Nackenheimer Heimat gewesen sein, gar Wein aus dem Rothenberg, wie weiland während der Premiere des „Fröhlichen Weinberg“, dann nicht mit Wissen und Willen der Familie Usinger-Gunderloch. Die Enkelgeneration des alten Bankiers hatte das Weingut Gunderloch sicher durch alle Wirren des Nationalsozialismus, des Krieges und der neuerlichen französischen Besatzung geführt. Aber Zuckmayer vergeben, das konnte man nicht.

Man schrieb das Jahr . Zum ersten Mal seit mehr als einem Vierteljahrhundert sollte Carl Zuckmayer wieder das Dorf betreten, in dem er  geboren worden war und das er im Alter von vier Jahren verlassen hatte. Im 30 Vgl. Theodor Heuss: Geleitwort. In: Fülle der Zeit, Carl Zuckmayer und sein Werk, Frankfurt a. M. 1956, S. 9–12. 31 Heuss war im Mai 1905 mit einer staatswissenschaftlichen Arbeit über „Weinbau und Weingärtnerstand in Heilbronn a. N.“ zum Dr. phil. promoviert worden (Neuausgabe Stadtarchiv Heilbronn 2005 nach dem Nachdruck 1950).

 Daniel Deckers

November hatte der Nackenheimer Bürgermeister Paul Lenz endlich Zuckmayers Anschrift in Vermont ausfindig gemacht und mit dem „großen weltbekannten Dichter“ Kontakt aufgenommen. Ob er wohl ein „rheinisches Heimatspiel“ zur Verfügung stellen könne, „womit Nackenheim jährlich einmal ganz auftreten könnte?“ Doch es ging um mehr: Die Stadt Frankfurt am Main hatte ihm den Goethe-Preis verliehen, der Bürgermeister von Nackenheim wollte mit der Ehrenbürgerwürde nicht nachstehen und vielleicht auch eine Straße nach ihm und eine Weinbergslage den „Fröhlichen Weinberg“ nennen. Zuckmayer reagierte umgehend, aber nicht mit einem Heimatspiel. In einem Antwortschreiben an den Bürgermeister machte er den „Fröhlichen Weinberg“ zum Thema und versicherte ihm, keine reale Person, sondern lediglich den „klangvollen Namen“ gemeint zu haben. Erregung im ganzen Dorf. Die einen konnten es kaum erwarten, dass der Glanz des Dichters endlich auch auf die kleine Weinbaugemeinde falle. Die anderen standen hinter dem Juristen Dr. Franz Usinger und seiner Frau Elisabeth (Elli), Gunderlochs Enkelin, die dem Bürgermeister geschrieben hatte: „Noch heute wird das Papier rot vor Scham, wenn man den ‚Fröhlichen Weinberg‘ liest.“ Am Ende bestand die Familie auf einer öffentlichen Ehrenerklärung Zuckmayers für den alten Gunderloch. So sollte es kommen, samt der Umbennung einer Straße und des Platzes vor dem gleichnamigen Weingut. Vor dem Festakt mit der Verleihung der Ehrenbürgerwürde am . August  erschien der weltberühmte Schriftsteller in Begleitung zweier Honoratioren im Weingut und erklärte, es sei nicht seine Absicht gewesen, Carl Gunderloch zu kränken oder zu verletzen, und er bedauere außerordentlich, dass der alte Herr damals gesundheitlichen Schaden durch ihn beziehungsweise durch die Nennung seines Namens im „Fröhlichen Weinberg“ erlitten habe. „Mit dieser Erklärung“, so hielt Gunderlochs Urenkel Karl-Otto Usinger später fest, „gab sich unsere Familie zufrieden, und von da ab war unser Verhältnis zu Zuckmayer freundschaftlich korrekt“. Versöhnung gefeiert wurde im Weingut Gunderloch deswegen noch lange nicht.  ging die Festversammlung nicht an dem historischen Schauplatz des Geschehens über die Bühne, sondern in einem unmittelbar am Rhein gelegenen Gasthaus. Zuckmayer, der in Begleitung seiner hochbetagten, in Nackenheim als Frau des Kapselfabrikanten noch bestens beleumundeten Mutter und seiner Frau gekommen war, hielt aus dem Stegreif 32 Lenz an Zuckmayer, Nackenheim, 10. November 1951. 33 So in einer im Familienbesitz befindlichen, nicht näher datieren Ausgabe der „Neuen Illustrierten“. 34 Karl-Otto Usinger (Anm. 15), S. 6.

Um jener geheimen Schönheit willen 

eine kurze, versöhnliche Ansprache. Das Drama um den „Fröhlichen Weinberg“ erwähnte er nicht, auch nicht den Besuch im Weingut. Stattdessen ließ er die Welt seiner kurzen Kindheit in Nackenheim erstehen, jene Welt, die ihm bei dem ersten Wiedersehen mit dem Haus, in dem er geboren worden war, kurz aufgeleuchtet hatte, und die ihm für immer zur Heimat geworden war: die Welt der Weinberge von Nackenheim: „Und wie ich heute wieder dieses Haus betreten hab’, das heute nur vielleicht anders aussieht, so genau weiß ich’s nicht mehr, ich weiß nur, es hat vielleicht weniger fein ausgesehen, aber es ist doch noch das Haus. Und da ist mir eingefallen, eine bestimmte Erinnerung, die hab’ ich, die ist ganz klar, obwohl ich noch weniger als vier Jahre alt war. Das war ein Fenster, das war ein Schlafzimmer, das war der Moment, wo die Mutter das Licht ausmacht … und das Fenster wird dämmrig … und man guckt aus seinem Bettchen und stellt sich nochmal auf und guckt durch dieses Fensterviereck, und da ist ein Stück Weinberg. Und in diesem Weinberg schwirren unzählige Glühwürmchen, Glühkäfer, man sieht nur so ein Funkeln und Schwirren da drin, und man hat das Gefühl, man sieht jetzt wirklich ein Zauberreich, ein Feenreich. Es ist nichts anderes als ein kleines einfaches Stückchen Weinberg.“ Die empfindsame Kinderseele gab keine Ruhe: „… wenn man mich heute einen Dichter nennt, vielleicht wird man es durch so etwas, durch so ein Bild, durch so einen Blick, durch so einen Augenblick, durch so etwas in einen Hineingestrahltes, durch dieses Wunder des Lebens, das ich nun gerade in diesem Ort geschenkt bekommen habe“. Als wäre ein Knoten geplatzt, ließ Zuckmayer das Thema Wein und Nackenheim nicht mehr los – wenngleich nicht immer in jener saft- und kraftstrotzenden Art, mit der er  seiner Heimat ein wenn auch zweifelhaftes, so doch unvergessliches Denkmal gesetzt hatte. Zunächst, man schrieb das Jahr , wurde der „Fröhliche Weinberg“ verfilmt – freilich mit denkwürdigen Veränderungen. Aus den jüdischen Weinreisenden Löbche Bär und Hahnesand, denen schon  auf der Bühne jener Antisemitismus entgegengeschlagen war, der sich Jahre später grausam entladen sollte und dem sich Jean-Baptiste Gunderloch in den Weg gestellt hatte („Schluß …! Genug!! Laßt die Judde in Ruh. Sie sind zwar beschnitte, aber sonst Menschen wie wir“), waren „neutrale Schweizer“ geworden, die Kriegsveteranen mit ihren 35 Carl Zuckmayer, Sprache, Strom und Leben. Auszüge aus einer Stegreif-Ansprache, gehalten am 31. August 1952 im Gasthaus zum Schiff in Nackenheim am Rhein. In: Fülle der Zeit. Carl Zuckmayer und sein Werk, Frankfurt a. M. 1956, S. 127–130, hier S. 129. 36 Ebd. S. 129 f. 37 Zu den Verfilmungen der literarischen Werke vgl. Zuckmayer, Ich wollte nur Theater machen (Anm. 4), S. 403–426.

 Daniel Deckers

vom Freimost beflügelten Erinnerungen an die deutschen Kolonien waren zu Feuerwehrleuten mutiert. „Das macht den Film so lasch“, urteilte Herbert Küsel in der Zeitschrift „Die Gegenwart“. Zwei Jahre später, , wurde Carl Zuckmayer der Deutsche Weinkulturpreis zuerkannt. Die Festrede hielt Weinbau-Staatsminister Oskar Stübinger (CDU) – sie war so lasch wie der Film. Außer in jeden Passagen, in denen der Politiker den Geehrten selbst zu Wort kommen ließ: „In meiner Jugend pflegte ich den Wein in lyrischen Gesängen zu feiern, von denen ich heute sagen muss, dass sie mir nicht besonders gut gelungen sind. Vielleicht lag das daran, dass ich den Wein zu sehr liebte. Er machte mich glücklich, aber wenn ich ihn besang, blieb es sozusagen unterm Scheffel (Joseph Victor v.). Heute hat sich mein literarisches Interesse am Wein versachlicht. Glücklich macht er mich noch immer und da ist auch kein Ende abzusehen, aber wenn ich mich über den Wein schriftstellerisch äußern soll, so dürfte sich das in weniger hymnischen Formen vollziehen, dafür vielleicht in respektvolleren: den Ernst und die Würde, den Wesens- und Sinngehalt dieser schwer erworbenen Gabe in ihrer heiteren Schenkung mitbegreifend.“ Etwa in der Klage über die wachsende Unkenntnis über die Einzigartigkeit der europäischen wie der deutschen Weinkultur: „Es scheint den Siegeszug der Geschmacks- und Phantasieverarmung, der fürchterlichen Vereinfachung, der Standardisierung und Normung in der Welt zu bestätigen. Doch man muss sich wohl auch hier, im Bereich der Künste, auf die Wenigen, die Einzelgänger, die kleinen Kreise, die Starrsinnigen und Eigenwilligen verlassen, denen es obliegt, bedrohte Formen und Werte durch die Zeit der Ebbe und der Versandung hindurchzutragen – um jener geheimen Schönheit willen, in deren Wahrnehmung ein Teil unseres irdischen Auftrags besteht.“  Zitate aus einem Aufsatz, den Carl Zuckmayer zu dem Buch „Lebensfreude aus Rheinhessen – Das Buch vom Rheinhessenwein“ beigesteuert hatte: Eine von Kenner- wie Leidenschaft atmenden Hommage an die deutsche Weinkultur, an Deidesheimer und Hochheimer, an Rüdesheimer und an Markobrunner – und an die Weine seiner rheinhessischen Heimat: Mit der Zeit, so bekannte Zuckmayer im Alter von neunundfünfzig Jahren, „als 38 Herbert Küsel: Blieb der Wein denn fröhlich? Die alten Rebstöcke, gepflanzt von Zuckmayer anno 1925. In: Die Gegenwart, 28. Februar 1953, S. 139–142, hier S. 140. 39 Wein – wertvolles Kulturgut. Aus der Ansprache von Staatsminister Oskar Stübinger anläßlich der Verleihung des Weinkulturpreises 1955 an den Dichter Carl Zuckmayer am 1. Dezember 1955 in Wiesbaden. In: Das Weinblatt 50 (1956), S. 212 f. 40 Ebd. S. 213. 41 Ebd. Die Zitate sind entnommen aus Carl Zuckmayer: Was weiß die Welt vom Wein? In: Lebensfreude aus Rheinhessen – Das Buch vom Rheinhessenwein, hg. v. Weinbauverband Rheinhessen, 2. Aufl. Mainz 1955, S. 33–38.

Um jener geheimen Schönheit willen 

Ergebnis vielfacher Erfahrungen und Versuche, komme ich immer mehr auf die Rheinhessen-Weine, nicht aus Lokalpatriotismus, nicht weil sie Weine meiner Geburtsheimat sind, sondern wegen der bei aller Fülle und Kraft ihnen innewohnenden Leichte und Heiterkeit. Wir pflegten früher Weine ganz unfachlich, rein stimmungsgemäß, einzuteilen in Gesprächs-Weine, Schweig-Weine, Streit-Weine, Grübel-Weine, Liebes-Weine, und so weiter – die Rheinhessen galten uns schon damals als Lach-Weine, oder, auf höherer Stufe, ‚Mozart-Weine‘“. Herausgegeben wurde dieses Buch übrigens vom Weinbauverband Rheinhessen und dessen Geschäftsführer, Diplomlandwirt Robert Dünges. Gut zehn Jahre zuvor hatte Dünges als Schriftleiter der Zeitung „Der deutsche Weinbau“ gegen Juden gehetzt und Durchhalte-Leitartikel unter dem Motto „Ein Wein, ein Blut, ein Leid, ein Lebenswille“ geschrieben. So sah man sich wieder. In Nackenheim wuchs derweil Gras über die „Causa Gunderloch“, wenngleich mit dem Tempo einer Schnecke. So hatte Zuckmayer im Februar  einen ausgezeichneten Grund, dem „lieben Herrn Usinger und der lieben gnädigen Frau“ einige Zeilen zukommen zu lassen. „Ganz besonders und wirklich von Herzen habe ich mich über Ihre lieben Grüße zu meinen Geburtstag gefreut, und die kostbare Flasche, die Sie mir gespendet haben, wurde in wirklicher Fest Stimmung dem Gedenken der Heimat ehrfürchtig geleert.“ Sieben Jahre später, im Frühling , war Carl Zuckmayer von neuem in seiner „Geburtsheimat“ zu finden. Der Westdeutsche Rundfunk wollte ihn für seine Fernsehserie „Zeugen des Jahrhunderts“ porträtieren und die „Entstehungs- und Kampfgeschichte“ des „Fröhlichen Weinberg“ nicht aussparen. Zuckmayer hatte sich längst zurechtgelegt, was er sagen wollte: „Dass ich damals in meinem jugendlichen Leichtsinn die Namen – als Ausdruck der Landschaft und der Stammesart – so genommen und genannt habe, wie ich eine Mohnblume ‚Klapperrose‘ und einen Flieder ‚Nägelche‘ nennen würde, weil ichs als Kind so gehört hatte, ohne jede ‚Porträtierungsabsicht‘“ – so las es Franz Usinger in einem handschriftlichen Brief, abgefasst in Saas-Fee am . Juni . Die Gelegenheit dazu sollte ein Gespräch mit „Einheimischen“ bieten, aber nicht im Hause Gunderloch, sondern in einem anderen Weinkeller. Zuckmayer: „Aber es wäre mir lieb, wenn noch 42 Ebd. S. 37. 43 Der deutsche Weinbau 23 (1944), S. 188. Nun ders.: Wie man Trauben liest …“. In: Lebensfreude (Anm. 41), S. 11 f. 44 Zuckmayer an Franz Usinger, Chardonne sur Vevey, 6. Februar 1957. 45 Zuckmayer an Franz Usinger, Saas-Fee, 19. Juni 1962.

 Daniel Deckers

ein ‚Alter‘ aus der damaligen Zeit, am besten ein Küfer oder ein Weinbauer, mitmachen könnte, der nur etwa so zu sagen brauchte: ‚Kallche, das hammer Dir damals arsch üwwel genomme‘ – (worauf ich antworten kann, und man nachher sagt, heut sieht das anders aus, und sich die Hände schüttelt.) Ich möchte es Ihnen und Ihrer Familie, als den damals ‚Hauptbetroffenen‘, überlassen, ob Sie dazu einen Vorschlag oder Wünsche haben.“ Wie die Geschichte ausgegangen ist, hat sich in der Gunderlochschen Korrespondenz mit Zuckmayer nicht erhalten. Aber zu Misstönen kam es wohl nicht. Kaum einen Monat später kam Zuckmayer aus der Schweiz „mit herzlichen und freundschaftlichen Grüßen“ auf eine Geschenksendung zu sprechen: „… wirklich nicht nötig, doch wenn es Ihnen Freude macht, so wird die meine, als Empfänger, doppelt so groß sein“. Wetten, dass von den weit über Rheinhessen hinaus über alle Maßen geschätzten Weinen aus dem Nackenheimer Rothenberg die Rede war? Wie der Wein, so ließen Zuckmayer auch „Luft und Landschaft“ seiner rheinhessischen Heimat niemals los. „Ich hoffe sehr, dass Wunden, die die Flutkatastrophe Ihren wundervollen Lagen geschlagen hat, doch schon in der Heilung begriffen sind und dass ihre Kinder sich nach diesem schweren Schock gut erholt haben“, schrieb Zuckmayer am . September  an die „Liebe, verehrte Frau Usinger“. „Wenn ich sehe, wie viele Seilzüge hier oben in Saas-Fee jedes Jahr zum Materialtransport für den Bau neuer Ferienhäuser montiert und wieder abmontiert werden, so denke ich mir, es müsste doch eigentlich auch zum Hinaufschaffen der wertvollen Rothenberg-Erde eine Seilbahn erstellbar sein. Aber ich verstehe natürlich nichts von den damit verbundenen Kosten.“ Von den Monorack-Bahnen, die es heute etwa an der Terrassenmosel ermöglichen, die Steilhänge zu bewirtschaften, konnte Zuckmayer noch nichts wissen. Carl Zuckmayer, Jahrgang , stand im siebten Lebensjahrzehnt, als der Ton der Korrespondenz mit Elli und Franz Usinger so vertraut geworden war, als habe nie etwas zwischen dem Dichter und den Weingutsbesitzern gestanden. Am . März  bedankte er sich für eine „edle Flasche aus dem ‚Fröhlichen Weinberg‘“. Gut zwei Jahre später schrieb er in Verbindung mit der Gratulation zur Geburt des „Hoferben“ Franz-Christian: „Im nächsten Jahr hoffe ich endlich wieder einmal in meine Geburtsheimat zu kommen, und ich hoffe vor allem, Sie und Ihren Mann in bester Gesundheit wiederzusehen. Merkwürdig – am Abend, bevor Ihr Brief kam, habe ich für ganz 46 47 48 49

Ebd. Zuckmayer an „Frau Dr.“ (Elli) Usinger, Saas-Fee, 27. Juli 1962. Zuckmayer an Elli Usinger, Saas-Fee, 10. September 1963. Zuckmayer an Herrn und Frau Dr. Franz Gunderloch-Usinger, 6. März 1967.

Um jener geheimen Schönheit willen 

besondere, liebe Freunde eine Flasche des beiliegenden Etiketts (Anhängsel) aufgemacht, der Wein war köstlich, und ich habe einen Trinkspruch auf Euer Wohl ausgebracht. Ich freue mich auf einen gemeinsamen Abend in der ‚Gutsschänke‘, – so Gott will.“

Und Gott wollte es – aber nicht sobald. Ende Mai  reiste Carl Zuckmayer nach Deutschland, um vor den Mitgliedern des Ordens Pour le Mérite, dem er seit drei Jahren angehörte, seine „obligate Antrittsvorlesung“ zu halten, wie er unter dem Datum des . Juni  von Bonn nach Nackenheim schrieb. Der Brief war eine kleine Beichte. Von Mainz aus hatte er sich am Fronleichnamstag ungeplant und unangemeldet auf den Weg nach Nackenheim gemacht. „Ich stand vor Ihrem Hoftor und schaute hinein, unschlüssig, ob ich Sie einfach ‚überfallen‘ könne, – aber es war um die Mittags50 Zuckmayer an Elli Usinger, Saas-Fee, 23. Juni 1969.

 Daniel Deckers

zeit, es war sehr still und ich liess es, mit Rücksicht auf Ihren Mann, den es doch vielleicht sehr gestört hätte, lieber bleiben. Aber ich hatte wenigstens die Kirche und das Rathaus gesehen, Ihren Hof, auch die Fabrik (von aussen), und die rote Erde!“ Was war geschehen? Elli, die „zwar im ‚Altenteil‘ lebende“, aber immer noch sehr aktive Gunderloch-Enkelin, schrieb dem Ehepaar Zuckmayer am . Juni einen ausführlichen Brief, in dem sie die Umstände erklärte, warum die Familienmitglieder „absolut unsichtbar“ geblieben seien. Offiziell einladen können habe sie das Ehepaar Zuckmayer nicht, die neue Gutsschänke habe erst um  Uhr geöffnet, davor „werden alle Luken dichtgemacht“, zumal nach den vielen Feiern der vergangenen Wochen, darunter die Goldhochzeit … Franz Usinger sollte Zuckmayer nicht wiedersehen. Er starb im November  im Alter von dreiundachtzig Jahren. „Liebe, verehrte Frau Usinger, mit tiefer Bewegung las ich die Anzeige vom Tod Ihres lieben Mannes, der für mich schon in der Jugend als älterer junger Mann eine vertraute und achtunggebietende Gestalt war“, schrieb Zuckmayer unter dem Datum des . November an Elli Usinger. „Von ihm ging immer eine grosse Ernsthaftigkeit aus, eine Art von Abgeklärtheit, die gewiss einem festen Glauben entsprang, und eine grosse Güte. Den gleichen, schönen Eindruck behielt ich von ihm bei den späteren, leider nur kurzen Begegnungen. Nun ist ein sanfter Tod nach einem erfüllten und durch die Nachkommenschaft bereicherten Leben, in hohem Alter, auch eine Art von Gnade, und ein Trost für die Hinterbliebenen. Doch bleibt der Schmerz des Verlustes, in dem ich Ihnen liebe Frau Usinger, vor allem, in herzlicher Teilnahme und dem bleibenden Gedenken für den Heimgegangenen die Hand drücken will.“ Knapp ein Jahr später stand der Dichter wieder vor dem Hoftor. Diesmal ging er hindurch, mit der Einwilligung des neuen Besitzers Karl-Otto Usinger, den Zuck wohl nicht ganz zu Unrecht noch immer unversöhnt wähnte. Am . Oktober , fast ein halbes Jahrhundert nach der Uraufführung des „Fröhlichen Weinberg“, kam es zur Versöhnung an historischem Ort. „Natürlich möchten wir Sie bei dieser Gelegenheit wiedersehen,“ hatte 51 Zuckmayer an Elli Usinger, Bonn, 1. Juni 1970. 52 Elli Usinger an Zuckmayer, Nackenheim, 2. Juni 1970. 53 Zuckmayer an Elli Usinger, 25. November 1970. Die unter demselben Datum verfasste Beileidsbekundung an den Sohn des Verstorbenen fiel ungleich nüchterner aus: „Sehr geehrter Herr Usinger, zum Ableben ihres Herrn Vaters möchte ich Ihnen und den Ihren meine aufrichtige Teilnahme aussprechen. Wer ihren Vater kannte, wird sein Andenken immer in hohen Ehren halten. Mit den besten Wünschen für Ihr weiteres Leben in der Nachfolge des Heimgegangenen, und für ihre Familie verbleibe ich ihr herzlich ergebener Carl Zuckmayer.“

Um jener geheimen Schönheit willen 

Zuckmayer am . Oktober  vor einer Reise nach Mainz geschrieben. Der Anlass: das Zweite Deutsche Fernsehen wollte aus Anlass seines . Geburtstages einen Film drehen. Eine der geplanten Sequenzen: „ein informelles Zusammensein von mir mit Nackenheimer Landsleuten in der Schänke des Weingutes Gunderloch-Usinger“. Doch Zuckmayer war noch immer vorsichtig: „Dies kommt aber nur in Frage, wenn es Ihnen und ihrem Sohn auch wirklich recht ist! Ich würde schon dafür sorgen, dass dort – auch im Gedenken an ihren unvergessenen Mann, kein ‚fröhlicher Weinberg‘ veranstaltet wird, sondern dass es würdig und gediegen zugeht. Aber bitte, sagen Sie getrost ‚Nein‘, wenn ihnen sowas nicht passt oder zu viel Unruhe macht. Ich selbst wäre viel lieber einmal ganz allein zu einem ruhigen Gespräch zu Ihnen gekommen, aber ich bin nun einmal, wie der alte Goethe das ausdrückte, ‚eine öffentliche Person geworden‘, und nicht ganz Herr meiner Zeit und meiner Entschlüsse.“ Elli Usinger und ihr Sohn Karl-Otto sagten Ja. Bilder hielten den Händedruck in der Gutsschänke fest. Zuckmayer bedankte sich am . November, kurz vor seinem . Geburtstag, diesmal bei dem Sohn: „Ihre Ansprache an jenem Abend in Ihrer schönen Gutsschänke hat uns beide, meine Frau und mich, nicht nur erfreut, sondern auch ergriffen … Ich habe Ihre Haltung immer respektiert, ja ich hätte mich in einem solchen Fall nicht anders verhalten. Doch ist Ihre Treue zu Ihrem Urgroßvater dadurch nicht geringer geworden, dass Sie nun auch den jugendlichen Leichtsinn eines Menschen, der bewusst niemand verletzten wollte, Ihr gütiges Verständnis entgegenbringen. Ihre Worte kamen aus reinem und warmem Herzen, und Ihr Bekenntnis zum freien Geist war von schlichter und echter Überzeugungskraft. Ich darf mich jetzt Ihnen in diesem Sinne freundschaftlich verbunden fühlen.“ Die Freundschaft währte gut fünf Jahre, und manches einfühlsame Wort ging zwischen der Schweiz und dem Roten Hang hin und her – etwa aus Anlass der Aufführung des „Fröhlichen Weinbergs“ in Nackenheim. „Was den ‚Weinberg‘ anlangt, so werde ich, falls bei gleichbleibender guter Gesundheit, bestimmt einigen Proben in Nackenheim beiwohnen,“ konnte Elli Usinger in einem Brief Zuckmayers unter dem Datum des . April  lesen, „… nicht nur des ‚Gunderloch‘ wegen, sondern um überhaupt irgendwelche Geschmacklosigkeiten oder Übertreibungen zu verhüten. Und werde, wenn auch schon hundertmal gesagt, noch einmal anlässlich dieser Aufführung publizieren, dass der ‚Gunderloch‘ in meinem Stück nichts mit irgend

54 Zuckmayer an Elli Usinger, Saas-Fee, 1. Oktober 1971. 55 Zuckmayer an Karl-Otto Usinger, Saas-Fee, 5. Oktober 1971.

 Daniel Deckers

einem Mann dieses Namens, der wirklich lebte, zu tun hat, am wenigsten mit ihrem Herrn Grossvater.“ „Meine Familie und ich werden am ., dem Vorabend meines . Geburtstages, in Gedanken mit Ihnen sein und bei einem guten Glas Nackenheimer Rothenberg auf Ihre baldige Genesung und Ihr weiteres Wohlergehen anstoßen“, schrieb Karl-Otto Usinger am . Dezember  dem „Sehr geehrten Herrn Zuckmayer“ in die Schweiz. Drei Wochen später war Carl Zuckmayer tot – er starb am . Januar  im Alter von achtzig Jahren, „versehen mit den heiligen Sterbesakramenten“, wie es in der Todesanzeige hieß. Wenn den Dichter neben dem Wein zeitlebens etwas mit seiner rheinhessischen Heimat verbunden hatte, dann die vom Katholizismus getränkte Welt rund um den Mainzer Dom. Das Weingut Gunderloch blickt auf eine reiche Geschichte von mehr als einhundertfünfundzwanzig Jahren zurück. Als einziges Gründungsmitglied des „Vereins der rheinhessischen Naturweinversteigerer“ hat es alle Wechselfälle der Geschichte überlebt, als einziges Weingut am Roten Hang hält es seit Jahrzehnten die Tradition jener „großen Spitzen“ hoch, die Carl Zuckmayer so sehr schätzte: frucht- und edelsüße Rieslinge aus weltberühmten Lagen an der Rheinfront, allen voran aus dem Rothenberg. Andere Weine sind hinzugekommen. „Jean-Baptiste“, ein Riesling-Gutswein, erblickte  das Licht der Welt, als der „Fröhliche Weinberg“ erstmals im Hof des Weinguts aufgeführt wurde, dem vermeintlichen Originalschauplatz. , als Agnes (die Tochter Karl-Otto Usingers) und (der mittlerweile verstorbene) Fritz Hasselbach das Weingut in die Hände ihres Sohnes Johannes und seiner Frau Marie legten und damit die sechste Generation die Verantwortung übernahm, kam der zweite Jahrgang eines Weins auf den Markt, den Johannes Hasselbach so nannte wie Zuckmayer seine im Jahr  erschienene Autobiographie: „Als wär’s ein Stück von mir.“

56 Zuckmayer an Elli Usinger, Saas-Fee, 19. April 1972. 57 Karl-Otto Usinger an Zuckmayer, Nackenheim, 20. Dezember 1975. 58 Die vorerst letzte Aufführung im Gutshof fand 2015 statt – ein Umbau macht die Fortsetzung dieser Tradition bis auf Weiteres nicht möglich.

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Information, Marketing und Kunst Anmerkungen zur Multifunktionalität von Weinetiketten

Einführung

E

tiketten auf Weinflaschen müssen heute viele Anforderungen erfüllen, die sich teilweise ergänzen, die manchmal aber auch in einem Widerspruch zu stehen scheinen. So dokumentieren verschiedene ästhetische Merkmale – – –

einerseits die Persönlichkeit des Winzers, andererseits sind sie aber auch Beleg für seine berechtigten Intentionen als gewinnorientierter Kaufmann und drittens müssen außerdem rechtliche Vorgaben erfüllt sein.

Im Folgenden wird deshalb auf die vielfältigen Facetten einzugehen sein, die einem gelungenen Weinetikett zugrunde liegen – wenn man von einem solchen Archetypus überhaupt sprechen kann. Beispiele für künstlerisch gestaltete sowie ästhetisch ansprechende wie auch eher asketisch anmutende Etiketten verdeutlichen dabei die Bandbreite der Möglichkeiten. Ehe wir mit „ein wenig Historie“ beginnen, lassen Sie uns noch kurz einen Blick auf die Etymologie des Wortes „Etikett“ werfen. Der Ursprung der Wörter „das Etikett“ und „die Etikette“ ist derselbe: Beide gehen zurück auf das altfranzösische Wort „estiquer“. Dies bedeutet übersetzt soviel wie „feststecken“. Heute finden wir den Terminus beispielsweise im englischen Wort „sticker“ für Aufkleber. Am französischen und spanischen Königshof bezeichnete der Begriff „Etikette“ eine Art „Spickzettel“ mit Benimm- und Verhaltensregeln für die Gäste der Hofzeremonien und -feste. Schon damals stand also der Ausdruck „Etikette“ für entscheidende inhaltliche Informationen.

 Martin Sachse-Weinert

Ein wenig Historie Die ältesten bekannten Weinetiketten bzw. ihre Vorläufer existierten bereits vor rund . Jahren. Damals brachten die Sumerer an den Weingefäßen so genannte Rollsiegel an, die mit Informationen über den jeweils enthaltenen Wein versehen wurden und für die Qualität bürgen sollten, da sie zugleich den Verschluss der Gefäße sicherten. Bekannt ist der Weingenuss zur damaligen Zeit vor allem auch durch das Epos des sagenhaften Königs Gilgamesch, der durch Weingenuss Unsterblichkeit erlangen wollte. Verweilen wir noch etwas in dieser Region. Erst unlängst (Januar ) wurde bei Ausgrabungsarbeiten auf dem Tempelberg von Jerusalem eine Tonscherbe gefunden, die mit unbekannten Schriftzeichen bedeckt ist. Der Archäologe Gershon Galil von der Haifa University entzifferte sie als frühes Hebräisch aus den Zeiten König Salomos, mithin etwa . Jahre alt, und glaubt das Wort „yayin“ für „Wein“ erkennen zu können sowie Hinweise auf das Jahr und die Produktionsstätte. Da ein vergleichbares Wort in der ugaritischen Sprache (Nordsyrien) für einen verhältnismäßig billigen Wein steht, wird die Scherbe als Teil eines Weingefäßes für Sklaven interpretiert, die den Tempel ein Jahrtausend vor Christi Geburt errichtet haben. Auch im antiken Griechenland und Rom ritzte man die Inhaltsangaben direkt in das Tongefäß oder benutzte kleine Anhänger, die an den Amphoren befestigt wurden. Solche Zettel waren bis ins hohe Mittelalter gebräuchlich. In den Jahrhunderten nach dem Ende des weströmischen Imperiums bis in die Neuzeit und Renaissance hinein änderte sich daran nur wenig. Nach wie vor wurden an den Gefäßen kleine Zettel angebracht; diese trugen Informationen zum jeweiligen Inhalt. Den Startschuss für eine neue Entwicklung gab indirekt ein Spross der Stadt Mainz, Johannes Gutenberg. Seine Erfindung des Buchdrucks war die unabdingbare Basis für die Revolution auch in der Etikettenwelt. Es vergingen aber noch ca.  Jahre, bis die Erfindung in diesen Bereich transferiert wurde. Die ältesten gedruckten Etiketten stammen mithin aus der Zeit um . Die Rückseite wurde dabei mit nassem Leim bestrichen und die Etiketten an prominenter Stelle aufgeklebt. Bis in das . Jahrhundert wurden sie ausschließlich zur Kennzeichnung von Warenballen verwendet. Erst mit den Weinetiketten begann dann auch die Entwicklung zu kleinen Kunstwerken. Die konkrete künstlerische Gestaltung wurde allerdings erst durch Alois Senefelders Erfindung des lithografischen Druckverfahrens () und des Mehrfarbendrucks () ermöglicht. Das Weinetikett entwickelte sich, neben der ursprünglichen Funktion der Inhaltsangabe, zu einer Garantieurkunde des Weines und immer stärker auch zum werbenden Kleinplakat:

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Abb. 1: Das erste Weinetikett der Moderne (1822)

Über die Wirkungsästhetik von Formgebung, Gestaltung und Beschriftung wurde es ein populäres Werbemittel, um die Attraktivität des Produktes zu steigern, sich einen Wettbewerbsvorsprung zu sichern und die potenzielle Kundschaft auch mit Hilfe des Designs zum Kauf zu bewegen – Aspekte, die heute nicht minder aktuell sind. Das erste Weinetikett der Moderne in Deutschland zu sein, das diesen Intentionen folgte, diesen Titel kann der Druck für einen „Cabinets Wein“ vom Schloss Johannisberg aus dem Jahr  für sich beanspruchen. Zu sehen sind darauf das Schloss selbst sowie die umliegenden Weinberge. Bis in das . Jahrhundert wurden die Etiketten nach wie vor aufgeklebt, indem man die jeweilige Oberfläche mit nassem Leim bestrich. Erst in den er Jahren wurden Selbstklebeetiketten erfunden. Der Amerikaner Stanton Avery präsentierte  unter dem Namen „Kum-Kleen“ einen neuartigen Preisaufkleber. Dieser war auf der Rückseite mit Kautschukkleber bestrichen und konnte – und dies war eine Revolution – aufgeklebt und später wieder abgezogen werden. In Deutschland zeichnete für die Entwicklung und Verbreitung der ersten Haftetiketten die Feinpapiergroßhandlung Wilhelm Jackstädt in Wuppertal verantwortlich. Ende der er Jahre brachte sie eine selbstklebende Postkarte auf den Markt. Mit Jackstädt aber hatte der Siegeszug der Selbstklebeetiketten begonnen. Vor allem in den er Jahren steigerte sich die Nachfrage aufgrund der vielfältigen industriellen Anwendung gewaltig. Durch den „Etiketten-Boom“ und die Gründung eines eigenen Verbandes im Jahr  wurde der Fortschritt im Bereich der Selbstklebeetiketten stark beschleunigt. Neuentwicklungen im Bereich der Drucktechnik, bei den Klebstoffen und auf dem Sektor der Etikettierung brachten die selbstklebenden Produkte ebenso voran wie neue Kunststoffmaterialien.

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Geschäft mit und durch Weinetiketten Kommerzielle Einzelheiten stehen für manchen Weinliebhaber nicht dezidiert im Vordergrund. Aber auch der Connaisseur will wissen, ob und inwieweit der durch ein Etikett angepriesene Wein imstande ist, seine daran geknüpften Erwartungen auch bei der Verkostung zu erfüllen. So führte die Gourmetabteilung der Süddeutschen Zeitung, genannt Freitagsküche, in zwei besseren Weinabteilungen (Gourmetetage eines Kaufhauses sowie Premiumfiliale einer gehobenen Supermarktkette) vor vier Jahren eine Untersuchung durch: Man kaufte streng nach Aussehen bzw. (subjektivem) Eindruck des Etiketts ein. Bedingung: Der Preis sollte ungefähr zwischen fünf und zehn Euro liegen, denn in dieser Preisklasse, so hieß es bei der Weinberatung, seien Käufer besonders anfällig für Äußerlichkeiten. Ausgewählt wurden zwölf Weine, die aus den leidlich gut sortierten Ladenregalen hervorstachen, also die Flaschen, die den Kunden „am lautesten anschrien“. Die Etiketten legte die Redaktion dann SZ-Autoren zur Zielgruppenanalyse vor, die Weine selbst wurden von Spitzensommelier Stefan Peter vom Münchner Gourmettempel „Tantris“ getestet. Was konnte festgestellt werden? Zwischen Etiketten und Qualität des Inhalts besteht kein Zusammenhang. Wer über eine Flasche urteilen will, stellt fest: Nur „in vino veritas“. Im Juni  fand ein virtueller Kongress statt, veranstaltet von der großen amerikanischen Firma „Labels & Labeling“; Thema waren aktuelle Vorhaben in den Bereichen „Design“, „Entwicklung“, „Material“ und „Marktchancen“ von Weinetiketten. Von besonderem Interesse war dabei die Betonung vor allem von zwei unterschiedlichen Zielgruppen für Wein bzw. Weinetiketten: die Babyboomers und die Millenial-Konsumenten. Erstere verfügen häufig über viel Geld, sehen aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters aber schlechter. Sie benötigen also große Lettern auf den Etiketten. Millenials dagegen bevorzugen breite, bunte Farben und einzigartige Effekte. Sie wollen keine Châteaux, sie wollen Persönlichkeit, Besonderheit, Extremes. Folgende Ergebnisse zeitigte das sog. Webinar: – – –

Beide Gruppen gehen völlig unterschiedlich vor bzw. legen ihrem Kauf andere Kriterien zugrunde. Neue Materialien und Drucktechniken bieten nahezu grenzenlose Möglichkeiten, um außergewöhnliche Etiketten herzustellen. Die Weingüter, so die Meinung der Teilnehmer, sollten sich Zeit lassen bei ihren Überlegungen. Übereilte Entscheidungen bei der Neupositionierung einer Marke oder der Gestaltung von Etiketten seien nicht sinnvoll; es gehe darum, maximalen Gewinn bei kleinstmöglichem Einsatz zu erzielen.

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Der Versuch, Aufmerksamkeit zu erregen, führt zu immer – wir nennen es hier einmal – „exotischeren“ Bezeichnungen für Weine. Der Herausgeber von „Labels & Labeling“, Jim Gordon, nennt als Beispiele (fast) übertriebenen Wettbewerbs „Fancy Pants“ und „Ooh La La“. Früher, so Gordon, habe man sich oder seine Weine nach Bäumen, Bergen und Châteaux benannt. Nun versuchten Weingüter mit verschrobenen und humorvollen Namen das Kaufinteresse vor allem junger, finanzstarker Käufer zu wecken.

Toni Hamilton, Marketingdirektorin der Etikettenfirma ASL PrintFX, stellt fest: Etiketten müssen „schlagkräftig“ sein. Das Etikett sei das Schaufenster des Winzers, Interessierte würden mit den Augen zuerst kaufen. Und sie fährt fort: „Etikettenhersteller und Designer müssen Partner der Weinhändler werden, um den Verkauf zu optimieren. Der Inhalt kommt an zweiter Stelle, an erster steht das Etikett. In einem Weinregal hat ein Wein drei Sekunden, um die Aufmerksamkeit zu erregen.“ Allerdings ist bereits an dieser Stelle ein Hinweis angebracht: Nicht alle Weine müssen ausschließlich optisch im Regal reüssieren, ohne begleitende fachmännische Beratung. Eine immer größere Rolle spielen dabei auch interaktive Etiketten.   der Millenials, also der jungen Käuferschicht, scannen einen QR-Code ein, wenn dieser auf einem Etikett vorhanden ist. Hamilton sieht aber auch die Gefahr, dass der Zielpunkt, der dann mit dem SmartPhone erreicht werden kann, nicht immer auf dem neuesten Stand gehalten wird. Ein solches Verfahren mache nur Sinn, wenn sichergestellt werden könne, dass Homepage und andere digitale Präsentationsformen permanent gepflegt würden. Ebenfalls bereits  veröffentlichte die Firma Noontime Labels die Ergebnisse zweier Studien. Der ersten lag die folgende Versuchsanordnung zu Grunde: Man reichte einer Probandengruppe einen Mittelklasse-Wein, der als Tischwein ausgezeichnet war. Kurze Zeit später erhielten die Studienteilnehmer denselben Wein, dieses Mal als Grand Cru klassifiziert. Das Ergebnis der Studie: Im ersten Fall wurde der Wein als erheblich schlechter eingestuft als im zweiten. Ein vergleichbares Experiment fand in einem gehobenen Restaurant statt: Zum Essen erhielten die Gäste Weine aus einem kalifornischen Weingut oder von einem Winzer aus Norddakota kredenzt – so dachten sie zumindest. Beide Male enthielten die Gläser allerdings den gleichen Wein, genossen wurde das Essen aber wesentlich mehr mit Wein vermeintlich kalifornischer Herkunft, da dieser traditionell als qualitativ besser eingestuft wird. Begleitet vom experimentalpsychologischen Institut der Universität Oxford wurde eine weitere interessante Untersuchung durchgeführt, die von der englischen Firma „Type Tasting“ zwischenzeitlich auch für kommerzielle

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Zwecke genutzt wird: Im Rahmen eines zweistündigen Seminars erfahren die Teilnehmer, ob und inwieweit sie die Qualität von Weinen anhand von deren Labels – und vor allem anhand der dort aufgetragenen Schrifttypen – beurteilen. Als wesentliche Ergebnisse der Studie kann man festhalten, dass Käufer einen Wein dann als besonders qualitätsvoll bzw. seinen Preis wert einstufen, wenn die Schrifttypen FS Sienna oder Didot genutzt werden. Will der Winzer dagegen den süßen und wuchtigen Geschmack seines Produkts betonen, dann solle er Bodoni Poster Italic oder Cooper Black verwenden, möglichst mit roten Schatten. Wenden wir uns nun aktuellen Trends im Bereich der Weinetiketten zu, die vor allem auf kommerzielle Intentionen zurückgehen und derzeitige Entwicklungen beeinflussen. Hier lassen sich sechs Aspekte identifizieren: – – – –





Weinetiketten erfreuen sich immer größerer Popularität: Sie werden zu Sammlerstücken und vermitteln Kunstbotschaften. Der Wettbewerb unter Weinhändlern und Winzern steigt permanent und wird auch über Namen und Etiketten ausgetragen. Wir werden uns diesem Bereich später noch genauer zuwenden. Weinetiketten werden zunehmend als Markenbotschafter intendiert sowie wahrgenommen. Insofern können deutliche Bemühungen im Bereich „Einzigartigkeit“ und „Designauffälligkeiten“ festgestellt werden. Immer mehr Konsumenten verfügen über immer mehr Informationen bezüglich Wein – aber nicht mithilfe von Etiketten, sondern über Webseiten, Blogs, Weinforen, soziale Netzwerke. Weinetiketten verändern damit ihre Funktion, auch im Hinblick auf erwünschte Informationen. Die Gruppe der Millennials wird beständig größer, die Gruppe der Babyboomers nimmt ab. Humorvolle, moderne Etiketten lösen inzwischen distinguierte Etiketten ab, die man früher als ästhetisch ansprechend empfunden hätte. Die „Geschichte hinter dem Wein“ ist mit entscheidend für Kaufüberlegungen. In Zeiten, in denen immer wieder Skandale die Ernährungsund auch Weinbranche erschüttern, kann ein vertrauenserweckender, längerfristig angelegter Auftritt nicht nur die aktuelle Entscheidung beeinflussen, sondern auch zur zukünftigen Kundenbindung beitragen.

Dabei kann es durchaus sein, dass selbst ein innovativer Auftritt innerhalb kurzer Zeit eine eigene Stammklientel kreiert und unter den Weingütern für Furore sorgt, wie das Beispiel des Pfälzer Winzers Markus Schneider zeigt (siehe Abb. ). Er generierte zwar durchaus ungewöhnliche Namen für seine Weine („Holy Moly“, „Tohuwabohu“ und „Hullabaloo“), versah diese aber immer mit einer zugrundeliegenden Geschichte. So ist „Tohuwabohu“ – unseres Erachtens etwas uncharmant – seinem Sohn Nicolaus gewidmet. Durch

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Abb. 2: Moderne Weinetiketten / Angaben auf einem deutschen Weinetikett

diese ungewöhnlichen Namen, die aber dem gleichen ästhetischen Design folgen, verbinden die Kunden gute Qualität immer mit dem Hause Schneider, der Wein wird zur Marke. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung merkt dazu an: „Jahrgänge, Böden, Rebsorten, Erträge mögen weiterhin wichtig bleiben, entscheidend aber ist die Marke.“ Und diese eben wird zu einem Großteil auch über das Etikett transportiert. Für Winzer und Etikettenhersteller ist der boomende chinesische Markt immer einen Blick wert, selbst wenn der asiatische Kaufrausch inzwischen etwas zurückgeht. Dennoch: Was erwartet man in China von einem Label? Hier verweist eine Studie darauf, dass Chinesen moderne Etiketten meiden würden. Der chinesische Verbraucher sei misstrauisch gegenüber allzu modernen Labels, heißt es in dem Bericht. Die Studie wurde von der Wine Intelligence in Kooperation mit dem Etikettendesigner Amphora durchgeführt. Die Marktanalysten von Wine Intelligence präsentierten acht verschiedene Etiketten einer Gruppe von  wohlhabenden chinesischen Weinkonsumenten aus Beijing und Shanghai, die regelmäßig importierte Weine trinken. Diese Probanden aus der oberen Mittelklasse seien anspruchsvolle und traditionelle Etiketten gewohnt, was mit dem normalen Weinkonsumenten in China korreliere. „Weine mit modernen Etiketten wurden von den Befragten eher mit Vorsicht behandelt. Außerdem versuchten sie die auf den Etiketten stehenden Begriffe zu interpretieren, was in einem gewissen Sinne irrelevant ist,“ er-

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klärt Jenni Li, Autorin des Berichtes. „Man muss wissen, dass die chinesische Kultur von visuellen Symbolen bestimmt wird. Dabei bleiben Bezeichnungen, sofern sich diese überhaupt übersetzen lassen, oftmals trotzdem unverständlich.“ Die Studie stellte auch heraus, dass es einen gewissen Spielraum bei der Interpretation von zeitgenössischen Etiketten gibt. Und gerade die zeitgenössischen Darstellungen auf den Etiketten, wie die Konzentration auf einfache Strichzeichnungen mit Gebäuden oder Landschaften, waren bei den Probanden weit beliebter als weiße oder schwarze Hintergründe, beherrscht von modernen Schriften. Den vorläufigen Abschluss der Möglichkeiten, mit Etiketten zu werben, stellt vielleicht eine Entwicklung der britischen Verpackungsfirma GreenBottle dar. Sie produziert für das kalifornische Weingut Truett-Hurst die weltweit erste Papierweinflasche, gestaltet von Stranger & Stranger. Die Flasche besteht aus gepresstem, recyceltem Papier und wiegt nicht mehr als  g – fast hat man Hemmungen, hierzu Flasche zu sagen. Informationen auf Etiketten: Pflicht und Kür im Weinrecht Wichtig beim Weinetikett erscheint uns die Unterscheidung zwischen Angaben, die – aus gutem Grund – gesetzlich vorgeschrieben sind, und solchen Informationen, die beispielsweise zu Werbezwecken zusätzlich abgedruckt sind. Dabei muss man auch zwischen den verschiedenen Herkunftsländern differenzieren, denn die Gesetzgebung ist staatenspezifisch durchaus unterschiedlich. Allein in Deutschland ist sie offenbar so komplex, dass bei einer Umfrage im Frühjahr , die bei rheinhessischen Winzern durchgeführt wurde, verschiedene Aussagen dazu gemacht wurden, was als „Pflichtangabe“ und was als fakultativ gesehen wird. Kein Wunder also, dass auch Laien und Hobby-Connaisseurs verstärkt darauf achten, dass Angaben nicht kryptisch und unverständlich nur für Fachleute lesbar sind. Dirk Würtz, Winzer und Betreiber eines Weinblogs, äußerte sich: „Bei deutschen Weinen etwa ist es extrem schwierig, von den Angaben des Etiketts auf die Qualität des Inhalts zu schließen. […] Für den Laien ist das fast unmöglich.“ Die verbindlichen Angaben bei deutschem Wein sind dabei überschaubar. Das Etikett informiert über die abgefüllte Menge des Weins (in der handelsüblichen Flasche , Liter) und dessen Alkoholgehalt. Außerdem muss die Qualitätsstufe angegeben werden, ebenso das Herkunftsland sowie der Erzeuger (Winzer) und Abfüller, denn nicht jeder Winzer hat eine eigene Abfüllanlage und nicht jeder Erzeuger verarbeitet eigene Trauben. Wenn auf der Flasche „Erzeugerabfüllung“ oder „Gutsabfüllung“ steht, kann das ein Qualitätsmerkmal sein – muss aber nicht. Wird nur der Abfüller genannt,

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wurde der Wein aus zugekauften Bestandteilen (Trauben, Most, Wein) produziert – das allein sagt aber nichts über die Qualität des Weines aus. Vorgeschrieben ist auch eine Loskennzeichnung zur Identifizierung: Bei deutschen Qualitäts- und Prädikatsweinen ist das die Amtliche Prüfungsnummer (AP-Nr.). Jeder Wein mit einer AP-Nummer wurde behördlich kontrolliert. Potenzielle Allergene müssen ebenfalls gekennzeichnet werden, etwa Schwefel, weshalb auf dem Etikett häufig der Hinweis „Enthält Sulfite“ zu finden ist. Und: Alle rechtlich relevanten Informationen müssen im Sichtbereich auf dem Etikett zu finden sein. Selbst die Mindestschriftgröße ist vorgegeben. Für Weine, die in Deutschland erzeugt wurden, gibt es vier Qualitätsstufen. Auf der untersten steht der „Deutsche Wein“, früher „Deutscher Tafelwein“ genannt. Hierbei handelt es sich um einfache Weine ohne jeden Hinweis auf eine geografische Herkunft. Bei dieser Qualitätsstufe darf der Most mit Zucker angereichert werden, um den Alkoholgehalt zu erhöhen; Fachleute nennen das „chaptalisieren“. Dann aber darf der Wein zum Schluss nicht mehr als , Prozent Alkohol enthalten. Eine Stufe darüber steht der Landwein. Bei ihm ist die Herkunft enger gefasst, der Wein ist einer bestimmten Landweinregion zugeordnet. Steht beispielsweise „Landwein Rhein“ auf dem Etikett, kann der Wein aus Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen oder Hessen stammen. Laut EU-Weinmarktordnung zählen Landweine zu den Weinen mit geschützter geografischer Angabe (abgekürzt „g. g. A.“), die einfachste aller Herkunftsbezeichnungen. Für Landweine gilt ebenso wie für „Deutschen Wein“: Chaptalisieren ist erlaubt, doch wenn es erfolgt, darf der Wein nicht mehr als , Prozent Alkohol enthalten. Es gibt auch sehr gute Landweine mit  Prozent Alkohol, doch ist das dann auf den natürlichen Zuckergehalt der Trauben zurückzuführen. Auf der nächsthöheren Stufe steht der Qualitätswein oder genauer, der Qualitätswein bestimmter Anbaugebiete, kurz QbA. Er muss deutlich strengere Kriterien erfüllen als die Weine der beiden unteren Stufen. Die wichtigsten sind: Der Wein muss in einem bestimmten Weinanbaugebiet hergestellt worden sein und der Winzer darf hierfür nur Rebsorten verwenden, die für die jeweilige Region zugelassen sind. Auch bei Qualitätsweinen ist das Chaptalisieren erlaubt. Qualitätsweine werden einer strengen Prüfung unterzogen und sowohl im Labor analysiert als auch von Fachleuten verkostet. Zusammen mit dem Prädikatswein gehört er laut EU-Verordnung zu den Weinen mit geschützter Ursprungsbezeichnung, abgekürzt „g. U.“. An der Spitze stehen schließlich die Prädikatsweine, die bis Ende  noch „Qualitätswein mit Prädikat“ hießen. Die Trauben für einen Wein dieser Güteklasse müssen ein gewisses Mindestmostgewicht haben. Das heißt:

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Je reifer und später die Ernte, desto mehr Zucker enthält die Traube und desto höher ist das Mostgewicht. Anders als bei den Qualitätsstufen darunter darf der Most von Prädikatsweinen nicht mit Zucker angereichert werden. Je mehr Zucker also der Traubenmost enthält, desto höher ist die Prädikatsstufe. In aufsteigender Reihenfolge heißen die Stufen: – – – – – –

Kabinett Spätlese Auslese Beerenauslese Trockenbeerenauslese Eiswein.

Auf die freiwilligen Angaben auf dem Etikett wollen wir an dieser Stelle nicht genauer eingehen, nur kurz einige Möglichkeiten benennen. So finden wir hier beispielsweise: – – – –

Lage (innerhalb des Herkunftsgebiets), z. B. Würzburger Stein Jahrgang Rebsorte bzw. Rebsorten und „süß“ oder „trocken“, manchmal auch „lieblich“, eine Angabe, die zwischenzeitlich allerdings etwas in Verruf geraten ist.

Für den Verbraucher hilfreich ist ebenfalls eine Klassifikation, die vom Verband Deutscher Prädikatsweingüter, kurz VDP, eingeführt wurde. Erkennbar am Traubenadler auf dem Flaschenhals haben sich hier  Spitzenweingüter (Stand: ..) deutschlandweit auf folgende Niveaustufen geeinigt: – – – –

VDP. Gutswein VDP. Ortswein VDP. Erste Lage VDP. Große Lage.

Nur kurz soll ein Überblick auch bezüglich ausländischer Bezeichnungen auf Etiketten gegeben werden. Zu nennen sind hier beispielsweise geschützte Herkunftsbezeichnungen, also in –

Frankreich: AOP (Appellation d’Origine Protégée), früher AOC (Appelation d’Origine Contrôlée); hierbei handelt es sich um die höchste Qualitätsstufe. Diese Weine stammen aus einem bestimmten Anbaugebiet (Appellation), das auf dem Etikett angegeben werden muss. Ein Wein, der dieses Gütesiegel tragen will, muss strenge Bedingungen erfüllen.

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Weiterhin Italien: DOCG (Denominazione di Origine Controllata e Garantita) und DOP (Denominazione di origine protetta), früher DOC (Denominazione di origine controllata). Hierbei handelt es sich um ein Siegel für Produkte mit geschützter Herkunftsbezeichnung der höchsten und zweithöchsten Qualitätsstufe. Auch hierfür gelten strenge Richtlinien. Schließlich Spanien: DOP (Denominación de Origen Protegida), früher DO (Denominación de Origen) und DOCa (Denominación de Origen Calificada) als Bezeichnungen für die höchsten Qualitätsstufen, für die strenge Kriterien vorgegeben werden.

Wer glaubt, mit diesen Angaben sei er auf der (qualitätsmäßig) sicheren Seite, liegt nicht falsch, doch kommen diverse weitere Angaben dazu, wobei beispielsweise in Frankreich die unterschiedlichen Anbaugebiete verschiedene Klassifizierungssysteme präferieren. Aber damit genug dieser Angaben – zumal wir den Bereich der Etiketteninformation noch nicht verlassen wollen. Immer häufiger finden wir auf Weinflaschen und Etiketten seit  das sog. Biosiegel, erkenntlich am grünen, lindenblattförmigen EU-Bio-Logo. Der so gekennzeichnete Wein muss aus ökologisch erzeugten Trauben stammen, die Möglichkeiten der Düngung sind streng reglementiert und auf den Zusatz von Inhaltsstoffen – wir erinnern in diesem Zusammenhang an den gebräuchlichen Schwefel – muss weitgehend verzichtet werden. Bei der biologischen Weinbereitung fehlen denn auch potenziell gefährliche, nicht-essentielle, synthetische und genmodifizierte Inhaltsstoffe. In Deutschland gibt es zudem den „Bundesverband Ökologischer Weinbau – Evocin“; er wurde  als einziger deutscher Anbauverband für ökologischen Weinbau gegründet und ist heute der größte Zusammenschluss ökologischer Weingüter weltweit. Das Hauptziel ist die ökologische und natürliche Erzeugung von Trauben, Traubensaft, Wein, Saft, Sekt und Weinbrand. Dabei wird nach strengen Richtlinien gehandelt. Es wird besonders auf natürliche Bodenfruchtbarkeit und Vermehrung der Artenvielfalt geachtet. In den Weinbergen werden Untersaaten geschaffen, welche unter anderem vielfältige Lebensräume für teilweise bedrohte Tier- und Pflanzenarten darstellen. Gleichzeitig ist der Einsatz von chemisch-synthetischen Insektiziden, Herbiziden und synthetischen Stickstoff-Düngern verboten. Für den Verbraucher ist die korrekte Zertifizierung anhand der EG-Kontrollnummer und des Ecovin-Warenzeichens auf dem Produkt zu erkennen. Gleichbleibende Qualität und ökologische Erzeugung sind damit garantiert. Umfassende, anschaulich aufbereitete Informationen zum deutschen Weinrecht findet man in einer Broschüre der Firma GEWA-Etiketten, die diese in Zusammenarbeit mit dem Schutzverband Deutscher Wein e. V. he-

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rausgegeben hat. Das Dokument trägt den Untertitel „Die Etikettierung von Wein, Schaumwein, Perlwein und anderen Weinerzeugnissen“ und datiert vom . August . Es beinhaltet sogar Hinweise auf richtige Bezeichnungen für Etiketten, die im Ausland Verwendung finden sollen, Ansprechpartner sowie ein umfassendes Register und umfasst immerhin  Seiten. Etwas Etikettendruck Die Drucktechnik hat sich im Laufe des letzten Jahrhunderts rasant entwickelt. Dazu zählen vor allem optisch-ästhetische Verbesserungen wie Heißfolie und Relieflack. Im Folgenden soll nur kurz auf diese doch eher weinökonomisch ausgerichteten Einzelheiten eingegangen werden: –









Etiketten mit Heißfolienprägung verleihen durch ihren Glanz und ihre Farbintensität eine besonders hohe Wertigkeit, die entstandenen Etiketten werden dann als Prägeetiketten oder Etiketten mit Heißfolie bezeichnet, da die Folie durch Hitze auf das Papier aufgetragen wird. Mit Relieflack lassen sich Schriftzüge und andere Motive dreidimensional hervorheben. Er ist in verschiedenen Zusammensetzungen in transparenter Form für glänzende oder matte Effekte verfügbar. Des Weiteren ist es möglich, ihn mit Pigmenten einzufärben. Viele Winzer und Winzergenossenschaften nutzen zudem die Möglichkeit der Blindprägung, um ihren Etiketten für Wein noch mehr reliefartige Strukturen zu verleihen und damit das haptische Gefühl zu verstärken. Vor der Erfindung von selbstklebenden Etiketten war es durchgängig üblich, die Weinpapiere per Nassleimung auf den Flaschen anzubringen. Das Verfahren wird auch heute noch angewandt, ohne dass Qualitätseinbußen beim Erscheinungsbild hingenommen werden müssen. Schneller und einfacher ist allerdings die Weiterverarbeitung von Haftetiketten, die auf Rollen geliefert werden. Sie lassen sich ausgezeichnet maschinell verkleben und verfügen über hervorragende Haltbarkeit. Dies allerdings auch zum großen Leidwesen von Etikettensammlern: Es ist wesentlich schwieriger als früher, selbstklebende hochwertige Papiere von den Flaschen abzulösen. (Wir empfehlen im Zweifelsfall die Nutzung eines Haarföns.) Fluoreszierende Druckfarben haben einzigartige Eigenschaften, die auf den ersten Blick nicht zu erkennen sind. Bei Tageslicht kann man sie kaum ausmachen, aber unter UV- bzw. Schwarzlicht entfalten sie ihre ganze Brillanz. In Diskotheken, Bars, auf Tanzflächen, wo häufig Schwarzlicht eingesetzt wird, wirken fluoreszierende Labels besonders gut. Sie wer-

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den deshalb gerne als Flaschenetiketten für Szenegetränke wie Craftbier, fertige Mixgetränke, trendige Spirituosen oder auch als Dosenetiketten verwendet, um den Werbeeffekt für das jeweilige Produkt zu erhöhen. Dabei kann ein fluoreszierender Aufkleber zum Beispiel auch als Garantie für die Originalität des Produkts stehen und vor unliebsamen Kopien schützen. Als Beispiel sei genannt William Fèvres Hipster Chablis  mit einem illuminierten Etikett, das mit einer Minibatterie betrieben wird. Unter UV-Licht zeigt sich eine Graffiti-artige Bemalung auf der Flasche, der QR-Code auf der Rückseite führt zu einer Animation und einer exakten Darstellung, wie viel man bereits getrunken hat – wichtig für Partygänger in nahezu unbeleuchteten Clubs. Auch die Auswahl an Etikettenpapier ist wesentlich umfangreicher als früher; nur kurz benannt seien an dieser Stelle Etikettenhaftpapier, Naturpapier und PE-Folie.

Kein Genuss ohne Gesetz: Etiketten vor dem Richter Bereits bei den verpflichtenden Angaben auf Weinetiketten sind wir mit dem Gesetz in Berührung gekommen. Folgend soll nun manch Weiteres, Überraschendes und Interessantes, ja sogar Humorvolles im Bereich des Juristischen aufgezeigt werden. Bekannt sind in diesem Zusammenhang die Bemühungen vor allem großer französischer Weingüter, unliebsame Konkurrenten – sei es aufgrund Namensgleichheit, sei es aufgrund vermeintlich verwechselbarer Etiketten – mit Gerichtsverfahren zu überziehen. So postete der bekannte Weinexperte Stefan Krimm auf Facebook während seines Burgund-Aufenthalts am . Juni : „Domaine Mouton er Cru Clos Jus  […] Später erfahre ich dann, dass Laurent Mouton, der junge Winzer in . Generation, der ihn erzeugt hat, vor zwei Jahren enorme Probleme hatte: Die Besitzer eines weit berühmteren,  km entfernten ‚Mouton‘ machten ‚Mouton‘ wegen des Namens der  ha-Domaine in Givry – immerhin in Burgund, nicht in Bordeaux! – einen erlittenen Schaden (‚dommages et intêréts‘) von . € geltend. Ziemlich konsterniert erklärte Laurent, seine Familie heiße halt schon immer ‚Mouton‘, die andere dagegen nicht. Dennoch erwog er sogar eine Umbenennung durch Namenszusatz, weil er die geforderte Summe nach einem verlorenen Prozess beim besten Willen nicht hätte aufbringen können. Nun, die Wogen haben sich, wohl auch durch das Presse-Echo der Sache, geglättet, sein Name steht nach wie vor auf dem Etikett. Aber ein Nachgeschmack bleibt schon – bei allem Verständnis für die von Fälschungen geplagten großen Châteaus!“ Denn dass die großen, renommierten Weingüter unter Fälschungen zu leiden haben, daran besteht kein Zweifel. So werden immer wieder kleinere

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oder größere Betrügereien beispielsweise mit Romanée-Contis unternommen. Häufig sind es dabei Weinflaschen aus China, die mit täuschend echt nachgemachten Etiketten beklebt werden, teilweise mit ebenfalls nachgeahmten Begleitpapieren, die für ihre Echtheit zeugen sollen. Dies wird unterstützt durch die zunehmenden Möglichkeiten, selbst Weinetiketten herzustellen, um für besondere Anlässe personalisierte und private Aufdrucke zu erzeugen. Ja, eine Zeit lang konnte man bei eBay legal gefälschte Weinetiketten erwerben, gedacht allerdings als Sammlerstück, nicht mit betrügerischen Absichten. Dies kann noch heute getestet werden: Man besuche die internationale Seite von eBay, erkenntlich am „.com“, und gebe als Suchkriterium „wine label“ ein: Dort sind beispielsweise für , Dollar zehn Château Lalande-Etiketten aus Pomérol der Jahrgänge zwischen  und  zu erstehen. Nicht nur die Weinflaschen bzw. ihre Etiketten selbst sind manchmal das Ziel von Verbrechern, sondern auch die Verpackung, konkret: Weinkisten. Hierzu berichtet der Decanter, Weinkisten würden sandgestrahlt und dann mit einem neuen, teureren Jahrgang versehen. Oder Abziehetiketten, sog. Strip Labels, die für den Export englischer Weine nach Amerika erforderlich seien, würden entfernt, um die wahre Herkunft zu verschleiern – alles, um mehr Geld verlangen zu können. Ebenso wie Mouton ging Veuve Cliquot im Jahr  gegen ein kleines italienisches Prosecco-Weingut vor, Ciro Picariello in Kampanien. Der Champagner-Gigant mit einer jährlichen Produktion von  Millionen Flaschen und einem Umsatz von , Billionen Euro sah die Farbe des vermeintlichen Konkurrenz-Etiketts zu nah am eigenen Design, wiewohl in Italien gerade einmal . Flaschen vom Schaumwein produziert werden. Die Anwälte von Veuve Cliquot verwiesen darauf, die Farbe sei als Handelsmarke der Europäischen Union eingetragen, die sozialen Netzwerke reagierten in der Folge mit einem Aufruf zum Boykott der „Witwe“. Wohl auch um diesem Ärger zu entgehen, ließ die Firma über Anwälte verkünden, man habe den kleinen Wettbewerber nur auf den Sachverhalt hingewiesen – eine gerichtliche Auseinandersetzung strebe man nicht an. Nach diesen eher unerfreulichen Anmerkungen zu juristischen Konflikten wollen wir uns mehr Humorvollem zuwenden. Im Beaujolais produziert die junge Winzerin France Gonzalvez ihre Weine und hatte die nachvollziehbare Idee, diese unter der Bezeichnung „Vins de France“ zu vermarkten, also etwa „die Weine von Franziska“. Sofort schaltete sich das Institut National de L’Origine et de la Qualité (IANO) ein und wies France darauf hin, sie verkaufe einen Beaujolais-Village und nichts anderes. Als France auf ihrem Namensrecht beharrte, fand die IANO die Lösung, nach „Vin de“ einen

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Zwischenraum, visuell dargestellt etwa durch ein Weinfass, zu gestalten – damit könne man leben. Leider müssen wir nun auch sofort wieder ernst werden und wenden uns nach diesen französischen Vorfällen noch Amerika, China und Italien zu. Im Jahr  kam es, betrachtet man die Anzahl der Flaschen, zum quantitativ größten Skandal. Das kalifornische Weingut E & J Gallo, das in Deutschland vor allem aus Supermarktregalen bekannt ist, konnte das Angebot mit amerikanischen Trauben nicht mehr decken und kaufte  Millionen Flaschen angeblichen Pinot Noirs aus dem Languedoc hinzu, vermarktet als „Red Bicyclette Pinot Noir“. Allerdings erkannten französische Zöllner, dass es sich um eine Mixtur – wir vermeiden hier absichtlich den höherwertigen Begriff einer Cuvée – billiger Trauben handelte. Man war dem Betrug auf die Spur gekommen, weil die betreffende Region, in der die Winzer ansässig waren, diese Mengen an Pinot Noir überhaupt nicht hätte produzieren können. Wir haben bereits von der großen Bedeutung des asiatischen Markts berichtet. Kein Wunder also, dass hier – bei (noch zu) kleinen Anbaugebieten und einer riesigen Nachfrage – neben den Rebstöcken auch die Verbrechen blühen. Bei einer Razzia in Taiwan stellten Ermittler Ende März  über . Flaschen mutmaßlich gepanschten Weins und spezielle Drucker für Weinetiketten sicher. Der auf dem örtlichen Markt etablierte Importeur Tequila Development Company wird beschuldigt, billigen Fasswein aus Chile und Spanien in Flaschen umgefüllt und als teuren französischen Wein aus der Region Bordeaux ausgegeben zu haben. Wein im Wert von zwei US-Dollar sei so in Flaschen mit gefälschten Etiketten für  US-Dollar verkauft worden, so ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Durch den Verkauf von über . auf diese Weise gefälschten Weinflaschen habe die Firma seit  einen unrechtmäßigen Gewinn von deutlich über drei Millionen US-Dollar gemacht. Tatsächlich hatte der Importeur sogar einige Flaschen echten Premiumweines aus Frankreich erworben, offenbar jedoch hauptsächlich, um in den Besitz von Vorlagen für die Fälschung der originalgetreuen Etiketten zu kommen. Dieses Vorgehen ist in Fälscherkreisen weit verbreitet. Dabei stellen auch die von den Herstellern eingeführten vermeintlich fälschungssicheren Etiketten kein unüberwindbares Hindernis dar. Bereits im Jahr  hatte die taiwanesische Polizei bei einer Razzia festgestellt, dass erst kurz vorher eingeführte Sicherheitsetiketten bereits gefälscht worden waren. In Asien werden immer wieder Fälle großangelegter Fälschungen von Wein und anderen Spirituosen, wie Single-Malt-Whisky und kanadischem Eiswein, aber auch lokaler Spezialitäten, wie Reiswein und Hirseschnaps, aufgedeckt.

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Wer denkt, damit habe man den Gipfel des Illegalen und Verwerflichen erreicht, sieht sich getäuscht. Den Höhepunkt an gerichtlich verfolgter Geschmacklosigkeit auf Weinetiketten stellt unseres Erachtens die Azienda Vinicola Lunardelli aus Udine mit ihrer Weinedition „Historical Range“ dar, die Bilder Hitlers und Mussolinis tragen. Umfrage bei rheinhessischen Winzern und Weingütern Zu Beginn des Jahres  wurde bei den über  Winzern und Weingütern in Rheinhessen eine Umfrage bzgl. Etiketten durchgeführt. Diese umfasste sowohl geschlossene Antwortformate wie auch die Möglichkeit, eigene Anmerkungen zu machen. Die rein zahlenmäßigen Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: – – –

– – – –

  der Winzer bringen Etiketten ausschließlich auf der Vorderseite ihrer Flaschen an, davon nutzen   zwei Etiketten auf der Vorderseite. Die Rückseite der Flaschen wird von   der Winzer für zusätzliche Etiketten genutzt.   der Befragten machen Angaben zu Winzer bzw. Weingut, zu Rebsorte und zum Jahrgang auf dem oder den Etiketten – eine interessante Feststellung, gehören die beiden letzten Angaben doch zu den fakultativen. Immerhin   vermerken einen Namen auf dem Wein oder geben einen Hinweis zur Qualität.   verweisen auf ihren Etiketten auf Inhaltsstoffe.   beschreiben – auf der Rückseite ihrer Flaschen – das Produkt näher. Und immerhin   geben Konsumhinweise, also beispielsweise auch Empfehlungen für die Essensbegleitung.

Betrachten wir weitere Zahlen: – –

Bei   der Etiketten haben sich in den letzten zehn Jahren grundsätzliche Veränderungen bei der Gestaltung der Etiketten ergeben, lediglich   nutzen weiterhin tradierte Muster.   haben beim Design ihrer Etiketten eine bestimmte Zielgruppe vor Augen,   der Etiketten richten sich an das breite Massenpublikum.

Im Folgenden sollten die Winzer die Reihenfolge der Bedeutung festlegen, die ihrer Ansicht nach a) Informationen, b) Marketingaspekte oder c) Kunst auf den Etiketten haben. Bei der Auswertung zeigte sich, dass sich hier der Informationsgehalt mit dem Werbeeffekt exakt die Waage hält in ihrer Re-

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levanz (je   setzten die beiden Aspekte auf Platz ), während der Kunstcharakter mit   weit abgeschlagen liegt. Schließlich noch zwei letzte Zahlen:   der Befragten gaben an, dass das Weinetikett für den Verkauf von sehr großer Bedeutung sei, lediglich   sahen hier eine geringere Relevanz. Allerdings – und hier sind wir bei den freien Angaben, die nun in Auswahl vorgestellt werden sollen – wird diese Einschätzung mit Hinweis auch auf unterschiedliche Zielgruppen relativiert: Winzer, die einen festen Käuferstamm haben bzw. in erster Linie ab Weingut verkaufen, wo die persönliche Beratung (noch) im Vordergrund steht, sehen verständlicherweise wenig Sinn in einem aufwändig gestalteten und teuer hergestellten Etikett. Was fiel bei der Auswertung der freien Angaben noch auf? –



  gaben an, neben den vorgeschlagenen Möglichkeiten des Etikettenaufdrucks noch weitere Angaben zu machen, beispielsweise Hinweise auf bestimmte Allergene, auf die Restsüße, auf den Ausbau im Barrique, auf QR-Codes und auf die Lagerfähigkeit. Interessant vielleicht auch die Hinweise, welche Änderungen sich bei den Weinetiketten in den letzten zehn Jahren durchgesetzt haben, waren doch immerhin über drei Viertel der Etiketten davon betroffen. Änderungen betrafen zum Beispiel – in erster Linie eine Umstellung auf selbstklebende Etiketten, – eine „Modernisierung“ des Auftritts (Farbe, Schriftzug), einmal auch beschrieben als „Anpassung an den Zeitgeist“, – die Symbolisierung einer Firmenphilosophie oder eines Firmenlogos (im Rahmen einer Corporate Identity), – die Entwicklung neuer, teilweise projektartiger Produktlinien, – die Differenzierung zwischen verschiedenen Linien (für Fachhandel, Gastronomie, Supermarktketten) und schließlich – eine bewusstere Gestaltung von Vorder- und Rückseite (vorne „aufgeräumt“ oder „kunstvoll“, hinten informativ).

Was wurde noch genannt? Welche Zielgruppen haben die   jener Winzer im Auge, die sich darüber spezielle Gedanken machen? Genannt wurden hier (in Auswahl): – – –

Weintrinker ab  oder – ganz konkret – Weintrinker von Ende  bis Mitte . Kunden, die auf Wertigkeit sowie klassisch-modernes Aussehen achten. Der Kundentypus sei, so der Vermerk, hier extrovertiert-emotional. Weinaffine Konsumenten, die Wert auf nachvollziehbare Weine legen.

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Weintrinker, die einen gewissen Anspruch an Qualität haben und eine wertige Ausstattung verlangen, die sie auch bei ihren Bekannten und Freunden vorzeigen können. Für die Zukunft habe man hier den weininteressierten Kunstfreund vor Augen.

Abschließend genannt sei als umfassende Zielgruppenanalyse der Hinweis auf „eloquente, offene, intelligente, zahlungsfähige, aufgeschlossene moderne Menschen zwischen  und  Jahren, die Wert auf gute Qualität bei Produkten legen und ein gutes Bewusstsein für authentische und regionale Produkte zeigen“. Am Ende der Umfrage schließlich war Platz für zusätzliche, persönliche Angaben, von denen wiederum einige wenige vorgestellt werden sollen; wir zitieren: –

– –







„Das Etikett ist ein wichtiges Kriterium für die Kaufentscheidung bei den Unwissenden. Es sollte ordentlich aussehen, gut strukturiert sein und klar ersichtlich, was es aussagen soll. Sogenannte Künstleretiketten sind für manche ein Anreiz, da es toll aussieht. Letztlich muss der Inhalt passen …“ „Neben der Weinqualität spielt die Flaschenausstattung eine immer größere Rolle. […] Es muss ein gutes Gesamtkonzept zu erkennen sein.“ „Die Etikettengestaltung ist bei uns im Betrieb momentan ein großes Thema. Wir haben erst vor drei Jahren mit der eigenen Flaschenweinvermarktung angefangen und uns komplett ein neues Design erarbeitet, aber wir wollen mit dem er Weinjahrgang wieder ein komplettes neues Design mit einem einheitlichen Konzept durchsetzen.“ „Wir planen in den nächsten – Jahren eine Umstellung unserer Etiketten auf ein neues Layout. Das muss konzeptionell aber langfristig angelegt sein, damit die bestehenden Kunden auch ‚mitgenommen‘ werden können.“ „Die Neugestaltung kann sehr nervenaufreibend sein! Man ist sich auch immer etwas unsicher, ob man alle Angaben vollständig und richtig auf dem Etikett hat. Die Beschreibung im Weingesetz, welche Angaben auf dem Etikett sein müssen, ist immer sehr unklar erklärt. Ich fände es gut, wenn man es anhand von Musterabbildungen sehen könnte oder es etwas verständlicher erklärt wäre!!!“ Und schließlich ein Hinweis vom Weingut Reineck-Baltz: „Zum Jubiläumsjahr ‚ Jahre Rheinhessen‘ legen wir in Kooperation mit der Künstlerin Susanne Mull aus Ingelheim ein Sonderetikett auf, passend zum Titel ihrer Ausstellung ‚Hommage an Rheinhessen‘. Generell bin

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ich der Meinung, dass ein Etikett zu der Philosophie und Persönlichkeit des Betriebs passen muss, man muss sich damit identifizieren können.“ Wir danken allen Winzern und Weingütern, die an unserer Erhebung teilgenommen haben. Teilweise wurden sogar Probeflaschen angeboten, um die Etiketten genauer studieren zu können. Aktuelle Entwicklungen Für Furore in den Vereinigten Staaten sorgt derzeit eine Studie des TTP (Alcohol and Tobacco Tax and Trade Bureau), einer Behörde, die Richtlinien für den Umgang mit Alkoholika erstellt, unter anderem für das sogenannte Labelling. Gemäß dieser Studie sollte den Herstellern alkoholischer Getränke empfohlen werden, Informationen zum Konsum auf die Etiketten aufzunehmen. Dazu gehören die Füllmenge pro Portion, die Zahl der Portionen pro Flasche, der Alkoholgehalt pro Portion sowie weitere angeblich nützliche Informationen zur Ernährung. Als Entgegenkommen an derzeitige Kundenwünsche preist denn auch das Unternehmen Diageo sein Vorgehen an, seine Weine mit detaillierten Servier- und Konsumhinweisen zu versehen, unter anderem mit Angaben zum Kaloriengehalt – selbstverständlich in Relation zur üblichen Verkostungsmenge, wie groß diese auch immer sein mag. Dazu kommen Warnhinweise zum Alkoholgenuss bei Schwangerschaft, all dies, um den erwarteten verbindlichen Richtlinien von Aufsichtsbehörden zuvorzukommen. In eine vergleichbare Richtung zielt im Übrigen eine Vorgabe, dass seit Dezember  Restaurants in den USA in ihren Speisen- bzw. Getränkekarten Informationen über die enthaltenen Kalorien der dort verzeichneten Alkoholika anführen müssen. Schließen möchten wir dieses Kapitel mit dem Verweis auf Tesco, der größten Handelskette in Großbritannien, weltweit die drittgrößte und damit auch Trendsetter für viele Entwicklungen. Dort können Kunden jetzt ihr Smartphone auf die Weinflasche richten und erhalten – unabhängig von einem ggf. dort befindlichen QR-Code – Informationen zum Wein: Es geht nicht mehr um Quick response oder Quick recognition, es geht jetzt um visual recognition technology: Sobald das Etikett eingescannt ist, erhält der Nutzer zusätzliche Informationen mithilfe seiner App. Kunst und Weinetiketten Kunst auf Weinetiketten ist so neu nicht: Eine weithin bekannte Druckerei für Weinetiketten in Deutschland war die „Graphische Anstalt W. Gers-

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tung“, die sich bereits Anfang des . Jahrhunderts auf die Produktion von Weinetiketten spezialisierte und dafür Design-Persönlichkeiten wie Ludwig Enders, Richard Throll oder Peter Behrens engagierte. Mit die berühmtesten Etiketten für Wein zieren die Flaschen des Château Mouton Rothschild aus dem Pauillac. Der Wein dort gehört weltweit

Abb. 4: „Der Weinträumer“ von Bruno Bruni (Schloss Vollrads), Etiketten Flaschenvorderseite und -rückseite

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Abb. 5: Flaschenetiketten „Hex vom Dasenstein“, entworfen von Tomi Ungerer

zum Besten (und leider auch Teuersten), was man aus Weintrauben vinifizieren kann. Seit  lässt das Weingut seine Etiketten jedes Jahr von einem anderen berühmten Künstler gestalten. Beispielhaft seien hier Pablo Picasso, Andy Warhol, Salvador Dalí und Marc Chagall genannt. Ähnlich wie bei Briefmarken gibt es Sammler, die sich auf moderne oder auch historische Etiketten spezialisiert haben und sich in Vereinen, auf speziellen Börsen oder im Internet austauschen und organisieren. In Deutschland mit am bekanntesten ist der „Freundeskreis Weinetiketten-Sammler“. Dessen Vorsitzenden, Jürgen Cantstetter, haben wir aufgrund seiner unzweifelhaft vorhandenen Expertise um Angabe des seiner Ansicht nach schönsten bzw. außergewöhnlichsten Etiketts gebeten. Er nannte uns als schönstes den „Weinträumer“ von Bruno Bruni für einen er Rheingau Riesling Kabinett vom Schloss Vollrads. Als außergewöhnlichstes Etikett seiner Sammlung bezeichnete er die „Hex vom Dasenstein“ von Tomi Ungerer für eine er Spätburgunder Spätlese der Winzergenossenschaft Kappelrodeck. Im Rahmen des Vortrags am . Juni  in Mainz konnten diverse weitere Etiketten vorgestellt werden; aufgrund urheberschutzrechtlicher Re-

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gelungen ist dies an dieser Stelle leider nicht möglich. Verwiesen sei daher auf die folgenden Möglichkeiten des Internet. Links Aufruf jeweils am ..; es wird keine Verantwortung für den Inhalt der Internetseiten übernommen. Zusammenstellungen diverser Weinetiketten: https://www.thedrinksbusiness.com///top--wine-labels-designed-byartists/ http://www.weincasting.com////-ausergewohliche-weinetiketten/ http://users.skynet.be/winelabelsworld/Duits/ThematicLabels/LabelsDuits. htm Weinetikettenkunde Deutschland: http://magazin.wein.com/artikel/weinetikett-steht-drauf-steckt-dahinter/ http://www.ratskeller.de/weinwissen/etikettenkunde Weinetikettenkunde Frankreich: https://www.wein-erlebnis-welt.de/erlebniswelt/wissenswertes/weinetikettenin-frankreich/ Deutscher Freundeskreis Weinetiketten-Sammler: http://www.weinetikettensammler.de/ Hinweise zur Bedeutung von Weinetiketten: https://www.xposeprint.de/blog/-flaschenetiketten-beispiele-tipps-design Hinweise zur psychologischen Wirkung von Weinetiketten: http://www.weinbilly.de/weinwissen/psychotricks-wie-uns-weinetikettenzum-kauf-verfuhren

Die Autorinnen und Autoren

Dr. Daniel Deckers, Verantwortlicher Redakteur für „Die Gegenwart“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Lehrbeauftragter an der Hochschule Geisenheim. Dr. Margarethe König, Archäobotanikerin, lehrt und forscht seit  als Akademische Direktorin am Institut für Altertumswissenschaften, Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Publikationen zur vor- und frühgeschichtlichen Landwirtschaft mit einem Schwerpunkt zum römischen Weinbau. Dr. Christof Krieger, geb. , Studium der Geschichte, Germanistik und Philosophie an den Universitäten Gießen und Trier, Magisterabschluss  in Neuerer und Neuester Geschichte, seit  Leiter des Mittelmosel-Museums in Traben-Trarbach,  Promotion („‚Wein ist Volksgetränk!‘ Weinpropaganda im Dritten Reich am Beispiel des Anbaugebietes Mosel, Saar und Ruwer“). Prof. Dr. Andreas Lehnardt, lehrt seit  Judaistik an der Universität Mainz. Er leitet mehrere wissenschaftliche Projekte zur Geschichte und Literatur der Juden in Deutschland, u. a. gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Thyssen-Stiftung. Publiziert hat er über Rabbinische Literatur, jüdische Geschichte und Brauchtum, über die alte Jüdische Bibliothek der jüdischen Gemeinde Mainz und über hebräische Einbandfragmente. Zuletzt erschienen eine von ihm herausgegebene Dokumentation der Judaica-Abteilung im Landesmuseum Mainz und das von ihm übersetzte und erschlossene Memorbuch der Israelitischen Religionsgesellschaft zu Mainz. Prof. Dr. Michael Matheus, geb.  in Graach (Mosel). Vorsitzender und Direktor des Instituts für Geschichtliche Landeskunde (IGL) an der Universität Mainz, Vorsitzender des Deutschen Studienzentrums in Venedig. Mitglied des Direktoriums des Römischen Instituts der Görres-Gesellschaft (RIGG). Nach Lehrtätigkeit an den Universitäten Trier und Essen von  bis  Professor und Leiter des Arbeitsbereiches Mittlere und Neuere Geschichte und Vergleichende Landesgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Von  bis September  Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom.

 Die Autorinnen und Autoren Dr. phil. Pia Nordblom, geb. , hat an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  promoviert. Sie ist als Zeithistorikerin am Historischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz tätig. Ihr Arbeitsschwerpunkt liegt in der regionalen Zeitgeschichte des deutschen Südwestens. Sie forscht insbesondere zu Themen des Nationalsozialismus und zu internationalen und grenzüberschreitenden Beziehungen an Rhein und Mosel. Prof. Dr. Michael Rothmann, lehrt Geschichte des Mittelalters und der beginnenden Frühen Neuzeit an der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover. Er ist ferner Mitglied im Kuratorium des Instituts für vergleichende Städtegeschichte, in der Historische Kommission für Niedersachsen und Bremen, im Historischen Verein für Niedersachsen, in der Frankfurter Historischen Kommission, sowie Stiftungsrat der Friedrich-Christian-Lesser-Stiftung. Dr. Martin Sachse-Weinert, geb.  in München. Studium der Germanistik und Geschichte für Lehramt Gymnasium. Promotion ; seitdem Schulleiter des Matthias-Grünewald-Gymnasiums in Würzburg. Forschungen und Vorträge vor allem zu den Themenkomplexen „Wein und Musik“ sowie „Wein und Religion“. Veröffentlichungen in diversen Fachzeitschriften mit den Schwerpunkten „Franken“ und „Südfrankreich“. Dr. Rudolf Steffens, geb. , Studium der Mittleren und Neueren Geschichte und der Germanistik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Erstes Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien . Promotion zum Dr. phil. über das Frühneuhochdeutsche in Mainz . Seit  Wissenschaftlicher Angestellter am Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e. V. Lehrbeauftragter am FB  Philosophie und Philologie der Johannes Gutenberg-Universität. Veröffentlichungen zum Frühneuhochdeutschen, zum Fachwortschatz des Weinbaus, zur Namenkunde (Familiennamen, Flurnamen, Weinlagenamen). PD Dr. Henning Türk, geb.  in Limburg/Lahn, von  bis  wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Duisburg-Essen, seitdem wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam, / Vertretung der Professur für Neueste Geschichte an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, vertritt zur Zeit die Professur für Neueste Geschichte an der Rheinischen-Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn, Forschungsschwerpunkte u. a. Geschichte des Weinbaus im . und . Jahrhundert, Geschichte der liberalen Bewegung, deutsch-französische Beziehungen und europäische Integrationsgeschichte.

Bildnachweis

Beitrag König Abb. , , , : Thomas Zühmer, Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Direktion Rheinisches Landesmuseum Trier Beitrag Matheus Abb. : Michael Matheus Abb. : Fotos Patrick Jung Abb. : Thomas Maurer, Das nördliche Hessische Ried in römischer Zeit. Untersuchungen zur Landschafts- und Siedlungsgeschichte im rechtsrheinischen Vorfeld von Mainz vom .–. Jahrhundert n. Chr. (Frankfurter Archäologische Schriften ), Bonn , Tafel  Abb. : beide Landesmuseum Mainz Beitrag Lehnardt Abb. , , , : A. Lehnardt Beitrag Steffens Karte : aus einem SW-Werbeprospekt des Niemeyer-Verlags aus dem Jahre  Karte : umgezeichnet nach: Historischer Südwestdeutscher Sprachatlas, Bd. II, Karte E  Karte : umgezeichnet nach Kleiber, Urbare als Quellen, Karte  Beitrag Türk Abb. : Abb. :

Landeshauptarchiv Koblenz, Bestand , Bd.  Foto Hermann Menzel, Stadtarchiv Koblenz, Bestand FA, Nr. 

Beitrag Krieger Abb. : Kreisbildarchiv Bernkastel-Wittlich Abb. , : Sammlung Krieger Beitrag Nordblom Abb. : Programmheft Internationaler Weinbaukongress Bad Kreuznach, . bis . August , hg. v. Internationaler Weinbaukongress Bad Kreuznach in Verbindung mit der Zeitschrift „Der deutsche Weinbau“, Mainz, [Berlin] 

 Bildnachweis Abb. : Abb. :

Stadtarchiv Mainz Der deutsche Weinbau, Mainz, Jg. ., ..

Beitrag Deckers Abb. : D. Deckers Abb. : Archiv Weingut Gunderloch, Familie Hasselbach Beitrag Sachse-Weinert Abb. : Abdruck mit freundlicher Genehmigung JWG – Johannisberger Weinvertrieb KG Schloss Johannisberg Abb. , oben: Weingut Markus Schneider; unten: Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Bremer Ratskellers,  Bremen Abb. : gemeinfrei Abb. : Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Schloss Vollrads Abb. : © Tomi Ungerer / Diogenes Verlag AG Zürich (Abdruckgenehmigung ..)

Mit insgesamt sechs Anbaugebieten (Rheinhessen, Pfalz, Mosel, Nahe, Mittelrhein und Ahr) und rund 64.000 Hektar Rebfläche gilt Rheinland-Pfalz als das Weinland Nummer 1 in Deutschland. Weinbau und Weinkultur können dabei auf eine 2000-jährige Geschichte zurückblicken. Seit der Antike hat der Wein in dieser Region Wirtschaft und Handel mit geprägt und in Kultur, Kunst, Sprache und Politik vielfältige Spuren hinterlassen. Die Autorinnen und Autoren nehmen in interdisziplinären und epochenübergreifenden Beiträgen ganz unterschied-

liche Aspekte der Weingeschichte in den Blick: vom Weinbau in römischer Zeit über die jüdische Weinkultur am Rhein bis hin zum Weinhandel im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Mit Blick auf die spezifische Winzersprache oder die Gestaltung von Weinetiketten werden zudem sprach- und kunsthistorische Aspekte thematisiert. Aber auch die politischen Dimensionen der Weinkultur – etwa zur Zeit des Nationalsozialismus – und nicht zuletzt literarische Bezüge – am Beispiel von Zuckmayers „Der fröhliche Weinberg“ – finden Beachtung.

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag Mainzer Vorträge Herausgegeben vom Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e.V.

ISBN 978-3-515-12386-0

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