»Euthanasie«, Zwangssterilisationen, Humanexperimente: NS-Medizinverbrechen an Rhein und Sieg 1933–1945 [1 ed.] 9783412520021, 9783412520007


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German Pages [392] Year 2020

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»Euthanasie«, Zwangssterilisationen, Humanexperimente: NS-Medizinverbrechen an Rhein und Sieg 1933–1945 [1 ed.]
 9783412520021, 9783412520007

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NS-MEDIZINVERBRECHEN AN RHEIN UND SIEG 1933–1945

ANSGAR SEBASTIAN KLEIN

STADT UND GESELLSCHAFT Studien zur Rheinischen Landesgeschichte Herausgegeben vom LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte Redaktion Helmut Rönz, Wolfgang Rosen und Keywan Klaus Münster Band 8

„Euthanasie“, Zwangssterilisationen, Humanexperimente NS-Medizinverbrechen an Rhein und Sieg 1933–1945 von Ansgar Sebastian Klein

Böhlau Verlag Wien Köln Weimar

Eine gemeinsame Publikation des Rhein-Sieg-Kreises und des LVR-Institutes für Landeskunde und Regionalgeschichte. Das Projekt „Erforschung und Dokumentation der NS-Medizinverbrechen im Rhein-Sieg-Kreis“ wurde durch finanzielle Zuwendungen des Rhein-Sieg-Kreises und des Landschaftsverbandes Rheinland (Regionale Kulturförderung) ermöglicht.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2020 by Böhlau Verlag GmbH & Cie. KG, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: 1. Blick von der Bonner Straße auf das Siegburger Kreishaus, im Hintergrund Abtei Michaelsberg (ARSK); 2. »Die Kosten der erblich Belasteten«, Plakat der Aktiengesellschaft für hygienischen Lehrbedarf Dresden (LVR-Klinik Langenfeld) Bildredaktion: Yorick Fastenrath Redaktionelle Mitarbeit: Sarah Behr, Josephine Bütefür, Marvin Dettenbach, Lavinia Fahnster, Ralf Forsbach, Simon Golletz, Charlotte Kalenberg, Charlotte Körner, Keywan Klaus Münster, Nina Quabeck, Jana Ritter, Helmut Rönz, Alena Saam, René Schulz Register: Josephine Bütefür, Niclas Deutsch, René Schulz Projektbeirat: Claudia Arndt, Ralf Forsbach, Hans-Georg Hofer, Rainer Land, Nina Quabeck, Helmut Rönz, Joachim Scholtyseck, René Schulz, Michael Solf, Thomas Wagner Korrektorat: Ute Wielandt, Markersdorf Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-52002-1

Inhalt

Geleitwort I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Geleitwort II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Aus Zahlen werden Schicksale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1.1 NS-Medizinverbrechen an Rhein und Sieg – eine Hinführung . . . . . . . . . . . . 17 1.2 Ein später Start: Die Erforschung der NS-Medizinverbrechen . . . . . . . . . . . . 19 1.3 Die Medizinverbrechen in der regionalen und lokalen Forschung . . . . . . . . . 24 1.4 Forschungsziele und Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1.5 Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 II. Verwaltungsgeschichtliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen . . . . 35 2.1 Verwaltungsgeschichte des Landkreises Bonn und des Siegkreises . . . . . . . . . 35 2.2 Die Kreise und ihre Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2.3 Der Aufstieg der NSDAP an Rhein und Sieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 III. „… Anfang, aber nicht Ende“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3.1 Von Wohlfahrt und Entmündigung: Die Vorgeschichte der Zwangssterilisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3.1.1 Die Grundzüge des eugenischen und rassenhygienischen Diskurses 43 3.1.2 Die Sterilisationsdebatte vor 1933 und das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3.2 Institutionelle und personelle Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3.2.1 Die Entwicklung und Neuorganisation des Gesundheitswesens an Rhein und Sieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3.2.2 Die Fürsorgeaußenstelle der Rheinischen Provinzial-Heil- und ­Pflegeanstalt Bonn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3.2.3 Einrichtungen der NSDAP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3.3 „… eine möglichst aktive Bevölkerungs- und Aufzuchtspolitik“ – Akteure der Sterilisationspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3.3.1 Die Errichtung und Ausstattung der staatlichen Kreisgesundheitsämter 58 3.3.2 Die Amtsärzte, Kreisärzte und ihre Stellvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3.3.3 Die Ärzte der Strafanstalten Rheinbach und Siegburg . . . . . . . . . . . . . 100

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Inhalt

3.4 Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ im Landkreis Bonn und im Siegkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 3.4.1 Das Erfassungssystem: Anzeigen und Denunziationen . . . . . . . . . . . . . 110 3.4.2 Auf dem rassenhygienischen Prüfstand: Anträge und Gutachten . . . . 139 3.4.3 Entscheidungsinstanzen: Das Verfahren vor dem Erbgesundheitsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 3.5 Beschwerden und Opposition gegen die Umsetzung des Sterilisationsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 3.5.1 Ablehnung durch die katholische Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 3.5.2 Die Position der evangelischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 3.5.3 Suche nach einem Ausweg: Das Verhalten der Betroffenen . . . . . . . . . 189 3.6 Versuche zur Wiederaufnahme des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 3.7 Die Durchführung der Sterilisationen und eugenischen Schwangerschaftsabbrüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3.7.1 Zuständigkeiten, Abläufe und Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3.7.2 Die durchführenden Ärzte und ihre Berichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 3.8 Beispielhafte Schicksale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 IV. Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg . . . . . . . . . . . . . . 243 4.1 Der Weg zur nationalsozialistischen „Euthanasie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 4.1.1 Vom „schönen Tod“ zum „unwerten“ Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 4.1.2 Begriffsumdeutung und Pervertierung im „Dritten Reich“ . . . . . . . . . 246 4.2 Die „Kindereuthanasie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 4.3 Versuchte Legitimierung: Der Gesetzentwurf zur Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . 255 4.4 Planung und Durchführung der „Aktion T4“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 4.4.1 Beginn im Osten: Die ersten Patientenmorde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 4.4.2 Tötungen in den Gaskammern 1940 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 4.5 Jüdische Opfer der „Euthanasie“ im Rheinland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 4.6 Die Durchführung der organisierten Patientenmorde an Rhein und Sieg . . . 278 4.6.1 Der Transport in die Zwischenanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 4.6.2 Die Transporte nach Hadamar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 4.6.3 Spurensuche: Widerstand gegen die Medizinverbrechen? . . . . . . . . . . 297 4.7 Exkurs: Propaganda – Der Spielfilm „Ich klage an“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 4.8 Die Fortsetzung der Krankenmorde 1942–1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 4.9 Offene Fragen: Die Zunahme von Todesfällen in der Rheinischen ProvinzialHeil- und Pflegeanstalt Bonn 1939–1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 4.10 Ein beispielhafter Blick auf die Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 4.10.1 Josef Fuhr (1884–1941) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 4.10.2 Anita Cremer (1927–1942) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 4.10.3 Wilhelm Münz (1923–1943) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326

Inhalt

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V. Verbrechen und Verbrecher in den Konzentrationslagern . . . . . . . . . . . . . . . 329 5.1 Menschenversuche mit Kampfgas: Otto Bickenbach und Helmut Rühl . . . . . 329 5.2 Lagerärztin im „Frauen-Umschulungslager“: Herta Oberheuser . . . . . . . . . . 331 5.3 Vom Einsatzkommando zur Kriminalpolizei: Wilhelm Döring . . . . . . . . . . . 333 5.4 Höhenversuche im KZ Dachau: Siegfried Ruff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 VI. Schädigung und Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 6.1 Kampf um Anerkennung und Entschädigung – die Wiederaufnahmeverfahren nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 6.2 Die Entnazifizierung der Ärzte im Untersuchungsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 6.3 Heutige Formen des Gedenkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Archivquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Auskünfte und Zeitzeugengespräche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 Abkürzungen und Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383

Geleitwort I

„Unzählige Male sind Menschen wegen ihrer Religion, ihrer Abstammung, ihrer politischen Gesinnung, einer körperlichen oder geistigen Einschränkung oder ihrer sexuellen Orientierung Opfer von nationalsozialistischer Gewalt geworden. Eine kaum vorstellbare Zahl von ihnen ist auf staatliche Anordnung getötet worden.“ So stand es in einem gemeinsamen Antrag der Kreistagsfraktionen von CDU, GRÜNEN, SPD und FDP, mit dem „in Kenntnis dessen und wegen der Verantwortung des Rhein-Sieg-Kreises als Nachfolger der Gesundheitsbehörden des seinerzeitigen Siegkreises und des Landkreises Bonn“ die Verwaltung beauftragt wurde, „im Rahmen einer wissenschaftlichen Lokalstudie die NS-Medizinverbrechen […] im Bereich des heutigen Rhein-Sieg-Kreises erforschen und dokumentieren zu lassen.“ In das System der staatlich legitimierten und organisierten Verfolgung und des Massenmordes waren Behörden und andere offizielle Stellen aller Ebenen einbezogen. Auch auf lokaler und regionaler Ebene waren kommunale und staatliche Verwaltungen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten in die Verbrechen verstrickt. Dies trifft auf den Umgang mit körperlich oder geistig eingeschränkten Menschen ebenfalls und in besonderer Weise zu. Sie standen von Beginn des Regimes an im Fokus administrativ vollzogener Maßnahmen, die im Verlauf zur Unfruchtbarmachung und vielfachen Tötung behinderter Menschen führte. In diesen Komplex waren insbesondere die Gesundheitsbehörden involviert. Hiervon legen umfangreiche Aktenbestände im Archiv des Rhein-Sieg-Kreises Zeugnis ab. Sie bieten beste Voraussetzungen für eine gründliche und breit angelegte Untersuchung zu NS-Medizinverbrechen auf lokaler und regionaler Ebene. Mehrere tausend so genannte Erbgesundheitsakten aus dem Siegkreis und dem Landkreis Bonn, viele Personalakten von Ärzten der damaligen Gesundheitsverwaltung und auch Bildmaterial dokumentieren den Umgang mit den betroffenen Menschen und verzeichnen administratives Handeln, das sich vielfach im Rahmen einer formalen Rechtlichkeit vollzog. Sie machen Strukturen deutlich, spiegeln gesellschaftliche und persönliche Einstellungen, belegen die Verstrickungen von Personen und Behörden. Und sie benennen Opfer wie auch Täter. Nach der Bereitstellung der notwendigen Finanzmittel im Haushalt des Rhein-SiegKreises, nach der Zusage eines Zuschusses des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) aus Mitteln der Regionalen Kulturförderung, nach einem formalen Vergabeverfahren und dem Abschluss eines Kooperationsvertrages zwischen dem Rhein-Sieg-Kreis, dem LVR und der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn konnte die auf zwei Jahre

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Geleitwort I

angelegte wissenschaftliche Untersuchung, in die parallele und ergänzende Bestände anderer Einrichtungen und Archive, etwa die Überlieferung des Landschaftsverbandes Rheinland, einbezogen wurden, im Herbst 2017 beginnen. Das Ergebnis der Studie legen der Rhein-Sieg-Kreis und der Landschaftsverband Rheinland nun gemeinsam vor. Damit wird ein zentrales Anliegen des Untersuchungsauftrages erfüllt, dessen Ziel es auch ist – wie es der langjährige Kreistagsabgeordnete Michael Solf als Initiator des Projektes immer wieder betont hat –, den Opfern wenigstens im Nachhinein ihren Namen und ihre Würde zurückzugeben. „Das Andenken an diese Opfer der Gewaltherrschaft darf nicht verlorengehen; es hat zugleich Mahnung zu sein.“ – Dieser Satz steht im Vorwort des Kataloges zur Ausstellung „Juden an Rhein und Sieg“, mit der der Rhein-Sieg-Kreis im Jahr 1983, fünfzig Jahre nach dem Beginn der nationalsozialistischen Diktatur, jüdische Kultur und jüdisches Leben in unserem Raum sowie Verfolgung und Vernichtung während der NS-Zeit umfassend dokumentierte. Als gut zehn Jahre später, 1994, die Gedenkstätte „Landjuden an der Sieg“ in Windeck-Rosbach als historischer Lernort eröffnet wurde, war dieser Leitsatz ebenfalls Richtschnur und Programm. Unverändert aktuell, gilt er auch für diese im 75. Jahr nach dem Ende der NS-Diktatur und des Zweiten Weltkrieges vorliegende Untersuchung der NS-Medizinverbrechen an Rhein und Sieg der Jahre 1933 bis 1945. Der Verantwortung gerecht zu werden heißt, sich an die Vergangenheit zu erinnern und daraus Lehren für die Zukunft zu ziehen. Möge diese Untersuchung, die mit Vorträgen begleitet wurde und deren Ergebnisse noch in einer wissenschaftlichen Fachtagung diskutiert und in einer Ausstellung aufbereitet werden, dazu beitragen. Im Namen des Rhein-Sieg-Kreises sage ich allen Beteiligten herzlichen Dank. Zu danken ist vor allem Herrn Dr. Ansgar Sebastian Klein, der die Studie erarbeitet und zu Papier gebracht hat. Für die wissenschaftliche Begleitung danke ich besonders Herrn Dr. Helmut Rönz vom LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte als Projektleiter mit seinem Team, dem Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirates, Herrn PD Dr. Ralf Forsbach (Institut für Geschichte und Ethik der Universität zu Köln), und Herrn Prof. Dr. Joachim Scholtyseck von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Dem LVR gilt darüber hinaus ein herzliches Dankeschön für die gewährte Zuwendung. Der Dank an den Initiator des Projektes, Michael Solf, der die Arbeit stets engagiert begleitet hat, ist zugleich auch ein stellvertretender Dank an alle Mitglieder des Kreistages und speziell des federführenden Kultur- und Sportausschusses. Schließlich danke ich auch meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Kulturdezernat, im Kreisarchiv und im Kultur- und Sportamt. Sebastian Schuster Landrat des Rhein-Sieg-Kreises

Geleitwort II

Liebe Leser*innen! Die Rolle der Medizin im Nationalsozialismus gehört zu jenen Themen, deren Aufarbeitung in der jüngeren Vergangenheit – nach jahrzehntelangem Schweigen – bis zum heutigen Zeitpunkt in Form zahlreicher Studien und Publikationen erkennbar Gestalt angenommen hat und in Bibliotheken, Instituten oder Forschungseinrichtungen der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wird. Angesichts der für uns unvorstellbar erscheinenden Verbrechen an Patient*innen zwischen 1934 und 1945 bleibt dennoch festzuhalten: Es wurde noch nicht alles gesagt, nicht alles wurde erforscht und vor allem: nicht jedem Schicksal wurde man gerecht. Für uns ist dies gleichermaßen Mahnung wie Auftrag. Zahlreiche Täterorte befanden sich in direkter Verantwortung des Provinzialverbandes der Rheinprovinz. Schon seit über 10 Jahren stellt sich der Landschaftsverband als Nachfolgebehörde dieser Verantwortung. Was mit ersten Forschungen in den 1980er Jahren begann, hat sich inzwischen zum Leitthema unter der politisch getragenen Zielsetzung „Der LVR stellt sich seiner Geschichte“ einer gemeinsamen Erinnerungsarbeit mit zahlreichen Partner*innen entwickelt. Sie trägt ihre Früchte in der Bildungsarbeit, im gemeinsamen Gedenken und in der Forschung, die für unsere Vermittlungsarbeit Voraussetzung ist und das seriöse Fundament legt. Die vorbildliche Kooperation des Rhein-Sieg-Kreises mit dem LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte hat dies verdeutlicht: Verbrechen von ungeahnter Grausamkeit aufzuarbeiten und die betroffenen Menschen nicht der Vergessenheit anheimfallen zu lassen, ist eine historische Aufgabe, der wir uns gemeinsam mit den Städten und Kreisen im Rheinland stellen. Es freut uns, dass nun ein Buch vorliegt, dass erstmals einen heute bestehenden Kreis und seine Einwohner*innen in den Mittelpunkt rückt. Der Dank gilt allen Beteiligten des Projektes für die Arbeit an diesem wichtigen Baustein moderner Erinnerungskultur, die im LVR-Portal Rheinische Geschichte ihre Fortführung finden wird. Vor allem danken wir dem Kreistag des Rhein-Sieg-Kreises, dass er die Initiative für dieses wichtige Projekt ergriffen hat. Mit der Förderung dieses Vorhabens in den Jahren 2016 und 2017 durch die Mittel der Regionalen Kulturförderung konnten wir einen wesentlichen Teil zur Realisierung beitragen. Der nun vorliegenden Studie wünschen wir viele Interessierte und Engagierte. Milena Karabaic LVR-Dezernentin für Kultur und Landschaftliche Kulturpflege

Ulrike Lubek Direktorin des Landschaftsverbandes Rheinland

Aus Zahlen werden Schicksale Eine Projekthinführung Helmut Rönz

„Wir möchten den Opfern Namen und Gesicht und damit ihre Würde zurückgeben“ – dies war der Anspruch, den wir, der Rhein-Sieg-Kreis und das LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, uns setzten, als wir unsere Aufgabe, die Erforschung der NS-Medizinverbrechen auf dem Gebiet des heutigen Rhein-Sieg-Kreises, angingen. Sie sollten ihre Würde zurückerhalten; nicht nur die Toten der Patientenmorde, sondern auch die unzähligen Menschen, die durch Zwangssterilisierungen, Humanexperimente und andere menschenverachtende Unternehmungen der Nationalsozialisten für ihr Leben gezeichnet wurden oder gar über diese Verbrechen ihr Leben durch Krankheit, innere und äußere Verletzung, Seuche und Hunger verloren. „Wir möchten den Opfern Namen und Gesicht geben“ – dies war auch ein allumfassender Anspruch, der sich nicht nur in der Erforschung der Sachverhalte erschöpfen sollte. Vielmehr haben wir uns dem Thema mit einem mehrfachen Anspruch genähert: Wir wollten ermitteln, erforschen, analysieren, aufbereiten, gedenken und nicht zuletzt die Öffentlichkeit in den gesamten Diskurs einbeziehen; am Schluss steht dann das Vermitteln. Aus diesen Gründen haben wir nach Zeitzeugen gesucht, aus diesen Gründen haben wir ein großes Begleitprogramm aufgelegt. Parallel zu den Forschungen in den Archiven lief eine öffentliche Vortragsreihe, die nicht nur auf das Projekt aufmerksam machen, sondern auch die bisherige Forschung sowohl auf nationaler als auch regionaler Ebene aufzeigen sollte. Den Anfang machte Götz Aly mit einem Vortrag im Stadtmuseum Siegburg zum Thema „Die ‚Euthanasie‘ und die deutsche Gesellschaft“. Es folgten Vorträge von Ralf Forsbach über „NS-Medizinverbrechen im Westen“ und von mir über den „Widerstand gegen NS-Medizinverbrechen im Rheinland“. Michael Kißener präsentierte Erkenntnisse und Lücken der Forschung in Rheinland-Pfalz in seinem Vortrag „NS-Medizinverbrechen im deutschen Südwesten – Erträge und Desiderate der Forschung“ und Thomas Roth beleuchtete den institutionellen Rahmen in seinem Vortrag „Der ‚Rhein-Sieg-Kreis‘ im Nationalsozialismus – Strukturen, Behörden und Parteiinstanzen“. Am 20. Mai 2019 sprach in Bornheim schließlich Alexander Friedman über die Medizinverbrechen im Westen im Vergleich zu denen im Osten, in den sogenannten „Bloodlands“, und verband so die aktuelle Forschung mit unserem Thema. Alle Veranstaltungen waren stets gut besucht und von ebenso regen wie anregenden Diskussionen geprägt. Zur Begleitung des Projektes wurde gleich zu Beginn ein wissenschaftlicher Beirat im Siegburger Kreishaus installiert. Ihm stand der Siegburger Medizinhistoriker Ralf Forsbach vor. Von Seiten des Kreises gehörten der Dezernent Thomas Wagner, der Kultur-

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Aus Zahlen werden Schicksale

amtsleiter Rainer Land, die Kreisarchivarin Claudia Arndt sowie der Initiator des Projektes, der Kreistagsabgeordnete Michael Solf, dem Gremium an. Für das LVR-Institut arbeiteten Ansgar Sebastian Klein und ich im Beirat mit. Darüber hinaus gehörten die Professoren Hans Georg Hofer (Münster) und Joachim Scholtyseck (Bonn) dem Gremium an. Joachim Scholtyseck steuerte dem Projekt auch eine studentische Hilfskraft bei: Zunächst war dies bis Oktober 2019 Nina Quabeck, seit Mai 2020 arbeitet René Schulz in dieser Funktion. Während Frau Quabeck vor allem die Archivphase sowie die Schreibphase unterstützt hat, wird Herr Schulz weitere Anschlussprojekte betreuen. Zudem arbeiteten noch Sarah Behr, Alena Saam, Charlotte Kalenberg, Charlotte Körner, Josephine Bütefür, Saskia Berghäuser und Simon Golletz in unterschiedlichen Funktionen am Projekt mit. Yorick Fastenrath betreute mit der ihm eigenen Souveränität die Bildredaktion, Lennart Heickmann half bei den zahlreichen Verwaltungsaufgaben effizient und zielgerichtet. Sarah Behr steuerte aufgrund ihrer Erfahrung mit dem Sujet – sie arbeitet an einer Dissertation über die Ehrenwall’sche Klinik Ahrweiler in der NS-Zeit – zahlreiche wertvolle Hinweise bei. Alena Saam gab Tipps bei der Archivarbeit in Duisburg und half bei der Bildrecherche. Ralf Forsbach übernahm die erste kritische Durchsicht des Manuskripts. Allen Beteiligten sei herzlich gedankt! Vor allem möchte ich aber dem Autor Ansgar Sebastian Klein danken, der in unermüdlichem Einsatz das Buch zu Papier brachte. Alle Beteiligten machten mir als Projektleiter die Arbeit sehr leicht. Vor allem die Zusammenarbeit mit dem Kreis war von großem Vertrauen und Effizienz geprägt. Ein zentrales Thema der letzten zwei Jahre war die Frage, wie mit Namen und Daten der Opfer umzugehen war. Der wissenschaftliche Beirat war sich von Anfang an des Problems des Datenschutzes bewusst. Dass für die wissenschaftlichen Recherchen eine vollständige Dokumentation aller relevanten Daten erhoben werden musste, war allen Beteiligten klar. Zur Diskussion stand lediglich die Art und Weise der Präsentation der Ergebnisse der auf den ermittelten Daten beruhenden Forschung. Neben der nüchternen, rein statistischen Auswertung sollte das Projekt zur Veranschaulichung und Vergegenwärtigung der Fälle individuelle Biographien sowohl der Opfer als auch der Täter vorstellen. Grundsätzlich gilt nach dem Archivgesetz, dass Personen, die vor 1945 verstorben sind, nicht mehr als schutzwürdig anzusehen sind. Personen, die hervorgehobene Funktionen in der staatlichen Verwaltung oder der NSDAP innehatten, etwa die Leitung eines Amtes oder einer Ortsgruppe, werden als Amtsträger und Personen der Zeitgeschichte aufgefasst und namentlich genannt. Das gilt auch für Ärzte, die eine leitende Funktion, etwa als Kreis- bzw. Amtsarzt und Leiter eines Gesundheitsamtes, Direktor einer Universitätsklinik oder als Leiter einer ärztlichen NS-Organisation auf Kreis- oder Ortsgruppenebene wie dem Amt für Volksgesundheit der NSDAP und dem Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebund (NSDÄB) innehatten. Bei den weiteren Ärzten im Gesundheitsamt und in den Kliniken sowie bei den Fachund Hausärzten wird mit den üblichen Regelungen verfahren: Akten von Personen, die länger als zehn Jahre tot sind oder deren Schutzfrist von 100 Jahren seit der Geburt abgelaufen ist und deren Laufzeit vor mehr als 30 Jahren endete, stehen der Forschung

Aus Zahlen werden Schicksale

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zur Verfügung. Im öffentlichen Dienst wurden Personalakten geführt, so dass zumindest das Geburtsdatum bekannt ist, oft auch das Todesdatum. Die Personendaten von niedergelassenen Ärzten sind meist unbekannt, so dass hier nur bei einem sicheren Nachweis des Todes der Name verwendet werden konnte. Personen, die als Verfolgte und Opfer des nationalsozialistischen Regimes anzusehen sind, gelten als schutzwürdig. Der Umgang mit ihren Daten ist eindeutig durch das Archivgesetz geregelt. Während es bei jüdischen Opfern üblich ist, die Namen zu nennen, ist das bei den Opfern der NS-Medizinverbrechen bisher nur in Ausnahmefällen geschehen. Obwohl keine datenschutzrechtlichen Bedenken bestanden, wurde oft mit dem Hinweis, Rücksicht auf die Angehörigen zu nehmen, der Name abgekürzt oder verfremdet. Von dieser Praxis wird zunehmend abgerückt. Die individuelle Würdigung der Leiden der „Euthanasie“-Opfer durch die volle Namensnennung der Ermordeten kommt mittlerweile in Publikationen, Ausstellungen und nicht zuletzt bei den Stolpersteinen zum Ausdruck. Die Intention all dieser Projekte ist es, den Opfern ihre Namen zurückzugeben und sie damit vor dem Vergessen zu bewahren. Der Beirat hat sich deshalb entschlossen, die vollen Namen der „Euthanasie“-Opfer zu nennen. Sie werden in dieser Publikation auch entsprechend erwähnt. Da mit Sicherheit noch nicht alle Opfer gefunden wurden, ist geplant, die bisher bekannten Namen in einer Datenbank im Internet zu veröffentlichen. So ist die Möglichkeit gegeben, zukünftige Forschungen zu unterstützen und Namen zu ergänzen. Anders stellt sich die Frage der Namensnennung bei den vielen Opfern der Zwangssterilisationen. Da der Vorgang in der Akte meist mit der Meldung der Unfruchtbarmachung endet, ist ein Todesdatum nicht feststellbar. Diese Personen könnten theoretisch noch leben, weshalb nur mit ihrem Einverständnis eine Veröffentlichung des Namens möglich wäre. Eine Recherche nach den Todesdaten hätte bei gut 3.000 Personen einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeutet. Eine Nachforschung bei Standesämtern konnte jedoch bei einzelnen, ausgesuchten Fällen durchgeführt werden. Wir möchten über die Veröffentlichung dieses Bandes hinaus das Thema weiter für die Öffentlichkeit aufbereiten. Dazu planen wir derzeit eine Wanderausstellung, die in allen Gemeinden des Kreises zu sehen sein soll. Darüber hinaus werden wir auch im LVR-Internetportal Rheinische Geschichte (www.rheinische-geschichte.lvr.de) das Projekt weiter begleiten, etwa durch eigene Themenbereiche. Auch hier und vor allem hier gilt: „Wir möchten den Opfern Namen und Gesicht und damit ihre Würde zurückgeben“. Wo kann man das besser als im Internetportal Rheinische Geschichte, einem Ort also, der für jeden zugänglich ist und der „demokratischen Wissenschaft“, dem freien Zugang zu qualitätvoller Information und Wissenschaft verpflichtet ist. Hier möchten wir künftig der Opfer auch virtuell gedenken, ihnen Namen geben, wie dies schon die Städte Hamburg und Dresden taten. Wir sind also noch nicht ans Ende unserer Arbeit gelangt – wir stehen erst am Anfang.

I. Einleitung

1.1 NS-Medizinverbrechen an Rhein und Sieg – eine Hinführung Nationalsozialistische Medizin- und Gesundheitspolitik war auch immer Rassenpolitik.1 Eine Binsenweisheit, die nicht nur Licht auf das Verhältnis des Einzelnen zum völkischen Gesamtstaat, sondern auch auf die politische Agenda der Nationalsozialisten wirft. Spätestens mit der Veröffentlichung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses im Juli 1933 musste den Zeitgenossen dämmern, dass es nun um die Verwirklichung eines Gesellschaftsbildes ging, das Adolf Hitler bereits 1925 in seinem Buch „Mein Kampf “ skizziert hatte. Dort war zu lesen: „Die Forderung, daß defekten Menschen die Zeugung anderer, ebenso defekter Nachkommen unmöglich gemacht wird, ist eine Forderung klarster Vernunft und bedeutet in ihrer planmäßigen Durchführung die humanste Tat der Menschheit.2“ Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten wurde dies politische Realität. Bezeichnenderweise urteilten zahlreiche Kommentatoren schon vor dem eigentlichen Erlass, ein solches Sterilisationsgesetz sei „Anfang, aber nicht Ende“.3 Derartige Kommentierungen warfen einen langen Schatten auf die zahlreichen Verbrechen in der nun einzuführenden medizinischen Praxis. Eugenische Thesen hatten bereits in den Weimarer Jahren ihre Popularität steigern können, nun fanden sie ihre Vollendung nach nationalsozialistischer Interpretation. Etwas hatte sich offenbar verschoben. Hannah Arendt (1906–1975) schreibt später, ein Prozess des menschlichen Selbstverlustes sei in Gang gekommen. Die Philosophin begründet dies mit einer grundsätzlichen Leidenschaft für das Einfache und vermeintlich angenehmen weltanschaulichen Mustern: „Wurzellosigkeit und Kontaktlosigkeit treiben die Massen den Führern zu“.4 Dieser Prozess führte im Bereich der Medizinpolitik schließlich zum Massenmord an Menschen mit psychischer oder physischer Behinderung – aus Gründen der „Rassenhygiene“. Durch die Aus- und Abgrenzung von vermeintlich Krankem sowie die Unterteilung von Menschen in „lebenswert“ und „lebensunwert“ verloren unzählige Menschen ihr Leben oder erlitten unwiderrufbare Schäden. 1 2 3 4

Frei, Medizin; Westermann/Kühl/Groß, Medizin; Trus, Reinigung. Hitler, Mein Kampf, S. 671. Fetscher, Theorie, S. 256. Zitiert nach Pross, Welt, S. 205.

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Abb. 1  Erste Seite eines Merkblatts zum Umgang mit sogenannten Erbkranken, undatiert

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Ein später Start: Die Erforschung der NS-Medizinverbrechen

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Zwangssterilisationen zur Reinhaltung des „Volkskörpers“, Patientenmorde sowie inhumane medizinische Experimente in den Konzentrationslagern sind Anlass des vorliegenden Buches. Wie wir noch sehen werden, lag der Schwerpunkt der historischen Erforschung dieser Verbrechen bisweilen auf der Reichsebene – die Realität der neuen Rassen-Maschinerie zeigte sich aber auch vor Ort. Hier sollte der „Dienst am Volkskörper“ verrichtet werden. Hier erhielt das medizinische Personal Merkblätter, die obige Passagen aus Hitlers „Mein Kampf “ zum Richtwert ihres Handelns machten.5 Der Mensch geriet zugunsten der „Volksgemeinschaft“ aus dem Blick. Inhalt der folgenden Kapitel sind daher die Geschichten der Opfer nationalsozialistischer Medizinverbrechen an Rhein und Sieg, das System, das sie dazu machte, sowie die Beteiligten und Strukturen vor Ort.

1.2 Ein später Start: Die Erforschung der NS-Medizinverbrechen Die nationalsozialistischen Medizinverbrechen sind nun schon längere Zeit Gegenstand der historischen Forschung. Dabei wird leicht übersehen, wie schleppend die öffentliche Auseinandersetzung mit den Medizinverbrechen in Gang gekommen ist.6 Als sich nach 1945 die Verbrechen des NS-Regimes vollständig offenbarten, bildeten die Opfer der Medizinverbrechen, trotz ihrer hohen Zahl, zunächst nur eine Teilgruppe der vielen Opfer. Zudem hatten sich die Zwangssterilisationen vor den Augen der Öffentlichkeit abgespielt. Proteste waren nur vereinzelt hervorgetreten, wirklichen Widerstand gab es nicht.7 Dagegen war die Ermordung wehrloser kranker Menschen eine heimlich geplante und durchgeführte Aktion, die im Schatten des Krieges stattfand. Die alliierte Justiz befasste sich im Nürnberger Ärzteprozess 1946/47 hauptsächlich mit den Tätern in den Konzentrationslagern, die medizinische Experimente an den Gefangenen durchführten, bevor sie getötet wurden, urteilte aber auch über die Hauptverantwortlichen der „Euthanasie“. Deutsche Nachfolgeprozesse beschäftigten sich mit den Tätern in den Heil- und Pflegeanstalten, die verantwortlich für die Auswahl, den Abtransport und die Tötung von Patienten waren. Der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich (1908–1982) war im Auftrag der drei Ärztekammern der Westzonen Leiter einer Beobachterkommission in Nürnberg und veröffentlichte zusammen mit Fred Mielke (1922–1958) bereits 1947 als Zwischenbericht 5 Die nationalsozialistischen „Merkblätter“ zur Durchführung des Gesetzes zitierten u. a. aus unterschiedlichen Passagen von „Mein Kampf “: „Wer körperlich nicht gesund und würdig ist, darf sein Leid nicht im Körper seines Kindes verewigen! Der Staat muß Sorge tragen, daß nur, wer gesund ist, Kinder zeugen darf. […] Die Forderung, daß defekten Menschen die Zeugung anderer, ebenso defekter Nachkommen unmöglich gemacht wird, ist eine Forderung klarster Vernunft und bedeutet in ihrer planmäßigen Durchführung die humanste Tat der Menschheit.“ ARSK LKB 6466. 6 Dazu auch Forsbach, Diskussion; Westermann, Leid. 7 Zu den unterschiedlichen Formen widerständigen Verhaltens gegenüber der NS-Medizinpolitik zuletzt Rönz, Widerstand; Leipert, Widerstand.

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eine Prozess-Dokumentation8, die aber – bis auf eine eher interne Auseinandersetzung in der Göttinger Universitätszeitung – wenig Beachtung fand. Zwei Jahre später veröffentlichten Mitscherlich und Mielke den Abschlussbericht in erweiterter Form.9 Diese Publikation – obwohl oder weil sie an die Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern zur Weitergabe an die Ärzte ging – erzielte ebenfalls keine Wirkung. Es gab weder Rezensionen noch sonstige Reaktionen. Erst 1960 konnte eine neue Herausgabe des Prozessberichtes, von den Bearbeitern als „Zeitchronik“ verstanden, erfolgen.10 Ebenso erging es der Ärztin Alice Platen-Hallermund (später Ricciardi) (1910–2008), die ebenfalls als Mitglied der Ärztekommission beim Prozess anwesend war und deren Publikation speziell zur „Euthanasie“ 1948 keinerlei Resonanz fand.11 Die historische Forschung hat sich vergleichsweise spät mit den Medizinverbrechen beschäftigt.12 Mittlerweile ist die Zahl der darüber erschienenen Studien allerdings kaum noch zu überblicken. Eigene Bibliographien und Zusammenfassungen der bisherigen Forschungsergebnisse13 erleichtern den Zugang. Bahnbrechend und äußerst öffentlichkeitswirksam waren in den 1980er Jahren die Arbeiten des Journalisten Ernst Klee (1942–2013) über den Ablauf der „Euthanasie“Verbrechen14 und die Karrieren der Täter nach 1945.15 1987 kam dann ein Sammelband von Götz Aly mit dem Titel „Aktion T4 1939–1945“16 heraus. Er beschrieb eindrücklich die von der Zentraldienststelle T4 in der Berliner Tiergartenstraße 4 eingeleiteten und gesteuerten Mordpläne und ihre zahlreichen Verästelungen. Die Ermordung von kranken und älteren Menschen lässt sich in verschiedene Phasen bzw. „Aktionen“ unterteilen, die sich zeitlich überlappten bzw. parallel liefen. Am Beginn der „Euthanasie“ standen die sogenannten „Reichsausschusskinder“17, also die Ermordung von Säuglingen, Kleinkindern und Kindern ab 1939. Die Forschungen über die „Kindereuthanasie“ haben wichtige Erkenntnisse über die Ursprünge und die Entwicklung der Ermordung „lebensunwerten Lebens“ erbracht.18 Zu vielen der sogenannten „Kinderfachabteilungen“ existieren mittlerweile eigene Untersuchungen: Aplerbeck19, 8 Mitscherlich/Mielke, Diktat. 9 Mitscherlich/Mielke, Wissenschaft; er wurde um ein Vorwort der Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern erweitert, insgesamt neu redigiert und Abbildungen wurden reduziert, dazu Hartmann, Diktat, S. 8–11. 10 Mitscherlich/Mielke, Medizin; dazu auch Peter, Ärzteprozess und Dehli, Leben. 11 Platen-Hallermund, Tötung. 12 Einen ersten Aufschlag hatte Dörner, Nationalsozialismus bereits 1967 in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte gemacht, eine größere Auseinandersetzung mit dem Thema folgte aber erst später; beispielhaft bei Wollasch, Caritas. 13 Jütte, Medizin. 14 Klee, Euthanasie; Klee, Dokumente. 15 Klee, Was sie taten. 16 Aly, T4; Aly, Aktion. 17 Reichsausschusskinder. Eine Dokumentation, in: Aly, T4, S. 121–135. 18 Für das Vorgehen in der Ostmark Häupl, Massenmord. 19 Walter, NS-Kinder-Euthanasie.

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Eglfing-Haar20 bei München, Kalmenhof21, Kaufbeuren22, Lüneburg23, Schleswig24, Steinhof25 in Wien, Ueckermünde26, Wiesengrund27 bei Berlin, Feldhof28 in Graz, Leipzig29, Rothenburgsort30 in Hamburg und Hamburg31. Zur Vorgeschichte publizierte wiederholt und zuletzt 2008 Udo Benzenhöfer ausführliche Analysen.32 Am bekanntesten sind sicherlich die vom Sitz der Organisatoren in der Berliner Tiergartenstraße 4 („T4“)33 abgeleiteten und von der Forschung mittlerweile „Aktion T4“ genannten Morde in den Gaskammern von sechs Tötungsanstalten, die von Januar 1940 bis August 1941 stattfanden.34 Hier haben vor allem die an diesen Orten eingerichteten Gedenkstätten wertvolle Forschungsarbeit geleistet, z. B. zu Hadamar35 und Grafeneck36. Henry Friedlander thematisierte erstmals die Tötung jüdischer Patienten und untersuchte sie später vertiefend.37 Allerdings gibt es hierzu noch Forschungsdefizite.38 Die ersten Morde an jüdischen Patienten läuteten zugleich den organisierten Holocaust ein. Die Täter waren zunächst die gleichen wie bei der „Aktion T4“.39 Die anschließende, lange Zeit als „wilde Euthanasie“ bezeichnete Phase von etwa 1942 bis 1945 wurde zwar von den „T4“-Mitarbeitern begleitet, blieb aber im Grunde ein dezentrales Geschehen, bei dem die Ärzte vor Ort selbständig über Leben und Tod ihrer Patienten entschieden. Die Studien zur Aufklärung dieser Taten sind daher institutionell bzw. lokal angelegt. Sie bieten je nach Quellenlage wichtige Mosaiksteine sowohl für den konkreten Ablauf vor Ort als auch das Verständnis der Zusammenhänge im übergeordneten Kontext. Weitere zentral organisierte und gelenkte Aktionen zielten auf bestimmte Personengruppen und Zwecke. Hier sind Arbeiten zur „Aktion 14f13“ oder „Sonderbehandlung 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39

Richarz, Heilen; Schmidt, Selektion. Berger/Oelschläger, Kalmenhof. Pötzl, Sozialpsychiatrie. Süße/Meyer, Abtransport; Reiter, Psychiatrie. Bästlein, Kinderfachabteilung. Dahl, Endstation. Bernhardt, Anstaltspsychiatrie. Krüger, Kinderfachabteilung. Oelschläger, Geschichte; Oelschläger, Praxis. Seyde, Euthanasieverbrechen. Aly, Mord. Burlon, Euthanasie. Benzenhöfer, Fall Leipzig. Zur Geschichte des Gebäudes Hinz-Wessels, Tiergartenstraße 4. Zur zeitgenössischen Interpretation und Benennung den eindrücklichen Briefwechsel Nitsche/diverse in BArch 96-I-18. U. a. Hamm, Lebensunwert. Winter, Verlegt; Werner, Rheinprovinz; Roer/Henkel, Psychiatrie. Stöckle, Grafeneck. Friedlander, Anstaltspatienten; Friedlander, Weg; zu den jüdischen Patienten in den rheinischen Anstalten Hoss, Patienten. Hinz-Wessels, Antisemitismus; zuvor Hinz-Wessels, Erbgesundheitsgerichte zu deren Rolle und der Zwangssterilisation in der Provinz Brandenburg. Klee, Aktion „T4“.

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14f13“, der Ermordung von kranken KZ-Häftlingen ab 1941, zu nennen.40 Die von Juni 1943 bis 1945 dauernde sogenannte „Aktion Brandt“, bei der Bettenplätze für Ausweichkrankenhäuser und Lazarette in Heil- und Pflegeanstalten freigemacht wurden, hat bereits früh Götz Aly dargestellt41 und jüngst ausführlich mit Korrekturen Udo Benzenhöfer.42 Die Einordnung der Krankenmorde in die Gesundheitspolitik und die Verhältnisse während des Krieges hat Winfried Süß 2003 vorgenommen.43 Peter Sandner erforschte in einer voluminösen Studie die Rolle der Provinzialverbände bei den Krankenmorden am Beispiel von Nassau.44 Als ein weiterer Aspekt ist die versuchte Beeinflussung der Bevölkerung durch den Propagandafilm „Ich klage an“ untersucht worden.45 Die Frage nach der Haltung der Angehörigen in der Zeit des Nationalsozialismus hat wichtige Erkenntnisse über die Akzeptanz und Ablehnung der Tötungen erbracht. Nach jahrzehntelanger Beschäftigung – auch aus persönlichen Gründen – mit dem Thema „Euthanasie“ hat Götz Aly in seiner 2013 erschienenen Publikation „Die Belasteten“ die Gesellschaft untersucht, in der dies geschehen konnte. Dabei stellte er fest, dass „die Euthanasiemorde in der Mitte der Gesellschaft als öffentlich bekanntes Geheimnis vonstatten gingen“ und Ärzte sie in den therapeutischen Alltag übernahmen.46 Die Forschungen haben gezeigt, dass der Widerstand gegen die Krankenmorde nur schwach war. Bei der staatlichen Verwaltung und der Justiz47 lässt sich weitgehende Kooperation konstatieren – kaum jemand positionierte sich gegen die Tötung seiner Schutzbefohlenen. Der öffentliche und nichtöffentliche Protest von Vertretern der beiden christlichen Kirchen, insbesondere des Münsteraner Bischofs Clemens August Graf von Galen48, sowie die Empörung in der Bevölkerung49 sind insbesondere wegen der zeitlichen Nähe als Gründe für den Abbruch der „Aktion T4“ gedeutet worden.50 Neuere Forschungen ergeben ein differenzierteres Bild: Die Berichterstattung im Ausland51, innere Machtverschiebungen, der Angriff auf die UdSSR und der bereits angelaufene Holocaust spielten sicherlich auch eine Rolle.52 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52

Klodzinki, Aktion 14f13; Grode, Sonderbehandlung. Aly, Aktion. Benzenhöfer, Bau. Süß, Volkskörper. Sandner, Verwaltung. Roth, Ich klage an. Aly, Belasteten, Klappentext. Gruchmann, Amtsrichter. Kuropka, Galen; Griech-Polelle, Bishop; Süß, Hirte; Süß, Skandal; Wolf, Galen. Nowak, Widerstand. Mitscherlich/Mielke, Medizin, S. 204; Höllen, Episkopat, S. 90. Noack, NS-Euthanasie. Faulstich, Hungersterben, S. 273–288.

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Angesichts der oft dürftigen Quellenlage ist es nicht verwunderlich, dass die Täter bislang kaum Biographen fanden. Von den Hauptverantwortlichen, den beiden „EuthanasieBeauftragten“, gibt es eine ausführliche Biographie über Hitlers Leibarzt Karl Brandt53 und eine biographische Skizze über Philipp Bouhler54, den Leiter der „Kanzlei des Führers“. Ein kurzer biographischer Artikel informiert über Viktor Brack, den Organisator in der „Kanzlei des Führers“.55 Bei den Medizinern gibt es mehrere Publikationen über zwei Obergutachter der „Euthanasie“: Werner Heyde56 und Paul Nitsche57 (eine biographische Studie zu Herbert Linden fehlt) sowie die drei Gutachter der „Kindereuthanasie“: den Leipziger Kinderarzt Werner Catel58, den Berliner Kinderarzt Ernst Wentzler59 und eine jüngst erschienene Biographie über den Brandenburger Kinder- und Jugendpsychiater Hans Heinze.60 Das Gedenken an die Opfer der Medizinverbrechen war lange Zeit von Schwierigkeiten begleitet. Auch wenn bei der Namensnennung keine rechtlichen Beschränkungen bestehen, ließ doch immer der Hinweis zur Rücksichtnahme auf die Angehörigen Forscher und Museen vor der Nennung von Klarnamen zurückschrecken. Nachdem ursprünglich die Namen der Opfer anonymisiert wurden, wird in den letzten Jahren der Schwerpunkt auf die Heraushebung der individuellen Person gelegt, um ihr die Würde und den Namen zurückzugeben, so wie es bei den jüdischen Opfern schon lange geschieht. Biographische Skizzen werden mittlerweile unter dem vollen Klarnamen veröffentlicht. Die Stadt München würdigt in einem 2018 erschienenen Gedenkbuch ihre über 2000 getöteten Bürgerinnen und Bürger durch Nennung der vollen Namen und Lebensdaten.61 Die Namen der mehr als 4700 Hamburger „Euthanasie“-Opfer sind vollständig im Internet veröffentlicht.62 Die Stadt Leipzig hat ein „Gedenk- und Totenbuch“ online gestellt63, das Stadtarchiv Eltville die Namen der Verstorbenen aus der Heil- und Pflegeanstalt Eichberg als Opfer der Krankenmorde.64 Das Bundesarchiv verfügt zwar über eine aufwendige Online-Datenbank für die Holocaust-Opfer65, konnte aber bisher nur eine PDF-Datei mit Informationen zu den Patientenakten der NS-„Euthanasie“ aus dem 53 Schmidt, Brandt. 54 Schmuhl, Bouhler. 55 Friedlander, Brack. 56 Kaul, Sawade; Vormbaum, Gericht. 57 Böhm/Markwardt, Nitsche. 58 Petersen/Zankel, Catel; Petersen/Zankel, Kinderarzt. 59 Beddies/Schmiedebach, Wentzler. 60 Benzenhöfer, Kinder- und Jugendpsychiater. 61 Cranach, Gedenkbuch. 62 http://www.hamburger-euthanasie-opfer.de/, abgerufen am: 25.8.2020. 63 http://gedenkbuch.leipzig.de/willkommen.aspx, abgerufen am: 25.8.2020. 64 https://www.eltville.de/fileadmin/downloads/presse/2016/NEU_Krankenmord_Opfer_alphabetisch.pdf, abgerufen am: 25.8.2020. 65 https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/intro.html.de, abgerufen am: 25.8.2020.

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eigenen Bestand online bereitstellen.66 Weitere Projekte befinden sich in verschiedenen Stadien der Bearbeitung. Im Gegensatz zu den Patientenmorden ist die Erforschung der Zwangssterilisationen (noch) schwerer in Gang gekommen. Ihre Opfer standen lange „im Schatten der ‚Euthanasie‘“.67 Die ersten medizinhistorischen Arbeiten nach 1945 waren noch statistische und unkritische Darstellungen. Die Forschung erschwerte, dass zahlreiche Akteure der Sterilisationsverfahren weiterhin im Gesundheitswesen beschäftigt und auch Betreuer von Dissertationen waren. Von Seiten der Zwangssterilisierten behinderte die vermeintliche Kennzeichnung und die Verletzung des Körpers gleichermaßen ein offenes bzw. offensives Auftreten in der Öffentlichkeit. Als erste umfassende geschichtswissenschaftliche Arbeit gilt die Monographie des Leipziger Kirchenhistorikers Kurt Nowak, die bereits 1971 entstanden ist, aber erst 1978 in der Bundesrepublik erschien. Sie thematisierte die Haltung der beiden Kirchen.68 Erst in den 1980er Jahren begann die Geschichtswissenschaft, sich intensiver mit dem Thema zu befassen. Gisela Bock konzentrierte sich erstmals in ihrer 1986 publizierten Habilitationsschrift auf die nationalsozialistische Sterilisationspolitik.69 Mit den Ursprüngen und dem ideologischen Hintergrund der nationalsozialistischen „Rassenhygiene“ beschäftigte sich Hans-Walter Schmuhl und schlug damit den Bogen von den Zwangssterilisationen zu den späteren Krankenmorden.70

1.3 Die Medizinverbrechen in der regionalen und lokalen Forschung Die ersten regional- bzw. lokalhistorischen Studien entstanden in den 1980er Jahren in Norddeutschland im Rahmen eines Forschungsprojektes, das auf eine vom Amtsgericht Hamburg an die Psychiatrische und Nervenklinik Eppendorf herangetragene Gutachtertätigkeit bei Entschädigungsverfahren von dem damaligen Klinikleiter initiiert wurde. Zwischen 1984 und 1991 erschienen vier Arbeiten zu Hamburg71 und Bremen72. 66 https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Downloads/Aus-unserer-Arbeit/liste-patientenakteneuthanasie.pdf?__blob=publicationFile, abgerufen am: 25.8.2020. 67 Endres, Zwangssterilisation, S. 12. 68 Nowak, Euthanasie. 69 Bock, Zwangssterilisation. Bock brachte auch die These ein, in katholisch geprägten Regionen sei das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ auf größere Widerstände gestoßen bzw. nur sehr schleppend umgesetzt worden. Zum Umgang der katholischen Kirche mit der eugenischen Diskussion vor 1933 und der Politik der Nationalsozialisten Richter, Katholizismus. Die konfessionellen Milieus und die Weimarer Eugenik untersuchte Schwartz, Milieus. Weiterhin Gerrens, Ethos. 70 Schmuhl, Rassenhygiene. Dieser Brückenschlag ist nicht unkritisch hingenommen worden. Schwartz, Rassenhygiene hat sich explizit gegen die Kontinuitätsthese von Schmuhl gerichtet; die Antwort in Schmuhl, Eugenik. Ebenfalls: Kaiser/Nowak/Schwartz, Eugenik. 71 Fenner, Zwangssterilisation; Rothmaler, Sterilisationen. 72 Güse/Schmacke, Zwangssterilisiert; Fuchs, Zwangssterilisation.

Die Medizinverbrechen in der regionalen und lokalen Forschung

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Weitere Studien beschäftigten sich mit Städten, wie die 1991 publizierte Arbeit über Zwangssterilisationen in Frankfurt am Main, in die erstmals auch das Gesundheitsamt einbezogen wurde.73 Zu der bedeutenden Rolle der Gesundheitsämter im Nationalsozialismus hat Johannes Vossen 2001 eine beeindruckende vergleichende Studie veröffentlicht.74 Heute liegen für eine Reihe von Regionen und Kommunen Forschungsergebnisse vor: Für das Saarland untersuchte Christoph Braß 2004 sowohl die Zwangssterilisationen als auch die „Euthanasie“.75 2019 erschien eine Arbeit über Zwangssterilisationen und Patientenmorde im ehemaligen Regierungsbezirk Trier.76 Lokalstudien gibt es beispielsweise über Berlin77, Offenbach am Main78, Wien79 und den Kreis Steinburg80. Eine ausführliche Darstellung der NS-Medizinverbrechen für das gesamte Rheinland bzw. das Gebiet der preußischen Rheinprovinz fehlt bislang. Einen guten Überblick bietet die Online-Veröffentlichung von Ralf Forsbach im Portal Rheinische Geschichte des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR).81 Den Stand der Forschung zur rheinischen Psychiatrie und ihre Ergebnisse hat Uwe Kaminsky zuletzt 2012 zusammengefasst und auf die stetig anwachsende Literatur hingewiesen.82 Besondere Erkenntnisse finden sich in Arbeiten über einzelne beteiligte Institutionen, wie die staatlichen und privaten Heilund Pflegeanstalten sowie Erbgesundheitsgerichte.83 Wilfent Dalicho befasste sich bereits 1971 in seiner medizinischen Dissertation mit den Sterilisationen nach den Akten des Erbgesundheitsgerichtes Köln.84 Reiner Pommerin untersuchte 1979 das Schicksal der Kinder französischer Kolonialsoldaten und deutscher Mütter aus der Besatzungszeit nach dem Ersten Weltkrieg und insbesondere ihre Behandlung in der NS-Zeit85, einschließlich ihrer unrechtmäßigen Sterilisierung.86 Der Landschaftsverband Rheinland ist als Nachfolger der Rheinischen Provinzialverwaltung Träger der ehemaligen Provinzial-Heil- und Pflegeanstalten, die seit 2009 unter 73 Daum/Deppe, Zwangssterilisation; für Bremen Nitschke, Erbpolizei. Bereits 1985 haben Labisch/Tennstedt, Weg die rechtliche Genese der staatlichen Medizinalverwaltung, darunter auch der Gesundheitsämter, dargestellt. 74 Vossen, Gesundheitsämter; Vossen, Erfassen. 75 Braß, Zwangssterilisation. 76 Klein, NS-„Rassenhygiene“. Eine Arbeit über die Zwangssterilisationen in Aachen entsteht aktuell am Lehrstuhl Scholtyseck der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Ebenfalls entsteht hier eine Studie zur Geschichte der Dr. von Ehrenwall’sche Klinik anhand der breiten Patientenaktenüberlieferung. 77 Doetz, Alltag. 78 Henning, Zwangssterilisation. 79 Spring, Krieg und Euthanasie. 80 Marnau, Steril und rasserein. 81 Forsbach, Euthanasie. 82 Kaminsky, Psychiatrie. 83 Graf, Situation beleuchtet nicht nur die Patienten, sondern auch das Pflegepersonal der rheinischen Heilund Pflegeanstalten. 84 Dalicho, Sterilisationen. 85 Pommerin, Sterilisierung. 86 Rosenau, Geheime Reichssache.

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der Dachmarke „LVR-Klinik“ firmieren.87 Die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte durch das LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrum bzw. das LVR-Archiv begann in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre. Der erste Band der Reihe „Rheinprovinz“ brachte 1987 in mehreren Aufsätzen erste Erkenntnisse über die Sterilisationen und „Euthanasie“ in der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Galkhausen.88 Der zweite, 1991 erschienene Sammelband ist der Geschichte und Rolle weiterer rheinischer Anstalten gewidmet.89 Die dritte Publikation von 1995 enthält Beiträge zu verschiedenen Aspekten der NS-Psychiatrie.90 2002 veröffentlichte Ludwig Hermeler eine detaillierte Studie zur „Euthanasie“ in der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bedburg-Hau sowie zur Rolle der Provinzialverwaltung.91 Die Forschungen von Günter Haffke92 und Georg Lilienthal93 zur Heilund Pflegeanstalt bzw. Zwischenanstalt Andernach in der NS-Zeit sind 2009 erschienen. Uwe Kaminsky untersuchte 1995 die Verstrickungen der Evangelischen Erziehungsanstalten sowie der Heil- und Pflegeanstalten.94 Im gleichen Jahr publizierte Harry Seipolt seine Forschungsergebnisse zu Aachen.95 2001 erschien ein Sammelband zur Anstaltspsychiatrie in Düsseldorf während des Nationalsozialismus.96 Gabriele Rünger hat 2007 einen Beitrag über die Opfer im heutigen Kreis Euskirchen in einem Sammelband über die NS-Zeit des Kreises vorgelegt.97 2010 veröffentlichte Sonja Endres eine Studie über Zwangssterilisationen in Köln.98 Biographische Publikationen zu den Personen, die im Rheinland Zwangssterilisationen und „Euthanasie“ verantwortet haben, gibt es bislang kaum. Wolfgang Franz Werner und Hans-Walter Schmuhl haben sich mit Walter Creutz, dem Medizinaldezernenten der Provinzialverwaltung, beschäftigt.99 Eine Annäherung an die Biographie des Direktors der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Andernach, Johannes Recktenwald, hat einer seiner Nachfolger unternommen.100 Über die zahlreichen Stadt- und Amtsärzte existiert lediglich eine ausführliche Biographie von Klaus Schmidt über den Kölner Franz Vonessen.101 87 Dies gilt heute für den Landesteil Nordrhein; also ohne die beiden ehemaligen Provinzialanstalten Andernach und Merzig. 88 Leipert/Styrnal/Schwarzer, Verlegt; darin Leipert, Beteiligung. 89 Seidel/Werner, Psychiatrie; zur Unterbringung und Behandlung im Bericht des LVR von 1945 bis 1970 auch Sparing, Verwahrung. 90 Schaffer, Folgen; dort auch beispielhaft Schaffer, Archivalien. 91 Hermeler, Euthanasie. 92 Haffke, Rolle. 93 Lilienthal, Zwischenanstalt. 94 Kaminsky, Zwangssterilisation. 95 Seipolt, Gnadentod. 96 Sparing/Heuser, Erbbiologische Selektion. Hier ging beispielsweise Berg, Kinder den Düsseldorfer Opfern der sogenannten „Kindereuthanasie“ nach. Für Anstalten außerhalb der Rheinprovinz ist u. a. Bernhardt, Anstaltspsychiatrie zu nennen. 97 Rünger, Opfer. 98 Endres, Zwangssterilisationen. 99 Werner, Creutz; Schmuhl, Creutz. 100 Elsner, Recktenwald. 101 Schmidt, Vonessen.

Die Medizinverbrechen in der regionalen und lokalen Forschung

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Abb. 2  Ansicht des Haupthauses der Bonner Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt, Bonn, undatiert

Vom gleichen Autor stammt auch eine Biographie des Kölner Waisenhausdirektors und „Euthanasie“-Beauftragten Friedrich Tillmann.102 Wissenschaftliche Studien zum öffentlichen Gesundheitswesen und zu den nationalsozialistischen Medizinverbrechen im ehemaligen Kreis Bonn-Land und dem alten Siegkreis existieren bisher nicht. Somit betrat das gemeinsame Projekt des Rhein-Sieg-Kreises und des LVR-Institutes für Landeskunde und Regionalgeschichte Neuland. Einzelne Forschungen liegen allerdings für die Stadt Bonn, die Universität und die ehemalige Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt vor. Als eine der ersten hat Linda Orth, seinerzeit Archivarin der heutigen LVR-Klinik, 1989 ihre Forschungsergebnisse über die Kindertransporte aus der Bonner Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt vorgelegt.103 In einer Publikation zum Frauenleben im NS-Alltag in Bonn erschienen 1994 Beiträge zu verschiedenen anderen Aspekten. Ulrike Eichborn arbeitete heraus, wie Ehestandsdarlehen als Mittel der Bevölkerungs- und Arbeitsmarktpolitik wirkten.104 Iris-Maria Hix unter102 Schmidt, Tillmann. 103 Orth, Transportkinder. 104 Eichborn, Ehestandsdarlehen.

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Einleitung

suchte die Zwangssterilisationen als spezielle Art der NS-Frauenpolitik105, die Rolle der Fürsorgerinnen im Dienst der Erbbiologie106 sowie die Verstrickung von Frauen in die „Euthanasie“107 in Bonn, während Horst-Pierre Bothien zusammen mit Hix die Arbeit des Erbgesundheitsgerichtes Bonn analysierte.108 Linda Orth schließlich erforschte das Schicksal von Zwangsarbeiterinnen, die in die Bonner Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt eingewiesen wurden, darunter auch Frauen, die auf dem Gebiet des heutigen Rhein-SiegKreises arbeiten mussten.109 Die Todesfälle in der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn untersuchte Raimund Antonius Klaus Hillebrand im Rahmen einer 2002 erschienenen Dissertation.110 Aus jüngster Zeit stammen Arbeiten von Josephine da Venza-Tillmanns zur psychiatrischen Behandlung der Zwangsarbeiter111 und zu Zwangssterilisationen.112 Die Medizinische Fakultät der Universität Bonn im „Dritten Reich“ ist von Ralf Forsbach in seiner 2006 erschienenen Habilitationsarbeit ausführlich analysiert und dargestellt worden.113 Hier wird u. a. sowohl auf die Rolle der Ärzte in der Psychiatrischen und Nervenklinik als auch auf die Ärzte der die Sterilisationen durchführenden Frauenklinik und Chirurgischen Klinik eingegangen. In der 2018 erschienenen Geschichte der Universität Bonn ist die Medizinische Fakultät in der NS-Zeit von Hans-Georg Hofer behandelt worden.114 In ihrer 2006 veröffentlichten juristischen Dissertation beschäftigte sich Carola Einhaus mit den juristischen Aspekten bzw. der Rolle und dem Einfluss der medizinischen Sachverständigen in den Bonner Erbgesundheitsverfahren.115 Biographische Studien sind nur vereinzelt vorhanden. Ralf Forsbach porträtierte beispielsweise den Bonner Psychiater und Erbforscher Friedrich Panse (1899–1973) sowie den Mediziner Paul Martini (1889–1964) als ausgewiesenen, jedoch erfolglosen Gegner der NS-Medizinpolitik.116

1.4 Forschungsziele und Quellenlage Das Ziel der vorliegenden Studie ist die Erfassung und Darstellung der NS-Medizinverbrechen auf dem Gebiet des heutigen Rhein-Sieg-Kreises. Dies umfasst die Opfer und Täter von Zwangssterilisationen und Krankenmorden aus den ehemaligen Kreisen 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116

Hix, Zwangssterilisationen. Hix, Fürsorgerinnen. Hix, Fortpflanzung. Hix/Bothien, Zwangssterilisierungen. Orth, Zwangsarbeiterinnen. Hillebrand, Untersuchungen; zuvor schon Grosse, Psychiatrie. Venza-Tillmanns, Zwangsarbeiter. Venza-Tillmanns, ist unfruchtbar zu machen. Forsbach, Fakultät. Hofer, Gleichschaltung. Einhaus, Zwangssterilisation; 2008 dann Ley, Erbgesundheitsverfahren. Forsbach, Panse; zu Panse auch Hofer, Gleichschaltung, S. 93 f.; Forsbach, Martini.

Forschungsziele und Quellenlage

29

Bonn-Land und Siegkreis. Der Schwerpunkt liegt naturgemäß auf dem heutigen RheinSieg-Kreis. Die Tatorte liegen aber auch außerhalb dieses Gebietes, z. B. in Kliniken in Bonn oder den nationalsozialistischen Tötungsanstalten wie Hadamar. Darüber hinaus soll auch medizinischen Versuchen in Konzentrationslagern nachgegangen werden. An erster Stelle stehen aber die Opfer: Wer waren sie? Wie wurden sie dazu? Was haben sie erlebt und erlitten? Wie wurden sie nach 1945 behandelt? Weitere aufgeworfene Fragen lauteten: Wer waren die Täter? Woher kamen sie? Welche Positionen vertraten sie? Wie handelten sie? Was passierte nach 1945 mit ihnen? Das hier zugrundeliegende Forschungsprojekt leistete Pionierarbeit: Erstmals hat ein Kreis eine solche Studie in Auftrag gegeben, um die Opfer und Täter möglichst vollständig zu erfassen und das Thema nach den oben genannten Fragestellungen zu erforschen. Eine zentrale Grundlage dieser Arbeit bilden die Akten des zunächst kommunal, dann staatlich organisierten Gesundheitswesens auf Kreisebene. Das Archiv des Rhein-SiegKreises bewahrt die Akten der Verwaltungen der beiden ehemaligen Landkreise Bonn und Siegkreis auf, mit zum Teil erheblichen Verlusten in allen Bereichen. Auch die Akten der Gesundheitsämter der Kreise Bonn-Land und Siegkreis – Verwaltungs- wie Einzelfallakten – befinden sich im Archiv des Rhein-Sieg-Kreises; ebenso die Verwaltungsakten zu den Organisations- und Finanzfragen sowie zu Personalangelegenheiten der Ämter selbst. Es überwiegen die Fallakten, d. h. Akten, die über einzelne Personen angelegt worden sind, hier im Rahmen der Zwangssterilisationen. Insgesamt handelt es sich um rund 2800 Einzelfallakten der Erbgesundheitsangelegenheiten, 425 für Bonn-Land und 2357 für den Siegkreis. Der zahlenmäßig erhebliche Unterschied erklärt sich daraus, dass für den Kreis Bonn-Land fast nur die Akten erhalten geblieben sind, bei denen auf eine Anzeige auch ein Antrag auf Unfruchtbarmachung erfolgt ist, während für den Siegkreis jede für eine Anzeige angelegte Akte aufbewahrt wurde. Anhand der auf dem Aktendeckel notierten fortlaufenden Erbgesundheitskartei [EK]-Nummer lässt sich der nahezu lückenlose Erhalt dieser Akten nachweisen. Überliefert sind auch drei Verzeichnisse der Erbgesundheitsfälle: eines des Landkreises Bonn117, das den frühen Zeitraum von 1934 bis 1936 abdeckt, und zwei des Siegkreises118, die den mittleren und späten Zeitraum von 1936 bis 1942 betreffen. 117 ARSK LKB 6586. 118 ARSK LSK 5110, 5111.

30

Einleitung

Eine „Erbgesundheitskartei“ hat sich nur aus dem Kreis Bonn-Land erhalten. Hier sind auf Karteikarten die untersuchten Personen vermerkt, der Anlass der Untersuchung und das Ergebnis. Duplikate dieser Karten finden sich auch vereinzelt in den Einzelfallakten beider Bestände. Die Akten des Gesundheitsamtes Bonn sind im Stadtarchiv Bonn überliefert. Hier finden sich 519 Einzelfallakten in Erbgesundheitsangelegenheiten, darunter einige Fälle von Menschen, die im Untersuchungsgebiet geboren oder aus ihrem Wohnort in die Bonner Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt eingewiesen wurden und bei denen der Bonner Amtsarzt den Antrag an das Erbgesundheitsgericht stellte. Die Zuständigkeiten der Amtsärzte mussten manchmal erst geklärt werden, so dass es zu eigenständigen Anträgen oder zu Abgaben der Akten an das Gesundheitsamt des letzten Wohnortes kam. So konnte es durchaus vorkommen, dass eine Person beispielsweise beim Bonner Gesundheitsamt angezeigt wurde, dieses aber den Fall an das zuständige Gesundheitsamt in Siegburg abgab. Solche Abgaben sind zwischen den Beständen abgeglichen worden. Da der Bonner Kreisarzt bis zur Einrichtung der Gesundheitsämter sowohl für BonnStadt als auch für Bonn-Land zuständig war, gibt es auch hier Verwaltungsakten zum Medizinalwesen des Kreises Bonn-Land. Vom Bonner Erbgesundheitsgericht hat sich eine Kartei erhalten, in der auf 4430 Kar­ teikarten die vor Gericht verhandelten Fälle mit Namen und Aktenzeichen erfasst sind.119 Im Stadtarchiv Bonn sind auch die Bestände der eingemeindeten Städte bzw. Gemeinden Beuel, Duisdorf, Godesberg und Oberkassel auf relevante Akten aus dem Gesundheitswesen ausgewertet worden. Im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, finden sich in den Beständen der Landratsämter nur wenige Akten aus den Landratsämtern Bonn-Land und Siegkreis, darunter aus dem Bereich des Medizinalwesens, die jedoch kaum in die NS-Zeit hineinreichen. Wichtiger sind die Personal- und Entnazifizierungsakten der Ärzte der staatlichen Gesundheitsämter und der Richter an den Erbgesundheits- und Erbgesundheitsobergerichten. Die Akten der Medizinalabteilung bei der Regierung Köln, welche die Aufsicht über die Gesundheitsämter und viele Krankenanstalten hatte, müssen seit einem Luftangriff 1944 als verloren gelten. Für die Aktenlage im Bereich des Justizwesens, insbesondere für das Amts- und Landgericht Bonn, sieht es nicht viel besser aus. Die Fallakten des Erbgesundheitsgerichtes Bonn haben sich in den Akten der beiden Gesundheitsämter eingebunden erhalten. Vom Erbgesundheitsobergericht beim Oberlandesgericht Köln existiert lediglich eine lückenhafte Urteilssammlung. Während die Aktenlage in Bezug auf die Zwangssterilisationen als sehr gut zu bewerten ist, kann das für die „Euthanasie“-Fälle nicht gesagt werden. Hier ist von gezielter Vernichtung von belastendem Material bei Kriegsende auszugehen. Neben dem Fehlen von

119 Feldmann/Bothien, Zwangssterilisation, S. 247.

Forschungsziele und Quellenlage

31

relevanten Akten der Gesundheitsämter ist vor allem der Verlust der Überlieferung des für die Abrechnung bedeutenden Bezirksfürsorgeverbandes zu beklagen. In den lokalen Archiven (Kreisarchiv, Stadtarchive) gibt es nur sporadische Hinweise auf solche Todesfälle, in allen Akten der Zwangssterilisationen fand sich nur ein Fall. Zur Erfassung der Opfer der „Euthanasie“ aus den beiden Kreisen war der Umweg über die Gedenkstätten an den Todesanstalten zu nehmen. Hier stellte sich jedoch das Problem, dass die bekannten Namen und Geburtsdaten erfasst worden waren, aber in vielen Fällen ein Geburts- und/oder Wohnort fehlt. Das liegt daran, dass die Opfer der ersten Phase 1940/41 aus einer Heil- und Pflegeanstalt über eine Zwischenanstalt zur Tötung z. B. nach Hadamar verbracht worden sind und daher als Herkunft bzw. letzter Wohnort oft diese Anstalten angegeben sind. Die Suche nach Opfern in den Datenbanken von Grafeneck, Pirna-Sonnenstein, Bernburg, Brandenburg und Hartheim bei Linz in Österreich hat nur wenige Namen erbracht. Recherchen in den ehemaligen Heil- und Pflegeanstalten gestalteten sich ähnlich kompliziert, weil die Namen nicht bekannt waren. In der LVR-Klinik Bonn, zuständig für den Regierungsbezirk Köln, sind ca. 30.000 Patientenakten aus der Zeit zwischen 1933 und 1955 überliefert. Erschlossen sind sie nur über Name und Geburtsdatum. Die Patientenakten der ehemaligen Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Galkhausen liegen mittlerweile im LVR-Archiv in Pulheim. Erschwert wird die Suche nach Personen, die 1940/41 in die Tötungsanstalten verbracht wurden, dadurch, dass mit dem Transport des Patienten auch seine Patientenakte den Weg in die nächste Anstalt nahm. Die Akten von Getöteten sind also nicht mehr im Archivbestand der ursprünglichen Anstalt vorhanden und ihr Verbleib meist ungeklärt. Das einzige Hilfsmittel sind hier die sogenannten Transportlisten, also die Aufstellung der Namen der Abtransportierten. Diese liegen für die Heil- und Pflegeanstalten Galkhausen und Andernach vor. Darauf, dass die Akten der Getöteten wohl zentral gesammelt wurden, deutet die Überlieferung im Bundesarchiv Berlin hin.120 Hier befinden sich seit 1990 ca. 30.000 Patientenakten von Opfern der Tötungen aus dem ganzen Reichsgebiet.121 Eine zeitgenössische Statistik errechnete ca. 70.000 Opfer, so dass im Bundesarchiv weniger als die Hälfte der ursprünglich vorhandenen Patientenakten liegt. Die Erschließung ist auch hier kompliziert. Zwar hat das Bundesarchiv sich entschlossen, die Namen der Opfer online zu veröffentlichen, jedoch ist diese Liste wiederum auf Namen, Geburtsdaten und die letzten Anstalten beschränkt. Im Rechercheprogramm invenio des Bundesarchives, in dem Akten online gesucht und für den Archivbesuch bestellt werden können, sind auch Geburtsorte aufgeführt, so dass zumindest hier eine Suche nach Opfern aus dem Untersuchungsgebiet erfolgen konnte.

120 Sandner, Akten; Roelcke/Hohendorf, Akten. 121 Hinz-Wessels/Fuchs/Hohendorf/Rotzoll, Abwicklung.

32

Einleitung

Die einzigen Namen, die nach der Durchsicht der ersten Aktenbestände vorlagen, waren die von zur Zwangssterilisation angezeigten Personen. Wenn davon ausgegangen wird, dass viele der „Euthanasie“-Opfer bereits in den Jahren zuvor zwangssterilisiert wurden, müssten sich diese in den Datenbanken der Tötungsanstalten und im Bundesarchiv wiederfinden. Ein Abgleich der Namen ergab Übereinstimmungen, jedoch bei Weitem nicht im gedachten Ausmaß. Ein weiterer – indirekter – Weg, an Namen von Todesopfern zu kommen, waren die Register der Standesämter. Die deutsche Bürokratie arbeitete während der Tötungsaktionen weiter und war auch hier gründlich, denn selbst nach der – mehr oder minder heimlichen – Ermordung durch den Staat musste es nach formalem Recht und Ordnung weitergehen. Ein Sterbefall brauchte eine Beurkundung, viele Sterbefälle brauchten viele Beurkundungen, aber viele Sterbefälle in kurzer Zeit waren auffällig. Für die Tötungsanstalten wurden daher zur Verschleierung eigene Standesamtsbezirke „erfunden“. In Hadamar, wo es innerhalb von acht Monaten rund 10.000 Todesfälle gab, war daher zur Verschleierung für die vielen Toten das eigene falsche Standesamt „Hadamar-Mönchberg“ eingerichtet worden. Dessen Register und Akten sind verloren gegangen. Dasselbe gilt für die anderen Tötungsanstalten. Einige Sterbeurkunden, welche die Angehörigen erhalten hatten, lassen sich in anderen Archiven finden, aber sicherlich nicht alle. Über die Sterbefälle in den Tötungsanstalten erhielten die Standesämter der Geburtsorte der Getöteten Nachricht. Dort fand dann ein Nachtrag im Geburtsregister statt, der Todesdatum, Todesort und die laufende Nummer des den Tod beurkundenden Sterberegisters beinhaltete. Hierbei kam es vor, dass das genaue Todesdatum fehlte. Außerdem war die laufende Nummer falsch. Bei keiner der bekannten von Hadamar verschickten Todesbescheinigungen lag die Zahl über 1000, obwohl doch mehr als 10.000 Personen allein 1941 dort gestorben sind. Zur Verschleierung der Tötungen waren manchmal auch völlig falsche Standesämter angegeben. Angehörige eines in Hadamar Getöteten bekamen eine Sterbeurkunde aus der Tötungsanstalt Bernburg und umgekehrt. In der Zeit der „wilden Euthanasie“ in den Jahren 1942 bis 1945 starben Patienten in allen Anstalten. Geschah dies nicht in einer der Tötungsanstalten, dann beurkundeten die zuständigen lokalen Standesämter die Todesfälle. Da die meisten Opfer aus dem Untersuchungsgebiet in die Bonner Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt verbracht wurden, war es naheliegend, die Sterberegister der Stadt Bonn durchzusehen. Die ständigen Verlegungen von Patienten erschweren die Nachforschungen zusätzlich. Nahezu keine Quellen sind für die NSDAP, deren Parteiunterorganisationen und die mit ihr verbundenen Organisationen, die sich dem Gesundheitswesen zuordnen lassen, von der Ebene der Gaue abwärts vorhanden. Hier wären vor allem die Akten des „Gauamtes für Volksgesundheit und Nationalsozialistischer Deutscher Ärztebund“, des „Gauamtes für Volkswohlfahrt und Nationalsozialistische Volkswohlfahrt“ (NSV), die entsprechenden Kreisämter und Ortsgruppen sowie des „Nationalsozialistischen Deutsche Ärztebundes“ und der „Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt“ selbst von Interesse gewesen.

Vorgehensweise

33

1.5 Vorgehensweise Aufgrund der Masse wurden zunächst die Erbgesundheitsakten im Archiv des RheinSieg-Kreises durchgesehen. Die Daten aus den Einzelfallakten wurden in eine Datenbank aufgenommen, die Informationen zur Person (Name, Vorname, Geschlecht, Wohnort, Geburtsdatum, Geburtsort und Stand) umfasst, zum Vorgehen des Gesundheitsamtes (Anzeige, Antrag, Diagnose, ärztliches Gutachten), zum Verlauf des Erbgerichtsverfahrens (Aktenzeichen, Beschluss zur Begutachtung, Gutachten, Beschlusstag, Mitwirkende, Entscheidung, Gründe, Beschwerde, Aktenzeichen des Erbgesundheitsobergerichtes, Beschluss, Mitwirkende, Entscheidung, Gründe, Rechtskraft) und dem medizinischen Ablauf (Operationstag, Krankenhaus, Arzt, Operationsart, Berichtstag). Weitere Bemerkungen und die Quellenangaben vervollständigen die Zusammenstellung. Nicht zu allen Rubriken konnten die jeweiligen Daten ermittelt werden. Im Bestand Landkreis Bonn fehlen oft die Anzeigen. Dies mag daran liegen, dass hier hauptsächlich die Erbgerichtsakten erhalten geblieben sind, in denen die Anzeigen nicht enthalten sind, weil für das Gericht der Antrag das erste relevante Dokument darstellte. Durch die erhaltene „Liste der Erbkranken Bonn-Land“ konnte für einige Fälle die Anzeige ermittelt werden, jedoch nicht für den gesamten Zeitraum. Die Erbgesundheitsakten des Gesundheitsamtes des Siegkreises liegen in der ursprünglichen Ordnung vor: Die einzelnen Fälle sind für die „Erbgesundheits-Kartei“ („EK“) durchnummeriert und weitestgehend chronologisch abgelegt worden. Diese EK-Nummer findet sich auch im Schriftverkehr des Gesundheitsamtes wieder. Das Untersuchungsgebiet bildet der heutige Rhein-Sieg-Kreis, bestehend aus dem früheren Siegkreis und dem ehemaligen Kreis Bonn-Land. Die heute zur Stadt Bonn gehörenden Städte Beuel und Bad Godesberg, die Gemeinde Oberkassel sowie einige Ortsteile wie z. B. Keldenich und Urfeld (heute Wesseling) wurden für statistische Zwecke berücksichtigt. Es handelt sich bei der vorliegenden Arbeit auch um eine Institutionengeschichte und die Verwaltung der ehemaligen Kreise betraf damals auch diese Orte.

II. Verwaltungsgeschichtliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen

2.1 Verwaltungsgeschichte des Landkreises Bonn und des Siegkreises

Abb. 3  Blick von der Bonner Straße auf das Siegburger Kreishaus, im Hintergrund Abtei Michaelsberg, undatiert

Der heutige Rhein-Sieg-Kreis1 ist das Produkt der letzten Gebietsreform in NordrheinWestfalen für den Bonner Raum. Zum 1. August 1969 wurde der Landkreis Bonn aufgelöst, ein Teil seiner Gemeinden und der des Siegkreises der Stadt Bonn zugeordnet, während der größte Teil der beiden Kreise zu einem neuen Kreis auf beiden Seiten des Rheins um die Stadt Bonn herum als Rhein-Sieg-Kreis vereinigt wurde. 1816 sind auf dem Gebiet des heutigen Rhein-Sieg-Kreises und der Stadt Bonn fünf Kreise gebildet worden: die Kreise Rheinbach, Bonn, Siegburg, Uckerath und Waldbröl. 1820 erfolgte der Zusammenschluss der Kreise Siegburg und Uckerath zum Kreis Sieg1 Rönz, Rhein-Sieg-Kreis.

36

Verwaltungsgeschichtliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen

burg. 1825 erfolgte die Umbenennung des Kreises Siegburg in Siegkreis. Die Stadt Bonn schied 1887 aus dem Kreis Bonn aus, der seitdem Kreis Bonn-Land hieß. 1932 wurden die Kreise Rheinbach und Waldbröl aufgelöst, der Kreis Rheinbach zwischen den Kreisen Bonn und Euskirchen aufgeteilt. Vom Kreis Waldbröl fiel das Amt Dattenfeld an den Siegkreis. Der Landkreis Bonn bestand 1933 aus den Ämtern Beuel2, Hersel3, Godesberg4, Duisdorf5, Oedekoven6, Sechtem7, Waldorf8, Villip9 sowie der kurz zuvor hinzugekommenen Stadt Rheinbach und den Ämtern Rheinbach-Land10, Adendorf11 und Ollheim12. 1934 wurden das Amt Waldorf in Amt Bornheim und der Ort Pissenheim in Werthoven umbenannt. Eine größere Umgemeindung fand 1935 statt: Lannesdorf und Mehlem wurden nach Bad Godesberg eingemeindet, das Stadt wurde. Das Amt Adendorf wurde in Amt Meckenheim umbenannt. Im nördlichen Kreisgebiet entstanden durch Zusammenschlüsse drei vergrößerte Gemeinden: Bornheim aus Bornheim-Brenig, Kardorf-Hemmerich, Roisdorf und Waldorf, Hersel aus Hersel, Uedorf, Widdig und Urfeld sowie Sechtem aus Merten, Rösberg, Sechtem und Walberberg. Diese drei neuen Gemeinden bildeten das Amt Bornheim, womit die Ämter Hersel und Sechtem verschwanden. 1937 erfolgte die Auflösung des Amtes Oedekoven, dessen Gemeinden fortan zum Amt Duisdorf gehörten. Die Kreisverwaltung hatte ihren Sitz in Bonn, in der Mozartstraße 10. Das Kreiswohlfahrtsamt und die Kreiskommunalkasse waren im Nachbarhaus, Mozartstraße 8, untergebracht. Der Siegkreis bestand aus den Städten Siegburg, Honnef und Königswinter sowie den Landbürgermeistereien bzw. Ämtern Dattenfeld13, Eitorf14, Hennef15, Herchen, Königs-

2 Mit Bechlinghoven, Geislar, Küdinghoven, Limperich, Niederholtorf, Oberholtorf, Pützchen, Ramersdorf, Schwarz-Rheindorf, Vilich, Vilich-Müldorf und Vilich-Rheindorf. 3 Mit Wesseling, Keldenich, Urfeld, Widdig, Uedorf und Hersel. 4 Mit Bad Godesberg, Lannesdorf und Mehlem. 5 Mit Duisdorf, Ippendorf, Lengsdorf, Röttgen und Ueckesdorf. 6 Mit Alfter, Buschdorf, Impekoven, Gielsdorf, Lessenich, Oedekoven und Witterschlick. 7 Mit Merten, Trippelsdorf, Rösberg, Sechtem und Walberberg. 8 Mit Bornheim, Bisdorf, Botzdorf, Brenig, Kardorf, Dersdorf, Hemmerich, Roisdorf, Uellekoven und Waldorf. 9 Mit Berkum, Gimmersdorf, Holzem, Kürrighoven, Ließem, Niederbachem, Oberbachem, Pech, Pissenheim, Villip, Villiprott und Züllighoven. 10 Mit Flerzheim, Hilberath, Neukirchen, Niederdrees, Oberdrees, Queckenberg, Ramershoven, Todenfeld und Wormersdorf. 11 Mit Adendorf, Altendorf, Arzdorf, Ersdorf, Fritzdorf, Lüftelberg, Meckenheim und Merl. 12 Mit Buschhoven, Essig, Heimerzheim, Ludendorf, Miel, Morenhoven, Odendorf und Ollheim. 13 Mit Dattenfeld und Rosbach. 14 Mit der Gemeinde Merten. 15 Mit den Gemeinden Blankenberg, Geistingen und Hennef.

Verwaltungsgeschichte des Landkreises Bonn und des Siegkreises

37

winter-Land16, Lauthausen, Lohmar17, Menden18, Much, Neunkirchen19, Niederkassel20, Oberkassel21, Oberpleis22, Ruppichteroth23, Sieglar24, Troisdorf, Uckerath und Wahlscheid. Der Sitz des Landrates und der Kreisverwaltung war das Kreishaus in Siegburg, KaiserWilhelm-Platz 1. Weitere Geschäftsräume befanden sich in der Wilhelmstraße 66 und in der Mühlenstraße 47.

Abb. 4  Seitlicher Blick auf das ehemalige Landratsamt des Landkreises Bonn, Ecke Mozartstraße/Gluckstraße, um 1950

16 Mit den Gemeinden Aegidienberg und Ittenbach. 17 Mit Altenrath, Breidt, Halberg, Inger und Lohmar. 18 Mit Buisdorf, Hangelar, Deichhaus, Meindorf, Friedrich-Wilhelms-Hütte, Obermenden, Niedermenden, Holzlar (Roleber, Gielgen, Holzlar, Kohlkaul), Niederpleis und Siegburg-Mülldorf. 19 Mit Seelscheid. 20 Mit Lülsdorf, Rheidt, Stockem und Uckendorf. 21 Mit Oberkassel, Oberdollendorf, Niederdollendorf und Heisterbacherrott. 22 Mit Oberpleis und Stieldorf. 23 Mit Ruppichteroth und Winterscheid. 24 Mit Sieglar, Oberlar, Eschmar, Kriegsdorf, Spich, Bergheim und Müllekoven.

38

Verwaltungsgeschichtliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen

Die Kreisverwaltungen teilten sich in die Staatliche Verwaltung und die Kommunale Verwaltung. Zu Ersterer gehörten das Landratsamt und das Versicherungsamt, zu Letzterer das Kreisausschuss-Büro, das Kreiswohlfahrtsamt, die Kreisbauämter, die Kreisbauberatungsstellen, die Kreissparkasse, der Öffentliche Arbeitsnachweis und die Kreisschulinspektionen.

Abb. 5  Seitliche Frontansicht des Siegburger Kreishauses, 30.5.1920

2.2 Die Kreise und ihre Bevölkerung Die Einwohnerzahlen hatten sich in beiden Kreisen in den rund 100 Jahren von 1828 bis 1925 in etwa verdoppelt. Insbesondere hatte es mit der Industrialisierung einen großen Schub gegeben. Durch die Gebietsänderungen stieg die Bevölkerungszahl des Landkreises Bonn in den nächsten 15 Jahren noch einmal um gut ein Viertel, die des Siegkreises um etwa ein Zehntel. Bevölkerungsentwicklung 1828–1939 Jahr

Landkreis Bonn

Siegkreis

1828

41.230

63.684

1925

81.324

137.080

1933

104.587

148.696

1939

109.204

153.141

Der Aufstieg der NSDAP an Rhein und Sieg

39

Die Katholiken waren in beiden Kreisen eindeutig in der Überzahl. Der Anteil der Protestanten im Landkreis Bonn war mit ca. 10 Prozent noch geringer als im Siegkreis mit etwa 15 Prozent. Konfessionszahlen 1933–1939 Konfession

Landkreis Bonn

Siegkreis

Katholisch

93.879 (1933) 96.277 (1939)

124.285 (1933) 126.723 (1939)

Evangelisch

9.634 (1933) 10.555 (1939)

23.138 (1933) 23.678 (1939)

Sonstige Christen

40 (1933) 167 (1939)

27 (1933) 249 (1939)

Juden

517 (1933) 342 (1939)

568 (1933) 342 (1939)

Die Wirtschafts- und Berufsstruktur der Kreise unterschied sich in Teilen erheblich. Bereits vor 1900 waren mehr Beschäftigte in der Industrie als in der Landwirtschaft gezählt worden. Der Anteil der in der Industrie beschäftigten Bevölkerung war in beiden Kreisen bis 1939 auf 55,2 Prozent (Bonn-Land) bzw. 47 Prozent (Siegkreis) gestiegen und lag damit sogar oberhalb des Durchschnittes des gesamten Regierungsbezirkes Köln (44 Prozent). Während im Siegkreis mit 17,4 Prozent der Anteil der in der Landund Forstwirtschaft tätigen Bevölkerung noch deutlich über dem Durchschnitt des Regierungsbezirkes (8,2 Prozent) lag, befand er sich im Landkreis Bonn mit nur 7,9 Prozent bereits leicht darunter.25

2.3 Der Aufstieg der NSDAP an Rhein und Sieg Vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise waren bei der Reichstagswahl am 31. Juli 1932 die Nationalsozialisten mit einem Stimmenanteil von reichsweit 37,3 Prozent erstmals als stärkste Partei in den neuen Reichstag eingezogen. Im Wahlkreis Köln-Aachen hatten sie nur 20,2 Prozent erreicht – halb so viel wie das Zentrum. In der Stadt Bonn lagen sie mit 21,9 Prozent leicht darüber, im Kreis Bonn-Land mit 18,6 Prozent und im Siegkreis mit 19 Prozent leicht darunter.26 Bei der Reichstagswahl am 6. November 1932 sank ihr Anteil reichsweit um 4,2 Prozentpunkte, im Wahlkreis Köln-Aachen um 2,8 Prozent, in der Stadt Bonn wie im Reichsdurchschnitt um 4,2 Prozentpunkte, in Bonn-Land um 3,3 Prozentpunkte und im Siegkreis lediglich um 0,8 Prozentpunkte. Der Aufwärtstrend der NSDAP schien gestoppt. 25 Künster/Schneider, Siegkreis, S. 88 f. 26 Statistisches Landesamt, 50 Jahre Wahlen, Anlagen, S. 38 f.

40

Verwaltungsgeschichtliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen

Reichstagswahl 6. November 193227 Stadt Bonn

Bonn-Land

Siegkreis

Wahlkreis Köln-Aachen

Reich

KPD

14,7 %

12,7 %

12,9 %

19,3 %

16,9 %

SPD

13,5 %

13,4 %

13,8 %

14,7 %

20,4 %

Zentrum

37,7 %

48,1 %

47,9 %

39,3 %

15 %

DDP/DStP

0,5 %

0,2 %

0,2 %

0,3 %

1,0 %

DVP

4,3 %

1,8 %

1,3 %

2,3 %

1,9 %

DNVP

10,3 %

6,6 %

4,6 %

5,2 %

8,3 %

NSDAP

17,7 %

15,3 %

18,2 %

17,4 %

33,1 %

Sonstige

1,3 %

1,9 %

1,1 %

1,6 %

2,3 %

Wahlbeteiligung

74,9 %

74,8 %

76,5 %

74,3 %

80,6 %

Nach der Ernennung Adolf Hitlers (1898–1945) zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 ließ dieser am 1. Februar den Reichstag auflösen. Die letzte annähernd freie Reichstagswahl am 5. März 1933 brachte der NSDAP nicht die angestrebte absolute Mehrheit. Sie erhielt reichsweit 43,9 Prozent der abgegebenen Stimmen und musste eine Koalition mit dem Kampfbund Schwarz-Weiß-Rot eingehen, der 8 Prozent bekommen hatte. Im rheinischen Wahlkreis Köln-Aachen hatten die Nationalsozialisten sogar nur 30,2 Prozent der Wählerstimmen erhalten. Im Siegkreis blieben sie mit 29,6 Prozent leicht darunter, während sie im Landkreis Bonn mit 31,6 Prozent leicht darüber rangierten. Reichstagswahl 5. März 193328 Stadt Bonn

Bonn-Land

Siegkreis

Wahlkreis Köln-Aachen

Reich

KPD

10,7 %

8,4 %

8,5 %

13,8 %

12,3 %

SPD

10,5 %

9,1 %

9,5 %

12,1 %

18,3 %

Zentrum

33,7 %

42,0 %

45,9 %

36,1 %

13,9 %

K SWR

10,1 %

7,3 %

5,2 %

5,7 %

8,0 %

NSDAP

31,6 %

31,6 %

29,6 %

30,2 %

43,9 %

Sonstige

3,4 %

1,6 %

1,3 %

2,1 %

3,6 %

Wahlbeteiligung

82,8 %

86,8 %

88,2 %

85,1 %

88,74 %

Mit der Inszenierung einer „Machtergreifung“ wollten die Nationalsozialisten einen dynamischen und durchaus als von unten zu verstehenden Griff nach den Schalthebeln des Staates, der Länder und der Kommunen suggerieren. In Wirklichkeit darf dies eher 27 Statistisches Landesamt, 50 Jahre Wahlen, Anlagen, S. 46 f. 28 Wahlergebnisse, S. 14–16.

Der Aufstieg der NSDAP an Rhein und Sieg

41

als eine Machtübertragung von oben verstanden werden. Die neue Reichsregierung hatte durch die Absetzung der preußischen Landesregierung und die Einsetzung eines Reichskommissars 1932 zugleich auch die Regierungsgewalt im Freistaat Preußen erhalten. Dadurch konnte sie über die Verwaltung und vor allem über die Polizei verfügen. Politisch feindliche und missliebige Beamte wurden systematisch aus ihren Ämtern verdrängt.29 Sowohl im Landkreis Bonn als auch im Siegkreis mussten die amtierenden Landräte weichen und wurden durch Nationalsozialisten, oft ohne Verwaltungspraxis, ersetzt.30 Im Landkreis Bonn übernahm am 20. April 1933 vertretungsweise der bisherige Landrat des Oberbergischen Kreises Gustav Haarmann (1876–1948) die Aufgaben des Landrates. Sechs Tage später erhielt er die kommissarische Beauftragung zur Leitung der Geschäfte und zum 1. September 1933 erfolgte die endgültige Versetzung. Nachdem er am 25. Oktober 1935 um die Versetzung in den Ruhestand gebeten hatte, nahm er am 1. Februar 1936 seinen Abschied.31 Von 1936 bis 1945 war Robert von Barton genannt von Stedmann (1896–1968) Landrat des Kreises.32

Abb. 6  Aufmarsch der SA während der Einweihung der Rheinbacher Kreisschule, 1935

29 30 31 32

Dazu auch Matzerath, Nationalsozialismus; Mecking/Wirsching, Stadtverwaltung. Klein, Aufstieg; für Bonn Bothien, Bonn. Romeyk, Verwaltungsbeamten, S. 490 f. Romeyk, Verwaltungsbeamten, S. 344.

42

Verwaltungsgeschichtliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen

Landrat des Siegkreises wurde am 18. April 1933 zunächst kommissarisch Ludwig Buttlar (1891–1945), der knapp einen Monat zuvor bereits kommissarischer Bürgermeister von Königswinter geworden war. Nach seiner Bestätigung blieb Buttlar bis Oktober 1936 an der Spitze der Kreisverwaltung.33 Ihm folgte im November 1936 bis zum Ende der nationalsozialistischen Herrschaft der bisherige Kreisleiter der NSDAP für die Stadt und den Landkreis Bonn Hans Weisheit (1901–1954).34 Bis zur reichsweiten Aufnahmesperre für Neumitglieder im April 1933 traten, insbesondere nach der Wahl im März („Märzgefallene“), zahlreiche Personen, darunter auch viele Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst, der NSDAP bei bzw. stellten einen Mitgliedsantrag. In der Folgezeit kam es zu Lockerungen der Bestimmungen, z. B. durften Mitglieder der Hitlerjugend, der NSBO, der SA und der SS weiterhin Parteimitglieder werden. Eine vollständige Aufhebung der Sperre erfolgte am 10. Mai 1939. Bis 1945 waren 8,6 Millionen Mitgliedsnummern vergeben, was etwa 11 Prozent der Bevölkerung ausmachte. Im Landkreis Bonn und im Siegkreis mussten die NSDAP, ihre Gliederungen und die angeschlossenen Verbände oft erst eine Organisation aufbauen, was ihnen aber aufgrund der hohen Beitrittszahlen recht schnell gelang.35 Zeitgleich lösten sich alle anderen Parteien – wenn sie nicht schon verboten worden waren – auf, Verbände und Vereine ließen sich ohne großen Widerstand gleichschalten.

33 Romeyk, Verwaltungsbeamten, S. 391 f. 34 Romeyk, Verwaltungsbeamten, S. 808 f. 35 Zur Entwicklung im Rheinland Nolzen, NSDAP.

III. „… Anfang, aber nicht Ende“1 Die Zwangssterilisationen 1934–1945

3.1 Von Wohlfahrt und Entmündigung: Die Vorgeschichte der Zwangssterilisationen 3.1.1 Die Grundzüge des eugenischen und rassenhygienischen Diskurses Der Hintergrund von Zwangssterilisationen und Krankentötungen sind sozialdarwinistische Vorstellungen, die im 19. Jahrhundert in ganz Europa entwickelt wurden: Die Idee von der bewussten Lenkung der „Fortpflanzung“ war von der Tierzucht abgeleitet worden, um nur noch erbgesunde und damit „bessere“ Menschen zu „erzeugen“.2 Daraus entwickelte sich die Eugenik, die Erbgesundheitslehre.3 Diese wurde in Deutschland „Rassenhygiene“ genannt und von einer ursprünglichen „Vitalrasse“ bald in Richtung einer „Herrenrasse“ verschoben. Für Vertreter dieser Theorie belasteten vermeintlich minderwertige (Erb-) Kranke die Volksgesundheit, während das Sozial- und Gesundheitswesen die „natürliche Auslese“ außer Kraft setzte. Die Verbesserung des Erbgutes sollte auf zwei verschiedenen Wegen erreicht werden. Die „Positive Eugenik“ setzte auf die Förderung von gesunden Menschen, z. B. durch Belohnungen und Begünstigungen für Kinderreichtum. Die „Negative Eugenik“ hingegen sollte das Gegenteil bewirken. Sie schränkte die individuellen Freiheiten ein, indem sie die Weitergabe des vermeintlich schlechten Erbgutes zu verhindern trachtete.4 Dies sollte durch Empfängnisverhütung, Geburtenkontrolle und die Unfruchtbarmachung von Menschen geschehen sowie in letzter Konsequenz durch die Tötung von kranken Menschen. Dabei wandelte sich die Bedeutung des Begriffes „Euthanasie“, griechisch für „schöner Tod“, von einer selbstbestimmten Art zu sterben in eine bevölkerungspolitische Maßnahme des Staates.5

1 Dazu oben S. 17 2 Zum Sozialdarwinismus u. a. Zmarzlik, Sozialdarwinismus, S. 246–273; Nowak, Euthanasie, S. 11 f.; Benzenhöfer, Tod, S. 70–72; Bock, Zwangssterilisation, S. 30–32. 3 Einen aktuellen Gesamtüberblick geben Weingart/Kroll/Bayertz, Rasse. 4 Schmuhl, Rassenhygiene, S. 31–49; Kaminsky, Zwangssterilisation, S. 152. 5 Benzenhöfer, Tod, S. 9–10.

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3.1.2 Die Sterilisationsdebatte vor 1933 und das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ Das Thema der Sterilisation von „Geisteskranken“ war bereits vor 1933 international diskutiert worden. Rückblickend betrachtet, lässt sich eine erste Phase bis 1933 abgrenzen, in der Staaten die Gesetzesgrundlagen für die Unfruchtbarmachung von „Geisteskranken“ schufen. In rund 20 Bundesstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika waren ab 1907 Gesetze verabschiedet worden, die eine freiwillige Sterilisierung von in Anstalten untergebrachten „Gewohnheitsverbrechern“ und „Idioten“ zuließen. In Kanada war dies ab 1928 in zwei Bundesstaaten auch erlaubt. In Europa legalisierte 1929 der Kanton Waadt in der Schweiz die Sterilisierungen und im gleichen Jahr gab sich Dänemark entsprechende gesetzliche Regelungen.6 In Deutschland war ausgehend von dem SPD-geführten Thüringen 1923 aus finanziellen und „wohlfahrtspolitischen“ Gründen eine gesetzliche Regelung angestrebt worden. Die Sterilisation sollte freiwillig und bei entmündigten Personen nur mit der Zustimmung des Vormundes stattfinden. Ein Jahr später plädierte das sächsische Gesundheitsamt ebenfalls für eine gesetzliche Grundlage für freiwillige Sterilisationen. Der sächsische Landtag forderte die sozialdemokratisch-liberale Landesregierung auf, mit der Reichsregierung darüber zu verhandeln.7 Bereits 1932 hatte das preußische Gesundheitsamt einen Entwurf für ein Sterilisationsgesetz formuliert. Dieser sah zunächst vor, dass sich bestimmte Personen freiwillig dazu bereitfinden sollten, sich sterilisieren zu lassen. Dazu waren Beratungen nach dem Vorbild amerikanischer Bundesstaaten und eines Schweizer Kantons vorgesehen.8 Die zweite Phase setzte mit der Gesetzgebung in Deutschland 1933 ein. Bis 1938 folgten Gesetze in allen skandinavischen Ländern und Lettland. Von der nationalsozialistischen Regierung wurde der ursprüngliche Gesetzesentwurf verschärft und schon Anfang Juli 1933 vom Kabinett verabschiedet. In der amtlichen Begründung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 19339 heißt es: „Schon seit Jahrzehnten haben Vererbungswissenschaftler Deutschlands und anderer Länder ihre warnende Stimme erhoben und darauf hingewiesen, dass der fortschreitende Verlust wertvoller Erbmasse eine schwere Entartung aller Kulturvölker zur Folge haben muss. Von weiten Kreisen wird heute die Forderung gestellt, durch Erlass eines Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses das biologisch minderwertige Erbgut auszuschalten. So soll die Unfruchtbarmachung eine allmähliche Reinigung des Volkskörpers und die Ausmerzung von krankhaften Erbanlagen bewirken.“10 6 7 8 9

Schmuhl, Zwangssterilisation, S. 201. Richter, Katholizismus, S. 198 f. Richter, Katholizismus, S. 200–204. RGBl 1933, S. 529. Bock, Zwangssterilisation, S. 81–96; Schmuhl, Rassenhygiene, S. 151–168; Benzen­ höfer, Genese. 10 Deutscher Reichsanzeiger, 26.7.1933, unter: https://digi.bib.uni-mannheim.de/viewer/reichsanzeiger/ film/003–8444/0520.jp2, abgerufen am: 25.8.2020.

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Abb. 7  „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 nebst Ausführungsverordnungen“, Deckblatt, 1936

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Als „Erbkrankheiten“ im Sinne des Gesetzes galten: Ȥ angeborener Schwachsinn Ȥ Schizophrenie Ȥ zirkuläres (manisch-depressives) Irresein (heute Bipolare Störung) Ȥ erbliche Fallsucht (Epilepsie) Ȥ erblicher Veitstanz (heute Chorea Huntington) Ȥ erbliche Blindheit Ȥ erbliche Taubheit Ȥ schwere erbliche körperliche Missbildung. Ferner konnte unfruchtbar gemacht werden, wer an schwerem Alkoholismus litt. Die als „Erbkrankheiten“ definierten Krankheitsbilder waren medizinisch keineswegs einwandfrei gesichert. Bei einigen war die Erblichkeit immer noch ungeklärt, bei anderen waren die Krankheitsbilder nicht deutlich abgrenzbar. Das Inkrafttreten des Gesetzes war für den 1. Januar 1934 vorgesehen. Die erste Verordnung vom 5. Dezember 1933 regelte den Ablauf des Verfahrens. Sie bestimmte, dass kein Antrag auf Unfruchtbarmachung erfolgen sollte, wenn der Erbkranke infolge hohen Alters oder aus sonstigen Gründen nicht mehr fortpflanzungsfähig war, wenn der Eingriff eine Gefahr für das Leben bedeutete oder wenn der Erbkranke wegen Anstaltsbedürftigkeit in einer geschlossenen Anstalt dauernd verwahrt werde. Die Unfruchtbarmachung sollte nicht vor dem zehnten Lebensjahr vorgenommen werden.11 Im Laufe der Jahre traten Ergänzungen hinzu. Mit der zweiten Verordnung vom 29. Mai 1934 wurde u. a. die Zuständigkeit der Erbgesundheitsgerichte geregelt.12 Durch eine Gesetzesänderung vom 26. Juni 1935 wurde der – ansonsten streng verbotene und geahndete – Schwangerschaftsabbruch bei diagnostizierter Erbkrankheit legalisiert.13 Ergänzt wurde das Erbgesundheitsgesetz durch das „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“ vom 24. November 193314, das neben Strafverschärfungen eine unbefristete Sicherheitsverwahrung und bei Sittlichkeitsvergehen die „Entmannung“ vorsah.15 Beide Gesetze zielten auf die „Ausrottung“ kranker (Erb-) Anlagen und waren als staatliche Fürsorgemaßnahmen gedacht. Wenn auch mit den Gesetzen zwischen Erbkranken und Verbrechern unterschieden wurde, so sorgte doch der Zwang im Sterilisierungsverfahren dafür, dass die Betroffenen die Unfruchtbarmachung als Bestrafung empfanden. Im Jahr des Inkrafttretens, 1934, erschien ein Kommentar zu beiden Gesetzen, der genau diese Verbindung zeigt.16 11 12 13 14 15 16

RGBl 1933, S. 1021–1036. RGBl 1934, S. 475 f., hier S. 476. RGBl 1935, S. 773. RGBl 1933, S. 995–999. Dazu Müller, Gewohnheitsverbrechergesetz. Gütt/Rüdin/Ruttke, Gesetz.

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Abb. 8  Zeitgenössisches Erbgangsschema zur vermeintlichen Verbreitung von Erbkrankheiten

Flankiert wurde das Erbgesundheitsgesetz durch das „Gesetz zum Schutz des deutschen Volkes“ vom 18. Oktober 1935, auch „Ehegesundheitsgesetz“ genannt.17 Demnach durfte eine Ehe nicht geschlossen werden, wenn einer der Verlobten eine ansteckende Krankheit hatte, entmündigt war oder unentmündigt an einer „geistigen Störung“ litt, welche „die Ehe für die Volksgemeinschaft unerwünscht erscheinen lässt“, und schließlich, wenn einer der Verlobten eine Erbkrankheit im Sinne des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ hatte. Letztere Bestimmung stand einer Eheschließung nicht entgegen, wenn der andere Verlobte unfruchtbar war. Das heißt: zwei „Erbgesunde“ konnten heiraten oder zwei „Erbkranke“, von denen mindestens einer unfruchtbar war. Die Auswirkungen der Gesetze waren immens. Bis Mai 1945 wurden mindestens 400.000 Menschen zwangsweise unfruchtbar gemacht.18 Insgesamt kamen durch Anwendung des Gesetzes nach einer Schätzung von Bock 4500 Frauen und 500 Männer durch Komplikationen während der medizinischen Prozedur ums Leben.19 Während in Deutschland die Unfruchtbarmachungen „nach Recht und Gesetz“ verliefen, fanden die Zwangssterilisationen während des Krieges in den besetzten Gebieten 17 RGBl 1935, S. 1246. 18 360.000 in den Grenzen Deutschlands von 1937 und 40.000 in den dazugewonnenen Gebieten, Bock, Zwangssterilisation, S. 237–238; Schmuhl, Zwangssterilisation, S. 203. 19 Bock, Zwangssterilisation, S. 380.

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im Osten nach reiner Willkür statt.20 Die Zahl der unfruchtbar gemachten Personen in den eroberten und besetzten Gebieten im Baltikum, in Weißrussland und in der Ukraine kann mangels Unterlagen jedoch nicht einmal geschätzt werden.

3.2 Institutionelle und personelle Grundlagen 3.2.1 Die Entwicklung und Neuorganisation des Gesundheitswesens an Rhein und Sieg Das preußische Gesetz betreffend die Dienststellung des Kreisarztes und die Bildung von Gesundheitskommissionen vom 16. September 1899 ersetzte die bisherige Nebentätigkeit der Kreisphysiki durch „staatliche Gesundheitsbeamte“. Der nun eingesetzte Kreisarzt war nun ein hauptamtlicher Medizinalbeamter und hatte nach Approbation, Promotion und praktischer ärztlicher Tätigkeit eine besondere kreisärztliche Prüfung abzulegen, die ein umfassendes Wissen in Hygiene, pathologischer Anatomie, Gerichtsmedizin und Psychiatrie belegen sollte. Unterstellt war er direkt dem Regierungspräsidenten.21 Die Gesundheitsfürsorge war eng verbunden mit der Wohlfahrtsfürsorge. Hierfür waren die kommunalen Einrichtungen der Kreise, Städte und Gemeinden zuständig. Der Siegkreis hatte – auch der Notlage des Krieges gehorchend – zum 1. Juni 1916 zunächst vorläufig ein Kreiswohlfahrtsamt eingerichtet. Dieses wurde nach einem Beschluss des Kreisausschusses vom 27. März 1917 ab dem 1. April 1917 zu einer festen Einrichtung. Die drei Abteilungen des neuen Amtes widmeten sich: 1. Der Wöchnerinnen-, Säuglings-, Kleinkinder- und Tbc-Fürsorge 2. Der Kriegsbeschädigtenfürsorge 3. Der Kriegshinterbliebenenfürsorge.22 Im Jahresbericht für 1920 existierten bereits fünf Abteilungen, die der Notlage nach dem Ersten Weltkrieg entsprechende Aufgabenbereiche hatten: 1. Jugend, heimkehrende Kriegsgefangene, vertriebene Auslandsdeutsche und Flüchtlinge 2. Kriegsbeschädigte 3. Hinterbliebene 4. Gesundheitsfürsorgestelle 5. Arbeitsnachweisamt.23

20 21 22 23

Lettland: Felder, Krankenmorde, S. 334; Weißrussland: Zamoiski, Eugenik, S. 349 f. Gesetzsammlung für die Königlich-Preußischen Staaten 1899, S. 172–176. ARSK LSK 2108, Vorlage für den Kreisausschuss, 27.3.1918. ARSK LSK 2108, Kreiswohlfahrtsamt Jahresbericht 1920.

Institutionelle und personelle Grundlagen

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Die neue Stelle für die Gesundheitsfürsorge erforderte eine moderne Ausstattung. Im Jahr 1925 konnte ein Röntgenapparat angeschafft werden24, der wichtig für die Tuberkulose-Fürsorge war. Aus dieser Gesundheitsfürsorgestelle entwickelte sich das Gesundheitsamt des Kreises. Es war immer noch eine kommunale Einrichtung, die Leitung aber übernahm der staatliche Kreisarzt als nebenamtliche Tätigkeit. Als Ende 1928 nach der Versetzung des Medizinalrates Hans Schmitt (1893–1967) die Kreisarztstelle unbesetzt und ausgeschrieben worden war, gab das Landratsamt auf Anfrage eines Bewerbers für die Stelle eine Auskunft über die „Verhältnisse im Kreise“: Dem bisherigen Kreismedizinalrat war die medizinische Leitung des (Kreis-) Gesundheitsamtes für eine monatliche Entschädigung übertragen worden. Das Impfgeschäft war durch einen Vertrag mit dem Ärzteverein auf die ansässigen Ärzte aufgeteilt worden, der Kreisarzt sei aber beteiligt. Zudem sei er Vertrauensarzt der Landesversicherungsanstalt.25 Ein Jahr später, 1929, gliederte sich das Kreiswohlfahrtsamt in vier Hauptabteilungen: 1. Abteilung für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene 2. Abteilung für Hilfsbedürftige 3. Jugendamt 4. [Kreis-] Gesundheitsamt.26 Seit der Neuregelung der staatlichen Fürsorge durch die Fürsorgepflichtordnung vom 13.  Februar 192427 waren die Kreise auch Bezirksfürsorgeverbände und erhielten erweiterte Aufgaben. Der Bezirksfürsorgeverband übernahm die Anstaltsfürsorge für „Geisteskranke“, Taubstumme, Blinde und „Krüppel“. Der Kreis zahlte an den Provinzialverband die Kosten für die in den Anstalten untergebrachten Personen. Die Kommunen beteiligten sich mit einem eigenen Anteil von 30 Prozent daran. Die Ausgaben für den Landkreis Bonn liegen nur für Anfang der 1920er Jahre vor. Im Jahr 1919 lagen diese bei 45.000 Reichsmark. In den Jahren 1920 und 1921 stiegen die veranschlagten Kosten auf 240.000 Reichsmark (1920: 135.000 RM).28 Auch die Ausgaben im Siegkreis stiegen im Haushalt bis 1935 laufend an: 1925 lag der Posten noch bei 130.000 Reichsmark.29 1934 waren schon Ausgaben in Höhe von 240.000 Reichsmark veranschlagt.30 Im Rechnungsjahr 1925 unterstützte der Siegkreis 222 in Anstalten untergebrachte „Geisteskranke“.31 Für das Rechnungsjahr 1934 war mit einem Rückgang gerechnet worden, doch die Zahl stieg von 291 auf 325 an. Dieser Anstieg erklärte sich daraus, 24 25 26 27 28 29 30

ARSK LSK 2108. ARSK LSK 2108, LR an Bange, 11.12.1928. ARSK LSK 2108. RGBL 1924, S. 100–107. LAV NRW R BR 9–7228. LAV NRW R BR 9–7378, Haushaltsplan Siegkreis 1925. ARSK LSK 6625, Haushaltsplan Siegkreis 1935. Weitere Entwicklung: 1932/122.163,20 RM, 1933/192.782,06 RM, 1934/240.000,00 RM Voranschlag, 1935/226.892,00 RM Voranschlag, 1942/151.000,00 RM Voranschlag. 31 LAV NRW R BR 9–7378, Haushaltsplan Siegkreis 1925.

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dass die nach dem neuen „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ durch Beschluss des Erbgesundheitsgerichtes zur Unfruchtbarmachung vorgesehenen Personen oft zunächst in einer Heil- und Pflegeanstalt aufgenommen und erst nach einem unbestimmten Zeitraum zur Operation in die entsprechende Klinik verlegt wurden. Die Zahl der Taubstummen und Blinden sowie der „Krüppel“ war hingegen mit zwölf und 22 gleich geblieben.32 3.2.2 Die Fürsorgeaußenstelle der Rheinischen Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn Für die ambulante Betreuung von Patienten waren in den 1920er Jahren im Auftrag der Provinzialverwaltung von den Provinzial-Heil- und Pflegeanstalten Außenstellendienste eingerichtet worden. Die Kreise konnten diesen Dienst in Anspruch nehmen, wenn sie sich an den Kosten beteiligten. Es gab feste Sprechstunden in den Kreisen, zu denen die Patienten kommen konnten. Die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn informierte am 25. Mai 1926 über die Einrichtung der „Fürsorgestelle für Nerven- und Gemütskranke für Bonn und Umgebung“ und verwies auf einen beiliegenden, „demnächst in den Tageszeitungen erscheinenden Artikel“, der darauf aufmerksam machen sollte, „dass sowohl entlassene Geisteskranke, [sic!] wie Neuerkrankte, Geistesschwache und Psychopathen von unserer Fürsorgestelle betreut werden sollen.“ Der Leiter der Fürsorgestelle war bereit, den Wohlfahrtsorganen des Kreises „mündlich ein kurzes Referat zu geben, um damit unser junges Unternehmen zu fördern und uns Ihre Mitarbeit und Unterstützung zu sichern“.33 Im Artikel fand sich die Erläuterung, dass Entlassene und Beurlaubte durch regelmäßige Hausbesuche betreut würden. Es sei gleichzeitig eine Beratungsstelle für Privatpersonen, insbesondere Unbemittelte. Als Vorteil stellte der Artikel heraus, dass eine große Anzahl von Kranken, „die bisher mangels rechtzeitiger Beratung und Betreuung nur in Anstalten gehalten werden konnten, in ihrer Familie unter Überwachung der Fürsorgeorgane verbleiben können und aus ihrer Erwerbstätigkeit nicht heraus müssen.“ Für Ortsansässige war die Sprechstunde jeden Montag und Donnerstag im Gesundheitsamt in Bonn und in der Anstalt, für Auswärtige nur in der Anstalt.34 Die Bonner Anstalt übernahm am 1. Juli 1926 auch im Stadtbezirk Köln die „offene Fürsorge“.35 Seit Dezember 1926 liefen Verhandlungen mit den Landkreisen und im März 1927 waren bereits „psychiatrische Ausbildungskurse“ für Kreisfürsorgerinnen in den Kreisen Bonn-Land, Sieg und Euskirchen abgehalten worden.36

32 33 34 35 36

ARSK LSK 6625, Haushaltsplan Siegkreis 1935. ARSK LKB 2896, HuP Bonn an LR, 15.5.1926. ARSK LKB 2896, Manuskript Artikel. Raether, Fürsorge, S. 1. Raether, Fürsorge, S. 2.

Institutionelle und personelle Grundlagen

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Schon 1926 musste eine Pflegerin hauptamtlich eingestellt werden, ein älterer Pfleger übernahm die Büroarbeit. Nach der allmählichen Ausdehnung auf andere Kreise erhielt die „offene Fürsorge“ einen Kleinwagen, ein weiterer Pfleger wurde zum Fahrer ausgebildet. Eine weitere hauptamtliche Fürsorgerin kam 1927 hinzu. Ab dem 1. April 1927 gab der Leiter der Fürsorgestelle, der Arzt Max Raether (1881−1948), seinen Dienst in der Anstalt auf und betreute hauptamtlich die Fürsorgestelle.37 Aufgrund von Sparmaßnahmen während der Weltwirtschaftskrise war 1931 die Außenfürsorge durch Reduzierung des Fürsorgepersonals abgebaut worden. Die Unkosten für die weiterhin durch die Anstalt angebotene Fürsorge übernahmen nun die betreuten Kreise selbst, allerdings bei deutlich geringerer finanzieller Ausstattung.38 Einen Aufschwung nahm die Außenfürsorge durch die neue, nach erbbiologischen und rassenhygienischen Kriterien ausgerichtete nationalsozialistische Gesundheitspolitik. Die Ärzte der Außenfürsorge und der Heil- und Pflegeanstalt waren nach dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ verpflichtet, „Erbkranke“ anzuzeigen. Mit dem „Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens“ gingen die „öffentlichen ärztlichen Aufgaben“ an den Amtsarzt über, der sich laut Schreiben des Regierungspräsidenten mit den „in der Geisteskrankenberatung tätigen“ Ärzten in Verbindung setzen sollte.39 Allerdings stellte der Reichs- und Preußische Minister des Inneren am 13. August 1937 klar, dass die „offene psychiatrische Fürsorge“ nicht zu den übertragenden Aufgaben gehörte. Bei Hilfsbedürftigkeit sei der Landesfürsorgeverband zuständig. Sie sei auch keine Pflichtaufgabe der öffentlichen Fürsorge. In der Praxis übernahmen die Anstalten die ärztliche Betreuung und der Bezirksfürsorgeverband stellte die Räumlichkeiten und das Hilfspersonal.40 Die Außenfürsorge der Bonner Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt betreute 1935/36 den Stadtkreis Köln, den Landkreis Köln, den Stadtkreis Bonn, den Landkreis Bonn, den Kreis Euskirchen, den Oberbergischen Kreis, den Siegkreis und den Kreis Altenkirchen.41 In der offenen Fürsorge befanden sich insgesamt 7694 Patienten, davon 3530 Personen, die zuvor einen Anstaltsaufenthalt gehabt hatten und entlassen worden waren. Zum Stichtag 31. März 1936 lag die Zahl der Patienten im Landkreis Bonn bei 739. 53 Männer und 51 Frauen waren im Berichtsjahr dazugekommen. Im Siegkreis handelte es sich um 926 Personen, von denen 52 Männer und 51 Frauen hinzugekommen waren.42

37 38 39 40 41 42

Raether, Fürsorge, S. 2 f. ALVR 13059, Bericht Dietrich, 16.3.1935. ALVR 13059, RP an LR Rheinisch-Bergischer Kreis, 4.8.1936. ALVR 13059, RuPrMdI an RP, 13.8.1937. ALVR 14856, Bericht der Außenfürsorge für Verwaltungsbericht [der HuP Bonn] 1935/36, 1936. ALVR 14856, Bericht der Außenfürsorge für Verwaltungsbericht [der HuP Bonn] 1935/36, 1936.

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Abb. 9  Die Bonner Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt, Stich, undatiert

Die Aufgaben der Außenfürsorge bestanden aus der beratenden Fürsorge mit Sprechstunden und der nachgehenden Fürsorge, d. h. Besuche bei Kranken. Die Sprechstunde für den Landkreis Bonn fand dienstags und samstags in der Anstalt statt, für den Siegkreis jeden zweiten Freitag im Monat in Siegburg. Bei den Sprechstunden stenographierte eine „Spezialfürsorgerin (Pflegerin)“ jeden Untersuchungsbefund mit. Im Büro der Fürsorge wurden anschließend die Akten angelegt. Das Fürsorgebüro behielt das Original der Krankenblätter, während das jeweils zuständige Gesundheitsamt eine Kopie erhielt. Das Büro legte zudem eine Karteikarte für jeden Patienten an. Diese wurde ab dem 1. Oktober 1935 dem erbbiologischen Institut zur Verfügung gestellt („Pohlisch’sche Karteikarte“43). Der Fürsorgearzt besuchte auch die Kranken, die in Heimpflege untergebracht waren, und kontrollierte ihre Unterbringung, so z. B. jeden zweiten Freitag nach der Sprechstunde in Siegburg das St. Josefshaus der Augustinerinnen in Much, wo die Anzahl der weiblichen Kranken 1935/36 von 24 auf 25 gestiegen war.44 Kranke, die von der Familie gepflegt wurden, betreute die Anstalt nicht.45 Der Versuch, den Fürsorgearzt als Schularzt für die Hilfsschule zu gewinnen, hatte nur mäßigen Erfolg. Zwar konnte er im März und Mai 1935 die Kinder untersuchen, 43 ALVR 13059, PHP an OP, 14.10.1937. 44 ALVR 14856, Bericht der Außenfürsorge für Verwaltungsbericht [der HuP Bonn] 1935/36, 1936. 45 ALVR 14856, Bericht der Außenfürsorge für Verwaltungsbericht [der HuP Bonn] 1935/36, 1936.

Institutionelle und personelle Grundlagen

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Abb. 10  Erbbiologisches Institut der Bonner Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt, Kartei-Arbeit mit Kurt Pohlisch im Hintergrund, 1937

Abb. 11  Sankt Josefskrankenhaus und Genesungsheim Much, Frontansicht mit Zufahrt und Gartenanlage, Ansichtskarte, undatiert

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Abb. 12  Sieglar Ansichtskarte, dort u. a. Blick auf die Eingangsfassade des Krankenhauses. Am Anfang der Rathausstraße, Ecke Larstraße, befand sich das alte Sieglarer Krankenhaus, um 1950

Abb. 13  Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn, 1942

Institutionelle und personelle Grundlagen

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aber die Ärzte der Stadt Siegburg wehrten sich erfolgreich dagegen. In der Sprechstunde des Fürsorgearztes erschienen auch Personen, die für Ehestandsdarlehen und Kinderbeihilfen eine Bescheinigung benötigten. Und es kam „in ausgiebigster Weise zur Untersuchung von Fällen, die möglicherweise unter das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses fallen“. Es waren insbesondere die schwierigen Fälle, die der Fürsorgearzt beurteilen sollte oder bei denen er zu einer Beobachtung in der Anstalt raten sollte. Hinzu kamen Aufforderungen der Erbgesundheitsgerichte zu Begutachtungen sowie der Amtsgerichte zu Ehescheidungen, Entmündigungen und Vormundschaftssachen. Das Arbeitsfeld war nach 1933 um die erbbiologischen Fragen „beträchtlich erweitert“ worden, so dass die Bonner Anstalt 1938 bei der vorgesetzten Stelle beantragte, dem zuständigen Fürsorgearzt einen zweiten kleinen Wagen zur Verfügung zu stellen.46 Die Außenfürsorge betreute „Heimpfleglinge“ in Much (St. Josefskrankenhaus), Nieder­ kassel (St. Elisabethhaus), Sieglar (St. Josefskrankenhaus) und Dattenfeld (St. Josefskrankenhaus), die von der Heil- und Pflegeanstalt dort untergebracht waren.47 Im Laufe der Jahre sind verschiedene Ärzte als verantwortliche „Leiter der Fürsorgestelle“ zu identifizieren. Für das Jahr 1934 ist Friedrich Koester (1886–1956) nachweisbar. Er verließ die Bonner Heil- und Pflegeanstalt im März 1935. Der nächste eingesetzte Arzt war Hans Lewenstein (1898–1982), der aber im Mai 1935 in die Provinzial-Heilund Pflegeanstalt Johannistal wechselte. Ernst Störring war vom 1. März bis 30. Juni 1936 ohne Bezüge beurlaubt. Als weiterer Arzt ist Bernhard Dietrich (1881–1964) nachweisbar, der viele Patienten in Siegburg behandelte. Im Mai 1939 wurde der Assistenzarzt Karl Vieweger (1910–1945) „von der Aussenfürsorge zur Anstalt zurückversetzt“ und an seine Stelle trat der Volontärarzt Werner Schaurich (geb. 1913).48 Gegen diese Beschäftigung von Schaurich als „2. Arzt des psychiatrischen Aussendienstes“ erhob die Provinzialverwaltung Bedenken. Er war der jüngste, soeben eingestellte Arzt und verfügte über zu wenig Erfahrung.49 Die Anstalt argumentierte, dass diese Tätigkeit allein für Vieweger zur Erlangung der Facharztbezeichnung nicht ausreichen dürfte, und verwies auf Schaurichs psychiatrische und neurologische Arbeit.50 Schließlich übernahm der Anstaltsarzt Peter Wittmann (1907– 1974) den Außendienst.51

46 ALVR 14841, HuP an OP, 31.10.1938. 47 ALVR 13059, Zwischenbericht Heuschen vom 31.8.1949 (zu diesem Zeitpunkt waren hier insgesamt 79 Frauen untergebracht). In einem Bericht vom Mai 1950 werden noch Heimpfleglinge in Uckerath (Gertrudenkrankenhaus) und Merten (Kloster zur Heiligen Familie) sowie in Bensberg (Krankenhaus) aufgezählt (drei Frauen und ein Mann). 48 ALVR 13059, PHP an OP, 15.5.1939. 49 ALVR 13059, OP an PHP, 20.5.1939. 50 ALVR 13059, PHP an OP, 1.6.1939. 51 ALVR 13059, OP an PHP, 26.6.1939.

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„… Anfang, aber nicht Ende“

3.2.3 Einrichtungen der NSDAP Der Dualismus von Staat und Partei drückte sich in der Organisation der Partei, ihrer Unterorganisationen und angeschlossenen Verbände aus. Jeder staatlichen Behörde stellte die NSDAP eine Partei-Einrichtung gegenüber. Dabei deckten sich die Parteibezirke nicht immer mit den entsprechenden staatlichen Verwaltungsbezirken. Während der Siegkreis mit dem gleichnamigen Kreis der NSDAP identisch war, wurden die NSDAPKreise Bonn-Stadt und Bonn-Land am 1. Januar 1935 zusammengelegt.52 Im Bereich des Gesundheits- und Wohlfahrtswesens entsprachen dem Kreisgesundheitsamt und dem Kreiswohlfahrtsamt in etwa das Amt für Volksgesundheit und das Amt für Volkswohlfahrt bei der Kreisleitung der NSDAP. Als weiterer Verband existierte der Nationalsozialistische Deutsche Ärztebund. Die Bonner Adressbücher sind nicht immer eindeutig: Ein Amt für Volksgesundheit wird 1937 das erste Mal aufgeführt. Zu diesem Zeitpunkt waren die beiden Bonner Kreise der NSDAP schon zusammengelegt. In den vorherigen Adressbüchern 1934/35 und 1936 findet nur der Nationalsozialistische Deutsche Ärztebund Erwähnung. Beide sind im Adressbuch 1941/42 genannt, aber nur der Ärztebund mit dem Namen des Leiters. Bis auf 1934/35 war von 1936 bis 1941/42 Hans Horstmann (1894–1942), Arzt in Bad Godesberg, der Kreisamtsleiter des Amtes sowie des Ärztebundes, so dass von einer Doppelfunktion in diesem Zeitraum ausgegangen werden kann. Beim Amt für Volkswohlfahrt und der NSV sieht es ähnlich aus: Nur 1934/35 gab es noch zwei verschiedene Kreisamtsleiter, ab 1936 nur noch Ernst Schulz (geb. 1894), der ebenfalls der NSV vorstand. Amt für Volksgesundheit, Kreisleitung NSDAP 1936 Kreisamtsleiter Dr. Hans Horstmann, Landkreis Bonn 1938 Bonn-Stadt und Bonn-Land sowie 16 Ortswaltungen 1939 Kreisamtsleiter Dr. Hans Horstmann und Kreiswaltung für Volksgesundheit mit elf Ortswaltungen, darunter auch Beuel-Ort, Beuel-Land und Duisdorf. 1941/42 mit zehn Ortswaltungen Amt für Volkswohlfahrt, Kreisleitung NSDAP Bonn 1934/35 Leiter Stadtrat Fritz Graemer, Geschäftsführer: Ernst Schulz 1936 Kreisamtsleiter Ernst Schulz, Geschäftsführer: Dr. Aloys Schmitz 1938 Kreisamtsleiter Ernst Schulz 1939 Kreiswaltung für Volkswohlfahrt mit elf Ortswaltungen, darunter auch BeuelOrt, Beuel-Land und Duisdorf. Amt für Volkswohlfahrt, Bonn-Land 1934/35 Kreisamtsleiter Hans Thelen 52 Klefisch, Kreisleiter.

„… eine möglichst aktive Bevölkerungs- und Aufzuchtspolitik“

57

NS-Ärztebund53 1934/35 Kreisamtsleiter PD Dr. Karl Schmidt (1899–1980), Augenklinik 1936 Kreisamtsleiter Dr. Hans Horstmann, Kreishauptstelle: Dr. Wilhelm Christ 1939 Kreiswaltung, Kreisobmann: Dr. Hans Horstmann 1941/42 Dr. Hans Horstmann Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) 1934/35 zehn Einträge „NSV bei der Ortsgruppe“, nur Stadt Bonn, kein Kreisamt erkennbar 1936 Kreisamtsleiter Ernst Schulz 1941/42 Kreisamtsleiter Ernst Schulz mit elf Ortswaltungen, darunter auch BeuelOrt, Beuel-Land und Duisdorf. Für den Siegkreis gibt es nur sehr wenige Informationen. Einzige Quelle ist hier das Adressbuch von 1940. Danach hatte die Führung des Amtes für Kreisgesundheit und des NS-Ärztebundes Dr. Hugo Klein in Eitorf (1895–1971) inne, während dem NSV der Kreisamtsleiter Paul Haas vorstand. Hier gab es 27 Ortswaltungen. Als Ärzte waren Horstmann und Klein verpflichtet, Personen nach dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ dem Gesundheitsamt anzuzeigen. Während sich bei Klein 20 Anzeigen nachweisen lassen, ist interessanterweise keine Anzeige von Horstmann dabei. Dagegen lässt sich eine Julie Horstmann, die laut Adressbuch unter der gleichen Anschrift wie Hans Horstmann gemeldet war, in drei Fällen als Vertreterin von Betroffenen vor Gericht feststellen. Kreisamtsleiter Ernst Schulz war in 16 Fällen Vertreter vor Gericht.

3.3 „ … eine möglichst aktive Bevölkerungs- und Aufzuchtspolitik“54 – Akteure der Sterilisationspolitik Eine letzte Neuordnung im Geschäftsverteilungsplan im Siegkreis vom 17. November 1934 zeigt schon die Fülle an neuen Aufgaben des Kreisgesundheitsamtes. Darunter fielen auch die ideologisch vorgegebenen.55 Das Sachgebiet „W[ohlfahrt] IV Kreisgesundheitsamt“ übernahm gesundheitspolizeiliche Aufgaben: Impfwesen, Hebammenwesen und die Nahrungsmittelkontrolle, soweit diese bisher bei der Kreiskommunalverwaltung lag. Zu den gesundheitsfürsorgerischen Aufgaben gehörten die Erb- und Rassenpflege, die Schwangeren-Fürsorge, der Mutterschutz, die Säuglings- und Kleinkinderfürsorge, die Pflegekinder-Überwachung (zusammen mit W III), die Schulgesundheits-Pflege, 53 Forsbach, Pfleger. 54 Dazu unten S. 75 55 ARSK LSK 4975.

58

„… Anfang, aber nicht Ende“

die Kinderspeisung, die Tuberkulose-Fürsorge, die Fürsorge für „körperlich und geistig defekte Personen“ (soweit nicht bei W VI), die Fürsorge für Trinker, die Fürsorge für Geschlechtskranke, die hygienische Volksbelehrung und die Gemeindekrankenpflege. 3.3.1 Die Errichtung und Ausstattung der staatlichen Kreisgesundheitsämter Mit dem „Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens“ vom 3.  Juli 1934 (GVG)56 schuf die Regierung ein eigenständiges Instrument zur Umsetzung der nationalsozialistischen Vorstellungen einer unter dem Vorzeichen der Erb- und Rassenpflege stehenden Gesundheitspolitik. Zur „einheitlichen Durchführung des öffentlichen Gesundheitsdienstes“57 erfolgte in den Stadt- und Landkreisen die Einrichtung von Gesundheitsämtern, deren Leiter ein staatlicher Amtsarzt war. Die neue Institution erhielt Zuständigkeiten in drei Bereichen. An erster Stelle standen die ärztlichen Aufgaben aus sechs Teilbereichen: der Gesundheitspolizei, der Erb- und Rassenpflege einschließlich der Eheberatung, der gesundheitlichen Volksbelehrung, der Schulgesundheitspflege, der Mütter- und Kinderberatung sowie der Fürsorge für Tuberkulöse, für Geschlechtskranke, körperlich Behinderte, Sieche und Süchtige. Des Weiteren war die ärztliche Mitwirkung bei Maßnahmen zur Förderung der Körperpflege und Leibesübungen vorgesehen und schließlich die amts-, gerichts- und vertrauensärztliche Tätigkeit, soweit sie durch Landesrecht den Amtsärzten übertragen war. Eine weitere vertrauensärztliche Tätigkeit, besonders auf dem Gebiet der Sozialversicherung, konnten sie aufgrund besonderer Regelung übernehmen. Die Gesundheitsämter waren staatliche Ämter, an deren Finanzierung sich die Stadtund Landkreise nach ihrer Leistungsfähigkeit zu beteiligen hatten. Es konnten auch bereits bestehende kommunale Einrichtungen als Gesundheitsämter anerkannt werden, wobei der Staat diese für die mitübernommenen Aufgaben bezuschusste. Der Leiter des Gesundheitsamtes war ein staatlicher Amtsarzt. Bisherige Leiter von kommunalen Einrichtungen konnten in den Staatsdienst übernommen werden, wenn sie die entsprechende Ausbildung nachwiesen oder sich bei der bisherigen Führung der Einrichtung bewährt hatten. Die Einrichtung der ersten staatlichen Gesundheitsämter erfolgte mit Inkrafttreten des Gesetzes am 1. April 1935. In ganz Deutschland gab es zu diesem Zeitpunkt 760 Gesundheitsämter, davon 640 in staatlicher Trägerschaft. In Preußen entstanden 426 neue Gesundheitsämter. Von ihnen waren 339 staatlich und 54 kommunal mit einem staatlichen Leiter. 33 Gesundheitsämter blieben weiterhin kommunal und hatten auch einen kommunalen Leiter.58 Zum 1. April 1935 wurden in beiden Kreisen staatliche Gesundheitsämter eingerichtet. Da in der Stadt Bonn ebenfalls ein staatliches Gesundheitsamt entstand und der bisherige Kreis- und Amtsarzt für Bonn-Stadt und Bonn-Land Josef Basten (1886–1942) durch 56 RGBl 1934, S. 531 f.; zum Hintergrund Labisch/Tennstedt, 50 Jahre; Labisch/Tennstedt, Weg. 57 RGBl 1934, S. 531. 58 Vossen, Gesundheitsämter, S. 220 f.

„… eine möglichst aktive Bevölkerungs- und Aufzuchtspolitik“

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ministeriellen Erlass am 19. März 1935 zum Leiter des nunmehr staatlichen Gesundheitsamtes der Stadt Bonn ernannt worden war, erfolgte eine personelle Abtrennung des Bezirkes des Landkreises durch die Ernennung eines eigenen Amtsarztes und Leiters für das neue Gesundheitsamt für Bonn-Land. Ab dem 1. August 1935 wurde ein stellvertretender Amtsarzt eingestellt. Im Siegkreis blieb alles beim Alten, der bisherige Amtsarzt wurde zum Leiter des staatlichen Gesundheitsamtes ernannt. Ein stellvertretender Amtsarzt wurde am 2. Januar 1936 eingestellt.59 Etat der Kreisgesundheitsämter

Da keine Haushaltspläne des Kreises Bonn-Land überliefert sind, kann über den Etat des Gesundheitsamtes keine Aussage gemacht werden. Für den Siegkreis haben sich Haushaltspläne und Haushaltsrechnungen erhalten, es gibt aber Lücken. Die finanzielle Entwicklung des Fürsorge- und Gesundheitswesens lässt sich anhand der vorliegenden Zahlen verdeutlichen: Die Zahlungen an den Provinzialverband für die Anstaltsunterbringung von „Geisteskranken“, Blinden, Taubstummen und „Krüppeln“ beliefen sich auf 60: 1928 279.000 RM (254.000 RM Voranschlag)61 1929 250.000 RM Voranschlag 1930–1932 k. A. 1933 192.782 RM 1934 351.162 RM (188.112 RM Voranschlag) 1935 507.361 RM (227.892 RM Voranschlag) 1936 225.132 RM Voranschlag 1937 219.175 RM Voranschlag 1938 233.999 RM (220.000 RM Voranschlag). Bei der Aufstellung des Haushaltsplanes für 1934 war mit durchschnittlich 260 „Geisteskranken“ gerechnet worden. Die Zahl erwies sich jedoch als zu gering, da durchschnittlich etwa 300 „sonst nicht anstaltsbedürftige Personen vorübergehend in Anstaltspflege genommen“ worden waren „zwecks Prüfung der Frage, [sic!] der Anwendung und Durchführung des Erbgesundheitsgesetzes.“62 Hier waren also die Auswirkungen des neuen Gesetzes auch finanziell sichtbar geworden. Eine Umstellung der Buchungen änderte das Volumen: War bis 1935 der 30-Prozent-Anteil der Kommunen bereits in den Planungen vorsorglich abgezogen worden, so wurden diese Anteile mit dem Haushaltsplan für 1936 als Einnahmen und die vollen Kosten als Ausgaben gebucht. 59 60 61 62

ARSK LSK 2031. ARSK LSK 2031. ARSK LSK 1526. ARSK LSK 2031.

60

„… Anfang, aber nicht Ende“

Anzahl der Personen in der öffentlichen Fürsorge im Siegkreis63 1928

1933

1934

1935

1937

1938

„Geisteskranke“

k. A.

[260]

300

k. A.

323

329

Taubstumme/Blinde

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

8

„Krüppel“

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

26

Gesamt

363

[260]

300

k. A.

323

364

Die Tagessätze zur Unterbringung nach dem Haushaltsplan des Siegkreises „Geisteskranke“

Taubstumme/Blinde

„Krüppel“

193064

2,45 RM

k. A.

k. A.

1931

2,30 RM

k. A.

k. A.

193266

1,70 RM (1,50 RM in Privatanstalten)

1,80 RM

2,80 RM

193767

1,60 RM

2,10 RM

2,80 RM

65

Mit den zusätzlichen Aufgaben stiegen sowohl der Personalbedarf als auch der Finanzbedarf der neuen staatlichen Gesundheitsämter. Der Haushalt des Kreisgesundheitsamtes im Siegkreis entwickelte sich ab 1935 wie folgt: 1934 39.278 RM 1935 50.996 RM 1936 rund 96.000 RM68 (101.440 RM Voranschlag)69 1937 rund 92.000 RM70 (128.900 RM Voranschlag)71 1938 rund 175.000 RM72 1939 rund 207.000 RM73 1940 rund 225.000 RM74 1941 k. A. 1942 rund 253.000 RM75

63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75

ARSK LSK 1526; LSK 2031. ARSK LKB 2896, Landeshauptmann an LR, 25.2.1931. ARSK LKB 2896, Landeshauptmann an LR, 25.2.1931. ARSK LKB 2896, Landeshauptmann an LR, 23.8.1932. ARSK LSK 2031. ARSK LSK 5035. ARSK LSK 2031. ARSK LSK 5036. ARSK LSK 2031. ARSK LSK 5037. ARSK LSK 5038. ARSK LSK 5039. ARSK LSK 5040.

„… eine möglichst aktive Bevölkerungs- und Aufzuchtspolitik“

61

Der deutliche Sprung im Haushaltsjahr 1938 auf 175.000 RM begründet sich in der Einstellung neuer Ärzte (ca. 11.000 RM), Heilverfahren für Tbc etc. (ca. 30.000 RM) sowie der Kostenübernahme für die NS-Schwesternstationen (ca. 20.000 RM). Des Weiteren war die Einstellung eines Schulzahnarztes und eines Desinfektors geplant. Die Ausgaben für Letzteren waren wieder abgezogen worden. Die Organisation der Kreisgesundheitsämter Bonn-Land

Über die Organisation des Gesundheitsamtes Bonn-Land liegen nur wenige Dokumente vor. In einem Schreiben des Leiters vom 13. Juni 1936 an den Regierungspräsidenten berichtet dieser über den „systematischen Aufbau der erbbiologischen Abteilung und Beratungsstelle für Erb- und Rassenpflege“, womit am 1. August 1935 begonnen worden war. Die „vorhandene Kartei der Lungen-, Krüppel- und Geisteskrankenfürsorge“ sowie die Akten des Wohlfahrts- und des Jugendamtes einschließlich Gerichtsakten seien dafür herangezogen und ausgewertet worden. Die so aufgebaute Erbkartei umfasste nach der „Ergänzung durch Sterilisationsfälle, Ehestandsdarlehensbewerber, Kinderreichenbeihilfe-Bewerber, Bauernsiedler, Einbürgerungen [und] Bewerber um Ehetauglichkeitszeugnisse“ rund 1000 Karten.76 Im Jahr 1937 hatte sich die Zahl der Karten bereits auf 5000 erhöht. Der Kreis der in die Kartei aufgenommenen Gruppen war groß: „a) sämtliche Erbkranken, welche bisher erfasst wurden. b) sämtliche Personen, welche unter Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses fallen. c) sämtliche zur Einbürgerung angemeldeten Personen. d) Siedler. e) Bewerber um Ehestandsdarlehen. f) Personen, welche zur Eheberatung kommen. g) Personen, bei denen Untersuchung auf Ehetauglichkeit vorgenommen wird. h) bei Kinderreichenbeihilfeanträgen wird eine Karteikarte der Ehefrau des Antragsstellers ausgefüllt (Sippe der Frau)[,] ferner eine Karte auf den Namen des ältesten Kindes. i) Kinder, welche im Auftrage des Schulamtes erbbiologisch untersucht werden. k) Hilfsschulkinder. l) Personen, die mir von der Fürsorgestelle für Nerven- und Gemütskranke – Oberarzt Dr. Dietrich – gemeldet werden. m) Fürsorgezöglinge. n) Entmündigte. o) Ehrenpatenschaften. p) sonstige zur Beratung kommende Personen.“77 76 ARSK LKB 6466–2, GSA an RP, 13.6.1936. 77 ARSK LKB 6466–2, GSA an RP, 9.8.1937.

62

„… Anfang, aber nicht Ende“

Es folgte eine Aufstellung darüber, für wen Sippentafeln angelegt wurden, sowie die bereits vorhanden Sonderkarteien für Personen, die der Fürsorge bedurften.78 Erhalten ist ein Geschäftsverteilungsplan vom 15. Januar 1943, wonach es folgende Abteilungen und Aufgabengebiete gab: „1. Amtsärztliche Abteilung: Gesamtleitung, ferner Gesundheitspolizei, gesundheitliche Volksbelehrung, Schulgesundheitspflege, Mütter- und Kinderberatungen, Fürsorge für Geschlechtskranke, Sieche und Süchtige, Psychopathen, Geisteskranken [sic!], gerichtsärztliche Tätigkeit, Ärzteplanung, Krankenhäuser, Hebammen und Apotheken, R[eichs-]V[ersicherungs]-Sachen. 2. erbbiologische Abteilung: Unfruchtbarmachungen, Eheberatungen, Ehetauglichkeiten, Ehestandsdarlehens, Kinderbeihilfen, Ausbildungsbeihilfen, Ehrenkreuze für kinderreiche Mütter, Sippenforschung, erbbiologische Ermittlungen in Jugendsachen und für die Wehrmachtsfürsorge, Eheunbedenklichkeitsbescheinigungen, Einbürgerungen. 3. Fürsorgeabteilung: Lungenfürsorge, Krüppelfürsorge. 4. Gesundheitsaufseher: praktischer Durchführung der gesundheitspolizeilichen Maßnahmen (Desinfektionen), ferner Entwesungen und Entlausung der zivilen Ostarbeiter und deren Lager. Mangels Eignung ziviler Kräfte öfters auch mit der Entwesung von Wehrmachts-Stalag-Lager[n] und Kasernen beschäftigt. 5. Verwaltung: Kanzlei, Rechnungswesen, Kassenwesen 6. Gesundheitspflegerinnen: Aussendienst in der Bevölkerung.“79

Siegkreis

Nach der Einrichtung der Stelle eines Kreissyndikus war eine Neuabgrenzung der Dezernate notwendig geworden.80 Diese betraf auch den Amtsarzt. Zu seinem Dezernat gehörte die „Abteilung W.III.“. Die Bearbeitung der Angelegenheiten der wirtschaftlichen Fürsorge, die bisher im Kreisgesundheitsamt durch eigene Kräfte erfolgte, sollte fortgesetzt werden. Der zuständige Dezernent war nun allerdings der Kreissyndikus als Leiter der Abteilung W.I., so dass die Akten in der Registratur unter „W.I.“ geführt wurden. Der Amtsarzt als Leiter der Abteilung W.III. wurde nun bei gesundheitstechnischen bzw. ärztlichen Fragen bei den Angelegenheiten der wirtschaftlichen Fürsorge Mitdezernent. Der „Geschäftsverteilungsplan der Kreiskommunalverwaltung des Siegkreises ab 1. Juni 1939“ (K) verzeichnet als eine von neun Abteilungen das „K5 Gesundheitsamt“.81 Zum Aufgabenbereich gehörte demnach die Allgemeine Gesundheitsverwaltung. Sie bestand aus der Gesundheitspflege im Allgemeinen, der Gesundheitlichen Volksaufklärung und Volksbelehrung, der Erb- und Rassenpflege, dem Hebammenwesen, 78 79 80 81

ARSK LKB 6466–2, GSA an RP, 9.8.1937. ARSK LKB 6532. ARSK LSK 3064. ARSK LSK 3064, Geschäftsverteilungsplan ab 1.6.1939.

„… eine möglichst aktive Bevölkerungs- und Aufzuchtspolitik“

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dem Impfwesen, der Bekämpfung von Krankheiten (einschließlich des Desinfektionswesens), den Vorbeugungsmaßnahmen, der Schulgesundheitspflege, der Schulzahnpflege und der Schulspeisung. Zu den Einrichtungen des Gesundheitswesens zählten: Krankenhäuser, Sanatorien, Entbindungs- und Wöchnerinnenheime, Anstalten für Nerven- und Geisteskranke, Gemeindepflegestationen, Ambulatorien, Zahnkliniken, ärztliche Beratungsstellen und sonstige Einrichtungen der Gesundheitspflege sowie die Betreuung der Fürsorgebezirke. Große Bedeutung hatten auch die Volksertüchtigung und die wirtschaftliche Gesundheitsfürsorge. Im Geschäftsverteilungsplan der staatlichen Verwaltung des Siegkreises (L) vom 27. Februar 1941 ist das Gesundheitsamt nicht aufgeführt.82 Das Personal der Kreisgesundheitsämter Bonn-Land

Als erster Leiter des staatlichen Gesundheitsamtes war Hubert Lohmer (1874–1950) bestellt worden, der 1937 in den Ruhestand ging. Ihm folgte Hans Schoeneck (1890– 1942). Nach dessen Tod wurde 1943 Artur Josten (1890–1965) Amtsarzt für Bonn-Land. Ab August 1935 konnte ein stellvertretender Amtsarzt Friedrich Bierbaum (geb. 1906) seine Tätigkeit aufnehmen. 1937 folgte ihm Alfred Esser (1897–1950). Daneben gab es noch den bisherigen Kommunalarzt Josef Fuhlrott (geb. 1888), der nun als Fürsorgearzt eingesetzt wurde. Erst im Krieg, als der Amtsarzt Schoeneck zur Wehrmacht abkommandiert war und der stellvertretende Amtsarzt Esser alle Aufgaben wahrnahm, wurde eine Assistenzarztstelle in den Haushaltsplan zwar aufgenommen, aber wegen Ärztemangels nicht besetzt.83 Dem Kreisarzt zur Seite standen Hilfsärzte, die eine bestimmte Stundenzahl für den Kreis arbeiteten. Bei einer Visitation des Gesundheitsamtes im Jahr 1935 waren es 38 Hilfsärzte. Sie übernahmen hauptsächlich die schulärztliche Fürsorge.84 Zur Unterstützung der beiden Ärzte waren Gesundheitspflegerinnen eingestellt. Deren Bezirke waren Beuel, Godesberg, Meckenheim und Berkum, Duisdorf, Rheinbach und Ludendorf sowie Bornheim. Der flächenmäßig größte Bezirk war der für Meckenheim und Berkum, der am dichtesten bevölkerte war der Bezirk Beuel. 1935 gab es drei Beamtinnen und zwei vollbeschäftigte Angestellte.85 Eine Gesundheitspflegerin, Gertrud Bölte, war Parteimitglied seit 1937.86 Im Dienstvertrag, den Christl Münch zunächst als Aushilfe für die erkrankte Gesundheitspflegerin Elisabeth Plöger 1936 erhielt, wurde bestimmt, dass sie ihre Tätigkeit „nach folgenden Grundsätzen wahrzunehmen“ habe:

82 83 84 85 86

ARSK LSK 3064, Geschäftsverteilungsplan 27.2.1941. ARSK LKB 6532, Geschäftsverteilungsplan 15.1.1943. ARSK LKB 7104, Visitationsbericht 24.8.1935. ARSK LKB 7104, Visitationsbericht 24.8.1935. ARSK LKB 6369, Liste vom 22.3.1946.

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„… Anfang, aber nicht Ende“ „a) Die Gesundheitspflegerin ist dem Leiter des Gesundheitsamtes unterstellt. Sie ist ein Organ des staatlichen Gesundheitsamtes Bonn-Land und übt ihre Tätigkeit auf Anordnung oder im Einverständnis mit dessen Leiter aus. b) Aufgabe der Gesundheitspflegerin ist es, ihre ganze Zeit und Kraft den Aufgaben des Gesundheitsamtes Bonn-Land zu widmen. Sie hat ein Hand in Hand arbeiten mit den Behörden, Gliederungen der Partei, Ärzten, Schulleitern und Geistlichen aller Konfessionen zu erstreben. Sie muss Rat und Auskunft erteilen und Hilfe vermitteln, soweit es in ihren Kräften steht. Sie soll ein freundliches Einvernehmen mit den Personen, Behörden und Gliederungen der Partei, die Gesundheits- und Wohlfahrtspflege betreiben, suchen, diese in ihren Bestrebungen unterstützen, sie gegebenenfalls zur Übernahme neuer Aufgaben anregen und ein geordnetes Zusammenwirken aller dieser Stellen fördern. c) Über ihre Tätigkeit hat die Gesundheitspflegerin terminmässig die erforderlichen Berichte einzusenden.“87

Die NSDAP war bemüht, auch im Gesundheitswesen eine möglichst genaue Parallelorganisation zu den staatlichen Einrichtungen aufzubauen. Die Konkurrenzsituation blieb nicht ohne Folgen. „Reibereien“ zwischen einer staatlichen Gesundheitspflegerin und einer NS-Gemeindeschwester, die für Rheinbach und Heimerzheim zuständig war, hatten – mindestens – eine nicht mehr erhaltene Beschwerde von Schulz an das Gesundheitsamt ausgelöst. In einem Schreiben vom 11. November 1940 an den Kreisamtsleiter nahm Esser seine Mitarbeiterin in Schutz. Den Vorwurf, sie sei nicht sogleich nach der Geburt zu einer Mutter von Zwillingen nach Loch gefahren, wies er zurück. Zum einen sei der Bezirk so groß, dass Dienstgeschäfte gesammelt würden, um Fahrten zu sparen. Dringend notwendige Fahrten würden natürlich gemacht, aber in diesem Falle sei die Mutter von einem Arzt betreut gewesen, mit dem die Gesundheitspflegerin in Kontakt gestanden habe. Bei der Beantwortung nur einen Tag später äußerte Schulz, er könne bei der Gemeindeschwester auch kein Verschulden „an den unerfreulichen Vorgängen“ finden. Es bleibe die Tatsache, dass die NS-Schwester in Rheinbach am 5. Oktober 1940 ein „korrekt gehaltenes Schreiben“ an die Gesundheitspflegerin geschickt habe, woraufhin eine Antwort von dieser am 12. Oktober 1940 an die Ortsgruppe ging, welche er „nach Form und Inhalt ganz entschieden zurückweisen“ müsse. Er appellierte an Esser: „Ich bin davon überzeugt, daß es ebenso Ihr wie mein Wunsch ist, daß die staatlichen und die Parteidienststellen auf das Engste zusammenarbeiten; diese Zusammenarbeit fehlt in Rheinbach vollkommen. Daran ist die NS-Schwester nicht schuld. Ich bitte Sie also nochmals[,] sich in Ihrer Eigenschaft als Leiter des staatlichen Gesundheitsamtes für den Landkreis Bonn für eine intensive und reibungslose Zusammenarbeit von Partei und Staat einzusetzen.“88

87 ARSL LKB 6374, Dienstvertrag, 22.8.1936. 88 ARSK LKB 6374, Kreisamtsleiter NSV an GSA, 12.11.1940.

„… eine möglichst aktive Bevölkerungs- und Aufzuchtspolitik“

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Im April 1938 übersandte das Gesundheitsamt Bonn-Land dem Landrat eine Aufstellung des erforderlichen Personals „für den augenblicklichen Arbeitsumfang“: „ein Amtsarzt [ein] stellv. Amtsarzt 1 Fürsorgearzt 8 Gesundheitspflegerinnen 1 techn. Assistentin 1 Gesundheitsaufseher 6 7 Bürokräfte“.

Tatsächlich vorhanden waren zu diesem Zeitpunkt aber lediglich: 1 Amtsarzt [Schoeneck] 1 stellv. Amtsarzt [Esser] 1 Fürsorgearzt [Fuhlrott] 6 Gesundheitspflegerinnen [Bölte, Empt, Kerp, Münch, Kaiser, Steingens] 1 techn. Assistentin 4 Bürokräfte.89 Im Januar 1943 fehlten, abgesehen von dem zur Wehrmacht eingezogenen Amtsarzt, noch ein Assistenzarzt, eine Gesundheitspflegerin und ein Verwaltungsbeamter.90 Im Sommer 1945 scheinen zumindest die acht Stellen der Gesundheitspflegerinnen alle besetzt gewesen zu sein.91 Siegkreis

Während im Landkreis Bonn durch die Abtrennung von der Stadt Bonn erst ein neuer Leiter für das staatliche Gesundheitsamt gesucht werden musste, übernahm im Siegkreis – wie in Bonn – der bisherige Kreisarzt Bruno Bange (1892–1974) die Leitung des nunmehr staatlichen Gesundheitsamtes. Allein konnte Bange die neuen Aufgaben nicht bewältigen. Daher schrieb er am 30. Juli 1935 dem Landrat, dass die Anstellung des stellvertretenden Amtsarztes erforderlich sei, und bezog sich auf den Erlass des Reichs- und Preußischen Ministers des Inneren vom 19. März 1935. Des Weiteren sei die Anstellung von ein bis zwei weiteren Hilfsärzten notwendig geworden,

89 ARSK LKB 6350, Aufstellung 20.4.1938. 90 ARSK LKB 6532, Geschäftsverteilungsplan 15.1.1943. 91 ARSK LKB 6369, Liste Namen und Anschriften von Ärzten und Gesundheitspflegerinnen, ohne Datum, möglicherweise August/September 1945.

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„… Anfang, aber nicht Ende“ „weil das Aufgabengebiet des Gesundheitsamtes wesentlich erweitert ist[,] insbesondere durch die Erbund Rassenpflege, Ehestandsdarlehen, Sterilisierungsfälle etc. und weil ein Teil der Aufgaben, die bisher durch prakt.[ische] Aerzte nebenamtlich erledigt wurden, hauptamtlich Aerzten übertragen werden sollen.“

Bange bat zu veranlassen, „dass die Aerzte baldigst ihre Tätigkeit hier übernehmen können“.92 Im Laufe des Jahres forderte Bange weitere personelle Unterstützung, im Nachtragshaushalt für 1935 wurde dies berücksichtigt: „Der Ausbau des Gesundheitsamtes erfordert weiter die Einstellung 1 Fürsorge-Ärztin ab 1.10.1935, 1 Röntgen-Assistentin ab 1.9.1935 und die Übernahme einer Bürogehilfin des früheren Kreisarztes.“93 Die beiden 1935 eingestellten Ärzte Lothar Diehm (geb. 1910) und Liselotte Witkop (1906–1982) kündigten ihre Stellen 1938 wieder. Dafür konnten im gleichen Jahr aber vier neue Ärzte und der Schulzahnarzt Adalbert Schulte-Oestrich (1901–1964) eingestellt werden. Die Ärzte waren Hans Heffels (1912–1972), Rudolf Steininger (geb. 1912), Josef Struben (1906–1968) und Maria Vosskühler (geb. 1906). Das Gesundheitsamt war nunmehr sowohl im ärztlichen als auch im übrigen Personalbereich gut ausgestattet. Der Stellenplan von 1939 unter Dezernent Bange zeigt dies deutlich auf: Zum Personal gehörten neben dem Leiter des Gesundheitsamtes noch fünf weitere Ärzte: Struben, Heffels, Steininger, Vosskühler und der Zahnarzt Schulte-Oestrich. Die Positionen des Medizinalpraktikanten und des Abteilungsleiters „K.[reis-]A.[usschuss]-Inspektor“ waren offen. Zum Gesundheitsamt gehörten vier Verwaltungsangestellte (Schmitz, Muth, Königsfeld, Wiebusch), ein Verwaltungsgehilfe (Schubert) und eine zahnärztliche Helferin (Caska). Der Posten der technischen Assistentin war unbesetzt. Unter dem Gesundheitsaufseher (Jung) arbeiteten acht Kreisfürsorgerinnen: Hedwig von Haza Radlitz (1881–1945)94 (Troisdorf), Hedwig Keysers (Eitorf), Roth, Margarete Kentemich (Hennef), Recktenwald, Schwämmlein, Schmal und Dominik. Eine Fürsorgepraktikantin fehlte noch. Von den insgesamt 25 Stellen konnten also nur 21 besetzt werden, vier blieben unbesetzt.95 Während des Krieges wurden ein Arzt und mehrere andere Männer eingezogen. Die Dienstgebäude Bonn-Land

Für das kommunale Gesundheitsamt in Bonn, das in der Franziskanerstraße 8–9 untergebracht war96, suchte die Stadt bereits Anfang der 1930er Jahre passende Räumlichkeiten. 1933 gab es Überlegungen, das Amt in das Gebäude der Pestalozzischule ein92 93 94 95 96

ARSK PA 1299, GSA an LR, 30.7.1935 ARSK LSK 2031. Haas, Pegasus. ARSK LSK 4752. Adressbuch Bonn 1932/33, S. 16; zusammen mit dem Wohlfahrtsamt, der Fürsorgestelle für Kriegsbeschädigte und -hinterbliebene sowie dem Jugendamt.

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ziehen zu lassen. Schon zu diesem Zeitpunkt war der Stadt bewusst, es müsse „damit gerechnet werden, daß das Gesundheitsamt in Erfüllung seiner zukünftigen Aufgaben vollkommen selbständig werden wird“.97 Als im Januar 1934 die Schule aus der Quantiusstraße 9 in die Kasernenstraße 11 (Wilhelmschule) umzog, fiel das Gebäude an das Wohlfahrtsamt zurück. Während sich Oberbürgermeister Ludwig Rickert (1897–1963) am 23. Januar 1934 noch die persönliche Entscheidung vorbehielt und eine Unterbringung des Gesundheitsamtes im Erdgeschoss des Stadthauses am Bottlerplatz erwogen wurde, um das Haus Quantiusstraße 9 in ein Wohnhaus umwandeln zu können98, machte das Amt selbst eine Woche später klar, dass die Räumlichkeiten im Stadthaus zu klein seien. Für das Personal, bestehend aus Amtsarzt, sechs Bürobeamten und Angestellten, drei Gesundheitsaufsehern, sechs Fürsorgerinnen und einigen Praktikantinnen, waren zehn Zimmer notwendig.99 Daher entschied der Oberbürgermeister am 10. Februar 1934, dass das Gesundheitsamt die Räumlichkeiten in der Quantiusstraße 9 beziehen sollte.100 Der Umzug fand am 2. und 3. Mai 1934 statt.101 Mit der Einrichtung der staatlichen Gesundheitsämter 1935 in der Stadt und im Landkreis Bonn mussten die Frage der Unterbringung und die Übernahme der Kosten geklärt werden. Das Amtszimmer des Kreisarztes für Bonn-Land befand sich 1932/33 in der Bachstraße 62/64102, wo auch das Wohlfahrtsamt untergebracht war. Das staatliche Gesundheitsamt für den Kreis Bonn-Land nutzte ab 1935 Räumlichkeiten im Gebäude Bachstraße 38103, das nach dem Tod des Besitzers, des niederländischen Diplomaten Baron Willem Gevers (1856–1927), am 29. Dezember 1927 vom Kreis erworben104 und 1928 für das seit 1917 bestehende Kreiswohlfahrtsamt umgebaut worden war.105 Die Gesundheitsfürsorge des Kreises Bonn-Land war bisher in vier Räumen untergebracht, notwendig waren aber bis zu neun Räume: ein Untersuchungszimmer, ein Röntgenzimmer, ein Laboratorium, ein Wartezimmer, ein größerer Büroraum für vier Personen und ein kleinerer für zwei Personen, der auch als Besprechungsraum genutzt werden konnte, je ein Dienstzimmer für den Kreiskommunalarzt und den Fürsorgearzt sowie ein Raum für die Fürsorgerinnen zur Erledigung ihrer Schreibarbeiten, der zugleich Sitzungs- oder Aktenzimmer sein konnte.106

97 98 99 100 101 102 103 104 105 106

StA Bonn Pr 10/764. StA Bonn Pr 10/764, OB 23.1.1934. StA Bonn Pr 10/764, GSA 30.1.1934. StA Bonn Pr 10/764, OB 10.2.1934. StA Bonn Pr 10/764; GA 28.4.1934. Adressbuch 1932/33, S. 52. Die Umnummerierung von 62/64 zu 38 erfolgte am 8.1.1935, StA Bonn Pr 24/326. ARSK LKB 7508, Kaufverhandlungen, Kreisausschlussbeschluss vom 29.12.1927 und Vertrag. StA Bonn Pr 24/326, Bauakte des Hauses. ARSK LKB 7508, Aufstellung mit neun Räumen, ohne Datum, ca. November 1927 und Beschluss Nr. 3 vom 13.12.1927 mit Bestand vier und Bedarf acht.

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Abb. 14  Die ehemalige Außenstelle des Gesundheitsamtes Bonn-Land in Rheinbach, heute Schweigelstraße 21 (ehemals 9), 2019

Im August 1935 verfügte das Gesundheitsamt über neun Räume.107 Der Mietvertrag vom 22. Februar 1937 umfasste das gesamte Erdgeschoss in der Bachstraße 38 sowie den unter der Lungenfürsorgestelle gelegenen Keller. Nachdem dem Gesundheitsamt bereits im Juni 1936 der Sitzungssaal des Kreiswohlfahrtsamtes in der ersten Etage für Bürozwecke zur Verfügung gestellt worden war, erklärte sich der Kreisausschuss in seiner Sitzung am 6. August 1936 bereit, den Saal und den Vorraum zu vermieten. Für den neuen Zweck sollten die Räume umgebaut werden. Die strikte Bedingung für die Zustimmung des Kreisausschusses war, dass dafür „Kreismittel weder aufgewandt noch vorgelegt werden“.108 In der Folgezeit drängte die Kreisverwaltung auf ein ordentliches Mietverhältnis. Nach dem Mietvertrag vom 18./28. Januar 1938 vermietete schließlich der Kreis dem Gesundheitsamt einen Saal, eine Garderobe, einen Abort und ein Laboratorium.109 Nachdem bei einem Luftangriff in der Nacht vom 21. auf den 22. Mai 1940 die oberirdischen Telefonleitungen zum Kreishaus in der Mozartstraße unterbrochen worden waren110, zerstörte ein weiterer Bombenangriff am 28. Dezember 1944 das Gebäude völlig. 107 108 109 110

ARSK LKB 7104, Visitationsbericht 24.8.1935. ARSK LKB 6350, LR an GSA, 10.8.1936. ARSK LKB 7509, Schriftverkehr und Mietvertrag vom 18./28.1.1938. ARSK LKB 5564.

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Das Gesundheitsamt Bonn-Land verfügte in Rheinbach über eine Nebenstelle. Bei der Auflösung des Kreises Rheinbach waren die kreiseigenen Gebäude zwischen den Kreisen Euskirchen und Bonn-Land aufgeteilt worden. Nach einem Mietvertrag vom 22. Februar 1939 verfügte das staatliche Gesundheitsamt über Räume in der Schweigelstraße 9. Hier gab es ein Wartezimmer, ein Sprechzimmer und zwei Räume für die Röntgenbehandlung.111 Während des Krieges kam eine weitere Einrichtung hinzu, die sowohl die Stadt Bonn als auch der Landkreis trugen. In Bad Godesberg wurde in der Goethestraße 21–23 ein Isolierkinderkrankenhaus mit 48 Betten für Scharlach- und Diphtheriekranke eingerichtet, das am 15. Mai 1942 seinen Betrieb aufnahm.112 Siegkreis

Das Gesundheitsamt für den Siegkreis war in der Siegburger Wilhelmstraße 66 untergebracht. Eine Gebäudeakte existiert nicht mehr. Ein Telefonverzeichnis von 1937 weist zwölf Personen mit neun Nummern auf, so dass von neun Zimmern ausgegangen werden kann.113 3.3.2 Die Amtsärzte, Kreisärzte und ihre Stellvertreter Bis 1935 war ein Kreisarzt allein für einen Landkreis zuständig. Dies galt auch für den sehr großen Siegkreis. Die kreisfreie Stadt Bonn mit ca. 90.000 Einwohnern beschäftigte neben dem Kreisarzt seit 1922 einen eigenen kommunalen Stadtarzt im Nebenamt. Die Aufgabe übernahm der Kreisarzt als Nebentätigkeit. In größeren Städten mit über 100.000 Einwohnern wie Köln gab es drei Kreisärzte (Köln-Nord, Köln-Mitte und Köln-Süd). Daneben wurden in den 1920er Jahren ebenfalls eigene kommunale Institutionen geschaffen. 1920 stimmte die Kölner Stadtverordnetenversammlung der Errichtung eines Gesundheitsfürsorgeamtes zu. Das Stadtgebiet wurde in Bezirke aufgeteilt, in denen zunächst sechs, ab 1921 neun Stadtärzte zusammen mit den Fürsorgerinnen arbeiteten. Das Gesundheitsamt blieb für die Angelegenheiten der Gesundheitspolizei sowie die Verwaltung von Kranken- und Wohlfahrtsanstalten sowie der städtischen Bäder zuständig.114 Die Stadt Köln behielt 1935 ihr kommunales Gesundheitsamt und auch die Leitung des Amtes blieb in kommunaler Hand. Die Anzahl der Bezirke wurde allerdings von neun auf sieben reduziert. Den sieben Fürsorgeärzten waren die amtsärztlichen Aufgaben übertragen worden.115 In den beiden Kreisen des Untersuchungsgebietes blieb die Anzahl der Ärzte überschaubar. Im Kreis Bonn-Land gab es nie mehr als zwei und im Siegkreis maximal fünf Ärzte gleichzeitig. 111 112 113 114 115

ARSK LKB 6351. StA Bonn Pr 10/764, GSA 11.5.1942. ARSK LSK 2708. Endres, Zwangssterilisation, S. 56. Endres, Zwangssterilisation, S. 59.

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Bonn-Land Josef Basten116, Kreisarzt 1921–1935

Basten war vor der Errichtung des Gesundheitsamtes für den Landkreis Bonn am 1. April 1935 als Kreisarzt für das Gesundheitswesen sowohl der Stadt Bonn als auch des Kreises Bonn-Land zuständig. Basten wurde am 23. April 1886 in Waldenrath im Kreis Aachen geboren und katholisch getauft. Bis 1905 besuchte er das Gymnasium in Neuss. Anschließend studierte er in Tübingen, Bonn, München und Berlin Medizin. 1910 legte er die ärztliche Prüfung ab. Nachdem er 1910/11 im Marienhospital Stuttgart als Assistenzarzt und 1912 in der Kinderheilanstalt in Bad Orb tätig gewesen war, wechselte er nach Bonn. Hier war er zunächst 1912/13 in der Universitäts-Frauenklinik, 1913 im Hygienischen Institut und schließlich 1913/14 im Pathologischen Institut angestellt. Nach Kriegsausbruch war er ab dem 4. August 1914 als Oberarzt in einer Sanitätskompanie der 15. Reserve-Division und ab September 1917 als Korpshygieniker beim Beskidenkorps eingesetzt. Er wurde mit dem Eisernen Kreuz II. und I. Klasse ausgezeichnet und am 28. November 1918 entlassen. Während des Krieges legte er am 8. Juli 1916 die Kreisarztprüfung ab und erhielt am 15. Juli 1918 eine Kreisassistenzarztstelle in Köln, die er aber erst nach Kriegsende antrat. Hier war er nebenamtlich Schularzt und in der Tbc-Fürsorge Köln tätig. Um Stadtarzt in Köln werden zu können, erhielt er ab dem 1. Januar 1921 eine Beurlaubung aus dem Staatsdienst. Er wechselte jedoch drei Monate später wieder in den Staatsdienst zurück. Am 1. April 1921 trat er die Stelle des Kreisarztes in Bonn an, wo er sowohl für die Stadt als auch den Landkreis Bonn zuständig war. In Bonn gab es seit 1919 Überlegungen, die Stelle eines Stadtarztes zu schaffen. Ein Ausschuss zur Prüfung der Stadtarztfrage empfahl im Oktober 1921, ein selbständiges städtisches Gesundheitsamt mit einem Fachmann als Leiter einzurichten. Die Anstellung des – staatlichen – Kreisarztes Basten als – kommunaler – Stadtarzt im Nebenamt erschien als die beste Lösung. Am 1. Oktober 1922 übernahm Basten das Amt des Bonner Stadtarztes im Nebenamt. Besonders sein Wirken für Kinder wird später hervorgehoben. Politisch ordnete sich Basten der Zentrumspartei zu, der er von 1924 bis April 1933 angehörte. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten trat Basten sogleich der NSDAP bei. Als Eintrittsdatum ist der 1. Mai 1933 vermerkt (Mitgliedsnummer 3.144.655). Am 1. Mai 1934 wurde das Gesundheitsamt vom Wohlfahrtsdezernat abgetrennt. Der Aufgabenbereich war bereits gewachsen, da das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ in Kraft getreten war und einen höheren Arbeitsaufwand bedeutete. Gleichzeitig mit der Anerkennung des städtischen Gesundheitsamtes durch einen Runderlass des Reichs- und Preußischen Ministers des Inneren vom 19. März 1935 als Einrichtung im Sinne des Gesetzes zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens bestellte dieser Basten als staatlichen Leiter. Mit dem gleichen Runderlass erfolgte die Aufteilung in die 116 StA Bonn PA D4 Basten; UA Bonn PA 324.

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selbständigen Gesundheitsbezirke Stadt Bonn und Landkreis Bonn. In Kraft traten diese Bestimmungen mit dem 1. April 1935. Von diesem Tage an war Basten nicht mehr für den Landkreis Bonn zuständig. Basten war also zunächst (1934/35) als Kreisarzt von Bonn-Stadt und Bonn-Land für die Anträge auf Unfruchtbarmachung zuständig. Später entschied er als Beisitzer im Erbgesundheitsgericht über die Sterilisierung von Menschen aus dem Landkreis Bonn und dem Siegkreis. Im Januar 1941 wurde Basten zum Wehrdienst einberufen. Er war als beratender und durchführender Hygieniker einer Armee an der Ostfront eingesetzt. Die Luftangriffe auf Bonn beschäftigten ihn, weil er um den Erfolg seiner Arbeit bangte. In einem Schreiben an den Bonner Oberbürgermeister Rickert vom 17. Juli 1942 erklärte er: „Erfreulicherweise ist der Erbkartei nichts passiert. Ihre Vernichtung hätte die erbbiologische Arbeit, die auch in Zukunft von grösster Bedeutung bleiben wird, ungeheuer erschwert.“117 Basten starb am 20. Oktober 1942 in einem Kriegslazarett in Wjasma in der Sowjetunion an Fleckfieber. Die Stadt Bonn ehrte ihn am 3. Dezember 1942 mit einer Trauerfeier, auf der Oberbürgermeister Rickert u. a. ausführte: „Nach der Neubildung des Gesundheitswesens 1935 bestand seine amtsärztliche Tätigkeit in erster Linie darin, das zivile Gesundheitswesen auf die Anforderungen eines möglichen Krieges vorzubereiten.“118 Er verwies auf dessen besondere Tätigkeit in der „wissenschaftlichen Trinker- und Erbbiologie“ und die Größe der Aufgabe: „die erbbiologische Auswertung der Trinkerfamilien einer Stadt von 100.000 Einwohnern.“119 Die Beurteilung Bastens nach 1945 fiel durchaus positiv aus. 1946 schrieb der Dekan der Medizinischen Fakultät über Basten, den er als Direktor der Chirurgischen Klinik bereits seit 1928 kannte: „Er stammt aus dem katholischen Lager und galt allgemein als ein versteckter Gegner des Nationalsozialismus, wenn er auch, ich weiß nicht in welchem Jahr, schließlich der Partei als Mitglied beigetreten ist.“120 Hubert Lohmer, Amtsarzt 1935–1937

Mit der Bestellung Josef Bastens am 19. März 1935 zum Leiter des staatlichen Gesundheitsamtes in Bonn wurde die bisherige Personalunion des Kreisarztes für Bonn-Stadt und Bonn-Land aufgehoben und der Landkreis Bonn 1935 hatte ebenfalls ein eigenes Gesundheitsamt einzurichten. Kreisarzt bzw. Amtsarzt und Leiter des neuen staatlichen Gesundheitsamtes Bonn-Land wurde Hubert Lohmer. Hubert Lohmer wurde am 10. August 1874 in Köln geboren. Die Familie Lohmer war eng mit der Familie Adenauer verbunden. Lohmers Vater, der den gleichen Vornamen trug, war ebenfalls Arzt, im Kölner Stadtrat aktiv und Hausarzt der Familie Johann Ade117 118 119 120

StA Bonn PA D4, Basten an OB, 17.7.1942. StA Bonn PA D4, Rede OB auf Trauerfeier, 3.12.1942. StA Bonn PA D4, Rede OB auf Trauerfeier, 3.12.1942. UA Bonn PA 324, Dekan an Vorsitzenden Prüfungsausschuss, 11.7.1946.

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nauers. Sein Sohn war ein Schulfreund von Konrad Adenauer.121 Die Nichte von Hubert Lohmer jun. arbeitete wiederum seit 1934 als Kindermädchen im Hause Adenauer.122 Hubert Lohmer wurde nach dem Medizinstudium am 14. März 1898 in Greifswald promoviert.123 Seine Approbation erhielt er am 17. Januar 1899 ebenfalls in Greifswald124, die Prüfung zum Kreisarzt bestand er am 16. Mai 1903. Seine erste Anstellung hatte er am Pathologischen Institut der Universität Marburg, wo er ein Jahr als Volontärarzt arbeitete. Anschließend war er fünf Jahre Assistenzarzt bzw. 1. Assistenzarzt in der Inneren Abteilung des Städtischen Krankenhauses Moabit in Berlin, das später Robert-Koch-Krankenhaus und Universitätsklinik wurde. Der Eintritt in den Staatsdienst datiert auf den 9. Juni 1910. In seinem Fragebogen von 1935 ist angegeben, dass er fünf Jahre Kreisassistenzarzt in Köln war und von 1910 (eigentlich 1915) bis zum 1. April 1935 Kreisarzt in Köln-Mitte. Schriftverkehr aus dieser Funktion findet sich in den Akten des Landkreises Bonn. Lohmer war wie Basten verantwortlich für die Anträge auf Unfruchtbarmachung und saß ebenfalls als Beisitzer im Erbgesundheitsgericht. Letztere Funktion hatte er auch schon in Köln übernommen.125 Der erste Antrag auf eine Unfruchtbarmachung in seiner neuen Funktion datiert auf den 24. April 1935.126 Seine beiden nachweislich letzten Anträge stammen vom 31. August 1936.127 Danach lassen sich nur noch Anträge von seinem Stellvertreter Friedrich Bierbaum (geb. 1906) nachweisen. Entweder hat es eine Aufgabenteilung gegeben oder Lohmer hat sich zurückgezogen. Als Beisitzer war Lohmer noch am 2. September 1936 tätig.128 Nach Lohmers Aussage aus dem Jahr 1946 seien ihm Ende 1936 Schwierigkeiten gemacht worden, „weil meine Frau rassemässig als Jüdin galt.“129 Der Medizinaldezernent der Regierung Köln, Leonhard Quadflieg (1880–1953),130 habe damals Verständnis für seine Lage gehabt und Anteilnahme gezeigt. Er habe sich große Mühe gegeben, ihm zum Verbleiben im Staatsdienst zu verhelfen. Seine Bemühungen seien aber vergebens gewesen. Das Ministerium habe seine Entfernung aus dem Staatsdienst zum 1. Februar 1937 veranlasst.131 Lohmer galt bei Kriegsende als unbelastet und wurde im März 1945 121 https://www.konrad-adenauer.de/biographie/lebensstationen/adenauer-als-schueler, abgerufen am: 25.8.2020 122 Mensing, Adenauer, S. 591; Mensing, Kopf, S. 94. 123 ARSK LKB 7104, Bericht über die Besichtigung des Gesundheitsamtes für den Kreis Bonn am 24.8.1935, Anlage 1 Persönliche und dienstliche Verhältnisse des leitenden staatlichen Amtsarztes. 124 Ebd., am 28.1.1899 in Berlin laut ARSK LKB 6371, Aufstellung der Ärzte im Landkreis Bonn, 17.5.1935, dies könnte auch Datum und Ort der Urkunde sein, da in der anderen Akte ausdrücklich Auskunft über „Ort und Tag der Approbation (nicht der Urkunde)“ verlangt wird. 125 Endres, Zwangssterilisation, S. 132, 134. 126 ARSK LKB 6857. 127 ARSK LKB 6937, 6943. 128 ARSK LKB 6615. 129 LAV NRW R BR-PE 2327, Bescheinigung Lohmer, 23.9.1946. 130 Zur Biographie unten S. 203 f. 131 LAV NRW R BR-PE 2327, Lohmer, Bescheinigung für Quadflieg, 23.9.1946.

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im Alter von 71 Jahren kurzzeitig Leiter des städtischen Gesundheitsamtes in Köln.132 Er starb am 20. Mai 1954. Hans Schoeneck133, Amtsarzt 1937–1942

Nachfolger von Hubert Lohmer wurde Hans Schoeneck. Mit ihm kam ein alter Nationalsozialist aus Aachen nach Bonn. Schoeneck war dort bereits am 1. Februar 1929 in die NSDAP eingetreten (Antrag im November 1928, Mitgliedsnummer 120.606) und vor 1933 Ortsgruppenleiter der NSDAP in Aachen gewesen. 1929 war er der erste und einzige Abgeordnete der NSDAP im Aachener Stadtrat. 1932 trat er der Allgemeinen SS bei. Schoeneck war am 8. Mai 1890 in Tiegenhof in Westpreußen geboren. Seine Militärzeit leistete er 1909/10 bei der Marine ab. Vom 2. August 1914 bis 30. November 1918 war er Kriegsteilnehmer, zunächst auf dem Schiff „Kaiser Karl der Große“. Das Abb. 15  Hans Schoeneck, undatiert Schiff wurde 1915 außer Dienst gestellt und Schoeneck als Marinesoldat in Flandern eingesetzt. Hier erhielt er 1915 einen Kopfschuss und kam ins Lazarett nach Bonn. Bei einem erneuten Fronteinsatz erlitt er 1917 einen weiteren Kopfschuss. Sein medizinisches Examen schloss er 1919 in Freiburg im Breisgau ab, die Approbation als Arzt erhielt er 1920 in Karlsruhe. Danach war er bis 1923 Assistenzarzt an Kliniken und Krankenhäusern. Schließlich übernahm er als niedergelassener Arzt eine Praxis in Aachen. Von Vorteil erwies sich für ihn, dass er 1932 Maria Jansen, die Tochter des stellvertretenden Kreisleiters der NSDAP geheiratet hatte. Sein Schwiegervater, Quirin Jansen, wurde im Juni 1933 Oberbürgermeister von Aachen. Am 30. November 1933 konnte er als „alter Kämpfer“ mit der neu geschaffenen Stelle eines Vertrauensarztes beim Sozialamt in den Dienst der Stadt Aachen gebracht werden. Am 1. März 1934 wurde ihm die Leitung des städtischen Gesundheitswesens und der Fürsorge übertragen. Von November 1934 bis Februar 1935 nahm er an einem Vorbereitungskurs für die Amtsarztprüfung teil. Als Antwort auf die Frage, ob er dem Kreisarzt Hilfedienste leisten wolle, schrieb er am 2. März 1935: „Ein Wunsch einer 132 Schmidt, Vonessen, S. 109. 133 ARSK LKB 6391; LAV NRW R BR-PE 6633.

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Behörde der Regierung Adolf Hitlers gilt für mich als Befehl.“134 Im Juli 1935 bestand er das Amtsarztexamen. In einem Zeugnis vom 26. Oktober 1935 attestierte ihm die Stadt, dass er die Gesundheitsfürsorge neu organisiert und „besonders in der Säuglings- und Kleinkinderfürsorge und in der Aufklärung auf dem Gebiete der Bevölkerungspolitik sehr günstige Ergebnisse erzielt“135 habe. Er habe es „verstanden[,] sich die Mitarbeit der nationalsozialistischen Verbände, insbesondere NSV und NSF nach Kräften nutzbar zu machen.“ Im Adressbuch von Aachen für das Jahr 1936 wird Schoeneck als stellvertretender Amtsarzt aufgeführt, wobei nicht klar ersichtlich ist, ob für die Stadt oder den Landkreis Aachen.136 Am 12. Dezember 1936 bewarb er sich auf die Stelle des Amtsarztes von Bonn-Land. Unter dem Datum des 28. Dezember 1936 wurde er mit der kommissarischen Wahrnehmung der Dienstgeschäfte des Amtsarztes und Leiters des Gesundheitsamtes zum 1. Februar 1937 beauftragt. Am 1. März 1937 erfolgte die endgültige Bestellung. Der einzige nachweisliche Antrag auf Unfruchtbarmachung seinerseits stammt vom 19. März 1937.137 Schoeneck saß auch nur selten als Beisitzer im Erbgesundheitsgericht. Die Begutachtungen, Antragstellungen und Gerichtsverhandlungen überließ er seinem Stellvertreter Esser. Im Mai 1937 erhielt er für acht Wochen eine Dienstbefreiung für einen Sonderauftrag des Reichs- und Preußischen Ministers des Inneren, zu dem er sich bei der Staatspolizei in Koblenz zu melden hatte. Möglicherweise hatte dieser Auftrag mit den Sittlichkeitsprozessen gegen Geistliche und Ordensangehörige zu tun. Schoeneck kam bald aufgrund seiner ruppigen Art mit verschiedenen Personen in Konflikt. Am 1. Mai 1937 geriet Schoeneck mit dem Kreisschulrat Dr. Otto Greif aneinander. Während eines Gefolgschaftsabends der Kreisverwaltung folgte nach einem kurzen Wortwechsel eine Tätlichkeit Schoenecks gegen Greif. Von der vorgesetzten Behörde erhielt Schoeneck einen Verweis. Im Jahr 1938 kam es zum Eklat, als Schoeneck zu spät zu einem Impftermin erschien und die wartenden Frauen recht barsch behandelte. Eine Mutter fragte er, ob ihr Säugling ein Brust- oder Flaschenkind sei. Die Frau gab an, da sie keine Milch habe, sei es ein Flaschenkind. Schoeneck behauptete, dass Frauen, die geboren hätten, auch stillen könnten, und fragte, wo sie entbunden habe. Auf die Antwort der Frau, dass sie in der Universitäts-Frauenklinik entbunden habe, soll er diese als „Sauladen“ bezeichnet haben. Alle Anwesenden waren empört. Der Leiter der Bonner Frauenklinik Harald Siebke (1899–1964) sollte sich nun dazu äußern. Er schloss seinen Brief an den Universitätskurator zwar mit dem Satz: „Ich gestatte mir dabei den Hinweis, dass der Amtsarzt Herr Medizinalrat Dr. Schoeneck ein ausserordentlich nervöser Mann ist, der vielleicht für seine Äusserungen nicht immer ganz verantwortlich gemacht werden kann“, doch die Universität war darauf bedacht, 134 135 136 137

LAV NRW R BR-PE 6633, Schoeneck an PuRMdI, 2.3.1935. LAV NRW R BR-PE 6633, Zeugnis der Stadt Aachen, 26.10.1935. Adressbuch Aachen 1936. ARSK LKB 6894.

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Abb. 16  Die alte Frauenklinik der Universität Bonn an der Theaterstraße 5, Rheinseite, undatiert

ihren Ruf zu wahren. Nachdem Schoeneck seine Sicht des Vorfalls dargestellt hatte (nicht „Sauladen“, sondern „Saftladen“), wies Siebke in einer Stellungnahme den Amtsarzt zurecht: „Schoeneck irrt, wenn er glaubt, daß Gott jedem, dem er ein Kind gibt, auch Milch gibt. Er irrt weiter, wenn er glaubt, daß jede Mutter ihr Kind stillen kann und ihr Kind stillen muß.“138 Das wisse sogar der Laie, so dass Schoeneck es offenbar nicht ernst gemeint habe. Und: „Wie weit allerdings selbst bei gutgemeinter Propaganda solche Übertreibungen und offenbaren Unrichtigkeiten berechtigt sind, will ich nicht entscheiden.“ Wie sehr Schoeneck die NS-Ideologie verinnerlicht hatte, zeigen seine Aussagen zur Gesundheitspolitik: „Ich bin aus nationalsozialistischen und beruflichen Gründen der Überzeugung, dass jedes Arzttum eine Seifenblase ist, das nicht fortgesetzt, alltäglich und unermüdlich eine möglichst aktive Bevölkerungs- und Aufzuchtspolitik treibt. Bei den Staatlichen Gesundheitsämtern ist diese politische Tätigkeit die allerwichtigste Aufgabe. Dieser Aufgabe widme ich mich fanatisch.“139

138 LAV NRW R BR-PE 6633, Stellungnahme Siebke, 8.7.1938. 139 ARSK LKB 6391, Schoeneck an RP, 8.6.1938.

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Am 14.  Januar 1938 bat Schoeneck in einem Schreiben an das Medizinalbüro des Regierungspräsidenten um die Erteilung einer dienstlichen Erlaubnis für die Übernahme eines Parteiamtes. Der Gauamtsleiter Rudolf Hartung (1891–1957) hatte Schoeneck als Jungarzt-Obmann des NS-Ärztebundes für den Gau Köln-Aachen eingesetzt. Dies wurde ihm am 21. Januar 1938 genehmigt, mit der Auflage: „soweit Ihre Dienstgeschäfte nicht darunter leiden.“140 Eine weitere Tätigkeit nahm er an, als er 1938 Schularzt des Aloisiuskollegs in Bad Godesberg wurde. Nach Ausbruch des Krieges stellte er sich der Wehrmacht zur Verfügung, doch die erhoffte Teilnahme wurde ihm zunächst verweigert. Dafür übernahm er noch als Werksarzt der Ringsdorff-Werke eine weitere Nebentätigkeit. Am 11. Oktober 1939 erreichte ihn ein Schreiben der Geheimen Staatspolizei Köln, dass er sich am 12. Oktober zur besonderen Verwendung beim Reichsgesundheitsführer in SS-Uniform zu melden habe. Bis Dezember 1939 war Schoeneck (SS-Hauptsturmführer) in dessen Auftrag als Leiter der Nebenstelle der Einwandererstelle Nord-Ost-Posen, einer Institution unter dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD, in Schneidemühl, der Hauptstadt der Provinz Posen-Westpreußen, tätig. Hier reichte er einen Antrag auf Ablösung ein, da er sich wieder seinen beruflichen Tätigkeiten widmen wollte. Die vorgesetzte Behörde hatte keine Einwände, da zwischenzeitlich ein anderer Arzt dorthin abkommandiert worden war. Sie war sogar froh, dass Schoeneck gehen wollte: „Im übrigen ist er in Schneidemühl, da er eher organisatorische Fähigkeiten hat, während es dort in erster Linie auf exakte medizinische Untersuchungen ankommt, durchaus entbehrlich.“141 Am 7. und 8. Dezember 1939 befand sich Schoeneck in Berlin. Bei der Abrechnung seiner Ausgaben ist aufgeführt, dass er im Reichssicherheitshauptamt und beim Reichsgesundheitsführer Termine wahrgenommen hatte. Welche Angelegenheiten dort besprochen wurden, ist unbekannt. Am 15. Dezember 1939 nahm er seinen Dienst als Amtsarzt wieder auf. Schoeneck wurde zum 28. Dezember 1939 zum Wehrdienst in der Marine einberufen. Er übergab die Dienstgeschäfte seinem Stellvertreter Alfred Esser. Schoeneck litt seit Januar 1942 offenbar an einer schweren Herzerkrankung. An seinem Dienstort nahe bei Reval in Estland, wo er im Rang eines Marineoberstabsarztes den Standort leitete, hatte er am 15. August 1942 mehrere Herzanfälle und starb einen Tag später. Nach 1945 versuchte seine Witwe eine Rente zu erhalten. Der Entnazifizierungshauptausschuss in Köln entschied am 8. Februar 1950, weil Schoeneck „sich bei jeder Gelegenheit als alter Kämpfer [sic!] und treuen Gefolgsmann Hitlers“ bezeichnet hatte und auch seine Behörden „ihn überall sehr günstig im Sinne des Nationalsozialismus“142 beurteilten, dass er in Kategorie III (Minderbelasteter) einzuordnen sei. Der Ausschuss 140 ARSK LKB 6391, RP an Schoeneck, 21.1.1938. 141 BArch NS 33–1383, Schreiben vom 4.12.1939. 142 LAV NRW R BR-PE 6633, Entnazifizierungshauptausschuss Köln, 8.2.1950.

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sprach sich dafür aus, der Witwe das Witwengeld abzuerkennen, aber den Kindern das Waisengeld in voller Höhe zuzubilligen. Artur Josten143, Amtsarzt 1943–1945

Schoenecks Nachfolger war Artur Josten. Der am 4. Dezember 1890 in Krefeld als Sohn eines Arztes geborene Josten besuchte von 1897 bis 1901 die Volksschule, anschließend bis 1909 das Gymnasium. In den nächsten Jahren studierte er Medizin. 1914 war er an der Berliner Charité als Volontärarzt tätig. Mit dem Bestehen seines medizinischen Examens, datiert auf den 4. August 1914, erhielt er sogleich seine Approbation. Nach seiner Dienstzeit beim Militär im Heeressanitätsdienst blieb er 1919 beim „Grenzschutz Oberschlesien“ („Grenzschutz Ost“). Zwischen 1919 und 1921 arbeitete er in Krefeld als praktischer Arzt in Vertretung seines kranken Vaters. 1920 erfolgte die Promotion. Das Thema seiner Dissertation Abb. 17  Artur Josten, undatiert lautete: „Sterilisation bei Exhibitionismus“. Am 13. Oktober 1923 bestand er die Kreisarztprüfung. Von 1923 bis 1925 war er Kreisarzt im Kreis Wiedenbrück. Dann wechselte er in die Verwaltung, zunächst von 1925 bis 1927 beim Regierungspräsidenten in Arnsberg, dann von 1927 bis 1929 beim Regierungspräsidenten in Trier und schließlich 1929 beim Regierungspräsidenten in Köln. Vom 1. Januar 1930 an war er im Range eines Regierungs- und Medizinalrates als Leiter der Medizinabteilung beim Polizeipräsidenten in Berlin beschäftigt. Mit der Aufnahme der Tätigkeit des Erbgesundheitsgerichtes Berlin im März 1934 wirkte er bei diesem mit.144 Es lassen sich 1934 vier Fälle von Unfruchtbarmachungen mit seiner Beteiligung nachweisen.145 1934 und 1937 besuchte Josten erbbiologische Lehrgänge. Zum 15. August 1934 erfolgte die Versetzung an die Regierung in Osnabrück, am 1. August 1937 als Erster Medizinaldezernent an die Regierung Arnsberg. Von hier aus kehrte er am 1. April 1941 nach Berlin zurück, diesmal als medizinischer Mitarbeiter im Personalreferat des Reichsministeriums des Inneren, wo er Personalangelegenheiten der 143 LAV NRW R BR-PE 4885 und NW 1049–79460; BArch R 1501/207697, R 1501–207698, R 1501–207699, R 1501–212748; ARSK LKB 6369. 144 Doetz, Praxis, S. 97; https://www.gedenkort-t4.eu/en/historic-places/2xwgq-erbgesundheitsgericht-berlin-landgericht-berlin#quick-overview, abgerufen am: 25.8.2020. 145 BArch R 179–4098, R 179–8642, R 179–16433, R 179–23105.

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beamteten Ärzte und Zahnärzte der Gesundheitsverwaltungen der außerpreußischen Altreichsländer bearbeitete. Nach dem Krieg behauptete Josten: „1943 habe ich auf meinen Platz im Reichsministerium des Inneren freiwillig verzichtet, in das ich inzwischen gegen meinen Wunsch einberufen worden war, da ich mich von der Personalpolitik, wie sie in der Abteilung Volksgesundheit dieses Ministeriums betrieben wurde, absetzen wollte.“146

Mittlerweile war Josten, von 1925 bis 1932/33 noch im Reichsclub der DVP, zum 1. Mai 1937 Mitglied der NSDAP geworden (Mitgliedsnummer 5.641.532). Er gab später an, auch als „Förderndes Mitglied“ der SS „einige Zahlungen, nicht vor 1939“ geleistet zu haben. Der NSV gehörte er seit 1935 an, dem Ärztebund seit 1940. Am 12. Dezember 1940 trat er aus der Kirche aus. Zur Begründung gab er nach 1945 an, dass er, nachdem er als Katholik zwei Ehen mit Protestantinnen geschlossen habe, der katholischen Kirche entfremdet worden sei. Die Kinder hätten trotz des Kirchenaustrittes eine religiöse Erziehung gehabt. Aus der ersten Ehe (1919) hatte Josten drei Kinder und nach dem Tod der ersten Ehefrau 1930 aus der zweiten (1933) mit Senta Humperdinck (1901–1999), der Tochter des Komponisten Engelbert Humperdinck (1854–1921), vier weitere Kinder. Nach dem Tod von Schoeneck im Dezember 1942 wurde er ab 16. März 1943 zum Leiter des Gesundheitsamtes Bonn-Land bestellt. Er hatte den Wunsch ausgesprochen, im Interesse der Ausbildung seiner sechs Kinder möglichst in einer Universitätsstadt seiner Heimatprovinz als Amtsarzt eingesetzt zu werden. Am 5. Mai 1943 genehmigte der Regierungspräsident Josten als ärztliche Nebentätigkeit die Übernahme der Revier- und Werksarzttätigkeit bei den Ringsdorff-Werken in Mehlem. Am 22. September 1943 wurde Josten vom Bonner Landgerichtspräsidenten zum beamteten ärztlichen Mitglied des Erbgesundheitsgerichtes Bonn bestellt.147 Er lässt sich als Mitwirkender nur in einem Verfahren 1943/44 nachweisen.148 Am 13. August 1945 wurde Josten auf Anordnung der britischen Militärregierung verhaftet. Fuhlrott berichtete, es habe „wie ein Schlag auf uns alle gewirkt“. Der Vorwurf lautete, er habe die Unfruchtbarmachung eines Mädchens aus „rassischen Gründen“ veranlasst. Josten erhielt Leumundszeugnisse vom evangelischen Pfarramt in Bad Godesberg und vom evangelischen Pfarrer Friedrich Mummenhoff (1896–1957) in Bonn. Josten wurde im Lager Recklinghausen interniert und daraus am 21. Januar 1946 bedingungslos entlassen. Über seine hiesige Stelle war inzwischen anderweitig verfügt worden. Am 13. Mai 1946 nahm er den Dienst als Vertrauensarzt der Landesversicherungsanstalt in Köln auf. Am 16. Juli 1946 wurde er nach Bonn versetzt. Im Mai 1949 wechselte er zur 146 LAV NRW R NW 1049–79460, Josten an RP, 30.3.1046. 147 ARSK LKB 6392. 148 StA Bonn Pr 50/696.

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Regierung nach Düsseldorf, wo er 1956 als Oberregierungs- und Obermedizinalrat in den Ruhestand trat.149 Ende der 1950er Jahre befand sich Josten in Gauting in Oberbayern. Er starb am 7. März 1969 in Starnberg. Friedrich Bierbaum 150, stellvertretender Amtsarzt 1935–1937

Bierbaum wurde am 8. Februar 1906 in Unna als Sohn eines Arztes geboren. Seine Dissertation erschien 1933. Der Eintritt Bierbaums in die NSDAP datiert auf den 1. Mai 1933 (Mitgliedsnummer 2.023.456). In diesem Jahr lebte er in Berlin, im Februar 1934 in Scheidegg in Schwaben. Vom 1. Mai 1934 an war er Fürsorgearzt in Berlin. Im Mai 1935 bewarb sich Bierbaum um die Stelle des stellvertretenden Amtsarztes beim Gesundheitsamt Bonn-Land. Als besondere Qualifikation konnte er eine Bescheinigung vorlegen, nach der er vom 1. November 1934 bis zum 30. Juni 1935 an dem von dem Reichs- und Preußischen Minister des Inneren in Verbindung mit dem Rassenpolitischen Amt der NSDAP durchgeführten Lehrgang auf erbbiologischem und rassenhygienischem Gebiet teilnahm. Am 1. August 1935 nahm Bierbaum die Dienstgeschäfte als Hilfsarzt auf. Gleichzeitig wurde er stellvertretender Amtsarzt. Von September 1936 bis März 1937 stellte Bierbaum Anträge auf Unfruchtbarmachung an das Erbgesundheitsgericht. 1937 wechselte Bierbaum zum 1. April auf die Stelle des Amtsarztes nach Lauenburg in Pommern. Am 25. Juli 1938 ordnete der Stab des „Stellvertreters des Führers“ ein Dienststrafverfahren an, das Schreiben wurde zuständigkeitshalber dem Gaugericht Pommern zugeleitet. Aus welchem Grund dieses Verfahren angestrengt wurde und zu welchem Ergebnis es führte, ist unbekannt. Wann der Katholik aus der Kirche ausgetreten war und sich als „gottgläubig“ bezeichnete, ist ebenfalls nicht bekannt. Im Januar 1939 war Bierbaum in Berlin. Von Oktober 1939 bis Januar 1940 führte er einen Briefwechsel über das richtige Geburtsdatum in seinem Parteibuch. Zu diesem Zeitpunkt wohnte er in Berlin-Charlottenburg. Nach 1945 war als Schriftsteller in Berlin tätig. 1947 ist er im Adressbuch von Bonn zu finden, sein weiteres Schicksal ist unbekannt. Alfred Esser 151, stellvertretender Amtsarzt 1937–1945

Alfred Esser wurde am 9. Januar 1897 in Köln als Sohn eines Arztes geboren. Hier besuchte er nach der Mittleren Knabenschule das Friedrich-Wilhelm-Gymnasium. Ab Dezember 1915 war er zwar im Heeresdienst, konnte aber im Februar 1916 sein Abitur ablegen. Nachdem er im November 1918 das Militär als Sanitätsgefreiter verlassen hatte, studierte er in Köln Medizin. Die Staats- und Doktorprüfung legte er im Wintersemester 1921/22 ab. Seine erste Stelle bekam er als Assistenzarzt am Pathologischen Ins149 Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen 1956, Sp. 325. 150 BArch R 601–1824, R/9361/I/6360, R/9361/II/75682; ARSK LKB 6392. 151 ARSK LKB 6392; UA Bonn MF-PA 102 Esser; Einhaus, Zwangssterilisation, S. 154 f.; Forsbach, Fakultät, S. 129–131.

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titut des Augustahospitals in Köln. Im November 1926 wechselte er zur Psychiatrischen und Nervenklinik Köln, im April 1929 zur Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Galkhausen. Im September 1929 kehrte er nach Köln zurück und arbeitete im Pathologischen Institut Köln-Lindenthal. Am 19. Juli 1930 heiratete er. Seine Ehefrau studierte zu diesem Zeitpunkt in Köln ebenfalls Medizin. Am 1. August 1930 trat er die Stelle eines Arztes in der Sächsischen Heil- und Pflegeanstalt Hubertusburg im Dorfe Wermsdorf an, wo er nach kurzer Zeit beamteter Regierungs-Medizinalrat wurde. Am 29. September 1931 legte Esser in Dresden die Amtsarztprüfung ab. Da ihm die Tätigkeit eines Anstaltsarztes nicht zusagte, versuchte er die akademische Laufbahn einzuschlagen. Im Februar 1932 trat Esser als Assistent in das von Friedrich Pietrusky (1893–1971) geleitete Institut für gerichtliche und soziale Medizin an der Universität Bonn ein. Im November 1934, nach dem Weggang des Oberarztes Gerhard Schrader (1900–1949) nach Marburg, rückte Esser auf dessen Stelle auf. Essers Gesuch um Zulassung als Privatdozent datiert auf den 5. Dezember 1933. Als Themen für die Probe- und Antrittslesung bot er u. a. an: „Der Gerichtsarzt und das Sterilisationsgesetz vom 14.7.1933“. Pietrusky empfahl die Annahme und kommentierte lobend: Die „Vortragsweise ist eine recht gute, in der Diskussion ist er schlagfertig.“152 Nach einer Probevorlesung am 5. Juni 1934 hielt er am 30. November 1934 seine Antrittsvorlesung zum Thema „Schutz der Gesellschaft vor dem Berufsverbrecher“, die großen Anklang fand. Der Rektor der Universität berichtete am 7. Dezember 1934 dem Minister für Wissenschaft, Kunst und Kultur: „Der Inhalt des klar gegliederten Vortrages kam zu voller Geltung und zeigte eine vorzügliche Lehrbegabung, welche die allgemeine Aufmerksamkeit zu fesseln versteht.“ Er verwies darauf, dass Esser über den Universitätsbetrieb hinaus tätig war: „Mit einer Reihe von Vorträgen, wie über Erbkrankheiten, trat Herr Dr. Esser teilweise auch im Auftrage des Herrn Kreisleiters vor die größere Oeffentlichkeit, um so im Dienste der Volksgesundheit zu wirken.“153 Kurze Zeit später, am 22. Januar 1935, genehmigte der Minister Essers Habilitation im Fach „Gerichtliche und soziale Medizin“. Der Titel der Habilitationsschrift lautete „Pathologisch-anatomische und klinische Untersuchungen von Kriegsverletzungen durch Schädelschüsse“. Esser erhielt von der Universität einen befristeten Vertrag über zwei Jahre. In den folgenden Jahren seiner Dienstzeit im Institut geriet Esser mit dem Leiter Friedrich Pietrusky aus unbekannten Gründen aneinander, so dass 1937 seine Universitätskarriere endete und er sogar Beschuldigter in einem Ehrengerichtsverfahren war. Die zuvor guten Beurteilungen drehten sich nun ins Gegenteil. Bereits am 17. August 1936 hatte Pietrusky dem Minister mitgeteilt, dass er eine Verlängerung Essers nicht empfehlen könne, da dieser „charakterlich nicht einwandfrei“ sei.154 Es folgte eine Aufzählung 152 UA Bonn, MF-PA 102, Stellungnahme Pietrusky, 16.1.1934. 153 UA Bonn, MF-PA 102, Rektor an PrMinWKK, 7.12.1934. 154 UA Bonn, PA 1827, Pietrusky an PrMinWKK, 17.8.1936.

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von negativen Urteilen: Pietrusky gab an, sich für Vorlesungen Essers in Köln an der dortigen Medizinischen Fakultät eingesetzt zu haben, doch diese lehne eine Tätigkeit Essers ab. Ebenso soll Esser sich vergebens bei der Provinzialverwaltung beworben haben. In Bonn lehne sowohl der Dekan als auch der Dozentenschaftsleiter ihn ab. Bei den Mitarbeitern im Institut sei Esser unbeliebt. Er selbst, so Pietrusky, „habe ernsthafte Auseinandersetzungen mit ihm nie gehabt“155. Die Verwaltung des Rektorats habe ihm nicht früher ermöglicht, „ein sicheres Urteil über ihn zu bilden, zumal Esser schwer zu durchschauen“156 sei. Essers Vorlesungen gefielen den Studenten nicht und für die Institutsverwaltung habe er sich nicht interessiert. Schließlich versuchte er noch eine Einschätzung der politischen Einstellung Essers zu formulieren: „In politischer Beziehung ist er sehr zurückhaltend, trat zwar 1933 der SA bei, machte aber keinen Dienst mit, wobei erwähnt werden muss, dass er durch seine Arbeiten im Institut sehr in Anspruch genommen wird.“157 Seinem Schreiben legte er einen Brief des Kölner Pathologen Ernst Leupold (1884– 1961) bei, der Esser für die personellen Schwierigkeiten des Pathologischen Institutes nach seiner Amtsübernahme 1930 verantwortlich machte. Leupold hielt Esser für „nicht für die Hochschullaufbahn geeignet“.158 Zur politischen Einstellung Essers vermochte Leupold nichts aus eigener Erfahrung auszusagen, streute aber auch hier gerne Misstrauen: „Ich weiß nur, daß er immer als ein guter Zentrumsmann gegolten hat.“159 Am 7. Dezember 1937 schob Pietrusky noch nach, dass er bereits im Sommer 1934 erfuhr, dass Esser die zwangsweise Sterilisation von Erbkranken katholischen Glaubens als ein Bruch des Konkordates mit dem Vatikan ansah. Zum Ablauf seines Dienstvertrages mit der Universität Bonn am 1. April 1937 hatte Esser daher die Kündigung erhalten, so dass er im März 1937 nur noch unerledigte Akten fertigstellte. In den letzten Tagen seiner Universitätsstelle begann dann ein kleiner Skandal. Am 23. und 24. März 1937 hatte ein Vertreter einer Beerdigungsfirma das Institut um eine Bescheinigung für den Transport und die Feuerbestattung des verstorbenen Professors Heinrich Göppert (1867–1937) gebeten. Der Institutsleiter Pietrusky weigerte sich wegen Arbeitsüberlastung, die Besichtigung des Leichnams in Göpperts Wohnung vorzunehmen. Auch Esser weigerte sich. Da die Beerdigungsfirma insistierte, stellte Pietrusky schließlich die Bescheinigung aus, ohne den Leichnam gesehen zu haben. Er vermerkte, dass die Bescheinigung erst Gültigkeit erlangen solle, wenn er die Besichtigung durchgeführt habe. Dies könne er auch noch, wenn die Leiche in der Aula aufgebahrt sei. Als einen Tag später der stellvertretende Bonner Amtsarzt Willi Crome (1898–1937), den Esser noch aus dessen Tätigkeit als Assistent im Institut kannte, ihn und einen Institutsgehilfen bei einem Besuch des Untersuchungsgefängnisses auf diesen „möglicherweise formalen Verstoß“ ansprach, bestätigten beide 155 156 157 158 159

UA Bonn, PA 1827, Pietrusky an PrMinWKK, 17.8.1936. UA Bonn, PA 1827, Pietrusky an PrMinWKK, 17.8.1936. UA Bonn, PA 1827, Pietrusky an PrMinWKK, 17.8.1936. UA Bonn, MF-PA 102, Leupold an Pietrusky, Abschrift ohne Datum. UA Bonn, MF-PA 102, Leupold an Pietrusky, Abschrift ohne Datum.

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ihn. Crome wiederum wandte sich am 31. März an Pietrusky und stellte ihn zur Rede. Dieser antwortete am 2. April sehr abweisend, woraufhin Crome ihn anzeigte.160 Bei einer direkten Befragung durch Pietrusky gab Esser nicht zu, die Information an Crome gegeben zu haben. Das am 15. November 1937 tagende Ehrengericht der Universität sah in dem Verhalten Essers vom März einen doppelten Verstoß „gegen die gebotene Kameradschaft und die Ehrbarkeit […], er beruht in der Unterlassung der formgerechten Anzeige und dem Ausplaudern an einen Aussenstehenden“.161 Die Mitteilung an Crome sei nicht anständig gewesen, da Esser doch von dem gespannten Verhältnis zwischen Pietrusky und Crome gewusst habe. Außerdem habe er sich nicht als Anzeigender zu erkennen gegeben. Esser habe ein Verhalten gezeigt, „das mit den Anforderungen des Standes an Ehrlichkeit, Kameradschaft und Anstand unvereinbar“ sei. Das Ehrengericht sprach Esser der Verletzung der Standesehre schuldig und beschloss die Beantragung eines förmlichen Disziplinarverfahrens mit dem Ziel der Entziehung der Lehrerlaubnis. Aufgeben wollte Esser seine universitäre Tätigkeit keineswegs. So stellte er am 25. Juli 1939 einen Antrag auf Ernennung zum „Dozenten neuer Ordnung“ an den Dekan. Pietrusky stellte Esser weiterhin in ein schlechtes Licht. Am 7. September 1939 schrieb er dem Leiter der Universitäts-Frauenklinik Harald Siebke, dass Essers Vorlesungen „nicht geschätzt“ würden und die Studenten sich bei ihm über die Qualität beklagt hätten. Auch sei die Universität durch die Art der Gutachtenerstattung Essers geschädigt worden. Der Reichsminister teilte schließlich am 18. Januar 1940 dem Rektor unmissverständlich mit: Dem Antrag „vermag ich nicht zu entsprechen“, und erklärte die „Lehrbefugnis für erloschen.“162 Eine neue Stelle hatte Esser bereits ab 1. April 1937 als Arzt und stellvertretender Leiter des Gesundheitsamtes des Landkreises Bonn. Sein Eintritt in die NSDAP datiert auf den 1. Mai 1937 (Mitgliedsnummer 5.311.958). Den Antrag hatte er sicherlich schon einige Zeit vorher gestellt. Im Januar 1938 genehmigte der Regierungspräsident auf Antrag des Vorstandes des Gefängnisses in Bonn die nebenamtliche Tätigkeit als Strafanstaltsarzt. Im gleichen Jahr erstattete Esser Gutachten beim Sondergericht. Obwohl Esser aus der katholischen Kirche ausgetreten war und sich als „gottgläubig“ bezeichnete, ließ er seinen 1939 geborenen Sohn taufen. Nachdem der Amtsarzt Schoeneck Ende 1939 eingezogen worden war, erledigte Esser alle ärztlichen Arbeiten im Gesundheitsamt allein. Im Oktober 1941 erhielt er vom Gauschulungsamt der NSDAP eine „Einberufung zum Lehrgang“ vom 9. bis 15. November 1941 an der Gauschulungsburg in Honnef. Esser teilte dem Amt mit, es sei ihm aus dienstlichen Gründen nicht möglich, während der Kriegszeit an einem Lehrgang teilzunehmen. Als stellvertretender Amtsarzt und Gefängnisarzt sei er unabkömmlich und durch die Einberufung des Amtsarztes zur Wehrmacht „mit Arbeit sehr erheblich über160 UA Bonn MF-PA 260 (1 und 2). 161 UA Bonn, PA 102, Urteil des Ehrengerichtes, 15.11.1937. 162 UA Bonn, PA 102, RMWissEezVolksb an Rektor, 18.1.1940.

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lastet“.163 Als er im Januar 1942 eine erneute „Einberufung“ zu einer Tagung vom 14. bis 21. Januar 1942 erhielt, teilte er „unter Bezugnahme auf mein Schreiben vom 20. Oktober 1941“ dem Gauschulungsamt „noch einmal“ mit, welche „außerordentliche Arbeitsüberlastung“ den Besuch eines Lehrganges unmöglich mache. Bei seiner Aufzählung der Ämter und Funktionen fügte er nun „Vertrauensarzt der Staatspolizei“ hinzu.164 Weitere „Einberufungen“ zu Lehrgängen sind in der Personalakte nicht zu finden. Trotz der vielen Arbeit wurde Esser 1942 als ärztliches Mitglied in den nach dem Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz) vom 18. Februar 1939 zu bildenden Gutachterausschuss für die Rheinprovinz berufen.165 Im Mai 1943 teilte der Reichsminister dem Kölner Regierungspräsidenten mit, er beabsichtige, Esser als kommissarischen Amtsarzt und Leiter des Gesundheitsamtes der Stadt Solingen dorthin zu versetzen und bei Bewährung die Ernennung zum Obermedizinalrat in Vorschlag zu bringen. Die notwendige Zustimmung des Leiters der Partei-Kanzlei dafür hatte er bereits erbeten.166 Ob Esser diese Zustimmung versagt worden ist oder ob sich der Plan aus anderen Gründen zerschlagen hat, ist unbekannt. Am 29. Juli 1943 ersuchte der Reichsminister des Inneren den Kölner Regierungspräsidenten, Esser „sofort von seinen gegenwärtigen Dienstgeschäften“ zu entbinden und anzuweisen, dass dieser sich „unverzüglich“ zur Vertretung des erkrankten Amtsarztes nach Königsberg in der Neumark (Regierungsbezirk Frankfurt an der Oder) zum Dienstantritt melde.167 Als der Amtsarzt die Dienstgeschäfte am 15. Oktober 1943 wieder übernehmen konnte, hob der Reichsminister die Abordnung zum 14. Oktober 1943 wieder auf.168 Bereits am 23. Oktober 1943 erfolgte eine weitere Abordnung zur Vertretung des erkrankten Amtsarztes des Gesundheitsamtes für den Kreis Usedom-Wollin in Swinemünde.169 Hier verschlechterte sich Essers eigener Gesundheitszustand. „Anginöse Beschwerden“, die bereits im Mai 1942 aufgetreten waren, hatten an Heftigkeit zugenommen, so dass er nicht mehr in der Lage war, 200 Meter zu laufen. Er übersandte am 25. November 1943 dem Reichsminister seine Krankmeldung.170 Am 1. Dezember 1943 kehrte er nach Bonn zurück und ließ sich am 6. Dezember 1943 erstmals von dem Internisten Friedrich Tiemann (1899–1982) untersuchen.171 Dieser erstattete dem Medizinaldezernenten Quadflieg Bericht und urteilte über den Gesundheitszustand Essers: Er sei „nicht geeignet für eine Tätigkeit als Amtsarzt in einem ländlichen Bezirk, wo die Ausübung des Dienstes erhebliche körperliche Anstrengungen oder grosse Abkühlungs- resp.[ektive] Erkältungsmöglichkeiten bieten [sic!]“. Dagegen sah 163 164 165 166 167 168 169 170 171

LAV NRW R BR-PE 1608, Esser an Gauschulungsamt, 20.10.1941. LAV NRW R BR-PE 1608, Esser an Gauschulungsamt, 7.1.1942. LAV NRW R BR-PE 1608, OP an Esser, 6.7.1942. LAV NRW R BR-PE 1608, RMI an RP Köln, 21.5.1943. LAV NRW R BR-PE 1608, RMI an RP Köln, 27.7.1943. LAV NRW R BR-PE 1608, RMI an RP Frankfurt/Oder, 11.10.1943. LAV NRW R BR-PE 1608, RMI an RP Köln, 23.10.1943. LAV NRW R BR-PE 1608, Esser an RMI, 22.11.1943. LAV NRW R BR-PE 1608, Esser an RP Köln, 3.12.1943.

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er ihn als „durchaus dienstfähig in Amtsbereichen […], in denen neben vorwiegendem Innendienst nur eine geringe Aussentätigkeit erforderlich ist“.172 Trotzdem trat Esser am 15. Februar 1944 seinen Dienst wieder in Bonn-Land an und legte ein Gesuch vor, nach dem ihm „unter den augenblicklichen Kriegsverhältnissen nur eine solche Belassung eine geregelte Lebensführung durchzuführen ermöglicht, wie von Professor Dr. Tiemann als notwendig bezeichnet worden ist.“173 Quadflieg fand eine Lösung: Er beorderte Esser ab dem 11. April 1944 zur Vertretung seines erkrankten zweiten Dezernenten, Hans Heubach (1908–1973), in seine Medizinalabteilung in Köln.174 Nur wenige Tage später ersuchte der Reichsminister, Heubach zum 1. Juni 1944 von seinen Dienstgeschäften zu entbinden und an das Gesundheitsamt für den Kreis Plöhnen (Regierungsbezirk Zichenau) zur vertretungsweisen Wahrnehmung der Dienstgeschäfte des dortigen Amtsarztes abzuordnen.175 Im Mai 1944 wurde Esser vom Regierungspräsidenten dem Oberversicherungsamt gegenüber als Nachfolger Heubachs bezeichnet und dieses gebeten, ihn mit der Wahrnehmung der ärztlichen Gutachten zu betrauen.176 Folgerichtig wählte die Beschlusskammer des Oberversicherungsamts Esser zu seinem Gerichtsarzt.177 Unterdessen hatte seine Ehefrau, Johanna Esser (geb. 1905), einen Vertrag als nicht vollbeschäftigte Hilfsärztin beim Gesundheitsamt Bonn-Land ab 15. April 1944 erhalten. Am 8. Mai 1945 ist Esser offenbar aus dem Dienst entlassen worden, denn einen Tag später begann seine beamtenrechtliche „Nichtbeschäftigungszeit“.178 Esser befasste sich in den folgenden Jahren mit dem Schreiben von Büchern. 1949 erschienen „Die Gerichtsmedizin“179, „Abwege des Menschen. Berichte eines Gerichtsarztes“180, „Rauschgifte“181 und „Geheimnisvolle Kräfte. Utopien der Menschen“182. Esser starb am 8. Februar 1950. Josef Fuhlrott183, Kreiskommunalarzt und Fürsorgearzt 1925–1945

Fuhlrott wurde am 26. Mai 1888 in Hohengandern in Thüringen als Sohn eines Arztes geboren. Er war an der Universität Bonn zunächst ab 1908 für Naturwissenschaften eingeschrieben, wurde aber wegen Untätigkeit wieder gestrichen. Ab dem 24. Oktober 1911 studierte er Medizin. Bei Kriegsausbruch 1914 meldete er sich als Freiwilliger, wurde aber zunächst nicht berücksichtigt. Er war aber im Reservelazarett im Bonner 172 173 174 175 176 177 178 179 180 181 182 183

LAV NRW R BR-PE 1608, Josten an RP Köln, 23.2.1944. LAV NRW R BR-PE 1608, Esser an RP Köln, 23.2.1944; Josten an RP, 23.2.1944. LAV NRW R BR-PE 1608, Quadflieg an Esser, 6.4.1944. LAV NRW R BR-PE 1608, RMI an RP Köln, 15.4.1944. LAV NRW R BR-PE 1608, RP Köln an Oberversicherungsamt, 25.5.1944. LAV NRW R BR-PE 1608, Oberversicherungsamt an Esser, 27.5.1944. LAV NRW R BR-PE 1608, RP Köln an RP Düsseldorf, 6.7.1955. Esser, Gerichtsmedizin. Esser, Abwege. Esser, Rauschgifte. Esser, Kräfte. ARSK PA 525 und LKB 6369; LAV NRW R BR-PE 2327.

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Friedrich-Wilhelm-Stift (heute Johanniter-Krankenhaus) tätig. Anfang 1915 erfolgte die Einziehung zum Ersatzschwadron des Bonner Husarenregimentes Nr. 7. Anfang September 1915 rückte er ins Feld aus. Schon am 25. September 1915 kam er in der Champagne in französische Gefangenschaft, in der er bis Anfang November 1916 blieb. Ob er durch Flucht entkam, ausgetauscht oder einfach freigelassen wurde, ist unbekannt. Er kehrte nach Deutschland zurück und war von Ende November 1916 bis September 1918 in Reserve- und Festungslazaretten eingesetzt. Offenbar konnte er sein Studium fortsetzen bzw. abschließen. Im September 1918 wurde er promoviert. Am 26. September 1918 heiratete er. Ende September 1918 kam er wieder ins Feld. Als Bataillonsarzt des Reserve-Infanterie-Regimentes Nr. 156 geriet er am 31. Oktober 1918 in der Nähe von Oudenaarde in englische Gefangenschaft. Im Februar 1919 wurde er aus dem Lager Redmires entlassen und kehrte nach Deutschland zurück. Aus dem Militärdienst entlassen wurde er etwa Mitte Februar 1919 im Garderegiment Kaiser Franz in Berlin. Von April bis Juni 1919 war er Praktikant in der chirurgisch-gynäkologischen Abteilung des Friedrich-Wilhelm-Stiftes in Bonn. Am 3. Juni 1919 erhielt er die Approbation. Von Juni 1919 bis Juli 1920 war er im Pathologischen Institut der Universität Bonn tätig. Es folgte von August 1920 bis Mai 1923 die Tätigkeit zunächst als Volontär, später als zweiter Assistent im Institut für Hygiene und Bakteriologie der Universität Bonn. Von Mai 1923 bis März 1925 arbeitete er zunächst als zweiter Assistent, dann als erster Assistent in der Medizinischen Poliklinik der Universität Bonn. Dann wechselte er auf die Stelle des Anstaltsarztes in der Heilstätte Rheinland der Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinprovinz. Am 23. September 1925 bewarb er sich auf die Stelle des Kreiskommunalarztes beim Kreis Bonn-Land. Die Stelle war eingerichtet worden, weil die bisherigen Sprechstunden des Kreisarztes nicht ausreichten. Mehrarbeit bedeuteten die verstärkte Tbc-Fürsorge und das neue Jugendwohlfahrtsgesetz. Außerdem forderten der Bezirksfürsorgeverband, der Krankenkassenverband und die Landesversicherungsanstalt immer wieder Gutachten an. Die Wohlfahrts-Kommission des Kreises Bonn Land stimmte am 12. Oktober 1925 für die Anstellung von Fuhlrott. Sie erfolgte zum 1. April 1926, zunächst mit einem „Privatvertrag“, also als Angestellter. Fuhlrott hatte aber bereits in seiner Bewerbung als Bedingung die Verbeamtung gestellt. Diese erfolgte am 24. Oktober 1927. Für die Nutzung von Personal (Sekretärin) und Material (Papier, Strom, „Apparaturverbrauch“) des Kreises im Rahmen seiner Gutachtertätigkeit für die LVA berechnete der Kreis eine Pauschale pro Fall, die Fuhlrott zu erstatten hatte. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten füllte Fuhlrott den Fragebogen für das „Gesetz zur Wiederherstellung des deutschen Beamtentums“ aus. Am 25. August 1934 legte er den Eid auf Adolf Hitler ab. Fuhlrott war als Leiter der Lungenfürsorgestelle vor allem für die Tbc-Fürsorge zuständig. Dafür waren ihm die Hilfsärzte unterstellt. Mit der Gründung des Staatlichen Gesundheitsamtes für den Kreis Bonn-Land verschob sich die Zuständigkeit für das gesamte Gesundheitswesen vom Kreis auf den Staat Preußen. Die Übernahme von Fuhlrott in das staatliche Gesundheitsamt erwies sich

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als schwierig. Bereits im April 1936 bemühte sich Fuhlrott um die korrekten Angaben seiner militärischen Tätigkeit. Am 12.  August 1936 wandte sich der Kreis an den Regierungspräsidenten. Wie in solchen Fällen üblich, benötigte die staatliche Behörde eine Bescheinigung der NSDAP für die politische Zuverlässigkeit des zu Befördernden. In einem Schnellbrief teilte der Reichs- und Preußische Minister des Inneren am 25. Mai 1937 dem Regierungspräsidenten in Köln mit, es habe „sich nicht ermöglichen lassen, den Kreiskommunalarzt Dr. Fuhlrott in den preußischen Landesdienst zu übernehmen.“184 Sollte Fuhlrott nicht weiterbeschäftigt werden können, werde umgehend zu prüfen sein, ob seine Versetzung in den Ruhestand nach § 6 des BBG in Frage komme. Diese Maßnahme komme bei Beamten in Frage, wenn sie politisch nicht belastet seien und keine weitere Verwendung möglich sei. Es sei ihm mitgeteilt worden, dass gegen Fuhlrott „in politischer Hinsicht ernste Bedenken“ bestünden. Er habe „bisher gegenüber dem Nationalsozialismus eine betont ablehnende Haltung eingenommen“. Im Einzelnen wurde aufgezählt: „Er habe es abgelehnt in den NSD-Ärztestand aufgenommen zu werden, beziehe weder eine nationalsozialistische Zeitung, noch nehme er sonst in irgend einer Form am politischen oder Gemeinschaftsleben des nationalsozialistischen Staates teil. Lediglich seine Frau gehöre der NSV an. Seit dem Eintritt der Ehefrau in die NSV habe Dr. Fuhlrott indessen die sonst allgemeine Eintopfspende aufgegeben. Auch habe sich erst kürzlich Dr. Fuhlrott als Monarchist bekannt.“185 Zu letzterem Punkt sollte Fuhlrott noch gehört werden. Der Kölner Medizinaldezernent Quadflieg sprach am 29. Mai 1937 am Rande einer Kundgebung mit dem Kreisamtsleiter des Amtes für Volksgesundheit Horstmann, über Fuhlrott. Zwei Tage später schickte Horstmann Quadflieg die Kopie eines Schreibens, das er am 26. Mai 1937 an den Kreisleiter Cuno Eichler (1888–1979) geschickt hatte. Darin erwähnte er die Bedenken der politischen Leitung des Kreises über die politische Einstellung Fuhlrotts, die zwar seine Beförderung zum Amtsarzt verhindern sollte, aber nicht die Entfernung aus dem Staats- oder Kommunaldienst bezweckte. Er zitierte den Amtsarzt Schoeneck, der Fuhlrott attestierte, „dass er sich inzwischen mit dem nationalsozialistischen Gedanken gut vertraut gemacht hat und bereit wäre, sich für den Führer mit dem Leben einzusetzen.“186 Und er lobte seine Kompetenz: „Fachlich ist er ein ausgezeichneter Lungenfacharzt, der bei wenig günstigen Besoldungsverhältnissen voraussichtlich nicht durch eine gleichwertige Kraft zu ersetzen wäre, sodass sein Verbleiben im Amte im Interesse des Dienstes liegt.“ Horstmann bat schließlich darum, Fuhlrott im Amt zu belassen. Fuhlrott, der um seine Existenz fürchtete, suchte Anschluss an das Regime: Er verwies nun darauf, dass er den General-Anzeiger vor 15 Jahren gekündigt und gar keine Zeitung abonniert habe, aber ab und zu den Völkischen Beobachter kaufe. Und: „Gelegent184 ARSK PA 525, RuPrMdI an RP, 25.5.1937. 185 ARSK PA 525, RuPrMdI an RP, 25.5.1937. 186 ARSK PA 525, Kreisamt für Volkswohlfahrt an Kreisleiter, 26.5.1937.

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lich habe ich an Umzügen der Partei teilgenommen, ebenso immer an der Maifeier.“ Er wies die Nähe zur Zentrumspartei vehement von sich, er habe immer konservativ bzw. deutsch-national gewählt, ohne je Mitglied gewesen zu sein. Einen Aufnahmeantrag der Partei habe er nicht ausgefüllt, denn er hätte dann wahrheitsgemäß bei der früheren politischen Einstellung Monarchist schreiben müssen. Dies wiederum führte ihn zu der Schlussfolgerung: „weil ich Monarchist im Herzen bin, ist mir gerade die jetzige Regierung unter dem Führer so sympathisch.“187 Der Berichterstatter Quadflieg befand am 10. Juni 1937 über Fuhlrott dann auch, „dass es sich um einen Sonderling, aber ordentlichen Arzt im Gesundheitsamt, der nicht leicht zu ersetzen sein dürfte, handelt.“188 Fuhlrott konnte damit seine Stelle erhalten. Nach dem Krieg sagte er für Quadflieg aus. Es sei im Sommer 1938 auf Veranlassung der Kreisleitung Bonn der NSDAP ein Verfahren gegen ihn eröffnet worden, mit dem Ziel der Entfernung aus seinem Amt. Quadflieg habe die Vernehmung „in rein sachlicher Weise ohne Rücksicht darauf, daß ihm hierdurch Schwierigkeiten auf politischem Gebiet erwuchsen“189, durchgeführt. Fuhlrott trat nicht der NSDAP bei. Dies hätte nach 1945 ein Vorteil für ihn sein können. Doch als er sich im August 1945 auf die ausgeschriebene Stelle des Kreisarztes bewarb, konnte er nicht in Betracht gezogen werden, weil ihm das Amtsarztexamen fehlte. Sein weiteres Schicksal ist unbekannt. Siegkreis

Während im Landkreis Bonn vier Kreis- bzw. Amtsärzte zwischen 1933 und 1945 fungierten, gab es im Siegkreis eine stabile Personallage: Kreisarzt und Leiter in der gesamten NS-Zeit war Bruno Bange. Bruno Bange190, Kreisarzt und Amtsarzt 1929–1945

Bange war am 28. Januar 1892 in Niedermarsberg geboren. Er leistete seinen Wehrdienst 1913 beim Infanterie-Regiment Nr. 13 ab. Am 9. August 1914 wurde er zum Kriegsdienst einberufen, zunächst bei einer Landwehr-Pionier-Kompanie. Am 7. Februar 1915 erlitt Bange bei Neuve-Chapelle durch Granatbeschuss eine Verwundung am linken Oberarm. Nach langem Aufenthalt in mehreren Lazaretten wurde Bange am 30. November 1916 als dienstunfähig entlassen und zum Bezirkskommando nach Lubin versetzt. Es verblieb ihm eine Lähmung und eine starke Gebrauchsbehinderung des linken Armes und der linken Hand. Bange erhielt zwei Kriegsauszeichnungen: das Eiserne Kreuz II. Klasse und das im März 1918 gestiftete Verwundetenabzeichen in Schwarz (für eine oder zwei Verwundungen). 187 188 189 190

ARSK PA 525, RP an RuPMdI, 10.6.[1937]. ARSK PA 525, RP an RuPMdI, 10.6.[1937]. LAV NRW R BR-PE 2327, Fuhlrott an Quadflieg, 3.7.1947. ARSK PA 1819 und 1820.

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Von 1916 bis 1919 studierte er Medizin an der Universität Berlin, wo er 1919 sein Examen ablegte. Seine Approbation erfolgte am 1. Mai 1920, die Promotion am 5. November 1920. Bange legte am 5. Juli 1924 die Amtsarztprüfung ab. Von Mai bis August 1919 machte er ein Praktikum in der Heilanstalt Marsberg, das restliche Jahr in einer Berliner Universitätsklinik. Von Januar bis April 1920 kehrte er als Praktikant wieder nach Marsberg zurück, wo er ab Mai 1920 als Assistenzarzt anfangen konnte. Von November 1920 bis März 1925 arbeitete er als Stadtarzt in Bochum. Ab April 1925 war er im Kreis Beckum tätig. Von hier wechselte er im April 1926 auf die Stelle des Kreisarztes im Kreis Lüdinghausen, wo am 22. Februar 1927 die Ernennung zum Medizinalrat erfolgte. Ab 1. Juli 1927 war er in gleicher Position in Oppeln tätig. Bange hatte sich zu diesem Zeitpunkt, wie er am 8. Dezember 1928 dem Ministerium für Volkswohlfahrt darlegte, durch Anschaffungen für den Haushalt und wegen der lang andauernden Krankheit seiner Ehefrau seit der Geburt der Tochter verschuldet. Die Schulden waren durch eine eigene Erkrankung und weitere Anschaffungen angewachsen. Bei einem Gehalt von zunächst 460 RM, dann 530 RM im Monat hatte Bange 1800 RM Schulden, wozu noch einmal die gleiche Summe bei seinen Geschwistern hinzukam. Bei der Versetzung in den Siegkreis bezog sich das Preußische Ministerium für Volkswohlfahrt in einem Schreiben vom 27. Dezember 1928 an den Regierungspräsidenten in Oppeln auf Banges finanzielle Situation: „Da mit dieser Kreisarztstelle nicht unwesentliche Nebeneinnahmen verbunden sind, so wird Dr. Bange Gelegenheit finden, die auf ihm lastenden Schulden bezahlen zu können.“191 In diesem Sinne hatte Bange im Juli 1929 bereits einige Nebentätigkeiten erfolgreich übernommen. Während für die Stelle des Kreisinspekteurs der Sanitätskolonne des Deutschen Roten Kreuzes keine Vergütung vorgesehen war, bedeutete die Übertragung der nebenamtlichen Leitung des Gesundheitsamtes des Siegkreises (als Nachfolger von Hans Schmitt) eine monatliche Einnahme von 200 RM. Als Vertrauensarzt der Landesversicherungsanstalt erhielt er sechs RM pro Zeugnis. Zu Spannungen kam es, als Bange eine weitere Nebentätigkeit aufnahm, die ihm angetragen worden war. Im Oktober 1929 traten die Vertreter der Allgemeinen Ortskrankenkassen von Menden, Sieglar, Hennef, Oberpleis und Troisdorf sowie die Landeskrankenkasse des Siegkreises in Verhandlungen mit Bange, um ihn als Nachfolger des Godesberger Arztes Josef Engelbrecht als Vertrauensarzt zu gewinnen. Am 28. Dezember 1929 tagte der Geschäftsausschuss und am 2. Januar 1930 fand eine Besprechung mit dem Ärzteverein statt. Bange begann seine Tätigkeit am 4. Januar 1930, aber erst am 6. März 1930 suchte er um Erlaubnis bei seiner vorgesetzten Behörde nach. Das Preußische Ministerium für Volkswohlfahrt verwies darauf in einem Schreiben an den Regierungspräsidenten vom 6. Juni 1930: „Diese Säumigkeit muß ernstlich befremden.“192 Bange verwalte bereits umfangreiche Nebenämter, es gebe Bedenken, den Antrag zu 191 ARSK PA 1820, PrMinV an RP Oppeln, 27.12.1928. 192 ARSK PA 1820, PrMinV an RP Köln, 6.6.1930.

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genehmigen, weil zu befürchten sei, dass die Ausdehnung der Nebentätigkeit auf Kosten der Diensttätigkeit gehen könnte. Bange war Mitglied in verschiedenen Beamtenorganisationen: in der Vereinigung der Kommunalbeamten von 1920 bis 1925, im Preußischen Medizinalbeamtenverein von 1925 bis 1934 und vorübergehend im Katholischen Beamtenverein 1928. Politisch stand Bange dem Zentrum nahe, sogar mit einer vorübergehenden Mitgliedschaft 1929/30, wie er 1936 angab. Im November 1933 trat er dem Stahlhelm bei, der bald darauf in die SA überführt wurde, womit Bange SA-(Reserve)-Mitglied war. Seit dem 1. Mai 1937 war Bange auch Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 4.065.794). Der NSDAP-Gaupersonalamtsleiter in Köln führte am 19. März 1938 in seiner politischen Beurteilung aus, dass Bange, „welcher vor der Machtübernahme Anhänger der Zentrumspartei war […] sich später den Anforderungen des nationalsozialistischen Staates in jeder Hinsicht angepasst“ habe.193 Er sei Mitglied der NSDAP seit dem 1. Mai 1937. In der SA sei er als Sturmarzt und Führer eines Sanitätstrupps aktiv tätig. „Auch sonst nimmt er am Leben der nationalsozialistischen Bewegung regen Anteil.“194 Aus diesen Gründen resümierte er: „Gegen seine Ernennung zum Obermedizinalrat bestehen von hier aus keine Bedenken.“195 Doch diese Einschätzung wurde vom „Stellvertreter des Führers“ am 22. Februar 1939 in einem Schreiben an den Reichsminister des Inneren nicht geteilt. Der Ernennung des Medizinalrates zum Obermedizinalrat sei durch Fristablauf zugestimmt worden. Inzwischen sei ein Bericht zugegangen, „der erhebliche Zweifel an der weltanschaulichen Festigung Dr. Banges äußert, die hauptsächlich in seiner außerordentlich starken kirchlich-politischen Bindung begründet sind“.196 Die Zweifel an Bange hatten aber keine beruflichen Konsequenzen. Als im Februar 1945 Fleckfieber in der Strafanstalt in Siegburg ausbrach, war es Bange, der mit Paul Martini die Krankheit erkannte, nachdem der Gefängnisarzt Moritz Hohn (1872–1953) lange Zeit untätig geblieben war. Auf Anordnung der Militärregierung wurde Bange am 29. Mai 1945 wegen seiner Parteizugehörigkeit durch den Landrat als Amtsarzt entlassen, aber am 23. Juli 1945 noch einmal für eine Woche zurückgerufen. Vom 30. Juli 1945 an bekleidete er den Posten des Amtsarztes in Bergisch Gladbach. Die britische Militärregierung hob die Beschäftigung am 30. August 1945 wieder auf. Auf seine Entnazifizierung bereitete sich Bange akribisch vor. Er sammelte Leumundszeugnisse von Mitarbeitern und Bekannten, die ihm bescheinigten, ein Gegner der nationalsozialistischen Idee gewesen zu sein. Am 23. Oktober 1947 wurde er in die Kategorie IVb (Mitläufer) und damit als politisch tragbar eingestuft. Er legte dagegen Berufung ein und wurde in Kategorie V (Unbelastet) eingereiht.197 Er trat schon am 1. April 1946 als stellvertretender Amtsarzt in Gelsenkirchen wieder in den Staatsdienst. Von hier aus 193 194 195 196 197

ARSK PA 1820, NSDAP-Gaupersonalamtsleiter, Politische Beurteilung, 19.3.1938. ARSK PA 1820, NSDAP-Gaupersonalamtsleiter, Politische Beurteilung, 19.3.1938. ARSK PA 1820, NSDAP-Gaupersonalamtsleiter, Politische Beurteilung, 19.3.1938. ARSK PA 1820, Stellvertreter des Führers an RMdI, 22.2.1939. ARSK PA 1820, Innenminister NRW an Kreisverwaltung, 23.11.1949.

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wechselte er am 1. Dezember 1946 in gleicher Position in den Siegkreis, wo ein neuer Amtsarzt der Übernahme des alten Postens im Wege stand. Als der Siegkreis in der Ausgabe der Kölnischen Rundschau vom 25. Juli 1947 mit einer Anzeige die Stelle des Amtsarztes ausschrieb, bewarb sich Bange darauf. Der Kreistag wählte in seiner Sitzung am 23. Oktober 1947 jedoch Josef Sebastian (geb. 1897) zum Amtsarzt. Auf Vorschlag des Honnefer Bürgermeisters Jakob Mölbert (1893–1979) wurde Bange durch Akklamation zum stellvertretenden Amtsarzt gewählt. Erst nach dem Weggang von Sebastian konnte Bange am 16. Juli 1951 wieder als Amtsarzt des Siegkreises eingesetzt werden. Hier erreichte er Ende Januar 1957 das Pensionsalter, verblieb aber noch bis zum 30. April 1958 im Amt. Bruno Bange starb am 12. November 1974. Lothar Diehm198, stellvertretender Amtsarzt 1935–1937

Die Anstellung eines stellvertretenden Amtsarztes war Bange zufolge aufgrund des Erlasses des Reichs- und Preußischen Ministers des Inneren vom 19. März 1935 erforderlich. Er führte am 30. Juli 1935 aus, dass die Anstellung „von 1–2 weiteren Hilfsärzten“ notwendig sei, „weil das Aufgabengebiet des Gesundheitsamtes wesentlich erweitert“ sei, „insbesondere durch die Erb- und Rassenpflege, Ehestandsdarlehen, Sterilisierungsfälle etc. Und weil ein Teil der Aufgaben, die bisher durch prakt.[ische] Aerzte nebenamtlich erledigt wurden, hauptamtlichen Aerzten übertragen“199 werden sollte. Die daraufhin am 20. April 1935 ausgeschriebene Stelle als „beamteter Arzt als Stellvertreter d. Amtsarztes“ war am 4. Mai 1935 im Deutschen Ärzteblatt erschienen und hatte zunächst fünf Bewerbungen gebracht, wobei ein Arzt seine Bewerbung wieder zurückzog, weil er eine gleiche Stelle woanders bekommen hatte. Drei der Ärzte lehnte Bange ab, da sie „in der Beamtentätigkeit bisher überhaupt noch nicht tätig gewesen“200 waren. Der vierte hatte eine Vorbildung in der Tuberkulosefürsorge, doch Bange befand, dass die im Siegkreis vorhandenen Heilstätten „mit Aerzten gut besetzt sind und eine Aenderung nicht geplant ist“201. Daher kam auch seine Einstellung nicht in Frage. Aus diesem Grund wurde am 27. Mai 1935 die Ausschreibung nun zusammen mit der Stelle „eines Fürsorgearztes (Ärztin)“ erneuert. Ebenso schrieb Bange die Kollegen in KölnLand und im Rheinisch-Bergischen Kreis an, um Adressen von Bewerbern zu erhalten. Der stellvertretende Amtsarzt von Wanne-Eickel, Walther Schröter (geb. 1894), hatte sich leicht verspätet auf die erste Ausschreibung beworben und war bis zum 13. September 1935 der Favorit auf die Stellenbesetzung. Als der Landrat unter diesem Datum nachfragte, ob er die Bewerbung aufrecht erhalte, und Schröter die Stelle anbot, antwortete dieser drei Tage später, dass er bereits seit 8. Juni 1935 endgültig bei der Stadt WanneEickel angestellt sei und seine Bewerbung zurückziehe. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Landrat bereits allen anderen Bewerbern eine Absage erteilt. 198 199 200 201

ARSK PA 1299. ARSK PA 1299, GSA an LR, 30.7.1935. ARSK PA 1299, GSA an LR, 26.5.1935. ARSK PA 1299, GSA an LR, 26.5.1935.

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Im November gab es zwei weitere Bewerbungen. Am 8. November 1935 hatte sich der kurzzeitige Kreiskommunalarzt Emil Oberläuter (geb. 1907) beim Kreis Altenkirchen, der gerade an einem Kurs an der staatsmedizinischen Akademie in Bonn teilnahm, beworben. Er zog seine Bewerbung jedoch am 15. November 1935 zurück, da er eine Stelle als stellvertretender Amtsarzt im Kreis Teltow erhalten hatte. So blieb nur die Bewerbung von Lothar Diehm übrig. Lothar Diehm wurde am 18.  März 1910 in Hattersheim geboren und war 1935 Assistenzarzt in der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt in Bonn. Er bewarb sich am 12. November 1935 und blieb nach der Absage seines Mitbewerbers der einzige Kandidat. Diehm hatte am 15. Dezember 1933 seine ärztliche Prüfung in Gießen bestanden und am 2. Januar 1934 seine Zulassung zum praktischen Jahr erhalten. Bange befürwortete am 21. November 1935 die Einstellung Diehms trotz des niedrigen Alters, „weil er in der Psychiatrie genügend ausgebildet erscheint und die Abteilung für Erb- und Rassenpflege hier übernehmen könnte.“202 Mitausschlaggebend sei vor allem, dass „eine bessere und geeignetere Kraft vorerst sich wahrscheinlich nicht melden wird.“ Zuvor hatte Bange sich an die staatsmedizinische Akademie in Berlin gewandt und gebeten, die Kursteilnehmer auf die freie Stelle hinzuweisen, doch es hatte keine Bewerbungen gegeben. Bange drängte: „Da es nicht möglich ist, die Arbeit auch nur einigermaßen ordnungsgemäß zu erledigen, empfehle ich Herrn Dr. Diehm sofort als Hilfsarzt einzustellen mit der Aussicht, ihn als stellvertretenden Amtsarzt zu übernehmen […].“203 Am 28. November 1935 teilte der Landrat Diehm mit, er sei bereit, ihn zunächst „für ½ bis 1 Jahr auf Probe“ als beamteten stellvertretenden Amtsarzt des kommunalen Gesundheitsamtes anzustellen. Diehm erklärte sich am 2. Dezember 1935 bereit, die Stelle ab dem 1. Januar 1936 zu übernehmen, und versicherte: „Im Übrigen [sic!] wird in meinem neuen Arbeitsgebiet meine höchste Aufgabe sein – entsprechend dem Teilgebiet, was mir vor allem Herr Medizinalrat Dr. Bange zu übertragen gedenkt – die Rassenpflege im Siegkreis zu fördern und zu vertiefen, um dem Wunsche unseres Führers gerecht zu werden, ein erbgesundes deutsches Volk zu schaffen!“204

Kurzfristig entstand noch ein Problem, als auf dem wie üblich angeforderten Auszug aus dem Strafregister der Eintrag einer „fahrlässigen Körperverletzung“ aus dem Jahr 1931 festgestellt wurde. Nach der Anforderung der Strafakte stellte sich heraus, dass Diehm in Mainz mit dem Kraftwagen seines Vaters das Vorfahrtsrecht einer elektrischen Straßenbahn missachtet und einen Motorradfahrer angefahren hatte. Dieser war von seinem Motorrad gefallen und hatte sich leicht verletzt. Diehm erhielt einen Strafbefehl über 40 RM, ersatzweise zehn Tage Gefängnis. Nachdem er die Hälfte der 202 ARSK PA 1299, GSA an LR, 21.11.1935. 203 ARSK PA 1299, GSA an LR, 21.11.1935. 204 ARSK PA 1299, Diehm an LR, 2.12.1935.

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Geldstrafe gezahlt hatte, wurde ihm die andere Hälfte erlassen. Letztlich war dies kein Hindernis für die Einstellung. Seit dem 1. Januar 1936 war Diehm als Arzt im Angestelltenverhältnis beim Kreisgesundheitsamt des Siegkreises beschäftigt. Zur Bekleidung der Stelle eines Amtsarztes war das Bestehen des Kreisarztexamens vorgeschrieben. Am 17. Mai 1936 wandte sich Diehm an den Landrat und ersuchte dessen Erlaubnis für die Teilnahme an einem von drei Monaten auf acht Wochen verkürzten staatsmedizinischen Lehrgang in BerlinCharlottenburg. Dieses genehmigte ihm der Landrat am 25. Mai 1936 unter gewissen Bedingungen: Das Gehalt sollte Diehm weitergezahlt werden, Reise-, Unterhalts- und andere Kosten wollte der Kreis nicht übernehmen. Im Gegenzug sollte Diehm auf zehn Urlaubstage verzichten. Mit dieser Perspektive beauftragte der Regierungspräsident Diehm am 26.  Mai 1936 mit der Wahrnehmung der Dienstgeschäfte des stellvertretenden Amtsarztes im Gesundheitsamt in Siegburg, „unter der Voraussetzung, dass Sie beschleunigt die Amtsarztprüfung ablegen.“205 Da auch die ebenfalls im Gesundheitsamt tätige Hilfsfürsorgeärztin Liselotte Witkop einen entsprechenden Kurs besuchen wollte, hatte sie am 19. Mai 1936 ebenfalls einen Antrag gestellt. Die Planungen sahen schließlich vor, dass Witkop bereits im November 1936 und Diehm anschließend im März 1937 daran teilnehmen würden. Dann stellte sich heraus, wie Bange am 26. Mai 1936 dem Landrat mitteilte, dass der November-Kurs wahrscheinlich der letzte verkürzte Kurs sein würde. Nun wollten Diehm und Witkop beide an diesem Kurs teilnehmen. Dass beide gleichzeitig den Kurs besuchten, war nicht angängig. Jedoch sollte beiden die Möglichkeit zur Absolvierung gegeben werden, unter zwei Bedingungen: Zum einen sollten sich beide verpflichten, mindestens drei Jahre im Gesundheitsamt des Siegkreises tätig zu sein, und zum anderen, dass ihr Urlaub gekürzt werde. Während Witkop – wenn auch erst am 1. Juli 1937 – eine Erklärung in diesem Sinne abgab206, verweigerte Diehm beides. Er besuchte den Kurs vom 15. Oktober bis 19. Dezember 1936 und stellte den Antrag auf eine einmalige Beihilfe zu den Kosten der Vorbereitung auf das Amtsarztexamen (Bücherkauf, Benutzung auswärtiger Bibliotheken). Die erforderliche Aufstellung reichte er nie ein, erhielt aber neben seiner ungekürzten Besoldung die Reisekosten erstattet. Sein Urlaub wurde vom Landrat um zehn Tage gekürzt. Als er sich am 22. Juni 1937 bereit erklärte, sein Amtsarztexamen in den restlichen Urlaubstagen abzulegen, urteilte der Landrat im Schreiben an Bange am 26. Juni 1937 scharf, dies sei „kein Entgegenkommen, sondern Selbstverständlichkeit.“207 Gleichzeitig ließ er den Kreisarzt wissen: „Sollten indessen dem Siegkreis durch vorzeitiges Ausscheiden finanzielle Nachteile erwachsen, so muss ich mir vorbehalten, Sie im Hinblick auf die Unterlassung der rechtzeitigen Herbeiführung der Erklärung für diese verantwortlich zu machen.“ Diehm war für den Landrat ein rotes Tuch: „Dass Herr Diehm angesichts seiner 205 ARSK PA 1299, RP an Diehm, 26.5.1936. 206 ARSK PA 972. 207 ARSK PA 1299, LR an GSA, 22.6.1937.

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Haltung für die nächsten Jahre nicht darauf rechnen kann, zur Teilnahme an Lehrgängen, Kursen und dergleichen beurlaubt zu werden, bedarf wohl keiner näheren Begründung.“ Trotz dieser Differenzen wandte sich der Landrat am 12. September 1936 an die Kreisleitung der NSDAP mit der Bitte um Mitteilung über die politische Zuverlässigkeit Diehms, da nun die Anstellung als Beamter beabsichtigt sei. Der zuständige Kreisamtsleiter antwortete am 26. September 1936 und äußerte „keine Bedenken“. Ob er zu diesem Zeitpunkt bereits „Parteianwärter“ war, also einen Parteieintritt beantragt hatte, ist nicht bekannt. Diehms Eintritt in die NSDAP datiert auf den 1. Mai 1937 (Mitgliedsnummer 3.985.941). Auch Kreisarzt Bange teilte nach wiederholter Aufforderung am 17. Januar 1937 mit, dass er keine Bedenken habe, jedoch müsse die Anstellung „entsprechend der bei den staatlichen Gesundheitsämtern erfolgen“. Soweit ihm bekannt sei, erfolge die endgültige Übernahme „erst nach bestandener Kreisarztprüfung“. Allerdings hatte Diehm auch im August 1937 sein Amtsarztexamen immer noch nicht abgelegt, stattdessen kündigte er am 14. August 1937 zum 1. Oktober. Die Enttäuschung bei Bange war groß. In seinem Entwurf für das Zeugnis am 11. November 1937 für den Landrat kam dies zum Ausdruck: Diehm habe „im wesentlichen die gesamten Aufgaben des Gesundheitsamtes kennengelernt, insbesondere oblag ihm die Erledigung der Arbeiten auf dem Gebiet der Erb- und Rassenpflege.“ Er führte weiterhin aus: „Diehm hat eine Reihe ihm übertragener Arbeiten nicht ordnungsgemäß erledigt, insbesondere eine große Reihe von Sterilisierungsanträgen nicht zum Abschluß gebracht, wie es von ihm hätte unbedingt erwartet werden müssen. Es sind infolgedessen neue Vorladungen, nochmalige Untersuchungen und auch in Einzelfällen besondere Kosten erforderlich. Ich bitte deshalb, in dem Dienstzeugnis von einer weiteren Beurteilung absehen zu wollen.“208

Diehm arbeitete zu diesem Zeitpunkt bereits in Leuna bei den dortigen Ammoniakwerken. Liselotte Witkop209, Fürsorgeärztin 1935–1938

Eine von zwei Ärztinnen in den beiden Gesundheitsämtern im untersuchten Zeitraum war Liselotte Witkop. Die am 22. September 1906 in Gelsenkirchen geborene Witkop war im Gesundheitsamt vom 1. Oktober 1935 bis zum 31. Juli 1938 als Hilfs- und dann als Fürsorgeärztin tätig. Nach dem Besuch der Volksschule und des Realgymnasiums ihrer Geburtsstadt, wo sie 1926 ihr Abitur ablegte, begann sie das Studium der Medizin in Freiburg im Breisgau. Nach drei Semestern wechselte sie an die Universität Bonn, wo sie 1928 ihr Physikum bestand. Die klinischen Semester absolvierte sie in München, Wien, Frankfurt am Main und erneut in Freiburg. Im Dezember 1931 bestand sie ihr Staatsexamen. Es folgte im

208 ARSK PA 1299, GSA an LR, 11.11.1937. 209 ARSK PA 972.

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Januar 1932 die Promotion in Freiburg zum Thema „Klinische Beiträge zu den malignen Nebenhöhlentumoren“. Das praktische Jahr begann sie im Februar 1932 im Krankenhaus St. Josef in Beuel, wo sie in der Inneren Abteilung tätig war. Im Juni 1932 wechselte sie an das Städtische Krankenhaus Hasenheide in BerlinNeukölln. Dort arbeitete sie auch in der Spezialabteilung für Tuberkulosekranke. Die nächste Station im September war das Kaiser- und Kaiserin-Friedrich-Krankenhaus Berlin, an dem sie die Quarantänestation kennenlernte. Ihre Approbation erhielt sie am 8.  Februar 1933 in Karlsruhe. Zu diesem Zeitpunkt war sie im Hospital St. Josef in Gelsenkirchen auf der chirurgischen Kinderstation tätig. Ab Juli Abb. 18  Liselotte Witkop, Porträtfoto, undatiert 1933 arbeitete sie im St. Marienhospital in Hamm auf der Geburtshilfestation und auf der Inneren Abteilung. Seit 1. Januar 1935 arbeitete sie im Berliner Waisenhaus und Kinderasyl. Von hier aus bewarb sie sich auf eine Stelle im Siegkreis, wo am 1. Oktober 1935 ihre Einstellung beim Gesundheitsamt Siegburg als Hilfsfürsorgeärztin erfolgte. Offenbar strebte sie eine Position im öffentlichen Gesundheitsdienst an. Am 19. Mai 1936 ersuchte Witkop um die Teilnahme an einem staatsmedizinischen Lehrgang zur Vorbereitung auf das Amtsarztexamen. Da auch der im Januar 1936 eingestellte und als stellvertretender Amtsarzt vorgesehene Lothar Diehm einen der verkürzten Kurse besuchen wollte, kamen die beiden sich ins Gehege. Schließlich sollte Witkop den Kurs im November 1936 absolvieren, Diehm den folgenden im März 1937. Für Witkop war anschließend noch ein weiterer sechswöchiger Lehrgang in einer psychiatrischen Klinik vorgesehen.210 Witkop wandte sich am 18. August 1936 an den Landrat mit der Bitte um Urlaub: „Die Untergauführerin des BDM hat mich beauftragt vom 25.8.–4.9.1936 an einem rassepolitischen Schulungskurs in der Gauschule Köln teilzunehmen, damit ich im Winter 36/37 als BDM-Ärztin die Mädels des BDM in Rassepolitik unterrichten kann.“211

210 ARSK PA 1299. 211 ARSK PA 972, Witkop an LR, 18.8.1936.

„… eine möglichst aktive Bevölkerungs- und Aufzuchtspolitik“

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Am 26. September 1936 fragte Witkop nach einer Festanstellung. Der Landrat zog Erkundigungen ein, unter anderem über die politische Zuverlässigkeit. Die NSDAP musste zu jeder Einstellung und Beförderung ihre Zustimmung geben. Der Landrat fragte am 14. Oktober 1936 beim Kreisleiter der NSDAP nach. Dieser antwortete am 5. November 1936: „Die politische Haltung und Betätigung der bei dem dortigen Gesundheitsamt beschäftigten Ärztin Dr. med. Liselotte Witkop lässt nicht darauf schliessen, dass dieselbe den nationalsozialistischen Staat bedingungslos bejaht. Ich bin daher nicht in der Lage, eine Zustimmung zu der Überführung in ein festes Angestelltenverhältnis zu den Bedingungen des Preussischen Angestelltentarifvertrages zu geben.“212

Der Vater, Josef Witkop, wandte sich daraufhin an den Gauamtsleiter der NSDAP, der das Amt für Volkswohlfahrt im Gau Westfalen-Nord leitete und am 24. November 1936 an „den Pg Witkop“ schrieb: „Wunschgemäß teile ich Ihnen gerne mit, daß Sie und Ihre Familie mir seit Jahren bekannt sind. Ich höre, daß Ihre Tochter Liselotte Schwierigkeiten hinsichtlich ihrer politischen Zuverlässigkeit hat. Ich bin gerne bereit, für Sie und Ihre Familie einzutreten[,] und bitte Sie, falls notwendig, den Kreisleiter der NSDAP oder eventl. in Frage kommende Behörden zu veranlassen, auch meine Auffassung über Sie und Ihre Familie mitzuberücksichtigen und bei mir anzufragen.“213

Doch auch dieser Einsatz scheint Witkop nicht zur angestrebten Festanstellung verholfen zu haben. Die unsichere berufliche Situation Witkops war dem Landrat durchaus bewusst. Schon am 12. November 1936 teilte er daher Bange mit, es „wird mit demnächstigen [sic!] Ausscheiden der Fürsorgeärztin Dr. Witkop gerechnet werden müssen“. Er bat ihn vorsorglich bereits um „Massnahmen zur Wiederbesetzung der damit freiwerdenden Stelle“.214 Doch trotz der Befürchtung des Landrates kam es noch nicht zum Ausscheiden. Zunächst absolvierte Witkop einen staatsmedizinischen Lehrgang in BerlinCharlottenburg zur Vorbereitung auf das Amtsarztexamen im April 1937. Da ihr die Kreisverwaltung die Gelegenheit dazu gegeben hatte, an diesem Kurs teilzunehmen, gab Witkop im Gegenzug am 1. Juli 1937 eine Verpflichtungserklärung ab, bis zum Ende des Jahres 1938 im Dienst des Siegkreises zu verbleiben. Der Einsatz Banges für Witkop, die seit dem 1. Mai 1937 Parteimitglied war (Mitgliedsnummer 4.189.783), hatte sich gelohnt. Am 18. Juli 1937 konnte der Landrat dem Amtsarzt mitteilen, dass Hilfsarztstellen im Angestelltenverhältnis nach einiger Zeit bei staatlichen Gesundheitsämtern in Beamtenstellen umgewandelt würden. Im Kreishaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1938 sei vermerkt, dass die Umwandlung in eine Beamtenstelle vorgesehen sei. Doch am 212 ARSK PA 972, Kreisleiter an LR, 5.11.1936. 213 ARSK PA 972, NSDAP-Gauamtsleiter Gau Westfalen-Nord an Witkop, 24.11.1936. 214 ARSK PA 972, LR an GSA, 12.11.1936.

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„… Anfang, aber nicht Ende“

14. Mai 1938 kündigte Witkop wegen ihrer bevorstehenden Hochzeit und dem damit verbundenen Umzug in die Schweiz die Hilfsarztstelle beim Gesundheitsamt zum 1. Juli 1938. Sie bot an, bis zum 1. August 1938 ihren Dienst zu versehen. Der Zeugnisentwurf vom 5. August 1938 war freundlich und lobend. Bange verwies auf die vielfältigen Tätigkeitsgebiete Witkops: Säuglings- und Kleinkinderfürsorge, Schulfürsorge, Impfärztin, eine große Zahl von Gutachten über Hilfsbedürftige. „Das Gesamtgebiet der Erb- und Rassenpflege hat sie gründlich kennen gelernt und die erforderlichen Untersuchungen und Begutachtungen bei Erbkranken, Ehekandidaten, Kinderreichen und Siedlern durchgeführt.“215 Des Weiteren bescheinigte er ihr die „Erledigung der Dienstgeschäfte des öffentlichen Gesundheitsdienstes“. Sie sei „auch als ärztlich Sachverständige häufig vom Erbgesundheitsgericht in Anspruch genommen.“ Bange lobte Witkops Arbeitseifer: Sie habe „die ihr übertragenen Aufgaben stets pünktlich und gewissenhaft erfüllt und auch, was ich besonders hervorheben möchte, gern und willig Mehrarbeit geleistet.“ Ebenso tadellos sei ihr Umgang mit Kollegen und Besuchern gewesen: „Mit Vorgesetzten und Mitarbeitern stets vertrauensvoll zusammengearbeitet, auch das ratsuchende Publikum brachte ihr grosses Vertrauen entgegen. Gründliche medizinische Kenntnisse, angenehme Umgangsformen im Verkehr mit den Patienten wie in gesellschaftlicher Beziehung.“

Witkop heiratete am 7. Oktober 1938 in Brugg in der Schweiz und führte seitdem den Doppelnamen Willi-Witkop. Sie starb am 31. August 1982216 und ist auf dem Friedhof in Triengen begraben.217 Da bei der Aufstellung des Haushaltsplanes von dem Ausscheiden Witkops im Rechnungsjahr 1938 nichts bekannt war, ist nach ihrer Kündigung von einer sofortigen Umwandlung ihrer Stelle in eine Beamtenstelle Abstand genommen worden. Josef Struben218, Arzt im Gesundheitsamt 1938–1945

Josef Johannes Struben wurde als Sohn des Bürgermeisters Johann Struben am 13. Mai 1906 in Königshoven geboren. Nach dem Studium der Medizin absolvierte er 1932 das Staatsexamen. Seine 1935 in Bonn erschienene Dissertation trug den Titel: „Myom und Kreislauf “. Sein Eintritt in die NSDAP datiert auf den 1. Mai 1933 (Mitgliedsnummer 2.405.577). Am 26. April 1936 heiratete er, ein Sohn wurde 1937 geboren. 1936 arbeitete Struben in der Alexianer Heil- und Pflegeanstalt in Neuss. Hier war es im Juni 1936 zu einem tragischen Ereignis gekommen: Ein Patient hatte einen anderen erschlagen. Der mutmaßliche Täter war ein Epileptiker. Die Kriminalpolizei war ebenfalls dieser Ansicht und die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen ein. Anfang 215 216 217 218

ARSK PA 972, Zeugnisentwurf, 5.8.1938. https://www.wgff-tz.de/details.php?id=364670, abgerufen am: 25.8.2020. https://de.billiongraves.com/grave/Liselotte-Willi-Witkop/8048418, abgerufen am: 25.8.2020. ARSK PA 291.

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1937 führte jedoch die Gestapo ihre eigenen Nachforschungen durch und verhaftete Struben sowie mehrere Pfleger. Struben wurde der Begünstigung beschuldigt und blieb elf Wochen im Polizeipräsidium in Düsseldorf in Haft. Da keine weiteren Erkenntnisse gewonnen werden konnten, erfolgte seine Freilassung. Struben war von den Ereignissen mitgenommen und kündigte seine Stellung. Er beantragte bei der Ärztekammer Rheinland ein ehrengerichtliches Verfahren, um sich zu rehabilitieren, und erstattete beim Parteigericht Anzeige gegen sich selbst. Im Rahmen des Ehrengerichtsverfahrens schilderte die Gestapo den von ihr rekonstruierten Tathergang. Struben habe demnach den Verdacht bei der örtlichen Kripo auf den Patienten gelenkt, wohingeAbb. 19  Josef Struben, Porträtfoto, undatiert gen die Gestapo den „Bruder A.“ als Täter verdächtigte. Daher wurden beide in Haft genommen. Da A. durch sein Verhalten die „restlose Aufklärung“ verhinderte, ordnete das Geheime Staatspolizeiamt in Berlin seine Überführung in ein Konzentrationslager an. Struben hatte mehr Glück. Das Fazit der Gestapo über ihn lautete: „Dr. Struben ist nicht mit Sicherheit nachzuweisen, daß er alle Umstände der Verschleierung gekannt hat, denn der Zeitpunkt seines Eintreffens am Tatort ist umstritten. Wenn ihm auch ein strafbares Verhalten nicht nachgewiesen werden kann, so dürfte er doch zumindest grob fahrlässig gehandelt haben.“219

Struben arbeitete danach als Anstaltsarzt im Kloster Hoven in Zülpich. Am 19. April 1938 berichtete Bange dem Landrat von der Bewerbung Strubens und der Absage eines anderen Bewerbers. Struben sollte sich nun vorstellen. Handschriftlich ergänzte Bange sein Schreiben anschließend: „Ist schon geschehen. Hat sich vorgestellt. Eindruck gut. Erscheint auch mir geeignet, falls keine pol.[itischen] Bedenken“. Ab 1. Juni 1938 war Struben zusammen mit Heffels und Steininger auf Probe in den Dienst des Gesundheitsamtes getreten. Struben bearbeitete „im wesentlichen Angelegenheiten der Erb- und Rassenpflege, Ehestandsdarlehen, Ehetauglichkeit, Sterilisierungssachen, ferner die Geschlechtskrankenangelegenheiten“ und war auch in der Säuglingsfürsorge und Schulfürsorge mit tätig.220 219 ARSK PA 291, Gestapo Düsseldorf an LR, 1.6.1938. 220 ARSK PA 291, Bange an LR, 13.12.1940.

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„… Anfang, aber nicht Ende“

Offenbar war Bange mit Strubens Tätigkeit zufrieden, da er ihn noch in der Probezeit, im November 1938, als stellvertretenden Amtsarzt ins Auge fasste.221 Vorher hatte dieser jedoch noch die Amtsarztprüfung zu bestehen. Von Januar bis März 1939 besuchte er deshalb einen Vorbereitungskurs für das Amtsarztexamen. Ende März 1939 wandte sich Bange an den Landrat und teilte ihm mit, dass durch eine Verfügung des Regierungspräsidenten Strubens Dienstjahre gekürzt worden waren, so dass er monatlich 30 RM weniger erhielt. Der Amtsarzt befürchtete nun, dass Struben wegen Unzufriedenheit seine Stelle aufgeben wollte, und setzte sich für eine höhere Besoldung ein: „Da Struben eine wertvolle Arbeitskraft ist und es ausserordentlich bedauerlich wäre, wenn er ausscheiden würde, empfehle ich dringend, ihm eine Besoldung nach A 2 b zu bewilligen.“222 Im Juli 1939 folgte noch einmal „dringend“ die Empfehlung, eine höhere Besoldungsgruppe zu bewilligen.223 Doch auch eine dritte Bitte, diesmal mit Hinweis auf die Eingruppierung eines Facharztes beim Gesundheitsamt Plauen und die Zustimmung des zuständigen Medizinalbeamten Quadflieg beim Regierungspräsidenten224, lehnte dieser im November 1939 ab.225 Anfang Januar 1940 teilte Struben dem Landrat mit, dass er kein Interesse mehr an einer Anstellung als stellvertretender Amtsarzt habe. Er erklärte, er habe inzwischen seine Zukunftspläne geändert und beabsichtige nicht mehr das Kreisarztexamen abzulegen.226 Offenbar verwirklichte er seine Pläne jedoch nicht, denn am 10. Dezember 1941 berichtete der Landrat dem Leiter des Gesundheitsamtes, dass Struben ihm mitgeteilt habe, dass er seine Prüfungsarbeit für das Amtsarztexamen am 1. Dezember 1941 abgeliefert habe.227 Bange hingegen musste noch 1943 feststellen, dass Struben die Prüfung immer noch nicht abgelegt hatte. Struben starb am 29. Januar 1968. Hans Heffels228, Arzt im Gesundheitsamt 1938–1945

Hans Heffels wurde am 22. März 1912 in Linz am Rhein geboren. Nach dem Besuch der Volksschule (1918–1921) und des Gymnasiums (1921–1930) studierte er von 1930 bis 1935 Medizin und bestand sein Staatsexamen in Bonn. Nach der am 1. Dezember 1936 erfolgten Approbation war Heffels ein Jahr Medizinalpraktikant, dann ein weiteres Jahr Volontärarzt. Zwischen dem 1. Mai 1937 und dem 19. Dezember 1937 war er Assistent und Vertreter verschiedener praktischer Ärzte. Vom 18. Dezember 1937 bis zum 30. April 1938 war er Volontärarzt in der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn. Seine 1937 in Bonn erschienene Dissertation hatte das Thema: „Über die Einwirkung der anatomischen Verhältnisse auf die Entstehung und Heilung der Schenkelhalsfrakturen“. 221 222 223 224 225 226 227 228

ARSK PA 291, LR an RP, 11.11.1938. ARSK PA 291, Bange an LR, 24.3.1939. ARSK PA 291, Bange an LR, 11.7.1939. ARSK PA 291, Bange an LR, 24.10.1939. ARSK PA 291, RP an LR, 16.11.1939. ARSK PA 291, Struben an LR, 4.1.1940. ARSK PA 291, LR an AA, 10.12.1941. ARSK PA 1997.

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Vom 1. Januar 1938 bis zum 31. Mai 1938 war Heffels Arzt beim staatlichen Gesundheitsamt in Bonn, wo er als Aushilfe für den verstorbenen stellvertretenden Amtsarzt Willi Crome eingesetzt wurde. Von hier aus bewarb er sich am 15. März 1938 auf die Stelle eines Arztes im Gesundheitsamt für den Siegkreis. Seine Bewerbung begann mit den Worten: „Ich bin Arier, ledig, habe 1935 in Bonn [das] Staatsexamen mit “gut„ bestanden.“ Unter den eingereichten Zeugnissen finden sich zwei von NS-Organisationen: Der SA Sturmbann I/160 bescheinigte am 18. Dezember 1935 dem „SA-Mann Hans Heffels, Sturm 40/160“, er sei „lt. Brigade-Befehl 147/35 der Brigade 71 (Köln) mit Wirkung vom 3. Dezember 1935 wegen Dienstuntauglichkeit ehrenvoll aus der SA entlassen.“229 Der NS-Ärztebund bestätigte am 10. Januar 1937 „dem Parteianwärter Hans Heffels […], dass er dem NS-Ärztebund als Anwärter seit dem 1.1.1937 angehört. Der Parteianwärter erfüllt somit die formellen Voraussetzungen der Anordnung 18/37 vom 20.4.1937 des Reichsschatzmeisters der NSDAP“.230 Hans Heffels trat mit Struben und Steininger zusammen am 1. Juni 1938 seinen Dienst beim Gesundheitsamt an. Seine halbjährige Probezeit endete am 31. März 1939, und da es weder Bedenken seines Vorgesetzten noch von Seiten der NSDAP gab, erfolgte Heffels Anstellung auf Lebenszeit. Am 26. August 1939 heiratete er die kaufmännische Angestellte Gertruda Emma Rudolph (geb. 1912). Aus der Ehe entsprangen ein Sohn (geb. 1941) und eine Tochter (geb. 1944). Die Ehe wurde wohl noch während der Kriegszeit geschieden. Nachdem Struben 1940 auf die seit dem 1. Oktober 1937 unbesetzte Stelle des stellvertretenden Amtsarztes verzichtet hatte, sprach sich Bange am 1. April 1940 für Heffels aus. Es gibt keinen Nachweis, dass Heffels das Kreisarztexamen bestanden hat und diese Position innehatte. Am 10. Februar 1942 war Heffels zur Wehrmacht eingezogen worden. Er kehrte erst am 1. September 1945 aus der Kriegsgefangenschaft zurück und ließ sich in Bayern nieder, wo er am 28. August 1954 seine zweite Frau heiratete. Heffels starb am 12. September 1972. Rudolf Steininger, Arzt im Gesundheitsamt 1938–1945

Rudolf Steininger wurde am 16. Januar 1912 in Amberg geboren. Sein Eintritt in die NSDAP datiert auf den 1. April 1938 (Mitgliedsnummer 6.088.586). Er bewarb sich um die Stelle eines Arztes im Gesundheitsamt Siegburg, wo er ab 1. Juni 1938 tätig war.231 Seine Arbeitsgebiete waren Infektionskrankheiten, Wasserversorgung, Abwasser-­Aufbereitung, Gewerbehygiene, Ausstellung von amtsärztlichen Zeugnissen, Abhaltung der Säuglingsberatungsstunden und Schulfürsorge. Mehr ist über ihn nicht bekannt.

229 ARSK PA 1997, Abschrift Zeugnis SA Sturm 40/160, 18.12.1935. 230 ARSK PA 1997, Abschrift Zeugnis NS-Ärztebund, 10.1.1937. 231 ARSK PA 291.

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„… Anfang, aber nicht Ende“

Maria Vosskühler, Ärztin im Gesundheitsamt 1938–1945

Die zweite Ärztin im Gesundheitsamt für den Siegkreis war Maria Vosskühler. Über sie ist ebenfalls kaum etwas bekannt. Sie wurde am 30. Mai 1906 geboren und kam aus Zittau nach Siegburg. Ihre 1936 in Düsseldorf erschienene Dissertation hatte den Titel: „Die Progressive Paralyse in einer Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt“. Ab dem 1. September 1938 war sie als Ärztin im Gesundheitsamt Siegburg tätig. Laut Adressbuch des Siegkreises ist sie 1950 noch in Siegburg gemeldet gewesen. Eintritt der beamteten Ärzte in die NSDAP Jahr

Bonn-Land

Siegkreis

Gesamt

1928

Hans Schoeneck



1

1933

Friedrich Bierbaum

Josef Struben Adalbert Schulte-Oestrich

3

1937

Alfred Esser Artur Josten

Bruno Bange Lothar Diehm Liselotte Witkop Hans Heffels

6

1938



Rudolf Steininger

1

Gesamt

4

7

11

Die einzigen Nicht-Parteimitglieder waren in Bonn-Land Hubert Lohmer und Josef Fuhlrott und im Siegkreis möglicherweise Maria Vosskühler. Das heißt, dass in Bonn-Land vier von sechs Ärzten Parteimitglieder (66 Prozent) waren und im Siegkreis mindestens sieben von acht (87 Prozent). Im Deutschen Reich waren etwa 44,8 Prozent aller Ärzte Parteimitglied, im Rheinland waren es 56 Prozent. Vor allem jüngere Ärzte traten in die NSDAP, die SS oder SA ein.232 3.3.3 Die Ärzte der Strafanstalten Rheinbach und Siegburg Obwohl die Ärzte in den Strafanstalten selbst keine Anträge auf Unfruchtbarmachung stellen konnten, fiel ihnen doch die entscheidende Rolle der Auswahl der Strafgefangenen zu, deren Sterilisation dann durch den Anstaltsleiter beantragt wurde. Ihre medizinischen Kenntnisse wurden benötigt, um die ärztlichen Gutachten zu erstellen, die die Anträge glaubhaft machen sollten. Im Kreis Bonn-Land befand sich eine Strafanstalt in Rheinbach, im Siegkreis eine in Siegburg.

232 Methfessel/Scholz, Ärzte; s. a. https://www.aerzteblatt.de/archiv/51098/Aerzte-in-der-NSDAP-Regionale-Unterschiede, abgerufen am: 25.8.2020.

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Die Strafanstalt Rheinbach

Die Strafanstalt Rheinbach wurde 1914 eröffnet. Sie war für 714 Gefangene vorgesehen.233 Die Planungen sahen von Anfang an die Unterbringung von Zuchthaushäftlingen aus dem Oberlandesgerichtsbezirk Köln vor. Für die medizinische Versorgung der Strafgefangenen gab es eigene Einrichtungen. In einem eingeschossigen Lazarettanbau befanden sich ein Krankensaal und vier Einzelzimmer, je ein Zimmer für den Arzt, den Zahnarzt, den Lazarettbeamten mit Hausapotheke, einen Bestrahlungsraum und ein Bad mit Beruhigungszelle. Im Kellergeschoss waren die eigene Heizung sowie ein Desinfektionsraum untergebracht. In einem Zellenflügel standen zehn weitere Zellen als Krankenrevier zur Verfügung. Die Strafanstalt verfügte über einen hauptamtlichen Arzt, der die gesundheitlichen und sanitären Zustände überwachte. Er konnte gegebenenfalls kleinere chirurgische Ein-

Abb. 20  Eingang der ­Rheinbacher Strafanstalt, 1920er Jahre 233 http://www.jva-rheinbach.nrw.de/behoerde/behoerdenvorstellung/historie/index.php, abgerufen am: 25.8.2020.

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griffe vornehmen. Bei der Einlieferung und im Laufe der Haftzeit untersuchte er Häftlinge. Zur Seite standen ihm „ein Lazaretthauptwachtmeister und ein im Lazarettdienst ausgebildeter Oberwachtmeister“ sowie ein Angestellter für Schreibarbeiten.234

Abb. 21  Belegschaft der Rheinbacher Strafanstalt mit Gefängnisarzt Franz Klinkenberg (Reihe unten, 4. v. r.), 1938

Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses war der Arzt der Strafanstalt mit der Untersuchung von Häftlingen und der Abfassung von ärztlichen Gutachten beschäftigt. Die Anträge stellte der Leiter der Strafanstalt. Ab 1935 war der Arzt zusätzlich Leiter der neu eingerichteten kriminalbiologischen Forschungsstelle. Seit 1929 bekleidete dieses Amt Franz Klinkenberg (1897–1962). Franz Klinkenberg235, Rheinbach

Franz Klinkenberg wurde am 18. März 1897 in Köln als Sohn eines Studienrates geboren. Er besuchte das Dreikönigsgymnasium, wo er 1910 die Reifeprüfung ablegte. Von 1916 bis 1922 studierte er Medizin an den Universitäten Frankfurt, Köln und Bonn. Seit 1922 war er Medizinalpraktikant an den Universitätskliniken in Bonn und Köln. 1925 erhielt er eine Sonderausbildung am Tropenwissenschaftlichen Institut in Amsterdam, da er als Arzt in die niederländischen Kolonien gehen wollte, was die niederländische Regierung aber untersagte. Zwischen 1926 und 1929 praktizierte er als freier Arzt. Zur gleichen Zeit 234 http://www.jva-rheinbach.nrw.de/behoerde/behoerdenvorstellung/historie/geschichte_as/index.php, abgerufen am: 25.8.2020. 235 LAV NRW R NW 1049–57448, NW-PE 5954, NW-PE 12535; Düsterhaus, Zuchthaus, S. 144–146.

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war er auch am Institut für Verbrechensforschung und an der Universitätsnervenklinik in Bonn tätig, wo er eine nervenärztliche Ausbildung bei Arthur Hübner (1878–1934)236 absolvierte. Das Thema seiner 1927 veröffentlichten Dissertation lautete: „Zur Unfruchtbarmachung geistig Minderwertiger insbesondere nach eugenischen Gesichtspunkten“237. 1929 trat er in den Staatsdienst und wurde Strafanstaltsarzt. Sein Eintritt in die NSDAP datiert vom 1. Mai 1933 (Mitgliedsnummer 2.119.981). Klinkenberg wurde am 28. Mai 1934 beauftragt, die ärztliche Versorgung der Strafgefangenenlager in Papenburg (Ems) zu übernehmen. Er trat seinen Dienst Abb. 22  Franz Klinkenberg, 1932 dort am 29. Mai 1934 an. Als Vertretung in Rheinbach kam Willibald Otto Schmidt (1890–1965). Klinkenberg kehrte rasch zurück, bereits am 6. Juni 1934 erfolgte der Wiederantritt in Rheinbach. 1941 erhielt er noch einmal die Aufforderung, nach Papenburg zu gehen. Im Jahr 1940 geriet er mit dem stellvertretenden Amtsarzt Esser in Konflikt. Klinkenberg hatte offensichtlich in Rheinbach eine Privatpraxis eröffnet und behandelte dort Patienten. Diese Konkurrenz nahmen die anderen Rheinbacher Ärzte nicht hin und unterrichteten den Aufsicht führenden Amtsarzt. Esser untersagte nach Rücksprache mit dem Kreisamtsleiter für Volksgesundheit Horstmann dem Strafanstaltsarzt die private Praxis. Im Rahmen des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ lassen sich von Klinkenberg selbst 42 Anzeigen zwischen 1934 und 1937 nachweisen, darunter 40 Anzeigen beim Gesundheitsamt Bonn-Land. Zu drei Anzeigen existieren Erbgesundheitsakten238, die anderen 37 sind nur im Verzeichnis des Gesundheitsamtes für den Zeitraum von 1934 bis 1936 eingetragen. Zusätzlich lässt sich zu einem von drei an das Gesundheitsamt Bonn abgegebenen Fällen dort die Erbgesundheitsakte finden.239 Hinzu kommen zwei Anzeigen beim Gesundheitsamt für den Siegkreis.240

236 237 238 239 240

Forsbach, Fakultät, S. 196 f. Veröffentlicht in: Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie 80 (1927), S. 410–438. ARSK LKB 6749, 6836, 6956. StA Bonn Pr 50/1116. ARSK LSK 5123/59, 5303/954.

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Abb. 23  Die ersten Seiten von Klinkenbergs Dissertation „Zur Unfruchtbarmachung geistig Minderwertiger insbesondere nach eugenischen Gesichtspunkten“, Allgemeine Zeitschrift für Psychatrie, Sonderdruck, 1927

In vier Fällen hatte der Leiter der Strafanstalt Anzeige beim Gesundheitsamt Bonn-Land erstattet und einen Antrag an das Erbgesundheitsgericht gestellt. In einem der vier Fälle lässt sich ein ärztliches Gutachten von Klinkenberg feststellen.241 Zwei weitere Fälle, zu denen Klinkenberg ärztliche Gutachten für die Anträge des Anstaltsleiters verfasste, sind beim Gesundheitsamt für den Siegkreis erhalten geblieben242, ein weiterer beim Gesundheitsamt Bonn-Stadt.243 Somit war Klinkenberg bei mindestens 46 Fällen an einer Anzeige beteiligt. Eine Besonderheit sind drei Anzeigen aus der Strafanstalt, die Medizinalrat Schmidt zwischen dem 27. Oktober und 27. November 1936 erstattet hat.244 Da für diesen Zeitraum keine Anzeige Klinkenbergs nachweisbar ist, handelt es sich wohl erneut um einen Vertretungszeitraum. 241 242 243 244

ARSK LKB 6749. ARSK LSK 5307/972, 5428/1578. StA Bonn Pr 50/1061. ARSK LKB 6586/262, 263, 270.

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In Gerichtsverfahren selbst war Klinkenberg in drei Fällen als Sachverständiger tätig. In zwei Fällen hatte er bereits die Gutachten geschrieben, im dritten Fall handelte es sich um einen Strafgefangenen, der sowohl in der Strafanstalt in Siegburg als auch in Rheinbach inhaftiert war. Die Anzeige und der Antrag waren im Oktober 1935 in Siegburg erstattet, der Strafgefangene im Dezember 1935 nach Rheinbach verlegt worden. Bei der Verhandlung im Mai 1936 fungierte Klinkenberg als Sachverständiger.245 Bei insgesamt 50 Fällen lässt sich also eine Mitwirkung Klinkenbergs nachweisen. Da die Überlieferung der Anzeigen durch das Verzeichnis des Gesundheitsamtes Bonn nur bis Ende 1936 komplett ist, muss von einer weitaus höheren Zahl von Anzeigen ausgegangen werden. Lediglich vier Akten sind erhalten geblieben. Bei der Entnazifizierung wurde Klinkenberg vom Unterausschuss in Rheinbach am 4. November 1947 in die Stufe III (Minderbelastete) eingeteilt. Dagegen erhob er am 6. Februar 1948 Einspruch. Am 19. Oktober 1948 erhielt er die Kategorie V und galt nun als unbelastet. Bereits am 13. April 1946 war Klinkenberg auf seinen Posten in der Strafanstalt Rheinbach zurückgekehrt. Wegen seines schlechten Gesundheitszustandes beantragte er im Oktober 1946 seine Pensionierung. Er schied 1950 aus dem öffentlichen Dienst aus und eröffnete in Köln eine eigene Praxis. Er starb am 25. Dezember 1962. Die Strafanstalt Siegburg

Die 1896 eröffnete Strafanstalt in Siegburg246 war zunächst für den Strafvollzug von Gefängnishäftlingen zuständig. Zwischen 1921 und 1923 gab es eine Abteilung für Zuchthaushäftlinge. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten richtete der preußische Staat zum 1. November 1934 erneut in einem Teil der Anstalt eine Zuchthausabteilung ein. Die Häftlinge für diese Abteilung kamen aus der Strafanstalt Rheinbach. Ende März 1936 fand die vollständige Umwandlung in eine Anstalt für Zuchthaushäftlinge statt. Die Gefängnishäftlinge wurden in die Moorlager im Emsland und in das Gefängnis in Wittlich an der Mosel gebracht. Die Siegburger Häftlinge kamen erneut aus der überfüllten Strafanstalt Rheinbach. Die Normalbelegung lag bei 721 Gefangenen; in den Jahren 1936 bis 1937 war die Anstalt überbelegt, danach bis 1941 unterbelegt. 1942 kam es zu einem schnellen Ansprung der Belegungszahlen bis auf 2600 Gefangene, im August 1944 waren es sogar über 3500. An einen Flügel der Anstalt war ein eingeschossiger Lazarettbau mit einem Krankensaal und drei Krankenzellen angeschlossen. Hinzu kamen ein Arztzimmer, eine Apotheke und eine Teeküche. Als Gefängnisarzt fungierte Moritz Hohn.

245 ARSK LSK 5218/528. 246 Eumann, Strafanstalt.

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„… Anfang, aber nicht Ende“

Moritz Hohn, Siegburg

Der Gefängnisarzt Moritz Hohn wurde am 10. Januar 1872 in Troisdorf als Sohn eines Bierbrauers geboren, stammt also aus dem Siegkreis.247 Am 10. Oktober 1897 legte er seine Staatsprüfung ab. Hohn war bereits im Jahr 1900 als Vertreter des Kreisarztes im „Zellengefängnis Siegburg“ tätig. Am 1. April 1901 erfolgte die vertragsmäßige Übernahme. Trotz des Wunsches der Strafanstalt, dass der Kreisarzt die medizinische Betreuung der Strafgefangenen übernehmen sollte, war Hohn in dessen Vertretung weiter für die ärztliche Versorgung zuständig. Im Adressbuch von Siegburg für das Jahr 1910 ist er als niedergelassener Arzt aufgeführt. Ein Joseph Hohn war zu diesem Zeitpunkt StrafAbb. 24  Moritz Hohn, 1940 anstalt-Werkmeister, ein Friedrich Hohn 248 Strafanstalt-Aufseher. Ob es sich um Verwandte handelt, ist nicht bekannt. Moritz Hohn hatte die Stelle eines Gefängnisarztes spätestens seit dem Ersten Weltkrieg in der Strafanstalt in Siegburg inne.249 Nach Kriegsende stand er auf der Auslieferungsliste der Kriegsverbrecher, da er eine französische Strafgefangene nicht sachgemäß behandelt haben soll, die während einer Haftunterbrechung und nach einer Operation schließlich im September 1918 in Köln verstarb. Seit dem 1. Januar 1920 war Hohn in der Tuberkulose-Fürsorge im Kreiswohlfahrtsamt, später im Gesundheitsamt des Siegkreises tätig.250 Nach dem Ersten Weltkrieg engagierte er sich in der Zentrumspartei. 1919 wurde er zum Stadtverordneten von Siegburg gewählt, 1924, 1929 und 1933 zum Kreistagsmitglied.251 Von 1920 bis 1926 war er stellvertretendes, von 1927 bis 1931 Mitglied des Beirats für die Strafanstalt.252 Als Gefängnisarzt war er täglich in der Strafanstalt, im Gegensatz zu den anderen Mitgliedern des Beirats, die sich nur sehr selten oder gar nicht blicken ließen, wie der Direktor der Anstalt 1922 feststellte. 247 248 249 250

LAV NRW R BR-PE 12334; Archiv der Stadt Troisdorf, Familienbuch, S. 211. Adressbuch Siegburg 1910, S. 39. Schröder, Exekution, S. 100. ARSK LSK 2108, Jahresbericht des Kreiswohlfahrtsamtes 1920 und LSK 2708, Telefonverzeichnisse 1936 und 1937. 251 ARSK LSK 1888. 252 ARSK LSK 1551.

„… eine möglichst aktive Bevölkerungs- und Aufzuchtspolitik“

107

Abb. 25  Justizvollzugsanstalt Siegburg, Ausschnitt aus der Siegburger Gesamtansicht, ­Ansichtskarte, undatiert

Nach 1933 scheint Hohn nicht der NSDAP beigetreten zu sein. In der NSDAP-Mitgliederkartei findet sich kein Nachweis, auch in den Akten der Reichsärztekammer gibt es keinen Eintrag. Trotzdem bezeichnete ihn der Gefangene Walter Markov (1909–1993) als „Nazi“, wenn auch mit der Einschränkung, dass dieser „Intellektuelle relativ schonend behandelte“.253 Zwischen 1933 und 1935 war Hohn auch vertretungsweise im Gefängnis Bonn tätig. Obwohl er 1937 das Pensionsalter erreichte, blieb er weiterhin in der Strafanstalt als Arzt tätig. Von einem Gefangenen wurden ihm Fehler vorgeworfen, die entweder aus Unachtsamkeit oder, weil er mit zunehmendem Alter dem Dienst nicht mehr gewachsen war, geschehen waren. Die eigentlichen dienstlichen Aufgaben, wie die Untersuchungen neuer und erkrankter Häftlinge, überließ er einem Sanitätsbeamten. Er erkannte nicht den Ausbruch der Fleckfieberepidemie im Winter 1944/45, die er zunächst als Grippe diagnostizierte und somit ein Vierteljahr lang nicht richtig behandelte. Erst der Internist und Universitätsprofessor Paul Martini und der Amtsarzt Bruno Bange konnten am 28. Februar 1945 die richtige Diagnose stellen und Gegenmaßnahmen einleiten. Ab diesem Tag meldete sich Hohn krank und der Häftling Jakob Ahles (1894–1962), ein Arzt, durfte ab dem 8. März 1945 die Behandlung aufnehmen. Fast die Hälfte der Gefangenen erkrankte, ein Viertel starb.254 Den nationalsozialistischen Vorgaben vermochte Hohn sich nicht zu entziehen. Er war anwesend, als am 23. August 1944 drei junge Luxemburger, die sich der Wehrpflicht dadurch entzogen hatten, dass sie nicht vom Fronturlaub zurückgekehrt waren, erschossen wurden. Er untersuchte sie vorher, war bei der Verkündung der Todesurteile dabei und stellte hinterher den Tod fest.255 253 Zitiert nach Eumann, Strafanstalt, S. 254. 254 Eumann, Strafanstalt, S. 254–256. 255 Schröder, Exekution, S. 103, 106, 108.

108

„… Anfang, aber nicht Ende“

Abb. 26  Rückansicht der Siegburger Justizvollzugsanstalt, 1986

Hohn war seit 1935 Leiter der kriminalbiologischen Forschungsstelle in der Strafanstalt Siegburg, über die er nach dem Krieg aussagte: „Diese fesselte den Anstaltsarzt stundenlang an den Schreibtisch, nicht nur in der Anstalt, sondern auch in den Abendstunden zu Hause.“256 Die kriminalbiologische „Forschung“ war in Preußen am 31. Januar 1935 in Strafanstalten mit hauptamtlichem Arzt eingeführt worden. Dieser sollte monatlich vier bis sechs Untersuchungen vornehmen. Im Visier standen „die Geistig-Minderwertigen [sic!], die Berufs- und Gewohnheits- sowie die Sittlichkeitsverbrecher“.257 Die Untersuchung erfolgte „nach erbkundlichen, psychologisch-psychiatrischen und soziologischen Grundsätzen, um ein möglichst geschlossenes Bild des Untersuchten und damit die für seine soziale und rassische Bewertung erforderlichen Unterlagen zu gewinnen.“258 Für die erbbiologische und kriminalbiologische Erfassung gab es verschiedene Formulare und es war eine Ablichtung der untersuchten Person erforderlich. Hohn erhielt einen Strafanstaltsoberwachtmeister für Schreibarbeiten zur Verfügung gestellt und die erforderliche fotografische Ausrüstung wurde angeschafft. Für die fotografischen Aufnahmen war ein Strafvollzugsbeamter zuständig. Hohn zog aber auch Erich Sander (1903–1944), den Sohn des bekannten Fotografen August Sander (1876–1964), heran, der 1935 zu einer zehnjährigen Zuchthausstrafe wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ verurteilt und im gleichen Jahr von Rheinbach in das Zucht256 LAV NRW R BR-PE 12334. 257 Eumann, Strafanstalt, S. 253. 258 Eumann, Strafanstalt, S. 253.

„… eine möglichst aktive Bevölkerungs- und Aufzuchtspolitik“

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Abb. 27  Siegburg, Hospital, seitliche Frontansicht von der Ringstraße aus gesehen, links im Hintergrund die Krankenhauskapelle, Ansichtskarte, undatiert

haus Siegburg verlegt worden war.259 Erich Sander starb am 23. März 1944 an einer nicht erkannten Blinddarmentzündung im Siegburger Krankenhaus.260 Im Rahmen des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ lassen sich von Hohn selbst 19 Anzeigen zwischen 1934 und 1939 nachweisen. Dabei können sieben Anzeigen nicht der Strafanstalt zugeordnet werden. Offenbar zeigte Hohn nicht nur als Gefängnisarzt an, sondern auch in seiner Stellung als Fürsorgearzt und/oder niedergelassener Arzt. Weitere 107 Anzeigen stellte der Strafanstaltsdirektor Paul Cremer zwischen 1934 und 1936. Weitere acht Fälle lassen sich in die Amtszeit Cremers einordnen, bei denen eine Anzeige fehlt, aber der Antrag von ihm gestellt wurde. In 27 Fällen erfolgte eine Anzeige in der Amtszeit des Nachfolgers von Cremer, Ewald Rehbein. Alle vorhandenen ärztlichen Gutachten tragen die Unterschrift Hohns, so dass hier mit 142 Fällen gerechnet werden kann, die zu den 19 von Hohn selbst angezeigten hinzukommen. Zusammen sind dies 161 Fälle, an denen Moritz Hohn beteiligt war. Aufgrund von Anklagen ehemaliger politischer Häftlinge verhaftete ihn die britische Militärpolizei und brachte ihn in das Internierungslager Hamburg-Fischbek. Offenbar verblieb er dort nur kurze Zeit. Hohn starb am 7. Februar 1953 in Siegburg.

259 Jäger, Fotografie. 260 NS-Dokumentationszentrum Köln, Sander, S. 178–180. Hier wird von „Fehldiagnose“ und „unterbliebener ärztlicher Versorgung“ im Zuchthaus ausgegangen.

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„… Anfang, aber nicht Ende“

3.4 Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ im Landkreis Bonn und im Siegkreis 3.4.1 Das Erfassungssystem: Anzeigen und Denunziationen Zur Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ war ein zweistufiges Melde- und Antragsverfahren vorgesehen. Am Anfang stand die Anzeige. Approbierte Ärzte und „sonstige Personen, die sich mit der Heilbehandlung, Untersuchung oder Beratung von Kranken befassen“, waren verpflichtet, Patienten anzuzeigen, die sie für „erbkrank“ hielten.261 Der Kreis der Anzeigepflichtigen bezog sich auch auf „Zahnärzte, Dentisten, selbständig tätige Schwestern oder Gemeindeschwestern, Masseure, Masseusen, Heilpraktiker, Kurpfuscher“262 und Hebammen. Ein Runderlass des Reichsministers des Innern vom 9. Juli 1934 wies diese noch einmal ausdrücklich auf die Pflicht zur Anzeige hin.263 Wer ihr nicht nachkam, konnte mit einer Geldstrafe von 150 RM belegt werden.264 Nicht verpflichtet, aber durchaus erwünscht waren „Anregungen zur Anzeige“ von Personen aus Verwaltung und Partei, von „Beamten und Amtspersonen (Fürsorgerinnen und Hilfsschullehrer), ferner Behörden (Wohlfahrts- und Jugendämter sowie Parteidienststellen, Nationalsozialistische Volkswohlfahrt u. a.).“265 Für die Anzeige gab es ein einheitliches Formular, das im Reichsgesetzblatt als amtlicher Vordruck veröffentlicht worden war.266 Darauf sollten neben den Daten des Anzuzeigenden auch die Diagnose und eine Begründung angegeben werden. Die vom Gesetz erfassten „Erbkrankheiten“ waren darauf bereits eingetragen, so dass nur Zutreffendes unterstrichen oder Nichtzutreffendes weggestrichen werden musste. Bei der Diagnose gab es die Auswahl „leidet an“ und „ist verdächtig zu leiden an“. Letzteres bedeutete, dass auch im Zweifelsfall eine Anzeige erfolgen sollte. Die Klärung, ob der Betroffene tatsächlich an einer Erbkrankheit litt, war die Aufgabe des Antragstellers, der zur Klärung weitere Untersuchungen und Ermittlungen durchführte. Angezeigt werden sollten aber auch Personen, die zu jung oder zu alt, die dauernd in einer Anstalt untergebracht oder auch schon unfruchtbar waren. Dies alles diente dazu, „alle erbkranken Personen zu erfassen und listenmäßig zu führen, d. h. die erbbiologische Bestandsaufnahme des deutschen Volkes vorzubereiten.“267 Die Erfassung aller auf dieser Basis gewonnenen Daten übernahm später das 1935 gegründete Rheinische Provinzial-Institut für psychiatrischneurologische Erbforschung in Bonn.

261 262 263 264 265 266 267

RGBl 1933, S. 1021. Gütt/Rüdin/Ruttke, Gesetz, S. 211 f. Erlass in Schnellhaase/Fuchs, Gesetz, S. 19. RGBl 1933, S. 1022. Skalweit, Tätigkeit, S. 401, nach Endres, Zwangssterilisation, S. 115 f., 260. RGBl 1933, S. 1024. Gütt/Rüdin/Ruttke, Gesetz, S. 211 f.

Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

Abb. 28  Antragsformular auf Unfruchtbarmachung als amtlicher Vordruck im Reichsgesetzblatt, 1933

111

112

„… Anfang, aber nicht Ende“

Die Entscheidung für einen Antrag auf Unfruchtbarmachung trafen allein die Kreisbzw. Amtsärzte und die Leiter von Heil- und Pflegeanstalten sowie Strafanstalten. Anzeigeformulare wurden den Ärzten außerhalb der Gesundheitsämter und Anstalten zur Verfügung gestellt. Trotzdem erreichten den Amtsarzt immer wieder auch formlose Schreiben von Ärzten, die auf eine vermeintlich erbkranke Person hinwiesen. In diesen Fällen füllte das Gesundheitsamt das Formular nachträglich selbst aus. Die Überlieferung von Anzeigen ist deutschlandweit lückenhaft. In den Kölner Erbgesundheitsgerichtsakten sind in 36,5 Prozent der Fälle die Anzeigen enthalten. In Hamburg finden sich in fast 50 Prozent der Akten die Anzeigen, in Bremen in nur 9,8 Prozent, in Saarbrücken gar nur in 6,3 Prozent, in Frankfurt am Main und in Weilburg (Oberlahnkreis) sind keine erhalten.268 Das hat zwei Gründe. Zum einen hatte der Reichsminister des Inneren am 25. November 1934 verfügt, dass die Anzeigen beim Antragsteller verbleiben und nicht mit dem Antrag Eingang in die Erbgesundheitsgerichtsakte finden sollten.269 Die Betroffenen hatten das Recht auf Akteneinsicht und hätten somit den Anzeigenden identifizieren können. Die Einsichtnahme, die ein offenes Verfahren vortäuschen sollte, wollte der NS-Staat aus politischen Gründen nicht einschränken, gleichzeitig vermutete er aber hierin die Ursache für die zögerliche Bereitschaft der niedergelassenen Ärzte, Erbkranke zu melden. In kleinen Orten konnten zudem viele Meldungen durchaus auffallen. Allerdings erhielt das Erbgesundheitsgericht das Recht, die Anzeige bei seinen Ermittlungen anzufordern.270 Der zweite Grund ist die unterschiedliche Überlieferung der Akten aus den Gesundheitsämtern, in denen die Erbgesundheitsakten geführt wurden. Anzeigen, die nicht zu einem Antrag führten, sind bis 1945 gesammelt worden – es gab ja „Wiedervorlagen“ bis in die 1950er Jahre hinein – und die Daten waren in die „Erbkrankenkartei“ eingeflossen. Nach 1945 sind die Anzeigen vor der Abgabe in die Archive vernichtet worden. Der Hinweis auf die „Sippenmappe“ mit einer Zahl in der „Liste der Erbkranken“ des Gesundheitsamtes Bonn-Land deutet auf eine Lagerung bei den Sippenfragebogen bzw. Sippentafeln hin, die jedoch bis auf die in den Akten befindlichen Exemplare alle verloren sind. Umfang der Anzeigestellung und Anzeigesteller

Die Forschung zu den Anzeigen hängt daher stark von der Quellenlage ab. Für die Akten der beiden hier untersuchten Gesundheitsämter ist die Überlieferung unterschiedlich. Im Siegkreis ist für jede Anzeige ein Vorgang angelegt worden, der eine durchlaufende Nummerierung erhielt. Fast alle Vorgänge und damit die darin enthaltenen Anzeigen sind erhalten geblieben. Im Kreis Bonn-Land ist dies offensichtlich anders gehandhabt worden. Obwohl eine Liste angelegt wurde, erhielten die einzelnen Akten keine fortlaufende Zählung. Es finden sich hier nicht immer alle Anzeigen in den Akten. Dies liegt zum 268 Endres, Zwangssterilisation, S. 118. 269 Endres, Zwangssterilisation, S. 118. 270 Ley, Zwangssterilisation, S. 167.

Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

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einen daran, dass die Überlieferung nicht vollständig ist, weil Anzeigen, die zu keinem Antrag geführt haben, nicht erhalten geblieben sind. Zum anderen liegt es daran, dass die Anzeigen nicht in den Akten des Erbgesundheitsgerichtes enthalten sind. Sie waren für den Verlauf des juristischen Verfahrens im Grunde nicht notwendig und wurden vom Erbgesundheitsgericht Bonn nicht angefordert. Außerdem galt für die Anzeigenden – und das ist bezeichnend! – eine Art Datenschutz: Sie sollten nicht bekannt werden. In Erbgesundheitsakten der Gesundheitsämter hatten nach einem Runderlass des Reichs- und Preußischen Ministers des Inneren vom 26. August 1935 Privatpersonen und Rechtsbeistände keinen Einblick. In einzelnen Fällen hatten Betroffene oder Verwandte versucht, herauszufinden, von wem die Anzeige oder der Antrag gekommen war. So auch im Fall der 35-jährigen „Bauernmagd“ und Hausangestellten Maria S. aus EitorfKelters. Am 18. März 1936 war sie vom Arzt und Kreisamtsleiter des Amtes für Volksgesundheit Hugo Klein wegen „angeborenen Schwachsinns“ angezeigt worden. Die sie untersuchende Fürsorgeärztin Witkop fragte Maria S. schließlich, wer sie denn angezeigt habe. Die Ärztin erklärte ihr, das sei ein Geheimnis, das sie nicht mitteilen dürfe.271 Im Fall des 69-jährigen Louis D., der im St. Vinzenz-Sanatorium in Godesberg untergebracht war, erging es dem Schwager und Juristen Hermann H. ebenso. Er hatte sich am 17. Juni 1937 an das Erbgesundheitsgericht gewandt: „Nach alledem nehme ich an, daß dem Antrag nicht stattgegeben wird. Es würde mich interessieren, zu erfahren, von wem er überhaupt gestellt werden konnte, da der Antragsteller von allen Begleitumständen offenbar keine Ahnung hat und ich auch bei ihm aufklärend wirken möchte. Ich wäre daher für eine Nennung dankbar.“272

Gleichzeitig schützte die Geheimhaltung den Anzeigenden offenbar auch vor Strafverfolgung bei Falschanzeige. Als der 49-jährige August W. aus Niederkassel-Rheidt am 8. Oktober 1936 vom stellvertretenden Amtsarzt Diehm wegen erblicher Fallsucht angezeigt wurde, beruhte diese wohl auf einer Meldung des Vetters. Bei der Untersuchung stellten sich die Angaben als unwahr heraus und der untersuchende Arzt vermutete einen Racheakt.273 Da der Angezeigte nur eine Vermutung und keinen Beweis dafür hatte, wer ihn gemeldet hatte, konnte er strafrechtlich nicht dagegen vorgehen. Zudem war die Bestrafung einer falschen Anzeige im „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ nicht vorgesehen. Mit Hinweis auf den Erlass von 1935 wurden noch in den 1950er Jahren Bitten auf Einsicht von Betroffenen und deren Rechtsbeistände verweigert und damit Anträge auf Wiederaufnahmen und Wiedergutmachung behindert.274 271 272 273 274

ARSK LSK 5245/662. ARSK LKB 6637. ARSK LSK 5287/874. ARSK LSK 5121/49, 5121/50.

114

„… Anfang, aber nicht Ende“

Abb. 29  Schreiben des Reichsinnenministeriums betr. Aufbewahrung von Erbgesundheitsgerichtsakten, 15.9.1938

Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

115

Die Gesamtzahl der Anzeigen ist schwer zu bestimmen. Jedes Gesundheitsamt hatte zwar eine Erbgesundheitskartei zu führen, aber die Karteikarten für den Siegkreis sind nicht mehr vorhanden bzw. nur noch fragmentarisch in den Akten zu finden. Karten gibt es für den Landkreis Bonn: Es handelt sich um 30 Kartons mit jeweils ca. 800 Karten, zusammen gut 24.000. Es ist nicht sicher, ob es sich tatsächlich um die Erbgesundheitskartei handelt und ob sie vollständig ist. Ein Großteil besteht aus den Karten, von denen sich viele so oder als Durchschlag in den Erbgesundheitsakten finden. Darüber hinaus sind zahlreiche Karten offensichtlich für andere Zwecke angelegt worden: für Untersuchungen und Begutachtungen in Fällen von Eheunbedenklichkeit, Ehestandsdarlehen, Kinderreichen- und Ausbildungsbeihilfen, Versicherungssachen, Erbhöfen und nicht zuletzt für die Tuberkulose-Fürsorge. Oft sind Karteikarten doppelt und dreifach vorhanden, einmal handschriftlich ausgefüllt, ein anderes Mal maschinenschriftlich. Auf den Karten finden sich Verweise auf andere Karteien. Ein Formular des Gesundheitsamtes Siegburg zählt die verschiedenen geführten Karteien auf: Erbkrankenkartei, Lungenkartei, Krüppelkartei, Trinkerkartei, Geisteskrankenkartei, Geschlechtskrankenkartei und Fürsorgeerziehungskartei. Bisweilen wurden Quervermerke angelegt, wie der Hinweis „s. Krüppelkartei“ zeigt. Für alle einzelnen Erbgesundheitsfälle wurden Listen bzw. Verzeichnisse in Heftform angelegt. Das einzige überlieferte Verzeichnis des Gesundheitsamtes Bonn-Land, das die ersten Jahre 1934 bis 1936 umfasst, weist 386 laufende Nummern auf. Erbgesundheitsakten sind davon 114 erhalten geblieben, also etwa ein Drittel. Bei 87 Fällen ist der Beschluss eines Gerichtes eingetragen, aber keine Akte vorhanden. Für die Jahre 1937 bis 1945 sind weitere 305 Akten überliefert, so dass es mindestens 691 Anzeigen gegeben haben muss. Etwas besser gestaltet sich die Überlieferung für den Siegkreis. Hier ist zwar das erste Verzeichnis nicht erhalten geblieben (Nr. 1–800), dafür weisen die beiden noch vorhandenen Verzeichnisse des Gesundheitsamtes des Siegkreises 1603 Nummern (Nr. 801– 2403) auf. Das letzte Verzeichnis ist vollständig, die letzte dort aufgeführte Anzeige stammt vom 27. Oktober 1943. Sollten weitere Anzeigen danach erfolgt sein, fehlen diese, da weder ein weiteres Verzeichnis noch Akten erhalten geblieben sind. Zu fast jeder Nummer gibt es im Kreisarchiv auch tatsächlich eine Erbgesundheitsakte, die mit „EK“ fortlaufend gekennzeichnet ist. Sie besteht manchmal lediglich aus der Anzeige. Die letzte Akte trägt die Nummer „EK 2313“. Somit ist durch die fortlaufende Nummerierung erkennbar, dass zumindest nur ein geringer Verlust von Akten eingetreten ist: Es fehlen nur 91 von 2403 Akten, also 3,79 Prozent. Hinzu kommen noch 55 Anzeigen von Betroffenen aus dem Untersuchungsgebiet, die beim Amtsarzt von Bonn-Stadt angezeigt wurden und deren Erbgesundheitsgerichtsakten im Stadtarchiv Bonn überliefert sind.

116

Abb. 30  Jahresbericht des Gesundheitsamtes Bonn-Land für 1936, 15.3.1937

„… Anfang, aber nicht Ende“

Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

117

Anzahl der Anzeigen Bonn-Land

Siegkreis

Bonn-Stadt

Gesamt

Anzeigen

691

2408

55

3154

Erläuterung

Davon 386 Anzeigen in einem Verzeichnis für die Jahre 1934–1936 305 Anzeigen in erhaltenen Akten aus den Jahren 1937–1941

Davon 2400 in drei Verzeichnissen für die Jahre 1934–1943, wovon nur die beiden letzten erhalten sind 8 Anzeigen in den erhaltenen Akten, die weitere Personen betreffen

Bei der Gesamtzahl der Anzeigen ist zu beachten, dass für das Gesundheitsamt BonnLand aufgrund der Quellenlage nur die Jahre 1934 bis 1936 vollständig erfasst werden konnten. Das Verzeichnis des Siegkreises endet 1943. Es kann danach weitere Anzeigen gegeben haben. Anzeigen-Verteilung auf die Jahre 1934–1943275 Bonn-Land

Siegkreis

Bonn-Stadt

Gesamt

1933

k. A.

1

k. A.

1

1934

67

286

9

362

1935

155

319

3

477

1936

240

311

2

553

1937

7

250

2

259

1938

k. A.

347

k. A.

347

1939

4

363

k. A.

367

1940

1

254

k. A.

255

1941

2

114

k. A.

116

1942

k. A.

33

k. A.

33

1943

k. A.

26

k. A.

26

unbekannt

215

104

39

358

Gesamt

691

2408

55

3154

276

Bei der zeitlichen Entwicklung der Anzeigen ist ebenfalls zu beachten, dass für das Gesundheitsamt Bonn-Land aufgrund der Quellenlage nur die Jahre 1934 bis 1936 vollständig erfasst werden konnten. 275 Nicht aufgenommen wurden 2 EK-Nummern (EK 433, 636), zu denen der Vorgang fehlt. Eine weitere ist nachweislich nicht belegt worden und „noch frei“ (EK 2049). 276 Hierbei handelt es sich um eine Anzeige und einen Antrag vom 29.12.1933 aus dem Bereich des Erbgesundheitsgerichtes Straubing, Aktenzeichen 2/34.

118

„… Anfang, aber nicht Ende“

Die Anzeigenentwicklung zeigt bei beiden Gesundheitsämtern eine Steigerung in den Jahren 1934 bis 1936. Für den Siegkreis ist dann ein Rückgang zu verzeichnen. In den Jahren 1938 und 1939 kam es wieder zu einem Anstieg. Hier macht sich möglicherweise die personelle Situation im Gesundheitsamt bemerkbar: 1938 war – bei zwei Abgängen und drei Zugängen – in der Summe ein Arzt mehr eingestellt worden. Zudem scheint eine systematische Erfassung von möglichen Erbkranken aus bereits vorhandenen anderen Datenbeständen durchgeführt worden zu sein. Geschlechtsverteilung der Anzeigen277 Bonn-Land

Siegkreis

Bonn-Stadt

Gesamt

Männlich

412

1351

40

1803 (57,17 %)

Weiblich

276

1055

15

1346 (42,68 %)

Unbekannt

3

2



5 (0,16 %)

Gesamt

691

2408

55

3154 (100 %)

Abb. 31  Luftbildaufnahme der Rheinbacher Strafanstalt, 1931

277 Nicht aufgenommen wurden 2 EK-Nummern (EK 433, 636), zu denen der Vorgang fehlte. Eine weitere war nachweislich nicht belegt worden und „noch frei“ (EK 2049).

Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

119

Das Übergewicht des Anteils der männlichen Angezeigten ist in Teilen den beiden Strafanstalten geschuldet. Für Rheinbach sind 52 Fälle bekannt, für Siegburg 142. Zieht man die Zahl der Strafgefangenen ab, sinkt der Männeranteil auf 54,42 Prozent. Zu beachten ist hier allerdings, dass sich in den Strafanstalten mehrere Personen mit Wohnsitz im Untersuchungsgebiet befanden, die eventuell auch dann angezeigt worden wären, wenn sie nicht in Untersuchungshaft oder im Strafvollzug gesessen hätten. Der Umfang der Anzeigen in Bezug auf die Einwohnerzahl ist für Bonn-Land aufgrund der Quellenlage mit 0,66 Prozent zu beziffern. Für den Siegkreis ist er mit 1,63 Prozent höher. Nach der Schätzung von Gisela Bock, die das Verhältnis von Anzeigen und Entscheidungen für die Jahre mit fehlenden Zahlen hochgerechnet hat, ist für das Reichsgebiet von 1 Millionen Anzeigen auszugehen. Dies entsprach 3 Prozent der Bevölkerung im Alter zwischen 16 und 50 Jahren.278 Die Einschränkung auf diese Altersgruppe ist sicherlich aufgrund der Anträge geschehen, die eine Operation zum Ziel hatten. Angezeigt wurden aber auch Betroffene unter 16 und über 50 Jahre, so dass bei der Gesamtbevölkerung von ca. 79 Millionen Menschen der Referenzwert für Anzeigen 1,27 Prozent ist. Damit liegt der Siegkreis bei den Anzeigen deutlich über dem von Bock geschätzten Durchschnitt. Wird der Wert des Siegkreises als Grundlage genommen, kann mit 1.290.000 Anzeigen reichsweit gerechnet werden. Das höchste Alter einer angezeigten Person weist eine Frau auf. Sie war 1861 geboren und wurde 1939 im Alter von 77 Jahren wegen „manisch-depressivem Irresein“ angezeigt.279 Ein Säugling war gerade einmal vier Tage alt, als er 1936 wegen „schwerer erblicher körperlicher Missbildung“ (Hasenscharte) angezeigt wurde.280 Diagnosen in den Anzeigen Anteile der Diagnosen in den Anzeigen Bonn-Land

Siegkreis

Bonn-Stadt

Gesamt

Angeb. Schwachsinn

401 (58,03 %)

1162 (48,26 %)

36 (65,45 %)

1599

Schizophrenie

118 (17,08 %)

325 (13,49 %)

9 (16,36 %)

451

Zirkuläres Irresein (bipolare Störung)

12 (1,74 %)

59 (2,45 %)

2 (3,68 %)

73

Erbliche Fallsucht

90 (13,02 %)

309 (12,83 %)

1 (1,82 %)

400

Erblicher Veitstanz (Chorea Huntington)

1 (0,14 %)

17 (0,71 %)

0

18

Erbliche Blindheit

10 (1,45 %)

28 (1,16 %)

1 (1,82 %)

39

Erbliche Taubheit

4 (0,58 %)

32 (1,33 %)

0

36

Schwere erbliche Missbildung

22 (3,18 %)

293 (12,17 %)

0

315

278 Bock, Zwangssterilisation, S. 232. 279 ARSK LSK 5435/1614. 280 ARSK LSK 5276/817.

120

„… Anfang, aber nicht Ende“ Bonn-Land

Siegkreis

Bonn-Stadt

Gesamt

Alkoholismus

20 (2,89 %)

37 (1,54 %)

5 (9,09 %)

62

Sonstige

5 (0,72 %)

51 (2,12 %)

1 (1,82 %)

57

Ohne Angaben

8 (1,16 %)

95 (3,94 %)

0

104

Gesamt

691

2408

55

3154

Den größten Anteil an den Anzeigen hat die Diagnose „Angeborener Schwachsinn“, die mit gut 48 Prozent etwa die Hälfte ausmacht. Es folgen „Schizophrenie“ (ca. 13 Prozent) und „erbliche Fallsucht“ (ca. 13 Prozent). An vierter Stelle steht die „schwere erbliche körperliche Missbildung“ mit gut 12 Prozent. Zusammen kommen diese vier Krankheitsbilder auf 86 Prozent. Die restlichen vier „Erbkrankheiten“ verteilen sich auf etwas unter 10 Prozent der Anzeigen, rund 4 Prozent sind ohne Angaben. Bei den Missbildungen handelte es vor allem um Hüftgelenksverrenkungen, Klumpfüße, Gaumenspalten und Wolfsrachen, aber auch Muskelschwund.281 Jeweils einmal wurden „spina bifida“282 und „Albinismus“283 angezeigt. Oftmals blieben die Diagnosen nicht auf eine Krankheit beschränkt. Zusammen mit „angeborenem Schwachsinn“ wurden Fallsucht, körperliche Missbildungen oder Alkoholismus angezeigt. Es gab auch die Kombination von Fallsucht und Alkoholismus, in einem Fall von Blindheit und Taubheit.284 In einigen Fällen war bei Anzeigen zum „angeborenen Schwachsinn“ nur der Krankheitsgrad angegeben: „Debilität“285 (heute: leichte geistige Behinderung/Intelligenzminderung), „Imbezillität“286 (heute: mittelgradige oder schwere geistige Behinderung/Intelligenzminderung) oder „Idiotie“ (heute: schwerste geistige Behinderung/Intelligenzminderung), insbesondere „mongoloide Idiotie“287. Nicht ganz eindeutig waren auch Diagnosen wie „Grauer Star“ bzw. „Grauer Star von Geburt an“288 oder „Taubstummheit“289. In zwei Fällen war einfach nur „Erbkrankheit“290, in einem „Verdacht erbkrank“291 angegeben. Noch weniger konkret war allerdings die Bezeichnung „erbliche Belastung“.292 Obwohl das Gesetz die anzuzeigenden Krankheiten genau bestimmte, waren unter den abgegebenen Diagnosen manchmal ganz andere Krankheitsbilder aufgeführt: 281 282 283 284 285 286 287 288 289 290 291 292

ARSK LSK 5465/1765, 5479/1834. ARSK LSK 5250/687. ARSK LSK 5165/261. ARSK LSK 5465/1762. ARSK LSK 5526/2066, 5538/2129, 5542/2146, 5542/2147. ARSK LSK 5137/130. ARSK LKB 6586/11, LSK 5161/246, 5522/2048, 5527/2073. ARSK LSK 5301/941, 5552/2197. ARSK LSK 5323/1054, 5323/1055. ARSK LSK 5385/1362, 5473/1804. ARSK LKB 6586/261. ARSK LKB 6586/139.

Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

121

„Schilddrüsenmangel“293, „Insuffizienzgefühl. Endogene Psychose“294 und „Dementis paranoides“295. In einem Fall war „Homosexualität“296, in drei Fällen „Analphabet“297 angegeben. Über Krankheiten hinaus konnte auch das sittliche Verhalten eine Rolle spielen, eine Diagnose lautete: „Psychopathie mit geistiger und hauptsächlich moralischer Debilität“.298 „Das geht nicht von heute auf morgen“299. Die Anzeigenden Verteilung der Anzeigenden Bonn-Land

Siegkreis

Bonn-Stadt

Gesamt

Amtsarzt

3 (0,43 %)

279 (11,58 %)

k. A.

282

Arzt im Gesundheitsamt

173 (25,03 %)

964300 (36,67 %)

1 (1,81 %)

1138

Andere Gesundheitsämter

13 (1,88 %)

49 (1,99 %)

k. A.

58

Leiter Heil- und Pflegeanstalt/ Außenfürsorge

80 (11,57 %)

202 (8,38 %)

11 (20 %)

293

Leiter/Arzt Strafanstalt

44 (6,36 %)

171 (7,10 %)

k. A.

215

Gerichtsarzt

7 (1,01 %)

4 (0,16 %)

1 (1,81 %)

12

Erziehungsheim/ Landespsychiater

3 (0,43 %)

6 (0,24 %)

1 (1,81 %)

10

Klinikarzt

15 (2,17 %)

47 (1,95 %)

1 (1,81 %)

64

Krankenhausarzt

3 (0,43 %)

8 (0,33 %)

k. A.

11

Arzt Privatanstalt

4 (0,57 %)

5 (0,20 %)

k. A.

9

Fach-/Hausarzt

26 (3,76 %)

182 (7,55 %)

k. A.

208

Militärarzt

11 (1,59 %)

74 (3,07 %)

k. A.

85

Gesundheitspflegerin Kreis

k. A.

56 (2,32 %)

k. A.

56

293 294 295 296 297 298 299 300

ARSK LSK 5157/226. ARSK LSK 5459/1734. ARSK LSK 5446/1666. ARSK LSK 5114/15. ARSK LSK 5424/1556–1558. StA Bonn Pr 50/867. Dazu unten S. 124 f. Davon 85 ohne Namen.

122

„… Anfang, aber nicht Ende“ Bonn-Land

Siegkreis

Bonn-Stadt

Gesamt

Gesundheitspflegerin städtisch

k. A.

3 (0,12 %)

k. A.

3

Hebamme

1 (0,14 %)

2 (0,08 %)

k. A.

3

Parteiorganisationen

2 (0,28 %)

3 (0,12 %)

k. A.

5

Landesversicherungsanstalt

3 (0,43 %)

8 (0,33 %)

k. A.

11

Sonstige/nicht einzuordnen

90 (13,02 %)

355 (14,74 %)

k. A.

445

Unbekannt

213 (30,82 %)

44 (1,82 %)

40 (72,73 %)

297

Gesamt

691

2408

55

An erster Stelle der Anzeigenden standen die Amtsärzte und die weiteren Ärzte im Gesundheitsamt der beiden Kreise. Im Siegkreis sind insgesamt 1153 Anzeigen namentlich nachweisbar sowie weitere 85 ohne Unterschrift oder nur mit Funktionsbeschreibung („Arzt im Gesundheitsamt“, „beamteter Arzt“). Hinzu kommen 49 weitere Kreis- und Amtsärzte aus anderen Kreisen und Städten, so dass fast genau die Hälfte (50,23 Prozent) aller Anzeigen aus den Gesundheitsämtern stammt. An zweiter Stelle stehen die Ärzte aus Heil- und Pflegeanstalten (8,34 Prozent), gefolgt von den niedergelassenen Haus- und Fachärzten (7,55 Prozent). Die vierte große Gruppe bilden die Leiter der Strafanstalten (7,10 Prozent). Auffällig ist die niedrige Anzahl der Anzeigen von Parteiorganisationen. Offenbar funktionierte die staatliche Verwaltung von alleine sehr gut. Anzeigen der Ärzte aus den Gesundheitsämtern Arzt

Anzeigen

Bezirk

Josef Basten

1

Bonn-Land

Hubert Lohmer

1

Bonn-Land

Hans Schoeneck

1

Bonn-Land

Artur Josten

k. A.

Bonn-Land

Friedrich Bierbaum

162

Bonn-Land

Alfred Esser

9301

Bonn-Land

Josef Fuhlrott (Fürsorgearzt)

7

Bonn-Land

Zwischensumme

181(26,19 %)

301 Von Esser sind 14 Anzeigen bekannt, eine aus der Zeit in der Gerichtsmedizin und vier weitere in seiner Funktion als Bonner Gefängnisarzt.

Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ Arzt

Anzeigen

Weitere Amts- bzw. Kreisärzte u. Ärzte in Gesundheitsämtern

13

Summe

194

Bruno Bange

279

Siegkreis

Lothar Diehm

94302

Siegkreis

Liselotte Witkop (Fürsorgeärztin)

111

Siegkreis

Josef Struben

390

Siegkreis

Rudolf Steininger

46

Siegkreis

Hans Heffels

109

Siegkreis

Maria Vosskühler

124

Siegkreis

Zwischensumme

1153 (47,88 %)

Ohne Namen

85

Summe

1238 (51,41 %)

Weitere Amts- bzw. Kreisärzte u. Ärzte in Gesundheitsämtern

49

Summe

1287(53,45 %)

Gesamt

1481(46,95 %)

123

Bezirk

Siegkreis andere Städte und Kreise

Anzeigen der Ärzte aus den Gesundheitsämtern erfolgten meist aus der praktischen Arbeit heraus. Zu den Aufgaben der Ärzte gehörten Untersuchungen in den verschiedensten Bereichen. Bei Eheschließungen, Ehestandsdarlehen, Kinder- und Ausbildungsbeihilfen, bei der Übernahme von Erbbauernhöfen und bei der Verleihung von Ehrenzeichen musste das Gesundheitsamt seine Zustimmung geben. Bei Verdachtsfällen, die auf der umfangreichen Erbgesundheitskartei beruhten, mussten die Brautleute und Antragsteller auf soziale Leistungen zur Untersuchung nach Siegburg kommen. Hinzu kamen die Fürsorgefälle, die das Gesundheitsamt betreute. Dazu legten sie bei jeder Untersuchung verschiedene Karteikarten an. Neben der „Erbkrankenkartei“ gab es die „Lungenkartei“ für die Überwachung der Tbc-Kranken, die „Krüppelkartei“ für Menschen mit körperlicher Behinderung, die „Trinkerkartei“ für Alkoholiker, die „Geisteskrankenkartei“ für Menschen mit geistiger Behinderung, die „Geschlechtskrankenkartei“ und die „Fürsorgeerziehungskartei“ für Kinder und Jugendliche, die in Erziehungsheimen untergebracht worden waren. Durch die alltäglichen Untersuchungen im Dienstbetrieb des Gesundheitsamtes waren in Siegburg Bange, Diehm und Witkop offenbar gut ausgelastet. Mit der Einstellung von drei neuen Ärzten Anfang Juni 1938 konnten dann auch Fälle rückwirkend aus den vorhandenen Karteien herausgefiltert werden. So lässt sich feststellen, dass offensichtlich 302 Weitere drei Anzeigen stammen aus seiner Zeit in der Bonner Heil- und Pflegeanstalt.

124

„… Anfang, aber nicht Ende“

Josef Struben zwischen August 1938 und Januar 1939 die sogenannte „Krüppelkartei“ durchgesehen und in der Folge rund 90 Personen wegen „schwerer körperlicher Missbildung“ angezeigt hat. Oft findet sich auf der Anzeige der entsprechende Vermerk. Einige Akten enthalten den Fragebogen der Krüppelfürsorgestelle.303 Dabei konnte es durchaus vorkommen, dass bei den dann aufgenommenen Ermittlungen des Gesundheitsamtes die betreffende Person schon längst verstorben war. Dies konnte auch schon einmal zehn Jahre her sein, ohne dass das Gesundheitsamt davon Kenntnis hatte.304 Auf Anfang April 1939 datiert eine Anzeige mit der Notiz „aufgefallen bei dem Ehrenbuch für Kinderreiche“.305 Im April und Mai 1939 notierte Struben auf mehrere Anzeigen: „aufgefallen bei der Durchsicht der Ehrenkreuze unserer Kartei“.306 Dabei handelt es sich sowohl um Ehrenkreuze für Männer (Ehrenkreuz für Frontkämpfer, seit 2. August 1934 verliehen) als auch für Frauen (Ehrenkreuz der Deutschen Mutter oder Mutterkreuz, seit 18. Dezember 1938 verliehen). Anzeigen durch das Gesundheitsamt aufgrund der „Fürsorgeerziehungskartei“ sind nicht festzustellen. Bei Außenterminen wie Impfungen oder dem schulärztlichen Dienst konnten den Ärzten weitere Verdachtsfälle auffallen. Ein großer Anteil von mindestens 293 Anzeigen stammt von Ärzten aus der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn, wo die meisten Kranken aus den beiden Kreisen in Behandlung waren. Für die Bonner Anstalt, deren Zuständigkeitsbereich der Regierungsbezirk Köln war, liegen Zahlen für die ersten drei Jahre, vom 1. April 1934 bis zum 18. Februar 1937, vor. So vermeldete der Direktor 1010 Anzeigen und 881 Anträge. 825 Beschlüsse des Erbgesundheitsgerichtes sind bejahend ausgefallen, nur 51 abgelehnt worden. 813 Operationen sind durchgeführt worden.307 An der Bonner Rheinischen Provinzial-Kinderanstalt waren im selben Zeitraum weitere 488 Anzeigen erstattet worden. Da es sich um Kinder handelte, wurden lediglich 36 Anträge gestellt. Von 26 Beschlüssen waren 24 bejahend, nur zwei ablehnend. 21 Operationen waren bereits durchgeführt worden.308 Beteiligt war ebenfalls die Außenfürsorge, die sich um die entlassenen Patienten kümmerte. Ihr Leiter Fritz Koester begnügte sich nicht damit, alle ihm ab dem 1. Januar 1934 zur Kenntnis gelangten Verdachtsfälle anzuzeigen. Vielmehr nutzte er die bereits vorhandenen Daten, um von Anfang an besonders gründlich möglichst alle Erbkranken zu erfassen. Er beschrieb seine Arbeit auf einer nicht-öffentlichen Tagung im Mai 1934 so: „Wir haben eine Kartothek, in der sämtliche Fälle aufgeführt sind, die psychisch irgendwie erkrankt gewesen sind oder erkrankt sind. Ich stehe mit sämtlichen Amts- und Kreisärzten in Verbindung, stehe mit ihnen sehr gut, und mit ihnen bespreche ich sämtliche Fälle, die ich kenne und die mir noch zugeführt 303 304 305 306 307 308

Z. B. ARSK LSK 5397/1421 und 1425, LSK 5398/1427, LSK 5418/1527. Anzeige 1939, Sterbedatum 1929: ARSK LSK 5399/1431 und 5438/1628. ARSK LSK 5447/1673. Z. B. ARSK LSK 5447/1674, 5462/1749, 5463/1754, 5464/1756, 5474/1806. ALVR 14856, Geller an OP V D a, 10.3.1937. ALVR 14856, Schmitz an OP V D a, 15.3.1937.

Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

125

werden, und bei denen mache ich Anzeige, – auch über die, die schon früher dagewesen sind. Das geht nicht von heute auf morgen. Ich nehme die dringendsten Fälle, die ich kenne, heraus. Nach und nach erledige ich die sämtlich. Ich habe zwischen 5.000 und 6.000 Kranke in der Kartothek.“309

Angesichts dieser Zahlen ist es erstaunlich, dass von Koester lediglich 18 Anzeigen aus dem Untersuchungsgebiet bekannt sind. Ob es eine Abmachung wie in Breslau gab, nach der die Außenfürsorge die Anzeige und der Amtsarzt den Antrag stellte, ist für Bonn nicht bekannt.310 Vieles spricht dafür, dass so vorgegangen wurde, denn diese Kombination lässt sich für das Untersuchungsgebiet durchaus nachweisen. In 13 Fällen, bei denen die Anzeige durch Koester erfolgte, hat der jeweilige Amtsarzt den Antrag gestellt, in drei Fällen waren die Kranken bereits zu alt und in zwei Fällen stellten der Patient bzw. ein Angehöriger den Antrag. Auf diese Weise könnten bei den anderen Ärzten, die sowohl in der Anstalt als auch in der Außenfürsorge tätig waren, die Patienten der Außenfürsorge erkannt werden. Anzeigen aus der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn (AF = Außenfürsorge) Arzt

Bonn-Land

Siegkreis

Bonn-Stadt

Gesamt

Bernhard Dietrich (AF)

30311

38312

1

69

Gotthard Werner

14

31

k. A.

35

Josef Geller

2

30

1

33

Hans Lewenstein (AF)

7

15

3

25

Ernst Störring (AF)

8

8

2

18

Fritz Koester (AF)

1

17

k. A.

18

Josef Gierlich

k. A.

15

k. A.

15

Günter Elsässer

5

9

1

15

Joachim Linzbach

k. A.

13

k. A.

13

Peter Wittmann

7

4

k. A.

11

Johann-Adam Schall

k. A.

8

k. A.

8

Günter Burkert

k. A.

6

k. A.

6

Karl Vieweger (AF)

k. A.

4

k. A.

4

313

314

315

316

309 Bericht des Deutschen Verbandes für psychische und Rassenhygiene und der Deutschen Anstaltsdirektorenkonferenz am 23.5.1934 in Münster, über den Vollzug des Sterilisierungsgesetzes. Transkription der stenographischen Mitschrift, S. 1, MPIP-HA: GDA, S. 14, zitiert nach Schmuhl, Gesellschaft, S. 219. 310 Zu Breslau Schmuhl, Gesellschaft, S. 220. 311 Davon 16 von der Außenfürsorge. 312 Davon zehn von der Außenfürsorge. 313 Davon drei mit der Schreibweise „Wiener“. 314 Davon drei mit der Schreibweise „Wenner“. 315 Davon einer von der Außenfürsorge. 316 Davon zwölf von der Außenfürsorge.

126

„… Anfang, aber nicht Ende“

Arzt

Bonn-Land

Siegkreis

Bonn-Stadt

Gesamt

Hans Friedrich Schubert

1

k. A.

k. A.

1

Hans Aloys Schmitz (Kinderanstalt)

3

23

k. A.

26

Gesamt

79

217

8

304

Ebenso wie bei den Amtsärzten erfolgte auch bei den Ärzten in der staatlichen Heil- und Pflegeanstalt in Bonn die Anzeige aus der praktischen Arbeit heraus. Sie untersuchten und behandelten – stationär und ambulant – Patienten, die an den im Gesetz genannten Krankheitsbildern litten. Daher hat auch jeder Anstaltsarzt Anzeigen getätigt. Die meisten Anzeigen aus der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn stammen von Bernhard Dietrich, der auch in der Außenfürsorge tätig war317 Er war am 26. Juni 1881 in Fulda als Sohn eines Seminarlehrers geboren und katholisch getauft. Zunächst besuchte er die Schule in Fulda und wechselte 1898, als der Vater Seminardirektor in Münstermaifeld wurde, auf das Gymnasium in Trier und später in Kassel, wo er 1902 das Reifezeugnis erhielt. Anschließend leistete er sein Einjähriges in Erlangen ab. Er studierte zunächst drei Semester Jura in Würzburg, Bonn und Münster, wechselte dann zur Medizin und ging nach Marburg, wo er 1908 die ärztliche Vorprüfung ablegte. Er setzte sein Studium in München, Straßburg und Erlangen fort. 1910 bestand er das Examen. Als Praktikant war er in Erlangen und Frankfurt am Main tätig. Die Approbation erhielt er 1911, im gleichen Jahr erlangte er den Doktorgrad. Er besetzte eine Assistentenstelle an der Heil- und Pflegeanstalt in Münster, von der er im Mai 1913 in die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bedburg-Hau wechselte. Zum 1. April 1914 erfolgte seine Versetzung in die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn. Am Ersten Weltkrieg nahm er in einer „immobilen Einheit“ teil. Seine Vereidigung auf die Weimarer Verfassung fand 1921 in der Heil- und Pflegeanstalt DüsseldorfGrafenberg statt, wo er zum Oberarzt aufstieg. Zum 1. August 1924 war er an die Anstalt in Andernach versetzt worden. Am 1. März 1930 trat er seinen Dienst in der Anstalt in Bonn an. Am 26. August 1939 wurde Dietrich zur Wehrmacht eingezogen. Obwohl er seit dem 1. Februar 1942 wegen seines Dienstes in der Anstalt vom Wehrdienst zurückgestellt war, bat er 1943 den Oberpräsidenten der Rheinprovinz um Freigabe für die Wehrmacht. Dietrich war verheiratet und hatte drei Kinder, einen Jungen und zwei Mädchen (Zwillinge), eines davon erkrankte an Polio. 1947 bat er den Sozialminister von NordrheinWestfalen um eine Dienstverlängerung trotz seines Alters von 66 Jahren. Er verwies auf seine „besonders gelagerten persönlichen Verhältnisse“ und betonte: „Ich lehnte den Nationalsozialismus und den Krieg immer ab.“ Geschädigt durch das „3. Reich“ sei er dadurch, dass sein Sohn seit 1944 vermisst, seine ältere [sic!] Tochter ihr Studium nicht fortsetzen durfte und seine jüngere [sic!] Tochter „durch Kinderlähmung mit rechtsseitiger Lähmung hirngeschädigt“ sei. Dietrich wurde am 1. April 1948 in den Ruhestand versetzt. 317 Psychiatriemuseum, Personalakte Dietrich.

Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

127

An zweiter und dritter Stelle stehen die beiden stellvertretenden Leiter der Anstalt. Da sie selbst Anträge stellen konnten, muten ihre Anzeigen an den Amtsarzt seltsam an. Der Amtsarzt entschied dann meist, dass ein Antrag nicht sinnvoll war. Gotthard Werner318 war am 28. März 1880 in Alt Röhrsdorf (Schlesien) geboren und evangelisch getauft. Er studierte in Breslau, Berlin und Greifswald. Er bestand sein Examen 1904. Wegen einer Famuluszeit an der Berliner Charité sowie in Troppau und Koblenz wurde ihm das praktische Jahr erlassen, so dass er Assistenzarzt in Berlin und Bad Oeynhausen wurde. 1905/06 arbeitete er als Schiffsarzt, dann als Arzt in einer Kuranstalt in Wiesbaden. 1909 begann er als Assistenzarzt seinen Dienst in der Heil- und Pflegeanstalt Düsseldorf-Grafenberg. Ein Jahr später wurde er nach Andernach versetzt, 1911 nach Bedburg-Hau, wo er 1917 zum Oberarzt aufstieg. 1930 beauftragte der Landeshauptmann Werner probeweise mit der Leitung der Heilstätte Fichtenhain bei Krefeld. Diese wurde 1932 aufgelöst und Werner in die Anstalt Süchteln-Johannistal versetzt. Am 11. September 1933 ernannte ihn der Provinzialausschuss zum zweiten stellvertretenden Direktor der Heil- und Pflegeanstalt in Bonn. Werner wurde am 31. Januar 1947 in den Ruhestand versetzt. Josef Geller (1876–1957)319 wurde am 26. April 1876 in Niederzündorf geboren und katholisch getauft. Seine Approbation erhielt er 1899. Er arbeitete wohl zunächst als praktischer Arzt in Hennef. Seine Bewerbung bei der Heil- und Pflegeanstalt Düsseldorf-Grafenberg im Jahr 1900 hatte Erfolg und er konnte als Volontärarzt dort beginnen. Noch im gleichen Jahr nahm er seinen Dienst als Assistenzarzt in der Heilund Pflegeanstalt Düren auf, wo er 1905 zum Oberarzt aufstieg. 1911 erfolgte seine Versetzung nach Düsseldorf-Grafenberg. Ab dem 1. August 1924 war er in der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn tätig und rückte am 1. August 1933 zum Stellvertreter des Direktors der Anstalt auf. Abb. 32  Josef Geller, undatiert Geller wurde am 1. Januar 1947 in den Ruhestand versetzt. Er starb am 5. Februar 1957. Offenbar hat sich die Anstalt nach der Verkündung des Gesetzes auf das Inkrafttreten am 1. Januar 1934 gründlich vorbereitet. Nur so ist es zu erklären, dass ein Arzt, 318 Psychiatriemuseum, Personalakte Werner. 319 Psychiatriemuseum, Personalakte Geller.

128

„… Anfang, aber nicht Ende“

obwohl er nur etwas länger als ein Jahr vor seiner Versetzung dort arbeitete, an vierter Stelle der Anzeigenden steht. Hans Lewenstein, geboren am 15. November 1898 in Dresden320, studierte nach dem Abitur 1917 Medizin und legte 1923 sein Staatsexamen ab. Die Approbation erhielt er 1925. Bis Januar 1926 war er Volontär-Assistent am Pathologischen Institut Bonn, von Februar bis Juni 1926 arbeitete er in Vertretung als praktischer Arzt. Vom 1. Juni 1926 bis 31. Mai 1927 war er Assistenzarzt in der Chirurgischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses in Hagen, vom 1. August 1928 bis 1. April 1930 Assistenzarzt in der Dr. Hertz’schen Kuranstalt für psychisch und nervöse Kranke in Bonn. Am 1. April 1930 wechselte er in der gleichen Funktion in die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn. Am 28. Februar 1932 erfolgte die Promotion und am 1. August 1932 wurde er verbeamtet. Im März 1935 kam es zur Versetzung an die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Johannisthal, wo er 1940 zum Provinzial-Medizinalrat ernannt wurde. Es soll Schwierigkeiten wegen „nichtarischer“ Abstammung väterlicherseits gegeben haben. Nach 1945 setzte er seine Karriere fort. Im Mai 1946 wurde er Direktor der Provinzialanstalt Süchteln, im Februar 1950 der Provinzialanstalt Grafenberg und vom 1. November 1955 bis zum Eintritt in den Ruhestand am 31. Dezember 1963 leitete er die Provinzialanstalt Bonn. Es folgen zwei weitere Anstaltsärzte, die auch in der Außenfürsorge tätig waren und somit eher mit ambulanten Patienten zu tun hatten. Sie wurden aber auch nicht nur zur Nachbetreuung, sondern auch für Gutachten außerhalb des Anstaltsbetriebes angefragt. Ernst Störring könnte mit Gustav Ernst Störring (1903–2000) identisch sein, allerdings stimmen die bekannten Lebensstationen hinsichtlich Bonn in den Jahren 1934 bis 1936 nicht überein. Eine 1927 eingereichte und 1930 erschienene Dissertation über „Die psychogenen Reaktionen bei der Epilepsie“ stammt von Ernst Störring. Eine weitere Veröffentlichung von 1938 lautet „Die Störungen des Persönlichkeitsbewußtseins bei manisch-depressiven Erkrankungen“. Aber schon 1936 waren auch Publikationen unter dem Namen Gustav Ernst Störring erschienen. 1934 gab Ernst Störring an der Bonner Universität eine Lehrveranstaltung unter dem Titel „Demonstrationen zum ‚Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses‘ für Mediziner und Juristen“.321 Ein Privatdozent Ernst Störring erscheint 1934 bis 1936 in zehn Fällen als Anzeigender und wird als Arzt der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn bezeichnet. Friedrich „Fritz“ Koester322 war am 1. September 1886 als Sohn eines Hauptlehrers in Atzbach (Kreis Wetzlar) geboren. Der Protestant besuchte das Gymnasium in Gießen, wo er 1903 das Abitur ablegte. Er studierte zunächst in Halle Klassische Philologie, wechselte dann zur Medizin und setzte das Studium in Heidelberg, Berlin und Gießen fort. 1909 bestand er das Physikum. 1909 absolvierte er seinen Militärdienst in Kiel, wo er anschließend auch die klinischen Semester ableistete. Im Wintersemester 1911/12 320 Orth, Direktoren, S. 71. 321 Forsbach, Fakultät, S. 452. 322 Psychiatriemuseum, Personalakte Koester.

Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

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bestand er sein Staatsexamen und promovierte im Februar 1912. Das praktische Jahr trat er in Sahlenburg bei Cuxhaven an und ging dann nach Hamm in Westfalen. Er wechselte an eine Kuranstalt in Ebenhausen bei München, als diese schloss, kehrte er nach Hamm zurück. Der Eintritt in den Dienst der Provinzialverwaltung als Assistenzarzt in Düsseldorf-Grafenberg datiert vom 1. Oktober 1913. Er nahm von 1914 bis 1918 am Ersten Weltkrieg teil. Kurz vor der Entlassung aus dem Militärdienst war er an die Heil- und Pflegeanstalt Düren, wo er 1922 zum Oberarzt aufstieg, und zum 1. April 1925 schließlich an die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn versetzt worden. Im Dezember 1933 meldete der Landeshauptmann Koester zu einem „erbbiologisch-rassenhygienischen Lehrgang“ in München an, der unter der Leitung von Professor Ernst Rüdin (1874–1952) durch die Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie durchgeführt wurde. In Bonn bestellte ihn der Landgerichtspräsident am 27. Februar 1934 zum ordentlichen ärztlichen Mitglied des Erbgesundheitsgerichtes. Koester war zur gleichen Zeit der Leiter der Außenfürsorge und als solcher sorgte er dafür, dass auch die aus der Anstalt entlassenen Patienten angezeigt wurden. Ab dem 1. März 1935 nahm er die Stelle eines Chefarztes an der Heilstätte Roderbirken bei Leichlingen wahr und trat dafür in den Dienst der Landesversicherungsanstalt. Sein Eintritt in die NSDAP datiert auf den 1. August 1935 (Mitgliedsnummer 3.672.809). 1941 befand er sich bei der Wehrmacht. Seine Chefarzttätigkeit endete dort 1946. Zwei weitere Ärzte gehörten einer jüngeren Generation von Ärzten an, die ihre ersten Stellen an der Anstalt erhalten hatten und damit auf der untersten Stufe der Karriereleiter standen. Josef Gierlich (1906–1981)323 wurde am 15. August 1906 in Neuss als Sohn eines Elektroingenieurs geboren und katholisch getauft. Er arbeitete nach dem Medizinstudium zunächst am Pathologischen Institut in Nürnberg. Sein Eintritt in die NSDAP datiert auf den 1. Mai 1933 (Mitgliedsnummer 2.324.622). 1934 kam er nach Bonn, wo er ein halbes Jahr am Gerichtsärztlichen Institut (heute Institut für Rechtsmedizin) beschäftigt war. Zum 1. Juni 1936 erhielt er eine Assistenzarztstelle in Bonn. Im Februar 1937 war er Abteilungsarzt der Siechenabteilung. Am 3. Juni 1938 erfolgte die Ernennung zum Anstaltsarzt. In einer Beurteilung Gellers von 1939 wird er als Stationsarzt der großen Männeraufnahme und der angeschlossenen therapeutischen Abteilung bezeichnet. Außerdem war er Prosektor der Anstalt und hielt Pflegerausbildungskurse ab. Er sei „erbbiologisch geschult“ und ein „zuverlässiger Gutachter“. In einer weiteren Bescheinigung Gellers von 1943 wird er auch als Prosektor für die Nervenklinik und die Landesklinik für Jugendpsychiatrie bezeichnet, wo 300–400 Sektionen pro Jahr anfielen. Im März 1945 verlor er seine Frau und drei Kinder. Vom 21. Juli 1945 bis zum 4. Februar 1946 befand sich Gierlich im Internierungslager Recklinghausen. Die britische Militärregierung entschied, dass er in einem Krankenhaus eingestellt werden durfte, aber keine Stelle mit großem Einfluss erhalten solle. Er entschied sich, seine Stelle in der Heil- und Pflegeanstalt 323 Psychiatriemuseum, Personalakte Gierlich; Forsbach, Fakultät, S. 123.

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aufzugeben, kündigte zum 30. September 1947 und praktizierte in Bonn als Facharzt für Nervenkrankheiten und Gemütsleiden. Günter Elsässer324 (1907–1999) studierte zwischen 1926 und 1933 in Göttingen, Freiburg, Halle und Berlin, wo er 1934 promoviert wurde. Seit dem 1. Juni 1935 war er in der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn tätig, seit 1937 auch als Beisitzer im Erbgesundheitsgericht. Auf den 1. Mai 1937 datiert seine Mitgliedschaft in der NSDAP (Mitgliedsnummer 4.195.684). Elsässer habilitierte sich 1944 in Bonn, seine Habilitationsschrift behandelte das Thema: „Nachkommen endogen geisteskranker Elternpaare. Beiträge zur psychiatrischen Erb- u. Krankheitslehre. Teil 1 Die Nachkommen schizophrener Elternpaare“.325 Nach 1945 erklärte er offen, dass er die „erbpflegerischen Bestrebungen des National-Sozialismus […] begrüsst“ habe, er sich jedoch „darüber klar war, dass die wissenschaftlichen Grundlagen dafür in vielen Einzelheiten noch erarbeitet werden müssten“.326 Seiner Karriere tat dies keinen Abbruch. 1949 wurde er außerplanmäßiger Professor in Bonn. Weitere anzeigende Ärzte waren Günter Burkert (geb. 1909), Joachim Linzbach (geb. 1877), Johann-Adam Schall (1909–1988), Hans Friedrich Schubert (1908–1977) und Peter Wittmann (1907–1974). Die Anzeige aus der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn an das Gesundheitsamt, in dessen Bezirk der Wohnort des Betroffenen liegt, erfolgte zumeist lediglich zur Information und Dokumentation. Der Amtsarzt musste dann nicht mehr tätig werden. Die Untersuchung durch einen Arzt der Anstalt war dann schon erfolgt. Er war auch der Anzeigende. In einigen Fällen erhielt der Amtsarzt sowohl die Anzeige als auch den Antrag. Letzteren leitete er nach Kenntnisnahme an das Gericht weiter. Da der Leiter der Anstalt ohne den Umweg über den Amtsarzt direkt den Antrag auf Unfruchtbarmachung an das Erbgesundheitsgericht stellen konnte und dies auch nutzte, trägt dieser in der Regel dasselbe Datum wie die Anzeige. Antragsteller wiederum war in den allermeisten Fällen (1934–1942) der stellvertretende Direktor Josef Geller, aber in den ersten Jahren (1934–1936) auch der zweite stellvertretende Direktor Gotthard Werner. Das Gesundheitsamt nahm die Anzeige aus der Anstalt zur Kenntnis, vergab eine laufende „EK“-Nummer und legte eine Akte an. Wenn das Verfahren beim Erbgesundheitsgericht beendet war, kam die Akte des Gerichtes zum Gesundheitsamt, in dessen Bezirk der Betroffene wohnte. Wechselte er den Wohnsitz, wurde die Gerichtsakte an das dort zuständige Gesundheitsamt abgegeben. Aus diesem Grund gibt es Erbgesundheitsakten des Gesundheitsamtes für den Siegkreis, die nur noch die Anzeige und wenig Schriftverkehr des Gesundheitsamtes aufweisen. Im Gesundheitsamt für den Landkreis Bonn sind diese Akten offenbar vernichtet worden. Anzeigen, die aus der Arbeit der Fürsorgestelle der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn bzw. dem Psychiatrischen Außendienst stammen, sind schwer von denen 324 Kaul, Elsässer; Forsbach, Fakultät, S. 221–224. 325 Elsässer, Nachkommen. 326 Forsbach, Fakultät, S. 224.

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der eigentlichen Anstalt zu unterscheiden, weil die Ärzte wie Bernhard Dietrich auch in der Anstalt tätig waren. Eindeutig ist es bei Karl Vieweger.327 Anzeigen aus anderen Heil- und Pflegeanstalten gingen an das Gesundheitsamt, in dessen Bezirk der jeweilige Patient zuletzt seinen Wohnsitz hatte. So kommen Anzeigen aus den Provinzial-Heil- und Pflegeanstalten Bedburg-Hau328 und Düren329, SüchtelnJohannistal330, aus den konfessionellen Anstalten Ensen331 (Köln), Hausen332, Linz333, Niederfell-Kühr334, Waldbreitbach335, Waldniel336 und Kloster Hoven bei Zülpich337. Auch außerhalb des Rheinlandes waren Patienten aus dem Untersuchungsgebiet untergebracht: in Bethel338, Göttingen339, in den Landesheilanstalten Hildburghausen340, Neuhaldens­ leben341, Marburg342 und Weilmünster343. Andere Einrichtungen der Provinzialverwaltung waren: Arbeitsanstalt – Heim für entmündigte Trinker – in Brauweiler (heute Pulheim)344, die Provinzial-Taubstummenanstalt Euskirchen345 und die Taubstummenanstalt Köln346. Anzeigen erreichten das Gesundheitsamt auch aus Erziehungsanstalten wie der Provinzial-Erziehungsanstalt Euskirchen.347 Hier war Max Lückerath348 (1872–1937) tätig, zunächst im Heil- und Pflegeanstaltsdienst, u. a. als Oberarzt in der ProvinzialHeil- und Pflegeanstalt Bonn. Seit dem 1. Januar 1913 war er Landespsychiater und von 1921 bis 1937 leitender Direktor der Provinzial-Erziehungsanstalt Euskirchen. Weitere Anzeigen kamen aus dem Franz-Sales-Haus Essen349 und aus dem St. Raphaelshaus Dormagen350. 327 328 329 330 331 332 333 334 335 336 337 338 339 340 341 342 343 344 345 346 347 348 349 350

ARSK LSK 5355/1211 und 1212, 5361/1244 und 1255. ARSK LSK 5124/63, 5258/730. ARSK LSK 5188/376. ARSK LSK 5197/424. ARSK LSK 5189/381, 5226/569. ARSK LSK 5561/2243. ARSK LKB 6765. ARSK LKB 6594, 6768, 6595. ARSK LKB 6954, LSK 5115/19, 5126/71, 5158/234, 5165/262, 5166/266, 5177/325, 5178/326, 5182/349, 5242/648. ARSK LSK 5282/847. ARSK LSK 5283/853. ARSK LKB 6586/244, LSK 5409/1481. ARSK LSK 5572/2300, 5574/2308. ARSK LSK 5159/240. ARSK LSK 5567/2272. ARSK LSK 5380/1336. ARSK LSK 5300/940. StA Bonn Pr 50/873. ARSK LKB 6674, LSK 5188/378. ARSK LSK 5122/55–56. ARSK LKB 6616, LSK 5351/1193. ALVR 18208, Personalakte; Nachruf in: Die Rheinprovinz 13 (1937), Nr. 2, S. 207; nach Steinacker, Staat, S. 107. ARSK LSK 5123/57. ARSK LSK 5372/1299.

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Die Zahl der Anzeigen aus den verschiedenen Kliniken der Universität Bonn war sehr unterschiedlich. Hauptsächlich waren hier die Ärzte der Psychiatrischen und Nervenklinik aktiv, die anderen Kliniken hielten sich zurück. Angezeigt wurden Patienten der Kinderklinik, der Chirurgischen Klinik und der Augenklinik. Ein unbekannter Arzt der Universitäts-Kinderklinik zeigte 1935 ein einjähriges Mädchen wegen „mongoloider Idiotie“ an.351 Hans Fuß (1897–1962), Assistenzarzt in der Chirurgischen Universitätsklinik, zeigte am 31. Juli 1935 drei Familienmitglieder wegen einer unbekannten schweren erblichen körperlichen Missbildung an. Während – vermutlich – die Mutter mit 53 Jahren „wegen zu hohen Alters“ zurückgestellt wurde, erfolgte ohne Angabe von Gründen bei allen dreien kein Antrag.352 Ein nicht genannter Arzt der Augenklinik zeigte am 17. September 1936 einen achtjährigen Jungen wegen erblicher Blindheit an. Der Fall wurde auf Wiedervorlage gelegt und war für 1942 vorgesehen. Es ist nicht bekannt, ob eine erneute Untersuchung stattfand und ein Antrag gestellt wurde.353 Von den Ärzten der Nervenklinik wurden mindestens 34 Personen angezeigt, darunter von Florin Laubenthal (1903–1964) 20, Herbert Otto Mäurer (1908–1967) zwölf und Wilhelm Geller zwei. Die meisten Anzeigen lassen sich bei Florin Laubenthal354 nachweisen. Er wurde 1903 in Mayen geboren, besuchte dort die Volksschule von 1909 bis 1913, dann das Gymnasium von 1913 bis 1922. Es folgte bis 1927 das Studium an der Universität Bonn, zwischenzeitlich 1925 an der Universität München. Das Examen bestand er 1927, die Promotion folgte 1929, die Habilitation 1937. Ab 1938 war er Dozent, 1944 außerplanmäßiger Professor. Nach seiner Praktikantenzeit in Kemperhof Koblenz 1927 und der Kinderanstalt für seelisch Abnorme Bonn 1928 arbeitete er als Abteilungsarzt in der Hirnverletztenabteilung der Provinzialanstalt unter Löwenstein. Dann wechselte er 1930 als Volontärassistent in die Nervenklinik, wo er 1933 zum Oberarzt aufstieg. 1939 erhielt er die ärztliche Sonderführung bei der Auflösung der Station für Hirnverletzte an der Nervenklinik übertragen. Bis Kriegsende vertrat er den Leiter der Nervenklinik Kurt Pohlisch (1893–1955). Aus der 1931 geschlossenen Ehe entstammten vier Kinder, von denen eins früh starb. Politisch stand Laubenthal als Katholik vor 1933 dem Zentrum nahe. Außerdem war er Mitglied des wissenschaftlichen katholischen Studentenvereins Unitas-Salia. 1937/38 trat er in die NSDAP ein, nachdem er bereits seit 1933 SA-Anwärter war. Er trat zudem dem NS-Dozentenbund, DLV, NSFK, NSV, NS-Ärztebund, Reichskolonialbund und dem Reichsluftschutzbund (RLB) bei. Seit 1936 war er Beisitzer im Erbgesundheitsgericht Bonn. Bei der Entnazifizierung wurde er zunächst 1947 in die Kategorie IV und nach der Aufhebung im gleichen Jahr bei erneuter Prüfung in die Kategorie V eingestuft. Zu seiner Entlastung trugen die Aussagen des Kirchenhistorikers Wilhelm Neuß (1880–1960) 351 352 353 354

ARSK LKB 6586/11. ARSK LKB 6586/68–70. ARSK LKB 6586/240. Forsbach, Fakultät, S. 207.

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und des Theologen und Dekans Werner Schöllgen (1893–1985) bei. Schöllgen betonte, dass Laubenthal den gesellschaftlichen Verkehr auch nach der Veröffentlichung von Schöllgens Buch („Vererbung und sittliche Freiheit“) und den anschließenden Hausdurchsuchungen „demonstrativ aufrecht“ hielt und bezüglich der „Euthanasie“ „offen und eindeutig seinen ablehnenden Standpunkt“ kundtat. Landgerichtsdirektor Hermann Pomp, Patient und Landwirt Caspar Frizen, Orgelbaumeister Hans Klais (1890–1965) und die Oberschwester Hiltrud Franke setzten sich ebenfalls für ihn ein. Herbert Otto Mäurer355 wurde 1908 in Bad Ems geboren. Von ihm stammen weitere zwölf Anzeigen. Er besuchte von 1914 bis 1918 die evangelische Volksschule in Koblenz und von 1918 bis 1927 das Realgymnasium Koblenz. Von 1927 bis 1932 studierte er an den Universitäten Tübingen, Berlin, Innsbruck, Wien und Frankfurt am Main. Seine erste Tätigkeit begann er 1933 in der Nervenklinik in Bonn, 1934 erfolgte seine Promotion in Frankfurt am Main. Er trat bereits frühzeitig der NSDAP bei, am 1. August 1932. Hinzu kamen Mitgliedschaften in der SA, im NS-Dozentenbund, in der NSV, im NS-Ärztebund, im NS-Altherrenbund, im Reichskolonialbund, im Reichsluftschutzbund und in der Gesellschaft deutscher Neurologen und Psychiater. 1941 wurde er zur Wehrmacht eingezogen, wo er als Oberarzt und Stabsarzt tätig war. 1945 befand er sich als Kriegsgefangener in Italien. Bei seiner Entnazifizierung 1947 wurde er in die Kategorie V eingestuft. Zur Entlastung hatte ihn die Sekretärin von Pohlisch als „idealistisch“ bezeichnet und der Oberpfleger Max Schichor erklärte, er habe „noch in den letzten Jahren vor seiner Einziehung zum Militär hier auch noch Juden in der Klinik behandelt“. Ebenso äußerte sich Maria Kissener. Aus der Gerichtsmedizin, die Gutachten bei Straf- und Zivilprozessen erstellte, in denen die Schuldfähigkeit der Untersuchungsgefangenen und Angeklagten festgestellt wurde, kamen ebenfalls Anzeigen, vor allem vom Leiter der Bonner Gerichtsmedizin Friedrich Pietrusky. Auch Personen, die sich in Krankenhäusern befanden, konnten von den dort praktizierenden Ärzten angezeigt werden. Robert Bruch (1903–1974), Facharzt für Innere Krankheiten und Leiter der Inneren Abteilung im städtischen Krankenhaus in Siegburg, zeigte 1936/37 namentlich fünf Patienten an: einen Mann wegen Schizophrenie356 und vier Personen wegen erblicher Fallsucht.357 Der Leiter der Chirurgischen Abteilung Franz Steber (1885–1956) zeigte als „Krüppelfürsorgearzt“ im Februar 1939 zwei nicht einmal einjährige Kinder wegen schwerer erblicher körperlicher Missbildungen an.358 Der leitende Arzt des Krankenhauses in Dattenfeld (heute Windeck), Carl Molly, zeigte zusammen mit einer Hebamme ein Kind wegen körperlicher Missbildung an. Ein Antrag ist nicht nachweisbar.359 Ein unbekannter Arzt aus dem Bonner Marienhospital zeigte am 29. Juli 1937 eine Frau wegen erblicher Fallsucht an. Der stellvertretende Amts355 356 357 358 359

Forsbach, Fakultät, S. 206 f. ARSK LSK 5297/922 ARSK LSK 5273/805, 5278/827, 5300/937, 5304/957. ARSK LSK 5466/1767, 5467/1772. ARSK LSK 5197/425.

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Abb. 33  Dattenfeld (heute Gemeinde Windeck), St. Josephkloster, Blick von der Gartenanlage auf die Frontseite des Gebäudes, Ansichtskarte, undatiert

arzt Esser stellte einen Antrag, dem das Gericht folgte, so dass die Frau 1939 in der Bonner Universitäts-Frauenklinik sterilisiert wurde.360 Am 12. März 1935 zeigte der Arzt Richard Bunge aus dem Bonner JohanniterKrankenhaus einen Patienten wegen „angeborenen Schwachsinns“ an. Dem Antrag des stellvertretenden Amtsarztes Bierbaum folgte das Gericht, so dass der Mann 1937 unfruchtbar gemacht wurde.361 Der Arzt Peter Klassen scheint Belegbetten sowohl im St. Petrus-Krankenhaus362 als auch im St. Elisabeth-Krankenhaus363 gehabt zu haben. Auch die niedergelassene Ärzteschaft beteiligte sich an den Anzeigen. Bekannt ist beispielsweise das Vorgehen der Kinderärztin Luise Baare (1894–1989). Sie praktizierte seit 1924 in Siegburg.364 Am 1. Mai 1933 trat Baare in die NSDAP ein (Mitgliedsnummer 2.118.498). Von ihr sind zehn Anzeigen erhalten, wovon zwei Anträge vom Gericht abgelehnt wurden.365 In den 1950er Jahren betreute sie die Kinderabteilung im städtischen Krankenhaus. Sie wurde mit dem Bundesverdienstkreuz und dem silbernen Ehrenschild der Stadt Siegburg ausgezeichnet. Sie starb 1989. Ein weiteres Parteimitglied war 360 361 362 363 364 365

ARSK LKB 6735. ARSK LKB 6843. ARSK LSK 5394/1410. ARSK LSK 5393/1405. Klug, Ärztin. ARSK LSK 5201/442, 5216/516.

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der in Eitorf praktizierende und auch im dortigen Krankenhaus tätige Hugo Klein. Als Kreisamtsleiter für Volksgesundheit für den Siegkreis nahm er in der Partei und Ärzteschaft eine herausragende Position ein. Von ihm stammen nachweisbar 20 Anzeigen. In Bonn gab es drei Versorgungsheime bzw. konzessionierte Privat-KrankenAnstalten, deren leitende Ärzte nicht nur ihre Patienten anzeigten. Zwei von ihnen wirkten auch im Erbgesundheitsgericht als approbierte Ärzte mit. In der „Dr. Hertz’schen Privatklinik für Nerven- und Gemütskranke“, Kreuzbergweg 4366, war Alexander Wilhelmy (1868–1952) leitender Arzt. Er zeigte am 16. Juli 1936 einen Mann wegen „Irreseins“ an, der daraufhin unfruchtbar gemacht wurde.367 Eine weitere Anzeige gegen eine Patientin wegen Schizophrenie erfolgte im Juli 1937. Der Amtsarzt stellte aber keinen Antrag, da bereits Wilhelmy „noch nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen“ konnte, ob die Krankheit erblich oder von außen hervorgerufen war, und „da eine Fortpflanzungsgefahr wohl kaum vorliegt.“368 Im Juni 1940 zeigte er einen Patienten wegen schweren Alkoholismus’ an. Da dieser jedoch verzog, verfolgte das Gesundheitsamt den Fall nicht weiter.369 Einen weiteren Patienten zeigte Wilhelmy im November 1941 wegen Schizophrenie an. Hier stellte das Gesundheitsamt einen Antrag, so dass der Mann sterilisiert wurde.370 Ein nicht weiter bekannter Arzt Humberg zeigte 1938 eine Patientin wegen Schizophrenie an. Da die Diagnose nicht gesichert schien, stellte das Gesundheitsamt keinen Antrag.371 In zwei Fällen fehlen die Anzeigen, die Betroffenen befanden sich aber in der Privatklinik. 1935 wurde eine Patientin von der Klinik wegen erblicher Fallsucht angezeigt. Das Verfahren wurde wegen des hohen Alters der Frau eingestellt.372 Ein Mann, der dort wohnte, wurde 1936 wegen Schizophrenie sterilisiert.373 Leitender Arzt des Sanatoriums für Nerven- und Gemütskranke, Entziehungskuren, Bonner Talweg 57/63 (früher Heilanstalt Pützchen)374 war der Sanitätsrat Alfred Peipers (1867–1948). Im Januar 1938 zeigte er ein eineinhalb Monate altes Mädchen wegen „schwerer erblicher körperlicher Missbildung“ an. Aufgrund des Alters blieb der Fall einer Wiedervorlage für das Jahr 1950 vorbehalten.375 Peipers stellte am 13. Mai 1937 den Antrag, einen Patienten wegen Schizophrenie unfruchtbar zu machen. Die Anzeige ist nicht erhalten. Der Antrag erwies sich aber vor Gericht als unzulässig, weil der Patient

366 367 368 369 370 371 372 373 374 375

Adressbuch Bonn 1936, S. 51. ARSK LKB 6832. ARSK LSK 5341/1141. ARSK LSK 5564/2258. ARSK LSK 5571/2295. ARSK LSK 5353/1204. ARSK LKB 6586/370. ARSK LKB 6839. Adressbuch Bonn 1936, S. 51; zur Geschichte Neu, Arbeitsanstalt. ARSK LSK 5294/906.

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zum Zeitpunkt des Einganges des Antrages bei Gericht schon nicht mehr im Sanatorium gewesen war. Einen weiteren Antrag des Gesundheitsamtes lehnte das Gericht ab.376 Eine weitere Einrichtung war die „St. Paulus-Kuranstalt für nerven- und gemütskranke Herren (Alexianer-Brüder, früher San.[itäts.]Rat. Dr. von der Helm)“, Sebastianstraße 180/182377, auch Paulusheim genannt. Der leitende Arzt Otto J. Weiß, geboren 1901 in Stuttgart, zeigte im Juni378 und im August 1935379 zwei Männer wegen Schizophrenie an, die beide sterilisiert wurden. Im Februar 1937 zeigte er einen Mann wegen „angeborenen Schwachsinns“ an, der auch unfruchtbar gemacht wurde.380 Eine Frau, die ihren Wohnsitz im Paulusheim hatte, wurde wegen Schizophrenie 1937 sterilisiert. Die Anzeige zu diesem Fall fehlt.381 Eine weitere Frau wurde 1941 wegen „angeborenen Schwachsinns“ angezeigt. Hier schrieb Weiß das Gutachten. Auch sie wurde im gleichen Jahr sterilisiert.382 In beiden Kreisen existierten Strafanstalten, in Bonn-Land in Rheinbach und im Siegkreis in Siegburg. Hinzu kam die Strafanstalt in Bonn. Weitere Betroffene, die aus den beiden Kreisen stammten, waren in anderen Strafanstalten inhaftiert. Bei den beiden Anstalten in den Kreisen ist zunächst festzustellen, dass es Unterschiede bei den Anzeigenden gibt. Während der hauptamtliche Anstaltsarzt von Rheinbach Klinkenberg 42 und sein Vertreter Willibald Schmidt weitere drei von 53 Anzeigen aus der Strafanstalt Rheinbach an das Gesundheitsamt übermittelten, kamen von dem nebenamtlichen Anstaltsarzt von Siegburg Hohn lediglich neun von 160 Anzeigen.383 Umgekehrt sah es dementsprechend bei den Leitern der Strafanstalten aus: In Rheinbach gab es nur drei Anzeigen des Leiters, in Siegburg stellten die beiden Leiter Paul Cremer und Ewald Rehbein zusammen 129 Anzeigen. Leiter der Strafanstalt Bonn war Christian Möhl, der zwischen 1934 und 1937 vier Anzeigen und 28 Anträge schrieb. Sein Vertreter Peter Nick lässt sich für 1935 bis 1937 nachweisen. Von ihm ist keine namentliche Anzeige überliefert, aber acht Anträge. In der Strafanstalt Bonn waren es die nebenamtlich tätigen stellvertretenden Amtsärzte von Bonn-Stadt Willi Crome in den Jahren von 1934 bis 1937 (mindestens zwei Anzeigen als Gefängnisarzt) und Bonn-Land Alfred Esser in den Jahren von 1938 bis 1945 (mindestens eine Anzeige), die Diagnosen und Anzeigen stellten. Anzeigen von Hebammen lassen sich kaum nachweisen. In Much zeigte im Juli 1935 eine Hebamme einen Fall von schwerer erblicher körperlicher Missbildung an. Das Kind 376 377 378 379 380 381 382 383

ARSK LKB 6637. Adressbuch Bonn 1936, S. 51. ARSK LKB 6880. ARSK LKB 6873. ARSK LSK 5307/973. ARSK LKB 6672. ARSK LKB 6971. Der gleiche Schmidt half Juden 1939 bei der Flucht ins Ausland. Dazu Mies, Nachbarn, S. 59.

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verstarb aber bereits im September 1935.384 Im Fall eines Jungen, der 1935 wegen schwerer erblicher körperlicher Missbildung in Windeck angezeigt worden war, hatte die Hebamme bereits zwei Tage nach der Geburt eine Meldung an das Jugendamt abgegeben.385 Beteiligt waren Hebammen bei Ermittlungen des Gesundheitsamtes oder des Gerichtes, wenn sie über umstrittene Geburtsumstände Bericht erstatten sollten.386 Mit der Einführung der Wehrpflicht und insbesondere nach Kriegsausbruch stiegen die Anzeigen von Musterungskommissionen und Militärärzten.387 Die Beantragung von staatlicher Hilfe bei Invalidität konnte eine Anzeige der Landesversicherungsanstalt auslösen.388 Anzeigen durch sonstige Institutionen sind nur in geringem Umfang feststellbar. In zwei Fällen zeigte das Kreisjugendamt Bonn an389, in einem Fall das von Neuwied.390 Anzeigen von Mitgliedern der NSDAP, ihrer Gliederungen und den angeschlossenen Verbänden kamen selten vor. Die NSDAP-Ortsgruppe Rheinbach zeigte zusammen mit der NS-Gemeindeschwester am 8. September 1936 eine spinale Kinderlähmung als schwere erbliche körperliche Missbildung an. Das Gesundheitsamt stellte den Fall zurück.391 Die NSDAP Ortsgruppe Duisdorf erstattete über das Amt für Volkswohlfahrt Anzeige gegen einen 15-Jährigen wegen „angeborenen Schwachsinns“. Ob ein Antrag erfolgte, ist unbekannt.392 Das Amt für Volkswohlfahrt der NSDAP im Siegkreis zeigte 1936 ein zweijähriges Mädchen wegen „schwerer erblicher körperlicher Missbildung“ an. Das Gesundheitsamt legte die Wiedervorlage für 1947 fest.393 Eine unbekannte Privatperson meldete im Januar 1937 einer NSV-Ortsgruppe eine 40-jährige Frau wegen Schizophrenie. Die NSV gab die Meldung im Februar 1937 weiter. Der Antrag erfolgte aus der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt. Das Gericht beschloss die Sterilisierung, die noch im gleichen Jahr geschah.394 Fünf Meldungen mehrerer Parteifunktionäre sind in den Akten der Amtsverwaltung Duisdorf überliefert.395 Zwei Blockleiter und zwei Zellenleiter hatten sie im Laufe des Dezembers 1936 an den Ortsgruppenleiter Werner Zeppenfeld (1897–1954)396, der gleichzeitig Amtsbürgermeister war, gesandt. Dieser hatte sie am 31. Dezember 1936 dem Gesundheitsamt „vorgelegt mit der Bitte, das Erforderliche zu veranlassen.“ 384 385 386 387 388 389 390 391 392 393 394 395 396

ARSK LSK 5205/464. ARSK LSK 5197/425. ARSK LSK 5422/1548. Z. B. ARSK LKB 6586/72, 6586/74, 6586/251, LSK 5354/1207–1209, 5356/1220, 5357/1221–1223. ARSK LKB 6635, 6586/7, 6586/179. Z. B. ARSK LKB 6586/2, 6586/12. ARSK LSK 5251/695. ARSK LKB 6634/2. ARSK LKB 6766. ARSK LSK 5264/756. ARSK LSK 5306/968. StA Bonn Du 903. Bothien, Bonn, S. 56 f.

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„… Anfang, aber nicht Ende“

Darunter befindet sich eine Meldung, die eine Erbkrankheit in Verbindung mit der Einstellung zum Nationalsozialismus bringt, möglicherweise aber einen privaten oder politischen Konflikt zur Ursache hatte. Der Blockleiter Heinrich M. meldete: „Ich wohne bei dem Vg. Peter S., Alfter, […] als Mieter. S. hat einen Sohn von 13 Jahren. Derselbe leidet seit einigen Jahren an einer Krankheit (Epilepsie) und ist manchmal in seinem Benehmen wie ein Idiot. Soviel ich erfahren konnte, legt der Junge auch in der Schule gegen seinen Lehrer ein Benehmen an den Tag, das nicht dem eines normalen Menschen entspricht. Nach meinen Feststellungen ist das bei dem Jungen eine erbliche Krankheit, da der Großvater desselben, wohnhaft in Duisdorf, auch schon seit mehreren Jahren an Irrsinn leidet. Es wäre hier nun angebracht, den Jungen durch einen vom Rassenpolitischen Amt zuständigen Arzt untersuchen zu lassen und evtl. das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses in Anwendung zu bringen. Der Vater des Jungen kann sich auch nicht mit dem Nationalsozialismus in Einverständnis bringen, welches auch auf eine blutsmässige ungesunde Erbanlage schliessen lässt.“397

Im Fall des S. lag dem Amt bereits eine Anzeige eines niedergelassenen Arztes aus Roisdorf vom 30. Dezember 1935 vor.398 Weitere Angaben finden sich nicht. Einer der Zellenleiter forderte einen Schwangerschaftsabbruch: „Ich habe erfahren, und auch dem Äusseren nach festgestellt, dass die 21 Jahre alte, ledige Tochter Elli des Pg. L., Duisdorf, Altestr. […], schwanger ist. Da nun dieses Mädchen geistig minderwertig ist, halte ich es für angebracht, dass dieses Kind nicht zur Welt kommt[,] und bitte Sie, die hierfür erforderlichen Schritte zu unternehmen.“

Tatsächlich erfolgte eine Anzeige durch den stellvertretenden Amtsarzt schon am 9. Dezember 1936. Der geforderte Schwangerschaftsabbruch fand nicht statt, das Kind kam am 17. April 1937 auf die Welt. Einen Antrag stellte aber erst am 25. Juni 1937 sein Nachfolger Esser. Dieser führte zur Unfruchtbarmachung der Frau.399 Ein Blockleiter meldete „im Interesse des gesunden Volkstums“ gleich drei angeblich erbkranke Familien, von denen mindestens eine Person bereits 1935 angezeigt und sterilisiert worden war.400 Diese Beispiele offenbaren, dass weitere Meldungen an das Gesundheitsamt zwar von Mitgliedern der Partei ausgingen und von der – in diesem Fall personenidentischen – Kommunalverwaltung weitergegeben wurden, diese als Anzeigende jedoch letztlich nicht auftauchten. Zum einen, weil es bereits vorher eine Anzeige gegeben hatte, zum anderen, weil die Anzeigen, die nicht zu einem Antrag führten, für den Landkreis Bonn nicht überliefert sind. 397 398 399 400

StA Bonn Du 903. ARSK LKB 6586/146. ARSK LKB 6795, 6586/284. ARSK LKB 6868.

Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

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Selbstanzeigen sind keine nachweisbar, sie waren im Gesetz und in den Durchführungsverordnungen auch nicht vorgesehen. In einem Fall bat ein Vater eine Hebamme, seinen Sohn anzuzeigen.401 Bei den sehr wenigen Anträgen von Betroffenen und ihren Angehörigen als gesetzliche Vertreter oder von Vormündern waren die Anzeigen an den Amtsarzt durch (Anstalts-) Ärzte erfolgt, die bei Untersuchungen vermeintliche Erbkrankheiten gefunden hatten. 3.4.2 Auf dem rassenhygienischen Prüfstand: Anträge und Gutachten Die Berechtigung, einen Antrag auf Unfruchtbarmachung zu stellen, hatte nur ein bestimmter Personenkreis. Laut dem Gesetzestext stand an erster Stelle „derjenige, der unfruchtbar gemacht werden soll.“402 Bei Geschäftsunfähigkeit, Entmündigung oder Minderjährigkeit war der gesetzliche Vertreter berechtigt, benötigte dafür jedoch die Zustimmung des Vormundschaftsgerichtes. War ein Pfleger eingesetzt, musste dieser dem Antrag zustimmen. Antragsberechtigt waren außerdem „der beamtete Arzt“ und für Insassen einer „Kranken-, Heil- oder Pflegeanstalt oder einer Strafanstalt“ der Anstaltsleiter. Selbstanträge waren jedoch äußerst selten. Für einen Antrag brauchte der Betroffene schon Hilfe, entweder das Zeugnis von Angehörigen oder von Ärzten. Bei Kranken hatte bereits eine Untersuchung und möglicherweise auch eine Behandlung stattgefunden, so dass hier der Arzt ihn und seine Angehörigen über die Möglichkeit der Unfruchtbarmachung „aufklärte“. Inwieweit hier zum folgenden Selbstantrag gelenkt wurde, lässt sich nicht feststellen. In einem Fall erfolgte der Selbstantrag, allerdings nicht um die Volksgesundheit zu erhalten, sondern weil aus persönlichen Gründen eine Schwangerschaft unerwünscht war. Die 1911 geborene Valeria B. aus Troisdorf war 1935 in ihrer ersten Ehe Mutter geworden. Nach ihrer Scheidung und einer erneuten Heirat war sie nach einer Überweisung ihres Hausarztes am 31. Mai 1937 untersucht worden, wobei „eine Muskeldystrophie mit bes.[onderer] Beteiligung des Beckengürtels und der Pectoralismuskulatur und Pseudohypertrophie der Waden“ festgestellt wurde.403 Sie hatte aus finanziellen Gründen die regelmäßige und ausreichende Einnahme des Medikaments Glykokoll nicht durchführen können. Der Arzt hoffte, dass dies zukünftig möglich sein werde, da ihr Mann in neue Arbeitsverhältnisse komme und versichert sei. Er fuhr fort: „Frau [B.] äusserte bei uns den Wunsch, keine Kinder zu bekommen, und verlangte nach Mitteln, die eine Gravidität verhindern. Wir sind nicht imstande, solche Mittel zu geben, und nach Mitteilung der Frauenklinik soll es solche mit sicherer Wirkung nicht geben.“

401 ARSK LKB 6743. 402 RGBl 1933, S. 529. 403 ARSK LSK 5317/1021. Auch für die folgenden Zitate.

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„… Anfang, aber nicht Ende“

Offenbar machte der Arzt die Patientin auf einen anderen Weg aufmerksam: „Anders dagegen steht es mit der Frage der Unfruchtbarmachung, mit welcher die Patientin einverstanden ist. Als Manifest-Kranke fällt sie unter das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses im weiteren Sinne des Wortes. Vom eugenischen Standpunkt aus ist unter den gegebenen Verhältnissen eine manifestkranke [sic!] Nachkommenschaft zwar nicht zu erwarten, doch wird 1/4 bis 1/2 der Kinder nach dem Gesetz der Vererbung rezessiver Anlagen überdeckt krank sein.“

Er empfahl daher: „Wir sind deshalb der Ansicht, daß man mit diesen sachlichen Gründen und mit Bezug auf ihren persönlichen Wunsch den Antrag auf Sterilisation stellt.“ Vom gleichen Tag datiert die Anzeige des Direktors der Medizinischen Klinik Paul Martini an das Gesundheitsamt des Siegkreises. B. selbst stellte am 2. August 1937 einen Antrag auf Unfruchtbarmachung, dem sich am 13. August 1937 der stellvertretende Amtsarzt Diehm anschloss. Dann trat jedoch bei der Antragstellerin ein Sinneswandel ein. Offenbar um einer am 28. Oktober 1937 vom Gericht angeordneten Beobachtung in der Nervenklinik zu entgehen, zog sie am gleichen Tag ihren Antrag zurück und schrieb zur Begründung: „Ich fühle mich jetzt wohl.“ Doch das eingeleitete Verfahren war nicht mehr aufzuhalten. Das Gesundheitsamt versicherte dem Erbgesundheitsgericht am 6. November 1937, dass sie den Antrag selbst gestellt und Diehm sich diesem angeschlossen habe. Zwar sei Diehm hier nicht mehr tätig, doch das spiele keine Rolle. Das Gutachten von Laubenthal vom 22. Dezember 1937 diagnostizierte das „charakteristische Zustandsbild der Dystrophia muskolorum progressiva“ [sic!] und schloss mit der Feststellung, dass „die Voraussetzungen des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses mit genügender Sicherheit gegeben“ seien. Der Protokollant der am 4. Februar 1938 stattgefundenen Verhandlung vermerkte als Erklärung der Betroffenen „nicht einverstanden“. Dennoch beschloss das Gericht unter dem Vorsitz von Joseph Lepique (geb. 1887) mit den Beisitzern Franz Heinrich Faller (1895–1965) und Müller die Unfruchtbarmachung. Auf die Beschwerde der Frau vom 1. März 1938 kam es zur Verhandlung vor dem Erbgesundheitsobergericht, das diese am 22. April 1938 unter dem Vorsitz von Jakob Rennen (1880–1944) mit den Beisitzern Bernhard Dietrich und Alfred Busch (geb. 1876) zurückwies. Zur Begründung führte das Gericht an, dass die Krankheit „nicht durch schlechte Behandlung des 1. Ehemannes entstanden“ sei. Über die Zurückziehung des Antrages äußerte es sich auch: „Aus welchen Gründen es zur Stellung eines Antrages auf Unfruchtbarmachung von Seiten der Unfruchtbarzumachenden gekommen ist, ist unerheblich, da Antrag auch seitens des Amtsarztes gestellt ist.“ Auch wenn „das 1935 geborene Kind Krankheitserscheinungen nicht aufweist“, gebe es keine Beweise „gegen die Erblichkeit […], weil die sich vererbende Anlage keineswegs schon in der Jugend in Erscheinung zu treten braucht. Mit Schwachsinn, dessen Nichtvorliegen die Unfruchtbarzumachende in unbelehrbarer Weise immer wieder betonte, hat die bei ihr bestehende

Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

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Muskelerkrankung nichts zu tun.“ Die Resektions-Operation fand am 20. Mai 1938 in der Universitäts-Frauenklinik durch Hans Rupp (1900–1983) statt. In einem anderen Fall war es eine Mutter, die bei ihrer Tochter einen Schwangerschaftsabbruch erreichen wollte. Die in Wülscheid wohnende Frau zeigte ihre 25-jährige schwangere Tochter im April 1939 beim Kreisarzt an.404 Offenbar war der beim Autobahnbau eingesetzte Kindsvater in ihren Augen nicht in der Lage, für das Kind zu sorgen. Bedenken hatte sie bezüglich der Begründung der Anzeige. Sie hoffte, „wenn das Mädchen nicht sterilisiert wird, denn Irrsinn liegt ja nicht in unserer Familie, so könnte vielleicht das zu erwartende Kind in einer Anstalt Aufnahme finden, denn von diesem Mann haben wir nichts zu erwarten.“ Struben untersuchte die junge Frau am 24. April 1936 und der Amtsarzt Bange stellte am 25. Mai 1936 einen Antrag auf Unfruchtbarmachung wegen „angeborenen Schwachsinns“. Der ortsansässige Arzt bestätigte am 26. Juni 1936 die Schwangerschaft, konnte über die Familie aber keine Auskunft geben, da diese erst 1933 zugezogen war. Die Tochter mache „zwar einen etwas beschränkten Eindruck, ob aber dieser Schwachsinn ausreicht, um die gesetzlichen Bedingungen für eine Sterilisation zu erfüllen, kann ich nicht aussagen“. Er gab zu bedenken: „Viel mehr erscheint mir, daß hier die Mutter die Beschränktheit ihrer Tochter zum Anlass nehmen will, die vorhandene Schwangerschaft zu unterbrechen.“ Durch den Kriegsausbruch wurde das Verfahren am 13. September 1939 vorübergehend eingestellt, doch schon am 6. Januar 1940 erfolgte ein Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens. Nun setzte die Mutter sich für ihre Tochter ein. In einem Schreiben vom 1. Juni 1940 ersuchte sie, „von der Unfruchtbarmachung meiner Tochter keinen Gebrauch zu machen“. Sie schrieb: „als ich damals zu Ihnen kam, war ich ganz unglücklich[,] dass sich meine Tochter hat von diesem Mann betrunken machen lassen. […] Das Mädchen kam von Honnef ganz verzweifelt nach Hause, […] wenn es damals direkt gemacht worden wäre, damit die Frucht fortgemacht worden wäre, wäre es mir gleichgültig gewesen, aber nun [da] sie das herrliche aufgeweckte Bübchen hat, wäre es für mich doch unverantwortlich, diesen Schritt zu tun.“

Doch das Verfahren ließ sich nicht mehr aufhalten und die Bitte der Mutter blieb unberücksichtigt. Das Erbgesundheitsgericht beschloss am 12. Juli 1940 unter dem Vorsitz von Johannes Müller (geb. 1902) mit den Beisitzern Paul Herberg und Wilhelmy die Unfruchtbarmachung. „Obwohl eine erbliche Belastung in der Familie nicht nachgewiesen werden konnte“, so die Begründung, müsse „der Schwachsinn als angeboren gelten, da äußere Entstehungsursachen nicht bekannt geworden sind.“ Die Operation fand am 30. September 1940 in der Bonner Universitäts-Frauenklinik statt. Durchführender Arzt war erneut Hans Rupp. In den Strafanstalten wurden die Gefangenen zunächst gefragt, ob sie selbst einen Antrag stellen wollten. Die meisten lehnten dies ab, so dass der Leiter der Strafanstalt die 404 ARSK LSK 5422/1550. Auch für die folgenden Zitate.

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„… Anfang, aber nicht Ende“

Unfruchtbarmachung beantragte. Der Gefängnisarzt musste dem schriftlich zustimmen. Er schrieb auch das ärztliche Gutachten. Ein Beispiel für die Fragwürdigkeit eines Selbstantrages bietet der Fall des Schlossers Albert J. aus Sieglar (heute Troisdorf). Er stellte am 13. Januar 1934 einen Antrag auf Unfruchtbarmachung für sich selbst.405 Zu diesem Zeitpunkt war er im Gefängnis Siegburg inhaftiert. Das Antragsformular ist von anderer Hand ausgefüllt worden, vermutlich von seinem Vater. Sein Sohn hat es lediglich unterschrieben, er war nämlich am 15. August 1933 durch das Amtsgericht Siegburg entmündigt worden. Zwischen 1927 und 1929 befand er sich in den Anstalten Hephata in Mönchengladbach, Süchteln und Bonn. Zwischen 1930 und 1933 hatte er neun Geldund Gefängnisstrafen wegen Betrug, Diebstahl und Bettelei von verschiedenen Amtsgerichten erhalten. Nach seinem Selbstantrag fand am 19. Januar 1934 eine Intelligenzprüfung statt. Am 14. Februar 1934 erfolgte die Verlegung in die „Irrenabteilung“ des Kölner Gefängnisses Klingelpütz. Hier wurde er nach Verbüßen seiner Strafe am 25. März 1934 entlassen und sogleich in die Psychiatrische Klinik in Köln eingewiesen. Von hier aus kam er einen Tag später in die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Galkhausen. Warum der Strafanstaltsleiter in Siegburg am 14. April 1934 erneut einen Antrag auf Unfruchtbarmachung stellte und warum am 21. April 1934 der Gerichtsarzt Pietrusky J. noch einmal wegen „angeborenen Schwachsinns“ anzeigte, bleibt offen. Pietrusky hatte ihn bereits am 10. November 1932 begutachtet. Das Gericht ermittelte aufgrund der beiden Anträge und holte Erkundigungen über die Familie ein. Am 24. Mai 1934 berichtete ein Polizeibeamter aus Sieglar, dass nach seiner Feststellung J. nicht von Geburt aus schwachsinnig gewesen sei. Auch niemand aus der Familie sei in einer Anstalt gewesen. Das entscheidende Gutachten aus Galkhausen datiert vom 6. Oktober 1934. Darin war der untersuchende Arzt zu der Überzeugung gekommen, dass es sich „um ein später erworbenes Leiden handelt“. J. war im Alter von fünf Jahren lange Zeit mit Krämpfen bettlägerig und zeitweise bewusstlos gewesen, die Ursache dafür war nicht bekannt. „Nach unserem Dafürhalten handelt es sich bei [J.] um eine Epilepsie mit Seelenstörung, welche auf der Basis einer Hirnblutung im 5. Lebensjahr entstanden ist, also nicht um angeborenen Schwachsinn.“ Das Gericht lehnte daher in seiner Sitzung am 14. November 1934 unter dem Vorsitz von Ludwig Clostermann (1884–1956) mit den Beisitzern Josef Basten und Hans Knauer (1895–1952) den Antrag ab. In der Begründung hieß es, „dass [J.] erheblich schwachsinnig ist, und ausserdem organische Anfälle hat. Er bildet eine Gefahr für die Allgemeinheit und sich selbst. Er ist vielfach vorbestraft. Er wird sich in der Freiheit nicht halten können.“ Die Krankheit sei jedoch nach dem Gutachten aus Galkhausen „kein Erbleiden im Sinne des Gesetzes. Die Anträge auf Sterilisierung waren also, wie geschehen, abzulehnen.“ Bei einem weiteren Fall können ebenfalls Zweifel an der Freiwilligkeit des Selbstantrages aufkommen, da die Antragstellung offenbar mit der Entlassung aus der Heilund Pflegeanstalt in Verbindung stand. Johanna D. aus Siegburg, geboren 1915, musste 405 ARSK LSK 5117/29. Auch für die folgenden Zitate.

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ihr Musikstudium abbrechen und lebte seit dem 8. März 1937 in Bethel im Haus Lydia. Hier zeigte sie der leitende Arzt Werner Villinger (1887–1961)406 am 19. April 1937 wegen erblicher Fallsucht beim Amtsarzt Bielefeld-Land an.407 Auf der Anzeige fand sich die Bemerkung: „Nicht dringlich, weiter anstaltspflegebedürftig“. Im Oktober 1938 sandte er sie auch an den Kreisarzt in Siegburg zur Kenntnisnahme, nachdem dieser auf anderem Wege von dem eingeleiteten Verfahren erfahren hatte. Der Antrag auf Unfruchtbarmachung war von D. am 18. Oktober 1938 gestellt worden. Der Anstaltsleiter hatte am 20. Oktober seine Zustimmung dazu mit dem Zusatz „Dem Antrag schliesse ich mich an“ unterschrieben. Die beigefügte ärztliche Bescheinigung eines Oberarztes datiert vom 14. Oktober 1938. Er berichtete von sechs schweren und 29 leichten „Insulten“, die 1937 beobachtet worden waren. Eine Erblichkeit bestehe insofern, als eine Schwester der Mutter an „angeborenem Schwachsinn“ mit Anfällen von Bewusstlosigkeit leide. Die Diagnose „erbliche Fallsucht“ erschien ihm „als gesichert“. Als Begründung für die Antragstellung war das baldige Verlassen der Anstalt angegeben: „Eine Bewährung im sozialen Leben konnte wegen des jugendlichen Alters und der Anstaltsunterbringung seit 8.3.37 nicht stattfinden. Das Verfahren vor dem Erbgesundheitsgericht wird beantragt, da Entlassung in Aussicht steht.“ Das Gutachten war von Villinger gegengezeichnet. Der Vater, ein Vermessungsinspektor, wurde am 29. Oktober 1938 vor dem Amtsgericht in Siegburg „zwecks Wahrnehmung der Rechte seiner Tochter“ angehört. Der Richter hielt seine Aussage fest: „Nachdem mir der ärztliche Befund bekannt gemacht wurde, erkläre ich mich mit der Unfruchtbarmachung meiner Tochter einverstanden.“ Am 2. Dezember 1938 schloss sich das Erbgesundheitsgericht in Bielefeld dem Gutachten aus Bethel an und beschloss, dass D. unfruchtbar zu machen sei. Der Eingriff erfolgte am 11. Februar 1939. Im ärztlichen Bericht fehlt der Ort, er ist aber von Villinger gegengezeichnet, so dass die Operation wohl in Bethel stattfand. Am 13. März 1939 wurde D. zu ihren Eltern nach Siegburg entlassen. In einem Fall beförderte der Selbstantrag die Einleitung des Verfahrens, obwohl zuvor keine Erbkrankheit diagnostiziert werden konnte. Der 1892 geborene Steinhauer Franz Josef D. aus Oberdollendorf war seit 1921 „Morphinist“ und bezog eine Invalidenrente „wegen Geistesschwäche“. Er wurde am 12. September 1934 vom ärztlichen Berater der Landesversicherungsanstalt angezeigt.408 Nachdem der Amtsarzt nach einem Antrag gefragt hatte, antwortete der Oberarzt der Bonner Heil- und Pflegeanstalt Dietrich, dass D. sich seit dem 21. September 1934 als Patient in der Bonner Anstalt befinde. Dietrich begründete dies mit „morphinistischer seelischer Entartung“. Zur Frage, ob noch kein Antrag gestellt worden sei, äußerte sich der Arzt: „Bisher konnte man sich nicht zu einer Diagnose, die unter die Erbkrankheiten fällt, durchringen.“ D. verblieb zunächst bis zum 7. November 1936 in der Anstalt. 406 Zu Villinger auch Schmuhl, Villinger. 407 ARSK LSK 5409/1481. Auch für die folgenden Zitate. 408 ARSK LSK 5145/169. Auch für die folgenden Zitate.

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„… Anfang, aber nicht Ende“

Am 29. April 1937 wurde dann ein Antrag vom Patienten gestellt, so dass am 5. Mai 1937 der Siegburger Amtsarzt vom Erbgesundheitsgericht die Aufforderung erhielt, eine Sippentafel aufzustellen. In seiner ausführlichen Antwort verwies dieser darauf, dass D. nach der Erbkartei des Gesundheitsamtes „schon unzählige Male“ in der Anstalt gewesen sei. Die Kinder von D. hatten ihm erzählt, dass ihr 1914 geborener Bruder 1936 in Hamburg wegen „angeborenen Schwachsinns leichten Grades“ unfruchtbar gemacht worden war. Alle Kinder seien in der Fürsorgeerziehung gewesen, die Familie habe jahrelang von Unterstützung gelebt. Die Unterbringung in der Anstalt wurde von der Invalidenrente und von der bei der Ehefrau lebenden Tochter, die als Fabrikarbeiterin tätig war, gezahlt. Vormund des entmündigten D. war der Justizsekretär Johann Ahlefelder aus Oberdollendorf. Er stellte am 1. Juni 1937 vor dem Amtsgericht Königswinter ebenfalls einen Antrag auf Unfruchtbarmachung von D. Dessen Sterilisierung halte er „nicht nur im Interesse seiner Familie, sondern auch im allgemeinen Interesse für unbedingt notwendig“. Daher bat Ahlefelder um die Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes. Diese erhielt er zwei Tage später. Ahlefelder wurde nun zum 22. Juni 1937 ins Gesundheitsamt geladen, wo ihn Diehm „über das Wesen und die Folgen der Unfruchtbarmachung“ aufklärte. Der Amtsarzt sah für sich keine Möglichkeit, einen Antrag zu stellen, da D. „der hiesigen Stelle nicht bekannt“ sei. Am 4. August 1937 beschloss das Gericht unter Vorsitz von Ludwig Clostermann mit den Beisitzern Paul Herberg und Müller, den Anträgen zu folgen und D. unfruchtbar zu machen. Die Operation erfolgte am 13. September 1937 in der Chirurgischen Universitätsklinik durch den Arzt Willy Friedrich König (1905–1968). Anträge von Angehörigen sind häufig von der Sorge bestimmt, dass der Betroffene straffällig werden und eine Operation dies möglicherweise verhindern könnte. Der Arzt für Außenfürsorge Fritz Koester wandte sich am 6. Februar 1934 an das Kreiswohlfahrtsamt mit einer Einschätzung über den 16-jährigen Heinrich Q. aus Siegburg. Bei ihm handele es sich um „einen Schwachsinn, der jetzt asozial wird“.409 Er bat, die häuslichen Verhältnisse zu überprüfen und ob die Angehörigen nicht angehalten werden könnten, „strenger auf ihren Jungen zu achten.“ Der letzte Satz war eine Empfehlung: „Sterilisierung kommt hier in Frage.“ Diesen Bericht schickte das Kreiswohlfahrtsamt am 15. Februar an das Gesundheitsamt mit der Bitte, „das Weitere betr. Sterilisierung zu veranlassen.“ Nachdem die Mutter am 15. März 1934 über die Unfruchtbarmachung aufgeklärt worden war, stellte am 6. April 1934 der Vater einen Antrag auf Unfruchtbarmachung seines Sohnes. Über das Motiv wird nichts mitgeteilt. Im später entstandenen Gutachten wird vermerkt, die Eltern befürchteten, dass er sich wegen sexueller Delikte strafbar machen könnte. Im beigefügten amtsärztlichen Gutachten vom gleichen Tag notierte Bange: „angeborener Schwachsinn (Verdacht)“. Nachdem der Amtsarzt im August 1934 signalisiert hatte, dass gegen eine Einweisung in die Bonner Heil- und Pflegeanstalt keine Bedenken bestünden, ordnete das Erbgesund409 ARSK LSK 5113/6. Auch für die folgenden Zitate.

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heitsgericht die Unterbringung zur Beobachtung und Erstattung eines Gutachtens für eine Woche an, während es gleichzeitig ermittelte. Unter dem 8. Oktober 1934 erklärte der Siegburger Hausarzt der Familie, Arno Grabhorn (1887–1955), dass „der Junge immer einen anormalen Eindruck bei mir gemacht hat u. die vielfachen Klagen der Eltern mich deswegen nicht verwundert haben.“ Er fügte spekulierend hinzu: „Im übrigen soll nach Angabe der Familie – nachdem sich jetzt kriminelle Neigungen bemerkbar machen – auch ein Vetter derartig veranlagt sein.“ Das Gutachten fertige Ernst Störring unter dem 24. Oktober 1934 an. Nach der Vorgeschichte als Hilfsschüler und dem Resultat des Intelligenzfragebogens bestand für ihn kein Zweifel an der Diagnose Schwachsinn. Es hatten sich für ihn keine Anhaltspunkte für eine „exogene Bedingtheit“ ergeben. Demnach handele es sich „um einen angeborenen Schwachsinn im Sinne des Gesetzes vom 14.7.1933“. Am 24. November 1934 schloss sich das Gericht unter dem Vorsitz von Ludwig Clostermann mit den Beisitzern Franz Heinrich Faller und Walther Haupt (1888–1944) dem Sachverständigen an und beschloss, dass Q. unfruchtbar zu machen sei. Inzwischen war dieser im Caritashaus in Montabaur untergebracht. Der dortige Kreisarzt bestätigte, dass dies „als geschlossene Anstalt für Schwachsinnige, Idioten und Epileptiker“ gelte. Das Haus wurde aufgefordert, Q. nicht eher zu entlassen, bis die Sterilisation durchgeführt worden sei. Die Operation erfolgte schließlich am 26. Mai 1936 im Kemperhof in Koblenz. Ein weiterer Fall zeigt, wie der Amtsarzt durch Überreden von Angehörigen einen „freiwilligen“ Antrag und das Erbgesundheitsgericht durch seine Interpretation des Gesetzes die Durchsetzung einer Sterilisation erreichten. Die 13-jährige Maria W. aus Menden wurde am 15. März 1934 durch den Leiter der Fürsorgestelle Fritz Koester wegen „angeborenen Schwachsinns“ angezeigt. 410 Da das Mädchen noch zu jung war, begründete Koester die Anzeige vorausschauend: „Ich melde sie zur Sterilisierung an, da sie später unter das Gesetz fällt.“ Die Untersuchung durch den Amtsarzt Bange fand am 6. April 1934 statt. Im Gutachten hielt er fest: „Kind einer Schwester der Großmutter väterlicherseits soll einen Wasserkopf haben und geistesgestört sein.“ Bei der Untersuchten selbst notierte er: „war immer kränkelnd“, „kommt in der Schule nicht mit“ und „mit 5 Jahren Krämpfe“. Sie gebe auf Befragen keine Antworten und „macht einen sehr schwachsinnigen Eindruck.“ Die Befragung bei der Intelligenzprüfung brach er schnell ab, da „weitere Fragen zwecklos“ waren. Die Begründung für die Diagnose „angeborener Schwachsinn“ war dünn: „Vererbung liegt scheinbar vor“. Bange klärte die Mutter über eine Sterilisierung auf und sorgte offenbar dafür, dass diese noch am gleichen Tag einen Antrag auf Unfruchtbarmachung ihrer Tochter stellte. Auf einer ersten Sitzung des Erbgesundheitsgerichtes am 18. Juli 1934 erklärte die Mutter sich mit der Sterilisierung einverstanden. Mit der Tochter war eine Verständigung nicht möglich. Um eine vormundschaftliche Genehmigung für den Antrag zu erhalten, musste die Mutter vor dem Amtsgericht Siegburg am 24. Juli 1934 über ihre Tochter 410 ARSK LSK 5116/22. Auch für die folgenden Zitate.

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„… Anfang, aber nicht Ende“

aussagen. Sie begründete den Antrag damit, dass ihre Tochter „von Geburt an in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung zurückgeblieben“ sei. Sie sei übergroß und von kränklichem Aussehen. Von einem Verkehr mit Jungen sei ihr nichts bekannt. Sie versprach, sie „dauernd in Obhut“ zu behalten. Sie hielt den Antrag aufrecht, weil sie fürchtete, „dass etwas passieren könnte, wenn ich sterben sollte.“ Das Gericht erteilte ihr jedoch keine Genehmigung, „weil unter den erwähnten Umständen jedenfalls in absehbarer Zeit die Gefahr einer Fortpflanzung fast ausgeschlossen“ sei. Daraufhin griff der Vorsitzende des Erbgesundheitsgerichtes Clostermann ein. Er wandte sich am 31. Juli 1934 mit der Bitte an das Vormundschaftsgericht, „den ablehnenden Standpunkt“ zu überprüfen, und stellte seinen Standpunkt dar: „Die Ablehnung dürfte nicht in der vom Erbges. Gesetz verfolgten Linie liegen. Jeder Kundige weiss, wie leicht schwachsinnige Mädchen der Verführung zum Opfer fallen. Die Mutter selbst wünscht aus dem plausiblen Grunde ‚damit nichts passiert‘ die Sterilisation. Der Zweck des Steril. Ges. kann nur dann erreicht werden, wenn möglichst früh sterilisiert wird. Nach dem persönlichen Eindruck, den das Mädchen macht, wage ich keinesfalls mich dem vorseitig am Ende ausgesprochenen Urteil anzuschließen.“

Bei einer erneuten Ladung schilderte die Mutter vor dem Vormundschaftsgericht am 10. August 1934 noch einmal alle Krankheiten der Tochter. Jetzt sagte sie aus, dass sie nicht mehr wisse, warum sie gesagt habe, sie fürchte, dass etwas passiere, wenn sie stürbe. Sie sei ja erst 40 Jahre alt und gesund. Sie sagte nun aus, dass der Amtsarzt sie zu dem Antrag veranlasst habe; sie wolle ihn nun nicht mehr aufrechthalten und nehme ihn zurück. Sie wolle abwarten, wie sich ihr Kind entwickle. Wenn die Mutter gedacht hatte, damit sei das Verfahren beendet, irrte sie sich. Nach dem Zurückziehen des Antrages stellte nun der Amtsarzt am 21. August 1934 seinerseits einen Antrag. Das Erbgesundheitsgericht beschloss am 2. September 1934 die Beobachtung in der Bonner Heil- und Pflegeanstalt. Da die Mutter sich offenbar weigerte, das Kind abzugeben, hielt der Bonner Kreisarzt die zwangsweise Einweisung für notwendig. Nun ersuchte das Gericht den Bürgermeister um Einweisung „durch nicht uniformierten Beamten“. Das Gutachten vom 12.  Dezember 1934 erstellte eine Ärztin der Rheinischen Provinzial-Kinderanstalt für seelisch Abnorme: Josephine Schmitz-Lückger. In ihrer abschließenden „Beurteilung“ stellte sie einleitend fest: „Bei [W.] liegt ein schon äusserlich an den unintelligenten Gesichtszügen erkennbarer Schwachsinn vor, der dem mittleren Grad entspricht.“ Eine äußere Ursache lasse sich „für den geistigen Defekt“ nicht nachweisen. Sowohl die familiäre Belastung als auch „die besondere Form des Schwachsinns […] sprechen dafür, dass es sich um angeborenen Schwachsinn im Sinne des Gesetzes“ handele. Die „sterilisierende Operation“ dürfe aber nur vorgenommen werden, wenn die bestehende Lungentuberkulose ausgeheilt sei. In seiner Sitzung am 14. März 1935 beschloss das Erbgesundheitsgericht unter dem Vorsitz von August Hamacher (geb. 1905) mit den Beisitzern Franz Heinrich Faller und

Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

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Karl Friedrich Vorländer insbesondere auf Grundlage des Gutachtens die Unfruchtbarmachung. Obwohl bei einer Untersuchung durch die Lungenfürsorge am 23. November 1935 keine Tuberkulose mehr festgestellt worden war, kam es noch nicht zur Operation. Der Amtsbürgermeister von Siegburg-Mülldorf (heute Sankt Augustin) wies die Minderjährige am 4. Mai 1936 aus unbekannten Gründen zur Beobachtung in die Heilund Pflegeanstalt ein. Von hier aus wurde sie am 28. Mai 1936 in das Herz-Jesu-Kloster in Niederfell-Kühr verlegt. Eine Tbc-Erkrankung konnte auch zu diesem Zeitpunkt nicht festgestellt werden. Daher wandte sich das Gesundheitsamt des Siegkreises im September 1936 an das zuständige Gesundheitsamt St. Goar, damit dieses die Durchführung der Unfruchtbarmachung veranlasste. Der Anstaltsarzt verwies im April 1937 jedoch auf die „schwache Gesundheit“ und erbat zur Schonung ein Aussetzen um ein Jahr. Als das Gesundheitsamt sich schon im September 1937 nach dem Gesundheitszustand erkundigte, meldete er, „dass der Unfruchtbarmachung nichts mehr im Wege“ stehe. Am 9. Oktober 1937 wurde Maria W. im Krankenhaus Kemperhof in Koblenz sterilisiert. Angehörige, die eine Sterilisation anstoßen wollten, meldeten sich häufig bei Personen, von denen sie dachten, dass sie mehr Kompetenzen besaßen als sie selbst. Im Falle des Vaters, der eine Hebamme gebeten hatte, Anzeige zu erstatten, stammen die Anzeige und der Antrag vom Amtsarzt. Tatsächlich wurde der Sohn noch 1934 unfruchtbar gemacht.411 Anträge in Bezug auf überlieferte Anzeigen412 Überlieferte Anzeigen

Anträge

Prozentualer Anteil

Bonn-Land

691

493

71,35 %

Siegkreis

2408

981

40,74 %

Bonn-Stadt

55

54

98,18 %

Gesamt

3154

1528

48,45 %

Die fehlenden Anzeigen aus dem Gesundheitsamt Bonn-Land ab 1937 verzerren deutlich den prozentualen Anteil der Anträge aus den Anzeigen. Ohne die überlieferte Liste der „Erbkranken“ mit der Auflistung der Anzeigen von 1934 bis 1936 sähe die Bilanz sogar den Werten für Bonn-Stadt ähnlicher. Ein realistischeres Bild ergibt – dank der besseren Überlieferung – der Wert für den Siegkreis. Demnach folgt bei weniger als der Hälfte der Anzeigen ein Antrag.

411 ARSK LKB 6743. 412 Einbezogen wurden Fälle ohne Anträge, bei denen ein Verfahren anhand von Aktenzeichen, Beschlussdatum oder einer Operation nachgewiesen werden konnte.

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„… Anfang, aber nicht Ende“

Anträge nach Geschlecht Bonn-Land

Siegkreis

Bonn-Stadt

Gesamt

Männlich

307

599

35

941 (61,58 %)

Weiblich

186

382

19

587 (38,42 %)

Gesamt

493

981

54

1528

Auch hier könnten die Anträge aus den Strafanstalten das Bild verzerren. Die 44 Anträge aus Rheinbach und die 136 Anträge aus Siegburg würden den männlichen Anteil um 180 mindern, so dass 756 Männer auf die Gesamtpersonenzahl 1343 gerechnet immer noch einen Anteil von 56,20 Prozent ergeben. Anträge – Verteilung auf Jahre 1934–1943413 Bonn-Land

Siegkreis

Bonn-Stadt

Gesamt

1934

75

179

9

263

1935

154

171

18

343

1936

115

209

9

333

1937

60

120

6

186

1938

30

105

5

140

1939

24

41

2

67

1940

13

36

1

50

1941

6

9

4

19

1942

4

9

–414

13

1943



5



5

Unbekannt

12

97



109

Gesamt

493

981

54

1528

Da beim Landkreis Bonn nicht sicher angenommen werden kann, dass alle Anträge erfasst worden sind, ist der Aussagewert hier eingeschränkt. Für den Siegkreis sieht es günstiger aus. Bei der zeitlichen Abfolge lässt sich hier eine hohe Zahl von Anträgen in den ersten drei Jahren von 1934 bis 1936 feststellen. Der Höhepunkt war 1936 erreicht. Danach sanken die Zahlen in den nächsten beiden Jahren 1937 und 1938 um fast die Hälfte, um dann 1939 und 1940 noch einmal deutlich abzunehmen. In den Kriegsjahren 1941 bis 1943 gab es kaum noch Anträge, für 1944 und 1945 sind keine nachweisbar.

413 Die Auswertung bezieht sich allein auf die bekannten Anträge. 414 Diese Fehlstellen ( – ) bedeuten, dass kein entsprechender Fall konstatiert werden kann. Auch für die Folgenden.

Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

149

Diagnosen in den Anträgen Bonn-Land

Siegkreis

Bonn-Stadt

Gesamt

Angeborener Schwachsinn

307 (62,27 %)

561 (57,19 %)

36 (66,67 %)

904 (59,16 %)

Schizophrenie

96 (19,47 %)

182 (18,55 %)

9 (16,67 %)

287 (18,78 %)

Zirkuläres Irresein (bipolare Störung)

5 (1,01 %

20 (2,04 %)

2 (3,70 %)

27 (1,77 %)

Erbliche Fallsucht

59 (11,97 %)

131 (13,35 %)

1 (1,85 %)

191 (12,50 %)

Erblicher Veitstanz

1 (0,20 %)

4 (0,41 %)



5 (0,33 %)

Erbliche Blindheit

5 (1,01 %)

7 (0,71 %)

1 (1,85 %)

13 (0,85 %)

Erbliche Taubheit

3 (0,61 %)

16 (1,53 %)



19 (1,24 %)

Missbildung

2 (0,41 %)

35 (3,57 %)



37 (2,42%

Alkoholismus

12 (2,43 %)

9 (0,92 %)

5 (9,25 %)

26 (1,70 %)

Sonstige

3 (0,61 %)

3 (0,31 %)



6 (0,39 %)

Ohne Angaben



13 (1,33 %)



13 (0,85 %)

Gesamt

493

981

54

1528

Bei den Diagnosen liegt der „angeborene Schwachsinn“ mit nahezu zwei Dritteln aller Anträge (57,19–66,67 Prozent) an erster Stelle, gefolgt von „Schizophrenie“ (16,67– 19,46 Prozent). An dritter Stelle steht in den beiden Landkreisen die „erbliche Fallsucht“ (11,97–13,35 Prozent), bei der Stadt Bonn jedoch „Alkoholismus“ (9,25 Prozent). So machen in den Kreisen die an den ersten drei Stellen stehenden Diagnosen zusammen gut 90 Prozent (Bonn-Land 93,71 Prozent, Siegkreis 89,01 Prozent) aller Anträge aus. Während im Siegkreis die „schwere erbliche körperliche Missbildung“ mit 3,57 Prozent, das „Zirkuläre Irresein“ mit 2,04 Prozent und im Landkreis Bonn „Alkoholismus“ mit 2,43 Prozent relativ hohe Werte erreichen, bleiben die anderen Diagnosen alle unter 2 Prozent. Der Vergleich des Anteils der Diagnosen bei Anzeigen und Anträgen zeigt auf, dass der prozentuale Anteil bei „angeborenem Schwachsinn“, „Schizophrenie“, „erblicher Fallsucht“ und „erblicher Taubheit“ gestiegen ist, während die Werte der anderen gesunken sind. Auffällig dabei ist der starke Rückgang bei „schwerer erblicher körperlicher Missbildung“, deren Anteil von 12,17 Prozent auf 3,57 Prozent gefallen ist. Antragsteller Bonn-Land

Siegkreis

Bonn-Stadt

Gesamt

Selbstanträge oder Angehörige

4 (0,81 %)

11 (1,12 %)



15

Amtsarzt oder stellv. Amtsarzt

272 (55,17 %)

525 (53,51 %)

23 (42,59 %)

819

Leiter Heil- u. Pflegeanstalt

118 (23,94 %)

199 (20,29 %)

16 (29,63 %)

333

Leiter Strafanstalt

76 (15,24 %)

148 (15,09 %)

10 (18,52 %)

234

Sonstige

11 (2,23 %)

13 (1,33 %)

5 (9,26 %)

29

Unbekannt

12 (2,43 %)

85 (8,66 %)



98

Gesamt

493

981

54

1528

150

„… Anfang, aber nicht Ende“

Anträge auf Unfruchtbarmachung konnten – außer dem Betroffenen selbst – nur die Amtsärzte und die Leiter von Anstalten stellen. Unter diese Anstalten fielen in der preußischen Rheinprovinz alle Provinzial-Heil- und Pflegeanstalten sowie die Strafanstalten. Da sich weder im Landkreis Bonn noch im Siegkreis eine staatliche Heil- und Pflegeanstalt befand, konnten in den beiden Kreisen neben den Amtsärzten nur die Leiter der Strafanstalten Rheinbach und Siegburg Anträge stellen. Bei Personen aus den beiden Kreisen, die in Heil- und Pflegeanstalten außerhalb der Kreise untergebracht worden waren, wurden die Anträge von den dortigen Anstaltsleitern gestellt. Obwohl der Selbstantrag im Gesetz an erster Stelle stand, machten diese zusammen mit den Anträgen von Angehörigen lediglich 0,81 (Bonn-Land) bzw. 1,12 Prozent (Siegkreis) der Fälle aus. Damit lagen sie erheblich unter dem Anteil für Köln, wo jeweils 3 Prozent für Selbstanträge und Anträge von Angehörigen zu verzeichnen sind.415 An erster Stelle bei den Anträgen auf Unfruchtbarmachung in den beiden Kreisen standen die Ärzte in den Gesundheitsämtern, mehr als die Hälfte (Landkreis Bonn 55,17, Siegkreis 53,51 Prozent) sind vom Amtsarzt und seinem Stellvertreter gestellt worden. In Köln waren es sogar rund 70 Prozent der Anträge.416 Mit Abstand folgten die Anträge der Leiter von Heil- und Pflegeanstalten (23,94 und 20,29 Prozent) und von Strafanstalten (15,23 und 15,09 Prozent). Der Abstand ist in Köln deutlicher, wenn auch bei geringerem Anteil. Hier waren es 15,7 Prozent der Leiter von Heil- und Pflegeanstalten und 10,8 Prozent von Strafanstalten. Die Statistik zeigt klar auf, wie bedeutend die Gesundheitsämter bei der Umsetzung der Erb- und Rassenpflege waren. Interessanterweise gibt es auch sechs Anträge aus der Bonner Universitätsnervenklinik und der Gerichtsmedizin, deren Leiter nicht antragsberechtigt waren und in den meisten Fällen eine Anzeige an den Amtsarzt sandten, der dann den entsprechenden Antrag stellte. Antragsteller – Gesundheitsamt Bonn-Land und Siegkreis Arzt

Anträge

Bezirk

Josef Basten

24

Bonn-Land/Stadt

Hubert Lohmer

41

Bonn-Land

Hans Schoeneck

1

Bonn-Land

Artur Josten



Bonn-Land

Friedrich Bierbaum

69

Bonn-Land

Alfred Esser

64

Bonn-Land

Josef Fuhlrott



Bonn-Land

Unbekannt417

34

Bonn-Land

Gesamt

233

415 Endres, Zwangssterilisation, S. 130. 416 Endres, Zwangssterilisation, S. 130. 417 Gemeint sind hier die Einträge „Kreisarzt“, die auf den Kreis Bonn-Land bezogen werden können.

Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ Arzt

Anträge

Bezirk

Bruno Bange

405

Siegkreis

Lothar Diehm

48

Siegkreis

Liselotte Witkop

1

Siegkreis

Josef Struben



Siegkreis

Rudolf Steininger



Siegkreis

Hans Heffels



Siegkreis

Maria Vosskühler



Siegkreis

Unbekannt418

6

Siegkreis

Gesamt

460

151

Antragsberechtigt waren der Kreisarzt bzw. der Amtsarzt und der stellvertretende Amtsarzt. Im Kreis Bonn-Land war der Kreisarzt Josef Basten noch allein zuständig. Daher stellte er 1934/35 selbst alle Anträge. Nach der Übernahme der Leitung des Gesundheitsamtes durch Hubert Lohmer kamen 1935 die Anträge zuerst von ihm. Sein Stellvertreter Friedrich Bierbaum übernahm dann 1935 und vor allem 1936 die Antragstellung. Nach dem Wechsel in beiden Stellen war es mit einer Ausnahme (Hans Schoeneck) nur noch der stellvertretende Amtsarzt Alfred Esser, der die Anträge stellte. Im Siegkreis hatte der Kreisarzt Bruno Bange 1934 die ersten Anträge gestellt. Als er die Leitung des Gesundheitsamtes übernahm, führte er die Antragstellung fort. Nach seiner Ernennung zum stellvertretenden Amtsarzt stellte auch Lothar Diehm seit Mai 1936 Anträge auf Unfruchtbarmachung. Er schied jedoch Ende September 1937 aus dem Gesundheitsamt aus. Da es Bange trotz der Einstellung von drei neuen Ärzten nicht gelang, den Posten des stellvertretenden Amtsarztes wieder zu besetzen, war er weiterhin für die Antragstellung zuständig. Dies erklärt die hohe Zahl seiner Anträge. Die Untersuchungen für die ärztlichen Gutachten übernahmen meistens die drei anderen Ärzte. Wenn auf eine Anzeige kein Antrag erfolgte, so hatte Bange jedoch den Untersuchungsbericht zumindest abgezeichnet. Der Antrag bestand aus mehreren Formblättern, die als amtlicher Vordruck vorgegeben waren. Als Erstes sicherte sich der Arzt mit einer vom Betroffenen zu unterschreibenden Bescheinigung419 ab. Er versicherte, dass er den Patienten „über das Wesen und die Folgen der Unfruchtbarmachung aufgeklärt“ und ihm oder dem gesetzlichen Vertreter „das Merkblatt über die Unfruchtbarmachung“ ausgehändigt habe.420 Der Antrag selbst war der „Vordruck 4“.421 Er ließ die Auswahl zwischen dem Selbstantrag („beantrage ich meine Unfruchtbarmachung“) und dem Antrag einer der 418 419 420 421

Gemeint sind hier die Einträge „Kreisarzt“, die auf den Siegkreis bezogen werden können. RGBl 1933, S. 1023. RGBl 1933, S. 1023. RGBl 1933, S. 1025, s. a. Abb. 28, S. 111.

152

„… Anfang, aber nicht Ende“

berechtigten Personen. Es folgte die Nennung der Erbkrankheit und „zur Glaubhaftmachung der vortreffenden Angabe“ der Bezug auf das ärztliche Gutachten.422 Oft wurde hier das Fazit des Gutachtens wortwörtlich übernommen. Zum Antrag gehörte auch ein amtsärztliches bzw. ärztliches Gutachten, das die Angaben auf dem Antrag glaubhaft machen sollte. Als Gutachter wirkten zum einen die Amtsärzte, ihre Stellvertreter oder weitere Ärzte im Gesundheitsamt. Hervorzuheben ist, dass auch die jungen, eher unerfahrenen Ärzte in den Gesundheitsämtern bereits Untersuchungen durchführten und Gutachten anfertigten. Im Siegkreis überwachte der Leiter den Vorgang, da er letztlich selbst den Antrag stellte. Zum anderen erstellten die Ärzte (meist Oberärzte, aber auch Assistenzärzte) in den Heil- und Pflege- sowie den Strafanstalten Gutachten. Allerdings konnten auch ärztliche Gutachten aus anderen Gerichtsverfahren herangezogen werden. Es handelte sich dabei entweder um laufende oder bereits abgeschlossene Strafverfahren, welche die Frage der Schuldfähigkeit (§ 51) behandelten, oder um Entmündigungsverfahren, in denen es um die Geschäftsfähigkeit ging. Oft erfolgte aus diesen Verfahren heraus bereits die Anzeige an den Amtsarzt. Gisela Bock hat einmal behauptet, dass ausschließlich Männer als Gutachter tätig gewesen seien.423 Dies hat Sonja Endres mit der bedeutenden Rolle der Fürsorgeärztin Johanna Traude bereits für Köln widerlegt.424 Auch in unserem Untersuchungsgebiet lässt sich die These nicht halten. Von den beiden im Gesundheitsamt des Siegkreises tätigen Ärztinnen, der Fürsorgeärztin Liselotte Witkop (tätig 1936–1938) und Maria Vosskühler (tätig ab 1938), hat Erstere mindestens 207 Gutachten erstellt. Das dem Antrag als Anlage beigefügte „Amtsärztliche“ bzw. „Ärztliche“ Gutachten bestand aus einem sechsseitigen amtlichen Vordruck.425 Damit sollten eine Vereinfachung und Beschleunigung der Arbeit zugleich mit einer Vereinheitlichung und Vergleichbarkeit zu statistischen Zwecken erreicht werden. Er war in drei Blöcke gegliedert. Zunächst wurden Angaben zur Person erfasst: der Name, der Vorname, der Beruf, das Geburtsdatum und der Geburtsort, die Religionszugehörigkeit, der letzte Wohnort, die Anschrift der Eltern und des Pflegers, die Kinderzahl, die Zahl der Totgeburten und der Fehlgeburten sowie der Personenstand. Der erste Block „Angaben über die näheren Familienangehörigen“ fragte nach dem Ehegatten und den Eltern. Während beim Ehegatten nach dem Gesundheitsstand gefragt wurde, erkundigten sich die Fragen bei den Eltern nach der Blutsverwandtschaft und bereits vorhandenen Erb- oder anderen auffallenden Krankheiten in der Familie. Der zweite Block erforschte die Vorgeschichte des Betroffenen. Hier wurden Krankheiten, Schulleistungen, Sexualleben, soziale Entwicklung, Straffälligkeit, Anstaltsaufenthalte und Behandlungen festgehalten sowie direkt nach dem Auftreten von Krämpfen und der „Entwicklung des Leidens, das Anlaß zum Antrag auf Unfruchtbarmachung gibt“, gefragt. Der dritte Block enthielt die körperlichen (Allgemeinzustand, 422 423 424 425

ARSK LSK 5114/11. Bock, Zwangssterilisation, S. 207. Endres, Zwangssterilisation, S. 134 f. RGBl 1933, S. 1026–1031.

Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

153

Organbefund, Nervensystem) und psychischen Befunde (Allgemeinverhalten, Stimmungs- und Affektlage, Wissenssphäre, Bewusstseinslage, Gedankenablauf, „sexuelle Perversionen“ und Anfälle) der durchgeführten Untersuchung. Zum Schluss stand die Diagnose mit einer kurzen Begründung. Das ärztliche Gutachten diente dazu, die im Antrag genannte Diagnose „glaubhaft zu machen“, indem „diejenigen Tatsachen angeführt werden, die diese Diagnose herbeigeführt haben“.426 Zur Erstellung des Gutachtens erfolgte zunächst die Befragung des Betroffenen und/oder seiner Angehörigen. Fehlender Schriftverkehr in der Akte des Gesundheitsamtes deutet darauf hin, dass der Ersteller keine weiteren Erkundigungen über diese Angaben hinaus eingezogen und auch keine Überprüfung dieser Angaben veranlasst hatte. Als Antworten finden sich hier Einträge wie „Nach Angaben der Untersuchten nein“427 oder „Einzelheiten kann sie nicht angeben“428. Daher blieben manche Punkte sehr vage beschrieben mit Formulierungen wie „Geistige Erkrankung [bei einem Vetter] soll im Anschluß an Kopfverletzung aufgetreten sein“429 und „angeblich nicht“430. In einem Falle korrigierte die Universitätsnervenklinik die vom Amtsarzt in sein Gutachten übernommenen Angaben einer Betroffenen. Die Klinik teilte ihm mit: „Die Ihnen gemachten Angaben, dass in der Familie weder Epilepsie noch sonstige Abnormitäten vorgekommen seien, stimmt nach unseren Aufzeichnungen nicht. In unserem Krankenblatt findet sich notiert, dass die Mutter nervös sei und die Schwester der Mutter der Patientin an Anfällen gelitten habe.“

Der anzeigende Klinikarzt erstellte daraufhin ein eigenes Gutachten.431 Um ein begründetes ärztliches Gutachten zu erstellen, konnten und sollten im Vorfeld vom Amtsarzt weitere Erkundigungen eingeholt werden, insbesondere, wenn ihm die Diagnose nicht gesichert erschien. Derartige Nachforschungen stellten oft auch erst das Erbgesundheitsgericht und – eher selten – das Erbgesundheitsobergericht an. Es erfolgten – bald als Formular vorgefertigte – Anschreiben an den Bürgermeister als Ortspolizeibehörde des Wohnortes und den Leiter der von dem Betroffenen besuchten Schule mit der Bitte um Ermittlung und Mitteilung. Die Polizei lieferte eine Art Führungszeugnis für die Person und ihr familiäres Umfeld. Dabei versuchte sie, obwohl keine medizinischen Fachkenntnisse vorhanden waren, möglichen Erbkrankheiten oder Alkoholmissbrauch bei den Betroffenen und anderen Familienangehörigen nachzuspüren. Da die polizeilichen Ermittlungen in der Regel vertraulich durchgeführt wurden, waren die Angaben nicht immer verlässlich. Spekulative Formulierungen wie „Letzterer soll

426 427 428 429 430 431

Gütt/Rüdin/Ruttke, Gesetz, S. 175. ARSK LSK 5117/26. ARSK LSK 5121/50. ARSK LSK 5113/10. ARSK LSK 5121/50. ARSK LSK 5124/65.

154

„… Anfang, aber nicht Ende“

durch übermäßigen Alkoholgenuß gestorben sein“ wurden mit Beobachtungen wie „Die Gebrüder H. waren, bezw. sind alle starke Trinker“ vermischt.432 Insbesondere bei der Diagnose „angeborener Schwachsinn“ waren die Schulleistungen ein wichtiger Punkt. Die Lehrer schickten Abschriften der Abgangszeugnisse der Betroffenen und oft auch von den Geschwistern. Persönliche Einschätzungen der Lehrer waren problematisch, wenn diese gerade erst an eine neue Schule versetzt worden waren und sich noch nicht mit den Verhältnissen vor Ort auskannten. Es gab jedoch auch besonders eifrige Lehrer, die sich auch ohne große Kenntnisse der Angezeigten und ihrer Familien für Sterilisierungen aussprachen. So musste der Lehrer Hermann Willnecker (geb. 1896) aus Heisterbacherrott (heute Königswinter) am 23. September 1935 zugeben: „Zu der beantragten Unfruchtbarmachung […] kann ich keine umfassende Auskunft geben, da mir die Familienverhältnisse wenig bekannt sind.“ Durch Befragung habe er aber herausgefunden, dass eine Großtante mütterlicherseits blind gewesen sei, ob es sich um eine Erbkrankheit handelte, wusste er aber nicht. Des Weiteren führte er aus: „Fälle von Erbkrankheiten sind meines Wissens nicht beobachtet worden, auch sonstiges Auffälliges (Straftaten, Sonderbarkeiten) sind mir nicht bekannt und auch nicht von Befragten festgestellt worden.“ Dies konnte ihn aber nicht davon abhalten, dem Amtsarzt seine persönliche Überzeugung kundzutun: „Trotz allem ist aber die beantragte Unfruchtbarmachung der E. S. nach Maßgabe der vorliegenden Verhältnisse unbedingt notwendig.“433 Andererseits gab es Lehrer, die sich offenbar besser mit den familiären Verhältnissen auskannten und Lernschwierigkeiten nicht auf geistige, sondern soziale Ursachen zurückführten. In einem Fall urteilte ein Lehrer, dass bei einer Elfjährigen ein „typischer Schwachsinn nicht anzunehmen“ sei. Vielmehr seien die Schulprobleme „Folge häuslicher Vernachlässigung“ und er erkannte an, dass der „Fleiß besser geworden“ sei.434 In den späteren Jahren gab es zur Vereinheitlichung einen Vordruck („Fragebogen zur Anfrage an die Schulleiter betr. Schulleistungen“), mit dem abgefragt wurde, in welchem Schuljahr der oder die Betroffene die Schule verlassen hatte und wie oft er nicht versetzt worden war.435 Bei den Gründen für eine Nichtversetzung waren die Punkte „mangelnde Begabung“ und „Umwelteinflüsse“ weiter auszuführen. Dann sollte der Schulleiter noch ein „Allgemeines Urteil über Charakter und Sonderbegabung“ abgeben. Zum Schluss waren die gleichen Angaben über die sonstigen Geschwister zu machen, auch für die bereits aus der Schule entlassenen. Das Abgangszeugnis war beizufügen. Die „erbliche“ Belastung der Familie

Bei der Erfassung der Erbkranken geriet rasch die ganze Familie bzw. der Familienverband, die sogenannte „Sippe“, ins Visier. Um Einblick in die familiäre Umgebung, die individuellen und die sozialen Gegebenheiten zu erhalten, erhielten die Kreisfürsorgerinnen 432 433 434 435

ARSK LSK 5420/1538. ARSK LSK 5181/341. ARSK LSK 5152/202. ARSK LSK 5532/2096.

Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

155

die Aufforderung, vor Ort nachzuforschen und Berichte zu erstellen. Um eine Vereinheitlichung der Ergebnisse der Nachforschungen zur erbbiologischen Einordnung der Familien zu ermöglichen, musste ab dem 1. Januar 1938 jedem Antrag eine „Sippentafel“ beigefügt werden.436 Sie konnten vom Gericht zur Untermauerung der familiären „Erbbelastung“ herangezogen werden und reduzierten gleichzeitig den Arbeitsaufwand, wenn im Laufe der Jahre für mehrere Familienmitglieder Anträge auf Unfruchtbarmachung gestellt wurden. Zur Aufstellung der als Vordruck auszufüllenden „Sippentafeln“ waren vorher ebenfalls als Vordruck vorhandene „Sippenfragebogen“ auszufüllen. Dies konnte von den Betroffenen selbst verlangt werden, oft geschah dies mit Hilfe und Beglaubigung der lokalen Behörden. Waren die Betroffenen nicht dazu imstande, so übernahm die Fürsorgerin diese Aufgabe. Dabei konnte die Aufstellung durchaus nach ganz genauen Anweisungen erfolgen. So wies das Gesundheitsamt Siegburg am 3. April 1941 die Kreisfürsorgerin von Haza-Radlitz an, eine „Sippentafel so weit auszubauen, dass die in Spalte 6 angeführte Cousine Katharina F. […] mit ihren Geschwistern darin erscheint.“437 Das besondere Augenmerk bei den „Sippentafeln“ lag neben den biographischen Daten auf der Spalte „Frühere und jetzige Krankheiten, soziales Verhalten, Begabung“. Auch hier waren die Angaben durch die Betroffenen oft vage, flossen aber in die Aufstellung ein. Dies war insbesondere der Fall, wenn sie belastend waren. Umgekehrt wurden entlastende Angaben in Zweifel gezogen. Formulierungen wie „angeblich gesund“, „bekommt angeblich Anfälle (epileptisch)“ und „nach Angaben des Ehemannes ist Frau K. starke Trinker [sic!]“438 zeugen vom fehlenden Willen, mehr noch aber wahrscheinlich von fehlenden Möglichkeiten der Verifizierung solcher Angaben. Die Anamnese

Bei der folgenden Anamnese standen neben medizinisch bedeutsamen Informationen Fragen zum sozialen Verhalten im Vordergrund. Darunter fielen Abweichungen von der gesellschaftlichen Norm im sexuellen Bereich (z. B. uneheliche Kinder439, Ehebruch, Scheidung) und im beruflichen Leben (z. B. viele Arbeitsstätten) und insbesondere durch Straffälligkeit. Die Kriminalität konnte von geringen Delikten (Diebstahl, Betrug) über sexuelle Angelegenheiten („Sodomie!“440, Blutschande441) bis zu schweren Gewalttätigkeiten reichen. In einem Fall war ein Tötungsdelikt Ausgangspunkt für das Erbgesundheitsverfahren, das parallel zum Strafverfahren verlief und einen Widerspruch offenbarte. Der ungelernte Arbeiter Hermann E. hatte Ende August 1935 den Arbeitsburschen Franz H. 436 437 438 439 440 441

BArch R 1501–5586, Geheime Anordnung des Reichs- und Preußischen Ministers des Inneren, 6.11.1937. ARSK LSK 5395/1415. ARSK LSK 5565/2262. Z. B. wurde bei einer Frau vermerkt, sie habe drei uneheliche Kinder, ARSK LSK 5135/119. ARSK LSK 5130/92. Z. B. ARSK LKB 6625, LSK 5166/270.

156

„… Anfang, aber nicht Ende“

getötet. Am 3. September 1935 war der Leichnam im Duisdorfer Wald gefunden und E. als Täter ermittelt worden. Gegen den 19-Jährigen schwebte bereits ein Verfahren wegen „schwerer sittlicher Verfehlungen“. Er galt als schwer erziehbar, körperlich und geistig schwach, unangenehm und wurde gemieden. Zudem solle er angeblich Diebstähle geplant haben. Schon am 11. Oktober 1935 erfolgte der Antrag auf Unfruchtbarmachung wegen „angeborenen Schwachsinns“. Während das Strafgericht E. am 17. Oktober 1935 für schuldfähig hielt und die Todesstrafe verhängte, stellte das Erbgesundheitsgericht am 29. Januar 1936 unter dem Vorsitz von Viktor Genniges (geb. 1897) mit den Beisitzern Josef Basten und Ernst Störring bei E. „angeborenen Schwachsinn“ fest und beschloss, dass er unfruchtbar gemacht werden solle. Zur Durchführung kam es nicht, da E. bereits am 15. Februar 1936 hingerichtet wurde.442 Intelligenzprüfungen

Handelte es sich bei der Diagnose um „angeborenen Schwachsinn“, wurde die Untersuchung um eine Intelligenzprüfung erweitert. Deren Ergebnisse wurden dem Antrag als Protokoll beigefügt. Eine dreiseitige Vorlage gab es als amtlichen „Vordruck 5a“.443 Die abgefragten Felder waren mit „Orientierung“ (z. B. „Wie heißen Sie?“, „Welcher Wochentag?“, „Wo bin ich?“), „Schulwissen“ (z. B. „Heimatort“, „Welche Staatsform haben wir jetzt?“, Rechnen), „Allgemeines Lebenswissen“ (z. B. „Wo geht die Sonne auf?“, „Geldsorten“, „Unterschied zwischen Treppe und Leiter“), „Spezielle Fragen aus dem Beruf “ (z. B. „Satz aus drei Worten bilden“), „Geschichts- und Sprichworterzählung“ (z. B. „Geschichte vom Salzesel“), „Sittliche Allgemeinvorstellungen“ (z. B. „Warum lernt man?“, „Warum darf man auch das eigene Haus nicht anzünden?“) und „Gedächtnis und Merkfähigkeit“ (z. B. „Merken Sie sich die Zahl 1849“) überschrieben. Zum Abschluss beschrieb der Arzt das „Verhalten bei der Untersuchung“ („Haltung, Augen, Mimik, Stimme, Aussprache, Wortfolge, Promptheit der Antwort, Zugänglichkeit, Anteilnahme an der Untersuchung usw.“). Die vorgegebenen Fragen sollten aber nur als Beispiel dienen und nicht einfach immer wieder übernommen werden. Vielmehr sollten eigene Fragen gefunden werden, die der Lebenswelt der Betroffenen angepasst waren. Dabei kam es vor, dass auch bei Kindern und Jugendlichen die bei den Erwachsenen benutzten Fragebogen eingesetzt wurden444, so dass das Ergebnis von vornherein fragwürdig war. Da viele Betroffene lediglich eine Volksschule oder nur eine Hilfsschule besucht hatten, waren die Fragen eines vom Bildungsbürgertum abgeleiteten Wissensbildes nicht mit dem einfachen Leben in Einklang zu bringen. Hier war „die soziale Distanz der Mittelklassen-Psychiater zu den Unterklassen-Patienten“445 deutlich erkennbar. 442 443 444 445

ARSK LKB 6648. RGBl 1933, S. 1032–1034. ARSK LSK 5113/6 (15 Jahre) und 7 (14 Jahre). Dörner, Diagnosen, S. 145.

Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

Abb. 34  Intelligenzprüfungsbogen zum Gutachten als amtlicher Vordruck im Reichsgesetzblatt, 1933

157

158

„… Anfang, aber nicht Ende“

Da die Fragen bald bekannt waren, konnten sie von den Betroffenen auswendig gelernt werden. Diesem Umstand trug der Reichsinnenminister Rechnung, als er am 7. Januar 1937 die Verwendung der Vordrucke untersagte und den Ärzten aufgab, sie sollten „selbständig Fragen stellen“ und sich „eingehend mit dem Berufsleben, der Umgebung und Bewährung im Leben beschäftigen.“446 Sie sollten sich ein „Bild von der Einordnung des Untersuchten in die menschliche Gesellschaft machen.“ Damit war aber das Augenmerk von der medizinischen auf die soziale Bewertung verschoben worden. Ein befriedigendes Ergebnis der Intelligenzprüfung konnte dennoch bei gleichzeitig negativer sozialer Beurteilung die Unfruchtbarmachung bedeuten. Neue Vordrucke beinhalteten immer noch die gleichen abzufragenden Aufgabenfelder, es fehlten aber die beispielhaften Vorgaben. Die von den Ärzten ausgesuchten Fragen konnten – möglichweise aus Bequemlichkeit – dennoch zum großen Teil aus den alten Vordrucken stammen.447 Es kam vor, dass Prüfungen abgebrochen wurden, weil die Betroffenen gar nicht in der Lage waren zu antworten: „Die Intelligenzprüfung wurde hier abgebrochen, da es nicht möglich ist, sich mit dem Probanden zu unterhalten. Er ist völlig imbezill.“448 Da die Ärzte des Gesundheitsamtes meist keine Fachausbildung in Psychiatrie besaßen, waren ihre Untersuchungen schematisch und führten zu Unsicherheiten. Manche Ärzte mochten sich in ihren Gutachten nicht festlegen, sondern empfahlen weitere Beobachtungen und Untersuchungen in den entsprechenden Fachkliniken, die dann das Erbgesundheitsgericht anordnen konnte. So war sich Josef Struben, Gesundheitsamt Siegburg, am 28. Oktober 1935 in seinem Gutachten nicht sicher: „Der gesamte Verlauf der Erkrankung spricht zweifellos für ein schizophrenes Krankheitsbild. Ein abschließendes Urteil kann jedoch auf Grund ein [sic!] kurzen Untersuchung nicht gefällt werden. Ich halte deshalb die Beobachtung in einer Anstalt für erforderlich.“449

Öfters finden sich wiederum auch vage Formulierungen, die weniger wissenschaftlich oder medizinisch waren, sondern persönliche Ansichten: „macht einen schwachsinnigen Eindruck“ und „Vererbung liegt scheinbar vor“.450 Über einen Strafgefangenen äußerte sich der Gefängnisarzt Hohn: „J. trägt meist ein läppisches Wesen zur Schau.“451

446 Erlass des Reichs- und Preußischen Ministers des Inneren, 7.1.1937, nach Endres, Zwangssterilisation, S. 156. Auch für das folgende Zitat. 447 Z. B. ARSK LSK 5373/1304. 448 ARSK LSK 5409/1483. 449 ARSK LSK 5395/1412. 450 ARSK LSK 5116/22. 451 ARSK LSK 5117/29.

Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

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3.4.3 Entscheidungsinstanzen: Das Verfahren vor dem Erbgesundheitsgericht „Zweifelsfragen“ und deren Klärung. Das Erbgesundheitsgericht Bonn

Die nach dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 für Erbgesundheitssachen neu eingerichteten Erbgesundheitsgerichte waren den Amtsgerichten angegliedert. In der Praxis gab es jeweils eines in jedem Landgerichtsbezirk am Sitz des jeweiligen Landgerichtes. Ihr Zuständigkeitsbereich erstreckte sich über den ganzen Landgerichtsbezirk. Der Landkreis Bonn und der Siegkreis lagen im Bezirk des Landgerichtes Bonn, so dass die Verfahren vor dem beim Amtsgericht in Bonn installierten Erbgesundheitsgericht stattfanden. Hier wurden auch die Erbgesundheitssachen der Stadt Bonn, des Kreises Euskirchen und des Oberbergischen Kreises verhandelt. Probleme beim Verfahrensablauf ergaben sich durch diese Vorgabe in der Praxis gleich zu Beginn, wenn die Unfruchtbarmachung von Patienten in Heil- und Pflegeanstalten, die nicht im Landgerichtsbezirk Bonn lagen, von deren Anstaltsleiter beantragt wurde. Nach dem Gesetz war das Gericht zuständig, „in dessen Bezirk der Unfruchtbarzumachende seinen allgemeinen Gerichtsstand“ hatte. Das war im Allgemeinen der Wohnort, konnte aber auch der Aufenthaltsort sein. Während das Erbgesundheitsgericht Köln den Wohnort als ausschlaggebend erachtete452, hielt das Erbgesundheitsgericht Bonn den Aufenthaltsort für entscheidend. Schon am 1. Februar 1934 fand daher in Bonn auf Einladung des Erbgesundheitsgerichtes eine Besprechung statt, die drei „Zweifelsfragen“ zum Inhalt hatte: „1) Zuständigkeit; 2) dringende Fälle; 3) Ausländer“. Anwesend waren neben dem Vorsitzenden des Erbgesundheitsgerichtes Bonn Ludwig Clostermann der stellvertretende Vorsitzende und Leiter des Amtsgerichtes Heinrich Heiermann (1876–1954) sowie die Leiter der Strafanstalten Paul Cremer (Siegburg), Georg Westenberger (Rheinbach) und Christian Möhl (Bonn), die Ärzte der Strafanstalten Moritz Hohn (Siegburg) und Franz Klinkenberg (Rheinbach). Ebenfalls anwesend waren der Kreisarzt von Stadt und Landkreis Bonn Josef Basten, Willi Crome als Vertreter des Gerichtsarztes Pietrusky, der Direktor der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn Arthur Hübner und der Oberarzt Josef Geller, der leitende Arzt der Provinzial-Kinderanstalt Hans Aloys Schmitz (1899–1973), der Direktor des Provinzial-Erziehungsheimes Euskirchen Max Lückerath, der Leiter der Fürsorgestelle für Nerven- und Gemütskranke Fritz Koester sowie der leitende Arzt der Hertz’schen Heilanstalt Alexander Wilhelmy.453 Es fehlten allerdings die Kreisärzte Bruno Bange (Siegkreis), Franz Heinrich Faller (Euskirchen) und Paul Herberg (Gummersbach). Das einleitende Referat hielt Clostermann, es folgte ein Bericht des Oberarztes Koester zur Frage der „Sofortfälle“. Danach schloss sich eine Aussprache an, in der Clostermann laut Protokoll vom 3. Februar 1934454 darauf verwies, „dass die auf den allgemeinen 452 Endres, Zwangssterilisation, S. 132. 453 ARSK LSK 5124/63, EGG an Oberlandesgerichtspräsident, 3.2.1934. 454 ARSK LSK 5124/63, Protokoll der Besprechung vom 1.2.1934, 3.2.1934.

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„… Anfang, aber nicht Ende“

Gerichtsstand abgestellte Zuständigkeit (§ 5 E. G. G.) in der Praxis zu unüberwindlichen Schwierigkeiten führe, da der Sterilisand wegen der Wichtigkeit der Sache persönlich vor Gericht erscheinen müsse“.455 Diese „Schwierigkeiten“ könnten nur durch „analoge Anwendung des § 46. RFrGG. behoben werden.“456 Damit meinte er die freiwillige Übernahme des Verfahrens nach dem Vorbild des Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit, das eine solche Möglichkeit bei Vormundschaftssachen zuließ.457 Es folgte eine „ungewöhnlich lebhafte Aussprache“, die in Bezug auf die Zuständigkeit festhielt, dass es „aus rechtlichen und ärztlichen Gründen“ geboten sei, dass der „Sterilisand grundsätzlich persönlich durch das die Sterilisation aussprechende Gericht vernommen“ werde. Als „wünschenswert“ erachteten die Teilnehmer der Besprechung, „dass die Vernehmung der Anstaltsinsassen in den Anstalten“ vorgenommen werde. Mit dem gleichen Datum des Protokolls der Besprechung, dem 3. Februar 1934, ging ein Schreiben des Erbgesundheitsgerichtes Bonn an den Oberlandesgerichtspräsidenten in Köln, in dem etwas ausführlicher und mit konkreten Beispielen berichtet wurde.458 So hatte die Provinzial-Erziehungsanstalt in Euskirchen „eine erste Aufstellung über 52 minderjährige Sterilisanden eingereicht“, von denen nur fünf im Bonner Bezirk ihren allgemeinen Gerichtsstand hätten. Für die Anstalt bestehe nun die Notwendigkeit, bei vielen Erbgesundheitsgerichten die Sterilisierungsanträge anzubringen. Clostermann stellte eine Übereinstimmung aller Teilnehmer fest: „Die Versammlung war einhellig der Ansicht, dass damit eine sowohl für die Anstalten wie für die Erbgesundheitsgerichte praktisch undurchführbare Aufgabe gestellt ist.“ Alle seien der Ansicht, es sei „aus rechtlichen und ärztlichen Gründen unabweislich, dass der Sterilisand persönlich vor dem zur Entscheidung berufenen Erbgesundheitsgericht“ vernommen werde. Eine große Zahl der „Sterilisanden“ dem zuständigen auswärtigen Erbgesundheitsgericht zuzuführen, würde jedoch den Anstaltsbetrieb stören, abgesehen davon, dass bei manchen Patienten der Transport nicht möglich sei. Hinzu trete die Kostenfrage: Reisen der Gerichte zu den Anstalten dürften als zu teuer und zeitraubend nicht in Frage kommen. Als Folgerung daraus ergebe sich die „Notwendigkeit, die in den Anstalten untergebrachten Sterilisanden durch das Erbgesundheitsgericht behandeln zu lassen, in dessen Bezirk die Anstalt liegt.“ Argumentiert wurde mit dem § 46 des „Gesetzes zur freiwilligen Gerichtsbarkeit“. Die Versammlung war der Ansicht, dass die Übernahme der Sachen durch das Erbgesundheitsgericht am Aufenthaltsort des Sterilisanden davon abhängig sei, dass dieses Gericht sich überhaupt dazu bereit erkläre. Zweckmäßig sei, „eine ausdrückliche Regelung der hier behandelten, für alle Anstalten in Deutschland bedeutungsvollen Zuständigkeitsfrage in den noch zu erwartenden Ausführungsbestimmungen zu erbitten.“ 455 456 457 458

ARSK LSK 5124/63, Protokoll der Besprechung vom 1.2.1934, 3.2.1934. ARSK LSK 5124/63, Protokoll der Besprechung vom 1.2.1934, 3.2.1934. RGBl 1898, S. 189–229, hier S. 197. ARSK LSK 5124/63, EGG an Oberlandesgerichtspräsident, 3.2.1934.

Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

161

Ein weiterer Vorschlag der Teilnehmer lautete: „In der weiteren Aussprache wurde u. a. auf die Notwendigkeit hingewiesen, nicht nur den ärztlichen Mitgliedern der Erbgesundheitsgerichte, sondern auch den Richtern die erforderlichen spezialwissenschaftlichen Kenntnisse zu vermitteln.“ Das Erbgesundheitsgericht Bonn erstellte auf dieser Grundlage im März 1934 ein Formschreiben, das bei Anträgen zur Unfruchtbarmachung von Personen außerhalb des Gerichtsbezirkes Verwendung fand: „Das Erbgesundheitsgericht steht aus ärztlichen und rechtlichen Gründen auf dem Standpunkt, dass eine sachgemässe Entscheidung über einen Sterilisierungsantrag – von ‚Raritäten‘ als Ausnahmefällen abgesehen – nur erfolgen kann, wenn der Unfruchtbarzumachende persönlich vor dem Gericht erschienen und mit ihm mündlich verhandelt ist. Eine Vernehmung durch einen beauftragten oder ersuchten Richter ist unzulänglich. In den Anstalten halten sich viele Sterilisanden auf, für die gemäss § 5 des Gesetzes auswärtige, oft weit entfernte Erbgesundheitsgerichte zuständig sind. Es wird den Anstalten aus anstaltstechnischen, kostenmässigen und medizinischen Gründen in der Regel nicht möglich sein, die zahlreichen Sterilisanden dem an sich zuständigen auswärtigen Gericht zuzuführen. Andererseits werden die Gerichte nicht in die ausserhalb ihres Bezirks liegenden Anstalten reisen können. Das Erbgesundheitsgericht Bonn wird daher alle gemäss § 5 zu seiner Zuständigkeit gehörenden Sachen, die Sterilisanden betreffen, die ausserhalb des Bonner Bezirks, insbesondere in den Anstalten, sich aufhalten, an das Erbgesundheitsgericht des Aufenthaltsortes mit dem Ersuchen um Übernahme abgeben.“

Das Angebot der Bonner lautete: „Folgerichtig ist das Erbgesundheitsgericht Bonn aber auch bereit, Sachen der gedachten Art von auswärtigen Erbgesundheitsgerichten zu übernehmen.“459 Offenbar wandte sich das Erbgesundheitsgericht an das Erbgesundheitsobergericht Düsseldorf, um Klarheit in dieser Sache zu erhalten. Dieses lehnte am 8. Mai 1934 den Antrag des Erbgesundheitsgerichtes Bonn auf Herbeiführung einer Entscheidung in dieser Sache als unzulässig ab. Die Zuständigkeit des Erbgesundheitsgerichtes sei im Gesetz geregelt. Der Gerichtsstand sei ausschließlich derart, dass weder durch Vereinbarung der Gerichte untereinander noch durch eine Bestimmung des Erbgesundheitsobergerichtes ein anderer Gerichtsstand als der nach § 5 des Gesetzes zuständige begründet werden könne. Das sei auch die Auffassung des Gesetzgebers, wie durch eine Anfrage an das Justizministerium festgestellt worden sei. Hätte die Überweisung an ein anderes Gericht für zulässig erachtet werden sollen, so wäre die Regelung bei der Bedeutung dieser Frage sicherlich selbst erfolgt. Aus Artikel 4 der Verordnung vom 5. Dezember 1933 könne die Zulässigkeit der Überweisung jedenfalls nicht gefolgert werden. Danach fänden die Vorschriften der Freiwilligen Gerichtsbarkeit nur dann entsprechend Anwendung, „soweit nicht im Gesetz etwas anderes bestimmt ist“. Das sei aber bezüglich der Zuständigkeit durch die klare Fassung des § 5 des Gesetzes vom 14. Juli 1933 unmissverständlich bereits 459 ARSK LSK 5124/63.

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„… Anfang, aber nicht Ende“

geschehen. Abgesehen hiervon seien die Vorschriften des F. G. G. insoweit heranzuziehen, als sie das Verfahren vor dem betroffenen Gericht regelten, nicht also diejenigen, die geeignet seien, das Verfahren an das betreffende Gericht zu bringen. Welche Vorschriften des F. G. G. zur entsprechenden Anwendung kamen, sei in dem Kommentar von Gütt auf Seite 147 Ziffer 11 gesagt.460 Weder hier noch sonstwo in diesem Kommentar finde sich ein Hinweis auf § 46 F. G. G. Wenn es auf Seite 61 heißt: „Die Vorschriften über das Verfahren lehnen sich nach Möglichkeit an das für das Entmündigungsverfahren Geltende an“, so ergibt sich die Bedeutung dieses Satzes aus dem nachfolgenden Halbsatz: „Jeder Anklang an den Strafprozess ist vermieden.“ Der Paragraph 46 enthalte eine Spezialbestimmung, die nur in Vormundschaftssachen Anwendung finde. Damit erklärte sich das angerufene Gericht für den Erlass der erbetenen Entscheidung nicht zuständig. Schließlich regelte die zweite Ausführungsverordnung vom 29. Mai 1934 die Zuständigkeit eindeutig: „Für Insassen einer Kranken-, Heil- und Pflegeanstalt oder einer Strafanstalt sind auch das Erbgesundheitsgericht und der Amtsarzt zuständig, in deren Bezirk die Anstalt liegt.“ 461 An einem Beispielfall lässt sich die unterschiedliche Praxis der Erbgesundheitsgerichte deutlich aufzeigen: Am 14. März 1934 stellte der Anstaltsleiter der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Johannistal bei Süchteln den Antrag auf Unfruchtbarmachung des Karl K. wegen „erblicher Fallsucht“. Dieser war am 18. Juli 1900 in Siegburg-Kaldauen geboren und lebte auch vor seiner Aufnahme in die Anstalt dort. Der Antrag ging beim Erbgesundheitsgericht in Bonn ein, das am 18. Mai 1934 gesetzmäßig den Kreisarzt in Siegburg darüber informierte. Dieser wiederum wandte sich am 30. Mai 1934 an die Anstaltsleitung und bat um die Übersendung der vorgeschriebenen Anzeige. Mit Verweis auf die Gesetzeslage erwiderte die Anstalt am 4. Juni 1934, dass die vorgeschriebene Anzeige dem zuständigen Kreisarzt in Kempen bereits am 31. Januar 1934 erstattet worden sei. Das Erbgesundheitsgericht Bonn begann im Juni 1934 mit seinen Ermittlungen. Am 6. Juli 1934 wandte sich das Bonner Erbgesundheitsgericht an das in Mönchengladbach, in dessen Bezirk die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Süchteln-Johannistal lag, und bat um die Übernahme des Falles: „Nachdem durch die Novelle zum Erbgesundheitsgesetz die dortige Zuständigkeit gegeben ist, ersuche ich ergebenst diese Sache aus Zweckmässigkeitsgründen und insbesondere aus Gründen der Kostenersparnis zu übernehmen. Das Erbgesundheitsgericht Bonn steht nach wie vor auf dem Standpunkt, dass es erforderlich ist, den Unfruchtbarzumachenden persönlich zu vernehmen. Um die Reisekosten des Gerichts in die im dortigen Bezirk liegende Anstalt bezw. die Überführung des Patienten von dort nach hier zu vermeiden, bitte ich, die Übernahme nicht abzulehnen.“

460 Gütt/Rüdin/Ruttke, Gesetz. 461 RGBl 1934, S. 475.

Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

163

Abb. 35  Schlafraum der Männer in der Provzinzial-Heil- und Pflegeanstalt Johannistal, vor 1945

Das Erbgesundheitsgericht in Mönchengladbach übernahm den Fall, allerdings erschien der Betroffene bei der Verhandlung am 7. August 1934 nicht vor dem Gericht. Lediglich das ärztliche Gutachten des Antrages wurde zum Gegenstand der Verhandlung gemacht und anschließend der Beschluss zur Anordnung der Unfruchtbarmachung verkündet. Offenbar benötigte das Gericht in Mönchengladbach keine persönliche Vernehmung des Betroffenen.462 Anzahl der Verfahren

Vor dem Erbgesundheitsgericht Bonn fanden nach den erhaltenen Karteikarten 4430 Verfahren statt.463 Darunter waren mindestens 1156 Erbgesundheitsverfahren mit Personen aus dem Untersuchungsgebiet.

462 ARSK LSK 5124/62. 463 Feldmann/Bothien, Zwangssterilisation, S. 247.

164

„… Anfang, aber nicht Ende“

Verfahren vor dem Erbgesundheitsgericht Bonn nach Aktenzeichen (plus auswärtige Erbgesundheitsgerichte) Jahr

Landkreis Bonn

Siegkreis

Bonn-Stadt

Gesamt

1934

64 (plus 14) 78

169 (plus 11) 180

9

242 (plus 25) 267

1935

82 (plus 14) 96

181 (plus 23) 204

15 (plus 5) 20

278 (plus 42) 320

1936

69 (plus 10) 79

201 (plus 22) 223

8 (plus 1) 9

278 (plus 33) 311

1937

47 (plus 9) 56

119 (plus 13) 132

4 (plus 2) 6

170 (plus 24) 194

1938

21 (plus 4) 25

98 (plus 9) 107

3 (plus 1) 4

122 (plus 14) 136

1939

26 (plus 1) 27

43 (plus 2) 45

1

70 (plus 3) 73

1940

12 (plus 1) 13

28 (plus 2) 30

1

41 (plus 3) 44

1941

4 (plus 5) 9

20 (plus 1) 21

3

27 (plus 6) 33

1942

5

15 (plus 1) 16



20 (plus 1) 21

1943

1

5



6

1944



1

1

2

Unbekannt

97

8



105

Gesamt

331 (plus 58) 389 (plus 97) 486

880 (plus 84) 964 (plus 8) 972

45 (plus 9) 54

1156 (plus 151) 1307 (plus 105) 1512

Die Erbgesundheitsgerichte waren zusammengesetzt aus einem Juristen, der den Vorsitz führte, und zwei Ärzten, die als Beisitzer fungierten. Einer von ihnen war beamteter Arzt, also ein Mediziner in staatlichem Dienst, ein Kreisarzt oder Amtsarzt, d. h. Leiter eines staatlichen Gesundheitsamtes aus dem Bezirk. Der zweite Beisitzer war ein approbierter Arzt. Hier finden sich Mediziner der Bonner Universitätsklinik und der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn. In einigen Fällen waren auch die leitenden Ärzte von Privatkliniken Beisitzer. Das Besondere an der Konstellation von einem Juristen und zwei Medizinern war, dass die beiden Mediziner den Juristen überstimmen konnten. Letztlich bedeutete das, dass der Jurist lediglich für die Einhaltung der formalen Regeln während des Verfahrens gebraucht wurde. Die Beurteilung des Falles und die Entscheidung über das Schicksal des Betroffenen lagen in den Händen der Mediziner. Trotzdem lohnt sich der Blick auf die Juristen, die in den Erbgesundheitsverfahren den Vorsitz übernahmen. Das juristische Personal für die Erbgesundheitsgerichte rek-

Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

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rutierte sich zunächst aus den am Amtsgericht tätigen Richtern, die nun zusätzlich zu ihren bisherigen Aufgaben die neuen Verfahren übernahmen. Die Richter

Von den Richtern des Erbgesundheitsgerichtes Bonn hebt sich einer heraus, denn er stammt aus dem Siegkreis. Ludwig Clostermann464 wurde am 5. Januar 1884 in Warth als Sohn eines Landwirtes geboren.465 Nach dem Studium der Rechtswissenschaft an den Universitäten Freiburg, München und Bonn hatte er 1905 die Erste Staatsprüfung in Köln bestanden und im Justizdienst als Referendar angefangen. Die Zweite Staatsprüfung legte er 1910 in Berlin ab und wurde Gerichtsassessor. Von Januar bis Oktober 1911 arbeitete er bei der Rheinischen Provinzialverwaltung in Düsseldorf. Dann entschloss er sich, um seine Entlassung aus dem Justizdienst Abb. 36  Ludwig Clostermann, 1936 nachzusuchen, weil er beabsichtigte, ein Studium der Theologie aufzunehmen. Zu einer entsprechenden weiterführenden Tä­­tig­keit mit diesem neuen Studium kam es nicht, denn 1914 stellte er ein Gesuch zur Wiederaufnahme in den Justizdienst.466 Im Ersten Weltkrieg leistete er vom 14. März bis 15. April 1916 Wehrdienst als Kanonier. Nach dem Krieg war er ab 1919 Landrichter in Köln. Am 1. Oktober 1920 erfolgte die Versetzung an das Amtsgericht Bonn. Seit 1922 war er als Jugendrichter, seit 1923 auch als Vormundschaftsrichter tätig. Für seine nebenamtliche Tätigkeit als Universitätsrichter von 1920 bis 1923 ernannte ihn die Universität Bonn 1925 zum Ehrenbürger. Clostermann widmete sich vor allem der Jugendgerichtsbarkeit. Auf diese Weise hielt er ständig Fühlung mit behördlichen und privaten Wohlfahrts- und Fürsorgeorganisationen. Bald wurde er auch in dementsprechende Gremien aufgenommen: Im Landesjugendamt war er stellvertretendes Mitglied. Auf dem Gebiet des Jugendstrafrechtes war er seit Mitte der 1920er Jahre zum anerkannten Fachmann mit zahlreichen Veröffentlichungen467 geworden, der nicht nur in Deutschland, sondern auch international ein gefragter Experte 464 465 466 467

LAV NRW R BR-PE 918, NW-PE 326. StA Bonn, To 421. LAV NRW R BR-PE 918. Z. B. Clostermann, Reinigung; Clostermann, Begriff; vollständige Liste in LAV NRW R BR-PE 918.

166

„… Anfang, aber nicht Ende“

war. 1928 gehörte er zu den 60 Gründungsmitgliedern der „Association International des Juges des Enfants“, einem losen Zusammenschluss von Jugendrichtern aus Europa und Amerika. Clostermann war dem katholischen Milieu verbunden und von 1911 bis April 1933 Zentrumsmitglied. Seine Mitgliedschaft im katholischen Beamtenverein soll bis 1935 bestanden haben. Sein Eintritt in die NSDAP datiert auf den 1. Mai 1937 (Mitgliedsnummer 5.309.908). Bereits im Juli 1933 war er dem Deutschen Luftsportverein (DLV) beigetreten, im September 1933 der NSV und im Oktober 1933 schließlich dem NS-Rechtswahrerbund. In Letzterem war er kommissarischer Ortsgruppenführer der Ortsgruppe Poppelsdorf. Abb. 37  Ludwig Clostermann, Foto: Robert Frei, nach 1945 Seine Tätigkeit beim Erbgesundheitsgericht lässt sich für die Jahre 1934 bis 1935 und 1937 bis 1938 nachweisen. Clostermann publizierte auch darüber.468 Am 1. Oktober 1941 erfolgte seine Ernennung zum Landgerichtsdirektor. Im Oktober 1943 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität Bonn. Nach dem Kriegsende konnte er bereits im Juli 1945 eine Nebentätigkeit im städtischen Jugendamt übernehmen. Die erste Einreihung bei der Entnazifizierung erfolgte in die Kategorie IV (Mitläufer), die zweite 1948 in die Kategorie V (unbelastet). Seine Tätigkeit beim Erbgesundheitsgericht redete er klein: Er habe sich mit Jugendsachen, Vormundschaftssachen und „ausserdem vorübergehend 1934/35 Erbgesundheitssachen“ beschäftigt. Zwischenzeitlich war er im Juni 1947 wieder zum Amtsgerichtsrat zurückgestuft worden. Am 29. Januar 1947 erfolgte sein Dienstantritt beim Amtsgericht Bonn. 1948 bewarb er sich um eine Stelle als Landgerichtsdirektor und begann den Kampf zur Wiedereinsetzung in die Planstelle als Landgerichtsdirektor. Er ging am 1. Februar 1952 in den Ruhestand469 und leitete den Verein für Bewährungshilfe. Clostermann starb am 23. Januar 1956. Auch der Amtsgerichtsdirektor Heinrich Heiermann übte den Vorsitz beim Erbgesundheitsgericht aus. Seine Tätigkeit ist für 1934 belegt. In den Jahren 1934 bis 1935 war August Hamacher als Vorsitzender tätig. Über die beiden Genannten ist sonst nichts bekannt. Mehr wissen wir über Viktor Genniges, der in den Jahren 1935 bis 1937 als Vorsitzender des Erbgesundheitsgerichtes tätig war. Genniges wurde am 4. Februar 1897 als 468 Clostermann, Form. 469 Bonner Rundschau, 1.2.1952.

Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

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Sohn eines Oberstudiendirektors in Bonn geboren. Er besuchte zunächst eine Privatschule, dann das Gymnasium in Konitz, bevor er 1906 auf das Gymnasium in Bonn wechselte. Nach dem Abitur 1915 begann er in Bonn ein Studium, das vom 1. September 1915 bis zum 29. November 1918 durch die Teilnahme am Ersten Weltkrieg unterbrochen war. 1920 bestand er die Erste Staatsprüfung in Köln und begann das Referendariat. Die Zweite Staatsprüfung legte er 1923 in Berlin ab. Danach war er als Gerichtsassessor tätig. 1926 kam er an das Amtsgericht Euskirchen, von wo er 1934 nach Bonn wechselte. Politisch stand er dem Zentrum nahe, dem er von 1922 bis März 1933 als Mitglied angehörte. Sein Eintritt in die NSDAP Abb. 38  Viktor Genniges, undatiert datiert auf den 1.  Mai 1933 (Mitgliedsnummer 2.028.403). 1934 trat er dem NS-Rechtswahrerbund und der NSV bei, 1935 dem Reichsluftschutzbund und dem Reichskolonialbund. Im Zweiten Weltkrieg war er noch einmal eingezogen und bei der Luftnachrichtentruppe in Frankreich eingesetzt. Er schied im September 1963 nach 43 Jahren als Oberamtsrichter aus dem Justizdienst aus. Als eher ungewöhnlich ist die Tätigkeit von Ernst Eduard Köster (geb. 1884) als Vorsitzender des Erbgesundheitsgerichtes im Jahre 1936 zu sehen, da Köster Landgerichtsrat war und somit mit der Tätigkeit des am Amtsgericht angesiedelten Erbgesundheitsgerichtes eigentlich nichts zu tun hatte. Möglicherweise handelte es sich um eine Vertretung. Mit Joseph Lepique470 war wieder ein dauerhafter Vorsitz gewährleistet. Er war von 1936 bis 1939 beim Erbgesundheitsgericht tätig.471 Lepique war am 7. Oktober 1887 in Malmedy als Sohn eines Lederfabrikanten geboren und katholisch getauft. Er ging dort in die Volksschule und auf das Realgymnasium, um dann zum Gymnasium in Prüm zu wechseln, wo er 1906 die Reifeprüfung bestand. Von 1906 bis 1909 studierte er in Freiburg, Kiel und Bonn Rechtswissenschaft. Als Student war er Mitglied der katholischen Studentenverbindung „Hohenstaufen“. Nach der Ersten Staatsprüfung 1909 in Köln begann er seine Laufbahn als Referendar. Die Zweite Staatsprüfung bestand er 1914 in Berlin, kurze Zeit später avancierte er zum Gerichtsassessor. Im Ersten Weltkrieg war er vom 470 LAV NRW R BR-PE 1274, NW 1051–1152, NW-PE 2803. 471 LAV NRW R NW-PE 2803, NW 1049–54196; Adressbuch Bonn 1938, 1941/42.

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„… Anfang, aber nicht Ende“

1. August bis 29. November 1918 als Kanonier eingesetzt. Ab 1924 arbeitete er bei der Staatsanwaltschaft in Trier, ab 1929 als Amtsgerichtsrat in Hermeskeil. Dem „früheren Staatsanwalt“ attestierte der Landgerichtspräsident in Trier 1932, sich „überraschend schnell in die Zivilrechtspflege eingelebt“ zu haben. Am 1. Oktober 1936 wechselte er an das Amtsgericht Bonn, da er hier bessere Ausbildungsmöglichkeiten für seine vier Kinder sah. Politisches Engagement zeigte er 1924 mit dem Eintritt in das Zentrum, wobei seine Mitgliedschaft aber nur etwa ein Jahr dauerte. Die Aufnahme in die NSDAP erfolgte zum 1.  Mai 1933 (Mitgliedsnummer 2.213.471). Ab März 1939 war er stellvertretender Blockleiter in der Zelle 1 Abb. 39  Joseph Lepique, undatiert der Ortsgruppe Bonn-Süd. Ebenfalls auf den 1. Mai 1933 datiert der Eintritt in die NSV, am 18. Mai 1933 folgten die Eintritte in den Reichsbund der Deutschen Beamten (RDB) und den NS-Rechtswahrerbund. Ab 1934 war er auch Mitglied im Reichsluftschutzbund (RLB). Lepique war vier Jahre lang Vorsitzender des Erbgesundheitsgerichtes und stellvertretender Vorsitzender des Arbeitsgerichtes. Ab dem 2. Januar 1941 war er „im Kriegseinsatz“ zur Staatsanwaltschaft abgeordnet. Nach dem Krieg wurde er 1947 zunächst in die Kategorie IV (Mitläufer) und nach dem Berufungsverfahren 1948/49 in die Kategorie V (Unbelastet) eingestuft. Bereits am 8. Mai 1947 war er durch die Militärregierung wieder zugelassen worden. Der 1894 geborene Wilhelm Schüth472 lässt sich als Mitwirkender am Erbgesundheitsgericht nur für das Jahr 1936 nachweisen. In der Kriegszeit waren Johannes Müller und Worringer, beide 1940, als Vorsitzende tätig. 1941 und 1942 übernahm Wilhelm Kloninger473 (geb. 1903) den Vorsitz bei Verhandlungen.474 Kloninger war am 9. November 1903 in Minden geboren und evangelisch getauft. Er besuchte die Volksschulen in Essen und Koblenz. 1923 erlangte er auf dem Kaiserin-Augusta-Gymnasium in Koblenz die Hochschulreife. Er studierte in Frankfurt am 472 LAV NRW R Gerichte Rep. 255–1. 473 LAV NRW R BR-PE 13304, NW 1049–67428. 474 Adressbuch Bonn 1941/42, Amtsgericht.

Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

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Main und Bonn. 1926 bestand er die Erste Staatsprüfung in Köln und begann sein Referendariat. Die Zweite Staatsprüfung absolvierte er 1930 in Berlin. Kurze Zeit später wurde er zum Gerichtsassessor ernannt. 1937 kam er als Amtsgerichtsrat nach Bitburg und von hier am 1. Januar 1940 nach Bonn. In Bonn gab er als Jugendrichter einem SD-Beamten mehrmals Rechtsauskünfte. Seine Mitgliedschaft in der NSDAP datiert auf den 1.  Mai 1933 (Mitgliedsnummer 2.178.329). Außerdem war er seit 1935 Mitglied im NS-Rechtswahrerbund und seit 1939 in der NSV. Der Einreihungsbescheid von 1947 sah ihn in Kategorie IV (Mitläufer), nach dem Berufungsverfahren wurde er in Kategorie V (Unbelastet) einAbb. 40  Wilhelm Kloninger, 1947 gestuft. Bereits 1947 erbat der Landgerichtspräsident um Zustimmung für die Wiedereinstellung Kloningers. Seine alte Planstelle erhielt er 1949 zurück. 1964 übernahm er die Stelle des Oberamtsrichters. Im November 1968 ging er in den Ruhestand. Mit Landgerichtsrat Willibald Küppers (1884–1955)475 lässt sich noch einmal ein Vertreter des Landgerichtes in den Jahren von 1942 bis 1944 bei zehn Fällen nachweisen. Er gehörte 1937 dem Gerichtskollegium als Beisitzer an, das sich der Forderung der Reichsjustizverwaltung auf Abweisung einer Klage verweigerte, die ein saarländischer Steiger gegen das Deutsche Reich erhoben hatte. Aus diesem Grund erfolgte eine Strafversetzung an das Arbeitsgericht.476 Richter

Zahl der Verfahren

Joseph Lepique

447

Ludwig Clostermann

268

Viktor Genniges

208

August Hamacher

149

Wilhelm Kloninger

56

Johannes Müller

15

Wilhelm Schüth

15

475 Adressbuch Bonn 1936, 1939, 1941/42, Landgerichtsrat. 476 Schorn, Richter, S. 288, 350; Gutzmer, Chronik, S. 207.

170

„… Anfang, aber nicht Ende“

Richter

Zahl der Verfahren

Heinrich Heiermann

12

Willibald Küppers

10

Ernst Köster

8

Worringer

2

Gesamt

1188

Die beamteten Ärzte

Die im Gesetz vorgesehenen beamteten Ärzte rekrutierten sich aus der Gruppe der Kreis- und Amtsärzte bzw. Leiter der Gesundheitsämter und ihrer Stellvertreter. Für Bonn-Land waren dies die Ärzte Josef Basten, Hubert Lohmer, Hans Schoeneck, Artur Josten, Friedrich Bierbaum und Alfred Esser sowie aus dem Siegkreis Bruno Bange. Da das Erbgesundheitsgericht Bonn für den gesamten Landgerichtsbezirk Bonn zuständig war, wurden als Beisitzer auch der Bonner Amtsarzt und seine Vertreter (Josef Basten, Willi Crome, Hans Heubach, Rudolf Spickernagel) sowie die Amtsärzte des Kreises Euskirchen (Franz Heinrich Faller) und des Oberbergischen Kreises (Paul Herberg) hinzugezogen. Insgesamt lassen sich 13 beamtete Ärzte nachweisen. Der Euskirchener Amtsarzt Franz Heinrich Faller477 wurde am 2. Juni 1895 in Hainstadt, Kreis Offenbach, geboren. Den Besuch des Gymnasiums in seinem Geburtsort schloss er 1912 mit dem Abitur ab. Im gleichen Jahr begann er das Studium der Medizin an der Universität Gießen. Im Juli 1914 bestand er die ärztliche Vorprüfung. Ab dem 12. August 1914 diente er als Unter- und Feldhilfsarzt im Feld-Artillerie-Regiment 25. Er wurde zweimal verwundet und einmal verschüttet. Nach 1918 blieb er als Ordonnanzoffizier beim freiwilligen Landjägerkorps bis zu dessen Auflösung am 1. Januar 1921. Er nahm sein Studium wieder auf und besuchte die Universitäten Frankfurt am Main und Halle. Dort erhielt er am 22. Dezember 1922 die Approbation. Die Promotion folgte am 10. Juni 1923 in Frankfurt. Vom 8. Januar bis 8. April 1924 war er als Volontärassistenzarzt in der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Johannistal tätig. Ab dem 1. Juli 1924 arbeitete er als praktischer Arzt in Anrath. Am 27. März 1926 bestand Faller die Kreisarztprüfung und erhielt am 10. August 1926 die Anstellung als stellvertretender Kreisarzt für den Kreis Daun. Weil der frühere Amtsarzt noch die Dienstwohnung bewohnte, konnte Faller nicht nach Daun ziehen. Als er am 1. Dezember 1927 die Wohnung beziehen sollte, weigerte er sich und beabsichtigte, seine Dienststelle nach Gerolstein zu verlegen. Da der Landrat und die vorgesetzte Behörde auf dem Dienstsitz in Daun bestanden, hielt Faller die Wiederherstellung eines guten Einvernehmens mit dem Landrat für ausgeschlossen, so dass er eine Versetzung nach Soest ins Auge fasste. Auch der Medizinaldezernent der Regierung Trier, Artur Josten, der spätere Amtsarzt des Landkreises Bonn, riet zur Ver-

477 LAV NRW R BR-PE 6629.

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wendung an anderer Position. Faller bewarb sich am 6. Dezember 1928 auf die Stelle des Kreisarztes in Euskirchen, am 1. Januar 1929 trat er den neuen Posten an. In Fallers Bezirk lagen die Provinzial-Erziehungsanstalt Euskirchen und das Kloster Hoven in Zülpich. Insgesamt zwölf Anträge lassen sich von ihm nachweisen.478 Darüber hinaus war er noch als Mitwirkender beim Erbgesundheitsgericht zwischen 1934 und 1943 in mindestens 390 Fällen beteiligt. Unter den beamteten Ärzten gab es zwei Ärzte, die keine Amtsärzte waren. Friedrich „Fritz“ Pietrusky479 studierte nach dem Abitur 1913 in Freiburg und Breslau. Die Promotion erfolgte 1922. Er erhielt eine Assistentenstelle im Breslauer Institut für gerichtliche Medizin. 1924 bestand er das Kreisarztexamen, ein Jahr später habilitierte er sich und stieg zum kommissarischen Leiter des Institutes auf. Nachdem er 1927 Ordinarius in Halle geworden war, wechselte er zum 1. November 1930 als Leiter des Institutes für gerichtliche und soziale Medizin nach Bonn. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten bemühte sich Pietrusky um die Aufnahme in die NSDAP. Er war seit 1933 Parteianwärter und wurde nach der Aufnahmesperre 1937 Parteimitglied mit der Mitgliedsnummer 2.103.018. Im April 1933 wurde er zum ersten Mal zum Rektor der Universität Bonn gewählt. In seiner Antrittsrede sprach er vom „internationalen Judentum“ und dem „Vorbild Horst Wessel“. Neben seiner Rektoratszeit in den Jahren 1933/34 und Abb. 41  Friedrich „Fritz“ Pietrusky, undatiert 1935/36 fungierte er 1934/35, 1936–1939 und 1941/42 als Prorektor. Er spielte an der Universität eine „unheilvolle Rolle“.480 Da er so spät Anschluss an den Nationalsozialismus gesucht hatte, war er offenbar besonders eifrig. Noch 1933 befürwortete er das Erstellen einer Liste von Dozenten, die gegen die NSDAP eingestellt waren, und die Erlaubnis eines Boykottaufrufes von Studenten gegen missliebige Dozenten. Er unterstützte das Verbot der katholischen Hochschulgruppe „Neudeutschland“ und setzte sich dafür ein, dass auf Studenten, die vor Mitte 478 ARSK LKB 6616, 6685, 6772, 6942, LSK 5283/853, 5351/1193, 5516/2016; StA Bonn Pr 50/604, 684, 792, 850, 1042. 479 Wenig, Verzeichnis, S. 227; Forsbach, Fakultät, S. 119–132; Hofer, Gleichschaltung, S. 82. 480 Forsbach, Fakultät, S. 120.

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1932 nationalsozialistisch engagiert waren, beim Examen „entsprechende Rücksichten“ genommen werden sollten. In seine Amtszeit fallen nationalsozialistische Schulungskurse, bei denen bekannte Parteifunktionäre, wie z. B. der Präsident des Reichsgesundheitsamtes Hans Reiter (1881–1969), propagandistische Vorträge hielten. Andererseits hatte Pietrusky mit dem Ruf der Universität Bonn als katholischreaktionäre Institution zu kämpfen. Stets verteidigte er sie als nationalsozialistisch und betrieb eine ebensolche Universitätspolitik. An eine „eigentliche Bösartigkeit“ wollte der NS-Gegner Paul Martini nach dem Kriege bei Pietrusky aber nicht glauben. 1942 wechselte Pietrusky nach Heidelberg, wo er 1945 zwangsweise seiner Stellung enthoben und 1954 emeritiert wurde. Von ihm sind mindestens 15 Anzeigen und fünf Anträge auf Sterilisation nachweisbar.481 Außerdem saß er noch in neun Fällen als Mitwirkender im Erbgesundheitsgericht. In 31 Fällen, also noch öfter, war er Mitwirkender im Erbgesundheitsobergericht. Ungewöhnlich ist auch, dass im Juli 1934 Fritz Koester482, Oberarzt der ProvinzialHeil- und Pflegeanstalt Bonn, an dieser Stelle saß. Möglicherweise hat er eine Vertretung übernommen. Sein Einsatz als nichtbeamteter approbierter Arzt ist jedenfalls öfter nachweisbar. Der Landgerichtspräsident hatte ihn als einen der ersten am 27. Februar 1934 zum ordentlichen ärztlichen Mitglied des Erbgesundheitsgerichtes bestellt und Walter Blumenberg (1895–1968) vom Hygienischen Institut als seinen Vertreter.483 Der dem Erbgesundheitsgericht angehörende approbierte Arzt sollte nach dem Gesetz „mit der Erbgesundheitslehre besonders vertraut“484 sein. Hier waren vor allem Ärzte der Heil- und Pflegeanstalten sowie der Universitätskliniken vertreten. Eher außergewöhnlich ist an dieser Stelle der stellvertretende Amtsarzt Esser. Womöglich hat er eine Vertretung übernommen. Die Beisitzer aus den Bonner Universitätskliniken

Der vom Gesetz vorgegebenen Auswahl von „Erbkrankheiten“ folgend waren die an den jeweiligen Spezialkliniken der Universität (Nervenklinik, Augenklinik, Hals-NasenOhren-Klinik) beschäftigten Ärzte an erster Stelle als Gutachter und Beisitzer bei Erbgesundheitsgerichtsverhandlungen aktiv. Dies betraf vor allem Lehrstuhlinhaber und Oberärzte. Als einer der Eifrigsten kann Florin Laubenthal485 gelten. Er war Arzt in der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Bonn. Nach dem Studium in Bonn und 481 Anzeigen: ARSK LKB 6619 und 6586/45, ARSK LKB 6779, ARSK LKB 6785/1–2, ARSK LKB 6846, ARSK LKB 6848, ARSK LKB 6937/1–2 und 6586/38, ARSK LSK 5117/29, ARSK LSK 5117/30, ARSK LSK 5120/42, ARSK LSK 5120/43, StA Bonn Pr 50/741, Pr 50/804, Pr 50/833, Pr 50/956, Pr 50/966; Anträge ARSK LKB 6822, ARSK LKB 6823, ARSK LKB 6847, ARSK LKB 6892, StA Bonn Pr 50/856. 482 StA Bonn Pr 50/676. 483 Psychiatriemuseum, Personalakte Koester. 484 RGBl 1933, S. 529. Zu Laubenthal auch oben S. 132 f. 485 Wenig, Verzeichnis, S. 172.

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München 1922 bis 1927 wurde er 1929 in Bonn promoviert. Die Habilitation in Bonn folgte 1937, wo er ab 1939 als außerordentlicher Professor wirkte. Er wurde stellvertretender Leiter der Nervenklinik und schließlich 1944 außerplanmäßiger Professor. Nach dem Krieg war er stellvertretender Leiter der Nervenklinik und Chefarzt in Essen 1947. 1962/63 wechselte er nach Münster. Es gibt Indizien dafür, dass Laubenthal eine „aktive Beteiligung an den NS-Verbrechen“ vorgeworfen werden kann. In der Beurteilung Laubenthals anlässlich seines Habilitationsverfahrens schreibt Professor Kurt Pohlisch 1937: „In seinem Verhalten bei der Erledigung eugenischer Maßnahmen – was ja ein Prüfstein nationalsozialistischen Handelns ist – hat er sich stets in seiner Gesinnung und in seinem Handeln nationalsozialistisch verhalten. Deshalb ist er auf meinen Vorschlag hin zum Mitglied des Erbgesundheitsgerichtes Bonn ernannt worden.“486

Das Thema der öffentlichen Lehrprobe am 21. Juni 1937 lautete: „Über die Bedeutung der Encephalographie bei der Diagnose der im Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses angeführten Erbkrankheiten.“487 Laubenthal lässt sich als Mitwirkender an Erbgesundheitsgerichtsverfahren von 1936 bis 1940 und 1942 in 96 Fällen nachweisen. Als Sachverständiger war er von 1934 bis 1941 in weiteren 27 Fällen tätig. Als langjähriger Beisitzer fungierte Hans Knauer.488 Er absolvierte sein Studium in Breslau von 1919 bis 1922, wo er 1923 promoviert wurde und sich 1928 habilitierte. Seit diesem Jahr war er Oberarzt in Breslau und erhielt dort 1933 eine außerordentliche Professur. Knauer war bereits 1931 Mitglied der NSDAP und des NS-Ärztebundes geworden. Ebenso war er 1933 in die SA eingetreten. Seine Berufung an die Bonner Universität 1934 als ordentlicher Professor der Kinderheilkunde und zugleich Direktor der Kinderklinik geschah gegen den Willen der Fakultät. Die Hochschulkommission der NSDAP wählte ihn zum Vertrauensmann der Partei an der Medizinischen Fakultät. Knauer verwickelte sich in Bonn in fachliche, persönliche und parteipolitische Streitigkeiten, die zu seiner Suspendierung am 22. Februar 1940 und schließlich zu seiner Entlassung am 11. Mai 1943 führten. Knauer war nachweislich Mitwirkender im Erbgesundheitsgericht Bonn in den Jahren 1934 bis 1935 und 1937 bis 1939. Nur kurzzeitig war ein weiterer Professor aktiv: Walter Blumenberg489 studierte an den Universitäten Marburg, Göttingen und Jena. Die Promotion erfolgte in Jena 1920, die Habilitation 1925 in Bonn, wo er noch im gleichen Jahr als außerordentlicher Profes486 487 488 489

Forsbach, Fakultät, S. 208. Forsbach, Fakultät, S. 208. Wenig, Verzeichnis, S. 153 Wenig, Verzeichnis, S. 27.

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sor tätig wurde. Er war Oberarzt des Hygienischen Institutes und gab 1933 bis 1935 Vorlesungen über „Rassenhygiene“.490 Am 27. Februar 1934 bestellte ihn der Landgerichtsdirektor als Vertreter von Fritz Koester, der gleichzeitig zum ordentlichen ärztlichen Mitglied des Erbgesundheitsgerichtes bestellt wurde. Blumenberg lässt sich von April bis Juni 1934 in 20 Sitzungen als Mitwirkender nachweisen. Ein weiterer Professor als Beisitzer war Walther Haupt491. Er hatte in Würzburg, Königsberg und Freiburg studiert. Seine Promotion erfolgte in Würzburg 1922, die Habilitation in Köln 1923/24. 1928 wurde er nach Bonn umhabilitiert, wo er im gleichen Jahr außerordentlicher Professor wurde. 1934 war er Oberarzt und kommissarischer Direktor der Universitäts-Frauenklinik.492 1935 folgte er einem Ruf nach Greifswald. Sein Eintritt in die NSDAP soll 1937 erfolgt sein.493 Haupt lässt sich als Mitwirkender für die Jahre 1934 und 1935 nachweisen. Die Beisitzer aus der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn, weiteren Anstalten und der niedergelassenen Ärzteschaft

An den Erbgesundheitsverfahren beteiligten sich aber auch Ärzte aus der ProvinzialHeil- und Pflegeanstalt sowie andere niedergelassene Ärzte. Der bereits porträtierte Friedrich „Fritz“ Koester (Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt) lässt sich in 52 Fällen als Mitwirkender beim Erbgesundheitsgericht nachweisen. Für die Jahre von 1936 bis 1939 und 1942 lässt sich Hans Aloys Schmitz494 als Beisitzer beim Erbgesundheitsgericht in Bonn nachweisen. Schmitz, der Mitglied der Katholischen Deutschen Studentenvereinigung Novesia Bonn geworden war, absolvierte sein Studium in Bonn, München, Köln und wiederum in Bonn in den Jahren 1918 bis 1923. Zwei Jahre später erfolgte in Bonn die Promotion. 1940 habilitierte er sich hier, ab 1942 war er Dozent an der Universität und wurde 1949 außerplanmäßiger Professor. Schmitz war ab 1935 ärztlicher Leiter der Rheinischen Kinderanstalt für seelisch Abnorme, die 1939 in Rheinische Landesklinik für Jugendpsychiatrie umbenannt wurde. Seine 1935 geschlossene Ehe blieb kinderlos. Schmitz war Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 4.194.176), des NS-Ärztebundes (1935, Mitgliednummer 8345), des NS-Dozentenbundes (1942), des NSKK (Sturmmann, seit 20.9.1933, Sanitäts-Obertruppführer seit 20.6.1939), der NSV (seit 1933/34), des RDB (seit 1933) und des Reichsluftschutzbundes. Schmitz hatte bereits 1917/18 am Ersten Weltkrieg teilgenommen. Er diente bei Kriegsbeginn im September 1939 bis November 1939 und noch einmal im Juli und August 1940 als Stabsarzt bei der Wehrmacht mit Dienstort Bonn. Von November 1940 bis Dezember 1941 war er in Frankreich und Rumänien, wo er in Lazaretten eingesetzt wurde. Seit Sep490 491 492 493 494

Forsbach, Fakultät, S. 452. Wenig, Verzeichnis, S. 108. Forsbach, Fakultät, S. 235, 237, 395, 518. Klee, Personenlexikon, S. 232. Wenig, Verzeichnis, S. 272; Forsbach, Fakultät, S. 216–220.

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tember 1942 war er dauerhaft an die Landesklinik zurückgekehrt. Von November 1944 bis zum Kriegsende besuchte er dreimal wöchentlich halbtags das Lazarett Pützchen. In der Zeit als Beisitzer sei sein Verhältnis zu Pohlisch „häufig recht gespannt“495 gewesen, sagte er nach 1945 aus. Er verweigerte sich angeblich dem raschen Personalwechsel und ging auf Distanz zu Pohlischs Idee einer „Ausweitung der bisherigen Psychiatrie zur Sippenpsychiatrie“.496 Der NS-Gegner und Nachkriegsdirektor der Psychiatrischen und Nervenklinik Bonn Hans Gruhle (1880–1958) urteilte 1949, dass Schmitz in seinen Schriften „ausser einigen unbestimmten Verbeugungen vor Rüdin und seiner Erblehre […] kaum“ etwas geschrieben habe, „an dem ein Nationalsozialist Freude gehabt hätte“.497 Aber es habe öffentliche Äußerungen zu einer möglichen erblichen „verbrecherischen Gesinnung“ und daher zur „Ausmerze“ von straffälligen Jugendlichen gegeben. Schmitz spielte auch eine Rolle bei den „Euthanasie“-Morden. Er war zwar zu der im April 1940 stattfindenden Besprechung der T4-Aktion in Berlin eingeladen, hatte jedoch durch eine Namensverwechslung mit dem im Erbforschungsinstitut tätigen Curt Schmidt (1906–1978) davon nicht erfahren. Pohlisch und Panse verschwiegen ihm den Inhalt der Gespräche und auch die Namensverwechslung. Trotzdem war er an den nationalsozialistischen Verbrechen beteiligt. In seiner Amtszeit wurden mindestens 160 Kinder aus der Klinik in „Kinderfachabteilungen“ gebracht, wo sie fast alle getötet wurden.498 Niedergelassene Ärzte und Krankenhausärzte konnten ebenso in das Gericht aufgenommen werden. Karl Friedrich Vorländer war Facharzt für Frauenkrankheiten und am Johanniter-Krankenhaus499, später am St. Franziskus-Hospital500 tätig. Er lässt sich als Mitwirkender in den 289 Fällen von 1934 bis 1941 nachweisen. Eine weitere Gruppe von Ärzten war in privaten Heil- und Kuranstalten tätig. Alfred Peipers war leitender Arzt des Sanatoriums für Nerven- und Gemütskranke in Bonn, der vormaligen Heilanstalt Pützchen. Er hatte diese 1904 übernommen und 1920 verkauft, um dann eine neue Anstalt in Bonn am Bonner Talweg zu eröffnen. Peipers lässt sich als Mitwirkender in den Jahren von 1936 bis 1938, 1941 und 1943 nachweisen. Georg Alexander Wilhelmy501 war leitender Arzt der Hertz’schen Kuranstalt. Er war nach dem Studium in Freiburg und Berlin seit 1897 in der Klinik tätig.502 Nach dem Tod des Gründers 1914 folgte Wilhelmy ihm als Klinikleiter. Diese Funktion hatte er bis 1952 inne. Wilhelmy lässt sich als Mitwirkender in der Zeit von 1936 bis 1943 nachweisen. Auch der oben porträtierte Ernst Störring fungierte als Beisitzer im Erbgesundheitsgericht.503 495 496 497 498 499 500 501 502 503

Forsbach, Fakultät, S. 216. Forsbach, Fakultät, S. 217. Forsbach, Fakultät, S. 217. Orth, Transportkinder, S. 69 f. Adressbuch Bonn 1936, S. 50. Adressbuch Bonn 1941/42, S. 54. Schuster/Groß, Hertz’sche Privatklinik. GA, 2.1.1922. Zur Biographie oben S. 128.

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„Im Namen des Deutschen Volkes!“ Ermittlungspraxis, Verhandlungsführung und Beschlussfassung

Bevor eine Verhandlung angesetzt wurde, konnte das Gericht eigene Ermittlungen anstellen. Es war durchaus möglich, dass der beantragende Arzt sich nicht sicher war, ob seine Diagnose stimmte. Das später geänderte Antragsformular unterschied zwischen dem Verdacht und der sicheren Diagnose. Der beantragende Arzt oder der beamtete Arzt konnte dem Gericht im Verdachtsfall bei einer Anhörung empfehlen, die betroffene Person zur Beobachtung und Begutachtung in die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt zu schicken. Das Gericht konnte die Unterbringung in einer Anstalt bis zu sechs Wochen durch einen Beschluss anordnen.504 Das Erbgesundheitsgericht Bonn nutzte zur Beobachtung und Erstellung eines Gutachtens meist die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt in Bonn505, aber auch die Universitätsnervenklinik. Bei Fragen zu Blindheit oder Taubheit wurde an die Augenklinik bzw. die Hals-Nasen-Ohren-Klinik verwiesen, die ambulante Gutachten erstellten. Bestanden beim Erbgesundheitsgericht weitere Unklarheiten, konnte es selbst ermitteln. Dazu wandte es sich an die kommunale Verwaltung bzw. den Bürgermeister vor Ort und forderte einen Bericht über die Familienverhältnisse und den Leumund an. Ein Formschreiben ging an die kommunale Verwaltung: „Ich bitte um gef[äl]l.[igst] schleunigst und eingehende Feststellung der näheren Personalien und Familienverhältnisse des Genannten. Es kommt darauf an, ein lückenloses Bild der bisherigen gesamten Lebensverhältnisse des Genannten, seiner beiden Eltern, seiner 4 Großeltern, seiner Geschwister und der Geschwister seiner beiden Eltern zu erhalten. Insbesondere bitte ich folgende Fragen über die Vorgenannten zu beantworten: Wann und wo geboren, geheiratet, gestorben? Was ist im Leben des Genannten Auffälliges zu Tage getreten? (Straftaten, Sonderbarkeiten usw.) Sind bei den Genannten Fälle von Trunksucht, Selbstmord, Geisteskranken, Schwachsinn, Geschlechtskrankheiten vorgekommen? Falls einer in einer Heil- und Pflegeanstalt war, in welcher? Wie lange? Wann und wo ist der Unfruchtbarzumachende in die Schule gegangen? Wie waren seine Führung und Leistungen? Abschrift des Abgangszeugnisses und Äußerung der Lehrer sind beizufügen. Wenn er die Hilfsschule besucht hat, sind die Hilfsschulakten beizufügen. Bei der Erledigung dieses Ersuchens bitte ich anzugeben, von wem die eingeholten Auskünfte stammen. (Verwandten? Pfarrer? Lehrer? Sonstige Auskunftspersonen?).“

Dabei gab es auch eine Begründung und man wies auf die Geheimhaltungspflicht hin: „Das Erbgesundheitsgericht kann seine für das deutsche Volk ungemein wichtige Aufgabe nur dann erfüllen, wenn über jeden einzelnen Sterilisierungsfall genaueste Aufklärung erfolgt. Ich bitte, etwaigem Widerstreben von Auskunftspersonen gegen eine uneingeschränkte, offene Auskunft durch den Hinweis hierauf und weiterhin darauf zu begegnen, daß durch besondere Gesetzesbestimmungen strengste 504 RGBl 1933, S. 1022. 505 ARSK LSK 5114/11.

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Verschwiegenheit allen im Verfahren (also auch an der Ausführung dieses Ersuchens) beteiligten Personen unter Androhung einer Gefängnisstrafe bis zu 1 Jahr (§ 15 des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14.7.1933) zur Pflicht gemacht ist.“506

Zusätzlich zu den Erkundigungen bei den Bürgermeistern bzw. Ortspolizeibehörden wandte sich das Erbgesundheitsgericht auch an die Schulbehörden. Auch hier gab es ein Formschreiben für das Anfordern eines Berichtes der Schule: „Es kommt darauf an, festzustellen, wie Leistungen und Führung de_ Genannte_, d_ ausweislich der Akten Ihre Schule besucht hat, waren. Ist Genannte sitzen geblieben? In welchen Schuljahren? Warum? (krank, faul, beschränkt) Ist er – sie – nicht wegen der Leistungen, sondern aus anderen Gründen (z. B. Mitleid, Alter) versetzt worden? In welchen Schuljahren? Weiterhin bitte ich um Mitteilung, was Ihnen über Genannte und dessen – deren Familie bekannt ist, sind Fälle von Schwachsinn, Trunksucht, Geisteskrankheit bekannt und bei wem? Insbesondere ist es wichtig, zu wissen, wie die Geschwister de_ Genannte_ beschaffen sind; intelligent? Schlecht begabt? Schwachsinnig? Ich bitte die Schulzeugnisse der/s Genannte und seiner – ihrer Geschwister in Original oder Abschrift, insbesondere die Entlassungszeugnisse, einzureichen. Dieses Ersuchen bitte ich mit grösster Beschleunigung zu erledigen und strengste Verschwiegenheit zu wahren. Auf die strengen Strafbestimmungen gegen den, der über Erbgesundheitsverfahren gegenüber Unbeteiligten spricht, darf ich verweisen.“507

Zur Betonung der Schweigepflicht war oft ein Stempel in roter Farbe auf das Schreiben gesetzt worden, in dem noch einmal auf den entsprechenden Paragraphen im Gesetzestext aufmerksam gemacht wurde.508 Zudem ermittelte das Erbgesundheitsgericht bei Hausärzten, denen möglicherweise Anzeichen der Krankheit aufgefallen waren: „Ausweislich der Akten ist der/die Genannte in Ihrer Behandlung gewesen. Ich bitte um gef[äl]l.[igst] eingehende Aeusserung, was Ihnen über den/die Genannte und seine Blutsverwandtschaft bekannt geworden ist, soweit es zur Beurteilung der Frage, ob Erbkrankheit vorliegt, von Bedeutung sein kann. Welche Diagnose haben Sie bei de_ Genannte_ gestellt und durch welche Symptome war sie begründet? Halten Sie die Diagnose heute noch aufrecht und warum? 506 507 508

ARSK LKB 6967. ARSK LSK 5219/534. Hier: „§ 15 des Gesetzes vom 14. Juli 1933 lautet: 1) Die an dem Verfahren oder an der Ausführung des chirurgischen Eingriffs beteiligten Personen sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. 2) Wer der Schweigepflicht unbefugt zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre oder mit Geldstrafe bestraft.“

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„… Anfang, aber nicht Ende“ Falls Sie Blutsverwandte des eingangs erwähnten Patient_ einer Erbkrankheit behandelt haben, bitte ich um genaue Angabe des Verwandtschaftsgrades und Krankheitsbeschreibung.“

Die betroffene Person erhielt nach dem Beschluss des Erbgesundheitsgerichtes eine Aufforderung: „Da Sie möglicherweise an einer Erbkrankheit leiden, hat das Gesundheitsamt des Kreises [Leerstelle] Ihre Unfruchtbarmachung gemäss § 1 Abs. 2 Ziff […] des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14.7.1933 wegen […] beantragt. Da jedoch noch Zweifel bestehen, ob Sie tatsächlich an dieser Erbkrankheit leiden, so lässt es sich leider nicht umgehen, dass Sie in der Heil- und Pflegeanstalt in Bonn – Universitätsklinik in Bonn bezw. durch einen von dieser Stelle beauftragten Arzt eingehend untersucht werden. Von Ort und Zeitpunkt dieser Untersuchung werden Sie demnächst benachrichtigt werden. Wir ersuchen Sie, zu dieser Untersuchung freiwillig und pünktlich zu erscheinen. Etwaige in Ihrem Besitz befindliche ärztliche Zeugnisse und dergl.[eichen] bringen Sie zweckmässig mit. Sollten Sie zu der Untersuchung nicht freiwillig erscheinen, so müsste das Erbgesundheitsgericht die Untersuchung erzwingen.“

Ebenso wurde der Direktor der Anstalt informiert „mit der Bitte um Untersuchung des Patienten und um Erstattung eines Gutachtens, ob die im Antrag genannte Erbkrankheit vorliegt oder nicht. Sofern eine stationäre Beobachtung erforderlich erscheint, bitte ich um entspr.[echenden] Antrag, unter Angabe der voraussichtlich notwendigen Beobachtungszeit und mit kurzer Begründung, damit ein entspr.[echender] Einweisungsbeschluss erlassen werden kann.“ 509

Um langwierige Ermittlungen bei dem Verdacht auf zwei Erbkrankheiten abzukürzen, ordnete das Gericht an, nach dem sicheren Befund einer Erbkrankheit die Untersuchung nicht fortzusetzen: „Soweit angeborener Schwachsinn einwandfrei feststellbar, bedarf es keiner Untersuchung auf erb. Fallsucht.“510 Da das Gesundheitsamt bereits durch seine Untersuchungen und Karteien Informationen über die Familie des Betroffenen haben oder ermitteln konnte, wandte sich das Gericht bei Anträgen auch direkt an das jeweilige Gesundheitsamt zur Anforderung einer Sippentafel: „Zur Vorbereitung der Entscheidung über diesen Antrag bitte ich, schleunigst und eingehend die näheren Personalien und Familienverhältnisse des – der Genannte_ festzustellen und hierüber zu berichten. Es kommt, wie dort bekannt ist, darauf an, ein lückenloses Bild der bisherigen gesamten Lebensverhältnisse der/des Genannte/n, seiner – ihrer Eltern, seiner – ihrer Geschwister, seiner – ihrer Grosseltern, und der Geschwister und Geschwisterkinder seiner – ihrer Eltern zu erhalten. Insbesondere bitte ich, ausser dem Bericht auch eine Sippentafel aufzustellen und einzureichen.“511 509 ARSK LSK 5219/534. 510 ARSK LSK 5219/534. 511 ARSK LSK 5219/534.

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Waren alle notwendigen Ermittlungen eingezogen, setzte das Erbgesundheitsgericht einen Termin für die mündliche Verhandlung zur Beweisaufnahme und Entscheidung fest. In den Ladungen waren Datum und Uhrzeit sowie der Ort angegeben. Im Allgemeinen war der Verhandlungsort das Amtsgerichtsgebäude in der Bonner Wilhelmstraße. Bei Bedarf konnte das Gericht auf die Amtsgerichte des Landgerichtsbezirkes ausweichen. Verhandlungen über Strafgefangene wurden in der jeweiligen Strafanstalt durchgeführt. Ebenso konnte, wenn die gesundheitliche Situation des Betroffenen den Weg in das Gericht nicht ermöglichte, in der Heil- und Pflegeanstalt oder im Krankenhaus verhandelt werden.

Abb. 42  Das Bonner Amts- und Landgericht in der Wilhelmstraße, Foto: Abraham Sief, 1939

Die Ladung ging an mindestens vier und maximal fünf Personen. Als ärztlicher Sachverständiger war zunächst der Arzt geladen, der das ärztliche Gutachten zum Antrag auf Unfruchtbarmachung erstellt hatte. War das Gericht von der Antragsbegründung nicht gänzlich überzeugt, ordnete es die Erstellung eines weiteren speziellen Gutachtens an. Bei der nächsten Verhandlung war der Gutachter dann als ärztlicher Sachverständiger geladen. Eine Ladung ging an den „Unfruchtbarzumachenden“. War der Betroffene noch minderjährig oder entmündigt, so trat der gesetzliche Vertreter an seine Seite. Er sprach und entschied an seiner Stelle. Bei vielen Betroffenen bestimmte das Gericht einen Vertreter.

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Zum Gericht gehörten neben dem Richter die beiden ärztlichen Beisitzer. Einer von ihnen war ein beamteter Arzt, in der Regel einer der Amtsärzte oder seiner Stellvertreter aus dem Bezirk des Erbgesundheitsgerichtes. Der andere war ein „bestellter Arzt“. Bei der Ladung der Ärzte musste das Gericht darauf achten, dass nicht ein antragstellender Arzt zugleich Teil des Gerichtes war, der ansonsten über seinen eigenen Antrag zu entscheiden gehabt hätte. Dies wäre auch nach NS-Recht illegal gewesen. Trotzdem gibt es drei Fälle im Jahr 1935, in denen der Amtsarzt für den Landkreis Bonn, Hubert Lohmer, Antragsteller und Beisitzer zugleich war, ohne dass eine erkennbare Reaktion des Gerichtes erfolgte.512 War der Betroffene vorübergehend oder dauerhaft in einer Anstalt untergebracht, war deren Direktor aufgefordert, alle Unterlagen dem Gericht zu übersenden oder, wenn die Verhandlung in der Anstalt selbst stattfand, dort bereitzulegen. Die Verhandlung des Erbgesundheitsgerichtes war mündlich und wurde von einem Justizsekretär protokolliert. Dafür hatte das Gericht ein Formular entworfen, das der Protokollant während der Verhandlung nur auszufüllen brauchte. Im Kopf befanden sich die Bezeichnung des Gerichtes, das Registerzeichen, Nummer und Jahreszahl (in Bonn „Erbgesundheitsgericht XIII 1/34“). Es folgten die Eintragungen für die Anwesenden: den Richter als Vorsitzenden, den beamteten Arzt, den bestellten Arzt, den Justizangestellten als Protokollant. Es folgten der Ort der Verhandlung und der Termin, anschließend der Unfruchtbarzumachende, gegebenenfalls sein gesetzlicher Vertreter und der ärztliche Sachverständige. Der Unfruchtbarzumachende konnte vorab erklären, ob er mit der Unfruchtbarmachung einverstanden war oder nicht. Ebenso war dies für den gesetzlichen Vertreter vorgesehen. Beim Ausfüllen des Formulars konnte bei Einverständnis einfach nur das „nicht“ im vorformulierten Text weggestrichen werden. Anschließend folgte eine Erklärung des Sachverständigen, der zunächst Angaben zu Name und Alter sowie seiner ärztlichen Stellung machte und dann sein Gutachten erstattete. Aufgrund der Häufigkeit waren bereits „Angeborener Schwachsinn“, „Schizophrenie“ und „Erbliche Fallsucht“ vorgegeben. Die zur Beurteilung des Falles herangezogenen Unterlagen waren Bestandteile der Akte. Sie konnte enthalten: Das ärztliche Gutachten, die Krankenakten der Heilund Pflegeanstalt, die Sippentafel sowie die Akten von Amtsgericht, Staatsanwaltschaft, Gesundheitsamt, Fürsorge-Erziehungs-Akten aus Düsseldorf und Hilfsschulakten der jeweiligen Hilfsschule. Nach der Verhandlung wurde sogleich der Beschluss verkündet und über die Rechtsmittel belehrt.513 Eine Variante des Formulars aus dem Jahr 1935 beinhaltete den sofortigen Verzicht auf das Beschwerderecht in Form einer Erklärung des Unfruchtbarzumachenden. Der gesetzliche Vertreter konnte sich der Erklärung anschließen.514 512 ARSK LKB 6802, 6857, 6963. 513 Vorlage aus: ARSK LKB 6758. 514 Vorlage aus: ARSK LKB 6776. Die Erklärung lautete: „Ich erkenne den Spruch als endgültig an und verzichte auf das mir gemäss § 9 des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses zustehende Beschwerderecht“.

Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

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Der in der mündlichen Verhandlung verkündete Beschluss wurde in schriftlicher Form festgehalten. Es gab zwei Arten von Beschlüssen: Zum einen den Beschluss auf Beobachtung des Patienten, zum anderen den – zumeist – endgültigen Beschluss, der dem Antrag auf Unfruchtbarmachung zustimmte oder ihn ablehnte. Alle drei Mitwirkenden mussten den von ihnen gefassten Beschluss unterschreiben. Wenn der Beschluss auf Beobachtung lautete, erhielt der „Patient“ eine Ausfertigung des Einweisungsbeschlusses mit der Aufforderung, sich unverzüglich in die Provinzial-Heilund Pflegeanstalt Bonn zu begeben. Gegebenenfalls erhielt der gesetzliche Vertreter die Aufforderung, dafür Sorge zu tragen, dass der „Pflegebefohlene“ unverzüglich in die Anstalt ging. Hier gab das Gericht den Hinweis, dass bei Nichtbefolgung Zwangsmaßnahmen ergriffen würden. Dies wünschte das Gericht aber zu vermeiden. Der gesetzliche Vertreter sollte seinen „Einfluss geltend“ machen, damit der Betroffene freiwillig ging. Es wurde betont, dass es sich dabei nicht um eine Strafe handele, sondern um eine „Krankenbehandlung“. Eine Ausfertigung des Beschlusses erhielt der Antragsteller, eine weitere sowie die Akten und Beiakten der Direktor der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn mit der Bitte um eine zeitige Erstattung des Gutachtens, so dass möglichst vor Ablauf der Frist die neue Verhandlung des Gerichtes erfolgen konnte. Falls sich der „Patient“ innerhalb von zehn Tagen nicht in die Anstalt begab, bat das Gericht um eine Nachricht. Sollte die Zeit für das Gutachten nicht ausreichen, konnte eine Verlängerung von bis zu sechs Wochen beantragt werden.515 Eine Variante aus dem Jahr 1938 enthielt als zusätzliche Auswahl für die Beobachtung die Bonner Universitätsnervenklinik. Offenbar gab es immer wieder Streitigkeiten über die Kostenerstattung, wenn die Ärzte der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt oder der Nervenklinik weitere Untersuchungen von Ärzten anderer Fachrichtungen durchführen ließen. Ausführlich wird in der Variante von 1938 im Schreiben an die Direktoren auf die Kostenfrage eingegangen und die Vorgehensweise festgelegt. Die Kosten für die stationäre Unterbringung und die ärztlichen Untersuchungen übernahm die Reichskasse. Diese sollten „auf das unumgänglich notwendige Mass“ beschränkt werden. Das Gericht verlangte ausdrücklich nur ein Gutachten, für das es den Höchstsatz zahlte. Sollten Zusatz-Gutachten oder Befundberichte anderer klinischer Anstalten oder Ärzte unbedingt erforderlich sein, sei vorher die Genehmigung des Gerichtes und bei Überschreitung des Höchstsatzes die des Regierungspräsidenten einzuholen.516 Vorher war es öfter vorgekommen, dass für die Untersuchungen in der Nervenklinik auch Gutachten der Augenklinik und der Hals-Nasen-Ohren-Klinik eingeholt wurden. Außerdem konnten Röntgenaufnahmen und Liquor-Untersuchungen dazukommen. Wegen dieser Ausgaben fragte das Gericht nach einer Aufschlüsselung der Kosten sowie einer Begründung. 515 ARSK LKB 6758. 516 ARSK LKB 6898.

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„… Anfang, aber nicht Ende“

So stellte der Arzt Herbert Otto Mäurer auf die Anfrage des Gerichtes am 20. Januar 1936 zu der ausführlichen Aufstellung der angefallenen Kosten eine „ärztliche Notwendigkeitsbescheinigung“ aus: „Die Encephalographie bei dem [Patienten] aus Troisdorf war zur Klärung der Frage, ob eine erbliche Epilepsie vorliege, unbedingt notwendig, vor allem deshalb, weil [in seinem Fall] gewisse Befunde für das Bestehen einer symptomatischen Epilepsie sprachen. Sieben Röntgenaufnahmen während der Encephalographie waren deshalb notwendig, da der auf den ersten Aufnahmen erhobene Befund direkt nach der Lufteinblasung durch spätere Aufnahmen kontrolliert werden musste.“

Am Ende der Kostenaufstellung verlieh Mäurer seinem Ärger über die ständigen peniblen Anfragen des Bonner Gerichts Ausdruck: „Im übrigen möchten wir zu den ständigen Reklamationen unserer Rechnungen durch das Erbgesundheitsgericht Bonn einmal bemerken, dass es kein anderes Gericht gibt, was uns durch Rückfragen derartige unnötige Arbeiten macht[,] ohne auch nur durch einen Pfennig einen Erfolg belegen zu können. Auch das Erbgesundheitsgericht Bonn dürfte doch allmählich nicht nur die Zwecklosigkeit dieser Rückfragen einsehen, sondern uns endlich das Vertrauen schenken, dass von uns keine Kosten verursacht werden, die nicht unbedingt notwendig sind und nach jeder Richtung hin verantwortet und belegt werden können. Um Ihnen und uns unnötige Arbeiten zu ersparen, bitten wir daher, die Beanstandungen unserer Rechnungen zu unterlassen, zumal die Spezifikationen jetzt nicht erstmalig, sondern von uns schon zu wiederholtem Male getätigt worden sind.“517

Das vom Gericht angeforderte fachärztliche Gutachten war in den meisten Fällen psychiatrischer Natur und wurde von den Ärzten der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt oder der Nervenklinik der Universität Bonn erstellt. Die Gutachten waren mehrseitig, oft über 20 Seiten, und folgten einem gewissen Schema. Zunächst wurde die Aktenlage referiert, sofern es bereits Krankenakten aus der Anstalt gab, bevor die Ergebnisse der vorgenommenen Untersuchungen vorgestellt wurden. Anschließend wurde eine Befragung des Betroffenen nach seiner medizinischen Vorgeschichte durchgeführt. Es folgte der körperliche Befund, der den Allgemeinzustand beschrieb, die inneren Organe, das Nervensystem, Rumpf, Extremitäten, der serologische Befund, eine psychiatrische Untersuchung sowie eine Intelligenzprüfung mit ihren Erkenntnissen (aus Wissensfragen, Rechnen, Unterschiedsfragen, Satzbildung, Sprichworterklärung, Nacherzählung). Zum Schluss standen eine Zusammenfassung und eine Beurteilung, in der die Diagnose begründet wurde. Oft findet sich die Formulierung für eine Unfruchtbarmachung „im Sinne des Gesetzes vom 13. Juli 1934“. Nach der Erstattung des vom Gericht angeforderten ärztlichen Gutachtens erging von Seiten des Gerichtes eine neue Ladung zur weiteren mündlichen Verhandlung. 517 ARSK LSK 5188/377.

Die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

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Nun erhielt der Erstatter des Gutachtens die Ladung als ärztlicher Sachverständiger. Der Beschluss erfolgte „Im Namen des Deutschen Volkes!“. Das Bonner Gericht stellte im ersten Absatz Datum und Ort sowie die Mitwirkenden des Gerichtsverfahrens fest. Dann folgte die Formulierung, dass der Betroffene „auf Grund von § 1 Abs. 2 Ziff. […] des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 unfruchtbar zu machen“ sei. Es schloss sich eine Begründung an, die von einer halben bis zu zwei Seiten umfassen konnte. Es wurde auf die Beweisaufnahme verwiesen, zu der die Akten, die Sippentafel, das ärztliche Gutachten sowie die persönliche Vernehmung gehörten. Damit sei festgestellt worden, dass der „Unfruchtbarzumachende an der in § 1 Abs. 2 Ziff. […] des Gesetzes vom 14.7.1933 genannten Erbkrankheit […] leidet“. Das Gericht stellte die ordnungsgemäße Antragsstellung fest. In vielen Fällen reihte sich dann die Formel an: „Die Diagnose des Sachverständigen, der das Gericht sich anschließt, ergibt sich aus der durch den Sachverständigen erfolgten Untersuchung – und klinischen Beobachtung –, deren Ergebnis im einzelnen in dem Krankenblatt der Prov. Heil- und Pflegeanstalt – Univ. Nervenklinik in Bonn sowie in dem Gutachten Bl[att] […] d[er] A[kte] niedergeschrieben sind.“518

Zum Schluss unterschrieben die drei Mitwirkenden des Gerichtes den Beschluss. Im ersten Jahr der Verfahren waren die Begründungen sehr kurz gehalten. In späteren Jahren wurden diese ausführlicher. Inhaltlich und zum Teil wörtlich wurde hier aus den Gutachten, die als Entscheidungsgrundlagen herangezogen worden waren, Passagen übernommen. Bei der Verhandlung bemühte sich das Gericht, den Eindruck eines Strafverfahrens zu vermeiden, was aber nicht immer gelang. Carola Einhaus formuliert es so: „Das Verfahren selbst glich nach außen der familienrechtlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht, besaß aber tatsächlich einen überwiegend strafrechtlichen Charakter.“519 Dies empfanden auch viele Betroffene so. Einige Beschlüsse des Bonner Gerichtes endeten daher in den ersten Jahren mit einer Floskel, die den Betroffenen beruhigen sollte: „Es wird ausdrücklich betont, dass dieser Beschluss keine Strafe für den von ihm Betroffenen ist, sondern einzig und allein eine zu seinem Wohle und dem der Deutschen Volksgemeinschaft durchzuführende heilsame Massnahme. Eine Minderung der Ehre oder des Ansehens des Betroffenen ist damit nicht verbunden.“

Stimmte das Gericht dem Antragsteller nicht zu, findet sich die Formulierung: „Der Antrag des […] vom […] den […] auf Grund von § 1 Abs 2 Ziff. […] des Gesetzes zur 518 ARSK LKB 6758. 519 Einhaus, Zwangssterilisation, S. 39.

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„… Anfang, aber nicht Ende“

Verhütung erbkranken Nachwuchses unfruchtbar zu machen, wird abgelehnt. Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens trägt die Staatskasse.“ Auch hier wurden in der Begründung die Formalien festgehalten. Der Schlusssatz lautet öfters: „Die Würdigung des gesamten Ergebnisses dieser Beweisaufnahme verlangt die Ablehnung des gestellten Antrages.“520 Beschlüsse der Erbgesundheitsgerichte Bonn-Land

Siegkreis

Bonn-Stadt

Bejaht

399

652

47

1098

Abgelehnt

85

290

6

381

Zurückgestellt/vertagt

2

2

1

5

Verzogen



1



1

Verstorben



1



1

Ausgesetzt



3



3

Operation521



14



14

Unbekannt



9



9

486

972

54

1512

Den nach der mündlichen Verhandlung im Protokoll festgehaltenen und verschriftlichten Beschluss unterzeichnete der vorsitzende Richter. Dieser wies an, den Beschluss den Beisitzern zur Unterschrift vorzulegen. Der von allen drei Mitwirkenden unterschriebene Beschluss war dann dem Antragsteller, – falls nicht identisch – dem Amtsarzt, dem „Patienten“ und seinem gesetzlichen Vertreter zuzustellen. Letzterer erhielt noch zusätzlich eine Belehrung.522 Für eine rasche Durchführung der Unfruchtbarmachung noch vor Ablauf der Frist von zwei Wochen war der sofortige Verzicht auf eine Beschwerde unabdingbar. Das Gericht und der Amtsarzt sahen es gerne, wenn die Betroffenen oder aber auch die beantragende Stelle diesen möglichst früh erklärten. Die anfänglich eingeräumte Frist von vier Wochen wurde am 26. Juni 1935 durch eine Änderung des Gesetzes auf zwei Wochen verkürzt.523 Erfolgte der Verzicht nicht sofort, fragte die Geschäftsstelle des Erbgesundheitsgerichtes nach dem Ablauf der Frist die Geschäftsstelle des Erbgesundheitsobergerichtes in Köln an, ob es eine Beschwerde gegen den Beschluss gegeben habe.524 War keine Beschwerde eingegangen, erlangte der Beschluss Rechtskraft und das Gerichtsverfahren war somit für das Erbgesundheitsgericht abgeschlossen. Die Durchführung war Sache des Amtsarztes, der dem Gericht nur noch den Vollzug meldete. 520 ARSK LKB 6877. 521 Gemeint ist hier, dass eine Operation nachweislich stattgefunden hat, aber nicht bekannt ist, ob das Erbgesundheitsgericht oder nach einer Beschwerde das Erbgesundheitsobergericht dies beschlossen hat. 522 ARSK LKB 6758 523 RGBl 1935, S. 773. 524 ARSK LSK 5219/534.

Beschwerden und Opposition gegen die Umsetzung des Sterilisationsgesetzes

185

3.5 B  eschwerden und Opposition gegen die Umsetzung des Sterilisationsgesetzes Die Proteste gegen das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ waren nur schwach. Zu fürchten hatten die Machthaber vor allem den öffentlichen Einspruch und Widerstand der beiden Kirchen. 3.5.1 Ablehnung durch die katholische Kirche Die Diskussion um die Eugenik hatte in den 1920er Jahren nicht vor den katholischen Einrichtungen haltgemacht.525 Erst die von Papst Pius XI. (1857–1939) verfasste Enzyklika „Die christliche Ehe“ („Casti Connubii“) vom 31. Dezember 1931 legte die lehramtliche Position der katholischen Kirche deutlich fest. Die Unversehrtheit des Leibes wurde betont und dem Staat jedes Recht auf einen körperlichen Eingriff aus eugenischen Gründen abgesprochen. Um die nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten eingeleiteten Verhandlungen über ein Reichskonkordat, das am 20.  Juli 1933 abgeschlossen wurde, nicht zu gefährden, wartete das Regime mit der Veröffentlichung des am 14. Juli 1933 beschlossenen Gesetzes bis zum 25. Juli 1933. In der Folgezeit rang die katholische Kirche in Deutschland mit dem Reichsinnenministerium um einen Kompromiss. Das Ministerium schlug vor, dass für katholische Ärzte und Schwestern nur eine Meldepflicht bestehen sollte. Allerdings sollten beamtete Ärzte zu einem Antrag verpflichtet sein.526 Der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz und Erzbischof von Breslau Kardinal Adolf Bertram (1859–1945) ließ am 14. Januar 1934 auf den Kanzeln den Widerspruch der Kirche verkünden: „In der Frage der Sterilisierung gelten für die Gläubigen die von der höchsten kirchlichen Autorität verkündeten Grundsätze des christlichen Sittengesetzes. Gemäß den Weisungen des Heiligen Vaters erinnern wir daran: Es ist nicht erlaubt, sich selbst zur Sterilisierung zu stellen oder Antrag zu stellen auf Sterilisierung eines anderen Menschen. Das ist Lehre der katholischen Kirche.“527

Der Kölner Erzbischof Karl Joseph Kardinal Schulte (1871–1941) ließ den Wortlaut der von der Bischofskonferenz beschlossenen Verkündigung auch im Erzbistum Köln über einen Hirtenbrief bekannt machen.528 Dessen Verlesung – ein direkter Appell an die Gläubigen angesichts des Inkrafttretens des Gesetzes – wurde in den Kirchen von der 525 526 527 528

Richter, Katholizismus. Nowak, Euthanasie, S. 111–119. Stasiewski, Akten I, S. 493, Anm. 4. Zu den Vorgängen auch Rönz, Widerstand. Zu Schulte entsteht in einem Dissertationsprojekt an der Universität Bonn (Lehrstuhl Joachim Scholtyseck) eine wissenschaftliche Biographie von Keywan Klaus Münster.

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„… Anfang, aber nicht Ende“

Polizei überwacht. Der Landrat des Siegkreises meldete der Staatspolizeistelle in Köln am 19. Januar 1934: „In den sämtlichen kath. Kirchen des Kreises ist am Sonntag, dem 14. Januar 1934 ein Hirtenbrief des Erzbischofs in Köln verlesen worden, in dem den Katholiken verboten wird, sich freiwillig zur Sterilisierung zu stellen oder Personen zur Sterilisierung zu melden. Dieser Hirtenbrief ist ohne jede Stellungnahme und Kritik von den Pfarrern verlesen worden.“529

In den monatlichen Berichten zur Lage der Bürgermeister fand die Verlesung erneut Eingang. Der Bürgermeister von Honnef teilte dem Landrat am 23. Januar 1934 mit: „Über das Verhalten der Geistlichkeit sind besondere Klagen nicht zu erheben und es ist ein Gegenarbeiten durch diese nicht erfolgt[,] ausgenommen, daß am Sonntag den 14. d[es]. M[ona]ts. die katholischen Pfarrer Jansen in der Kirche in Honnef, von Contzen in der Kirche in Rhöndorf und Rektor Bayer in der Kirche in Selhof den letzten Hirtenbrief des Erzbischofs betr. das Sterilisationsgesetz zur Verlesung brachten, ohne jedoch Stellung zu nehmen.“530

Der Bürgermeister von Hennef berichtete am 24. Januar 1934: „Auch in den hiesigen Kirchen wurde gegen das Sterilisierungsgesetz von der Kanzel Stellung genommen.“531 Der Amtsbürgermeister von Menden verwies in seiner monatlichen Berichterstattung am 25. Januar 1934 auf eine bereits vor zwei Tagen übermittelte eigene, nicht erhalten gebliebene Mitteilung an den Landrat: „Über die Veröffentlichungen des erzbischöflichen Hirtenbriefes insbesondere über die Sterilisierungsmassnahmen habe ich am 23. Januar d[ie]s.[en] J[ahre]s. berichtet.“532 Der Oberkasseler Amtsbürgermeister betonte den nun offenkundigen Riss zwischen Staat und Kirche in seinem Bericht vom 23. Januar 1934: „In der feindseligen Haltung und Betätigung der kath. Geistlichkeit hat sich nichts geändert. Es wird nach wie vor gegen die Organisationen des heutigen Staates Sabotage getrieben. Insbesondere wird offen von der Kanzel gegen das Sterilisierungsgesetz gepredigt und den treuen Katholiken verboten, hierbei mitzumachen.“533

Der Amtsbürgermeister von Oberpleis (heute Königswinter) berichtete am 24. Januar 1934 nüchtern: „Am Sonntag, den 14. Januar 1934 wurde in den Kirchen des hiesigen Bezirks der Hirtenbrief über das Sterilisierungsgesetz verlesen. Die Geistlichkeit hat sich jeder persönlichen Stellungnahme enthalten.“534 Das gleiche vermeldete der Bürger529 530 531 532 533 534

ARSK LSK 2850, LR an Stapo, 19.1.1934. ARSK LSK 3260, BM Ho an LR, 23.1.1934. ARSK LSK 3260, ABM Hennef an LR, 24.1.1934. ARSK LSK 3260, ABM Menden an LR, 25.1.1934. ARSK LSK 3260, ABM Ok an LR, 23.1.1934, ARSK LSK 3260, ABM Opl an LR, 24.1.1934.

Beschwerden und Opposition gegen die Umsetzung des Sterilisationsgesetzes

187

meister von Schönenberg am 27. Januar 1934: „Die katholische Geistlichkeit hat den Erlass der bischöflichen Behörde bez[ü]gl.[ich] des Sterilisierungsgesetzes verlesen und sich jeder Kritik enthalten.“535 Die praktische Umsetzung der katholischen Verweigerungshaltung war jedoch schwierig; sie stellte Personen, die beruflich mit den Sterilisationen befasst waren, insbesondere Fürsorgerinnen und Ärzte, vor Probleme und führte zu Unsicherheiten. Gemäß eines Kompromissvorschlages des Freiburger Erzbischofs Conrad Gröber (1872–1948) wurde eine Anzeige von Personen, die verdächtig waren, an einer Erbkrankheit zu leiden, nicht als Mitwirkung am Gesetz aufgefasst und war Katholiken daher nicht verboten.536 Der Kölner Stadtarzt Franz Vonessen (1892–1970) war Katholik und aufgrund dieser Aussage seiner Anzeigepflicht nachgekommen. Als sein Vorgesetzter 1935 von ihm verlangte, auch die entsprechenden Anträge zu stellen, weigerte sich Vonessen aus religiösen Gründen. Ihm drohte die Kündigung und die Ärztekammer beabsichtigte, ihm die Zulassung für eine Privatpraxis nicht zu genehmigen. Sowohl Stadt als auch Partei konnten sich aber nicht zu einer Entlassung des in Köln bekannten Arztes entschließen, weil damit zugleich in der Öffentlichkeit seine Weigerung und die Ablehnung des Gesetzes durch die katholische Kirche bekannter geworden wären. Zudem hätten sie mit weiterem Widerstand von anderen Ärzten rechnen müssen. Als Vonessen an einer Gehirnhautentzündung erkrankte, nutzte die Stadtverwaltung die Gelegenheit, um ihn zum 1. April 1937 in den Ruhestand zu versetzen.537 Von den Ärzten in den beiden Gesundheitsämtern im Landkreis Bonn und im Siegkreis sind solche Skrupel nicht bekannt. Obwohl viele von ihnen Katholiken und in der Zeit der Weimarer Republik durchaus zentrumsnah waren, hat sich keiner den nationalsozialistischen Anforderungen verweigert. Über den Amtsarzt Bruno Bange äußerte sich nach 1945 der Dechant Kaspar Heppekausen (1873–1955), der von 1917 bis 1942 Pfarrer in Siegburg gewesen war: „Als die Sterilisationsgesetze herauskamen, kam er in Gewissenskonflikten öfter zu mir. Er wollte nicht gegen sein Gewissen verstossen.“538 Auch sein Freundeskreis setzte sich für ihn ein: „Wir haben auch erkannt, dass er sich in seinen Amtshandlungen nur von seinem christlichen Gewissen hat leiten lassen.“539 Maria Königsfeld (geb. 1901), die Sekretärin von Vonessen in Köln gewesen und nach dessen Ausscheiden 1937 in das Gesundheitsamt nach Siegburg gewechselt war, hob einen Umstand hervor, der bereits 1934 ohne Banges Zutun auf höherer Ebene entschieden worden war: „Immer verstand Herr Dr. Bange es, die konfessionellen Anstalten zu schützen, weshalb es auch seinem Einfluss zu verdanken ist, dass in keinem der Kranken535 ARSK LSK 3260, ABM Schönenberg an LR, 27.1.1934. 536 Endres, Zwangssterilisation, S. 185. Siehe dazu ein von der Bischofskonferenz herangezogenes Gutachten des Jesuiten Franz Hürth in Stasiewski, Akten I, S. 358–365, hier S. 365. 537 Schmidt, Vonessen; Endres, Zwangssterilisation, S. 185 f. 538 ARSK PA 1820, Bescheinigung Heppekausen, 14.7.1945. 539 ARSK PA 1820, Bescheinigung von sieben Personen, darunter vier Studienräte, ein Apotheker, ein Syndikus und ein Kaufmann, 1945.

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„… Anfang, aber nicht Ende“

häuser des Siegkreises Sterilisationen vorgenommen wurden.“540 Aus der schriftlichen Überlieferung über seine Tätigkeit als Amtsarzt lassen sich im Falle der Sterilisationen solche Aussagen eher nicht ableiten.541 Der öffentliche Protest von katholischer Seite in Form von Predigten und Hirtenbriefen gegen das Sterilisierungsgesetz und die Durchführung war aber doch so bedeutend,542 dass der Reichs- und Preußische Minister des Inneren, Wilhelm Frick (1877–1946), am 8. Juli 1935 ein vertrauliches Rundschreiben verfasste, das das Vorgehen bei „Propaganda gegen das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vorschrieb: Der Widerstand habe an Schärfe zugenommen und sei zum Teil systematisch organisiert. Diese Auflehnung und Aufwiegelung gegen die von dem nationalsozialistischen Staat erlassenen Gesetze und die von ihm geschaffenen Einrichtungen könnten nicht weiter geduldet werden. Auch die kirchliche Lehrfreiheit gehe keineswegs so weit, dass aus ihr eine Berechtigung hergeleitet werden könnte, zum Ungehorsam gegen Staatsgesetze aufzufordern. Im Konkordat sei deren Selbständigkeit und Zuständigkeit für ihre Mitglieder mit der Maßgabe anerkannt worden, dass die Grenzen des für alle geltenden Gesetzes gewahrt würden. Würden Fälle einer Hetze gegen das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ festgestellt, so solle in erster Linie eine Bestrafung nach dem Tatbestand der Aufforderung zur grundsätzlichen Ablehnung gegen die unpersönlichen Grundlagen der Rechtsordnung und zum Ungehorsam gegen ein bestimmtes Gesetz schlechthin erfolgen. Sei der Fall dadurch nicht erfasst, komme eine strafrechtliche Verfolgung aufgrund des Gesetzes gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutze der Parteiuniform vom 20. Dezember 1934 in Frage. Dies würde vor allem bei nicht-öffentlichen Äußerungen greifen. Hetze sei auch schon die Aufforderung, den behördlichen Anordnungen im Verfahren zur Unfruchtbarmachung nicht freiwillig zu folgen, und sogar die Aufforderung, alle Rechtsmittel auszuschöpfen.543 3.5.2 Die Position der evangelischen Kirche Die Rassenhygiene hatte vor 1931 nur eine geringe Bedeutung für die Tätigkeit der evangelischen Inneren Mission gehabt.544 Die Idee breitete sich aber langsam aus. Im Mai 1931 trafen sich die Anstaltsleiter der evangelischen Inneren Mission in Treysa bei Kassel zu einer ersten „Fachkonferenz für Eugenik“. In einer gemeinsamen Erklärung sprachen sich die Teilnehmer für Sterilisierungen, aber gegen die „Euthanasie“ aus.545 Auf einer zweiten Konferenz im Juni 1932 in Berlin stand das geplante Sterilisierungsgesetz in Preußen im Mittelpunkt, das u. a. bei der Sammlung von „erbbiologischem 540 541 542 543 544 545

ARSK PA 1820, Bescheinigung Königsfeld, 8.2.1946. Dazu oben S. 151. Jüngst auch Rönz, Widerstand. StA Bonn Du 993. Kaminsky, Zwangssterilisation, S. 142 ff. Kaminsky, Zwangssterilisation, S. 149 f.; Benzenhöfer, Tod, S. 48.

Beschwerden und Opposition gegen die Umsetzung des Sterilisationsgesetzes

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Material“ datenschutzrechtliche Bedenken hervorrief. Mit den diskutierten Änderungsvorschlägen (Kastration, soziale Indikation und Freiwilligkeit) forderten die Teilnehmer schärfere Regelungen. Eine grundsätzliche Ablehnung von Sterilisierungen bedeutete dies keineswegs.546 Nach der Veröffentlichung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ 1933 galt der dort festgelegte Zwang immer noch als schwer annehmbar, eine schrittweise Einlassung war aber schon absehbar.547 3.5.3 Suche nach einem Ausweg: Das Verhalten der Betroffenen Einige Betroffene und ihre Angehörigen versuchten sich zu wehren, als sie von dem Antrag auf Unfruchtbarmachung erfuhren. Sie wandten sich mit Schreiben an das Erbgesundheitsgericht und stellten eine Krankheit in Abrede. Meist verwiesen sie darauf, dass der Betroffene gesund sei und „alle Hausarbeit verrichten“ könne548 oder „beschäftigt in der Fabrik“549 sei. Ein Vater argumentierte, nachdem er „entschieden Einspruch“ erhoben hatte, dass seine 17-jährige Tochter, „nur einmal nicht in die höhere Klasse versetzt worden“ sei und im Haushalt arbeite: „Es wäre zu wünschen, dass alle deutsche Frauen so für das Haus und für den Haushalt sorgten. Der Gesetzgeber kann unmöglich das Gesetz der Sterilisation für vollkommen brauchbare Menschen geschaffen haben. Es verbietet mir deshalb schon die Liebe zu Volk und Vaterland, zur Sterilisation meiner Tochter Walburga meine Zustimmung zu geben. Mit deutschem Gruß.“550

Erst recht konnte gegen eine Erbkrankheit Stellung genommen werden. Ein Vater teilte dem Gericht zwar mit, wenn seine Tochter erbkrank sei, habe er „nichts gegen die Unfruchtbarmachung einzuwenden“, um dann zu argumentieren: „Sie muss aber auch wirklich erbkrank sein, ich kann Ihnen versichern, dass sie nicht erbkrank ist“.551 Ein anderer Vater schrieb, bei seiner Tochter sei „der Schaden nicht vererbbar“.552 Religiöse Gründe werden sehr selten genannt und wenn, dann nicht als alleiniges Motiv. Sie kommen in Kombinationen mit sachlichen Gründen vor, wie etwa bei einem Vater, der die Heilbarkeit der Krankheit seiner Tochter erwartete: „Ich möchte mich nicht dem Antrag des Kreisarztes von Neuwied anschließen. Ich vertrete immer noch die Auffassung, dass die derzeitige Krankheit meiner Tochter allmählich geheilt werden könnte und dass 546 547 548 549 550 551 552

Kaminsky, Zwangssterilisation, S. 154 f. Kaminsky, Zwangssterilisation, S. 160 f. ARSK LSK 5165/264. ARSK LSK 5167/274. ARSK LKB 6658. ARSK LSK 5201/442. ARSK LSK 5136/124.

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„… Anfang, aber nicht Ende“ deshalb die Unfruchtbarmachung vielleicht nicht erforderlich ist. Im übrigen bin ich katholisch und möchte auch aus diesem Grunde einen derartigen Antrag nicht stellen.“553

Nur wenige Betroffene versuchten mit Hilfe eines Rechtsbeistandes, die Sterilisierung abzuwenden. Der Aufforderung eines Rechtsanwaltes, den Antrag auf Unfruchtbarmachung bereits vor der Verhandlung abzulehnen, folgte das Erbgesundheitsgericht nicht.554 Sehr selten versuchten Betroffene, die Gerichtsverhandlung in ihrem Sinne zu beeinflussen oder zu verzögern, indem sie weitere medizinische Gutachten forderten.555 Damit eine Unfruchtbarmachung nicht mehr erforderlich sei, versprach ein Vater, seine Tochter in einer geschlossenen Anstalt unterzubringen.556 Einen rührenden Einsatz für ihren Ehemann zeigte die Ehefrau des Stadtsekretärs a. D. Wilhelm B. aus Mehlem.557 Dieser war in der Bonner Heil- und Pflegeanstalt untergebracht und am 28. Oktober 1935 wegen schweren Alkoholismus angezeigt worden. Vom selben Tag datiert der Antrag auf Unfruchtbarmachung. Am 25. November 1935 bat die Ehefrau, von der Unfruchtbarmachung ihres Mannes abzusehen, und führte eine Anzahl von Gründen auf: Zunächst stellte sie fest, dass von ihr kein Kind mehr zu erwarten sei, denn sie selbst sei durch eine Operation unfruchtbar, die 1932 im Kriegerhospital in Bad Godesberg durchgeführt worden sei. Dann klärte sie das Gericht über ihren Mann und die Folgen einer Unfruchtbarmachung auf: „Über Beziehungen zu anderen Frauen habe ich bei meinem Mann nicht zu klagen, […] kein Interesse, so dass man sich bei seiner leichten Art geradezu darüber wundert, […] glaube ich meinen Mann in den 25 Jahren unserer Ehe genau zu kennen.“ Diese Interesselosigkeit an anderen Frauen, so war sie sich sicher, beruhte auf der Angst des Mannes vor einer ungewollten Schwangerschaft und „bei Unfruchtbarkeit würden die Schranken brechen, bei den meisten Ehemännern [ist es] doch die Furcht, die hauptsächlich davon abhält, sich durch die Befruchtung eines Weibes ins Unglück zu stürzen“. Zudem gelte ihr Mann sicher nicht „als Psychopath im Sinne des Gesetzes“ und es bleibe „nur die Trunkenheit, von der er ja durch die augenblickliche Entwöhnung geheilt werden soll“. Sie gab zu bedenken, „daß er selbst guten Willen hat, geheilt zu werden (er hat im Januar keine Wirtschaft betreten) und daß es häufig Ärger und Niedergeschlagenheit waren, die ihn zum Trinken veranlaßt haben, so würde ein solcher Zustand durch die Unfruchtbarkeit ja geradezu geboren.“ Es bestehe „absolut keine Gefahr, daß er ein Kind in die Welt setzt“, und „sollte er doch künftig das Trinken nicht lassen“, sei sie „bereit und gewillt mich zu verpflichten, es dem Erbgesundheitsgericht anzuzeigen. Dann mag das Schicksal seinen Lauf nehmen. Unerbittlich ginge ich gegen ihn vor. Sie würden mir ein Mittel in die Hand geben, wenn Sie mich verpflichteten. Ich will einen ganzen 553 554 555 556 557

ARSK LSK 5165/262. ARSK LSK 5123/59. ARSK LSK 5116/23. ARSK LSK 5135/120. ARSK LKB 6604, 6586/228. Auch für folgende Zitate.

Beschwerden und Opposition gegen die Umsetzung des Sterilisationsgesetzes

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Mann haben, und würde mein Gewissen belasten, würde ich nicht alles aufbieten[,] um noch heute die Unfruchtbarkeit zu verhüten, denn er ist in der Anstalt[,] um geheilt zu werden, und dieser Zweck würde sehr wahrscheinlich ganz verfehlt und ich hätte noch mehr Leid als jetzt.“ Zum Schluss bat sie „nochmals herzlichst, von einer Unfruchtbarmachung abzusehen, es besteht absolut keine Gefahr, daß ein Volksgesundheitlicher [sic!] Schaden entsteht, und Sie tun ein gutes Werk.“ Das Erbgesundheitsgericht war von so viel Engagement offenbar beeindruckt und setzte das Verfahren am 27. November 1935 auf ein Jahr aus. Damit war die Bedingung verbunden, dass B. „sich des Alkoholgenusses enthält und einem Antialkoholikerverein anschliesst“. Am 5. Dezember 1935 wurde B. versuchsweise aus der Heil- und Pflegeanstalt entlassen. Doch schon am 22. Mai 1936 beantragte das Gesundheitsamt BonnLand die Fortsetzung des Verfahrens, da B. sich nicht an die vereinbarten Abmachungen hielt und die Gesundheitspflegerin berichtete, dass er „regelmässig seinem alten Laster fröhnt [sic!]“. Sie hatte ihn bei einem Hausbesuch betrunken angetroffen. In der Verhandlung am 18. Juni 1936 beschloss das Gericht unter dem Vorsitz von Ernst Köster und den Beisitzern Bruno Bange und Alexander Wilhelmy, ihn unfruchtbar machen zu lassen. Dies geschah am 30. Juli 1936 in der Chirurgischen Universitätsklinik durch Hans Bergermann (1908–1957). Im Protokoll der mündlichen Verhandlung hielt ein Justizsekretär fest, ob Betroffene oder ihre gesetzlichen Vertreter mit der Unfruchtbarmachung „einverstanden“ oder „nicht einverstanden“ waren. Er vermerkte auch, wenn Betroffene „nichts“ erklärten und ob bei Einverständnis zusätzliche Bemerkungen geäußert wurden. Teilte ein Betroffener mit, er sei „nur einverstanden, wenn ohne Nachteil auf Kriegsbeschädigung“ (gemeint waren die Zahlungen aufgrund des Status als Kriegsinvalider), dann war so eine Bedingung die Ausnahme. Viele resignierten offenbar angesichts des Gerichtes und ihre Einschränkungen klangen mutlos. So erklärte ein Vater sein Einverständnis zur Unfruchtbarmachung seines Sohnes, „wenn es notwendig sei“.558 In einem anderen Fall waren der Betroffene und der Vater „einverstanden, wenn es unbedingt sein muss“.559 Es gab sogar die Formulierung, „wenn das das Staatswohl erfordert“560 und Formen von Interesselosigkeit: „Das ist mir egal.“561 Dabei konnte es vorkommen, dass sich die Beteiligten widersprachen, so dass sich der Vormund mit der Unfruchtbarmachung einverstanden erklärte, die Eltern und der Ehepartner jedoch nicht.562 Am Lauf der Verhandlung und am Beschluss des Gerichts änderten diese Erklärungen nichts. In den schriftlichen Ausführungen der Beschlüsse fand dieser Punkt noch nicht einmal Eingang. 558 559 560 561 562

ARSK LSK 5130/92. ARSK LSK 5179/334, ebenso „wenn es sein muss“, ARSK LKB 6605, 6644, 6680. ARSK LKB 6699, 6586/17. ARSK LKB 6715. ARSK LSK 5137/126.

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„… Anfang, aber nicht Ende“

Informell: Petitionen an den „Führer“

Um sich der drohenden Zwangssterilisation zu entziehen, versuchten einige wenige Betroffene bzw. ihre gesetzlichen Vertreter höhere politische Institutionen mit einzubeziehen. Sie schrieben an Adolf Hitler und erhofften von ihm eine Entscheidung zu ihren Gunsten. Für Petitionen an die Privatperson Hitler war die „Kanzlei des Führers“ zuständig. Bearbeitet und beantwortet wurden die Eingaben aber oft vom Stab des „Stellvertreters des Führers“ (ab 1941 Partei-Kanzlei).563 Unter der Leitung von Martin Bormann (1900–1945) hatte sich dieser über seine Kompetenzen im Bereich der Partei hinaus Einfluss auf staatliche Belange wie Gesetzgebung und Personalangelegenheiten gesichert. Der Stab war an allen rassenhygienischen Gesetzen und Verordnungen beteiligt. Der nominelle Sachbearbeiter für alle Fragen der Volksgesundheit war der jeweilige Reichsärzteführer/Reichsgesundheitsführer, also Gerhard Wagner (1888–1939) von 1934 bis 1939 beziehungsweise Leonardo Conti (1900–1945) von 1939 bis 1945. Der zuständige Mitarbeiter schrieb auf eine Petition hin zunächst das Erbgesundheitsgericht an und forderte die Überlassung der Akten „nach Rechtskräftigwerden des Gerichtsbeschlusses“564. Zugleich bat er, „dem für die Durchführung des Beschlusses zuständigen Amtsarzt umgehend Kenntnis von meinem Wunsche zu geben (nötigenfalls fernmündlich), daß der Eingriff bis zum Abschluß der Bearbeitung, über den ich Ihnen so bald wie möglich Mitteilung machen werde, nicht vorgenommen wird.“

Für den Fall, dass die Unfruchtbarmachung abgelehnt würde, genügte statt der Aktenübersendung eine kurze Mitteilung. Nach der Prüfung des Falles erfolgte mit der Rückgabe der Akten an das Gericht die Mitteilung über das Ergebnis der Prüfung sowie die Antwort an den Betroffenen. Aus den überlieferten Akten sind 18 Fälle bekannt, bei denen sich Betroffene oder ihre gesetzlichen Vertreter direkt an Hitler oder seinen Stellvertreter wandten oder zumindest beabsichtigten bzw. drohten, dies zu tun. Dabei handelt es sich um drei Fälle aus dem Landkreis Bonn565 und 15 aus dem Siegkreis.566 Bei den Fällen ging es um zehn Männer und acht Frauen. Von den 18 Fällen sind nachweislich 13 Personen sterilisiert worden. Bei vier Personen hat das Erbgesundheitsgericht den Antrag auf Unfruchtbarmachung abgelehnt. Bei einer Person ist nicht bekannt, ob sie sterilisiert worden ist. In drei Fällen leitete die „Kanzlei des Führers“ die Eingabe weiter: an das Reichsministerium des Inneren, ohne dass von dort eine nachweisbare Reaktion erfolgte.567 Ein anderer Fall ging an den Sachverständigenbeirat für Volksgesundheit, Theodor Pakheiser 563 564 565 566

Broszat, Staat; Diehl-Thiele, Partei. ARSK LSK 5279/831. ARSK LKB 6690, 6915, 6961. ARSK LSK 5169/281, 5176/318, 5191/395, 5198/427, 5912/498, 5247/673, 5279/831, 5284/860, 5289/882, 5298/928, 5316/1020, 5373/1304, 5382/1346, 5395/1411, 5431/1592. 567 ARSK LSK 5212/498.

Beschwerden und Opposition gegen die Umsetzung des Sterilisationsgesetzes

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(1898–1969) in München, der auch nicht reagierte.568 Ein Vorgang ging an das NSDAPHauptamt für Volksgesundheit, das die Eingabe an das entsprechende Amt in der Gauleitung schickte, worauf sich das Kreisamt vom Gesundheitsamt zwar über den Vorgang informieren ließ, aber ansonsten keine Maßnahmen ergriff.569 In einem Fall erhielt das Erbgesundheitsgericht von der „Kanzlei des Führers“ die Antwort, eine Zurücksendung der Akten sei nicht möglich, „da sie zum Zwecke der Aussetzung der Durchführung des Verfahrens auf eine allgemeine Weisung des Führers bis zur endgültigen Entscheidung zurückgehalten werden.“ Das Verfahren fand später statt und der Betroffene wurde sterilisiert.570 In den Fällen, in denen die Sterilisierung vom Gericht abgelehnt wurde, ist wohl nur eine – nicht erhaltene – Mitteilung darüber an den Stab des „Stellvertreters des Führers“ gegangen, denn eine Aktenübersendung ist nicht nachweisbar. In sechs Fällen erhielt das Gesundheitsamt vom Stab des „Stellvertreters des Führers“ den Vordruck mit dem Text: „In der Anlage übersende ich dankend die mir überlassenen Akten in der Erbgesundheitssache […]. Ich habe den Beschwerdeführer unterrichtet, daß ich das Verfahren einer eingehenden Prüfung unterzogen hätte, jedoch nicht in der Lage sei, etwas im Sinne seiner Beschwerde zu unternehmen.“571

In einem siebten Fall stimmte der „Stellvertreter des Führers“ dem Antrag auf Unfruchtbarmachung zu.572 In zwei Fällen leitete er die Petitionen an das Reichsministerium des Inneren weiter, das über die Ehetauglichkeit entschied; in einem Fall erteilte es die Genehmigung573, im anderen nicht.574 In drei weiteren Fällen war die Eingabe an den Führer von den Betroffenen behauptet worden. Obwohl ein Betroffener dem Gesundheitsamt den Beleg des Einschreibens vorlegen konnte, erfolgte keine Reaktion aus Berlin oder München. Ob er der Aufforderung, sich in die Klinik zur Unfruchtbarmachung zu begeben, gefolgt ist, bleibt offen. Im anderen Fall ist eine Unfruchtbarmachung vorgenommen worden. In einem Fall blieb es wohl bei einer Drohung. Es ist kein Schreiben aus der NSDAP nachweisbar. Der Antrag auf Unfruchtbarmachung wurde abgelehnt.575 Ein in mehrfacher Hinsicht interessanter Fall ist der des Arbeiters und SA-Mannes Heinrich V.576 1934 wurde er bei den Mannstaedt-Werken als Schlepper beschäftigt. Am 26. Januar 1932 war er der SA beigetreten, wo er zum Rottenführer aufstieg. Als V. und seine Ehefrau 1933 ein Ehestandsdarlehen beantragten, mussten beide sich zu dessen Erlangung untersuchen lassen. Am 30. Oktober 1933 stellte V. sich im Gesundheits568 569 570 571 572 573 574 575 576

ARSK LSK 5247/673. ARSK LSK 5191/394. ARSK LSK 5316/1020. ARSK LSK 5279/831. ARSK LSK 5298/928 ARSK LKB 6690/1–2. ARSK LKB 6915/1–3. ARSK LSK 5373/1304. ARSK LSK 5169/281. Auch für die folgenden Zitate und Darstellungen.

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„… Anfang, aber nicht Ende“

amt vor. Aufgrund der Untersuchung hatte der Amtsarzt erhebliche Bedenken gegen die Gewährung eines Darlehens; am 17. Januar 1935 stellte er Anzeige wegen des Verdachtes auf „angeborenen Schwachsinn“. Aufgrund einer weiteren Untersuchung 1936 durch die Fürsorgeärztin Liselotte Witkop wurde „eindeutig festgestellt“, dass V. an „Schwachsinn“ leide. Die nun angestellten Ermittlungen erbrachten eher Entlastendes. Der Arbeitgeber bescheinigte V. am 23. Februar 1937, dass er mit seiner Führung und seiner Leistung zufrieden sei. Der Führer des SA-Sturmes 6/160 schrieb, er versehe seinen Dienst regelmäßig und mit Interesse und sei ein guter Kamerad. Trotz dieser Erklärungen sandte Bange am 9. März 1937 einen Antrag auf Unfruchtbarmachung zusammen mit dem von Liselotte Witkop verfassten amtsärztlichen Gutachten an das Erbgesundheitsgericht. Dieses stellte nun eigene Nachforschungen an und forderte am 16. März 1937 vom Gesundheitsamt die Akten des Bruders und der Stiefschwester an, bei denen ebenfalls Erbgesundheitsverfahren eingeleitet worden waren. Unter dem Datum des 30. März 1937 erstatte die Hilfsschule Bericht. V. war ab 1925 nur kurz dort gewesen und es hatte keine hinreichende Ausbildung vermittelt werden können, zumal schwierige häusliche Verhältnisse und unregelmäßiger Schulbesuch hinzugetreten waren. In einer mündlichen Verhandlung am 1. April 1937 beschloss das Bonner Erbgesundheitsgericht unter dem Vorsitz von Joseph Lepique mit den Beisitzern Franz Heinrich Faller und Alfred Peipers, V. unfruchtbar machen zu lassen. In seiner Begründung schloss das Gericht sich der Diagnose der Sachverständigen Witkop an. Neben deren Untersuchung und Beobachtung werde „die Diagnose gestützt auf die vorgelegte Sippentafel.“ Diese zeige eine „erhebliche familiäre Belastung“. Nach den Zeugnissen habe er sich „im Leben gut bewährt“, „straffrei geführt“ und sei „seit 1932 in der S. A. der NSDAP. [sic!] tätig“. Die vom Gericht erneut vorgenommene Intelligenzprüfung ergab jedoch „erhebliche Ausfälle“. Das Gericht führte weiter aus, dass der Hausstand geordnet sei, V. aber selbst angebe, seine Ehefrau besorge die notwendigen Einkäufe. An dem äußeren Erscheinen hatte das Gericht keine Kritik: „In Kleidung und Haltung macht er einen ordentlichen Eindruck.“ Das Fazit des Gerichtes lautete: „In Übereinstimmung mit dem ärztlichen Gutachten ist das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, daß im vorliegenden Falle Schwachsinn vorhanden ist. Da äußere Ursachen nicht gegeben sind und die Sippe stark belastet ist, muß der Schwachsinn als angeboren angesehen werden.“

Abschließend folgte der Standardsatz: „Nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft muß mit größter Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß sich das Leiden auf die Nachkommen übertragen kann. Die beantragte Unfruchtbarmachung mußte daher angeordnet werden.“ Gegen den Beschluss legte V. Beschwerde ein. Am 28. Juni 1937 beschloss das Erbgesundheitsobergericht unter dem Vorsitz von Erich Kopelke (1879–1947) mit den Beisitzern Bernhard Dietrich und Friedrich Panse, die Beschwerde zurückzuweisen. Bei

Beschwerden und Opposition gegen die Umsetzung des Sterilisationsgesetzes

195

der mündlichen Verhandlung hatten sie einen weiteren Intelligenztest durchgeführt. V. wusste dabei nicht, was SA heißt, und konnte die Abkürzung NSDAP nicht vollständig auflösen. Das Gericht verwies auf die familiäre Belastung: Sein Bruder Theodor und seine Stiefschwester Christine W. seien nachgewiesenermaßen „schwachsinnig“. Der Beschluss zur Unfruchtbarmachung wurde daraufhin am 19. Juli 1937 rechtskräftig. In der Zwischenzeit hatte bereits ein immer weiter ausufernder bürokratischer Briefwechsel zwischen dem Gesundheitsamt und diversen NSDAP-Einrichtungen begonnen. Versehentlich hatte das Gesundheitsamt eine Anfrage an die Gauleitung unterlassen und musste diese nun nachholen. Am 28. April 1937 übermittelte es der Gauleitung Köln drei Fragen: 1. „Wie ist das allgemeine Verhalten des V. im Leben und im Verkehr mit Angehörigen der Partei?“, 2. „Wie werden die Leistungen des Genannten für die Partei bezw. S. A. bewertet?“ und 3. „Sind Gründe bekannt, die gegen die Anwendung des § 1 des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses bei V. sprechen?“

Nach einer Erinnerung vom 17. September 1937 reagierte das Rassenpolitische Amt der Gauleitung am 8. Oktober 1937 und teilte mit, der Brief vom April 1937 liege nicht vor. Zur Beantwortung der Fragen 1 und 2 werde Auskunft von der Kreisleitung, zu Frage 3 vom Amt für Volksgesundheit der Gauleitung eingeholt. Nach einer weiteren Erinnerung am 23. November 1937 erfuhr das Gesundheitsamt am 2. Dezember 1937, dass das Amt für Volksgesundheit der Gauleitung zur Klarstellung die Anfrage an den Kreisamtsleiter weitergeleitet habe und das Gesundheitsamt sich am besten mit diesem in Verbindung setze. Dies geschah am 11. Dezember 1937, als sich das Gesundheitsamt an den Kreisamtsleiter in Eitorf wandte mit der Bitte um Zusendung der gemachten Feststellungen, die zu dem schwebenden Erbgesundheitsverfahren dringend benötigt würden. Am 8. Januar 1938 konnte der Kreisamtsleiter Antwort auf zwei Fragen geben. Zu 1: „V. ist bei den Klöckner-Werken in Troisdorf beschäftigt und verdient einen guten Durchschnittslohn. Er versteht es jedoch schlecht, mit seinem Lohn wirtschaftlich umzugehen. Sein Allgemeinverhalten ist oft etwas kindisch, sodass er nicht immer ganz ernst genommen werden kann.“ Zu 2: „V. gehört seit dem 26.11.1932 der SA. an und ist z.[ur] Z[ei]t. SA.-Rottenführer. Der zuständige SA.-Führer gibt an, dass V. seinen Dienst in der SA. regelmässig versehen habe und auch besonders eifrig bei der Sache wäre.“ Wie der Kreisamtsleiter am 22. Januar 1938 mitteilte, habe er nach Rücksprache mit der Gauleitung dieser den Aktenvorgang übersandt, so dass sich das Gesundheitsamt am 1. März 1938 nun wieder an die Gauleitung wandte und um „baldgef[äl]l.[igst] Stellungnahme“ bat, „da das Urteil bereits seit 1.4.37 rechtskräftig ist“. Am 28. März 1938 schrieb der Kreisamtsleiter dem Gesundheitsamt von der Vermutung, dass V. bereits sterilisiert sei, und bat um Mitteilung. Dieses antwortete am 1. April 1938, dass von der Durchführung der Sterilisation nichts bekannt sei. Im Gegenteil:

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„… Anfang, aber nicht Ende“ „Das Urteil ist bereits seit 1.4.37 rechtskräftig, jedoch konnte die Einweisung zur Durchführung des Verfahrens nicht stattfinden, da trotz mehrfacher Anmahnung die Stellungnahme der Partei zur Frage 3, ob Gründe bekannt sind, die gegen die Anwendung des § 1 des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses bekannt sind, aussteht.“

Nach einer erneuten Bitte „um umgehende Stellungnahme“ am 13. Mai 1938 bestätigte am 8. Juli 1938 die Gauleitung, dass ihr die Akten Anfang März zugegangen seien. Da aus ihnen nicht ersichtlich sei, „um welchen Grad des Schwachsinns es sich bei V. handelte, auch jegliche Unterlagen über die Belastung in der Sippe des V. fehlten“, habe die Gauleitung am 9. März den Kreisamtsleiter angewiesen, weitere Nachforschungen über die Belastung der Familie und Sippe durchzuführen. Sollte sich eine erbliche Belastung ergeben, „so stimmen wir dem Urteil zu“. Erst am 18. August 1938 teilte die Gauleitung das Ergebnis der Nachforschungen mit. Der Kreisamtsleiter komme zu der Auffassung, „daß hier nicht ein solcher Grad des Schwachsinns vorläge, der die Sterilisation rechtfertigen könnte.“ Deshalb habe die Gauleitung den Kreisamtsleiter veranlasst, „den V. aufzuklären und ihm von seiner Seite aus eine Beschwerde gegen das ausgesprochene Urteil nahezulegen.“ Da durch V. nichts veranlasst wurde, schrieb am 8. September 1938 das Gesundheitsamt den Kreisamtsleiter an. Da das Urteil rechtskräftig sei, sei es nicht mehr möglich, die Durchführung der Sterilisation weiter aufzuschieben, falls nicht in kürzester Frist die Beschwerde einlaufe. Den gangbaren Weg zeichnete es vor: „Dabei weise ich darauf hin, daß eine Beschwerde an das Erbgesundheitsgericht oder Erbgesundheitsobergericht m. E. zwecklos ist. Es bleibt m. E. nichts anderes übrig als eine Beschwerde an den Stellvertreter des Führers.“ V. müsse in kürzester Frist eine Bescheinigung vorlegen, wonach er dies über einen eingeschriebenen Brief getan habe. Das Aufklärungsgespräch fand schließlich am 2. Oktober 1938 statt. Offenbar lief die Eingabe über den Kreisamtsleiter, der am 13. Oktober 1938 die ihm zur Ansicht übersandten Bescheinigungen zurückgab und das Gesundheitsamt informierte: „Das Gesuch wurde von hier aus der Gauamtsleitung des Amtes für Volksgesundheit zur Weitergabe an den Stellvertreter des Führers übersandt.“ Mit der Aufforderung des Gesundheitsamtes am 4. November 1938 an den SA-Mann, ihm „eine Bescheinigung über die eingereichte Beschwerde beim Führer“ zukommen zu lassen, setzte es eine Frist bis zum 10. November. Geschehe dies nicht termingerecht, so werde „nun endgültig Ihre zwangsweise Einlieferung zur Sterilisation erfolgen.“ Schließlich bestätigte die Gauleitung am 20. Dezember 1938 die Weitergabe der Akten an den „Stellvertreter des Führers“. Dieser bat nun um Mitteilung, bei welchem Erbgesundheitsgericht und unter welchem Aktenzeichen der Fall behandelt wurde, die er am 27. Dezember 1938 für beide Verfahren erhielt. Am 19. Januar 1939 wandte sich der Stab des „Stellvertreters des Führers“ an das Erbgesundheitsgericht und erbat von dort die Akten. Das Gericht leitete die Anforderung an das Gesundheitsamt weiter, so dass dieses am 30. Januar 1939 antworten und den Sachverhalt aus seiner Sicht schildern konnte. Am 24. April 1939 sandte der Stab die Akten

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zurück und teilte dem Gesundheitsamt mit, dass der Beschwerdeführer darüber unterrichtet worden sei, dass er „nicht in der Lage sei, etwas im Sinne seiner Beschwerde zu unternehmen.“ Da nun alle Hürden genommen waren, konnte das Gesundheitsamt V. am 8. Mai 1939 auffordern, sich zur Unfruchtbarmachung in die Chirurgische Universitätsklinik zu begeben. Nun bat dessen Ehefrau am 10. Mai 1939 um einen Monat Aufschub, da ihr Mann „an der Westfront“ (Westwall) gearbeitet habe, von wo er zurückgekehrt sei und sich nun in eine neue Stelle einarbeiten müsse. Dies lehnte das Gesundheitsamt am 15. Mai 1939 ab und bat „nunmehr letztmalig“, V. wolle sich bis zum 30. Mai in die Klinik zur Vornahme des Eingriffes begeben. Sollte dieser letzten Aufforderung nicht Folge geleistet werden, „so erfolgt Ihre polizeiliche Einweisung.“ Am 31. Mai 1939 meldete die Klinik, dass V. am gleichen Tag aufgenommen worden sei. Die Operation (Resektion) erfolgte nach dem ärztlichen Bericht noch am selben Tag. Am 5. Juni 1939 wurde der Patient aus der Klinik entlassen. Im Laufe des Jahres 1940 beschwerte sich V. beim Regierungspräsidenten über die Ablehnung seines Ehestandsdarlehens aus dem Jahr 1933. Das Finanzamt forderte daraufhin die Unterlagen vom Gesundheitsamt an. Der Amtsarzt in Siegburg stellte am 30. Dezember 1940 fest, dass zwar noch die damals eingereichten Unterlagen des Finanzamtes vorhanden seien, nicht aber die über die Untersuchung. Er bemerkte: „Der Antrag muss jedoch auch heute noch abgelehnt werden, da V. […] an einer Erbkrankheit leidet.“ Am 5. Februar 1941 bat er das Gesundheitsamt Bonn um den Vorgang der dort untersuchten Ehefrau. Dieses musste am 11. Februar 1941 gestehen, dass es 1933 weder eine Erbkartei noch Sippenakten gab. Die vorgeschriebenen Formulare seien daher nach Berlin verschickt worden, möglicherweise auch wieder zurückgekehrt, aber nicht auffindbar. Nach der Berichterstattung des Gesundheitsamtes am 15. Februar 1941 erhob der Regierungspräsident am 24. Februar 1941 Bedenken und begründete diese: „Der Antragsteller ist wegen angeborenen Schwachsinns sterilisiert. Unter diesen Umständen ist die Ehe nicht als förderungswürdig zu betrachten.“ Mitglieder der NSDAP waren unter den Betroffenen nicht nachweisbar, die von anderen NS-Organisationen in äußerst geringer Zahl. Offenbar musste aber die Partei in solchen Fällen gehört werden. Der Fall V. zeigt auf, dass nach der Diagnose „Schwachsinn“ die Feststellung einer Erbkrankheit lediglich durch den Hinweis auf das familiäre Umfeld erfolgte. Gleichzeitig offenbart er die Abhängigkeit der staatlichen Einrichtung von der Partei auf lokaler und reichsweiter Ebene. Die regionalen und lokalen Parteistellen verstrickten sich in einen jahrelangen und komplizierten bürokratischen Vorgang, dem das Gesundheitsamt nur zusehen konnte. Die Ablehnung der Unfruchtbarmachung durch das Kreisamt war sicherlich der Nähe zu dem Betroffenen geschuldet. Die Petition an den „Stellvertreter des Führers“, die der Amtsarzt schließlich vorschlug, kann auch als geschickte Taktik gesehen werden, auf diesem Wege die Unfruchtbarmachung doch noch durchzusetzen. Denn letztlich gab es kein Anzeichen dafür, dass von dieser Stelle eine Sterilisation abgelehnt werden würde.

198

„… Anfang, aber nicht Ende“

Formell: Das Beschwerdeverfahren vor dem Erbgesundheitsobergericht

Gegen den Beschluss eines Erbgesundheitsgerichtes konnte sowohl durch den Betroffenen als auch durch den Antragsteller zunächst innerhalb einer Frist von vier, ab 1935 nur noch zwei Wochen Beschwerde eingelegt werden. Dann folgte ein Beschwerdeverfahren vor dem Erbgesundheitsobergericht (Registerzeichen „Wg.“).

Abb. 43  Oberlandesgericht Köln, Aufnahme des Reichensperger Platzes, 1920er Jahre

Die Zahl der Beschwerden und Proteste von Betroffenen waren besonders in den katholischen Regionen hoch.577 In den Bezirken der Erbgesundheitsobergerichte Bamberg, München, Kassel, Nürnberg mit überwiegend katholischer Bevölkerung lag die Quote 1934 bei der Anzahl der Beschwerden zwischen 24,2 und 21,9 Prozent. Der Reichsdurchschnitt lag bei 14,6 Prozent, in den Bezirken Köln (10,9 und Düsseldorf 11,2 Prozent) allerdings darunter.578 Anzahl der Beschwerdefälle Bonn-Land

Siegkreis

Bonn-Stadt

Summe

Beschlüsse

389

964

54

1407

Beschwerden

77 (20,37 %)

175 (18,15 %)

7 (12,96 %)

259 (18,41 %)

Im Falle der beiden untersuchten Kreise liegen diese Zahlen mit 20,37 Prozent (Landkreis Bonn) und 18,15 Prozent (Siegkreis) aber deutlich höher. 577 Bock, Zwangssterilisation, S. 281. 578 Maßfelder, Arbeit, S. 593.

Beschwerden und Opposition gegen die Umsetzung des Sterilisationsgesetzes

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Das für Beschwerden gegen Beschlüsse des Erbgesundheitsgerichtes Bonn zuständige Gericht war das Erbgesundheitsobergericht Köln. Es setzte sich ebenfalls aus einem Richter als Vorsitzendem und zwei Ärzten als Beisitzern zusammen. Das Gericht war dem Kölner Oberlandesgericht angeschlossen und umfasste dessen Gerichtsbezirk. Dazu zählten neben dem Bonner auch die Erbgesundheitsgerichte Aachen, Koblenz und Trier. In den Akten befinden sich aber auch Beschlüsse anderer Erbgesundheitsobergerichte. Dies beruht auf der Praxis, dass Erbgesundheitsgerichte in anderen Oberlandesgerichtsbezirken über die Betroffenen entschieden, wenn diese in Anstalten in diesem Bezirk untergebracht oder zu einem späteren Zeitpunkt in den Bereich des Untersuchungsgebietes umgezogen und ihre Akten an das zuständige Gesundheitsamt abgegeben worden waren. Insgesamt lassen sich 259 Beschwerden nachweisen. Von diesen sind mindestens 210 vor dem Erbgesundheitsobergericht in Köln verhandelt worden – das sind rund 81 Prozent. Vermutlich liegt die Zahl noch höher. Davon ausgehend, dass Beschlüsse und Operationsorte im Bonner Bezirk liegen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein Beschwerdeverfahren in Köln stattgefunden hat. Dies würde für 13 Fälle zutreffen (insgesamt also 223 Beschwerden, rund 86 Prozent). Nur 16 Fälle sind nachweisbar anderen Erbgesundheitsgerichten zuzuordnen (rund 6 Prozent). Beschlüsse Erbgesundheitsobergericht Köln Bonn-Land

Siegkreis

Bonn-Stadt

Summe

Gesamt

77

175

7

259

Bestätigt

62 (80,52 %)

157 (89,71 %)

6 (85,71 %)

225 (86,76 %)

Abgeändert

15 (19,48 %)

18 (10,29 %)

1 (14,29 %)

34 (13,13 %)

Mehr als 80 Prozent der Beschwerden sind durch das Erbgesundheitsobergericht Köln zurückgewiesen oder als unzulässig abgelehnt worden. Nur ein geringer Anteil von Beschwerden führte zur Abänderung des Beschlusses des Erbgesundheitsgerichtes. Änderungsquote Erbgesundheitsobergericht Köln Bonn-Land

Siegkreis

Bonn-Stadt

Summe

Gesamt

77

175

7

Patient

64

154

6

Geändert

6 (9,38 %)

11 (7,14 %)

Antragsteller

13

21

1

35

Geändert

9 (69,23 %)

7 (33,33 %)

1 (100 %)

17

224 17

Eine genauere Betrachtung der einzelnen Beschwerdeführer ergibt ein eindeutiges Bild zu Lasten der Betroffenen. Ihre Beschwerden führten nicht einmal in 10 Prozent der Fälle zu einer Abänderung des Beschlusses. Bei den Antragstellern jedoch lagen die Quoten

200

„… Anfang, aber nicht Ende“

deutlich höher, wenn auch bei einer niedrigeren Gesamtzahl der Beschwerden. Das Erbgesundheitsobergericht stimmte also in mehr als 90 Prozent der Fälle dem Erbgesundheitsgericht in seinem Beschluss der Unfruchtbarmachung zu, während es gleichzeitig die Mehrzahl der ablehnenden Beschlüsse auf eine Sterilisierung hin abänderte. In der Tendenz steht das Erbgesundheitsobergericht eher für eine verschärfende als für eine mildernde Instanz. Die Richter für das eingerichtete Erbgesundheitsobergericht kamen vom Oberlandesgericht Köln. Der Kölner Oberlandesgerichtspräsident verfügte am 4. Januar 1934, dass der Oberlandesgerichtsrat Wilhelm Feldmann (1878–1940) Vorsitzender und Oberlandesgerichtsrat Erich Kopelke stellvertretender Vorsitzender des Erbgesundheitsobergerichtes seien. Als Dezernent für die Angelegenheiten des Erbgesundheitsgesetzes war Feldmann zuständig, bei seiner Verhinderung, so der Oberlandesgerichtspräsident am 10. September 1934, Kopelke.579 Die Geschäftsverteilungspläne vom 1. November 1941 bis 9. März 1944 sahen als Vorsitzenden Jakob Rennen und als stellvertretenden Vorsitzenden Richard Bauer vor.580 Am 9. März 1944 bestellte der Oberlandesgerichtspräsident mit sofortiger Wirkung den Oberlandesgerichtsrat Theodor Assenmacher (1895–1975) als zweiten stellvertretenden Vorsitzenden. Assenmacher stammt aus dem Untersuchungsgebiet, er wurde in Waldorf, heute Bornheim-Waldorf geboren.581 Beschwerdefälle aus dem Untersuchungsgebiet wurden unter dem Vorsitz von drei Richtern verhandelt: Wilhelm Feldmann, Erich Kopelke und Jakob Rennen. Richter Erbgesundheitsobergericht Köln (plus sonstige Erbgesundheitsobergerichte) Herkunft der Betroffenen

Wilhelm Feldmann (1935–1936)

Erich Kopelke (1934–1937)

Jakob Rennen (1935–1943)

(plus sonstige)

Landkreis Bonn

5

24

26

55 (plus 22)

Siegkreis

11

91

50

152 (plus 25)

Stadt Bonn

k. A.

3

2

5 (plus 2)

Gesamt

16

118

76

210 (plus 49)

Erster Vorsitzender des Erbgesundheitsobergerichtes wurde der am 2. August 1878 geborene Wilhelm Feldmann.582 Der Sohn eines Kaufmanns wurde katholisch getauft. Feldmann legte die Erste Staatsprüfung 1900 in Kiel ab und trat als Referendar in die Justizverwaltung ein. Nach der Zweiten Staatsprüfung 1906 in Berlin wurde er Gerichtsassessor und Hilfsrichter an den Landgerichten in Bochum, Bielefeld und Münster sowie 579 580 581 582

LAV NRW R BR-PE 1240; Adressbuch Köln 1941–42, Bd. 1. LAV NRW R Gerichte Rep. 255–527. LAV NRW R BR-PE 16850, BR-PE 13227, NW-PE 2008. LAV NRW R BR-PE 984; Adressbuch Köln 1934, Bd. 1, Oberlandesgerichtsrat.

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am Amtsgericht in Schwerte. Er arbeitete 1907/08 als zugelassener Rechtsanwalt, kehrte aber 1908 in den Justizdienst zurück. Er war zunächst Hilfsrichter an den Amtsgerichten Dortmund und Dorsten. 1909 kam er als Landrichter an das Landgericht Köln. Hier wechselte er am 1. Juli 1919 an das Oberlandesgericht. Von 1926 bis 1929 war er in das Juristische Prüfungsamt berufen. 1927 wurde er Mitglied der Abteilung „Rheinprovinz“ des Bergausschusses beim Oberbergamt Bonn. Von 1932 bis 1937 war er stellvertretender Vorsitzender und zugleich richterlicher Beisitzer sowie bis 1940 Mitglied der Dienststrafkammer beim Oberlandesgericht Köln. Sein Eintritt in die NSDAP datiert auf den 1. Mai 1933 (Mitgliedsnummer 2.135.317). Am 22. Mai 1933 trat er dem NS-Rechtswahrerbund bei, im Sommer 1933 der NSV und 1935 dem Reichsluftschutzbund. Bei der Errichtung der Erbgesundheitsgerichte im Januar 1934 ernannte ihn der Landgerichtspräsident zum Vorsitzenden des Erbgesundheitsobergerichtes. Sein Vorgesetzter war mit Feldmanns Einsatz zufrieden und schlug ihn noch im gleichen Jahr zur Beförderung zum Reichsgerichtsrat vor: „Ich habe ihn aber wegen seiner besonderen nationalen und nationalsozialistischen Zuverlässigkeit wieder auf die Beförderungsliste gesetzt.“ Feldmann starb am 25. Oktober 1940 im Alter von 62 Jahren. Sein Stellvertreter Erich Kopelke583 wurde am 13.  Juni 1879 in Saarbrücken als Sohn eines Bergwerksdirektorssekretärs geboren und evangelisch getauft. Er studierte Rechtswissenschaft und absolvierte seine Erste Staatsprüfung 1901 in Köln. Im gleichen Jahr erfolgten seine Ernennung zum Referendar und die erste Vereidigung. Die Zweite Staatsprüfung bestand er 1907 in Berlin, wenig später folgte die Ernennung zum Gerichtsassessor. 1910 stieg er zum Landrichter in Trier auf. Am Ersten Weltkrieg nahm er vom 3. August 1914 bis zur Entlassung (als Hauptmann der Reserve) am 15.  Februar 1919 als Frontkämpfer mit Verwundungen und vielen Ehrungen teil. Er kehrte zurück nach Trier, von wo er 1921 mit der Ernennung zum Oberlandesgerichtsrat auf eine entsprechende Stelle in Köln wechselte. Eine Zeit lang war Kopelke für eine Beförderung zum Senatspräsidenten vorgesehen, doch 1930 wurde Abb. 44  Erich Kopelke, 1936

583 LAV NRW R BR-PE 1240; Adressbuch Köln 1937, Bd. 2, Oberlandesgerichtsrat.

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er aus der Liste gestrichen, weil es Zweifel an seiner „ganz besonderen Eignung für höhere Stellen“ gab. Kopelke gab an, für vier Wochen bis zu deren Auflösung Mitglied der DNVP gewesen zu sein. Der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen trat er nicht bei, wohl aber dem NSRechtswahrerbund am 1. April 1934 (Mitgliedsnummer B 71.505). Der NSV trat er am 26. Juni 1935 bei. Außerdem war er seit dem 24. August 1934 Mitglied des Reichsluftschutzbundes. Am 28. August 1934 ist er auf Hitler vereidigt worden. In einer Beurteilung durch seinen Vorgesetzten bezeichnete dieser ihn als einen „besonders pflichttreuen Richter“. Politisch galt er als „unbedenklich“. Ab dem 1. Januar 1934 war Kopelke stellvertretender Vorsitzender des Erbgesundheitsobergerichtes in Köln und im September 1934 bestimmte der Oberlandesgerichtspräsident, dass Kopelke im Falle der Verhinderung des Dezernenten für die Angelegenheiten des Erbgesundheitsgesetzes dessen Position übernahm. Über seine Tätigkeit urteilte sein Vorgesetzter: „Kopelke hat sich als stellvertretender Vorsitzender des Erbgesundheitsobergerichtes voll bewährt.“ Da er seit 1939 kränkelte und schließlich Bescheinigungen des Nervenarztes Busch vorlegte, versetzte ihn das Reichsministerium der Justiz zum 1. August 1943 in den endgültigen Ruhestand. Kopelke war seit 1927 mit Irmgard Hase, der Tochter eines Gutsbesitzers, verheiratet. Sie starb am 12. Juli 1941. Er wohnte in Bensberg, wo er am 29. Juli 1947 starb. Für die letzten Jahre ist nur noch ein Richter nachweisbar. Jakob Rennen584 wurde am 8. November 1880 als Sohn eines Verwaltungsgerichtsdirektors geboren und katholisch getauft. Er bestand 1902 die Erste Staatsprüfung und wurde Referendar. 1907 folgte die Zweite Staatsprüfung in Berlin und die Ernennung zum Gerichtsassessor. Als Amtsrichter begann er 1910 in Köln, Abb. 45  Jakob Rennen, 1934 wo er 1912 zum Landrichter bzw. Landgerichtsrat aufstieg. 1921 war er für kurze Zeit Oberlandesgerichtsrat in Düsseldorf, um noch im gleichen Jahr an das Oberlandesgericht nach Köln zu wechseln. In den 1920er Jahren war er mehrfach als Schiedsmann tätig. Von 1926 bis 1934 war er Rechtsbeistand der Oberpostdirektion Köln. 584 LAV NRW R BR-PE 1414; Adressbuch Köln 1934, Bd. 1, Oberlandesgerichtsrat.

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Sein Eintritt in die NSDAP datiert vom 1. Mai 1933 (Mitgliedsnummer 2.101.464). Im Mai 1933 trat er auch dem NS-Rechtswahrerbund bei, 1934 der NSV und dem Reichsluftschutzbund. Rennen war – wohl nach dem Tod von Feldmann 1940 – von 1941 bis 1944 Vorsitzender des Erbgesundheitsobergerichtes. Der Oberlandesgerichtspräsident Naumburg meldete seinem Kölner Kollegen am 15. November 1944, dass Rennen am 5. November 1944 in Eisleben Suizid begangen habe, nachdem er dorthin evakuiert worden war. In seinem Abschiedsbrief schrieb er, dass er sich bereits in Köln das Leben habe nehmen wollen.585 Als Beisitzer im Beschwerdeverfahren vor dem Erbgesundheitsobergericht fungierten zwei Ärzte. Bei ihnen gab es ebenfalls die Aufteilung in beamtete und approbierte Ärzte, wie es bei den Erbgesundheitsgerichten der Fall war. Im Erbgesundheitsobergericht wirkten – theoretisch – Ärzte aus dem ganzen Bezirk des Oberlandesgerichtes mit. Ob alle auch in den Erbgesundheitsgerichten mitwirkten, müsste noch erforscht werden. Unter den mitwirkenden Ärzten des Erbgesundheitsobergerichtes befanden sich bei den Fällen aus dem Untersuchungsgebiet keine aus dem Kreis Bonn-Land und dem Siegkreis. Mitwirkende waren aber Ärzte, die bereits in Bonn Mitglieder des Erbgesundheitsgerichtes waren: der Außenfürsorgearzt Bernhard Dietrich, der Gerichtsmediziner Friedrich „Fritz“ Pietrusky und der stellvertretende Amtsarzt der Stadt Bonn und spätere zweite Medizinaldezernent bei der Regierung Köln Hans Heubach. Hinzu kam Friedrich Panse586, der von Mai bis Dezember 1940 auch Gutachter bei der „Aktion T4“ war. Ein weiterer Arzt aus Bonn war Karlheinz Matthes, Assistenzarzt der Bonner Augenklinik.587 Mathes war 1907 in Herten geboren und evangelisch getauft, später bezeichnete er sich als freireligiös. Er studierte an der Universität Bonn, wo er 1935 das Staatsexamen bestand und 1936 die Promotion erhielt. Von 1935 bis 1939 arbeitete er als Assistenzarzt in der Augenklinik Bonn, später war er in einer Praxis in Oberhausen tätig. Mathes war ein frühes Mitglied der NSDAP und daher Träger des Goldenen Parteiabzeichens. Sein Eintritt datiert auf den 25. August 1925 (Mitgliedsnummer 16.645). Er war seit dem 1. März 1933 Mitglied der SS (Nummer 130.436). Bei der Entnazifizierung wurde er zunächst in Kategorie III (Minderbelastete), nach der Berufung 1948 in Kategorie IV (Mitläufer) eingestuft. Von den Nicht-Bonnern nahm aufgrund seiner hohen Stellung in der Medizinalverwaltung der Regierungsmedizinalrat Leonhard Quadflieg588 eine bedeutende Rolle ein. Quadflieg wurde am 10. November 1880 in Gangelt geboren und katholisch getauft. Er besuchte dort die Höhere Schule und dann das Gymnasium in Würzburg. Offenbar studierte er auch in Würzburg, wo er 1908 promoviert wurde und 1909 die Approbation erhielt. Die Kreisarztprüfung legte er 1913 in Berlin ab. Elf Jahre war er beim Institut 585 586 587 588

LAV NRW R Gerichte Rep. 255–1, OLGP an RMJ, 1.12.1944. Wenig, Verzeichnis, S. 219. Forsbach, Fakultät, S. 265. LAV NRW R BR-PE 2327.

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für Hygiene und Bakteriologie in Gelsenkirchen beschäftigt, von 1921 bis 1934 war er Kreisarzt für Hamm-Stadt und Hamm-Land. Sein Eintritt in die NSDAP datiert auf den 1. Mai 1933 (Mitgliedsnummer 2.094.444). Seit dem Sommer 1933 war er Mitglied im NSV und im NS-Ärztebund, seine Frau in der NS-Frauenschaft. Quadflieg war 1934 vorübergehend als Hilfsarbeiter beim Preußischen Ministerium des Inneren beschäftigt und übernahm am 21. März 1934 die Vertretung des Oberregierungs- und Medizinalrates Max Döllner (1874–1959), des Dezernenten der Medizinalabteilung bei der Regierung in Köln. Nachdem Döllner in den Ruhestand gegangen war, bekam Quadflieg mit Wirkung zum 1. Juni 1934 dessen Stelle als leitender Medizinalbeamter für den Regierungsbezirk übertragen. Quadflieg nahm 1934 an einem Kurs für „Erb- und Rassenpflege“ in Berlin-Dahlem teil. Schon am 25. Mai 1934 bestellte ihn das Preußische Justizministerium zum Mitglied des Erbgesundheitsgerichtes Köln, zunächst bis zum 31. Dezember 1935. 1942 wurde seine Amtszeit bis auf Weiteres verlängert. Im Oktober 1934 sollte er von seinen Dienstgeschäften entbunden werden, um in der Medizinalabteilung des Preußischen Ministeriums des Inneren an den Vorarbeiten für die Durchführung des Gesetzes über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens vom 3. Juli 1934 beschäftigt werden zu können. Dies war dann doch nicht erforderlich. 1936 erfolgte die Ernennung zum Oberregierungs- und Medizinalrat. 1937 trat er gemeinsam mit seiner zweiten Frau aus der katholischen Kirche aus. 1943 erhielt er die Ernennung zum Regierungsmedizinaldirektor. Im Juli 1944 zog er von Köln nach Bad Godesberg und bat um eine dem Alter angepasste Dienstzeitenregelung. Im November 1945 stellte er einen Antrag auf Versetzung in den Ruhestand, die am 18. Dezember 1945 erfolgte. Der Einreihungsbescheid von 1948 vermerkte eine Fördermitgliedschaft für die Allgemeine SS und stufte Quadflieg in Kategorie IV (Mitläufer) ein. Seinen Kirchenaustritt von 1937 begründete er mit dem vorherigen Ausschluss aus der katholischen Kirche, da er 1911 protestantisch geheiratet habe (die Ehe wurde 1921 geschieden.) Frühere Mitarbeiter und Ärzte wie Hubert Lohmer, Josef Fuhlrott und Bruno Bange setzten sich für ihn ein. Quadflieg sei „kein fanatischer Nationalsozialist“ gewesen, sondern habe seine Amtsärzte immer vor den Angriffen der NSDAP geschützt. Quadflieg erlitt 1949 einen Schlaganfall und starb am 4. März 1953. Weitere beamtete Ärzte waren – hauptsächlich aus der Medizinalverwaltung stammend – August Gisbertz, Oskar Mosebach, Müller, Fritz Popp, Heinrich Lehmkuhl (geb. 1901) und Werner Domansky. Von den approbierten Ärzten kamen mehrere aus der Universität Köln. Besonders eifrig war der Kölner Ordinarius Maximilian de Crinis (1889–1945). Der Psychiater und Neurologe war als Professor an der Universität Köln tätig und Direktor der Nervenklinik von 1934 bis 1938. De Crinis war Mitglied der SS im Rang eines SSStandartenführers. Als Ministerialreferent war er später an der Vorbereitung und Durch-

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führung der „Euthanasie“ beteiligt.589 Ernst Fünfgeld (1895–1948) war der Nachfolger von de Crinis an der Universität Köln, wo er von 1939 bis 1945 tätig war. Alfred Busch war der Leiter des Psychologischen Laboratoriums der Universität Köln in den Jahren von 1922 bis 1944. Gerhard Wüllenweber (1894–1942) war Professor für Innere Medizin an der Universität Köln. Der Psychiater Walther Jahrreiss, der sich für die Jahre 1934 und 1935 nachweisen lässt, war wegen seiner jüdischen Frau entlassen worden. Sie alle fungierten als Beisitzer. Der in Merzig im Saarland als Anstaltsarzt tätige Emil Weidner590 war nicht am Erbgesundheitsgericht in Saarbrücken tätig, sondern nur beim Erbgesundheitsobergericht Köln. Nach 1945 wurde er „Richter Abb. 46  Max de Crinis, Porträtfoto, undatiert in eigener Sache“, als er 1948 zusammen mit dem Homburger Gynäkologen Heinrich Heberer im Auftrag der Landesregierung ein Gutachten mit dem Titel „Sind Zwangssterilisierte Opfer des Faschismus?“ erstellte, in dem sie „eine körperliche und geistige Schädigung“ bei Zwangssterilisierten ausschlossen. Bei Schadensansprüchen empfahlen sie die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit als Maßstab zu nehmen: „Die Arbeitsleistung – während des Dritten Reiches Ausdruck von ‚Lebensbewährung‘ und Indikator für das Vorliegen einer ‚Erbkrankheit‘ – sollte auf diese Weise erneut als Beurteilungskriterium herangezogen werden.“591 Weitere approbierte Ärzte waren Erich Bersch und Reiner Müller592, ein „Schmitz“ war nicht zu identifizieren. Die Betroffenen reichten ihre Beschwerde formlos ein, viele handschriftlich. Nur wenige Betroffene nutzten einen Rechtsbeistand, der Einsichtnahme in die Gerichtsakten forderte. Beschlüsse und Begründungen des Erbgesundheitsobergerichtes

Der schriftliche Beschluss des Erbgesundheitsobergerichtes begann formelhaft mit der Nennung der Person, des Beschlussdatums des Erbgesundheitsgerichtes, des Datums 589 590 591 592

Zur Biographie Jasper, Crinis. Braß, Zwangssterilisation, S. 130, 330 f. Braß, Zwangssterilisation, S. 331. Der Bakteriologe Reiner Müller war Mitglied des Erbgesundheitsgerichtes in Köln, Haupts, Universität, S. 44, Fußnote 138.

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der Sitzung und der Mitwirkenden. Es folgten der Beschluss des Erbgesundheitsobergerichtes und die Begründung. Hier referierte das Erbgesundheitsobergericht zunächst das Urteil des Erbgesundheitsgerichtes. Bei einer Zurückweisung der Beschwerde erfolgte oft der Hinweis, dass sich das Gericht der Entscheidung nach Prüfung des Falles „nur anschliessen könne“593. Ausführlich wurde dann die Beweisaufnahme gewürdigt und die eigene Nachprüfung erläutert, z. B. die Ergebnisse der einzelnen Fragen der mündlich in der Sitzung erfolgten erneuten Intelligenzprüfung protokolliert. Beschwerden wurden auch aus formalen Gründen abgewiesen. Dies konnte aufgrund des Überschreitens der Frist oder wegen der falschen Beschwerde führenden Person geschehen. Hatte der Betroffene keinen gesetzlichen Vertreter, musste er selbst die Beschwerde einreichen. Wenn Eltern, Ehegatten oder Kinder dies ohne gesetzliche Vertretungsbefugnis taten, wurde die Beschwerde als „unzulässig“ abgelehnt. Am 21. Januar 1935 stellte der Direktor der Strafanstalt in Siegburg den Antrag, den 1904 geborenen Christian W. wegen „angeborenen Schwachsinns“ unfruchtbar zu machen. Bereits am 13. Februar 1935 entschied das Erbgesundheitsgericht, dem Antrag zu folgen. Gegen den Beschluss legte W. am 3. April 1935 Beschwerde ein. Diese verwarf das Erbgesundheitsobergericht am 29. April 1935 zunächst aus formalen Gründen: „Der angefochtene Beschluss ist dem Beschwerdeführer am 26.2.1935 zugestellt worden. Dieser hätte daher nach § 9 ErbGG. nur bis zum 26.3.1935 Beschwerde einlegen können. Seine am 5.4.1935 bei dem Erbgesundheitsgericht eingelegte Beschwerde vom 3.4.1935 ist demnach verspätet und daher unzulässig.“594

Anträge auf Wiederaufnahme eines Verfahrens konnten bei der ersten Instanz, dem Erbgesundheitsgericht Bonn gestellt werden.595 Zu dieser Option griff beispielsweise der Strafgefangene Christian W. Er beantragte am 6. Mai 1935 die Wiederaufnahme seines Verfahrens, da ihm nicht mitgeteilt worden sei, in welcher Zeit er Beschwerde einlegen konnte. Das Erbgesundheitsgericht Bonn beschloss am 16. Mai 1935: „Der Antrag […] auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird abgelehnt, weil sich keine Umstände ergeben haben, die eine solche Wiederaufnahme als geboten erscheinen lassen könnten.“596 Daraufhin begründete der Betroffene seinen erneuten Antrag auf Wiederaufnahme am 20. Mai 1935 damit, dass er die Fragen, die der Arzt der Strafanstalt ihm gestellt habe, „mit Absicht falsch beantwortet“ habe. Gleichzeitig drohte er mit Suizid und betonte, er sei nicht betroffen. Die erneute Beschwerde gegen diesen Beschluss verhandelte das Erbgesundheitsobergericht am 28. Mai 1935 und entschied, dass „die Beschwerde des Erbkranken gegen den Beschluss des Erbgesundheitsgerichtes vom 16.5.1935“ zurückgewiesen werde. Es trat der Begründung 593 594 595 596

Z. B. ARSK LSK 5316/1020. ARSK LSK 5173/303. Zu den Wiederaufnahmen s. unten ab S. 208. ARSK LSK 5173/303.

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des angefochtenen Beschlusses bei, denn der Beschluss des Erbgesundheitsgerichtes sei zutreffend. Interessant ist in diesem Falle, dass das Fristversäumnis nicht dem Gericht, sondern dem Betroffenen zugeschoben wurde: „Dass der Erbkranke[,] wie er vorbringt, über die Beschwerdefrist nicht belehrt worden ist, ist unerheblich, da eine solche Belehrung nicht vorgeschrieben ist.“ Inhaltlich mochte sich das Erbgesundheitsobergericht nicht mit der Sache beschäftigen: „Ob die Begründung des Beschlusses des Erbgesundheitsgerichtes vom 13.12.1935 […] in allen Teilen zutreffend ist, war jetzt nicht mehr zu prüfen.“597 Am 4. August 1935 beantragte W. noch einmal eine Wiederaufnahme des Verfahrens, wieder mit der Bitte um Prüfung der Sachlage. Diesmal äußerte sich der Anstaltsarzt zu W. und teilte mit, dass er diesen „seit vielen Jahren aus wiederholten Strafverbüßungen“ kenne. Der Beschwerdebrief sei weder von W. geschrieben noch unterschrieben worden. Für einen selbstgeschriebenen Lebenslauf habe W. 1 ½ Stunden gebraucht und es sei „völlig ausgeschlossen, daß er mir bei der Intelligenzprüfung […] absichtlich falsche Antworten gegeben habe.“ Sein Fazit: „Er ist fast imbezill.“ Der Bruder Peter sei unfruchtbar gemacht worden. Die „Gebrüder Christian, Franz und Wilhelm W.“ seien „stark kriminell.“ Vater und Onkel hätten ebenfalls in Siegburg eingesessen. Nun fand eine zweite Verhandlung vor dem Erbgesundheitsgericht Bonn statt: Am 12. Dezember 1935 entschieden die Richter aber genauso und lehnten die Wiederaufnahme ab, diesmal mit einer ausführlicheren Begründung. Die erneute Intelligenzprüfung habe ergeben, dass der Betroffene „die Fragen des Intelligenzprüfungsbogens nicht absichtlich falsch beantwortet“ hatte. Er habe sie „vielmehr falsch beantwortet […], weil er sie nicht richtig beantworten konnte.“ Auch in der erneuten Verhandlung konnte er die Fragen und Aufgaben des Bogens sowie „andere ähnliche Fragen und Aufgaben“ nicht richtig beantworten.598 Dagegen legte W. am 15. Dezember 1935 erneut Beschwerde beim Erbgesundheitsobergericht ein, die von diesem am 3. Januar 1936 zurückgewiesen wurde, „da sich Umstände gemäss § 12 des Gesetzes vom 14.7.1933, die eine nochmalige Prüfung des Sachverhalts erfordern, nicht ergeben haben.“ W. gab nicht auf und beschwerte sich am 11. Januar 1936 erneut. Am 20. Januar 1936 bat er darum, den Beschluss erst dann zu „vollstrecken“, wenn er seine Strafe 1940 „um habe.“ Er lasse den Eingriff nur in der Klinik in Bonn ausführen. Alle Beschwerden und Einwände nützten ihm nichts: am 17. Februar 1936 wurde W. im Bezirkskrankenhaus des Gefängnisses Düsseldorf-Derendorf unfruchtbar gemacht.599

597 ARSK LSK 5173/303. 598 ARSK LSK 5173/303. 599 ARSK LSK 5173/303.

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„… Anfang, aber nicht Ende“

3.6 Versuche zur Wiederaufnahme des Verfahrens Nach einem Beschluss des Erbgesundheitsgerichtes versuchten Betroffene eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erreichen, um der Unfruchtbarmachung zu entgehen. Diese Anträge lehnte das Gericht meist mit der Begründung ab, es habe sich kein neuer Sachverhalt ergeben, der eine Wiederaufnahme rechtfertigen würde.600 Bei Grenzfällen, wo die Ärzte uneins waren und sich nicht auf eine genaue Diagnose einigen konnten, waren die Chancen noch am größten. Der Fall des Gartenbauschriftstellers Peter H. (geb. 1902 in Altendorf) zeigt, wie ein Eheaufgebot ein Erbgesundheitsgerichtsverfahren auslösen konnte und wie die Auslegung des Gesetzestextes gehandhabt wurde.601 H. hatte am 31. Oktober 1939 ein Eheaufgebot bestellt und war am 18. November 1939 vom stellvertretenden Amtsarzt Alfred Esser untersucht worden, der Schizophrenie diagnostizierte. Der am gleichen Tag gestellte Antrag auf Unfruchtbarmachung sei als „ein Dringlichkeitsantrag“ zu werten, da H. und seine Braut „völlig uneinsichtig“ seien und „infolgedessen erhebliche Fortpflanzungsgefahr“ bestehe. H. sei 1932/33 in der Heil- und Pflegeanstalt gewesen und die Diagnose der Anstalt lasse „auf eine sichere Schizophrenie schliessen“. Das Gericht unter dem Vorsitz von Joseph Lepique mit den Beisitzern Bruno Bange und Alexander Wilhelmy beschloss aufgrund dessen am 15. Dezember 1939 die Unfruchtbarmachung. Am 4. Januar 1940 erhob H. Einspruch (zehn Seiten Lebenslauf, 29 Seiten Begründung und eine Anlage). Hier bestritt er die Diagnose Schizophrenie sowie eine Erbkrankheit. Vielmehr gab er einen Nervenzusammenbruch aus wirtschaftlicher Existenznot als Ursache für seinen Aufenthalt in der Heil- und Pflegeanstalt an. Der Einspruch wurde am 11. März 1940 vom Erbgesundheitsobergericht abgewiesen. Dabei mochte das Gericht nicht verkennen, dass „der Beschwerdeführer, mag auch seine Fortpflanzung unerwünscht sein, nicht nur ein ehrenwerter Charakter[,] sondern auch in seiner fachmännischen Tätigkeit ein wertvoller Bestandteil des Volksganzen sein mag.“ Aber das Gericht habe eben „nichts zu prüfen als ob Schizophrenie vorliegt.“ H. wandte sich nun – auf Anraten des stellvertretenden Direktors der Heil- und Pflegeanstalt Josef Geller – am 23. April 1940 mit einer Eingabe an den Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß (1894–1987). Dieser forderte die Akte an und die Durchführung der Unfruchtbarmachung wurde ausgesetzt. Am 10. September 1940 teilte das Reichsministerium des Inneren durch Herbert Linden (1899–1945) dem Kölner Regierungspräsidenten mit, dass der Stab um Heß Bedenken gegen die Durchführung der Sterilisation habe. Eine Stellungnahme des Direktors der Heil- und Pflegeanstalt, Pohlisch, werte den Befund als Umstand, der die Wiederaufnahme des Verfahrens erfordere. Linden ersuchte, den Amtsarzt anzuweisen, einen entsprechenden Antrag zu stellen.

600 ARSK LKB 6950, LSK 5173/303. 601 ARSK LSK 5186/367. Auch für die folgenden Zitate.

Versuche zur Wiederaufnahme des Verfahrens

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Dem auf den 1. Oktober 1940 datierten Wiederaufnahmeantrag des Gesundheitsamtes der Stadt Bonn, wohin H. verzogen war, gab das Erbgesundheitsgericht am 16. Oktober statt und untersagte die Ausführung der Unfruchtbarmachung „trotz Defektzustand“. Das vom Gericht in Auftrag gegebene Gutachten der Nervenklinik vom 25. Januar 1941 fehlt in den Akten. Es diente als Grundlage für die folgende Verhandlung. Am 12. März 1941 beschloss das Gericht unter Vorsitz von Wilhelm Kloninger mit den Beisitzern Franz Heinrich Faller und Müller die Ablehnung des Antrages auf Unfruchtbarmachung. Es stellte fest, dass H. 1932/33 einen schizophrenen Schub durchgemacht habe, aber nach einmaliger Erkrankung kein „sozialer Defekt“ zurückgeblieben sei und es auch keinen Anhaltspunkt für ein Vorliegen von Schizophrenie in der Familie gebe. Das Gericht betonte, dass es mit diesem Beschluss von der „Kann-Vorschrift“ Gebrauch mache. Dies bezog sich auf eine Formulierung im Paragraphen 1 des Gesetzestextes: „Wer erbkrank ist, kann durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht (sterilisiert) werden […]“.602 Gegen diese Entscheidung erhob nach Rücksprache mit der Medizinalabteilung beim Regierungspräsidenten in Köln das wegen eines erneuten Umzuges von H. nunmehr zuständige Gesundheitsamt Bonn-Land in Person des stellvertretenden Amtsarztes Alfred Esser am 3. April 1941 Beschwerde. Eine Eheerlaubnis nach dem Ehegesundheitsgesetz sei nun unmöglich, weil H. doch erneut als erbkrank bezeichnet worden sei. Dies sei aus seiner „Erfahrung mit der hiesigen Bevölkerung“ ein „sehr unangenehmer Präzedenzfall“ und der Gebrauch der „Kann-Vorschrift“ zu weitgehend. Auf einen Bericht des Regierungspräsidenten an das Reichsministerium des Inneren kam von dort am 19. Mai 1941 die Anweisung, dem Amtsarzt zu eröffnen, dass dieser vor dem Einspruch die Zustimmung aus Berlin einzuholen habe. Esser war diese Bestimmung nicht bewusst, wie er am 11. Juni 1941 zugab. Er fühlte sich aber dienstlich dazu verpflichtet, hatte Rücksprache mit Köln gehalten und von Geller die Diagnose Schizophrenie bestätigt bekommen. Das durch Essers Einspruch involvierte Erbgesundheitsobergericht bestätigte die Ablehnung des Antrages auf Unfruchtbarmachung, so dass nun der Weg zur Heirat für H. frei war. Er stellte am 14. Oktober 1941 ein neues Eheaufgebot und erhielt die Genehmigung zur Heirat.603 Die Absicht zu heiraten und eine Familie zu gründen war sicherlich die stärkste Motivation, sich gegen eine Unfruchtbarmachung zu wehren. Sie konnte sogar so stark sein, dass der Wunsch bestand, eine bereits durchgeführte Sterilisation rückgängig machen zu wollen. Anträge auf Wiederaufnahme des Erbgesundheitsverfahrens nach der Unfruchtbarmachung lehnte das Gericht aber ab, da sie „keinen Zweck“ mehr hatte. Der Fall der Gertrud S. zeigt eine gewisse Hartnäckigkeit bei der Verfolgung ihres Zieles, aber auch die immer konsequentere Ablehnung durch das Gericht. Das Motiv von S. war nicht nur die Ermöglichung der Heirat, sondern auch die der Familiengründung.604 602 RGBl 1933, S. 529. 603 ARSK LKB 6690/1–2. 604 ARSK LKB 6915. Auch für die folgenden Zitate.

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Am 17. Mai 1935 hatte der Vater einen Antrag auf Unfruchtbarmachung seiner 16-jährigen Tochter Gertrud beim Erbgesundheitsgericht Aachen gestellt. Nach Aussagen der Mutter habe sie „viel poussiert“. Das amtsärztliche Gutachten kam am 22. Mai 1935 zu der Diagnose „angeborener Schwachsinn“, wobei sich der Gutachter auf die Straffälligkeit des Bruders und die schlechten schulischen Leistungen der Geschwister bezog. Das Gericht beschloss am 1. Juli 1935 die Unfruchtbarmachung. Da kein Einspruch erhoben wurde, erfolgte die Operation am 31. August 1935. Seit 1937 hatte S. ein Verhältnis mit einem Soldaten. Dieser war von ihr über die zwei Jahre zuvor erfolgte Unfruchtbarmachung informiert worden. Die beiden beabsichtigten dennoch zu heiraten und Kinder zu bekommen. Am 9. Mai 1938 bestellten sie auf dem Standesamt ihr Aufgebot. Die Genehmigung verweigerte ihnen der Amtsarzt Hans Schoeneck am 27. Juni 1938. Daraufhin beantragten sie am 1. August 1938 eine Heiratserlaubnis beim Regierungspräsidenten, die ihnen am 4. Oktober 1938 erneut verweigert wurde. Nach einer Untersuchung am 23. Dezember 1939 kam der stellvertretende Amtsarzt Alfred Esser zu dem Ergebnis, dass kein Schwachsinn vorliege, und er unterstützte am 28. Dezember 1939 den Antrag auf eine Eheausnahmegenehmigung, die der Reichsinnenminister am 16. Januar 1940 aber weiterhin verweigerte. Nun verfolgten die Brautleute ihr Ziel auf zwei Wegen. Am 27. Januar 1941 wandten sie sich mit einer Eingabe an den „Führer“. Von dort erfolgte jedoch eine Abgabe an den Reichsinnenminister, der das Heiratsgesuch am 16. Juni 1940 erneut ablehnte und dies so begründete: „Durch die Ermöglichung dieser Eheschliessung würde ein gesunder junger Mann von der Fortpflanzung ausgeschlossen, was im bevölkerungspolitischen Interesse nicht vertretbar ist, besonders angesichts des Ausfallens von Männern infolge der Kriegsverluste. Durch die Kriegsverluste werden leider viele Mädchen nicht eine Ehe eingehen können. Im Interesse der Erhaltung des deutschen Volkes müssen jedoch vor allem diejenigen Mädchen auf eine Ehe verzichten, die aus gesundheitlichen Gründen usw. nicht Mutter werden können.“

Wenn der Amtsarzt die Unfruchtbarmachung damals nicht als Ehehindernis gesehen habe, so sei dies seit dem Inkrafttreten des Ehegesundheitsgesetzes überholt. Er verwies S. auf die „Ehevermittlung für Unfruchtbare“ des Rassenpolitischen Amtes der Gauleitung in Dresden und des Hauptgesundheitsamtes der Stadt Berlin. Der zweite Weg, den sich S. überlegt hatte, bestand darin, die Unfruchtbarmachung rückgängig zu machen und dann die Eheerlaubnis zu erhalten. Voraussetzung dafür war die Aufhebung des Beschlusses des Erbgesundheitsgerichtes. Zur Vorbereitung ließ sich S. am 10. Januar 1941 von einem Arzt eine Bescheinigung ausstellen, dass durch eine Operation ihre „Gebärfähigkeit“ wiederhergestellt werden könne. Damit beantragte sie am 31. Januar 1941 die Wiederaufnahme ihres Verfahrens. Esser gab den Antrag am 5. Februar 1941 an das Erbgesundheitsgericht in Bonn weiter mit der Bemerkung, S. mache „keineswegs einen regelrecht schwachsinnigen Eindruck“, sondern bleibe „in den

Die Durchführung der Sterilisationen und eugenischen Schwangerschaftsabbrüche

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Grenzen der landläufigen Dummheit“. Er empfahl dem Gericht am 4. April 1941 eine Beobachtung in der Nervenklinik. Das Gericht ordnete am 18. April 1941 die Wiederaufnahme an und beschloss am 16. Mai 1941 die vom Amtsarzt vorgeschlagene Begutachtung durch Florin Laubenthal, Arzt in der Bonner Universitätsnervenklinik. Dessen Gutachten vom 7. August 1941 verwies auf den „damals auffälligen Sippenbefund“. Er stellte zwar bei S. eine gewisse Nachreifung fest, sie zeige aber „das Bild eines oberflächlichen, leicht debilen Menschen“. Er hielt dies für eine „sehr leichte Schwachsinnsform“. Trotzdem sah er die Unfruchtbarmachung nicht als Fehlurteil an: „Sicher ist, daß man bei S. keineswegs von einem vollwertigen Erbgut sprechen kann, sondern von einem solchen, dessen Weiterverbreitung wenig erwünscht ist.“ Er empfahl wiederum Ermittlungen in der „Sippe“, um den Nachweis der Erblichkeit zu führen. In einem Ergänzungsgutachten vom 26. November 1941 zum „Sippenbefund“ verwies er auf eine „Häufung abnormer Persönlichkeiten“, so dass die „Diagnose auch jetzt noch begründbar“ sei. Das Erbgesundheitsgericht unter dem Vorsitz von Wilhelm Kloninger mit den Beisitzern Franz Heinrich Faller und Alexander Wilhelmy wies daher in seiner Sitzung vom 10. April 1942 die Wiederaufnahme des abgeschlossenen Aachener Verfahrens ab. S.’s Partner starb am 13. September 1942 an den Folgen einer Verwundung in einem Kriegslazarett.

3.7 D  ie Durchführung der Sterilisationen und eugenischen Schwangerschaftsabbrüche 3.7.1 Zuständigkeiten, Abläufe und Komplikationen Mit dem Feststellen der Rechtsgültigkeit des Beschlusses des Erbgesundheits- bzw. Erbgesundheitsobergerichtes war der „juristische“ Teil des Verfahrens abgeschlossen. Operationen Bonn-Land

Siegkreis

Bonn-Stadt

Gesamt

Resektionen

367

614

41

1012

Bestrahlungen

5

17



22

Gesamt

372

631

41

1044

Bonn-Land

Siegkreis

Bonn-Stadt

Gesamt

Männlich

220

408

27

655

Weiblich

152

223

14

389

Gesamt

372

631

41

1044

Operationen nach Geschlecht

212

„… Anfang, aber nicht Ende“

Nachdem der Beschluss des Erbgesundheitsgerichtes zur Unfruchtbarmachung rechtskräftig geworden war, lag die Durchführung in den Händen des Leiters des jeweiligen Gesundheitsamtes. Der Amtsarzt teilte dem Betroffenen den Beschluss mit und forderte ihn auf, sich innerhalb von zwei Wochen in der für die Operation vorgesehenen Klinik zu melden. In Frage kamen dafür die Chirurgische Universitätsklinik bzw. die Universitäts-Frauenklinik in Bonn. Er teilte ferner mit, dass „der Eingriff gegebenenfalls auch gegen Ihren Willen vorgenommen wird“. Der Angeschriebene habe sich „umgehend“ mit seinem Personalausweis in die Klinik „zur Vornahme des erforderlichen Eingriffs“ zu begeben. Der Amtsarzt erwartete eine Mitteilung, wenn dies erfolgt war.605 Am selben Tag ging ein Schreiben an die jeweilige Klinik, in der die betreffende Person angekündigt und um Meldung gebeten wurde, wenn sie sich dort eingefunden hatte. Zusätzlich erinnerte der Amtsarzt an die Zusendung des „Vordrucks 6“ nach erfolgter Unfruchtbarmachung.606 In diesem dokumentierte der durchführende Arzt Datum und Art der Sterilisation sowie etwaige Komplikationen. Im Bezirk des Erbgesundheitsgerichtes Bonn war für die Sterilisationen von Frauen die Frauenklinik der Universität Bonn durch einen Runderlass des Reichsministeriums des Inneren vom 16. Oktober 1934 bestimmt worden.607 Die Unfruchtbarmachung von Männern erfolgte in der Chirurgischen Klinik der Universität. Ab dem 30. September 1936 hatten alle Fachärzte in beiden Kliniken die Erlaubnis, diese Operationen durchzuführen.608 Zuvor hatte der Regierungspräsident nach geeigneten Kliniken gesucht. Mit Schreiben vom 22. Januar 1934 forderte er den Landrat des Siegkreises auf, ihm „umgehendst diejenigen Krankenanstalten zu benennen, die gemäß § 11 des Gesetzes vom 14. Juli 1933 und Art. 5 der Verordnung vom 5. Dez. 1933 für die Ausführung des chirurgischen Eingriffs der Sterilisation in Frage kommen.“ Als Kriterien für die Auswahl wurden die ärztlichen Fachkenntnisse herangezogen: „Es wird hierbei nur auf solche Anstalten zurückzugreifen sein, die mit den erforderlichen chirurgischen Einrichtungen versehen sind und über einen Arzt mit hinreichenden chirurgischen Kenntnissen verfügen. Soweit es sich um die Unfruchtbarmachung weiblicher Personen handelt, wird man sich auf solche Anstalten beschränken müssen, bei denen eine geeignete Abteilung für Frauenkrankheiten (gynäkol. [ogische] Abt.[eilung]) mit einem geeigneten Facharzt vorhanden ist.“609

Der Landrat gab die Anfrage an den Kreisarzt weiter, der am 30. Januar 1934 erklärte: „Nach den Ausführungsbestimmungen kommen in erster Linie staatliche und kommunale Krankenhäuser in Frage, weiterhin auch solche Krankenhäuser, die sich für die Sterilisation bereit erklären.“ Folgerichtig fuhr er fort: „Für den chirurgischen Eingriff 605 606 607 608 609

Z. B. ARSK LSK 5114/11. Z. B. ARSK LSK 5114/11. Gütt/Rüdin/Ruttke, Gesetz, S. 372. UA Bonn MF 79/12, Kurator i. V. an MF Bonn, 30.9.1936, zitiert nach Forsbach, Fakultät, S. 520. ARSK LSK 318, RP an LR, 22.1.1934.

Die Durchführung der Sterilisationen und eugenischen Schwangerschaftsabbrüche

213

Abb. 47  Siegburg, Hauskapelle des Erholungsheimes St. Josefshaus, Blick über die Sitzbänke auf den Altar, Ansichtskarte, undatiert

Abb. 48  Troisdorf, St. Joseph-Krankenhaus mit Isolierstation, Front- und Seitenansicht, Ansichtskarte, um 1938

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„… Anfang, aber nicht Ende“

Abb. 49  Königswinter, Front- und Seitenansicht des 1910 errichteten St. Joseph-Krankenhauses vor dem Umbau von 1927. Das Marienhaus (links) an der Bismarckstraße diente als Klausur der im Krankenhaus tätigen Ordensschwestern, Ansichtskarte, um 1918

der Sterilisationen bei Personen des Siegkreises kommen in erster Linie die Universitätskliniken in Bonn und Köln in Frage.“ Trotzdem erbat er, eine Umfrage im Kreis durchzuführen, um die Bereitschaft der hier vorhandenen Krankenhäuser zu erfahren: „Bei folgenden Krankenhäusern bitte ich anzufragen, ob sie sich bereit erklären, Sterilisationen vorzunehmen: Siegburg, Troisdorf, Königswinter, Oberkassel, Honnef und Eitorf.“610 Das Ergebnis der Abfrage konnte der Landrat bereits einen Tag später mitteilen: Das städtische Krankenhaus in Siegburg lehnte ebenso ab wie die in katholischer Trägerschaft stehenden Einrichtungen in Troisdorf und Königswinter. Die ebenfalls in katholischer Trägerschaft befindlichen Krankenhäuser in Oberkassel, Honnef und Eitorf erklärten sich dagegen „freiwillig“ bereit, für den Fall, dass keine amtlichen Krankenhäuser zur Verfügung stünden. Die Voraussetzungen nach der Verordnung seien bei ihnen erfüllt. Das Ergebnis gab er auch an den Regierungspräsidenten weiter.611 Für den Landkreis Bonn sah es ähnlich aus. Hier waren es ausnahmslos die Universitätskliniken, welche die Sterilisierungen ausführten. Obwohl das Viktoria-Hospital und das St. Markusstift in Bad Godesberg darauf verzichteten, solche Operationen vorzunehmen, waren sie 1935 noch immer im „Verzeichnis der Krankenanstalten für 610 ARSK LSK 318, Kreisarzt an LR, 30.1.1934. 611 ARSK LSK 318, LR an Kreisarzt und RP, 31.1.1934.

Die Durchführung der Sterilisationen und eugenischen Schwangerschaftsabbrüche

215

Abb. 50  Schreiben des staatlichen Gesundheitsamtes des Landkreises Bonn an den Kölner Regierungspräsidenten betr. Durchführung der Unfruchtbarmachungen in Kreisgebiet, 21.6.1935

Durchführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ aufgelistet. Der Amtsarzt von Bonn-Land befürwortete die Streichung der beiden Krankenhäuser aus dem Verzeichnis, da er es für zweckmäßiger hielt, die Sterilisierungen den beiden Universitätskliniken zu überlassen, „deren Einrichtungen in durchaus sachgemäßer Weise und deren Ärzte in der Vornahme der Operationen besonders geschult sind“.612 612 ARSK LKB 6466–2, Amtsarzt an RP, 21.6.1935.

216

„… Anfang, aber nicht Ende“

Trotzdem erbat der Regierungspräsident die Einreichung der „formularmässigen Nachweisungen“ für die Godesberger Krankenhäuser.613 Bei der Ausfüllung notierte der Amtsarzt bei der Frage, ob private Krankenanstalten sich bereit erklärt hätten, den Eingriff und die Nachbehandlung zu übernehmen: „unbekannt, verzichten auf ihre Inanspruchnahme und bitten, in der Liste gestrichen zu werden.“ Auf die Frage, ob andere staatliche oder kommunale Kranken-, Heil- und Pflegeanstalten zur Durchführung im Bezirk geeignet seien, hieß es: „Keine; die Bonner Kliniken genügen“.614 Dies hatte zur Folge, dass der Regierungspräsident „um ausführlichen und umgehend begründeten Bericht“ ersuchte, warum die beiden Krankenhäuser „entgegen ihrer bisherigen Bereitwilligkeit zu Ausführung der Sterilisierung jetzt keine solchen Operationen mehr vornehmen wollen.“615 Der Amtsarzt ließ die leitenden Ärzte Stellung nehmen. Das Viktoria-Hospital argumentierte damit, dass kein Assistenzarzt im Krankenhaus sei und keine unruhigen geisteskranken Patienten aufgenommen werden könnten.616 Das St. Markusstift bestritt, sich für die Vornahme von Sterilisationen zur Verfügung gestellt zu haben. Das scheine irrtümlich oder durch ein Missverständnis passiert zu sein. Als offenes Krankenhaus für jeden in Godesberg praktizierenden Arzt habe es ebenfalls keinen Assistenzarzt. Die Art und Einrichtung lasse es nicht zu, unfruchtbar zu machende Patienten, „bei denen mit Verwirrtheitszuständen zu rechnen oder bei denen Widerstand zu befürchten ist, in der Anstalt verantwortungsbewusst und entsprechend zu versorgen.“ Es habe auch noch keine Anfrage vom Erbgesundheitsgericht gegeben.617 Der Amtsarzt fasste die Argumente der Krankenhäuser zusammen und hielt die angegebenen Gründe für „stichhaltig“. Bei Anstalten, die regelmäßig Sterilisierungen vornähmen, seien Ärzte und Pflegepersonal besser darauf eingestellt als bei Anstalten, die nur vereinzelt solche Operationen durchführten. Sein Fazit war daher: „Würde ein Antrag dieser Anstalten auf Vornahme von Sterilisierungen gestellt werden, so würde ich mich für die Ablehnung aussprechen.“618 Für die Sterilisierung durch Strahlenbehandlung schließlich sah ein Erlass des Reichsund Preußischen Ministers der Justiz vom 27. April 1936 die Universitäts-Frauen- und die chirurgischen Kliniken Köln und Bonn für Röntgen- und Radiumbestrahlung vor, das Strahleninstitut der AOK in Köln nur für Röntgenbestrahlung.619 Die Klinik benachrichtigte am Tag der Aufnahme den Amtsarzt über das Eintreffen des Betroffenen oder meldete nach der verstrichenen Frist das Nichterscheinen. Kam ein Betroffener der Aufforderung des Amtsarztes innerhalb der vorgegebenen Zeitspanne 613 614 615 616 617 618 619

ARSK LKB 6466–2, RP an Amtsarzt, 29.7.1935. ARSK LKB 6466–2, Nachweisung. ARSK LKB 6466–2, RP an Kreisarzt, 17.1.1936. ARSK LKB 6466–2, Viktoria-Hospital an Amtsarzt, 28.1.1936. ARSK LKB 6466–2, St. Markusstift an Amtsarzt, 28.1.1936. ARSK LKB 6466–2, RP an Amtsarzt, 29.1.1936. ARSK LKB 6466/2, RP an Amtsarzt, 7.5.1936.

Die Durchführung der Sterilisationen und eugenischen Schwangerschaftsabbrüche

217

nicht nach, erfolgte in der Regel eine weitere Aufforderung mit der gleichen 14-tägigen Frist. Fruchtete auch diese nicht, informierte der Amtsarzt die lokale Ortspolizeibehörde und forderte die zwangsweise Vorführung. Dabei machte er diese darauf aufmerksam, dass der den Betroffenen abholende Polizeibeamte nicht in Uniform und damit erkennbar für die Nachbarschaft, sondern in Zivil seinen Auftrag erfüllen sollte. Die Operation erfolgte meist am Tag nach der Aufnahme. Sie bestand aus einer Resektion, d. h. der Durchtrennung des Samenleiters bei den Männern bzw. des Eileiters bei den Frauen. Gleichzeitig wurde ein mehrere Zentimeter langes Stück entfernt, so dass ein mögliches Zusammenwachsen verhindert wurde. Während Männer im Durchschnitt sechs Tage nach dem Eingriff entlassen wurden, blieben Frauen meist zehn bis zwölf Tage nach der Operation in stationärer Behandlung bzw. Beobachtung. Traten Komplikationen auf, konnte der Aufenthalt in der Klinik verlängert werden. Das 14-jährige Hausmädchen Anna E. (geb. 1919) aus Windeck war am 14. Februar 1934 angezeigt worden. Nachdem ihre Unfruchtbarmachung am 17. Januar 1935 beschlossen worden war, erfolgte am 10. April 1935 in der Universitäts-Frauenklinik die Operation, bei der durch Erich Petsch der Eileiter „in toto unter Keilexcision aus dem Fundus uteri excidiert“ wurde. Wegen „Nebenerscheinungen“ blieb die Patientin 30 Tage in der Klinik.620 Auch beim 1912 geborenen Josef A. aus Mondorf gab es Komplikationen. Er war am 21. Januar 1935 wegen „angeborenen Schwachsinns“ angezeigt worden. Der Antrag auf Unfruchtbarmachung erfolgte erst am 6. November 1936. Das Gericht beschloss am 11. März 1937, dem Antrag zu folgen, so dass A. am 27. April 1937 in der Chirurgischen Universitätsklinik von Hans Fuß durch Resektion sterilisiert wurde. Die Entlassung aus der Klinik fand ebenfalls erst 30 Tage später statt.621 Im Fall des Dienstmädchens Maria S. (geb. 1906) aus Niederdollendorf, das am 21. April 1934 wegen Schizophrenie angezeigt und nach dem Gerichtsbeschluss vom 23. Mai 1934 in der Universitäts-Frauenklinik von Erich Petsch am 31. Juli 1934 durch Resektion unfruchtbar gemacht worden war, traten Komplikationen auf, so dass die Frau erst nach 60 Tagen aus der Klinik entlassen werden konnte.622 Im Allgemeinen wurden die Betroffenen „als geheilt entlassen“, d. h. es war keine weitere Nachbehandlung mehr nötig. Nur in sehr seltenen Fällen wurden Betroffene mit Komplikationen entlassen. Nach der Entlassung auftretende gesundheitliche Pro­bleme mussten auf die Operation zurückgeführt werden. Die Kosten der Nachbehandlung übernahm dann die Staatskasse. Bei Rosa S. (geb. 1903), die am 28. Dezember 1935 von dem niedergelassenen Arzt Josef Komp wegen Fallsucht angezeigt und nach dem Gerichtsbeschluss vom 26. August 1936 in der Universitäts-Frauenklinik von Hans Rupp am 5. Januar 1937 durch Resektion unfruchtbar gemacht worden war, trat als Folgeerkrankung eine Thrombose auf. Die 620 ARSK LSK 5113/7. 621 ARSK LSK 5174/306. 622 ARSK LSK 5119/37.

218

„… Anfang, aber nicht Ende“

Betroffene stellte daraufhin einen Antrag auf Pflege- und Schmerzensgeld, den der Regierungspräsident ablehnte. Im Schreiben an den Landrat wies er darauf hin, dass „der Antragsteller darauf hinzuweisen [ist], dass die Zahlung eines Schmerzensgeldes in derartigen Fällen nicht möglich ist. Es empfiehlt sich daher, dass er den dahingehenden Antrag zurückzieht, da sonst hier der Eindruck hervorgerufen wird, als ob er sich an diesem Falle bereichern wolle“.623 Im Fall des Johann R. (geb. 1914) aus Niederkassel, der am 30.  November 1935 wegen „angeborenen Schwachsinns“ angezeigt worden war, wurde am 8. Januar 1936 die Unfruchtbarmachung beschlossen, so dass nach zurückgewiesener Beschwerde am 13. Juni 1936 in der Chirurgischen Universitätsklinik von Hans Bergermann durch Resektion die Sterilisierung erfolgte. Die Entlassung fand bereits drei Tage später statt. Der Vater beschwerte sich am 12. Juli 1936, dass sein Sohn trotz zweimaligen Einspruches sterilisiert und nach der Operation in der Nervenklinik punktiert worden sei. Krank sei er ihm übergeben worden und die Behandlungskosten könne er nicht aufbringen. Nach einigem Schriftwechsel übernahm hier die Staatskasse die Kosten für die Nachbehandlung.624 Da die Operation bei Frauen durch die Leiböffnung schwerer war, konnte in besonderen Fällen die Unfruchtbarmachung durch Bestrahlung erfolgen. Hierfür musste eine besondere Genehmigung des Regierungspräsidenten eingeholt werden und auch der Betroffene oder sein gesetzlicher Vertreter hatten der Methode zuzustimmen. Einer Bestrahlung folgten mehrere Termine zu Nachuntersuchungen. Bestrahlungen durften nur ausgewählte Einrichtungen übernehmen. Operationen von Personen aus dem Untersuchungsgebiet in Bonner Universitätskliniken Arzt

Bonn-Land

Siegkreis

Bonn-Stadt

Gesamt

Frauenklinik

108

190

4

302

Chirurgische Klinik

124

205

7

336

Summe

232

395

11

638

Ärzte und durchgeführte Zwangssterilisationen Arzt

Bonn-Land

Siegkreis

Bonn-Stadt

Gesamt

Hans Rupp

47

91

2

140

Erich Petsch

11

45



56

Wilhelm Büttner

3

24

1

28

Harald Siebke

5

9



14

Robert Brühl

1

7



8

Wilhelm Schüler



5



5

Frauenklinik

623 ARSK LSK 5231/593. 624 ARSK LSK 5230/589.

Die Durchführung der Sterilisationen und eugenischen Schwangerschaftsabbrüche Arzt

219

Bonn-Land

Siegkreis

Bonn-Stadt

Gesamt

Ernst Derra

15

29

1

45

Kurt von Scanzoni

9

28



37

Hans Bergermann

4

18

1

23

Günter Blauel

3

13



16

Willy Friedrich König

2

14



16

Hans Fuß



15



15

Paul Ollinger

3

8



11

Heinrich Eichhorn

2

6



8

Friedrich Blittersdorf



5



5

Alfred Gütgemann

1

3



4

Peter Röttgen



3



3

Josef Korth

1

1



2

Heinz Baron



2



2

Chirurgische Klinik

Bezirksgefängniskrankenhaus Düsseldorf-Dehrendorf (Strafgefangene) Heinrich Fuhrmann

10

106

3

119

3.7.2 Die durchführenden Ärzte und ihre Berichte Aus der Frauenklinik waren nachweislich sechs Ärzte an der Durchführung der Zwangssterilisationen beteiligt. Otto von Franqué625 (1867–1937) war seit 1912 Leiter der Frauenklinik. Er war Mitglied der DVP und bis 1934 des Stahlhelmes. Seine Emeritierung erfolgte am 1. August 1935. Es gibt keinen Nachweis, dass er Sterilisationen von Personen aus dem Untersuchungsgebiet durchgeführt hat. Sein Nachfolger Harald Siebke626 trat im Mai 1933 der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 2.370.434) und hielt seine Antrittsrede in Parteiuniform. Siebke nahm Sterilisationen vor, unter anderem auch an den in der Weimarer Republik geborenen Kindern von Besatzungssoldaten und deutschen Frauen. Die Unfruchtbarmachungen dieser vom NS-Regime abschätzig „Rheinlandbastarde“ genannten Personen waren auch nach dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ nicht rechtmäßig.627 An 140 Eingriffen war Hans Rupp628 beteiligt. Er war 1933 in die NSDAP und in die SS eingetreten, wohl um einer Parteiformation anzugehören und da der Eintritt in die 625 626 627 628

Forsbach, Fakultät, S. 233–238. Forsbach, Fakultät, S. 238–247, 612–614. Pommerin, Sterilisierung. Forsbach, Fakultät, S. 393–396, 611–612.

220

„… Anfang, aber nicht Ende“

SA wegen persönlicher Differenzen mit dem SA-Standartenführer ausschied. Weil er offenbar keine innere Bindung zur SS hatte, meldete ihn 1934 der Hygieniker Walter Blumenberg, um seine Entlassung zu bewirken. Der scheidende Klinikdirektor Otto von Franqué stellte sich jedoch schützend vor seinen Mitarbeiter. Offenbar mit Erfolg: 1938 bekleidete Rupp die Position des Oberarztes. Weitere operierende Ärzte in der Bonner Frauenklinik waren Robert Brühl (geb. 1898), Wilhelm Büttner, Wilhelm Schüler und Erich Petsch. Männer erhielten eine Aufforderung zur Vorstellung in der Chirurgischen Klinik der Universität. Hier sind dreizehn Ärzte namentlich als Operierende nachweisbar. Leiter der Chirurgischen Klinik war Erich von Redwitz629 (1883–1964). Von ihm lassen sich keine Sterilisationen nachweisen. In hohem Maße an Operationen beteiligt war dagegen Ernst Derra630 (1901–1979). Er war seit 1929 an der Universität Bonn, wo er sich 1936 habilitierte. Politisch verhielt er sich anscheinend neutral, denn der Leiter des Dozentenbundes konnte „keinerlei Klarheit“ bei ihm „über seine Einsatzbereitschaft und politische Einstellung“ gewinnen. Er hielt aber fest, „dass D. vor 1933 ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus und ein Anhänger des Katholizismus gewesen“ sei. Ab 1943 war er Extraordinarius für Unfallheilkunde. Hans Fuß631 folgte Redwitz 1928 nach Bonn, wo er sich 1930 habilitierte und von 1931 bis zu seinem Wechsel nach Hamborn 1937 Oberarzt war. Der frühere Freikorpskämpfer war Nationalsozialist und SA-Mann. Trotzdem beurteilte Redwitz ihn nach 1945 milde und attestierte ihm Gutgläubigkeit. Alfred Gütgemann632 (1907–1985), geboren in Mehlem, hatte in Bonn studiert, war 1934 promoviert worden und hatte sich schließlich 1941 habilitiert. Das Thema seiner Antrittsvorlesung lautete: „Die sogenannte angeborene Hüftverrenkung, ihre Erblichkeit und Stellung in Hinsicht auf das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Der 1942 gedruckte Vortrag legte offenbar enge Maßstäbe an den Erblichkeitsbegriff und soll – nach Gütgemanns eigener Aussage nach 1945 – vom Rassenpolitischen Amt der NSDAP „angegriffen und für die Bibliothek desselben abgelehnt“ worden sein. Von 1954 bis zur Emeritierung 1977 war er Leiter der Chirurgischen Universitätsklinik Bonn. Operiert haben auch die Ärzte Josef Korth633 (1907–2005), seit 1944 Oberarzt an der Chirurgischen Universitätsklinik, Paul Ollinger634 (geb. 1908), seit 1936 Assistenzarzt (ihm bescheinigte Redwitz nach 1945 eine „antifaschistische“ Einstellung), Kurt von Scanzoni, Heinz Baron, Hans Bergermann, Günter Blauel, Friedrich Blittersdorf (geb. 1912), Heinrich Eichhorn, Peter Röttgen und Willy Friedrich König. 629 Forsbach, Fakultät, S. 247–264. 630 Forsbach, Fakultät, S. 382–388, 627–629; https://www.uni-bonn.de/einrichtungen/universitaetsverwaltung/organisationsplan/archiv/Chronik-2003_2005.pdf, abgerufen am: 25.8.2020. 631 Forsbach, Fakultät, S. 256 f. 632 Forsbach, Fakultät, S. 258–260. 633 Forsbach, Fakultät, S. 380–382; https://www.uni-bonn.de/einrichtungen/universitaetsverwaltung/ organisationsplan/archiv/Chronik-2003_2005.pdf, abgerufen am: 25.8.2020. 634 Forsbach, Fakultät, S. 257.

Die Durchführung der Sterilisationen und eugenischen Schwangerschaftsabbrüche

221

Nachdem die Patienten aus den Kliniken entlassen worden waren, füllte der operierende Arzt ein als „Ärztlichen Bericht“ betiteltes Formular („Vordruck 6“) aus und schickte es an den Kreisarzt. Hier wurde noch einmal mit Datum und Aktenzeichen Bezug auf das Urteil genommen und der Tag der Unfruchtbarmachung eingetragen. Weitere Einträge betrafen die Art des Eingriffes, den Verlauf der Operation, die Tage der Heilung und den Entlassungstag sowie gegebenenfalls Bemerkungen. Mit der Formulierung „von mir unfruchtbar gemacht worden“ und der Unterschrift lässt sich der operierende Arzt eindeutig feststellen. Der im Formular ausdrückliche Hinweis „deutliche Schrift“ bei der Unterschrift verweist auf ein Problem der Identifizierung ganz anderer Art. Bei den Ärzten der Bonner Kliniken lassen sich über Adressbücher und andere Verzeichnisse die für den betreffenden Zeitraum jeweilig tätigen Ärzte bestimmen und eine unleserliche Unterschrift meist zweifelsfrei deuten. Schwieriger erweist sich dieses Unterfangen bei Unterschriften von Ärzten in anderen Krankenhäusern und Kliniken außerhalb Bonns. Für das Bezirkskrankenhaus Düsseldorf-Derendorf, in dem fast alle Strafgefangenen unfruchtbar gemacht wurden, lässt sich nur Heinrich Fuhrmann (1897– 1960) nachweisen.635 Der Amtsarzt meldete die Durchfüh­ rung dem Erbgesundheitsgericht zur Kennt­ nisnahme. Das 1935 benutzte und selbst verfasste Formular des Siegburger Kreisarztes lehnte sich an den Wortlaut des ärztlichen Berichtes im Vordruck 6 an. Dies war Abb. 51  Heinrich Fuhrmann, Porträtfoto, 1937 wohl notwendig, weil die Anzahl der Fälle hoch war und ein Formular eine Arbeitserleichterung bedeutete. Zudem kam es Anfang 1934 vor, dass der Kreisarzt lediglich eine Meldung ohne das Datum der Operation an das Gericht schickte, welches dann regelmäßig das genaue Datum anforderte. Das Erbgesundheitsgericht schloss damit die Erbgesundheitsgerichtsakte endgültig und sandte

635 Verwiesen sei an dieser Stelle auf die in Arbeit befindliche Studie von Bastian Fleermann „Schutzhaft an der Ulmenstraße. Das Gefängnis in Düsseldorf-Derendorf im Nationalsozialismus“. Zu Fuhrmann auch https://rp-online.de/nrw/staedte/duesseldorf/kultur/duesseldorf-buch-ueber-ulmer-hoeh-dokumantiert-nazi-verbrechen_aid-52456189, abgerufen am: 25.8.2020 sowie die Personalakte LAV NRW R NW-PE 5194.

222

„… Anfang, aber nicht Ende“

sie an das zuständige Gesundheitsamt zur Aufbewahrung.636 Im Gesundheitsamt wurden die eigenen Unterlagen mit denen des Gerichtes zusammengelegt. Kam es zu einem Wohnortwechsel einer Person aus dem Bezirk des Gesundheitsamtes, gab dieses nur die Gerichtsakte an das nun zuständige Gesundheitsamt ab. Auf diese Weise sind von den verzogenen Personen nur die Unterlagen des Gesundheitsamtes, die zumeist aus Anzeige, Untersuchungsprotokoll, Beschluss und ärztlichem Bericht nach der Operation bestehen, erhalten geblieben. Nach einer Aktenabgabe war der Amtsarzt bemüht, den weiteren Verlauf des Verfahrens zu verfolgen, und fragte das nunmehr zuständige Gesundheitsamt an, ob es zu einer Unfruchtbarmachung gekommen sei. Die Rückmeldungen sind trotz mehrmaliger Nachfragen nicht in allen Fällen erfolgt. Auf der anderen Seite erhielt das Gesundheitsamt Erbgesundheitsgerichtsakten von anderen Gesundheitsämtern, wenn betroffene Personen in den eigenen Bezirk gezogen waren. Bei weiteren Erbgesundheitsverfahren und anderen Verfahren, aber auch bei Eheunbedenklichkeitsfragen und Angelegenheiten von Familien- oder Sippenmitgliedern, bei denen das Gesundheitsamt seine Genehmigung erteilen musste oder Auskunft geben sollte, wurde auf die Akten zurückgegriffen. Viele Akten der Männer enthalten Durchschläge von Bescheinigungen für das Wehrbezirkskommando. Einige Akten sind sowohl bis 1945 als auch nach 1945 von anderen Stellen zur Einsicht angefordert worden.

3.8 Beispielhafte Schicksale Wie sehr der Staat in das Leben (und die Lebensplanung) des Einzelnen eingriff und wie rigoros er sich Zugriff auf den Körper verschaffte, zeigen alle untersuchten Fälle. Besonders deutlich wird dies bei Schwangerschaftsabbrüchen und bei – oft vergeblichen – Beschwerden gegen den Beschluss des Erbgesundheitsgerichtes. Der Fall Maria A.637 (von Nina Quabeck)

Die fünfundzwanzigjährige Maria A. aus Siegburg war im vierten Monat unehelich schwanger, als Liselotte Witkop sie am 27. August 1937 wegen „angeborenen Schwachsinns“ anzeigte. Die am 22. Februar 1912 geborene Maria lebte gemeinsam mit ihren Eltern und einem Bruder in der Bonner Straße. Ihr Vater Peter A. besaß eine Holzhandlung. Maria war das jüngste von fünf Kindern und noch nicht aus dem katholischen Elternhaus ausgezogen. Maria verdiente ihren Lebensunterhalt als Sortiererin bei der Dynamit-A. G. in Troisdorf. Als ihre Periode ausblieb, suchte sie den Arzt Heinrich Welter in Troisdorf auf. Ob 636 „Gemäß Erlaß des Herrn Ministers des Innern vom 28.3.1935 (IV f 1550/1079) u. d. Allg.[emeine] Verf[ü]g.[ung] vom 28.3.1935 (IV 3689) werden in der Anlage […] Band Akten über abgeschlossene Verfahren vor dem Erbgesundheitsgericht in Bonn übersandt.“, ARSK LKB 6877. 637 ARSK LSK 5326/1066. Auch für die folgenden Zitate.

Beispielhafte Schicksale

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er eine Schwangerschaft feststellte, lässt sich nicht rekonstruieren. Welter meldete dem Erbgesundheitsgericht auf spätere Nachfrage im September 1937, dass sie zweimal bei ihm in der Sprechstunde gewesen sei. Sie habe einen „schwachsinnigen Eindruck“ gemacht und sei beide Male von einer anderen Person begleitet worden. Ihre Schwangerschaft sei jedoch zweifelhaft. Welter zeigte sie trotz Meldepflicht638 nicht beim Amtsarzt an. Auch der Siegburger Arzt Leo Gottlieb (1893–1971) untersuchte Maria. Gottlieb hielt sich hingegen an die Verfügung und meldete den Verdacht auf „angeborenen Schwachsinn“ an das Kreisgesundheitsamt, wo die Fürsorgeärztin Liselotte Witkop sie am 27. August 1937 untersuchte und „angeborenen Schwachsinn“ feststellte. Sie vermerkte im Untersuchungsbogen: „Schwaches Gedächtnis – Fehlendes Urteilsvermögen – keine selbstständige Denkfähigkeit“. Maria sei nicht liiert und leugnete trotz ihrer Schwangerschaft jeglichen Geschlechtsverkehr. Der Siegburger Kreisarzt Bruno Bange stimmte der Anzeige zu und beantragte daraufhin am 2. September 1937 beim Erbgesundheitsgericht Bonn ihre Unfruchtbarmachung. Wegen der Schwangerschaft sollte das Verfahren möglichst schnell durchgeführt werden. Am 29. September verhandelte das Erbgesundheitsgericht Bonn unter dem Vorsitz von Joseph Lepique mit den Beisitzern Willi Crome und Günther Elsässer den Fall und beschloss ihre Zwangssterilisierung. Der gerichtliche Beschluss hielt fest: Sie sei „schon als Kind in ihrer geistigen und körperlichen Entwicklung weit hinter dem entsprechenden Alter zurück. Sie soll eine Frühgeburt gewesen sein, die künstlich ernährt werden musste, erst im Alter von 1 ½ Jahren ihre ersten Zähne bekam, mit 4 ½ Jahren laufen lernte, mit 8 Jahren zur Schule kam und dort nicht einmal gestiegen ist. Nur äussere Gründe hatten ihre Nichtüberweisung in eine Hilfsschule zur Folge. […] Trotz Fehlens eines Nachweises von erblicher Belastung spricht das Vorliegen von Degenerationserscheinungen (Turmschädel, Epicantua) für angeborenen Schwachsinn.“

Zudem soll Marias Mutter während der Schwangerschaft häufig krank gewesen sein, weshalb das Mädchen auch bereits im achten Monat geboren worden sei. Zwischen ihrem ersten und sechsten Lebensjahr traten bei Maria vermehrt Krampfanfälle auf, die danach allerdings aufhörten. Der sogenannte „Intelligenzprüfbogen“ zeige sehr deutlich, dass Maria christlich geprägt sei und sich in ihrem Glauben vergleichsweise gut auskenne. Andere politische oder geographische Fragen könne sie nicht beantworten. Sie beherrsche mathematische Grundkenntnisse, wie Addition und Subtraktion. Sprichwörter könne sie in der Befragung keine nennen und außer ihrem Namen könne sie auch nicht schreiben. Nachdem der Amtsarzt und Marias Vater auf ihr Beschwerderecht verzichteten, wurde der Beschluss am 2. Oktober 1937 für rechtsgültig erklärt. Marias Vater Peter A. wurde für den 6. Oktober beim Kreisarzt vorgeladen. Hier musste er eine zusätzliche Einwilligung unterschreiben, mit der Schwangerschaftsunterbrechung einverstanden zu sein. Noch am selben Tag forderte der Amtsarzt die Betroffene auf, sich binnen zwei 638 Zur Meldepflicht bei allen praktizierenden Ärzten oben S. 110.

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Abb. 52  Anzeigeformular zum Schwangerschaftsabbruch als amtlicher Vordruck im Reichsgesetzblatt, 1935

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Wochen in die Frauenklinik zu begeben. Zwei Tage später folgte sie der Aufforderung und wurde wenige Tage später, am 11. Oktober 1937, operiert. Dabei wurden jeweils etwa drei Zentimeter des Eileiters entfernt. Gleichzeitig wurde der Fötus durch einen „Prinzenschnitt“ entfernt. Maria A. war vermutlich bereits in der 23. Schwangerschaftswoche; der männliche Fötus war zu dem Zeitpunkt 28 Zentimeter groß. Der operierende Arzt Hans Rupp vermerkte auf dem ärztlichen Bericht unter dem Punkt „Besonderheiten der Frucht (Mißbildungen): keine“. Nach der Operation blieb Maria noch 12 Tage in der Klinik und wurde am 23. Oktober 1937 entlassen. Wie Maria A. den Eingriff verarbeitet hat und wie ihr weiteres Leben aussah, ist nicht bekannt. Der Fall Elisabeth E.639 (von Nina Quabeck)

Elisabeth E. wurde am 15. Februar 1911 in Siegburg geboren. Sie wohnte dort mit ihrer Familie in der Johannesstraße. Sie erlebte eine durchwachsene Schulzeit in der Siegburger Hilfsschule und blieb einmal sitzen. Nach der Schulentlassung half sie ihren Eltern im Haushalt. Nach Angaben ihres Vaters konnte sie jedoch nur mit leichten Hausarbeiten beschäftigt werden. Sie ging eine Liebesaffäre mit einem heute unbekannten Mann ein, dessen Identität sie geheim hielt. Die folgende Schwangerschaft fiel der NSV Siegburg auf, die dies am 7. März 1941 dem Gesundheitsamt meldete. Josef Struben lud Elisabeth für den 25. März 1941 vor, sich im Gesundheitsamt untersuchen zu lassen. Dazu vermerkte er Folgendes: „Die mit ihr durchgeführte Intelligenzprüfung ergab sehr starke Ausfälle auf allen Wissensgebieten. […] Während der Unterhaltung lacht sie in schwachsinniger Weise vor sich hin. Da ihre Auffassung erheblich erschwert ist, erfolgen ihre Antworten erst nach längerer Überlegung mit Hilfe des Prüfenden.“

Bruno Bange stimmte der Anzeige zu und unterschrieb den Antrag auf Unfruchtbarmachung wegen „angeborenen Schwachsinns“. Wenige Tage später wandte sich Struben an Amtsgerichtsrat Wilhelm Kloninger, den Vorsitzenden des Erbgesundheitsgerichtes Bonn: „Da beabsichtigt ist die bestehende Schwangerschaft zu unterbrechen, bitte ich das Verfahren bevorzugt einzuleiten.“ Elisabeths Fall wurde am 23. April 1941 vor dem Erbgesundheitsgericht Bonn verhandelt. Ihr Vater Jonas E. begleitete und vertrat sie bei der Verhandlung. Neben Elisabeths Aussage vor Gericht stellten die „Sippentafel“, Elisabeths Schulzeugnisse sowie die Untersuchungsergebnisse von Struben die Grundlage für die Feststellung der Erblichkeit dar. Außerdem war Struben als Sachverständiger vorgeladen, der seine Diagnosestellung erneut darlegen sollte. Das Gericht hielt im Beschluss fest, dass „somit ein Schwachsinn erheblichen Grades vor[liegt], der auch als angeboren bezeichnet werden muss, da er sich schon in frühester Jugend gezeigt hat und Anhaltspunkte für eine äussere Entstehungsmöglichkeit des Schwachsinnszustandes sich nicht ergeben haben“. Da keine Einwände 639 ARSK LSK 5535/2111. Auch für die folgenden Zitate.

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erhoben wurden, war der Beschluss mit dem 20. Mai 1941 rechtsgültig. Am 26. Mai wurde Elisabeth eröffnet, dass sie sich innerhalb der nächsten zwei Wochen in der UniversitätsFrauenklinik in Bonn einzufinden habe. Am selben Tag kündigte Bange sie in der Klinik an. Aufgrund der Schwangerschaft fügte er die unterschriebenen Bescheinigungen für die Unterbrechung der Schwangerschaft bei, die sowohl der Amtsarzt als auch die Betroffene selber unterschreiben mussten. Die Klinik antwortete am 30. Mai 1941: „Da jedoch die Schwangerschaft das Ende des VI. Monats bereits überschritten hatte, ist es nach den Bestimmungen des Erbgesundheits-Gesetzes uns nicht mehr gestattet, die Schwangerschaft zu unterbrechen. Das Kind ist als bereits lebensfähig anzusehen. Eine Sterilisation jetzt vorzunehmen halten wir nicht für günstig, wir bitten, uns die Pat. zur Entbindung einzuweisen, damit wir in den ersten Stunden nach der Entbindung die Sterilisation sogleich vornehmen können. Die Patientin haben wir entlassen.“

Da die Klinik sich weigerte, den sechs Monate alten Fötus abzutreiben, wurde der Termin verschoben. Elisabeth E. brachte das Kind zur Welt. Am 3. Oktober 1941 wurde sie in der Frauenklinik durch eine Eileiterresektion unfruchtbar gemacht. Am 25. Oktober verließ sie sie die Klinik. Der Fall Katharina B.640

Im Falle der 16-jährigen Fabrikarbeiterin Katharina B. (geb. 24. Mai 1922 in Wiesdorf) aus Bad Godesberg wurde aufgrund der Diagnose „angeborener Schwachsinn“ am 5. April 1939 vom Gericht unter dem Vorsitz von Joseph Lepique mit den Beisitzern Bruno Bange und Günter Elsässer die Unfruchtbarmachung beschlossen. Fristgerecht legte zunächst der Vater am 13. April 1939 und noch einmal am 29. April 1939 Beschwerde ein. Der Rechtsanwalt Heinrich Heintz aus Godesberg forderte am 12. Mai 1939 Akteneinsicht. In seinem Schreiben vom 6. Juni 1939 gab er zu, dass B. „geistig beschränkt“ sei, „innerhalb ihres Denkkreises und ihres Auffassungsvermögens ist sie jedoch den ihr gestellten Aufgaben durchaus gewachsen.“ Die Intelligenzprüfung sei mehr günstig als ungünstig und eine eingehende Beobachtung erforderlich. Der Aufforderung folgte das Erbgesundheitsgericht nicht. Einen auffälligen Aspekt gab es jedoch. Bei einer Untersuchung am 19. Juli 1939 stellte sich heraus, dass B. schwanger war. Nun meldete sich am 20. Juli 1939 Paul K. beim Amtsarzt Hans Schoeneck: „Halte es für eine Pflicht bei Ihnen eine Auskunft zu erbitten!! Ich Paul K. habe ein Verhältnis zu Fr.[au] Katharina B. […]. Durch gestrige Feststellung des Dr. Lorenz […] befindet sich das Fr[äu]l.[ein] [sic!] B. in Umständen. Von den Eltern ist mir bekannt, daß gegen die Tochter Katharina B. ein Sterilisationsverfahren schwebt. So viel mir bekannt ist, haben die Eltern doch beanstandet und noch keinen anderen Bescheid. Im Interesse der Fa.[milie] B., so auch mir, bitte ich Sie um eine Aufklärung im Falle einer 640 ARSK LKB 6606. Auch für die folgenden Zitate.

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Heirat, ob es möglich ist oder nicht. Bemerke, daß die Herzensbildung der Frau Katharina B. eine gute ist! In persönlichem Interesse lege ich Wert darauf, den Fall gerecht in jeder Beziehung Volksgesundheit etc. zu beachten. Mit deutschem Gruß“.

Der stellvertretende Amtsarzt Alfred Esser drängte am 22. Juli 1939 auf eine schnelle Entscheidung des Gerichtes: „Ich bitte um möglichst baldige Erledigung, damit gegebenenfalls die Schwangerschaft der B. noch unterbrochen werden kann.“ Unter dem Vorsitz von Jakob Rennen mit den Beisitzern Müller und Friedrich Panse wies das Erbgesundheitsobergericht am 28. Juli 1939 die Beschwerde zurück. B. sei über ihren Zustand nicht orientiert, obwohl sie ärztlich untersucht und darüber unterrichtet worden war. Die Regel sei in Ordnung. Die Mutter hatte erklärt, ein junger Mann sei hinter ihrer Tochter her gewesen. Die Intelligenzprüfung habe einen erheblichen Grad von Schwachsinn erwiesen. Die Mutter sei auch deutlich unterbegabt. Es handele sich daher eindeutig um familiären Schwachsinn. Interessanterweise überließ das Gericht den Eltern die Entscheidung über den Schwangerschaftsabbruch: „Die Eltern werden mit sich zu Rate gehen müssen, ob es nicht angezeigt ist, die Schwangerschaft der Unfruchtbarzumachenden, wie es das Gesetz zulässt, unterbrechen zu lassen, mit Rücksicht darauf, dass das zu erwartende Kind aller Voraussicht nach so schwer wie die Mutter, die Unfruchtbarzumachende, oder schwerer an Schwachsinn leiden wird.“

Ob ein Schwangerschaftsabbruch stattgefunden hat, lässt sich nicht nachweisen. Katharina B. wurde am 29. Februar 1940 in der Universitäts-Frauenklinik von Hans Rupp durch Resektion unfruchtbar gemacht. Der Fall Margarete K.641

Die Haushälterin Margarete K. (geb. 1902) aus Rheinbach war bereits 1929, u. a. wegen möglicher Selbstmordabsichten, von ihrem Hausarzt in die Bonner Nervenklinik und von da aus in die Bonner Heil- und Pflegeanstalt überwiesen worden. Damals wurde zur Vorgeschichte der Patientin angegeben, sie habe mit 14 bzw. 15 Jahren eine vorübergehende Depression gehabt. 1929 diagnostizierte der Arzt Schizophrenie. K. wurde nach sechs Wochen Aufenthalt als „gebessert“ entlassen. Am 8. Dezember 1936 wurde sie von dem stellvertretenden Amtsarzt Friedrich Bierbaum wegen Schizophrenie angezeigt. Die Gesundheitspflegerin Johanna Kerp fertigte am 25. September 1937 einen Bericht über die „Probandin“ an, der hauptsächlich auf den Angaben der Mutter beruhte, von der sie „einen guten Eindruck“ hatte. Positiv vermerkte sie, dass ein Bruder Tierarzt und ein anderer Anstreichermeister sei. Erst nach einer Untersuchung am 17. Januar 1939 erfolgte einen Tag später der Antrag auf Unfruchtbarmachung durch den Nachfolger Bierbaums, Alfred Esser. Im Gutachten 641 ARSK LKB 6750, 6586/280. Auch für die folgenden Zitate.

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gab dieser an, K. sei „angeblich mannstoll“. Bei Vater und Onkel seien „Veränderungen“ beobachtet worden. Er stützte seinen Antrag auf das Krankenblatt der Heil- und Pflegeanstalt, das für eine „Schizophrenie bezw. ein schizophrenes Zustandsbild“ spreche, und empfahl eine „Klinik-Beobachtung“. Das Gericht ordnete diese am 7. Februar 1939 für höchstens drei Wochen in der Bonner Heil- und Pflegeanstalt an. Das Gutachten von Johann-Adam Schall vom 4. März 1939 stützte sich auf die Unterlagen des Gerichtes, die Krankenblätter der eigenen Anstalt und die eigenen Untersuchungen. Dabei befragte er erneut die Mutter, die nun mit ihren Angaben vorsichtiger geworden war und von Depression und Selbstmordabsichten nicht mehr sprechen mochte. In den Bericht eingefügt ist ein Gutachten der Frauenklinik, das ausschloss, dass K. je Geschlechtsverkehr gehabt hatte. Schall führte eine Intelligenzprüfung durch, die bis auf wenige Rechenaufgaben – bei denen sich K. ihrer Schwäche bewusst war – keine Fehler aufwies. Für die Untersuchung der „Sippe“ waren über 50 Personen erfasst worden, die mit der Kartei des Erbbiologischen Institutes abgeglichen wurden. Bis auf die „Verstimmungen“ von Vater und Onkel seien „keine weiteren Fälle von Geistes- oder Nervenkrankheiten in der Familie“ festgestellt worden. In seiner Beurteilung konnte Schall das „psychotische Zustandsbild“ von 1929 nicht mehr „diagnostisch einordnen“ und nahm eine „agitiertdepressive Verstimmung“ an. Für die Beurteilung des Falles sei dies aber seiner Meinung nach gleichgültig, da beide unter das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ fielen. Die „Fortpflanzungsgefahr“ sah er als „nicht gross“ an, da K. schon 36 Jahre alt sei und „angeblich noch keinen Geschlechtsverkehr ausübt“. Er fasste zusammen: „Jedenfalls muss u.[nseres] E.[rachtens] angenommen werden, dass Fräulein Margarethe K. an einer Erbkrankheit im Sinne des Gesetzes gelitten hat und damit objektiv die Voraussetzungen zur Unfruchtbarmachung als gegeben anzusehen sind.“

Der leitende Arzt des Erbinstitutes, Friedrich Panse, gab sein Einverständnis. Die Mutter wandte sich angesichts der drohenden Unfruchtbarmachung ihrer Tochter am 7. April 1939 an das Gericht. Ihre Tochter habe die Krankheit nur vier Monate und nun seit zehn Jahren nicht mehr gehabt. Sie habe keine Heiratsabsichten und sich 37 Jahre „anständig aufgeführt“. Sie bat die „Gerichtskommission“, von der Unfruchtbarmachung absehen zu wollen. Sollten sich die Herren dazu nicht entschließen können, so bat sie, zu warten, bis ihre Tochter 38 Jahre alt sei und eine Unfruchtbarmachung durch Bestrahlung möglich sei: „Eine Operation ist doch immer eine gefährliche Sache und unsere Tochter ist die Stütze unseres Alters.“ In der am 12. April 1939 stattgefundenen Verhandlung erklärten K. und ihre Mutter, dass sie nicht mit der Unfruchtbarmachung einverstanden seien; der Brief der Mutter wurde verlesen. Das Erbgesundheitsgericht Bonn beschloss unter dem Vorsitz von Joseph Lepique mit den Beisitzern Hans Heubach und Florin Laubenthal die Unfruchtbarmachung. Es ging von einer Erbkrankheit und der Fortpflanzungsfähigkeit aus, obwohl es aus „ethischen Gründen eine nennenswerte Fortpflanzungsgefahr“ nicht annahm.

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Abb. 53  Erbbiologisches Institut der Bonner Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt, Archiv-Akten, 1936

Die Familie der Betroffenen war mit dieser Entscheidung nicht einverstanden und holte sich juristische Hilfe. Die Kanzlei der Rechtsanwälte Joseph Hecking und Karl Hauke aus Köln erhob am 15. April 1939 Beschwerde gegen den Beschluss und legte am 25. April 1939 die Begründung vor. Ihre Position war: Es liege keine Erbkrankheit vor. Eine Depression habe es nicht gegeben. 1929 seien es die Hänseleien und Grobheiten ihres Bruders gewesen, die ihre Nerven schwach werden ließen. Zudem heiße es im Gutachten des Amtsarztes, dass „eindeutige Restsymptome einer Schizophrenie nicht festgestellt“ werden konnten. Auch in der Heil- und Pflegeanstalt konnte nach mehr als zehn Jahren, „innerhalb der nicht die Anzeichen einer Erkrankung bei der Betroffenen sich gezeigt haben“, keine konkrete Diagnose festgestellt werden. Zudem sei in der ganzen Sippe kein Fall von Geistes- oder Nervenkrankheit nachweisbar. Sie trage keine Heiratsabsichten und sei im ganzen Dorf dafür bekannt, „dass sie dem anderen Geschlecht gegenüber völlig zurückhaltend ist.“ Die Mutter wandte sich am 30. April 1939 noch einmal an das Gericht. Die Betroffene selbst schrieb einen Brief am 23. Mai 1939. Das Erbgesundheitsobergericht Köln unter dem Vorsitz von Jakob Rennen mit den Beisitzern Bernhard Dietrich und Hans Aloys Schmitz konnte in seiner ersten Sitzung am 10. Juni 1940 zu keinem Ergebnis kommen. Es wollte zuerst die Frage klären, ob K. „unter der Berücksichtigung ihres Befundes und Alters fortpflanzungsgefährlich ist, gegebenenfalls welchen Grad diese Fortpflanzungsgefahr hat“.

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Eine Untersuchung in der Frauenklinik am 4. Juli 1940 ergab, dass K. nicht als „fortpflanzungsgefährlich“ anzusehen sei. In der zweiten Sitzung am 11. Oktober 1940 wiederum unter dem Vorsitz von Jakob Rennen und diesmal mit den Beisitzern Bernhard Dietrich und Alfred Busch entschied das Erbgesundheitsobergericht, den Beschluss des Bonner Erbgesundheitsgerichtes abzuändern und den Antrag auf Unfruchtbarmachung abzulehnen. Der Fall Agnes B.642

Am 13. Juni 1936 erstattete die Gesundheitspflegerin Gertrud Bölte dem Gesundheitsamt einen Bericht über eine Frau aus ihrem Bezirk: Agnes B. stamme aus einer kinderreichen, wirtschaftlich schlecht gestellten Familie. Sie sei körperlich gesund und gut entwickelt, geistig jedoch unterentwickelt, so dass sie aus dem 6. Schuljahr entlassen worden sei. Die Schulkenntnisse lägen weit unter dem Durchschnitt, die Führung in der Schule aber gebe zu Klagen keinen Anlass. In ihrem 18. Lebensjahr habe sie unehelich geboren und später den Kindesvater geheiratet. Die Ehe sei sehr unglücklich gewesen, wobei die Schuld wohl auf beiden Seiten liege. Beide Eheleute seien in moralischer Beziehung haltlos. Von den verschiedensten Seiten bemühe man sich sehr, den moralischen Tiefstand zu heben, aber alles scheitere an der Willensschwäche der Eheleute. Die wirtschaftlichen Verhältnisse seien stets schlecht. Die vielen Aufwendungen, welche für die Familie gemacht würden, seien leider vergebens. Durch die zerrüttete Ehe habe der Hausstand sehr gelitten. Hinzu kämen schlechte Wohnverhältnisse, Krankheiten der Kinder, ständiger Kampf um den notwendigen Lebensunterhalt in den schweren Nachkriegs- und Inflationsjahren. Dazu laufe in den letzten Jahren noch der Ehescheidungsprozess. Allen diesen Schwierigkeiten stehe Frau B. allein und hilflos gegenüber. Der Erziehung und Pflege der Kinder sei sie nicht gewachsen. Dieselben seien, mit Ausnahme des ältesten Sohnes, in Fürsorgeerziehung gekommen. Frau B., welche jetzt allein und sich selbst überlassen sei, drohe bei ihrer Veranlagung und Willensschwäche der Verwahrlosung anheimzufallen. Mit dem Strafgesetz sei sie noch nicht in Konflikt gekommen. Der stellvertretende Amtsarzt Friedrich Bierbaum zeigte Agnes B. am 1. August 1936 an, die Diagnose lautete „angeborener Schwachsinn, Debilität“. Nur sechs Tage später, am 7. August 1936, stellte Bierbaum den Antrag auf Unfruchtbarmachung. Dem lag ein von ihm erstelltes Amtsärztliches Gutachten zu Grunde. Am 1. Oktober 1936 beschloss das Erbgesundheitsgericht unter dem Vorsitz von Viktor Genniges mit den Beisitzern Franz Heinrich Faller und Alfred Esser, den Antrag abzulehnen. In der Begründung führte das Gericht aus, warum es dem Gutachten nicht folgen konnte. Eine erbliche Belastung sei nicht nachzuweisen, obwohl es sich um eine vielköpfige Familie handele. Bei der Patientin selbst sei auch keine Krankheit festgestellt worden:

642 ARSK LKB 6628. Auch für die folgenden Zitate.

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„Der angeborene Schwachsinn ist eine seelische Allgemeinstörung, die sich in intellektuellen Fehlleistungen, in mangelhaften Schul- und Berufsleistungen äußert und die auch Störungen der Gefühlsund Willenssphäre sowie der ethischen Begriffe und Regungen hervorruft.“

Die intellektuelle Leistung sei sehr mäßig, aber nicht so „minderwertig“, dass die Patientin als „schwachsinnig“ bezeichnet werden könne. In ihrer Lebensführung habe sie in erheblichem Umfange versagt, mit der Erziehung der Kinder sei sie nicht fertig geworden und sie habe nach der Ehescheidung einen recht verdächtigen Lebenswandel geführt. Die Umstände beruhten aber zweifellos nicht nur auf einer „ethischen Minderwertigkeit“ der Patientin, sondern in ganz erheblichem Umfange auch auf den äußeren Verhältnissen, unter denen die Patientin gelebt habe, insbesondere auf der sehr unglücklichen Ehe. Inwieweit hierbei nun die äußeren Verhältnisse und inwieweit eine „etwaige Minderwertigkeit“ der Patientin das Versagen in der Lebensführung verursacht hätten, sei nicht feststellbar. Jedenfalls konnte das Erbgesundheitsgericht nicht zu der Überzeugung kommen, dass bei den äußeren Einflüssen aus dem Versagen der Patientin mit hinreichender Sicherheit der Schluss gezogen werden könne, dass diese an „angeborenem“ Schwachsinn litt. Aufgrund dieser Erwägungen und unter besonderer Berücksichtigung der Tatsachen, dass die Patientin mit einem genügenden Zeugnis aus dem 6. Lernjahr entlassen worden sei, dass eine erbliche Belastung nicht festzustellen sei und auch das Kind „ein ordentlicher Mensch“ geworden sei, konnte das Erbgesundheitsgericht bei der Patientin „angeborenen Schwachsinn“ nicht einwandfrei feststellen. „Demnach mußte der Antrag auf Unfruchtbarmachung zurückgewiesen werden, wie geschehen.“ Gegen diesen Beschluss legte das Gesundheitsamt am 3. November 1936 in der Person von Bierbaum Beschwerde ein: B. sei dem Gesundheitsamt und Kreiswohlfahrtsamt seit langen Jahren bekannt. B. werde immer schon auf Grund ihres Lebenswandels als minderwertig und moralisch wie sozial tiefstehend beurteilt. Die äusseren ungünstigen Familien- und Umweltverhältnisse seien weniger der Grund für das Absinken der B. in ihre Verwahrlosung, vielmehr müsse in dem Tiefstand der Gesamtpersönlichkeit das Motiv für die zerrütteten Familienverhältnisse gesucht werden. B., die ihren Haushalt so wenig zu führen vermochte, dass alle Kinder in Fürsorgeerziehung kamen und dass die Ehe endlich geschieden werden musste, treibe sich häufig mit fremden Männern umher und sei bei ihrer sexuellen Enthemmung mit Syphilis infiziert. Der bei der Intelligenzprüfung festgestellte Ausfall in intellektueller Beziehung sei für Debilität bezeichnend. Das Auftreten der B., das alle Variationsmöglichkeiten einer „‚gefürchteten‘ frechen Asozialen“ habe, könnte auch als sogenannter „‚Salonschwachsinn‘ angesprochen“ werden, zumal B. es meisterhaft verstehe, sich, wie bei der Erbgesundheitsgerichtssitzung, „in günstiges Licht zu setzen und durch Rührungsmomente den Blick von ihrer Minderwertigkeit abzulenken und Verleumdung und Umwelt die Schuld zu geben“. Eine äußere Ursache für ihre Debilität sei nicht auffindbar. Der Nachweis einer erblichen Belastung konnte von der Gesundheitspflegerin wegen der ablehnenden Haltung und feindseligen Einstellung nicht erbracht werden. Das Fazit dieser Ausführungen: „Nach nochmaliger eingehender

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Prüfung aller Unterlagen musste daher gegen den Beschluss des Erbgesundheitsgerichtes Bonn, die Unfruchtbarmachung der B. abzulehnen, Einspruch erhoben werden.“ Der Beschwerde war ein zweiseitiger Auszug aus den Fürsorgeerziehungsakten des Kreisjugendamtes beigefügt, in dem die Familiengeschichte, wie sie sich von 1925 bis 1936 dem Amt zeigte, protokolliert war. Zu 1925: „ständiger Streit der Eheleute B., Frau B. verliess die Wohnung und liess 2 Kinder im Alter von 2 und 1/2 Jahren allein zurück […] Frau B. ‚beschränkt‘ und ‚schmutzig‘. Die Kinder lässt sie verkommen“.643 Daher wurde auch 1936 Fürsorgeerziehung für die Kinder Anna, Jakob und Christine angeordnet. Das Erbgesundheitsobergericht ließ sich die Zeugnisse der Kinder übermitteln und beschloss auf seiner Sitzung am 23. Januar 1937 unter dem Vorsitz von Erich Kopelke mit den Beisitzern Bernhard Dietrich und Friedrich Pietrusky die Abänderung des angefochtenen Beschlusses: „Frau Agnes B. ist unfruchtbar zu machen“. In seiner Begründung führte das Gericht aus, dass es sich nach erneuter Prüfung des Falles den Ausführungen des Bonner Gerichtes nicht anschließen könne. Die erneute Intelligenzprüfung vor dem Erbgesundheitsobergericht habe vielmehr das Vorliegen eines „Schwachsinns“ deutlich erkennen lassen, eine äußere Schädigung sei nicht nachweisbar, der „Schwachsinn“ müsse daher umso mehr als angeboren angesehen werden, da sich auch sonst in der Familie „Minderbegabung“ gezeigt habe. Der Beschluss war am 22. März 1939 rechtskräftig geworden. Am 30. März 1939 wurde B. aufgefordert, sich zur Unfruchtbarmachung in die Universitäts-Frauenklinik zu begeben. B. hatte noch am 29. März 1939 versucht, Beschwerde gegen den Beschluss einzulegen, und drohte, „die Sache dem Führer und Reichskanzler Adolf Hitler in Händen [zu] geben“, doch das Erbgesundheitsobergericht verwies am 31. März 1937 auf die Rechtslage: „Gegen die Beschlüsse der Erbgesundheitsobergerichte ist nach dem Gesetz ein Rechtsmittel nicht mehr zulässig. Der Beschluss vom 23.1.1937 ist mithin rechtskräftig, sodass auf Ihre Eingabe vom 29.3.1937 von hier aus nichts veranlasst werden kann.“ Am 22. April 1937 wurde B. von Hans Rupp durch Resektion unfruchtbar gemacht. Der Fall Heinrich O.644

Der Landhelfer Heinrich O. war 1916 unehelich geboren. Am 12. Juni 1935 zeigte ihn der Oberarzt der Heil- und Pflegeanstalt Bernhard Dietrich wegen „angeborenen Schwach643 Weiter heißt es: „1930 Dez.: Ehemann Heinrich B. beantragt gegen seine Frau beim Amtsgericht Ehescheidung“, „16. Dez. 1932: Ehescheidung ausgesprochen (beide für schuldig erklärt). Drittes Kind der Eheleute – Agnes – ein eigenartiges Kind, Psychopath. Neigung zum Stehlen, asozial veranlagt“, „Dez. 1931: Jeden Abend geht Frau B. mit einem Liebhaber bis spät in die Nacht heraus und lässt die Kinder allein in der Wohnung“, „1932: Besserung der Verhältnisse im Hause B.“, „18. Nov. 1933: Frau B. ist durch ihre geistige Beschränktheit und besonders durch ihren moralischen Tiefstand absolut ungeeignet zur Erziehung ihrer beiden ältesten frühreifen Mädchen“, „12. Aug. 1934: Fürsorgeerziehung für 1.) Maria B., geb. […] 1923, 2.) Kind Agnes B., geb. […] 1924, angeordnet“, „28. Nov. 1935: Frau B. steht in sittlicher Beziehung auf einer ganz niedrigen Stufe. Desgleichen ist sie geistig minderwertig, welches hier allgemein bekannt ist. Die Kinder der Frau B. sind sittlich gefährdet.“ 644 ARSK LSK 5196/418.

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sinns“ an. Der stellvertretende Amtsarzt Lothar Diehm stellte am 17. Juli 1936 den Antrag auf Unfruchtbarmachung. Sein Vater, der ihn 1936 als seinen leiblichen Sohn anerkannt hatte, stand ihm bei. Das Erbgesundheitsgericht unter dem Vorsitz von Viktor Genniges und den Beisitzern Willi Crome und Hans Aloys Schmitz beschloss am 22. Oktober 1936 den Antrag abzulehnen, da ein „angeborener Schwachsinn“ „nicht zweifelsfrei nachweisbar“ sei. Auf das Betreiben von Florin Laubenthal legte der Amtsarzt Bruno Bange am 12. November 1936 Beschwerde gegen den Beschluss ein. Das Erbgesundheitsobergericht änderte den Beschluss und ordnete die Unfruchtbarmachung an. Diese erfolgte am 15. September 1937 in der Chirurgischen Universitätsklinik. Der Fall Anna B.645 (von Nina Quabeck)

Anna B. wurde am 18. Mai 1919 in Bornheim-Sechtem geboren. Ihre Eltern Johann und Creszensia B. wohnten gemeinsam mit ihren Kindern in Sechtem. Sie war die Jüngste von drei Schwestern. Ihre Schwestern Katharina und Maria hatten in der Schule große Probleme und wurden mehrmals nicht versetzt. Nach der Schule arbeiteten sie als Fabrikarbeiterinnen und führten dort einfache Tätigkeiten aus. Annas Geburt verlief normal und sie entwickelte sich in den ersten Jahren unauffällig. Wie ihre Schwestern, hatte auch Anna in der Schule mit schlechten Noten zu kämpfen und wurde insgesamt dreimal nicht versetzt. Im Juli 1929 war sie von einem Baum gefallen und hatte sich dabei beide Arme gebrochen. Der Hausarzt Michel Düx bestätigte, dass sie acht Tage lang über starke Kopfschmerzen klagte. Er beschrieb Anna als „ruhiges, anständiges und braves Mädchen“646 und gab an, dass eine bei dem Kind bestehende „Trägheit im Denken“647 auf den Unfall zurückzuführen sei. Aufgrund eines Nierenleidens des Vaters bezog die Familie eine Invalidenrente. Mit dem 14. Geburtstag von Anna sollte die Zahlung einer Zusatzrente für das Kind eingestellt und das Mädchen arbeitsfähig geschrieben werden. Dagegen wehrte sich die Familie; nun wurde der Fürsorgearzt Josef Fuhlrott auf ihre geistige Einschränkung aufmerksam:648 „Sie fiel mir als beschränkt auf und deshalb habe ich sie zur Nervenfürsorge geschickt.“649 Aufgrund der allgemeinen Meldepflicht einer Erbkrankheit musste ein solcher Verdacht umgehend an die zuständigen Behörden weitergeleitet werden. Er meldete es dem zuständigen Fürsorgearzt Fritz Koester, der wegen „angeborenen Schwachsinns“ der damals Fünfzehnjährigen beim zuständigen Kreisarzt Anzeige erstattete. Josef Basten, Kreisarzt für Bonn-Land, stellte daraufhin am 28. September 1934 beim Erbgesundheitsgericht Bonn einen Antrag auf Unfruchtbarmachung.

645 646 647 648 649

ARSK LKB 6602. ARSK LKB 6602. ARSK LKB 6602. ARSK LKB 6602. ARSK LKB 6602.

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Annas Vater erhob Beschwerde gegen den Antrag auf Unfruchtbarmachung. Am 15. November 1934 verhandelte das Erbgesundheitsgericht über den Fall Anna B.650 Aufgrund eines Nierenleidens war der erziehungsbeauftragte Vater jedoch nicht in der Lage, nach Bonn zu fahren.651 Daher begleitete die Mutter ihre Tochter Anna zur Gerichtsverhandlung. Sie beanstandete ebenfalls die Unfruchtbarmachung, da der Schwachsinn nicht angeboren, sondern auf den Unfall zurückzuführen sei. Als ärztlicher Sachverständiger hielt Fritz Koester an der Diagnose des „angeborenen Schwachsinns“ fest. Da es sich hier um einen „Grenzfall“652 handele, beschloss das Gericht zwei weitere „Obergutachten“653 von Kurt Pohlisch und Hans Knauer erstellen zu lassen. Gleichzeitig sollten weitere Informationen über die Familien- und Lebensverhältnisse eingeholt werden, da das Erbgesundheitsgericht nach eigener Aussage „seine für das deutsche Volk ungemein wichtige Aufgabe nur dann erfüllen kann, wenn über jeden einzelnen Sterilisierungsfall genaueste Aufklärung erfolgt“654. Außerdem wurde um Mitteilung gebeten, ob eine klinische Beobachtung nötig sei. Am 13. Dezember 1934 ordnete das Erbgesundheitsgericht Bonn auf Antrag von Pohlisch655 die Beobachtung von Anna in der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn an. Bei unklaren Fällen war es üblich, durch den Bürgermeister der Heimatstadt weitere Informationen einzuholen. So sollte der Bürgermeister dem Erbgesundheitsgericht über die Lebensverhältnisse der Familie, das Vorkommen möglicher Erbkrankheiten in der Verwandtschaft sowie über den Werdegang der Betroffenen berichten. Der Bürgermeister von Bornheim, Otto Henter (geb. 1901), konnte nur wenig über die Familie berichten, Negatives war ihm nicht zugetragen worden. Auch er beschrieb Annas Entwicklung als Grenzfall und merkte an, dass Düx sie erst nach dem Unfall kennen gelernt habe und daher kein fundiertes Urteil über die Zeit davor fällen könne. Ihre Schwestern hingegen seien „vollständig normal und gesund“656. Andere Fälle von Erbkrankheiten seien ihm ebenfalls nicht bekannt. Besonders ist, dass sich die Familie B. einen Rechtsbeistand suchte, der ihre Interessen vor Gericht vertreten konnte. Über das sehr lange Verfahren, das sich insgesamt über drei Jahre zog, kam es sogar zu mehreren Wechseln der Rechtsvertretung. Insgesamt lassen sich für das Untersuchungsgebiet lediglich 28 Fälle nachweisen, bei denen ein Rechtsanwalt hinzugezogen wurde. Einen Wechsel des Rechtsbeistandes findet sich in keinem anderen Fall. Zuerst beauftragte die Familie B. im Januar 1935 den Rechtsanwalt Günther Fromme aus Bornheim, die Rechte der minderjährigen Anna wahrzunehmen und zu vertreten. 650 Unter dem Aktenzeichen XIII 531/34 verhandelten L. Clostermann als Vorsitzender, Dr. Faller als Kreisarzt und Prof. Dr. Haupt als approbierter Arzt beim Erbgesundheitsgericht in Bonn, ARSK LKB 6602. 651 ARSK LKB 6602. 652 ARSK LKB 6602. 653 ARSK LKB 6602. 654 ARSK LKB 6602. 655 ARSK LKB 6602. 656 ARSK LKB 6602.

Beispielhafte Schicksale

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Fromme legte am 23. Januar 1935 Beschwerde gegen den Beobachtungsbeschluss vom 13. Dezember 1934 ein.657 Daraufhin wurde der Kompromiss geschlossen, zunächst eine ambulante Untersuchung durchzuführen und erst wenn dies nicht genügen sollte den Beobachtungsbeschluss tatsächlich durchzuführen.658 Am 13. Februar wandte sich der Rechtsanwalt Peter Gilles (1885–1972) aus Bonn an das Erbgesundheitsgericht, da er an Stelle seines Kollegen Fromme von nun an die Interessen der Familie vertrete. Die Familie B. beantragte am 27. April 1935 das Armenrecht, eine Sozialhilfe, mit der sich die finanziell schwach gestellte Familie die Rechtsvertretung durch Gilles leisten konnte. Das Gesuch wurde erst im Juni 1935 abgelehnt.659 Daraufhin reichte der Anwalt Beschwerde ein, die das Erbgesundheitsobergericht am 26. Juni 1935 zurückwies, da Anna das Armenrecht für die Wahrnehmung ihrer Rechte nicht brauche.660 Gilles schrieb daraufhin dem Gericht: „Wenn die Leute auch arm sind, so hängen sie doch mit ganzer Seele an ihrem Kinde und möchten […] den gegen die Anna gerichteten Antrag von dieser abgewandt wissen.“661 Die Eltern würden „nichts unversucht lassen, um die Anwendung des Gesetztes auszuschließen. Obgleich sie in bescheidenen Vermögensverhältnissen leben, haben sie sich entschlossen, ihr Kind vom Chefarzt des Marienhospitals, Professor Jansen, hierselbst, untersuchen zu lassen. […] Auf Grund des Inhaltes des Gutachtens kann von einer Anwendung des Gesetzes keine Rede sein.“662 Außerdem hielt er fest, dass Anna B. unter dem Druck des schwebenden Verfahrens stehe und dies eine nicht unerhebliche Aufregung des Mädchens mit sich bringe. Wilhelm Jansen (geb. 1886) beschrieb in dem Gutachten Anna als still, aber willig. Sie arbeite gerne in der Stationsküche mit, freue sich über die Betätigung und zeige dabei das nötige Verständnis für die Ausführung der praktischen Tätigkeiten.663 Interessant ist, dass das Erbgesundheitsgericht diese Informationen nicht als relevant markierte und unterstrich. In späteren Fällen von Schwachsinn galten solche Hinweise als Beweis für eine „Lebensbewährung“, die das Gerichtsurteil zu Gunsten der Opfer beeinflussen konnten. In diesem Gutachten wurden lediglich Begründungen für angeborenen oder nicht angeborenen „Schwachsinn“ farblich unterstrichen. Jansen schloss seinen Bericht mit dem Hinweis, dass es sich wahrscheinlich „um eine im Anschluss an ein schweres Kopftrauma entwickelte, also eine erworbene Eigenschaft“ handele; dies könne allerdings nur unter Berücksichtigung des Verhaltens vor dem Unfall abschließend beurteilt werden. Bei dieser Beurteilung sei auf die Aussagen anderer zurückzugreifen.664 657 658 659 660 661 662 663 664

ARSK LKB 6602. ARSK LKB 6602. ARSK LKB 6602. Die Ablehnung erfolgte am 6.6.1935. ARSK LKB 6602. Dort: „Jedenfalls aber bedarf es für den Unfruchtbarzumachenden, zumal angesichts der Eigenart des Verfahrens, nicht der Bewilligung des Armenrechts zur zweckentsprechenden Wahrnehmung ihrer Rechte.“ ARSK LKB 6602. ARSK LKB 6602. ARSK LKB 6602. ARSK LKB 6602.

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„… Anfang, aber nicht Ende“

Das erste665 vom Erbgesundheitsgericht beauftrage Obergutachten fertigte Josef Schmitz-Lückger an Stelle seines Vorgesetzten Pohlisch an. Dieses bezog sich nicht nur auf seinen eigenen Eindruck, den er bei seinen Untersuchungen in der Rheinischen Provinzial-Kinderanstalt für seelisch Abnorme in Bonn gewonnen hatte. Er berücksichtigte zudem die Akten des Erbgesundheitsgerichtes, Schulzeugnisse der Untersuchten und ihrer Geschwister sowie Gespräche, die er mit der Mutter geführt hatte.666 Die Sturzverletzung sei bis auf eine Narbe verheilt und ein Röntgenbefund zeige ebenfalls keine Auffälligkeiten. Er beschrieb Anna als ein zurückhaltendes und ruhiges Mädchen. Sie wirke allerdings „träge, phlegmatisch, stumpf und antriebsarm“667 und lasse sich auch durch das „sehr erregte, laut lamentierende Verhalten der Mutter und deren Tränen“668 nicht beeinflussen. Bei der intellektuellen Untersuchung spiegele das abgefragte Schulwissen ihre schulische Laufbahn wider. Ob die geistige Einschränkung der Anna B. angeboren oder Folge des Unfalles sei, sei „auf Grund des körperlichen und psychischen Befundes allein nach objektiven Kriterien nicht zu entscheiden“669. Daher wurde mit Verweis auf ihre Schulleistung vor dem Unfall und der Schulleistungen ihrer Schwestern geurteilt, dass „die Erblichkeit ihrer geistigen Minderwertigkeit […] eindeutig bewiesen“670 sei und „keinesfalls als Unfallfolge angesehen werden kann“671. Am 3. Mai beantragte der Rechtsanwalt Gilles die Zurückweisung des Antrages auf Unfruchtbarmachung. In seinem Schreiben zweifelte er unter anderem die Objektivität des Gutachtens von Schmitz-Lückger an. „Das vom Erbgesundheitsgericht selber eingeholte Gutachten bringt nach der Richtung auch keine volle objektive Klarheit. Es heisst [sic!] hier ausdrücklich, daß die Frage, ob der Schwachsinn angeboren oder als Unfallfolge anzusprechen sei, auf Grund des körperlichen und psychischen Befundes allein nach objektiven Kriterien nicht entschieden werden könne. Das Gutachten geht dann auf die Schulzeugnisse der Anna B. und ihrer Geschwister zurück und glaubt hieraus die Berechtigung des gestellten Antrages bejahen zu müssen. Dem kann diesseits nicht zugestimmt werden.“672

Außerdem bemängelte er, dass sich die Zeugnishefte der Kinder, auf die sich das Gutachten beziehe, in der Gerichtsakte befinden müssten. Dies sei allerdings nicht der Fall. Daher habe er beim Hauptamtlehrer i. R. Esser in Bornheim Auskunft angefordert. Esser bemerkte, dass bei den schlechten Schulleistungen möglicherweise auch die „sehr ärmlichen Wirtschaftsverhältnisse der Familie B. eine Rolle gespielt haben [dürften]. Denn 665 Das zweite Gutachten, das Knauer ausstellen sollte, findet sich nicht in der Akte. Es finden sich auch keine indirekten Hinweise darauf, dass es überhaupt ausgefertigt wurde. 666 ARSK LKB 6602. 667 ARSK LKB 6602. 668 ARSK LKB 6602. 669 ARSK LKB 6602. 670 ARSK LKB 6602. 671 ARSK LKB 6602. 672 ARSK LKB 6602.

Beispielhafte Schicksale

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es ist eine bekannte Tatsache, daß Kinder armer Eltern auch nur geringe Leistungen in der Schule zeigen, ohne daß bei ihnen ein besonderer intellektueller Defekt vorzuliegen brauchte.“673 Schmitz-Lückger erwiderte am 28. Mai 1935: „Vom ärztlichen Standpunkt aus muss nochmals betont werden, dass die erbbiologischen Verhältnisse bei den nächsten Angehörigen und hier besonders bei den Geschwistern von ausschlaggebender Bedeutung für die Entscheidung sind, ob es sich um einen angeborenen Schwachsinn, d. h. um eine Erbkrankheit im Sinne des Sterilisierungsgesetzes handelt oder nicht. Es besteht daher bei einer so massiven familiären Belastung und dem Befund bei der Untersuchten selbst an der Diagnose des angeborenen Schwachsinns nicht der geringste Zweifel.“674

Am 1. August 1935 beschloss das Erbgesundheitsgericht die Unfruchtbarmachung von Anna B. Das Gericht schloss sich dem Gutachten von Schmitz-Lückger an und verwies auf die Schulleistung der Schwestern. „Es beweist, dass in dem Erbgut der Familie B. erhebliche Mängel bestehen, die sich bei Anna B. in einer solchen Art gezeigt haben, dass Erbleiden gemäss § 1 Abs. 2 Ziffer 1 des Gesetzes bewiesen ist.“675 Die „aus 6 Zeilen bestehende“676 Bescheinigung von Düx wurde als unbegründet angesehen und die Unschlüssigkeit von Jansen negativ ausgelegt. Aus dessen Gutachten wird nur jener Teil herangezogen, der sich auf das Verhalten vor dem Unfall bezieht. Die Urteilsbegründung fügt jedoch den Halbsatz „und das Ergebnis der Sippenforschung“ hinzu, womit das Gericht Jansen Worte in den Mund legte, die sich im Gutachten nicht finden lassen. Im September 1935 beschwerten sich Gilles677 und Johann B.678 erneut beim Erbgesundheitsgericht. Sie führten an, dass die Beweise der Familie nicht beachtet wurden, und legten eine neue Bescheinigung des Hausarztes Düx vor, in der er erneut betonte, dass es sich bei Anna B. nicht um eine Erbkrankheit handele, sondern um die Folgen eines Unfalles.679 Mittlerweile war der Fall B. in die nächste und gleichzeitig höchste Instanz gekommen, das Erbgesundheitsobergericht in Köln. Dieses forschte weiter nach einer möglichen familiären Belastung und bezog nun auch die Generation der Großeltern mit ein. Der Amtsbürgermeister Bornheim antwortete, dass in der Familie keine Fälle von Schwachsinn oder sonstiger Erbkrankheit sowie Alkoholismus, Selbstmord usw. vorgekommen seien. „Die ganze Familie ist einwandfrei.“680 Gleichzeitig hatte Robert Janker (1894–1964) die Röntgenaufnahmen von Jansen erneut begutachtet und stellte keinerlei Verletzungsfolgen 673 674 675 676 677 678 679 680

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„… Anfang, aber nicht Ende“

auf den Aufnahmen fest. Damit widersprach er dem Befund seines Vorgängers.681 Die neuen Erkenntnisse sollten am 11. Dezember 1935 vor dem Erbgesundheitsobergericht verhandelt werden, jedoch war Anna B. wegen Grippebeschwerden nicht in der Lage, zu dem Termin zu erscheinen. Daher wurde die Verhandlung auf unbestimmte Zeit vertagt. Als Beweis, dass in der Familie B. kein weiterer Fall von Schwachsinn vorgekommen sei, erstellte die Familie ein Ahnenblatt mit entsprechenden Nachweisen.682 Jedoch wies das Erbgesundheitsobergericht mit dem Vorsitzenden Erich Kopelke als Richter sowie Friedrich Pietrusky und Leonhard Quadflieg als Beisitzer die Beschwerde am 6. Februar 1936 zurück. In der zehnseitigen Begründung führte das Gericht aus, dass bei Anna B. „angeborener Schwachsinn“ vorliege und jede weitere Vernehmung von Zeugen überflüssig erscheine. Die Erbforschung des Beschwerdeführers sei wertlos, da die Verwandten einen „kranken Erbfaktor“ in sich tragen könnten, der von einem „gesunden Erbfaktor“ überdeckt sei und daher nicht äußerlich auftrete. Mit dem 3. März 1936 wurde der Beschluss auf Unfruchtbarmachung für rechtsgültig erklärt. Die Familie fand sich jedoch noch immer nicht mit dem Beschluss ab und beantragte am 22. März 1936 über der Berliner Rechtsanwalt F. W. Strathmann die Wiederaufnahme des Verfahrens, um den Beschluss abzuändern. Bis dahin sollte ihrer Ansicht nach die Zwangsvollstreckung des Beschlusses ausgesetzt werden. Strathmann legte den Fokus seiner Beweisführung auf den Unfallhergang und dessen Schwere, sowie auf die Absurdität von Schulnoten. Schließlich würden diese nicht unbedingt etwas über die Grundkonstitution des Schülers aussagen. Außerdem müsse es auch schlechte Schüler geben, nicht jeder brauche ein Abitur. Er fügte hinzu, dass ein Streit zwischen Lehrer und Vater Einfluss auf die Notengebung gehabt habe und diese daher nicht aussagekräftig sei. Die angezielte Wiederaufnahme des Verfahrens lehnte das Erbgesundheitsobergericht am 26. März 1936 ab. Wiederholt versuchten die Anwälte das Gericht von einer Wiederaufnahme zu überzeugen: „Es wird dringend gebeten, vor jeglichem Eingriff, der die Eltern geradezu fassungslos machen würde, die genannten Zeugen zu hören“. Strathmann berief sich auf eine Monographie des Oberlandesgerichtsrates Martin Grunau aus Kiel, der über den „Schwachsinn im Erbgesundheitsverfahren“683 aus juristischer Perspektive geschrieben hatte, und nannte weitere Zeugen, die Annas Lebensweg bestätigen könnten.684 Am 2. Mai 1936 beschloss das Gericht die erneute Zurückweisung685 der Wiederaufnahme. Doch auch davon ließ sich die Familie B. nicht entmutigen. Am 7. Juli 1936 bat der Rechtsanwalt Strathmann um Akteneinsicht für den Universitätsprofessor Paul Horn aus Bonn. Horn sollte aus den vorhandenen Röntgenbildern und anderen Infor681 682 683 684 685

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Beispielhafte Schicksale

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mationen ein eigenes Gutachten erstellen. Am 25. September beantragten sie erneut die Wiederaufnahme des Verfahrens sowie die Zurückweisung des Antrages, da Anna B. nach „medizinischer Auffassung […] nicht schwachsinnig“686 sei. Dabei bezog sich der Anwalt auf das neue Gutachten von Horn sowie alte Gutachten des Schularztes Josef Wilmshöfer aus Merten (heute Bornheim) und des Kreiskommunalarztes Josef Fuhlrott. Beide hatten Anna vor dem Unfall untersucht und dabei keinen Schwachsinn festgestellt. Das Erbgesundheitsgericht stellte dem entgegen, dass Fuhlrott 1934 bei Anna B. Schwachsinn festgestellt habe. Bei der Anhörung vor dem Erbgesundheitsgericht am 22. Oktober 1936 ließ das Erbgesundheitsgericht erneut zahlreiche Zeugen aussagen. Dabei erklärte Strathmann, dass der Vater Johann B. Schwerkriegsbeschädigter sei und die Unfruchtbarmachung seiner Tochter nicht überleben würde.687 Fuhlrott sagte aus, dass er sich nur an die Untersuchung vom Juli 1934 erinnere, bei der er den Schwachsinn diagnostizierte. Der Sanitätsrat Andreas Schäfer aus Bornheim, Hausarzt des Vaters, sagte aus, dass ihm es „bestimmt aufgefallen“ wäre, wenn „eins der Kinder schwachsinnig gewesen wäre“688. Erneut beschloss das Erbgesundheitsgericht, die Wiederaufnahme des Verfahrens zurückzuweisen, da sich keine neuen Tatsachen ergeben hätten, die eine Abänderung des Beschlusses zuließen.689 Sie unterstrichen, dass es sich dabei um eine „Massnahme zum Wohle des Deutschen Volkes“690 handele. Auf eine weitere Beschwerde des Anwaltes folgte am 15. Dezember 1936 erneut die Zurückweisung.691 „Der Fall ist so klar, daß die Einforderung eines weiteren Gutachtens oder die Erhebung noch anderer Beweise völlig überflüssig wäre.“692 Jedoch gab der Anwalt noch nicht auf. Er stellte am 7. April 1937 erneut einen Antrag auf Wiederaufnahme und forderte ein neues Gutachten von Walter Poppelreuter (1886–1939). Dieser war der Leiter der Fachstation für hirnverletzte Kriegs- und Arbeitsopfer im Institut für Klinische Psychologie in Bonn. Auch dieser Antrag wurde am 26. Mai 1937 nach mehrmaliger Anfrage zurückgewiesen.693 Am 16. Juni stellte Esser ein amtsärztliches Zeugnis aus, das Anna B. eine Gefährdung unterstellte und somit die Unterbringung in eine Anstalt notwendig machte. Sie habe wiederholte Male nicht auf die Aufforderungen des Erbgesundheitsgerichtes reagiert, sich der Operation zu unterziehen. Daraus folgte die Anordnung, Anna B. „zu ihrem eigenen Schutze“694 festzunehmen und polizeilich zu verwahren.

686 687 688 689 690 691 692 693 694

ARSK LKB 6602. ARSK LKB 6602. ARSK LKB 6602. ARSK LKB 6602. ARSK LKB 6602. ARSK LKB 6602. ARSK LKB 6602. ARSK LSK 6602/2. Psychiatriemuseum, Krankenakte Anna B.

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„… Anfang, aber nicht Ende“ „Auf Grund meiner Erfahrung im Falle B. habe ich nicht die geringste Hoffnung, daß die Anna B. einer abermaligen Aufforderung, sich der Operation zu unterziehen, Folge leisten wird. Da aber, wie gesagt, die Anna B. schwachsinnig ist, und Fortpflanzungsgefahr [sic!] besteht, ist die Anna B. wegen ihres vollkommen uneinsichtigen Verhaltens als gemeingefährlich geisteskrank zu betrachten und ihre zwangsweise Unterbringung in die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt in Bonn unbedingte Notwendigkeit“695.

Bemerkenswert ist, dass das Erbgesundheitsgericht Bonn den Beschluss erst am 21. Juni 1937 für rechtsgültig erklärte.696 Die vorherigen Aufforderungen waren demnach nicht legitim. Die Zwangsvollstreckung folgte nicht den entsprechenden Richtlinien. In seinem Schreiben an den Polizeihauptwachtmeister Rudolph vom 16. Juli 1936 merkte der Bürgermeister an, dass Anna festzunehmen sei, „sobald sie außerhalb der elterlichen Wohnung angetroffen“ werde.697 In diesem Fall stellte das familiäre Umfeld von Anna B. einen Schutz vor staatlichen Maßnahmen dar. Am 26. Juli 1937 wurde sie schließlich festgenommen. Die Staatsanwaltschaft Bonn ließ Anna B. in die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn einweisen. Am 30. Juli wurde sie in die Universitäts-Frauenklinik Bonn „beurlaubt“, wo sie am 2. August 1937 schließlich von Hans Rupp unfruchtbar gemacht wurde. Sie blieb zehn Tage im Krankenhaus und wurde am 12. August in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen. Ein dreiviertel Jahr nach dem Eingriff wollte Anna B. den Landwirt Johann L. heiraten. Sie beantragten am 16. März 1938 im Standesamt Bornheim ein Eheaufgebot. Das Standesamt fragte beim Gesundheitsamt nach möglichen Ehehindernissen und bekam am 21. März 1938 die Antwort, dass gegen die Eheschließung keine Bedenken bestünden, da beide Ehepartner unfruchtbar gemacht worden seien.698 Johann L. war ebenfalls Opfer der nationalsozialistischen Rassenhygiene. Jedoch beantragte seine Familie keine Rechtsvertretung und akzeptierte die Maßnahmen zur Zwangssterilisation weitgehend. Johann L. wurde am 4. Juni 1912 in Porz geboren.699 1935 lebte er als Landwirt in Wesseling bei seinen Eltern Peter und Margarete L., war jedoch 1933 zwei Mal wegen schizophrenen Schüben in der Heil- und Pflegeanstalt in Bonn in Behandlung. Am 4. November 1935 kam er erneut in die Klinik, wo ihn der Anstaltsarzt Günter Elsässer am 11. November wegen Schizophrenie anzeigte. Er bemerkte, dass zwar die Bestellung eines Pflegers erforderlich sei, jedoch kein geeigneter Pfleger gefunden wurde. L.’s Mutter führte seine Erkrankung auf Unfälle mit Gehirnerschütterung zurück, Elsässer verneinte diesen möglichen Zusammenhang jedoch.700 Am darauffolgenden Tag beantragte der Anstaltsleiter Josef Geller die Unfruchtbarmachung beim Erbgesundheits-

695 696 697 698 699 700

Psychiatriemuseum, Krankenakte Anna B. ARSK LSK 6602/2. Psychiatriemuseum, Krankenakte Anna B. ARSK, LKB 7007, Karteikarte Anna B. ARSK LKB 6784. ARSK LKB 6784.

Beispielhafte Schicksale

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gericht Bonn. Bereits am 4. Dezember verhandelte das Erbgesundheitsgericht den Fall701 und beschloss am gleichen Tag die Unfruchtbarmachung. Dabei wurde Johann L. von seinem Vater und seiner Mutter unterstützt, die beide beim Verfahren des Erbgesundheitsgerichtes anwesend waren. Er selber legte keinen Einspruch gegen den Beschluss ein. In der Akte findet sich ein Einspruch des Vaters, der am 15. Dezember 1935 das Urteil anzweifelte. Das Gericht beachtete den Einspruch nicht weiter. Weitere Hinweise dazu finden sich nicht in der Akte. Vermutlich wurde die Beschwerde ignoriert, weil der Vater aufgrund der Volljährigkeit seines Sohnes nicht beschwerdeberechtigt war. Allerdings verzichteten sowohl der Antragsteller Geller als auch der Amtsarzt Basten auf ihr Beschwerderecht. Nach Ablauf der Beschwerdefrist wurde das Urteil am 23. Dezember für rechtsgültig erklärt. L. wurde in die Chirurgische Universitätsklinik Bonn vorgeladen und dort am 9. Januar 1936 operiert.702 Wie der Fall L. verlief die Mehrheit der Verfahren. Nur in wenigen Fällen legten die Betroffenen oder ihre Vertreter Einspruch gegen die Beschlüsse ein.

701 ARSK LKB 6784. 702 Bericht der Operation ist nicht in der Akte enthalten, lediglich Stempel.

IV. D  ie nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

„Die Zahl der von der Aktion ‚T 4‘ und von den Maßnahmen des ‚Reichsausschusses‘ betroffenen Anstaltsinsassen, die Verlegungszahl und die Tötungsanstalten sind hier nicht bekannt; die in Frage kommenden Zahlen lassen sich auch aus den beigefügten Unterlagen nicht einwandfrei ermitteln.“1

Als der Direktor der ehemaligen Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Galkhausen am 11. Oktober 1960 diese Einschätzung an den Direktor des Landschaftsverbandes Rheinland Udo Klausa (1910–1998) weitergab, waren gerade einmal 15 Jahre seit Kriegsende vergangen. Er beschreibt das Problem der zum Teil dürftigen Quellenlage zur Erforschung der „Euthanasie“-Verbrechen. Vor allem die Planungen sind durch Vermeidung und Vernichtung von schriftlichen Aufzeichnungen nicht mehr genau nachzuvollziehen. Hinzu kam: Angeklagte und Zeugen nach 1945 konnten und/oder wollten sich nicht mehr erinnern. So ist die genaue zeitliche Abfolge der Ereignisse durch die zudem noch unterschiedlichen Aussagen nur schwer zu rekonstruieren.

Abb. 54  Hadamar zum Ende des 19. Jahrhunderts. Oberhalb des Hadamarer Schlosses befindet sich das ehemalige Franziskanerkloster, hier wurden in den neuerrichteten Gebäuden der ehemaligen „Korrigenden­ anstalt“ ab 1941 Patienten ermordet. Aufnahme aus: Views of Germany in the Photochrom Print Collection, zwischen 1890 und 1900 1 ALVR 71189, Direktor Galkhausen an Direktor LVR, 11.10.1960.

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Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

Dabei starben über 200.000 Menschen durch die nationalsozialistische „Euthanasie“. Die Zahl jener, die seit 1934 von Zwangssterilisationen betroffen waren und damit unwiderrufbare psychische und physische Schäden erlitten, ist noch viel höher. Der Einzelne wurde zur Zahl, zum unerwünschten Teil der „Volksgemeinschaft“. Die Namen der Opfer aus dem Untersuchungsgebiet waren bisher kaum bekannt, ihre Zahl konnte noch nicht einmal annähernd eingeschätzt werden.

Abb. 55  Friedhof der Tötungsanstalt Hadamar, die Einzelgräber tarnen dabei kleine Massengräber, vom amerikanischen Militär aufgenommen, Foto: Peters A. Troy, 15.4.1945

4.1 Der Weg zur nationalsozialistischen „Euthanasie“ 4.1.1 Vom „schönen Tod“ zum „unwerten“ Leben Der Begriff „Euthanasie“ ist eine Zusammensetzung der beiden griechischen Wörter „eu“ für schön oder gut und „thanatos“ für Tod oder Sterben. In der Antike beschrieb er den „guten Tod“. Ein „guter Tod“ ist ein leichter Tod, ohne lange Krankheit, ohne Schmerzen und schnell eintretend. Erst in der Frühen Neuzeit wandelte sich die Bedeutung hin zur „Sterbehilfe“, die dem sterbenden Menschen eine Verkürzung seiner Leiden versprach. Schon 1826 warnte Christoph Wilhelm Hufeland (1762–1836) davor, den Arzt über die Notwendigkeit eines Lebens entscheiden zu lassen, und forderte, auch das Leben von unheilbar Kranken zu erhalten.2 Die von Charles Darwin (1809–1882) entdeckte „natürliche Auslese“ der Varianten in der Nachkommenschaft durch das Behaupten im Kampf 2 Benzenhöfer, Tod, S. 64 f.

Der Weg zur nationalsozialistischen „Euthanasie“

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um das Dasein wurde später als argumentative Grundlage für eine gezielte Steuerung ebendieser Nachkommenschaft missbraucht.3 Ernst Haeckel (1834–1919) setzte sich für eine gezielte Auslese bei Kindern ein, wobei er auf die Tötung von behinderten Kindern im Sparta der Antike und bei den nordamerikanischen Indianern verwies.4 Seine Anhänger gründeten 1905 einen Bund, der sich für die Legalisierung der Tötung auf Verlangen einsetzte, also für ein gesetzliches „Recht auf Sterbehilfe“ für Todkranke. Alexander Tille (1866–1912) propagierte erstmals die „natürliche Auslese“ durch die Beendigung der Fortpflanzungsfähigkeit von „Schwachen“ und das Ende der sozialen Unterstützung, da somit eine höhere Sterblichkeit der Schwachen folgen würde. Er stellte damit „werthaftes“ und „wertloses“ Leben einander gegenüber und warb für eine aktive Unterscheidung bzw. Trennung.5 Dieses Handeln bezeichnete Alfred Ploetz (1860–1940) als „Rassenhygiene“,6 während Francis Galton (1822–1911) den Begriff „Eugenik“ dafür benutzte7. Gleichzeitig vertrat Ploetz die Ansicht, dass das Wohl der Rasse vor dem des Einzelnen zu stehen habe. 1895 beschrieb er den ihm vorschwebenden Prozess: „Stellt es sich (trotz bester Pflege für Mutter und Kind) heraus, dass das Neugeborene ein schwächliches oder missgestaltetes Kind ist, so wird ihm von dem Aerzte-Kollegium, das über den Bürgerbrief der Gesellschaft entscheidet, ein sanfter Tod bereitet.“8

Den Wert des einzelnen Lebens für den Menschen selbst und für die Gesellschaft unterschied Adolf Jost (1874–1908) in seiner 1895 erschienenen Broschüre „Das Recht auf den Tod“.9 Unheilbar Kranke fügten der Gesellschaft materielle Verluste zu. Die den Tod fordernde Gesellschaft handele somit auch aus Mitleid. Gleichzeitig rechtfertigte er damit neben der selbstbestimmten Tötung auf Verlangen auch die fremdbestimmte Tötung von „Geisteskranken“.10 Die Diskussion erfuhr in der Weimarer Republik eine Radikalisierung. Der Rechtswissenschaftler Karl Binding (1841–1920) und der Psychiater Alfred Hoche (1865–1943) vertraten in der 1920 erschienenen Publikation „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ die Position, dass die Tötung von unrettbar Kranken und Verwundeten sowie unheilbar „Verblödeter“ in der Zukunft „kein Verbrechen, keine unmoralische Handlung, keine gefühlsmäßige Rohheit, sondern einen erlaubten nützlichen Akt darstellt.“ Für Angehörige und die Gesellschaft seien solche Menschen eine Belastung, die 3 4 5 6 7 8 9 10

Benzenhöfer, Tod, S. 70 f. Dazu oben S. 43. Benzenhöfer, Tod, S. 72 f. Benzenhöfer, Tod, S. 73–75. Benzenhöfer, Tod, S. 75–78. Benzenhöfer, Tod, S. 75. Ploetz, Tüchtigkeit, S. 144. Jost, Recht, S. 1, 52. Benzenhöfer, Tod, S. 81–85.

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Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

nicht geschützt werden müssten. Auf Antrag sollte die Zulassung von Tötungen durch eine gesetzliche Regelung erfolgen. Da, wo bislang ein unvermeidlicher schmerzhafter Tod durch den selbstbestimmten schmerzlosen Tod ersetzt werden sollte, trat nun der Anspruch Dritter, die bestimmen wollten, wer weiterhin leben durfte.11 Eine Mehrheit der Ärzte lehnte diesen Gedankengang ab. Der Arzt Ewald Meltzer (1869–1940), Leiter des Katharinenhofes in Großhennersdorf bei Löbau in Sachsen, war ein Gegner der „Euthanasie“-Ideen von Binding und Hoche. Er lehnte die Tötung von geistig Behinderten unabhängig von der Schwere der Beeinträchtigung aus rechtlichen und ethischen Gründen ab. Meltzer interessierte sich dafür, wie die Eltern der im Katharinenhof untergebrachten Kinder zu dem Thema „Euthanasie“ standen. Mit der Versicherung, dass es ihrem Kind gut gehe, führte er eine Umfrage durch, die vier Fragen enthielt: „1. Würden Sie auf jeden Fall in eine schmerzlose Abkürzung des Lebens Ihres Kindes einwilligen, nachdem durch Sachverständige festgestellt ist, daß es unheilbar blöd ist? 2. Würden Sie diese Einwilligung nur für den Fall geben, daß Sie sich nicht mehr um Ihr Kind kümmern können, z. B. für den Fall Ihres Ablebens? 3. Würden Sie die Einwilligung nur geben, wenn das Kind an heftigen körperlichen oder seelischen Schmerzen leidet? 4. Wie stellt sich Ihre Frau zu den Fragen 1 bis 3?“12

Das Ergebnis war eindeutig: Von 200 Fragebogen wurden 162 zurückgeschickt. Die erste Frage wurde von 119 mit Ja (73 Prozent) und 43 mit Nein (27 Prozent) beantwortet. Mehr als zwei Drittel der Eltern befürworteten also einen herbeigeführten Tod ihres Kindes. Zusätzlich hatten viele auf dem Fragebogen vermerkt, dass es am besten sei, sie wüssten nichts von der Tötung. Es sei besser, man werde vor vollendete Tatsachen gestellt. In der Ausgabe von 1930/34 des Großen Brockhaus ist der Artikel zur Sterbehilfe bereits in diesem Sinne erweitert: „Sterbehilfe, gr[ie]ch.[isch] Euthanasie, die Abkürzung lebensunwerten Lebens, entweder im Sinn der Abkürzung von Qualen bei einer unheilbaren langwierigen Krankheit, also zum Wohle des Kranken, oder im Sinn der Tötung z. B. idiotischer Kinder, also zugunsten der Allgemeinheit.“13

4.1.2 Begriffsumdeutung und Pervertierung im „Dritten Reich“ Die Überlegungen zur Beendung „lebensunwerten Lebens“ fanden nach 1933 ihre Fortsetzung, wobei sich der Schwerpunkt von der individuellen Sterbehilfe hin zur Tötung im Namen und für die Gesellschaft, die „Volksgemeinschaft“, entwickelte. Die Ver11 Binding/Hoche, Freigabe; Benzenhöfer, Tod, S. 89–95. 12 Meltzer, Problem, S. 86 f. 13 Nach Drechsel, Beurteilt, S. 25.

Die „Kindereuthanasie“

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hinderung von Leben durch die Zwangssterilisation und durch Schwangerschaftsabbruch waren nur die ersten Stufen auf dem Weg zur Tötung von Kindern, von Erwachsenen mit Behinderungen bis hin zu allen, die nicht mehr arbeiten konnten, was schließlich auch für kranke und alte Menschen galt. Die Frage des Lebens reduzierte sich für die Akteure der nationalsozialistischen Rassenhygiene rigoros auf eine reine Kostenfrage. Wer kostete, aber nichts Produktives leistete, hatte sein Leben verwirkt. Somit war letztlich niemand vor dem Mordprogramm der Nationalsozialisten sicher. Über die Einstellung Adolf Hitlers bestanden seit seiner Rede auf dem Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg 1929 keine Zweifel. Er sprach offen davon, dass die „Beseitigung von 700.000 bis 800.000 der Schwächsten von einer Million Neugeborenen jährlich, eine Kräftesteigerung der Nation bedeute und keinesfalls eine Schwächung“.14 Das Leiden und Sterben der Schwächsten in der Gesellschaft hatte bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts begonnen. Während des Ersten Weltkrieges kam zum Massentöten an der Front das Hungern in der Heimat, das ebenfalls viele Opfer forderte, insbesondere als gegen Ende des Krieges die Spanische Grippe viele bereits geschwächte Personen erfasste. Gehungert wurde auch in den Heil- und Pflegeanstalten, wo wie überall die Rationen gekürzt worden waren. Vermehrt starben Patienten an den Folgen der Unterernährung.15 In der NS-Zeit setzten einzelne Anhänger der Eugenik ihre Ideen zunächst ohne staatliche Vorgaben um. Der Psychiater Paul Nitsche (1876–1948) hatte den Begründer der Rassenhygiene Alfred Ploetz bereits vor dem Ersten Weltkrieg unterstützt und sich in den 1920er Jahren für eine Verhinderung der Fortpflanzung von Geisteskranken auch mit Zwang ausgesprochen. Ebenso stand er den Ideen von Binding und Hoche über die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ aufgeschlossen gegenüber. Seit 1928 war er Leiter der Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein. 1933 trat er der NSDAP bei und wurde Erbgesundheitsrichter in Dresden. Aus eigener Initiative führte er 1936 in seiner Anstalt eine Hungerkost ein, um die für ihn unnötige finanzielle Belastung der Gesellschaft durch sogenannte „Ballastexistenzen“ zu reduzieren. Der Leiter der Abteilung „Volkspflege“ im sächsischen Innenministerium, Alfred Fernholz (1904–1993), schlug Anfang 1939 die Einführung dieser Hungerkost für alle sächsischen Anstalten vor.

4.2 Die „Kindereuthanasie“ Die genaue Vorgeschichte der Umsetzung der „Euthanasie“-Verbrechen ist nach wie vor durch fehlende Dokumente und wenige, sich teilweise widersprechende Aussagen der Beteiligten nach 1945 nicht geklärt.16 Klar ist, dass noch vor dem eigentlichen Beginn 14 Aus dem Völkischen Beobachter, Bayerische Ausgabe vom 7.8.1929, zitiert nach Benz/Graml/Weiß, Enzyklopädie, S. 578; s. a. Schmuhl, Rassenhygiene, S. 152. 15 Faulstich, Hungersterben, S. 25–68. 16 Zuletzt akribisch analysiert und sich selbst korrigierend: Benzenhöfer, Fall Leipzig.

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Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

der bekannten „Aktion T4“ Kinder zu den ersten Opfern der nationalsozialistischen Krankenmorde wurden. Als Anstoß der „Kindereuthanasie“ bzw. der „Euthanasie“ überhaupt steht ein Fall, der sich nach verschiedenen Aussagen von Beschuldigten und Angeklagten in den alliierten und deutschen Nachkriegsprozessen entweder bereits 1938 oder in der ersten Hälfte des Jahres 1939 abgespielt haben soll. Die Familie eines schwer behinderten Säuglings/Kleinkindes, das dem Leipziger Kinderarzt Werner Catel (1894–1981) vorgestellt worden war, soll sich mit der Bitte an Hitler gewandt haben, die Tötung des Kindes, das in der Forschung mittlerweile als „Kind K.“ bezeichnet wird, zu genehmigen.17 Petitionen, die an Hitler geschickt wurden, gingen zur Bearbeitung an die 1934 eingerichtete „Kanzlei des Führers“18 (KdF). Es sollen bis zu 2000 pro Tag gewesen sein, darunter auch mehrere, die um die Erlaubnis zur Sterbehilfe baten. Leiter der Kanzlei war Philipp Bouhler (1899–1945)19, zuständig für die Angelegenheiten von Staat und Partei war das „Hauptamt II“, geleitet von Bouhlers Stellvertreter Viktor Brack (1904–1948)20. Für Angelegenheiten der Reichsministerien und der nachgeordneten Geschäftsbereiche, hauptsächlich aber Gnadengesuche, war ihm das „Amt IIB“ unter der Leitung von Hans Hefelmann (1906–1986)21 und seines Stellvertreters Richard von Hegener (1905–1981)22 unterstellt. Hier soll die Entscheidung getroffen worden sein, die eigentlich zuständigen Reichsministerien der Justiz (Strafrecht) und des Inneren (Gesundheit) nicht über den Fall zu informieren, sondern die Angelegenheit Hitler direkt vorzulegen. Dieser entsandte seinen Leibarzt Karl Brandt (1904–1948) zur Begutachtung des Kindes nach Leipzig. Brandt bestätigte die Diagnose und erlangte von Hitler die Zustimmung zur Tötung des Kindes mit der Zusicherung der Straffreiheit für den Arzt. Das soll nach Brandts Aussage im Juli 1939 passiert sein. Nach Hitlers Willen sollte in Zukunft ebenso verfahren werden und seine Kanzlei allein dafür zuständig sein. Die Ermächtigung erfolgte nur mündlich.23 Ob sich der Fall tatsächlich so zugetragen hat, konnte bisher, trotz aller Bemühungen, das erste getötete Kind zu identifizieren, nicht belegt werden. Möglicherweise waren bereits aufgrund mehrerer Anfragen Planungen für solche Tötungen in Gang gesetzt worden, so dass der Fall zum Anlass genommen wurde, die Pläne in die Tat umzusetzen. Nachweisbar ist aber die aufgebaute Organisation, zunächst für den Mord an Kindern und dann auch für die Ermordung von Erwachsenen: Sie war ein Zusammenspiel von Parteidienststellen und staatlicher Verwaltung. Die Mitarbeiter der „Kanzlei des Führers“, Brack, Hefelmann und Hegener, berieten sich mit dem Sachbearbeiter für Heil17 Mitscherlich/Mielke, Medizin, S. 110; Platen-Hallermund, Tötung, S. 43; Klee, Euthanasie, S. 78 f.; Benzenhöfer, Fall Leipzig; Benzenhöfer, Knauer; Benzenhöfer, Kindereuthanasie; Benzenhöfer, NS-‚Kindereuthanasie‘; Benzenhöfer, Richtigstellung. 18 Benzenhöfer, Fall Leipzig, S. 32–40. 19 Benzenhöfer, Fall Leipzig, S. 41 f. 20 Benzenhöfer, Fall Leipzig, S. 42 f. 21 Benzenhöfer, Fall Leipzig, S. 43 f. 22 Benzenhöfer, Fall Leipzig, S. 44 f. 23 Benzenhöfer, Fall Leipzig, S. 68.

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und Pflegeanstalten in der Abteilung IV (Gesundheitswesen und Volkspflege) des Reichsministeriums des Innern, Herbert Linden. Auch der Reichsgesundheitsführer Leonardo Conti (1900–1945) war einbezogen worden und beteiligte sich an den Vorbereitungen.24 Zur Tarnung der Parteistelle gründeten die Organisatoren den „Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden“. Der über dessen Postfach laufende Schriftverkehr ging direkt an die „Kanzlei des Führers“, die auf diese Weise nach außen hin nicht in Erscheinung trat.25 Zu den Planungen hinzugezogen wurden als ärztliche Mitglieder des Ausschusses26: der Kinderarzt Werner Catel, der Kinder- und Jugendpsychiater Hans Heinze (1895– 1983) aus Brandenburg-Görden, der Kinderarzt Ernst Wentzler (1891–1973) aus einer privaten Klinik in Berlin-Frohnau sowie der Pressereferent im Rassenpolitischen Amt der NSDAP und Augenarzt Hellmuth Unger (1891–1953).27 Mit ihrem medizinischen Sachverstand entstand ein Meldebogen, auf dessen Grundlage die drei Gutachter Catel, Heinze und Wentzler über Leben und Tod entschieden.28 Für die organisatorische Durchführung der Aktion benötigte der Ausschuss die staatliche Verwaltung. Ein streng vertraulicher und nicht veröffentlichter Erlass der Abteilung IV des Reichsministeriums des Inneren vom 18. August 1939 zur „Meldepflicht über missgestaltete Neugeborene“ richtete sich an Hebammen und Ärzte sowie Entbindungsanstalten, Geburtshilfeabteilungen von Krankenhäusern und Kinderkrankenhäuser ohne leitende Ärzte. Diese hatten an das zuständige Gesundheitsamt mittels eines zweiseitigen Formblattes eine ausführliche „Meldung“ zu richten, „falls das neugeborene Kind verdächtig ist mit folgenden schweren angeborenen Leiden behaftet zu sein: Idiotie sowie Mongolismus (besonders Fälle, die mit Blindheit und Taubheit verbunden sind), Mikrocephalie, Hydrocephalus schweren bzw. fortschreitenden Grades, Mißbildungen jeder Art, besonders Fehlen von Gliedmaßen, schwere Spaltbildungen des Kopfes und der Wirbelsäule usw., Lähmungen einschließlich Littlescher Erkrankung“.29

Um das Meldesystem effektiver werden zu lassen, erhielten Hebammen für jede Meldung zwei Reichsmark. Da nicht nur Neugeborene, sondern auch Kinder bis zum Alter von drei Jahren gemeldet werden sollten, wurden auch Kinderärzte in das Meldesystem einbezogen. Am 7. Juni 1940 führte das Reichsinnenministerium neue Meldebogen ein.30 24 25 26 27

Benzenhöfer, Fall Leipzig, S. 65 f. Benzenhöfer, Fall Leipzig, S. 73–75. Benzenhöfer, Fall Leipzig, S. 69 f. Schmidt, Brandt, S. 186. Unger war der Autor des Romans, der 1941 unter dem Titel „Ich klage an“ verfilmt wurde. 28 Benzenhöfer, Fall Leipzig, S. 81–83. 29 Abdruck des nicht veröffentlichten Erlasses vom 18.8.1939 bei Burlon, Euthanasie, S. 248–252 sowie der veröffentlichte Auszug, S. 253–254. 30 Abdruck Meldebogen August 1939 und Juni 1940 bei Burlon, Euthanasie, S. 265–268; Benzenhöfer, Fall Leipzig, S. 78, Fußnote 123.

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Die erste „Kinderfachabteilung“ richtete der „Reichsausschuss“ bereits im Oktober 1939 in Görden bei Brandenburg an der Havel ein, was das Reichs- und Preußische Ministerium des Inneren aber erst mit einem am 1. Juli 1940 veröffentlichten Runderlass bekannt machte. Hier sei nun eine „Jugend-Psychiatrische Fachabteilung […], die unter fachwissenschaftlicher Leitung sämtliche therapeutischen Möglichkeiten, die auf Grund letzter wissenschaftlicher Erkenntnisse vorliegen, wahrnimmt“.31 Darin wird auch die Einrichtung weiterer solcher „Anstalten und Fachabteilungen“ angekündigt. Der Reichsausschuss werde an die Amtsärzte herantreten, „in deren Bezirk das jeweils zur Einweisung in Frage kommende Kind wohnt“, und mitteilen, in welcher Anstalt das Kind Aufnahme finden sollte. Die Aufgabe der Amtsärzte war dann, die Eltern „von der sich in der […] Anstalt bzw. Abteilung bietenden Behandlungsmöglichkeit in Kenntnis zu setzen und sie gleichzeitig zu einer beschleunigten Einweisung des Kindes zu veranlassen.“ Den Eltern sollte gesagt werden, dass „durch die Behandlung bei einzelnen Erkrankungen eine Möglichkeit bestehen kann, auch in Fällen, die bisher als hoffnungslos gelten mußten, gewisse Heilerfolge zu erzielen“.32 Es wurden den Eltern also neue medizinische Methoden in Aussicht gestellt, die es aber gar nicht gab. Von dem vorübergehenden Stopp der Morde an Erwachsenen im August 1941 war die „Kindereuthanasie“ nicht betroffen. Sie ging nicht nur ohne Unterbrechung bis Kriegsende weiter, sondern der Kreis der Betroffenen wurde mit der Erhöhung der Altersgrenze auf alle Kinder und Jugendlichen bis zum 16. Lebensjahr erweitert.33 In einem Runderlass vom 20. September 1941 wurden die Amtsärzte noch einmal ermahnt, sich zu vergewissern, dass die Hebammen „der ihnen obliegenden Meldepflicht gewissenhaft nachkommen.“34 Bei einer Weigerung der Eltern, ihre Kinder herauszugeben, war nun die zwangsweise Entziehung des Sorgerechtes vorgesehen. Im ganzen Reichsgebiet wurden über 30 sogenannte „Kinderfachabteilungen“ errichtet. Die genaue Zahl ist nicht bekannt. Die Forschung hat bisher 31 dieser Abteilungen im ganzen Deutschen Reich nachweisen können. Am 9. Mai 1941 kamen Hans Hefelmann und Richard von Hegener aus Berlin ins Rheinland, um mit dem Gesundheitsdezernenten der Rheinprovinz Walter Creutz (1898–1971) über die Errichtung von zwei „Kinderfachabteilungen“ im Rheinland zu beraten. Creutz stand dem Ansinnen ablehnend gegenüber, wurde aber darauf hingewiesen, dass er sich als Beamter im nationalsozialistischen Staat solchen Weisungen zu fügen habe.35 Im August 1941 stimmte der Landeshauptmann der Rheinprovinz Heinrich Haake (1892–1945) der Einrichtung einer „Kinderfachabteilung“ im Rheinland zu. Als Ort wurde Waldniel bestimmt. Der Provinzialverband hatte 1937 von dem durch die Strafzahlungen aus Devisen- und Sittlichkeitsprozessen in Konkurs gegangenen Franziskanerorden das St. Josefs31 32 33 34 35

Abdruck bei Burlon, Euthanasie, S. 259–260. Klee, Euthanasie, S. 300. Benzenhöfer, Fall Leipzig, S. 79 Fußnote 124. Klee, Euthanasie, S. 303 f., hier S. 304. Kinast, Kind, S. 51 f. Zu Waldniel auch Schulte, Euthanasie.

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heim in Waldniel-Hostert angekauft und als Teilanstalt der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt (Süchteln-) Johannistal angegliedert. Hier richtete der Provinzialverband nun eine „Kinderfachabteilung“ mit 220 Betten ein. Im Oktober 1941 erhielt der Arzt und Gutachter für die laufende Mordaktion von kranken Erwachsenen Georg Renno (1907– 1997) die Stelle des Leiters. Im Dezember 1941 verließ er Waldniel bereits wieder. Für die Leitung schlug er Hermann Wesse (1912–1989) vor, dessen Verlobte Hildegard Irmen (1911–1997) bereits seit Juli 1941 in Waldniel als Ärztin tätig war. Weil der Dezernent Creutz eine Ausbildung Wesses in der Jugendpsychiatrie forderte, konnte dieser die Leitung erst am 1. Oktober 1942 übernehmen. In der Zwischenzeit war seine nunmehrige Ehefrau die verantwortliche Ärztin. Die ersten Kinder kamen am 16. Dezember 1941 aus Gangelt hierher. Die ersten Abb. 56  Walter Creutz, undatiert Todesfälle lassen sich auf den 27. Januar 1942 datieren.36 In Waldniel starben nachweislich 99 Kinder bzw. Jugendliche, teils durch Verabreichung von Luminal, einem Schlaf-/Betäubungsmittel (mindestens 20), teils durch systematisches Aushungern. Bei der Schließung der „Kinderfachabteilung Waldniel“ im Juli 1943 wurden 183 Kinder in fünf andere „Fachabteilungen“ gebracht: 59 nach Görden (Brandenburg-Görden), 51 nach Uchtspringe37 (Stendal-Uchtspringe, Sachsen-Anhalt), 38 nach Lüneburg, 19 nach Ueckermünde (Pommern) und 16 nach Ansbach.38 Die „Kinderfachabteilung“ in Waldniel war eng mit der Rheinischen Landesklinik für Jugendpsychiatrie in Bonn verknüpft, deren Leiter Hans Aloys Schmitz39 war. Er hatte Wesse ein halbes Jahr in seinem Fach ausgebildet. Schmitz führte eine Art Oberaufsicht. Wesse untersuchte und begutachtete die Kinder, Schmitz kontrollierte und zeichnete gegen. Durch seine gleichzeitige Tätigkeit in Bonn und Waldniel ist zeitweise an eine eigene „Kinderfachabteilung“ in Bonn geglaubt worden. Dafür gibt es jedoch 36 37 38 39

Kinast, Kind, S. 53. Zu Uchtspringe Synder, Landesheilanstalt. Kinast, Kind, S. 63. Zur Biographie oben S. 174.

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Abb. 57  Das Portal der ehemaligen „Kinderfachabteilung“ Waldniel, 1988

keinen Nachweis. Schmitz war 1935 Leiter der „Rheinischen Provinzial-Kinderanstalt für seelisch Abnorme in Bonn“ geworden, die 1939 in „Rheinische Landesklinik für Jugendpsychiatrie Bonn“ umbenannt wurde. Von hier wurden nachweislich Kinder in „Kinderfachabteilungen“ verlegt und dort auch getötet. Linda Orth hat für 1942 bis 1944 den Transport von 160 Kindern und Jugendlichen dokumentiert. Sie wurden in drei „Kinderfachabteilungen“ gebracht: 62 in den Jahren 1942/43 nach Waldniel sowie 81 nach Kalmenhof40 (Idstein, Hessen) und 17 nach Eichberg41 (Eltville, Hessen) in den Jahren 1943/44.42 In Waldniel wurden von den 62 Kindern aus Bonn zwei entlassen. Nach der Auflösung der „Kinderfachabteilung“, wo 20 von ihnen starben, wurden die restlichen 30 in andere Anstalten verlegt und wahrscheinlich dort getötet. Das Schicksal von zehn Kin-

40 Zur Geschichte der Anstalt Sick, Kalmenhof. 41 Zur Geschichte der Anstalt Sandner, Eichberg. 42 Orth, Transportkinder, S. 69 f.

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dern ist unbekannt.43 Aus dem Untersuchungsgebiet starben in Waldniel zwei Kinder, eines aus Alfter und eines aus Troisdorf.44 Von den 30 zuvor aus Bonn nach Waldniel gebrachten Kindern kamen neun am 2. Juli 1943 nach Brandenburg-Görden, wo zwei von ihnen kurz nach der Ankunft verstarben.45 Sechs Kinder kamen am 3. Juli 1943 nach Uchtspringe.46 Am 4. Juli 1943 wurden zwölf Kinder nach Lüneburg gebracht.47 Von den Kindern, die am 8.  Juli 1943 nach Ueckermünde (Mecklenburg-Vorpommern) transportiert wurden, verstarben zwölf innerhalb eines Monats nach der Ankunft. Auch die sieben anderen überlebten nicht. Mindestens eines der Todesopfer war ein „Reichsausschusskind“ aus der Bonner Anstalt.48 Es handelt sich um die am 19. August 1940 in Köln geborene Reinhild Trappe. Das Mädchen lebte zunächst im Kölner Kinderpflegeheim. Die Mutter wohnte in KölnDeutz, verzog aber nach Honnef.49 Am 16. April 1943 fand die Aufnahme in der Bonner Klinik statt. Die Diagnose lautete „Schwachsinn erheblichen Grades“. Schon elf Tage später, am 27. April 1943, kam sie in die „Kinderfachabteilung Waldniel“. Von hier wurde sie am 8. Juli 1943 nach Ueckermünde gebracht50, wo sie am 19. Juli 1943 starb.51 Zwei Kinder kamen am 10. Juli 1943 nach Ansbach.52 In Kalmenhof überlebten drei Bonner Kinder. Es starben mindestens drei Kinder aus dem Untersuchungsgebiet: Siegfried Klein (neun Jahre) aus dem Isolierhaus in Bad Godesberg, Karl-Heinz Koch (zehn Jahre) aus Hennef-Lauthausen und Horst Klüttgen (sechs Jahre) aus dem St. AnnoKinderheim in Honnef. Alle verstarben 1944. Von den 17 aus Bonn nach Eichberg53 gebrachten Kindern wurden 16 getötet, eine 15-Jährige konnte fliehen und überlebte.54 Unter den Toten sind mindestens vier Kinder im Alter zwischen zwei und zehn Jahren aus dem Untersuchungsgebiet: Mathias Henseler aus Beuel, Erich Adolf Diesing aus Friedrich-Wilhelms-Hütte (heute Troisdorf), Wolfgang Boy aus Honnef und Alfred Kreuzer aus Lohmar. Drei von ihnen waren Kinder mit Down-Syndrom.55 Erich Adolf Diesing war 28. Juli 1937 in Friedrich-Wilhelms-Hütte geboren. Am 1. Oktober 1940 füllte Maria Vosskühler die Anzeige aus. Die Diagnose lautete „mongoloide Idio43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55

Orth, Transportkinder, S. 34, 69 f. Auskunft von Peter Zöhrer, Schwalmtal, 11.7.2019. Orth, Transportkinder, S. 33 f. Orth, Transportkinder, S. 34, 70. Orth, Transportkinder, S. 34. Orth, Transportkinder, S. 34; Bernhardt, Niemals, S. 245 f. Im Adressbuch des Siegkreises von 1940 ist der Name Trappe in Honnef nicht verzeichnet. Karteikarte, Kopie Psychiatriemuseum, LVR-Klinik Bonn. Auskunft Kathleen Haack, Universität Rostock, 4.7.2019. Orth, Transportkinder, S. 34. Zu Eichberg Dickel, Alltag. Orth, Transportkinder, S. 60. https://www.eltville.de/fileadmin/downloads/presse/2016/NEU_Krankenmord_Opfer_alphabetisch.pdf, abgerufen am: 25.8.2020.

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Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

tie“. Es wurde kein Antrag auf Unfruchtbarmachung gestellt. Er lebte wohl zu dieser Zeit in der Provinzial-Heilanstalt Niedermarsberg und wurde vermutlich von dort aus nach Eichberg verlegt, wo er am 15. Mai 1944 an einer Lungenentzündung starb.56 Es starben in Eichberg 1942/43 auch drei Erwachsene im Alter zwischen 19 und 53 Jahren: Katharina Hildegard Rauhaus aus Beuel, Wilhelmine Rettig aus Godesberg und Else Raude aus Siegburg.57 Neben der Ermordung von „Reichsausschusskindern“ in den „Kinderfachabteilungen“ fielen Kinder und Jugendliche auch der „Aktion T4“, dem geplanten Mord an Erwachsenen mit Behinderungen, zum Opfer. Ebenso wurden in den „Kinderfachabteilungen“ weitere Kinder durch Ärzte ermordet, so dass hier ebenfalls von einer dezentralen „wilden Euthanasie“ gesprochen werden kann. Für die „Kinderfachabteilung“ in Ueckermünde ist dies untersucht worden.58 Im St. Johannisstift für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Niedermarsberg war im November 1940 eine Station als „Kinderfachabteilung“ der Provinz Westfalen eingerichtet worden. Die erhöhte Sterberate sorgte für Unruhe in der Öffentlichkeit, so dass die Abteilung im Dezember 1941 geschlossen wurde. Eine Verlegung der Kinder von dort in die stattdessen im November 1941 eingerichtete „Kinderfachabteilung“ in DortmundAplerbeck erfolgte nicht.59 In Niedermarsberg starb am 22. November 1941 der 2-jährige Gerhard Seifert. Er war am 12. Mai 1939 in Siegburg geboren und am 18. Oktober 1940 von Josef Struben, Arzt im Gesundheitsamt des Siegkreises, wegen schwerer erblicher körperlicher Missbildung angezeigt worden. Einen Antrag auf Unfruchtbarmachung stellte Struben nicht, da Seifert noch zu jung war. Eine Wiedervorlage sollte 1956 erfolgen.60 Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass der Fall nach Berlin an den Reichsausschuss gemeldet worden ist und daraufhin die Einweisung nach Niedermarsberg erfolgte. In der „Kinderfachabteilung“ in Leipzig-Dösen starben am 12. Juli 1943 der 9-jährige Bernhard Kemp aus Siegburg (geb. 4. März 1934)61 und am 24. Oktober 1943 im Alter von zwölf Jahren Aloysius Hoss aus Limperich (geb. 1. Januar 1931)62. Einblick in die Umsetzung der Vorgaben im Gesundheitsamt Bonn-Land und das Verhältnis von staatlichen Dienststellen zur Partei gewährt ein Brief des stellvertretenden Leiters Alfred Esser an den Kreisamtsleiter der NSV, Ernst Schulz. Er betraf ein Kind, bei dem „Schwachsinn“ diagnostiziert worden war und dessen Mutter Esser – nach eigener Aussage – zur Abgabe des Kindes in eine Anstalt geraten hatte. Er hatte bereits am 56 ARSK LSK 5522/2048. 57 https://www.eltville.de/fileadmin/downloads/presse/2016/NEU_Krankenmord_Opfer_alphabetisch.pdf, abgerufen am: 25.8.2020. 58 Bernhardt, Niemals. 59 Walter, NS-„Kinder-Euthanasie“, S. 214–216. 60 ARSK LSK 5555/2212; StA Siegburg Geburtsregister 1939 mit Nachtrag zu Sterbedatum und Sterbeort. 61 http://gedenkbuch.leipzig.de/Details.aspx?id=237d5b7d-98ac-44ac-b47f-c65c62670e18, abgerufen am: 25.8.2020. 62 http://gedenkbuch.leipzig.de/Details.aspx?id=e86a34a7–71f5–4e15-a4a0–7d727b2e2ee9, abgerufen am: 25.8.2020.

Versuchte Legitimierung: Der Gesetzentwurf zur Sterbehilfe

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24. September 1940 in dieser Angelegenheit einen ebenfalls nicht erhaltenen Brief an Schulz geschrieben. In dem Schreiben vom 11. November 1940 fasste er den Vorgang noch einmal aus seiner Sicht zusammen und nahm wieder seine Mitarbeiterin in Schutz: „Es ist hier lediglich die Meldung betr. eines schwachsinnigen Kindes B., die Schwester Alwine an Fräulein Kerp gemacht hatte, längere Zeit unbearbeitet geblieben. Dies lag aber nicht daran, dass Fräulein Kerp diese Meldung nicht sofort an mich weitergeleitet hätte. Die Angelegenheit ist vielmehr im Amt einige Zeit liegen geblieben, weil meine Erkundigungen ergaben, dass die Mutter keineswegs geneigt war, den Jungen, wie dies unbedingt notwendig war, einer Schwachsinnigenanstalt zu überweisen. Da ich, wenn nicht absolut notwendig[,] in solchen Fällen auf die Leute keinen Druck auszuüben pflege, habe ich die Angelegenheit Born hier im Amt hingezögert, da oft genug die Erkenntnis auf diese Weise bei den Leuten von selbst kommt. Ich habe dann den Jungen am 5.10.1940 hier untersucht und dabei feststellen müssen, dass die Mutter auch da noch nicht geneigt war, den Jungen in eine Schwachsinnigenanstalt zu tun. Erst jetzt scheint ihr vor wenigen Tagen, wie Fräulein Kerp mir berichtet, die Erkenntnis gekommen zu sein, dass sie den Jungen unter keinen Umständen zu Haus halten kann.“63

Über die Beweggründe der Mutter, ihr krankes Kind zunächst nicht abgeben zu wollen, und ihren Wissensstand um die „Euthanasie“ kann nur spekuliert werden. Wie aber kann der Wissenstand Essers eingeschätzt werden? Die Gesundheitsämter hatten die Aufgabe, die Eltern davon zu überzeugen, ihre Kinder in die Anstalten mit „Kinderfachabteilung“ zu geben. Bei dem Jungen handelte es sich um Ferdinand Born64, geboren am 23. April 1934 in Palmersheim (heute Euskirchen), wohnhaft in Odendorf. Er wurde Ostern 1940 vom Schulbesuch zurückgestellt. Auf Veranlassung des Jugendamtes Bonn-Land untersuchte Esser den Jungen am 5. Oktober 1940. Die Diagnose lautete: „absolut taubstumm, ausserdem hochgradig schwachsinnig, nicht erziehbar“. Daraus folgerte Esser: „Unterbringung in einer Schwachsinnigenanstalt unbedingt erforderlich“. Im Januar 1941 erfolgte eine weitere Untersuchung in der Bonner Landesklinik, welche die Diagnose „Idiotie“ stellte. Der Junge kam in das Kloster Maria Hilf in Morsbach bei Waldbröl. Hier starb er 1942.65

4.3 Versuchte Legitimierung: Der Gesetzentwurf zur Sterbehilfe Bei den Planungen der Krankenmorde war der Kreis der Beteiligten zunächst noch klein und die Auswahl der Eingeweihten hatte überzeugte Nationalsozialisten und Anhänger der „Euthanasie“ getroffen. Die großflächige Organisation und die Durchführung der Tötungen erforderten jedoch einen größeren Personenkreis. Je mehr Ärzte über die 63 ARSK LKB 6374, GSA Esser an Kreisamt NSV Schulz, 11.11.1940. 64 ARSK Erbgesundheitskartei des Gesundheitsamtes Bonn-Land. 65 Ein genaues Datum ist nach Euskirchen nicht übermittelt worden, so dass im Geburtsregister nur „11/1942“ nachgetragen wurde, Auskunft Standesamt Euskirchen, 8.8.2019.

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Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

Aktion informiert und zur Teilnahme aufgefordert wurden, desto mehr Kritik bzw. Zweifel an der Rechtmäßigkeit musste es geben. Zwar fiel die Auswahl möglichst auf weitere bekannte Befürworter der „Euthanasie“ und besonders engagierte Nationalsozialisten, vor allem Mitglieder der SS, jedoch gab es Ärzte, Juristen und Verwaltungsbeamte, die die „Euthanasie“ als solche zwar nicht unbedingt ablehnten, aber ein Problem mit der offensichtlich fehlenden Legitimation hatten.66 Die Zwangssterilisationen waren von der Reichsregierung durch das Gesetz vom 14. Juli 1933 „legalisiert“ bzw. mit einem legalen Anschein versehen worden. Es war im Reichsgesetzblatt veröffentlicht worden und konnte daher als bekannt gelten. Obwohl das individuelle Verfahren von der Anzeige bis zur Durchführung als medizinischer Vorgang begriffen wurde und nicht öffentlich stattfand, war die Tatsache, dass solche Verfahren existierten, nicht geheim. Kritik oder gar Proteste gegen das Gesetz fanden dank der gleichgeschalteten Presse nicht oder nur kaum statt. Das Regime konnte von einer gewissen Akzeptanz ausgehen und beruhigte zumindest einen Teil der Bevölkerung: Wenn es sogar ein Gesetz gab, konnte es ja kein Unrecht sein. Von weitaus größerer Tragweite waren jedoch die Vorstellungen der Mitwirkenden des „Euthanasie“-Programms. Hier ging es nicht nur um einen Eingriff in den Körper, hier ging es um die Beendigung von Leben durch den Staat. Diese heikle Problematik spiegelte sich sogleich auch im verwendeten Vokabular wider. Hier ist zum einen der Euphemismus „Euthanasie“ zu nennen, eine völlige Verschleierung des geplanten Mordes. Ein weiterer benutzter Begriff war die „Lebensunterbrechung“, der fast den Anschein erweckt, es handele sich um einen vorübergehenden Todeszustand. Alle Umschreibungen zeigen, dass der wahre Sachverhalt, die Ermordung von kranken Menschen, nicht offen ausgesprochen werden konnte und durfte. Das Thema war zu kontrovers und emotional, so dass hier mit Geheimhaltung und Tarnung operiert werden musste. Da es zu Beginn der „Aktion T4“ kein offizielles „Euthanasie“-Gesetz gab und die Anordnung Hitlers für die straflose Tötung von Kindern mit Behinderung nur mündlich erteilt worden war67, benötigten die Durchführenden für die Umsetzung der Tötungsabsichten ein schriftliches Dokument. Dieses sollte vage gehalten werden und den eigentlichen Zweck verschleiernd eine scheinlegale Absicherung für die Organisatoren und Ausführenden darstellen. Dies geschah, wie in der NS-Diktatur üblich, durch eine persönliche Beauftragung des Diktators. Im üblichen Kompetenzgerangel zwischen einzelnen Parteistellen und staatlichen Stellen erhielt zunächst der Reichsärzteführer Leonardo Conti den Auftrag zur Durchführung, doch letztlich setzte sich Philipp Bouhler gegen ihn durch. Im September und Oktober 1939 fanden Besprechungen und Beratungen statt. Hitler hatte schon eine Ermächtigung entworfen, die Brandt und Bouhler überarbeiten sollten. Schließlich beriet ein Gremium von Vertretern der Kanzlei und des Reichsausschusses die endgültige Formulierung. Ende Oktober 1939 unterzeichnete Adolf Hitler 66 Benzenhöfer, Entwürfe, S. 9. 67 Benzenhöfer, Fall Leipzig, S. 68.

Versuchte Legitimierung: Der Gesetzentwurf zur Sterbehilfe

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auf seinem privaten Briefpapier eine auf den 1. September 1939, den Tag des Kriegsausbruches, zurückdatierte Ermächtigung, die Philipp Bouhler und Karl Brandt in die Lage versetzte, den Mord an Kranken durchzuführen. Sie bestand lediglich aus einem Satz: „Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, daß nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischer Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann.“68

Mit diesem Schreiben konnten Brandt und Bouhler diejenigen überzeugen, die die Rechtmäßigkeit anzweifelten. Das Original ist nicht erhalten geblieben, aber es gibt eine Kopie, die Bouhler dem Reichsjustizminister Franz Gürtner (1881–1941) am 27. August 1940 übergab. Gürtner akzeptierte Hitlers Schreiben als einen Legitimationsakt, so dass Hitlers Anweisungen für ihn quasi Gesetzeskraft erhielten. Während Bouhler und Brandt eine direkte schriftliche Beauftragung durch Hitler nachweisen konnten, blieben die anderen Beteiligten nach wie vor ohne eine eigene Legitimation. Das mag ein Grund gewesen sein, dass sie nicht nur Überlegungen anstellten, ihre Tätigkeit durch ein Gesetz nach dem Vorbild des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ legitimieren zu lassen, sondern auch bereits einen Gesetzestext entwarfen. Udo Benzenhöfer hat die Geschichte des niemals in Kraft getretenen „Euthanasie“-Gesetzes rekonstruiert.69 Einen ersten Entwurf für ein Gesetz hatte der Chef der Reichskanzlei, Hans Heinrich Lammers (1879–1962), erstellt. Er war bei einem Gespräch anwesend, bei dem Hitler mit dem Staatssekretär im Innenministerium Conti darüber sprach, „dass das lebensunwerte Leben schwer Geisteskranker beseitigt werde“, und Conti den Auftrag erhielt, sich mit dieser Frage zu befassen. Der Jurist Lammers sollte ihn unterstützen. Daraufhin hatte dieser einen Text ausgearbeitet. Jedoch hatte Conti ihm einige Wochen später mitgeteilt, Hitler habe ihm den „Auftrag“ entzogen.70 Bei Besprechungen zwischen Hefelmann, Linden, Heinze und Wentzler, also den Organisatoren der „Kindereuthanasie“, waren sie sich trotz der Ermächtigung für Bouhler und Brandt der Strafbarkeit ihres Tuns bewusst und planten zu ihrer Absicherung die Herbeiführung eines Gesetzes. Der ebenfalls einbezogene Brack billigte einen ersten Entwurf. 1947 sagte er aus, er habe von Bouhler den Auftrag zur Ausarbeitung erhalten.71 Den Gesetzesentwurf – noch ohne Durchführungsbestimmungen – sandte Hefelmann am 3. Juli 1940 mit einem nicht mehr erhaltenen Schnellbrief an eine Gruppe von ca. 30 Personen. Laut seiner Aussage aus dem Jahr 1960 waren es Ärzte der „AktionT4“, des „Reichsausschusses“, andere Ärzte, Anstaltsleiter, Medizinaldezernenten und Juristen. Erinnern konnte er sich nur an 20 Namen.72 68 69 70 71 72

Benzenhöfer, Entwürfe, S. 32–34. Benzenhöfer, Entwürfe. Benzenhöfer, Entwürfe, S. 37 f. Benzenhöfer, Entwürfe, S. 39–42. Benzenhöfer, Entwürfe, S. 42–48.

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Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

Die Angeschriebenen sandten ihre Bemerkungen zum Entwurf an Hefelmann zurück. Erhalten geblieben ist lediglich die Antwort des Leiters der Tötungsanstalt Brandenburg Irmfried Eberl (1910–1948) vom 6. Juli 1940, woraus das Datum des Schnellbriefes bekannt ist.73 Etwa zu diesem Zeitpunkt schaltete sich der Leiter des Reichssicherheitshauptamtes Reinhard Heydrich (1904–1942), der auf unbekanntem Wege von den Planungen erfahren hatte, ein und wollte mit der Aufnahme des Wortes „Asoziale“ den Titel des Gesetzes geändert sehen.74 Am 31. August 1940 sandte Hefelmann einen überarbeiteten Entwurf mit den Durchführungsbestimmungen an die gleiche Gruppe zur erneuten Stellungnahme. Auch dieses Schreiben ist nicht überliefert. Wieder ist nur durch ein erhaltenes Antwortschreiben von Eberl vom 10. September 1940 das Datum der Versendung bekannt. Eberls Bemerkungen zum Entwurf flossen in eine auszugsweise Zusammenstellung der Bemerkungen der Angeschriebenen, so dass der Empfängerkreis mindestens diese 25 Kommentatoren umfasste.75 Der unveränderte Gesetzentwurf soll Hitler im Herbst 1940 vorgelegt worden sein, der sich im Hinblick auf die Feindpropaganda gegen eine Veröffentlichung zu diesem Zeitpunkt entschied und eine Erörterung darüber auf die Zeit nach Kriegsende verschob.76 Der nicht erhaltene Gesetzentwurf ist von Benzenhöfer soweit es geht anhand der Bemerkungen rekonstruiert worden. Der erste Artikel beinhaltete die aktive Sterbehilfe, die vom behandelnden Arzt und vom Amtsarzt geleistet werden sollte. Der zweite Artikel betraf die „Euthanasie“ bei Menschen, „die infolge abnormer Anlage oder unheilbarer chronischer Geisteskrankheit dauernder Verwahrung“ bedurften. Das Leben dieser Menschen könne „durch ärztliche Maßnahmen schmerzlos unmerklich für ihn vorzeitig beendet werden.“77 Ein Grund dafür, warum letztlich kein Gesetz veröffentlicht wurde, mag auch gewesen sein, dass dadurch eingehende Untersuchungen und Einschränkungen bei der Entscheidung und Durchführung der Tötung vorgesehen waren. Zum Zeitpunkt der Arbeiten an dem Gesetzestext wurden jedoch bereits Tausende Menschen getötet. Selbst bei einer notwendigen Rückdatierung des Gesetzes hätte sicherlich ein erheblicher Teil nach den im Gesetz formulierten Kriterien nicht getötet werden dürfen. Ganz abgesehen davon, dass die Tötung in einer Gaskammer dem Wortlaut „schmerzlos unmerklich“ völlig widerspricht. Hinzu kommt, dass das praktizierte Verfahren, allein nach den Angaben in den Meldebogen über Leben und Tod zu entscheiden, keinen größeren Aufwand bedeutete. Der Ermordung auf diesem Verwaltungsweg waren keine Hürden gesetzt; diese Vorgehensweise ließ den Verantwortlichen freie Hand darüber zu entscheiden,

73 74 75 76 77

Benzenhöfer, Entwürfe, S. 49 f. Benzenhöfer, Entwürfe, S. 51 f. Benzenhöfer, Entwürfe, S. 55–69. Benzenhöfer, Entwürfe, S. 70. Benzenhöfer, Entwürfe, S. 67–69.

Planung und Durchführung der „Aktion T4“

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wer zur Tötung bestimmt wurde und wer nicht. Wie sich in der Phase der „Euthanasie“ ab 1942 zeigte, lag es letztlich an jedem einzelnen Arzt. Der Gesetzesentwurf selbst diente anscheinend dazu, Ärzte zu beruhigen. Auf einem Treffen in Berlin im März 1941, an dem u. a. der Medizinaldezernent der Rheinprovinz Creutz und die Anstaltsdirektoren von Andernach (der dies nach 1947 schilderte) und Galkhausen teilnahmen, wurde von Brack in der Anwesenheit von Brandt „ein Gesetz zur Gewährung des Gnadentods“ verlesen. Aus militärischen und politischen Gründen solle dieses jedoch erst nach dem Krieg verkündet werden.78

4.4 Planung und Durchführung der „Aktion T4“ Die Planungen und Vorbereitungen für die Tötung von erwachsenen Patienten in Heilanstalten liefen parallel zur bereits geschilderten „Kindereuthanasie“. Auch hier waren die Mitarbeiter der „Kanzlei des Führers“ und Herbert Linden die Organisatoren. Beteiligt war auch der Reichsärzteführer Leonardi Conti. Er hatte den Auftrag, sich mit Maßnahmen zur Tötung von geistig behinderten Menschen zu befassen, zuerst erhalten. Alsbald wurde eine Reihe von Ärzten in die Planungen einbezogen. Laut der Aussage des Arztes Werner Heyde (1902–1964) erhielt er Ende Juli 1939 einen Telefonanruf mit der Einladung zu einem Treffen in Berlin. Dieses fand vermutlich im August 1939 statt. Dort wurden zehn bis 15 Psychiater und Anstaltsleiter aus ganz Deutschland über die Pläne informiert und zur Mitarbeit aufgefordert.79 Parallel lief der Aufbau von Organisationsstrukturen, die Auswahl des Personals und die Entwicklung des Verfahrensablaufes – alles als „Geheime Reichssache“. Um nicht mit der „Kanzlei des Führers“ in Verbindung gebracht zu werden, mietete die zentrale Leitung am 1. Dezember 1939 drei bis vier Büroräume im achten Stock des Columbushauses am Potsdamer Platz 1. Durch das Hinzuziehen von weiteren Mitarbeitern reichte bald der Platz nicht mehr, so dass die zentrale Dienststelle eine Villa in Berlin-Charlottenburg, in der Tiergartenstraße 4, anmietete und im Frühjahr 1940 dort einzog. Von dieser Adresse abgeleitet ist die von den Verantwortlichen benutzte Abkürzung „T4“ für das Gebäude der Dienststelle. In der Forschung werden deshalb die von dort organisierten Morde in den Gaskammern der Tötungsanstalten zwischen 1940 und 1941 als „Aktion T4“ bezeichnet. Die späteren Morde von kranken und nicht mehr arbeitsfähigen KZ-Häftlingen sind von denselben Organisatoren unter dem zeitgenössischen Kürzel „14f13“ erfolgt.80

78 Elsner, Recktenwald, S. 138. 79 Schmidt, Brandt, S. 188. 80 Klodzinki, Aktion 14f13; Grode, Sonderbehandlung.

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Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

Abb. 58  Die Villa des Unternehmers Georg Liebermann (1844–1926) in der Berliner Tiergartenstraße 4, der spätere Planungs- und Verwaltungssitz der „Aktion T4“, vor 1921

Für die Durchführung des Massenmordes und zur Tarnung gründeten die Initiatoren drei Organisationen: Ȥ Die „Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten Berlin“ (RAG) diente der Erfassung und der Auswahl der Opfer durch deren medizinische Abteilung unter dem Arzt Werner Heyde. Ȥ Die „Gemeinnützige Krankentransport GmbH“ (Gekrat) besaß eigene Fahrzeuge und eigenes Personal für den Transport der Opfer aus den Heil- und Pflegeanstalten in die Zwischenanstalten und danach in die Tötungsanstalten. Am 18. November 1939 wurden zwei Geschäftsführer beim Amtsgericht Berlin-Charlottenburg in das Handelsregister eingetragen.81 Ȥ Für die Finanzen und die Verwaltung der Maschinerie war die „Gemeinnützige Stiftung für Anstaltspflege“ geschaffen worden. Sie unterstand der RAG. Im April 1941 kam noch die „Zentralverrechnungsstelle Heil- und Pflegeanstalten“ hinzu, die mit den Fürsorgeverbänden die Pflegesätze für die Anstaltspatienten abrechnete. Wenn auch die „Kanzlei des Führers“ der Kopf der Organisation blieb, so war sie auf die Mitarbeit staatlicher Stellen bei der Durchführung ihrer Pläne angewiesen. Wie bereits bei der „Kindereuthanasie“ war Herbert Linden aus dem Reichsinnenministerium an den Planungen und der Durchführung beteiligt. 81 Klee, Was sie taten, S. 66.

Planung und Durchführung der „Aktion T4“

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Abb. 59  Organisationsschema der „Aktion T4“

Wie zuvor war es auch eine staatliche Maßnahme, die den ersten erhaltenen Nachweis für die anlaufende Aktion darstellt. Am 9. Oktober 1939 verfügte ein Erlass des Reichsinnenministeriums an die ersten Anstalten in Süddeutschland das Ausfüllen von Meldebogen, die gleichzeitig zugesandt wurden. Als Begründung wurde die Statistik herangezogen: „Im Hinblick auf die Notwendigkeit planwirtschaftlicher Erfassung der Heil- und Pflegeanstalten“.82 Tatsächlich dienten sie der Erfassung der Opfer und als Grundlage für die Entscheidung über Leben und Tod. 82 Benzenhöfer, Tod, S. 109.

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Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

Der „Meldebogen 1“83 enthielt u. a. Fragen, ob der Patient „sehr unruhig“ und „bettlägerig“ sei. Zudem galt es, den „Wert der Arbeitsleistung“ festzustellen. Mit dem Meldebogen erhielten die Anstaltsleiter ein Merkblatt, das die Meldekriterien erläuterte: „Zu melden sind sämtliche Personen, die 1 an nachstehenden Krankheiten leiden und in den Anstaltsbetrieben nicht oder nur mit mechanischen Arbeiten (Zupfen u. ä.) zu beschäftigen sind: Schizophrenie, Epilepsie (wenn exogen, Kriegsdienstbeschädigung oder andere Ursachen angeben), senile Erkrankungen, Therapie-Refraktäre Paralyse und andere Lues-Erkrankungen, Schwachsinn jeder Ursache, Encephalitis, Huntington und andere neurologische Endzustände; oder 2 sich seit mindestens 5 Jahren dauernd in Anstalten befinden; oder 3 als kriminelle Geisteskranke verwahrt sind; oder 4 nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder nicht deutschen oder artverwandten Blutes sind unter Angabe der Rasse*) und Staatsangehörigkeit.“84

Gleichzeitig mussten die angeschriebenen Anstalten Angaben zu ihren Kapazitäten und besonderen Einrichtungen, wie z. B. einem Bahnanschluss, machen. Diese wurden benötigt, um geeignete Tötungsorte zu finden. Die Meldebogen gingen an die staatlichen Heil- und Pflegeanstalten, aber auch an private Einrichtungen. Die ersten wurden nach Süddeutschland verschickt. Nach dem Ausfüllen sandten die Anstalten sie an die Tarnadresse in Berlin zurück. In der „Kanzlei des Führers“ sichteten Hans Hefelmann und Richard von Hegener, zwei Nichtmediziner, die einkommenden Meldungen und sortierten sie vor. Die Meldebogen wurden dann den ausgewählten Gutachtern vorgelegt, die lediglich anhand dieses Schriftstückes, ohne den Patienten gesehen zu haben, über Leben und Tod entschieden. Es sind 40 solcher Gutachter nachgewiesen. Darunter waren auch zwei Ärzte aus Bonn: Kurt Pohlisch und Friedrich Panse. Beide nahmen zusammen mit dem im Erbbiologischen Institut beschäftigten Curt Schmidt im April 1940 an einer Besprechung der RAG teil. Dort eröffneten ihnen die 83 Faksimile in Stöckle, Grafeneck, S. 38. 84 Merkblatt, Faksimile in Hinz-Wessels, Tiergartenstraße, S. 65. Zur Anmerkung bei „Rasse“: *) Deutschen oder artverwandten Blutes (deutschblütig), Jude, jüdischer Mischling I. oder II. Grades, Neger, Negermischling, Zigeuner, Zigeunermischling usw.“

Planung und Durchführung der „Aktion T4“

Abb. 60  Friedrich Panse, Foto: Dorothea Bleibtreu, undatiert

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Abb. 61  Kurt Pohlisch, Foto: Dorothea Bleibtreu, undatiert

Organisatoren der Aktion ihre Pläne und die Kriterien für Ausnahmen von den Tötungen: unentbehrliche Arbeitskräfte, Kriegsbeschädigte, Träger hoher Kriegsauszeichnungen und wissenschaftlich interessante Fälle. Schmidt, der sich aus dem Treffen zurückzog, hat nach 1945 ausgesagt, dass Pohlisch und Panse sich ablehnend geäußert hätten.85 Trotzdem ließen sich Pohlisch und Panse als Gutachter verpflichten.86 Panse war wohl bereits ab dem 14. Mai 1940 tätig und bearbeitete etwa 600 Meldebogen, wobei er 15 Tötungsempfehlungen aussprach. Pohlisch nahm seine Tätigkeit ab dem 30. Juli 1940 auf und bearbeitete etwa 400 Meldebogen. Auch er sprach sich in einigen Fällen für eine Tötung aus. Die niedrige Zahl der Tötungsempfehlungen entsprach wohl nicht den Vorstellungen der Berliner Zentrale, so dass Panse am 16. Dezember 1940 und Pohlisch am 6. Januar 1941 von der Gutachtertätigkeit entbunden wurden.87 Der leitende Arzt der Rheinischen Kinderanstalt Hans Aloys Schmitz nahm nur aufgrund einer Verwechslung mit dem am Erbbiologischen Institut beschäftigten Curt Schmidt nicht an dem Treffen in Berlin teil. Allerdings findet sich auf einer Gutachter85 Forsbach, Fakultät, S. 642. 86 Faksimile bei Klee, Euthanasie, S. 228. 87 Faksimile bei Klee, Euthanasie, S. 228; Forsbach, Fakultät, S. 493.

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Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

liste ein „Dr. Schmidt“, der im Zeitraum „30.7.1940–14.11.1940“ als T4-Gutachter tätig war,88 und es gibt eine weitere Gutachterliste, in der der volle Name steht: „Dr. Alois Schmitz“.89 Zudem war Schmitz die führende Person in der „Kinderfachabteilung“ in Waldniel. Über die Tötung entschieden endgültig Obergutachter: Werner Heyde (Oktober 1939 bis Dezember 1941), Herbert Linden (ab Oktober 1939) und Hermann Paul Nitsche (ab Februar 1940). 4.4.1 Beginn im Osten: Die ersten Patientenmorde Während die Tötungsaktionen von Kindern anliefen und die der Erwachsenen vorbereitet wurden, hatte gleich nach Kriegsbeginn in Polen unter der Militärverwaltung die Ermordung von polnischen und deutschen Kranken bereits begonnen. Nach der Niederlage Polens wurden am 27. September 1939 in Neustadt (Westpreußen) die ersten Anstaltspatienten getötet. Am gleichen Tag begann die Ermordung von 1692 Kranken aus der Anstalt Konradstein (Westpreußen). Im November und Dezember 1939 erschoss der SS-Wachsturmmann Kurt Eimann (1899–1980) während der Massaker von Piaśnica 1268 Patienten, die in zehn Transporten aus sechs Anstalten in Pommern und Posen in den Wald nahe dem polnischen Dorf gebracht worden waren. Diese Morde durch Erschießungen waren nicht von der im Aufbau befindlichen Organisation für die „Euthanasie“ von deutschen Anstaltspatienten durchgeführt worden. Sie gehörten zu den Massakern, die sich vor allem gegen Polen richteten.90 4.4.2 Tötungen in den Gaskammern 1940 Im Oktober 1939 fand in Posen die erste „Vergasung“, die Tötung von Menschen durch Kohlenstoffmonoxid, statt. Bei einer weiteren Vergasung im Dezember 1939 war Heinrich Himmler (1900–1945) anwesend. Im Januar 1940 fand in Brandenburg eine weitere Tötungsaktion statt, bei der Patienten mit Gas und Giftspritzen getötet wurden. Anwesend waren alle Verantwortlichen: Brandt, Bouhler, Brack, Hefelmann, Conti und Heyde. Brandt und Conti töteten höchstpersönlich mit Giftinjektionen. Nach Benzenhöfer kann dies durchaus als ein symbolischer Akt begriffen werden, bei dem alle Beteiligten eine „gemeinschaftsstiftende Tötung“ begingen.91 Die Tötungsmethode war zu diesem Zeitpunkt längst festgelegt. Um die geplante Ermordung der Kranken durchzuführen, waren sechs über das gesamte Deutsche Reich verteilte Tötungsanstalten ausgewählt und zu diesem Zweck Gaskammern eingebaut worden. 88 89 90 91

Faksimile bei Klee, Euthanasie, S. 228. Faksimile bei Kinast, Kind, S. 255, nach Klee, Irrsinn, S. 135. Grode, „Euthanasie“-Politik. Benzenhöfer, Entwürfe, S. 31.

Planung und Durchführung der „Aktion T4“

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Abb. 62  Schuppen der Tötungsanstalt Grafeneck. Hier wurden die eingelieferten Patienten durch Kohlenmonoxyd-Gase ermordet, Foto: Anne Schaud, undatiert

Die ersten Morde fanden in der Tötungsanstalt Grafeneck statt.92 Das bisherige „Krüppelheim“ Grafeneck war am 12. Oktober 1939 vom Württembergischen Innenministerium bis zum 14. Oktober 1939 zur Räumung gezwungen worden. Am 18. Januar 1940 wurden 25 männliche Patienten aus der bayerischen Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar nach dort verlegt und getötet, am 20. Januar folgten 25 Patientinnen. Die ersten Verlegungen aus Württemberg erfolgten am 25. Januar 1940. Im Februar begannen dann die Transporte aus Baden. Die Opfer kamen aus 48 Anstalten, davon 40 aus württembergischen und badischen Landkreisen, sechs aus bayerischen Anstalten und je einer aus Anstalten in Hessen und im Rheinland. Bei dem einzigen Transport aus dem Rheinland nach Grafeneck handelt es sich um Patienten aus der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bedburg-Hau. Die Anstalt sollte für ein Marine-Lazarett geräumt werden. Am 5. März 1940 transportierte ein Zug der Deutschen Reichsbahn 457 Patienten von Bedburg-Hau nach Grafeneck, wo er einen Tag später, am 6. März 1940, ankam. Die Gedenkstätte dort geht davon aus, dass die meisten bereits am 7. März 1940 getötet wurden. Einige Personen sind in die Anstalt Zwiefalten transportiert und dann im April zur Tötung nach Grafeneck zurückgeholt worden.93 Eine Patientin in Bedburg-Hau war Helene Siwka, die am 16. April 1907 in Godesberg geboren wurde. Sie war 1931 in die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn ein92 Stöckle, Grafeneck. 93 Auskunft Gedenkstätte Grafeneck, 18.1.2019.

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Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

gewiesen worden, wo die Diagnose „Schizophrenie“ gestellt wurde. 1932 erfolgte ihre Verlegung nach Andernach. 1935 kam sie nach Bedburg-Hau. Von hier aus wurde sie am 6. März 1940 nach Zwiefalten gebracht und am 2. April 1940 in Grafeneck getötet.94 Unter den Patienten aus Bedburg-Hau befand sich auch Joseph Christian Kirwald, geboren am 1. September 1897 in Königswinter. Nach der Meldung aus dem eigens für die Tötungsanstalt geschaffenen Standesamt Grafeneck trugen die Königswinterer Standesbeamten einen Nachtrag ins Geburtsregister ein: „gestorben am 26.4.1940 in Grafeneck“. Da das Todesdatum oft unzutreffend war, kann Kirwald auch bereits am 7. März 1940 gestorben sein.95 Im Februar 1940 begannen die Morde in der Tötungsanstalt Brandenburg. Mit einem weiteren Transport von Bedburg-Hau wurde der aus Godesberg stammende Max Kolaczinski am 8. März 1940 nach Brandenburg verlegt, wo er am 3. April 1940 starb.

Abb. 63  Die Tötungsanstalt Hartheim mit Busschuppen, Foto: Karl Schuhmann, um 1940/41

Im Mai 1940 begann in der Tötungsanstalt Hartheim, die im Schloss Hartheim in der Gemeinde Alkoven bei Linz in Österreich eingerichtet worden war, die Ermordung von Patienten in einer Gaskammer.96 Zur Verschleierung der Häufung von Todesfällen an einem Tötungsort verschickten die bei den Anstalten eingerichteten Sonderstandesämter falsche Sterbeurkunden an die Angehörigen. Nach Vorgaben aus Berlin tauschten sie Patientenakten untereinander aus, änderten Todesort, Todesdatum und Todesursache, so dass den Angehörigen in einer Region keine Gemeinsamkeiten auffielen.97

94 https://www.gedenkort-t4.eu/de/biografien/16–04–1907–02–04–1940-helene-siwka-dienstmaedchenbad-godesberg, abgerufen am: 25.8.2020. 95 StA Königswinter Geburtsregister 1897 mit Nebeneintrag zu Sterbedatum und Sterbeort; Auskunft Gedenkstätte Grafeneck, 18.1.2019. 96 Dazu auch Kepplinger, Hartheim. 97 Klee, Euthanasie, S. 155 f.

Planung und Durchführung der „Aktion T4“

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Abb. 64  Eintrag von Carl Joseph Reinarz im Geburtenregister der Stadt Königswinter mit gefälschtem Sterbenachtrag

Angeblich starb in Hartheim am 30. Mai 1940 Carl Joseph Reinarz, geboren am 27. März 1874 in Königswinter. Mit der Diagnose „angeborener Schwachsinn“ war er seit dem 31. August 1936 in der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bedburg-Hau untergebracht, von wo er am 3. März 1940 in die Anstalt Waldheim transportiert wurde. Diese verließ

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Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

er wieder am 4. April 1940. Das Ziel ist unbekannt. Vermutlich wurde er nach Brandenburg gebracht und dort getötet.98 Auch Anna Söntgen, geboren am 10. Mai 1915 im linksrheinischen Merten, soll in Hartheim gestorben sein. Sie war bereits 1936 mit der Diagnose „angeborener Schwachsinn“ unfruchtbar gemacht worden, ebenso wie ihre Geschwister. Von der ProvinzialHeil- und Pflegeanstalt Bonn war sie in die Andernacher Anstalt gebracht worden. Von hier aus erfolgte ihr Abtransport am 25. Juli 1941 nach Hadamar.99 Ab dem 28. Juni 1940 fanden Ermordungen in der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein statt.100 Hier soll am 30. Juni 1941 Paul Krämer, geboren 1912 in Walberberg (heute Bornheim), laut Nebeneintrag im Geburtsregister gestorben sein. Tatsächlich ist er aber aus der Anstalt Düren kommend am 18. Juni 1941 von der Zwischenanstalt Andernach nach Hadamar transportiert und dort getötet worden.101 Die Tötungsanstalt Brandenburg wurde bereits zum 28. Oktober 1940 geschlossen. Das Personal wechselte zur Tötungsanstalt Bernburg102, die auf einem abgetrennten Gelände der Landes-Heil- und Pflegeanstalt in Bernburg an der Saale errichtet worden war. Hier wurden vom 21. November 1940 bis 30. Juli 1943 Kranke aus Anstalten und Konzentrationslagern getötet. Von vier Personen aus dem Untersuchungsgebiet haben die Angehörigen bzw. die Standesämter Sterbebenachrichtigungen aus Bernburg erhalten. Joseph Müller, geboren 1892 in Niedermenden, soll am 5. Juni 1941 in Bernburg gestorben sein.103 Auch der Sterbenachtrag auf dem Geburtsregistereintrag von Katharina Orth, geborene Lülsdorf, weist als Sterbeort Bernburg auf.104 Die 1897 in Siegburg geborene Frau soll am 21. Juli 1941 dort gestorben sein. Dabei war sie nach einem Aufenthalt in der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn über die Zwischenanstalt Andernach am 7. Juli 1941 nach Hadamar verlegt und in Wahrheit dort getötet worden.105 Ebenso verhielt es sich mit Josef Fuhr.106 Der 1884 in Komp (heute Königswinter) geborene Fuhr war aus der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn nach Andernach und von da aus am 25. Juli 1941 nach Hadamar verlegt worden. Als angeblicher Sterbeort war auch bei ihm Bernburg angegeben. Anna Maria Neuwirth, verheiratete Rödel, war am 9. Dezember 1915 geboren. Sie soll ebenfalls in Bernburg gestorben sein.

98 StA Königswinter Geburtsregister 1874 mit Nebeneintrag zu Sterbedatum und Sterbeort; BArch R 179– 11485; Auskunft Gedenkstätte Pirna, 4.10.2018; Auskunft Gedenkstätte Hartheim, 13.4.2019. 99 StA Bornheim Geburtsregister Bornheim 1915, Nr. 75 mit Nebeneintrag; ALVR 42684, Transportliste Nr. 9; Hadamar Datenbank ID 5780; ARSK LKB 6938/1, 6586/84. 100 Böhm/Schilter, Pirna-Sonnenstein, S. 45. 101 StA Bornheim Geburtsregister Bornheim 1912 Nr. 177 mit Nebeneintrag; ALVR 42688, Transportliste Nr. 7. 102 Zu Bernburg Schulze, „Euthanasie“-Anstalt. 103 StA Sankt Augustin, Geburtsregister 1892. 104 Hadamar Datenbank ID 5849; Auskunft StA Sankt Augustin, Geburtsregister 1897. 105 ALVR 42690, Transportliste Nr. 9 vom 7.7.1941. 106 Hadamar Datenbank ID 5878; ARSK LSK 5130/95. Zu Fuhr auch unten S. 321.

Planung und Durchführung der „Aktion T4“

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Abb. 65  Aktuelle Außenaufnahme der ehemaligen NS-Tötungsanstalt Bernburg, Foto: Judith Gebauer, 2020

Im Dezember 1940 wurde die Tötungsanstalt Grafeneck geschlossen. Die Morde waren nicht geheim geblieben. Sie hatten zur Beunruhigung in der Bevölkerung und zu schriftlichen Anfragen an die Behörden geführt. Nach der Schließung wechselte das Personal zur Tötungsanstalt Hadamar, in der im Januar 1941 die ersten Tötungen stattfanden. Hier starben Patienten hauptsächlich aus Anstalten der preußischen Provinzen Hessen-Nassau, Westfalen, Hannover und der Rheinprovinz sowie aus Hessen, Baden und Württemberg. Mindestens neun Personen aus dem Untersuchungsgebiet wurden über hessische Zwischenanstalten in die Tötungsanstalt Hadamar gebracht. Einer der ersten Transporte kam aus der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Herborn. Am 3. Februar 1941 waren es zwei Personen: Hermann Kümmel107, geboren 1907 in Troisdorf, sowie Mathias Lindlahr108, geboren 1899 in Troisdorf. Am 25. Februar 1941 wurde Sebastian Hombach109, geboren 1901 in Stieldorf-Vinxel (heute Königswinter), nach Hadamar gebracht. Am 28. Februar 1941 kam Anton Wittling110, geboren 1899 in Heisterbacherrott, nach Hadamar. Am 12. März 1941 folgte ihm Johann Edmund Wittling111, geboren 1883 in Heisterbacherrott. Von allen ist das Todesdatum nicht bekannt. Es wird davon ausgegangen, dass sie noch am Tag der Ankunft in Hadamar getötet wurden.

107 108 109 110 111

Hadamar Datenbank ID 8101. Hadamar Datenbank ID 8126. Hadamar Datenbank ID 8006. Hadamar Datenbank ID 8455. Hadamar Datenbank ID 8456.

270

Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

Aus der Heil- und Pflegeanstalt Weilmünster in Hessen kam am 13. Juni 1941 Gertrud Brenner (geb. Löhrer)112, geboren 1884 in Bornheim, nach Hadamar. Ihr angebliches Todesdatum ist der 30. Juni 1941. Zwei Personen wurden aus der Klinik Eichberg (Eltville am Rhein, Hessen) nach Hadamar transportiert: am 21. Februar 1941 Katharina Kreutzer113, geboren 1894 in Oberkassel (heute Bonn), angeblich gestorben am 9. März 1941, und am 17. April 1941 Agnes Effers/Efferz114, geboren 1873 in Honnef. Bei ihr war vermutlich auch der Tag der Ankunft der Todestag. Aus der ebenfalls als Zwischenanstalt genutzten Anstalt Scheuern (Nassau-Scheuern, heute Rheinland-Pfalz) wurde am 1. Juli 1941 Johann Schwarz115, geboren 1905 in Troisdorf, nach Hadamar gebracht. Auch sein Todesdatum ist wohl der Ankunftstag in der Tötungsanstalt.

4.5 Jüdische Opfer der „Euthanasie“ im Rheinland Neben der planmäßigen Ermordung von vermeintlich kranken Kindern und Erwachsenen verlief parallel die Separierung und Ermordung der Patienten jüdischen Glaubens. Als erster Schritt erfolgte die Zusammenlegung der jüdischen Patienten in Zwischenanstalten. Für die Regierungsbezirke Köln, Koblenz und Trier war dies die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Andernach, im Regierungsbezirk Düsseldorf die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Grafenberg. Am 10. Januar 1941 teilte der Reichsminister des Inneren dem Oberpräsidenten der Rheinprovinz die Pläne zur „Verlegung geisteskranker Juden“ mit. Er leitete sein Schreiben wie folgt ein: „Der noch immer bestehende Zustand, daß Juden mit Deutschen in Heil- und Pflegeanstalten gemeinsam untergebracht sind, gibt zu dauernden Beschwerden des Pflegepersonals und der Angehörigen der Kranken Anlaß und kann daher nicht weiter hingenommen werden.“116

Im Schreiben befand sich eine Auflistung der privaten Anstalten mit der jeweiligen Zahl ihrer jüdischen Insassen, darunter drei in Bonn:

112 113 114 115 116

StA Bornheim Geburtsregister Bornheim 1884 Nr. 24 mit Nebeneintrag; Hadamar Datenbank ID 10283. Hadamar Datenbank ID 370. Hadamar Datenbank ID 478. Hadamar Datenbank ID 8865. ALVR 13070, RMI an OP, 10.1.1941.

Jüdische Opfer der „Euthanasie“ im Rheinland

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Name der Anstalt

Juden

Jüdinnen

Sanatorium Dr. Peipers, Bonn

0

1

Dr. Hertz’sche Privatklinik, Bonn

2

5

Pauluskuranstalt, Bonn

3

8

Es folgten 14 weitere Anstalten in den drei südlichen Regierungsbezirken. Insgesamt lebten hier 20 Juden und 33 Jüdinnen. Hinzu kamen noch acht Juden und sieben Jüdinnen, die in der Heil- und Pflegeanstalt in Bonn untergebracht waren. Für die Verlegung der jüdischen Patienten aus den verschiedenen Anstalten nach Andernach war der Zeitraum vom 8. bis zum 10. Februar 1941 vorgesehen. Am 11. Fe­ bruar 1941 sollten diese zusammen mit den in der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Andernach untergebrachten jüdischen Patienten von der Gekrat aus Andernach abtransportiert werden. Den Zielort ließ das Schreiben des Reichsinnenministers offen. Die Verlegung war nur für die „Volljuden deutscher oder polnischer Staatsangehörigkeit sowie staatenlosen Juden“117 vorgesehen. Juden anderer Staaten sowie „Mischlinge 1. und 2. Grades“ sollten nicht in die Aktion einbezogen werden. Schon am 15. Januar 1941 meldete sich die Gekrat bei der Hertz’schen Privatklinik und verwies auf einen Runderlass des Reichsinnenministeriums vom 12. Dezember 1940, der die Überstellung der jüdischen Patienten in die Andernacher Anstalt bis zum 10. Februar 1941 forderte. Die Gekrat habe die Aufgabe, diese „aus der Sammelanstalt weiterzuverlegen“, ohne einen Ort zu nennen. Sie bat, die Eigentumsnachweiskarten gewissenhaft auszufüllen und die Personal- und Krankenakten der Kranken sowie deren persönliches Eigentum mitzugeben.118 Der Regierungspräsident leitete den Januarerlass des Reichsinnenministeriums am 28. Januar 1941 weiter, so dass das Gesundheitsamt Bonn einen Tag später die Hertz’sche Privatklinik aufforderte, „die in Ihrer Anstalt befindlichen Juden in der Zeit vom 8.–10.2.1941 in die Prov. Heil- und Pflegeanstalt Andernach zu überführen.“119 Aus Andernach erhielt die Bonner Privatklinik am 5. Februar 1941 Anweisungen zur „Kennzeichnung der Kranken nach Vorschrift“ sowie „dass die Akten und vor allen Dingen das Inventar Wertsachenverzeichnis gut ausgefüllt mitgebracht werden.“120 Die Privatklinik konnte am 10. Februar 1941 dem Amtsarzt die Verlegung der fünf jüdischen Patienten melden.121 117 ALVR 13070, RMI an OP, 10.1.1941. 118 Dokument Nürnberger Ärzteprozess PS-3871, RMI an Hertz’sche Privatklinik 11.6.1940 http://nuremberg. law.harvard.edu/documents/2608-instructions-from-the-reich?q=ps-3871#p.26, abgerufen am: 25.8.2020. 119 Dokument Nürnberger Ärzteprozess PS-3871, RMI an Hertz’sche Privatklinik 11.6.1940 http://nuremberg.law.harvard.edu/documents/2608-instructions-from-the-reich?q=ps-3871#p.21, abgerufen am: 25.8.2020. 120 Dokument Nürnberger Ärzteprozess PS-3871, RMI an Hertz’sche Privatklinik 11.6.1940 http://nuremberg. law.harvard.edu/documents/2608-instructions-from-the-reich?q=ps-3871#p.23, abgerufen am: 25.8.2020. 121 Dokument Nürnberger Ärzteprozess PS-3871, RMI an Hertz’sche Privatklinik 11.6.1940 http://nuremberg. law.harvard.edu/documents/2608-instructions-from-the-reich?q=ps-3871#p.27, abgerufen am: 25.8.2020.

272

Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

Transporte jüdischer Patienten nach Andernach Anstalt (Herkunft)

Datum

Männer

Frauen

Ev. Heil- und Pflegeanstalt Hausen an der Wied (über Linz am Rhein)

8./10.2.1941

4

Kath. Herz-Jesu-Krankenhaus Lindlar bei Engelskirchen

8./10.2.1941

3

Kath. Marienhaus Waldbreitbach

8./10.2.1941

3

Kath. Heil- und Pflegeanstalt Saffig

8./10.2.1941

1

Kath. Heil- und Pflegeanstalt Ebernach

8./10.2.1941

5

Kath. Heil- und Pflegeanstalt Morsbach/Sieg

8./10.2.1941

1

Kath. Pflegeanstalt Kloster Hoven bei Zülpich

8./10.2.1941

2

Privates Paulusheim, Bonn

8./10.2.1941

2

Private Hertz’sche Anstalt, Bonn

10.2.1941

Rheinische Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt, Bonn

10.2.1941

5 9

8

17

58 jüdische Patienten, die bereits in Andernach lebten bzw. in die Zwischenanstalt Andernach gebracht worden waren, wurden am 11. Februar 1941 nicht in die jüdische Heil- und Pflegeanstalt Bendorf-Sayn, sondern nach Hadamar abtransportiert und dort getötet.122 Nicht alle Patienten waren jedoch fristgerecht bis zum 10. Februar 1941 nach Andernach gebracht worden. In der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn war als Patientin Julie Nathan untergebracht. Die 1859 in Bornheim geborene Jüdin wurde am 17. September 1937 in die Bonner Anstalt aufgenommen. Zum Transporttermin der jüdischen Patienten nach Andernach am 10. Februar 1941 war die 81-jährige Frau nicht reisefähig und blieb deshalb in Bonn zurück. In einer Meldung über den Verbleib der letzten Juden in der Anstalt meldete diese am 10. April 1941 an den Oberpräsidenten unter anderem, Nathan sei „noch in hiesiger Anstalt“, sie „war und ist auch heute nicht reisefähig“.123 Offenbar blieb sie noch mehr als ein Jahr in Bonn. Am 19. Juli 1942 holte die Gestapo Julie Nathan ab.124 Sie wurde wahrscheinlich am 20. Juli mit anderen Juden aus der Region (Lager Much) von Köln-Deutz (Messehalle) nach Minsk deportiert und dort getötet.125 Offenbar erfolgte die Erfassung und Auflistung der jüdischen Patienten nicht vollständig. In Sechtem gab es eine private Anstalt, die in der „Grauen Burg“ untergebracht 122 Haffke, Rolle, S. 93. 123 ALVR 13070, Schreiben HuP Bonn an OP, 10.2.1941. 124 Kopie aus der Patientenkartei der Rheinischen Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn, Psychiatriemuseum. 125 http://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_rhl_420720.html, abgerufen am: 25.8.2020 und http:// www.tenhumbergreinhard.de/transportliste-der-deportierten/bericht-transport/transport-20071942-koeln.html, abgerufen am: 25.8.2020.

Jüdische Opfer der „Euthanasie“ im Rheinland

273

Abb. 66  Sechtem, Ansichtskarte, hier u. a. Frontansicht der „Grauen Burg“ mit dem Vermerk „Hier wohne ich“, unklares Datum

war.126 Die Frau des Sanitätsrates Philipp Buschhausen, Maria Buschhausen, geb. Müller (1877–1975), hatte seit dem 14. Juni 1928 die Konzession für „eine Privatirrenanstalt zur Unterbringung und Pflege von 12 geistesschwachen Kindern und 3 geistesschwachen Erwachsenen“. Als leitender Arzt fungierte Otto Löwenstein (1889–1965)127, der von den Nationalsozialisten als Jude aus seinem Amt vertriebene Leiter der „Provinzial-Kinderanstalt für seelisch Abnorme“ in Bonn. Nach 1933 hatte diese Funktion der Oberarzt Hans Aloys Schmitz übernommen. Bei einer Besichtigung durch den Leiter des Gesundheitsamtes 1937, das von einer Belegung mit acht Kindern und einem Erwachsenen berichtete, lag aber dessen Hauptaugenmerk auf der Anwendung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Bei dem Erwachsenen stellte der Leiter des Gesundheitsamtes Hans Schoeneck fest, er sei „nicht fortpflanzungsfähig“. Bei einem 16-jährigen Jungen war zwar Schwachsinn diagnostiziert worden, dieser sei aber „angeblich“ nicht angeboren. Lediglich bei einem 14-jährigen Mädchen, Ruth Levy, dessen Eltern sich in Palästina befanden „und wahrscheinlich einverstanden“ seien, sollte das Verfahren eingeleitet werden. Ein solches Verfahren lässt sich allerdings nicht in den Quellen nachweisen.128 126 Zur Anstalt ARSK LKB 6501. 127 Forsbach, Löwenstein. 128 ARSK LKB 6501, Besichtigungsbericht Schoeneck, 15.11.1937.

274

Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

Abb. 67  Schreiben Alfred Essers an den Leiter der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn, 13.10.1941

Jüdische Opfer der „Euthanasie“ im Rheinland

275

Am 10. Januar 1941 hatte ein Erlass des Reichsministers die gemeinsame Unterbringung von jüdischen und nichtjüdischen Deutschen in Heil- und Pflegeanstalten für unzulässig erklärt und die Verlegung der jüdischen Patienten in die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Andernach angeordnet. Anbei war wohl eine Liste von Einrichtungen mit jüdischen Patienten. Hierin fehlte die „Graue Burg“. So lässt sich erklären, dass auf die Anforderung des Regierungspräsidenten am 28. Januar 1941 das Gesundheitsamt BonnLand eine Fehlanzeige gemeldet hatte. Eine Gesundheitspflegerin unterrichtete am 30. August 1941 das Gesundheitsamt über die aufgenommenen Kranken und übersandte eine Liste, darunter drei Personen mit dem Zusatz „Jude“.129 Am 13. Oktober 1941 wandte sich der stellvertretende Leiter des Gesundheitsamtes Bonn-Land, Alfred Esser, zunächst an den Leiter der Provinzial-Heilund Pflegeanstalt Bonn, da er glaubte, dieser sei für die Anstalt in Sechtem zuständig: „Ich erlaube mir ergebenst zu bemerken, dass eine gemeinsame Unterbringung von Juden und Arier [sic!] den jetzigen Bestimmungen nicht entsprechen dürfte. Ich bitte deshalb, eine Änderung dieser Verhältnisse vorzunehmen.“130 Der stellvertretende Leiter Josef Geller antwortete am 18. Oktober 1941 lediglich, dass die Anstalt keine Abteilung der Landesklinik sei.131 Daraufhin trieb Alfred Esser die Sache weiter voran und informierte am 21. Oktober 1941 den Regierungspräsidenten. Er berichtete, dass die „Graue Burg“ zur Zeit „eine Reihe von geistig Minderwertigen“ beherberge, und fügte eine Aufstellung bei. Handschriftlich findet sich der Zusatz „Nach fernmündlicher Auskunft von Fr[äu]l.[ein] Buschhausen alle 3 Volljuden!“, Letzteres dreimal unterstrichen. Seine Schlussfolgerung für den Regierungspräsidenten: „Ich halte diese Verhältnisse für völlig untragbar.“132 Die drei jüdischen Patienten waren Arthur Baum, geboren 1880 in Dresden133, im Heim seit 1903, der 1923 in Köln geborene Hans Simon, der seit 1930 in diesem Heim untergebracht war, sowie Ruth Levy, 1923 in Duisburg geboren und seit 1929 in Sechtem. Esser forderte Maria Buschhausen gemäß dem ministeriellen Erlass vom 10. Januar 1941 am 13. November 1941 auf, „die drei Volljuden umgehend der Heil- und Pflegeanstalt in Andernach zuzuführen.“134 Die Anstalt in Andernach, von wo die jüdischen Patienten bereits im Frühjahr 1941 nach Hadamar transportiert und getötet worden waren, teilte Buschhausen mit, dass sie die Patienten nicht aufnehme. Esser ließ sich fernmündlich die Richtigkeit der Angaben bestätigen und bat den Regierungspräsidenten am 17. November 1941, den Oberpräsidenten der Rheinprovinz in Kenntnis zu setzen und eine andere Anstalt namhaft zu machen.135 Der Kölner Regierungspräsident meldete dem Ober129 130 131 132 133 134 135

ARSK LKB 6101, Gesundheitspflegerin C. an GSA, 30.8.1941. ARSK LKB 6501, GSA an HuP Bonn, 13.10.1941. ARSK LKB 6501, HuP Bonn an GSA, 18.10.1941. ARSK LKB 6501, GSA an RP, 21.10.1941. ARSK LKB 6076, Entmündigungsakte Arthur Baum. ARSK LKB 6501, GSA an Buschhausen, 13.11.1941. ARSK LKB 6501, GSA an RP, 17.11.1941.

276

Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

Abb. 68  Sechtem, Ansicht der Grauen Burg in Sechtem, Graue-Burgstraße, 1971

Abb. 69  Deportationen in den Osten, Verlegungen aus Bendorf-Sayn 1942

Jüdische Opfer der „Euthanasie“ im Rheinland

277

präsidenten am 27. November 1941, dass sich hier nach einem Bericht des Gesundheitsamtes Bonn-Land noch drei „geistig gestörte Juden“ aufhielten.136 Jüdische Patienten, die nach dem 1. Oktober 1940 der Anstaltspflege bedurften, mussten in die Heil- und Pflegeanstalt in Bendorf-Sayn gebracht werden. Der Träger der Anstalt war die „Reichsvereinigung der Juden“. Die Provinzialverwaltung empfahl daher dem Regierungspräsidenten am 1. Dezember 1941 die Verlegung der Kranken dorthin.137 Der Regierungspräsident gab die Anweisung zur Verlegung am 6. Dezember 1941 an das Gesundheitsamt weiter138, das sie am 12. Januar 1942 nach Sechtem weiterleitete.139 Unter dem Datum des 15. Januar 1942 teilte Frau Buschhausen mit, dass die Anstalt in Sayn die drei Patienten „auch nicht direkt“ aufnehme. Sie müsse zunächst einen schriftlichen Antrag an die Anstalt stellen, der zur Genehmigung nach Berlin gehe. Kranke, die vor 1940 in „arischen Anstalten“ gewesen seien, dürften sie nicht aufnehmen.140 Am 20. Januar 1942 fand schließlich die Verlegung der drei Patienten statt, wie die Heil- und Pflegeanstalt Sayn noch am gleichen Tag „zur Vorlage beim Gesundheitsamt Bonn-Land“ bescheinigte.141 So konnte Esser am 27. Januar 1942 die Ausführung an die Medizinalabteilung melden.142 Von hier aus erfolgte wenige Monate später die Deportation zu ihrer Ermordung im Osten. Arthur Baum wurde am 30. April/3. Mai 1942 ab Koblenz deportiert und kam ins Ghetto Krasniczyn.143 Ebenso geschah es mit Ruth Levy.144 Hans Simons Deportation in den Osten verlief über Koblenz, Köln und Düsseldorf am 15. Juni 1942 in das Vernichtungslager Sobibor.145 Im Gedenk- und Totenbuch der Stadt Leipzig finden sich zwei weitere jüdische Opfer, die gebürtig aus Siegburg stammten. In der Tötungsanstalt Bernburg starb am 2. März 1942 Dagobert David im Alter von 59 Jahren (geb. 29. April 1882)146, am 4. November 1942 im Israelischen Krankenhaus in Leipzig-Dösen Jakob Rosenthal aus Siegburg (geb. 6. Februar 1882).147

136 137 138 139 140 141 142 143 144 145 146

ALVR 13070, Schreiben RP an OP, 27.11.1941. ALVR 13070, Provinzialverwaltung an RP, 1.12.1941. ARSK LKB 6501, RP an GSA, 6.12.1941. ARSK LKB 6501, GSA an Buschhausen, 12.1.1942. ARSK LKB 6501, Buschhausen an GSA, 15.1.1942. ARSK LKB 6501, Bescheinigung HuP Sayn, 20.1.1942. ARSK LKB 6501, GSA an RP, 27.1.1942. https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de837949, abgerufen am: 25.8.2020. https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de914298, abgerufen am: 25.8.2020. https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de962458, abgerufen am: 25.8.2020. http://gedenkbuch.leipzig.de/Details.aspx?id=8c2df0f3-e54c-4932-8d70-9bcae7cb29dc, abgerufen am: 25.8.2020. Hier wird fälschlicherweise der 17.3.1942 als Todestag angegeben. David verstarb allerdings schon am 2. März. Auskunft Ute Hoffmann, Gedenkstätte Bernburg, 22.7.2020. 147 http://gedenkbuch.leipzig.de/Details.aspx?id=3c3a275c-4153-4624-86be-55b92275c729, abgerufen am: 25.8.2020.

278

Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

Abb. 70  Schreiben der Heil- und Pflegeanstalt Sayn, 20.1.1942

4.6 Die Durchführung der organisierten Patientenmorde an Rhein und Sieg Die „Euthanasie“-Aktion lief im Rheinland später als im übrigen Reichsgebiet an.148 Am 30. September 1939 hatte die Provinzialverwaltung eine Umfrage bei allen Anstalten „zu statistischen Zwecken“ begonnen, um Auskunft über die Verteilung der Kranken nach Schweregrad zu erhalten. Die Meldebogen zur Erfassung der Patienten waren vom Reichsministerium des Inneren ohne Beteiligung der Provinzialbehörden zwischen Ende 1939 und Juli 1940 versandt und von den Anstalten ausgefüllt worden.149 Die Dr. Hertz’sche Privatklinik in Bonn erhielt die Aufforderung aus dem Reichsinnenministerium zur Meldung am 11. Juni 1940. Der eingestempelte Stichtag war der 1. Juli 1940. In der Bonner Heil- und Pflegeanstalt nahm, da der Direktor Pohlisch zur Wehrmacht eingezogen worden war, der stellvertretende Leiter Josef Geller die Bogen an. Er wusste um deren Bedeutung, denn Pohlisch und Panse hatten ihn nach ihrer Rückkehr aus Berlin im April 1940 über die bereits laufende „Euthanasie“-Aktion informiert, obwohl sie eigentlich darüber nicht sprechen durften. Geller gab die Unterlagen zum Ausfüllen an die Abteilungsärzte weiter. Die ausgefüllten Meldebogen unterzeichnete er und sandte sie zurück nach Berlin.150 148 Forsbach, „Euthanasie“. 149 Z. B. ALVR, 13073, RMdI an Heil- und Pflegeanstalt Düren, 24.2.1940. 150 Vermerk der Staatsanwaltschaft Bonn, 15.10.1973, zitiert nach Grosse, Psychiatrie, S. 88.

Die Durchführung der organisierten Patientenmorde an Rhein und Sieg

Abb. 71  Erste Phase der „Aktion T4“ im Rheinland, Verlegungen 1940/41

279

280

Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

Abb. 72  Transporte jüdischer Opfer im Februar 1941

Die Durchführung der organisierten Patientenmorde an Rhein und Sieg

281

Hans Aloys Schmitz berichtete im September 1945, dass die Meldebogen für das von der Landesklinik betreute Pauline-von-Mallinckrodt-Heim in Siegburg, das 1903 gegründete Waisenhaus der Stadt, am 22. Juli 1940 von seinem Vertreter nach Berlin geschickt worden waren.151 Erhalten geblieben sind die ausgefüllten Bogen von drei Frauen, die in der Außenstelle der Anstalt in Dattenfeld untergebracht waren: Am 13. Juli 1940 hatte Gotthard Werner je einen Bogen für Elisabeth Giesen (geb. 1871) und für Maria Kroll, geborene Hohmann (geb. 1879), ausgefüllt. Am 19. Juli füllte der Anstaltsarzt Josef Gierlich ihn für die Fürsorgeschwester Wera Temming (geb. 1901) aus. Es ist unbekannt, ob die Bogen nach Berlin geschickt wurden. Die drei Patientinnen wurden nicht in die Tötungsanstalten gebracht. Sie starben in Dattenfeld: Kroll am 19. August 1940, Giesen am 14. September 1943 und Temming am 9. Februar 1945.152 Die ersten Verlegungen von Patienten hatte es im Rheinland bereits im November 1939 gegeben. Diese waren mit Kriegsmaßnahmen begründet und dienten – zunächst – nicht der Tötung. In der Anstalt Bedburg-Hau richtete die Wehrmacht ein Lazarett ein und im Rahmen der Räumung wurden Patienten in Anstalten in der Provinz Hannover verlegt, nach Göttingen, Hildesheim, Liebenburg, Ilten und Himmelsthür. Später sind von hier Kranke in die Tötungsanstalten gebracht worden.153 Der erste Transport aus dem Rheinland in eine Tötungsanstalt fand am 5. März 1940 statt. Patienten aus Bedburg-Hau wurden zunächst in die Anstalt Waldheim transportiert und von hier aus vermutlich in die Tötungsanstalt Brandenburg.154 Einen Tag später brachte ein Zug 457 Patienten aus Bedburg-Hau direkt nach Grafeneck bzw. in Zwischenanstalten wie Zwiefalten.155 Die Berliner Organisatoren der „Euthanasie“ bedienten sich über das Reichsministerium des Inneren der Verwaltung der Rheinprovinz, deren Medizinalabteilung die Aufsicht über die rheinischen Provinzial-Heil- und Pflegeanstalten innehatte. Leiter der Abteilung war seit 1935 der Psychiater Walter Creutz. Er war am 28. Juli 1898 in Osterfeld als Sohn eines Sanitätsrates geboren. Nach der Teilnahme am Ersten Weltkrieg studierte er in Bonn und Münster Medizin. Er promovierte 1923 in Bonn und erhielt im gleichen Jahr seine Approbation. 1925 trat er in die Provinzialverwaltung ein und war in den Provinzial-Heil- und Pflegeanstalten Bedburg-Hau und Düsseldorf-Grafenberg tätig. Er erhielt eine psychiatrische Fachausbildung und wurde 1930 Oberarzt. 1933 trat er in die NSDAP und 1936 in die SA ein. 1935 wechselte er in die Provinzialverwaltung, wo er alsbald zum Medizinaldezernenten für den Psychiatriebereich aufstieg. Seit Mai 1939 war er zudem Geschäftsführer der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater.156 151 152 153 154 155 156

Forsbach, Fakultät, S. 497. Karteikarten Psychiatriemuseum. Hermeler, Euthanasie, S. 49–60; dazu auch oben S. 265. Aufstellung Hermeler, Euthanasie, S. 53, 60–70. Aufstellung Hermeler, Euthanasie, S. 53, 73–75. Werner, Creutz.

282

Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

4.6.1 Der Transport in die Zwischenanstalten Die Organisation der Tötungen von Patienten aus der Rheinprovinz wurde in einer Besprechung am 12. Februar 1941 – einen Tag, nachdem die jüdischen Patienten von Andernach nach Hadamar transportiert worden waren – in Düsseldorf besprochen. Teilnehmer waren sowohl Landeshauptmann Haake als auch der Dezernent für das Gesundheitswesen der Provinzialverwaltung, Walter Creutz. Für die Patienten aus den rheinischen staatlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten war die Tötungsanstalt Hadamar in Hessen vorgesehen. Als Ergebnis der Besprechung wurden die Anstalten Andernach und Galkhausen als Zwischenanstalten eingerichtet. Von dort sollten die Betroffenen dann in die Anstalt in Hadamar gebracht und getötet werden.157 Mit einem Schreiben teilte die Gekrat am 6. März 1941 Creutz mit, dass die Transporte in kurzer Zeit durchgeführt würden: „Wie mir mitgeteilt wurde, stehen den Verlegungen aus Ihrem Bezirk keine Schwierigkeiten mehr entgegen und ist mit dem Beginn dieser Verlegungen für die nächsten Tage zu rechnen.“158 Zunächst mussten aber die ausgewählten Patienten aus den geplanten Zwischenanstalten Andernach und Galkhausen nach Hadamar geschafft werden, um Platz für die Verlegungen aus anderen Anstalten zu bekommen: „Nach Freiwerden von Betten in diesen beiden Anstalten könnte dann mit der Verlegung lt. den Ihnen übersandten Listen begonnen werden.“ Zum Schluss des Schreibens gab es noch einen Tadel für die rheinische Provinzialverwaltung: „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn durch Verlegungen in diese Anstalten die durch die verschiedenen Besprechungen verlorengegangene Zeit etwas aufgeholt werden könnte.“ Die Listen mit den Namen der zu verlegenden Patienten wurden Mitte März 1941 aus Berlin in die einzelnen Provinzial-Heil- und Pflegeanstalten geschickt.159 Diese bereiteten die Verlegung vor: Sie schrieben die Transportlisten, auf denen Name und Geburtsdatum sowie der Kostenträger vermerkt war. Eine weitere Liste umfasste den Besitz der Patienten. Die „Grauen Busse“ der Gekrat holten dann die Patienten, ihren Besitz und die Patientenakte ab. Die Transporte nach Galkhausen und Andernach begannen im Mai 1941. Transporte nach Galkhausen160 Nr.

Anstalt

Datum

Männer

Frauen

Summe

1

Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Düsseldorf-Grafenberg

6.5.1941

28

38

66

2

Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Süchteln-Johannistal – Abt. Waldniel

19.5.1941

106



106

157 Vermerk der Staatsanwaltschaft Bonn, 15.10.1973, zitiert nach Grosse, Psychiatrie, S. 87; Werner, Creutz, S. 186. 158 ALVR 16986, Gekrat an Haacke, 6.3.1941. Auch für die folgenden Zitate. 159 Z. B. ALVR 16986, OP an Direktor Johannistal, 12.3.1941. 160 Dokument 57 Transporte aus Anstalten der Rheinprovinz in die „Zwischenanstalt“ Galkhausen zur Weiterverlegung in die „Vollzugsanstalt“ Hadamar, in: Leipert/Styrnal/Schwarzer, Verlegt, S. 191.

Die Durchführung der organisierten Patientenmorde an Rhein und Sieg

283

Nr.

Anstalt

Datum

Männer

Frauen

Summe

3

Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Süchteln-Johannistal

19.5.1941

31



31

4

Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Süchteln-Johannistal

11.6.1941



85

85

5

Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Düren

20.6.1941

91



91

6

Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Düren

27.6.1941

9

73

82

7

Krefeld-Dreifaltigkeitskloster

12.7.1941



85

85

8

Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Süchteln-Johannistal – Abt. Waldniel

16.7.1941

50



50

9

Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Bedburg-Hau

30.7.1941

74

83

157

10

Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Süchteln-Johannistal

8.8.1941

85



85

11

Krefeld-Dreifaltigkeitskloster

27.8.1941



159

159

474

523

997

Unter den am 19. Mai 1941 von Waldniel nach Galkhausen transportieren Männern war auch Wilhelm Caspare, geboren 1901 in Oberdrees (heute Rheinbach). Vor dem Weitertransport nach Hadamar starb er in Galkhausen am 1. Juni 1941.161 Transporte nach Andernach162 Anstalt

Datum

Männer

Frauen

Summe

Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Süchteln-Johannistal

8.5.1941

91

90

181

Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Düren

17.5.1941

83



83

Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Bonn

20.5.1941

26

25

51

Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Bonn

10.6.1941

27

28

55

Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Bonn

18.6.1941

34

27

61

Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Düren

11.7.1941



86

86

261

256

517

Anzahl Personen bis Abbruch „Aktion T4“ Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Düren

1.8.1941

118



118

Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Düren

8.8.1941

75



75

Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Düren

15.8.1941

Kloster Hoven

2.9.1941



77

77

Heil- und Pflegeanstalt Ebernach

8.9.1941

20



20

213

77

353

161 Hadamar Datenbank ID 15791. 162 Haffke, Rolle, S. 97 f.

63

284

Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

Die ersten fünf Personen aus dem Untersuchungsgebiet waren mit einem Transport am 9. Mai 1941 aus der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Johannistal bei Süchteln nach Andernach gebracht worden: Peter Jonas163, geboren 1882 in Geistingen-Dambroich (heute Hennef), Karl Köndgen164, geboren 1900 in Siegburg-Kaldauen, Josef Müller165, geboren 1889 in Aegidienberg (heute Bad Honnef), Sofie Schmitz (geb. Betzen)166, geboren 1889 in Buschhoven, und Adele Zander167, geboren 1908 in Schwarzrheindorf. Aufgrund der zurückgesandten Meldebogen ordnete die Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten die Überführung von mindestens 184 Personen aus der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn in die „Zwischenanstalt“ Andernach an. Sie stellte Transportlisten zusammen, die Geller ab Anfang 1941 zugingen. Nach dem Eingang der Listen ordnete der Vorsteher der Pfleger an, dass die Abteilungspfleger die Patienten für den Abtransport vorbereiteten. Die Betroffenen, ihre Habe und die Krankenunterlagen wurden der „Gemeinnützigen Krankentransport GmbH“ übergeben, die sie in besonderen Bussen in die Anstalt nach Andernach brachten. Teilweise wurden diese Transporte von Pflegern der Bonner Anstalt begleitet. Über die Transporte aus der Heil- und Pflegeanstalt haben nach dem Krieg Josef Geller und Bernhard Dietrich ausgesagt. Ihre Angaben unterscheiden sich insoweit, als Geller sich auf die fünf Verlegungen in Tötungsanstalten beschränkt, während Dietrich alle größeren Verlegungen angibt. Geller hat nach dem Krieg folgende Angaben zu Anzahl und Umfang der Transporte gemacht168: Ȥ 17 jüdische Anstaltsinsassen am 10. Februar 1941 [es handelte sich um neun Männer und acht Frauen, die am 11. Februar 1941 nach Hadamar gebracht wurden169] Ȥ 34 Männer und 27 Frauen am 18. Juni 1941 nach Andernach und dann nach Hadamar Ȥ 100 Frauen am 29. Mai 1943 nach Andernach Ȥ 100 Männer am 30. Mai 1943 nach Andernach Ȥ 25 Frauen am 6. Juli 1944 nach Obrawalde. Dietrich hat nach dem Krieg detaillierter über weitere Verlegungen ausgesagt170: Ȥ 20 Frauen am 9. Januar 1940 nach Hoven Ȥ 20 Männer am 16. Mai 1940 nach Hoven Ȥ 20 Männer am 30. Januar 1941 nach Bedburg-Hau 163 StA Hennef Geburtsregister 1882 mit Nebeneintrag zu Sterbedatum und Sterbeort; Hadamar Datenbank ID 5602. 164 ALVR 42691; Hadamar Datenbank ID 5686; ARSK LSK 5124/62. 165 StA Königswinter Geburtsregister 1889 mit Nebeneintrag zu Sterbedatum und Sterbeort; Hadamar Datenbank ID 5694. 166 ALVR 42690, 42684, Transportliste Nr. 9 vom 7.7.1941; Hadamar Datenbank ID 5922; ARSK LKB 6905. 167 ALVR 42690, 42684, Transportliste Nr. 9 vom 7.7.1941; Hadamar Datenbank ID 5937. 168 Forsbach, Fakultät, S. 500. 169 Forsbach, Fakultät, S. 499. 170 Forsbach, Fakultät, S. 500.

Die Durchführung der organisierten Patientenmorde an Rhein und Sieg

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Abb. 73  Die sogenannten „Grauen Busse“. Mit ihnen wurden die Opfer der „Euthanasie“ in die Tötungsanstalten transportiert, Beweismittel aus dem Eichberg-Strafprozess

Ȥ Ȥ Ȥ Ȥ Ȥ Ȥ Ȥ Ȥ Ȥ Ȥ Ȥ

neun Männer und acht Frauen am 10. Februar 1941 nach Andernach (vgl. Geller) 20 Männer am 24. April 1941 nach Hausen 20 Frauen am 25. April 1941 nach Hausen 26 Männer und 25 Frauen am 20. Mai 1941 nach Andernach 27 Männer und 28 Frauen am 10. Juni 1941 nach Andernach 34 Männer und 27 Frauen am 18. Juni 1941 nach Andernach (vgl. Geller) zehn Männer und sechs Frauen am 12. August 1942 in das Generalgouvernement 100 Frauen am 29. Mai 1943 nach Andernach (vgl. Geller) 100 Männer am 30. Mai 1943 nach Andernach (vgl. Geller) sechs Frauen am 20. Januar 1944 ins Generalgouvernement 25 Frauen am 6. Juli 1944 nach Obrawalde/Posen (vgl. Geller).

Aus der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn haben im Mai und Juni 1941 drei Transporte stattgefunden, mit denen insgesamt 87 Männer und 80 Frauen, zusammen 167 Personen, in die Zwischenanstalt Andernach gebracht wurden. Darunter waren mindestens 21 Männer und elf Frauen aus dem Untersuchungsgebiet, zusammen 32 Personen. Beim Transport am 20. Mai 1941 von Bonn nach Andernach stammten mindestens 15 Personen aus den beiden untersuchten Kreisen:

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Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

Katharina Adolphs171, geboren 1894 in Lauthausen-Allner (heute Hennef); Karolina Bell, geb. de Bück172, geboren 1890 in Oberpleis-Eudenbach (heute Königswinter); Heinrich Bendermacher173, geboren 1882 in Walberberg; Katharina Büsgen174, geboren 1876 in Ramersdorf (heute Bonn); Elisabeth Husch175, geboren 1893 in Sieglar; Maria Magdalena Klein176, geboren 1906 in Siegburg-Kaldauen; Therese Müller177, geboren 1905 in Berg (heute Hennef); Wilhelm Müller II178, geboren 1877 am Oelinghoven; Heinrich Mundorf179, geboren 1900 in Bergheim (heute Troisdorf); Johann Prangenberg180, geboren 1895 in Uckerath-Hanf (heute Hennef); Josef Schmitz181, geboren 1895 in Siegburg; Anna Söntgen182, geboren 1915 in Merten; Anna Wesseler183, geb. Schlösser, geboren 1884 in Duisdorf (heute Bonn); Peter Weinand184, geboren 1910 in Eitorf-Linkenbach; Gerhard Zimmermann185, geboren 1887 in Uckendorf (heute Niederkassel). Beim Transport am 10. Juni 1941 von Bonn nach Andernach kamen mindestens zehn Personen aus den untersuchten Kreisen: Jakob Bell186, geboren 1889 in Morenhoven (heute Swisttal); Johann Breuer187, geboren 1903 in Ramersdorf; Stefan Hansen188, geboren 1893 in Adendorf (heute Wachtberg); Bartholomäus Hausweiler189, geboren 1901 in Rheidt (heute Niederkassel);

171 ALVR 42691; Hadamar Datenbank ID 5741; ARSK LSK 5202/448. 172 ALVR 42684, Transportliste Nr. 9 vom 7.7.1941; Hadamar Datenbank ID 5746. 173 StA Geburtsregister Sechtem 1882 Nr. 16 mit Nebeneintrag; ALVR 42683, Transportliste Nr. 10 vom 15.8.1941; Hadamar Datenbank ID 6014. 174 ALVR 42684; Hadamar Datenbank ID 5752. 175 ALVR 42691; Hadamar Datenbank ID 5760; ARSK LSK 5154/212. 176 ALVR 42684; Hadamar Datenbank ID 5763. 177 ALVR 42691; Hadamar Datenbank ID 5774; ARSK LSK 5229/584. 178 ALVR 42691; Hadamar Datenbank ID 5724. 179 ALVR 42691; Hadamar Datenbank ID 5723. 180 ALVR 42691; Hadamar Datenbank ID 5727. 181 ALVR 42691; Hadamar Datenbank ID 5732. 182 ALVR 42684, Transportliste Nr. 9 vom 7.7.1941; Hadamar Datenbank ID 5780; ARSK LKB 6938/1 und 6586/84; StA Bornheim Geburtsregister Bornheim 1915, Nr. 75 mit Nebeneintrag. 183 ALVR 42691; Hadamar Datenbank ID 5785. 184 ALVR 42691; Hadamar Datenbank ID 5737; ARSK LSK 5130/92. 185 ALVR 42691; Hadamar Datenbank ID 5740; ARSK LSK 5265/765. 186 ALVR 42690; Hadamar Datenbank ID 5852. 187 ALVR 42690; Hadamar Datenbank ID 5853. 188 ALVR 42690; Hadamar Datenbank ID 5858; ARSK LKB 6682. 189 ALVR 42690; Hadamar Datenbank ID 5859; ARSK LSK 5185/362; Auskunft StA Niederkassel, 15.8.2018.

Die Durchführung der organisierten Patientenmorde an Rhein und Sieg

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Anton Koch190, geboren 1902 in Friesdorf (heute Bonn); Katharina Orth (geb. Lülsdorf)191, geboren 1897 in Siegburg; Anna Peters (geb. Kreutz)192, geboren 1895 in Geistingen-Kurenbach (heute Hennef); Joseph Schmitz193, geboren 1914 in Duisdorf; Franz Schwäbig194, geboren 1917 in Duisdorf; Heinrich Weber195, geboren 1904 in Siegburg-Wolsdorf. Beim Transport am 18. Juni 1941 von Bonn nach Andernach waren mindestens sieben Personen aus den untersuchten Kreisen: Josef Fuhr196, geboren 1884 in Komp; Peter Gimborn197, geboren 1885 in Poppelsdorf, wohnhaft in Bad Godesberg; Ernst Haenchen198, geboren 1906 in Vilich; Michael Nauheimer199, geboren 1912 in Siegburg; Josef Nolden200, geboren 1904 in Oberkassel; Bertha Reinarz (geb. Jansen)201, geboren 1881 in Rosgaard/Flensburg, wohnhaft in Königswinter; Johann Hubert Zavelberg202, geboren 1914 in Heimerzheim (heute Swisttal). Mehrere Namen auf den Transportlisten sind gestrichen. Das geschah nach Vorgaben aus Berlin. Träger von Kriegsauszeichnungen und Patienten, die als gute Arbeiter bekannt waren, konnten vom Abtransport zur Tötung verschont werden. Zwei Namen standen bereits auf einer Liste und wurden dann wieder gestrichen, so Heinrich Haag203, geboren 1891, wohnhaft in Honnef. Hinter seinem Namen stand der Vermerk „EK II“. Die Streichung fand also aufgrund einer Kriegsauszeichnung statt. Bei Wilhelm „Willy“ Söntgen204, geboren 1922 und wohnhaft in Merten, findet sich hinter seinem Namen die Notiz „guter Feldarbeiter“. Seine Arbeitsfähigkeit rettete ihn vor dem Abtransport nach Hadamar. Er verstarb 1993.

190 191 192 193 194 195 196 197 198 199 200 201 202 203 204

ALVR 42690; Hadamar Datenbank ID 5864. ALVR 42690; Hadamar Datenbank ID 5849; Auskunft StA Sankt Augustin, Geburtsregister 1897. ALVR 42690; Hadamar Datenbank ID 5851. ALVR 42690; StA Bonn Du 2353; Hadamar Datenbank ID 5870; ARSK LKB 6903. ALVR 42690; StA Bonn Du 2353; Hadamar Datenbank ID 5871. ALVR 42690; Hadamar Datenbank ID 5872. ALVR 42684, Transportliste Nr. 9 vom 7.7.1941; Hadamar Datenbank ID 5878; ARSK LSK 5130/95. ALVR 42684, Transportliste Nr. 9 vom 7.7.1941; Hadamar Datenbank ID 5880. ALVR 42684, Transportliste Nr. 9 vom 7.7.1941; Hadamar Datenbank ID 5881; ARSK LKB 6680. ALVR 42684, Transportliste Nr. 9 vom 7.7.1941; Hadamar Datenbank ID 5890; ARSK LSK 5118/33. ALVR 42684, Transportliste Nr. 9 vom 7.7.1941; Hadamar Datenbank ID 5891; ARSK LSK 5177/322. ALVR 42684, Transportliste Nr. 9 vom 7.7.1941; Hadamar Datenbank ID 5899. ALVR 42684, Transportliste Nr. 9 vom 7.7.1941; Hadamar Datenbank ID 5897; ARSK LKB 6995. ALVR 42684, Transportliste Nr. 9 vom 7.7.1941. ALVR 42684, Transportliste Nr. 9 vom 7.7.1941; StA Bornheim, Geburtsregister 1922.

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Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

4.6.2 Die Transporte nach Hadamar In den ersten Transporten aus Andernach und Galkhausen nach Hadamar befanden sich die Patienten, die schon länger in den beiden Anstalten untergebracht waren. Sie machten Platz für die aus den anderen Anstalten Ankommenden, die dann ebenfalls nach Hadamar zur Tötung gebracht wurden. In den Zwischenanstalten prüften die Ärzte die Listen noch einmal und stellten neue Transportlisten für die Verlegung in die Tötungsanstalt zusammen. Der erste Transport von Andernach nach Hadamar fand am 23. April 1941 statt, weitere neun folgten; der letzte am 15. August 1941. Insgesamt waren 922 Kranke betroffen, 452 Männer und 470 Frauen.205 Aus Galkhausen wurden die ersten Patienten am 28. April 1941 abtransportiert, von dort aus gab es acht weitere Transporte, zuletzt am 20. August 1941. Die Gesamtzahl betrug 870 Personen, 472 Männer und 398 Frauen.206 Aus beiden Anstalten zusammen sind somit 1792 Patienten nach Hadamar gebracht worden. Transporte von Andernach nach Hadamar 1941207 Nr.

Datum

Männer

Frauen

Summe

1

23.4.1941

90



90

2

25.4.1941



60

60

3

6.5.1941



90

90

4

7.5.1941

90



90

5

8.5.1941

38

52

90

6

7.6.1941

9

41

50

7

18.6.1941

114



114

8

20.6.1941

61

22

83

9

7.7.1941

21

69

90

10

25.7.1941

27

62

89

11

15.8.1941

2

74

76

452

470

922

Als eine der ersten Patienten aus der Region wurde die bereits zwangssterilisierte Christina Dienst mit dem dritten Transport aus Andernach mit 88 anderen Frauen am 6. Mai 1941 nach Hadamar gebracht und dort getötet. Sie war 1902 in Uckerath-Heide (heute Hennef) geboren und 1935 in der Heil- und Pflegeanstalt in Düren untergebracht 205 18 Personen wurden in Hadamar zurückgestellt bzw. nach Andernach zurückgeschickt, Lilienthal, Zwischenanstalt, S. 115. 206 Dokument 58 Weitertransporte aus der „Zwischenanstalten“ Galkhausen in die „Vollzugsanstalt“ Hadamar, in: Leipert/Styrnal/Schwarzer, Verlegt, S. 192. 207 Lilienthal, Zwischenanstalt, S. 115; andere Zahlenangaben bei Haffke, Rolle, S. 95; Transportlisten ALVR 42683–42693.

Die Durchführung der organisierten Patientenmorde an Rhein und Sieg

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Abb. 74  Rauchender Schornstein von Hadamar, Nachlass Pfr. Hans Becker, Fotograf: (vermutl.) Wilhelm Reusch, 1941

worden. Hier stellte am 18. März 1935 der Arzt Martin Steinbrenner einen Antrag auf Unfruchtbarmachung wegen „erblicher Fallsucht“, dem das Erbgesundheitsamt in Aachen am 26. Juni 1935 folgte. Der Beschluss wurde am 9. August 1935 rechtskräftig. Doch vor der Operation kam Dienst am 30. September 1935 in die Anstalt in Andernach. Der Eingriff fand daher am 6. Dezember 1935 im Koblenzer St. ElisabethKrankenhaus statt.208 Im siebten Transport, einem reinen Männertransport am 18. Juni 1941, befanden sich zwei Männer aus der Region. Peter Jonas, geboren 1882 in Geistingen-Dambroich, war in der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt in Süchteln-Johannistal untergebracht. Von hier aus war er am 9. Mai 1941 nach Andernach gebracht worden, wo er 40 Tage blieb. Am 18. Juni 1941 erfolgte sein Weitertransport nach Hadamar. Als Todesdatum meldete das Standesamt Hadamar-Mönchberg den 1. Juli 1941 nach Hennef.209 Ebenfalls am 18. Juni 1941 wurde Paul Krämer, geboren 1912 in Walberberg, aus Andernach nach Hadamar gebracht. Die Meldung seines Todes kam jedoch aus PirnaSonnenstein in Sachsen. Angeblich sei er dort am 30. Juni 1941 verstorben.210 208 ALVR 42685; Hadamar Datenbank ID 5286; ARSK LSK 5188/375. 209 StA Hennef Geburtsregister 1882 mit Nebeneintrag zu Sterbedatum und Sterbeort; Hadamar Datenbank ID 5602. 210 StA Bornheim Geburtsregister Bornheim 1912 Nr. 177 mit Nebeneintrag; ALVR 42688, Transportliste Nr. 7; Hadamar Datenbank ID 5624.

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Mit dem achten Transport am 20. Juni 1941 wurden Männer und Frauen von Andernach nach Hadamar gebracht, darunter 17 Personen aus der Region. Zwei von ihnen waren am 9. Mai 1941 zusammen mit Peter Jonas aus Süchteln-Johannistal gekommen. Es handelte sich um Karl Köndgen und Josef Müller. Köndgen, geboren als zweites von sechs Kindern im Jahr 1900 in Siegburg-Kaldauen, hatte als Säugling ab dem Alter von drei Monaten Krämpfe, die aber mit einem Jahr aufhörten. Seit dem Alter von vier Jahren hatte er Anfälle, oft vier- bis fünfmal in der Woche. Nach acht Jahren Volksschule, von denen er ein halbes Jahr aus gesundheitlichen Gründen ausgesetzt hatte, erlernte er das Schuhmacherhandwerk, das er achteinhalb Jahre ausübte. Anfang 1934 befand er sich schon in der Anstalt Süchteln-Johannistal. Hier erfolgten am 31. Januar 1934 die Anzeige und am 14. März 1934 der Antrag auf Unfruchtbarmachung wegen „erblicher Fallsucht“ durch den Direktor. Das Erbgesundheitsgericht dort ordnete in Abwesenheit von Köndgen und nur auf das ärztliche Gutachten des Antrages gestützt am 7. August 1934 an, dass Köndgen zu sterilisieren sei. Erst danach, am 20. August 1934, bestellte das Gericht einen Büroinspektor des Jugendamtes Mönchengladbach als Pfleger für das Erbgesundheitsgerichtsverfahren. Am 5. Dezember 1934 erfolgte die Operation im Allgemeinen Krankenhaus in Viersen. Ob Köndgen die Anstalt bis zum Transport nach Andernach noch einmal verlassen hat, ist unbekannt.211 Josef Müller, geboren 1889 in Aegidienberg, befand sich 1940 in Süchteln-Johannistal und wurde am 6. November 1940 in die Abteilung Waldniel verlegt. Von dort kam er am 3. April 1941 zurück, aber nur, um etwa einen Monat später nach Andernach und dann nach Hadamar gebracht zu werden. Das Todesdatum ist angeblich der 4. Juli 1941.212 Die anderen 15 Personen waren am 20. Mai 1941 aus der Bonner Heil- und Pflegeanstalt nach Andernach gebracht worden. Wilhelm Müller II wurde 1877 in Oelinghoven geboren. Warum er in der Bonner Anstalt war, ist unbekannt.213 Über Heinrich Mundorf, geboren 1900 in Bergheim, ist nicht mehr bekannt.214 Johann Prangenberg wurde 1895 in Uckerath-Hanf geboren und war Landwirt. Es ist unbekannt, warum er in der Bonner Anstalt war.215 Josef Schmitz wurde am 23. Februar 1895 in Siegburg geboren. Auch bei ihm ist der Grund der Anstaltsunterbringung nicht bekannt.216 Peter Weinand, geboren am 15. Februar 1910 in Eitorf-Linkenbach, war Kirchenschweizer und 1934 in der Bonner Anstalt. Dort hatte der stellvertretende Direktor Josef Geller nach der Anzeige von Ernst Störring einen Antrag auf Unfruchtbarmachung aufgrund der Diagnose „angeborener Schwachsinn“ gestellt.217 Als Pfleger für das Verfahren war Karl Reh211 ALVR 42691; Hadamar Datenbank ID 5686; ARSK LSK 5124/62. 212 StA Königswinter Geburtsregister 1889 mit Nebeneintrag zu Sterbedatum und Sterbeort; Hadamar Datenbank ID 5694. 213 ALVR 42691; Hadamar Datenbank ID 5724. 214 ALVR 42691; Hadamar Datenbank ID 5723. 215 ALVR 42691; Hadamar Datenbank ID 5727. 216 ALVR 42691; Hadamar Datenbank ID 5732. 217 ALVR 42691; Hadamar Datenbank ID 5737; ARSK LSK 5130/92.

Die Durchführung der organisierten Patientenmorde an Rhein und Sieg

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bein aus Bonn bestellt. Am 5. September 1934 beschloss das Gericht unter dem Vorsitz von Ludwig Clostermann und den Beisitzern Franz Heinrich Faller und Walther Haupt die Unfruchtbarmachung. Der Eingriff erfolgte am 10. November 1934 in der Chirurgischen Universitätsklinik Bonn durch den Arzt Hans Fuß. Gerhard Zimmermann, geboren 1887 in Uckendorf, war Invalide. Aus diesem Grund wurde er von dem Arzt Günter Elsässer in der Bonner Heil- und Pflegeanstalt untersucht, der daraufhin das Gutachten verfasste, das dem Antrag auf Unfruchtbarmachung wegen „erblicher Fallsucht“ vom 26. Mai 1936 durch Josef Geller beilag.218 In seiner Verhandlung am 16. Juli 1936 beschloss das Gericht unter dem Vorsitz von Viktor Genniges mit den Beisitzern Franz Heinrich Faller und Florin Laubenthal, den Antrag abzulehnen. Zur Begründung gab es an: „Der Patient wird auf Grund seines Zustandes niemals wieder Geschlechtsverkehr vollziehen können und wird deshalb und weil eine Fallsucht nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden kann, nicht unfruchtbar gemacht.“ Der weitere Lebensweg bis Andernach ist nicht bekannt. Katharina Adolphs, geboren 1894 in Allner, war seit Anfang 1935 in der Bonner Anstalt, wo am 31. Juli 1935 vom stellvertretenden Direktor Josef Geller Anzeige und Antrag auf Unfruchtbarmachung wegen „angeborenen Schwachsinns“ und Schizophrenie gestellt wurden.219 Wie Geller in einem Schreiben an das Gesundheitsamt mitteilte, drängten die Angehörigen auf eine Entlassung. Geller beschrieb Adolphs als ledig, sie habe nie geboren und habe wenig Interesse am männlichen Geschlecht gezeigt. Demgegenüber stehe ihre Fortpflanzungsfähigkeit. Die Angehörigen, besonders der Schwager, seien „sehr ablehnend und uneinsichtig“ sowie „mit nicht angebrachten Äusserungen gegenüber Kollegen sehr unvorsichtig.“ Beim Verfahren stand Adolphs ihr Bruder zur Seite. Das Gericht beschloss am 22. August 1935 unter dem Vorsitz von Ludwig Clostermann mit den Beisitzern Hubert Lohmer und Walther Haupt, den Antrag abzulehnen. Zur Begründung führte es aus, dass es sich zwar der Diagnose anschließe, aber die Unfruchtbarmachung für nicht erforderlich halte. Es gebe keine Gefahr, dass die Patientin sich fortpflanze. Sie sei nun 41 Jahre alt und habe sich noch nie um das andere Geschlecht gekümmert: „Sie lebt bei ihrem Bruder in einem stillen Dorf.“ Dieser habe einen guten Eindruck gemacht und versprochen, weiter für sie zu sorgen. Das Gericht finde keinen Anhaltspunkt, dass die Patientin heiraten oder außerhalb der Ehe geschlechtlichen Verkehr pflegen werde. Die Konzeptionsfähigkeit läge bei einer 41-jährigen Frau, die noch nie geboren habe, bei 1,8 Prozent. Damit sei mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass sie keine Kinder mehr bekomme. Das Gericht verwies auf die Rechtsprechung durch das Erbgesundheitsgericht Königsberg. Da der Antragsteller auf eine Beschwerde verzichtete, war der Beschluss rechtskräftig. Ob sie tatsächlich aus der Bonner Anstalt entlassen wurde, ist unbekannt. Zumindest aber war sie im Mai 1941 wieder dort. 218 ALVR 42691; Hadamar Datenbank ID 5740; ARSK LSK 5265/765. 219 ALVR 42691; Hadamar Datenbank ID 5741; ARSK LSK 5202/448. Auch für die folgenden Zitate.

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Elise Berg war 1887 in St. Goar geboren und wohnte in Niederdollendorf. Am 31. Juli 1934 stellte nach einer Anzeige von Hans Aloys Schmitz der stellvertretende Direktor der Bonner Anstalt den Antrag auf Unfruchtbarmachung aufgrund der Diagnose Schizophrenie. In der Verhandlung vom 25. September 1934 beschloss das Gericht unter dem Vorsitz von Heinrich Heiermann mit den Beisitzern Bruno Bange und Fritz Koester die Unfruchtbarmachung, die am 18. Dezember 1934 in der Bonner Universitäts-Frauenklinik von Wilhelm Schüler durchgeführt wurde. Mehr ist über sie nicht bekannt.220 Gertrud Brenner, geb. Löhrer, wurde 1884 in Bornheim geboren. Sie wohnte in Troisdorf. Wegen attestierter Schizophrenie erfolgte eine Anzeige der Heil- und Pflegeanstalt Göttingen am 26. Februar 1934. Ihr Todesdatum ist angeblich der 30. Juni 1941.221 Katharina Büsgen wurde 1875 in Ramersdorf geboren. Aus welchen Gründen sie in der Bonner Anstalt war, ist unbekannt.222 Elisabeth (Elise) Husch, geboren am 13. September 1898 in Sieglar (heute Troisdorf), wurde am 26. September 1934 während ihres Aufenthaltes in der Bonner Anstalt von dem Arzt Joachim Linzbach wegen Schizophrenie angezeigt. Einen Antrag stellte die Anstalt „wegen voraussichtlich dauernder Anstaltspflegebedürftigkeit“ nicht. Es bestehe keine „Fortpflanzungsgefahr“.223 Maria Magdalena Klein wurde 1906 in Siegburg-Kaldauen geboren, mehr ist über sie nicht bekannt.224 Therese Müller, geboren 1905 in Berg, war am 11. Juli 1935 vom Assistenzarzt in der Bonner Anstalt Lothar Diehm aufgrund der Diagnose Schizophrenie angezeigt worden, der stellvertretende Direktor Josef Geller stellte dementsprechend einen Antrag auf Unfruchtbarmachung.225 Noch vor dem Gerichtstermin erhob sie mit Hilfe ihres Bruders Peter Müller Einspruch. Sie bestritt die Diagnose, die nach dem ersten Schub verfrüht sei. Außerdem habe es nie eine Neigung zum männlichen Geschlecht gegeben. Sie baten um eine Zurücksetzung um ein halbes Jahr. Das Gericht unter dem Vorsitz von Ludwig Clostermann mit den Beisitzern Hubert Lohmer und Hans Aloys Schmitz beschloss am 8. August 1935 jedoch die Unfruchtbarmachung. Nach Ansicht des Gerichtes sei die Diagnose gesichert, es bestünden keine Zweifel. In zwei Schreiben vom 20. August und 5. September 1935 legte die Betroffene Beschwerde ein. Das Urteil gehe fehl und sei „schablonenhaft“, die Art der Krankheit entbehre der eindeutigen Feststellung. Nach einer einjährigen Beobachtung gebe es keine Symptome einer Vererblichkeit. Das Erbgesundheitsobergericht wies in seiner Sitzung am 31. Oktober 1935 unter dem Vorsitz von Erich Kopelke mit den Beisitzern Bernhard Dietrich und Walther Jahrreis die Beschwerde zurück. Das Gericht beschäftigte die Frage, ob bei der Diagnose Schizophrenie eine Erblichkeit Voraussetzung für eine Sterilisation sein müsse. Es kam zu dem Schluss, dass „ein Zweifel nicht obwalten“ könne. Während bei fünf von acht im Gesetz aufgezählten Erb220 221 222 223 224 225

ALVR 42691. StA Bornheim Geburtsregister Bornheim 1884 Nr. 24 mit Nebeneintrag; Hadamar Datenbank ID 10283. ALVR 42684; Hadamar Datenbank ID 5752. ALVR 42691; Hadamar Datenbank ID 5760; ARSK LSK 5154/212. ALVR 42684; Hadamar Datenbank ID 5763. ALVR 42691; Hadamar Datenbank ID 5774; ARSK LSK 5229/584. Auch für die folgenden Zitate.

Die Durchführung der organisierten Patientenmorde an Rhein und Sieg

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krankheiten ausdrücklich das Wort „erblich“ hinzugefügt sei, fehle dieses Wort im Gesetz bei der Schizophrenie. Daher sei der Nachweis nicht Voraussetzung für die Unfruchtbarmachung. Der Betroffene erkranke in der Regel nur aufgrund einer entsprechenden „krankhaften Erbveranlagung“. Diese trete nicht bei jedem auch äußerlich in Erscheinung. Es gebe eine leichte Form, die nicht erkannt werde. Richtig sei, dass nur ein Elternteil krank sei. Das sei dem Gesetzgeber bekannt und es werde trotzdem als Erbkrankheit bezeichnet. Schon aus diesem Grunde könne aus dem Gesichtspunkt der „Erbkraft“ der Schizophrenie heraus bei der hier in Rede stehenden Kranken eine Ausnahme nicht gemacht werden. Im Übrigen sei zu berücksichtigen: Bei einem erbkranken Elternteil habe durchschnittlich 9,1 Prozent der Kinder ebenfalls Schizophrenie und deren Kinder wiederum seien zu 40,2 Prozent abnorm. Daraus errechnete das Gericht – durch einfaches Addieren! – einen Erbkrankenanteil der Nachkommen von rund 49 Prozent. Ein letztes Mal versuchte Peter Müller die Durchführung aufzuhalten und verwies am 19. November 1935 auf einen Formfehler. Die Rechtsmittelbelehrung des Erbgesundheitsobergerichtes fehle. Doch dieses beschied ihm, dass diese nicht vorgeschrieben sei. Die Operation fand am 5. Dezember 1935 durch Hans Rupp in der Bonner UniversitätsFrauenklinik statt. Therese Müller starb angeblich zehn Tage nach dem Transport, am 30. Juni 1941 in Hadamar. Anna Wesseler, geb. Schlösser, wurde 1884 in Duisdorf geboren. Über sie ist weiter nichts bekannt.226 Elisabeth Schumacher wurde 1881 in Ramersdorf geboren. Mehr ist über sie nicht bekannt.227 Beim Transport vom 7. Juli 1941 von Andernach nach Hadamar stammten zehn Personen aus dem Untersuchungsgebiet, die am 10. Juni von Bonn nach Andernach gebracht worden waren: Jakob Bell228, geboren 1889 in Morenhoven; Johann Breuer229, geboren 1903 in Ramersdorf; Stefan Hansen230, geboren 1893 in Adendorf; Bartholomäus Hausweiler231, er starb in Hadamar angeblich am 17. Juli 1941; Anton Koch232, geboren 1902 in Friesdorf; Katharina Orth (geb. Lülsdorf)233, sie starb angeblich in Bernburg am 21. Juli 1941; Anna Peters (geb. Kreutz)234, geboren 1895 in Geistingen-Kurenbach, sie wohnte in Köln und starb in Hadamar angeblich am 16. Juli 1941235; 226 227 228 229 230 231 232 233 234 235

ALVR 42691; Hadamar Datenbank ID 5785. ALVR 42691. ALVR 42690; Hadamar Datenbank ID 5852. ALVR 42690; Hadamar Datenbank ID 5853. ALVR 42690; Hadamar Datenbank ID 5858; ARSK LKB 6682. ALVR 42690; Hadamar Datenbank ID 5859; ARSK LSK 5185/362; Auskunft StA Niederkassel, 15.8.2018. ALVR 42690; Hadamar Datenbank ID 5864. ALVR 42690; Hadamar Datenbank ID 5849; Auskunft StA Sankt Augustin. ALVR 42690; Hadamar Datenbank ID 5851. StA Hennef Geburtsregister 1895 mit Nachtrag zu Sterbedatum und Sterbeort.

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Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

Joseph Schmitz236 starb in Hadamar angeblich an Furunkulose und Sepsis am 18. Juli 1941; Franz Schwäbig237 starb in Hadamar, angeblich am 15. Juli 1941; Heinrich Weber238 starb in Hadamar, angeblich am 14. Juli 1941.

Abb. 75  Hauptgebäude der Tötungsanstalt Hadamar, vom amerikanischen Militär aufgenommen, Foto: Peters A. Troy, 7.4.1945

Der Transport vom 25. Juli 1941 von Andernach nach Hadamar umfasste neun Personen aus dem Untersuchungsgebiet. Aus Johannistal kamen zwei Patienten: Sofie Schmitz (geb. Betzen)239, das Todesdatum ist unbekannt; Adele Zander240, das Todesdatum ist unbekannt. Aus Bonn kamen neun Patienten: Karolina Bell (geb. de Bück) starb in Hadamar angeblich am 16. August 1941; bei Josef Fuhr ist das Todesdatum unbekannt, der Todesort angeblich Bernburg; bei Michael Nauheimer ist das Todesdatum ebenfalls unbekannt; Josef Nolden starb angeblich in Pirna-Sonnenstein am 13. August 1941; das Todesdatum von Bertha Reinarz (geb. Jansen) ist unbekannt; Anna Söntgen starb angeblich in Hart236 237 238 239 240

ALVR 42690; StA Bonn Du 2353; Hadamar Datenbank ID 5870; ARSK LKB 6903. ALVR 42690; StA Bonn Du 2353; Datenbank Hadamar ID 5871. ALVR 42690; Hadamar Datenbank ID 5859; ARSK LSK 5185/362; Auskunft StA Niederkassel, 15.8.2018. ALVR 42690; ALVR 42684, Transportliste Nr. 9; Hadamar Datenbank ID 5922, ARSK LKB 6905. ALVR 42690, 42684, Transportliste Nr. 9 vom 7.7.1941; Hadamar Datenbank ID 5937.

Die Durchführung der organisierten Patientenmorde an Rhein und Sieg

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heim am 12. August 1941; Peter Gimborn starb in Hadamar angeblich am 14. August 1941; bei Ernst Haenchen ist das Todesdatum unbekannt, ebenso bei Johann Hubert Zavelberg. Im letzten Transport am 15. August 1941 von Andernach nach Hadamar befand sich eine Person aus dem Untersuchungsgebiet: Heinrich Bendermacher241, sein Todesdatum ist der 15. August 1941. Nach heutigen Erkenntnissen muss davon ausgegangen werden, dass die Patienten, die nach Hadamar gebracht wurden, dort kurz nach ihrer Ankunft getötet wurden. Ihr Tod ist nicht unmittelbar dokumentiert, alle Unterlagen sind vernichtet worden. Die Leichen der Getöteten wurden im Krematorium von Hadamar verbrannt. Den Angehörigen wurden die Todesnachricht und zwei Sterbeurkunden zugesandt, die von dem fingierten Standesamt Hadamar-Mönchberg ausgestellt worden waren. Die Benachrichtigung enthielt eine Begründung, dass die Verlegung aufgrund von Maßnahmen im Zusammenhang mit den militärischen Ereignissen erfolgte, eine erfundene Todesursache und den Hinweis, dass die Urne mit der Asche auf Wunsch zugeschickt werde. Auf diese Weise sind in den Friedhofsakten des Amtes Duisdorf zwei Sterbeurkunden erhalten geblieben. Franz Schwäbig aus Duisdorf, geboren 1917, war am 7. Juli 1941 nach Hadamar transportiert worden und starb dort angeblich am 15. Juli 1941. Als Todesursache war Ruhr und Kreislaufschwäche angegeben. Der ebenfalls am 7. Juli 1941 nach Hadamar verlegte Joseph Schmitz aus Duisdorf, geboren 1914, starb dort angeblich am 18. Juli 1941 an Furunkulose und Sepsis. Der tatsächliche und der beurkundete Todestag lagen meist weit auseinander. Für diese Tage rechnete die eigens dafür gegründete Tarnorganisation weiterhin Verpflegungstage bei den Versicherungsträgern ab, so dass mit den Ermordeten sogar nach ihrem Tod noch ein finanzieller Gewinn gemacht wurde.242 Nach dem Stopp der Tötungen in Hadamar fanden noch Transporte in die „Zwischenanstalt“ Andernach statt. Teilweise wurden die Patienten in ihre Ursprungsanstalten zurückverlegt, teilweise blieben sie in Andernach.243 Transporte von Galkhausen nach Hadamar 1941244 Nr.

Datum

Männer

Frauen

1

28.4.1941

90



2

2.5.1941



90

3

5.5.1941

90



4

27.5.1941

45

45

241 StA Bornheim Geburtsregister Sechtem 1882 Nr. 16 mit Nebeneintrag; ALVR 42683, Transportliste Nr. 10 vom 15.8.1941; Hadamar Datenbank ID 6014. 242 Sandner, Verwaltung, S. 482. 243 Haffke, Rolle, S. 95 f. 244 Dokument 58 Weitertransporte aus der „Zwischenanstalt“ Galkhausen in die „Vollzugsanstalt“ Hadamar, in: Leipert/Styrnal/Schwarzer, Verlegt, S. 192.

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Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

Nr.

Datum

Männer

Frauen

5

24.6.1941

61

31245

6

30.6.1941

92

–246

7

22.7.1941



77247

8

28.7.1941

94

70248

9

20.8.1941



85249

472

398

Gesamt

870

Aus dem Untersuchungsgebiet lassen sich nur drei Personen nachweisen, die von der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Galkhausen in die Tötungsanstalt Hadamar gebracht wurden. Johann Busch wurde mit dem dritten Transport am 5. Mai 1941 von Galkhausen nach Hadamar gebracht und getötet.250 Er war 1899 in Ersdorf (heute Meckenheim) geboren, seit 1915 in Anstalten untergebracht und 1939 nach Galkhausen gekommen. Mit dem achten Transport am 28. Juli 1941 wurde Otto Orfgen251, geboren 1894 in Weyerbusch, zuletzt wohnhaft in Troisdorf, nach Hadamar gebracht. Er war bereits seit 1929 der Bonner Heil- und Pflegeanstalt bekannt. Orfgen befand sich nach einer Einweisung wegen eines Sexualdeliktes seit dem 21. Mai 1937 erneut dort und war am 17. August 1937 von Gotthard Werner wegen „angeborenen Schwachsinns“ angezeigt worden. Auf den gleichen Tag datiert auch der Antrag auf Unfruchtbarmachung. Am 23. September 1937 folgte das Erbgesundheitsgericht unter dem Vorsitz von Joseph Lepique mit den Beisitzern Bruno Bange und Alfred Peipers dem Antrag. Sein Pfleger, der NSV-Kreisamtsleiter Ernst Schulz, verzichtete auf eine Beschwerde. Die Operation fand am 20. November 1937 in Düren statt, wohin Orfgen offensichtlich verlegt worden war. Seit wann Catharina Koenig, geboren 1886 in Bornheim, in Galkhausen untergebracht war, ist unbekannt. Am 20. August 1941 wurde sie mit dem neunten Transport nach Hadamar gebracht und starb dort angeblich am 25. August 1941.252 Eine nach 1945 in der Tötungsanstalt Hartheim aufgefundene Aufstellung aus dem Jahr 1941 zeigt die „Bilanz“ bis zum Stopp der Morde in den Tötungsanstalten im August 1941.253 245 Hierbei handelte es sich um 36 Männer aus Waldniel sowie 25 Männer und 31 Frauen aus Grafenberg, Leipert/Styrnal/Schwarzer, Verlegt, S. 192. Zu den elf Transporten in die „Zwischenanstalt“ Galkhausen Leipert/Styrnal/Schwarzer, Verlegt, S. 191. 246 65 Männer aus Waldniel und 27 aus Süchteln, Leipert/Styrnal/Schwarzer, Verlegt, S. 191. 247 77 Frauen aus Süchteln, Leipert/Styrnal/Schwarzer, Verlegt, S. 191. 248 90 Männer und 66 Frauen aus Düren, vier Männer und vier Frauen aus Galkhausen, Leipert/Styrnal/ Schwarzer, Verlegt, S. 191. 249 85 Frauen aus dem Dreifaltigkeitskloster in Krefeld, Leipert/Styrnal/Schwarzer, Verlegt, S. 191. 250 Hadamar Datenbank ID 6223. 251 Hadamar Datenbank ID 6670, ARSK LSK 5328/1077. 252 StA Bornheim Geburtsregister Bornheim 1881 Nr. 99 mit Nebeneintrag; Hadamar Datenbank ID 6813. 253 Klee, Euthanasie, S. 340.

Die Durchführung der organisierten Patientenmorde an Rhein und Sieg

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Die sogenannte „Hartheimer Statistik“ Tötungsanstalt

1940

1941

Gesamt

A (Grafeneck)

9839



9839

B (Brandenburg)

9772



9772

Be (Bernburg



8601

8601

C (Hartheim)

9670

8599

18.269

D (Sonnenstein)

5943

7777

13.720

E (Hadamar)



10.072

10.072

Gesamt

35.224

36.049

70.273

Aufgrund dieser Aufstellung wurde 1942 die Ersparnis allein an Lebensmitteln für 10 Jahre in Höhe von 141.775.573,80 RM errechnet.254 Die gesamte Einsparung betrug nach internen Berechnungen bei einem Tagessatz pro Person von 3,50 RM genau 885.439.800,00 RM.255 Eine weitere Statistik vom Januar 1942 weist die Zahl von 93.251 „Betten“ auf, die eine neue Verwendung fanden.256 4.6.3 Spurensuche: Widerstand gegen die Medizinverbrechen? Trotz aller Geheimhaltung und Tarnung ließen sich die Tötungen nicht lange verheimlichen. Zum einen waren sehr viele Personen daran beteiligt, zum anderen gab es Angehörige, Vormünder und weitere Personenkreise, die ein Interesse am Schicksal der Patienten hegten und die Vorgänge nicht unhinterfragt hinnahmen. Neben der persönlichen Betroffenheit stand die Anteilnahme am Geschehen, das in den Augen vieler Menschen aus moralischen und rechtlichen Gründen verwerflich war. Das Spektrum des Widerstandes gegen die „Aktion T4“ reicht von der Ablehnung bis zum öffentlichen Protest. Widerstand von Ärzten?

Aus dem Personenkreis der direkt an den Tötungen beteiligten Täter lässt sich bis 1945 kein Widerstand feststellen. Eine Beteiligung der untersuchten Ärzte an den Verbrechen, aber auch am Widerstand dagegen lässt sich ebenfalls nicht nachweisen. Die Amtsärzte mussten Kinder nach Berlin melden und waren auch auf Weisung aus der Reichshauptstadt für die Einweisung in die „Kinderfachabteilungen“ zuständig. Obwohl es Fälle von ermordeten Kindern gegeben hat, existiert in der schriftlichen Überlieferung der Archive kein unmittelbarer Hinweis darauf. Elisabeth Radke, die von Oktober 1939 bis Oktober 1941 als Kreisfürsorgerin im Siegkreis tätig war, hat sich nach 1945 für den Amtsarzt Bruno Bange eingesetzt. In ihrer Bescheinigung geht sie indirekt auf die „Euthanasie“ ein: 254 Klee, Euthanasie, S. 24. 255 Trus, Reinigung, S. 161. 256 Klee, Euthanasie, S. 340.

298

Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg „Ich kann bezeugen, dass in meinem Bezirk nicht ein einziges Kind, das geisteskrank oder schwachsinnig war, durch das Gesundheitsamt in eine Anstalt kam, obwohl die Verfügung bestand, dass die Eltern dieser Kinder dahin aufzuklären waren, ihr Kind in eine Anstalt zu tun, wo ‚beste Pflege und Behandlung‘ garantiert wurde. Mir ist bekannt, dass Herr Obermedizinalrat Dr. Bange selbst die Eltern aufsuchte, um ihnen zu verstehen zu geben, ihr Kind niemals in eine Anstalt zu tun.“257

Dies belegt zumindest, dass Bange wusste oder ahnte, was mit den Kindern passieren würde. Während einige kirchlich geführte Anstalten versuchten, die Verlegungen und damit die Tötungsaktion zu boykottieren – zu nennen sind hier die evangelischen Anstalten Tannenhof Remscheid und Hephata Rheydt258 –, kam von den staatlichen Anstaltsleitungen kein offener Widerspruch. Die verantwortlichen Ärzte in der Bonner Heil- und Pflegeanstalt haben ihre Rolle nach 1945 heruntergespielt. Der stellvertretende Leiter Josef Geller schätzte nach dem Krieg die Zahl der Todesopfer einmal auf „30–40“, ein anderes Mal auf „50–60“. Die tatsächlichen Zahlen sind wohl höher einzuschätzen.259 Auch wenn von einer höheren Zahl an Opfern ausgegangen werden muss, war die Leitung in Berlin unzufrieden. Wie schon bei den Begutachtungen durch Pohlisch und Panse erschienen sie ihr zu niedrig. Sie lösten eine Inspektion durch „2 SS Ärzte der Berliner Zentrale“ aus, die Geller gegenüber „offen die Anstalt als Sabotageanstalt bezeichneten“.260 Abb. 76  Kurt Pohlisch vor einer ErbgesundheitsGeller verteidigte sich daher nach 1945: schautafel, undatiert „Eine offene Auflehnung […] war sinnlos; sie hätte den Kranken nur noch grösseren Schaden gebracht. Denn es wären dann nur ‚zuverlässige‘ Parteimitglieder an Stelle der ‚Saboteure‘ gesetzt worden, und die Kranken wären wahllos in vielfacher Zahl geopfert worden. Wir haben in Bonn jedenfalls erreicht, dass nur 50–60 Kranke Opfer des Euthanasiegesetzes [!] geworden sind, während in anderen Anstalten Tausende zu Tode kamen.“ 257 ARSK PA 1820, Bescheinigung Radke, 1945. 258 Verweigerung zum Ausfüllen der Meldebogen 1940/41, Kaminsky, Zwangssterilisation, S. 344–355, hier S. 350. Noch einmal 1943, Kaminsky, Zwangssterilisation, S. 374–376. 259 Forsbach, Fakultät, S. 498. 260 Nach Forsbach, Fakultät, S. 498.

Die Durchführung der organisierten Patientenmorde an Rhein und Sieg

299

Gefährdete Patienten konnten allerdings vor dem Abtransport bewahrt werden, wenn ihre Akte mit einem besonderen Aufkleber gekennzeichnet war: „Für Unterricht und Forschung wichtiger Fall! Prof. Pohlisch bittet, von Verlegung Abstand zu nehmen.“261 Ein nachweisbarer Fall für widerständiges Verhalten in der Region kommt dennoch aus der Bonner Heil- und Pflegeanstalt. Dort hat der Arzt Josef Gierlich offenbar Angehörigen von Patienten dazu geraten, ihre Verwandten aus der Anstalt nach Hause zu holen. Der Brief eines Vaters aus dem Jahr 1946 bezeugt dies: „Es war am 15. September 1941[,] als ich zum Geburtstag meines Sohnes dort war. Da sagten Sie zu mir[,] nehmen Sie Ihren Sohn sofort mit nach Hause. Als ich fragte weshalb[,] da sagten Sie[,] es kann der Befehl plötzlich kommen von Berlin aus[,] das[s] ihr Sohn abgeholt wird und dann ist es zu spät, dann sind wir machtlos[,] welches uns sehr leid tut. Als ich zu Ihnen sagte[,] ich könnte ihn nicht allein fortbringen[,] rieten Sie mir noch mal dringend[,] ihn mitzunehmen. Da fuhr ich schnell nach Hause und nahm mir noch einen Mann mit und holte meinen Sohn nach Hause.“262

Die Not der Angehörigen

Die nächsten Angehörigen hielten Kontakt mit den Patienten durch Besuche, Briefe und Pakete. Götz Aly wies daraufhin, dass gerade Kranke, die einen intensiven Kontakt mit ihren Angehörigen hatten, von dem Abtransport in eine Tötungsanstalt verschont blieben. Wenn besorgte Verwandte auf eine Entlassung bestanden, durften oder sollten sogar die Anstaltsleiter der Forderung nachkommen.263 Ausgewählt wurden eher Patienten, die keine Angehörigen oder nur wenig Kontakt mit diesen hatten, oder jene, die dem Pflegepersonal zu viel Arbeit machten, also verhaltensauffällig oder schwerstpflegebedürftig waren. Die Benachrichtigung über die Verlegung eines Kranken kam für viele Angehörige ebenso überraschend wie die Todesnachricht. Abschied zu nehmen blieb ihnen versagt, zumal die Leiche sofort verbrannt wurde. Zurück blieb die Verwunderung über die schnelle Verschlechterung des Zustandes und den plötzlichen Tod. Manche Angehörige verlangten von den Ärzten Aufklärung darüber, wie es dazu kommen konnte. Das Vertrauen in die Ärzte war aber dennoch so groß, dass kaum einer auf den Gedanken kam, dass hier gezielt Menschen getötet wurden. Für Angehörige war die geschickt getarnte Aktion kaum zu durchschauen. Durch Gerüchte kamen ihnen aber die Tötungen im Laufe des Jahres 1940 zu Ohren. Die in Honnef geborene Witwe Alice Kirschstein (1872–1967), deren verstorbener Ehemann Paul Kirschstein (1863–1930) Staatssekretär im Reichsverkehrsministerium gewesen war, wandte sich am 5. November 1940 an die Medizinalabteilung im württembergischen Innenministerium und schilderte ihre Seelennot nach dem Tod ihres zweiten Sohnes, der bei den Krankenmorden ums Leben gekommen war: 261 Zitiert nach Forsbach, Fakultät, S. 498. 262 Forsbach, Fakultät, S. 498 f., nach LAV NRW R NW 1053–52, Schwarz an Gierlich, 25.7.1946. 263 Aly, Belasteten, S. 71.

300

Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg „Dies Ereignis hat meine Gesundheit schwer beschädigt und ich kann noch jetzt nach drei Monaten über die Art seines Todes nicht hinwegkommen. Ich muss dem Ministerium aber noch weiter mitteilen, dass nicht nur die Tatsache, dass schon viele Hunderte von Geisteskranken auf dieselbe Weise beseitigt worden sind, im Volk bekannt geworden ist und in allen christlich denkenden Kreisen der Bevölkerung Unwillen und Erbitterung hervorgerufen hat, sondern dass auch alle diejenigen schwer beunruhigt sind, die ihre Angehörigen in Irren- und anderen Anstalten haben. Auch geht das Gerücht um, an den Kranken würden noch vor dem Tode medizinische Versuche quälender Art vorgenommen.“264

Beunruhigende Gerüchte

Außenstehende, die von den Tötungen erfuhren, wussten oft nicht, ob sie den Erzählungen Glauben schenken sollten. Bereits nach dem Beginn der Aktion und dem Eintreffen der ersten Todesnachrichten bei den Angehörigen waren die Informationen im Umlauf und lösten Fassungslosigkeit aus. Je länger die Aktion dauerte, desto mehr Gerüchte gab es. Die Missstimmung ist für Württemberg gut dokumentiert. Dort kam es zu offenen Zeichen der Solidarität mit den Opfern: Straßenbauarbeiter nahmen bei der Vorbeifahrt der Transportbusse nach Grafeneck still ihre Mützen ab. Der Generalstaatsanwalt in Stuttgart meldete am 12. Oktober 1940 an das Reichsjustizministerium: „Gerede von dem auffälligen Massensterben oder gar von einem Massenmord an den Pfleglingen geht wie ein Lauffeuer um. Bemerkenswert ist, daß es in dem überwiegend protestantischen Kreis Freudenstadt genauso angetroffen wird wie in dem fast ganz katholischen Kreis Rottweil.“265

Selbst überzeugten Nationalsozialisten kamen Zweifel, weniger an der Rechtmäßigkeit der Aktion als an der Art der Durchführung und dem Umfang. Else von Löwis (1880–1961), NS-Frauenschaftsführerin im Kreis Böblingen und Kulturreferentin der Stadt Stuttgart, wandte sich im November 1940 an Walter Buch (1883–1949), den Leiter des Obersten Parteigerichtes der NSDAP. In ihrem Brief beschreibt sie, wie sie sich zunächst „instinktiv“ dagegen wehrte, „die Sache zu glauben, oder hielt die Gerüchte zum mindestens für masslos übertrieben.“ Auf der Gauschule in Stuttgart habe sie von „gutunterrichteter“ Seite versichert bekommen, „es handle sich nur um die absoluten Kretinen, und die ‚Euthanasie‘ werde nur in ganz streng geprüften Fällen angewendet.“ Dass die tatsächliche Zahl derjenigen, die getötet wurden, viel größer sein musste, war ihr bewusst, denn „die absolut sicher bezeugten Einzelfälle schiessen wie Pilze aus dem Boden.“266 Am 7. Dezember 1940 verfasste daraufhin Buch ein Schreiben an Heinrich Himmler, worin er von Löwis’ Beobachtungen schilderte. Himmler antwortete am 19. Dezember 1940 beschwichtigend. Das, was dort vor sich gehe, „geschieht auf Grund einer 264 BAarch NS 22–2233. 265 Generalstaatsanwalt Stuttgart an Reichsminister der Justiz, 12.10.1940, abgedruckt in: Klee, Dokumente, S. 211. 266 BArch NS 22–2233, Löwis an Buch, November 1940, abgedruckt in: Stöckle, Grafeneck, S. 169 f.

Die Durchführung der organisierten Patientenmorde an Rhein und Sieg

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Ermächtigung des Führers.“ Die Auswahl werde „nach menschlichem Ermessen gewissenhaft und gerecht vorgenommen, nicht von einem einzelnen, sondern von einer Kommission, von der jedes Mitglied zunächst unabhängig seine Entscheidung fällt“. Er gab der Aktion somit ein vermeintlich legales und korrektes Aussehen. Himmler bedauerte nicht die Vorgänge an sich, sondern nur, dass die Geheimhaltung in Grafeneck nicht funktioniert habe: „Wenn die Angelegenheit so publik wird, wie offenkundig dort, so liegen Fehler in der Durchführung vor“. Er werde „mit der zuständigen Stelle in Verbindung treten und sie auf die Fehler aufmerksam machen und den Rat geben, Grafeneck einschlafen zu lassen.“267 Tatsächlich wandte sich Himmler an Brack und die Tötungsanstalt Grafeneck wurde Ende 1940 geschlossen.268 Je länger die Aktion andauerte, desto mehr verbreiteten sich die Gerüchte in der Bevölkerung. Im Rheinland waren die Tötungen 1941 ein Thema. So berichtete der SD Köln am 19. Mai 1941 an das RSHA und die Staatspolizeistelle Köln über mehrere Gerüchte, die in seinem Abschnitt kursierten. In der Casino-Gesellschaft Köln-Lindenthal werde dieses Thema „lebhaft erörtert“. Hier träfen sich „bessere Kreise“, die zudem „stark konfessionell gebunden“ seien.269 Dort werde darüber geredet, dass in Berlin in einer Anstalt mit Gas getötet würde, und später seien auch Personen im Alter von über 70 Jahren betroffen. In Bonn habe ein Krankenwagenfahrer bei der Überführung eines Geisteskranken von Godesberg nach Bonn gesagt, dass ihm bekannt sei, dass Geisteskranke auf „gelinde Weise“ getötet würden. Diese Tatsache sei ja allgemein bekannt. Ein anderer Gewährsmann habe im D-Zug von Köln nach Hagen von einer Dame erklärt bekommen, dass von der Gestapo in der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Grafenberg sämtliche Insassen schmerzlos getötet würden und die dortige Bevölkerung in großer Aufregung sei. Es habe tagelang gedauert, bis die Leichen im Krematorium alle verbrannt gewesen seien. Sie habe einen Protestbrief eines geistlichen Anstaltsleiters gelesen, doch die Regierung habe nicht darauf reagiert. Im Kreise von Arbeiterfrauen erzähle man sich ebenfalls Fälle von „Euthanasie“, dass in „Idiotenheimen“ und „Krüppelanstalten“ neue Kampfgase erprobt und hinterher die Opfer verbrannt würden. Angehörige erhielten gegen Entrichtung einer Summe die Urne. Der Berichterstatter selbst glaubte an eine gesteuerte Kampagne: „Da alle hier mitgeteilten Gerüchte in einem gewissen Zusammenhang stehen, darf mit Sicherheit angenommen werden, daß sie ganz systematisch in die Bevölkerung hineingetragen werden.“ Die beiden christlichen Kirchenorganisationen konnten durch die vielen konfessionell betriebenen Heil- und Pflegeanstalten andere Einblicke in das Geschehen erhalten.

267 BArch NS 22–2233, Himmler an Buch, 19.12.1940. 268 BArch NS 22–2233, Himmler an Brack, 19.12.1940, abgedruckt in: Stöckle, Grafeneck, S. 170 f. 269 LAV NRW R RW 34–30, SD an RSHA, 19.5.1941. Auch für die folgenden Zitate.

302

Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

Evangelische Kirche

Während sich die evangelische Kirche auf die staatlich angeordneten Zwangssterilisationen einließ, setzte sich die Diskussion um die „Euthanasie“ fort. Sie führte zwar zur Ablehnung, traf aber letztlich die in evangelischer Trägerschaft geführten Anstalten durch die dynamische Entwicklung zu den Krankenmorden ohne jede Vorbereitung.270 Die Bemühungen von Kirchenführern und Anstaltsleitern, gegen die bereits begonnenen Tötungen vorzugehen, mündeten in schriftlichen Eingaben. Der Pfarrer Gerhard Braune (1887–1954), Leiter der Anstalt Hoffnungsthal und Vizepräsident des Centralausschusses der Inneren Mission, und der Pastor Friedrich von Bodelschwingh (1877–1948), Leiter der Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel, engagierten sich seit Mai 1940. Sie sprachen verschiedene, ihnen bekannte Beamte in der Reichskanzlei271 und den Reichsministerien272 an, um die „Euthanasie“-Aktion zu stoppen oder zumindest einzudämmen. Sie wandten sich sogar an den Leiter des Deutschen Institutes für Psychologische Forschung und Psychotherapie Matthias Heinrich Göring (1879–1945), einen Vetter Hermann Görings (1893–1946).273 Nach einem Treffen mit Reichsjustizminister Franz Gürtner (1881–1941), bei dem auch Ferdinand Sauerbruch (1875–1951) als Präsident des Reichsforschungsrates anwesend war274, formulierte Braune eine Denkschrift für Adolf Hitler, die er am 9. Juli 1940 an den Leiter der Reichskanzlei, Hans Heinrich Lammers, sandte. Wenig später verhaftete die Gestapo Braune, beteuerte aber, es habe mit der Denkschrift nichts zu tun. Er musste allerdings vor seiner Freilassung versprechen, die staatlichen Maßnahmen nicht mehr zu behindern.275 Der Landesbischof der evangelischen Kirche in Württemberg, Theophil Wurm (1868– 1953), protestierte in einem Schreiben vom 19. Juli 1940 an den Reichsinnenminister mit Durchschlag an den Reichsjustizminister gegen die „Euthanasie“. Er bekam keine Antwort und schrieb am 4. September 1940 erneut, ohne Ergebnis.276 Zu einem öffentlichen Protest kam es nicht. Da die Bekennende Kirche kein zentrales Leitgremium besaß, konnte kein offizieller Protest in deren Namen erhoben werden. Es gab jedoch vereinzelte Personen, die Kritik übten und für Aufklärung eintraten.277

270 271 272 273 274 275 276

Schmuhl, Rassenhygiene, S. 305–312; Kaminsky, Zwangssterilisation, S. 306–315. Treffen mit Linden und Brack; Schmuhl, Rassenhygiene, S. 328. Bodelschwingh an Reichsinnenminister Frick, Kaminsky, Zwangssterilisation, S. 358. Schmuhl, Rassenhygiene, S. 328 Schmuhl, Rassenhygiene, S. 298 und 328. Schmuhl, Rassenhygiene, S. 329 f.; Kaminsky, Zwangssterilisation, S. 345 f., 355. Schmuhl, Rassenhygiene, S. 312–327; Kaminsky, Zwangssterilisation, S. 356; Stöckle, Grafeneck, S. 163 f.; Hase, Dokumente, S. 9–13. 277 Schmuhl, Rassenhygiene, S. 344–346.

Die Durchführung der organisierten Patientenmorde an Rhein und Sieg

303

Katholische Kirche

Die katholische Kirche hatte sich bereits früh gegen die nationalsozialistische Rassenhygiene positioniert und ihre Ablehnung von Sterilisierungen zum Ausdruck gebracht.278 Es war daher nur logisch, dass die Amtskirche die nationalsozialistische „Euthanasie“ streng ablehnte und verurteilte. Über die Opportunität von öffentlichen Protesten oder das Vorgehen im Allgemeinen bestand innerhalb der Bischofskonferenz jedoch große Uneinigkeit. Einige Bischöfe wandten sich 1940 nach dem Bekanntwerden der Tötungen an staatliche Stellen, um sie zu einem Stopp zu bewegen. Im Auftrag des 1938 aus seinem Rottenburger Diözese verwiesenen Bischofs Joannes Baptista Sproll (1870–1949) protestierten am 1. August 1940 in Berlin der Freiburger Erzbischof Conrad Gröber (1872–1948) und der Generalvikar der Diözese Rottenburg Max Kottmann (1867–1948) gegen die Krankenmorde der Tötungsanstalt Grafeneck.279 In einer Eingabe an die Reichskanzlei verwies Kardinal Bertram am 10. August 1940 auf die Unruhe in der Bevölkerung. Der Münchener Erzbischof Michael Kardinal von Faulhaber (1869–1952) erinnerte am 5. November 1940 den Reichsjustizminister an das Bibelzitat: „Du sollst nicht töten“.280 Die Fuldaer Bischofskonferenz sandte im Juni 1941 eine Denkschrift an den Reichskirchenminister. Im August schrieben die Bischöfe von Limburg und Osnabrück an den Reichsjustizminister. Der erste öffentliche Protest war der Hirtenbrief vom 24. Juni 1941, der am 6. Juli 1941 verlesen wurde und in dem es hieß: „Nie, unter keinen Umständen darf der Mensch […] außerhalb des Krieges und der gerechten Notwehr einen Unschuldigen töten.“281 Im Rheinland sorgte die Sedisvakanz zusätzlich für ein vorsichtiges Vorgehen. Der Kölner Erzbischof Schulte war im März 1941 verstorben und der bis zur Wahl eines neuen Erzbischofs amtierende Kapitularvikar Emmerich David (1882–1953) scheute wie der Großteil der deutschen Bischöfe vor größeren Protestaktionen zurück.282 Vor der Veröffentlichung des gemeinsamen Hirtenschreibens sah man von einer neuerlichen „Eingabe in dieser Angelegenheit“ ab. Was auch in Köln den Ausschlag für diese Entscheidung gab, war wohl vor allem die drohende Gefahr, Anstalten und Organisationen kirchlicher Trägerschaft an eine staatliche Aufsicht zu verlieren.283 Der bekannteste öffentliche Protest stammt von dem Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen (1878–1946).284 Er hatte bereits in zwei Predigten zuvor, am 13. und 20. Juli 1941, mit deutlichen Worten die Beschlagnahme von Ordensniederlassungen und die Ausweisungen von zwei Mitgliedern des Domkapitels durch die Gestapo verurteilt. In 278 279 280 281 282 283 284

Dazu oben S. 185. Schmuhl, Rassenhygiene, S. 348. Schmuhl, Rassenhygiene, S. 348. Küster, Quellen, S. 607. Zum Vorgehen des Kapitularvikars Münster, David, S. 158 f. Zur Frage nach Widerstand und den Vorgängen in Köln jüngst Rönz, Widerstand. Kuropka, Forschungen; Griech-Polelle, Bishop; Süß, Hirte; Süß, Skandal; Wolf, Galen. Zuletzt Kuropka, Galen.

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Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

der dritten berühmten Predigt vom 3. August 1941 erhob er seine Stimme zum öffentlichen Protest gegen die Ermordung der Kranken. Galen sprach die Vorgehensweise bei den Krankenmorden offen aus und machte deutlich, welche Folgen es haben würde, wenn Menschen nur noch nach ihrer Nutzbarkeit beurteilt, ausgesondert und getötet würden. Zu diesem Zeitpunkt seien es die Kranken, aber was sei mit den aus dem Krieg schwerverletzt heimkehrenden Soldaten, die nicht mehr arbeiten könnten und somit nicht mehr nützlich seien? Was sei mit den Alten, die nicht mehr produktiv seien? Es könne also letztlich jeden treffen: „Seit einigen Monaten hören wir Berichte, dass aus Heil- und Pflegeanstalten für Geisteskranke auf Anordnung von Berlin Pfleglinge, die schon länger krank sind und vielleicht unheilbar erscheinen, zwangsweise abgeführt werden. Regelmäßig erhalten dann die Angehörigen nach kurzer Zeit die Mitteilung, der Kranke sei verstorben, die Leiche sei verbrannt, die Asche könne abgeliefert werden. Allgemein herrscht der an Sicherheit grenzende Verdacht, dass diese zahlreichen unerwarteten Todesfälle von Geisteskranken nicht von selbst eintreten, sondern absichtlich herbeigeführt werden, dass man dabei jener Lehre folgt, die behauptet, man dürfe sogenannt lebensunwertes Leben vernichten, also unschuldige Menschen töten, wenn man meint, ihr Leben sei für Volk und Staat nichts mehr wert. Eine furchtbare Lehre, die die Ermordung Unschuldiger rechtfertigen will, die gewaltsame Tötung der nicht mehr arbeitsfähigen Invaliden, Krüppel, unheilbar Kranken, Altersschwachen grundsätzlich freigibt! […] Deutsche Männer und Frauen! Noch hat Gesetzeskraft der § 211 des Reichsstrafgesetzbuches, der bestimmt: ‚Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, wird, wenn er die Tötung mit Überlegung ausgeführt hat, wegen Mordes mit dem Tode bestraft.‘ Wohl um diejenigen, die jene armen Menschen, Angehörige unserer Familien, vorsätzlich töten, vor dieser gesetzlichen Bestrafung zu bewahren, werden die zur Tötung bestimmten Kranken aus der Heimat abtransportiert in eine entfernte Anstalt. Als Todesursache wird dann irgendeine Krankheit angegeben. Da die Leiche sofort verbrannt wird, können die Angehörigen und auch die Kriminalpolizei hinterher nicht mehr feststellen, ob die Krankheit wirklich vorgelegen hat und welche Todesursache vorlag. Es ist mir aber versichert worden, dass man im Reichsministerium des Innern und auf der Dienststelle des Reichsärzteführers Dr. Conti gar keinen Hehl daraus mache, dass tatsächlich schon eine grosse Zahl von Geisteskranken in Deutschland vorsätzlich getötet worden ist und in Zukunft getötet werden soll. […] So müssen wir damit rechnen, dass die armen, wehrlosen Kranken über kurz oder lang umgebracht werden. Warum? Nicht, weil sie ein todeswürdiges Verbrechen begangen haben! Nicht etwa, weil sie ihren Wärter oder Pfleger angegriffen haben […]. Nein, nicht aus solchen Gründen müssen jene unglücklichen Kranken sterben, sondern darum, weil sie nach dem Urteil irgendeines Amtes, nach dem Gutachten irgendeiner Kommission lebensunwert geworden sind […]. Arme Menschen, kranke Menschen, unproduktive Menschen meinetwegen. Aber haben sie damit das Recht auf das Leben verwirkt? Hast du, habe ich nur solange das Recht zu leben, solange wir produktiv sind, solange wir von anderen als produktiv anerkannt werden? Wenn man den Grundsatz aufstellt und anwendet, dass man den unproduktiven Mitmenschen töten darf, dann wehe uns allen, wenn wir alt und altersschwach werden! Wenn man die unproduktiven Mitmenschen töten darf, dann wehe den Invaliden, die im Produktionsprozess ihre Kraft, ihre gesunden

Die Durchführung der organisierten Patientenmorde an Rhein und Sieg

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Knochen eingesetzt, geopfert und eingebüßt haben! Wenn man die unproduktiven Mitmenschen gewaltsam beseitigen darf, dann wehe unseren braven Soldaten, die als schwer Kriegsverletzte, als Krüppel, als Invalide in die Heimat zurückkehren. Wenn einmal zugegeben wird, dass Menschen das Recht haben, unproduktive Mitmenschen zu töten, […] dann ist der Mord an uns allen, wenn wir alt und altersschwach und damit unproduktiv werden, freigegeben. […] Dann ist keiner von uns seines Lebens mehr sicher.“285

Der Wortlaut der Predigt verbreitete sich über Abschriften unter der Hand und machte so große Teile der Bevölkerung auf die Tötungen aufmerksam.286 Führende Nationalsozialisten diskutierten, wie mit Galen umgegangen werden sollte. Mit Hinblick auf befürchtete Unruhen wurde eine „Abrechnung“ auf die Zeit nach dem Ende des Krieges verschoben.287 Gleichzeitig wurde Ende August 1941 die Tötung von Kranken in den Gaskammern der Tötungsanstalten gestoppt. Dies hat sicherlich an den öffentlichkeitswirksamen Protesten des Bischofs und der immer größer werdenden Unruhe in der Bevölkerung gelegen, hatte aber auch damit zu tun, dass im Sommer 1941, nach dem Einmarsch deutscher Truppen in die Sowjetunion, die Tötung von Juden in den Vordergrund rückte und das Personal für diese Mordaktionen aus den Tötungsanstalten abgezogen wurde.288 Die Bevölkerung im Siegkreis

In der Bevölkerung des Siegkreises war das Töten bereits ein Gesprächsthema. Die für den Siegkreis überlieferten Berichte der Bürgermeister an den Landrat gehen in einem Fall ganz konkret darauf ein. Der Bürgermeister von Siegburg berichtete zwar relativ spät, dafür aber zutreffend am 22. August 1941 an den Landrat, nachdem die Klöster in Geistingen und im heutigen Sankt Augustin von den NS-Behörden geschlossen worden waren: „Es geht das Gerücht in der Bevölkerung um, wonach Nervenkranke, die in Heil- und Pflegeanstalten untergebracht sind, in der letzten Zeit in einer größeren Anzahl plötzlich sterben und dann sofort einem Krematorium überwiesen würden. Die Benachrichtigung der Angehörigen erfolge erst nach der Verbrennung.“289

In seinem Bericht an den Regierungspräsidenten in Köln, den der Vertreter der SDAußenstelle im Siegkreis in Siegburg in Kopie erhielt, übernahm der Landrat diesen Abschnitt als wörtliches Zitat.290 285 Text der Predigt in Löffler, Akten, S. 855 ff. Die Predigt ist auch online abrufbar unter: http://www.galenarchiv.de/index.php?option=com_content&view=article&id=4&Itemid=18, abgerufen am: 25.8.2020. 286 Dazu Rönz, Widerstand sowie die Ergebnisse des im LVR-Institutes für Landeskunde und Regionalgeschichte laufenden Projektes „Widerstand und Opposition im Rheinland 1933–1945“. Die Projektergebnisse sind abrufbar im Portal Rheinische Geschichte unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr. de/Projekte/Widerstand-im-Rheinland-1933–1945/Widerstandskarte, abgerufen am: 25.8.2020. 287 Schmuhl, Rassenhygiene, S. 352. 288 Faulstich, Hungersterben, S. 271–288; Schmuhl, „Euthanasie“, S. 229. 289 ARSK LSK 3295, BM Siegburg an LR, 22.8.1941. 290 ARSK LSK 3295, LR an RP, 26.8.1941.

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Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

Selten erhalten sind wegen der zu befürchtenden Zensur und der schwierigen Überlieferungssituation in öffentlichen Archiven private Korrespondenzen, in denen die „Gerüchte“ angesprochen wurden. Überliefert ist ein Schreiben von der Verlegerin des „Echo des Siebengebirges“, Catharina Uhrmacher (1881–1954) aus Königswinter, die am 21. September 1941 voller Mitleid über einen Mitbürger, der in die Heil- und Pflegeanstalt in Bonn gebracht worden war, schrieb: „Dr. L. ist in Bonn in der Irrenanstalt, hoffentlich geht es ihm nicht wie R. Männ seine Frau[,] die vergast und verbrannt wurde, wie es deren noch viele hundert gibt. Unnötige Esser – - – - -“.291 Die Tötungen der Kranken geschahen ohne eine gesetzliche Grundlage. Es existierte nur die geheime Beauftragung Hitlers, die aber keinen Rechtscharakter besaß. Sie sollte die Ärzte vor den rechtlichen Folgen ihrer Morde schützen, denn formaljuristisch war immer noch nach der geltenden Gesetzesgrundlage der Tatbestand des Mordes erfüllt.292 Mehrere Angehörige von Getöteten stellten Anzeigen wegen Mordes gegen unbekannt; jetzt mussten die Staatsanwaltschaften tätig werden. Viele der Justizangehörigen selbst waren mit der Suche nach verlegten und verschwundenen Personen beschäftigt, die ihrer Obhut anvertraut waren. Staatsanwälte suchten nach Zeugen, die vorübergehend in eine Anstalt eingewiesen worden waren. Vormundschaftsrichter, die mehrere Personen zu betreuen hatten, mussten innerhalb kurzer Zeit eine Häufung von Verlegungen und Todesfällen ihrer Schutzbefohlenen feststellen. Über die Tötungen und den Umgang mit Anzeigen solcher Art informierte Franz Schlegelberger (1876–1970), Staatssekretär und kommissarischer Justizminister, am 23. April 1941 in Berlin auf einer Tagung der höchsten Juristen die Oberlandesgerichtspräsidenten und die Generalstaatsanwälte. Alle Eingaben und Strafanzeigen sollten unbearbeitet an das Justizministerium weitergeleitet werden.293 Einer der wenigen Justizangehörigen, die sich gegen die Tötungen stellten, war der Vormundschaftsrichter Lothar Kreyssig (1898–1986) aus Brandenburg an der Havel. Er war Wähler der NSDAP und Mitglied der NSV, im Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen sowie dem Reichsbund Deutscher Beamter (RDB). Einen Eintritt in die NSDAP lehnte er mit dem Verweis auf die richterliche Unabhängigkeit ab. Er war aber auch engagierter evangelischer Christ und seit 1934 Mitglied der Bekennenden Kirche. Seine Unangepasstheit brachte ihn rasch in einen Gegensatz zum NS-Regime. Am 8. Juli 1940, nachdem mehrere seiner Mündel verstorben waren, meldete er aus religiösen und rechtlichen Gründen seinen Verdacht, dass diese getötet worden waren, an den Kammergerichtspräsidenten, der die Eingabe an das Reichsjustizministerium weiterleitete. Den Anstalten, in denen die ihm anvertrauten Personen untergebracht waren, untersagte Kreyssig, diese ohne seine Zustimmung in andere Anstalten zu verlegen. Das Reichsministerium ließ ihm mitteilen, dass die Aktion von Hitler selbst ver291 Archiv Heimatverein Siebengebirge. 292 Dazu oben S. 255 sowie Benzenhöfer, Entwürfe, S. 9. 293 Gruchmann, Euthanasie, S. 274.

Exkurs: Propaganda – Der Spielfilm „Ich klage an“

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anlasst und in Verantwortung der „Kanzlei des Führers“ durchgeführt wurde. Daraufhin erstattete Kreyssig Anzeige gegen Bouhler wegen Mordes. Kreyssig rechnete mit seiner Verhaftung. Am 13. November 1940 wurde er ins Reichsjustizministerium bestellt, wo er das Schreiben Hitlers vorgelegt bekam. Kreyssig erkannte dies nicht als Recht an. Im Dezember 1940 wurde er zwangsbeurlaubt und im März 1942 in den Ruhestand versetzt. Er und seine Frau versteckten ab November 1944 die Jüdin Gertrude Prochownik (1884–1982) bei sich zuhause.294 Widerständige Haltungen oder Handlungen lassen sich abseits der feststellbaren Empörung und Sorge über das Schicksal der Kranken nicht belegen.

4.7 Exkurs: Propaganda – Der Spielfilm „Ich klage an“295 Die nationalsozialistische Propaganda arbeitete mit Stereotypen und schürte Ängste vor dem „Volkstod“ durch die angeblich ungezügelte Vermehrung von Erbkranken. Um die Bevölkerung auf die „Euthanasie“ vorzubereiten und Verständnis für sie zu wecken, entstand der Spielfilm „Ich klage an“. Im Mittelpunkt der Filmhandlung steht die Frau eines Direktors, die an den ersten Symptomen einer Krankheit leidet. Ein befreundeter Arzt hat den Verdacht, es handele sich um Multiple Sklerose. Ein Spezialist bestätigt die unheilbare Krankheit und rät dem Direktor, seiner Frau nichts davon zu sagen. Der Direktor forscht an einem Gegenmittel, während seine Frau weitere Lähmungserscheinungen hat. Sie bittet den befreundeten Arzt, sie zu einem bestimmten Zeitpunkt der Verschlechterung zu töten, damit sie ihrem Mann keine Last mehr ist. Dieser weigert sich. Daraufhin bittet sie ihren Mann, der ihr aber immer noch eine Heilung in Aussicht stellt. Seine Forschungen bleiben erfolglos. Als sich erste Atemlähmungen einstellen und die Frau ihren Mann erneut bittet, entwendet dieser bei dem befreundeten Arzt ein Medizinfläschchen und gibt ihr eine Überdosis. Der Direktor wird von seinem Freund des Mordes bezichtigt und vom Bruder der Frau angezeigt. Vor Gericht fehlt zunächst der Nachweis, dass die Tötung auf Verlangen geschah. Der ehemals befreundete Arzt erscheint schließlich und sagt aus, er habe eine neue Sichtweise. Er habe ein an Hirnhautentzündung erkranktes Kind am Leben erhalten und nun sei es körperlich und geistig krank in einer Anstalt. Die Eltern hätten ihn gefragt, warum er es nicht habe sterben lassen. Er bestätigt, dass die Frau den Wunsch nach Beendigung ihres Lebens gehabt habe. Der Direktor möchte ein Urteil, damit künftig Klarheit in solchen Fällen herrscht. Der Film war nach Motiven des 1936 erschienenen Buches „Sendung und Gewissen“ von Hellmuth Unger (1891–1953) gedreht worden. Die ab 1941 neu erschienene Fassung 294 Gruchmann, Amtsrichter. 295 Hachmeister, Kinopropaganda; Kuchler, Protest; Roth, Ich klage an; https://screenshot-online.blogspot. com/2011/05/kinoseminar-filmpropaganda-ich-klage.html, abgerufen am: 25.8.2020.

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Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

enthält die im Filmtitel zitierten Worte in dem Satz: „Nicht ich bin mehr Angeklagter, sondern ich klage an, ein wahrhafter Arzt gegen eine ganze Welt.“ Mit der Umgestaltung des ursprünglichen Briefromanes zu einem Drehbuch war zunächst Hermann Schwenninger (1902–nach 1985) betraut worden.296 Dieser war seit 1940 einer der Geschäftsführer der Gekrat. Schwennigers Entwurf, der die Gerichtsszene enthielt, wurde jedoch von dem Regisseur Wolfgang Liebeneiner (1905–1987) verworfen.297 Die „Kanzlei des Führers“ gab nun einer Arbeitsgruppe vor, im Drehbuch direkte Werbung für eine „Auslöschung lebensunwerten Lebens“ ebenso zu vermeiden wie die Andeutung einer Bedrohung durch den Staat. Der neue Entwurf stellte das geplante Sterbehilfegesetz in den Mittelpunkt, das jedoch wegen der beginnenden kirchlichen Proteste nicht erlassen wurde, und enthielt die Personenkonstellation von einer Frau und zwei Ärzten.298 In einer dritten Fassung kam schließlich noch als Nebenhandlung die Familie mit dem behinderten Kind hinzu.299

Abb. 77  „Die Kosten der erblich Belasteten“, Plakat der Aktiengesellschaft für hygienischen Lehrbedarf Dresden, undatiert 296 297 298 299

Roth, Ich klage an, S. 94. Roth, Ich klage an, S. 96. Roth, Ich klage an, S. 96–97. Roth, Ich klage an, S. 98–99.

Exkurs: Propaganda – Der Spielfilm „Ich klage an“

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Die erste Filmfassung war im Mai 1941 fertiggestellt und wurde sowohl im Juli als auch im August noch einmal geändert.300 Grund dafür waren der erschienene Hirtenbrief der Fuldaer Bischofskonferenz sowie die öffentlichen Proteste Galens.301 Kritik an Bedenken aus religiösen Gründen entfiel nun ebenso wie nationalsozialistische Symbolik und die Tötung eines kranken Tieres.302 Für die Presse gab es einen Begleittext: „Der Tobis-Film ‚Ich klage an‘ behandelt in einer ergreifenden Spielfilmhandlung die Frage, ob der Arzt in besonderen Ausnahmefällen berechtigt sein soll, einem unheilbar Kranken auf dessen Wunsch hin seine Qualen zu verkürzen. In den Bildern und im Dialog des Drehbuchs wird mit höchstem menschlichen Ernst und ärztlicher Verantwortung eine seit langem umstrittene Frage der Medizin und des Rechts aufgegriffen. Wenn es auch nahe liegt, die in dem Film zum Ausdruck kommende Tendenz im Tenor der Kunstbetrachtungen anklingen zu lassen, so wollen wir uns doch davor hüten und lediglich den künstlerischen Gehalt dieses Films würdigen, zum Problem selbst aber und zu der vorgeschlagenen Lösung vorläufig weder positiv noch negativ in irgendeiner Form, auch nicht in selbständigen Arbeiten Stellung nehmen. Ebenso wollen wir den Ausdruck ‚Euthanasie‘ vermeiden. Der nach dem Roman von Hellmuth Unger außerordentlich spannend und gut aufgebaute Film bietet zudem durch die hervorragenden schauspielerischen Leistungen […] genügend Stoff für fruchtbare Kunstbetrachtungen.“303

Die Uraufführung fand am 29. August 1941 statt.304 Ab dem 12. September 1941 lief der Film im Bonner Kino „Metropol“, das in seiner Anzeige Dramatik und Bedeutung herausgestellte: „Ein spannender dramatischer Film, der einen tragischen Konflikt zweier befreundeter Ärzte schildert, und der zugleich eine große Frage von allgemein menschlicher Bedeutung aufstellt: Darf der Arzt einen unheilbar Kranken von seinen Qualen erlösen?“

Jugendliche waren nicht zugelassen.305 Offenbar waren die Vorführungen gut besucht, denn es gab noch eine „3. Woche“.306 Ab dem 19. September 1941 lief der Film auch in den Godesberger Kurlichtspielen an.307 Am 23. September 1941 erschien die Ankündigung, dass die Spielzeit wegen des „außergewöhnlichen Erfolges“ bis zum 25. September verlängert werde.308 Mit etwas zeitlichem Abstand folgte am 17. Oktober 1941 die Werbung des Beueler „Regina-Theaters“, das einen eigenen Werbetext verfasste: „Das tragische Schicksal eines Arztes und seiner unheilbar kranken Frau! Ergreifend und unvergeßlich! 300 301 302 303 304 305 306 307 308

Roth, Ich klage an, S. 114. Dazu oben S. 304. Roth, Ich klage an, S. 115. „Zeitschriften-Dienst“ (ZD Nr. 5200: 122. Ausgabe, 29. August 1941. Roth, Ich klage an, S. 114. GA Bonn, 12.9.1941. GA Bonn, 26.9.1941. GA Bonn, 19.9.1941. GA Bonn, 23.9.1941.

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Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

Großartige Besetzung!“309 Schon am 21. Oktober 1941 wurden die letzten beiden Vorstellungen angekündigt310, nicht jedoch ohne bei der letzten Vorstellung zu versichern: „Der gewaltige Erfolg!“.311 Einen Tag später war der Film noch ein letztes Mal im Programm zu finden.312 Im Siegkreis kam der Film wohl später in die Kinos. In Honnef warb das Kino „Capitol“ am 31. Oktober 1941 für Vorstellungen von Freitag bis Montag.313 Der 1942 produzierte Film „Dasein ohne Leben – Psychiatrie und Menschlichkeit“ zeigte innerhalb der Spielfilmrahmenhandlung eine kurze Geschichte der Psychiatrie und stellte die Forderung auf, psychisch kranke Patienten zu töten. Regisseur des zwischen 1940 und 1942 von der „Kanzlei des Führers“ in Auftrag gegebenen Filmes war Hermann Schwenninger. Die Dreharbeiten fanden in bis zu 30 Anstalten statt. Der Film zeigt den Ablauf der „Euthanasie“-Aktion vom Transport der Patienten bis zu ihrer Tötung in der Gaskammer. Dieser Film kam nie in die Kinos. Eine Aufführung fand im März 1942 vor 28 Ärzten statt. Es waren Gutachter der „Aktion T4“, Mitglieder der Reichsarbeitsgemeinschaft und Beamte der Medizinalverwaltungen von Baden, Bayern und Württemberg sowie Helmuth Unger.

4.8 Die Fortsetzung der Krankenmorde 1942–1945 Bei den vier im August 1941 zum Zeitpunkt des Stopps betriebenen Tötungsanstalten kam es lediglich in Hadamar im Sommer 1942 zum Rückbau der Gaskammern und zum Abbruch des Krematoriums. In Bernburg und Sonnenstein wurde die zur „Aktion T4“ gehörende Tötung von KZ-Insassen bis 1943 fortgeführt. Die als „Aktion 14f13“ bezeichnete Ermordung von Häftlingen fand in Hartheim sogar bis Ende 1944 statt. Wenn auch die Krankenmorde durch Gas offenbar gestoppt waren, so legte die Leitung der Berliner Zentrale in der Tiergartenstraße 4 Wert darauf, dass die Anstalten ihrer Meldepflicht nachkamen, um nach einer Aufhebung des „Stopps“ sogleich mit den Tötungen wieder beginnen zu können. Tatsächlich besuchten die Ärztekommissionen weiterhin die Heil- und Pflegeanstalten im Deutschen Reich, überprüften und füllten Meldebogen aus.314 Erst ein Erlass des Reichsinnenministeriums vom 31. August 1944 hob die Meldepflicht zum 1. Februar 1945 mit dem Hinweis auf den totalen Kriegseinsatz auf.315 Die Zahl der auf Grund der Meldebogen angelegten Akten liegt bei ca. 200.000.316 309 310 311 312 313 314 315 316

GA Bonn, 17.10.1941. GA Bonn, 21.10.1941. GA Bonn, 22.10.1941. GA Bonn, 23.10.1941. Honnefer Volkszeitung, 31.10.1941. Schmuhl, Rassenhygiene, S. 224. Klee, Euthanasie, S. 444. Hinz-Wessels/Fuchs/Hohendorf/Rotzoll, Abwicklung, S. 87.

Die Fortsetzung der Krankenmorde 1942–1945

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Abb. 78  Das Krematorium der ehemaligen Tötungsanstalt Hartheim, heutiger Zustand

Als die Tötungen im August 1941 für die Beteiligten überraschend gestoppt wurden, hatten die fortgeführten Verlegungen schnell zu Überfüllungen in den Zwischenanstalten geführt. Es kam teilweise zu Rücktransporten von Patienten in die Herkunftsanstalten.317 Zeitgleich mit dem Stopp der „Aktion T4“ erhielt einer der Organisatoren einen neuen Auftrag. Zusammen mit dem Reichsminister für Bewaffnung und Munition, Fritz Todt (1891–1942), hatte Karl Brandt ein Programm zum Bau von zusätzlichen und Ersatzkrankenhäusern für luftgefährdete Städte vorgeschlagen. Dies war „eine eigenständige kleine Bauinitiative im Bereich des Ausweich-Krankenhauswesens“318, um rechtzeitig Vorsorge zu treffen, damit bei Bedarf Verwundete und Verletzte aufgenommen werden konnten. Zusatzgebäude sollten auch bei den Heil- und Pflegeanstalten errichtet werden. Die Beteiligung der Gekrat und der Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten macht deutlich, dass Brandt „einen wichtigen Beitrag zur Weiterexistenz des ‚Euthanasie‘-Komplexes“ leistete.319 Von den geplanten zwölf Anlagen waren sieben an Heil- und

317 Hermeler, Euthanasie, S. 125–135; Haffke, Rolle, S. 95. 318 Benzenhöfer, Bau, S. 155. 319 Benzenhöfer, Bau, S. 156.

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Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

Pflegeanstalten vorgesehen.320 Nach der Ernennung Brandts zum Bevollmächtigen für das Sanitäts- und Gesundheitswesen am 28. Juli 1942 erfuhr das Programm eine Ausweitung, diesmal in Zusammenarbeit mit dem Nachfolger Todts, Albert Speer (1905–1981).321 Eine weitere Vergrößerung des Bauprogrammes wurde im Frühjahr 1943 geplant, so dass nun vom Betrieb von Ausweichkrankenhäusern in 69 Städten die Rede war.322 Ab etwa Mitte 1943 kam es parallel zu „ad-hoc-Maßnahmen“323, bei denen Heil- und Pflegeanstalten auf Anordnung Brandts geräumt wurden, um Platz für körperlich Kranke, Verwundete und „Ausgebombte“ aus den von den Luftangriffen betroffenen Städten zu schaffen. Da der alliierte Luftkrieg vor allem Westdeutschland immer heftiger traf – zu nennen ist z. B. der erste 1000-Bomber-Angriff auf Köln am 30./31. Mai 1942 – begannen die Räumungen im Rheinland bereits früher. Hier war der zum Reichsverteidigungskommissar ernannte Gauleiter von Köln-Aachen die treibende Kraft. Am 1. März 1942 waren bereits 50 Patienten aus Düren nach Plagwitz in Schlesien und am 21. März 1942 weitere 51 aus Gangelt nach Hartheim gebracht worden. Aus Bonn wurden am 21. August 1942 mehrere Patienten in das Generalgouvernement verlegt.324 Eine der größeren Räumungen fand im Kloster Hoven bei Zülpich 1942 statt. 1888 hatte die Kölner Genossenschaft der Cellitinnen dort nach der Regel des hl. Augustinus in einem ehemaligen Zisterzienserinnenkloster die Krankenanstalten Marienborn zur Pflege von psychisch kranken Frauen eingerichtet. 1937 betreuten hier 99 Ordensschwestern 702 Patientinnen.325 Bereits 1940 musste der zuständige Anstaltsarzt Meldebogen ausfüllen. Im Februar 1941 wurden zwei Patientinnen zunächst nach Andernach und dann zur Tötung nach Hadamar transportiert. Weitere 77 Kranke kamen am 2. September 1941 nach Andernach. Sie waren für Hadamar bestimmt, doch die Tötungen in der Gaskammer waren beendet worden und so blieben sie in Andernach.326 Im Rahmen der Räumungen von Anstalten im Westen waren erneut Transporte aus Hoven vorgesehen. Angeblich kam die Gestapo dorthin und wählte die Patientinnen aus. Möglicherweise handelte es sich aber auch um eine Kommission der Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten. Noch bevor deren Geschäftsführer am 3. August 1942 den Oberpräsidenten über die Räumung informierte, hatte bereits am 30. Juli 1942 die Gekrat dem Kloster Hoven mitgeteilt, dass „zunächst“ 400 Patienten nach Hadamar verlegt werden sollten.327 Vier Tage später, am 7. August 1942, teilte die Gekrat dem Kloster mit, dass der Transportleiter am 14. August 1942 eintreffen werde. 320 321 322 323 324 325 326 327

Benzenhöfer, Bau, S. 62–99, 158–160. Benzenhöfer, Bau, S. 160. Benzenhöfer, Bau, S. 162. Benzenhöfer, Bau, S. 164. Faulstich, Hungersterben, S. 384. Rünger, Opfer, S. 723. Rünger, Opfer, S. 728. ALVR 13073, Gekrat an Kloster Hoven, 30.7.1942.

Die Fortsetzung der Krankenmorde 1942–1945

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Insgesamt 550 Frauen waren nun zur Verlegung ausgewählt worden. Geplant waren ein erster Transport am 18. August mit 370 Frauen nach Hadamar und eine Woche später ein weiterer mit 180 Frauen in Anstalten in Tiegenhof (Westpreußen), Ilten, Göttingen, Lüneburg und Hildesheim (alle Niedersachsen). Letztlich wurden am 18. August 1942 insgesamt 368 Personen nach Hadamar verlegt. Vor dem Abtransport spielten sich erschütternde Szenen ab. Eine Schwester berichtete nach 1945, dass Patientinnen sich an den Schwestern festkrallten und schrien: „Halt mich hier, die machen uns doch tot.“ Das Begleitpersonal spritzte ihnen ein Betäubungsmittel durch die Kleider hindurch.328 Allein vom 13. bis 26. September 1942 starben in Hadamar 43 Frauen aus Hoven. Aus dem Untersuchungsgebiet verloren von 1942 bis 1945 20 Personen ihr Leben: Gertrud Appolonia Neurohr329 aus Heimerzheim; Christina Manns330 aus Siegburg; Maria Martin331, geb. Domgörgen, aus Siegburg-Mülldorf; Margareta Boxberg, aus Schweinheim; Maria Anna Klauer332 aus Siegburg; Margaretha Meisenbach333 aus Eitorf-Lindscheid; Maria Anna Koenemund334 aus Dattenfeld-Übersetzig (heute Windeck); Helena Düren aus Schweinheim; Anna Sibilla Pilger335 aus Sieglar-Kriegsdorf (heute Troisdorf); Margareta Gräf336 aus Alfter; Catharina Eßer337 aus Straßfeld (heute Swisttal); Agnes Schwan338, geb. Henseler, aus Schweinheim; Anna Maria Reifenberg339 aus Eitorf-Hönscheid; Gertrud Höck340 aus Lohmar-Altenrath (heute Troisdorf); Gertrud Kirschhausen341 aus Menden-Meindorf (heute Sankt Augustin); Anna Zimmermann342, geb. Handeck, aus Honnef;

328 329 330 331 332 333 334 335 336 337 338 339 340 341 342

Rünger, Opfer, S. 729. Hadamar Datenbank ID 1269 und AN 1279; ARSK LKB 6831, 6886/108; Forsbach, Fakultät, S. 504. Hadamar Datenbank ID 1716 und AN 1726. Hadamar Datenbank ID 1717 und AN 1727. Hadamar Datenbank ID 1682 und AN 1692; Forsbach, Fakultät, S. 506. Hadamar Datenbank ID 2442 und AN 2455; Forsbach, Fakultät, S. 511. Hadamar Datenbank ID 2492 und AN 2505. StA Troisdorf Geburtsregister 1887; Forsbach, Fakultät, S. 512. Hadamar Datenbank ID 2653 und AN 2666. Forsbach, Fakultät, S. 509. Hadamar Datenbank ID 4797 und AN 5072; Forsbach, Fakultät, S. 514. Hadamar Datenbank ID 1348 und AN 1358; Forsbach, Fakultät, S. 513. ARSK LSK 5439/1632; Hadamar Datenbank ID 3316 und AN 3330. Hadamar Datenbank ID 925 und AN 933. Hadamar Datenbank ID 353 und AN 355; Forsbach, Fakultät, S. 516.

314

Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

Maria Hohn343, geb. Herstein, aus Wahlscheid-Neuemühle (heute Lohmar); Catharina Bollenbeck344 aus Troisdorf; Katharina Müller345 aus Siegburg-Mülldorf und Anna Bernards346 aus Beuel. In die freigewordenen Räume der Anstalt in Hoven zogen schon im September 1943 aus einem Kölner Pflegeheim 300 Personen ein. Die Anordnungen von weiteren Räumungen kamen 1943 wieder aus Berlin. Im Januar 1943 hatten Herbert Linden und Walter Creutz vereinbart, dass außerhalb des Rheinlandes 1500 Plätze bereitzustellen seien, in die Patienten aus rheinischen Anstalten gebracht werden könnten. Bei einer Besprechung im Landeshaus in Düsseldorf am 19. April 1943 stand dieses Thema erneut im Mittelpunkt. Die Reichsregierung hatte angeordnet, dass die Anstalten frei gemacht werden sollten, um Platz für die „Ausgebombten“ des Luftkrieges zu machen.347 Die Umsetzung erfolgte zwei Monate später, als sich die Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten am 17. Juni 1943 an den Oberpräsidenten und den Medizinaldezernenten der Provinzialverwaltung wandte: „Sehr geehrter Herr Professor! Der Generalkommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen, Prof. Dr. med. Brandt, hat mich beauftragt, die Heil- und Pflegeanstalten des besonders luftgefährdeten Gebietes zu räumen. Das betrifft sämtliche Anstalten der Rheinprovinz. In den nächsten Tagen wird Herr Schneider bei Ihnen vorsprechen und Ihnen Einzelheiten mitteilen. Zuerst wird die Anstalt Galkhausen geräumt. Ich bitte Sie dafür Sorge zu tragen, dass die Patienten genügend ausgerüstet sind. Im übrigen bitte ich Sie, in geringem Masse Pflegepersonal mitzugeben, etwa im Verhältnis 1: 50–60.“348

Die Evakuierungen kamen für die betroffenen Anstalten offenbar überraschend und führten zu Irritationen, wie ein Schreiben der Heil- und Pflegeanstalt Hausen über Linz am Rhein an den Landeshauptmann vom 17. Juli 1943 zeigt. Auf telefonische Anfrage berichtete der Leiter: „Am Sonnabend den 3. Juli erschien in unserer Anstalt ein Herr Siebert aus Berlin, der mir einen Brief übergab, dass er auf Anordnung des Generalkommissars des Führers für das Sanitäts- und Gesundheitswesen, Prof. Brand [sic!], und auf ausdrücklichen Wunsch des Gauleiters und Reichsverteidigungskommissars unsere Anstalt zu räumen habe. Es sollten 500 Kranke evakuiert werden. Wir haben dann etwa 470 in die Anstalten Eichberg bei Hattenheim/Rh[ein]l[an]d., Günzburg bei Ulm und Eglfing-Haar bei München abgegeben. Wir durften nur solche Kranke zurückbehalten, die noch arbeiten können, wir behielten daraufhin etwa 320 hier. Mit diesen Kranken können wir den Betrieb unserer Anstalt aufrecht erhalten. 343 344 345 346 347 348

Hadamar Datenbank ID 3276 und AN 3290. Hadamar Datenbank ID 4727 und AN 5001; Forsbach, Fakultät, S. 507. Hadamar Datenbank ID 1164 und AN 1174; Forsbach, Fakultät, S. 512. Hadamar Datenbank ID 4705 und AN 4759; Forsbach, Fakultät, S. 502. Benzenhöfer, Bau, S. 134–140. ALVR 13073, Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten (RAG) an OP, 17.6.1943.

Die Fortsetzung der Krankenmorde 1942–1945

315

Die frei werdenden Betten wurden auf Anordnung des Generalbevollmächtigten des Führers dem Gesundheitsamt der Stadt Köln zur Verfügung gestellt. Die Evakuierung wurde in der Woche v. 5.–10. Juli durchgeführt. Am Montag den 12. Juli nahmen wir dann bereits 70 Kranke aus drei verschiedenen Krankenhäusern aus Köln hier auf […].“349

In Hausen waren 1940 schon zwei Kranke aus dem Untersuchungsgebiet gestorben: Am 3. Juni Klara Braun350 aus Dattenfeld und Christian Schmitz351 aus Menden-Kohlkaul. Am 29. April 1941 starb hier Pauline Franz352 aus Herchen-Niederleuscheid (heute Windeck) und Gertrud Klein353 aus Siegburg-Mülldorf am 29. Juni 1942. Anna Sophia Wilden354, geb. Lichtschläger, wurde aus Hausen nach Hadamar verlegt und starb dort am 18. Oktober 1943. Gertrud Ida Weih355 aus Bad Godesberg wurde aus Hausen nach Eichberg und von dort nach Hadamar gebracht, wo sie am 25. November 1944 starb.

Abb. 79  Zweite Phase: Dezentrale „Euthanasie“, Verlegungen nach 1942

349 350 351 352 353 354 355

ALVR 13073. Zum Kontext in der Reichskanzlei das Rundschreiben 46/32 in BArch NS 6–345. ARSK LSK 5516/2016. ARSK LSK 5299/934. ARSK LSK 5561/2243. Auskunft StA Sankt Augustin; ARSK LSK 5119/40. Hadamar Datenbank ID 249 und AN 251. Hadamar Datenbank ID 269 und AN 271.

316

Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

Zielort vieler Verlegungen aus dem Rheinland in den Osten 1943/44 war Meseritz-­ Obrawalde. Die 1904 gegründete Heil- und Pflegeanstalt Obrawalde in der Nähe von Meseritz in der preußischen Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen wandelte sich seit November 1941 zu einem „Krankenhaus des Todes“. Der neue Leiter beutete die Arbeitskraft der Patienten aus, die Pfleger trugen Waffen. Die Anstalt glich einem Konzentrationslager.356 Die Transporte aus den anderen Anstalten trafen im Abstand von mehreren Tagen ein, so dass stets schnell Platz für die neuen Patienten geschaffen werden musste. So wurden die Opfer meist in wenigen Tagen nach der Ankunft gezielt mit Überdosierungen getötet. Gleichzeitig erfolgte die Schwächung der anderen durch Unterernährung und Nahrungsentzug. Monatlich starben auf diese Weise ca. 450 bis 600 Menschen. Bis zur Befreiung und Besetzung durch die sowjetische Armee sollen es 18.000 Tote gewesen sein.357 Für den Zeitraum zwischen März 1943 und Juli 1944 hat Wolfgang Schaffer 20 Transporte aus Anstalten der Rheinprovinz nach Meseritz-Obrawalde nachgewiesen. Möglicherweise gab es noch einen weiteren Transport im Januar 1945. Insgesamt sind aus dem Rheinland 1433 Personen dorthin verlegt worden.358 Die unvollständigen Totenbücher des Sonderstandesamtes Meseritz aus dieser Zeit beinhalten 1070 Patienten aus den rheinischen Anstalten.359 Anna Elfriede Quester, geboren 1875 in Köln, wohnhaft in Beuel360, Johann Wilhelm Bonen, geboren 1901 in Pech (heute Wachtberg), wohnhaft in Mehlem 361, und Peter Adolf Thomas, geboren 1884 in Rheinbach, verstarben dort am 2., 19. und 30. März 1943. Johann Josef Stricker, geboren 1902 in Siegburg362, starb am 8. April 1943.363 Am 1. und 16. Juni 1943 gab es zwei weitere Opfer aus dem Siegkreis: Katharina Schmitz, geboren 1924 in Buisdorf 364 (heute Sankt Augustin), und Heinrich Joseph Degen, geboren 1884 in Niedermenden365 (heute Sankt Augustin). Am 17. und 26. April 1944 starben Wilhelm Appel, geboren 1913 in Godesberg366, und Elisabeth Willems, geboren 1881 in Wormersdorf-Ipplendorf367 (heute Rheinbach). Die 12-jährige Rotraut Elisabeth Schönfeld, geboren 1932 in Essen, wohnhaft in Bad

356 357 358 359 360 361 362 363 364

Schaffer, Krankenhaus, S. 167. Schaffer, Krankenhaus, S. 170. Schaffer, Krankenhaus, S. 163–165. Schaffer, Krankenhaus, S. 170. ALVR 55342, Kopie Sterbebuch Meseritz-Obrawalde 1943. ALVR 55342, Kopie Sterbebuch Meseritz-Obrawalde 1943. ALVR 55342, Kopie Sterbebuch Meseritz-Obrawalde 1943. ALVR 55342, Kopie Sterbebuch Meseritz-Obrawalde 1943. Sterbeurkunde im Besitz von Gottfried Schmitz, Sankt Augustin, Kopie erhalten am 7.11.2018 in Sankt Augustin. 365 StA Sankt Augustin, Geburtsregister 1884. 366 ALVR 55343, Kopie Sterbebuch Meseritz-Obrawalde 1944, Teil 1. 367 ALVR 55344, Kopie Sterbebuch Meseritz-Obrawalde 1944, Teil 2.

Die Fortsetzung der Krankenmorde 1942–1945

317

Godesberg, starb am 20. Mai 1944368, und Wilhelm Klasen, geboren 1865 in Oberpleis, am 22. Mai 1944369. Ein Transport fand am 6. Juli 1944 auch aus der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn statt, wobei 25 Frauen nach Meseritz-Obrawalde verlegt wurden. Die Patientinnen waren zuvor aus der Anstalt Andernach gekommen. Drei aus dem Landkreis Bonn bzw. Siegkreis stammende Frauen starben noch im gleichen Monat: Gertrud Becker, geboren 1888 in Vilich-Rheindorf (heute Bonn), am 10. Juli 1944. Auf den 13. Juli 1944 datiert ein Sterbeeintrag für Wilhelmine Müller (geb. Hansmann oder Hausmann), geboren 1900 in Dattenfeld-Hoppengarten (heute Windeck). Am 28. Juli 1944 starb Anna Elisabeth Berger (geb. Kramer), geboren 1888 in Ruppichteroth-Millerscheid.370 Von den 70.000 „freigemachten“ Anstaltsbetten, so hatten die Verantwortlichen für die Verlegungen errechnet, waren 50.000 anderen Zwecken zugeführt worden. Mit der Orientierung am lokalen Bettenbedarf z. B. nach einem Luftangriff, der zum Abtransport und zur Tötung der „Geisteskranken“ führte, war die Abkehr von der zentralen Planung nach den Kapazitäten der Tötungsanstalten vollzogen. Eine Bewertung der Patienten fand nur noch nach ihrer Arbeitsfähigkeit statt, die Personenzahl ergab sich durch die Anzahl der benötigten Betten für körperlich Verletzte. Es war ein einfacher Austausch. Götz Aly hat sehr anschaulich beschrieben, wie es gemeint war: „In dieser Planung fungierten die geisteskranken Patienten als Platzhalter für den Bedarfsfall. Sie hielten die Betten warm, d. h. die ganze Anstalt blieb für Zwecke der Krankenversorgung in Betrieb, das Personal war unabkömmlich, die Anstalt konnte nicht zur Kaserne umfunktioniert werden.“371

Die Bevölkerung bemerkte die Räumungen und reagierte darauf. Fritz Cropp (1887– 1954), Ministerialdirigent in der Abteilung Gesundheitswesen und Volkspflege und Vorgesetzter Herbert Lindens, berichtete: „Die Erfahrungen haben gezeigt, daß Angehörige versuchen, diese Verlegungen zu vermeiden und die Kranken auch gegen ärztlichen Rat für kurze Zeit nach Hause zu nehmen, um sie später nach der Verlegungsaktion wieder zurückzubringen.“372 Götz Aly hat hervorgehoben, dass das NS-Regime genau darauf achtete. Man beobachtete genau, ob und wie oft Patienten Kontakt zu Angehörigen hatten. Wer nicht viele Besuche oder Briefe erhielt, war stärker gefährdet. Wo Angehörige nach Patienten fragten, reagierte das NS-Regime erstaunlich zugänglich. Waren Patienten bereits abtransportiert und standen kurz vor ihrer Tötung, konnte die Nachfrage von Angehörigen den sofortigen Stopp der Aktion auslösen und die Rückkehr des Patienten bewirken.373 368 369 370 371 372 373

ALVR 55344, Kopie Sterbebuch Meseritz-Obrawalde 1944, Teil 2. ALVR 55344, Kopie Sterbebuch Meseritz-Obrawalde 1944, Teil 2. ALVR 55344, Kopie Sterbebuch Meseritz-Obrawalde 1944, Teil 2. Aly, Aktion (gekürzte Fassung), S. 169. Zitiert nach Aly, Aktion (gekürzte Fassung), S. 171; zu Cropp s. Klee, Personenlexikon, S. 98. Aly, Belasteten, S. 38–41.

318

Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

Andererseits waren Angehörige, die Patienten aus den Anstalten holten, prinzipiell nicht gerne gesehen. Auch frühzeitige Entlassungen aus anderen Gründen waren unerwünscht. Das Regime fürchtete, dass Patienten bei Luftangriffen in den Luftschutzräumen hysterische Anfälle bekämen und somit zur zusätzlichen Belastung für die Bevölkerung würden. Bei Patienten, die als nicht geheilt angesehen wurden, sollte daher notfalls sogar mit polizeilichen Mitteln eine Entlassung verhindert werden. Panik unter der Bevölkerung konnte allzu leicht in Verzweiflung über die Lage umschlagen und, so die Schreckensvorstellung der NS-Führung, wie 1918 in revolutionäre Zustände münden. Dies wollte das Regime mit allen Mitteln unterbinden. Die genaue Zahl der ermordeten Kranken aus dem Untersuchungsgebiet wird wahrscheinlich nie zu bestimmen sein. Nachweisbar sind bisher 148 Personen, die in den Tötungsanstalten ermordet wurden und in Heil- und Pflegeanstalten bzw. „Kinderfachabteilungen“ gestorben sind. Zahl der in Tötungsanstalten ermordeten Personen aus dem Landkreis Bonn und dem Siegkreis374 Landkreis Bonn

Siegkreis

Gesamt

Hadamar

32

53

85

Grafeneck

1

1

2

Brandenburg

2

1

3

Bernburg



3

3

Niedernhart bei Linz



1

1

Galkhausen

1

Andernach



1

1

Lüben / Schlesien



3

3

Hausen

1

3

4

Plagwitz / Schlesien



1

1

Eichberg

3

4

7

Großschweidnitz375



6

6

Waldbreitbach



1

1

Kühr



1

1

Niedermarsberg



1

1

Leipzig-Dösen

1

2

3

Uchtspringe



1

1

Ueckermünde



1

1

Wien

1



1

Kalmenhof



3

3

1

374 Ein digitales Gedenkbuch, das alle Todesopfer aus dem Kreis aufführen wird, entsteht im LVR-Internetportal Rheinische Geschichte (www.rheinische-geschichte.lvr.de) und wird dort laufend aktualisiert. 375 Krumpolt, Landesanstalt.

Offene Fragen: Die Zunahme von Todesfällen

319

Landkreis Bonn

Siegkreis

Gesamt

Meseritz-Obrawalde

7

6

13

Ghetto Krasniczyn

2



2

Sobibor

1

1

2

Minsk

1



1

Polen



1

1

Summe

53

95

148

4.9 Offene Fragen: Die Zunahme von Todesfällen in der Rheinischen Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn 1939–1945 In die Tötung von Patienten waren die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalten nicht nur durch die Abtransporte eingebunden. In allen Anstalten starben ebenfalls Patienten, bei genauerer Betrachtung in auffallender Häufung.

Abb. 80  Ein halbverhungerter Patient sitzt in einem Patientenzimmer der Tötungsanstalt Hadamar, vom amerikanischen Militär aufgenommen, Foto: Peters A. Troy, 5.4.1945

320

Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

Auf die hohen Sterberaten in den Anstalten hat bereits Heinz Faulstich in seiner Studie über das „Hungersterben in der Psychiatrie“ hingewiesen.376 Raimund Hillebrand hat die Todesfälle für die Bonner Heil- und Pflegeanstalt untersucht.377 Die Zahl der Sterbefälle, die in den 1920er und 1930er Jahren bei jährlich etwa 150 Patienten gelegen hatte, stieg 1939 plötzlich deutlich an und überschritt die Marke von 200. In den beiden Folgejahren 1940 und 1941, also während der Abtransporte und Morde in den Tötungsanstalten, erhöhten sich die Zahlen weiter: 1940/41 auf 243 bzw. 317. In den Jahren 1942 und 1943 blieb sie konstant hoch, nämlich 387 und 327. 1944 gab es 443 Todesfälle, 1945 lag die Zahl bei 648, allein im Januar 1945 waren es 158 Personen. Sterbefälle Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn 1939–1945378 Jahr

Sterbefälle

1920–1938

ca. 150 pro Jahr

1939

204

1940

243

1941

317

1942

387

1943

327

1944

443

1945

648

Gesamt

2569

Anhand der Geburts- und Wohnorte lassen sich 475 Personen aus dem Untersuchungsgebiet nachweisen, die zwischen 1939 und 1945 in der Bonner Anstalt starben. Sterbefälle von Personen aus dem Landkreis Bonn und Siegkreis in der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn 1939–1945379 Jahr

Landkreis Bonn

Siegkreis

Gesamt

1939

22

38

60

1940

29

25

54

1941

27

40

67

1942

24

41

65

1943

27

31

58

376 Faulstich, Hungersterben, S. 392 (Galkhausen), 395 (Grafenberg), 396 (Andernach), 399 (Süchteln) und 400 (Tannenhof). 377 Hillebrand, Untersuchungen. 378 Hillebrand, Untersuchungen, S. 56. 379 StA Bonn Sterberegister Bonn.

Ein beispielhafter Blick auf die Betroffenen

321

Jahr

Landkreis Bonn

Siegkreis

Gesamt

1944

30

39

69

1945

59

43

102

Gesamt

218

257

475

Als Erklärung für die sich von Jahr zu Jahr steigernde Anzahl von Todesfällen verweist Hillenbrand auf die Ernährung und die Therapie.380 68 Prozent der Männer und 72 Prozent der Frauen starben auf den beiden Unruhigen- und Siechenstationen (IIIb), auf denen katastrophale Zustände herrschten. Bei einer Verlegung dorthin hatten die Menschen kaum eine Chance, diese wieder lebendig zu verlassen.381 Hillenbrand stellt fest, „dass geradezu eine Selektion stattfand“, denn wer auf einer anderen Station viel Arbeit machte, wurde nach Station IIIb verlegt.382 Für arbeitsunfähige Kranke fiel ein Teil der Nahrung weg, so dass rasch eine Unterernährung eintrat, die bei einem Infekt rasch zum Tode führte.383 Ebenso fand eine ungleiche Behandlung bei Krankheiten statt. Patienten auf den Stationen IIIb erhielten keine angemessene Medikamentierung, so dass sie daran starben.384

4.10 Ein beispielhafter Blick auf die Betroffenen 4.10.1 Josef Fuhr (1884–1941) Josef Fuhr wurde am 16. Januar 1884 in Komp, Amt Oberpleis, heute Königswinter, geboren. Nach der Schule machte er eine Lehre zum Möbelschreiner.385 1911 kaufte er ein Haus in Eudenbach, 1912 heiratete er Anna Maria Fischer (1887–1960). Mit dieser bekam er in den Jahren von 1913 bis 1922 vier Söhne und eine Tochter. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges war er von 1914 bis 1918 Soldat. 1916 fiel er aus drei Metern Höhe. Da er angab, Stimmen zu hören, erfolgte die Einweisung in die Nervenklinik Bonn. Hier wurden eine Depression und Verfolgungswahn diagnostiziert. 1918 war er erneut in der Nervenklinik Bonn, diesmal stellten die Ärzte die Diagnose Neurasthenie (Nervenschwäche). Nach dem Ende des Krieges arbeitete er in seiner Bau- und Möbelschreinerei in Eudenbach. Sie florierte, so dass er zwei Angestellte beschäftigten konnte. Er erhielt den Auftrag, beim Bau des Eudenbacher Schulhauses mitzuarbeiten. 380 381 382 383 384 385

Hillenbrand, Untersuchungen, S. 61–68. Hillenbrand, Untersuchungen, S. 61. Hillenbrand, Untersuchungen, S. 61. Hillenbrand, Untersuchungen, S. 63. Hillenbrand, Untersuchungen, S. 68. ARSK LSK 5130/95.

322

Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

1926 kam er in die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn. Hier war er eine Woche unter Beobachtung. Es wurde eine Rentenhysterie diagnostiziert, d. h. ein Zusammenhang zwischen der Krankheit und der Gewährung einer Rente angenommen.386 Von Mai 1934 ab war er dauerhaft Patient in der Anstalt. Die Ärzte stellten die Diagnose „paranoide Schizophrenie“. Da diese zu den „Erbkrankheiten“ nach dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ zählte, erfolgte am 7. Juli 1934 die Anzeige durch den Anstaltsarzt Ernst Störring und der Antrag auf Unfruchtbarmachung durch den stellvertretenden Leiter der Anstalt Josef Geller. Als Vertreter vor dem Erbgesundheitsgericht fungierte Karl Rehbein aus Bonn. Bei der Verhandlung erklärte er sich Abb. 81  Familie Fuhr im Jahre 1914. V. l. n. r.: mit dem Antrag „nicht einverstanden“. Das Gericht entschied am 7. August 1934 Tochter Maria Fuhr, Josef Fuhr senior, Josef Fuhr junior, Ehefrau Anna Fuhr unter dem Vorsitz von Ludwig Clostermann sowie den Beisitzern Josef Basten und Hans Haupt, dem Antrag zu folgen. Die Operation fand am 18. Oktober 1934 in der Chirurgischen Klinik der Universität durch Hans Fuß statt. Fuhr versuchte sich zu widersetzen, was ihm aber nicht gelang. Er war sehr unruhig und kam auf Veranlassung des Chirurgen sofort wieder in die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt, die besser vorbereitet sei. Als die Krankenmorde begannen, erfüllte Fuhr offenbar die Kriterien für die Einbeziehung in die „Aktion T4“. Am 18. Juni 1941 erfolgte seine Verlegung nach Andernach; von hier aus wurde er am 25. Juli 1941 nach Hadamar gebracht. Die Tötung in der Gaskammer wird wohl noch am gleichen Tag stattgefunden haben. Wie in vielen anderen Fällen erhielten die Angehörigen allerdings eine Todesurkunde aus Bernburg, einer anderen Tötungsanstalt. Auffällig ist, dass sich in der Erbgesundheitsakte noch ein Schreiben vom 10. März 1944 zur Vorlage für das Wehrbezirkskommando findet. Fuhr sei demnach unfruchtbar gemacht worden und die Sippe „stark belastet“.387 1991 begann sein Enkel Wilbert Fuhr mit der Recherche zum Schicksal seines Großvaters und seiner Großmutter, die neben dem Tod des Ehemanns auch den von zweien ihrer Söhne, die in Italien und Russland gefallen waren, zu beklagen hatte.388 386 Ewald, Medizin, S. 375. 387 ARSK LSK 5130/95, Bescheinigung, 10.3.1944. 388 Fuhr, Familiengeschichte.

Ein beispielhafter Blick auf die Betroffenen

323

Abb. 82  Obere Reihe v. l. n. r.: Tochter Maria Fuhr, Josef Fuhr senior und Ehefrau Anna Fuhr, in der mittleren Reihe mit Brille Peter Löbach (Schneider im Hause Fuhr), untere Reihe v. l. n. r.: Josef Fuhr junior und Johann Zumhoff (beide Schreiner in der Schreinerei Josef Fuhr), undatiert

4.10.2 Anita Cremer (1927–1942) Anita Cremer389 wurde am 30. März 1927 in Honnef geboren. Auf den überlieferten Familienfotos ist sie nur selten zu sehen. Möglicherweise haben sich die Eltern wegen ihrer Behinderung geschämt und sie nicht gerne auf Bildern gezeigt.390 Am 29. August 1934 zeigte der niedergelassene Honnefer Arzt Alfons Hein beim Gesundheitsamt das siebenjährige Mädchen wegen „angeborenen Schwachsinns“ an. Da es noch zu jung war, kam der Fall auf Wiedervorlage für 1940. Aus diesem Grund waren wohl auch keine weiteren Erkundigungen eingeholt worden. 389 ARSK LSK 5141/146. 390 Auskunft Rolf Cremer, Bad Honnef, 2018.

324

Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

Abb. 83  Familie Cremer während der Hochzeit von Hilde Cremer, die zweijährige Anita als Kleinkind unten links, 1926

Im Jahr 1936 hatte der Vater August Cremer (1878–1956) einen „Sippenfragebogen“ auszufüllen. Bereits am 9. Mai 1939 zeigte Josef Struben, Arzt im Gesundheitsamt, Anita Cremer erneut an. Diesmal lautete die Diagnose „mongoloide Idiotie“. Da das Mädchen erst zwölf Jahre alt war, wurde der Fall erneut auf Wiedervorlage gelegt, diesmal für das Jahr 1943. In der Erbgesundheitsakte im Gesundheitsamt befindet sich ein Schreiben des Kreisarztes vom 29. Dezember 1941 an den Regierungspräsidenten in Köln. Es handelt sich offenbar um eine Antwort auf

Abb. 84  Anita Cremer (1928–1942), nach 1933

Ein beispielhafter Blick auf die Betroffenen

325

Abb. 85  Siegburg, Haus zur Mühlen, undatiert

eine nicht erhaltene Anfrage. Erwähnt wird ein Antrag des Vaters. Danach scheint das Gesundheitsamt um eine Stellungnahme gebeten worden zu sein. Bruno Bange stellte nun die Diagnose „mongoloide Idiotie“ und urteilte, das Kind werde „nach seiner Entwicklung nicht zu einem brauchbaren Volksgenossen heranwachsen.“391 Sonst seien über die Familie keine „weiteren Besonderheiten“ bekannt. 1942 kam Anita Cremer nach Siegburg ins Krankenhaus. Offenbar hatte sie sich mit Diphtherie angesteckt, denn sie lag auf der Infektionsabteilung. Diese war im Sommer 1941 auf Veranlassung des Kreisarztes Bange zunächst für die Dauer des Krieges aus dem Krankenhaus in ein bisher zum Zwecke der Erholung dienenden Gebäude des Hofgutes Haus zur Mühlen umgezogen. Die Isolierstation war der Inneren Abteilung angeschlossen. Deren Leiter, Walther Schoppe (1889–1961), hatte mit der Betreuung der Kinder die Kinderärztin Luise Baare beauftragt.392 Anita Cremer starb hier am 15. März 1942. Als Todesursache ist auf der Sterbeurkunde „Schwarze toxische Diphtherie“ angegeben.393

391 ARSK LSK 5141/146, GSA an RP, 29.12.1941. 392 Bruch, Betreuung, S. 59. 393 Auskunft Rolf Cremer, Bad Honnef, 16.1.2018.

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Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

4.10.3 Wilhelm Münz (1923–1943) Wilhelm Münz wurde am 8. Juni 1923 in Heisterbacherrott geboren.394 Durch das Kreisjugendamt war er in einer Fürsorgeerziehungs-Anstalt untergebracht. Mit einem Schreiben vom 12. September 1936 bat das Amt für Volkswohlfahrt Kreis Sieg das Gesundheitsamt um eine Untersuchung. Der stellvertretende Amtsarzt Lother Diehm teilte am 15. September 1936 das Ergebnis der Prüfung mit: Es handele sich bei Münz um eine „psychopathische Persönlichkeit, die der deutschen Volksgemeinschaft noch sehr viel Schaden zurichten wird, wenn nicht ganz energi- Abb. 86  Wilhelm Münz mit seinen Schwestern (Anita links, Lotte rechts), undatiert sche Erziehungsmassnahmen rücksichtlos durchgeführt werden“. Die Mutter sei einsichtslos und entschuldige ihren Sohn. Eine Rückverbringung in eine FürsorgeerziehungsAnstalt sei daher notwendig. Für die Einschätzung lagen ihm die Erziehungsliste der Anstalt und ein Gutachten des Bonner Nervenarztes Egon Diener vor. Am 18. September 1936 zeigte Diehm schließlich den 13-jährigen Münz an. Er diagnostizierte bei ihm „angeborenen Schwachsinn“ und eine „schwere Psychopathie“.395 Das Kreisjugendamt brachte Münz in der Kinderanstalt unter, wo er beobachtet wurde. Das Gesundheitsamt bat die Kinderanstalt am 15. Oktober 1936 um ihre Einschätzung, ob Münz unter das Sterilisationsgesetz falle. Nach einer Vertröstung am 24. November 1936 sandte der Leiter Hans Aloys Schmitz am 3. Dezember 1936 seinen Befundbericht ab. Das Kreisjugendamt informierte am 21. Dezember 1936 das Gesundheitsamt, dass „der Junge nicht erbkrank und deshalb auch bildungs- und erziehungsfähig“ sei. Die Fürsorgeerziehung bleibe bestehen und Münz werde weiterhin vom Kreisjugendamt betreut. Nach den Gutachten von Hans Aloys Schmitz und Krämer sei er ein „Psychopath“.396 Da Münz demnach nicht als „erbkrank“ galt, stellte das Gesundheitsamt auch keinen Antrag auf Unfruchtbarmachung. Trotz dieses Ergebnisses teilte das Gesundheitsamt der Kreis-Polizeibehörde am 25. Juni 1941 bezüglich der „Erfassung der tuberkulosekranken, tuberkuloseverdächtigen 394 ARSK LSK 5275/811. 395 ARSK LSK 5275/811. 396 ARSK LSK 5275/811.

Ein beispielhafter Blick auf die Betroffenen

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und tuberkulosegeführten sowie sterilisieren Wehrpflichtigen“ mit, dass Münz als erbkrank gemeldet sei.397 Das Rassenpolitische Amt der NSDAP-Gauleitung wandte sich am 2. Dezember 1941 an das Gesundheitsamt, da ein Verwandter von Münz, Johann Christian Henseler aus Heisterbacherrott, einen „Ausleseantrag“ an den Reichsbund Deutscher Familien gestellt hatte. Das Erbbiologische Institut habe zu dem Antrag eine Belastung festgestellt. Die Partei bat das Gesundheitsamt, die Familie zu prüfen. Das Gesundheitsamt attestierte am 15. Januar 1942 „keine Bedenken“ und führte aus: Die Schwester des Vaters leide angeblich an Schizophrenie. Es sei ein Gutachten von Schmitz [aus der Kinderanstalt] und eine Mitteilung über die Musterung vorhanden. Demnach drangsalierte Münz seine Mitschüler, jedoch konnte kein „causaler Zusammenhang“ herausgestellt werden und daher sei kein Antrag auf Unfruchtbarmachung gestellt worden. Münz leistete seinen Militärdienst bei einer Flak-Abteilung. 1943 verurteilte ihn ein Feldgericht der 7. Flak-Division wegen Desertion zum Tode. Die Hinrichtung des 20-jährigen Münz fand am 24. Juli 1943 auf dem Schießstand in Köln-Dünnwald statt, die Beerdigung am 28. Juli 1943 auf dem Kölner Westfriedhof.398 Damit war Münz zweimal Opfer des NS-Regimes geworden.

397 ARSK LSK 5275/811. 398 Auskunft Dr. Thomas Roth, NS-Dokumentationszentrum Köln, 15.7.2020; http://www.museenkoeln. de/Downloads/nsd/EL-DE-Jahresb_2014.pdf, abgerufen am: 25.8.2020.

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Die nationalsozialistische „Euthanasie“ an Rhein und Sieg

Abb. 87  Sterbeurkunde von Wilhelm Münz, 2.11.1943

V. Verbrechen und Verbrecher in den Konzentrationslagern Ausgewählte Lebenswege

Es ist auch Medizinverbrechen jener Personen nachzugehen, die aus dem heutigen RheinSieg-Kreis stammen oder – später – eine Verbindung dorthin hatten. Vier Personen, die in Konzentrationslagern ihre Taten begingen, sind dabei besonders in das Blickfeld geraten: Otto Bickenbach (1901–1971), gebürtig aus Ruppichteroth, sein Assistent Helmut Rühl (geb. 1918), Siegried Ruff (1907–1989) und Herta Oberheuser (1911–1978). Hinzu tritt Wilhelm Döring (geb. 1917), der an der Erschießung von Kranken im Osten beteiligt war. Sie alle ließen sich nach 1945 im Untersuchungsgebiet nieder.

5.1 Menschenversuche mit Kampfgas: Otto Bickenbach1 und Helmut Rühl2 Der Arzt Otto Bickenbach war verantwortlich für Versuche mit Kampfgas im Konzentra­ tionslager Natzweiler-Struthof. Bickenbach wurde am 11. März 1901 in Ruppichteroth als Sohn eines Bauern geboren. 1919 machte er ein Notabitur in Elberfeld. Er gehörte dem Freikorps Lettow-Vorbeck an und war mit diesem in Berlin und Hamburg. 1920 wechselte er ins Freikorps Ehrhardt, wo er bis 1923 blieb. Gleichzeitig nahm er 1920 ein Medizinstudium an der Universität Köln auf. Weitere Stationen waren Marburg, Heidelberg und München, wo er von 1928 bis 1934 an der Medizinischen Universitätsklinik als Assistenzarzt tätig war. Bereits 1933 war er einer der Mitgründer der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) an den städtischen Krankenhäusern in München. Sein Eintritt in die NSDAP datiert auf den 1. Mai 1933. Im Oktober 1933 trat er in die SA ein, 1939 in den NS-Dozentenbund. Von April bis Oktober 1934 leitete er kommissarisch die Medizinische Klinik der Universität Freiburg. Anschließend wechselte er als Oberarzt an die Universität Heidelberg, wo er zugleich die stellvertretende Leitung der Ludolf-Krehl-Klinik (Medizinische Universitäts- und Poliklinik) übernahm. 1938 habilitierte er sich mit einer Arbeit über das Thema „Blutkreislauf- und Atmungskorrelationen als Grundlage konstitutioneller Leistungsfähigkeit“. Zusammen mit Hellmut Weese (1897–1954) beschäftigte er sich 1 Klee, Personenlexikon, S. 47 f.; Mitscherlich/Mielke, Medizin, S. 169 f.; Forsbach/Hofer, Internisten, S. 213–216. 2 Klee, Personenlexikon, S. 513 f.

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Verbrechen und Verbrecher in den Konzentrationslagern

1939 mit Vergiftungen durch Phosgen, ein als chemischer Kampfstoff eingesetztes Gas. Tierversuche ergaben, dass vorbeugend eingenommenes Unotropin (ein Festbrenn- und Konservierungsstoff) gegen Phosgenvergiftungen wirkt. Ende August, kurz vor Kriegsbeginn, erfolgte die Einberufung Bickenbachs zur Wehrmacht, wobei er seinen Dienst an der Universitätsklinik Heidelberg als stellvertretender Lazarettleiter verrichtete. Gleichzeitig forschte er auf dem Gebiet der Kampfstoffvergiftungen weiter. Am 24. November 1941 trat Bickenbach eine außerordentliche Professur an der neu gegründeten Reichsuniversität Straßburg an, wo er als Direktor der Medizinischen Poliklinik und zusammen mit Rudolf Fleischmann (1903–2002) als Direktor des Forschungsinstitutes der Medizinischen Fakultät fungierte. Im Konzentrationslager Natzweiler-Struthof in den Vogesen war im August 1943 eine Gaskammer für medizinische Menschenversuche errichtet worden. Nach einer Versuchsreihe im Sommer 1943 testeten Bickenbach und sein Assistent Helmut Rühl von Juni bis August 1944 die Wirkung von Giftgas an Häftlingen.3 Zu diesem Zweck waren diese eigens aus dem Konzentrationslager Auschwitz nach Natzweiler-Struthof verlegt worden. Mehr als 50 Menschen, darunter hauptsächlich Sinti und Roma, kamen durch die Experimente ums Leben. Nach dem Krieg konnte Bickenbach fast zwei Jahre unbehelligt leben. Erst am 17. März 1947 wurde er festgenommen und nach Frankreich ausgeliefert. Bei seinen Vernehmungen erklärte er, die Versuche „mit Rücksicht auf Himmlers Befehl“ ausgeführt zu haben, obwohl ihm bewusst gewesen sei, dass sie „der ärztlichen Ethik zuwiderlaufen.“ Ihm sei mitgeteilt worden, dass die Testpersonen „auf Grund ordentlicher Gerichtsentscheidungen zum Tode verurteilt worden seien.“ Seine Aussagen flossen auch in den Nürnberger Ärzteprozess ein. Bickenbach wurde am 24. Dezember 1952 zusammen mit Eugen Haagen (1898–1972), der ebenfalls Professor an der Reichsuniversität Straßburg gewesen war und Fleckfieberversuche durchgeführt hatte, wegen der „Verbrechen der Anwendung gesundheitsschädlicher Substanzen und Giftmord“ von einem französischen Militärgericht in Metz zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt. Im Januar 1954 hob ein Militärgericht in Paris das Urteil auf. In einem neuen Prozess vor einem Militärgericht in Lyon wurden Bickenbach und Haagen zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Im Rahmen einer Amnestie kamen beide 1955 frei. Bickenbach ließ sich als Internist in Siegburg nieder, wo sein ehemaliger Assistent Rühl Anfang der 1960er Jahre Amtsarzt geworden war. 1966 kam das Berufungsgericht für Heilberufe in Köln zu der Entscheidung, dass Bickenbach mit der Beteiligung an den Versuchen seine Berufspflichten nicht verletzt habe. Bickenbach starb am 26. November 1971 in Siegburg. Rühl blieb bis zu seiner Pensionierung 1983 Amtsarzt. Er hatte sich durch Flucht aus der britischen Internierungshaft einem Gerichtsverfahren in Frankreich entziehen können. Ein Ermittlungsverfahren in Deutschland wurde 1984 wegen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt. 3 Schmaltz, Kampfstoff-Forschung, S. 546.

Lagerärztin im „Frauen-Umschulungslager“: Herta Oberheuser

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5.2 Lagerärztin im „Frauen-Umschulungslager“: Herta Oberheuser4 Die Ärztin Herta Oberheuser war verantwortlich für Menschenversuche im Konzentra­ tionslager Ravensbrück. Oberheuser wurde am 16. Mai 1911 in Köln als Tochter eines Ingenieurs geboren und wuchs in Düsseldorf auf. Hier bestand sie 1931 ihr Abitur und studierte im Anschluss Medizin in Bonn und Düsseldorf. Das Studium musste sie sich teilweise selbst finanzieren. 1936 bestand sie das Staatsexamen, 1937 folgte die Promotion. Sie arbeitete am Physiologischen Institut Bonn als Assistenzärztin und ging danach an die Medizinische Klinik in Düsseldorf. Für die Fachausbildung zur Hautärztin wechselte sie in die dortige Hautklinik. 1940 war die Ausbildung zur Dermatologin abgeschlossen. Sie fand eine Anstellung im Gesundheitsamt Düsseldorf, wo sie hauptsächlich Vivisektionen, Forschungsversuche an lebenden Tieren, durchführte. Noch vor ihrem Studienabschluss war sie 1935 Mitglied des BDM geworden, wo sie später als Ringärztin fungierte. Seit 1937 war sie auch Mitglied der NSDAP, ebenso im NS-Schwesternverband, im NS-Ärztebund und im NS-Luftschutzbund. 1940 bewarb sie sich auf eine Ausschreibung als Lagerärztin in einem „Frauen-Um­ schu­lungslager“. Gemeint war das Konzentrationslager Ravensbrück. Nach drei Monaten Einarbeitung wurde sie dorthin dienstverpflichtet. Von Anfang 1941 bis Sommer 1943 war sie hier tätig, um dann zur Heilanstalt Hohenlychen als chirurgische Assistentin zu wechseln. Im Konzentrationslager Ravensbrück sollten mit medizinischen Experimenten an lebenden Menschen die Lebensfunktionen des Körpers unter Extrembelastungen erforscht werden, auch hinsichtlich der militärischen Nutzung. Dabei fügten die Mediziner den Versuchsopfern Verletzungen zu, beobachteten die Heilung und testeten Heilmittel aus. Sie versuchten herauszufinden, ob Sulfonamide die Wirkung von Antibiotika hatten. Bakterien, Fäulniserreger, Holzsplitter und Glas wurden in dafür eigens zugefügte Wunden eingebracht, um so Bombensplitter zu simulieren. Viele Opfer starben während der Versuche oder Jahre später an den Folgen. Verantwortlich für die Experimente waren Karl Gebhardt (1897–1948), Fritz Fischer (1912–2003), Ludwig Stumpfegger (1910–1945) und Herta Oberheuser. Oberheuser übernahm dabei die Auswahl der Häftlinge, assistierte während der Operationen und kümmerte sich um die Nachversorgung. Diese war eine bewusste Nichtversorgung, da die Auswirkungen der Infektionen beobachtet werden sollten. Sie wählte hauptsächlich junge Polinnen aus, die aus politischen Gründen im Lager waren. Zahlreiche von ihnen wurden nach der Behandlung durch Injektionen getötet, was Oberheuser später als humanitären Akt darzustellen versuchte. Im Gegensatz zu den anderen Ärzten benutzte sie 4 Klee, Personenlexikon, S. 441; Mitscherlich/Mielke, Medizin, S. 134, 141–143, 157, 282; Ralf Jatzkowski, Herta Oberheuser (1911–1978) auf https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/herta-oberheuser, abgerufen am: 25.8.2020; Der Spiegel 49/1960 (9.11.1960).

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Verbrechen und Verbrecher in den Konzentrationslagern

jedoch Benzin, das erst nach drei bis fünf Minuten wirkte und daher mit mehr Qualen für das Opfer verbunden war. Neben den medizinischen Versuchen war Oberheuser auch an Zwangsabtreibungen beteiligt, auch bei Frauen, die bereits im siebten oder achten Monat schwanger waren. Der Abort wurde durch Schläge auf den Leib hervorgerufen. Kam es zur Geburt, wurden die Neugeborenen getötet. Nachweisen lassen sich 60 Opfer von Oberheuser. Oberheuser war die einzige Frau im Nürnberger Ärzteprozess, die wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt wurde. Die Verhandlung fand am 3. und 8. April 1947 statt. Ihre Verteidigung bestand in der Hervorhebung ihrer „Weiblichkeit“ mit dem Argument, dass Frauen zu solchen brutalen Taten nicht fähig sein könnten. Die Experimente hätten das Leben von verwundeten Soldaten gerettet. Sie wollte von den Schrecken des Lagers nicht gewusst haben, habe die Anordnungen als direkt von Hitler gegeben empfunden und somit als legitim erachtet. Die Operationen seien für die Frauen eine Chance zum Überleben gewesen, wogegen offenkundig spricht, dass sie häufig nach der Behandlung ermordet wurden. Nach vierwöchiger Beratungszeit sprach das Gericht sie schuldig und verurteilte sie am 20. August 1947 zu 20 Jahren Haft. Die Zulassung als Ärztin wurde ihr nicht entzogen. Da sie als Frau nicht Mitglied der SS werden konnte, konnte sie auch nicht wegen der Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation verurteilt werden. Das hat sie möglicherweise vor der Todesstrafe gerettet. 1951 wurde das Urteil auf zehn Jahre reduziert und schon am 4. April 1952 wurde Oberheuser wegen guter Führung aus dem Kriegsverbrechergefängnis Landsberg entlassen. Oberheuser wurde als Spätheimkehrer anerkannt und erhielt eine berufliche Förderung. Sie ließ sich als praktische Ärztin in Stocksee bei Neumünster nieder. Gleichzeitig arbeitete sie bei der Johanniter-Heilstätte in Plön. 1956 wurde sie von einer Überlebenden aus Ravensbrück erkannt und angezeigt. Die Johanniter-Heilstätte entließ sie daraufhin. Die Staatsanwaltschaft in Kiel eröffnete ein Verfahren, stellte dies jedoch 1967 wieder ein, da Oberheuser nicht ein weiteres Mal für die gleiche Tat verurteilt werden konnte. Proteste der Arbeitsgemeinschaft ehemaliger Ravensbrückerinnen und Artikel in der internationalen Presse bewirkten im August 1958 die Entziehung der Approbation. Die Anfechtungsklage wurde am 4. Dezember 1960 zurückgewiesen. Oberheuser musste ihre Praxis schließen. Sie verzog im Mai 1965 nach Bad Honnef. Herta Oberheuser starb am 24. Januar 1978 in der Nachbarstadt Linz am Rhein.

5.3 Vom Einsatzkommando zur Kriminalpolizei: Wilhelm Döring Wilhelm Döring5 war als Jugendlicher 1933 Mitglied der SA geworden. Nach dem Abitur, dem Arbeits- und Wehrdienst fing er 1938 bei der Kriminalpolizei an und trat der 5 Eichmüller, SS, S. 227; Friedman, Massnahmen, S. 385–389; http://www.siegburg.de/stadt/newsletter/ nl/80045/newsletter.html, abgerufen am: 25.8.2020.

Höhenversuche im KZ Dachau: Siegfried Ruff

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SS bei. 1941/42 war der SS-Obersturmführer in Weißrussland Kommandeur eines Teiltrupps des Einsatzkommandos 8 der Einsatzgruppe B, die für die Erschießung von Juden verantwortlich war. Im November 1941 befahl er in Šumjači, 16 „geisteskranke“ Kinder zu töten. Nach 1945 wurde er Leiter der Kriminalpolizei in Siegburg. Im Mai 1961 erfolgte seine Festnahme, weitere 24 Polizeibeamte wurden suspendiert. Im November 1962 wurde Döring vom Landgericht Bonn zu sechs Jahren Zuchthaus wegen Beihilfe zum Mord verurteilt.

5.4 Höhenversuche im KZ Dachau: Siegfried Ruff Siegfried Ruff6 hatte in Bonn und Berlin studiert. Ab 1934 war er Direktor des Institutes für Flugmedizin der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt e. V. in Berlin-Adlershof. 1937 trat er in die NSDAP ein. 1942 beteiligte er sich an den Höhenversuchen im KZ Dachau, wobei Fallschirmabsprünge aus großer Höhe in einer Unterdruckkammer simuliert wurden. Im Nürnberger Ärzteprozess erhielt er einen Freispruch. Er arbeitete anschließend in Heidelberg am Aero Medical Center der US-Armee und richtete sich ein medizinisch-diagnostisches Laboratorium in Bad Godesberg ein. Von 1954 bis 1965 war er Leiter des neugegründeten Institutes für Flugmedizin der Deutschen Versuchsanstalt in Bonn.

6 Klee, Personenlexikon, S. 514; Mitscherlich/Mielke, Medizin, S. 20–50.

VI. Schädigung und Entschädigung Schwieriger Aufbruch nach 1945

6.1 Kampf um Anerkennung und Entschädigung – die Wiederaufnahmeverfahren nach 1945 Nach 1945 haben die Alliierten das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ nicht in Gänze aufgehoben. Einzelne Länder und Besatzungszonen gingen auf unterschiedliche Weise damit um: In Thüringen wurde das Gesetz im August 1945 aufgehoben, in Bayern im November 1945 und in der sowjetischen Besatzungszone im Januar 1946. In Hessen wurde es ab Mai 1946 nicht mehr angewandt, in Württemberg-Baden im Juli 1946 ausgesetzt.1 In der britischen Besatzungszone, in der auch der Landkreis Bonn und der Siegkreis lagen, waren seit Juli 1947 Wiederaufnahmen der Erbgesundheitsverfahren möglich.2 Mit Inkrafttreten des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland 1949 verloren die dem Grundgesetz widersprechenden Vorschriften ihre Gültigkeit. Von nun an war die Bundesregierung in der Verantwortung. Ein Teil der deutschen Wiedergutmachungspolitik war die Entschädigung der Opfer nationalsozialistischer Verbrechen. Einzelne Länder hatten bereits damit begonnen. Das erste einheitliche, bundesweit geltende Gesetz war das 1953 verabschiedete „Bundesergänzungsgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (BEG)“.3 Dieses wurde 1956 mit dem „Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (Bundesentschädigungsgesetz, BEG)“ neu gefasst.4 Die Opfer von Zwangssterilisationen und die Angehörigen ermordeter Patienten blieben unberücksichtigt.5 Zur Frage der Entschädigung der Opfer erklärte die Bundesregierung am 7. Februar 1957 vor dem Deutschen Bundestag:

1 2 3 4 5

Scheulen, Rechtslage, S. 213. Tümmers, Wiederaufnahmeverfahren. BGBl 1953, S. 1387–1408. BGBl 1965, S. 559–596. Hamm, Umgang.

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Schädigung und Entschädigung

Abb. 88  Schreiben des Kölner Regierungspräsidenten zur Rechtslage der Zwangssterilisation, 17.6.1946

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„Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14.  Juli 1933 ist kein typisch nationalsozialistisches Gesetz, denn auch in demokratisch regierten Ländern – z. B. Schweden, Dänemark, Finnland und in einigen Staaten der USA – bestehen ähnliche Gesetze; das Bundesentschädigungsgesetz gewährt aber grundsätzliche Entschädigungsleistungen nur an Verfolgte des NS-Regimes und in wenigen Ausnahmefällen an Geschädigte, die durch besonders schwere Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze Schäden erlitten haben.“6

Mit dieser Einschätzung waren die Opfer des Gesetzes nicht zum Erhalt von Entschädigungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz berechtigt. Aufgrund des Gesetzes zur Wiedergutmachung konnten politisch und rassisch Verfolgte Ansprüche geltend machen. Die Opfer von Zwangssterilisationen und die Angehörigen von „Euthanasie“-Opfern stellten ebenfalls Anträge auf Wiedergutmachung. In wenigen Erbgesundheitsakten finden sich Hinweise auf solche Anträge. Privatpersonen, Rechtsanwälte der Opfer und staatliche Institutionen (Amt für Wiedergutmachung, Gerichte), die sich mit den Anträgen beschäftigten, haben sich an die Gesundheitsämter gewandt und um Akteneinsicht gebeten bzw. Akten angefordert. Für viele Geschädigte blieb das Stigma des „Erbkranken“, das die nationalsozialistische Ideologie und Propaganda erzeugt hatte, und es bedurfte der Überwindung von Scham, sich überhaupt als Opfer und Entschädigungsberechtigte anzusehen. Die Einsichtnahme erwies sich für die Opfer und Antragsteller als schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Das Gesundheitsamt in Siegburg, nach wie vor vertreten durch den mittlerweile wieder amtierenden Amtsarzt Bruno Bange, weigerte sich, Privatpersonen und deren Rechtsvertretern Einsicht zu gewähren. Damit stand er nicht allein. Auch der Regierungspräsident vertrat die Ansicht, dass Privatpersonen und Rechtsvertreter keine Akteneinsicht erhalten durften. In einem Fall wurde die Anfrage eines Rechtsanwaltes vom Gesundheitsamt abschlägig beantwortet. Dem Amt für Wiedergutmachung im Hause erteilte der Amtsarzt aber Auskunft und dem Landgericht Düsseldorf wurden auf dessen Anforderung auch die Akten zugesandt.7 Dabei verwies Bange auf einen Runderlass des Reichsministers des Inneren vom 26. August 1935, nach dem er nicht befugt sei, Rechtsanwälten Einsicht in die Akten zu gewähren. Ebenfalls führte er einen ähnlichen Fall mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde beim Regierungspräsidenten an, wonach weder Privatpersonen noch Rechtsvertreter Einsicht erhielten.8

6 Plenarprotokoll 2/191, S. 10876 (A), zitiert nach Scheulen, Rechtslage, S. 213. 7 ARSK LSK 5284/860. 8 ARSK LSK 5216/520.

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Schädigung und Entschädigung

Abb. 89  Schreiben des Kölner Regierungspräsidenten zur Frage der Einsichtnahme in Erbgesundheitsakten, 13.6.1955

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In einem Fall wurde Akteneinsicht gewährt9, ebenso bei Anfragen von Gerichten10. Unter dem Aktenzeichen 11/60 führte das Amtsgericht Köln, „Abt. 102 (Erbgesundheitsgericht)“, ein Wiederaufnahmeverfahren, das am 30. Januar 1962 zur Verhandlung kam. Peter M. (geb. 1916) aus Alfter war am 10. August 1936 von dem stellvertretenden Amtsarzt Friedrich Bierbaum wegen „angeborenen Schwachsinns“ angezeigt worden. Am gleichen Tag stellte der Arzt auch den Antrag auf Unfruchtbarmachung. Das Gericht unter dem Vorsitz von Viktor Genniges mit den Beisitzern Franz Heinrich Faller und Alfred Esser hatte am 1. Oktober 1936 beschlossen, dem Antrag zuzustimmen. M. sei „arbeitsscheu“ und „eigensinnig“, hatte es damals geheißen. Die Diagnose sei „einwandfrei festgestellt“. Die Sterilisation fand am 5. Januar 1937 in der Chirurgischen Klinik statt. 26 Jahre später stützte sich das Gericht bei seiner Urteilsfindung auf ein neues Gutachten des leitenden Medizinaldirektors des Landeskrankenhauses Bonn Wilhelm Hadamik. Dieser urteilte, es liege kein „angeborener Schwachsinn“ vor, und bemerkte, der Geist des Gesetzes lasse eine weite Auslegung zu. Das Gericht kam deshalb zu dem Schluss, dass die Unfruchtbarmachung nicht gerechtfertigt gewesen war, und hob den Beschluss auf.11 Die bei den Ämtern für Wiedergutmachung gestellten Anträge begründeten die Antragsteller mit „Schaden an Körper und Gesundheit“. Das Amt für Wiedergutmachung stellte in seinen Ermittlungsberichten für den Regierungspräsidenten jedoch regelmäßig fest: „Die Sterilisierung ist keine Verfolgungsmaßnahme im Sinne von § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes.“ Und weil das Unrecht in Gesetzesform gegossen war und die Sterilisierungen durch ein Gericht beschlossen worden, verschloss sich das Amt der Härteklausel: „Auch kann eine Entschädigung aus dem Härtefond nach § 79 Abs. 3 Ziffer 7 nur in Frage kommen, wenn der Antragsteller ohne vorausgegangenes Verfahren nach dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses sterilisiert worden ist.“12 Im Umkehrschluss hieß das: Nur wer ohne Gerichtsverfahren sterilisiert worden war, war unrechtmäßig unfruchtbar gemacht worden. Das zum Zwecke der Unfruchtbarmachung erlassene Gesetz war damit immer noch in Kraft und rechtmäßig. Der Bescheid des Regierungspräsidenten lehnte dann erwartungsgemäß den Antrag ab und bezog sich auf den „legalen“ Ablauf: „Die Sterilisation erfolgte nicht aus politischen Gründen, sondern auf Grund des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, nachdem ein ordentliches Gerichtsverfahren vorausgegangen war.“ Für den Inhalt des Verfahrens fühlte sich der Regierungspräsident nicht zuständig: „Es gehört nicht zur Zuständigkeit der erkennenden Behörde nachzuprüfen, ob der Eingriff etwa medizinisch gerechtfertigt war oder nicht.“13 Dabei war das Vorgehen keineswegs einheitlich: In einem Fall gleich darauf akzeptierte er das Ergebnis solcher Verfahren: 9 10 11 12 13

ARSK LSK 5200/438. ARSK LSK 5284/860. ARSK LKB 6815. ARSK SK 5010, Amt für Wiedergutmachung an RP, 28.10.1955. ARSK SK 5010, Bescheid RP 26.3.1956.

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Schädigung und Entschädigung „Abgesehen davon wird die Behauptung der Antragstellerin, die Sterilisation sei lediglich auf Betreiben ihres Ehemannes vorgenommen worden, um die Ehescheidung zu erlangen, schon dadurch widerlegt, daß zwei ihrer Geschwister ebenfalls sterilisiert wurden.“14

Mit dem BEG-Schlussgesetz von 196515 endete die Möglichkeit der Antragstellung auf Wiedergutmachung zum 31. Dezember 1969. Noch gültige Vorschriften des Gesetzes über Maßnahmen mit Einwilligung des Betroffenen wurden am 18. Juni 1974 aufgehoben.16 1980 kam es zu einer Einmalzahlung von 5000 DM für die Opfer. Erst im Jahr 1988 stellte der Bundestag fest, dass die auf Grundlage des Gesetzes durchgeführten Zwangssterilisationen nationalsozialistisches Unrecht waren. Die Opfer von Sterilisationen und Angehörige von „Euthanasie“-Opfern erhielten schließlich Leistungen nach den „Richtlinien der Bundesregierung über Härteleistungen für Opfer von nationalsozialistischen Unrechtmaßnahmen im Rahmen des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes (AKG-Härtefallrichtlinien)“ vom 7. März 1988, da sie unter folgende Definition fielen: „durch NS-Unrecht geschädigte Personen, die wegen ihrer körperlichen oder geistigen Verfassung oder wegen ihres gesellschaftlichen oder persönlichen Verhaltens vom NS-Regime als Einzelne oder als Angehörige von Gruppen angefeindet wurden und denen deswegen Unrecht zugefügt wurde. Hierzu zählen u. a. Euthanasie-Geschädigte, Zwangssterilisierte und Homosexuelle. Als Unrecht gelten auch gesetzmäßig verhängte Strafen, wenn sie, auch unter Berücksichtigung der Zeit-, insbesondere der Kriegsumstände, als übermäßig bewertet werden müssen.“17

Erstmals waren laufende Zahlungen vorgesehen, allerdings mussten die Antragsteller in einer Notlage sein und durch eine fachärztliche Untersuchung einen nachhaltigen Gesundheitsschaden nachweisen. Nach einer Änderung 1989 wurde das Ausmaß des nachzuweisenden Gesundheitsschadens reduziert. 1990 konnten Heimbewohner einen Zuschuss von 200 DM erhalten, Zwangssterilisierte erhielten monatlich 100 DM. Diese Entwicklung in der Politik fand vor dem Hintergrund der zunehmenden wissenschaftlichen Beschäftigung mit den NS-Medizinverbrechen statt.18 Doch erst am 25. August 1998 verabschiedete der Bundestag das „Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege“19 und hob damit auch die Sterilisationsbeschlüsse der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte auf. Die monatliche Beihilfe erhöhte sich auf 120 DM. 14 15 16 17

ARSK SK 5010. BGBl 1965, S. 1315. BGBl 1974, S. 1297. Richtlinien, 7.3.1988, zitiert nach Surmann, NS-Unrecht, S. 207, Fußnote 37. Zum Umgang mit Homosexuellen u. a. Sparing, Entmannung. 18 Blasius, Schrittmacher. 19 BGBl 1998, S. 2501.

Höhenversuche im KZ Dachau: Siegfried Ruff

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2002 entfiel die Notlagenvoraussetzung. Angehörige von „Euthanasie“-Opfern konnten nun Anträge stellen, wenn sie zum Zeitpunkt des Todes eines Elternteils selbst noch keine 18 Jahre alt waren. Die einmalige Entschädigung von 2556,46 Euro (5000 DM) erhielten sie nicht für die Ermordung, sondern weil „ein Unterhaltsschaden nach § 844 BGB“ eingetreten war. Nach der Neufassung von 2004 stiegen die laufenden Zahlungen auf 100 Euro im Monat, Heimbewohner erhielten ein Taschengeld von 102,46 Euro und für die Einmalzahlung erhöhte sich die Altersgrenze bei den Kindern von „Euthanasie“-Opfern auf 21 Jahre. Der Sockelbeitrag für laufende Leistungen bei besonderen Notlagen stieg 2005 auf 200 Euro und die monatlichen Zahlungen für Zwangssterilisierte 2006 auf 120 Euro. Am 24. Mai 2007 fand die Ächtung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ durch einen Beschluss des Deutschen Bundestages statt. Eine Neufassung der Richtlinien vom 28. März 2011 sah vor, dass Zwangssterilisierte monatlich 291 Euro erhielten, das Heimtaschengeld stieg auf 150 Euro. Der gleiche Betrag war für „Euthanasie“Geschädigte vorgesehen, die bereits in einer Tötungsanstalt waren und zurückgestellt wurden. Allerdings lebten nur noch drei Personen, die dazu berechtigt waren.20 Eine letzte Änderung dieser Richtlinien fand am 15. Oktober 2014 statt. Nun erhielten alle Opfer, Zwangssterilisierte und „Euthanasie“-Geschädigte (nur noch zwei) 320 Euro monatlich, das Heimtaschengeld fiel weg. Ab dem vierten Quartal 2017 wurde der monatliche Betrag rückwirkend ab dem 1.  September 2016 auf 352 Euro erhöht. Im Januar 2018 lebten noch 103 Zwangssterilisierte, die monatliche Zahlungen erhielten. Mögliche andere Überlebende hatten keinen Antrag gestellt. Ab 1. Januar 2019 erhöhte sich die monatliche Zahlung für alle Zwangssterilisierten und einen noch lebenden „Euthanasie“-Geschädigten auf 415 Euro. Eine Übersicht des Bundesfinanzministeriums mit Stand vom 31. Dezember 2019 nennt für die Einmal-Leistungen 9470 Anträge von Zwangssterilisierten für den Zeitraum von 1980 bis 1988 sowie 4671 weitere nach 1988. In 8805 Fällen ist demnach vor 1988, in 5013 Fällen nach 1988 eine einmalige Entschädigung gezahlt worden. Lediglich in 292 Fällen gab es einen negativen Bescheid oder eine Weiterleitung. 528 „Euthanasie“Geschädigte haben Anträge gestellt, von denen 345 positiv beschieden wurden. Bei den laufenden Leistungen waren insgesamt 3146 Anträge von Zwangssterilisierten eingegangen, wovon 1931 positiv beschieden wurden. 33 Anträge hatten „Euthanasie“Geschädigte eingereicht, 22 waren positiv beschieden worden.21

20 https://www.euthanasiegeschaedigte-zwangssterilisierte.de/themen/entschaedigung/zeittafel-entschaedigungspolitik-fuer-zwangssterilisierte-und-euthanasie-geschaedigte/, abgerufen am: 25.8.2020. 21 Bundesministerium der Finanzen, Entschädigung von NS-Unrecht. Regelungen zur Wiedergutmachung, Berlin 2020, S. 20 f., 30 f., unter https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Broschueren_Bestellservice/2018–03–05-entschaedigung-ns-unrecht.pdf?__blob=publicationFile&v=13, abgerufen am: 25.8.2020.

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Schädigung und Entschädigung

6.2 Die Entnazifizierung der Ärzte im Untersuchungsgebiet Viele der Ärzte in den Gesundheitsämtern und den Provinzial-Heil- und Pflegeanstalten, die sich an den Zwangssterilisationen und den Morden ab 1939 beteiligten, waren jung gewesen und hatten ihre Karrieren noch vor sich.22 Die Entlassungen von Ärzten ab 1947 erfolgten aber zunächst lediglich aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der NSDAP. Zwei Amtsärzte, Joseph Basten und Hans Schoeneck, waren bereits während des Krieges verstorben. Hubert Lohmer, der kein Parteimitglied gewesen war und sich im Ruhestand befand, war 1945 kurzzeitig in Köln an die Spitze des Gesundheitswesens gestellt worden. Artur Josten wohnte 1945 in Bad Godesberg und unterhielt auch noch von dort aus einen Schriftverkehr, in dem er sich als Amtsarzt Bonn-Land bezeichnete. Er wurde im August 1945 interniert und im Januar 1946 wieder freigelassen. Angeblich ist er in die Kategorie V (Unbelastet) eingestuft worden. So konnte er 1946 beim Vertrauensärztlichen Dienst eingestellt und 1949 als erster Medizinalrat bei der Regierung in Düsseldorf angestellt werden. Er verbrachte den Lebensabend in Bayern. Der Siegburger Kreisarzt Bruno Bange ist am 29. Mai 1945 auf Anordnung der Militärregierung entlassen worden. Am 23. Juli 1945 wurde er zurückberufen, jedoch wechselte er bereits eine Woche später, am 30. Juli 1945, auf die Stelle des Amtsarztes nach Bergisch Gladbach. Hier wurde er am 30. August 1945 erneut auf Anordnung der Militärregierung seines Amtes enthoben. Die nächsten Monate war Bange offenbar arbeitslos und wartete auf sein Entnazifizierungsverfahren, um wieder in den öffentlichen Dienst einzutreten zu können. Das zuständige Gremium stufte ihn am 1. August 1947 in die Kategorie IVb ein23, d. h. als Mitläufer, der „als nomineller Parteigänger an der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft teilgenommen oder sie unterstützt“24 hatte. Für eine weitere Verwendung im öffentlichen Dienst war Bange schon seit der Genehmigung durch die Bezirksmilitärregierung vom 31. März 1946 „politisch tragbar“.25 Daher konnte er am 11. April 1946 mit der Wahrung der Geschäfte des stellvertretenden Amtsarztes in Gelsenkirchen beauftragt werden. Von hier aus wechselte er am 1. Dezember 1947 zurück nach Siegburg, ebenfalls als stellvertretender Amtsarzt unter dem neu eingestellten Amtsarzt Josef Sebastian. In dieser Position erfolgte die Beförderung zum Kreismedizinalrat am 2. November 1948. Eine erneute Überprüfung seiner Tätigkeiten in der nationalsozialistischen Zeit ergab eine vollständige Entlastung und die Einstufung in Kategorie V (unbelastet). Am 16. Juli 1951 erreichte Bange wieder die schon bis 1945 innegehabte Stellung des Amtsarztes des Siegkreises. Nachdem er eigentlich am 31. Januar 1957 hätte

22 Generell zur Entnazifizierung im nördlichen Rheinland Faust, Entnazifizierung sowie Vollnhals, Entnazifizierung für die Besatzungszonen, zur Entnazifizierung der Ärzte Sons, Gesundheitspolitik, S. 52–65. 23 LAV NRW R NW 1059–60748, Einreihungsbescheid, 1.8.1947. 24 Definition nach Kontrollratsdirektive Nr. 38, Amtsblatt des Kontrollrates in Deutschland, 1945, S. 184. 25 ARSK PA 1820, Politische Prüfstelle der Stadt Gelsenkirchen, Bescheinigung 30.11.1946.

Heutige Formen des Gedenkens

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pensioniert werden müssen, blieb er noch bis zum 30. April 1958 im Kreisgesundheitsamt beschäftigt. Bruno Bange starb am 12. November 1974 in Siegburg. Kein einziger Arzt aus dem Untersuchungsgebiet ist wegen seiner Handlungen im Rahmen der Sterilisierungen angezeigt und vor Gericht gestellt worden. Der Umgang mit den Tätern spiegelt den Umgang mit den Opfern, die ohne verurteilte Täter auch keine Opfer sein durften.

6.3 Heutige Formen des Gedenkens Mit kleinen Gedenktafeln, die wie Steine auf dem Pflaster von Straßen und Gehwegen verlegt werden und als sogenannte Stolpersteine für den Kopf und das Herz wirken sollen, erinnert der Künstler Günter Demnig (geb. 1947) an Menschen, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, vertrieben, deportiert, ermordet oder in den Tod getrieben wurden. Die Steine liegen vor den letzten frei gewählten Wohnungen. Seit 1992 sind über 75.000 Steine in 26 Ländern verlegt worden (Stand: Dezember 2019)26, in Deutschland 53.000 in 1099 Städten und Gemeinden. Es handelt sich damit um die größte dezentrale Gedenkstätte. Waren es anfangs in die Konzentrationslager transportierten und dort zu Nummern degradierten Sinti und Roma sowie Juden, für die Steine mit ihren Namen und Lebensdaten gelegt wurden, sind mittlerweile auch die Opfer der Patientenmorde in das Projekt aufgenommen worden.27 Die ersten Stolpersteine für die „Euthanasie“-Opfer im Rhein-Sieg-Kreis sind in Windeck gesetzt worden: Am 11. März 2016 legte Demnig zwei Steine zur Erinnerung an Josef Gauchel (1928–1943) und Wilhelmine Müller geb. Hansmann (1900–1944). Josef Gauchel aus Dattenfeld-Rossel (heute Windeck) war zunächst Patient in der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn, dann in Hardt bei Mönchengladbach und starb schließlich im österreichischen Niedernhart bei Linz an der Donau angeblich bei einem epileptischen Anfall.28 Wihelmine Müller geb. Hansmann war in Dattenfeld-Hoppengarten geboren. 1930 heiratete sie Peter Müller aus Gutmannseichen. 1937 wurde sie in die Nervenklinik Bonn eingewiesen und von dort in die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt überwiesen. 1938 erfolgte ihre Unfruchtbarmachung. 1944 wurde sie nach Meseritz-Obrawalde transportiert, wo sie wenige Tage später starb.29

26 https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/jubilaeum-in-memmingen-75–000-stolpersteineverlegt-16557348.html, abgerufen am: 25.8.2020. 27 http://www.stolpersteine.eu/faq/, abgerufen am: 25.8.2020. 28 http://www.stolpersteine-windeck.de/stolperstein-nr-61-josef-gauchel/, abgerufen am: 25.8.2020. 29 http://www.stolpersteine-windeck.de/stolperstein-nr-60-wilhelmine-muller-geb-hansmann/, abgerufen am: 25.8.2020.

VII. Fazit

Der Rhein-Sieg-Kreis ist der erste Landkreis in der Bundesrepublik, der die Geschichte der NS-Medizinverbrechen auf seinem heutigen Gebiet nunmehr aufgearbeitet hat. Und die Wahl dieses Landkreises erwies sich als guter Griff für die Wissenschaft, wurde sie doch begünstigt durch die sehr gute Quellenlage vor Ort. Dies betrifft vor allem die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Es war die Grundlage für die ab 1934 durchgeführten Zwangssterilisationen. Insbesondere für den Siegkreis stellt die nahezu komplett erhaltene Überlieferung der „Erbkrankenakten“ des Gesundheitsamtes einen unschätzbaren Wert und gleichzeitig eine breite Basis für fundierte Forschungsarbeiten dar. Während die Arbeit mit kleineren Stichproben nur Näherungswerte zulässt, die schnell wieder verworfen werden können, ermöglicht die Auswertung aller Akten repräsentative Ergebnisse. Umso ärgerlicher und schmerzhafter für die Forschung ist hingegen die nur fragmentarische Überlieferung zur Geschichte der „Kindereuthanasie“ und der Krankenmorde ab 1939 für die beiden Kreise. Beides ist dadurch nur mühselig zu rekonstruieren. Mögliche Täter und Tatorte im Untersuchungsgebiet sind auch aus diesem Grund weniger bekannt, zumal sich das Hauptgeschehen in staatlichen Provinzial-Heil- und Pflegeanstalten abspielte, von denen es keine auf dem Kreisgebiet gab. An erster Stelle der Untersuchung standen die Opfer. Über 3000 Anzeigen von vermeintlich „Erbkranken“, über 1000 Sterilisationen und mindestens 147 Tote durch „Euthanasie“ sind alleine das zahlenmäßige Ergebnis der Forschungen zu den NS-Medizinverbrechen an Rhein und Sieg. Hinter jeder einzelnen Anzeige und jedem Toten steht ein Mensch, der Opfer einer Ideologie geworden ist. Von ihnen hatten bereits in den Jahren zuvor viele durch ihre Krankheiten gesellschaftliche Ausgrenzung erfahren. Körperliche Behinderungen waren für jedermann sichtbar, geistige Behinderung beeinflusste die schulische Laufbahn. Unter den Opfern befanden sich auffällig wenige Personen mit gymnasialer und/oder gar universitärer Ausbildung, wohingegen ein hoher Anteil an Hilfsschülern von den „Erbgesundheitsmaßnahmen“ betroffen war. Bei der Verteilung der Geschlechter lässt sich ein Überanteil männlicher Anzeigen konstatieren (ca. 57 Prozent). Auch bei Abzug der 194 Anzeigen aus den beiden Männer-Strafanstalten Rheinbach und Siegburg liegt das Übergewicht bei circa 54 Prozent.1

1 Dazu oben S. 118

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Fazit

Nahezu die Hälfte aller Anzeigen betraf den sogenannten „angeborenen Schwachsinn“. Dieses Ergebnis bestätigt die bisherige Forschung über das Größenverhältnis der einzelnen Erbkrankheiten. Dabei ist zu beachten, dass die Auslegung der Diagnose „angeborener Schwachsinn“ in der Praxis durchaus großen Spielraum besaß. Das prozentuale Verhältnis von Anzeigen und Anträgen auf Unfruchtbarmachung zeigt, dass der Anteil der Anträge  – zumindest im Siegkreis  – geringer als bisher angenommen war. Umgekehrt ist aber die Anzahl der Anzeigen höher, als die bisherigen Schätzungen vermuten ließen. Sogar Neugeborene und alte Menschen kamen hier zur Anzeige. Ob das Anzeigeverhalten im Siegkreis ein „Ausreißer“ war, kann mangels gleicher oder ähnlicher Forschungen in anderen Regionen noch nicht abschließend beantwortet werden.2 Neben den operierenden Ärzten waren vor allem die Mediziner aus den eigens eingerichteten Gesundheitsämtern für die Zwangssterilisationen verantwortlich. Diese auch „Erbpolizei“ genannten Ämter waren die bedeutendsten Werkzeuge der „Erbund Rassenpflege“ im Nationalsozialismus. Sie waren Anzeigende, Antragsteller und Mitwirkende bei den Erbgesundheitsgerichten. Damit spielten sie die wichtigste und bedeutendste Rolle im System der Erfassung, Begutachtung, Kategorisierung und schließlich der Zwangssterilisierung von Menschen, die der NS-Rassenideologie nicht entsprachen. Der Großteil der Anzeigen stammte von Ärzten aus den Gesundheitsämtern, den Provinzial-Heil- und Pflegeanstalten, den Kliniken und Krankenhäusern. Auch niedergelassene Ärzte beteiligten sich an der Anzeigenflut. Nur ein sehr geringer Anteil fällt auf Hebammen und – erstaunlicherweise – auf Parteidienststellen. Das menschenverachtende System funktionierte eben auch ohne die Partei.3 Die Rolle niedergelassener Ärzte bei den Anzeigen und von Lehrern bei der Begutachtung von angezeigten Personen sind in der vorliegenden Studie erstmals einschlägig erforscht worden. Ein bezeichnendes Beispiel ist die Tätigkeit der Kinderärztin Luise Baare.4 Die Krankenhäuser der beiden Kreise befanden sich hauptsächlich in konfessioneller Trägerschaft. Aus religiösen Gründen lehnte keines offiziell den Eingriff zur Unfruchtbarmachung ab. Vielmehr verwiesen sie auf die unzureichenden personellen Kapazitäten und fanden damit sogar beim Leiter des Gesundheitsamtes Bonn-Land Unterstützung.5 Die Zwangssterilisierungen fanden auf Grund der besseren Ausstattung und Routine, aber auch wegen der politischen Zuverlässigkeit des Personals ausschließlich in den staatlichen Universitätskliniken statt. Es ist kein Fall bekannt, bei dem sich ein Chirurg oder Frauenarzt geweigert hätte, eine Operation aus moralischen oder religiösen Gründen 2 3 4 5

Dazu oben S. 117. Dazu oben S. 121 f. Dazu oben S. 134. Zur Position des Erzbistums Köln oben S. 185 f., 303 und Rönz, Widerstand.

Fazit

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Abb. 90  Einführungsfeier in der Rheinischen Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt in Bonn zu Ehren von Kurt Pohlisch, Leiter des Erbbiologischen Institutes, 1935

durchzuführen. In der Universitäts-Frauenklinik Bonn nahm der Leiter Harald Siebke sogar eine dem NS-Sterilisationsgesetz nicht entsprechende Zwangssterilisation vor.6 Ein direkter Nachweis für eine Beteiligung an der „Kindereuthanasie“ konnte für die Ärzte im Untersuchungsgebiet nicht geführt werden, obwohl auch hier die Amtsärzte eine wichtige Rolle spielten. Da aber Kinder aus der Region in der Bonner Kinderanstalt untergebracht waren und nachweislich in „Kinderfachabteilungen“ gestorben sind, kann eine Beteiligung der Amtsärzte nicht ausgeschlossen werden. Zumindest in einem Fall gibt es Hinweise darauf.7 Die Ermordung von Kranken aus Heil- und Pflegeanstalten 1940/41 war zunächst zentral von Berlin aus organisiert worden. Eine Vorauswahl fand durch die Ärzte in diesen Anstalten statt. Die überwiegende Mehrzahl, nämlich 85 Opfer aus den beiden Kreisen, starb 1941 bis 1945 in der Tötungsanstalt Hadamar.8 Zwischen 1942 und 1945 starben in allen Anstalten Patienten an den Folgen der Hungerkost und durch die Gabe oder Verweigerung von Medikamenten, so dass eine direkte Tötung in vielen Fällen nur schwer nachweisbar ist. Mit der vorliegenden Studie sind die zu ermittelnden Todesopfer nun 6 Dazu oben S. 216. 7 Dazu oben S. 255. 8 Zur Verteilung der Todesopfer oben S. 318.

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Fazit

erstmals namentlich bekannt. Aufgrund der komplizierten Identifizierung von Opfern ist von einer Dunkelziffer auszugehen. Widerständiges Verhalten lässt sich bei den Ärzten im Untersuchungsgebiet kaum feststellen. Ein sehr hoher Anteil der Mediziner aus Gesundheitsämtern trat in die NSDAP ein und unterstützte damit das Regime und dessen rassenhygienische Vorstellungen. Religiöse Gründe führten bei den Ärzten im Untersuchungsgebiet zu keinen persönlichen Konsequenzen im Handeln. Dies zeigt der Fall des Amtsarztes Bruno Bange, der zwar religiöse Bedenken vortrug, allerdings alles umsetzte, was der NS-Staat ihm aufgab. Ein Fall wie jener des Kölner Amtsarztes Franz Vonessen, der sein Amt aus innerer Überzeugung niederlegte, ist in den beiden Kreisen nicht nachweisbar.9 Nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft setzten die an NS-Medizinverbrechen beteiligten Ärzte – wenn sie nicht verstorben oder pensioniert worden waren – ihre Karrieren nach nur kurzen Unterbrechungen fort und wurden mit allen üblichen Ehrungen in den Ruhestand geschickt. Die Opfer hingegen erhielten lange keine Anerkennung und auch keine Entschädigungen. Die Ignoranz und Empathielosigkeit gegenüber ihren Leidenswegen und die Scham der Betroffenen und ihrer Angehörigen setzte die Ausgrenzung fatalerweise über das Jahr 1945 hinaus fort. Erst langsam kehren sie in das Bewusstsein von Gesellschaft und Politik zurück. Das Gedenken findet zunehmend Platz. Sowohl biographische Publikationen als auch die Errichtung von Gedenksteinen erinnern uns daran, wozu Menschen fähig sind und wie im Nationalsozialismus mit hilfsbedürftigen Menschen umgegangen worden ist. Auch diese Studie ist dem Gedenken gewidmet und soll den verfolgten Menschen wieder Namen und Würde zurückgeben.

9 Zu Bange oben S. 187; zu Vonessen oben S. 187.

Quellenverzeichnis

Archivquellen Archiv des Rhein-Sieg-Kreises (ARSK) Bestand Landratsamt Bonn (ARSK LKB) LKB 2896 LKB 5564 LKB 6076 LKB 6101 LKB 6350 LKB 6351 LKB 6369 LKB 6371 LKB 6374 LKB 6391 LKB 6392 LKB 6466/2 LKB 6501 LKB 6532 LKB 6586 LKB 6586/2 LKB 6586/7 LKB 6586/11 LKB 6586/12 LKB 6586/17 LKB 6586/68 LKB 6586/69 LKB 6586/70 LKB 6586/72 LKB 6586/74 LKB 6586/84 LKB 6586/139 LKB 6586/146 LKB 6586/179 LKB 6586/228

LKB 6586/240 LKB 6586/244 LKB 6586/251 LKB 6586/261 LKB 6586/262 LKB 6586/263 LKB 6586/270 LKB 6586/280 LKB 6586/284 LKB 6586/370 LKB 6594 LKB 6595 LKB 6602 LKB 6604 LKB 6605 LKB 6606 LKB 6615 LKB 6616 LKB 6619 LKB 6625 LKB 6628 LKB 6634/2 LKB 6635 LKB 6637 LKB 6644 LKB 6648 LKB 6658 LKB 6672 LKB 6674 LKB 6680

LKB 6682 LKB 6685 LKB 6690/1–2 LKB 6699 LKB 6715 LKB 6735 LKB 6743 LKB 6749 LKB 6750 LKB 6758 LKB 6765 LKB 6766 LKB 6768 LKB 6772 LKB 6776 LKB 6779 LKB 6785 LKB 6795 LKB 6802 LKB 6815 LKB 6822 LKB 6823 LKB 6831 LKB 6832 LKB 6836 LKB 6839 LKB 6843 LKB 6846 LKB 6847 LKB 6848

LKB 6857 LKB 6868 LKB 6873 LKB 6877 LKB 6880 LKB 6886/108 LKB 6892 LKB 6894 LKB 6898 LKB 6903 LKB 6905 LKB 6915/1–3 LKB 6937 LKB 6938/1 LKB 6942 LKB 6943 LKB 6950 LKB 6954 LKB 6956 LKB 6961 LKB 6963 LKB 6967 LKB 6971 LKB 6995 LKB 7007 LKB 7104 LKB 7508 LKB 7509

350

Quellenverzeichnis

Bestand Landratsamt Siegkreis (ARSK LSK) LSK 318 LSK 1526 LSK 1551 LSK 1888 LSK 2031 LSK 2108 LSK 2708 LSK 2850 LSK 3064 LSK 3260 LSK 3295 LSK 4752 LSK 4975 LSK 5035 LSK 5036 LSK 5037 LSK 5038 LSK 5039 LSK 5040 LSK 5110 LSK 5111 LSK 5113/6 LSK 5113/7 LSK 5113/10 LSK 5114/11 LSK 5114/15 LSK 5115/19 LSK 5116/22 LSK 5116/23 LSK 5117/26 LSK 5117/29 LSK 5117/30 LSK 5118/33 LSK 5119/40 LSK 5119/37 LSK 5120/42 LSK 5120/43 LSK 5121/49 LSK 5121/50 LSK 5122/55 LSK 5122/56 LSK 5123/57 LSK 5123/59 LSK 5124/62 LSK 5124/63 LSK 5124/65 LSK 5126/71

LSK 5130/92 LSK 5130/95 LSK 5135/119 LSK 5135/120 LSK 5136/124 LSK 5137/126 LSK 5137/130 LSK 5145/169 LSK 5152/202 LSK 5154/212 LSK 5157/226 LSK 5158/234 LSK 5159/240 LSK 5161/246 LSK 5165/261 LSK 5165/262 LSK 5165/264 LSK 5166/266 LSK 5166/270 LSK 5167/274 LSK 5169/281 LSK 5173/303 LSK 5174/306 LSK 5176/318 LSK 5177/322 LSK 5177/325 LSK 5178/326 LSK 5179/334 LSK 5181/341 LSK 5185/362 LSK 5186/367 LSK 5188/375 LSK 5188/376 LSK 5188/377 LSK 5188/378 LSK 5189/381 LSK 5191/394 LSK 5191/395 LSK 5196/418 LSK 5197/424 LSK 5197/425 LSK 5198/427 LSK 5200/438 LSK 5201/442 LSK 5202/448 LSK 5205/464 LSK 5212/498

LSK 5216/516 LSK 5216/520 LSK 5218/528 LSK 5219/534 LSK 5226/569 LSK 5229/584 LSK 5230/589 LSK 5231/593 LSK 5242/648 LSK 5245/662 LSK 5247/673 LSK 5250/687 LSK 5251/695 LSK 5258/730 LSK 5264/756 LSK 5265/765 LSK 5273/805 LSK 5276/817 LSK 5278/827 LSK 5279/831 LSK 5282/847 LSK 5283/853 LSK 5284/860 LSK 5287/874 LSK 5289/882 LSK 5294/906 LSK 5297/922 LSK 5298/928 LSK 5299/934 LSK 5300/937 LSK 5300/940 LSK 5301/941 LSK 5303/954 LSK 5304/957 LSK 5306/968 LSK 5307/972 LSK 5307/973 LSK 5316/1020 LSK 5317/1021 LSK 5323/1054 LSK 5323/1055 LSK 5326/1066 LSK 5328/1077 LSK 5341/1141 LSK 5351/1193 LSK 5353/1204 LSK 5354/1207–1209

LSK 5355/1211 LSK 5356/1220 LSK 5357/1221–1223 LSK 5361/1244 LSK 5372/1299 LSK 5373/1304 LSK 5380/1336 LSK 5382/1346 LSK 5385/1362 LSK 5393/1405 LSK 5394/1410 LSK 5395/1411 LSK 5395/1412 LSK 5395/1415 LSK 5397/1421 LSK 5398/1427 LSK 5399/1431 LSK 5409/1481 LSK 5418/1527 LSK 5420/1538 LSK 5422/1548 LSK 5422/1550 LSK 5424/1556–1558 LSK 5428/1578 LSK 5431/1592 LSK 5435/1614 LSK 5438/1628 LSK 5439/1632 LSK 5446/1666 LSK 5447/1673 LSK 5447/1674 LSK 5459/1734 LSK 5462/1749 LSK 5463/1754 LSK 5464/1756 LSK 5465/1762 LSK 5465/1765 LSK 5466/1767 LSK 5467/1772 LSK 5473/1804 LSK 5474/1806 LSK 5479/1834 LSK 5516/2016 LSK 5522/2048 LSK 5526/2066 LSK 5527/2073 LSK 5532/2096

Archivquellen LSK 5535/2111

351 LSK 5538/2129

LSK 5542/2146

LSK 5542/2147

PA 1820 (Personalakte Bruno Bange) PA 1997 (Personalakte Hans Heffels)

PA 2423 (Personalakte Adalbert SchulteOestrich)

LSK 5552/2197 LSK 5555/2212 LSK 5561/2243 LSK 5564/2258 LSK 5565/2262 LSK 5567/2272 LSK 5571/2295 LSK 5574/2308 LSK 6602/2

Bestand Siegkreis (ARSK SK) SK 5010

Bestand Personalakten (ARSK PA) PA 291 (Personalakte Josef Struben) PA 525 (Personalakte Josef Fuhlrott) PA 972 (Personalakte Liselotte Witkop)

PA 1299 (Personalakte Lothar Diehm) PA 1819 (Personalakte Bruno Bange)

Erbgesundheitskartei des Gesundheitsamtes Bonn-Land

Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland (ALVR) 13059 13070 13073 14841 14856 16986 18208 42683 42684 42685 42686 42687 42688 42689

42690 42691 42692 42693 55342 55343 55344 71189

352

Quellenverzeichnis

Bundesarchiv Berlin (BArch) Kanzlei des Führers, Personenbezogene Hauptamt II b Unterlagen der (BArch R 179) NSDAP (BArch R 9361) R 179–4098 R 179–8642 R 179–11485 R 179–16433 R 179–23105

Partei-Kanzlei (BArch NS 6) NS 6–349

R 9361 I–6360 R 9361 II–75682 R 9361 VIII (Mitgliederkartei/Z entralkartei) R 9361 IX (Mitgliederkartei/Gaukartei)

Reichsministerium des Innern (BArch R 1501) R 1501–5586 R 1501–207697 R 1501–207698 R 1501–207699 R 1501–212748

Reichsorganisationsleiter der NSDAP (BArch NS 22) NS 22–2233

Präsidialkanzlei (BArch R 601)

SS-Führungshauptamt (BArch NS 33)

R 601–1824

NS 33–1383

Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten (BArch R 96-I)

Mitgliederkartei Reichsärztekammer (BArch R 9345)

R 96-I-18

Gedenkstätte Hadamar (Hadamar Datenbank) Opferdatenbank 1941 (Hadamar Datenbank ID) ID 5871 ID 10283 ID 1164 ID 1269 ID 1348 ID 15791 ID 1682 ID 1716 ID 1717 ID 2442 ID 249 ID 2492 ID 2653 ID 5602 ID 5686 ID 5694 ID 5723 ID 5723

ID 5724 ID 5727 ID 5732 ID 5737 ID 5740 ID 5741 ID 5746 ID 5752 ID 5760 ID 5763 ID 5774 ID 5780 ID 5785 ID 5849 ID 5851 ID 269 ID 3276 ID 370

ID 4705 ID 4727 ID 478 ID 4797 ID 353 ID 3316 ID 5852 ID 5853 ID 5858 ID 5859 ID 5864 ID 5870 ID 5872 ID 5878 ID 5880 ID 5881 ID 5890 ID 5891

ID 5897 ID 5899 ID 5922 ID 5937 ID 6014 ID 6223 ID 6670 ID 6813 ID 8006 ID 8101 ID 8126 ID 8455 ID 8456 ID 8865 ID 5286 ID 5624 ID 925

Archivquellen

353

Opferdatenbank 1942–1945 (Hadamar Datenbank AN) AN 1174 AN 1279 AN 1358 AN 1692 AN 1726

AN 1727 AN 2455 AN 251 AN 2505 AN 2666

AN 271 AN 3290 AN 3330 AN 3556 AN 4759

AN 5001 AN 5072 AN 933

Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abt. Rheinland (LAV NRW R) Geheime Staatspolizei – Staatspolizeistelle Köln (LAV NRW R RW 34) RW 34–30

Oberlandesgericht Köln (Gerichte Rep. 255) Gerichte Rep. 255–1 Gerichte Rep. 255–527

Personalakten von Beamten und Angestellten aus Landesbehörden (LAV NRW R BR-PE/LAV NRW R NW-PE) BR-PE 918 BR-PE 984 BR-PE 1240 BR-PE 1274 BR-PE 1414

BR-PE 1608 BR-PE 2327 BR-PE 4885 BR-PE 6629 BR-PE 6633

BR-PE 12334 BR-PE 13227 BR-PE 13304 BR-PE 16850 NW-PE 326

Regierung Köln – Kommunalwesen (LAV NRW R BR 9) BR 9–7228 BR 9–7378

Sonderbeauftragter für die Entnazifizierung in NRW/ Hauptausschuss Regierungsbezirk Köln (LAV NRW R NW 1049) NW 1049–54196 NW 1049–57448 NW 1049–67428 NW 1049–79460

NW-PE 2008 NW-PE 2803 NW-PE 5194 NW-PE 5954 NW-PE 12535

354

Quellenverzeichnis

Sonderbeauftragter für die Entnazifizierung in NRW/Berufungsausschuss Regierungsbezirk Köln (LAV NRW R NW 1051) NW 1051–1152

Sonderbeauftragter für die Entnazifizierung in NRW/Berufungsausschuss Bonn (LAV NRW R NW 1053) NW 1053–52

Sammlung Psychiatriemuseum des Vereins „Psychiatrische Hilfsgemeinschaft Bonn e. V.“ (Psychiatriemuseum) Personalakten Personalakte Dietrich Personalakte Geller Personalakte Gierlich

Personalakte Koester Personalakte Lewenstein Personalakte Werner

Kopien aus der Patientenkartei [Sammlung Linda Orth, LVR-Klinik Bonn] Stadtarchiv Bonn (StA Bonn) Bestand Preußische Zeit (Pr) Pr 10/764 Pr 24/326 Pr 50/604 Pr 50/676 Pr 50/684

Pr 50/696 Pr 50/741 Pr 50/792 Pr 50/804 Pr 50/833

Pr 50/850 Pr 50/856 Pr 50/867 Pr 50/873 Pr 50/956

Pr 50/966 Pr 50/1042 Pr 50/1061 Pr 50/1116

Bestand Duisdorf (Du)

Sammlung Totenzettel (To)

Du 903 Du 993 Du 2353

To 421

Bestand Personalakten (PA)

Sterberegister Bonn

PA D4 Basten

Stadtarchiv Bornheim (StA Bornheim) Standesamtsregister Geburtsregister Bornheim 1881 Geburtsregister Sechtem 1882 Geburtsregister Bornheim 1884 Geburtsregister Bornheim 1912

Standesregister

Archivquellen Geburtsregister Bornheim 1915 Geburtsregister Bornheim 1922

Stadtarchiv Hennef (StA Hennef) Standesamtsregister Geburtsregister 1882 Geburtsregister 1882 Geburtsregister 1895

Stadtarchiv Königswinter (StA Königswinter) Standesamtsregister Geburtsregister 1874 Geburtsregister 1889 Geburtsregister 1897

Stadtarchiv Sankt Augustin (StA Sankt Augustin) Standesamtsregister Geburtsregister 1884 Geburtsregister 1892 Geburtsregister 1897

Stadtarchiv Siegburg (StA Siegburg) Standesamtsregister Geburtsregister 1939

Stadtarchiv Troisdorf (StA Troisdorf) Standesamtsregister Geburtsregister 1887

Universitätsarchiv Bonn (UA Bonn) Personalakten (PA) PA 324

Personalakten der Medizinischen Fakultät (MF-PA) MF-PA 102 MF-PA 260 (1 und 2)

355

356

Auskünfte und Zeitzeugengespräche Auskunft Stadtarchiv Sankt Augustin, 8.11.2016 Auskunft Rolf Cremer, Bad Honnef, u. a. 16.1.2018 Auskunft Stadtarchiv Niederkassel, 15.8.2018 Auskunft Gedenkstätte Grafeneck, 18.1.2019 Auskunft Kathleen Haack, Universität Rostock, 4.7.2019 Auskunft Peter Zöhrer, Schwalmtal, 11.7.2019 Auskunft Standesamt Euskirchen, 8.8.2019 Auskunft Thomas Roth, NS-Dokumentationszentrum Köln, 15.7.2020 Auskunft Ute Hoffmann, Gedenkstätte Bernburg, 22.7.2020

Gedruckte Quellen Reichsgesetzblatt, ab 1921 Teil I (RGBl) Jg. 1898 Jg. 1924 Jg. 1933 Jg. 1934 Jg. 1935

Bundesgesetzblatt, Teil I (BGBl) Jg. 1953 Jg. 1965 Jg. 1974 Jg. 199

Adressbücher Adressbuch Aachen 1936 Adressbuch Bonn 1932/33; 1936; 1938; 1939; 1941/42 Adressbuch Köln 1934, Bd. 1 u. 2; 1937, Bd. 2; Köln 1941–42, Bd. 1 Adressbuch Siegburg 1910

Quellenverzeichnis

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Abbildungsverzeichnis

Archiv APG-Bonn, Linda Orth: 2, 9, 10, 13, 32, 53, 76, 90 Archiv der Universität Bonn: 16, 37, 41, 60, 61 Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland: 56 Archiv des Rhein-Sieg-Kreises: 1, 3, 4, 5, 7, 8, 11, 12, 18, 19, 25–30, 33, 34, 47–50, 52, 66–68, 70, 85, 88, 89 Archiv der LVR-Klinik Langenfeld: 77 Archiv der LVR-Klinik Viersen: 35 Archiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn: 42 Bildarchiv des Instituts für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin. Charité – Universitätsmedizin Berlin: 46 Bleydesign: 59, 69, 71, 72, 79 Diözesanarchiv Limburg: 74 Gedenkstätte für Opfer der NS-„Euthanasie“ Bernburg, Sammlungsbestand: 65 Gedenkstätte Grafeneck: 62, Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: 73 Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland: 15, 17, 22–24, 36, 38–40, 44, 45, 51 Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim: 63, 78 Library of Congress: 54 Norwegische Nationalbibliothek (Gemeinfrei): 58 Privatbesitz Cremer: 83, 84 Privatbesitz Fuhr: 81, 82 Privatbesitz Michaelis: 86, 87 Privatbesitz Zöhren: 57 Rheinisches Bildarchiv: 43 Stadtarchiv Königswinter: 64 Stadtarchiv Rheinbach: 6, 14, 20, 21, 31 United States Holocaust Memorial Museum: 55, 75, 80

Abkürzungen und Siglen

AAv Amtsarzt ABM Amtsbürgermeister Abs. Absatz Abt. Abteilung a.  D. außer Dienst AF Außenfürsorge A. G. Aktiengesellschaft AKG Allgemeines Kriegsfolgengesetz ALVR Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland angeb. angeborene(r) Anm. Anmerkung AOK Allgemeine Ortskrankenkasse APG Arbeitskreis Psychiatriegeschichte Bonn ARSK Archiv des Rhein-Sieg-Kreises Art. Artikel Aufl. Auflage Ausg. Ausgabe BArch Bundesarchiv BBG Berufsbeamtengesetz (= Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums) Bd. Band BDM Bund Deutscher Mädel Bearb. Bearbeiter BEG Bundesentschädigungsgesetz (= Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung) betr. betreffend BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl Bundesgesetzblatt BM Bürgermeister bzw./bezw. beziehungsweise ca. circa DDP Deutsche Demokratische Partei d.  h. das heißt

Diss. Dissertation DLV Deutscher Luftsportverein DNVP Deutschnationale Volkspartei Dr. Doktor DStP Deutsche Staatspartei DVP Deutsche Volkspartei D-Zug Durchgangszug (Schnellzug) Ebd. Ebenda EGG Erbgesundheitsgericht EGOG Erbgesundheitsobergericht EK Erbgesundheitskartei etc. et cetera e.  V. eingetragener Verein f. folgende ff. fortfolgende F. G. G./RFrGG.  Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit GA General-Anzeiger geb. geboren Gekrat Gemeinnützige Krankentransport GmbH Gestapo Geheime Staatspolizei GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GSA Gesundheitsamt GVG Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens Hg. Herausgeber HuP Heil- und Pflegeanstalt i.  R. in Ruhestand i. V. in Vertretung Jg. Jahrgang k. A. keine Angabe kath. katholisch KdF Kanzlei des Führers KPD Kommunistische Partei Deutschlands Kripo Kriminalpolizei K SWR Kampffront Schwarz-Weiß-Rot KZ Konzentrationslager

372 LAV NRW R  Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abt. Rheinland LHAKo Landeshauptarchiv Koblenz LKB Landkreis Bonn LR Landrat LSK Landratsamt Siegkreis LVR Landschaftsverband Rheinland lt. laut LVA Landesversicherungsanstalt LVR Landschaftsverband Rheinland m.  E. meines Erachtens NF Neue Folge Nr. Nummer NS Nationalsozialistisch NSBO Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation NSD Nationalsozialistischer Deutscher Dozentenbund NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSF Nationalsozialistische Frauenschaft NSFK Nationalsozialistisches Fliegerkorps NSKK Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps NSV Nationalsozialistische Volkswohlfahrt OLGP Oberlandesgerichtspräsident OP Oberpräsident PA Personalakte Pat. Patient PD Privatdozent Pg Parteigenosse PHP Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Prof. Professor RAG Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten RDB Reichsbund der Deutschen Beamten Red. Redakteur RGBl Reichsgesetzblatt

Abkürzungen und Siglen RM Reichsmark RMI Reichsministerium des Innern RMJ Reichsministerium der Justiz RP Regierungspräsident RSHA Reichssicherheitshauptamt RSTGB Reichsstrafgesetzbuch RuPrMdI Reichs- und Preußischen Ministerium des Innern s. siehe S. Seite SA Sturmabteilung SD Sicherheitsdienst SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SS Schutz-Staffel St. Sankt StA Stadtarchiv Stalag Stammlager Stapo Staatspolizei stellv. stellvertretend Steril. Ges. Sterialisationsgesetz (= Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses) Tbc Tuberkulose techn. technisch u. a. und andere/unter anderem UA Universitätsarchiv u.  ä. und ähnliches UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (= Sowjetunion) usw. und so weiter Vg. Volksgenosse vgl. vergleiche v. l. n. r. von links nach rechts v. r. von rechts z.  B. zum Beispiel Ziff. Ziffer

Personenregister

A A., Josef (Sterilisationsopfer)  217 A., Maria (Sterilisationsopfer)  225 A., Peter (Vater von Maria A.)  222 f. Adenauer, Johann (Vater von Konrad Adenauer) 71 Adenauer, Konrad  72 Adolphs, Katharina („Euthanasie“-Opfer)  286, 291 Ahlefelder, Johann (Justizsekretär)  144 Ahles, Jakob (Arzt und Gefängnisinsasse)  107 Alwine (Schwester)  255 Aly, Götz (Historiker)  13, 20, 22, 299, 317 Appel, Wilhelm („Euthanasie“-Opfer)  316 Arendt, Hannah (Philosophin)  17 Assenmacher, Theodor (Richter)  200 B B., Agnes (Sterilisationsopfer)  230 B., Anna (Tochter von Agnes B.)  232 B., Anna (Sterilisationsopfer aus Sechtem, Ehefrau von Johann L.)  233–241 B., Christine (Tochter von Agnes B.)  232 B., Creszensia (Mutter von Anna B. aus Sechtem) 233 B., Heinrich (Ehemann von Agnes B.)  232 B., Jakob (Sohn von Agnes B.)  232 B., Johann (Vater von Anna B. aus Sechtem)  237, 239 B., Katharina (Schwester von Anna B. aus Sechtem)  233 f. B., Katharina (Sterilisationsopfer aus Bad Godesberg)  226 f. B., Maria (Schwester von Anna B. aus Sechtem)  233 f. B., Valeria (Sterilisationsopfer)  139 f. B. Wilhelm (Sterilisationsopfer)  190 f. Baare, Luise (Kinderärztin)  134, 325 Bange, Bruno (Amtsarzt)  65 f., 87–90, 92 f., 95 f.,

97–100, 107, 123, 141, 144 f., 151, 159, 187, 204, 208, 223, 225 f., 233, 292, 296, 298, 325, 337, 342 f., 348, 351 Baron, Heinz (Chirurg)  219 f. Barton, Robert von (Landrat)  41 Basten, Josef (Amtsarzt)  58, 70 f., 72, 122, 142, 150 f., 156, 159, 170, 233, 241, 322, 341 f., 354 Bauer, Richard (Jurist)  200 Baum, Arthur (Shoah-Opfer)  275, 277 Bayer, Johannes (Rektor)  186 Becker, Gertrud („Euthanasie“-Opfer)  317 Bell, Jakob („Euthanasie“-Opfer)  286, 293 Bell, Karolina („Euthanasie“-Opfer)  286, 294 Bendermacher, Heinrich („Euthanasie“Opfer)  286, 295 Benzenhöfer, Udo (Historiker)  21 f., 257 f., 264 Benkowitz, Wilhelm (Amtsbürgermeister von Oberpleis) 186 Berg, Elise („Euthanasie“-Opfer)  292 Berger, Elisabeth („Euthanasie“-Opfer)  317 Bergermann, Hans (Chirurg)  191, 218–220 Bergmann, Alexander (Kölner Oberlandesgerichtspräsident) 200 Bernards, Anna („Euthanasie“-Opfer)  314 Berning, Wilhelm (Bischof von Osnabrück)  303 Bersch, Erich (Arzt)  205 Bertram, Adolf (Erzbischof von Breslau)  185, 303 Betzen, Sofie (siehe: Schmitz, Sofie) Bickenbach, Otto (Arzt, Direktor der medizinischen Poliklinik an der Reichsuniversität Straßburg)  329 f. Bierbaum, Friedrich (Stellvertretender Amtsarzt)  63, 72, 79, 100, 122, 134, 150 f., 170, 227, 230 f., 339 Binding, Karl (Rechtswissenschaftler)  245–247 Blauel, Günter (Chirurg)  219 f. Blittersdorf, Friedrich (Arzt)  219 f. Blumenberg, Walter (Hygieniker, Universitätsprofessor)  172–174, 220

374 Bock, Gisela (Historikerin)  24, 47, 119, 152 Bodelschwingh, Friedrich von (Leiter der Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel)  302 Bollenbeck, Catharina („Euthanasie“-Opfer)  314 Bölte, Gertrud (Gesundheitspflegerin)  63, 65, 230 Bonen, Johann Wilhelm („Euthanasie“-Opfer)  316 Bonsen, Rudolf zur (Regierungspräsident in Köln) 212 Bormann, Martin (Reichsminister und Privatsekretär Hitlers)  192 Born, Ferdinand („Euthanasie“-Opfer)  255 Bothien, Horst-Pierre (Historiker)  28 Bouhler, Philipp (Leiter der „Kanzlei des Führers“)  23, 248, 256 f., 264, 307 Boxberg, Margareta („Euthanasie-Opfer)  313 Boy, Wolfgang („Euthanasie“-Opfer)  253 Brack, Victor (Stellvertretender Leiter der „Kanzlei des Führers“)  23, 248, 257, 259, 264, 301 Brandt, Karl (Leibarzt Hitlers)  23, 248, 256 f., 259, 264, 311 f., 314 Braß, Christoph (Historiker)  25 Braun, Klara („Euthanasie“-Opfer)  315 Braune, Gerhard (Pfarrer, Leiter der Anstalt Hoffnungsthal) 302 Brenner, Gertrud („Euthanasie“-Opfer)  270, 294 Breuer, Johann („Euthanasie“-Opfer)  286, 293 Bruch, Robert (Arzt, Leiter der Inneren Abteilung im städtischen Krankenhaus in Siegburg)  133 Brühl, Robert (Chirurg)  218, 220 Buch, Walter (Leiter des Obersten Parteigerichts der NSDAP)  300 Bück, Karolina de (siehe: Bell, Karolina) Bunge, Richard (Arzt)  134 Burkert, Günter (Arzt)  125, 130 Busch, Alfred (Arzt, Leiter des Psychologischen Laboratoriums der Universität Köln)  140, 205, 230 Busch, Johann („Euthanasie“-Opfer)  296 Buschhausen, Maria (Frau von Philipp Buschhausen)  273, 275, 277 Buschhausen, Philipp (Sanitätsrat)  273 Büsgen, Katharina („Euthanasie“-Opfer)  286, 292 Bütt, Arthur (Ministerialdirektor im Reichsministerium des Inneren)  45 Buttlar, Ludwig (Landrat)  42 Büttner, Wilhelm (Chirurg)  218, 220

Personenregister C Caska (Zahnärztliche Helferin)  66 Caspare, Wilhelm („Euthanasie“-Opfer)  283 Catel, Werner (Kinderarzt)  23, 248 f. Christ, Wilhelm (Arzt)  57 Clostermann, Ludwig (Richter)  142, 144–146, 159 f., 165 f., 169, 290–292, 322 Conti, Leonardo (Reichsgesundheitsführer)  192, 249, 256 f., 259, 264, 304, 322 Contzen, Albert von (Pfarrer)  186 Cremer, Anita („Euthanasie“-Opfer)  323 f., 325 Cremer, Paul (Strafanstaltsdirektor)  108, 136, 159 Creutz, Walter (Arzt, Gesundheitsdezernent der Rheinprovinz)  250 f., 259, 281 f., 314 Crinis, Maximilian de (Arzt, Professor an der Universität Köln, Direktor der Nervenklinik)  204 f. Crome, Willi (Stellvertretender Amtsarzt)  81 f., 99, 136, 159, 170, 223, 233 Cropp, Fritz (Ministerialdirigent in der Abteilung Gesundheitswesen und Volkspflege)  317 D D., Franz Josef (Sterilisationsopfer)  143 f. D., Johanna (Sterilisationsopfer)  142 f. D., Louis (Angezeigter)  113 Dalicho, Wilfent (Arzt)  25 Darwin, Charles  244 David, Dagobert („Euthanasie“-Opfer)  277 David, Emmerich (Generalvikar des Erzbistums Köln) 303 Degen, Heinrich Joseph („Euthanasie“-Opfer)  316 Demnig, Günter (Künstler)  343 Derra, Ernst (Arzt)  219 f. Diehm, Lothar (Arzt)  66, 90–94, 100, 113, 123, 140, 143, 151, 233, 292, 326 Diels, Rudolf (Regierungspräsident von Köln)  92, 214–216 Diener, Egon (Arzt)  326 Dienst, Christina („Euthanasie“-Opfer)  288 Diesing, Erich Adolf („Euthanasie“-Opfer)  253 Dietrich, Bernhard (Oberarzt der Bonner Heil- und Pflegeanstalt)  55, 125 f., 130, 140, 143, 194, 203, 229, 232 f., 284, 292, 354 Döllner, Max (Arzt, Oberregierungs- und Medizinalrat) 204 Domansky, Werner (Arzt)  204 Dominik (Kreisfürsorgerin)  66 Döring, Wilhelm (Kriegsverbrecher)  329, 332 f.

Personenregister Düren, Helena („Euthanasie“-Opfer)  313 Düx, Michael (Arzt)  233 f., 237 E E., Anna (Sterilisationsopfer)  217 E., Elisabeth (Sterilisationsopfer)  225 f. E., Hermann (Sterilisationsopfer)  155 f. E., Jonas (Vater von Elisabeth E.)  225 Eberl, Irmfried (Arzt, Leiter der Tötungsanstalt Brandenburg) 258 Effers, Agnes („Euthanasie“-Opfer)  270 Efferz, Agnes (siehe: Effers, Agnes) Eichborn, Ulrike (Historikerin)  27 Eichhorn, Heinrich (Chirurg)  219 f. Eichler, Cuno (Kreisleiter)  86 Einhaus, Carola (Historikerin)  28, 183 Eimann, Kurt (SS-Wachsturmmann)  264 Elfgen, Hans (Regierungspräsident von Köln)  77 Elsässer, Günter (Arzt)  125, 130, 223, 226, 240, 291 Empt, Beate (Gesundheitspflegerin)  65 Engelbrecht, Josef (Arzt)  89 Esser (Lehrer i. R.)  236 f. Esser, Alfred (Stellvertretender Amtsarzt)  63–65, 74, 76, 79–84, 100, 103, 122, 133 f., 136, 138, 150 f., 170, 172, 208 f., 210, 227,230, 239, 254 f., 275, 277, 339 Eßer, Catharina („Euthanasie“-Opfer)  313 Esser, Johanna (Hilfsärztin)  84 F Faller, Franz Heinrich (Amtsarzt, Beisitzer beim Erbgesundheitsgericht)  140, 145 f., 159, 170 f., 194, 209, 211, 230, 234, 291, 339 Faulhaber, Michael von (Erzbischof von München) 303 Faulstich, Heinz (Historiker)  320 Feldmann, Wilhelm (Oberlandesgerichtsrat)  200, 203 Fernholz, Alfred (Leiter der Abteilung „Volkspflege“ im sächsischen Innenministerium)  247 Fischer, Fritz (Chirurg, beteiligt an Menschenversuchen) 331 Fleischmann, Rudolf (Arzt, Direktor des Forschungsinstituts der Medizinischen Fakultät der Reichsuniversität Straßburg)  329 Forsbach, Ralf (Historiker)  10, 13 f., 25, 28 Franke, Hiltrud (Oberschwester)  133 Franqué, Otto (Frauenklinikleiter)  219 f.

375 Franz, Pauline („Euthanasie“-Opfer)  315 Frick, Wilhelm (Reichsminister des Inneren)  51, 65, 70, 74, 79, 83, 86, 89, 90, 96, 110, 112 f., 158, 188, 210 Friedlander, Henry (Historiker)  21 Frizen, Caspar (Landwirt)  133 Fromme, Günther (Rechtsanwalt)  234 f. Fuhlrott, Josef (Kommunalarzt)  63, 65, 78, 84–87, 100, 122, 150, 204, 233, 239, 351 Fuhr, Anna Maria, geb. Fischer (Ehefrau von Josef Fuhr) 321 Fuhr, Josef („Euthanasie“-Opfer)  268, 287, 294, 321 Fuhr, Wilbert (Enkel von Josef Fuhr)  322 Fuhrmann, Heinrich (Gefängnisarzt)  219, 221, 321 f. Fünfgeld, Ernst (Arzt, Professor an der Universität Köln und Direktor der Nervenklinik)  205 Fuß, Hans (Chirurg)  132, 217, 219 f., 291, 322 G Galen, Clemens August Graf von (Bischof von Münster)  22, 303–305, 309 Galton, Francis (Eugeniker)  245 Gauchel, Josef („Euthanasie“-Opfer)  343 Gebhardt, Karl (Chirurg, beteiligt an Menschenversuchen) 331 Geller, Josef (Arzt)  125, 127, 129–132, 159, 208, 240, 275, 278, 284 f., 290–292, 298, 322, 354 Genniges, Viktor (Richter)  156, 166 f., 169, 230, 233, 278, 291, 339 Gevers, Willem (Niederländischer Diplomat)  67 Gierlich, Josef (Arzt)  125, 129 f., 281, 299, 354 Giesen, Elisabeth („Euthanasie“-Opfer)  281 Gilles, Peter (Rechtsanwalt)  235–237 Gimborn, Peter („Euthanasie“-Opfer)  287, 295 Gisbertz, August (Arzt)  204 Göppert, Heinrich (Jurist, Professor an der Universität Bonn)  81 Göring, Hermann  302 Göring, Matthias Heinrich (Leiter des Deutschen Institutes für Psychologische Forschung)  302 Gottlieb, Leo (Arzt)  223 Grabhorn, Arno (Arzt)  145 Graemer, Fritz (Leiter des Amtes für Volkswohlfahrt) 56 Gräf, Margareta („Euthanasie“-Opfer)  313 Greif, Otto (Kreisschulrat)  74

376 Gröber, Conrad (Erzbischof von Freiburg)  187, 303 Grohé, Josef (Gauleiter von Köln-Aachen)  312 Gruhle, Hans (NS-Gegner, Direktor der Psychiatrischen und Nervenklinik Bonn)  175 Grunau, Martin (Oberlandesgerichtsrat aus Kiel) 238 Gürtner, Franz (Reichsjustizminister)  257, 302 Gütgemann, Alfred (Chirurg)  219 f. H H., Franz (Arbeitsbursche, Mordopfer)  155 f. H., Hermann (Jurist)  113 H., Peter (Angezeigter)  208 f. Haag, Heinrich (Patient)  287 Haagen, Eugen (Arzt, Professor an der Reichsuniversität Straßburg)  330 Haake, Heinrich (Landeshauptmann der Rheinprovinz)  250, 282 Haarmann, Gustav (Landrat)  41 Haas, Paul (Kreisamtsleiter)  57 Hadamik, Wilhelm (Leitender Medizinaldirektor des Landeskrankenhauses Bonn)  339 Haeckel, Ernst (Mediziner und Zoologe)  245 Haenchen, Ernst („Euthanasie“-Opfer)  287, 295 Haffke, Günther (Historiker)  26 Hamacher, August (Arzt)  146, 169 Handeck, Anna (siehe: Zimmermann, Anna) Hansen, Stefan („Euthanasie“-Opfer)  286, 293 Hansmann, Wilhelmine (siehe: Müller, Wilhelmine) Hartung, Rudolf (Gauamtsleiter)  76 Hase, Irmgard (Ehefrau von Erich Kopelke)  202 Hauke, Karl (Rechtsanwalt)  229 Haupt, Hans (Beisitzer am Erbgesundheitsgericht) 322 Haupt, Walther (Oberarzt und kommissarischer Direktor der Universitäts-Frauenklinik)  145, 174, 290, 291 Hausweiler, Bartholomäus („Euthanasie“Opfer)  286, 293 Haza-Radlitz, Hedwig von (Kreisfürsorgerin)  66, 155, 174 Heberer, Heinrich (Gynäkologe)  205 Hecking, Joseph (Rechtsanwalt)  229 Hefelmann, Hans (Leiter des „Amts IIB“)  248, 250, 257 f., 262, 264 Heffels, Gertruda Emma, geb. Rudolph (Ehefrau von Hans Heffels)  99

Personenregister Heffels, Hans (Arzt)  66, 97–100, 123, 151 Heffels, Hans Dieter (Sohn von Hans Heffels)  99 Heffels, Heide (Tochter von Hans Heffels)  99 Hegener, Richard von (Stellvertretender Leiter des „Amts IIB“)  248, 250, 262 Heiermann, Heinrich (Richter)  159, 166, 170, 292 Hein, Alfons (Arzt)  323 Heintz, Heinrich (Rechtsanwalt)  226 Heinze, Hans (Kinder- und Jugendpsychiater)  23, 249, 257 Henseler, Johann Christian (Verwandter von Wilhelm Münz)  327 Henseler, Mathias („Euthanasie“-Opfer)  253 Henter, Otto (Bürgermeister von Bornheim)  234, 237 Heppekausen, Kaspar (Dechant)  187 Herberg, Paul (Amtsarzt)  141, 144, 159, 170 Hermeler, Ludwig (Historiker)  26 Herstein, Maria (siehe: Hohn, Maria) Heß, Rudolf  193, 196, 208 Heubach, Hans (Arzt)  84, 170, 228 Heyde, Werner (Arzt)  23, 259 f., 264 Heydrich, Reinhard (Leiter des Reichssicherheitshauptamtes) 258 Hilfrich, Antonius (Bischof von Limburg)  303 Hillebrand, Raimund Antonius Klaus (Historiker)  28, 320 Himmler, Heinrich (Reichsführer SS)  264, 300 f., 329 Hitler, Adolf  17–19, 40, 91, 192, 232, 247 f., 256–258, 301 f., 306 f., 330, 332 Hix, Iris-Maria (Historikerin)  27 f. Hoche, Alfred (Psychiater)  245, 247 Höck, Gertrud („Euthanasie“-Opfer)  313 Hohmann, Maria („Euthanasie“-Opfer)  281 Hohn, Friedrich (Strafanstalt-Aufseher)  106 Hohn, Joseph (Strafanstalt-Werkmeister)  106 Hohn, Maria („Euthanasie“-Opfer)  314 Hohn, Moritz (Gefängnisarzt)  89, 105–108, 159 Hombach, Sebastian („Euthanasie“-Opfer)  269 Horn, Paul (Arzt, Universitätsprofessor in Bonn)  238 f. Horstmann, Hans (Arzt, Kreisamtsleiter)  56–57, 86, 103 Horstmann, Julie (Ehefrau von Hans Horstmann) 57 Hoss, Aloysius („Euthanasie“-Opfer)  254 Hübner, Arthur (Arzt)  103, 159

Personenregister Hufeland, Christoph Wilhelm (Arzt)  244 Humberg (Arzt)  135 Humperdinck, Engelbert (Komponist)  78 Humperdinck, Senta (Tochter des Komponisten Engelbert Humperdinck)  78 Husch, Elisabeth („Euthanasie“-Opfer)  286, 292 I Irmen, Hildegard (Ärztin in Waldniel, Ehefrau von Hermann Wesse)  251 J J. (Strafgefangener)  158 J., Albert (Angezeigter)  142 Jahrreiss, Walther (Psychiater)  205, 292 Janker, Robert (Arzt)  237 Jansen, Bertha (siehe: Reinarz, Bertha) Jansen, Johann Hubert (Pfarrer)  186 Jansen, Maria (siehe: Schoeneck, Maria) Jansen, Quirin (Oberbürgermeister von Aachen)  73 Jansen, Wilhelm (Chefarzt des Marienhospitals)  235, 237 Jonas, Peter („Euthanasie“-Opfer)  284, 289 f. Jost, Adolf (Psychologe)  245 Josten, Artur (Amtsarzt)  63, 77 f., 100, 122, 150, 170, 342 Jung (Gesundheitsaufseher)  66, 77–79, 100, 122, 150, 170 f. K K., „Kind“ („Euthanasie“-Opfer)  248 K. (Sterilisationsopfer)  155 K., Karl (Sterilisationsopfer)  162 f. K., Margarete (Angezeigte)  227–230 K., Paul (Vater des Kindes von Katharina B. aus Bad Godesberg)  226 Kaiser, Hildegard (Gesundheitspflegerin)  65 Kaminsky, Uwe (Historiker)  25 f. Kemp, Bernhard („Euthanasie“-Opfer)  254 Kentemich, Margarete (Kreisfürsorgerin)  66 Kerp, Johanna (Gesundheitspflegerin)  65, 227, 255 Kerrl, Hanns (Reichskirchenminister)  303 Keysers, Hedwig (Kreisfürsorgerin)  66 Kirschhausen, Gertrud („Euthanasie“-Opfer)  313 Kirschstein, Alice (Witwe von Paul Kirschstein) 299 Kirschstein, Paul (Staatssekretär im Reichsverkehrsministerium) 299

377 Kirwald, Joseph Christian („Euthanasie“Opfer) 266 Kissener, Maria 133 Klais, Hans (Orgelbaumeister)  133 Klasen, Wilhelm („Euthanasie“-Opfer)  317 Klassen, Peter (Arzt)  134 Klauer, Maria Anna („Euthanasie“-Opfer)  313 Klausa, Udo (Direktor des Landschaftsverbandes Rheinland) 243 Klee, Ernst (Journalist)  20 Klein, Gertrud („Euthanasie“-Opfer)  315 Klein, Hugo (Arzt, Kreisamtsleiter)  57, 134 f. Klein, Maria Magdalena („Euthanasie“-Opfer)  286, 292 Klein, Siegfried („Euthanasie“-Opfer)  253 Klinkenberg, Franz (Gefängnisarzt, Leiter der kriminalbiologischen Forschungsstelle)  102– 105, 136, 159 Kloninger, Wilhelm (Richter)  168 f., 211 Klüttgen, Horst („Euthanasie“-Opfer)  253 Knauer, Hans (Professor für Kinderheilkunde an der Universität Bonn, Direktor der Kinderklinik)  142, 173, 234 Koch, Anton („Euthanasie“-Opfer)  286, 293 Koch, Karl-Heinz („Euthanasie“-Opfer)  253 Koenemund, Maria Anna („Euthanasie“Opfer) 313 Koenig, Catharina („Euthanasie“-Opfer)  296 Koester, Friedrich „Fritz“ (Arzt)  55, 124 f., 128 f., 144 f., 159, 172, 174, 233 f., 292, 354 Kolaczinski, Max („Euthanasie“-Opfer)  266 Komp, Josef (Arzt)  217 Köndgen, Karl („Euthanasie“-Opfer)  284, 290 König, Max (Regierungspräsident in Arnsberg)  77 König, Willy Friedrich (Chirurg)  144, 219 f. Königsfeld, Maria (Sekretärin)  66, 187 Kopelke, Erich (Richter)  194, 200–202, 232, 238, 292 Korth, Josef (Oberarzt an der Chirurgischen Universitätsklinik)  219 f. Köster, Ernst Eduard (Richter)  167 Kottmann, Max (Generalvikar der Diözese Rottenburg) 303 Kramer, Elisabeth (siehe: Berger, Elisabeth) Krämer, Paul („Euthanasie“-Opfer)  268, 289 Kreutzer, Katharina („Euthanasie“-Opfer)  270 Kreuzer, Alfred („Euthanasie“-Opfer)  253 Kreyssig, Lothar (Vormundschaftsrichter und „Euthanasie“-Gegner) 306

378 Kroll, Maria (siehe: Hohmann, Maria) Kümmel, Hermann („Euthanasie“-Opfer)  269 Küppers, Willibald (Richter)  169 f. L L. (Patient)  306 L., Elli (Sterilisationsopfer)  138 L., Johann (Sterilisationsopfer, Ehemann von Anna B. aus Sechtem)  240 f. L., Margarete (Mutter von Johann L.)  240 L., Peter (Vater von Johann L.)  240 Lammers, Hans Heinrich (Chef der Reichskanzlei)  257, 302 Laubenthal, Florin (Arzt)  132 f., 140, 172 f., 211, 228, 233, 291 Lehmkuhl, Heinrich (Arzt)  204 Lepique, Joseph (Richter)  140, 167–169, 194, 208, 223, 226, 228, 296 Leupold, Ernst (Pathologe)  81 Levy, Ruth (Shoah-Opfer)  275, 277 Lewenstein, Hans (Arzt)  55, 125, 128, 354 Lichtschläger, Anna Sophia (siehe: Wilden, Anna Sophia) Liebeneiner, Wolfgang (Regisseur)  308 Liebermann, Georg (Unternehmer)  260 Lilienthal, Georg  26 Linden, Herbert (Sachbearbeiter für Heil- und Pflegeanstalten in der Abteilung IV, Gesundheitswesen und Volkspflege, des Reichsministeriums des Innern)  208, 249, 257, 259 f., 264, 314, 317 Lindlahr, Mathias („Euthanasie“-Opfer)  269 Linzbach, Joachim (Arzt)  125, 130, 292 Lohmer sen., Hubert (Vater von Hubert Lohmer) 71 Lohmer, Hubert (Amtsarzt)  63, 71–73, 100, 122, 150 f., 170, 180, 204, 291 f., 342 Löhrer, Gertrud (siehe: Brenner, Gertrud) Lorenz, Bernard (Arzt)  226 Löwenstein, Otto (Arzt)  132, 273 Löwis, Else von (NS-Frauenschaftsführerin)  300 Lückerath, Max (Arzt, Leitender Direktor der Provinzial-Erziehungsanstalt Euskirchen)  131, 159 M M., Heinrich (Blockleiter)  138 M., Peter (Sterilisationsopfer)  339

Personenregister Männ, R. (Ehemann eines „Euthanasie“Opfers) 306 Manns, Christina („Euthanasie“-Opfer)  313 Markov, Walter (Widerstandskämpfer und Gefängnisinsasse) 107 Martin, Maria („Euthanasie“-Opfer)  313 Martini, Paul (Internist und Professor an der Universität Bonn)  28, 89, 107, 140, 172 Matthes, Karlheinz (Assistenzarzt der Bonner Augenklinik) 203 Mäurer, Herbert Otto (Arzt)  132 f., 182 Meisenbach, Margaretha („Euthanasie“-Opfer)  313 Meltzer, Ewald („Euthanasie“-Gegner)  246 Mielke, Fred  19–20 Mitscherlich, Alexander (Psychoanalytiker)  19–20 Möhl, Christian (Strafanstaltsdirektor)  136, 159 Mölbert, Jakob (Bürgermeister von Bad Honnef) 90 Molly, Carl (Leitender Arzt des Krankenhauses in Dattenfeld) 133 Mosebach, Oskar (Arzt)  204 Müller (Arzt)  140, 143 Müller, Johannes (Richter)  141, 168 f. Müller, Josef („Euthanasie“-Opfer)  284, 290 Müller, Joseph („Euthanasie“-Opfer)  268 Müller, Katharina („Euthanasie“-Opfer)  314 Müller, Peter (Ehemann von Wilhelmine Müller, geb. Hansmann)  293 Müller, Reiner (Arzt)  205, 209, 227 Müller, Therese („Euthanasie“-Opfer)  286, 292 f. Müller, Wilhelm II („Euthanasie“-Opfer)  286, 290 Müller, Wilhelmine („Euthanasie“-Opfer)  343 Müller, Wilhelmine, geb. Hansmann („Euthanasie“Opfer) 317 Mummenhoff, Friedrich (evangelischer Pfarrer)  78 Münch, Christl (Gesundheitspflegerin)  63, 65 Mundorf, Heinrich („Euthanasie“-Opfer)  286, 290 Münz, Wilhelm („Euthanasie“-Opfer)  326 f. Muth (Verwaltungsangestellter)  66 N Naas, Heinz (Bürgermeister von Hennef)  186 Nathan, Julie (Shoah-Opfer)  272 Nauheimer, Michael („Euthanasie“-Opfer)  287, 294 Neurohr, Gertrud Appolonia („Euthanasie“Opfer) 313 Neuß, Wilhelm (Kirchenhistoriker)  132

Personenregister Neuwirth, Anna Maria („Euthanasie“-Opfer)  268 Nick, Peter (Stellvertretender Leiter der Strafanstalt Bonn) 136 Nitsche, Paul (Psychiater)  23, 247, 264 Nolden, Josef („Euthanasie“-Opfer)  287, 294 Nowak, Kurt (Kirchenhistoriker)  24 O O., Heinrich (Sterilisationsopfer)  232 Oberheuser, Herta (Lagerärztin im Konzentrationslager Ravensbrück, beteiligt an Menschenversuchen)  329, 331 f. Oberläuter, Emil (Kreiskommunalarzt)  91 Ollinger, Paul (Chirurg)  219 f. Orfgen, Otto („Euthanasie“-Opfer)  296 Orth, Katharina („Euthanasie“-Opfer)  268 f., 293 Orth, Linda (Historikerin)  27 f., 252, 354 P Pakheiser, Theodor (Sachverständigenbeirat für Volksgesundheit)  192 f. Panse, Friedrich (Arzt)  29, 175, 194, 227 f., 262 f., 278 Peipers, Alfred (Sanitätsrat)  135, 175, 194, 296 Peters, Anna („Euthanasie“-Opfer)  287, 293 Petsch, Erich (Chirurg)  217 f., 220 Pietrusky, Friedrich (Gerichtsmediziner, Leiter des Instituts für gerichtliche und soziale Medizin der Universität Bonn)  80–82, 133, 142, 159, 171 f., 203, 232, 238 Pilger, Anna Sibilla („Euthanasie“-Opfer)  313 Pius XI. (Papst)  185 Platen-Hallermund, Alice (Ärztin)  20 Plödger, Elisabeth (Gesundheitspflegerin)  63 Ploetz, Alfred (Mediziner und Biologe)  245, 247 Pohlisch, Kurt (Arzt)  133, 175, 208, 234, 262 f., 274, 278, 298 f. Pommerin, Reiner (Historiker)  25 Pomp, Hermann (Landgerichtsdirektor)  133 Popp, Fritz (Arzt)  204 Poppelreuter, Walther (Arzt, Leiter der Fachstation für hirnverletzte Kriegs- und Arbeitsopfer im Institut für Klinische Psychologie in Bonn)  239 Pott, Friedrich (Amtsbürgermeister von Oberkassel) 186 Prangenberg, Johann („Euthanasie“-Opfer)  286, 290 Prochownik, Gertrude  307

379 Q Q., Heinrich (Sterilisationsopfer)  144 f. Quadflieg, Leonhard (Arzt, Medizinaldezernent von Köln)  72, 83 f., 86 f., 203 f., 238 Quester, Anna Elfriede („Euthanasie“-Opfer)  316 R R. Johann (Sterilisationsopfer)  218 Radke, Elisabeth (Kreisfürsorgerin)  297 Raether, Max (Arzt)  51 Raude, Else („Euthanasie“-Opfer)  254 Rauhaus, Katharina Hildegard („Euthanasie“Opfer) 254 Recktenwald (Kreisfürsorgerin)  66 Redwitz, Erich von (Leiter der Chirurgischen Klinik der Universität Bonn)  220 Reeder, Eggert (Regierungspräsident von Köln)  76, 78, 82–84, 86, 98, 181, 197, 208–210, 271, 275, 277, 305, 324 Rehbein, Ewald (Strafanstaltsdirektor)  108, 136 Rehbein, Karl (Pfleger)  290 f., 322 Reifenberg, Anna Maria („Euthanasie“Opfer) 313 Reinarz, Bertha („Euthanasie“-Opfer)  287, 294 Reinarz, Carl Joseph („Euthanasie“-Opfer)  267 f. Reiter, Hans (Präsident des Reichsgesundheitsamtes) 172 Rennen, Jakob (Richter)  140, 200, 202 f., 227, 229 Renno, Georg (Arzt, Leiter der „Kinderfachabteilung“ in Waldniel)  251 Rettig, Wilhelmine („Euthanasie“-Opfer)  254 Rickert, Ludwig (Oberbürgermeister von Bonn)  67, 71 Rödel, Anna Maria (siehe: Neuwirth, Anna Maria) Rosenthal, Jakob („Euthanasie“-Opfer)  277 Roth (Kreisfürsorgerin)  66 Röttgen, Peter (Arzt)  219 f. Rüdin, Ernst (Arzt)  45, 129, 175 Rudolph (Polizeihautwachtmeister)  240 Ruff, Siegfried (Arzt, beteiligt an Menschenversuchen im Konzentrationslager Dachau)  329, 333 Rühl, Helmut (Assistent von Otto Bickenbach)  329 f. Rünger, Gabriele (Historikerin)  26 Rupp, Hans (Chirurg)  140 f., 217–220, 225, 232, 239, 293 Ruttke, Falk  45

380 S S., Gertrud (Sterilisationsopfer)  209–211 S., Maria (Angezeigte)  113 S., Maria (Sterilisationsopfer)  217 S., Peter (Vater eines angezeigten Sohnes)  138 S., Rosa (Sterilisationsopfer)  217 f. Sander, August (Fotograf)  108 Sander, Erich (Widerstandskämpfer, Fotograf und Gefängnisinsasse)  108 f. Sandner, Peter (Historiker)  22 Sauerbruch, Ferdinand (Arzt, Professor an der Charité, Präsident des Reichsforschungsrates) 302 Scanzoni, Kurt von (Chirurg)  219 f. Schäfer, Andreas (Sanitätsrat)  239 Schall, Johann Adam (Arzt)  125, 130, 228 Schaurich, Werner (Arzt)  55 Schichor, Max (Oberpfleger)  133 Schlegelberger, Franz (Staatssekretär und kommissarischer Justizminister)  306 Schmal (Kreisfürsorgerin)  66 Schmidt, Curt (Arzt)  175, 262 f. Schmidt, Karl (Kreisamtsleiter)  57 Schmidt, Willibald Otto (Medizinalrat)  103, 136 Schmitt, Hans (Amtsarzt)  49, 89 Schmitz (Verwaltungsangestellter)  66 Schmitz, Christian („Euthanasie“-Opfer)  315 Schmitz, Hans Aloys (Arzt, Leiter der Rheinischen Landesklinik für Jugendpsychiatrie)  56, 126, 159, 174 f., 229, 233, 251 f., 263, 281, 292, 326 Schmitz, Josef („Euthanasie“-Opfer)  286 Schmitz, Joseph („Euthanasie“-Opfer)  286, 290, 293, 295 Schmitz, Katharina („Euthanasie“-Opfer)  316 Schmitz, Sofie („Euthanasie“-Opfer)  284 Schmitz-Lückger, Josef (Arzt)  236 f. Schmitz-Lückger, Josephine (Ärztin)  146 Schmuhl, Hans-Walter (Historiker)  24, 26 Schoeneck, Maria, geb. Jansen (Ehefrau von Hans Schoeneck)  73, 76 Schoeneck, Hans (Leiter des staatlichen Gesundheitsamtes)  63, 65, 73–77, 82, 86, 100, 122, 150 f., 170, 210, 226, 273, 342 Schöllgen, Werner (Theologe)  132 Schönfeld, Rotraut Elisabeth („Euthanasie“Opfer) 316 Schoppe, Walther (Arzt)  325 Schrader, Gerhard (Oberarzt)  80

Personenregister Schröter, Walther (Stellvertretender Amtsarzt)  90 Schubert (Verwaltungsgehilfe)  66 Schubert, Hans Friedrich (Arzt)  126, 130 Schüth, Wilhelm (Richter)  168 f. Schüler, Wilhelm (Arzt)  218, 220 Schulte, Karl Joseph (Erzbischof von Köln)  185, 303 Schulte-Oestrich, Adalbert (Schulzahnarzt)  66, 100 Schulz, Ernst (Kreisamtsleiter der NSV)  56–57, 64 Schumacher, Elisabeth („Euthanasie“-Opfer)  293 Schwäbig, Franz („Euthanasie“-Opfer)  287, 294 f. Schwämmlein (Kreisfürsorgerin)  66 Schwan, Agnes („Euthanasie“-Opfer)  313 Schwarz, Franz Xaver (Reichsschatzmeister der NSDAP) 99 Schwarz, Johann („Euthanasie“-Opfer)  270 Schwenninger, Hermann (Geschäftsführer der Gekrat) 308 Sebastian, Josef (Amtsarzt)  90, 342 Seifert, Gerhard („Euthanasie“-Opfer)  254 Seipolt, Harry (Historiker)  26 Siebert, Gerhardt (Leiter der Gekrat)  314 Siebke, Harald (Gynäkologe, Leiter der Frauenklinik der Universität Bonn)  74 f., 82, 218 f., 347 Simon, Hans (Shoah-Opfer)  275, 277 Siwka, Helene („Euthanasie“-Opfer)  265 f. Söntgen, Anna („Euthanasie“-Opfer, Schwester von Wilhelm Söntgen)  268, 286, 294 Söntgen, Peter Josef (Amtsbürgermeister von Menden) 186 Söntgen, Wilhelm „Willy“ (Bruder von Anna Söntgen) 287 Speer, Albert 312 Spickernagel, Rudolf (Arzt)  170 Sproll, Joannes Baptista (Bischof von Rottenburg) 303 Steber, Franz (Arzt)  133 Steinbrenner, Martin (Arzt)  289 Steingens, Dorothea (Gesundheitspflegerin)  65 Steininger, Rudolf (Arzt)  66, 97, 99 f., 123, 151 Störring, Ernst (Arzt)  55, 125, 128, 145, 156, 175, 290, 322 Strathmann, F.W. (Rechtsanwalt)  238 Stricker, Johann Josef („Euthanasie“-Opfer)  316 Struben, Johann (Bürgermeister von Königshoven, Vater von Josef Struben)  96 Struben, Josef (Arzt)  66, 96–100, 123 f., 141, 151, 158, 225, 254, 324, 351

Personenregister Stumpfegger, Ludwig (Chirurg, beteiligt an Menschenversuchen) 331 Süß, Winfried (Historiker)  22 T Temming, Wera („Euthanasie“-Opfer)  281 Terboven, Josef (Oberpräsident der Rheinprovinz)  126, 270, 272, 275 Thelen, Hans (Kreisamtsleiter)  56 Thomas, Peter Adolf („Euthanasie“-Opfer)  316 Tiemann, Friedrich (Internist)  83 f. Tille, Alexander (Philosoph)  245 Tillmann, Friedrich (Kölner Waisenhausdirektor) 27 Todt, Fritz (Reichsminister für Bewaffnung und Munition)  311 f. Trappe, Reinhild („Euthanasie“-Opfer)  253 Traude, Johanna (Fürsorgeärztin)  154 U Uhrmacher, Catharina (Verlegerin)  306 Unger, Hellmuth (Pressereferent im Rassenpolitischen Amt der NSDAP)  249, 307 V V., Heinrich (Sterilisationsopfer)  193–197 V., Theodor (Bruder von Heinrich V.)  195 Vieweger, Karl (Arzt)  55, 125 Villinger, Werner (Arzt)  143 Vonessen, Franz (Kölner Stadtarzt)  25, 187, 348 Vorländer, Karl Friedrich (Arzt)  147, 175 Vossen, Johannes (Historiker)  25 Vosskühler, Maria (Ärztin)  66, 100, 123, 151 f., 253 f. W W., August (Angezeigter)  113 W., Christian (Sterilisationsopfer)  206 f. W., Christine (Stiefschwester von Heinrich V.)  195 W., Franz (Bruder von Christian W.)  207 W., Maria (Sterilisationsopfer)  145–147 W., Peter (Sterilisationsopfer, Bruder von Christian W.) 207 W., Wilhelm (Bruder von Christian W.)  207 Wagner, Gerhard (Reichsgesundheitsführer)  192

381 Walburga (Sterilisationsopfer)  189 Weber, Heinrich („Euthanasie“-Opfer)  287, 293 Weese, Hellmut (Arzt)  329 f. Weidner, Emil (Anstaltsarzt)  205 Weih, Gertrud Ida („Euthanasie“-Opfer)  315 Weinand, Peter („Euthanasie“-Opfer)  286, 290 Weisheit, Hans (Landrat)  42 Weiß, Otto J. (Arzt)  136 Welter, Heinrich (Arzt)  222 f. Wentzler, Ernst (Kinderarzt)  23, 249, 257 Werner, Gotthard (Arzt)  125, 127, 130, 281, 296 Wesse, Hermann (Arzt, Leiter der „Kinderfachabteilung“ in Waldniel)  251 Wessel, Horst  171 Wesseler, Anna („Euthanasie“-Opfer)  286, 293 Westenberger, Georg (Strafanstaltsdirektor)  159 Wiebusch (Verwaltungsangestellter)  66 Wilden, Anna Sophia („Euthanasie“-Opfer)  315 Wilhelmy, Alexander (Arzt)  135, 141, 159, 175, 191, 208, 211 Wili-Witkop, Liselotte (siehe: Witkop, Liselotte) Willems, Elisabeth („Euthanasie“-Opfer)  316 Willnecker, Hermann (Lehrer)  154 Wilmshöfer, Josef (Schularzt)  239 Witkop, Josef (Vater von Liselotte Witkop)  95 Witkop, Liselotte (Ärztin)  66, 92–96, 100, 113, 123, 151 f., 194, 222 f., 251 Wittling, Anton („Euthanasie“-Opfer)  269 Wittling, Johann Edmund („Euthanasie“Opfer) 269 Wittmann, Peter (Arzt)  55, 125, 130, 194 Worringer (Richter)  168, 170 Wüllenweber, Gerhard (Arzt, Professor für Innere Medizin an der Universität Köln)  205 Wurm, Theophil (Landesbischof der evangelischen Kirche in Württemberg)  302 Z Zander, Adele („Euthanasie“-Opfer)  284 Zavelberg, Johann Hubert („Euthanasie“Opfer)  287, 295 Zeppenfeld, Werner (Amtsbürgermeister, Ortsgruppenleiter) 137 Zimmermann, Anna („Euthanasie“-Opfer)  313 Zimmermann, Gerhard („Euthanasie“-Opfer)  291

Ortsregister

A Aachen (Stadt)  25 f., 73 f., 210 f., 289 Aachen (Kreis)  70 Adendorf (siehe: Wachtberg) Aegidienberg (siehe: Bad Honnef) Alfter  36, 138, 253, 313, 339 Gielsdorf 36 Impekoven 36 Oedekoven 36 Witterschlick 36 Alkoven (Österreich)  266 Hartheim  31, 294–297, 312 Allner (siehe: Hennef) Alt Röhrsdorf, heute Stare Rochowice (Polen)  127 Altendorf (siehe: Meckenheim) Altenkirchen (Kreis)  51, 91 Altenrath (siehe: Troisdorf) Amberg 99 Amsterdam (Niederlande)  102 Andernach  26, 31, 126 f., 259, 266, 268, 270–272, 275, 282, 284–291, 293–295, 312, 317, 318, 322 Anrath (siehe: Willich) Ansbach  251, 253 Aplerbeck (siehe: Dortmund) Arnsberg 77 Arzdorf (siehe: Wachtberg) Atzbach (siehe: Lahnau) Auschwitz 330 B Bad Ems  133 Bad Godesberg (siehe: Bonn) Bad Honnef  36, 82, 141, 186, 214, 253, 270, 287, 299, 310, 313, 323, 332 Aegidienberg  37, 284, 290 Rhöndorf 186 Selhof 186 Wülscheid 141

Bad Oeynhausen  127 Bad Orb  70 Bamberg 198 Bechlinghoven (siehe: Bonn) Beckum (Kreis)  88 Bedburg Königshoven 96 Bedburg-Hau  26, 126 f., 131, 265, 266, 267, 281, 284 Bendorf Sayn  272, 277 Bensberg (siehe: Bergisch Gladbach) Berg (siehe: Hennef) Bergheim (siehe: Troisdorf) Bergisch Gladbach  89, 342 Bensberg  55, 202 Berkum (siehe: Wachtberg) Berlin  20 f., 25, 70, 76 f., 79, 85, 88, 91, 94, 126–128, 130, 133, 165, 167, 169, 175, 188, 193, 197, 202, 209 f., 250, 254, 259, 262 f., 266, 277 f., 281 f., 287, 297, 298 f., 301, 303 f., 306, 310, 314, 329, 333, 347 Adlershof 333 Charlottenburg  79, 92, 95, 259 f. Dahlem 204 Frohnau 249 Moabit 72 Neukölln 94 Bernburg an der Saale  31 f., 268, 293, 294, 297, 310, 318, 322 Bethel (siehe: Bielefeld) Beuel (siehe: Bonn) Bielefeld  143, 200 Bethel  131, 143, 302 Bisdorf (siehe: Bornheim) Bitburg 169 Blankenberg (siehe: Hennef) Böblingen (Kreis)  300 Bochum  88, 200

384 Bonn-Land (Kreis)  27, 29 f., 33, 35 f., 38–42, 49, 50–52, 56, 58 f., 61, 63–67, 69–72, 74, 78 f., 82, 84–87, 100, 103 f., 112, 115, 117–122, 125 f., 130, 132, 136, 138, 147–151, 159, 164, 170, 180, 184, 187, 191 f., 198–200, 203, 209, 211, 214 f., 218 f., 233, 254 f., 275, 277, 317 f., 320 f., 335, 346 Bonn (Stadt)  27–30, 32, 35 f., 39 f., 42, 50 f., 56–59, 65 f., 69–71, 73, 78–85, 87, 91, 93, 96, 98 f., 102 f., 104 f., 107, 110, 115, 117, 122–131, 133–137, 141–144, 146 f., 159–176, 178 f., 181–184., 194, 197–200, 203, 206, 207, 209–212, 214, 216, 218–223, 225–228, 230, 232–241, 251 f., 255, 262, 265 f., 268, 271–273, 275, 278, 281, 285, 287, 290–294, 296, 298 f., 301, 309, 312, 317, 320–322, 331, 333, 339, 343, 347 Bad Godesberg  30, 33, 36, 56, 63, 69, 76, 78, 88, 113, 190, 204, 214, 216, 226, 253 f., 265 f., 287, 301, 309, 315–317, 333, 342 Bechlinghoven 36 Beuel (mit Amt)  30, 33, 36, 56 f., 63, 94, 253 f., 309, 314, 316 Buschdorf 36 Duisdorf  30, 36, 56 f., 63, 137 f., 156, 286 f., 293, 295 Endenich  136, 271 Friesdorf  287, 293 Geislar 36 Gielgen 37 Holzlar  37, 315 Roleber 37 Ippendorf 36 Küdinghoven 36 Lannesdorf 36 Lengsdorf 36 Lessenich 36 Limperich  36, 254 Mehlem  36, 78, 190, 220, 316 Niederholtorf 36 Oberholtorf 36 Oberkassel  30, 33, 37, 186, 214, 270, 287 Poppelsdorf  166, 287 Pützchen  36, 135, 175 Ramersdorf  36, 286, 292 f. Röttgen 36 Schwarzrheindorf  36, 284 Schweinheim 313 Ueckesdorf 36 Vilich  36, 287, 317

Ortsregister Bornheim  36, 63, 234, 236 f., 239, 270, 272, 292, 296 Bisdorf 36 Botzdorf 36 Brenig 36 Dersdorf 36 Hemmerich 36 Hersel 36 Kardorf 36 Merten  36, 55, 239, 268, 286 f. Roisdorf  36, 138 Rösberg 36 Sechtem  36, 233, 272, 275, 277 Trippelsdorf 36 Uedorf 36 Uellekoven 36 Walberberg  36, 268, 286, 289 Waldorf  36, 200 Widdig 36 Botzdorf (siehe: Bornheim) Brandenburg an der Havel  31, 258, 264, 266, 268, 281, 297, 306, 318 Görden  249–251, 253 Brauweiler (siehe: Pulheim) Breidt (siehe: Lohmar) Bremen  24 f., 112 Brenig (siehe: Bornheim) Breslau, heute Wrocław (Polen)  125, 127, 171, 173, 185 Brugg (Schweiz)  96 Buisdorf (siehe: Sankt Augustin) Buschdorf (siehe: Bonn) Buschhoven (siehe: Swisttal) C Cochem Sehl  272, 283 Cuxhaven Sahlenburg 129 D Dachau 333 Dambroich (siehe: Hennef) Dattenfeld (siehe: Windeck) Daun (Stadt und Kreis)  170 Deichhaus (siehe: Siegburg) Dersdorf (siehe: Bornheim) Deutz (siehe: Köln)

Ortsregister Dösen (siehe: Leipzig) Dormagen 131 Dorsten 201 Dortmund 201 Aplerbeck  20, 254 Dresden  128, 210, 247, 275 Duisburg 275 Hamborn 220 Duisdorf (siehe: Bonn) Dünnwald (siehe: Köln) Düren  127, 129, 131, 268, 283, 288, 296, 312 Düsseldorf  26, 79, 100, 161, 165, 180, 198, 202, 270, 277, 282, 331, 337, 342 Derendorf  207, 221 Grafenberg  126–129, 270, 281, 301 E Ebernach (siehe: Cochem-Sehl) Ebenhausen (siehe: Schäftlarn) Eglfing  21, 265, 314 Eichberg (siehe: Eltville) Eisleben 203 Eitorf  36, 57, 66, 135, 195, 214 Hönscheid 313 Kelters 113 Lindscheid 313 Linkenbach  286, 290 Elberfeld (siehe: Wuppertal) Eltville  23, 252, 270 Eichberg  23, 252–254, 270, 315, 318 Hattenheim 314 Endenich (siehe: Bonn) Engelskirchen 272 Ensen (siehe: Köln) Erlangen 126 Ersdorf (siehe: Meckenheim) Eschmar (siehe: Troisdorf) Essen  168, 173, 316 Essig (siehe: Swisttal) Eudenbach (siehe: Königswinter) Euskirchen (Kreis)  26, 36, 50, 69, 159, 170 Euskirchen (Stadt)  131, 159 f., 167, 170 f. Palmersheim 255 F Fichtenhain (siehe: Krefeld) Flensburg 287 Flerzheim (siehe: Rheinbach)

385 Frankfurt am Main  25, 93, 102, 112, 133, 170 Frankfurt an der Oder (Regierungsbezirk)  83 Freiburg im Breisgau  73, 93, 130, 165, 167, 171, 175, 187, 329 Freudenstadt (Kreis)  300 Friedrich-Wilhelms-Hütte (siehe: Troisdorf) Friesdorf (siehe: Bonn) Fritzdorf (siehe: Wachtberg) Fulda  126, 185, 303, 309 G Galkhausen (siehe: Langenfeld) Gangelt  203, 251, 312 Gauting 79 Geislar (siehe: Bonn) Geistingen (siehe: Hennef)  36 Gelsenkirchen  89, 93 f., 342 Gerolstein 170 Gielgen (siehe: Bonn) Gielsdorf (siehe: Alfter) Gießen  91, 128, 170 Gimmersdorf (siehe: Wachtberg) Godesberg (siehe: Bonn-Bad Godesberg) Gomadingen (Grafeneck)  21, 31, 265 f., 269, 281, 297, 300 f., 303, 318 Görden (siehe: Brandenburg) Göttingen  20, 130 f., 173, 281, 292, 313 Grafenberg (siehe: Düsseldorf) Grafeneck (siehe: Gomadingen) Graz (Österreich)  21 Greifswald  72, 127, 174 Großhennersdorf (siehe: Herrnhut) Großschweidnitz 318 Gummersbach 159 Günzburg 314 Gutmannseichen (siehe: Windeck) H Hadamar  21, 29, 32, 268–270, 272, 275, 282–284, 287–290, 293–297, 310, 312 f., 315, 318, 322, 347 Mönchberg 32, 289, 295 Hagen  128, 301 Hainburg Hainstadt 170 Hainstadt (siehe: Hainburg) Halberg (siehe: Lohmar) Haldensleben 131 Halle an der Saale  128, 130, 170 f.

386 Hamborn (siehe: Duisburg) Hamburg  21, 23, 24, 112, 329 Eppendorf 24 Fischbek 109 Rothenburgsort 21 Hamm (Westfalen)  94, 129, 204 Hanf (siehe: Hennef) Hangelar (siehe: Sankt Augustin) Hardt (siehe: Mönchengladbach) Hartheim (siehe: Alkoven) Hattenheim (siehe: Eltville) Hattersheim am Main  91 Hausen an der Wied  131, 272, 285, 314 f., 318 Heide (siehe: Hennef) Heidelberg  128, 172, 329 f. Heinsberg Waldenrath 70 Heimerzheim (siehe: Swisttal) Heisterbacherrott (siehe: Königswinter) Hemmerich (siehe: Bornheim) Hennef  36, 66, 88, 127, 186 Allner  286, 291 Berg 286 Blankenberg 36 Dambroich  284, 289 Geistingen 36 Hanf  286, 290 Heide 288 Kurenbach  287, 293 Lauthausen  37, 253 Uckerath  37, 55 Warth 165 Herborn 269 Herchen (siehe: Windeck) Hermeskeil 168 Herrnhut Großhennersdorf 246 Hersel (siehe: Bornheim) Herten 203 Hilberath (siehe: Rheinbach) Hildburghausen 131 Hildesheim  281, 313 Himmelsthür 281 Himmelsthür (siehe: Hildesheim) Hohengandern 84 Holzem (siehe: Wachtberg) Holzlar (siehe: Bonn) Homburg 205

Ortsregister Hoppengarten (siehe: Windeck) Hoven (siehe: Zülpich) I Idstein  20, 252 f., 318 Ilten (siehe: Sehnde) Impekoven (siehe: Alfter) Inger (siehe: Lohmar) Innsbruck 133 Ippendorf (siehe: Bonn) Ittenbach (siehe: Königswinter) J Jena 173 K Kaldauen (siehe: Siegburg) Kardorf (siehe: Bornheim) Karlsruhe 73 Kassel  126, 198 Kaufbeuren 21 Keldenich (siehe: Wesseling) Kempen 162 Kiel  128, 167, 200, 238, 332 Koblenz  74, 127, 133, 168, 270, 277, 289 Moselweiß  132, 145, 147 Köln (Landkreis)  51, 90 Köln (Regierungsbezirk)  39, 124, 270 Köln-Aachen (Gau)  76, 312 Köln  25 f., 30, 50 f., 69, 70, 72, 76–84, 86, 89, 99, 101 f., 105, 106, 112, 131, 142, 150, 152, 159, 160, 165, 167, 169, 184–187, 195, 198–205, 209, 214, 216, 229, 237, 275, 293, 301, 303, 305, 312, 314 f., 324, 329, 330, 339, 342 Deutz  253, 272 Dünnwald 327 Ensen 131 Lindenthal  80, 301 Porz 240 Zündorf 127 Komp (siehe: Königswinter) Königsberg in der Neumark, heute Chojna (Polen)  83, 174, 291 Königshoven (siehe: Bedburg) Königswinter  36, 42, 144, 214, 266 f., 287, 306, 321 Eudenbach  286, 321 Heisterbacherrott  37, 154, 269 Ittenbach 37

Ortsregister Komp  268, 287, 321 Niederdollendorf  37, 217, 292 Oberdollendorf  37, 143, 144 Oberpleis  37, 88, 186, 317, 321 Oelinghoven  286, 290 Stieldorf 37 Vinxel 269 Konitz, heute Chojnice (Polen)  167 Konradstein, heute Kocborowo (Polen)  264 Kraśniczyn (Polen)  277, 319 Krefeld  77, 127, 283, 296 Fichtenhain 127 Kriegsdorf (siehe: Troisdorf) Küdinghoven (siehe: Bonn) Kurenbach (siehe: Hennef) Kürrighoven (siehe: Wachtberg) L Lahnau Atzbach 128 Landsberg am Lech  332 Langenfeld Reusrath-Galkhausen  26, 31, 80, 142, 243, 259, 282, 283, 284, 288, 296, 318 Lannesdorf (siehe: Bonn) Lauenburg, heute Lębork (Polen)  79 Lauthausen (siehe: Hennef) Leichlingen (Rheinland)  129 Roderbirken 129 Leipzig  21, 23, 248, 277 Dösen  254, 277, 318 Lengsdorf (siehe: Bonn) Lessenich (siehe: Bonn) Leuna 93 Leverkusen Wiesdorf 226 Liebenburg 281 Ließem (siehe: Wachtberg) Limburg 303 Limperich (siehe: Bonn) Lindenthal (siehe: Köln) Lindlar 272 Lindscheid (siehe: Eitorf) Linkenbach (siehe: Eitorf) Linz am Rhein  98, 131, 314, 332 Linz-Waldegg (Österreich)  318, 343 Löbau 246 Loch (siehe: Rheinbach)

387 Lohmar  37, 253 Breidt 37 Halberg 37 Inger 37 Neuemühle 314 Wahlscheid 37 Lüben, heute Lubin (Polen)  87, 318 Ludendorf (siehe: Swisttal) Lüdinghausen (Kreis)  88 Lüftelberg (siehe: Meckenheim) Lülsdorf (siehe: Niederkassel) Lüneburg  21, 251, 253, 313 Lychen 331 Lyon (Frankreich)  330 M Mainz 91 Malmedy (Belgien)  167 Marburg  71, 80, 126, 131, 173, 329 Marsberg 88 Niedermarsberg  87, 254, 318 Mayen 132 Meckenheim  36, 63 Altendorf  36, 208 Ersdorf  36, 296 Lüftelberg 36 Merl 36 Mehlem (siehe: Bonn) Meindorf (siehe: Sankt Augustin) Menden (siehe: Sankt Augustin) Merl (siehe: Meckenheim) Merten (siehe: Bornheim) Merzig  26, 205 Meseritz-Obrawalde, heute Międzyrzecz (Polen)  316 f., 319, 343 Metz (Frankreich)  330 Międzyrzecz (Polen)  284 f., 316 Miel (siehe: Swisttal) Millerscheid (siehe: Ruppichteroth) Minden 168 Minsk (Weißrussland)  272, 319 Moabit (siehe: Berlin) Mönchberg (siehe: Hadamar) Mönchengladbach  142, 162, 163 Hardt 343 Rheydt  142, 298 Mondorf (siehe: Niederkassel) Montabaur 145

388 Morenhoven (siehe: Swisttal) Morsbach  255, 272 Moselweiß (siehe: Koblenz) Much  37, 52, 55, 136, 272 Mülldorf (siehe: Sankt Augustin) Müllekoven (siehe: Troisdorf) München  21, 23, 70, 93, 126, 129, 132, 165, 173 f., 193, 198, 329 Münster  125 f., 173, 281, 303 Münstermaifeld 126 N Nassau 22 Scheuern 270 Natzwiller (Frankreich)  329 f. Naumburg 203 Neuhaldensleben (siehe: Haldensleben) Neukirchen (siehe: Rheinbach) Neumünster 332 Neunkirchen (siehe: Neunkirchen-Seelscheid) Neunkirchen-Seelscheid Neunkirchen 37 Seelscheid 37 Neuss  70, 96, 129 Neustadt, heute Wejherowo (Polen)  264 Neuve-Chapelle (Frankreich)  87 Neuwied  137, 189 Niederbachem (siehe: Wachtberg) Niederdollendorf (siehe: Königswinter) Niederdrees (siehe: Rheinbach) Niederfell  131, 147, 318 Niederholtorf (siehe: Bonn) Niederkassel  37, 55, 218 Lülsdorf 37 Mondorf 217 Rheidt  37, 113, 286 Stockem 37 Uckendorf  37, 286, 291 Niederleuscheid (siehe: Windeck) Niedermarsberg (siehe: Marsberg) Niedermenden (siehe: Sankt Augustin) Niederpleis (siehe: Sankt Augustin) Niederzündorf (siehe: Köln-Zündorf) Nürnberg  19, 129, 198, 247, 332, 333 O Oberbachem (siehe: Wachtberg) Oberbergischer Kreis  41, 51, 159, 170

Ortsregister Oberdollendorf (siehe: Königswinter) Oberdrees (siehe: Rheinbach) Oberhausen 203 Osterfeld 281 Oberholtorf (siehe: Bonn) Oberkassel (siehe: Bonn) Oberlar (siehe: Troisdorf) Obermenden (siehe: Sankt Augustin) Eudenbach (siehe: Königswinter) Oberpleis (siehe: Königswinter) Odendorf (siehe: Swisttal) Oedekoven (siehe: Alfter) Oelinghoven (siehe: Königswinter) Offenbach am Main  25, 170 Ollheim (siehe: Swisttal) Oppeln, heute Opole (Polen)  88 Osnabrück  77, 303 Osterfeld (siehe: Oberhausen) Oudenaarde (Belgien)  85 P Palmersheim (siehe: Euskirchen) Papenburg an der Ems  103 Paris (Frankreich)  330 Pech (siehe: Wachtberg) Piaśnica Wielka (Polen)  264 Pirna  31, 247, 268, 289, 294, 297, 310 Pissenheim (siehe: Wachtberg[-Werthhoven]) Plagwitz, heute Płakowice (Polen)  312, 318 Plauen 98 Plöhnen (Kreis)  84 Plön 332 Poppelsdorf (siehe: Bonn) Porz (siehe: Köln) Posen, heute Poznań (Polen)  76, 264, 285 Prüm 167 Pulheim Brauweiler 131 Pützchen (siehe: Bonn) Q Queckenberg (siehe: Rheinbach) R Ramersdorf (siehe: Bonn) Ramershoven (siehe: Rheinbach) Ravensbrück 331 Recklinghausen  78, 129

Ortsregister Remscheid 298 Reval, heute Tallinn (Estland)  76 Rheidt (siehe: Niederkassel) Rhein-Sieg-Kreis  28 f., 33, 35, 329, 343, 345 Rheinbach (Kreis)  35, 36, 69 Rheinbach-Land (Amt)  36 Rheinbach  36, 63 f., 69, 100–103, 105, 108, 119, 136 f., 148, 150, 159, 227, 316, 345 Flerzheim 36 Hilberath 36 Loch 64 Neukirchen 36 Niederdrees 36 Oberdrees  36, 283 Queckenberg 36 Ramershoven 36 Todenfeld 36 Wormersdorf-Ipplendorf 316 Wormersdorf 36 Rheinisch-Bergischer Kreis  90 Rheydt (siehe: Mönchengladbach) Rhöndorf (siehe: Bad Honnef) Roderbirken (siehe: Leichlingen) Roisdorf (siehe: Bornheim) Roleber (siehe: Bonn) Rosbach (siehe: Windeck) Rösberg (siehe: Bornheim) Rosgaard (siehe: Wees) Rossel (siehe: Windeck) Rothenburgsort (siehe: Hamburg) Rottenburg am Neckar  303 Röttgen (siehe: Bonn) Rottweil (Kreis)  300 Ruppichteroth  37, 329 Millerscheid 317 Schönenberg 187 Winterscheid 37 S Saarbrücken  112, 201, 205 Saffig 272 Sahlenburg (siehe: Cuxhaven) Sankt Augustin  305 Buisdorf  37, 316 Hangelar 37 Meindorf  37, 313 Menden  37, 88, 145, 186 Mülldorf  37, 147, 313–315

389 Niedermenden  37, 268, 316 Niederpleis 37 Obermenden 37 Sankt Goar  147, 292 Sayn, s. Bendorf-Sayn Schäftlarn Ebenhausen 130 Scheidegg 79 Scheuern (siehe: Nassau) Schleswig 21 Schneidemühl, heute Piła (Polen)  76 Schönenberg (siehe: Ruppichteroth) Schwalmtal Waldniel  131, 250–253, 264, 272, 290 Schwarzrheindorf (siehe: Bonn) Schweinheim (siehe: Bonn) Schwerte 201 Sechtem (siehe: Bornheim) Seelscheid (siehe: Neunkirchen-Seelscheid) Selhof (siehe: Bad Honnef) Sehnde Ilten  281, 313 Siegburg  36, 37, 52, 55, 89, 92, 94, 99 f., 105 f., 108 f., 119, 123, 133 f., 136, 142–145, 148, 150, 153, 158 f., 162, 187, 197, 206, 214, 222 f., 225, 254, 268, 277, 281, 286 f., 290, 305, 313, 316, 325, 330, 333, 337, 342 f., 345 Deichhaus 37 Kaldauen  162, 284, 286, 290, 292 Wolsdorf 287 Siegkreis/Siegburg (Kreis)  27, 29 f., 33, 35 f., 38–42, 48–52, 56 f., 59 f., 62 f., 65, 69, 71, 87 f., 90–92, 94 f., 99 f., 104, 106, 112, 115, 117–123, 125 f., 130, 135–137, 140, 147–152, 159, 164 f., 184, 187 f., 192, 198–200, 211 f., 214, 218 f., 254, 297, 305, 310, 316–318, 320 f., 326, 335, 342, 345 f. Sieglar-Kriegsdorf (siehe: Troisdorf) Sieglar (siehe: Troisdorf) Sobibor  277, 319 Soest 170 Solingen 83 Sonnenstein (siehe: Pirna) Spich (siehe: Troisdorf) Starnberg 79 Steinburg (Kreis)  25 Steinhof (siehe: Wien) Stendal Uchtspringe  251, 253, 318

390 Stieldorf (siehe: Königswinter) Stockem (siehe: Niederkassel) Stocksee 332 Straßburg (Frankreich)  126, 330 Straßfeld (siehe: Swisttal) Stuttgart  70, 136, 300 Süchteln (siehe: Viersen) Šumjači (Russland)  333 Swinemünde, heute Świnoujście (Polen)  83 Swisttal Buschhoven  36, 284 Essig 36 Heimerzheim  36, 64, 287, 313 Ludendorf  36, 63 Miel 36 Morenhoven  36, 286, 293 Odendorf  36, 255 Ollheim 36 Straßfeld 313 T Teltow (Kreis)  91 Tiegenhof, heute Nowy Dwór Gdański (Polen)  73, 313 Todenfeld (siehe: Rheinbach) Treysa bei Kassel  188 Triengen (Schweiz)  93 Trier (Regierungsbezirk)  25 Trier  77, 126, 168, 170, 201, 270 Trippelsdorf (siehe: Bornheim) Troisdorf  37, 66, 88, 106, 139, 182, 195, 214, 253, 269, 292, 296, 314 Altenrath  37, 313 Bergheim  37, 286, 290 Eschmar 37 Friedrich-Wilhelms-Hütte  37, 253 Kriegsdorf  37, 313 Müllekoven 37 Oberlar 37 Sieglar  37, 55, 88, 142, 286, 292 Spich 37 Troppau, heute Opava (Tschechien)  127 Tübingen  70, 133 U Übersetzig (siehe: Windeck) Uchtspringe (siehe: Stendal) Uckendorf (siehe: Niederkassel)

Ortsregister Uckerath (Kreis)  35 Uckerath (siehe: Hennef) Ueckermünde  21, 251–254, 318 Ueckesdorf (siehe: Bonn) Uedorf (siehe: Bornheim) Uellekoven (siehe: Bornheim) Ulm 314 Unna 79 Urfeld (siehe: Wesseling) Usedom-Wollin (Kreis)  83 V Viersen 290 Süchteln  55, 127 f., 131, 142, 162, 251, 282–284, 289 f., 294 Vilich-Müldorf (siehe: Bonn-Vilich) Vilich-Rheindorf (siehe: Bonn-Vilich) Vilich (siehe: Bonn) Villip (siehe: Wachtberg) Villiprott (siehe: Wachtberg) Vinxel (siehe: Königswinter) W Waadt (Kanton d. Schweiz)  44 Wachtberg Adendorf  36, 286, 293 Arzdorf 36 Berkum  36, 63 Fritzdorf 36 Gimmersdorf 36 Holzem 36 Kürrighoven 36 Ließem 36 Niederbachem 36 Oberbachem 36 Pech  36, 316 Pissenheim (Werthhoven)  36 Villip 36 Villiprott 36 Züllighoven 36 Wahlscheid-Neuemühle (siehe: Lohmar) Wahlscheid (siehe: Lohmar) Walberberg (siehe: Bornheim) Waldbreitbach  131, 272, 318 Waldbröl 255 Waldbröl (Kreis)  35 f. Waldenrath (siehe: Heinsberg) Waldheim  267, 281

Ortsregister Waldniel (siehe: Schwalmtal) Waldorf (siehe: Bornheim) Wanne-Eickel 90 Warth (siehe: Hennef) Wees Rosgaard 287 Weilburg 112 Weilmünster  131, 270 Wermsdorf 80 Wesseling  33, 36, 240 Keldenich  33, 36 Urfeld  33, 36 Wetzlar (Kreis)  128 Weyerbusch 296 Widdig (siehe: Bornheim) Wiedenbrück (Kreis)  77 Wien (Österreich)  25, 93, 133, 318 Steinhof 21 Wiesbaden 127 Wiesdorf (siehe: Leverkusen) Wiesengrund bei Berlin  21 Willich Anrath 170 Windeck  137, 217, 343 Dattenfeld  36, 55, 133, 281, 315

391 Gutmannseichen 343 Herchen 36 Hoppengarten  317, 343 Niederleuscheid 315 Rosbach 36 Rossel 343 Übersetzig 313 Winterscheid (siehe: Ruppichteroth) Witterschlick (siehe: Alfter) Wittlich 105 Wjasma (Russland)  71 Wormersdorf-Ipplendorf (siehe: Rheinbach) Wormersdorf (siehe: Rheinbach) Wülscheid (siehe: Bad Honnef) Wuppertal Elberfeld 329 Würzburg  126, 174, 203 Z Zichenau (Regierungsbezirk)  84 Zittau 100 Züllighoven (siehe: Wachtberg) Zülpich Hoven  97, 131, 171, 272, 283 f., 312–314 Zwiefalten  265, 266, 281