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German Pages 239 Year 1967
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 61
Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt Ein Beitrag zur Auslegung des Artikels 32 Absatz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland
Von
Manfred Sachau
Duncker & Humblot · Berlin
MANFRED
SACHAU
Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt
S c h r i f t e n zum ö f f e n t l i c h e n Band 61
Recht
Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt E i n Beitrag zur Auslegung des Artikel 32 Absatz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland
Von
Dr. Manfred Sachau
D U N CK ER
&
HUMBLOT
/
BERLIN
Alle Rechte vorbehalten © 1967 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1967 bei Buchdruckerei Bruno Lude, Berlin 65 Prlnted in Germany
Die Anregung zu dieser Untersuchung, sowie zahlreiche Hinweise und manche Ermutigung bei ihrer Durchführung verdanke ich meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. F. J. Berber. Die Arbeit hat der juristischen Fakultät der Ludwig-MaximiliansUniversität i n München i m Herbst 1966 als Dissertation vorgelegen. Sie wurde von Herrn Professor Dr. Th. Maunz als Korreferent betreut. Der Abschluß wurde durch ein von dem Evangelischen Studienwerk Villigst vermitteltes Dissertationsstipendium der Volkswagenstiftung erleichtert. Herrn Ministerialrat a. D. Dr. J. Broermann bin ich für die Aufnahme der Abhandlung i n das Programm des Verlags Duncker & Humblot zu Dank verpflichtet. Manfred
Sachau
Inhaltsverzeichnis Einleitung
15
1. Fragestellung u n d Zielsetzung der Untersuchung
15
2. Z u m I n h a l t u n d A u f b a u der A r b e i t
17
Erstes
Kapitel
Der Begriff der Wehrhoheit und der scheinbare Verzicht auf ihn i m bundesstaatlichen Kompetenzsystem des Grundgesetzes § 1. Der Begriff der Wehrhoheit I. Die F u n k t i o n der Unterscheidung von „Hoheiten" oder „ m a t e r i ellen Gewalten" i m heutigen Staatsrecht 1. Die Einheit der Staatsgewalt 2. Die Unterscheidung einzelner Hoheiten u n d Gewalten als Grundlage f ü r Kompetenzregelungen 3. Das Verhältnis der materiellen Gewaltenunterscheidung zur formellen Gewaltenteilung I I . Die Wehrhoheit 1. Wehrhoheit u n d Völkerrecht 2. Wehrhoheit als ein nach außen gewendetes Hoheitsrecht 3. Wehrhoheit als Zuständigkeit zur aktuellen Gewaltanwendung § 2. Die Wehrhoheit der Bundesrepublik nach dem Grundgesetz
19 19 19 20 21 22 22 25 29 32
I. Das Fehlen wehrrechtlicher Regelungen i m Grundgesetz v o m 23. M a i 1949 32 1. Das Fehlen wehrrechtlicher Hegelungen 2. Die Erforderlichkeit wehrrechtlicher Regelungen
32 33
I I . Die Inanspruchnahme der Wehrhoheit durch die erste Wehrrechtsnovelle v o m 26. 3.1954 1. Die Entwürfe zu den Wehrrechtsnovellen 2. Die erste Wehrrechtsnovelle
35 35 37
I I I . Das Fehlen einer bundesstaatlichen Zuständigkeitsgeneralentscheidung hinsichtlich der Wehrhoheit i n den Bestimmungen der zweiten Wehrrechtsnovelle v o m 19.3.1956 1. Die Entstehungsgeschichte der zweiten Wehrrechtsnovelle . . 2. I n h a l t der zweiten Wehrrechtsnovelle
38 38 40
I V . Die Versuche einer Begründung der Wehrhoheit des Bundes aus dem Inbegriff der wehrrechtlichen Regelungen i m Grundgesetz
46
8
Inhaltsverzeichnis V. K r i t i k der herkömmlichen A b l e i t u n g der Wehrhoheit des Bundes — Hinweis zum weiteren Gang der Untersuchung 48 Zweites
Kapitel
Der Begriff der Auswärtigen Gewalt und seine Verwendung im bundesstaatlichen Kompetenzsystem des Grundgesetzes § 3. Der Begriff der Auswärtigen Gewalt 1. Auswärtige Gewalt als ein nach außen gewendetes Hoheitsrecht
52 52 52
2. Gestaltung der Rechts- und Verkehrsbeziehungen zu anderen Völkerrechtssubjekten als Gegenstand der Auswärtigen Gewalt 54 3. Der akzessorische interne Hoheitsbereich der Auswärtigen Gewalt 55 4. „Auswärtige Verwaltung" als unzutreffende Bezeichnung f ü r die Auswärtige Gewalt 57 5. Beschränkung der Auswärtigen Gewalt auf die unmittelbare Gestaltung der auswärtigen Beziehungen 6. Auswärtige Gewalt u n d Völkerrecht
60 61
§ 4. Die Auswärtige Gewalt der Bundesrepublik nach dem Grundgesetz
62
I. Überblick über die die auswärtige Gewalt berührenden Bestimmungen des Grundgesetzes
62
1. Die Inanspruchnahme der Auswärtigen Gewalt f ü r die B u n desrepublik u n d ihre Überweisung als Gesamtzuständigkeit an den B u n d 62 2. Der akzessorische Organisations- u n d Willensbildungsbereich der Auswärigen Gewalt 62 3. Inhaltliche Ausrichtung u n d Beschränkung der Auswärtigen Gewalt 63 I I . Entstehungsgeschichte u n d Inkrafttreten des A r t . 32 Abs. 1 GG als der zentralen Regelung der Auswärtigen Gewalt i m G r u n d gesetz 65 1. Vorgeschichte der Beratungen zum Grundgesetz
65
2. Die Beratungen des Verfassungskonventes 3. Die Beratungen des Parlamentarischen Rates 4. Das verzögerte u n d eingeschränkte Inkrafttreten des A r t . 32 Abs. 1 GG
66 67
I I I . Die Auslegung des A r t . 32 Abs. 1 des Grundgesetzes
70 72
1. Die Überweisung der Auswärtigen Gewalt durch A r t . 32 Abs. 1 GG als umfassender Zuständigkeit an den B u n d 72 2. A r t . 32 Abs. 1 GG als primäre Zuständigkeitsklausel gegenüber A r t . 30 GG 74 3. Vertragsschlußrechte der Länder nach A r t . 32 Abs. 1 GG als Ausnahmeregelung
74
Inhaltsverzeichnis 4. Geltung des A r t . 32 Abs. 1 GG f ü r den internen akzessorischen Bereich der Auswärtigen Gewalt
76
5. Föderale Zuständigkeitsverteilung i m internen akzessorischen Bereich der Auswärtigen Gewalt (inter governmental division of powers) 77 6. A u f t e i l u n g auswärtiger Befugnisse zwischen obersten B u n desorganen — i n t r a governmental division of powers Drittes
79
Kapitel
Das Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt zueinander
81
§ 5. Logisch-terminologische Zuordnung der Begriffe Wehrhoheit Auswärtige Gewalt zueinander
und 81
I. Gewaltanwendung als Gestaltungsmittel i m Bereich der auswärtigen Angelegenheiten
81
I I . Auswärtige Gewalt als die eine umfassende auswärtige Gesamtzuständigkeit, die die militärische Auswärtige Gewalt (Wehrhoheit) u n d die diplomatische Auswärtige Gewalt i n sich begreift 85 § 6. Rechtshistorische Aspekte zum Verhältnis von Wehrhoheit diplomatischer Auswärtiger Gewalt zueinander
und 87
1. Die Einheit von militärischer Auswärtiger Gewalt u n d diplomatischer Auswärtiger Gewalt als überkommener Bestandteil der älteren Staatsrechtstheorien
88
2. Die Beständigkeit des umfassenden Begriffs der tigen Gewalt i m 19. Jahrhundert
90
Auswär-
3. Die äußerliche Trennung zwischen militärischer u n d diplomatischer Auswärtiger Gewalt i m T e x t der Weimarer V e r fassimg
92
4. Der ausstehende Rückgriff auf den Gesamtbegriff der Auswärtigen Gewalt durch die heutige Staatsrechtslehre
95
§ 7. Völkerrechtliche Aspekte z u m Verhältnis v o n Wehrhoheit diplomatischer Auswärtiger Gewalt zueinander
und
I. Die totale Verrechtlichung der internationalen Beziehungen 1. Begriffliche Gleichstellung von militärischer Auswärtiger Gew a l t u n d diplomatischer Auswärtiger Gewalt als Folge der i m neueren Völkerrecht v e r w i r k l i c h t e n Rechtsbindimg aller zwischenstaatlichen Gewaltanwendung
96 97
97
2. Beschränkungen zwischenstaatlicher Gewaltanwendung nach der Völkerbundssatzung 99 3. Illegalisierung des Krieges nach dem Kellogg-Pakt
101
4. Illegalisierung der Gewalt nach der UN-Satzung
102
5. Sachliche Nachordnung der militärischen Auswärtigen Gewalt gegenüber der diplomatischen Auswärtigen Gewalt 105
10
Inhaltsverzeichnis I I . Die gleichartige völkerrechtliche Sonderstellung der Diplomaten u n d Soldaten als den Organen der staatlichen Auswärtigen Gewalt 107 1. Soldaten als staatliche Organe kriegerischer Gewaltanwendung 108 2. Gesteigerte Staatenhaftung f ü r Soldaten i m Kriege 111 3. Privilegierter Status der Soldaten i m Ausland
112
I I I . Übergangsbereiche zwischen diplomatischer Auswärtiger w a l t u n d militärischer Auswärtiger Gewalt 1. 2. 3. 4.
Ge-
Kriegsbeginn Kriegsbeendigung Kriegsverträge Drohung und A n g r i f f
113 114 115 116 119
§ 8. Faktische Aspekte zum Verhältnis von Wehrhoheit u n d diplomatischer Auswärtiger Gewalt zueinander 123 I. Die Thesen von Carl v o n Clausewitz zum Verhältnis des Krieges zur P o l i t i k 123 1. P o l i t i k als Urheber u n d Lenker kriegerischer Entwicklungen — K r i e g als Fortsetzung des politischen Verkehrs m i t E i n mischung anderer M i t t e l 124 2. P o l i t i k als das mäßigende Element i m Kriege 126 3. P o l i t i k als der bestimmende Faktor für den Charakter eines Krieges 127 4. Einschränkung des autonomen militärischen Bereichs durch den Grundsatz der Einheit der Außenpolitik 127 5. Notwendige Vertrautheit der politischen F ü h r u n g m i t Wesen u n d Wirkungsweise der kriegerischen M i t t e l 128 6. Die Regierung als Träger auch der m i t militärischen M i t t e l n fortgesetzten Außenpolitik 129 7. Zusammenfassimg
130
I I . Gültigkeit der Clausewitz-Thesen heute
131
1. Fortgeltung trotz der Illegalisierung zwischenstaatlicher Gewaltanwendung 131 2. Gesteigerte Bedeutung Kampfmittel
mit
Rücksicht
auf
die
modernen 132
3. Gesteigerte Bedeutung f ü r ideologisch begründete Konflikte 135 4. Gesteigerte Notwendigkeit des Vertrautseins der politischen F ü h r u n g m i t Wesen u n d Wirkungsweise der Gewaltmittel . . 135 5. Gesteigerte Notwendigkeit der ständigen Verfügbarkeit des militärischen Gewaltinstruments f ü r die politische Führung 136 6. Zeitgeschichtliche Anschauungsbeispiele zu den ClausewitzThesen 139 I I I . Schlußfolgerungen zu dem Verhältnis von diplomatischer u n d militärischer Auswärtiger Gewalt zueinander 144
Inhaltsverzeichnis § 9. Bundesstaatliche Aspekte zum Verhältnis von Wehrhoheit u n d diplomatischer Auswärtiger Gewalt zueinander 145 I. Grundsätzliches
145
1. „Bundesstaat" als rechtswissenschaftlicher Systematisierungsbegriff 145 2. Militärische Auswärtige Gewalt u n d diplomatische A u s w ä r tige Gewalt i m Bundesstaat 148 3. Einheit von militärischer Auswärtiger Gewalt u n d diplomatischer Auswärtiger Gewalt als Ergebnis einer rechtsvergleichenden Überschau 149 I I . Die die Wehrhoheit u n d die diplomatische Auswärtige Gewalt betreffenden Normen i n den geltenden Bundesstaatsverfassungen 151 1. Verfassungen m i t ausschließlicher u n d umfassender Z u w e i sung der Auswärtigen Gewalt an die Zentralstaaten 151 2. Verfassungen m i t beschränkter Zuweisung der Auswärtigen Gewalt bzw. ihrer akzessorischen Bereiche an die Gliedstaaten (Schweiz, UdSSR, USA) 152 I I I . Die die Wehrhoheit u n d die diplomatische Auswärtige Gewalt betreffenden Normen i n den historischen deutschen Bundesstaatsverfassungen 160 1. Reichsverfassung v o m 16.4.1871 2. Weimarer Verfassung v o m 11. 8.1919 Viertes
160 165
Kapitel
Wehrhoheit als Teil der Auswärtigen Gewalt im bundesstaatlichen Kompetenzsystem des Grundgesetzes § 10. Auslegung des A r t i k e l 32 Absatz 1 des Grundgesetzes I. Wortauslegung 1. Das W o r t „Pflege" 2. Pflege der „Beziehungen zu auswärtigen Staaten" 3. Wertung des Auslegungsergebnisses I I . Systematische Auslegung
168 168 169 169 170 173 174
1. A r t . 30 u n d A r t . 32 Abs. 1 GG 174 2. Innere u n d auswärtige Angelegenheiten — Die Zweispurigkeit des grundgesetzlichen Systems der Zuständigkeitsgeneralklauseln zur Vermeidimg v o n Kompetenzlücken 176 3. Materiellrechtliche Beschränkungen der Auswärtigen Gewalt 179 I I I . Objektiv-teleologische Auslegung
180
1. Verhältnis der objektiv-teleologischen Auslegung zur systematischen Auslegung 180 2. Die N a t u r der Sache 181 3. Die Völkerrechtsfreundlicheit des Grundgesetzes 183 4. Die Friedensfreundlichkeit des Grundgesetzes 185
Inhaltsverzeichnis
12
I V . Historische Auslegung
187
1. Aufgabe und Methode der historischen Auslegung
187
2. Der W i l l e des Gesetzgebers des Grundgesetzes v o m 23. 5.1949 188 3. Der W i l l e des Gesetzgebers der Wehrrechtsnovellen Grundgesetz
zum 192
4. Der Bedeutungswandel des A r t . 32 Abs. 1 des Grundgesetzes 196 § 11. Wertung des Auslegungsergebnisses u n d Einbeziehung i n die herkömmliche Interpretation des A r t . 32 Abs. 1 GG 199 1. Verhältnis der vorgeschlagenen Auslegung des A r t . 32 Abs. 1 GG zu seiner herkömmlichen Auslegung 199 2. Kritische Darstellung der Untersuchungen der heutigen Staatsrechtslehre zum Verhältnis von Wehrhoheit u n d Auswärtiger Gewalt zueinander (Arndt, Kraus, Loewenstein, Krüger) 201 3. Kritische Stellungnahme zu anderen Versuchen der Begründ u n g der Bundesgeneralkompetenz für Verteidigung 205 4. Schlußbetrachtung
207
Zusammenfassung
210 Anhang
Textliche Nachweise zu den Bestimmungen über die Wehrhoheit und die diplomatische Auswärtige Gewalt in Bundesstaatsverfassungen mit Anmerkungen
211
I. Die geltenden Verfassungen m i t ausschließlicher u n d umfassender Zuweisung der Auswärtigen Gewalt an die Zentralstaaten 211 I I . Die geltenden Verfassungen m i t beschränkter Zuweisung der A u s wärtigen Gewalt bzw. ihrer akzessorischen Bereiche an die Gliedstaaten (Schweiz, UdSSR, USA) 223 I I I . Die historischen deutschen Bundesstaatsverfassungen (RV 1871, W V 1919) 228 Literaturverzeichnis
233
Abkürzungsverzeichnis a.A a.a.O. Abs. AdG Anm. ArchVR Art. AÖR Bd. BGBl. BT BVerfGE BYIL Diss. DÖV DVB1. Erl. EVG f. (ff.) GG G. K . HChE HdbDStR h.M. hrsg. i.V.m. JöR JZ lit. LKO n.F. NJW o.J. Rz. S. Sitzg. Sten. Ber. UdSSR UN VBS Verf. WDStRL W.P. ZaöRVR
anderer Ansicht am angegebenen O r t = Absatz = Archiv der Gegenwart = Anmerkung = A r c h i v f ü r Völkerrecht = Artikel = Archiv des öffentlichen Rechts = Band = Bundesgesetzblatt = Bundestag = Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts = B r i t i s h Yearbook of International L a w = Dissertation = Die öffentliche Verwaltung = Deutsches Verwaltungsblatt = Erläuterung = Europäische Verteidigungsgemeinschaft = folgend (e) = Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland = Genfer Konvention = Herrenchiemsee E n t w u r f = Handbuch des Deutschen Strafrechts = herrschende Meinung = herausgegeben = i n Verbindung m i t = Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart = Juristenzeitung = Buchstabe = Haager Landkriegsordnung = neue Fassung bzw. neue Folge = Neue Juristische Wochenschrift = ohne Jahr = Randziffer = Seite = Sitzung = Stenographische Berichte = Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken = Vereinte Nationen = Völkerbundsatzung = Verfasser = Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtler = Wahlperiode = Zeitschrift f ü r ausländisches öffentliches Recht u n d Völkerrecht =
=
Einleitung 1. Fragestellung
und Zielsetzung
der Untersuchung
Überlegungen über das Verhältnis von Wehrhoheit und Auswärtiger Gewalt zueinander sind durch die Feststellung veranlaßt, daß die Wehrrechtsnovellen zum Grundgesetz vom 26. 3.1954 und vom 19.3. 1956 keine Verteidigungskompetenzgeneralzuweisung nach dem Vorb i l d des A r t . 79 S. 1 W V enthalten. Für den Bereich der friedlichdiplomatischen Beziehungspflege ist der Bund nach A r t . 32 Abs. 1 GG grundsätzlich allein zuständig; über dem Bereich militärischer Gewaltanwendung gegen ausländische Staaten scheint als oberste Kompetenznorm die die Länder berechtigende subsidiäre Zuständigkeitsgeneralklausel des A r t . 30 GG zu stehen. Eine Besinnimg auf den begrifflichen, rechtshistorischen, völkerrechtlichen und faktischen Zusammenhang zwischen den diplomatischauswärtigen und militärisch-auswärtigen Staatsfunktionen, ihre einheitliche Behandlung i n anderen Bundesstaatsverfassungen legt den Gedanken nahe, daß die aufgezeigte unterschiedliche Stellung dieser beiden auswärtigen Funktionsbereiche i m Kompetenzsystem des Grundgesetzes nicht der wahren Verfassungslage entspricht. Demgemäß sind auch verschiedene Versuche gemacht worden, aus einzelnen und mehreren wehrrechtlichen Organisationsbestimmungen die ausschließliche Verteidigungsgesamtzuständigkeit des Bundes zu erschließen, allerdings ohne die die Zuständigkeitsordnung des Grundgesetzes beherrschenden Generalklauseln der A r t i k e l 30 und 32 Abs. 1 zu berücksichtigen. A l l e diese Versuche stellen sich daher als unzulässige Lückenausfüllung dar. Eine wirklich schlüssige Begründung der Generalzuständigkeit des Bundes für Verteidigungsangelegenheiten ist bisher noch nicht erfolgt und damit auch nicht der Aufweis des bestimmten Ortes, an dem die ausschließliche Wehrhoheit des Bundes verankert ist. Die vorliegende Arbeit stellt den Versuch dar nachzuweisen, daß die herkömmliche Auslegung des A r t . 32 Abs. 1 GG, die i n dieser Bestimmung die Auswärtige Gewalt in dem beschränkten Sinn friedlich-diplomatischer Beziehungspflege begründet sieht, zu eng ist, daß Art. 32 Abs. 1 GG vielmehr jegliche unmittelbare Gestaltung der aus-
Einleitung
16
wärtigen Beziehungen betrifft, darin eingeschlossen die Gewaltanwendung gegen fremde Staaten. Dieser Gedanke wurde erstmals von Berber anläßlich der Auseinandersetzung um den Kombattantenstatus der Polizei i m Jahre 1963 i n einem Vortrag über die völkerrechtliche Stellung der Polizei ausgesprochen. Berber hat dargelegt, daß die Befehls- und Kommandogewalt des Bundesministers für Verteidigung nach A r t . 65 a Abs. 1 GG sich nicht auf die Bundeswehr beschränkt, sondern sich auf jegliche A r t staatlicher Streitkräfte erstreckt 1 . Zur Unterstützung dieser Auslegung zieht er Art. 32 A b s . l GG heran 2 : „Ich würde hier sogar noch den A r t . 32 Abs. 1 des Grundgesetzes hinzuziehen. I m A r t . 32/1 des Grundgesetzes heißt es, daß die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten eine ausschließliche Sache des Bundes i s t . . . I m Jahre 1949 dachte man nur an friedliche Beziehungen. Infolgedessen hat man das Wort „Pflege" gewählt. Denn wenn ein Soldat einem fremden Staatsorgan ein Bajonett durch den Leib rennt, ist das ein bißchen gewagt, das als Pflege der Beziehungen zu bezeichnen. Aber es ist nichts anderes als Ausübung auswärtiger Gewalt. Kampfhandlungen gegen ein fremdes Staatsorgan — und jeder legale Kombattant ist ein fremdes Staatsorgan — sind Ausübimg auswärtiger Gewalt. Der Gesetzgebungskatalog ist vor allem für die Frage der Vertragsschließung maßgebend. Für die Frage der Exekutive — und es handelt sich bei Kampfhandlungen um Exekutivakte — ist der A r t . 32/1 des Grundgesetzes sogar noch absoluter. Da gibt es nicht die Ausnahme wie beim Gesetzgebungskatalog. A r t . 32/1 sieht eine absolute und ausschließliche Kompetenz des Bundes vor für Personen, die auswärtige Beziehungen unterhalten. Auch Aron, der große Pariser Soziologe, hat eben i n einem neuen Buch „Paix et Guerre" darauf hingewiesen, daß es zwei Arten von Organen der auswärtigen Gewalt gibt: die Diplomaten und Soldaten. A n die Soldaten hat man 1949 nicht gedacht. Infolgedessen das eigentümliche Wort „Pflege" für diese unpflegliche Behandlung, als die sich ein Kampfakt darstellt. Aber zweifellos müssen nach A r t . 32/1 alle diejenigen, die gegen ein fremdes Staatsorgan Kampfakte vornehmen, Bundesorgane sein. Es gibt nach dem Grundgesetz keinen bayerischen Gesandten i n Buenos Aires, und ebenso gibt es keine hamburgischen Kombattanten i m Sinne des Völkerrechts." Diese Erwägungen von Berber werden i n dieser Arbeit unter Heranziehung der verschiedenen Auslegungsgesichtspunkte juristischer Hermeneutik — grammatisch, systematisch, teleologisch, historisch — entfaltet. Aufgrund dieser Auslegung, die die Gewaltanwendung als Teil der Auswärtigen Gewalt
* Berber , Polizei (Vortrag), S. 117. 2 a.a.O., S. 117 f.
2. Inhalt und Aufbau der Untersuchung
17
begreift, erscheint die Wehrhoheit als Bundeszuständigkeit i n A r t . 32 Abs. 1 GG verortet. Gewiß entspricht die ausschließliche und umfassende Zuständigkeit des Bundes für die Verteidigung einer allgemein gehegten Überzeugung. Dies erübrigt jedoch nicht, diese Rechtsmeinung anhand der Verfassung zu überprüfen und wenn möglich, ihre dogmatische Grundlage eindeutig aufzuzeigen. Soll eine Verfassung ihren „formgebenden, streitentscheidenden Charakter" bewahren, so ist das Bemühen u m eine bewußte Erfassung des gesamten Verfassunginhalts auch jenseits aktuell streitiger Fragen unerläßlich 3 . Jede Verfassungsfrage ist potentieller Streitgegenstand künftiger verfassungsrechtlicher Kontroversen 4 . Darüber hinaus ist die Erörterung des Verhältnisses der Wehrhoheit zur Auswärtigen Gewalt, die Unterordnung der Militärgewalt unter den umfassenden Begriff der Auswärtigen Gewalt i m Rahmen des A r t . 32 Abs. 1 GG nicht nur eine Stellungnahme zu bundesstaatlichen Kompetenzfragen, sondern zugleich eine mittelbare Begründung der Abhängigkeit und Unselbständigkeit aller militärischen Gewalt i m Verfassungssystem der Bundesrepublik. Selbstherrliche Militärpolitik wäre nicht nur eine Bedrohimg der inneren, gewaltenteilenden und demokratischen Staatsstruktur, sondern auch eine Gefährdung sinnvoller, konstruktiver Außenpolitik und damit der Existenz des Staates selbst; die hier verfolgte Auslegung des A r t . 32 Abs. 1 GG vermag einen neuen Gesichtspunkt zu bieten, unter dem eine — regelmäßig verhängnisvolle — autonome Entwicklung der Militärgewalt verfassungsrechtlich ausgeschlossen ist. 2. Zum Inhalt
und Aufbau
der Arbeit
Bei der oben wiedergegebenen Auslegung des A r t . 32 Abs. 1 GG durch Berber, die i n dieser Arbeit systematisch entwickelt und ausführlich begründet wird, handelt es sich u m eine i n der staatsrecht3 Z u dieser Kennzeichnung der Hauptfunktionen einer Verfassung siehe Forsthoff, Verfassungsauslegung, insbesondere S. 33 u n d S. 37 f. 4 I n der Auseinandersetzung u m den Kombattantenstatus der Polizei wurde von Berber i n einem Gutachten nachgewiesen, daß es w e n n auch nicht wünschenswert, so doch notwendig sei, u m den Polizeikräften die v ö l k e r rechtlichen Privilegien legaler Kombattanten f ü r den F a l l einer kriegerischen Auseinandersetzung zu sichern, die Polizeikräfte „faktisch, effektiv" i n die regulären Streitkräfte einzugliedern (Berber , Polizei, S. 14 u n d S. 25); i n einer Erwiderung auf ein kritisches Gutachten von Scheuner geht Berber auf die verfassungsrechtliche Problematik einer solchen Eingliederung der Länderpolizeien ein u n d legt unter Hinweis auf die A r t i k e l 65 a u n d 87 a GG dar, daß sich gegen ein solches Vorgehen „föderalistische Bedenken aller-
2 Sachau
18
Einleitung
liehen Literatur neue These, die aber nicht i n Widerspruch zu der herkömmlichen Interpretation steht, sondern sie wesentlich erweitert und ergänzt. Entsprechend ist das entstehungsgeschichtliche, rechtshistorische, rechtsvergleichende, völkerrechtliche und soziologische Material für die Auslegung i n einiger Ausführlichkeit dargestellt worden, während eine Auseinandersetzung m i t echten Gegenmeinungen mangels kontradiktorischer Positionen weitgehend entfiel. I n den ersten beiden Kapiteln der Untersuchimg werden die Begriffe der Wehrhoheit und der Auswärtigen Gewalt entfaltet und unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der einschlägigen A r t i k e l ihre Verwendung i m bundesstaatlichen Kompetenzsystem des Grundgesetzes, wie sie sich nach der herkömmlichen Interpretation darstellt, aufgezeigt. Dabei w i r d der Begriff der Auswärtigen Gewalt i m zweiten Kapitel zunächst i n der engen Fassung der zur Zeit herrschenden Meinung verwendet, die i h n auf die friedlich-diplomatische Beziehungspflege beschränkt. I m dritten Kapitel werden nach Einführung einer einheitlichen Terminologie für die auswärtigen Staatsfunktionen unter rechtshistorischen, völkerrechtlichen, faktischen und bundesstaatlichen Aspekten die vielfältigen Zusammenhänge zwischen der Wehrhoheit und den sonstigen auswärtigen Zuständigkeiten aufgewiesen. Aufgrund dieses Materials erfolgt i m vierten Kapitel die Endauslegung des A r t . 32 Abs. 1 GG, die Ableitung der Bundesgeneralzuständigkeit für Verteidigungsangelegenheiten aus dieser Bestimmung, sowie eine letzte kritische Gegenüberstellung des Auslegungsergebnisses m i t anderen Meinungsäußerungen und Lösungsversuchen zur aufgeworfenen Frage.
höchster Intensität" ergeben müßten (Berber, Bemerkungen, S. 37 ff. [39]). Das Beispiel gibt eine Anschauung von den Möglichkeiten, i n denen sich die Frage nach der ausschließlichen Verteidigungskompetenz des Bundes a k t u a l i sieren könnte.
Erstes Kapitel
Der Begriff der Wehrhoheit und der scheinbare Verzicht auf ihn im bundesstaatlichen Kompetenzsystem des Grundgesetzes § 1. Der Begriff der Wehrhoheit I. Die Funktion der Unterscheidung von „Hoheiten" oder „materiellen Gewalten" im heutigen Staatsrecht 1. Die Einheit
der Staatsgewalt
I m modernen Verfassungsstaat der Neuzeit erscheint die Staatsgewalt als einheitlich und umfassend. Ihre Inanspruchnahme und Ausübung i n neuen, der staatlichen Tätigkeit unerschlossenen Bereichen mag die Einhaltung bestimmter, i n der Verfassung vorgeschriebener Verfahren wie das der Gesetzgebung oder der Verfassungsänderung zur Voraussetzung haben, unter Umständen sogar an äußerste materiell-rechtliche Schranken stoßen1, trotzdem ist sie stets — wie Krüger formuliert — als „General- und Blankovollmacht" konzipiert, die den Staat i n den Stand setzt, jeglichen neuen Anforderungen, die an i h n gerichtet werden, gerecht zu werden 2 . Als wesentlich erscheint, daß die Staatsgewalt sich aufgrund einer m i t der Entstehimg von Territorialstaaten zum Ausgang des Mittelalters einsetzenden3 und der Bildung absolutistischer Herrschaften sich vollendenden Entwicklung nicht mehr aus einzelnen Regalien, Gewalten oder Hoheiten zu einer i n ihrem Umfang beschränkten Landeshoheit zusammensetzt, mag auch der Gegenstand des staatsrechtlichen Bemühens i m 17. und 18. Jahrhundert m i t Rücksicht auf patrimoniale Relikte und bedingt durch die Tatsache, daß die absolute Monarchie keinen anderen Ansatzpunkt für die Einteilung der Staatstätigkeiten bot, weithin die Überprüfimg, Ordnung und Einteilung solcher historisch überkommener Herrschaftsbefugnisse, der 1
F ü r die Bundesrepublik vgl. A r t . 79 Abs. 3 GG. 2 Krüger , Staatslehre, S. 827 ff. » Siehe Härtung, S. 67 u n d S. 70.
2*
20
. Kap.: Die
e t im Kompetenzsystem des Grundgesetzes
Hoheiten und der Regalien geblieben sein 4 . I n den Verfassungen vom Ende des 18. Jahrhunderts fortlaufend bis zur Gegenwart w i r d das Prinzip der historisch nicht abzuleitenden, ungeteilten und prinzipiell unbeschränkten Staatsgewalt ausdrücklich formuliert 5 . 2. Die Unterscheidung als Grundlage
einzelner Hoheiten und Gewalten für Kompetenzregelungen
Trotzdem erfolgt auch heute i n der Staatsrechtslehre weiterhin die Unterscheidung zwischen einzelnen Hoheiten bzw. Gewalten wie etwa: Kulturhoheit, Finanzhoheit, Wehrhoheit bzw. Militärische Gewalt und Auswärtige Gewalt. Diese Hoheiten oder Gewalten sind aber i n keiner Weise identisch m i t den früheren, überkommenen beschränkten Herrschaftsrechten, sie bezeichnen lediglich sich deutlich voneinander abhebende, besonderen Zwecken dienende und eigenen Funktionsgesetzen gehorchende Sachbereiche staatlicher Tätigkeit. Da die Schwerpunkte staatlicher Tätigkeit und die A r t und Weise der Erledigung bestimmter staatlicher Aufgaben sich i m Laufe der Zeit wandeln können, ist die Unterscheidung der Erscheinungsformen staatlicher Tätigkeit keine begriffsnotwendige, abstrakt-logische, zeitlos gültige Gedankenoperation, sondern vielmehr eine Frage wertenden Erkennens anhand einer gegebenen Verfassung und i n einer bestimmten historischen Situation 6 . Die Unterscheidung verschiedener staatlicher Wirkungsbereiche hat aber nicht nur soziologisch-registrativen Charakter, sondern einen guten juristischen Sinn als eine geeignete Grundlage für Zuständigkeitsregelungen. So schreibt G. Jellinek 7: „Indem der Staat kraft seiner Selbstbestimmung seine Thätigkeit auf individuell bestimmte Seiten des Gemeinschaftslebens richtet, entsteht der Begriff der Hoheitsrechte. Das Hoheitsrecht ist sachlich begrenzte Herrschaft." 4 Siehe G. Jellinek, Staatslehre, S. 956 ff. s Vgl. z.B.: Virginia bill of rights vom 12.6.1767: "Section 2 . T h a t all power is vested i n and consequently derived from the people . . . " ; Déclaration des Droits de l'Homme et du Citoyen vom 27.8.1789, die später den Eingang der französischen Verfassung v o n 1791 bildete: „ A r t . 3. Le principe de toute souveraineté réside essentiellement dans l a Nation. N u l corps, n u l i n d i v i d u ne peut exercer d'autorité, q u i n'en émane expressément"; Constitution de la Belgique vom 7.2.1831: „ A r t . 25. Tous les pouvoirs émanent de la Constitution. Ils sont exercés de la manière établie par la Constitution"; Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949: „ A r t . 20 Abs. 2. Alle Gewalt geht v o m Volke aus. Sie w i r d v o m V o l k i n Wahlen, Abstimmungen u n d durch besondere Organe der Gesetzgebimg, der v o l l ziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt." (Alle Hervorhebungen v o m Verfasser.) — Z u der Entwicklung des Begriffs der „Staatsgewalt" aus den Systemen der „Landeshoheiten" siehe Krüger, Staatslehre, S. 823 ff. « G. Jellinek, Staatslehre, S. 595 ff., u n d Krüger, Staatslehre, S. 922 ff. 7 G. Jellinek, Gesetz u n d Verordnung, S. 200 f.
§ 1. Der Begriff der Wehrhoheit
21
U n d Krüger 8: „,Gewalt' oder ,Hoheit' i n solchen Zusammensetzungen bedeuten daher die juristische Fähigkeit, i n einem solchen Sachbereich tätig werden, Entscheidungen fällen u n d solche Entscheidungen durchsetzen dürfen." Als Substrat v o m Kompetenzentscheidungen spielt die Unterscheidung materieller Hoheitsbereiche eine ganz besondere Rolle i n Bundesstaatsverfassungen 9 , die i n erster L i n i e durch eine klare A u f t e i l u n g der Zuständigkeiten zwischen Zentralstaat und Gliedstaat f ü r alle Hauptbereiche staatlicher Tätigkeit charakterisiert sind 1 0 . 3. Das Verhältnis der materiellen Gewaltenunterscheidung zur formellen Gewaltenteilung Nicht zu verwechseln m i t der materiellen Gewaltenunterscheidung ist die formelle Gewaltenunterscheidung, die klassische „Gewaltenteilung", deren Aufnahme i n die Texte zahlreicher Verfassungen 1 1 auf Montesquieu 12 zurückzuführen ist. Auch bei der sogenannten Gewaltenteilung handelt es sich nicht u m die Aufsplitterung der Staatsgewalt i n einzelne beschränkte Herrschaftsbereiche, sondern erneut u m die Unterscheidung staatlicher Tätigkeit n u n aber nicht nach Sachgebietsrichtungen, sondern nach der typischen Wirkungsart oder Funktionsweise. Die Unterscheidung von Gesetzgebender Gewalt, Vollziehender Gewalt u n d Rechtsprechender Gewalt verläuft sozusagen quer zu der materieller Gewaltenunterscheidung, w e i l der Staat zur V e r w i r k lichung seiner Aufgaben auf jedem einzelnen Sachbereich sich der verschiedenen Funktionsweisen seiner umfassenden Gewalt bedienen muß; so w i r k t z . B . i n dem Sachbereich der Finanzhoheit die Staatsgewalt nebeneinander durch Finanzgesetzgebung, Finanzverwaltung s Krüger, Staatslehre, S. 918. G. Jellinek, Staatslehre, S. 598: „Von praktischer Bedeutung ist der Begriff der materiellen Hoheitsrechte heute n u r insoweit, als i n konkreten Fällen die Richtung der Staatsgewalt auf ein bestimmtes Gebiet bezeichnet werden soll. Daher ist er namentlich bei der Lehre von der Verteilung der staatlichen Funktionen unter Bundes- und Gliedstaatsgewalt i m Gebrauche, w i l l aber hier keineswegs ein Einteilungsprinzip f ü r die Erkenntnis des Wesens staatlicher Tätigkeit abgeben, sondern die ganze Staatsgewalt unter dem Gesichtspunkt bestimmter Kompetenzen bezeichnen. Wenn i n solchen Fällen oder sonst von Gebiets-, Kriegs-, Justizhoheit usw. die Rede ist, so werden darunter niemals geschiedene Gewalten, sondern getrennte Objekte der einen Staatsgewalt verstanden." — Vgl. auch Krüger, Staatslehre, S. 925. 10 Loewenstein, Wehrbeitrag I I , S. 346. Vgl. z. B. die Verfassung der USA vom 17.9.1787, i n der das Gewaltenteilungsschema schon dadurch äußerlich, systematisch zum Ausdruck gebracht ist, daß die drei ersten umfänglichsten der sieben A r t i k e l jeweils ausschließlich handeln von I. legislative power, I I . executive powers und I I I . judicial power. — Vgl. auch A r t . 20 Abs. 2 GG. 12 Montesquieu, Esprit des Lois, 1748, Buch I X , Kapitel 3. 9
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. Kap.: Die
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und Finanzgerichtsbarkeit. Die Zuweisung einer Generalzuständigkeit für einen bestimmten Sachbereich w i r d daher i m Zweifel die Kompetenz umfassen, i m bezeichneten Bereich i n den Formen sowohl der Gesetzgebung als auch der Verwaltung und der Rechtsprechimg tätig zu werden 1 3 . n . Die Wehrhoheit Die Wehrhoheit ist ein besonderer Ausschnitt aus der Gesamtheit der Staatstätigkeiten i m Rahmen einer materiellen Gewaltenunterscheidung. Wehrhoheit ist der Teilbereich der Staatstätigkeit, der der Gewaltanwendung gegen andere Völkerrechtssubjekte gewidmet ist 1 4 . 2. Wehrhoheit
und Völkerrecht
Indem der Ausdruck Wehrhoheit einen Ausschnitt aus dem Gesamtbereich staatlicher Tätigkeit als klar umrissenen Zuständigkeitsbereich für staatliche Gewaltträger bezeichnet, stellt er sich wie die bedeutungsgleichen Ausdrücke „Wehrgewalt", „militärische Gewalt" und „Verteidigung" als ein Begriff des Staatsrechts dar. Die Ansicht Arndts 16, daß Wehrhoheit den „völkerrechtlichen Anspruch eines Staates auf seine Selbstverteidigung" beinhalte, während die Wehrgewalt die innerstaatlich-verfassungsrechtliche Wehrkompetenz meine, steht i n Widerspruch zu Inhalt und Funktion der synonymen Termini Hoheit und Gewalt 1 6 und ist auch von dritter Seite nicht aufgenommen worden; sie w i r f t aber die Frage nach dem Verhältnis des staatsrechtlichen Begriffs Wehrhoheit zum Völkerrecht auf. Die staatliche Zuständigkeit zur Gewaltanwendung gegen andere Völkerrechtssubjekte ist ein nach außen gewendetes, auf den Bereich zwischenstaatlicher Beziehungen ausgerichtetes Hoheitsrecht. Die Gewaltanwendung und Drohung mit Gewalt aber ist i m zwischenstaatlichen Bereich durch das geltende Völkerrecht weitgehend untersagt 17 , i m wesentlichen beschränkt auf die Wahrnehmung des als natürlich 1 8 und durch die Struktur der heutigen Völkerrechtsgemeinschaft vor13
So Krüger, Staatslehre, S. 924. Haenel, S. 472: „Die Kriegsmacht ist das Machtmittel, welches dazu bestimmt ist, an erster Stelle das Dasein, die Rechte u n d Interessen des Staates i n der Völkergemeinschaft zu behaupten . . . " 14
« i« 17 18
Arndt, Wehrbeitrag I I I , S. 401, 207, 426 u n d 606. Vgl. oben Abschnitt I, 1 u n d 2. Siehe UN-Satzung A r t . 2, Nr. 4. Berber, Lehrbuch I I , S. 45.
§ 1. Der Begriff der Wehrhoheit
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gegeben betrachteten 19 Rechts zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung 20 . Für die Anhänger radikaler monistischer Theorien m i t Primat des Völkerrechts zum Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht wie G. Scelle 21 muß daher die oben gegebene Definition der Wehrhoheit als zu weit erscheinen. Wenn Völkerrecht Landesrecht bricht und wenn das Völkerrecht Gewaltanwendung i m internationalen Bereich zu beliebigen Zwecken untersagt und nur zur Verteidigung zuläßt, dann kann es keinen Begriff des allgemeinen Staatsrechts geben, der eine teleologisch nicht näher qualifizierte generelle Kompetenz zur Gewaltanwendung bezeichnet, sondern nur einen innerstaatlichen Zuständigkeitsbegriff, der die zwischenstaatliche Gewaltanwendung zum Zwecke der Verteidigung zum Gegenstand hat. Die monistischen Theorien m i t Primat des Völkerrechts, auch die gemäßigten unter ihnen, werden als Grundprinzip der Wirklichkeit der internationalen Beziehungen nicht vollauf gerecht 22 . Die Erfahrung lehrt, daß i m zwischenstaatlichen Bereich häufig Gewalt ohne Rücksicht auf ihre weitgehende Illegalisierung durch das Völkerrecht angewendet wird. Es wäre ein rechtsdogmatischer Illusionismus, solche staatliche Gewalt, die sich durch ihre physisch-zerstörerischen W i r kungen als höchst real erweist, durch die Verweigerung jeglicher systematischer Einordnung i n das staatliche Verfassungsrecht als rechtlich nicht existent zu behandeln. Darüber hinaus ist die Grenzziehung zwischen verbotener Gewalt und zulässiger Verteidigung aufgrund der immer noch ausstehenden allseitig anerkannten, praktikablen Definition des Angriffs 2 3 nicht stets einwandfrei möglich. Für die einzelstaatliche Rechtsordnung besteht daher ein w o h l motiviertes Bedürfnis, die Wehrhoheit zunächst als eine Zuständigkeit zur Gewaltanwendung unabhängig von deren Rechtfertigung durch das Völkerrecht zu begründen und zuzuweisen. Es erweist sich hier wie stets bei der Betrachtung des Verhältnisses zwischen Völkerrecht und Landesrecht die sogenannte dualistische Theorie als der richtige Ausgangspunkt 24 , die obige Definition der Wehrhoheit als eine generell für alle Staaten gültige Begriffsbestimmung. Allerdings gibt es zahlreiche Staatsverfassungen, i n denen die Wehrhoheit als Zuständigkeit zur Verteidigung zum Schutz der Republik, i® Berber, Lehrbuch I, S. 179 f. 8® Siehe UN-Satzung, A r t . 51, u n d dazu Berber Lehrbuch I, S. 197 ff. — Einzelheiten zur völkerrechtlichen Illegalisierung der Gewalt folgen unten §7 Abschnitt I. 21 Z u den Theorien siehe Berber, Lehrbuch I, S. 93 ff. 22 So Berber, Lehrbuch I, S. 94 f. 23 Siehe dazu Berber, Lehrbuch I I , S.48ff. 24 So Berber, Lehrbuch I, S. 95.
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. Kap.: Die
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zur Behauptung der Unabhängigkeit des Vaterlandes u.a. apostrophiert w i r d 2 5 . Ob es sich bei solchen Formulierungen u m rein verbale Anpassung an die entscheidende Entwicklungsrichtung des Völkerrechts nach den beiden Weltkriegen auf eine immer umfassendere Illegalisierung der Gewaltanwendung zu handelt oder ob m i t ihnen eine echte inhaltliche Ausrichtung und Beschränkung der Wehrgewalt ausschließlich auf Verteidigungszwecke beabsichtigt ist, w i r d i n jedem Fall gesondert zu entscheiden sein. A u f die überragende Bedeutung einer effektiven Bindung aller Staatsorgane an die völkerrechtlichen Gewaltverbote durch das innerstaatliche Verfassungsrecht für den Völkerfrieden hat Berber m i t eindrucksvollen Regelungsvorschlägen hingewiesen 26 ; tatsächlich bleibt durchgehend das staatliche Recht gerade i m Bereich der Kriegsverhütung weit hinter den materiellrechtlichen Bestimmungen des Völkerrechts zurück 27 . Eine echt verfassungsrechtliche Bindung der Streitkräfte an das völkerrechtliche Kriegsverhütungsrecht w i r d i n A r t . 9 Abs. 1 der japanischen Verfassung vom 3. 5.1947 zu suchen sein, der einen feierlichen Verzicht auf den Krieg als souveränes Recht der Nation und auf die Androhung und die Anwendung von Gewalt als Mittel, internationale Streitigkeiten zu regeln, zum Inhalt hat 2 8 . Auch i m Grundgesetz ist über die Verwendung des Ausdrucks „Verteidigung" i n den wehrrechtlichen Regelungen 29 und die Proklamierung einer friedensbewahrenden Außenpolitik i n der Präambel und A r t . 24 Abs. 2 hinaus durch die A r t . 25 und 26 eine verbindliche, am Völkerrecht orientierte Beschränkung der Funktion aller militärischen Kräfte herbeigeführt: nach A r t . 25 GG, der die allgemeinen Regeln des Völkerrechts und damit vor allem universelles Gewohnheitsrecht 30 zu unmittelbar bindendem Bundesrecht m i t Verfassungsrang erklärt, sind die Staatsorgane an den gewohnheitsrechtlich alle Staaten verpflichtenden Verzicht i m Kellogg-Pakt 3 1 , den Krieg als M i t t e l nationaler Politik i n den internationalen Beziehungen zu gebrauchen, gebunden 82 ; nach A r t . 26 GG werden „Handlungen, die geeignet sind und i n der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, 25 Aus der Reihe der heute geltenden Bundesstaatsverfassungen so i n den Verfassungen von Burma, Indien, Kongo-Kinchasa, Österreich, der Schweiz, Tansania u n d Venezuela. Vgl. die Texte i m Anhang. 2« Berber, Lehrbuch I I I , S. 130 ff. (131). 27 Berber, a.a.O. 28 Z u m T e x t siehe Berber, Lehrbuch I I I , S. 131. 2» A r t i k e l 17 a Abs. 2, 45 a, 59 a, 73 Nr. 1, 87 a u. a. 30 Berber, Lehrbuch I, S. 99; v. Mangoldt-Klein, Bd. I, S. 676; Maunz-Dürig, A r t . 25, Rz. 16. 31 Siehe dazu Berber, Lehrbuch I I , S. 35. 32 Einzelheiten zum Kellog-Pakt folgen unten § 7, Abschnitt I.
§ 1. Der Begriff der Wehrhoheit
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insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten", als verfassungswidrig erklärt und die Schaffung entsprechender Strafrechtsnormen anbefohlen. Werden i n einer Staatsverfassung durch solche oder — wie wünschenswert — weitergehende Regelungen die Wirkungen des gerade i m Bereich des jus ad bellum so gefährlichen Dualismus zwischen Völkerrecht und Landesrecht weitgehend aufgehoben, sind die Organe eines Staates durch das innerstaatliche Recht an die völkerrechtlichen Kriegs- und Gewaltverbote unmittelbar gebunden, dann läßt sich i n die Begriffsbestimmung der Wehrhoheit der Verteidigungszweck als finale Qualifikation, als inhaltliche Ausrichtung und Beschränkung aller nach außen gerichteten staatlichen Gewaltanwendung aufnehmen. Wehrhoheit ist danach der Teilbereich der Staatstätigkeit, der i n der Verteidigung des Staates m i t Waffengewalt gegen von außen kommende Angriffe besteht. Genauso wenig wie das allgemeine Völkerrecht die Substanz des staatsrechtlichen Begriffes der Wehrhoheit unmittelbar verändern kann, können völkerrechtliche Bündnisverträge die Bedeutung dieses innerstaatlichen Zuständigkeitsbegriffes verwandeln. Wenn z.B. zur Ausführung des NATO-Vertrages die Unterstellung staatlicher Truppen unter NATO-Oberbefehl vorgesehen ist 8 8 , so bedeutet dies eine Überlagerung der innerstaatlichen Zuständigkeitsordnung 84 , nicht aber deren Aufhebung. I m Bereich der Verträge ist eine Folge des Dualismus zwischen Völkerrecht und Landesrecht, daß m i t dem w i r k samen Abschluß einer zwischenstaatlichen Vereinbarung nicht gesichert ist, daß deren Vollziehung nicht an den Schranken des innerstaatlichen Rechts scheitert. Die zwischenstaatlichen Beziehungen entwickeln sich auf der Grundlage der vom innerstaatlichen Recht der Auswärtigen Gewalt der Staaten gewährten Bewegungsfreiheit 85 . 2. Wehrhoheit
als ein nach außen gewendetes Hoheitsrecht
Das Zentrum des Begriffs der Wehrhoheit liegt i n den beiden Momenten der aktuellen Gewaltanwendung und ihrer Richtung nach außen. U m zunächst auf die auswärtige Richtung der Wehrhoheit einzugehen: primär ist es die materielle Staatsfunktion der Streit88 Hahnenfeld, S. 156 ff. 84 Lepper, S. 168; Schule, Bundeswehr, S. 18; Regierungserklärung v o m 27.6.1955 durch den Bundesverteidigungsminister i n der 92. BT-Sitzung des 2. B T zur ersten Beratung des Freiwilligengesetzes bei Brandstetter, Nr. 101, Rz. 16. 8« Vgl. den T i t e l bei Schauwienold: „Die Bewegungsfreiheit der auswärtigen Gewalt der Bundesrepublik Deutschland nach dem Bonner G r u n d gesetz".
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. Kap.: Die
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kräfte, wenn man von der i n zahlreichen Verfassungen nicht ausgeschlossenen Möglichkeit, unter Bruch des Völkerrechts andere Staaten anzugreifen, absieht, den eigenen Staat gegen von außen kommende gewaltsame Angriffe, vornehmlich gegen Angriffe durch fremde Staaten zu verteidigen. Die Abwehr solcher immer wieder auf die Staaten zudringenden äußersten Bedrohung ihrer Unabhängigkeit oder gar ihrer Existenz ist der ganz besondere, zentrale Auftrag aller staatlichen militärischen Streitkräfte, ihre „ursprüngliche und ureigenste Aufgabe" 3 6 , durch die ihre Konstituierung als organisatorisch selbständiger Bereich staatlicher Tätigkeit, als eigenständiger, klar umrissenener Zuständigkeitsbereich, als Wehrgewalt begründet ist. Die Eigenart dieses Auftrags, militärische Angriffe jeglicher A r t niederzuschlagen, bedingt den „superlativischen und absoluten Char a k t e r " 3 7 der Wehrhoheit, gekennzeichnet durch ein i m Vergleich zu allen anderen Staatsgewalten ungeheuer umfangreiches personales Substrat, eine extreme Konzentration physischer Gewaltmittel, eine streng einheitliche, hierarchische, i m entscheidenden Handlungsbereich auf Befehl und Gehorsam basierende Organisation und eine auf größtmögliche, schonungslose Effektivität augerichtete Wirkungsweise 38 . Die Abwehr von Gefahren, die dem Bestand des Staates, dem Fortbestand seiner verfassungsmäßigen Ordnung von innen her drohen, fällt nicht i n den durch die Wehrhoheit bezeichneten Zuständigkeitsbereich, ist nicht primär Aufgabe der militärischen Streitkräfte, sondern der Polizei, der durch die umfassende polizeiliche Generalklausel 3 9 die Zuständigkeit und Pflicht zugewiesen ist, „die nach pflichtmäßigem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, u m von der Allgemeinheit oder dem einzelnen Gefahren abzuwehren, durch welche die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedroht w i r d " 4 0 . Die Trennung zwischen der Zuständigkeit des Militärs für die Abwehr der von außen erfolgenden Bedrohungen und der Zuständigkeit der Polizei für die Abwehr innerer Gefährdungen der staatlichen Ordnung beruht zunächst auf Zweckmäßigkeitsgründen 41 : die von außen kommenden Angriffe sind regelmäßig direkt, offen, von äußerster 36 So Lepper, S. 26 m i t zahlreichen Nachweisen. 37 Lepper, a.a.O. 38 „Grundsatz der Unwiderstehlichkeit", Maunz, Gestalt u n d Recht der Polizei, 1943, zitiert nach Lepper, a.a.O. 3« Dem bayerischen Polizeirecht liegt nicht die Generalklausel, sondern ein System der Spezialermächtigungen zugrunde; vgl. Polizeiaufgabengesetz A r t . 5 (Bayerische Bereinigte Sammlung I S. 442). 40 § 14 des Preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes v o m 1. 6.1931. So Lepper, S. 27 f. m i t Nachweisen.
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Kraft, die von innen geführten Angriffe wesentlich weniger machtvoll, dafür aber heimlich und u.U. überaus kompliziert, so daß zu der wirksamen Bekämpfung so verschiedener Gefahren für den Staat Menschen m i t völlig anderer Begabung, Ausbildung und Ausrüstung erforderlich sind, andere M i t t e l zur Bekämpfung von Soldaten, andere M i t t e l zur Bekämpfung von beispielsweise Spionen, Saboteuren, Attentätern, organisierten Verbrechern, Untergrundbewegungen und Putschisten. Vor allem aber ist die funktionelle Trennung zwischen der auswärtigen militärischen Gefahrenabwehr und der inneren polizeilichen Gefahrenabwehr ein Ergebnis der Entwicklung zum modernen Rechtsstaat 42 : das polizeiliche Eingreifen ist durch den materiellen Polizeibegriff an konkrete Tatbestandsvoraussetzungen gebunden, das polizeiliche Handeln ist differenzierbar und fähig, sich an dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu orientieren, die polizeilichen Maßnahmen sind Verwaltungsakte und der gerichtlichen Nachprüfung unterworfen; alle diese Schutz- und Rechtsschutzgarantien wären für den Staatsbürger bei einem Eingreifen der militärischen Streitkräfte i n sich i m Staatsinnern abspielenden Konflikten nicht gegeben. I m modernen Rechts- und Verfassungsstaat überschneiden sich daher grundsätzlich die materiellen Zuständigkeitsbereiche des Militärs und der Polizei nicht 4 3 . Allerdings sind Situationen denkbar, i n denen Angriffe auf die verfassungsmäßige Ordnung eines Staates von innen her m i t solcher Wucht geführt werden, daß die Polizeikräfte, auch wenn sie teilweise aus halbmilitärisch ausgerüsteten Verbänden bestehen, wie z.B. die Bereitschaftspolizeien der Länder in der Bundesrepublik, nicht zu ihrer Niederschlagung ausreichen. W i l l der Staat sich i n solcher Lage nicht selbst aufgeben, so muß er seine militärischen Streitkräfte i m Inneren einsetzen. Für den Einsatz des Militärs i m Innern sind verschiedene Formen denkbar: denkbar ist, daß die Streitkräfte von den Behörden der inneren Verwaltung angefordert werden und dem Befehl des Innenministers unterstellt werden 4 4 , es ist auch möglich, daß die Streitkräfte nach Requirierung durch die zivilen Behörden selbständig agieren 45 , schließlich kommt i n Betracht, daß bei Vorliegen bestimmter Notstandstatbestände die Streitkräfte aus eigener Initiative tätig werden 4 6 . I n jedem F a l l aber handelt es sich u m eine Uberschreitung der den staatlichen militärischen Streitkräften aus der Wehrhoheit notwendig zukommenden Zuständigkeit, ihres eigentlichen 42
So Lepper, S. 29 f. m i t Nachweisen. Nachweise bei Lepper, S. 30, A n m . 87. 44 Schule, JZ, 1955, S. 469. « Lepper, S. 33 f. 4« a.a.O., S. 38 ff. 43
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Verteidigungsauftrages, und u m eine teilweise, vorübergehende Unterordnimg der Rechtsstaatsprinzipien unter den Staatsschutzzweck 47 . Daher bedarf die für äußerste Notlagen i n Betracht kommende Hilfsund Ersatzzuständigkeit der Streitkräfte i n einer rechtsstaatlichen Verfassungsordnung einer ausdrücklichen verfassungsgesetzlichen Begründung 4 8 . Möglicherweise ließe sich das Einschreiten militärischer Streitkräfte i m Falle eines inneren Notstandes auch unter dem Gesichtspunkt des übergesetzlichen Notstands rechtfertigen, aber grundsätzlich w i r d man es als Aufgabe eines Staates betrachten müssen, die rechtlichen Zuständigkeiten auch für innere Krisensituationen festzulegen und so der Entwicklung von Situationen vorzubeugen, durch die — für die Staatsordnung stets prekär und gefährlich — ein ungesetzliches Handeln seiner Organe notwendig werden könnte. Die Ausweitung der materiellen Zuständigkeit der Militärstreitkräfte über den durch die Wehrhoheit umschriebenen Bereich hinaus beruhte z. B. nach der deutschen Reichsverfassung von 1871 auf deren Art. 68, der das Recht des Kaisers normierte, bei Bedrohung der öffentlichen Sicherheit i m Bundesgebiet einen jeden Teil desselben i n Kriegszustand zu erklären. Durch Art. 48 der Weimarer Verfassung wurde das Rechts des Reichspräsidenten begründet, die bewaffnete Macht zum Bundeszwang einzusetzen und erforderlichenfalls — d.h. subsidiär — auch zur sonstigen Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Nach dem Grundgesetz ist weder zur Durchführung des Bundeszwanges laut A r t . 37 noch zur Bekämpfung eines Staatsnotstandes laut A r t . 31 die Verwendung der militärischen Streitkräfte vorgesehen; A r t . 143 GG macht für den Einsatz der Streitkräfte i m Falle eines inneren Notstandes eine ausdrückliche verfassungsgesetzliche Regelung zur Voraussetzung, so daß die Streitkräfte damit bis auf weiteres i n ihrer Zuständigkeit, ihrer materiellen Funktion auf den primären, den eigentlichen Bereich der Wehrhoheit beschränkt sind, auf die Verteidigimg gegen von außen kommende Angriffe. Eine gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtete Erhebung innerhalb eines Staates kann von massiver, organisierter Gewaltanwendung getragen einen solchen Umfang annehmen, daß die Staatsregierung sich veranlaßt sieht, zur Inkraftsetzung von Neutralitätsgesetzen und zum wirksameren rechtlichen Schutz der Bürger die Auf47 a.a.O., S. 35. 48 Aus der Tatsache, daß i n den meisten Staatsverfassungen eine subsidiäre Zuständigkeit der Streitkräfte f ü r innere Notstände ausdrücklich begründet w i r d , zu folgern, daß diese Zuständigkeit dem militärischen Funktionsbegriff, dem Begriff der Wehrhoheit, immanent sei — so Lepper, S. 36 — ist ein unzulässiges Verfahren; die Existenz solcher Regelungen beweist genau das Gegenteil.
§ 1. Der Begriff der Wehrhoheit
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ständigen als Insurgenten 49 oder weitergehend zur Erlangung der Rechte der Kriegsführung als Kriegsführende 50 anzuerkennen. Der zunächst ausschließlich nach internem Staatsrecht zu beurteilende Tatbestand des Hochverrats w i r d durch die Anerkennung zu einer völkerrechtlichen Normen unterstehenden Beziehung 51 . Durch die Anerkennung erlangen die betroffenen Personengruppen einen beschränkten völkerrechtlichen Status, begrenzte Völkerrechtsfähigkeit. Sie erscheinen als abgesondert von dem restlichen Staatsvolk, ihr Angriff auf die staatliche Ordnung nunmehr rechtlich als ein Angriff, der von außen kommt. Sollte zunächst die Zuständigkeit der militärischen Streitkräfte zur Bekämpfimg der Aufständischen aufgrund fehlender verfassungsrechtlicher Zuweisung einer subsidiären Spezialkompetenz für innere Notstände zweifelhaft gewesen sein, kommt nach der Anerkennung die Ableitung der Zuständigkeit des Militärs aus dem materiellen Funktionsbegriff der Wehrhoheit i n Betracht. 3. Wehrhoheit
als Zuständigkeit
zur aktuellen
Gewaltanwendung
Das zweite wesensbestimmende Moment des Begriffs der Wehrhoheit liegt i n der aktuellen Gewaltanwendung. Auch i n einem Staat, dessen gesamte Außenpolitik i n besonderer Weise auf die Friedenschaffung ausgerichtet ist, i n dem die völkerrechtlichen Gewaltverbote i n das innerstaatliche Verfassungsrecht inkorporiert worden sind, auch i n einem dauernd neutralisierten Staat ist die zentrale Zweckbestimmung der militärischen Streitkräfte die physische Gewaltanwendung. Diese Zweckbestimmung aktualisiert sich i n dem Augenblick, i n dem gegen einen Staat ein Angriff geführt wird, dessen er sich m i t friedlichen Mitteln nicht erwehren kann. I n der Abwehr solcher Angriffe, i m Waffenkampf realisiert und bewährt sich die materielle Staatsfunktion der Verteidigung. Die Abwehr solcher von außen kommenden Angriffe läßt die Wehrhoheit als ein deutlich abgehobenes, wichtiges, existenznotwendiges Sachgebiet staatlicher Tätigkeit erscheinen. Kraus kennzeichnet die Wehrhoheit i n folgender Weise 52 : „Das Wesen der Wehrhoheit ist Vorbereitung und Durchführung von Zwang gegenüber einem anderen Staate durch Waffengewalt und vor allem präventive Motivation des Verhaltens anderer Staaten durch das Dasein der militärischen Zwangsapparatur." Diese Begriffsbestimmung erfaßt die wesentlichen Elemente der Wehrhoheit m i t den Worten 4ö ßo ßi 52
Berber, a.a.O., a.a.O., Kraus,
Lehrbuch I, S. 239. S. 238. S. 237. Wehrbeitrag I, S. 143.
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. Kap.: Die
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„Durchführung von Zwang gegenüber einem anderen Staate durch Waffengewalt", bezeichnet aber darüber hinaus zwei Phänomene, die i n einer Wesensbestimmimg der Wehrhoheit keinen Platz haben: die für die Effektivität aller militärischen Gewalt unerläßliche Organisation der Streitkraft und die von der organisierten militärischen Gewalt zuweilen ausgehende externe Abschreckungswirkung. A u f die Abschreckungswirkung der organisierten militärischen Gewalt, „die präventive Motivation des Verhaltens anderer Staaten durch das Dasein der militärischen Zwangsapparatur", legt Kraus einen besonderen Akzent und droht damit, das Wesen der militärischen Gewalt zu verdunkeln. Zwar bestimmen die humane Furcht vor dem Ungeheuerlichen, die Lähmung durch Schrecken gerade heute die internationalen Beziehungen i n erkennbarer Weise, doch handelt es sich dabei lediglich u m Tatbestandswirkungen geballter, einsatzbereiter militärischer Schlagkraft, deren Wahrnehmung und Nutzung i n den Bereich der Außenpolitik und nicht i n den eng umschriebenen A u f gabenkreis der militärischen Gewalt gehört. Jedes eitle Kokettieren militärischer Instanzen mit der eigenen Abschreckungswirkung würde die Entschlossenheit, durch Gewaltanwendung zu wirken, paralysieren, die eigenen Waffen stumpf machen. Die Aufgabe der Verteidigung kann es nur sein, alle denkbaren tätlichen Auseinandersetzungen zu bestehen; solche Auseinandersetzungen durch Drohung m i t dem eigenen Kräftepotential und vor allem auch durch geschickte Bündnispolitik zu umgehen, ist als Sicherheitspolitik ein Teil des umfassenden Komplexes der Außenpolitik. Wie wenig die Abschreckungswirkung geeignet ist, i n eine allgemeine Definition der Wehrhoheit aufgenommen zu werden, ergibt sich auch aus der Tatsache, daß die Zusammenballung äußerster physischer Gewalten i n der Hand der Streitkräfte und die gespannte Bereitschaft zu ihrer Anwendung, statt die erfreuliche Nebenwirkung zu zeitigen, die potentiellen Gegner einzuschüchtern, diese zu einem Praeventionsschlag herausfordern können. Es offenbart sich i n dieser Möglichkeit die Notwendigkeit, alle Organisationsmaßnahmen i m Bereich der Verteidigung wie auch die Durchführung der Verteidigung als dienende Sicherungsmittel der außenpolitischen Führung des Staates unterzuordnen; eine aus dem Bereich der Verteidigung hervorgehende selbständige, aktiv gestaltende Einwirkung auf die internationalen Beziehungen verbietet das Prinzip der Einheit der Außenpolitik als erstes Vernunftgebot für eine erfolgreiche auswärtige Beziehungspflege 63 . Auch die Kennzeichnung „Vorbereitung von Zwang gegenüber einem anderen Staat durch Waffengewalt" erscheint als einer WesensM Ausführlich dazu unten § 8.
§ 1. Der Begriff der Wehrhoheit
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bestimmung der Wehrhoheit nicht unmittelbar zugehörig 54 . Allerdings setzt eine sinnvolle, d.h. von irgendwelcher Aussicht auf Erfolg begleitete Gewaltanwendung bei dem hochtechnischen und ubiquitären Charakter moderner Kampfesweise eine perfekte Organisation und Ausrüstung, eine jederzeitige massive Einsatzbereitschaft heute mehr denn je voraus. Die Verwirklichimg und Bewährung der Wehrhoheit als nach außen gerichtetes Hoheitsrecht i m Kampf gegen feindliche Angriffe hat notwendig eine zugehörige innerstaatliche Wehrgesetzgebung, die Aufstellung von Streitkräften, die Beschaffung von Rüstungsmaterial, eine umfassende Wehrverwaltung zur Grundlage. Aber genauso wenig wie der materielle Polizeibegriff einen ausdrücklichen Hinweis auf die Polizeigesetze, das Organisations- und innere Dienstrecht der Polizei, wie der Begriff der Rechtsprechung eine ausdrückliche Bezugnahme auf das innere Verwaltungsrecht der Gerichtsbehörden enthält, genauso wenig gehört das organisatorische Substrat militärischer Gewaltanwendung dem Begriff der Wehrhoheit zu. I h r Wesen ist bestimmt durch die Gewaltanwendung gegen andere Völkerrechtssubjekte; der aktuelle Gebrauch physischer Gewalt gegen von außen kommende Angriffe ist das konstituierende Moment, es umreißt deutlich den durch den Begriff der Wehrhoheit bezeichneten typischen Sachbereich staatlicher Tätigkeit, den materiellen Funktionsbereich der Wehrgewalt 5 5 . Die interne Vorbereitung der Gewaltanwendung vorwiegend m i t Mitteln der Gesetzgebung und Verwaltung, die tragende Wehrorganisation erscheinen demgegenüber als unselbständige, „akzessorische Hoheitsfunktionen" 5 6 ; sie sind logisch-praktische Voraussetzungen für die auswärtige Gewaltanwendung, jedoch ohne eigenständige Bedeutung, sinnvoll nur i n Hinblick auf die Gewaltakte, deren Vorbereitung und Ermöglichung sie dienen und die das Wesen der Wehrhoheit ausmachen. M i t der Verleihung einer materiellen Generalzuständigkeit sind i m Zweifel alle akzessorischen Hoheitsfunktionen mit zugewiesen; i m Zweifel umfaßt der materielle Zuständigkeitsbegriff der Wehrm A.A. Martens, S. 65: „ U n t e r dem Begriff der Wehrhoheit ist dabei i n diesem Zusammenhang das einem bestimmten Staat nach seiner konkreten Verfassung zustehende materielle Hoheitsrecht zu verstehen, bewaffnete Streitkräfte aufzustellen u n d einzusetzen, sowie alle dazu erforderlichen rechtlichen Vorbedingungen zu schaffen." 55 Daß die Gewaltanwendung i n einem völkerrechtstreuen Staat nicht gesucht w i r d , j a tunlichst vermieden w i r d , ändert an dem durch die Gewaltanwendung bestimmten Begriff der Wehrhoheit nichts; die Wehrgewalt ist i m Entscheidenden eine verhaltene, latente, potentielle Staatsfunktion, das k o m m t mittelbar auch i n der schwierigen psychologischen Lage des M i l i t ä r s zum Ausdruck, stets zum Handeln bereit sein zu müssen, aber regelmäßig nicht handeln zu dürfen. 5® Z u m Begriff der akzessorischen Gewalten siehe Krüger,
S. 925 ff.
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e t im Kompetenzsystem des Grundgesetzes
hoheit, ohne daß dies i n seiner Definition aufzunehmen wäre, über die primäre Funktion aktueller Gewaltanwendung hinaus alle diejenigen internen Organisationsfunktionen, die erforderlich sind, u m die jederzeitige effektive Anwendung physischer Gewalt gegen von außen kommende Angriffe zu gewährleisten. Es ist jedoch auch möglich, daß i m „akzessorischen Bereich der Wehrhoheit", i n ihrem „weiteren Begriffsbereich", i n ihrem „Organisationsbereich" i m Gegensatz zum „Handlungsbereich" 57 , einzelne Zuständigkeiten auf andere Gewaltträger übertragen werden. Eine gewisse begrenzte Aufteilung der Kompetenzen i m Organisationsbereich bedeutet keine Aufsplitterung der Wehrhoheit 5 8 , solange es für den Einsatz der Streitmacht nur eine Zuständigkeit gibt, denn der primäre Adressat der Wehrhoheit ist der Gegner und Feind und nicht, wie Krüger meint 5 9 , die Soldaten als Gewaltunterworfene und Gewaltträger.
§ 2. Die Wehrhoheit der Bundesrepublik nach dem Grundgesetz I. Das Fehlen wehrrechtlicher Begelungen im Grundgesetz vom 23. Mai 1949 1. Das Fehlen wehrrechtlicher
Regelungen
I n den Texten der deutschen und ausländischen Verfassungen ist stets die Inanspruchnahme der Wehrhoheit deutlich zum Ausdruck gekommen und mehr oder weniger ausführliche Regelungen über die Grundstrukturen der inneren Wehrverfassimg sind i n ihnen enthalten gewesen1. I m Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. M a i 1949 fehlten die entsprechenden Bestimmungen; nur i n sehr mittelbarer Weise wurde i n den A r t i k e l n 4 I I I , 2 4 I I , 26 GG und A r t . 140 GG i.V.m. 141 W V auf die Möglichkeit der Beteiligung der Bundesrepublik an bewaffneten Unternehmungen Bezug genommen. Die Zurückhaltung der Verfassungsgeber beruhte auf der stets drohenden Intervention der Besatzimgsmächte, zu deren ausgesprochenen Zielen zu jener Zeit noch die Abrüstung und Entmilitarisierung Deutschlands gehörten 2 . Z u dieser Unterscheidung vgl. Haenel, S.427; Ansdiütz, A r t . 79, A n m . 1 u n d 2; Witte, S.93; Falk, S. 12. 68 Siehe z. B. das sogenannte System des Kontingentheeres nach der deutschen Reichsverfassung von 1871 (Einzelheiten dazu unten §9, Abschnitt I I I , 1). Weitere Beispiele unten § 9, Abschnitt I I , 2 (Schweiz, USA). Krüger, Staatslehre, S. 934. 1 Vgl. die Nachweise bei Menzel, Wehrbeitrag I, S. 308. 2 Siehe Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee v o m 10.—23. August 1948, Darstellender Teü, S. 31; JöR n.F. 1 Bd. 1 (1951), S. 471 ff.
§ 2. Die Wehrhoheit der Bundesrepublik nach dem Grundgesetz
2. Die Erforderlichkeit
wehrrechtlicher
33
Regelungen
I m Rahmen der i m Jahre 1952 anhebenden parlamentarischen Auseinandersetzungen über den Beitrag der Bundesrepublik zu einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft wurde die grundlegende verfassungsrechtliche Streitfrage aufgeworfen, ob die Bundesrepublik die Wehrhoheit besitze oder diese erst durch eine Verfassungsänderimg begründet werden müsse. Die Opposition forderte eine solche Verfassungsänderung, während die Regierungsparteien davon ausgingen, daß der Bundesrepublik die Wehrhoheit zustehe und die Wehrverfassung durch einfache Gesetzgebung ausgestaltet werden könne. Zur Klärung dieser Streitfrage wurden bei dem Bundesverfassungsgericht i m Zeitraum vom 31.1.1952 bis zum 11. 5.1953 fünf Anträge gestellt; davon wurde einer für erledigt erklärt, einer zurückgezogen, zwei durch Urteil für unzulässig erklärt und auch zu dem fünften Antrag erfolgte keine Sachentscheidung. Uber diesen letzten Antrag der Bundestagsminderheit vom 11. 5.1953, die förmliche und sachliche Unvereinbarkeit des verabschiedeten Deutschlandvertrages und des verabschiedeten EVG-Vertrages mit dem Grundgesetz festzustellen, erging überhaupt keine Entscheidung, da nach den Bundestagswahlen vom 6.2.1953 der Regierungskoalition die zur Grundgesetzänderung erforderliche Zweidrittelmehrheit zur Verfügung stand und für die Verfassungsänderung vom 26. 3.1954 genutzt wurde und endlich auch die Frage nach der Wirksamkeit dieser Verfassungsänderung, soweit sie mit den Bestimmungen A r t . 79 Abs. 1 S. 2 und 142 a GG durch authentische Interpretation die Verfassungsmäßigkeit des Deutschlandvertrages und EVG-Vertrages festzustellen suchte, hinfällig wurde durch die Ablehnung der Ratifikation der umstrittenen Verträge durch das französische Parlament vom 31. 8.19543. Eine Entscheidung der Streitfrage durch das Bundesverfassungsgericht ist also nicht erfolgt, stattdessen stehen sich die Gutachten zahlreicher namhafter Gelehrter des In- und Auslandes gegenüber, wie sie von den verschiedenen Parteien vorgelegt worden sind. Martens hat es i n seiner Arbeit „Grundgesetz und Wehrverfassung (1961)" unternommen, die Meinungen noch einmal gegeneinander abzuwägen. Er faßt das Ergebnis seiner überzeugend klaren Untersuchungen mit — Nach Section I Nr. 2 der Kontrollratsproklamation v o m 20. 9.1945 waren „alle A r t e n militärischer Ausrüstung, militärischer Propaganda u n d m i l i tärischer Betätigung jeglicher N a t u r . . . dem deutschen Volke verboten". 3 Z u den Einzelheiten der Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht vgl. Wehrbeitrag I, I I und I I I . Eine kurze Ubersicht gibt Martens, S. 66, A n m . 2 u n d 3. — Z u m Stillstand des Verfahrens v o m 11.5.1953 vgl. W e h r beitrag I I I , S. 592, A n m . v o m Herausgeber. 3 Sachau
34
. Kap.: Die
e t im Kompetenzsystem des Grundgesetzes
den Worten zusammen 4 : „Das Grundgesetz des Jahres 1949 hat eine Entscheidung über die Aufstellung einer bewaffneten Macht nicht vollzogen. Diese Verfassungslücke ist trotz der Änderung der politischen Verhältnisse nicht durch einen Verfassungswandel kraft Interpretation geschlossen worden. Als demokratischem Verfassungsstaat kann der Bundesrepublik die Wehrhoheit ferner nicht aus dem Wesen der einheitlichen Staatsgewalt oder unter Berufung auf den Schutzzweck des Staates zugeschrieben werden. Schließlich entbindet auch die völkerrechtliche Befugnis zur Selbstverteidigung des Staates nicht von der Notwendigkeit, die Wehrgewalt verfassungsrechtlich i n Anspruch zu nehmen. — Erstmalig i n der deutschen Verfassungsgeschichte ist damit ein Staat konstituiert worden, dem nicht nur die effektiven Mittel zu seiner Verteidigung fehlen, sondern dem darüber hinaus auf Grund seiner eigenen Verfassungsordnung sogar die Wehrhoheit als rechtliche Voraussetzimg für die Organisation und den Einsatz einer Wehrmacht ermangelt." Man t r i t t den damaligen Regierungsparteien wohl nicht zu nahe, wenn man in der Tatsache, daß sie bald nach ihrem Wahlerfolg vom 6. 9.1953 die umstrittenen Verträge durch die Grundgesetznovelle vom 26. 3.1954 verfassungsrechtlich abzusichern suchten, das Eingeständnis erblickt, daß der zuvor bezogene Rechtsstandpunkt durch die ungünstigen Mehrheitsverhältnisse diktiert worden war 5 . Rein verbal wurde die Ansicht, daß es einer formellen Ergänzung des Grundgesetzes für die Aufstellung von Streitkräften bedürfe, bei den parlamentarischen Debatten über die Wehrrechtsnovellen vom 26.3.1953 und vom 19.3.1956 zwar nie völlig aufgegeben 6, jedoch wesentlich abgeschwächt durch Erklärungen wie, es sei eine Pflicht der Regierung, die i n den Wahlen zum Ausdruck gekommene Entscheidung des deutschen Volkes für die militärische Integration durch Grundgesetzänderung zu vollziehen 7 , die Änderung sei verfassungspolitisch erwünscht 8 , zweckmäßig 9 und notwendig 1 0 , es handele sich nicht um eine 4 Martens, S. 88. s So Dr. Mende (FDP), 132. Sitzg. des 2. B T v o m 6.3.1953, Sten. Ber. S. 6848 — C; Dr. Z i n n (SPD), 155. Sitzg. des Bundesrates v o m 16. 3.1956, Sten. Ber. S. 81 D, Beratung der 2. Wehrreehtsnovelle. 6 Regierungserklärung v o m 27.6.1955, 2. BT, Sitzg. Ber. S. 5219 D ; E r k l ä r u n g der Bundesregierung zur Vorlage des Freiwilligengesetzes durch den Bundesverteidigungsminister, 92. Sitzung des 2. B T v o m 27.6.1955, Sten. Ber. S. 5214 A ; BT-Drucks. 2150, 2. W.P., v o m 1. 3.1956, Erklärung des B u n desverteidigungsministers über die gesetzgeberischen Absichten der Bundesregierung auf dem Gebiet der Wehrpolitik. 7 Dr. Weber (CDU), 9. Sitzg. des 2. B T v o m 14.1.1954, Sten. Ber. S. 244 A. 8 BT-Drucks. 1744, 2.W.P., Erklärung des Bundesverteidigungsministers über die gesetzgeberischen Absichten der Bundesregierung auf dem Gebiet der Wehrpolitik.
§ 2. Die Wehrhoheit der Bundesrepublik nach dem G r u n d g e s e t z 3 5 echte Änderung, sondern um eine Ergänzung 11 , eine Verdeutlichung, die Klarstellung 1 2 , daß die Aufstellung von Streitkräften durch das Grundgesetz nicht untersagt sei 13 . Faktisch setzte sich die Gegenmeinung durch, daß die Inanspruchnahme der Wehrhoheit für die Bundesrepublik verfassungsrechtlich eine entsprechende Grundgesetzänderung voraussetze 14 .
II. Die Inanspruchnahme der Wehrhoheit durch die erste Wehrrechtsnovelle vom 26.3.1954 1. Die
Entwürfe
zu den
Wehrrechtsnovellen
M i t den Bundestagsdrucksachen 124 und 125 der zweiten Wahlperiode vom 4. Dezember 1953 legten die Fraktionen der CDU/CSU, GB/BHE gemeinsam und die Fraktion der FDP dem Bundestag fast gleichlautende Anträge auf Verfassungsergänzung vor. Diese Anträge zielten nicht nur darauf hin, auf dem Wege einer sogenannten authentischen Interpretation die Verfassungsmäßigkeit des vom Bundestag verabschiedeten Deutschland- und EVG-Vertrages normativ festzustellen, sondern sie enthielten gleichzeitig eine Reihe von Vorschriften zur Schaffung einer verfassungsrechtlichen Grundlage für eine differenzierte Wehrverfassung. Die vorgelegten Entwürfe zur Verfassungsergänzung enthielten u. a. das ausschließliche Gesetzgebungsrecht des Bundes für die militärische Verteidigung einschließlich der Wehrpflicht, die Möglichkeit der Grundrechtseinschränkung für Angehörige der Streitkräfte, Aufteilung der Verwaltungskompetenzen i m Bereich der Wehrverwaltung, des Wehrersatzwesens und der Durchführung der der militärischen Verteidigung dienenden Gesetze, das Ernennungsrecht des Bundespräsidenten für Offiziere » BT-Drucks. 2150, 2. W.P., v o m 1.3.1956, Dr. Elisabeth Schwarzhaupt, Zweiter schriftlicher Ausschußbericht zu den Wehrrechtsnovellen. 10 Dr. Jaeger (CSU), 132. Sitzg. des 2. B T v o m 6. 3.1953, Sten. Ber. S. 6845 C, Beratung der 2. Wehrrechtsnovelle. 11 v o n Hassel (CDU), 155. Sitzg. des Bundesrates v o m 16.3.1956, Sten. Ber. S. 78 A, Bericht zur 2. Wehrrechtsnovelle. 12 Dr. Weber (CDU), 9. Sitzg. des 2. B T v o m 14.1.1954 Sten. Ber. S.244B; Gerstenmaier (CDU), 17. Sitzg. des 2. B T v o m 26. 2.1954, Sten. Ber. S. 552 A . 13 Dr. Schwarzhaupt (CDU), 132. Sitzg. des 2. B T v o m 6. 3.1953, Sten. Ber. S. 6819 B, mündlicher Bericht über die Ausschußberatungen zur 2. Wehrrechtsnovelle. 1 4 Vgl. den I n h a l t der beiden Wehrrechtsnovellen; vgl. auch die die K o a l i tionspartner bindende Erklärung durch Dr. von Merkatz (CDU) über den Mindestinhalt der 2. Wehrrechtsnovelle, 17. Sitzg. des 2. B T v o m 26.2.1954, Sten. Ber. S. 552 D.
*
36
.Kap.: Die
e t im Kompetenzsystem des Grundgesetzes
und Unteroffiziere, die Errichtung von Bundesgerichten für die Streitkräfte. Als Hauptvorschrift i n den Entwürfen erscheint der A r t . 32 a: „(1) Die Verteidigung der Bundesrepublik ist Sache des Bundes. Bei ihrer gesetzlichen Regelung sind auch die Gliederung des Bundes i n Länder und die besonderen landsmannschaftlichen Verhältnisse zu berücksichtigen 15 . (2) Durch Bundesgesetz kann die Wehrpflicht eingeführt werden. Soweit es zur Erfüllung der Verteidigungsaufgaben zwingend geboten ist, kann durch Bundesgesetz ferner bestimmt werden, daß für Angehörige der Streitkräfte einzelne Grundrechte einzuschränken sind." Durch den Art. 32 a I S. 1 der Entwürfe, „Die Verteidigung der Bundesrepublik ist Sache des Bundes", der dem Art. 79 S. 1 der Weimarer Verfassung nachgebildet ist, w i r d in bestimmter, eindeutiger Weise die Wehrhoheit i n dem in § 1 dieser Arbeit dargelegten Sinne i n Anspruch genommen. Den Einzelfragen der Ausgestaltung des internen akzessorischen Bereichs der Wehrhoheit, der Verteilung der die Verteidigungsorganisation tragenden Zuständigkeiten i m Bereich der Gesetzgebung und Verwaltung zwischen Bund und Ländern und der Bestimmung der die wehrrechtlichen Befugnisse des Bundes tragenden Organe ist die generelle Inanspruchnahme der Wehrhoheit als einer auswärtigen Kompetenz vorangestellt. U n d zwar w i r d die Wehrhoheit i n einer die Länder ausschließenden Weise für den Bund in Anspruch genommen. Es erfolgt also zugleich die i n einem Bundesstaat für jede wichtige Staatsfunktion unerläßliche Zuständigkeitsentscheidung zugunsten einer Bundesgeneralzuständigkeit. Als föderale Kompetenzzuweisungsnorm hat Art. 32 a Abs. 1 S. 1 der Entwürfe m i t seiner Einordnung i n den zweiten Abschnitt des Grundgesetzes, betitelt: Bund und die Länder, seinen richtigen Ort erhalten, i m Gegensatz zu dem A r t . 79 S. 1 WV, der systematisch fehlerhaft i m sechsten Abschnitt, betitelt: Die Reichsverwaltung, aufgenommen war 1 6 . Auch die Stellung neben dem A r t . 32 GG ist sinnvoll, denn diese Bestimmung spricht i n ihrem Absatz 1 i n allgemeinster Weise die Verantwortung für die Gestaltung der Beziehungen zu auswärtigen Staaten dem Bunde zu. Nach den Entwürfen stünden also die Regelungen, die die nach außen gerichteten Hoheitsrechte des Staates berühren, neben-
A r t . 32 a Abs. 1 S. 2 fehlt i n dem E n t w u r f der FDP, Bundestagsdrucksache 125, 2. Wahlperiode. ** Anschütz, A r t . 79, Anm. 2.
§ . Die
e t der Bundesrepublik nach dem Grundgesetz
37
einander, wobei die militärische Auswärtige Gewalt der diplomatischen Auswärtige Gewalt der Stellung nach nachfolgt.
2. Die
erste
Wehrrechtsnovelle
Diese Entwürfe sind zunächst nicht und auch später nur teilweise 1 7 verwirklicht worden. I n seiner 9. Sitzung vom 14. Januar 1954 überwies der zweite deutsche Bundestag mit Mehrheit die Entwürfe zur Ergänzung des Grundgesetzes federführend an den (16.) Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht und mitberatend an den (6.) Ausschuß für Fragen der europäischen Sicherheit 18 . Meinungsverschiedenheiten zwischen der FDP und den anderen Parteien der Regierungskoalition über den Oberbefehl und die landsmannschaftliche Gliederung der EVG-Verbände führten dazu, daß man i n den Ausschüssen i m Interesse einer schnelleren Ratifikation der deutsch-alliierten Verträge vom M a i 1952 den Plan einer gründlicheren Ausgestaltung der i n Aussicht genommenen Wehrverfassung i m Verfassungstext fallen ließ. Entsprechend den Beschlüssen des (16.) Bundestagsausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht 19 erfolgte dann schließlich am 26. 3.1954 die erste Wehrergänzung des Grundgesetzes 20 . Der A r t . 73 Nr. 1 wurde ergänzt, die Art. 79 Abs. 1 S. 2 und 142 a wurden eingefügt. Die eingefügten A r t i k e l hatten lediglich die Aufgabe, die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen Verträge grundsätzlich zu beteuern und sind daher ohne Bedeutung für die angeschnittenen und erörterten Fragen nach der Wehrhoheit der Bundesrepublik, den Grundzügen ihrer Wehrverfassung und der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung. Die hier allein interessierende Ergänzung des A r t . 73 Nr. 1 GG geht dahin, daß neben die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes für die auswärtigen Angelegenheiten auch die für Verteidigung einschließlich der Wehrpflicht für Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an und des Schutzes der Zivilbevölkerung t r i t t 2 1 . Dadurch, daß i n dem A r t . 73 Nr. 1 GG dem Bund die ausschließliche Gesetzgebung für die Verteidigung zugesprochen wird, ist — wenn « Siehe unten Abschnitt I I I . 18 Sten. Ber. S. 245 C. 19 BT-Drucks. 275, 2. W.P. 20 BGBl. I S. 45 — Weitere Einzelheiten zu den einzelnen Stadien, die zu der 1. Wehrrechtsnovelle führten, vgl. bei Klein, Wehrbeitrag I I I , S. 566 ff. 21 Aufgrund einer Entscheidung der A l l i i e r t e n Hohen Kommission t r a t die Ergänzung des A r t . 73 Nr. 1 erst i m Z e i t p u n k t des Wirksamwerdens der Verträge von Paris u n d London i n Kraft, d. h. erst am 5r 5.1955. Vgl. dazu Martens, S. 92, A n m . 10 a.
38
. Kap.: Die
e t im Kompetenzsystem des Grundgesetzes
auch nur i n mittelbarer Weise zum Ausdruck gebracht — die Wehrhoheit für den Gesamtstaat Bundesrepublik i n Anspruch genommen. Die Schaffung einer Gesetzgebungskompetenz für Verteidigung bedeutet notwendig, daß der Staat von außen kommenden Angriffen nicht waffenlos gegenüberstehen w i l l , daß — wenn notwendig — militärische Verteidigung nach außen h i n stattfinden und die Gesetzgebung dieser Funktion dienen soll. Die primäre Bedeutung der Ergänzung des A r t . 73 Nr. 1 GG war nicht, die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes zu begründen, sondern überhaupt erst einmal das latente Hoheitsrecht Wehrhoheit für den Bund in verfassungskräftiger Weise i n Anspruch zu nehmen 22 . Insofern erfüllte sie teilweise die Funktion, die i n den Entwürfen vom 14.12.1953 dem A r t . 32 a Nr. 1 S. 1 zugedacht war. „Die Verteidigung der Bundesrepublik ist Sache des Bundes", dieser Satz enthielt aber neben der unmittelbaren Inanspruchnahme der Wehrhoheit eine föderale Kompetenzentscheidung i n umfassender Weise zugunsten des Bundes. Diese Funktion erfüllte der neue A r t . 73 Nr. 1 GG nicht. Er beanspruchte zwar die Gesetzgebungshoheit i m Verteidigungsbereich für den Bund, aber damit nicht die ja primär nach außen gewendete Wehrhoheit, sondern lediglich eine wesentliche Funktion aus dem internen, akzessorischen Organisationsbereich der Wehrhoheit. A r t . 73 Nr. 1 n.F. GG, für sich gesehen, ließ durchaus die Möglichkeit offen, Wehrgesetze zu erlassen, die die aktive Verteidigung allein den Ländern anvertrauten 2 3 . Solche Konsequenz lag sicher nicht i n den Intentionen der Verfassungsreformer, aber sie ist die logisch mögliche und mit Rücksicht auf die Art. 83 und 30 GG zunächst auch als notwendig erscheinende Folge der Tatsache, daß man mit der Grundgesetzänderung die Wehrhoheit nicht i n ihrem Zentralbereich und Wesenskern als das nach außen gerichtete Hoheitsrecht zur Gewaltanwendung gegen fremde Staaten ergriffen hat. I I I . Das Fehlen einer bundesstaatlichen Zuständigkeitsgeneralentscheidung hinsichtlich der Wehrhoheit in den Bestimmungen der zweiten Wehrrechtsnovelle vom 19. 3.1956 1. Entstehungsgeschichte
der zweiten Wehrrechtsnovelle
Kurz vor Erlaß der ersten Wehrrechtsnovelle, i n der 17. Sitzung des zweiten Bundestages vom 26.2.1954, hatte der Abgeordnete 22 Ebenso Martens, S. 92 u n d S. 95, Anm. 31. — Über die Notwendigkeit einer ausdrücklichen Inanspruchnahme v o n Hoheitsrechten vgl. G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 200 f. 2 3 So auch Martens, S. 138. — Vgl. auch BVerfGE, Bd. 12, S.205, Leitsatz 5: „Nach der Systematik des Grundgesetzes bezeichnet die Gesetzgebungs-
§ . Die
e t der Bundesrepublik nach dem Grundgesetz
39
Dr. v. Meerkatz i n einer die Koalitionspartner bindenden Erklärung ausgeführt, daß die Wehrverwaltung durch den Bund, die Regelung des Oberbefehls und die landsmannschaftliche Gliederung der Verbände einer grundgesetzlichen Regelung zugeführt werden müßten 2 4 . Die Frage nach einer entsprechenden oder weitergehenden Wehrrechtsänderung der Verfassung wurde aber erst nach Abschluß des Protokolls über die Beendigung des Besatzungsregimes i n der Bundesrepublik und des Protokolls zur Änderung und Ergänzung des Brüsseler Pakts am 23.10.1954 und nach dem Erlaß der diesbezüglichen Ratifikationsgesetze am 24.3.1954 aufgegriffen 25 . Bei den Erörterungen zum Freiwilligengesetz 26 wurde vom Bundesrat und Sprechern der Opposition und der Regierungsparteien auf die Notwendigkeit einer weiteren Grundgesetzergänzung hingewiesen 27 . I n einer Regierungserklärung vom 27. 6.1955 wurde die rechtliche Erforderlichkeit einer formellen Ergänzung des Grundgesetzes, da die Aufstellung von Streitkräften ebenso wie ihre Unterhaltung nach übereinstimmender Meinung aller politischen Richtungen und Parteien eine „natürliche Bundesangelegenheit" sei, i n Frage gestellt, jedoch die Bindung an die oben angeführte Koalitionsvereinbarung vom 26.2.1954 eingeräumt 2 8 . Schließlich bei der Vorlage des Regierungsentwurfs zum Soldatengesetz 29 wurde erneut vom Bundesrat unter anderem eingewendet, dem Bunde stehe nach der gegebenen Verfassungslage die Verwaltungszuständigkeit i m Bereich des Wehrwesens nicht zu 3 0 . Die Bundesregierung erklärte dazu in einer Stellungnahme vom 23.9. 1955 31 : „Es besteht Ubereinstimmung darüber, daß entsprechend der deutschen Verfassungstradition der letzten Jahrzehnte und der Regelung wohl i n allen Bundesstaaten die Streitkräfte solche des Bundes, die Soldaten Soldaten des Bundes sein s o l l e n . . . Es mag Verfassungskompetenz die äußerste Grenze f ü r seine Verwaltungsbefugnisse" (Hervorhebung v o m Verfasser). 24 Sten. Ber., S. 552 D. 25 Vgl. Gesetz betreffend das Protokoll v o m 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besetzungsregimes i n der Bundesrepublik Deutschland v o m 24. März 1955 (BGBl. I I S. 213) und das Gesetz betr. den B e i t r i t t der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag u n d zum Nordatlantikvertrag v o m 24. März 1955 (BGBl. I I S. 256). 26 E n t w u r f v o m 15.6.1955, BT-Drucks. 1467, 2.W.P.; Gesetz v o m 23.7.1955 (BGBl. I S. 499). 27 Siehe Anlage 2 zur Drucksache 1467, 2. W.P.; 92. u n d 93. Sitzg. des 2. B T v o m 27. und 28. 6.1955, Sten. Ber., S. 5214 ff., 5228 ff. 28 Sten. Ber., S. 5219 D. 2» E n t w u r f v o m 23.9.1955, Drucks. 1700, 2.W.P.; Gesetz v o m 19.3.1956 (BGBl. I S. 114). 30 Anlage 2 zur BT-Drucks. 1700, 2. W.P., v o m 23. 9.1955. 31 Anlage 3 zur BT-Drucks. 1700, 2. W.P., v o m 23. 9.1955.
40
. Kap.: Die
e t im Kompetenzsystem des Grundgesetzes
politisch angebracht sein, dies i m Grundgesetz i n irgendeiner Form ausreichend anzusprechen. Die Bundesregierung ist allerdings der Auffassung, daß eine rechtliche Notwendigkeit hierfür nicht besteht." Es w i r d deutlich, daß die Bundesregierung — i n Treue zu ihrem vor dem Bundesverfassungsgericht vertretenen Standpunkt 3 2 — weiteren ausgedehnten Wehrrechtsergänzungen des Grundgesetzes ablehnend gegenüberstand 33 . Aus der oben angeführten, die Koalitionspartner bindenden Erklärung über den i n Aussicht genommenen Inhalt der anstehenden zweiten Wehrrechtsnovelle ergibt sich, daß insbesondere eine ausdrückliche Inanspruchnahme der Wehrhoheit für die Bundesrepublik und eine ausdrückliche Zuweisung der Wehrhoheit an den Bund für überflüssig gehalten wurde. Da alle Parteien sich darüber einig waren, daß die Verteidigung nur eine Bundesangelegenheit sein könne 3 4 , wurde der zureichenden verfassungstextlichen Formulierung dieses Prinzips keine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die sachliche und systematische Bedeutung einer Regelung nach dem Vorbild des § 79 S. 1 W V wurde verkannt. Der Standpunkt der Bundesregierung setzte sich ohne weitere Erörterungen durch bei den Beratungen über die zweite Wehrrechtsnovelle zum Grundgesetz, die auf der Grundlage der Bundestagsdrucksachen 124, 125 und 171 durchgeführt wurden und der Fortsetzung der Beratung über das Soldatengesetz vorangingen, i m mitberatenden (9.) Ausschuß für Fragen der europäischen Sicherheit (während der Beratung umbenannt i n Verteidigungsausschuß), i m federführenden (16.) Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht 35 , bei den parlamentarischen Beratungen 36 und den Beratungen i m Bundesrat 37 . 2. Inhalt
der zweiten
Wehrrechtsnovelle
Die zweite Wehrrechtsnovelle vom 19.3.1956 38 hat sieben A r t i k e l des Grundgesetzes geändert bzw. ergänzt (Art. 1, Abs. 3, 12, 36, 49, 60 Abs. 1, 96 Abs. 3, 137) und neun A r t i k e l i n das Grundgesetz neu ein32 Siehe oben Abschnitt I, 2. 33 Siehe die herbe K r i t i k durch Mellies (SPD), 132. Sitzg. des 2. B T v o m 6. 3.1956, Sten. Ber. S. 6847 C. 34 Vgl. die weiteren angeführten Regierungserklärungen v o m 26.2.1954 und 23. 9.1955. 35 Schriftlicher Bericht, BT-Drucks. 2150, 2. W.P., v o m 1.3.1956. 36 132. Sitzg. des 2. B T v o m 6.3.1956, Sten. Ber. 6819 Ä f f . , 6827 Ä f f . , 6845 C ff. 37 155. Sitzg. des Bundesrates v o m 16.3.1956, Sten. Ber. S . 7 6 D f f . — Weitere Einzelheiten zu der Entstehungsgeschichte der beiden Wehrrechtsnovellen vgl. unten § 10 Abschnitt I V u n d bei Martens, S. 91 ff. 38 BGBl, I S. 111.
§ . Die
e t der Bundesrepublik nach dem Grundgesetz
41
gefügt (Art. 17 a, 45 a, 45 b, 59 a, 65 a, 87 a, 87 b, 96 a, 143). Sie betrifft i m wesentlichen die Grundrechtsgeltung i m Verteidigungsbereich, die Verteilung einzelner Verwaltungskompetenzen zwischen Bund und Ländern, die Verteilung wehrrechtlicher Befugnisse zwischen obersten Verfassungsorganen des Bundes und den Einsatz der Streitkräfte i m Falle eines inneren Notstandes 39 . Der krönende Schlußstein bzw. das tragende Fundament i m Bau der Wehrverfassung aber fehlt, die Übernahme des oben zitierten Art. 32 a Abs. 1 S. 1 aus den ersten Entwürfen für eine Wehrrechtsergänzung des Grundgesetzes 40 , die i m übrigen weitgehende Berücksichtigung erfuhren. Es fehlt die Bestimmung „Die Verteidigung der Bundesrepublik ist Sache des Bundes" — i n dieser Entwurfsformulierung bzw. einer sinngleichen Fassung — die direkte Inanspruchnahme der Wehrhoheit, verbunden mit einer Generalkompetenzzuweisung an den Bund. Der Mangel einer direkten Inanspruchnahme der Wehrhoheit ist mehr ein Schönheitsfehler, da aus den zahlreichen Einzelbestimmungen zur Wehrverfassung unbezweifelbar klar wird, daß das Grundgesetz die auswärtige militärische Gewalt i n Anspruch genommen wissen w i l l ; dieser Schönheitsmangel fällt aber besonders deswegen ins Auge, w e i l diese Einzelbestimmungen zur Wehrverfassung über das ganze Grundgesetz — unter Rücksichtnahme auf seine ursprüngliche Gestalt 4 1 — verstreut sind, i m Gegensatz etwa zur Regelung i n der Reichsverfassung von 1871, die einen einheitlichen X I . Abschnitt über das Reichskriegswesen enthielt. Bedeutend schwerer fällt das Fehlen einer ausdrücklichen Zuweisung der Wehrhoheit an den Bund ins Gewicht. Die Zuweisung der auswärtigen Kompetenz der Verteidigung an den Bund als Gesamtzuständigkeit würde bedeuten, daß — wie es i m Interesse der Einheit und Schlagkräftigkeit der Verteidigimg allein als sachgemäß und vernünftig erscheint — alle Einzelzuständigkeiten i m Rahmen der internen Organisation des Wehrwesens und i m Zusammenhang aktueller militärischer Gewaltanwendung nach außen i m Zweifel dem Bund zuzusprechen wären. So aber ist — sofern sich Einzelkompetenzregelungen der Wehrrechtsnovellen als lückenhaft erweisen — die Zuständigkeitsfrage i m Hinblick auf die grundsätzlichen die Länder berechtigenden und verpflichtenden A r t . 30 und Art. 83 GG zumindest zweifelhaft, es sei denn, es ließe sich aus der Gesamtstruktur der Verfassung doch der Nachweis führen, daß die Wehrhoheit als umfassende Gesamtzuständigkeit dem Bund übertragen ist. 3® Zusammenstellung nach Martens, Oben § 2, Abschn. I I , 1, Abs. 2. So Schäfer, NJW, 1956, S. 529 f.
S. 95.
42
. Kap.: Die
e t im Kompetenzsystem des Grundgesetzes
Als bedeutsame Lücke erweist sich bei Durchsicht der einzelnen Regelungen der zweiten Wehrrechtsnovelle, daß keine dieser Bestimmungen i n klarer Weise zum Ausdruck bringt, daß es nur Bundestruppen und daneben keine Streitkräfte der Länder geben soll. Der Inhalt der einzelnen Ergänzungen bzw. Änderungen ist folgender: a) I m Art. 1 Abs. 3 wurde das Wort „Verwaltung" durch „vollziehende Gewalt" ersetzt, u m so jedem Zweifel vorzubeugen, daß auch die nach innen wirkenden Vollzugsakte der organisierten Wehrgewalt der Grundrechtsbindung unterliegen. b) Die Ergänzungen des Art. 12 betreffen das Kriegsdienstverweigerungsrecht, den Ersatzdienst und Fragen des Dienstes von Frauen i n Verbänden der Streitkräfte. c) Art. 17 a brachte die Möglichkeit und Begrenzung von Grundrechtseinschränkungen für Angehörige der Streitkräfte und des Ersatzdienstes. d) Nach dem dem A r t . 36 angefügten Absatz 2 haben die Wehrgesetze auch die Gliederung des Bundes in Länder und ihre besonderen landsmannschaftlichen Verhältnisse zu berücksichtigen. Diesem Programmsatz, dieser Richtlinie für den Gesetzgeber 42 würde i n vollkommenster Weise durch die bundesgesetzliche Anordnung der Aufstellung ländereigener Verbände entsprochen. Daß die Gliederung des Bundes i n Länder und deren besondere landsmannschaftlichen Verhältnisse — soweit letztere überhaupt noch existieren 43 — allein i m Rahmen des Aufbaus einheitlicher Bundestruppen verwirklicht werden soll, läßt sich aus Art. 36 Abs. 2 nicht ableiten. e) Art. 45 a schuf die Ausschüsse für Auswärtiges und für Verteidigung m i t bestimmten Vorrechten als echte Verfassungsorgane; i n diesen Zusammenhang gehört auch die Ergänzung des Art. 49. f) A r t . 45 b ist die Grundlage für die i m deutschen Verfassungsrecht grundlegend neue Institution des Wehrbeauftragten. g) Art. 49; vgl. hierzu e). h) Nach A r t . 59 a w i r d der Eintritt des Verteidigungsfalls regelmäßig durch Beschluß des Bundestages festgestellt; über den Friedensschluß w i r d durch Bundesgesetz entschieden. i) Die Ergänzung des Art. 60 Abs. 1 statuierte das Recht des Bundespräsidenten, Offiziere und Unteroffiziere zu ernennen. Der genaue 42 Hamann, Grundgesetz, A r t . 36, Anm. A und B, 4; Maunz, S. 169; v. Mangoldt-Klein, A r t . 36, Anm. I V , 2. 43 Vgl. dazu Martens, S. 137 f.
Staatsrecht,
§ . Die
e t der Bundesrepublik nach dem Grundgesetz
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Wortlaut des neugefaßten Absatz 1 ist: „Der Bundespräsident ernennt und entläßt die Bundesrichter, die Bundesbeamten, die Offiziere und Unteroffiziere, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist." Das Fehlen der Kennzeichnung „Bundes-" vor Offiziere und Unteroffiziere, wie sie sich i m Fall der Richter und Beamten findet, legt den Gedanken nahe, daß es nur eine A r t von Offizieren und Unteroffizieren geben soll, nämlich solche des Bundes. Jedoch diese Überlegung ist nicht zwingend. Es ist auch denkbar, daß der Bundespräsident Länderoffiziere und Länderunteroffiziere ernennt, wenn man diese Ernennung als rein formellen Mitwirkungsakt betrachtet, der dem Zweck dient, den so Ernannten eindringlich ins Bewußtsein zu bringen, daß ihre militärische Aufgabe allein der Schutz des Gesamtstaates Bundesrepublik Deutschland ist und nicht etwa lediglich den partikularen Interessen ihres Heimatlandes dient. So beleuchtet würde das Fehlen der Kennzeichnung „Bundes-" vor Offiziere und Unteroffiziere sogar zu einem Indiz dafür, daß das Bestehen der Ländertruppen neben Bundestruppen vom Grundgesetz bejaht wird. Richtig allerdings w i r d es sein, sich solcher zweischneidiger Argumente überhaupt zu entschlagen, zuzugeben, daß es mißlich ist, aus Organisationsbestimmungen, die ganz bestimmten Zwecken dienen sollen, allgemeine Zuständigkeitsregelungen herauslesen zu wollen, und anzuerkennen, daß auch aus dem Art. 60 Abs. 1 sich keine Entscheidung über die Zulässigkeit von Ländertruppen ergibt. j) Nach Art. 65 a ist die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte dem Bundesminister für Verteidigung anvertraut, von dem sie m i t der Verkündigung des Verteidigungsfalles auf den Bundeskanzler übergeht. Durch diese bewußt von der Regelung des Art. 47 W V abweichende Bestimmung 4 4 soll die politische Führung und Kontrolle des stets zu häufig verhängnisvoller Autonomie und Selbstverabsolutierung tendierenden Militärs ermöglicht werden. Diese zweigeteilte Zuweisung der entscheidenden wehrrechtlichen Befugnisse 45 an Minister und Kanzler betrifft rein das Verhältnis oberster Bundesorgane zueinander, die intra-governmental-division-of-powers. Es würde daher auch hier als zweifelhaftes Verfahren erscheinen, diese Regelung als die Länder ausschließende Kompetenzentscheidung zugunsten des Bundes auszulegen. Es ist allerdings zuzugeben, daß Art. 65 a davon ausgeht, daß es entsprechend den grundlegendsten Erfordernissen effektiver militärischer Gewaltausübung nur eine ein44 Sitzimgsberichte des Deutschen Bundestages, 132. Sitzg. des 2. B T v o m 6.3.1956, Sten. Ber. S. 6819 Ä f f . 45 Z u dem umfassenden I n h a l t der Befehls- und Kommandogewalt vgl. Martens, S. 161.
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. Kap.: Die
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heitliche Befehls- und Kommandogewalt — und diese i n den Händen von Bundesorganen — gibt. Bei Aufstellung ländereigner Truppen würde sich diese Befehls- und Kommandogewalt als intensiviertes Einzelweisungsrecht i m Sinne des Art. 84 Abs. 5 darstellen, das i m Verteidigungsfall i n eine direkte Unterordnung der Ländertruppen mündet. k) Art. 87 a: „Die zahlenmäßige Stärke der vom Bunde zur Verteidigung aufgestellten Streitkräfte und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben." Während i n der Bestimmung des A r t . 60 Abs. 1 die Weglassung der Kennzeichnung „Bundes-" in Hinsicht auf Offiziere und Unteroffiziere — wie dargelegt — sich als i n gegensätzlicher Weise auslegbar erwies, ist die Hinzufügung „vom Bunde" i n Art. 87 a nur so sinnvoll zu verstehen, daß es neben diesen Streitkräften auch noch solche gibt, die von den Ländern zur Verteidigung aufgestellt werden. Wäre i m Art. 87 a angeordnet, daß die Zahl der Streitkräfte usw. sich aus dem Bundeshaushaltsplan ergeben müssen, dann wäre — wenn auch nicht als zwingender Schluß — der Gedanke berechtigt, daß es nur Bundestruppen geben soll. So aber drängt die Hinzufügung, daß die Zahl der „vom Bunde" aufgestellten Streitkräfte usw. i m Haushaltsplan erscheinen müssen, zu dem Umkehrschluß, daß es i n der Bundesrepublik auch noch andere Streitkräfte gibt bzw. geben kann, die nicht i m Bundeshaushaltsplan direkt i n Erscheinung treten. Es wäre nun sicherlich müßig, aus A r t . 87 a die Verpflichtung des Bundes beweisen zu wollen, in seiner Verteidigungsgesetzgebung die Aufstellung von Länderverteidigungskontingenten anzuordnen, denn Art. 87 a zielt i n keiner Weise auf bundesstaatliche Kompetenzfragen 46 , sondern w i l l dem Parlament ein besonderes Kontrollrecht über die Entwicklung des Wehrwesens einräumen, aber andererseits sind Versuche, gerade auf Art. 87 a den Nachweis zu gründen, daß die Verteidigungsangelegenheiten und insonderheit die Aufstellung von Streitkräften in die ausschließliche Zuständigkeit des Bundes fallen, nicht recht verständlich 47 . 1) A r t . 87 b Abs. 1 begründet für eine mit den Aufgaben des Personalwesens und der unmittelbaren Deckung des Sachbedarfs der Streitkräfte betraute Bundeswehrverwaltung die Zuständigkeit bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau; auch sonstige m i t der Verteidigung zusammenhängende interne Verwaltungskompetenzen können nach A r t . 87 a Abs. 2 durch Zustimmungsgesetze dem 46 Vgl. die Ausführung der entsprechenden Erwägungen zu A r t . 36 Abs. 2 oben unter d). 47 Siehe Maunz-Dürig, A r t . 87 a, Rz. 6, m i t weiteren Nachweisen.
§ . Die
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Bunde zugesprochen werden. Der Terminus „Bundeswehr" taucht hier erstmalig auf, ohne an einer anderen Stelle des Grundgesetzes eine Erläuterung erfahren zu haben, so daß es naheliegt, diesem Begriff als logisch notwendig erforderten Gegenbegriff die Länderwehren gegenüberzustellen. Die Aufgaben der Bundeswehrverwaltung sind eng umgrenzt. Einmal dient sie der immittelbaren Deckung des Sachbedarfs der Streitkräfte — aller Streitkräfte. Dies steht der Möglichkeit der Existenz eigener Ländertruppen keineswegs entgegen; eine einheitliche Ausstattung von Bundes- und Ländertruppen zur Steigerung der militärischen Effizienz der gesamten Rüstungsbemühung durch den Bund würde die relative Selbständigkeit der Ländertruppen nicht antasten. Zum anderen soll die Bundeswehrverwaltung den A u f gaben des Personalwesens dienen. Insoweit fehlt aber die klare Bezugnahme auf den Gesamtbegriff „Streitkräfte". Auch hier wäre die eventuell notwendige Einflußnahme des Bundes durch allgemeine Verwaltungsvorschriften, Rechtsaufsicht und Einzelweisungen nach dem Schema des Art. 84 zu verwirklichen. Die gesamte übrige Verteidigungsverwaltung 48 steht nach Art. 87 b Abs. 2 den Ländern zu. Das Recht des Bundes, durch Zustimmungsgesetze diese Verwaltungskompetenzen weitgehend an sich zu ziehen, wäre bei bundesgesetzlicher Begründung von ländereigenen Truppen nach Maßgabe des Art. 84 beschränkt. m) Die Ergänzung des A r t . 96 Abs. 3 4 9 führte für Dienststrafverfahren gegen Soldaten und für Verfahren über Beschwerden von Soldaten Bundesdienstgerichte ein. Solche Beschwerdeverfahren bei Bundesdienstgerichten ohne die Einschaltung einer Instanz der Länder und ganz besonders die Disziplinarstrafverfahren vor jener Bundesinstanz scheinen dafür zu sprechen, daß man bei dieser Bestimmung davon ausging, daß es nur Soldaten des Bundes gibt. Es ist aber immerhin zu bedenken, ob die aufgezeigte Systemwidrigkeit, die sich bei dem Vorhandensein von Landestruppen i n Beschwerde- und Dienststrafverfahren auftun würde, sich nicht mit dem besonders starken Interesse einer einheitlichen Gestaltung der Wehrverhältnisse i m Bund und allen Bundesländern rechtfertigen ließe. n) A r t . 96 a ermöglichte Errichtung von eigenen Wehrstrafgerichten für die Streitkräfte als Bundesgerichte mit den von der Weimarer Verfassung überkommenen Beschränkungen der Jurisdiktionsgewalt 5 0 . 48 Z u m I n h a l t der Bundeswehrverwaltung und der Verteidigungsverwalt u n g i m übrigen vgl. Martens, S. 18 ff. 49 Gestrichen u n d bei der Neufassung des A r t . 96 a i n dessen Abs. 4 berücksichtigt durch das 12. Änderungsgesetz v o m 6. 3.1961 (BGBl. I S. 141). 5 ° Vgl. A r t . 106 WV.
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o) A r t 137 gestattet die gesetzliche Beschränkung der Wählbarkeit von Soldaten. p) Art. 143 schließlich setzt die Verfassungsentscheidung über die Einsetzung der Streitkräfte i m Falle eines inneren Notstandes ausdrücklich aus.
IV. Die Versuche einer Begründung der Wehrhoheit des Bundes aus dem Inbegriff der wehrrechtlichen Regelungen im Grundgesetz Das Ergebnis der bisherigen Untersuchung über die Wehrhoheit nach dem Grundgesetz von 1949 und den Bestimmungen der Wehrrechtsnovellen von 1954 und 1956 ist, daß ein solcher umfassender, zentraler Gesamtbegriff für die militärischen auswärtigen Staatsfunktionen als „Wehrhoheit" oder auch „Wehrgewalt", „Verteidigung", „Militärische Gewalt" oder i n anderer sinngemäßer Fassung nicht verwendet worden ist, daß mittelbar die Inanspruchnahme der Wehrhoheit für die Bundesrepublik i n dem novellierten Grundgesetz zum Ausdruck kommt, es jedoch an einer den Gesamtbereich der Verteidigung umfassenden Kompetenzzuweisung an den Bund fehlt und dieser Mangel, wie das Beispiel der Frage nach der Zulässigkeit von Ländertruppen, die nicht durch Spezialkompetenznormen der Wehrrechtsnovellen klar entschieden ist, zeigt, durchaus von erheblicher praktischer Bedeutung sein kann. Da die einzelnen Bestimmungen der Wehrrechtsnovellen untereinander und mit dem gesamten Text des Grundgesetzes eine integrale Sinneinheit historischen Herkommens bilden, ist es gerechtfertigt, die Frage nach der Zulässigkeit von Ländertruppen und die allgemeinere Frage, ob die Wehrhoheit als Generalzuständigkeit prinzipiell ausschließlich dem Bund zusteht, i m Fortschreiten von einer grammatischen Auslegung der Einzelnormen zu einer systematisch-teleologischen Auslegung aus dem Sinnzusammenhang der verschiedenen einschlägigen Bestimmungen heraus und unter Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte zu klären zu suchen 51 . So folgert Maunz aus dem Nebeneinander des Art. 73 Nr. 1 GG (der ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes für die Verteidigungsgesetzgebung) und des Art. 87 a GG (der Formulierung „vom Bund zur Verteidigung aufgestellten Streitkräfte"), daß die Verteidigung entsprechend der Regelung des Art. 79 W V Sache des Bundes ist und Z u den einzelnen Auslegungsmethoden Larenz, S. 241 ff.
siehe Engisch,
S. 77 ff.
und
§ . Die
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die Streitkräfte nur solche des Bundes sein können 5 2 . Genau denselben Standpunkt bezieht Martens 5*. Diese A r t der Schlußfolgerung kann aber nicht als zwingend angesehen werden, da der ihr zugrunde gelegte Art. 87 a GG — wie oben ausgeführt 54 — für das angestrebte Gedankenziel i n keiner Weise beweiskräftig ist, sondern viel eher für sich genommen zu der Konsequenz zwingt, daß nach dem Grundgesetz die Existenz von Streitkräften der Länder vorausgesetzt sei, als zu der gegenteiligen Annahme. Das Bundesverfassungsgericht i n seinem Urteil vom 30. J u l i 1958 zu den Gesetzen Bremens und Hamburgs betreffend die Volksbefragung über Atomwaffen legt seine Beweisführung zu der These, daß die Angelegenheiten der Verteidigung zu der ausschließlichen Kompetenz des Bundes gehören, weiter an: es gesellt den beiden oben angeführten A r t i k e l n die Bestimmungen des Art. 65 a GG (Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte in den Händen des Bundesministers für Verteidigung bzw. i m Verteidigungsfall des Bundeskanzlers) und des Art. 87 b GG (Bundeswehrverwaltung) bei 5 5 . Es ist in der Kurzkommentierung dieser A r t i k e l oben schon zum Ausdruck gebracht worden, daß diese Bestimmungen zwar tendenziell auf die Existenz von Bundesstreitkräften ausgerichtet sind, ohne daß sich aus ihnen zwingend folgern ließe, daß es nur Bundesstreitkräfte geben soll 5 6 . Deutlicher noch kommt nach den obigen Anmerkungen zu den Grundgesetzergänzungen die bekannte Tatsache, daß man bei der Beratung der Wehrrechtsnovellen allgemein die Schaffung nur von Bundesstreitkräften ermöglichen wollte 5 7 , in den A r t i k e l n 60 Abs. 1 GG (Ernennung von Offizieren und Unteroffizieren durch den Bundespräsidenten) und 96 Abs. 3 GG (erstinstanzliche Bundesdienstgerichtsentscheidungen i n Dienststrafverfahren und Beschwerdeverfahren von Soldaten) zum Ausdruck 58 . 52 Maunz, S. 169. 53 Martens, S. 136 ff. (138). 54 Oben, Abschnitt I I I , 2 lit. k. 55 BVerfGE, Bd. 8, S. 104 ff. (116). — Allerdings schränkt das Bundesverfassungsgericht das Ergebnis seiner auf das hohe Ziel „ausschließliche Verteidigungshoheit des Bundes" gerichteten Beweisführung unerwartet sehr weitgehend wieder ein: „ F ü r die Gesamtaufgabe »Verteidigungswesen', sov'jeit es sich u m die Bundeswehr und ihre Ausrüstung handelt, ist also u n eingeschränkt u n d allein der B u n d zuständig." (Hervorhebung v o m Verf.). Dieses Resultat geht nicht über den klaren Wortlaut des A r t . 87 b Abs. 1 S. 1 und 2 hinaus. 56 Oben, Abschnitt I I I , 2 lit. j. u n d 1. 57 Vgl. z.B. die schon oben zitierte Stellungnahme der Regierung i n A n lage 3 zur BT-Drucks. 1700, 2. W.P., vom 23. 9.1955. 58 Siehe oben, Abschnitt I I I , 2 lit. i u n d m.
48
.Kap.: Die
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Es ist nicht zweifelhaft, daß man, wenn der mit Gewißheit ermittelte Wille des Gesetzgebers i n einem Gesetz zumindest andeutungsweise zum Ausdruck gekommen ist 5 9 , das Gesetz sinngemäß auslegen darf, insbesondere wenn eine solche Auslegung sich i m übrigen als systemgerecht und sinnvoll erweist. Das Ergebnis solcher kombinierten historisch-systematisch-teleologischen Auslegung ist i m gegebenen Zusammenhang die Verteidigungshoheit des Bundes als Generalzuständigkeit und damit u. a. der Ausschluß der Existenz von Ländertruppen. Dieses Resultat ist unbestritten richtig, jedoch sollen hier gegen die oben dargestellte A r t der Ableitung methodische Bedenken erhoben und der Beweisführung und Begründung, der Auslegung des Grundgesetzes i n dieser Frage, ein neuer Weg i n Anlehnung an die oben wiedergegebenen Gedanken Berbers zur Auslegung des A r t . 32 Abs. 1 GG 6 0 gewiesen werden.
V. Kritik der herkömmlichen Ableitung der Wehrhoheit des Bundes — Hinweis zum weiteren Gang der Untersuchung Wenn bei der soeben dargestellten Auslegung des Grundgesetzes durch Heranziehung einzelner wehrrechtlicher Regelungen, Spezialkompetenz- und Organisationsnormen, ein Obersatz — die Wehrhoheit steht dem Bund zu — abgeleitet wird, der sich nicht nur als begriffliche Zusammenfassung gesetzlich klar fixierter Kompetenzen, sondern als materiellrechtliche Norm erweist, aufgrund derer offene Kompetenzfragen entschieden werden — die Länder dürfen keine eigenen Streitkräfte unterhalten —, dann handelt es sich bei solchem interpretatorischen Bemühen nicht mehr um reine Gesetzesauslegung, sondern um Rechtsfortbildung durch Lückenausfüllung 61 . Die Grenze des Wortsinnes der einzelnen herangezogenen Bestimmungen w i r d durch Analogieschluß überschritten 62 ; i m Wege der Induktion w i r d eine Generalkompetenz gefolgert, die dazu dient, i m Wege der anschließenden Deduktion ungeklärte Spezialkompetenzen i m Wehrbereich zugunsten des Bundes gegen die Länder unter Übergehung der A r t i k e l 30 und 83 GG zu entscheiden 63 .
59 Z u r Grenze der Auslegung i m möglichen Wortsinn vgl. Larenz, S. 241 ff. und 273; Engisch, S. 146; Canaris, S. 195. 60 Siehe oben, Einleitung, Abschn. 1, Abs. 3. 61 Z u r Rechtsfortbildung und Lückenausfüllung siehe Larenz,, S. 273 ff. u n d S. 279 ff.; Engisch, S. 134 ff. «* Siehe A n m . 120. 63 Z u m A u f b a u der Analogie aus Induktions- u n d Deduktionsschluß siehe Engisch, S. 143.
§ . Die
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49
Die Begründung praktisch neuer Kompetenzregelungen i m Wege der Lückenausfüllung i n einem bundesstaatlichen Verfassungssystem, das ja seine ganze Eigenart wesentlich der festen, katalogmäßigen Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Zentralstaat und Gliedstaaten verdankt 6 4 , eine Aufteilung, die durch die feste Verwendung ergänzender Generalklauseln erschöpfenden Charakter besitzt 65 und auch durch einverständliches Zusammenwirken von Ober- und Unterstaat nicht abgeändert werden darf 6 6 , ist problematisch. Nach dem Baurechtsgutachten des Bundesverfassungsgerichts 67 lassen sich föderale Zuständigkeitsfragen regelmäßig nur aufgrund der i m Grundgesetz getroffenen ausdrücklichen Regelungen entscheiden 68 , eine umfassende Gesamtzuständigkeit für eine Materie läßt sich nicht aus einer Reihe von Einzelzuständigkeiten des i n Frage stehenden Bereichs folgern 6 9 , den Begriffen des „Sachzusammenhanges" und der „Natur der Sache" kommen bei der Entscheidung über Kompetenzen m i t Rücksicht auf die i m Grundgesetz enthaltenen Zuständigkeitsgeneralklauseln nur sehr eingeschränkte Bedeutung zu 7 0 . Vor allem aber jenseits dieser speziellen, aus der Eigenart des Bundesstaatsrechts begründeten Bedenken gegen eine lückenausfüllende Grundgesetzauslegung der angegebenen A r t i k e l gilt schon nach den allgemeinen Regeln juristischer Hermeneutik der Satz, daß die Lückenausfüllung nur dann zulässig ist, wenn eine echte Lücke 7 1 nachweisbar ist 7 2 , wenn sich eine offene regelungsbedürftige Frage nicht m i t den Mitteln genuiner Gesetzesauslegung beantworten läßt. Die Existenz einer Regelungslücke ist bei den oben dargestellten Versuchen, die Wehrhoheit des Bundes aus dem Inbegriff der wehrrechtlichen Regelungen des Grundgesetzes abzuleiten, vorausgesetzt, aber nicht nachgewiesen worden. Angesichts der Unvollständigkeit der wehrrechtlichen Spezialkompetenzzuweisungen an den Bund und der die Länder berechtigenden Spezialklauseln der A r t . 30 und 83 GG einerseits und Loewenstein, Wehrbeitrag I I , S. 346. a.a.O. 66 F ü r die Bundesrepublik siehe Maunz-Dürig, A r t . 20, Rz. 17 f.; vgl. auch Adamovich, S. 150 ff. «7 V o m 16. 6.1954, BVerfGE, Bd. 3, S. 407 ff. «8 a.a.O., S. 411. «» a.a.O., S. 419. 70 a.a.O., S. 420 f. 71 Vgl. Definitionen des allgemeinen Lückenbegriffs bei Engisch, S. 136, u n d Canaris, S. 198, u n d des hier speziell interessierenden Begriffs der Regelungslücke bei Larenz, S. 283: „Eine Regelungslücke liegt vor, w o eine Regel fehlt, deren Vorhandensein nach dem Grundgedanken und der i m manenten Teleologie der gesetzlichen Regelung erwartet werden kann." 72 Larenz, S.279; Engisch, S. 146. 65
4 Sachau
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. Kap.: Die
e t im Kompetenzsystem des Grundgesetzes
dem natürlichen Interesse der Bundesrepublik — wie es sich mittelbar auch aus den den Bund betreffenden wehrrechtlichen Organisationsbestimmungen ergibt — an der größtmöglichen Einheitlichkeit und Schlagkraft ihrer Streitkräfte andererseits erscheint die Generalzuständigkeit des Bundes für den materiellen Bereich der Verteidigimg als i n der dem Grundgesetz immanenten Teleologie angelegt 73 , als eine notwendige Regelung. Fehlt i m Grundgesetz jedoch wirklich diese als notwendig erachtete Zuständigkeitsregelung? Die bisherigen Darlegungen haben zwar gezeigt, daß sich aufgrund der einzelnen durch die Wehrrechtsnovellen eingeführten bzw. geänderten Bestimmungen ein ausschließlicher Anspruch des Bundes auf die Wehrhoheit nicht begründen läßt, es ist aber noch nicht untersucht worden, ob nicht andere Bestimmungen des Grundgesetzes durch die Wehrrechtsnovellen, durch die Begründung der Wehrhoheit für die Bundesrepublik, einen solchen i m Wege der Auslegung festzustellenden Bedeutungswandel erfahren haben, daß sich die offene Zuständigkeitsfrage eindeutig aus einer i m Wortlaut nicht geänderten Bestimmung beantwortet. Daß sich die Bedeutung gesetzlicher Bestimmungen aufgrund der ständigen Veränderungen der Wirklichkeit, zu der sie i n einem vernünftigen Bezug stehen sollen, wandeln kann, ist i n der juristischen Auslegungslehre anerkannt 7 4 . Auch Gesetzesänderungen sind solche Veränderungen der Wirklichkeit, die kraft des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnimg, dem hermeneutischen Prinzip, bei jeder Einzelauslegung die Gesamtrechtsordnung als einheitliches, sinnvolles, möglichst widerspruchsfreies Regelungssystem i m Blick zu behalten 75 , den Bedeutungswandel anderer unveränderter Gesetzesbestimmungen herbeiführen können 7 6 . Die Wehrrechtsnovellen stellten einen besonders schweren Eingriff i n das bundesstaatliche, demokratische Verfassungssystem des Grundgesetzes dar 7 7 ; es liegt daher der Gedanke nahe, daß die ausdrücklichen Änderungen und Ergänzungen auf den Sinngehalt einzelner dem Wortlaut nach unverändert gebliebener Bestimmungen einwirkten, deren Bedeutung modifizierten. 73
Larenz, a.a.O. Engisch, S. 90; Larenz, S. 261 ff.; Maunz, S. 57; BVerfGE Bd. 2, S.401, Bd. 3, S. 422, Bd. 7, S. 351. — Hierzu u n d zum folgenden ausführlich unten § 10 Abschnitt I V , 4. 7 « Engisch, S. 156 ff. 76 Engisch, S. 90. 77 Z u der den B u n d einseitig begünstigenden Kräfteumverteilung durch die Wehrrechtsnovellen u n d zu den natürlichen Spannungen zwischen demokratischer Verfassung u n d Wehrverfassung, sowie dem Versuch eines Ausgleichs dieser Spannungen i m Grundgesetz vgl. die Arbeiten v o n Lepper, Die verfassungsrechtliche Stellung der militärischen Streitkräfte i m gewaltenteilenden Rechtsstaat, 1962, u n d Martens, Wehrhoheit u n d Grundgesetz, 1961. 74
§ 2. Die Wehrhoheit der Bundesrepublik nach dem Grundgesetz
51
Es soll i m folgenden die von Berber aufgestellte These 78 vertreten werden, daß sich m i t der Beanspruchung der Wehrhoheit für die Bundesrepublik durch die Wehrrechtsnovellen der Jahre 1954 und 1956 die Bedeutung des A r t . 32 Abs. 1 GG, der dem Bund die Generalkompetenz zur „Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten" zuweist, dahin erweitert hat, daß sie nicht nur die Gestaltung der auswärtigen Beziehungen m i t friedlich-diplomatischen Mitteln, die sogenannte Auswärtige Gewalt, sondern auch die Gestaltung der auswärtigen Beziehungen mit gewaltsam-militärischen Mitteln, die Wehrhoheit, umfaßt, nämlich nach seiner weiten Wortfassung nach wie vor den Inbegriff aller überhaupt stattfindenden unmittelbaren Beziehungen zum Ausland. Bei solcher Auslegung des A r t . 32 Abs. 1 GG, deren Begründung und Rechtfertigung Gegenstand dieser Arbeit ist, stellt die Verteidigimg aufgrund ausdrücklicher grundgesetzlicher Regelung eine umfassende, ausschließliche Gesamtzuständigkeit des Bundes dar, so daß sich, u m dieses Ergebnis zu begründen, Versuche rechtsfortbildender Lückenausfüllung auf schwankenden Fundamenten nach der oben 79 dargestellten A r t erübrigen.
78 Siehe Berber, Polizei (Vortrag), S. 117 f. (zitiert oben Einleitung, A b schnitt 1, Abs. 3). 7® Oben, Abschnitt I V .
4*
Zweites
Kapitel
Der Bepiff der Auswärtigen Gewalt und seine Verwendung im bundesstaatlichen Kompetenzsystem des Grundgesetzes § 3. Der]Begriff der Auswärtigen Gewalt Die Auswärtige Gewalt ist ein besonderer Ausschnitt aus der Gesamtheit der Staatstätigkeiten i m Rahmen einer materiellen Gewaltenunterscheidung 1 . Auswärtige Gewalt ist der Teilbereich der Staatstätigkeit, der der Gestaltung der unmittelbaren Beziehungen zu anderen Völkerrechtssubjekten gewidmet ist. 1. Auswärtige
Gewalt als ein nach außen gewendetes Hoheitsrecht
Die Auswärtige Gewalt ist ein nach außen gewendetes Hoheitsrecht. Dadurch, daß sie nach außen w i r k t und sich entfaltet, unterscheidet sie sich von der übrigen Staatstätigkeit. Dies m i t aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht zu haben, ist ein besonderes Verdienst der verschiedenen Untersuchungen, die Wolgast 2 den Problemen der Auswärtigen Gewalt gewidmet hat. So sagt Wolgast: „ . . . Staatsgewalt entfaltet sich i n oberster Unterscheidung nach außen und nach innen als auswärtige und als innere Gewalt 3 ." „Die auswärtige Gewalt ist die Staatsgewalt, sofern diese die Abscheidung eines souveränen Gemeinwesens nach außen bewirkt und dessen Beziehungen nach außen wahrnimmt 4 ." „Auswärtige Gewalt ist diejenige Fähigkeit des Staates, zur auswärtigen Welt i n Beziehung zu treten und gemäß dem auswärtigen Interesse die Rechtsordnimg zu bestimmen, d.i. als 1 Z u m Begriff u n d der F u n k t i o n der materiellen Gewaltenunterscheidung siehe oben § 1, Abschnitt I. 2 Die auswärtige Gewalt des Deutschen Reiches, i n AöR n.F. 5, S. 1 ff.; Auswärtige Verwaltung, i n Handbuch der Rechtswissenschaft; Die auswärtige Gewalt der Bundesrepublik, Aussprachebeitrag i n W D S t R V , Heft 12, S. 221 ff.; Die Rückständigkeit der Staatslehre, Studien zur Auswärtigen Gewalt des Staates, 1956. 3 Wolgast , W D S t R L , Heft 12, S. 222. 4 Wolgast , a.a.O., S. 221, u n d Rückständigkeit der Staatslehre, S. 36.
§ 3. Der Begriff der Auswärtigen Gewalt
53
diejenige Gewalt, welche die durch die äußeren Verhältnisse des Staates gegebenen Staatsfunktionen wahrnimmt 5 ." Die Funktion der Auswärtigen Gewalt, den eigenen Staat zu anderen Völkerrechtssubjekten in Beziehung zu setzen, kommt i n den meisten Begriffsbestimmungen deutlich zum Ausdruck. So sagt Haenel, der den Ausdruck „Auswärtige Gewalt" i n einer Kapitelüberschrift seines Staatsrechts 6 i n die deutsche Staatsrechtslehre eingeführt hat 7 : „ Z u nächst ist dies eine lediglich nach außen gewandte Tätigkeit. Sie nimmt unmittelbar die Staatsgewalt des auswärtigen Staates zum Gegenstande. Sie entfaltet sich i n den wechselseitigen Einwirkungen, welche die Staaten als Einheiten der Völkerrechtsgemeinschaft aufeinander ausüben." Und Maunz 8: „Die auswärtige Gewalt i s t . . . die Zuständigkeit über die auswärtigen Angelegenheiten zu entscheiden... Unter auswärtigen Angelegenheiten sind demnach die Beziehungen zu verstehen, die sich aus der Stellung der Staaten i n der Völkerrechtsgemeinschaft ergeben." Harupa 9: „Auswärtige Gewalt ist der Teilbereich der Staatsgewalt, i n dem sich die Tätigkeit der Staatsorgane unmittelbar völkerrechtlich auswirkt." I n einem Punkt allerdings erscheinen die Formulierungen von Haenel als zu eng und überholt: Haenel betrachtet als Gegenstand der Auswärtigen Gewalt die Gestaltung der Beziehungen zu anderen Staaten; Staaten allein erscheinen i h m als mögliches Gegenüber für den Staat als Rechtsperson. Inzwischen, i m Gefolge der beiden Weltkriege, haben sich die Erscheinungen des rechtlichen „Außen" gegenüber den Staaten, den Rechtsträgern des Völkerrechts, differenziert. Neben die Staaten als geborene und generelle Völkerrechtssubjekte sind einzelne Körperschaften und für begrenzte Zusammenhänge auch Individuen als geborene und spezielle Völkerrechtssubjekte getreten 10 . Soweit die Letzteren zur Teilnahme am internationalen Verkehr berechtigt sind, sind auch sie Gegenstand der Auswärtigen Gewalt der Staaten. Das dürfte bis heute nur für einzelne Körperschaften, wie vor allem für die Vereinten Nationen und die ihnen angeschlossenen Spezialorganisationen, nicht aber für Privatpersonen gelten 11 . 5
Wolgast, AöR n.F. 5, S. 5 u n d S. 74. « Haenel, Deutsches Staatsrecht, Band 1, 1892, S. 531. 7 Haenel, S. 532. ® Maunz-Dürig, A r t . 32, Rz. 1. ® Harupa, S. 104. Siehe Berber, Lehrbuch I, S. 113. 11 Siehe a.a.O., S. 265. — Vgl. hierzu u n d z u m Vorhergehenden auch die Definition der Auswärtigen Gewalt von Mosler i m Staatslexikon unter „Auswärtige Gewalt" 1,1: „Auswärtige Gewalt ist die verfassungsrechtliche Zuständigkeit, über die auswärtigen Angelegenheiten eines Staates zu ent-
54 2. Kap.: Die Auswärtige Gewalt im Kompetenzsystem des Grundgesetzes 2. Gestaltung der Rechts- und Verkehrsbeziehungen zu anderen Völkerrechtssubjekten als der Gegenstand der Auswärtigen Gewalt Die Auswärtigen Angelegenheiten als Sachbereich der Auswärtigen Gewalt sind i n ihrem Kern — wie es bei Beziehungen zwischen juristischen Perosnen nicht anders zu erwarten ist — Rechtsbeziehungen, Beziehungen, die der Ordnung des Völkerrechtes unterstehen. Die Akte der Auswärtigen Gewalt sind vorwiegend rechtswirksame Handlungen, juristische Handlungen. I m Mittelpunkt aller Vorstellungen stehen die völkerrechtlichen Verträge, bilaterale und multilaterale Verträge, rechtsetzende und rechtsgeschäftliche Verträge, Staatsverträge und Verwaltungsabkommen 12 . Tatsächlich gehen von der Auswärtigen Gewalt der Staaten rechtsgeschäftliche und Rechtshandlungen aller A r t aus. Berber stellt den zwei- und mehrseitigen Willenserklärungen, Verträgen und Beschlüssen einseitige völkerrechtliche Rechtsgeschäfte von dreifacher A r t gegenüber 13 : selbständige Rechtsgeschäfte (Anerkennung, Erklärung, Notifikation, Protest, Verzicht, Vorbehalt, Widerruf, Zustimmung), von anderen Rechtsgeschäften abhängige Rechtsakte (Antrag, Annahme, Adhäsion, Anfechtung, Kündigung, Rücktritt, Ratifikation) und Rechtshandlungen, bei denen die Rechtswirkung unabhängig vom Willen der Beteiligten eintritt (Okkupation, Dereliktion, Aufnahme diplomatischer Beziehungen, unerlaubte Handlungen). Trotz dieser Vielfalt der juristischen Handlungsarten, die der Auswärtigen Gewalt zur Gestaltung der auswärtigen Beziehungen an die Hand gegeben sind und von ihr genutzt werden, ist die oben angeführte Definition der Auswärtigen Gewalt von Harupa, daß sie der Teilbereich der Staatsgewalt sei, i n dem sich die Tätigkeit der Staatsorgane unmittelbar völkerrechtlich auswirkt, zu beschränkt. Der Auswärtigen Gewalt ist die Gestaltung der Beziehungen zu den anderen Völkerrechtssubjekten vorbehaltslos und unumschränkt aufgegeben. Vieles vollzieht sich hier i n einem vorrechtlichten oder rechtsneutralem Raum, der jedoch keineswegs praktisch unbedeutend ist, sondern vielmehr der Bereich ist, i n dem sich häufig die sachlichen, juristisch fixierbaren Entscheidungen anbahnen. Gruß-, Glückwunschund Beileidstelegramme, freiwillige Notifikationen, Staatsempfänge, scheiden. Während die anderen Staatstätigkeiten ihre W i r k u n g innerhalb des persönlichen u n d territorialen Hoheitsbereiches der Staaten entfalten, bet r i f f t die auswärtige Gewalt den Verkehr des nach außen als geschlossener Gesamtverband auftretenden Staates m i t anderen Staaten, Staatenverbindungen und internationalen Organisationen." 12 Z u diesen u n d sonstigen Klassifizierungen der völkerrechtlichen V e r träge siehe Berber, Lehrbuch I, S. 414 ff. 13 So Berber, a.a.O., S. 406 f. m i t den angeführten Beispielen.
§ 3. Der Begriff der Auswärtigen Gewalt
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die Gestaltung der Situation der fremden Diplomaten i m Inland, ihre Beteiligung an offiziellen Veranstaltungen sind z.B. Vorgänge, die keinerlei rechtlicher Regelung unterliegen 14 . Meinungsaustausch, entscheidende Gespräche und Beratungen finden i n einer weitgehend rechtsfreien Sphäre statt. Es gibt zahlreiche Alltagskontakte, umfangreiche Verkehrsbeziehungen zwischen Völkerrechtssubjekten, die beliebig gestaltet werden können oder lediglich — ohne Rechtsverbindlichkeit — an die Regeln der Courtoisie gebunden sind 1 5 . Allerdings ist der Übergang von Courtoisie als werdendem oder abgesunkenem Recht 16 zu verbindlichem Völkerrecht fließend, aber insgesamt gilt, daß es einen rechtsindifferenten Raum i m Feld der auswärtigen Beziehungen, die der Auswärtigen Gewalt zur Gestaltung anvertraut sind, gibt.
3. Der akzessorische interne
Hoheitsbereich
der Auswärtigen
Gewalt
Auswärtige Gewalt ist der Teilbereich der Staatstätigkeit, der der Gestaltung der Beziehungen zu anderen Völkerrechtssubjekten gewidmet ist. Akte der Auswärtigen Gewalt sind diejenigen Handjungen, die unmittelbar gestaltend auf die auswärtigen Beziehungen einwirken. Die klare Abgrenzung der Souveränitätsrechte moderner Staaten gegeneinander und die genau umschriebenen Kompetenzen sonstiger Völkerrechtssubjekte ermöglichen die genaue Bestimmung des W i r kungsfeldes der Auswärtigen Gewalt, die Abhebung ihrer Akte von sonstiger staatlicher Tätigkeit. Die „Außenwirkung" w i r d — wie dargetan — als das konstituierende Moment der Auswärtigen Gewalt verstanden, es erscheint daher nicht als glücklich, aus Systematisierungsschwierigkeiten heraus vorschnell die gewonnene einleuchtende Ausgangsdefinition aufzugeben bzw. ihre klaren Umrisse aufzulösen, wie es z.B. bei Wolgast geschieht 17 : „Wenn nach allem ein Staat Auswärtige Gewalt besitzt, sofern er — i n weitestem Sinne — nach außen, insbesondere auswärtigen Staaten gegenüber, zu handeln imstande ist, so ist doch damit der Begriff der auswärtigen Gewalt noch nicht völlig entwickelt. Unter sich nicht ganz gleichartige Dinge schließt er ein. Zunächst ist es die Fähigkeit, nach außen Handlungen vornehmen zu können, die ihrer Natur nach nicht ohne „auswärtige" Gegenstände oder Personen i m Wortsinne stattfinden k ö n n e n . . . Dies
14 Siehe Berber,
a.a.O., S. 26 m i t weiteren Beispielen,
iß Siehe Berber, a.a.O., S.72f. 16 Siehe Dahm, Völkerrecht I, S. 33. 17 Wolgast, AöR n.F. Bd. 5, S. 6 f.
56 2.Kap.: Die Auswärtige Gewalt im Kompetenzsystem des Grundgesetzes Gebiet w i r d als dasjenige der echten völkerrechtlichen Hoheitsrechte bezeichnet. Daneben umfaßt der Begriff der Auswärtigen Gewalt die Fähigkeit, die innerstaatlichen Tatbestände herzustellen und Einrichtungen zu treffen, welche notwendig sind, damit die bezeichneten Handlungen nach außen stattfinden können. Für dieses Gebiet besteht die Bezeichnimg der äußeren Hoheitsrechte. Es umfaßt die Organisation des auswärtigen Dienstes, die Regelung der Rechtsstellung der empfangenen auswärtigen Agenten, die Legimitation der Organe zur Vertragsschließimg und die Bestimmung der Voraussetzungen für die innere staatsrechtliche Geltung der abgeschlossenen Staatsverträge... Die völkerrechtlichen und äußeren Hoheitsrechte weist der Staat wegen seiner Natur als einheitliches Phänomen... auf 1 8 ." Notwendig bedarf jeder Staat bestimmter Organe, u m auf die auswärtigen Beziehungen Einfluß zu nehmen; zur Verwirklichung der Auswärtigen Gewalt sind eine staatsinterne Organisation, Vorbereitungshandlungen und Prozeduren einer staatsinternen Willensbildung unerläßlich. Die Schaffung dieser internen Organisation und Vorbereitung aller nach außen wirkenden Handlungen als A k t e der Auswärtigen Gewalt i m engeren und eigentlichen Sinne zu betrachten, besteht jedoch keine Notwendigkeit. Gewalten und Hoheiten bezeichnen unterscheidend — wie oben entwickelt 1 9 — typische Sachbereiche staatlicher Tätigkeit als Grundlage für Kompetenzzuweisungen. Das Typische, Wesensbestimmende der Auswärtigen Gewalt aber ist die unmittelbare gestaltende Außenwirkung. Die tragende interne Organisation und die vorbereitenden Akte interner Willensbildung sind logisch und praktisch notwendige Voraussetzungen für jede auswärtige Wirkung, jedoch sind sie unselbständig und nur sinnvoll i n Hinsicht auf die Gestaltung Auswärtiger Angelegenheiten — man sollte sie deshalb als akzessorische Hoheitsfunktionen betrachten, die nicht den
18 Entsprechend u. a. Maunz-Dürig, A r t . 32, Rz. 2: „Auswärtige Gewalt w i r d teils durch A k t e i m internationalen Verkehr, teils durch innerstaatliche, auf auswärtige Angelegenheiten bezügliche A k t e ausgeübt. I m internationalen Verkehr treten hierfür Repräsentationsorgane eines Staates auf; das sind diejenigen Organe, die den Staat nach außen i n befugter Weise repräsentieren. I m innerstaatlichen Bereich treten diejenigen Organe auf, die zur Willensbildung des Staates i n auswärtigen Angelegenheiten berufen sind." U n d Mosler, Staatslexikon, „Auswärtige Gewalt" 1,2: „Die A k t e der auswärtigen Gewalt w i r k e n teils i m internationalen, teils i m innerstaatlichen Bereich. I m ersteren Sinn w i r d auswärtige Gewalt v o n den Repräsentationsorganen, die i m auswärtigen Verkehr rechtswirksam den Staat vertreten können, ausgeübt (formelle auswärtige Gewalt). I n der zweiten Bedeutung besitzen sie diejenigen Staatsorgane, die an der Willensbildung des Staates i n den auswärtgen Angelegenheiten beteiligt sind (materielle auswärtige Gewalt)." i» Oben § 1, Abschnitt I,
§ 3. Der Begriff der Auswärtigen Gewalt
57
Begriff, den Wesensgehalt der Auswärtigen ausmachen 20 . So stellt auch Haenel, der i n seinem Deutschen Staatsrecht nicht nur den Begriff der Auswärtigen Gewalt prägte, sondern darin auch die erste ausführlichere Behandlung ihrer Probleme bot und die von Wolgast übernommenen Begriffe der „völkerrechtlichen Hoheitsrechte" und der „äußeren Hoheitsrechte" schuf, diese nicht — wie es später i n der Rechtstheorie geschieht — gleichwertig nebeneinander, sondern weist die Außenwirkung als Ziel und Inhalt der Auswärtigen Gewalt auf und die auf sie bezogenen staatsinternen Funktionen als notwendige Voraussetzungen, die nur u m ihrer der Gestaltung der auswärtigen Beziehungen dienenden Funktion willen i n den spezifisch-auswärtigen Bereich der Staatsgewalt einzubeziehen sind 2 1 . Zur terminologischen Unterscheidung ließe sich auch von der Auswärtigen Gewalt i n engerem Sinne und der Auswärtigen Gewalt i n weiterem Sinne, von der wirkenden Auswärtigen Gewalt und der organisierenden-konzipierenden Auswärtigen Gewalt, von dem Gestaltungsbereich der Auswärtigen Gewalt und dem Organisations- und Willensbildungsbereich der Auswärtigen Gewalt sprechen 22 . 4. „Auswärtige
Verwaltung" als unzutreffende für die Auswärtige Gewalt
Bezeichnung
Nach Grewe w i r d der Ausdruck „Auswärtige Gewalt" alternierend m i t denen der „Auswärtigen Verwaltung" oder der „Verwaltung der Auswärtigen Angelegenheiten" gebraucht 23 . Es dürfte sich jedoch bei diesen Bezeichnungen um ältere und aus verschiedenen Gründen überholte Nomina handeln 2 4 . Laband definiert 2 5 : „Die Verwaltung der auswärtigen Angelegenheiten umfaßt die gesamte Tätigkeit des Reiches, um die Rechte und Interessen desselben anderen Staaten gegenüber oder die Rechte und Interessen von deutschen Reichsangehörigen i m Ausland zu wahren." Und Dochow 26: „Auswärtige Verwaltung ist die 20 Z u dem Begriff der notwendigen, dienenden, akzessorischen Hoheitsrechte, die jede Zuständigkeit f ü r einen Bereich materieller Staatsgewalt begleiten, siehe Krüger, Staatslehre, S. 925 ff. « Haenel, S. 53 ff. u n d S. 533. 82 Vgl. zu dieser Unterscheidung auch Schlochauer, S. 105: „ Z u den auswärtigen Angelegenheiten gehören alle Rechtsbeziehungen zwischen V ö l k e r rechtssubjekten, nicht dagegen die diesen Sachbereich betreffenden i n n e r staatlichen Vorgänge (z.B. Richtlinien des Bundeskanzlers f ü r die Außenpolitik, Staats Willensbildung bei einem völkerrechtlichen Vertragsschluß)." Grewe, W D S t R L , H e f t 12, S. 130. 24 Wolgast, AöR n.F. 5, S. 3: E i n zusammenfassender Name, nicht ein der N a t u r des Gegenstandes entsprechender Begriff! (Sinnzitat). Laband, Staatsrecht I I I , S. 1. 2 « Dochow, S. 101.
58 2. Kap.: Die Auswärtige Gewalt im Kompetenzsystem des Grundgesetzes Tätigkeit der Zentralbehörden zur Wahrnehmung der Interessen des Staates und seiner Angehörigen gegenüber dem Ausland und die Tätigkeit seiner Verwaltungsorgane i m Auslande. — Auswärtige Verwaltung ist gleichbedeutend mit Verwaltung der Auswärtigen A n gelegenheiten. Die Angelegenheiten der Verwaltung hören auf innere zu sein, sobald ihre Erledigung nicht ohne Verkehr mit dem Ausland oder nur i m Auslande vorgenommen werden kann." Die Akte der Auswärtigen Gewalt, die der Gestaltung der Beziehungen zu anderen Völkerrechtssubjekten dienen, sind keine echten Verwaltungsakte, weil sie sich nicht an die Gewaltunterworfenen des eigenen Staates wenden, sondern an souveräne Staaten oder für ihren Sachbereich autonome Körperschaften 27 . Auch ist Verwaltung i m engeren Sinne eine gesetzesvollziehende, gesetzesgebundene Tätigkeit, während die Maßnahmen der Auswärtigen Gewalt gesetzesungebunden sind und sich so als Ausdruck echter Regierungstätigkeit erweisen 28 . Wenn Laband und Bochow in ihren Definitionen besonders die Wahrnehmung der Interessen und Rechte einzelner Staatsbürger gegenüber dem Ausland herausstellen, so erscheint dies i m Hinblick auf die relativ ungeordnete Bedeutung dieser Funktion der Auswärtigen Gewalt als willkürlich und vermag auch sonst nicht den Ausdruck „Verwaltung" der Auswärtigen Angelegenheiten zu rechtfertigen. N i m m t der Staat die Rechte und Interessen seiner Bürger gegenüber dem Ausland i m Wege des diplomatischen Schutzes i n seine Hände, so tut er dies primär i n eigenem Interesse, häufig freiwillig, ohne damit zugleich einen Rechtsanspruch zu erfüllen 2 9 . Er identifiziert sich, wenn er es für tunlich hält, wenn er i n der Beeinträchtigung der Positionen seiner Bürger eine prinzipielle Beeinträchtigung der eigenen Position — rechtlich oder prestigemäßig — erblickt, m i t dem betroffenen Bürger, und der Bürger w i r d mit dem Staat identifiziert und t r i t t i n keiner Weise i n Erscheinung. Es handelt sich u m eine reine Staatenbeziehung 30 . Aus den Begriffsbestimmungen von Laband und besonders von Bochow muß ferner auffallen, daß das Wort „auswärtig" i n einem 27 Siehe W. Jellinek, S. 4. 28 O. Mayer, S. 9; Forsthoff, Lehrbuch, S. 13; Maunz-Dürig, A r t . 20, Rz.24; Stieneke, S. 41; Lepper, S. 87 m i t weiteren Nachweisen. 2» Siehe Berber, Lehrbuch I, S. 363; Guggenheim, S. 311. — Vgl. auch Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht I V , S. 36: „ B e i der auswärtigen V e r w a l t u n g handelt es sich i n — ihrem K e r n — u m Wirksamkeiten, die den Organismus des eigenen Staats überschreiten, u m ein Verhalten der Staatsorgane des Inlands gegenüber den Staatsorganen des Auslands u n d nur zufällig u m ein Verhalten, das private Interessen betrifft." 30 Berber, a.a.O.
§ 3. Der Begriff der Auswärtigen Gewalt
59
doppelten, äußerst unterschiedlichen Sinn gebraucht w i r d : auswärtige Verwaltung erscheint dort einmal als der Verkehr mit dem Ausland und zum anderen als Verwaltungstätigkeit, die im Ausland stattfindet. Eine solche zweifache Verwendung eines Wortes — personal und lokal — innerhalb derselben Begriffsbestimmung ist offenbar „unzulässig" 31 . Bei „Verwaltung i m Ausland" w i r d vor allem an die umfangreichen Rechts- und Amtshilfetätigkeit der Konsuln i m Ausland gedacht, bei der diese u.a. als Standesbeamte, Urkundspersonen, Schiedsrichter fungieren, Zeugen verhören, Eide abnehmen, Zustellungen bewirken, Pässe ausstellen können 3 2 . Solche Vorgänge verändern ihren Charakter als innere Verwaltung nicht dadurch, daß sie i m Ausland stattfinden 33 , sie werden ja auch nach den Rechts- und allgemeinen Verwaltungsvorschriften bewerkstelligt, die i m Staatsinnern für den jeweils angesprochenen Verwaltungsbereich gelten. Die angesprochenen Maßnahmen haben einen Doppelcharakter und sind nur deshalb als Akte der Auswärtigen Gewalt zu betrachten, weil sie als amtliche und z. T. hoheitliche Maßnahmen i m Ausland eine Beeinträchtigung fremder Gebietshoheit darstellen und nur aufgrund ausdrücklicher Duldung, d. h. aufgrund eines völkerrechtlichen Vorganges vorgenommen werden können 3 4 . Der Ausdruck „Auswärtige Verwaltung" als Synonym für Auswärtige Gewalt ist aber nicht nur deswegen ungeeignet, weil die Akte der Auswärtigen Gewalt, wie sie i m externen Bereich ergehen, nicht als Verwaltungsmaßnahmen qualifiziert werden können, sondern endlich auch weil die staatsinterne Basis, der Organisations- und Willensbildungsbereich, der Auswärtigen Gewalt über den Bereich der Exekutive hinausreicht. Zweifellos kennt der auswärtige Apparat 3 5 , die innere Organisation der Auswärtigen Gewalt, wie jeder Träger materieller Staatsgewalt ihr eigenes, wenn auch völlig eigenständiges Verwaltungsrecht. Dies Verwaltungsrecht ist aber peripher gegenüber der Frage nach den Hauptträgern der materiellen Auswärtigen Gewalt. Unter dem Eindruck der klassischen Gewaltenteilungslehre hat man die Auswärtige Gewalt der zweiten der drei formellen Gewalten zugeordnet, der Verwaltung oder Exekutive i m weiten Sinne als der Staatstätigkeit, die weder Gesetzgebung noch Rechtsprechung ist. Es blieb dabei unberücksichtigt, daß die materiellen Gewalten oder Hoheiten sich i n verschiedenen Formen der Staatstätigkeit v e r w i r k -
32 33 34 3«
Ä h n l i c h Wolgast, AöR n.F. 5, S. 3 Anm. 4. Dochow, S. 114. Neumeyer, AöR., Bd. 31 (1913) S. 122. O. Mayer, S.454; Berber, Lehrbuch I, S. 184. Wolgast, AöR. n.F. 5, S. 34.
60 2. Kap.: Die Auswärtige Gewalt im Kompetenzsystem des Grundgesetzes liehen können, daß die materielle Gewaltenunterscheidung quer zur formellen Gewaltenteilung verläuft 3 0 . Zumindest i n den parlamentarischen Demokratien ist der Beitrag der gesetzgebenden Körperschaften zur Willensbildung i n bezug auf die Akte der Auswärtigen Gewalt so stark, daß auch vom Aspekt der internen Gewaltenteilung her die Auswärtige Gewalt heute nicht als „Auswärtige Verwaltung" oder „Verwaltung der Auswärtigen Angelegenheiten" bezeichnet werden kann. Menzel bezeichnet die Auswärtige Gewalt von diesem Gesichtspunkt her zu Recht als „kombinierte Gewalt" 3 7 . 5. Beschränkung der Auswärtigen Gewalt auf die unmittelbare Gestaltung der auswärtigen Beziehungen Von den Akten der Auswärtigen Gewalt i m eigentlichen Sinne und den internen, organisatorischen und vorbereitenden Akten, den Akten der Auswärtigen Gewalt i m weiteren Sinne, sind sonstige Akte der Staatsgewalt zu unterscheiden, die, mittelbar auf die Beziehungen zum Ausland zu wirken, geeignet sind. Auswärtige Gewalt ist nicht jede die Beziehungen zum Ausland berührende Staatstätigkeit. Ein solcher Begriff wäre viel zu weit gefaßt und schwankend i n seinem Inhalt. Tatsächlich vermag jeder A k t der Staatsgewalt — Akte der internen Gesetzgebung, der Verwaltung und der Rechtsprechung i n jedem Bereich materieller Staatsfunktionen — tatsächliche und auch rechtliche, echte oder rein emotional bedingte Interessen des Auslandes zu berühren und so auch mittelbar den Stand der Beziehungen zum Ausland zu beeinflussen. Die Bedeutung solcher mittelbaren Gestaltung der auswärtigen Beziehungen kann bei der wachsenden rechtlichen Verflechtung der Staatsbeziehungen, aber auch aufgrund der vorhandenen ideologischen Gegensätze und der aus ihnen resultierenden geschärften, mißtrauischen Beobachtimg völlig interner Vorgänge nicht unterschätzt werden. Sie zwingt zu einer sorgfältigen gegenseitigen Abstimmung von Innen- und Außenpolitik. Wollte man aber solche mittelbaren Wirkungen auf die auswärtigen Beziehungen von Fall zu Fall als Akte der Auswärtigen Gewalt begreifen, so hieße das, den scharf definierten Begriff der Auswärtigen Gewalt jeder Dieses Beziehungssystem der materiellen u n d formellen Gewalten schließt es aus, die Auswärtige Gewalt trotz ihrer herausgehobenen Stellung als vierte Gewalt zu betrachten; die interne Staatsorganisation kennt v o n der typischen F u n k t i o n her n u r drei Gewaltträger. Vgl. dazu Maunz-Dürig, A r t . 32, Rz. 1: „Die auswärtige Gewalt ist keine zu den drei klassischen Gew a l t e n hinzutretende vierte Gewalt." Menzel, W D S t R L , H e f t 12, S. 183; Mosler, Staatslexikon, „Auswärtige Gewalt" I I I , 1; a.A. Angerer. Menzel, W D S t R L , H e f t 12, S. 191 f.; derselbe, AöR, Bd. 79, S.374; Baade, S. 174; Mosler, Thoma-Festschrift, S. 149; a.A. Grewe, W D S t R L , Heft 12, S. 130 ff.
§ 3. Der Begriff der Auswärtigen Gewalt
61
Bestimmtheit und Brauchbarkeit als Einteilungsbegriff i m Rahmen der materiellen Gewaltenunterscheidung zu berauben 38 . Soll der Begriff der Auswärtigen Gewalt als Grundlage für Kompetenzzuweisungen taugen, so muß es bei der eingangs gegebenen oder einer entsprechenden Definition bleiben: Auswärtige Gewalt ist der Teilbereich der Staatstätigkeit, der der unmittelbaren Gestaltung der Beziehung zu anderen Völkerrechtssubjekten gewidmet ist 3 9 . 6. Auswärtige
Gewalt und Völkerrecht
Obwohl die Auswärtige Gewalt ganz auf die Beziehungen zu anderen Völkerrechtssubjekten ausgerichtet ist, ist sie ein Begriff des Staatsrechts, Auswärtige Gewalt ist ein ausgegrenzter Bereich materieller Staatsgewalt 40 . Sie beruht auf dem jedem Staate immanenten, aus keiner speziellen Völkerrechtsnorm abgeleiteten Recht auf äußere Selbstbestimmung 41 . Allerdings findet dieses Recht zur freien Gestaltung der Beziehungen zu anderen Völkerrechtssubjekten seine Schranken i n der Völkerrechtsordnung, dem allgemeinen Völkerrecht und der daraus abgeleiteten Verbindlichkeit eingegangener vertraglicher Verpflichtungen 42 . Auch die Formen für die Gestaltung der völkerrechtlichen Beziehungen, die Voraussetzungen, unter denen die Akte der Auswärtigen Gewalt Rechtswirksamkeit erlangen, bestimmt das Völkerrecht 4 3 . Für die Ausgestaltung der Vertretungsverhältnisse verweist es weitgehend auf das Verfassungsrecht der einzelnen Staaten zurück, das z.T. stark voneinander abweicht 44 . Die Beziehungen der Auswärtigen Gewalt zum Völkerrecht lassen sich i n der folgenden Definition der Auswärtigen Gewalt zusammenfassen: Auswärtige Gewalt ist der Teil der Staatsgewalt, der sich unter der unmittelbaren Herrschaft des Völkerrechts verwirklichen muß. 38 Falk, S. 9. 3® Vgl. K.H.Klein , S. 50 A n m . 16: „Es w i r d nicht schon ein Staatsakt zur auswärtigen Gewalt, w e i l er Nebenwirkungen auf das Verhältnis zwischen B u n d u n d einer auswärtigen Macht hat." 40 Wolgast, AöR n.F. 5, S. 5: „Sie ist Staatsgewalt, i h r Recht ist Staatsrecht, ihre Organisation Staatsorganisation, ihre F u n k t i o n Staatsfunktion, i h r Zweck Staatszweck." 41 Siehe Berber, Lehrbuch I, S. 179 f. u n d 181 ff. 42 Z w a r sind die staatlichen Organe, w e n n das innerstaatliche Recht nichts anderes bestimmt, nicht unmittelbar an das Völkerrecht gebunden, aber die rechtserheblichen A k t e der staatlichen Auswärtigen Gewalt sind nach V ö l kerrecht zu bewerten u n d den Staaten zuzurechnen. Ausgangspunkt der Betrachtung des Verhältnisses zwischen Landesrecht u n d Völkerrecht ist nach der gegenwärtigen Lage der internationalen Beziehungen die dualistische These. So Berber, Lehrbuch I, S. 95; vgl. auch oben § 1 Abschnitt I I , 1. 43 Mosler, Staatslexikon, „Auswärtige Gewalt" I I . 44 Berber, Lehrbuch I, S. 91 f. u n d S. 267.
62 2. Kap.: Die Auswärtige Gewalt im Kompetenzsystem des Grundgesetzes
§ 4. Die Auswärtige Gewalt der Bundesrepublik nach dem Grundgesetz I. Uberblick über die die Auswärtige Gewalt berührenden Bestimmungen des Grundgesetzes 1. Die Inanspruchnahme der Auswärtigen Gewalt für die Bundesrepublik und ihre Überweisung als Gesamtzuständigkeit an den Bund I m Zentrum aller die Auswärtige Gewalt der Bundesrepublik berührenden Grundgesetzbestimmungen steht der umfassende Art. 32 Abs. 1 mit dem Wortlaut: „Die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten ist Sache des Bundes." Durch diesen Satz werden ausdrücklich verfassungsrechtlich für die Bundesrepublik die nach außen gerichteten Hoheitsrechte, die Befugnis zur freien Gestaltung der Beziehungen zu anderen Völkerrechtssubjekten, i n Anspruch genommen und als eigenständiger staatlicher Tätigkeitsbereich — dem der Auswärtigen Gewalt — dem Bund zur ausschließlichen Zuständigkeit zugewiesen. A r t . 32 Abs. 3 enthält die einzige Zuständigkeitseinschränkimg des Grundgesetzes für die dem Bund i n A r t . 32 Abs. 1 zugewiesene globale Kompetenz. Er gewährt den Ländern i m Rahmen ihrer Gesetzgebungszuständigkeiten das Recht, m i t auswärtigen Staaten Verträge abzuschließen, wobei i n materieller Hinsicht allerdings auch hier der Grundsatz der ausschließlichen Bundeszuständigkeit für die Auswärtigen Angelegenheiten durch das Erfordernis der Zustimmung der Bundesregierung gesichert ist. 2. Der akzessorische Organisations - und Willensbildungsbereich der Auswärtigen Gewalt Der A r t . 32 Abs. 1 zusammen m i t der Einschränkung des A r t . 32 Abs. 3 stellen die erschöpfende Regelung der Auswärtigen Gewalt i m engeren Sinne dar. Sie bezeichnen die Gestaltung der Beziehungen zu anderen Völkerrechtssubjekten als eigenen Bereich staatlicher Tätigkeit und weisen diesen i m wesentlichen dem Bund als ausschließliche Kompetenz zu. Die übrigen Regelungen des Grundgesetzes, die die Auswärtige Gewalt berühren, betreffen die Ausgestaltung des akzessorischen internen Hoheitsbereiches, den Organisations- und Willensbildungsbereich der Auswärtigen Gewalt. Sie gewähren den Ländern kraft ausdrücklicher Regelung i n diesem Bereich einen beschränkten, mittelbaren Einfluß, der ihnen aufgrund der umfassenden
§ 4. Die Auswärtige Gewalt der Bundesrepublik nach dem Grundgesetz 63 Zuständigkeit des Bundes für die Auswärtige Gewalt i m engeren Sinne sonst nicht zukäme. Sie teilen die internen Befugnisse zwischen den Gewaltträgern der drei formellen Gewalten und regeln das Vertretungsrecht und die Organisation des Auswärtigen Dienstes. Die wichtigsten Bestimmungen sind die folgenden: a) A r t . 59 Abs. 1 begründet die Stellung des Bundespräsidenten als Hauptrepräsentationsorgan der Bundesrepublik Deutschland. b) Nach Art. 65 S. 1 und 2 bestimmt der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik und leitet jeder Minister (so auch der Außenminister) seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung. c) A r t . 59 Abs. 2 setzt fest, daß die Verträge, die die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, der Zustimmung oder der M i t w i r k u n g von Bundestag und Bundesrat in der Form von Bundesgesetzen bedürfen, nach den Grundsätzen, die für die Bundesgesetzgebung gelten. Für Verwaltungsabkommen w i r d entsprechend auf die Vorschriften über die Bundesverwaltung verwiesen. d) Gemäß A r t . 24 Abs. 1 kann der Bund durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. e) I n A r t . 32 Abs. 2 ist vorgesehen, daß vor dem Abschluß eines Vertrages, der die besonderen Verhältnisse eines Landes berührt, das Land rechtzeitig zu hören ist. f) A r t . 73 Abs. 1 gewährt dem Bund die ausschließliche Gesetzgebung über die auswärtigen Angelegenheiten. g) Laut Art. 87 S. 1 w i r d der Auswärtige Dienst i n bundeseigener Verwaltung geführt. h) Durch Art. 45 a, der erst durch die zweite Wehrrechtsnovelle vom 19. 3.1956 i n das Grundgesetz eingeführt wurde, wurde als besonderes Parlamentarisches Kontrollorgan der Ausschuß für Auswärtige A n gelegenheiten geschaffen.
3. Inhaltliche Ausrichtung und Beschränkung der Auswärtigen Gewalt Die Auswärtige Gewalt ist nach allgemeiner Staatslehre die freie Gestaltungsbefugnis eines Staates hinsichtlich der auswärtigen Beziehungen, gebunden nur an das allgemeine Völkerrecht und besondere
64 2. Kap.: Die Auswärtige Gewalt im Kompetenzsystem des Grundgesetzes völkerrechtliche Verträge 1 . Als solche ist sie i m Rahmen der Zuständigkeitskonkurrenz zwischen Bund und Ländern — m i t der Ausnahme des Art. 32 Abs. 3 — durch A r t . 32 Abs. 1 i n umfassender Weise dem Bund zugewiesen worden. I n ihrer Wahrnehmung ist sie aber materiellrechtlich eingeschränkt durch den Versuch des Verfassungsgebers, i n einer A r t Selbstbindung der Außenpolitik der Bundesrepublik eine gewisse Ausrichtung und Einschränkung aufzuerlegen. Die Außenpolitik gehört sowohl dem Wirkungsbereich als auch dem Willensbildungsbereich der Auswärtigen Gewalt, der Auswärtigen Gewalt i m eigentlichen Sinne als auch ihrem weiteren Begriffsbereich zu: „Die Außenpolitik w i r d zur auswärtigen Angelegenheit, wenn die innerstaatliche Willensbildung vollendet ist und für den Staat i m internationalen Bereich gehandelt w i r d 2 . " Die bezogenen Regelungen sind die folgenden: a) Art. 24 Abs. 2 und 3 setzt einige unverbindliche Richtlinien für die Gestaltung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik und exemplifiziert damit gleichzeitig den Inhalt des durch A r t . 32 Abs. 1 in Anspruch genommenen Hoheitsrechts: nach Abs. 3 des Artikels w i r d der Bund Vereinbarungen über eine allgemeine, umfassende, obligatorische, internationale Schiedsgerichtsbarkeit beitreten; nach Abs. 2 kann sich der Bund zur Wahrung des Friedens einem System kollektiver Sicherheit einordnen und dabei i n die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen. b) Die Präambel des Grundgesetzes proklamiert als politische Zielvorstellungen die Wahrung der nationalen und staatlichen Einheit i n Freiheit auf der Grundlage freier Selbstbestimmung und dem Frieden der Welt als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa zu dienen. c) Art. 146 visiert als Ziel die Derogation des Grundgesetzes durch eine von dem deutschen Volke i n freier Entscheidung beschlossene Verfassung an. d) Art. 26 erklärt Handlungen, die geeignet sind und i n der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, für verfassungswidrig und damit auch die Führung eines Angriffskrieges für verfassungswidrig. Die in Art. 26 bezeichneten Handlungen sind nach dieser Bestimmung unter Strafe zu stellen.
1 Siehe oben S. 61 A n m . 42. 2
Mosler, Staatslexikon, „Auswärtige Gewalt" I, 1.
§ 4. Die Auswärtige Gewalt der Bundesrepublik nach dem Grundgesetz 65 II. Entstehungsgeschichte und Inkrafttreten des Art. 32 Abs. 1 GG als der zentralen Regelung der Auswärtigen Gewalt im Grundgesetz 1. Vorgeschichte der Beratungen
zum Grundgesetz
Durch die der militärischen Kapitulation der deutschen Reichsregierung vom 8. Mai 1945 folgenden Akte der Besatzungsmächte wurde die völkerrechtliche Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches suspendiert 3 . M i t den Berliner Viermächte-Erklärungen vom 5. Juni 1945 übernahmen die Alliierten unter Berufung auf kriegerisches Besatzungsrecht die „oberste Gewalt i n Deutschland": „ A l l e deutschen Behörden und das deutsche Volk haben den Forderungen der Alliierten bedingungslos nachzukommen." Ein Teil des deutschen Staatsgebietes wurde i n vier Besatzungszonen aufgeteilt und von den Alliierten einzeln und zum Teil zunächst gemeinsam durch einen Kontrollrat verwaltet. Der Kontrollrat löste sämtliche Missionen und Konsulate im Ausland auf. I m Inland konnten sich auf allen Ebenen staatlichen Handelns m i t Rücksicht auf die zentral gelenkten intensiv arbeitenden Behörden der Besatzungsmächte deutsche Initiativen nur verwirklichen, soweit sie von den Besatzungsmächten zugelassen oder gebilligt waren; die Entwicklung der deutschen Selbstverwaltung auf Gemeinde und Kreisstufe und die Entstehung von Ländern mit eigenstaatlichen — so i m amerikanischen, britischen und französischen Besatzungsgebiet — oder auch nur höheren Verwaltungsfunktionen — so i m sowjetischen Besatzungsgebiet — nahm i n den einzelnen Besatzungszonen einen zeitlich und organisatorisch sehr unterschiedlichen Verlauf. A u f zonaler Ebene entstanden als deutsche Funktionsträger am 17.10.1945 der Länderrat der amerikanischen Zone, am 15.12.1946 der Zonenbeirat i m britischen Besatzungsgebiet und am 4. 6.1947 die ständige W i r t schaftskommission i n der Sowjetzone. A b Herbst 1946 wurden zwischen der amerikanischen und britischen Besatzungszone auch bizonale Einrichtungen geschaffen, aus denen eine gemeinsame Wirtschaftsverwaltung sich entwickelte mit dem am 29. 5.1947 errichteten Wirtschaftsrat und Exekutivrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes und dem Obergericht für die Bizone i n Köln. Das Bemühen u m eine Entscheidung über das weitere Schicksal Gesamt-Deutschlands auf der Londoner Außenministerkonferenz i m Herbst 1947 führte zu keiner Übereinstimmung. Die i m Gefolge dieser Konferenz steigenden Schwierigkeiten » Hierzu u n d zum folgenden siehe Maunz, S. 1 ff., u n d Schlochauer, S. 7 f. — Z u r Debellationstheorie u n d ihrer K r i t i k siehe Blumenwitz, S. 72 u n d S. 75 ff. 5 Sachau
66 2. Kap.: Die Auswärtige Gewalt im Kompetenzsystem des Grundgesetzes der Zusammenarbeit zwischen den drei westlichen Besatzungsmächten und der Sowjetunion bedingten die unbefristete — und i m Ergebnis endgültige — Vertagung des durch Proklamation vom 30. August 1945 geschaffenen Kontrollrats. Der Weg zum Zusammenschluß der ursprünglich elf westdeutschen Länder zu einem Bundesstaat wurde durch eine i n London von Februar bis Juni 1948 zwischen Belgien, Frankreich, Großbritannien, Luxemburg, den Niederlanden und den Vereinigten Staaten geführte Sechsmächtebesprechung eingeleitet 4 . Den Ministerpräsidenten der drei westlichen Besatzungszonen wurden am 1.7.1948 aufgrund der Londoner Beschlüsse durch die Militärgouverneure die drei „Frankfurter Dokumente" übergeben. Dokument I hatte zum Ziel eine verfassungsgebende Nationalversammlung für das Gebiet der elf Länder spätestens auf den 1. 9.1948 einzuberufen. A m 25.7.1948 bestellte die Ministerkonferenz der drei Westzonen einen Ausschuß von Sachverständigen für Verfassungsfragen, den sogenannten „Verfassungskonvent von Herrenchiemsee", mit dem Auftrag, einen Grundgesetzentwurf als Beratungsgrundlage vorzulegen. A m 26.7.1948 vereinbarten die Ministerpräsidenten die Errichtung eines „Parlamentarischen Rates" zur Schaffung der „rechtlichen Grundlagen für eine Gemeinschaft der Länder". Trotz der beschränkten Hoheitsrechte, die zu jener Zeit den Ländern zu Gebote standen, trotz der wiederholten Einflußnahmen von alliierter Seite während der Vorverhandlungen des Parlamentarischen Rates, trotz des beschränkten Charakters des von den Alliierten erteilten Auftrags konzipierten der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee i n seinem Entwurf und der Parlamentarische Rat auf der Grundlage dieses Entwurfes mit allen Vorbehalten der Vorläufigkeit eine Vollverfassung, die insbesondere für den projektierten Bundesstaat die Kompetenz zur Gestaltung der Beziehungen zu auswärtigen Staaten — i n wenn zum Teil auch i n unvollkommener Weise — i n Anspruch nahm. 2. Die Beratungen
des Verfassungskonvents
A r t . 41 des Herrenchiemsee-Entwurfs ist die Bestimmung, aus der A r t . 32 des Grundgesetzes erwachsen ist 5 . Diese Bestimmung beschäftigt sich ausschließlich m i t der Verteilung der Vertragschließungskompetenzen zwischen Bund und Ländern, soweit sie den Gesetzgebungsbereich berühren. A r t . 41 Abs. 1 HChE lautet: „Die Zuständig4 Hierzu u n d zum folgenden siehe Maunz, S. 6 ff., u n d Schlochauer, S. 8. Siehe Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee v o m 10. — 23. August 1948, A r t i k u l i e r t e r Teil, S. 61 ff. 5
§ 4. Die Auswärtige Gewalt der Bundesrepublik nach dem Grundgesetz 67 keit, Verträge m i t auswärtigen Staaten zu schließen, richtet sich nach der Zuständigkeit für die Gesetzgebung." Dies ist die Formulierung des Abgrenzungsgrundsatzes, den die herrschende Meinung der Weimarer Zeit zu der strittigen föderalen Kompetenzfrage aus Art. 78 Abs. 1 und 2 W V ableitete. Abs. 2 und 3 des A r t . 41 HChE behandeln m i t starker Betonimg des Ubergewichts des Bundes 6 die gegenseitige Beteiligung an den Vertragsschließungsverfahren, vom Bund an den Verfahren der Länder und umgekehrt. Hier i n A r t . 41 HChE wie an anderer Stelle fehlt ein Hinweis auf die Auswärtige Gewalt als umfassender auswärtiger Gestaltungskompetenz, die weit über an Gesetzgebungszuständigkeiten gebundene Vertragsschließungsrechte hinausgeht, etwa nach dem Vorbild des A r t . 71 Abs. 1 W V : „Die Pflege der Beziehungen zu den auswärtigen Staaten ist ausschließlich Sache des Reichs." I n der Bemühung, das zur Zeit der Weimarer Zeit strittige Problem der Verteilung der Vertragsschlußkompetenzen klar zu beantworten, hat man die differenziertere rechtliche Struktur, die jede Gestaltung der auswärtigen Beziehungen aufweist, ganz außer acht gelassen oder aber gemeint, daß sich durch Spezialregelungen wie z.B. Repräsentationsrecht des Bundespräsidenten oder die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes für auswärtige Angelegenheiten, die I n anspruchnahme der Auswärtigen Gewalt als eines umfassenden und geschlossenen Hoheitsbereiches für den Bund erübrigen würde. 3. Die Beratungen
des Parlamentarischen
Rates
Während der Beratungen i m Parlamentarischen Rat, zur zweiten Lesung i m Hauptausschuß, seiner 30. Sitzung vom 6.1.1949, lag ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion vor, den Abs. 1 des A r t . 41 HChE noch enger zu fassen 7: „Soweit die Länder für die Gesetzgebung zuständig sind, können sie mit auswärtigen Staaten Verträge schließen." Der Abgeordnete Dr. Höpker-Aschoff (FDP) erhob — sehr zu recht — gegen diese Formulierung Bedenken, weil i n ihr die Zuständigkeit des Bundes, Verträge abzuschließen, überhaupt nicht mehr erwähnt sei. A u f den Hinweis des Abgeordneten Dr. v. Mangoldt (CDU), daß 6 Siehe Bericht, Darstellender Teil, S. 31: „Darüber hinaus soll es aber bereits vor Einleitung von Verhandlungen m i t auswärtigen Staaten den Ländern auferlegt werden, v o r dem Abschluß des Staatsvertrages die Z u stimmung des Bundes einzuholen, w e i l es v o m Standpunkt der allgemeinen politischen Situation aus unerwünscht sein kann, daß ein L a n d m i t einem bestimmten auswärtigen Staat oder über einen bestimmten Gegenstand i n Vertrags Verhandlungen t r i t t . " 7 JöR n.F. 1, S. 304; Menzel, Bonner Kommentar, A r t . 32 A n m . 1; v. Mangoldt-Klein, A r t . 32, A n m . V, 2 b.
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68 2. Kap.: Die Auswärtige Gewalt im Kompetenzsystem des Grundgesetzes diese Zuständigkeit des Bundes sich aus dem Kompetenzkatalog zur ausschließlichen Gesetzgebimg ergebe, erwiderte Dr. Höpker-Aschoff zutreffend, daß die Zuständigkeit zur Gesetzgebung über die auswärtigen Angelegenheiten die Zuständigkeit, Verträge m i t auswärtigen Staaten abzuschließen, nicht ohne weiteres einschließe. A u f den H i n weis von Dr. v. Mangoldt, i n A r t . 81 HChE (Endfassung: A r t . 59 GG) sei alles festgelegt, was über die Zuständigkeit des Bundes zum Abschluß von Verträgen zu sagen sei, erwiderte zur Unterstützung von Dr. Höpker-Aschoff der Abgeordnete Dr. Greve (SPD) — i m Ausdruck irreführend, i n der Tendenz jedoch richtig —, daß i n A r t . 81 HChE (Endfassung: A r t . 59 GG) die völkerrechtliche, i n A r t . 41 HChE (Endfassung: A r t . 32 GG) die staatsrechtliche Seite der Zuständigkeit gemeint sei. I n der K r i t i k des Änderungsantrages der CDU/CSUFraktion, der vom Hauptausschuß m i t 11 zu 9 Stimmen abgelehnt wurde, k a m so die Unterscheidung zwischen der Auswärtigen Gewalt i m engeren Sinne als einem nach außen gerichteten Hoheitsrecht und den dem weiteren Begriffsbereich zugehörigen internen akzessorischen Strukturregelungen zum — wenn auch nicht präzisen — Ausdruck und Bewußtsein. Z u r Sprache kam aber zunächst noch nicht die Vielfältigkeit der Wirkungsformen der Auswärtigen Gewalt; man beschränkte sich vorerst auf die Erörterung der vom Verfassungskonvent m i t A r t . 41 HChE zur Frage gestellten Regelung der Verteilung der Vertragsschlußkompetenzen zwischen Bund und Ländern, soweit sie die Gesetzgebungszuständigkeit berühren. Diese sachlich nicht gerechtfertigte Begrenzung der Fragestellung durchbrach Dr. v. Mangoldt — wenn auch i n offenbarem Widerspruch zu seinen oben wiedergegebenen Ausführungen vom 6.11.1949 — i n der 3. Lesung i m Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates, dessen 48. Sitzung vom 9. 2.1949, i n der er zu A r t . 41 HChE ausführte 8 : „ M a n hat damit zum Ausdruck bringen wollen, daß die Länder auf den Gebieten, auf denen sie für die Gesetzgebung zuständig sind, und der Bund auf den Gebieten, auf denen er für die Gesetzgebung zuständig ist, das Recht zum Abschluß von Verträgen haben sollen. Damit fällt der Bund i n seiner Zuständigkeit für alle Gebiete aus, i n denen er nicht die gesetzliche Zuständigkeit hat; und hier gibt es wichtige Gebiete. Der B e i t r i t t zu einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit, Schiedsgerichtsverträge und ähnliches würden nicht unter die Fassung des Absatzes 1 fallen." Dr. v. Mangoldt beantragte den A b satz 1 des A r t . 41 HChE durch zwei neue Absätze zu ersetzen: „(1) Die Beziehungen zu den auswärtigen Staaten zu pflegen ist Sache des Bundes. (2) Soweit die Länder für die Gesetzgebung zuständig sind, 8
JöR n.F. 1, S. 305; Menzel, a.a.O.; v. Mangoldt-Klein,
a.a.O.
§ 4. Die Auswärtige Gewalt der Bundesrepublik nach dem Grundgesetz 69 können sie m i t auswärtigen Staaten Verträge abschließen." Dieser Antrag Dr. v. Mangoldts wurde angenommen. Der allgemeine Redaktionsausschuß zog die Absätze 1, 3 und 4 des Artikels 41 HChE zu den Absätzen 2 und 3 des Art. 32 GG zusammen und änderte an dem von Dr. v. Mangoldt vorgeschlagenen Absatz 1 des A r t . 41 HChE lediglich die Wortfassung durch Substantivierung des vorgeschlagenen Infinitivs. Ohne weitere Erörterung stimmte der Hauptausschuß i n 4. Lesung, der 54. Sitzung am 5.5.1949, diesen Änderungen zu. M i t dem so festgesetzten Wortlaut durchlief der A r t . 32 GG ohne besondere Beratung die 2. Lesung vom 6. 5.1949 und die Schlußabstimmung vom 8. 5.1949 i m Plenum. Der erfolgreiche Änderungsantrag Dr. v. Mangoldts beruht auf der Einsicht, daß eine föderale Zuständigkeitsentscheidung für den A b schluß völkerrechtlicher Verträge nicht erschöpfend sein kann, wenn sie auf der Grundlage der verfassungsrechtlichen Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen ergeht, da viele völkerrechtliche Verträge keiner innerstaatlichen Vollziehung i m Wege materieller Gesetzgebung bedürfen. U m dem Bund eine umfassende Vertragszuständigkeit zu sichern, griff Dr. v. Mangoldt m i t seinem Formulierungsvorschlag für Art. 32 Abs. 1 GG offensichtlich auf A r t . 78 Abs. 1 W V zurück und faßte i m Absatz seines Entwurfs i n Anlehnung an A r t . 78 Abs. 2 W V das Vertragsschlußrecht der Länder für deren Gesetzgebungsbereich als Ausnahme. Das Zurückgreifen auf die Regelung des A r t . 78 Abs. 1 WV, die A u f nahme der Bestimmung des A r t . 32 Abs. 1 i n das Grundgesetz i n der inhaltlichen Fassung des Änderungsvorschlages von Dr. v. Mangoldt hat tatsächlich eine wesentlich weitergreifende und grundsätzlichere Bedeutung als nur die, dem Bund eine Vorrangstellung gegenüber den Ländern beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge einzuräumen. M i t der Formulierung des A r t . 32 Abs. 1 GG, „Die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten ist Sache des Bundes", ist dem Bund die globale Kompetenz zur Gestaltung der Beziehungen zu den anderen Völkerrechtssubjekten eingeräumt. Uber die Vorstellungen der A b geordneten des Parlamentarischen Rates hinausgehend, betrifft er nicht nur die Vorrangstellung des Bundes i m Bereich der Vertragsschlußkompetenzen, sondern darüber hinaus — nach seinem Wortlaut, seiner Stellung i m Grundgesetz, nach der Auslegung des A r t . 78 Abs. 1 W V und jeder systematisch sinnvollen Auslegung — auch die Vornahme einseitiger völkerrechtlicher Rechtsgeschäfte aller A r t und die Gestaltung der diplomatischen und sonstigen Verkehrsbeziehungen zu anderen Völkerrechtssubjekten, die Auswärtige Gewalt als Inbegriff der völkerrechtlichen Hoheitsrechte eines unabhängigen Staates.
70 2. Kap.: Die Auswärtige Gewalt im Kompetenzsystem des Grundgesetzes 4. Das verzögerte und eingeschränkte Inkrafttreten des Art. 32 Abs. 1 GG Die i m Grundgesetz präsumierte unabhängige Stellung der Bundesrepublik kam ihr jedoch bei dessen Inkrafttreten i n keiner Weise zu. Das nur langsame Wiedererstehen deutscher Staatlichkeit, die weitgehenden Eingriffs- und Gestaltungsrechte der Besatzungsmächte wurden angedeutet. I n der Absicht, die Beziehungen zu der i m Werden begriffenen Bundesrepublik auf eine ausdrückliche Grundlage zu stellen, die Zuständigkeit der Besatzungsbehörden gegenüber den deutschen Behörden abzugrenzen und den Umfang eigenständiger deutscher Staatsgewalt festzulegen, hatten die westlichen Besatzungsmächte durch ihre Militärgouverneure den Ministerpräsidenten der Länder am 1. 7.1948 unter den Frankfurter Dokumenten als Dokument I I I die Leitsätze für ein zu erlassendes Besatzungsstatut übermitteln lassen. Aufgrund von Gegenvorschlägen der Ministerpräsidenten und weiteren Besprechungen i m J u l i 1948 verkündeten die Militärgouverneure am 12. Mai 1949 ein gegenüber den Prinzipien des Frankfurter Dokuments I I I modifiziertes Besatzungsstatut, das am 21. September 1949 i n Kraft trat 9 . Durch Nr. 1 des Statuts wurden Bund und Ländern der Bundesrepublik grundsätzlich gesetzgebende, vollziehende und rechtsprechende Gewalt zugesprochen; die nachfolgenden Nummern statuierten die Ausnahmen, bezeichneten die unter Berufimg auf kriegerisches Besatzungsrecht suspendierten Hoheitsrechte. Nach Nr. 2 wurden die auswärtigen Angelegenheiten grundsätzlich den Besatzungsmächten vorbehalten. Eigene Maßnahmen i n diesem Bereich waren Bund und Ländern gemäß Nr. 4 nur nach vorheriger Mitteilung an die Besatzungsbehörden gestattet. Die Ausübung der Kontrollbefugnisse nach dem Besatzungsstatut war durch ein amerikanisch-britisch-französisches Regierungsabkommen vom 8. 4.1949, das die Zusammenfassung der drei westlichen Besatzungszonen betraf, der Alliierten Hohen Kommission anvertraut worden, die mit dem Sitz auf dem Bonner Petersberg nach einer Satzung vom 20. Juni 1949 eingesetzt wurde. Eine erste Revision des Besatzungsstatuts hinsichtlich der so weitgehend suspendierten Auswärtigen Gewalt erfolgte durch das Petersberger Abkommen vom 22.11.1949, durch das der Bundesrepublik die Errichtung konsularischer Vertretungen, die Wiederaufnahme von Handelsbeziehungen, die Beteiligung an internationalen Organisationen — zunächst an der Organisation für Europäische Zusammenarbeit und dem Europarat — sowie die Teilnahme an diplomatischen Konfe9
Siehe Maunz, S. 6 f.; zum folgenden auch Schlochauer
S. 9.
§ 4. Die Auswärtige Gewalt der Bundesrepublik nach dem Grundgesetz 71 renzen — vor allem an der Schuman-Plan-Konferenz — ermöglicht wurde 1 0 . Weitere Vorbehalte für den Bereich der Auswärtigen A n gelegenheiten wurden der Bundesregierung gegenüber aufgegeben durch die zur Ausführung der am 18. September 1950 i n New York auf der amerikanisch-britisch-französischen Außenministerkonferenz gefaßten Beschlüsse über die Revision des Besatzungsstatutes ergangene Entscheidung Nr. 11 des Rates der Alliierten Hohen Kommission vom 6. Mai 1951; durch diese Entscheidung wurde die Bundesregierung ermächtigt, ein Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten zu errichten und Beziehungen mit ausländischen Staaten zu unterhalten in den Grenzen, die durch eine Neufassung Nr. 2 c des Besatzungsstatuts beschrieben wurden 1 1 . Die endgültige Ablösung des Besatzungsstatuts erfolgte erst durch Inkrafttreten des Protokolls über die Beendigung des Besatzungsregimes i n Deutschland vom 23. Oktober 195412. Nach A r t . 1 des Protokolls traten mit ihm u. a. i n geänderter Fassung der „Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den drei Mächten" (Generalvertrag) vom 26. Mai 1952 und der „Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen" (Überleitungsvertrag) vom 26. M a i 1952 i n Kraft. Gemäß Art. 1 Abs. 1 des Generalvertrages wurden am gleichen Tag, dem 5. 5.1955, durch die Alliierte Hohe Kommission die Aufhebung des Besatzungsstatuts, die Auflösung der Alliierten Hohen Kommission selbst und die der Dienststellen der Landeskommissare verkündet. Nach A r t . 1 Abs. 2 des Generalvertrages erhielt die Bundesrepublik m i t dem 5. Mai 1955 „die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten". Diese Souveränitätsproklamation erfährt in Hinsicht auf die Auswärtige Gewalt der Bundesrepublik eine gravierende Einschränkung durch Art. 2 des Generalvertrages; danach „behalten die drei Mächte die bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte und Verantwortlichkeiten i n bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung" 13 . Keine originäre und immanente, unter Berufung auf Besatzungsrecht aufrechterhaltene Beschränkung der Auswärtigen Gewalt der Bundesrepublik, sondern eine völkervertraglich begründete materielle Selbstbindung für die Führung ihrer Außenpolitik sind die folgenden Bestimmungen des Generalvertrages: „ A r t . 3 Abs. 1. Die Bundes10
Schlochauer, a.a.O. u a.a.O., S. 104. 12 a.a.O., S. 106. 13 Siehe dazu Blumenwitz,
S. 108 u n d S. 109 f.
72 2. Kap.: Die Auswärtige Gewalt im Kompetenzsystem des Grundgesetzes republik w i r d ihre Politik i m Einklang mit den Prinzipien der Satzung der Vereinten Nationen und mit dem i m Statut des Europarates aufgestellten Zielen halten. — Abs. 2 S. 1. Die Bundesrepublik bekräftigt ihre Absicht, sich durch ihre Mitgliedschaft i n internationalen Organisationen, die zur Erreichimg der gemeinsamen Ziele der freien Welt beitragen, m i t der Gemeinschaft der freien Nationen völlig zu verbinden 1 4 ." I I I . Die Auslegung des Art. 32 Abs. 1 des Grundgesetzes A r t . 32 Abs. 1 GG lautet: „Die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten ist Sache des Bundes." 1. Die Überweisung der Auswärtigen Gewalt durch Art 32 Abs.l GG als umfassender Zuständigkeit an den Bund Die Interpreten dieser Vorschrift sehen durch sie die Auswärtige Gewalt der Bundesrepublik mit dem Begriffsinhalt, wie er oben unter § 3 entwickelt wurde, i m Grundgesetz verankert und als umfassende und ausschließliche Zuständigkeit dem Bund zugewiesen. „ A r t . 32 behandelt die Zuständigkeit für den Bereich der Auswärtigen Gewalt", sagt Hamann 15. Und v. Mangoldt-Klein 16: „Jene Worte — Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten 17 — bedeuten ,Handeln i m Bereich der Völkerrechtsordnung , ; sie sind gleichzusetzen m i t der Wahrnehmung von auswärtigen Angelegenheiten i m Sinne von Rechtsbeziehungen eines Staates zu anderen Völkerrechtsträgern auf der Grundlage der Völkerrechtsordnung." Der Begriff der „auswärtigen Staaten" w i r d dahingehend weit ausgelegt, daß er auch nichtstaatliche Völkerrechtssubjekte wie z.B. als solche anerkannte Internationale Organisationen umfaßt, die Vereinten Nationen und ihre Spezialorganisationen, die Montanunion, das Internationale Arbeitsamt 1 8 . Die Beziehungen hingegen zum Vatikan, der keine Völkerrechtssubjektivität besitzt 19 , unterfallen nach ganz 14 Vgl. auch den Verzicht der Bundesrepublik auf die Herbeiführung der deutschen Einheit m i t gewaltsamen M i t t e l n anläßlich der Londoner Konferenz v o m 28. 9. — 3.10.1954 (zitiert bei Berber, Lehrbuch I, S. 345 A n m . 2). 15 Hamann, Kommentar, A r t . 32, A n m . A . 16 v. Mangoldt-Klein, A r t . 32, Anm. I I , 1 m i t weiteren Nachweisen. 17 Erklärende Einfügung v o m Verf. 18 Giese-Schunck, A r t . 32, A n m . I I , 1; Hamann, A r t . 32, A n m . B l ; MaunzDürig, A r t . 32, Rz. 14; Menzel, Bonner Kommentar, A r t . 32, A n m . I I , 1. 1 9 Z u r besonderen Rechtsstellung des Heiligen Stuhls vgl. Berber, L e h r buch I, S. 163 ff.
§ 4. Die Auswärtige Gewalt der Bundesrepublik nach dem Grundgesetz 73 allgemeiner Meinung nicht dem A r t . 32 Abs. I 2 0 . Ebenso gilt A r t . 32 Abs. 1 nicht für Verträge m i t öffentlichen Körperschaften eines anderen Staates 21 und rein fiskalische Verträge m i t anderen Staaten 22 , w e i l es sich i n beiden Fällen nicht u m echte zwischenstaatliche Beziehungen als Beziehungen zwischen staatlichen Hoheitsträgern, zwischen Völkerrechtssubjekten, handelt. Die Vorstellungen der Abgeordneten des Parlamentarischen Rates, daß A r t . 32 Abs. 1 nur Vertragsschlußkompetenzen betreffe 23 , w i r d von niemandem geteilt, vielmehr besteht Einigkeit darüber, daß A r t . 32 Abs. 1 den gesamten Bereich der Beziehungen zu anderen Völkerrechtssubjekten meint 2 4 . „Die »Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten' umfaßt nicht nur das Recht zum Abschluß von Verträgen", sondern nach Menzel „alle Maßnahmen, die i m Bereich der auswärtigen Angelegenheiten völkerrechtlich und staatsrechtlich üblich sind 2 5 ", und nach v. Mangoldt-Klein „alle Maßnahmen, die i m Verkehr m i t dem Ausland i n Wahrnehmung der deutschen Interessen erforderlich sind" 2 6 . M i t solchen und ähnlichen Worten w i r d der umfassende Zuständigkeitsbereich der Auswärtigen Gewalt allgemein richtig gekennzeichnet; die weitere Erörterung wendet sich allerdings stets den strittigen Vertragsabschluß- und Transformationskompetenzen von Bund und Ländern oder der Qualifizierung des Verhältnisses zwischen Parlament und Regierung i m Bereich der Auswärtigen Gewalt i m weiteren Sinne zu, so daß es an einer eingehenden Darstellung und Systematisierung der Gesamtheit aller A k t e der Auswärtigen Gewalt bis heute fehlt. Die Auswärtige Gewalt w i r d als solch umfassender Kompetenzbereich durch A r t . 32 Abs. 1 GG mit der Einschränkung des A r t . 32 Abs. 3 GG ausschließlich dem Bund zugewiesen. Der Begriff der Auswärtigen Gewalt bildet so die Grundlage für eine schwerwiegende föderale Zuständigkeitsentscheidung i m Grundgesetz, einen „Kernsatz der organisatorischen Aussagen des Grundgesetzes" 27 , „die Kernvorschrift des Grundgesetzes zu der Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern i n auswärtigen Angelegenheiten" 28 . 20 Siehe Giese-Schunck, Hamann und Maunz a.a.O. 21 Menzel, AöR, Bd. 79 (1953—54), S. 333 f. 22 So v. Mangoldt-Klein, Art. 32, Anm. V, 2. 23 Vgl. oben § 4, Abschnitt I I , 3. 24 Dazu, daß diese Auslegung nicht i n Widerspruch zu einer historischen Auslegung des A r t . 32, Abs. 1 GG steht, vgl. unten § 11 Abschnitt I V .
25 Menzel, Bonner Kommentar, Art. 32, Anm. II, 1. 2« v. Mangoldt-Klein, Art. 32, Anm. III, 3 a. 27 Mosler, ZaöRVR, 1955, S. 13. 2» K. H. Klein, S. 50. — Vgl. auch v. Mangoldt-Klein, kung 11,3 und Art. 32, Anm. III, 1; Bernhardt, S. 126 f.
Art. 22, Vorbemer-
74 2. Kap.: Die Auswärtige Gewalt im Kompetenzsystem des Grundgesetzes 2. Art. 32 Abs. 1 GG als primäre Zuständigkeitsklausel gegenüber Art. 30 GG Da Art. 32 Abs. 1 nicht nur einzelne Arten der Akte der Auswärtigen Gewalt, insbesondere nicht nur völkerrechtliche Verträge betrifft, sondern den Gesamtbereich der Gestaltung auswärtiger Beziehungen, ist er als umfassende Zuständigkeitsverteilungsnorm für den Bereich der Auswärtigen Gewalt zu betrachten. Er erscheint aber der ganz herrschenden Meinung nichtsdestoweniger als lex specialis bundesstaatlicher Kompetenzverteilung gegenüber der i n keiner Weise differenzierenden, die gesamte Staatstätigkeit betreffenden lex generalis des A r t . 30 GG 2 9 . Die Subsidiaritätsfunktion des Art. 30 kommt in seinem zweiten Halbsatz, „soweit dies Grundgesetz keine andere Regelung t r i f f t oder zuläßt", klar zum Ausdruck, v. Mangoldt-Klein bestimmen dieses Verhältnis von Art. 30 und Art. 32 Abs. 1 zueinander m i t folgenden Worten: „Insbesondere ist der Abs. 1 (des A r t . 32) 30 eine — der subsidiären Zuständigkeits-Generalklausel des A r t . 30 vorgehende — primäre Zuständigkeits-Spezialklausel für den Sachbereich der Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten 31 ." Wenn an anderer Stelle anstatt von „Zuständigkeitsverteilungsnormen" in Zusammenhang m i t Art. 30 und Art. 32 Abs. 1 von „Zuständigkeitsvermutungen" gesprochen w i r d 3 2 , so bedeutet dies für die Frage nach der vom Grundgesetz getroffenen Kompetenzverteilung keinen sachlichen Unterschied; vom Terminologischen her dürfte es v. MangoldtKlein mit ihrer Kommentierung des Art. 30 allerdings gelungen sein, überzeugend darzulegen, daß die Verwendung des Wortes Vermutung i m gegebenen Zusammenhang ein Verstoß gegen den üblichen juristischen Sprachgebrauch ist 3 3 .
3. Vertragsschlußrechte der Länder nach Art. 32 Abs. 1 GG als Ausnahmeregelung Für die unmittelbare Gestaltung der auswärtigen Beziehungen, für den Wirkungsbereich der Auswärtigen Gewalt bildet die einzige Einschränkung der umfassenden Bundeskompetenz der A r t . 32 Abs. 3 GG, 29
Eine K r i t i k dieser Auffassung erfolgt unten § 10, Abschnitt I I , 2. Erklärende Hinzufügung v o m Verf. 3! v. Mangoldt-Klein, A r t . 32, Anm. I I I , 1. 32 Maunz-Dürig, A r t . 32, Rz. 16; Bernhardt, S. 131; Mosler, ZaöRVR, Bd. 16 (1955), S. 12 und S. 14. 33 v. Mangoldt-Klein, A r t . 32, A n m . 11,4 und A r t . 30, A n m . I I I , 2 a: „Weder k a n n es eine Zuständigkeitsvermutung der behaupteten A r t — also als terminus technicus — nach dem Vermutungsbegriff der allgemeinen Rechtslehre geben, noch ist es sinnvoll, den gemeinten Sachverhalt m i t dem n u n 30
§ 4. Die Auswärtige Gewalt der Bundesrepublik nach dem Grundgesetz 75 der den Ländern für ihren Gesetzgebungsbereich das Vertragsschlußrecht einräumt 3 4 . Das Grundgesetz gehört zu den wenigen Bundesstaatsverfassungen 35 , die ihren Gliedstaaten eine beschränkte, völkerrechtliche Handlungsfähigkeit gewähren 36 . I n Hinblick auf die durch Art. 32 Abs. 1 begründete generelle Zuständigkeit des Bundes für den Bereich der Auswärtigen Gewalt ist aber die Ausnahmeregelung des A r t . 32 Abs. 3 nicht extensiv interpretierbar 3 7 . Die sonstige unmittelbare Gestaltung der Rechts- und Verkehrsbeziehungen ist allein Sache des Bundes, die Länder können z. B. keine Staatsempfänge veranstalten oder Staatsbesuche durchführen; auch die dauernde Beteiligung an internationalen Organisationen ohne Völkerrechtssubjektivität, an denen regelmäßig nur Staaten teilnehmen, stellt eine den Ländern versagte unmittelbare Einflußnahme auf die auswärtigen Beziehungen dar 3 8 . Insbesondere steht den Ländern nicht kraft Sachzusammenhanges das aktive oder passive Gesandschaftsrecht zu 3 9 , sie sind vielmehr für Vertragsverhandlungen m i t anderen Völkerrechtssubjekten auf die Vermittlung des Bundes oder Entsendung von adhoc-Vertretern angewiesen 40 . Höchst kontrovers nicht nur i n der einmal i n der Allgemeinen Rechtslehre f ü r einen ganz anderen Begriff v e r wendeten Worte „ V e r m u t u n g " zu bezeichnen. „Vermutungen" gibt es aber n u r über das Vorliegen von Tatsachen, nicht über das Gelten von Rechtssätzen." — Z u r Gegenmeinung vgl. ausführlich Maunz-Dürig, A r t . 30, Rz. 1; weitere Nachweise bei v. Mangoldt-Klein, A r t . 30, Anm. I I I . 34 Das Recht der Länder, Verträge i m eigenen Gesetzgebungsbereich abzuschließen, impliziert zumindest für den entsprechenden Verwaltungsbereich die Zuständigkeit zum Abschluß von Verwaltungsabkommen; zur Begründung weitergehender Vertragsschlußkompetenzen der Länder i m V e r w a l tungsbereich siehe Maunz-Dürig, A r t . 32, Rz. 68 ff. 35 Ebenso n u r die Verfassungen der Schweiz, der UdSSR u n d der USA. Siehe dazu ausführlich unten, §9, Abschnitt 11,2. 36 Siehe Mosler, ZaöRVR, Bd. 16, S.7: „Demgemäß ist die Bundesrepublik einer der wenigen Bundesstaaten, die ihre Gliedverbände nicht v ö l l i g nach außen abriegeln." Entsprechend: Hamann, A r t . 32, A n m . A ; v. MangoldtKlein, A r t . 32, A n m . I I , 2. — Ausdrückliche Hinweise auf die völkerrechtliche Rechts- u n d Handlungsfähigkeit der Länder u. a. bei: v. Mangoldt-Klein, A r t . 32, A n m . V I , 2; Dahm, Völkerrecht I, S. 172; Giese-Schunck, A r t . 32, A n m . I I , 5; Hamann, A r t . 32, A n m . B , 4 ; Menzel, V V D S t R L , Heft 12, S. 200. — Berber, Lehrbuch I, S. 146, weist darauf hin, daß es fraglich ist, ob nicht die Länder insbesondere i n Hinblick auf die umfassende Zuständigkeit des Bundes nach A r t . 32, Abs. 1 als (beschränkte) Organe des Völkerrechtssubjekts „Bundesrepublik" bei der Ausübung des Vertragsschließungsrechtes zu betrachten sind. 37 So Menzel, Bonner Kommentar, A r t . 32, A n m . I I , 1; v. Mangoldt-Klein, A r t . 32, Anm. 111,2. 38 So Hermann, S. 139. 3® Menzel, Bonner Kommentar, A r t . 32, A n m . I I , 1; Hamann, A r t . 32, A n m . B, 1; v. Mangoldt-Klein, A r t . 32, A n m . I I I , 2 a, m i t weiteren umfangreichen Nachweisen. 40 Maunz-Dürig, A r t . 32, Rz. 62 f.
76 2. Kap.: Die Auswärtige Gewalt im Kompetenzsystem des Grundgesetzes Theorie, sondern auch i n der Praxis ist die Frage, ob A r t . 32 Abs. 3 den Bund von Verträgen ausschließt, die i m ausschließlichen Gesetzgebungsbereich der Länder liegen 41 . Strittig ist auch die Frage, ob das Zustimmungserfordernis des A r t . 32 Abs. 3 die Länder i n ihrem internationalen Status beschränkt oder nur staatsinterne Bedeutung hat 4 2 .
internen
4. Geltung des Art. 32 Abs. 1 GG für den akzessorischen Bereich der Auswärtigen Gewalt
A r t . 32 Abs. 1 nimmt die Auswärtige Gewalt als umfassende Kompetenz für den Bund i n Anspruch. Er betrifft zunächst direkt den Wirkungsbereich der Auswärtigen Gewalt, den Bereich der unmittelbaren Gestaltung der auswärtigen Beziehungen m i t der oben beschriebenen Einschränkung des A r t . 32 Abs. 3. Aber er betrifft auch den akzessorischen weiteren Bereich der Auswärtigen Gewalt, ihren staatsinternen Organisations- und Willensbildungsbereich. A r t . 32 Abs. 1 betrifft auch den staatsinternen Willensbildungsbereich, weil ohne interne Organisation und Vorbereitung keine Außenwirkung entfaltet werden könnte, eben w e i l dieser Bereich akzessorisch ist. Für diesen internen Bereich gilt, daß die materielle Gewaltenunterscheidung quer zur formellen Gewaltenteilung verläuft, d.h. daß die materielle Bundeszuständigkeit für den Organisations- und Willensbildungsbereich der Auswärtigen Gewalt die drei formellen Staatsfunktionen, Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung potentiell i n gleicher Weise betrifft 4 3 . Es ist daher auch sinnvoll, daß A r t . 32 Abs. 1 als umfassende Kompetenzzuweisungsnorm nicht entsprechend dem Vorbild des A r t . 78 Abs. 1 W V i n den V I I I . Abschnitt des Grundgesetzes, „Ausführung cjer Bundesgesetze und Bundesverwaltung", sondern i n den II. Abschnitt, „der Bund und die Länder", gestellt wurde 4 4 . Allerdings geht die Wirkung des A r t . 32 Abs. 1 i m internen Feld nur so weit, wie nicht für diesen Bereich eigene Verfassungsvorschriften gelten. Wie i n dem Uberblick oben dargestellt, enthält das 41 Das Bundesverfassungsgericht hat diese Frage ausdrücklich offen gelassen. Eine Ubersicht über die Meinungen gibt Maunz-Dürig, A r t . 32, S. 9, A n m . 4. 42 Eine Beschränkung w i r d von Berber, Lehrbuch I, S. 434 u n d S. 436, angenommen; a.A. Maunz-Dürig, A r t . 32, Rz. 56, m i t weiteren Nachweisen zu den Meinungen. 43 v. Mangoldt-Klein, A r t . 32, A n m . I I , 5: „Der A r t i k e l g i l t für die gesamte Staatstätigkeit, nicht n u r f ü r den Bereich der vollziehenden Gewalt." 44 So Bernhardt, S. 126; v. Mangoldt-Klein, A r t . 32, A n m . I I , 1.
§ 4. Die Auswärtige Gewalt der Bundesrepublik nach dem Grundgesetz 77 Grundgesetz i n dieser Hinsicht ausführliche Regelungen. Diese Regelungen sind Spezialregelungen gegenüber der Zuständigkeitsgeneralklausel des A r t . 32 Abs. 1, wie wiederum dieser — so bereits oben dargestellt — nach herrschender Anschauung i m Verhältnis der Spezialität zur generellen, subsidiären Zuständigkeitsverteilungsnorm des A r t i k e l 30 steht. Das Vorhandensein solcher Spezialregelungen für den internen Bereich, die von der Grundregelung für den auswärtigen Bereich — wenn auch nicht wesentlich — abweichen, beweist die Notwendigkeit der begrifflichen Unterscheidung zwischen W i r kungsbereich der Auswärtigen Gewalt einerseits und Organisationsund Willensbildungsbereich der Auswärtigen Gewalt andererseits, beweist, daß das Grundgesetz zwischen Auswärtiger Gewalt i n engerem Sinne und Auswärtiger Gewalt i n weiterem Sinne unterscheidet. 5. Föderale Zuständigkeitsverteilung im internen akzessorischen Bereich der Auswärtigen (inter governmental division of powers)
Gewalt
Für die Zuständigkeit von Bund und Ländern i m Organisationsund Willensbildungsbereich der Auswärtigen Gewalt gilt i m einzelnen folgendes: Nach A r t . 59 Abs. 2 GG werden die Länder entgegen dem Grundsatz der alleinigen Bundeszuständigkeit des A r t . 32 Abs. 1 bei dem Abschluß völkerrechtlicher Verträge — einschließlich Verwaltungsabkommen — am internen Willensbildungsprozeß des die Länder repräsentierenden Bundesorgans „Bundesrat" i n dem Umfang beteiligt, i n dem sie auch an der Bundesgesetzgebung und Bundesverwaltung beteiligt sind 4 5 . — Nach Art. 32 Abs. 2 GG besteht ein Anhörungsrecht der Länder bezüglich völkerrechtlicher Verträge, die ihre besonderen Verhältnisse berühren; auch diese Beteiligung am internen Willensbildungsprozeß ist eine ausdrückliche Abweichung von dem Prinzip der ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes, das für den Bereich der Auswärtigen Gewalt i m engeren Sinne gilt. — Nach A r t . 73 Nr. 1 GG hat der Bund die ausschließliche Gesetzgebung über auswärtige Angelegenheiten. Es ist umstritten, ob hiermit nur der Bereich der völkerrechtlichen Verkehrsbeziehungen inklusive der Regelung der Rechtsstellung ausländischer diplomatischer Missionen 46 oder jede Materie, die zum Gegenstand eines völkerrechtlichen Vertrages gemacht werden kann, gemeint ist 4 7 . Wie auch immer man sich ent« Siehe die A r t i k e l 50, 77, 78, 84 ff. GG. 4« Bernhardt, S. 145; Harupa, S.65f.; Kraus, ArchVR Bd. 3 (1952), S.422; Mosler, Bilfinger-Festschrift, S. 266. Scheuner, Wehrbeitrag I I , S. 152 f.; Kaufmann, Deutscher Bundesrat, Protokoll der Sondersitzung v o m 15.6.1951, S. 20 f.
78 2. Kap.: Die Auswärtige Gewalt im Kompetenzsystem des Grundgesetzes scheidet, die A n t w o r t — wie auch die Antwort auf die umstrittene Frage der Transformationskompetenzen 48 — ist unter Bezugnahme auf die ausführlichen Gesetzgebungszuständigkeitskataloge des Grundgesetzes abzuleiten; diese Spezialvorschriften schließen eine Lösimg unter direkter Bezugnahme auf die Bundeszuständigkeit nach A r t . 32 Abs. 1 aus 49 . — Nach A r t . 87 S. 1 GG w i r d der Auswärtige Dienst i n bundeseigener Verwaltung geführt. Aus dieser Vorschrift kann nicht — wie i m Falle ausschließlicher Bundesgesetzgebung — unmittelbar gefolgert werden, daß die Länder nicht für ihren durch A r t . 32 Abs. 3 begründeten Zuständigkeitsbereich neben dem Auswärtigen Dienst des Bundes Auswärtige Dienste zur Kontaktpflege m i t dem Ausland aufbauen dürfen. Das Verbot solcher auswärtiger Apparaturen 5 0 der Länder ergibt sich vielmehr unmittelbar aus A r t . 32 Abs. 1, da auch Kontakte formeller, rechtsneutraler A r t mit dem Ausland eine direkte Gestaltung der Beziehungen zum Ausland darstellen, die durch jene Vorschrift dem Bunde vorbehalten ist. Allerdings sind die Länder berechtigt, rein innerstaatlich wirkende Organisationen zur Befassung m i t Fragen auswärtiger Angelegenheiten zu schaffen, ohne den Zweck, die Beziehungen zum Ausland unmittelbar zu beeinflussen 51 ; die Beratung außenpolitischer Fragen ist sinnvoll und sogar notwendig, wenn die Länder das ihnen über A r t . 59 Abs. 2 GG gewährte Einflußrecht i m Willensbildungsbereich durch ihre Bundesratsvertreter w i r k sam wahrnehmen wollen 5 2 . Uberhaupt ist es die Aufgabe der Länder, zu einer Zeit wachsender Integration der internationalen Beziehungen sich „auf den ihnen vorbehaltenen Sachgebieten (z. B. Kultur) auch für das Ausland ,offen' zu halten" 5 3 . — Die Wahrnehmung der rein innerstaatlichen Kompetenzen der Länder i m Bereich der Regierung, Gesetzgebung und Verwaltung kann — wie oben dargelegt — mittelbar 48 Siehe hierzu Maunz-Dürig, A r t . 32, Rz. 31 ff. m i t Meinungsnachweisen auf S. 10, Anm. 1. Maunz-Dürig, A r t . 73, A n m . 28 ff. (32); Hamann, A r t . 32 Anm. B, 2. 50 Siehe dazu Maunz-Dürig, A r t . 32, Rz. 61. 61 Vgl. z. B. § 1 der Verordnung über die Geschäftsverteilung der Bayerischen Staatsregierung v o m 19.12.1956 (Bayerische Bereinigte Sammlung I S. 19): „Der Staatskanzlei obliegen zur Unterstützung des Ministerpräsidenten und der Staatsregierung . . . : 1. die Bearbeitung der sich aus der Pflege der Beziehungen nach außen, zum B u n d u n d zu den anderen deutschen Ländern ergebenden Fragen . . ( H e r v o r h e b u n g v o m Verf.). 52 Maunz-Dürig, A r t . 32, Rz. 15. 53 Vgl. hierzu auch das zwischen B u n d u n d Ländern unter Wahrung der gegensätzlichen Rechtsstandpunkte geschlossene sogenannte Lindauer A b kommen v o m 14.11.1957, durch das der B u n d u. a. als berechtigt erklärt w i r d , auf Gebieten der ausschließlichen Länderzuständigkeit, insbesondere dem der k u l t u r e l l e n Angelegenheiten, unter Herbeiführung des Einverständnisses der Länder völkerrechtliche Verträge abzuschließen (Text bei Maunz-Dürig, A r t . 32, Rz. 45); vgl. insbesondere Ziff. 3 des Abkommens.
§ 4. Die Auswärtige Gewalt der Bundesrepublik nach dem Grundgesetz 79 auf die Beziehungen zum Ausland wirken. Wollte man den Ländern jeden Einfluß auch i m Wege solcher Reflexe untersagen, hieße das, die gesamten Länderkompetenzen unterhöhlen, denn jeder einzelne Hoheitsakt beeinflußt potentiell auch die auswärtigen Beziehungen. Jedoch w i r k t der A r t . 32 Abs. 1 kraft des Grundsatzes der Bundestreue 5 4 insoweit — materiell beschränkend, nicht entziehend — auf die auf das innerstaatliche Leben bezogenen Hoheitsrechte der Länder ein, als er mit Rücksicht auf die umfassende Gestaltungskompetenz des Bundes den Ländern untersagt, durch ihre Staatstätigkeit gezielt eine der Außenpolitik des Bundes zuwiderlaufende oder auch nur eigenständige Außenpolitik zu verfolgen 55 . 6. Aufteilung auswärtiger Befugnisse zwischen obersten Bundesorganen — intra governmental division of powers Bei den Grundgesetznormen, die den Organisations- und Willensbildungsbereich der Auswärtigen Gewalt betreffen, ist zu unterscheiden zwischen den Bestimmungen, die die Zuständigkeiten von Bund und Ländern abgrenzen, und denjenigen, die die Verteilung einzelner Befugnisse auf oberste Bundesorgane i m Rahmen der gegebenen Bundeskompetenz regeln, v. Mangoldt-Klein verwenden für diese Unterscheidung die aus der amerikanischen Staatslehre entliehenen anschaulichen Begriffe der „inter governmental division of powers" und der „intra governmental division of powers 5 6 ". Die Bestimmungen, die die inter governmental divison of powers betreffen, sind soeben abgehandelt 54
Kritisch zur Heranziehung des Grundsatzes der Bundestreue als eines selbständigen Rechtssatzes Hesse, S. 6 ff. 55 Siehe BVerfGE, Bd. 2, S. 378, w o allerdings n u r von „unmittelbarer Regelung" politischer Beziehungen die Rede ist: „Eigene politische Beziehungen zu auswärtigen Staaten, die i m Gegensatz zur P o l i t i k des Bundes stehen, widersprechen dem Wesen des Bundesstaates." Mosler, ZaöRVR, Bd. 16 (1955), S. 34: „Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland ist verfassungsrechtlich nicht der Behinderung durch die Länder ausgesetzt." v. Mangoldt-Klein, A r t . 32, A n m . I I I , 2 b m i t weiteren Nachweisen: „Durch den Absatz 3 ist den Ländern nicht das Recht einer eigenen Außenpolitik gegeben." — Neben die den Ländern verwehrten echten A k t e Auswärtiger Gewalt treten als untersagt solche staatsinternen Ländermaßnahmen, die der Bundesaußenpolitik deutlich zuwiderlaufende Nebenwirkungen entfalten, w i e z. B. A k t e der Gesetzgebung und Verwaltung, die eigenwillig A n gehörige bestimmter fremder Staaten oder die k u l t u r e l l e n Einflüsse solcher Staaten bevorzugen oder benachteiligen. Krüger, Kaufmann-Festgabe (1950), S. 241, erwähnt als Beispiel untersagter rein politischer A k t e u. a. Reden von Landesministern über außenpolitische Themen u n d Kampagnen von Landesrundfunkanstalten gegen fremde Staaten. 56 Siehe v. Mangoldt-Klein, A r t . 32, A n m . V, 1 und A r t . 59, Anm. I I , 2 a sowie I I , 5 a; vgl. zu der Unterscheidung zwischen „intra-organ controls" u n d „inter-organ controls" Loewenstein, Verfassungslehre, S. 167 m i t A n m . 1.
80 2. Kap.: Die Auswärtige Gewalt im Kompetenzsystem des Grundgesetzes worden; sie werden, soweit sie i n ihren Regelungen unvollständig sind oder fehlen, ergänzt oder ersetzt durch den A r t . 32 Abs. 1, der die inter governmental division of powers für den Bereich der Auswärtigen Gewalt i m engeren Sinne regelt, aber i m Zweifelsfall auch i n den weiteren Begriffsbereich der Auswärtigen Gewalt, ihren Willensbildungsbereich hineinwirkt. Die intra governmental division of powers ist i n den Grundgesetzartikeln 59 Abs. 1, 65, 59 Abs. 2 (soweit noch nicht erörtert) geregelt. Z u ihrer Auslegung kann der A r t . 32 Abs. 1, der ja ausschließlich die inter governmental division of powers betrifft, nicht herangezogen werden, und es besteht dafür auch keinerlei Bedürfnis. A r t . 59 Abs. 2 betrifft die Stellung des Bundespräsidenten als primären Repräsentationsorgans der Bundesrepublik. A r t . 65 statuiert die Richtlinienkompetenzen des Bundeskanzlers und die Verteilung der Regierungsverantwortung i m übrigen auf die einzelnen Mitglieder der Regierung. A r t . 59 Abs. 2 behandelt die Beteiligung des Bundestages an der Willensbildung i m Bereich der auswärtigen Angelegenheiten.
Drittes
Kapitel
Das Verhältnis der Begriffe W e h r h o h e i t u n d Auswärtige Gewalt zueinander § 5. Logisch-terminologische Zuordnung der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt zueinander I. Gewaltanwendung als Gestaltungsmittel im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten Auswärtige Gewalt ist der Teilbereich der Staatstätigkeit, der der unmittelbaren Gestaltung der Beziehungen zu anderen Völkerrechtssubjekten gewidmet ist 1 . Die Gestaltung der Beziehungen zu anderen Völkerrechtssubjekten besteht i n einer Einflußnahme auf deren Haltung und Verhalten. Das allgemeinste Bemühen bei der Führung der auswärtigen Angelegenheiten w i r d es sein, allseitig ein gutes Einvernehmen herzustellen und zu erhalten, sich einer generell freundschaftlichen, sympathetischen Grundhaltung der anderen Teilnehmer am völkerrechtlichen Verkehr zu versichern. Darüber hinaus w i r d die Gestaltung der auswärtigen Beziehungen darauf zielen, zur Erreichung angestrebter Zwecke das bestimmte Verhalten (Handeln oder Unterlassen) bestimmter Völkerrechtssubjekte unter bestimmten Umständen — i m besten Fall vertraglich — sicherzustellen 2 . Die Einflußnahme auf die Haltung und das Verhalten anderer M i t glieder der Völkerrechtsgemeinschaft setzt voraus, daß i n ihnen entsprechende Motive, Motive zu wunschgemäßem Handeln, erzeugt werden 3 . Diese Motive können unterschiedlicher A r t sein; so kommen z. B. als Beweggründe für erwünschtes Verhalten i n Betracht: politische oder wirtschaftliche Vorteile für Regierung oder Regierte, die Ver1
Siehe oben §3. Bei den gespannten interessemäßigen u n d ideologischen Gegensätzen zwischen den Staaten ist das diplomatische Z i e l allseitiger freundschaftlicher Beziehungen freilich n u r ein k a u m zu verwirklichendes Ideal; oft können Freundschaft u n d vertragliche Verpflichtungen einem Staat n u r abgerungen werden u m den Preis, einen anderen Staat zu verstimmen oder zu brüskieren. 3 So Berber, Lehrbuch I I I , S. 85. 2
6 Sachau
82 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt folgung gemeinsamer Ideen oder Interessen verschiedener beteiligter Völkerrechtssubjekte, die Einsicht i n wirtschaftliche oder durch Sicherheitserfordernisse bedingte Notwendigkeiten, die Furcht vor militärischen Drohungen oder die Einschüchterung dadurch und endlich die teilweise oder völlige Überwältigung durch die physische Gewalt eines Opponenten 4 . Die Motivationsmittel, das gesamte Wirkungs-Instrumentarium der Auswärtigen Gewalt ist entsprechend differenziert 5 . Regelmäßig werden die allgemeinen Verkehrsbeziehungen zu den anderen Völkerrechtssubjekten — häufig auch dann, wenn die gegenseitigen Relationen wenig freundschaftlich sind — unter strenger Beachtung aller Regeln der Courtoisie unterhalten. Neben den Höflichkeits- und Routineverkehr treten besondere Mitteilungen, Erklärungen, Meinungsaustausch, Gespräche, Verhandlungen, Konferenzen. Durch all diese Gestaltungsmittel können i n freundschaftlicher Weise Motive wie Vorteil, Gemeinsamkeit, Vorbeugung, Notwendigkeit bei den Partnern verlebendigt und zu einer bestimmten Einflußnahme genutzt werden, die oft ihre Krönung i n einem gegenseitig verpflichtenden Vertrag findet 6 . Aber wie schon i m Bereich der Regeln der Courtoisie durch geflissentliche Nichtbeachtung, durch sogenannte unfreundliche Akte, auch eine nichtfreundliche Haltung, Nichtachtung, Abwehr zum Ausdruck gebracht werden kann, so können auch i n Mitteilungen, Erklärungen, Gesprächen, Verhandlungen und Konferenzen Protest, Widerstand, Forderungen, ultimative Forderungen, Drohungen zum Ausdruck gebracht werden. Als äußerstes 7 Motivationsmittel erscheint der Gebrauch physischer Gewalt 8 . Es wäre zweifellos ein Fehler, die physische Gewalt als einziges wirkungsvolles Motivationsmittel i m Bereich der internationalen Beziehungen zu betrachten; die freie Ubereinstimmung ist die dauerhafteste und dazu moralisch höchststehende Garantie geordneter 4 Z u r Vielfältigkeit möglicher Motive u n d ihrer Kombinationen vgl. Berber, Lehrbuch I I I , S. 85 f. m i t Zitaten aus Mc Dougal-Feliciano, L a w and M i n i m u m W o r l d Public Order, The Legal Regulation of International Coercion, 1961. s Vgl. zum folgenden oben §3, Abschnitt 2. « So Berber, Lehrbuch I I I , S. 87. 7 Vgl. dazu i n A r t . 41 S. 3 UN-Satzung die Liste friedlicher Sanktionsmaßnahmen, deren Anwendung nach A r t . 39 i.V.m. A r t . 42 S. 1 UN-Satzung selbst i m Falle eines Angriffs zunächst i n Betracht zu ziehen ist: völlige oder teilweise Unterbrechung der wirtschaftlichen Beziehungen, der Eisenbahn-, Schiffahrts-, L u f t - , Post-, Telegrafen-, F u n k - u n d sonstigen Verbindungen, sowie Abbruch der diplomatischen Beziehungen. 8 Siehe Berber, Polizei (Vortrag), S. 118: „Kampfhandlungen gegen ein fremdes Staatsorgan — und jeder legale Kombattant ist ein fremdes Staatsorgan — sind Ausübung auswärtiger Gewalt."
§ 5. Logisch-terminologische Zuordnung
83
zwischenstaatlicher Beziehungen 9 . Es wäre jedoch nicht weniger falsch zu verkennen, daß die Gewaltanwendung bei der gegenwärtigen Struktur der Völkerrechtsgemeinschaft nach wie vor ein schwerwiegendes Motivationsmittel geblieben ist. Wenn auch die überwältigende Mehrheit der Staaten auf die Gewalt als ein M i t t e l nationaler Politik verzichtet hat 1 0 , so räumt das Völkerrecht doch unter eng umschriebenen Voraussetzungen das Recht zur Anwendung militärischer Gewalt, das Recht zur „individuellen und kollektiven Selbstverteidigung" für den Fall eines Angriffes ein 1 1 . Aber auch dort, wo Gewalt gegen andere Staaten unter Bruch des Völkerrechts angewendet wird, wäre es falsch, darin eine Unterbrechung aller zweckvollen Zusammenhänge i m komplizierten Geflecht internationaler Beziehungen zu sehen. Auch die rechtswidrige Gewaltanwendung w i r d regelmäßig als Motivationsversuch zur Erreichung bestimmter Zwecke und Ziele erfolgen, um bestimmte Absichten und Forderungen durchzusetzen, mißliebigen Entwicklungen vorzubeugen oder konkrete Zumutungen zurückzuweisen. Soweit nicht die Gewaltanwendung auf den Befehl eines Wahnsinnigen zurückgeht oder die Ursache eines rein technischen Versagens („Irrtums") einer übermechanisierten Verteidigungsapparatur ist, ist sie intentioneil, zweckhaft und nicht ein sinnentleertes Geschehen. Clausewitz sagt zu der politischen Motivationsfunktion der Gewalt i n seinem grundlegenden und i n seinen allgemeineren Erwägungen, insbesondere über die Natur des Krieges und über das Verhältnis von Krieg und Politik, noch heute unvermindert gültigen Werk „Vom Kriege" 1 2 : „Der Krieg ist also ein A k t der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen 1 3 ." Als Definition des völkerrechtlichen Kriegsbegriffes ist 9
So Berber, Lehrbuch I, S. 14 f. u n d Lehrbuch I I I , S. 86 ff. Siehe Kellog-Pakt v o m 27. 8.1928 u n d UN-Satzung A r t . 2, Nr. 4. 11 Siehe UN-Satzung, A r t . 51. — Z u Einzelheiten der Illegalisierung der Gewalt durch das geltende Völkerrecht siehe unten § 7 Abschnitt I. 12 Carl von Clausewitz (1780—1831) „ V o m Kriege" (1832). — Zur zeitlosen Gültigkeit u n d überragenden Bedeutung der Clausewitzschen Lehren, ihrer zeitweiligen fatalen Mißachtung i m Westen u n d ihrer umfassenden Rezeption i n der kommunistischen D o k t r i n v o m Klassenkampf u n d Weltrevolution siehe Ritter von Schramm, S. 254 ff. Max Horst i m Staatslexikon bezeichnet „ V o m Kriege" als Standardwerk der Kriegslehre. A n die Seite zu stellen sind diesem Werk allein w o h l die i n gleichem Maße durch philosophische Sicht u n d praktische Anschauung charakterisierten Schriften v o n Mao Tsetung, über den modernen Volks- u n d Befreiungskrieg; vgl. Mao Tse-tung, Theorie des Guerillakrieges, 1966. — Als Beispiele f ü r die heute stark einsetzende Clausewitz-Renaissance siehe vor allem Aron, Frieden u n d Krieg, 1962, aber z.B. auch: J. C. King, Generals and Politicians, 1951; J . W .Spanier, The T r u m a n Mac A r t h u r Controversy and the Korean War, 1959; H e l m u t Schmidt, Verteidigung oder Vergeltung, 1965. A l l e diese Autoren machen die Hauptthesen des Werkes von Clausewitz zum Ausgangspunkt ihrer U n t e r suchungen bzw. stellen diese Thesen ihren Untersuchungen voran. 13 Clausewitz, S. 13. 10
6*
84 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt dieser Satz völlig ungeeignet, da er auf jede Form von Gewaltanwendung — auch als Repressalie, Selbsthilfe oder Intervention — anwendbar ist und keine Abgrenzungskriterien für die gezielte kriegerische Gewaltanwendung bietet 1 4 , jedoch bringt dieser Satz die teleologische Funktion der militärischen Gewalt i m internationalen Bereich k l a r zum Ausdruck. Verdeutlichend fährt Clausewitz fort: „Gewalt, d. h. die physische Gewalt (denn eine moralische gibt es außer dem Begriff des Staates und Gesetzes nicht) ist also das Mittel; dem Feind unseren Willen aufzudringen der Zweck 15." W i r d die militärische Gewaltanwendung nicht als ein M i t t e l zur Erreichung eines außenpolitischen Zweckes, sondern als ein vom sonstigen außenpolitischen Geschehen isoliertes, unabhängiges Phänomen, als Unterbrechung des Zusammenhanges der gegebenen auswärtigen Beziehungen betrachtet und behandelt, so mündet sie notwendig i n völlig sinnlose Zerstörung und durch nichts gerechtfertigte gänzliche oder teilweise Selbstvernichtung 16 . Nur wenn über die Gewaltanwendung der ursprünglich m i t i h r verfolgte politische Zweck nicht aus den Augen verloren wird, besteht die Möglichkeit, der jeder rein militärisch geführten Auseinandersetzung innewohnenden Tendenz zur äußersten Steigerung i n der Wahl der Kriegsmittel (Eskalation) und zur Radikalisierung der Kriegsziele i n Richtung auf eine unterschiedslos geforderte bedingungslose Kapitulation entgegenzuwirken, den eigenen Einsatz an Opfern und Risiken i n eine vernünftige Relation zu dem Gegenstand der Auseinandersetzung zu bringen und einen eventuellen Erfolg auf dem Schlachtfeld i n einen dauerhaften politischen Erfolg zu verwandeln. Nur wenn bei einem militärischen Konflikt die m i t ihm vom Gegner verfolgten politischen Zwecke erkannt und ernst genommen werden, besteht die Aussicht, den Gegner auch zu einem Kompromiß, einem Verständigungsfrieden zu bewegen. U m den einmal erfolgten Ausbruch von Gewalt i n den internationalen Beziehungen zu bändigen, zu mäßigen und durch die Herbeiführung eines neuen Zustandes des freien Einverständnisses zu beenden 17 , muß man dem Ursprung des Streites i n den vorangegangenen politischen Entwicklungen Rechnung tragen, die zugrunde liegenden politischen Interessengegensätze und Zweckantinomien zu versöhnen oder harmonisch zu verwandeln suchen.
15
Siehe dazu Berber,
Lehrbuch I I , S. 2.
Clausewitz, a.a.O.
16 Ausführlich hierzu u n d zum folgenden m i t eingehender Darstellung der Clausewitzthesen unten §8. 17 Z u r freien Verständniserklärung als der Grundlage eines echten Friedens siehe Berber, Lehrbuch I I I , S. 87.
§ 5. Logisch-terminologische Zuordnung
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W i l l man der Gewalt nicht hilflos als einer überraschenden Katastrophe begegnen und sich ihrer Anwendung wie einem wilden Strom m i t einem Boot ohne Ruder anvertrauen, sondern ihr rational und zielbewußt entgegentreten bzw. sie i n Dienst nehmen, so ist dafür die erste Voraussetzung, sie als das zu begreifen, was sie ist, als ein außenpolitisches Instrument, als ein i m Bereich der internationalen Beziehungen — wenn auch besonders augenscheinliches und verheerendes — Motivationsmittel unter anderen. Die Einsicht, daß militärische Gewalt vernünftigerweise als nichts anderes begriffen werden kann als ein Mittel zur Gestaltung der auswärtigen Beziehungen, führt zu folgender begrifflich-logischer Zuordnimg von Wehrhoheit und Auswärtiger Gewalt zueinander.
I I . Auswärtige Gewalt als die eine umfassende auswärtige Gesamtzuständigkeit, die die militärische Auswärtige Gewalt (Wehrhoheit) und die diplomatische Auswärtige Gewalt in sich begreift „Auswärtige Gewalt" ist der Teilbereich der Staatstätigkeit, der i n der Gestaltung der immittelbaren Beziehungen zu anderen Völkerrechtssubjekten besteht 18 . „Wehrhoheit" ist der Teilbereich der Staatstätigkeit, der i n der Gewaltanwendung gegenüber anderen Völkerrechtssubjekten besteht 19 . Beide Begriffe bezeichnen nach außen gewendete staatliche Hoheitsrechte, Staatstätigkeiten, deren Adressaten fremde Völkerrechtssubjekte sind. Während aber der Begriff „Auswärtige Gewalt" ganz allgemein und unspezialisiert den Bereich der äußeren Selbstbestimmung eines Staates 20 , die Möglichkeit beliebiger Gestaltung der auswärtigen Beziehungen i m Guten wie i m Bösen anspricht, ist der Begriff der Wehrhoheit enger und spezialisierter. Die Wehrhoheit ist i n ihrer Wirkungsweise dadurch beschränkt, daß ihr als einziges Gestaltungsmittel (Motivationsmittel) die Gewaltanwendung an die Hand gegeben ist; den Wirkungsbereich aber hat sie m i t der Auswärtigen Gewalt gemeinsam, die unmittelbare Gestaltung der auswärtigen Beziehungen. Die Gegenüberstellung der i n Frage stehenden Begriffe zeigt, daß Auswärtige Gewalt und Wehrhoheit i n einem Über- Unterordnungsverhältnis, einer Subordinationsbeziehung zueinander stehen. Auswärtige Gewalt ist ein Oberbegriff in Relation zum Begriff der Wehr18 Siehe oben § 3. i® Siehe oben § 1. 20 Siehe dazu Berber, Lehrbuch I, S. 181 ff.
86 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt hoheit, der als Unterbegriff erscheint. Das (spezifische Differenz, differentia specifica) begriff (genus) Auswärtige Gewalt und dem hoheit ist die Bezeichnung der physischen Wirkungsmittels 2 1 .
unterscheidende Merkmal zwischen dem GattimgsArtbegriff (species) WehrGewalt als des einzigen
Der Oberbegriff „Auswärtige Gewalt" bezeichnet den Bereich der Staatstätigkeit, der die Gestaltung der Beziehungen zu anderen Völkerrechtssubjekten zum Gegenstand hat. Der subordinierte Begriff „Wehrhoheit" bezeichnet aus dem Bereich der Auswärtigen Gewalt einen Teilbereich: die Gestaltung der Beziehungen zu anderen Völkerrechtssubjekten durch das M i t t e l der Gewalt. U m dieses begriffliche Über- Unterordnungsverhältnis zwischen Auswärtiger Gewalt und Wehrhoheit auch i n den Begriffsbezeichnungen deutlich zu machen, erscheint es sinnvoll, statt der rechtssystematisch unergiebigen Ausdrücke Wehrhoheit, Wehrgewalt, Verteidigung und Militärgewalt 2 2 den Ausdruck militärische Auswärtige Gewalt zu verwenden. Die Hinzufügung „militärisch" w i r d als Unterscheidungsmerkmal benutzt, w e i l die staatliche Gewaltanwendung gegen andere Völkerrechtssubjekte regelmäßig durch organisiertes Waffenvolk erfolgen wird, w e i l das M i l i t ä r der typische Träger, das spezialisierte Organ staatlicher auswärtiger Gewaltanwendung ist. Der Unterbegriff militärische Auswärtige Gewalt bedarf notwendig eines Komplementärbegriffes, wenn der Gesamtbereich der Auswärtigen Gewalt zur begrifflichen Darstellung gelangen soll. Dieser erforderte Ergänzungsbegriff bezeichnet den Bereich der Gestaltung der auswärtigen Beziehungen ohne Gewaltanwendung. Der typische Träger solcher nichtgewaltsamer auswärtiger Verkehrsbeziehungen, das typische, wenn auch nicht alleinige staatliche Organ für die völkerrechtlichen Beziehungen sind die Diplomaten. Daher bietet sich als Gegenbegriff zur militärischen Auswärtigen Gewalt der Ausdruck diplomatische Auswärtige Gewalt an 2 3 . 21 Z u den hier und i m folgenden verwendeten T e r m i n i der L o g i k vgl. Hoffmeister, Stichwort „Begriffe". 22 Kraus, Wehrbeitrag I, S. 144, spricht bei der Gegenüberstellung der Ausdrücke Wehrhoheit u n d Auswärtige Gewalt v o n einem „bizarren Sprachmißbrauch". 23 Die Anregung zu dieser Begriffsbildung geht auf das bedeutende, durch den Reichtum u n d die Ausgewogenheit der Gesichtspunkte besonders beeindruckende Werk zur Außenpolitik von Raymond Aron zurück, auf das sich Berber i n den oben (Einleitung, Abschn. 1, Abs. 3) wiedergegebenen Darlegungen, die die Grundlage dieser A r b e i t bilden, bezieht: Paix et guerre entre les nations, 1962; deutsch: Frieden u n d Krieg, Eine Theorie der Staatenwelt, 1963. Siehe dort S. 14: „Die internationalen Beziehungen werden dargestellt i n u n d durch spezifische Verhaltensweisen von Personen, die ich
§ 6. Rechtshistorische Aspekte
87
D i e wesentliche U n t e r s c h e i d u n g , ob die G e s t a l t u n g d e r B e z i e h u n g e n eines Staates z u a n d e r e n V ö l k e r r e c h t s s u b j e k t e n m i t g e w a l t s a m e n oder n i c h t g e w a l t s a m e n M i t t e l n d u r c h g e f ü h r t w i r d , f ü h r t so z u d e m e n t wickelten Begriffssystem (Begriffspyramide) m i t der A u s w ä r t i g e n G e w a l t als u m f a s s e n d e m O b e r b e g r i f f f ü r die G e s t a l t u n g d e r ausw ä r t i g e n Beziehungen u n d der diplomatischen A u s w ä r t i g e n G e w a l t u n d der m i l i t ä r i s c h e n A u s w ä r t i g e n G e w a l t als k o m p l e m e n t ä r e n U n t e r begriffen 24.
§ 6. Rechtshistorische Aspekte zum Verhältnis von Wehrhoheit und diplomatischer Auswärtiger Gewalt zueinander Daß m i l i t ä r i s c h e A u s w ä r t i g e G e w a l t u n d d i p l o m a t i s c h e A u s w ä r t i g e G e w a l t eine b e g r i f f l i c h e u n d sachliche E i n h e i t b i l d e n , daß W e h r h o h e i t e i n T e i l b e r e i c h des umfassenden K o m p l e x e s d e r A u s w ä r t i g e n G e w a l t ist, ist eine Einsicht, v o n d e r die U r h e b e r des K o n s t i t u t i o n a l i s m u s ausgingen u n d die sich bis i n die W e i m a r e r Z e i t b e h a u p t e t h a t , i n der sie a l l e r d i n g s t e i l w e i s e d u r c h die schematisch gesonderte B e t r a c h t i m g u n d K o m m e n t i e r u n g der A r t . 78 A b s . 1 u n d 79 S. 1 W V 1 v e r symbolisch nennen möchte, den Diplomaten und den Soldaten. Z w e i Männer u n d n u r zwei handeln i n allem nicht mehr w i e irgendwelche Mitglieder von Kollektiven, zu denen sie gehören, sondern als deren Repräsentanten: der Botschafter ist i n Ausführung seiner Amtspflichten die politische Einheit, i n deren Namen er spricht; der Soldat ist auf dem Schlachtfeld die politische Einheit, i n deren Namen er seinesgleichen den Tod gibt . . . Der Botschafter 1 u n d der Soldat leben und symbolisieren die internationalen Beziehungen, die, soweit sie zwischenstaatlich sind, sich auf die Diplomatie u n d den K r i e g zurückführen lassen. Die zwischenstaatlichen Beziehungen weisen einen eigentümlichen Z u g auf, der sie von allen anderen Beziehungen u n t e r scheidet: sie entfalten sich erst i m Schatten des Krieges oder, u m einen noch genaueren Ausdruck zu gebrauchen, die Beziehungen zwischen den Staaten bergen ihrem Wesen nach die Alternative von K r i e g u n d Frieden i n sich." U n d a.a.O. A n m . 1: „Es versteht sich von selbst, daß i n dieser abstrakten Bedeutung der Staatsmann, der Außenminister, der Premierminister, der Staatschef i n einigen ihrer Verhaltensweisen ebenfalls zu Botschaftern w e r den. Sie vertreten die politische Einheit als solche." 24 Bei der spezifischen Kennzeichnung der dargestellten Unterbegriffe wurde auf die typischen Träger der unterschiedenen Tätigkeiten abgestellt, w e i l die Gegenüberstellung von „gewaltsamer Auswärtiger Gewalt" u n d „nicht-gewaltsamer Auswärtiger Gewalt" als sprachlich zu ungefügig u n d paradox erschien u n d das Ausdruckspaar „kriegerische Auswärtige Gewalt" — „friedliche Auswärtige Gewalt" insofern irreführend wäre, als A k t e der militärischen Auswärtigen Gewalt auch außerhalb v o n Kriegen i n Betracht kommen (militärische Auseinandersetzungen ohne Herbeiführung des v ö l kerrechtlichen Kriegszustandes) u n d die A k t e der diplomatischen A u s w ä r tigen Gewalt nicht notwendig friedlichen Charakter besitzen (Kriegserklärung, Repressalienankündigung, Kriegsverträge). — Die hier entwickelte Terminologie w i r d i n den folgenden Paragraphen verwendet. i A r t . 78, Abs. 1 W V : „Die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten ist ausschließliche Sache des Reichs." — A r t . 79, S. 1 W V : „Die Verteidigung des Reichs ist Reichssache."
88 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt dunkelt wurde und so zur Zeit i n Vergessenheit geraten zu sein scheint.
1. Die Einheit von militärischer Auswärtiger Gewalt und diplomatischer Auswärtiger Gewalt als überkommener Bestandteil der älteren Staatsrechtstheorien So trennt Locke 2 bei der berühmt gewordenen Unterscheidung der drei staatlichen Tätigkeitsbereiche der „legislative power", der „executive power" und der „federative power" zwischen zwei Rechtskreisen, dem staatsinternen Rechtsbereich, i n dem die ersten beiden Gewalten wirken, und dem staatsexternen Bereich, dem ausschließlichen und ungeteilten Gestaltungsbereich der federative power. I m Außenbereich erscheint der Staat i n all seinen Aktionen als Einheit („one body"); während i m Staatsinnern die Individuen Rechte und Pflichten haben, werden sie nach außen hin durch den Staat mediatisiert. Der wesentliche Inhalt der „federative power" ist die Entscheidung über Krieg und Frieden und das Recht zu Bündnissen und allen Abmachungen m i t allen Personen und Gemeinschaften außerhalb des Staates — mit anderen Worten: die militärische Auswärtige Gewalt und die diplomatische Auswärtige Gewalt. Montesquieu i n dem klassischen Kapitel „Von der Verfassung Englands" 3 unterscheidet zwischen den drei Gewalten „puissance legislative", „puissance de juger" und „puissance executrice". Für letztere, die vollziehende Gewalt, erfolgt die schon bei Locke vorgebildete Trennimg zwischen äußerem und innerem Rechtskreis, zwischen der „puissance executrice des choses, qui dépendent du droit des gens" und der „puissance executrice des choses, qui dépendent du droit civil". Diese vollziehende Gewalt für völkerrechtliche Angelegenheiten hat nach Montesquieu zum Inhalt: Friedensschlüsse, Kriegsführung, Entsendung und Empfang von Gesandten, Befestigung der Sicherheit, Zuvorkommen von Invasionen — d.h. ununterschieden die militärischen und diplomatischen Funktionen, die der Staat zu seiner Repräsentation und Selbstbehauptung nach außen entfaltet. Auch Hegel bringt i n aller Deutlichkeit die Einheit aller auswärtigen Beziehungen eines Staates zum Ausdruck, seien sie militä-
2 Locke, (1632—1704), T w o treatises of government, 12 Kapitel, §§ 145 ff. Siehe dazu Menzel, W D S t R L , Bd. 12 (1954), S. 183; Wolgast, AöR n.F., Bd. 5 S. 6. 3 Montesquieu
(1689—1755), Buch 11, Kap. 6 (S. 214 ff.).
§ 6. Rechtshistorische Aspekte
89
4
rischer oder diplomatischer Natur : „Seine Richtung nach außen hat der Staat darin, daß er ein individuelles Subjekt ist. Sein Verhältnis zu anderen fällt daher i n die fürstliche Gewalt, der es deswegen allein und unmittelbar zukommt, die bewaffnete Macht zu befehligen, die Verhältnisse m i t anderen Staaten durch Gesandte usw. zu unterhalten, Krieg und Frieden und andere Traktate zu schließen." Constant, einer der bedeutendsten Vertreter der konstitutionellen Theorien, weist ebenfalls die militärischen und diplomatischen Staatsfunktionen als Einheit der Exekutive zu 5 : „Le droit de paix et de guerre, la conduite des opérations militaires, celle des négotiations, la conclusion des traités, appartiennent au pouvoir exécutif." Entsprechend formulierten die Verfassungen der Zeit die auswärtige Zuständigkeit des Monarchen als einen Zusammenhang von militärischen und diplomatischen Kompetenzen. Art. 14 der französischen Charte Constitutionelle aus dem Jahre 1814 lautete z.B.: „Le Roi est le chef suprême de l'Etat, i l commande les forces de terre et de mer, déclare la guerre, fait les traités de paix, d'alliance et de commerce ..." und A r t . 68 der zum Vorbild für viele deutsche6 und ausländische Verfassungen gewordenen liberalen Einheitsstaatsverfassung von Belgien aus dem Jahre 1831: „Der König führt den Oberbefehl über die Streitkräfte zu Wasser und zu Lande, erklärt den Krieg, schließt Friedens-, Bündnis- und Handelsverträge ab . . . " Die Bildung eines solchen einheitlich-umfassenden Begriffes der Auswärtigen Gewalt wurde dadurch gefördert, daß die Gewaltenteilungslehre einen „ausgesprochen innerstaatlich-bürgerrechtlichen Akzent" hatte 7 . Sie diente der Beseitigung der überkommenen feudalistisch-absoluten Staatsgewalt i m Staatsinnern und überließ die Wahrnehmung der auswärtigen diplomatischen und militärischen Funktionen uneingeschränkt dem Monarchen. Eine Trennung von diplomatischer Auswärtiger und militärischer Auswärtiger Gewalt kam auch deswegen kaum i n Betracht, w e i l i m 17. und 18. Jahrhundert noch die zwischenstaatlichen Beziehungen nach der A r t der rechtlichen Kontakte nicht sehr differenziert waren, sondern vielmehr i m Mittelpunkt der Erwägungen die Wahrnehmung des freien Rechtes eines jeden Staates zum Kriege stand 8 und die völkerrechtlichen Ver4
Hegel (1770—1831), § 329.
« Constant,
B e n j a m i n (1767—1830), Principes de politique, hrsg.
Roulin 1957, S. 1166, zitiert nach Schauwienold, S. 21. « Siehe Härtung, S. 220 und 263.
Alfred
7 Siehe Menzel, W D S t R L , Heft 12, S. 183. 8 Siehe Berber, Lehrbuch I I , S, 63, unter Hinweis auf den bedeutenden A n t e i l des Kriegsrechts an den ältesten Regeln des Völkerrechts, den T i t e l des frühesten Hauptwerkes zum Völkerrecht von Hugo Grotius (1583—1645)
90 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt träge auf die Eventualitäten und Modalitäten von Kriegen fast ausschließlich beschränkt waren i n der Gestalt von Bündnisverträgen, Subsidienverträgen und Friedensverträgen u.a. 9 .
2. Die Beständigkeit des umfassenden Begriffs wärtigen Gewalt im 19. Jahrhundert
der Aus-
M i t der Verfeinerung und Vervielfältigung der friedlichen auswärtigen Beziehungen der Staaten i m 19. Jahrhundert, vor allem durch Abschluß von Verträgen, die auch i n den staatsinternen Gesetzgebungsbereich hineinwirkten und so einen mittelbaren Einfluß der Kammern auf die auswärtigen Angelegenheiten ermöglichten 10 , eröffnete sich die Möglichkeit, formal die diplomatische Auswärtige Gewalt von der militärischen Gewalt zu trennen. Jedoch trotz der wachsenden Bedeutung des Bereiches der diplomatischen Auswärtigen Gewalt und den unterschiedlichen Einflußbefugnissen der Parlamente i m internen Organisations- und Willensbildungsbereich der militärischen und der diplomatischen Auswärtigen Gewalt 1 1 blieb die Einsicht i n die innige Verwobenheit und wechselseitige Abhängigkeit der militärischen und diplomatischen Beziehungen, die unauflösliche Einheit aller auswärtigen Beziehungen eines Staates, erhalten. So betrachtete die Staatslehre des Deutschen Kaiserreiches die Wehrhoheit noch als Teil der Auswärtigen Gewalt. Laband 12: „Denn da das Reich allein Krieg erklären und Frieden schließen kann und der Kaiser den Oberbefehl über die Machtmittel des Reiches (Heer und Marine) hat, so ist auch die gesamte auswärtige Politik, die hiervon „De jure B e l l i ac Pacis L i b r i Tres": „ . . . wie j a auch f ü r die ältere Zeit, i n der internationaler Handel u n d Reiseverkehr n u r schwach entwickelt waren, der K r i e g eine Intensivierung der internationalen Berührungen gegenüber der relativen Isolierung des Friedenszustandes m i t sich brachte u n d viele Menschen Berührung m i t Ausland und Ausländern n u r i m K r i e g erhielten." 9 Siehe Baade, S. 147: „Die auswärtigen Beziehungen des deutschen Reiches erschöpften sich i m wesentlichen i n der rechtlichen Regelung kriegerischer Auseinandersetzungen." 10 Siehe hierzu Baade, S. 151: „Der Absolutismus hat aber m i t der endgültigen Erkämpfung des Entscheidungsmonopols i n Kriegs- u n d Friedenssachen für die landesherrliche Gewalt n u r einen Pyrrhussieg errungen. Denn i n dem Maße w i e das Kriegsführungsrecht u n d Friedensschlußrecht sich i n den Händen des Monarchen verdichtete, verringerte sich seine praktische Bedeutung als Ausübung auswärtiger Gewalt. U n d w a r auch die Teilnahme der Stände an der auswärtigen Gewalt i n Kriegssachen fast v ö l l i g dahin geschwunden, so vermochten sich ihre legitimen Nachfolger, die K a m m e r n auf den Bereich der rechtssetzenden Verträge ein Mitwirkungsrecht erkämpfen, das die Machteinbuße zumindest ausglich." — Z u m „indirekten Mitwirkungsrecht" der K a m m e r n vgl. auch a.a.O., S. 161. u Siehe A r t . 11, Abs. 3 u n d A r t . 60 R V 1871. i2 Laband, Staatsrecht I I I , S. 4 (Hervorhebung v o m Verf.).
§ 6. Rechtshistorische Aspekte
91
untrennbar ist, f ü r das ganze Reich n o t w e n d i g eine e i n h e i t l i c h e u n d eine f ü r a l l e B u n d e s g l i e d e r gemeinsame A n g e l e g e n h e i t . " U n d Haenel i n verschiedenen W e n d u n g e n 1 3 : „ S i e (die Staatspflege) e n t f a l t e t sich f ü r die S e l b s t b e h a u p t u n g i m I n n e r n als O r g a n i s a t i o n s - , als F i n a n z - , als S t r a f - u n d Z w a n g s g e w a l t , als M i l i t ä r g e w a l t zur Selbstbehauptung nach außen als auswärtige Gewalt 14" Z u der „ T h ä t i g k e i t jedes Staates a u f d e m G e b i e t der a u s w ä r t i g e n A n g e l e g e n h e i t e n " 1 5 : „ Z u n ä c h s t ist dies eine l e d i g l i c h nach außen g e w a n d t e T h ä t i g k e i t . Sie n i m m t u n m i t t e l b a r die S t a a t s g e w a l t des a u s w ä r t i g e n Staates z u m Gegenstande. Sie e n t f a l t e t sich i n d e n wechselseitigen E i n w i r k u n g e n , w e l c h e die S t a a t e n als E i n h e i t e n d e r V ö l k e r r e c h t s g e m e i n s c h a f t a u f e i n a n d e r ausüben. Sie ä u ß e r t sich w e s e n t l i c h i n v i e r R i c h t u n g e n : als wechselseitiger V e r k e h r d e r Staaten, als Schutz der Interessen u n d Rechte der S t a a t s a n g e h ö r i g e n i m A u s l a n d e — beides d u r c h i h r e h i e r z u b e s t i m m t e n Organe, i n s besondere i m Gesandtschafts- u n d K o n s u l a r w e s e n — sodann als 13
Haenel, S. 332 (Hervorhebung u n d ergänzende Hinzufügung v o m Verf.). Die Selbstbehauptung des Staates nach außen m i t diplomatischen u n d militärischen M i t t e l n bezeichnet Haenel i n Übereinstimmung m i t der überkommenen Staatslehre als Gegenstand der Auswärtigen Gewalt. W e n n daneben die „ M i l i t ä r g e w a l t " i n der Reihe der „innerstaatlichen Hoheitsrechte" i m Gegensatz zu den „äußeren Hoheitsrechten" aufgeführt w i r d , so ist damit zum einen die subsidiäre innerstaatliche polizeiliche F u n k t i o n der Streitkräfte angesprochen (vgl. A r t . 68 R V 1871), zum anderen der akzessorische Organisationsbereich der militärischen Auswärtigen Gewalt (vgl. dazu oben § 1 Abschnitt 11,3. Dieser Bereich ist vor allem m i t der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht für den Großteil der Bürger von einschneidender Bedeutung geworden u n d verdient auch aufgrund der v ö l l i g unterschiedlichen S t r u k t u r von Wehrdienstrecht und dem sonstigen Recht des öffentlichen Dienstes eine selbständige Erwähnung bei einer Aufgliederung der nach innen wirkenden staatlichen Hoheitsrechte. So ist z.B. i n der Rheinbundakte v o m 12.7.1806 das Aushebungsrecht eigens aufgeführt: „Les droits de souveraineté sont ceux de législation, de jurisdiction suprême, de haute police, de conscription militaire ou de recrutement et d'impôt". U n d die frühere deutsche Staatsrechtslehre hat die „Heeresgewalt" vielfältig als eigenes „inneres Hoheitsrecht" dargestellt (zahlreiche Nachweise i m G u t achten der Niedersächsischen Landesregierung, Wehrbeitrag I I , S. 43Iff.). Die militärische Auswärtige Gewalt besitzt eine doppelte Ausrichtung, u n d es ist wichtig, hier die Relationen zu beachten. Primär ist die militärische Auswärtige Gewalt ein nach außen gewendetes Hoheitsrecht, die Zuständigkeit zur Gewaltanwendung gegen andere Völkerrechtssubjekte. U m die E r f ü l l u n g der Verteidigungsaufgabe zu ermöglichen, ist eine innerstaatliche Organisation erforderlich, die auch erheblich i n die bürgerlichen Freiheitsrechte eingreift. Die innerstaatliche Kompetenz ist akzessorisch, d. h. i m Zweifel ist m i t der Verteidigungszuständigkeit auch die Zuständigkeit zur Organisierung von Streitkräften gegeben. Abweichungen bedürfen ausdrücklicher verfassungsrechtlicher Regelungen, wie sie sich gerade i n der Reichsverfassung von 1871 zugunsten der Gliedstaaten finden (siehe dazu unten § 9, Abschnitt I I I , 1). Eine Täuschung, ein Fehler wäre es, i n der Wehrdienstorganisation das Wesen der Auswärtigen Gewalt, der Wehrhoheit zu erblicken, denn diese Organisation ist n u r sinnvoll i m Hinblick auf den wesentlichen Zweck der Verteidigung nach außen. 15 Haenel, S. 532 (Hervorhebung v o m Verf.). 14
92 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt völkerrechtliche Vertragsverhandlungen, endlich als Schlichtung der Streitigkeiten untereinander, nötigenfalls im Wege der Eigenmacht und des Krieges 16."
3. Die äußerliche Trennung zwischen militärischer diplomatischer Auswärtiger Gewalt im Text der Weimarer Verfassung
und
Die Unterscheidung zwischen den Teilbereichen der diplomatischen Auswärtigen Gewalt und der militärischen Auswärtigen Gewalt wurde der deutschen Staatsrechtslehre der Weimarer Zeit durch die Formulierung der A r t . 78 Abs. 1 und 79 S. 1 W V nahegelegt. A r t . 78 Abs. 1: „Die Pflege der Beziehungen zu den auswärtigen Staaten ist ausschließlich Sache des Reichs." Und Art. 79 S. 1: „Die Verteidigung des Reichs ist Reichssache." Die beiden A r t i k e l führten je für ihren Bereich wesentliche Veränderungen des deutschen Verfassungslebens herbei, A r t . 78 Abs. 1 u. a. die Aufhebung des jus legationis der Länder, A r t . 79 S. 1 die Aufhebung des Systems des Kontingentheeres und die Beseitigung der militärischen Reservatrechte der Länder Bayern und Württemberg. Diese Bestimmungen sicherten damit die völlige Einheitlichkeit der Gebarung des Deutschen Reiches i n den auswärtigen Verhältnissen. U m so weniger bestand Anlaß, den umfassenden Begriff der Auswärtigen Gewalt, der ursprünglich die Interdependenz und Kontingenz aller auswärtigen Beziehungen zum Ausdruck bringt, auf den Teilbereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt zu beschränken und den Teilbereich der militärischen Auswärtigen Gewalt als gleichgeordneten Begriff zu verselbständigen. Gegen die Behandlung der diplomatischen Auswärtigen Gewalt und der militärischen Auswärtigen Gewalt — unter welcher Bezeichnung auch immer — als gleichgeordnete Begriffe wäre an sich nichts einzuwenden gewesen, sie erscheint durch den Wortlaut der zitierten Bestimmungen und die unterschiedliche interne Willensbildungs- und Organisationsstruktur dieser Teilbereiche der Auswärtigen Gewalt gerechtfertigt. Es ist auch zuzugeben, daß der umfassende Begriff der Auswärtigen Gewalt für die Beantwortung föderaler Zuständigkeitsfragen durch die ausdrückliche Regelung ihrer beiden Teilbereiche — des diplomatischen und militärischen — i n der Weimarer Verfassung entbehrlich geworden ist. I n systematischer Hinsicht aber — und dieses ist nicht allgemein zum Bewußtsein gekommen — wurde der Oberbegriff der Auswärtigen Gewalt, das Prinzip der Einheit aller auswärtigen Beziehungen nicht 16 Z u r Staatsrechtslehre des deutschen Kaiserreiches siehe auch unten §9, Abschnitt I I I , 2.
§ 6.
echtshistorische Aspekte
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etwa obsolet, sondern er erfuhr i m Gegenteil durch die ausgesprochene Parallelität und die Konkordanz aller der die diplomatische und militärische Auswärtige Gewalt betreffenden Bestimmungen i n der Weimarer Verfassung eine eindrucksvolle, verfassungsrechtlich-normative Betätigung und Überhöhung 17 . Entsprechend behandelt Wolgast i n der ersten und umfassendsten zusammenhängenden Darstellung der auf die Auswärtige Gewalt bezogenen A r t i k e l der Weimarer Verfassung unter der Gesamtüberschrift „Die Auswärtige Gewalt des Deutschen Reiches" 18 sowohl den Teilbereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt als auch den komplementären Teilbereich der militärischen Auswärtigen Gewalt. Nach Wolgast, der sich dabei auf Hobbes beruft 1 9 , zeichnet sich das Gebiet der Auswärtigen Gewalt dadurch aus, daß i n i h m der Charakter des Staates als absoluter Person, der die Orientierung nach oft rasch wechselnden Zwecken Gesetz, die Selbstbehauptung erste Aufgabe ist, dominiert 2 0 . Der Staat ist nach außen zu völliger Einheitlichkeit zusammengeschlossen21. „Konkurrenz, latenter Kriegszustand, ist das Verhältnis, das zwischen Staaten ,im Frieden' besteht 22 ." Die bewaffnete Macht erscheint als „eine Seite der absoluten Staatsperson, nur eine andere" 23 . Als Inhalt der Auswärtigen Gewalt führt Wolgast daher i n Anlehnung an Haenel 24 auf 2 5 : „Die Fähigkeit zum Vertragsschluß m i t auswärtigen Staaten und zum Schutze der Rechte und Interessen der Staatsangehörigen i m Auslande, nötigenfalls im Wege der Eigenmacht, insbesondere des Krieges, und die Fähigkeit zum wechselseitigen Verkehr m i t dem Ausland." Die innere Zusammengehörigkeit von diplomatischer und militärischer Auswärtiger Gewalt unter der Gesamtfunktion der Auswärtigen Gewalt, der von dorther gestiftete Zusammenhang zwischen A r t . 78 Abs. 1 und A r t . 79 S. 1 W V kommt i n folgender Anmerkung von Wolgast zu A r t . 78 Abs. 1 W V gut zum Ausdruck 2 6 : „Auch zur Schlichtung von Streitigkeiten mit dem Ausland ist grundsätzlich das Reich befugt. Soweit es sich u m gütliche 17 Eine Übersicht über diese Bestimmungen siehe unten i m Anhang, Abschnitt I I I , 2 l i t . a u n d c. 18 Wolgast, AöR. n.F. 5 (1923) S. 1 ff. 1 9 a.a.O., S. 87 f. 20 a.a.O., S. 91 f. 21 a.a.O., S. 80. 22 a.a.O., S. 87. — Vgl. auch a.a.O., S. 92 f. zu den Eigenarten des diplomatischen Dienstes i m Spannungsfeld der gegensätzlichen Interessen. 23 a.a.O., S. 94. 24 Vgl. dazu a.a.O., S. 9, A n m . 12. 2ß a.a.O., S. 6 (Hervorhebung v o m Verf.). 26 a.a.O., S. 15.
94 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt M i t t e l handelt, gilt das Ausgeführte. Soweit aber das M i t t e l des Krieges, wie der Eigenmacht überhaupt (Retorsion und Repressalie) i n Frage kommt, greift A r t . 79 S. 1 Platz." Auch Hatschek handelt i n seinem Lehrbuch „Deutsches und Preußisches Staatsrecht" den Fragenkreis Wehrhoheit i n dem sehr ausführlichen Unterabschnitt über die „Verwaltung der Auswärtigen A n gelegenheiten" ab 2 7 ; er rubriziert bei der weiteren Untergliederung wie folgt: I. Die Kompetenz zum Abschluß von Staatsverträgen, I I . Das Recht der Kriegshoheit und die Kompetenz zur völkerrechtlichen Aktion, I I I . Die Kompetenz zur völkerrechtlichen und diplomatischen Vertretimg und IV. Das Kolonialwesen. Aus Art. 78 Abs. 1 W V w i r d bei Hatschek direkt nur das diplomatische Verkehrsrecht abgeleitet; darüber steht, aus dieser und anderen Bestimmungen, insbesondere auch Art. 79 S. 1 WV, entwickelt, die umfassende Zuständigkeit des Bundes für die Auswärtigen Angelegenheiten. — Fleischmann bedient sich wie Hatschek des älteren Ausdrucks der „Außenverwaltung" und bezieht unter diesem Terminus ebenfalls den Bereich der militärischen Auswärtigen Gewalt ein, indem er auf die Fülle der Gestaltungsmittel der Auswärtigen Gewalt hinweist, die sich i n differenzierter Abstufung hin bis zu der kriegerischen Gewalt ergeben 28 . — Genauso begreift Neumeyer unter „auswärtiger Verwaltung" den friedlichen wie den feindlichen Staatenverkehr 29 . — Otto Mayer endlich führt die diplomatische und die militärische Auswärtige Gewalt i m Wege einer negativen Abgrenzung gegenüber dem Bereich der eigentlichen Verwaltung zusammen als völkerrechtlicher Verkehr (Vertragsschlüsse m i t fremden Staaten und diplomatische Schritte bei ihren Regierungen, Vorstellungen und Beschwerden, Drohungen und diplomatischer Schutz) und Kriegsführung (die kraftvollste Verfolgung der Staatszwecke) auf 3 0 . Bei anderen Autoren werden die Art. 78 Abs. 1 und Abs. 79 S. 1 W V bzw. Art. 45 Abs. 1 und A r t . 47 W V gesondert kommentiert, die diplomatische und die militärische Auswärtige Gewalt für sich abgehandelt, ohne daß auf ihren notwendigen inneren Zusammenhang hingewiesen, aber auch ohne daß solcher Zusammenhang geleugnet wird. Es findet sich nicht einmal eine ausdrückliche Erklärung über die Beschränkung 27 Hatschek, Staatsrecht I I , S. 437 ff. u n d 451 ff. 28 Fleischmann, HbStR I, S. 211. 29 Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht I V , S. 36. 30 O. Mayer, S. 9 f. — H. Kraus, Wehrbeitrag I I , S. 541, A n m . 15 spricht von Otto Mayers „Viertem Gebiet", durch das die Auswärtige Gewalt u n d die Wehrhoheit, ohne zu trennen, w i e bei Montesquieu erfaßt werde.
§ 6. Rechtshistorische Aspekte
95
des allgemeinen Begriffs der auswärtigen Gewalt auf dem engeren Bereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt 3 1 .
4. Der ausstehende Rückgriff auf den Gesamtbegriff der Auswärtigen Gewalt durch die heutige Staatsrechtslehre Unmittelbar nach der Schaffung des Grundgesetzes war es der verfassungsrechtlichen Lage, die durch das Fehlen der Wehrhoheit der Bundesrepublik gekennzeichnet war, angemessen, die Auswärtige Gewalt i n Anlehnung an die isolierte Betrachtungsweise des A r t . 78 Abs. 1 W V durch einige Autoren der Weimarer Zeit als eine auf den diplomatischen auswärtigen Sektor beschränkte Kompetenz zu begreifen, unter A r t . 32 Abs. 1 GG allein die diplomatische Auswärtige Gewalt zu subsumieren. M i t der Begründung der Wehrhoheit für die Bundesrepublik durch die Wehrrechtsnovellen der Jahre 1954 und 1956 wäre es veranlaßt gewesen, sich auf die ursprünglich weitere Begriffsbedeutung der Auswärtigen Gewalt zurückzubesinnen; dies umso mehr, als i n das Grundgesetz keine dem A r t . 79 S. 1 W V entsprechende Bestimmung eingeführt wurde. Da aber diese Rückbeziehung auf die ältere Staatsrechtstradition, die die diplomatische und die militärische Auswärtige Gewalt als Teilbereiche der einen einheitlichen, alle auswärtigen Zuständigkeiten umfassenden Auswärtigen Gewalt begriff, bisher noch nicht stattgefunden hat, ist es bis heute noch nicht gelungen, rechtssystematisch überzeugend den Ort aufzuweisen, an dem die Wehrhoheit ihre Verankerung i m Grundgesetz gefunden hat. Die Aufgabe einer klaren Einordnung ist schon vor dem Erlaß der Wehrrechtsnovellen gesehen worden; so sagte z. B. Smend i n seinem Rechtsgutachten zum deutschen Wehrbeitrag 3 2 : „Die Schwierigkeit genauer Bezeichnung der verfassungsrechtlichen Tragweite der Einführung der Wehrhoheit i m einzelnen hängt damit zusammen, daß der systematische Ort des Wehrrechts i m ganzen der Verfassung nicht leicht zu finden ist." Die Aufgabe ist jedoch nicht bewußt gelöst worden. Eine rechtshistorisch orientierte Auslegung des Grundgesetzes wird, von der Einheit der diplomatischen und militärischen auswärtigen Funktionen ausgehend, die Generalzuständigkeit des Bundes für die Verteidigung als einen Teilbereich der Auswärtigen Gewalt des Bundes aus der Regelung des A r t . 32 Abs. 1 GG ableiten 33 .
31 Siehe Anschütz, A r t . 78 u n d A r t . 79; Pohl, HdbStR I, S.492 und S.497; Giese, S. 139ff. u n d S. 142 ff.; Meißner, S. 153 ff. u n d S. 158ff. 32 Smend, Wehrbeitrag I, S. 155. 33 Siehe dazu ausführlich unten § 10.
96 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt
§ 7. Völkerrechtliche Aspekte zum Verhältnis von Wehrhoheit und diplomatischer Auswärtiger Gewalt zueinander 1 Die Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt sind Begriffe des innerstaatlichen Verfassungsrechts 2 . Sie bezeichnen Ausschnitte aus dem Gesamtbereich staatlicher Tätigkeit als unterscheidbare Zuständigkeitsbereiche. Das Besondere, den genannten Begriffen Eigentümliche ist, daß beide die nach außen gerichteten staatlichen Hoheitsrechte, die zur Wirkung i m internationalen Raum bestimmten Staatsfunktionen betreffen. Auch wenn sie Ausdruck und Inbegriff der Grundrechte eines Staates 3 zur freien äußeren Selbstbestimmimg 4 und zur unbedingten Selbstbehauptung sind 5 , so sind doch die Akte der Auswärtigen Gewalt, der diplomatischen Auswärtigen Gewalt und der militärischer Auswärtiger Gewalt (Wehrhoheit), — wenn auch i n unterschiedlichster Weise bezüglich der Formen oder Voraussetzungen —, dem Internationalen Recht, dem Völkerrecht unterworfen. Da Auswärtige Gewalt und Wehrhoheit dadurch definiert sind, daß sie sich i m Bereich der internationalen Beziehungen verwirklichen, diese Selbstverwirklichung aber unter der Herrschaft des Völkerrechts sich vollzieht, erscheint es als gerechtfertigt, auch aus den verbindlichen Völkerrechtsregeln über die Staatenbeziehungen auf die notwendige oder zumindest sachgemäße Struktur von Auswärtiger Gewalt und Wehrhoheit, ihres Verhältnisses zueinander zu schließen. Ein solcher Rückschluß ist zumindest dann gerechtfertigt, wenn der i n Frage stehende Staat die Maßgeblichkeit des Völkerrechts für seine inneren und äußeren Angelegenheiten in seiner Verfassung anerkannt hat 6 . 1 Dieser Paragraph enthält keine selbständigen völkerrechtlichen U n t e r suchungen, sondern zeigt lediglich einige weitgehend unstreitige völkerrechtliche Sachverhalte zur Beleuchtung der m i t dieser A r b e i t aufgeworfenen staatsrechtlichen Fragestellungen auf. Es konnte daher f ü r Belegzwecke ganz überwiegend auf das neueste deutschsprachige Standardlehrbuch zum V ö l kerrecht von Prof. Dr. F. J. Berber zurückgegriffen werden. 2 Siehe oben § 1, Abschnitt I I , 1 u n d § 3 Abschnitt V I . 3 Siehe hierzu Berber, Lehrbuch I, S. 179 f. * Siehe hierzu a.a.O., S. 181 ff. ß Siehe hierzu a.a.O., S. 193 ff. o F ü r die Bundesrepublik Deutschland vgl. A r t . 25 u n d A r t . 26 Abs. 1 GG, die über die konkrete Regelung, die sie treffen, hinaus als grundsätzliches Bekenntnis zu einem völkerrechtsfreundlichen und speziell völkerfriedensrechtsfreundlichen Verhalten der Bundesrepublik verstanden werden; siehe Maunz-Dürig, A r t . 25, Rz. 2 u n d A r t . 26, Rz. 1; v. Mangoldt-Klein, S. 673 u n d ausführlicher dazu unten § 10, Abschnitt I I I , 4. Die dualistische Position, die nach Berber, Lehrbuch I, S. 95, grundsätzlich als Ausgangspunkt bei der E r örterung der Beziehungen zwischen Völkerrecht u n d Landesrecht zu beziehen ist, w i r d durch diese Bestimmungen weitgehend aufgehoben; vgl. dazu oben § 1, Abschnitt I I , 1.
§ 7. Völkerrechtliche Aspekte
97
I. Die totale Verrechtlichung der internationalen Beziehungen Die unaufhebbare Zusammengehörigkeit der Begriffe militärische Auswärtige Gewalt und diplomatische Auswärtige Gewalt, ihre notwendige Unterordnung unter den einheitlichen und umfassenden Begriff der Auswärtigen Gewalt und damit verbunden eine gewisse Nachordnung der militärischen Auswärtigen Gewalt gegenüber der diplomatischen Auswärtigen Gewalt ist vom Völkerrecht her gefördert bzw. bestätigt worden durch einen Vorgang, den man „durchgehende Verrechtlichung der internationalen Beziehungen" nennen kann.
2. Begriffliche Gleichstellung von militärischer Auswärtiger Gewalt und diplomatischer Auswärtiger Gewalt als Folge der im neueren Völkerrecht verwirklichten Rechtsbindung aller zwischenstaatlichen Gewaltanwendung Bei der Erörterung des Begriffs der Auswärtigen Gewalt wurde gesagt, daß die auswärtigen Beziehungen in ihrem Kern stets Rechtsbeziehungen nach der Ordnung des Völkerrechts sind 7 . Für den Bereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt gipfeln diese Beziehungen, aufsteigend von den allgemeinen völkerrechtlichen Verkehrsbeziehungen, zum großen Teil lediglich von den Regeln der Courtoisie beherrscht, über echte, einseitige völkerrechtliche Rechtsgeschäfte i m völkerrechtlichen Vertrag, dem vollkommensten Ausdruck des genossenschaftlichen, koordinationsrechtlichen Charakters des Völkerrechts 8 . Für den Bereich der militärischen Auswärtigen Gewalt hingegen fehlte es lange Zeit an umfassenderen verbindlichen Regelungen, so daß z.B. Clausewitz zu Beginn des 19.Jahrhunderts noch i n seinem Werk „Vom Kriege" über die völkerrechtlichen Schranken des Kriegsrechts schreiben konnte 9 : „Unmerkliche, kaum nennenswerte Beschränkungen, die sie (die Gewalt) sich selbst setzt unter dem Namen völkerrechtlicher Sitte, begleiten sie (die Gewalt), ohne ihre K r a f t wesentlich zu schwächen." Auch m i t der u m die Jahrhundertwende einsetzenden Kodifikation des Kriegsvölkerrechts 10 , vor allem durch die Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 wurde die militärische Auswärtige Gewalt noch nicht i n entscheidender Weise 7
Oben § 3, Abschnitt 2. s Z u m genossenschaftlichen Lehrbuch I, S. 17 ff.
Charakter
des Völkerrechts
siehe
Berber,
» Clausewitz, S. 13 (erklärende Hinzufügungen v o m Verf.). 10 Z u r Entwicklung des Kriegsvölkerrechts siehe Berber, Lehrbuch S. 67 ff., zur Kodifizierung des Kriegsvölkerrechts insbesondere S. 72 f. 7 Sachau
II,
98 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt der völkerrechtlichen Rechtsordnung untergeordnet 11 . Zwar wurde das freie Schädigungsrecht bestimmten, aus humanitären Erwägungen entwickelten Beschränkungen, einem differenzierteren jus i n bello unterworfen, es fehlte aber weiter an einem verbindlichen jus ad bellum, vielmehr galt ohne Einschränkung das freie, i n das Belieben der Staaten gestellte Recht des klassischen Völkerrechts zur Gewaltanwendung und zum Krieg, wie es sich i m 18. Jahrhundert endgültig gegen alle Lehren von gerechtem und ungerechtem Krieg durchgesetzt hatte 1 2 . Solange es i n der beschriebenen Weise an einer verbindlichen völkerrechtlichen Regelung über die Legalität gewaltsamer Auseinandersetzungen fehlte, wäre es zu rechtfertigen gewesen, die Bereiche der diplomatischen Auswärtigen Gewalt und der militärischen Auswärtigen Gewalt von einander grundsätzlich zu unterscheiden: den der diplomatischen Auswärtigen Gewalt als einen vom Völkerrecht i n umfassender Weise beherrschten Bereich der friedlichen Beziehungen zwischen gleichberechtigten Staaten von dem Bereich der militärischen Auswärtigen Gewalt als einem zumindest in der entscheidenden Frage der grundsätzlichen Rechtmäßigkeit der Gewaltanwendung vom Völkerrecht unberührten Bereich feindlicher Beziehungen zwischen — nach dem Prinzip des „Rechts" des Stärkeren 1 3 — ungleichen Staaten. I n dem nach dem Ersten Weltkrieg v o l l einsetzenden und heute noch alles beherrschenden völkerrechtlichen Entwicklungsprozeß, der eben als die durchgehende Verrechtlichung der internationalen Beziehungen eingeführt wurde, wurde es jedoch unternommen, gerade auch das i m Rahmen der internationalen Beziehungen hochpolitische freie Recht zur Gewaltanwendung i n immer umfassenderer Weise an eng umschriebene Voraussetzungen zu binden, die willkürliche Gewaltanwendung zu illegalisieren und legale Gewaltanwendung allein als ein äußerstes Zwangsmittel zum Zweck der Selbsterhaltung an11 E i n erster Ansatz zu einer grundsätzlichen Gewalteinschränkung findet sich i n der 2. Haager Konvention v o m 18.10.1907 betreffend die Beschränk u n g der Anwendung von Gewalt bei der Eintreibung von Vertragsschulden. 12 Siehe Berber, Lehrbuch I I , S. 26, speziell zur Lehre v o m gerechten Krieg, S. 27 ff. Vgl. auch derselbe, Sicherheit u n d Gerechtigkeit, S. 53: ,,a) F ü r die KriegsVerhütung (vor dem 1. Weltkrieg) standen n u r politische, insbesondere diplomatische, nicht rechtliche M i t t e l u n d Methoden zur Verfügung, b) Die Kriegsverhütung wurde n u r als konkrete u n d gelegentliche, nicht als abstrakte, systematische u n d totale Aufgabe i n A n g r i f f genommen, c) I m M i t telpunkt des Vorkriegsvölkerrechts stand nicht das Problem der Kriegsverhütung, der Friedenssicherung, sondern das Problem der Kriegsordnung, der Aufstellung v o n Regeln f ü r den Kriegsfall." (Erklärende Hinzufügung v o m Verf.). 13 Vgl. hierzu E. Kaufmann, Das Wesen des Völkerrechts u n d die Clausula rebus sie stantibus, 1911, S. 153: „So stellt sich auch f ü r das Koordinationsrecht der siegreiche K r i e g als Bewährung des Rechtsgedankens, als die letzte N o r m heraus, die darüber entscheidet, welcher der Staaten recht hat."
§ 7. Völkerrechtliche Aspekte
99
zuerkennen. Damit sind alle Akte der diplomatischen Auswärtigen Gewalt und der militärischen Auswärtigen Gewalt m i t allen Mischund Übergangsformen der Herrschaft des Rechts i n gleicher Weise unterworfen: es läßt sich vom Völkerrecht her nicht eine Unterscheidung zwischen einem verrechtlichten und einem rechtsfreien Bereich der internationalen Politik vornehmen, vielmehr vollziehen sich die Staatenbeziehungen i n einem einheitlichen, von Anarchie und W i l l k ü r gelösten, vom Recht geordneten Bereich der Auswärtigen Gewalt.
2. Beschränkungen zwischenstaatlicher Gewaltanwendung nach der Völkerbundssatzung Die plötzliche und intensive Entwicklung zur völligen Verrechtlichung der internationalen Politik ist durch die furchtbaren Erfahrungen von der Zerstörungsgewalt und Tendenz zur sinnlosen Totalität eines modernen Großkrieges zu Beginn unseres Jahrhunderts eingeleitet worden. I n diesem Sinne schreibt Berber 1 4 : „Erst i m Laufe des 1. Weltkrieges wurden i n immer stärkerem Maße Forderungen auf prinzipielle Beschränkung des Rechts zum freien Kriege erhoben, da dieser Krieg zum ersten M a l dank der i n i h m überall durchgedrungenen allgemeinen Wehrpflicht die gesamte abendländische Männerwelt i n die potentielle Existenzvernichtung stellte, zugleich aber i n i h m zum ersten M a l dank der Demokratisierung der öffentlichen Angelegenheiten eine kritische Einstellung weiter Volkskreise zu den sonst als „arcana rei publicae" behandelten Geschehnissen der Außenpolitik ermöglicht wurde. Aus der rationalen Erkenntnis der Sinnlosigkeit dieser unsäglichen menschlichen Leiden und materiellen Verluste, aus dem ethischen Abscheu gegen die mit i h m notwendig verbundenen Grausamkeiten und Abstumpfungen des Gewissens wurde jene „soteriologische" Wendung des Völkerrechts geboren, deren erste Frucht die Schaffung des Völkerbundes war, deren Auswirkungen aber bis zum heutigen Tag i n radikalen Umwandlungen des klassischen Völkerrechts sich zeigen 15 ." " Berber, Lehrbuch I I , S. 27. w Vgl. dazu auch die früheren, eindringlichen Untersuchungen Berbers über die treibenden Grundkräfte u n d die ethische Zielbestimmung aller Völkerrechtspolitik i n seinem Buch „Sicherheit u n d Gerechtigkeit", 1934. Z u r Darstellung der Nachkriegsentwicklung als einer „grundsätzlichen u n d totalen Wendung des Völkerrechts" vgl. S. 25 f. Z u r Charakterisierung der Entwicklung nach der i h r zugrunde liegenden geschichtsphilosophischen H a l t u n g als „soteriologische Wendung des Völkerrechts", einer aus der E r fahrung totaler Existenzbedrohung erwachsenen quasi-eschatologischen Reaktion, die H e i l u n d Rettung i n einer völligen Verrechtlichung aller, auch der hochpolitischen Staatenbeziehungen sucht, vgl. S. 27 ff.
7*
100 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt Die ersten Bemühungen um eine Verrechtlichung der Fragen der Gewaltanwendung fanden ihren endgültigen Niederschlag i m Sicherheitssystem des Völkerbundes 16 , das allerdings von vornherein an seiner mangelnden Universalität l i t t 1 7 . Die Präambel der Völkerbundssatzimg rückt m i t ihrem Einleitungssatz das Ziel der Friedenssicherung in den Vordergrund: „Considérant que, pour développer la coopération entre les nations et pour leur garantir la paix et la sûreté i l importe: — d'accepter certaines obligations de ne pas recourir à la guerrre; — . . . " Die Einzelregelungen aber sind lückenhaft und weit entfernt davon, eine allgemeine Illegalisierung des freien Rechts zum Kriege — geschweige denn jeglicher Gewaltanwendung i m internationalen Bereich — darzustellen. Die Mitglieder verpflichten sich, den status quo, den Besitzstand der Mitgliedstaaten zu achten und gegen von außen kommende Angriffe zu schützen (Art. 10 VBS) und Streitfälle, die nicht einer schiedsgerichtlichen oder gerichtlichen Streitentscheidung unterworfen sind 1 8 , vor den Völkerbundsrat zu bringen 1 9 , der sich i n einem zweistufigen Verfahren, dem Schlichtungsverfahren (Art. 15 Ziff. 1—3 VBS) und dem Berichtsverfahren (Art. 15 Ziff. 4—6 VBS), um eine friedliche Regelung bemüht. Für den Fall einer erfolgreichen Streitregelung führt ein kriegerischer Angriff, der sie verletzt, zur Auslösung des Sanktionsmechanismus des A r t . 16 VBS. Aber eine erfolgreiche Streitregelung ist durch die i n der Völkerbundssatzung vorgesehenen Verfahren nicht garantiert, dies kommt auch m i t K l a r heit i n der Völkerbundssatzung selbst, i n ihrem A r t . 15 Ziff. 7 zum Ausdruck: „Dans le cas où le Conseil ne réussit pas à faire accepter son rapport par tous ses membres autres que les réprésentants de toute partie au différend, les membres de la Société se réservent le droit d'agir comme ils le jugeront nécessaire pour le maintien du droit et de la justice." Hier klafft die große Lücke („la grande fissure"). Nach Einhaltung einer dreimonatigen Wartefrist (Art. 12 Ziff. 1 S. 2) ist ohne weitere Rechtsschranken der Weg zum freien Kriege offen. Trotzdem ist die Völkerbundssatzung ein erster bedeutsamer Schritt bei dem schwierigen Unterfangen, die Gewaltanwendung zwischen Staaten an rechtliche Verfahren und Voraussetzungen zu binden.
Siehe hierzu Berber, Lehrbuch I I , S. 32 ff. 17 Siehe a.a.O., S. 32 f. 18 Vgl. A r t . 12—14 VBS. Die Möglichkeit einer gerichtlichen Streitentscheidung w u r d e durch die Satzungsrevisionen v o n 1926 u n d 1929 eingeführt, die Einzelheiten zu dem i n A r t . 14 VBS vorgesehenen Ständigen Internationalen Gerichtshof i n der Völkerbundssatzung verankert; Berber, Lehrbuch I I I , S. 54. 19
»
Z u der Möglichkeit, statt des Völkerbundsrates die Bundesversammlung zu befassen, siehe A r t . 15, Nr. 9 u n d 10 VBS.
§ 7. Völkerrechtliche Aspekte 3. Illegalisierung
101
des Krieges nach dem Kellogg-Pakt
Die allgemeine Bemühung u m die Probleme der Friedenssicherung nach dem 1. Weltkrieg kommt weiter eindrucksvoll zum Ausdruck durch eine Reihe regional bedeutsamer bilateraler und multilateraler Verträge, die den Krieg oder auch jeden Angriff, Einfall oder Krieg — so der Locarno-Pakt vom 16.10.1925 — verboten 20 . Von grundsätzlicherer und umfassenderer Bedeutung wurde der am 27.8.1928 i n Paris mit folgendem wesentlichen Inhalt unterzeichnete KelloggPakt 2 1 : a) Die Vertragspartner verurteilen den Krieg als M i t t e l zur Lösung internationaler Streitigkeiten und verzichten auf ihn als ein Werkzeug nationaler Politik i n ihren gegenseitigen Beziehungen; b) Die Vertragspartner sind darüber einig, daß die Beilegung oder Lösung aller zwischen ihnen entstehenden Streitigkeiten ausschließlich durch friedliche M i t t e l unternommen werden darf; c) Wer den Vertrag verletzt, geht seiner Vorteile verlustig. Der Vertrag wurde seinerzeit fast von allen bestehenden Staaten ratifiziert und ist heute mit Rücksicht auf die häufige Berufung auf seine i n die Präambel aufgenommene Verfallsklausel i m 2. Weltkrieg, die Entwicklung seines Gedankengutes i n der UN-Charta und seine Unkündbarkeit als universelles Gewohnheitsrecht anzusehen 22 . Der Verzicht der ursprünglichen Vertragspartner auf den Krieg als ein Werkzeug nationaler Politik i n ihren Beziehungen untereinander ist damit zu einem allgemein verbindlichen Verbot des Krieges als eines Werkzeuges nationaler Politik geworden; gleichgültig ob ein kriegerischer Angriff aus rein machtpolitischen Motiven oder nur zur Veränderung des bestehenden Rechts oder zur Durchsetzung bestehender Rechtsansprüche geführt w i r d 2 3 , er stellt einen Vertragsbruch m i t den Folgen des Verlustes der Schutzrechte aus dem Vertrag und den Eintritt der allgemeinen Schadenshaftung dar. Dieses universelle rechtsverbindliche Verbot kriegerischer Gewalt als eines Mittels nationaler Politik bedeutete eine umwälzende Neuerung, eine wirkliche Wende für das rechtliche Erscheinungsbild der internationalen Beziehungen, das bis dahin von dem „uralten, souveränen Recht des freien Krieges" 2 4 als ultima ratio i n allen rechtlichen und rein politischen Konflikten beherrscht wurde. Die Gewaltanwendung, die bis dahin i n weitem Umfang als eine A r t rechtsungebundener auflösender 80
Siehe dazu Berber, Lehrbuch I I , S. 34 f. Z u m Kellog-Pakt siehe Berber, a.a.O., S. 35 ff. 22 Berber, a.a.O., S. 35. 23 Z u dieser Unterscheidung der m i t Kriegen verbundenen Zielsetzung siehe Berber, a.a.O., S. 26 und 36. 24 So Berber, a.a.O., S.36. 21
politischen
102 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt Bedingung aller friedlichen Rechtsbeziehungen erschien, wurde i n weitem Umfang an rechtliche Voraussetzungen gebunden. Das Recht zur Selbstverteidigung, das sich aus der Verfallsklausel ergibt, ist keine Ausnahme von der Verrechtlichung des jus ad bellum durch den Kellogg-Pakt, denn es ist ja eine an eine Rechtsvoraussetzung — die des „Angriffs", so schwierig dieser auch immer zu definieren und bestimmen sein mag 2 5 — gebunden. Unvollständig ist die Illegalisierung bzw. Legalisierung der zwischenstaatlichen Gewaltanwendung durch den Kellogg-Pakt nur insofern, als er nur den echten Krieg i m Sinne des Völkerrechts 26 als M i t t e l der Außenpolitik betrifft, nicht aber die Gewaltanwendung i m internationalen Bereich schlechthin 27 .
4. Illegalisierung
der Gewalt nach der UN-Satzung
Diese weite Lücke zu füllen ist m i t der Schaffung der Satzung der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 unternommen worden 2 8 , die i n der entscheidenden Verbotsbestimmung des A r t . 2 Nr. 4 nicht von Krieg, sondern umfassender von Gewalt und Drohung m i t Gewalt spricht: „Les Membres de l'Organisation s'abstiennent, dans leurs relations internationales, de recourir à la menace ou à l'emploi de la force, soit contre l'intégrité territoriale ou l'indépendance politique de tout Etat, soit de toute autre manière incompatible avec les Buts des Nations Unies." Auch i n der Präambel der UN-Satzung w i r d die Entschlossenheit zum Ausdruck gebracht, jegliche Anwendung von Waffengewalt an Regeln und Verfahren zu binden, die einen w i l l k ü r lichen Gebrauch durch Einzelstaaten ausschließen: „7. à accepter des principes et instituer des méthodes garantissant qu'il ne sera pas fait usage de la force des armes, sauf dans l'intérêt commun." Durch die Regelung des A r t . 2 Nr. 4 UN-Satzung ist die umfassende Illegalisierung aller spontanen Gewaltanwendung und damit der Vorgang der völligen Verrechtlichung der internationalen Beziehungen entscheidend vorangetrieben worden. Daß A r t . 2 Nr. 4 nur diejenige Gewaltandrohung und Gewaltanwendung untersagt, die sich gegen die territoriale Integrität oder die politische Unabhängigkeit irgendeines Staates richtet oder i n sonstiger Weise m i t den Zielen der Ver25 Vgl. dazu unten Abschnitt I I I , 4. 2 « Z u m völkerrechtlichen Begriff des Krieges u n d zur Gewaltanwendung i m internationalen Bereich siehe Berber, Lehrbuch I I , S. 1 ff. 27 Z u der Gefahr der Umgehung des Kriegsverbotes des Kellog-Paktes durch die ausdrückliche Erklärung des nicht-kriegerischen Charakters i n Frage stehender militärischer Maßnahmen siehe Berber, a.a.O., S. 38 f. 28 Siehe hierzu Berber, Lehrbuch I I , S. 40 ff.
§ 7. Völkerrechtliche Aspekte
103
einten Nationen unvereinbar ist, bedeutet praktisch keine Einschränkung; so sagt Berber 29: „Die Gewaltanwendung ist nicht nur dann verboten, wenn sie i n der Absicht vorgenommen wird, durch sie den territorialen Bestand oder den Status der politischen Unabhängigkeit eines Staates abzuändern oder aufzuheben, sondern überhaupt i n allen Fällen, i n denen das gewaltsame Vorgehen i n die territoriale Integrität oder i n die politische Unabhängigkeit faktisch e i n g r e i f t . . . Jede Verletzimg der Gebietshoheit oder Unabhängigkeit i m Sinne der Freiheit der äußeren oder inneren Selbstbestimmung durch militärische Gewalt ist verboten." Daß i n Art. 51 der UN-Charta das selbstverständliche 30 Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe als ein für die Struktur der heutigen Völkerrechtsgemeinschaft konstitutives Grundrecht 3 1 aufrechterhalten wird, ist ebenfalls — wie schon bei der Erörterung des Kellogg-Paktes festgestellt — keine Ausnahme von der Bindung des freien jus ad v i m an bestimmte Rechtsvoraussetzungen; allerdings ist es eine bei der gegenwärtigen Organisation der Staatengemeinschaft unerläßliche sachnotwendige Ausnahme von dem generellen Gewaltverbot des A r t . 2 Nr. 4 der Satzung der UN. Daß der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nach A r t . 42 UN-Charta militärische Maßnahmen ergreifen kann, ist i m Sicherheitssystem der U N das notwendige Korrelat zu der weitgehenden Illegalisierung einzelstaatlichen Gewaltgebrauches 32 ; auch die Gewaltanwendung durch die Vereinten Nationen ist nicht rechtsungebunden, sondern vielmehr gebunden an differenzierte, materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Voraussetzungen 33 . Die einzige schwerwiegende Ausnahme bei der Juridifizierung der zwischensaatlichen Gewaltanwendung durch die UN-Satzung bilden ihre Feindstaatsklauseln, die dem generellen Kriegs- und Gewaltverbot des A r t . 2 Nr. 4 UN-Charta als Sonderbestimmung vorgehen: A r t . 107 — „Aucune disposition de la présente Charte n'affect ou n'interdit vis-à-vis d'un Etat qui, au cours de la seconde guerre mondiale, a été l'ennemi de l'un quelconque des signataires de la présente Charte, une action entreprise ou autorisée, comme suite de cette guerre, par * 9 Berber, a.a.O., S. 42 f. unter A n f ü h r u n g der Ansichten von Dahrn, V ö l kerrecht I, S. 199, u n d Kelsen, Principles of International L a w , 1952, S, 45, u n d der Gegenmeinung von Stone, Agression and W o r l d Order, 1958. 80 Übersetzimg nach Berber, a.a.O., S. 45. ®i So Berber, Lehrbuch I, S. 179. 82 So w i r d i n A r t . 1 Nr. 1 UN-Satzung unter den Zielen der Vereinten Nationen als erstes genannt: „ M a i n t e n i r la paix et la sécurité internationales et à cette f i n : prendre des mesures collectives efficaces en vue de prévenir et d'écarter les menaces à la paix et de reprimer tout acte d'agression ou autre rupture de l a paix, . . 33 Siehe Satzung der UN, A r t . 39, 42 u n d A r t . 23 ff,
104 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt les gouvernements qui ont la responsabilité de cette action." — U n d A r t . 53 Abs. 1 S. 2 — „Toutefois, aucune action coercitive ne sera enterprise en vertu d'accords régionaux ou par des organismes régionaux sans l'autorisation du Conseil de Sécurité; sont exceptée les mesures contre tout Etat ennemi au sens de la définition donnée aux paragraphe 2 du présent article 3 4 , prévues an application de l'article 107 ou dans les accords régionaux dirigés contre la reprise, par u n tel Etat d'une politique d'agression jusqu'au moment où l'Organisation pourra, à la demande des gouvernments intéressés, être chargée de la tâche de prévenir toute nouvelle agression de la part d'un tel Etat." Da diese Sonderregelungen keinerlei Befristung unterworfen sind, die Siegerstaaten nach A r t . 107 selbst darüber befinden, ob eine „ A k t i o n " als Folge des letzten Weltkrieges zu betrachten ist und ob „Maßnahmen" aufgrund von Regionalabmachungen nach A r t . 53 gegen die Wiederaufnahme einer aggressiven Politik durch die Feindstaaten an die Zustimmung des Sicherheitsrates gebunden sein sollen, fehlt es nach dem Recht der UN-Satzung für die Gewaltanwendung gegen die sogenannten Feindstaaten — soweit nicht das Kriegsverbot des Kellogg-Paktes eingreift 3 5 — an einer differenzierten beachtlichen Rechtsbindung 36 . Unberührt durch das Gewaltverbot des A r t . 2 Nr. 4 bleibt auch die Gewaltanwendung i m staatsinternen Bereich, i m Gegensatz zum zwischensaatlichen Bereich, so daß gewaltsamer Aufstand und seine gewaltsame Niederschlagung, Bürgerkrieg und militärische Hilfeleistung dritter Staaten an die legitime Regierung i n solchen Auseinandersetzungen nach allgemeinem Völkerrecht weiterhin zulässig sind 3 7 ; die Möglichkeit, daß dabei rivalisierende Regierungen von verschiedenen Staaten als legitim anerkannt und unterstützt werden, bildet eine weitere gefährliche Einbruchsstelle i n dem dargestellten Kriegs- und Gewaltverbotssystem für legale Großkriege, wie z.B. die noch immer andauernden Auseinandersetzungen i n Vietnam bedrohlich beweisen. Schließlich muß man sich vor Augen führen, daß die UN-Charta nicht dieselbe Rechtsbeständigkeit und Universalität wie das i h r 84 Die Feindstaat-Definition i n A r t . 53 Abs. 2 entspricht der i n A r t . 107 enthaltenen Definition. 35 Z u r Vorrangstellung des Kellog-Paktes gegnüber den A r t i k e l n 107 u n d 53, Abs. 1 S. 2 siehe Berber, Lehrbuch I I , S. 54. 36 Z u r K r i t i k hierzu siehe Berber, a.a.O., S. 53 f., der die fraglichen Bestimmungen als „eklatanten Verstoß gegen den die gesamte Völkerrechtsordnung beherrschenden und die Völkerrechtsgemeinschaft konstituierenden Gleichheitsgrundsatz" u n d als „das trojanische Pferd des gesamten UN-Systems der Kriegsverhütung" brandmarkt. 37 Hierzu u n d zum folgenden siehe Berber, Lehrbuch I I , S. 42.
§ 7. Völkerrechtliche Aspekte
105
Gewaltverbotssystem ergänzende, zum universellen Gewohnheitsrecht erstarkte Vertragsrecht des Kellogg-Paktes besitzt 38 ; ein Austritt aus den Vereinten Nationen ist juristisch möglich 39 . Jedoch erfreuen sich die U N zur Zeit der Mitgliedschaft der überwältigenden Mehrheit aller bestehenden Staaten 40 und, soweit die UN-Satzung die Illegalisierung bzw. Rechtsbindung militärischer Maßnahmen betrifft, handelt es sich u m den Ausdruck einer i m Verfolg der bestürzenden Entwicklung der modernen Waffentechnik für die Menschheit existenznotwendigen Rechtsbildungstendenz, für die ein Abbruch oder gar eine völlige Umkehr — sofern das Recht irgendeine wesentliche Ordnungs- und Bewahrungsfunktion erfüllt — ausgeschlossen werden kann 4 1 . So ist trotz der zuletzt aufgezeigten Lücken, die das auf zwischenstaatliche Gewaltanwendung bezogene Illegalisierungs- und Rechtsvoraussetzungssystem der Satzung der U N enthält, und trotz der beschränkten Universalität und Rechtsbeständigkeit der UN-Charta m i t dem Gewaltverhütungssystem der Vereinten Nationen, der nach dem 1. Weltkrieg einsetzende, hier dargestellte Prozeß der durchgehenden Verrechtlichung der internationalen Beziehungen so weit zum Ziel geführt, daß alle überkommenen Abweichungen als systemwidrige Ausnahmen gegenüber der verbindlich vollzogenen, revolutionären Neuerung 4 2 erscheinen. Der Bereich der militärischen Auswärtigen Gewalt ist grundsätzlich in gleicher Weise der Herrschaft des Rechts unterworfen, wie der Bereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt, beide erscheinen damit vom Völkerrecht her als etwas Zusammengehöriges, Einheitliches. Die Akte der militärischen Auswärtigen Gewalt und die Akte der diplomatischen Auswärtigen Gewalt unterstehen denselben Kategorien, denen des Völkerrechts.
5. Sachliche Nachordnung der militärischen Auswärtigen Gewalt gegenüber der diplomatischen Auswärtigen Gewalt Durchgehende Verrechtlichung der internationalen Beziehungen meint zwar nicht, daß jedes Handeln i m internationalen Bereich auf 58
Z u r Rechtsbeständigkeit der UN-Satzung siehe Berber, a.a.O., S. 40. Siehe z.B. den A u s t r i t t Indonesiens i m Jahre 1965 aus Protest gegen die W a h l Malaysias zum nichtständigen M i t g l i e d des Sicherheitsrates; vgl. A d G 11633 A , 11654 B u n d 11724 A . 40 H i n z u k o m m t die ausdrückliche Unterwerfung unter die Prinzipien u n d Zielsetzungen der U N durch einzelne Nicht-Mitglieder; f ü r die Bundesrepublik vgl. oben §4, Abschn. 4 a E . 41 Berber, Lehrbuch I I , S. 27: „Heute wagt k e i n ernsthafter Völkerrechtslehrer, die logische Unvereinbarkeit des Rechts zum freien Kriege m i t der Idee einer rechtlich verbundenen Staatengemeinschaft zu bestreiten." 42 Berber, Lehrbuch I, S. 222. 39
106 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt eine berechtigende oder befehlende Völkerrechtsnorm zurückgeführt werden muß, daß jedes spontane Verhalten, jede freie Initiative durch eine solche totale Herrschaft des Völkerrechts gelähmt und ausgeschlossen ist 4 3 . Das Völkerrecht ist weiterhin ein dezentralisiertes Recht, seine Ordnung ist noch immer nicht anders als schwach organisiert zu bezeichnen 44 , das Prinzip der äußeren Selbstbestimmung der Staaten ist nach wie vor ein die heutige Völkerrechtsgemeinschaft konstituierendes Grundprinzip 4 9 . Aber das Völkerrecht ist — wie es charakteristisch für alles Recht ist, daß es nicht so sehr Gestaltungsfunktionen besitzt, sondern Ordnungs- und Bewahrungsaufgaben erfüllt — zu einem Ordnungs- und Bewahrungssystem geworden für alle Bereiche internationaler Beziehungen, darin heute eingeschlossen die hochpolitischen Bereiche grundlegender Interessenkonflikte zwischen Staaten samt jeglichen Versuchen ihrer gewaltsamen Lösung. Die völkerrechtlichen Regeln, die die militärische Auswärtige Gewalt betreffen, sind sogar wesentlich differenzierter und weitreichender als die Regeln des Völkerrechts, die auf die diplomatische Auswärtige Gewalt Bezug haben. Das Kriegsrecht ist verhältnismäßig stärker kodifiziert als das Friedensrecht 46 und das vielfach i n vertraglichen Spezialregelungen, die bedeutend detaillierter sind, als es sonst i m Völkerrecht der Fall ist 4 7 . Vor allem aber stehen neben den Schranken für die Ausübung der Kriegsmittel, dem jus i n bello, die weitgehenden Beschränkungen des Rechts der Kriegführung bzw. Gewaltanwendung überhaupt, das stringente jus ad bellum bzw. jus ad v i m 4 8 ; während für den Bereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt es den Staaten i n den weiten Schranken, die das allgemeine Völkerrecht zieht, und den durch besondere völkerrechtliche Verträge selbstgesetzten Grenzen überlassen ist, beliebige gestalterische Initiativen zu ergreifen, für die das Völkerrecht i m übrigen lediglich Rechtsformen zur Verfügung stellt, ist i m Bereich der militärischen Auswärtigen Gewalt jede Initiative an die oben dargestellten Rechtsvoraussetzungen gebunden. Diese starke Gebundenheit der militärischen Auswärtigen Gewalt zwingt nicht nur dazu, sie der diplomatischen Auswärtigen Gewalt 43
Z u r K r i t i k des zuweilen behaupteten Totalitätsanspruchs des Völkerrechts f ü r die internationalen Beziehungen siehe Berber, Lehrbuch I, S. 26, m i t Verweisen auf Stellungnahmen v o n Visscher und Stone. 44 Berber, a.a.O., S. 19 f. 4
® Z u m Recht auf äußere Selbstbestimmung siehe Berber, a.a.O., S. 181 f. ® Berber, Lehrbuch I I , S. 76; vgl. auch die Übersicht über die geltenden multilateralen Kriegskonventionen a.a.O., S. 74 ff. 47 Berber, a.a.O., S. 3 f. 4
48 Z u r Unterscheidimg v o n jus i n bello u n d jus ad b e l l u m siehe Berber, a.a.O., S. 61.
§ 7. Völkerrechtliche Aspekte
107
als durch die Verrechtlichung gleichartig unter dem allgemeinen Oberbegriff der Auswärtigen Gewalt an die Seite zu stellen, sie bedeutet gleichzeitig vom Völkerrecht her eine sachliche Nachordnung der militärischen Auswärtigen Gewalt gegenüber der diplomatischen Auswärtigen Gewalt. Die gestaltenden Initiativen sind ganz der diplomatischen Auswärtigen Gewalt anheimgestellt, die militärische Auswärtige Gewalt ist — nicht politisch, sondern rechtlich gesprochen — eine i n ganz engen Grenzen zugelassene ultima ratio.
I I . Die gleichartige völkerrechtliche Sonderstellung der Diplomaten und Soldaten als den Organen der staatlichen Auswärtigen Gewalt Die unter den Aspekten des Völkerrechts analoge Struktur der militärischen Auswärtigen Gewalt und der diplomatischen Auswärtigen Gewalt, die Zusammengehörigkeit beider Bereiche w i r d auch deutlich durch einen Vergleich der völkerrechtlichen Stellung der Soldaten m i t der der Diplomaten. Die Sonderstellung der Soldaten, ihre Stellung als Organe 49 i m Rahmen einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Staaten wurde zuerst von Rousseau erkannt und m i t folgenden Worten treffend gekennzeichnet 50 : „ L a guerre n'est donc point une relation d'homme à homme, mais une relation d'Etat ä Etat, dans laquelle les particuliers ne sont ennemis qu'accidentellement, non point comme hommes, n i même comme citoyens, mais comme soldats, non point comme membres de la patrie, mais comme ses défenseurs. Enfin chaque Etat ne peut avoir pour ennemis que d'autres Etats, et non pas des hommes, attendu qu'entre choses de diverses natures on ne peut fixer aucun vrai rapport." Diese A u f fassung Rousseaus von militärischen Konflikten als einer feindlichen Beziehung zwischen Staaten und nicht einer mörderischen Begegnung von Mensch zu Mensch ist die Grundlage des gesamten modernen Kriegsrechts. A u f dieser Auffassung fußend, stellt Aron die Soldaten den Diplomaten an die Seite 51 : „Die internationalen Beziehungen werden dargestellt i n und durch spezifische Verhaltensweisen von Personen, die ich symbolisch nennen möchte, den Diplomaten und den Soldaten. Zwei Männer und nur zwei handeln i n allem nicht mehr wie irgendwelche Mitglieder von Kollektiven, zu denen sie gehören, Z u m Begriff „Organ" siehe Berber, Lehrbuch I I I , S.8: „ A l s Organ eines Verbandes bezeichnet m a n jede Person — gleich ob Beamter oder nicht — deren auf den Verband gerichtetes Handeln dem Verband zugerechnet w i r d , als Handeln des Verbandes gilt." 50 Rousseau, D u Contrat Social (1762), Buch I, K a p i t e l I V . — Vgl. dazu
Berber, Lehrbuch II, S. 71, 175 f., 199 u. 206. ßi Aron, S. 14. — Vgl. S. 86 Anm. 23.
108 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt sondern als deren Repräsentanten: der Botschafter ist i n Ausübung seiner Amtspflichten die politische Einheit, i n deren Namen er spricht, der Soldat ist auf dem Schlachtfeld die politische Einheit, i n deren Namen er seinesgleichen den Tod g i b t . . . Der Botschafter und der Soldat leben und symbolisieren die internationalen Beziehungen, die, soweit sie zwischenstaatlich sind, sich auf die Diplomatie und den Krieg zurückführen lassen." Die Sätze Arons sind keineswegs nur als interessante Sachverhaltsschilderung eines Soziologen zu verstehen, sie sind auch juristisch, völkerrechtlich weitgehend zutreffend. Die privilegierte, der der Diplomaten vergleichbare Stellung der Soldaten kommt u.a. deutlich i n ihrem Recht zu straffreier Vernichtung feindlichen Lebens und Vermögens, der gesteigerten Staatshaftung für ihr Verhalten und i n ihrer sogenannten Exterritorialitätsstellung i m Ausland zum Ausdruck. 1. Soldaten als staatliche Organe kriegerischer
Gewaltanwendung
Der Staat als eine juristische Person bedarf der natürlichen Personen, die ihn als Organe handelnd repräsentieren. I m friedlichen Völkerrechtsverkehr treten für den Staat regelmäßig die ordentlichen Diplomaten, daneben aber auch das Staatshaupt, dessen spezielle Agenten, der Regierungschef, der Außenminister, Sonderbotschafter, ad-hoc-Vertreter, Zentral- oder Lokalbehörden, unter Umständen auch Abgesandte der herrschenden Einheitspartei eines Staates auf 5 2 . Es ist vom Völkerrecht dem Landesrecht überlassen, die Organe seiner diplomatischen Auswärtigen Gewalt zu bestimmen, wobei das diesbezügliche einzelstaatliche Verfassungsrecht und die sich darauf gründenden Organisationsnormen i m Interesse einer zentralisierten, koordinierten Außenpolitik dafür Sorge tragen werden, daß i n erster Linie die für die Wahrnehmung der friedlichen auswärtigen Beziehungen eigens eingerichtete Institution des Auswärtigen Dienstes m i t seinen Diplomaten i m internationalen Feld auftritt. A u f jeden Fall w i r d durch das einzelstaatliche Recht i n definitiver Weise festgelegt, welche Personen, unter welchen Umständen, i n welchem Umfang den Staat repräsentieren. Nur durch die Erklärungen und Handlungen dieser Personen w i r d der Staat gebunden und verpflichtet; die Handlungen dritter, noch so bedeutsamer Persönlichkeiten sind keine rechtsverbindlichen Vorgänge des völkerrechtlichen Friedensverkehrs. I m Krieg bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Staaten werden die Staaten ebenfalls nur durch bestimmte Personen und 52 Hierzu u n d zum folgenden siehe Berber, Lehrbuch I, S. 265 ff.
§ 7. Völkerrechtliche Aspekte
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Personengruppen repräsentiert, durch die legalen Kombattanten 5 3 . Wer legaler Kombattant ist, w i r d durch das Kriegsvölkerrecht bestimmt, durch Art. 1 und 2 L K O und sachlich über die L K O hinausgehend i n wörtlich übereinstimmender Weise i n A r t . 13 der I. GK, A r t . 13 der II. G K und Art. 4 A der I I I . GK. Nach den ersten drei Genfer Konventionen von 194954 sind die Hauptgruppen legaler Kombattanten 5 5 : 1. „Mitglieder von Streitkräften einer am Konflikt beteiligten Partei, sowie Mitglieder von Milizen und Freiwilligenkorps, die i n diese Streitkräfte eingegliedert sind"; 2. „Mitglieder anderer Milizen und Freiwilligenkorps einschließlich solcher von organisierten Widerstandsbewegungen, die zu einer der am Konflikt beteiligten Parteien gehören und außerhalb oder innerhalb ihres eigenen Gebietes, auch wenn dasselbe besetzt ist, tätig sind, sofern diese Milizen oder Freiwilligenkorps einschließlich der organisierten Widerstandsbewegungen a) eine für ihre Untergebenen verantwortliche Person an ihrer Spitze haben; b) ein bleibendes und von weitem erkennbares Unterscheidungszeichen führen; c) die Waffen offen tragen; d) bei ihren Kampfhandlungen die Gesetze und Gebräuche des Krieges einhalten"; 3. „die Bevölkerung eines unbesetzten Gebietes, die beim Herannahen des Feindes aus eigenem Antrieb zu den Waffen greift, um die eindringenden Truppen zu bekämpfen, ohne zur Bildung regulärer Streitkräfte Zeit gehabt zu haben, sofern sie die Waffen offen trägt und die Gesetze und Gebräuche des Krieges einhält." Die erste der drei aufgeführten Gruppen, das Heer, die regulären Streitkräfte eines Staates, werden regelmäßig das Hauptkontingent innerhalb der Gesamtheit der legalen Kombattanten bilden 5 6 . 53 Der Begriff „Kombattanten" w i r d hier nicht i. S. des A r t . 3 Haager L a n d kriegsordnung von 1907 (LKO) gebraucht; diese Bestimmimg unterscheidet innerhalb der Streitkräfte eines Staates zwischen den Mitgliedern der Streitkräfte, die zum K a m p f bestimmt sind (Kombattanten), u n d denjenigen, die uniformiert i n den Streitkräften einen Dienst versehen, ohne unmittelbar zum K a m p f bestimmt zu sein (Nichtkombattanten). Der Begriff der K o m b a t tanten, wie er hier gebraucht w i r d , beruht auf der weiterreichenden u n d rechtlich schwererwiegenden Unterscheidung zwischen der nicht a k t i v am K a m p f beteiligten Zivilbevölkerung (Nichtkombattanten) u n d den — w e n n zum T e i l auch n u r potentiellen — Teilnehmern an den gewaltsamen Auseinandersetzungen, den Streitkräften u n d sonstigen aktiven Kämpfern (Kombattanten). — Z u dieser doppelten Bedeutung der Begriffe Kombattanten und Nichtkombattanten siehe Berber, Lehrbuch I I , S. 140 f. 54 Die L K O , i n der bei der A u f f ü h r u n g der legalen Kombattanten organisierte Widerstandsbewegungen unberücksichtigt geblieben sind, gilt f ü r diejenigen Staaten fort, die die Genfer Konvention von 1949 nicht ratifiziert haben; vgl. A r t . 59 der I. G K , A r t . 58 der I I . G K , A r t . 135 der I I I . G K u n d A r t . 154 der I V . G K . 55 Siehe dazu Berber, Lehrbuch I I , S. 142 ff., u n d derselbe, Polizei, S. 10 ff. 56 Berber, Lehrbuch I I , S. 159: Die Unterscheidung zwischen Kombattanten u n d Nichtkombattanten ist grundlegend f ü r das gesamte Kriegsrecht. Sie deckt sich weitgehend m i t der zwischen Angehörigen der Streitkräfte und
110 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt I m Krieg steht den Staaten das Recht zu, den gegnerischen Kriegführenden (Staat) nach Vermögen zu schädigen, soweit nicht das jus i n bello, Gewohnheitsrecht und Vertragsrecht, insbesondere der Gewaltanwendung nach A r t und Ausmaß durch einzelne Verbote rechtlich Schranken entgegensetzt 57 . Dieses Schädigungsrecht nimmt der Staat durch seine legalen Kombattanten als den Organen seiner militärischen Auswärtigen Gewalt wahr. Ausschließlich den legalen K o m battanten steht das Kriegsprivileg zu, als Repräsentanten des Staates legalerweise Kampfhandlungen vorzunehmen; allein sie dürfen als Kriegsorgane ihres Staates — bei Einhaltung des Kriegsrechts 58 — ohne sich haftbar oder strafbar gegüber den eigenen, den gegnerischen oder einem dritten Staat zu machen, Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit und Eigentum der Feinde verletzen 59 . So wie der Staat i m Friedensverkehr gegenüber dritten Staaten verbindlich nur durch die autorisierten Organe seiner diplomatischen Auswärtigen Gewalt, vorwiegend durch seine Diplomaten handelt, so repräsentieren den Staat i m Krieg legalerweise ausschließlich die Organe seiner militärischen Auswärtigen Gewalt, vorwiegend die Soldaten seiner regulären Streitkräfte. Die besondere Rechtsbefugnis der legalen Kombattanten als Staatsorgane zur vernichtenden Gewaltanwendung kommt auch darin zum Ausdruck, daß sie i n der Hand des Gegners Anspruch auf die Behandlung als Kriegsgefangene nach der I I I . G K und i m Fall ihrer Verwundung zusätzlich auch die Privilegien der I. bzw. II. G K haben, während nichtprivilegierten Kombattanten 6 0 , Einzelkämpfern und Kampfgruppen, die nicht den oben aufgeführten Kategorien unterfallen, wie z.B. selbständig agierende Partisanen und Freischärler, Freiwilligenkorps und organisierte Widerstandsbewegungen, die nicht das Kriegsrecht beachten oder die sonstigen Vorbedingungen für den Status als legale Kombattanten nicht erfüllen, die Vorteile der ersten drei Genfer Konventionen nicht zugute kommen und vom Feindstaat für ihre Beteiligung an feindseligen Akten bestraft werden können. Es gelten nach Art. 4 Abs. 1 der I I I . G K für die nichtprivider Zivilbevölkerung, ohne doch ganz m i t i h r identisch zu sein; denn auch Angehörige der Zivilbevölkerung können zu den legalen (z. B. levée en masse, Wehrmachtsgefolge) oder zu den illegalen (z.B. Partisanen, Angehörige einer Widerstandsbewegung, die die Voraussetzungen von A r t . 4 A (2) I I I . G K nicht erfüllen) Kombattanten gehören, w Berber, a.a.O., S. 63 f., 91 f. u n d 163. 68 Ob der K r i e g legal oder illegal ist, spielt f ü r die Rechtmäßigkeit einzelner Kriegsmaßnahmen u n d demgemäß f ü r die Haftung der Kombattanten keine Rolle; vgl. Berber, a.a.O., S. 59 f., sowie Mähler, S.71ff. u n d S. 138 ff. ß® Berber, a.a.O., S. 141; derselbe, Polizei, S. 9. so Siehe Berber, a.a.O., S. 146.
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legierten Kombattanten die Vorschriften der IV. K G ; nach A r t . 64 Abs. 2, A r t . 68 Abs. 2, A r t . 66 kommt für sie trotz A r t . 5 Abs. 4 die Verhängung der Todesstrafe i n einem gerichtlichen oder militärgerichtlichen Verfahren i n Betracht 61 . Die Kriegsgefangenen (legalen Kombattanten) unterstehen nach Art. 12 Abs. 1 der I I I . G K der Gewalt der feindlichen Macht, nicht hingegen der Gewalt der Personen oder Truppenteile, die sie gefangengenommen haben; der Gewahrsamsstaat ist für die Behandlung der Kriegsgefangenen verantwortlich. Sie haben als Organe ihres Staates einen — gegenüber den sonstigen Kombattanten privilegierten — echten völkerrechtlichen Status 62 .
2. Gesteigerte Staatenhaftung
für Soldaten im Krieg
Die Sonderstellung der legalen Kombattanten als Staatsorgane i m Rahmen kriegerischer Auseinandersetzungen kommt auch deutlich i n der Haftungsbestimmung des A r t . 3 des Haager Abkommens von 1907 betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges, die gewohnheitsrechtlich auch auf alle anderen Kriegsarten Anwendung findet 63 , zum Ausdruck: „Die Kriegspartei, welche die Bestimmungen der bezeichneten Ordnung verletzen sollte, ist gegebenen Falles zum Schadenersatz verpflichtet. Sie ist für alle Handlungen verantwortlich, die von den zu ihrer bewaffneten Macht gehörenden Personen begangen werden." I m allgemeinen haftet der Staat für seine Exekutivorgane nicht bei Rechtsverletzungen, die auf außerdienstlichen Handlungen beruhen, die von offensichtlich unzuständigen Organen begangen wurden 6 4 , sofern diese Handlungen nicht vom Staat ermöglicht wurden, und auch nicht bei Rechtsverletzungen, bei denen dem Staat eine vom Völkerrecht zugelassene Exkulpierung möglich ist 6 5 . Die Staatshaftung für legale Kombattanten i m Krieg ist demgegenüber aufs Äußerste verschärft, absolut und objektiv; insbesondere ist es ohne Bedeutung, ob bei erfolgten Rechtsverletzungen klare Zuständigkeitsvorschriften überschritten und ob die inkriminierten Handlungen in Zusammenhang m i t dienstlichen Verrichtungen begangen worden sind 6 6 . Da die legalen Kombattanten die besonderen Organe des Staates bei der Ausübung seines ihm i m Krieg zustehenden SchädigungsBerber, a.a.O., S. 142. Berber, a.a.O., S. 151. w Berber, a.a.O., S. 98, und derselbe, Lehrbuch I I I , S. 12. 64 Berber, Lehrbuch I I I , S. 12 f. es Berber, a.a.O., S. 6 f. 66 Berber, Lehrbuch I I , S. 98 u n d 238; derselbe, Lehrbuch I I I , S. 12.
62
112 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt rechtes sind, seine direkten und unmittelbaren Repräsentanten i m Rahmen dieser auf Gewalt basierten zwischenstaatlichen Beziehungen, die die Gefahr flagranter Rechtsverletzungen stets i n besonderem Maße i n sich bergen, ist dem Staat diese weitreichende, strenge Haftung auferlegt 67 , ähnlich wie der Staat i m Bereich des völkerrechtlichen, rechtsgeschäftlichen Verkehrs für die durch seine Diplomaten und sonstigen Repräsentanten, seine Organe i m Bereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt, abgegebenen Wissenserklärungen sehr weitgehend einstehen muß. I r r t ü m e r 6 8 und Zuständigkeitsüberschreitungen 69 der den Staat unmittelbar vertretenden Organe seiner diplomatischen Auswärtigen Gewalt können nur i n stark beschränktem Umfang geltend gemacht werden.
3. Privilegierter
Status der Soldaten im
Ausland
Die gleichartige Stellung der Diplomaten und Soldaten als der beiden staatlichen Repräsentanten i m zwischenstaatlichen Verkehr, der zwei Organe seiner Auswärtigen Gewalt i n den unterschiedenen, doch aufs engste verbundenen Bereichen der diplomatischen Auswärtigen Gewalt und der militärischen Auswärtigen Gewalt kommt auch in deren vergleichbarem Status zum Ausdruck, den sie i m Ausland innehaben. Den Diplomaten ist i n ihrem jeweiligen Empfangsstaat, i n geringerem Umfang aber auch i n dritten Staaten eine Anzahl von Privilegien eingeräumt, die zur ungehinderten und vollkommenen Erfüllung ihrer besonderen Aufgaben als staatlicher Organe des friedlichen auswärtigen Verkehrs erforderlich oder zumindest förderlich sind. Wichtige Vorrechte dieser A r t sind u. a. das Recht auf erhöhten Schutz, auf Freiheit des umfassenden amtlichen Verkehrs, auf Befreiung von fremder Gerichtsbarkeit (Immunität), auf persönliche Unverletzbarkeit und auf Unverletzlichkeit diplomatischer Gebäude 70 . Streitkräfte, die während des Krieges i n fremdes Gebiet vordringen, besitzen dort I m m u n i t ä t 7 1 und darüber hinaus das Recht — unter Beachtung der kriegsrechtlichen Schranken — selbst alle für ihre 67 Berber, Lehrbuch I I , S. 98: „Eine Armee ist ein gefährliches Werkzeug, ein K r i e g trägt immer die Gefahr i n sich, Ordnung u n d Disziplin außer Acht zu lassen; i n einer A r t Gefährdungshaftung w i r d also dem Staat diese umfassende unmittelbare Haftung auferlegt." 68 Berber, Lehrbuch I, S. 436. 69 Berber, a.a.O., S.435f. 70 Z u den Einzelheiten siehe Berber, a.a.O., S. 278 ff. u n d S. 285 f. 71 Berber, a.a.O., S.302.
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Sicherheit erforderlichen Maßnahmen zu treffen 7 2 . Jedoch auch unabhängig von der Situation der kriegerischen Besetzung stellt sich i n neuerer Zeit i n Zusammenhang mit über die Kriegszeit hinaus fortgesetzten Besetzungen vormals feindlichen Territoriums, mit bilateralen und multilateralen Militärbündnissen und Sicherheitsabkommen, m i t der Erfüllung internationaler Sicherheitsaufgaben die Frage nach dem Status fremder, i m Ausland kurzfristig anwesender oder dauernd stationierten Truppen 7 3 . Da diese Problematik erst i n jüngster Zeit i n verstärktem Maße auftritt, läßt sich zu ihrer Beantwortung nicht — wie i m Falle der Diplomaten — auf ein bestehendes Gewohnheitsrecht verweisen. Liegen keine vertraglichen Vereinbarungen vor, so gilt regelmäßig das Prinzip der Territorialhoheit zugunsten des Aufenthaltsstaates. Aber fast immer ist es bei Truppenentsendungen zu abweichenden Vertragsregelungen gekommen und w i r d auch künftig dazu kommen 7 4 , w e i l die militärische Disziplin, die stete Einsatzbereitschaft und Schlagkraft der entsandten Truppen, die jederzeitige Erfüllung ihrer militärischen Mission eine gewisse Unabhängigkeit von Einwirkungen der fremden Staatsgewalt des Aufenthaltsstaates zur Voraussetzung hat. Inwieweit i m Einzelfall fremden Streitkräften umfassende Privilegien nach der A r t der diplomatischen Vorrechte oder nur Bruchteile davon zugestanden werden, hängt weitgehend von den politischen Beziehungen zwischen Truppen- und Aufenthaltsstaat und ihrem gegenseitigen Kräfteverhältnis ab. Jedoch zeichnet sich als allgemeine Tendenz die Gewährung einer beschränkten ausschließlichen Zuständigkeit des Truppenstaates für Vorgänge ab, die die innere Ordnung seiner Truppe betreffen, als eines echten Organs seiner staatlichen, seiner militärischen Auswärtigen G e w a l t 7 5 " 7 9 .
I I I . Ubergangsbereiche zwischen diplomatischer Auswärtiger Gewalt und militärischer Auswärtiger Gewalt Die diplomatische Auswärtige Gewalt und die militärische Auswärtige Gewalt sind komplementäre Begriffe, da sie sich gegenseitig ausschließen und gegenseitig zu einem Ganzen, dem Oberbegriff der 72
Berber, Lehrbuch I I , S. 130.
73
Hierzu u n d zum folgenden Berber, Lehrbuch I, S. 402 ff. 74 Beispiele bei Berber, Lehrbuch I, S. 403 f. 75-79 siehe hierzu auch Dohm, Völkerrecht I , S. 384 f., der einige weitere allgemeine Regeln festzuhalten versucht. — Den vollen diplomatischen Status haben Soldaten i n der Stellung als Militärattaches, i n der sie allerdings ihrer eigentlichen militärischen F u n k t i o n weitgehend entkleidet sind; siehe Krekeler, S. 82 f. 8 Sachau
114 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt Auswärtigen Gewalt ergänzen 80 . Alle Akte, die der diplomatischen Auswärtigen Gewalt und der militärischen Auswärtigen Gewalt, sind Akte der Auswärtigen Gewalt. Soweit es sich u m gewaltsame Akte handelt, sind es Akte der militärischen Gewalt, alle übrigen, die nicht gewaltsamen Akte, sind solche der diplomatischen Auswärtigen Gewalt. Während das Ergänzungsverhältnis der beiden Unterbegriffe weder zu theoretischen noch praktischen Zweifeln Anlaß bietet, zeigt es sich für das Ausschließungsverhältnis, das die grundsätzliche theoretische Abgrenzung zwar klar und eindeutig ist, sich aber bei der Betrachtung einzelner Akte der Auswärtigen Gewalt die Grenze zwischen diplomatischer Auswärtiger Gewalt und militärischer Auswärtigen Gewalt als fließend erweist, daß diese Unterbegriffe so ineinander verzahnt sind, daß ihre Verselbständigung als Zuständigkeitsbegriffe erhebliche systematische und praktische Schwierigkeiten aufwerfen würde und als wenig sinnvoll erscheint. Dies zeigt sich insbesondere bei den völkerrechtlichen Fragen nach Kriegsbeginn und Kriegsbeendigung, dem Abschluß von Kriegsverträgen und bei dem Verhältnis von Drohung zur aktuellen Gewaltanwendung.
2. Kriegsbeginn Zum Kriegsbeginn: Krieg zwischen zwei Staaten ist nach Berber „derjenige Zustand der Beziehungen zwischen zwei Staaten, unter dem die Geltung des normalen Völkerrechts — des sogenannten allgemeinen Friedensrechts — zwischen ihnen suspendiert ist 8 1 ." Für den völkerrechtlichen Kriegsbegriff ist der Abbruch der friedlichen Beziehungen das entscheidende Kriterium, nicht aber die Gewaltanwendung; es kann vielmehr der Kriegszustand eintreten, ohne daß militärische Gewaltanwendung erfolgt, häufiger freilich noch erfolgen militärische Gewaltakte, ohne daß der Kriegszustand herbeigeführt w i r d ( „measures short of war") 8 2 . Der Kriegszustand kann einmal dadurch herbeigeführt werden, daß er vor, m i t oder nach Aufnahme aktiver Feindseligkeiten durch einseitige, empfangsbedürftige (nicht annahmebedürftige) Willenserklä80 Z u m Ausschließungs- u n d Ergänzungsverhältnis griff spaare siehe Hoffmeister, „Komplement". 8
1 Berber,
82
komplementärer
Be-
Lehrbuch I I , S. 3.
So Berber, a.a.O., unter Berufung auf Moore, A Digest of International L a w , Bd. V I I , 1906, S. 153 f., u n d Verdross, Völkerrecht, 2. Aufl., 1950, S. 363, m i t Widerlegung nicht-rechtlicher, auf soziologische u n d teleologische Aspekte gegründeter Definitionen.
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rung einem anderen Staat gegenüber unzweideutig erklärt w i r d 8 3 . Dabei ist dem Landesrecht die Bestimmung des zur Kriegserklärung zuständigen Organs durch das Völkerrecht zu überlassen. Es w i r d sich dabei ausnahmslos nie um ein Organ der militärischen Auswärtigen Gewalt, sondern stets um ein Repräsentationsorgan aus dem Bereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt handeln 8 4 ; denn wenn auch der Kriegserklärung gewaltsame militärische Auseinandersetzungen folgen, so ist sie doch selbst kein A k t der Gewalt, sondern eine rechtsgestaltende Willenserklärung, ein A k t der diplomatischen Auswärtigen Gewalt. Der Kriegszustand kann aber auch völlig ohne M i t w i r k u n g der Organe der diplomatischen Auswärtigen Gewalt dadurch herbeigeführt werden, daß Feindseligkeiten gegen einen anderen Staat eröffnet werden und durch die A r t und Weise der Gewaltanwendung deutlich wird, daß sie als Krieg gewollt sind (konkludente Handlungen), oder aber das Opfer der Feindseligkeiten diese als Kriegshandlung behandelt wissen w i l l (wiederum aufgrund ausdrücklicher Kriegserklärung oder gemäß konkludenten Verhaltens) 85 . Der Kriegsbeginn kann also sowohl von der diplomatischen Auswärtigen Gewalt als durch die militärische Auswärtige Gewalt herbeigeführt werden. Beide Fälle lassen sich theoretisch wohl unterscheiden. Aber da das jus belli die Existenz des Staates unmittelbar betrifft, muß es unbedingt einheitlich ausgeübt werden. Es verbietet sich daher, die diplomatische Auswärtige Gewalt und militärische Auswärtige Gewalt als getrennte Zuständigkeitsbereiche zu behandeln; es handelt sich bei ihnen lediglich um aufgrund ihrer unterschiedlichen Organisations- und Wirkungsmittel unterscheidbare Funktionsweisen der einen einheitlichen Auswärtigen Gewalt. 2. Kriegsbeendigung Zur Kriegsbeendigung: Es gilt hier Ähnliches wie für den Kriegsbeginn; die Kriegsbeendigung erfolgt entweder durch die Wirkungsmittel der militärischen Auswärtigen Gewalt oder auch durch die der diplomatischen Auswärtigen Gewalt oder auch durch das Zusammen«3 Die allen Gewaltsamkeiten vorausgehende Kriegserklärung ist f ü r die Vertragspartner des I I I . Haager Abkommens von 1907 über den Beginn der Feindseligkeiten eine Rechtspflicht. — Z u r Kriegserklärung siehe Berber, Lehrbuch I I , S. 87 ff. 84 Vgl. z.B. ausdrücklich: Reichsverfassung von 1871, A r t . 11, Abs. 1, S.2: „Der Kaiser hat das Reich völkerrechtlich zu vertreten, i m Namen des Reichs K r i e g zu erklären u n d Frieden zu schließen . . . " ; implicite: Grundgesetz, A r t . 59, Abs. 1, S. 1: „Der Bundespräsident v e r t r i t t den B u n d völkerrechtlich." 85 Berber, Lehrbuch I I , S. 90.
8*
116 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt wirken beider Träger der Auswärtigen Gewalt. Kriege können auf dreifache A r t beendet werden: 1. durch Debellation, 2. durch beiderseitige Einstellung der Feindseligkeiten und Wiederaufnahme der friedlichen Beziehungen und 3. durch Friedensvertrag 86 . Die Debellation ist Kriegsbeendigung durch totale Unterwerfung und Beseitigung der staatlichen Existenz des Gegners. Ein solcher gewaltsamer Vorgang ist das Werk der militärischen Auswärtigen Gewalt. — Die Kriegsbeendigung durch beiderseitige Einstellung der Feindseligkeiten und faktische Wiederaufnahme der friedlichen Beziehungen ist, soweit es u m die rein tatsächliche Einstellung der Feindseligkeiten geht, eine Angelegenheit der militärischen Auswärtigen Gewalt. Darüber hinaus muß aber beiderseits der Wille erkennbar — wenn auch nicht expressis verbis — zum Ausdruck gebracht werden, den Krieg zu beenden und den friedlichen Verkehr wieder aufzunehmen. Ein solcher Wille könnte durch die völlige Beseitigung aller militärischen Sicherungsvorkehrungen, also allein durch Maßnahmen der militärischen Auswärtigen Gewalt ausreichend kundgetan werden; es ist aber ebenso möglich, daß sich hier die diplomatische Auswärtige Gewalt durch ausdrückliche Erklärungen und Bemühungen jeglicher A r t zur Wiederherstellung normaler friedensrechtlicher Verkehrsbeziehungen einschaltet. — Der Friedensvertrag ist ein reines Instrument der diplomatischen Auswärtigen Gewalt zur Beendigung des Krieges. Die Kriegsbeendigung ist also wie der Kriegsbeginn weder eine Angelegenheit ausschließlich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt noch der militärischen Auswärtigen Gewalt, dagegen aber ein Gegenstand erstrangiger Bedeutung für einen Staat und deshalb ganz ungeeignet, verschiedenen staatlichen Hoheitsbereichen zu getrennter, eigenwilliger Gestaltung überlassen zu werden. Die auf demselben Feld, dem der auswärtigen Beziehungen, nur mit verschiedenen Mitteln wirkenden Organe der diplomatischen Auswärtigen Gewalt und der militärischen Auswärtigen Gewalt sind daher nicht verschiedenen staatlichen Hoheitsbereichen zugehörig, sondern nur durch ihre abweichende Wirkungsweise unterschiedene Funktionsträger der einen einheitlichen Auswärtigen Gewalt. 3. Kriegsverträge Z u dem Abschluß von Kriegsverträgen: Die gegenseitigen Beziehungen zweier i m Krieg befangener Staaten erschöpfen sich auch bei se Berber,
Lehrbuch I I , S. 99; zum folgenden a.a.O., S. 99 ff.
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87
einer totalen Form der Kriegsführung nicht i n gegenseitiger Gewaltanwendung, die jeweilige Entwicklung der Kriegssituation erzwingt vielmehr trotz des Abbruchs der offiziellen diplomatischen Beziehungen stets neue Verhandlungen und Vereinbarungen z. B. über Waffenruhe, zur Bergung der Verwundeten und Toten, die Behandlung der Kriegsgefangenen 88 , den Austausch von Verwundeten oder nichtverwundeten Kriegsgefangenen, den Schutz von Kulturgütern, die Ubergabe von Truppen, Festungen usw.; die örtliche oder allgemeine Einstellung der Feindseligkeiten 89 . Berber führt als die häufigsten Kriegsverträge an: 1. das Kartell, 2. die Waffenruhe, 3. die Kapitulation und 4. den Waffenstillstand 90 . Das Kartell ist ein Vertrag von lokaler Bedeutung über militärische Angelegenheiten der oben angegebenen A r t wie Austausch und Schutzvereinbarungen. Die Waffenruhe ist eine Vereinbarung einer zeitlich und örtlich eng umgrenzten Kampfpause zu den oben angegebenen Zwecken wie Bergung und Austausch und auch zur Vereinbarung umfassenderer Verträge wie Kapitulation und Waffenstillstand. Die Kapitulation ist eine beschränkte oder auch umfassende Ubergabeoder Räumungsvereinbarung militärischer A r t 9 1 . Der Waffenstillstand schließlich unterbricht die Kriegsunternehmungen kraft eines „wechselseitigen Übereinkommens der Kriegsparteien" 9 2 ; der Waffenstillstand hat regelmäßig das Ziel, die Gesamtbeziehung der Kriegsparteien auf eine neue Grundlage zu stellen, häufig die endgültige Beendigung des Krieges vorzubereiten 93 . Da die Kriegsverträge keine militärischen Gewaltakte sind, sondern rechtsgeschäftliche Vereinbarungen, sind sie systematisch notwendig dem Bereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt und nicht dem der militärischen Auswärtigen Gewalt zuzurechnen. Entsprechend können auch Kriegsverträge beliebigen Inhalts durch die allgemein beim Abschluß von völkerrechtlichen Verträgen tätig werdenden 87
Z u r Gestalt des totalen Krieges vgl. Berber, a.a.O., S. 13 f. 88 Die I I I . Genfer Konvention von 1949 sieht i n den A r t i k e l n 10, 23, 28, 33, 60, 65, 66, 67, 72, 75, 109, 110, 119, 122 u n d 132 bestimmte Vereinbarungen und i n A r t . 6 frei auszuhandelnde Sondervereinbarungen über die gegenseitige Behandlung der Kriegsgefangenen vor. Vgl. auch die entsprechenden Regelungen i n den A r t i k e l n 6 der I. und I I . Genfer Konvention von 1949. 8 9 Die hier entwickelte Übersicht über Form u n d I n h a l t der Kriegsverträge folgt Berber, Lehrbuch I I , S. 79 ff. 99 Berber, a.a.O., S. 81 ff. 91 F ü r die K a p i t u l a t i o n findet sich i n A r t . 35 L K O eine ausdrückliche, w e n n auch sehr allgemein gehaltene Regelung. 9 2 Vgl. L K O , A r t . 36, S. 1. Siehe auch A r t . 37 L K O zur Unterscheidung von allgemeinem u n d örtlichem Waffenstillstand. 93 Berber, Lehrbuch I I , S. 83 f.
118 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt Organe der diplomatischen Auswärtigen Gewalt abgeschlossen werden; der kriegsbedingte Abbruch der normalen diplomatischen Beziehungen macht dabei häufig die Vermittlung neutraler Staaten, insbesondere der Schutzmächte 94 , erforderlich, auf deren Territorium auch regelmäßig die Begegnung der Vertreter der i m Krieg befindlichen Staaten stattfinden wird. Da aber der Gegenstand der Kriegsverträge — wie oben dargelegt — i n vielen Fällen militärische Angelegenheiten von rein lokaler Bedeutung betrifft, die dazu häufig einer raschen vertraglichen Regelung bedürfen, ist die i m Krieg erschwerte Kontaktaufnahme durch diplomatische Vertreter oft zu umständlich und auch deswegen ungeeignet, w e i l die Diplomaten m i t den aus dem Kampf erwachsenen regelungsbedürftigen, militärischen Detailfragen nicht vertraut sind, nicht einmal die fachliche Ausbildung besitzen, u m diese sicher zu beurteilen. I m Kriegsvölkerrecht hat sich daher — aus der Struktur der Sache heraus — der Gewohnheitsrechtssatz gebildet, daß die militärischen Befehlshaber für ihren Befehlsbereich zum A b schluß von Kriegsverträgen als berechtigt anzusehen sind 9 5 . Sie sind sachlich und fachlich m i t den zur Regelung anstehenden Sachverhalten vertraut und unmittelbar zur Stelle. Zur Kontaktaufnahme auch während aktiver Feindseligkeiten steht ihnen die gewohnheitsrechtliche Institution des Parlamentärs zur Verfügung 9 6 . Kartell, Waffenruhe und Kapitulation, alles Verträge von beschränkter lokaler Bedeutung, werden so regelmäßig von militärischen Befehlshabern, Organen der militärischen Auswärtigen Gewalt, abgeschlossen, daß dieser Umstand zur Definition dieser Verträge m i t herangezogen wird97. Bei der Betrachtung des Abschlusses von Kriegsverträgen 9 8 zeigt sich aufs deutlichste, wie fließend die Ubergänge zwischen den Funktionen der diplomatischen Auswärtigen Gewalt und der militärischen Auswärtigen Gewalt, wie ineinander verschränkt diese Teilbereiche der Auswärtigen Gewalt sind, wie gewaltsam und unsachgemäß die Zersprengung dieses einen einheitlichen Hoheitsbereiches zu zwei getrennten Gewalten, der diplomatischen Auswärtigen Gewalt und der militärischen Auswärtigen Gewalt, wäre. Wie dargelegt, sind alle Kriegsverträge an sich echte rechtsgeschäftliche Handlungen und damit 94
Z u den Funktionen v o n Schutzmächten vgl. Berber, a.a.O., S. 95 »5 Berber, a.a.O., S. 80. 96 Vgl. dazu die ausdrückliche Regelung i n der L K O , A r t . 32—34. »7 So bei Berber, Lehrbuch I I , S. 81 f. 98 Das zu den Kriegsverträgen Ausgeführte t r i f f t auch auf die Repressalienankündigung zu, die — obzwar eine rechtsgeschäftliche Handlung — bei beschränkter lokaler Bedeutung durch die zuständigen Befehlshaber, sonst durch die zuständigen Organe der diplomatischen Auswärtigen Gewalt erfolgt; siehe dazu Berber, Lehrbuch I I , S. 236.
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Angelegenheit der diplomatischen Auswärtigen Gewalt. Die generellen, gebietsmäßig nicht beschränkten Verträge, wie z. B. die i n den Genfer Konventionen vorgesehenen Vereinbarungen, werden auch durch diplomatische Vertreter geschlossen. Allerdings können allgemeine Waffenstillstandsverträge trotz ihres mehr oder minder politischen Charakters auch von Militärs, von den Oberkommandierenden, abgeschlossen werden. Alle übrigen Kriegsverträge, die nur eine lokal beschränkte Wirkung entfalten, können und werden regelmäßig von den Organen der militärischen Auswärtigen Gewalt, von örtlichen Befehlshabern, abgeschlossen, obwohl es sich nicht u m Akte der Gewaltanwendung handelt. Die Überlegung, daß solche rein örtlichen Vereinbarungen i n so engem Zusammenhang m i t der kriegerischen Gewaltanwendung stehen, daß man sie als deren Bestandteil betrachten kann, ist juristisch — angesichts der grundlegend unterschiedenen Kategorien der „Willenserklärung" und „Rechtshandlung" — nicht haltbar. Darüber hinaus können auch Kriegsverträge m i t rein lokalem Bezug ohne weiteres eine weit über das Militärische hinausgehende, starke politische Wirkung haben; man denke z.B. an die Kapitulation einer strategisch wichtigen Festung. Die innige Verbindung militärischer und poltischer Gesichtspunkte i n Kriegsverträgen kommt auch darin zum Ausdruck, daß ihr Abschluß unter M i t w i r k u n g von militärischen und diplomatischen Vertretern erfolgen k a n n " .
4. Drohung
und Angriff
Vom Verhältnis der Drohung zur aktuellen Gewaltanwendung: Militärische Auswärtige Gewalt verwirklicht sich i n der unmittelbaren Gewaltanwendung gegenüber anderen Völkerrechtssubjekten, insbesondere anderen Staaten. Akte der militärischen Auswärtigen Gewalt sind der bewaffnete Einfall i n das Gebiet eines fremden Staates, die Bombardierung eines solchen Gebietes, der Angriff auf Personen, Schiffe und Flugzeuge eines fremden Staates, die Durchführung einer Seeblockade gegenüber den Küsten und Häfen eines anderen Staates. Hingegen sind alle Organisations-, Rüstungs- und Ubungsmaßnahmen reine Interna eines Staates i m akzessorischen Bereich der militärischen Auswärtigen Gewalt. Dies gilt insbesondere für Vorgänge wie die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, allgemeine Verstärkung der Truppen, Vergrößerung des Waffenpotentials, Einführung neuer Waffenarten, Durchführung großer Manöver. Auch wenn die internen Verteidigungsvorbereitungen so angelegt sind, daß sie erkennbar auf bestimmte potentielle Gegner «» Siehe Berber, a.a.O., S. 80,
120 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt zielen und auf andere nicht, auch wenn an einer bestimmten Grenze massierte Truppenaufmärsche erfolgen, dann handelt es sich nicht um unmittelbar nach außen wirkende Gewaltakte und damit u m echte Akte der militärischen Auswärtigen Gewalt, sondern nur um die gesteigerte und gerichtete Vorbereitung solcher Akte. Die militärische Auswärtige Gewalt t r i t t als solche nach außen nicht, wenn nicht durch Gewaltanwendung i n Erscheinung. Unbezweifelbar w i r d jede Veränderung i n der Truppen- und Rüstungsstärke und i n der Verteidigungskonzeption eines Staates bei den anderen Staaten Beachtung finden und auch deren politische Einstellung beeinflussen. Eine solche Beeinflussung ist aber keine unmittelbare Gestaltung der Auswärtigen Beziehungen durch die militärische Auswärtige Gewalt, sondern nur ein Außenreflex ihrer internen Organisation. Da jeder Staat i m Bereich der auswärtigen Beziehungen die Möglichkeit militärischer Auseinandersetzung i n Rechnung ziehen muß, ist die Kampfkapazität — ohne daß sie nach außen wirkend i n Erscheinung t r i t t — ein wesentliches Element i n jedem außenpolitischen Kalkül. Dort, wo es u m vermeintlich oder wirklich wesentliche Interessen der Staaten geht, w i r d jeder einzelne nach seiner Verteidigungskraft als „Macht" eingestuft und nach den Umständen als Bedrohung empfunden. Solche Machtstellung und als latent empfundene Drohung — wie gesagt, ein Reflex der internen Verteidigungsstruktur — ist bei stärkeren Interessenkonflikten der Hintergrund, vor dem die diplomatische Auswärtige Gewalt eines Staates agiert, ihre Erklärungen abgibt, verhandelt und Verträge abschließt. Die diplomatische Auswärtige Gewalt kann die akkumulierte militärische Macht ihres Staates auch ausdrücklich als Motivationsmittel bei ihrem Bemühen um die gewünschte Gestaltung der auswärtigen Angelegenheiten einbeziehen, i n dem sie — je nach Lage des Falles — die eigene Macht als Garantie und Schutzfaktor oder als Abschreckungsmoment ins Feld führt, letzteres unter Umständen 100 i n Form definitiver Bedrohung oder auch ultimativer Forderung. Gegenseitige Bedrohung und Abschreckung — mittelbar oder expressis verbis — ist heute sogar ein wesentlicher Bestandteil der Außenpolitik der Großmächte. Das Machtpotential der Staaten ist dabei, solange keine militärische Gewaltanwendung erfolgt, alleiniges Instrument der diplomatischen Auswärtigen Gewalt bei dem Bemühen um die Gestaltung der auswärtigen Beziehungen. Jedoch der entscheidende Augenblick, i n dem akzentuierte Drohung i n unmittelbar loo Verboten nach A r t . 2 Nr. 4 UN-Satzung.
§ 7. Völkerrechtliche Aspekte
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nach außen wirkende Gewalt umschlägt, ist i m Einzelfall schwer auszumachen, die Ubergänge scheinen auch hier fließend zu sein, und darin zeigt sich erneut die innige Verbindung zwischen diplomatischer Auswärtiger Gewalt und militärischer Auswärtiger Gewalt. Der juristische Begriff, der die Nahtstelle bezeichnet, ist der umstrittene und ungeklärte Begriff des „ A n g r i f f s " 1 0 1 . Daß die langandauernden und zahlreichen Bemühungen u m eine Angriffsdefinition, die i n der Staatenwelt allgemeine Anerkennung findet, bisher gescheitert sind, liegt daran, daß bei der rapiden Veränderung der Waffentechnik sich die Formen militärischer Auseinandersetzung und Zerstörung von Jahr zu Jahr ändern 1 0 2 . Eine abstrakte Definition ist i n der Gefahr, zu allgemein zu sein, um eine Richtschnur für die Beurteilung der stark unterschiedlichen Vorfälle abzugeben; eine Enumerations„Definition" birgt i n sich das Risiko, daß überraschende Veränderungen der Kampfmittel einzelner Staaten und entsprechende Lücken einer enumerativen Angriffsdefinition außenpolitisch (militärisch) genutzt werden 1 0 3 . Eine solche entscheidende Veränderung der Bewaffnungsstruktur der Staaten ist i n den letzten 25 Jahren die Entwicklung der Massenvernichtungsmittel der Atom- und Wasserstoffbomben und ihrer immer weiterreichenden Trägersysteme gewesen. Die großflächige und totale Zerstörungskraft dieser Bomben zwingt zu der Überlegung, daß eine Verteidigung nach Hinnahme schwerer Atomschläge vielleicht unmöglich, auf jeden Fall aber weitgehend ihres Sinnes beraubt ist, w e i l sie nicht mehr i n der Lage ist, von ihrem Land schwerste Zerstörung und Vernichtung abzuwenden 104 . So heißt es z.B. i n einem US-Memorandum zur Angriffsdefinition 1 0 5 : „ E i n bewaffneter Angriff ist heute etwas völlig anderes als vor der Entdeckung der Atomwaffen. Es würde daher unter den gegenwärtigen Bedingungen wichtig 101 Z u den Definitionsversuchen vgl. die ausführliche Darstellung bei Berber, Lehrbuch I I , S. 48 ff. 102 Es k a n n auch nicht ausgeschlossen werden, daß trotz der allgemeinen Anteilnahme an dem Bemühen u m eine Angriffsdefinition einzelne Regierungen i n törichter Überbewertung ihrer momentanen Machtstellung, sich f ü r ihre Außenpolitik möglichste Handlungsfreiheit bewahren wollen und daher nicht w i r k l i c h an einer klaren Begriffsbestimmung für den A n g r i f f interessiert sind. 103 Es ist Berber vorbehaltlos darin zuzustimmen, daß trotzdem eine Definition des Angriffs, nämlich i n der F o r m einer abstrakt-generellen Feststellung verbunden m i t einer exemplifikativen Enumeration sinnvoll u n d möglich ist; vgl. dazu Berber, Lehrbuch I I , S. 50 f. io* Berber, Lehrbuch I, S. 199, weist darauf hin, daß ein Recht zur präventiven Selbstverteidigung als Ausfluß des Rechts der Selbsterhaltung nur dann ausnahmsweise i n Betracht kommen kann, w e n n es u m einen echten Notstand, die Existenz des Staates selbst geht. los Siehe US-Memorandum Nr. 3 zur Angreiferdefinition, Dept. of State Publ. 2702; zitiert nach Berber, Lehrbuch I I , S. 12 u n d 3.
122 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt und angemessen erscheinen, daß der Vertrag ,Bewaffneter Angriff 1 i n einer den Atomwaffen entsprechenden Weise definiert und i n der Definition nicht einfach den tatsächlichen A b w u r f einer Atombombe einschließt, sondern auch gewisse Schritte, die an sich einem solchen A b w u r f vorangehen." Entsprechend diesen Vorstellungen ist von den USA i m Oktober 1962 m i t der Blockade Cubas gehandelt worden 1 0 6 . Der Transport sowjetischer Raketen nach Cuba und die Errichtung von sowjetischen Abschußrampen dort, 300 k m vom amerikanischen Festland entfernt, wurde von den USA als ein zur gewaltsamen Verteidigung berechtigender Angriff betrachtet 1 0 7 . Ob w i r k l i c h ein Angriff auf die USA vorlag, der zur Vornahme der „friedlichen Blockade" berechtigte, ist umstritten 1 0 8 . Durch die Atom- und Raketenwaffen ist eine überaus umfassende und ständige Bedrohungslage geschaffen worden, durch die eine gefährliche UnUnterscheidbarkeit von verbotener Prävention und rechtmäßiger Verteidigung bewirkt w i r d 1 0 9 . Irgendwann t r i t t der Augenblick ein, i n dem die Notwendigkeit der Selbstverteidigung sofortig und überwältigend ist und keine Wahl der M i t t e l und keinen Augenblick der Überlegung läßt 1 1 0 , i n dem der Bedrohte zum A n gegriffenen wird. A u f der Gegenseite w i r d irgendwann aus dem reinen Internum militärischer Organisation eine i n den internationalen Bereich hineinwirkende, als Angriff zu qualifizierende Bedrohung; die eventuell diplomatisch-verbal übermittelte Drohung w i r d zu einem militärisch-realen A n g r i f f 1 1 1 . Der Übergang, die Grenze ist verwischt durch die Bedingungen moderner Waffentechnik, die damit den behaupteten engen Zusammenhang zwischen diplomatischer Auswärtiger Gewalt bestätigen bzw. verstärken. Die aus dem zwingend vernünftigen Postulat der Einheit der Außenpolitik abgeleitete Forderung der Kontrolle und Führung der militärischen Auswärtigen Gewalt durch 106 Z u r „Friedlichen Blockade" Cubas, der sogenannten „Quarantäne", siehe Berber, Lehrbuch I I I , S. 91 f. 107 Die Friedliche Blockade fällt an sich unter das Gewaltverbot des A r t . 2 Nr. 4 der UN-Satzung, siehe Berber, Lehrbuch I I I , S. 91; die Rechtfertigung f ü r die amerikanischen Blockademaßnahmen wäre i n A r t . 51 der Satzung der UN, dem Recht zur Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe, zu suchen.
i ° 8 Siehe dazu die von Berber, a.a.O. gegebene Meinungsübersicht m i t dezidierter Ablehnung des i n diesem Zusammenhang unjuristischen A u s drucks „Quarantäne", w i e er von den U S A zur Rechtfertigung verwendet worden ist. 109 Berber, Lehrbuch I I , S. 12. no Formulierung nach einer Übersetzung der Stellungnahme der amerikanischen Regierung i m Caroline-Fall durch Berber, Lehrbuch I, S. 195. i n Beide i n gleicher Weise nach A r t . 2 Nr. 4 UN-Satzung verboten.
§ 8. Faktische Aspekte
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die diplomatische Auswärtige Gewalt 1 1 2 ist nicht auf die Maßnahmen i n Kriegszeiten beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf die Organisation und Rüstung der Streitkräfte i n Friedenszeiten.
§ 8. Faktische Aspekte zum Verhältnis von Wehrhoheit und diplomatischer Auswärtiger Gewalt zueinander Bei der Untersuchung des Verhältnisses der Rechtsbegriffe der diplomatischen Auswärtigen Gewalt und der militärischen Auswärtigen Gewalt zueinander ist es notwendig, wenn man nicht bei einer rein formalen Begriff s jurisprudenz stehen bleiben w i l l , sich die zugrundeliegenden Rechtstatsachen vor Augen zu führen, die typischen W i r kungsweisen der durch diese Begriffe repräsentierten Kräfte und ihren Funktionszusammenhang, u m so die unerläßliche Grundlage für ihre sinn- und zweckvolle Auslegung und Verwendung zu gewinnen 1 . Nach den oben 2 entwickelten Gedankengängen sind dem Staat für die Außenpolitik zahlreiche Gestaltungs-(Motivations-)mittel an die Hand gegeben, unter denen die militärische Gewaltanwendung sich — abgesehen von ihren grausam zerstörenden Wirkungen — nur deswegen hervorhebt, weil sie i m Gegensatz zu den sonstigen Mitteln der Außenpolitik, die durch die Organe der diplomatischen Auswärtigen Gewalt i m internationalen Bereich geltend gemacht werden, durch besondere Organe, die Organe der militärischen Auswärtigen Gewalt, vollzogen w i r d 3 . Die intensivere Besinnung auf die Instrumentalrelation der militärischen Gewaltanwendung zur allgemeinen Außenpolitik führt daher gleichzeitig eine weitere Klärung des Verhältnisses der militärischen Auswärtigen Gewalt zur diplomatischen Auswärtigen Gewalt als dem Ausgangs- und entscheidenden Verantwortungsbereich für alle staatliche Außenpolitik herbei. I. Die Thesen von Carl von Clausewitz zum Verhältnis des Krieges zur Politik Die schlechthin grundlegenden theoretischen Aussagen 4 über das Verhältnis des Krieges 5 zur Politik stammen von Carl von Clausewitz 112
Siehe dazu ausführlich den folgenden Paragraphen. Z u m Ziel einer lebensnahen Rechtsanwendung siehe Berber , Lehrbuch I I I , S . V I : „ . . . Probleme nicht i n weltfremder Weise als formale, logische Probleme, sondern als materielle, substanzielle Probleme des praktischen Lebens erkennen . . . " Z u r Rechtstatsachenforschung u n d teleologischen Gesetzesauslegung vgl. auch Lehmann, S. 59. 2 Oben, §5, Abschnitt I. 3 Siehe oben § 7, Abschnitt I I . 4 Siehe oben, S. 83 A n m . 12. s Das W o r t „ K r i e g " steht hier f ü r jegliche Gewaltanwendung i m zwischen1
124 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt (1780—1831), der dieser Problematik i n seinem nachgelassenen Werk „Vom Kriege" eine bedeutsame Stellung einräumt 6 . Die Tatsache, daß auch die modernsten Untersuchungen über Krieg und Politik sich auf die Einsichten von Clausewitz entscheidend stützen 7 , rechtfertigt es, aus dessen klassischem Werk ausführlicher — und damit auch weniger entstellend, als es manchmal geschieht — zu zitieren.
1. Politik als Urheber und Lenker kriegerischer Entwicklungen — Krieg als Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel Die Wesensbestimmung, die Clausewitz dem Krieg gibt, ist bereits oben angeführt worden 8 : „Der Krieg i s t . . . ein A k t der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen. . . . G e w a l t . . . ist also das Mittel; dem Feinde unseren Willen aufzudringen, der Zweck. U m diesen Zweck sicher zu erreichen, müssen w i r den Feind wehrlos machen, und dies ist dem Begriff nach das eigentliche Ziel der kriegerischen Handlung. Es vertritt den Zweck und verdrängt ihn gewissermaßen als etwas nicht zum Kriege selbst Gehöriges 9 ." Der solchermaßen von jeder weiteren Zielsetzung als der, den Feind in die Knie zu zwingen, befreite, reine, verselbständigte Krieg hat i n besonderer Weise die Tendenz, auf Grund der i n jedem Kampf wirkenden dialektischen Steigerungsprozesse (Aufschaukelung, Eskalation) zum Äußersten zu treiben, zu einer absoluten Form 1 0 . „Der Krieg ist ein A k t der Gewalt, und es gibt i n der Anwendung derselben keine Grenzen; so gibt jeder dem anderen das Gesetz, es entsteht eine Wechselwirkung, die dem Begriff nach zum Äußersten führen muß 1 1 ." Da aber kein Krieg i n Hinblick auf Vergangenheit und Zukunft ein völlig isolierter A k t ist und auch kein Krieg sich i n einem ersten und einzigen Treffen entscheidet, t r i t t als leitender und mäßigender staatlichen Bereich; es ging Clausewitz bei seinen Untersuchungen nicht u m eine völkerrechtliche K l ä r u n g des Kriegsbegriffes; vgl. dazu oben, §5, Abschn. I, Abs. 4 a. E. 6 So vor allem i n dem die theoretischen Grundlagen legenden ersten Buch „Über die N a t u r des Krieges" und i n dem die Hauptgedanken des Werkes konzentrierenden letzten (achten) Buch „Kriegsplan".
7 Siehe oben, § 5, A n m . 12. 8 Oben, § 5, Abschn. I, Abs. 4 a. E. 9
Clausewitz, S. 13. 10 a.a.O., S. 13 ff. 11 a.a.O., S. 14.
§ .
a t i c h e Aspekte
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Gesichtspunkt für die Kriegsführung der Wille, der dem Feind aufgenötigt werden sollte, der politische Zweck i n den Vordergrund: „Hier drängt sich nun von selbst ein Gegenstand von neuem i n die Betrachtung, den w i r daraus entfernt hatten: es ist der politische Zweck des Krieges. Das Gesetz des Äußersten, die Absicht, den Gegner wehrlos zu machen, ihn niederzuwerfen, hatte diesen Zweck bisher gewissermaßen verschlungen. Sowie dieses Gesetz i n seiner K r a f t nachläßt, diese Absicht von ihrem Ziel zurücktritt, muß der politische Zweck des Krieges wieder hervortreten 1 2 ." „Daß der politische Gesichtspunkt mit dem Krieg ganz aufhören sollte, würde nur denkbar sein, wenn die Kriege aus bloßer Feindschaft Kämpfe auf Leben und Tod wären: wie sie sind, sind sie nichts als Äußerungen der Politik selbst... Das Unterordnen des politischen Gesichtspunktes unter den militärischen wäre widersinnig, denn die Politik hat den Krieg erzeugt; sie ist die Intelligenz, der Krieg aber bloß Instrument, und nicht umgekehrt. Es bleibt also nur das Unterordnen des militärischen Gesichtspunktes unter den politischen möglich 1 3 ." Dieser Gedanke von der Überordnung des politischen Gesichtspunktes über den militärischen auch i n Kriegszeiten als die unerläßliche Voraussetzung für sachgemäßes Handeln i m Fall eines bewaffneten Konflikts w i r d von Clausewitz als ein Schlüsselgedanke seiner gesamten Kriegstheorie i n immer neuen Wendungen vorgetragen: „Man weiß freilich, daß der Krieg nur durch den politischen Verkehr der Regierungen und der Völker hervorgerufen wird; aber gewöhnlich denkt man sich die Sache so, daß mit ihm jener Verkehr aufhöre und ein ganz anderer Zustand eintrete, welcher nur seinen eigenen Gesetzen unterworfen sei. W i r behaupten dagegen, der Krieg ist nichts als eine Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel, um damit zugleich zu behaupten daß dieser politische Verkehr durch den Krieg selbst nicht aufhört, nicht i n etwas ganz anderes verwandelt wird, sondern daß er i n seinem Wesen fortbesteht, wie auch seine Mittel gestaltet sein mögen, deren er sich bedient, und daß die Hauptlinien, an welchen die kriegerischen Ereignisse fortlaufen und gebunden sind, nur seine Lineamente sind, die sich zwischen dem Krieg durch bis zum Frieden fortziehen. Und wie wäre es anders denkbar. Hören denn mit den diplomatischen Noten je die politischen Verhältnisse verschiedener Völker und Regierungen auf? Ist der Krieg nicht bloß eine andere A r t von Schrift und Sprache ihres Denkens? Er hat freilich seine eigene Grammatik, aber nicht seine eigene Logik. Hiernach kann der Krieg niemals von dem politischen Verkehr getrennt * 2 a.a.O., S. 16. i3 a.a.O., S. 218.
126 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt werden, und wenn dies i n der Betrachtung irgendwo geschieht, werden gewissermaßen alle Fäden des Verhältnisses zerrissen, und es entsteht ein sinn- und zweckloses Ding 1 4 ."
2. Politik
als das mäßigende Element im Kriege
Das Bewußtsein von dem politischen Zweck einer gemeinsamen Auseinandersetzung w i r d häufig als ein vernünftig mäßigendes Regulativ auf die Kriegführung einwirken: „Ist die ganze Betrachtimg (der Kriegführung) 1 5 ein Wahrscheinlichkeitskalkül, aus bestimmten Personen und Verhältnissen hervorgehend, so muß der politische Zweck als das ursprüngliche Motiv ein sehr wesentlicher Faktor i n diesem Produkt werden. Je kleiner das Opfer ist, welches w i r von unsern Gegnern fordern, u m so geringer dürfen w i r erwarten, daß seine Anstrengungen sein werden, es uns zu versagen. Je geringer aber diese sind, um so kleiner dürfen auch die unserigen bleiben. Ferner, je kleiner unser politischer Zweck ist, u m so geringer w i r d der Wert sein, den w i r auf ihn legen, u m so eher werden w i r uns gefallen lassen, ihn aufzugeben: also um so kleiner werden auch aus diesem Grunde unsere Anstrengungen sein. So w i r d also der politische Zweck als das ursprüngliche Motiv das Maß sein, sowohl für das Ziel, welches durch den kriegerischen A k t erreicht werden muß, als für die Anstrengungen, die erforderlich sind 1 6 ." Die unterschiedliche Gewichtigkeit i n Frage stehender politischer Zwecke, so legt Clausewitz i n dem Abschnitt „Zweck und M i t t e l i m Kriege" dar 1 7 , beeinflußt die Intensität der Kriegführung, die A r t der verwendeten Kriegsmittel, und vernünftige politische Rücksicht führt schließlich häufig zum Verzicht auf einen Siegfrieden. „Da der Krieg kein A k t blinder Leidenschaft ist, sondern der politische Zweck darin vorwaltet, so muß der Wert, den dieser hat, die Größe der Aufopferung bestimmen, womit w i r ihn erkaufen wollen. Dies w i r d nicht nur der Fall sein bei ihrem Umfang, sondern auch bei ihrer Dauer. Sobald also der Kraftaufwand so groß wird, daß der Wert des politischen Zweckes ihm nicht mehr das Gleichgewicht halten kann, so muß dieser aufgegeben werden und der Friede die Folge davon sein.. . 1 8 ." 14 a.a.O., S. 216 f. i« Erläuternder Zusatz v o m Verf. iß a.a.O., S. 16 f. 17 a.a.O., S. 23 ff. 18 a.a.O., S. 25.
§ 8. Faktische Aspekte
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3. Politik als der bestimmende Faktor für den Charakter eines Krieges Die A r t einer militärischen Auseinandersetzung hängt, sofern sie rational, sinnvoll ist, völlig von der Natur des Konfliktgegenstandes ab: „Je großartiger und stärker die Motive des Krieges sind, je mehr sie das ganze Dasein der Völker umfassen, je gewaltsamer die Spannung ist, die dem Kriege vorhergeht, um so mehr w i r d der Krieg sich seiner abstrakten Gestalt nähern, u m so mehr w i r d es sich u m das Niederwerfen des Feindes handeln, um so mehr fallen das kriegerische Ziel und der politische Zweck zusammen, u m so reiner kriegerisch, weniger politisch scheint der Krieg zu sein. Je schwächer aber Motive und Spannungen sind, um so weniger w i r d die natürliche Richtung des kriegerischen Elements, nämlich der Gewalt, i n die Linie fallen, welche die Politik gibt, u m so mehr muß also der Krieg von seiner natürlichen Richtung abgelenkt werden, um so verschiedener ist der politische Zweck von dem Ziel eines idealen Krieges 19 , u m so mehr scheint der Krieg politisch zu werden. Wenn es a l s o . . . auch wahr ist, daß bei der einen A r t Krieg die Politik ganz zu verschwinden scheint, während sie bei der anderen A r t ganz bestimmt hervortritt, so kann man doch behaupten, daß die eine so politisch sei wie die andere; denn betrachtet man die Politik als die Intelligenz des personifizierten Staates, so muß unter allen Konstellationen, die ihr K a l k ü l aufzufassen hat, doch auch diejenige begriffen sein können, wo die Natur aller Verhältnisse einen Krieg der ersten A r t bedingt 2 0 ." „Der erste, der großartigste, der entschiedenste A k t des Urteils, welchen der Staatsmann und Feldherr ausübt, ist der, daß er den Krieg, welchen er unternimmt, i n dieser Beziehung richtig erkenne, ihn nicht für etwas nehme oder zu etwas machen wolle, was er der Natur der Verhältnisse nach nicht sein kann 2 1 ."
4. Einschränkung des autonomen militärischen Bereichs durch den Grundsatz der Einheit der Außenpolitik Bei einer militärischen Auseinandersetzung gibt es allerdings Vorgänge untergeordneter Natur, für deren Beurteilung der politische Gesichtspunkt ganz zurücktritt, die als rein militärisch zu qualifizieren sind; aber überall dort, wo anstehende Entscheidungen grundsätzlicheren Charakter besitzen, muß der politische Gesichtspunkt, unter 19 „ Z i e l eines idealen Krieges" i. S. einer Annäherung an das oben dargestellte theoretische Modell eines reinen, „zweckfreien" Krieges, einer absoluten Waffenprobe. 20 Clausewitz, S.22. 21 a.a.O., S. 23.
128 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt dem die Auseinandersetzung geführt w i r d und der alle erheblichen Staatsinteressen i n sich vereinigt, maßgebende Bedeutung erlangen. W i r d die Einheit der Außenpolitik durch unkoordinierte militärische Entscheidungen aufgelöst, so werden sich die Staatsgeschicke bald in sinnlose, verderbliche Widersprüche verfangen. „Freilich dringt das politische Element nicht tief i n die Einzelheiten des Krieges hinunter, man stellt keine Vedetten und führt keine Patrouille nach politischen Rücksichten: aber desto entschiedener ist der Einfluß dieses Elements bei dem Entwurf zum ganzen Kriege, zum Feldzuge oder selbst zur Schlacht 22 ." „ W e n n . . . bei Kriegsentwürfen der zwei- und mehrfache Standpunkt nicht zulässig ist, wonach die Dinge angesehen werden könnten, jetzt mit dem Auge des Soldaten, jetzt mit dem des Administrators, jetzt mit dem des Politikers usw., so fragt es sich nun, ob es denn notwendig die Politik ist, der sich alles übrige unterordnen muß. . . . Es ist überhaupt nichts so wichtig i m Leben, als genau den Standpunkt auszumitteln, aus welchem die Dinge aufgefaßt und beurteilt werden müssen und an diesem festzuhalten; denn nur von einem Standpunkt aus können w i r die Masse der Erscheinungen m i t Einheit auffassen und nur die Einheit des Standpunktes kann uns vor Widersprüchen sichern. . . . Daß die Politik alle Interessen der inneren Verwaltung, auch die der Menschlichkeit und was sonst der philosophische Verstand zur Sprache bringen könnte, in sich vereinigt und ausgleicht, w i r d vorausgesetzt; denn die Politik ist ja nichts an sich, sondern ein bloßer Sachwalter aller dieser Interessen gegen andere Staaten. Daß sie eine falsche Richtung haben, dem Ehrgeiz, dem Privatinteresse, der Eitelkeit der Regierenden vorzugsweise dienen kann, gehört nicht hierher; denn i n keinem Fall ist es die Kriegskunst, welche als ihr Präzeptor betrachtet werden kann, und w i r können hier die Politik nur als Repräsentanten aller Interessen der ganzen Gesellschaft betrachten . . . 2 3 ." 5. Notwendige Vertrautheit der politischen Führung mit Wesen und Wirkungsweise der kriegerischen Mittel Der politische Einfluß auf die Kriegführung, die politische Leitung des Krieges kann allerdings nur dann zum Erfolg führen, wenn sie sich der Wirkungsweise und Möglichkeiten der kriegerischen M i t t e l bewußt ist. „Der politische Zweck ist (deshalb) kein despotischer Gesetzgeber; er muß sich der Natur des Mittels fügen und w i r d 22 a.a.O., S. 217 f. 23 a.a.O., S. 218 f.
§ 8. Faktische Aspekte
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dadurch oft ganz verändert; aber immer ist er das, was zuerst i n Erwägung gezogen werden muß. Die Politik also w i r d den ganzen kriegerischen A k t durchziehen und einen fortwährenden Einfluß auf ihn ausüben, soweit es die Natur der i n ihm explodierenden Kräfte z u l ä ß t . . . Was dem Krieg noch eigentümlich bleibt, bezieht sich nur auf die eigentümliche Natur seiner Mittel. Daß die Richtungen und Absichten der Politik mit diesen Mitteln nicht in Widerspruch treten, das kann die Kriegskunst i m allgemeinen und der Feldherr i n jedem einzelnen Falle fordern, und dieser Anspruch ist wahrlich nicht gering; aber wie stark er auch i n einzelnen Fällen auf die politischen A b sichten zurückwirkt, so muß dies doch immer nur als eine Modifikation derselben gedacht werden, denn die politische Absicht ist der Zweck, der Krieg ist das Mittel, und niemals kann das M i t t e l ohne Zweck gedacht werden 2 4 ." „Von diesem Standpunkt aus ist ein Streit zwischen den politischen und kriegerischen Interessen wenigstens nicht mehr i n der Natur der Sache und also da, wo er eintritt, nur als eine Unvollkommenheit der Einsicht zu betrachten. Daß die Politik an den Krieg Forderungen macht, die er nicht leisten kann, wäre gegen die Voraussetzungen, daß sie das Instrument kenne, welches sie gebrauchen w i l l , also gegen eine natürliche und ganz unerläßliche Voraussetzung. Beurteilt sie aber den Verlauf der kriegerischen Ereignisse richtig, so ist es ganz ihre Sache und kann nur die ihrige sein zu bestimmen, welche Ereignisse und welche Richtung der Begebenheiten dem Ziele des Krieges entsprechen... Nur dann, wenn die Politik sich von gewissen kriegerischen Mitteln und Maßregeln eine falsche, ihrer Natur nicht entsprechende Wirkung verspricht, kann sie mit ihren Bestimmungen einen schädlichen Einfluß auf die Politik haben. Wie jemand i n einer Sprache, der er nicht ganz gewachsen ist, m i t einem Gedanken zuweilen Unrichtiges sagt, so w i r d die Politik dann oft Dinge anordnen, die ihrer eigenen Absicht nicht entsprechen. — Dies ist unendlich oft vorgekommen, und dies macht es fühlbar, daß eine gewisse Einsicht i n das Kriegswesen von der Führung des politischen Verkehrs nicht getrennt werden sollte 25 ." 6. Die Regierung als Träger auch der mit militärischen Mitteln fortgesetzten Außenpolitik Die politische Führung steht nach Clausewitz der Regierung zu 2 8 . „Die Kriegskunst auf ihrem höchsten Standpunkt w i r d zur Politik, 24 a.a.O., S. 21 f. 25 a.a.O., S. 219 f. 26 a.a.O., S. 23. 9 Sachau
130 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt aber freilich einer Politik, die statt Noten zu schreiben, Schlachten liefert. M i t dieser Ansicht ist es eine unzulässige und selbst schädliche Unterscheidung, wonach ein großes kriegerisches Ereignis oder der Plan zu einem solchen eine rein militärische Beurteilung zulassen soll; ja es ist ein widersinniges Verfahren, bei Kriegsentwürfen Militärs zu Rate zu ziehen, damit sie rein militärisch darüber urteilen sollen, was die Kabinette zu t u n haben; aber noch widersinniger ist das Verlangen der Theoretiker, daß die vorhandenen Kriegsmittel dem Feldherrn überwiesen werden sollen, u m danach einen rein militärischen Entwurf zum Kriege oder zum Feldzuge zu machen. Auch lehrt die allgemeine Erfahrung, daß trotz der großen Mannigfaltigkeit und Ausbildung des heutigen Kriegswesens die Hauptlineamente des Krieges doch immer von den Kabinetten bestimmt worden sind, d.h. von einer, wenn man technisch sprechen w i l l , nur politischen, nicht militärischen Behörde. Dies ist vollkommen i n der Natur der Dinge. Keiner der Hauptentwürfe, welche für einen Krieg nötig sind, kann ohne Einsichten i n die politischen Verhältnisse gemacht werden, und man sagt eigentlich etwas ganz anderes, als man sagen w i l l , wenn man, was häufig geschieht, von dem schädlichen Einfluß der Politik auf die Führimg des Krieges spricht. Ist die Politik richtig, d. h. t r i f f t sie ihr Ziel, so kann sie auf den Krieg i n ihrem Sinn auch nur vorteilhaft wirken; und wo diese Einwirkung vom Ziel entfernt ist, ist die Quelle nur i n der verkehrten Politik zu suchen 27 ." Fehlt es i n der politischen Führung eines Staates an ausreichendem Verständnis für militärische Vorgänge, u m eine sachgerechte Handhabung des Kriegsinstruments zu gewährleisten, so müssen Militärs zu politischen Entscheidungen mitherangezogen und nicht etwa mit der gesamten Kriegsgestaltung selbständig betraut werden. „Soll ein Krieg den Absichten der Politik entsprechen und soll die Politik den Mitteln zum Kriege angemessen sein, so bleibt, wo der Staatsmann und der Soldat nicht i n einer Person vereinigt sind, nur ein gutes M i t t e l übrig, nämlich den obersten Feldherrn zum Mitglied des Kabinetts zu machen, damit dasselbe teil an den Hauptmomenten seines Handelns nehme 28 ." 7. Zusammenfassung Auch die Zusammenfassung dieser Gedankengänge kann am besten m i t den Worten von Clausewitz wiedergegeben werden: „Also noch einmal: der Krieg ist ein Instrument der Politik; er muß m i t ihrem 28 a.a.O., S. 220. 27 a.a.O., S. 219.
§ 8. Faktische Aspekte
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Maß messen; er muß notwendig ihren Charakter tragen; die Führimg des Krieges i n seinen Hauptumrissen ist daher die Politik selbst, welche die Feder m i t dem Degen vertauscht, aber darum nicht aufgehört hat, nach ihren eigenen Gesetzen zu denken 29 ."
I I . Gültigkeit der Clausewitz-Thesen heute Die angeführten Thesen von Carl von Clausewitz über die vernünftig notwendige Einheit der Außenpolitik auch für den Fall der Anwendung von Kriegsmitteln sind so eindringlich, daß jeglicher weitere Erläuterungs- und Verdeutlichungsversuch auf eine umständliche Wiederholung hinauslaufen würde. Die hier anzustellenden Erwägungen über das Verhältnis von Gewalt und Politik können sich daher auf einige ergänzende Anmerkungen vom Blickpunkt unserer Gegenwart und der jüngeren Kriegsgeschichte her beschränken.
1. Fortgeltung trotz der Illegalisierung zwischenstaatlicher Gewaltanwendung Auch heute, i n einer Zeit weitgehender Illegalisierung zwischenstaatlicher Gewaltanwendung 30 , i n einer Zeit, die sich gern als Epoche weltweiter Integration und Abrüstung verstehen würde, sind die dargestellten Grundgedanken von Clausewitz uneingeschränkt gültig. Freilich sofern sich die Kenntnis des großen Werkes von Clausewitz auf das beliebte, aber ungenaue und unzureichende Zitat „Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik m i t anderen Mitteln" beschränkt und hierin der Ausdruck einer kriegslüsternen Philosophie, der Verherrlichimg einer uneingeschränkten Machtpolitik gesehen wird, erscheint eine Ablehnung von Clausewitz als verständlich. Es ist auch zuzugeben, daß Clausewitz als Theoretiker und als Soldat mit einer gewissen Faszination auf das Modell des reinen, insbesondere von allen politischen Rücksichten gereinigten Krieges hinblickt, auf die absolute, von allen von Vorsicht diktierten Halbheiten befreite Waffenprobe, aber als Philosoph, als A n w a l t der Vernunft, bleibt er nie bei dieser natürlichen Gefühlsaufwallung stehen, sondern ruft stets wieder als unumstößliches Grundprinzip ins Gedächtnis, daß die Politik Herrin des Krieges sei, die Maß und Ziel setze, und dieses Grundprinzip ist es vor allem, das uneingeschränkt fortgilt 3 1 . 29 39 31
9*
a.a.O., S. 221. Siehe dazu oben, § 7, Abschn. I. Aron , S. 35 f.; Ritter von Schramm , S. 254 f.
132 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt Das Völkerrecht hat i m Zuge der völligen Verrechtlichung der internationalen Beziehungen, insbesondere der Gewaltanwendung, diese an enge Rechtsvoraussetzungen gebunden 32 . Damit ist es rechtlich ausgeschlossen beliebige Ziele m i t militärischen Mitteln zu verfolgen; der Außenpolitik, soweit sie sich ihrer Gewaltmittel bedient, sind vom Recht her sachliche Grenzen gesetzt 33 . Doch ist dadurch i n keiner Weise der Vorrang der politischen Entscheidungen gegenüber der militärischen Führung beseitigt. Nach wie vor ist von der politischen Zweckmäßigkeit, vom Standpunkt des staatlichen Gesamtinteresses her, über Wert und Unwert und über das Maß i n Frage stehender militärischer Aktionen zu urteilen. Insbesondere auch i n einem Verteidigungskrieg gibt es nicht nur die eine militärische Devise „Halten um jeden Preis", sondern es ist vielmehr ein Gegenstand differenzierter politischer Abwägungen, schließlich zu entscheiden, welche militärischen Risiken und Opfer es verlohnt, der vom Feinde aufgedrängten Gewalt und welchen dahinter stehenden Forderungen und Absichten Widerstand entgegenzusetzen. Und auch die Rechtsfrage, ob denn überhaupt die völkerrechtlichen Voraussetzungen für die Gewaltanwendung gegen einen anderen Staat gegeben seien, ist nicht von der militärischen Führung, sondern — soweit und solange keine internationale Instanz darüber zu befinden hat — von der zuständigen politischen Instanz des Staates zu entscheiden.
2. Gesteigerte Bedeutung mit Rücksicht auf die modernen Kampfmittel Zweifel an der unverminderten Gültigkeit der dargestellten Thesen von Clausewitz könnten veranlaßt sein durch die gewaltige, Schrecken erregende Entwicklung, die die Waffentechnik seit der Zeit von Clausewitz genommen hat. So hat z. B. Heuss die Ansicht vertreten 3 4 , i m Zeitalter der atomaren Massenvernichtungsmittel könne der Satz nicht mehr gelten, daß der Krieg die Fortsetzung der Staatspolitik mit anderen Mitteln sei, w e i l diese „anderen Mittel" jegliche Politik aufheben würden und nur der absoluten Zerstörung dienen könnten. Diese K r i t i k ist jedoch unzutreffend, weil sie auf dem soeben aufgezeichneten Mißverständnis beruht, das den Clausewitzschen besorg32
Siehe oben, §7, Abschn. I. So Berber, Lehrbuch I I , S. 15: „Es ist aber heute nach geläuterter A u f fassung nicht mehr zulässig, den eigenen Willen, dessen E r f ü l l u n g der Gegner zugängig gemacht werden soll, nach freier W i l l k ü r zu b e s t i m m e n . . . Das Statut der Organisation der Amerikanischen Staaten v o m 30.3.1948 sagt i n A r t . 5 (e) m i t Recht: ,Der Sieg gibt keine Rechte.'" 34 Nach Ritter von Schramm, S. 255. 33
§ 8. Faktische Aspekte
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ten Rat, der Gewalt nicht die Zügel schießen zu lassen, sondern sie politisch klug und maßvoll zu leiten, als offene Verherrlichung des Krieges als des vornehmsten Wirkungsmittels einer schrankenlosen Machtpolitik begreift. Clausewitz hat seine Theorien als unabhängig von A r t und Perfektion der zur Verfügung stehenden Waffentechnik betrachtet 35 : „Das Bedürfnis des Kampfes hat den Menschen früh zu eigenen Erfindungen geführt, um sich die Vorteile i n denselben zuzuwenden; dadurch ist der Kampf sehr verändert worden; wie er aber auch beschaffen sein mag, sein Begriff w i r d dadurch nicht verändert, und er ist es, der den Krieg ausmacht." Der Kampf mit dem Grundziel, den Feind wehrlos zu machen, hat immer die Tendenz, ohne Rücksicht auf die Bedeutung des Gegenstandes der Auseinandersetzung i n einem A u f schaukelungsprozeß zur äußersten Kraftanstrengung, zum Einsatz der äußersten Mittel zuzutreiben. Diese jeder ernsten Auseinandersetzung innewohnende dialektische Steigerungsdynamik ist dem modernen Kampf nicht etwa deswegen fremd, w e i l die heute zur Verfügung stehenden stärksten Kampfmittel, insbesondere die Fern- und Kernwaffen, eine so ungeheuerliche Zerstörungskraft besitzen. Die Versuchung, eine ungünstige strategische Lage oder auch nur eine momentane taktische Einbuße durch Anwendung stärkerer und endlich stärkster Kriegsmittel auszugleichen, ist die gleiche wie eh und je. Entsprechend besteht nach wie vor die Notwendigkeit, den Leidenschaften des Krieges die Zügel politischer Vernunft anzulegen. Clausewitz betrachtete die Vorstellung von einem zum Äußersten gesteigerten, absoluten Krieg, i n dem sich die ganze Auseinandersetzung zu einer einzigen oder einer Reihe gleichzeitiger Entscheidungen zusammenballt, schon deshalb als eine nur theoretisch vollziehbare Konsequenz, weil er von den Elementen der Kriegstechnik seiner Zeit her — Infanterie m i t Vorderlader, Kavallerie m i t Lanze, Säbel und Pistole, Artillerie mit geringer Reichweite 36 — eine solche überwältigende Konzentration von Zerstörungskraft für unmöglich halten mußte 3 7 . Heute scheint durch die Existenz der Fern- und Kernwaffen diese Vorstellung von einem Krieg, der „aus einem einzigen Schlag ohne Dauer 3 8 " oder doch zumindest aus einem sich innerhalb weniger Stunden abspielenden Atom-Schlagabtausch besteht, erschreckend nah i n den Bereich der Möglichkeiten gerückt zu sein. Damit aber ist die Bedeutung der politischen Leitung in einer militärischen Auseinander& Clausewitz, 36 Ritter von Clausewitz, 38 Clausewitz,
S. 53. Schramm, S. 248. S. 15 f. S. 15.
134 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt Setzung nicht etwa gemindert, sondern beträchtlich gesteigert 39 . Die erfolgreiche Kriegsbegrenzung ist zu einer Uberlebensfrage geworden. I n der Lage eines Atom-Patts, i n der sich zwei Gegner m i t dem Schatten absoluter Vernichtung bedrohen, erscheint es als eine vernünftige Notwendigkeit, daß sich die politischen Beziehungen verlebendigen und auf maßvolle Lösungen der jeweiligen Konflikte hinführen. Die politischen Entscheidungen i m Kampf betreffen nicht mehr nur die großen strategischen Ziele, sondern auch die Wahl einzelner Angriffsobjekte und der anzuwendenden Waffen. Die kriegerischen Entwicklungen können nicht mehr auch für nur begrenzte Zeitabschnitte ihrem eigenen Lauf überlassen werden, sondern bei jeder neu eintretenden militärischen Lage muß unter Umständen i n Minutenschnelle eine richtungweisende politische Entscheidung gefällt werden. Die gesteigerte Gefahr, daß aufgrund der heute zum Teil auch i m Entscheidungsbereich durch Elektronengehirne hochtechnisierten Verteidigungsstruktur autonome Mechanismen der abgewogenen politischen Entscheidung i n verhängnisvoller Weise zuvorkommen 4 0 , beraubt die politische Entscheidung nicht ihres Vorranges, ihrer überragenden Bedeutung. Eben gerade w e i l die Gefahr einer absoluten, sinnlosen Zerstörung so groß geworden ist, sind die Aussagen von Clausewitz über den Vorgang der Politik gegenüber den rein m i l i t ä rischen K a l k ü l richtig und wichtiger denn je. I n voller Zustimmung zu den Clausewitzschen Thesen sagt Aron i n seinem 1962 erschienenen Werk „Frieden und K r i e g " 4 1 : „Der Vorrang der Politik erlaubt i n der Tat, die Zuspitzung auf die Extreme abzubremsen und zu vermeiden, daß die Feindseligkeit i n reine Leidenschaft und schrankenlose Brutalität ausartet. Je mehr die Staatsoberhäupter i n Kategorien von Kosten und Nutzen rechnen, desto weniger sind sie geneigt, die Feder m i t dem Schwert zu vertauschen, je mehr sie zögern, sich dem Zufall hinzugeben, desto mehr begnügen sie sich m i t begrenzten Erfolgen und verzichten auf die Trunkenheit glänzender Triumphe. Die vernünftige Leitung der Politik ist nur rationell, wenn man für den Verkehr zwischen den Staaten zum Zweck setzt, das Überleben beider Teile, den gemeinsamen Wohlstand zu sichern und das B l u t der Völker zu schonen." 39 Siehe Aron, S. 58: „Ganz offensichtlich w i r d die Lenkung des Krieges noch politischer als i n der Vergangenheit. Es ist keine Rede mehr davon, den militärischen Führern jede Freiheit zu lassen, den Krieg zu gewinnen, gleichgültig wie und gleichgültig u m welchen Preis." — Vgl. dazu auch
Krüger, S. 935 f.
40 Siehe dazu Aron, S. 59. Aron, S. 61 f.
§ 8. Faktische Aspekte
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3. Gesteigerte Bedeutung für ideologisch begründete Konflikte Auch der mögliche Einwand, Clausewitz habe verkannt, daß es Kriege geben könne, die aus ideologischen Gründen Kämpfe auf Leben und Tod seien und so keinen Raum für politisches Taktieren lassen würden, sondern allein i n totalen Waffengängen ihre Entscheidung finden könnten, greift nicht durch. Eine Politik, die an solchen theoretischen Widersprüchen und ihren mörderischen Konsequenzen starr festhält, sich passiv den Entwicklungen eines m i t allen militärischen Mitteln geführten Krieges ausliefert, ist eine verkehrte Politik. Gerade i n einem Augenblick, i n dem ideologische Dogmatik und militärische Raserei zu einer äußersten, scheinbar unabwendbaren Bedrohung geführt haben, w i r d es die Aufgabe der Politik sein, dem allgemeinen Fatalismus i m allgemeinsten Interesse den schöpferischen Gedanken entgegenzusetzen, einen gangbaren Kompromiß zu finden, unter Umständen einen opferreichen Ausweg zu weisen 42 . Der angeblich so teutonisch-martialische 43 Clausewitz gibt zu bedenken 44 : „Endlich ist selbst die totale Entscheidimg eines ganzen Krieges nicht immer für eine absolute anzusehen, sondern der erliegende Staat sieht darin oft nur ein vorübergehendes Übel, für welches i n den politischen Verhältnissen späterer Zeiten noch eine Abhilfe gewonnen werden kann." 4. Gesteigerte Notwendigkeit des Vertrautseins der politischen Führung mit Wesen und Wirkungsweise der Gewaltmittel I n dem Umfang, i n dem die politische Führung sich m i t Rücksicht auf die Wirkungsgewalt moderner Kampfmittel auch militärischen Detailfragen, etwa der Wahl der anzuwenden Waffen 4 5 , widmen muß, ist auch die Bedeutung der Forderung von Clausewitz gewachsen, daß die Politik Wesen und Eigenart ihres Gewaltinstruments, dessen sie sich bedienen soll, kennen müsse. Liddell Hart schreibt dazu 4 6 : „ I m H-Bomben-Zeitalter muß die Staatskunst nicht nur die Ziele (für die militärische Strategie) setzen, sondern auch die Operation leiten. Deshalb müssen die Staatsmänner und ihre Berater eine größere Kenntnis der militärischen Technik haben als früher. Das ist genau so wichtig wie die Unterordnung der Soldaten unter die politische Führung." Auch Helmut Schmidt, einer der wenigen deutschen Autoren, die sich « Krüger , S. 135 f. 43 Vgl. Ritter von Schramm , S. 254, über die entsprechenden V o r w ü r f e durch Liddell Hart i n seiner „Strategie". 44 Clausewitz, S. 16. 45 Siehe oben, Abschn. I I , 2. 4« Lidell Hart, Deterrent or defence, 1960, Z i t a t nach Schmidt, S. 15.
136 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt intensiver mit den Problemen der Wehrpolitik befaßt haben, spricht sich, ausgehend von der Lage i n der Bundesrepublik, i n diesem Sinne aus 47 : „Minister wie Abgeordnete waren zum Teil in strategischen Fragen ohne eigenes Urteil und daher geneigt, die Denkergebnisse von Militärs als objektive Tatsachen und Zwangsläufigkeiten i n ihre Rechnung einzustellen. Die Generale der Bundeswehr andererseits erwarten zwar politische Führung — für ihr eigenes Gebiet erhalten sie diese jedoch nur i n beschränkter Weise. . . . Zweifellos ist militärische Taktik ein Handwerk, das man beruflich als Soldat gelernt haben muß. Es ist ein Bereich, i n dem die Politiker kaum etwas zu suchen haben. Strategie jedoch muß aufgefaßt werden als die Ebene der kombinierten außenpolitischen und militärischen Grundsatzentscheidungen, als politische Auftragserteilung an die Militärs. I n aller Regel sind die Soldaten für strategische Entscheidungen wenig ausgebildet — Staatsmänner bringen dafür eine wesentlich bessere Ubersicht mit. Die Strategien der Abschreckung und Gegenabschreckung sind i n besonderem Maße von dem Bereich militärischen Kalküls entfernt. Sie spielen sich i m Bereich der politischen Psychologie ab, für den Soldaten am allerwenigsten ausgebildet sind. Die politische Gesamtstrategie, ob sie nun die Abrüstungspolitik, die eigene Rüstungsstruktur, laufende außenpolitische Angelegenheiten oder außenpolitische Zielsetzungen von mittlerer oder weiterer Sicht betrifft, kann nur eine Sache der politischen Führung sein. Dabei muß die politische Führung wissen, daß falsche strategische Entscheidungen häufig sowohl über Krieg und Frieden bestimmen als auch über den Verlauf eines möglichen späteren Kriegs." 5. Gesteigerte Notwendigkeit der ständigen Verfügbarkeit des militärischen Gewaltinstruments für die politische Führung Soll die militärische Gewalt ein wirksames Motivationsmittel der Außenpolitik sein, so genügt es nicht, daß sie sich den politischen Direktiven unterwirft, unerläßlich ist auch, daß sie sich stets verfügbar hält. Auch dieses Erfordernis der klassischen Kriegstheorie 48 ist i n höchstem Maße akzentuiert durch die Struktur der modernen Bewaffnung. Während i n früheren Kriegen für die Mobilisierung der Kampfmittel einige Zeit verblieb, die militärischen Entwicklungen sich i n Etappen vollzogen und die ersten Treffen nicht notwendig entscheidend 47 H e l m u t Schmidt, S. 14. 8 Clausewitz: „Denn der Kriegsführung sind nicht Kohlen, Schwefel u n d Salpeter, Kupfer u n d Z i n n gegeben, u m daraus Pulver u n d Kanonen zu machen, sondern die fertigen Waffen m i t ihrer W i r k u n g sind das Gegebene." (Zitat nach Aron, S. 65). 4
§ 8. Faktische Aspekte
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waren, können heute beim Einsatz von Massenvernichtungsmitteln mit weitreichendem Trägersystem, Atomwaffen mit atomgetriebenen U-Booten, Fernbomberflotten, Mittel- und Langstreckenraketen, die kriegsentscheidenden Schläge i n wenigen Stunden fallen. Der intensive Rüstungswettlauf zwischen den Großmächten ist durch die Tatsache begründet, daß bei einer künftigen gesteigert gewaltsamen Auseinandersetzung von höchster Bedeutung weniger die allgemeine W i r t schaftskraft und Einwohnerzahl eines Landes sein w i r d als vielmehr das militärische Potential, das zum sofortigen, wirkungsvollen Einsatz zur Verfügung stehen wird. Die unmittelbare Einsatzbereitschaft der geballten militärischen Macht eines Staates ist aber nicht nur die Voraussetzung dafür, daß diese Macht i n politischen Konflikten, die in militärische Auseinandersetzungen münden, sich als kraftvolles Instrument der auch i m Kampf fortgesetzten politischen Strebungen erweise, sie ist auch eine Voraussetzung dafür, daß die allgemeine Außenpolitik jenseits aller Waffengänge und insbesondere zu deren Vermeidung stark und eindrucksvoll sei. Die organisierte militärische Gewalt ist heute noch ein wesentlicher Garant staatlicher Außenpolitik. Gewiß bietet die Bemühung um freie Ubereinstimmung der Staaten die größten Erfolgsaussichten und die größte Sicherheit für eine auf Dauer angelegte Politik 4 9 . Auch das moderne friedensfreundliche Völkerrecht verbietet Gewalt und Drohung m i t Gewalt als M i t t e l aktiver gestaltender Außenpolitik 5 0 . Trotzdem besteht weiterhin die Gefahr, daß bei starken politischen Interessengegensätzen zur Gewaltdrohung und Gewaltanwendung Zuflucht genommen werden wird, m u t w i l l i g oder auch nur in vermuteter Notwehr, wobei lokale Konflikte sich legalerweise zu weltweiten Auseinandersetzungen auswachsen können. Staaten, die in solchen Entwicklungen nicht auf ihre Gewaltrechte, ihr Selbsterhaltungsrecht 51 und kollektives Selbstverteidigungsrecht 52 verzichten wollen, müssen bis zum Grade sofortiger, massiver militärischer Einsatzbereitschaft gerüstet sein, um allen sich anbahnenden Erpressungs-, Bedrohungs- und Angriffssituationen von vornherein glaubwürdig mit Festigkeit begegnen zu können. Dort, wo es um wirklich oder vermeintlich wesentliche Interessen der Staaten geht, w i r d jeder einzelne nach seiner aktuellen Verteidigungskraft als „Macht" eingestuft und respektiert 53 . „Eine Diplomatie", sagt Aron 54, 49
Berber , Lehrbuch I, S. 15, u n d Lehrbuch I I I , S. 86 f. ß« Vgl. oben § 8, Abschn. I. 51 Siehe dazu Berber, Lehrbuch I, S. 197 ff. 52 Siehe UN-Satzung, A r t . 51. 63 Vgl. oben, § 7, Abschn. I I I , 4 (S. 120). « Aron, S. 57.
138 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt die meint, ohne eine ständig kampfbereite Armee handeln zu können, eine Diplomatie, die über eine Armee verfügt, welche unfähig ist, die durch die Ziele erforderten Aufträge auszuführen — diese beiden Verstöße gegen die Vernunft lassen sich durch die Psychologie der Regierenden und der Völker ebenso erklären wie durch die intellektuellen Irrtümer." Gewollte oder fahrlässig verschuldete Ungerüstetheit und Schwäche sind i n der Gefahr zu einer Versuchung und Herausforderimg für einen dritten Staat mit skrupelloser politischer Führung zu werden — zu einer Kriegsursache 55 . Ein wesentlicher Beitrag zu dem hohen politischen Ziel der Friedensbewahrung kann von einem Staat ausgehen, der einen moralisch und rechtlich unanfechtbaren außenpolitischen Kurs m i t der Festigkeit vertritt, die aus der Möglichkeit erwächst, allen gewaltsamen Rechtsverletzungen sofort und wirkungsvoll entgegentreten zu können 5 8 . Daß eine Diplomatie, die nicht durch Militärgewalt abgedeckt ist, kraftlos und ungesichert ist, ist eine uralte Erkenntnis, die ihre Gültigkeit nicht eher verlieren wird, als die Staaten sich ihrer Waffen begeben bzw. die Entscheidung über deren Anwendung an umfassende internationale bzw. supranationale Institutionen delegieren. Schon Konfuzius rief seinem zu einer Friedenskonferenz eingeladenen Herzog Ding zu dessen Heil, wie die weiteren Ereignisse lehrten, zu 5 7 : „Euer Untertan hat gehört: wenn es sich u m Frieden handelt, muß man den Krieg vorbereiten, wenn es sich u m Krieg handelt, muß man den Frieden vorbereiten. Nehmt Eure Marschälle zur Rechten und zur Linken mit." Dasselbe besagt der lateinische Grundsatz: „Si vis pacem, para bellum 5 8 ." Und Kissing er 59: „ I n a society of ,sovereign' states, a power can i n the last resort vindicate its interpretation of justice or defend its ,vital interests' only by the willingness to employ f o r c e . . . The motive behind international settlements has always been a combination of the belief i n the advantages of harmony and the fear of the consequence of proving obdurate. A renunciation of force, by eliminating the penalty for intransigence, w i l l therefore place the 65 Siehe Aron, S. 17: „Über dem Studium der Beziehungen zwischen organisierten Staaten vergessen die Fachleute oft, daß ein Übermaß an Schwäche für den Frieden nicht weniger gefahrvoll ist, als ein Übermaß an K r a f t . " Aron, S. 37: „ E i n Staat, der sich den Ruf von Gerechtigkeit u n d Mäßigung erworben hat, hat die beste Aussicht, seine Zwecke zu erreichen, ohne bis zum Äußersten des militärischen Sieges zu gehen. Selbst i n Kriegszeiten w i r d er mehr überzeugen, als Zwang ausüben." «7 Pierre Do-Dinh, S. 55 f. ss Entlehnt bei Vegetius, Epitome institutorum rei m i l i t . 3 , prol: „ Q u i desiderat pacem, praeparet bellum." (Büchmann, Geflügelte Worte).
Zitat nach Spanier, American Foreign Policy, S. 215.
§ 8. Faktische Aspekte
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international order at the mercy of its most ruthless or its most irresponsible member." Aron faßt die von Clausewitz zuerst dargestellte, hier von einem weiteren Aspekt her aufgehellte permanente Interdependenz zwischen Diplomatie und Krieg m i t folgenden Worten zusammen 60 : „Die Vernunft g e b i e t e t . . . trotz des Schlachtenlärms an den Frieden zu denken, den K r i e g nicht zu vergessen, auch wenn die Waffen schweigen. Der Verkehr zwischen den Nationen geht weiter, Diplomatie und K r i e g sind nur einander ergänzende, einander wechselweise herrschende Modalitäten, ohne daß die eine gänzlich zum Vorteil der anderen verschwindet ..."
6. Zeitgeschichtliche
Anschauungsbeispiele
zu den Clausewitz-Thesen
M i t den Gedanken von Clausewitz über das Verhältnis der Kriegführung zur politischen Leitung als einer A r t Grundgesetz vernünftiger Staatsleitung sind nach Ritter von Schramm die geistigen M i t t e l zu einer kritischen Bewältigung der Kriegsgeschichte dieses Jahrhunders m i t wissenschaftlichen Maßstäben gegeben 61 . I n diesem Sinne urteilte auch schon Clausewitz: „ W i r sehen, daß w i r uns den Krieg unter allen Umständen als kein selbständiges Ding, sondern als ein politisches Instrument zu denken haben; und nur m i t dieser Vorstellungsart ist es möglich, nicht m i t der sämtlichen Kriegsgeschichte i n Widerspruch zu geraten 63 ." „Von diesem Standpunkt aus — daß der oberste Standpunkt für die Leitung des Krieges kein anderer als der der Politik sein k a n n 6 3 — sind die Entwürfe wie aus einem Guß hervorgegangen, das Auffassen und Beurteilen w i r d leichter, natürlicher, die Überzeugung kräftiger, die Motive befriedigender und die die Geschichte verständlicher 64 . N u r einige grundlegende kriegerische Vorgänge der jüngsten Zeitgeschichte sollen hier beispielhaft unter diesem Aspekt erwähnt werden 6 5 : Clausewitz , S. 56. — Vgl. auch de Gaulle , S. 146: „Quelque différentes que soient en effet les tâches respectives du gouvernment et du commandement, leur interdépendance, ne se discute pas . . . " ; S. 170: „Si les deux domaines se distinguent, on ne saurait les séparer." 61 Ritter von Schramm , S. 255. 62 Clausewitz , S. 22. 83 Erklärende Einfügung aus dem vorhergehenden Absatz vom Verf. Clausewitz , S. 219. 65 Eine umfangreiche Materialsammlung bietet Vagts, Defence and Diplomacy, The soldier and the conduct of Foreign Relations, 1956.
140 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt a) I m ersten Weltkrieg ist der Grundsatz, daß die Politiker Zweck und Ziel eines Krieges bestimmen müssen, um eine vernünftige Kriegführung und einen echten, d.h. politischen Sieg zu gewährleisten, nicht beachtet worden. Auch als nach den ersten leidenschaftlichen Begegnungen, nach dem französischen Marnesieg die Fronten sich verhärteten und die Aussicht auf einen kurzen Krieg entschwand, war man auf beiden Seiten nicht i n der Lage, politische Forderungen zu formulieren, die ein Handeln u m einen Kompromißfrieden erlaubt hätten. Aron schreibt dazu 6 6 : „Die Politik . . . scheint..., besonders auf Seiten der Alliierten, keinen anderen Zweck verfolgt zu haben, als den Krieg zu nähren . . . Z u keinem Zeitpunkt präzisierten sie die Ziele, die sie i n Europa nach dem Triumph über die Mittelmächte erreichen wollten: die Entwaffnung des Feindes und der diktierte und nicht der ausgehandelte Frieden dienten ihnen als Kriegsziel. Der Krieg näherte sich seiner abstrakten Form desto schneller, je schneller die Staatsmänner zugunsten der Heerführer abdankten und die politischen Ziele, die zu bestimmen sie unfähig waren, durch ein strikt militärisches Ziel, nämlich die Vernichtung des feindlichen Heeres, ersetzten. Auch auf Seiten der Mittelmächte gab es keinen Staatsmann, der den einseitig militärischen Zielsetzungen, insbesondere dem Ludendorff sehen Konzept vom „Siegfrieden", ein politisches Programm zur Kriegsbeendigung entgegensetzen konnte 6 7 ." Entsprechend führte der Sieg der Alliierten zu keiner wirklichen Befriedung Europas; der unter Ausnutzung der momentanen militärischen Ubermacht und unter Bruch des Vorfriedensvertrages vom 5.11.1918 68 diktierte Friedensvertrag von Versailles war eine wesentliche Ursache für den Ausbruch des 2. Weltkrieges 69 . b) der zweite Weltkrieg ist von Deutschland herausgefordert worden, ohne das notwendige militärisch-diplomatische K a l k ü l zu vollenden 70 . Clausewitz hatte dazu geschrieben 71 : „Die Theorie f o r d e r t . . . , daß bei jedem Krieg zuerst sein Charakter und seine Umrisse nach der Wahrscheinlichkeit aufgefaßt werden, welche die politischen Größen 66 Aron, S. 39. «7 General Ludendorff postulierte i n schärfstem Gegensatz zu Clausewitz allgemein f ü r den K r i e g den Vorrang der militärischen Entscheidung: „Der K r i e g ist die höchste Äußerung völkischen Lebenswillens. D a r u m hat die P o l i t i k der Kriegsführung zu dienen." (Ludendorff. Der totale Krieg, 1935, zitiert nach Berber, Lehrbuch I I , S. 15). — Z u r politischen Situation der Mittelmächte vgl. Ritter von Schramm, S. 256 f. 68 Berber, Lehrbuch I I , S. 103 ff. 69 Berber, a.a.O., S. 103, 107 u. 112. 70 Z u m folgenden vgl. Ritter von Schramm, 71 Clausewitz, S. 206.
S. 256 ff. u n d 265 ff.
§8. Faktische Aspekte
141
und Verhältnisse ergeben. Je mehr nach dieser Wahrscheinlichkeit sein Charakter sich dem absoluten Kriege nähert, je mehr die Umrisse die Masse der kriegführenden Staaten umfassen und i n den Strudel hineinziehen, um so inniger w i r d der Zusammenhang jener Begebenheiten sein, um so notwendiger aber auch, nicht den ersten Schritt zu tun, ohne an den letzten zu denken. Bei der absoluten Gestalt des Krieges gibt es nur einen Erfolg, nämlich den Enderfolg. Bis dahin ist nichts entschieden: Nichts gewonnen, nichts verloren." Generaloberst Ludwig Beck , der sich Hitlers Kriegsplänen widersetzte, fußte ganz auf diesen Gedankengängen, als er 1938 i n seiner Denkschrift „Deutschland i n einem kommenden Kriege" sagte 72 : „Unter den Voraussetzungen einer erfolgreichen Kriegführung steht eine tüchtige auswärtige Politik obenan. Sie schafft die Lage, i n welcher ein Volk i n den Krieg eintritt, und ist für sie verantwortlich. War sie ihrer Aufgabe nicht gewachsen, so w i r d die Geschichte i n dem Kriege nicht mehr eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, sondern ihren Bankrott festzustellen h a b e n . . . Ein Krieg, den Deutschland beginnt, w i r d sofort weitere Staaten als den angegriffenen auf den Plan rufen. Bei einem Krieg gegen eine Weltkoalition w i r d Deutschland dieser unterliegen und dieser schließlich auf Gnade und Ungnade ausgeliefert s e i n . . . " „Auch für ihn (einen kommenden Krieg) 7 3 gilt, was Clausewitz i n ähnlichem Zusammenhang sagt, daß alle Instanzen wohl überlegt sein müssen, um nicht i n der letzten den Prozeß zu verlieren, den man i n früheren gewonnen hat, und dann i n die (ganzen) Kosten verurteilt zu werden 7 4 ." Die Entwicklung hat die dunklen Vorhersagen Ludwig Becks bestätigt 75 . ?2 L u d w i g Beck , S. 47 ff. (60 u. 63). Erklärende Hinzufügung v o m Verf. 74 L u d w i g Beck , S. 138 (Betrachtungen über den Krieg, 1940). 75 Es hat neben L u d w i g Beck zahlreiche andere Mahner u n d Warner gegeben. Beck ragt aber hervor durch die besondere Eindringlichkeit seiner Terminologie und seiner Deduktionen, die auf seiner Vertrautheit m i t der klassischen Theorie beruht. Feldmarschall von Kleist i n britischer Gefangenschaft vertraute L i d d e l H a r t über die Beziehung der deutschen m i l i tärischen Führung zu dem Werk von Clausewitz folgendes an: „Clausewitzens Lehren waren von unserer Generation vergessen u n d zwar bereits, als ich noch auf der Kriegsakademie und i m Generalstab war. Seine Sätze w u r d e n zitiert, aber seine Bücher nicht mehr gründlich studiert. Er galt mehr als Kriegsphilosoph, denn als Lehrer der Praxis. Den Schriften Schlieffens widmete man größere Aufmerksamkeit. Aber die Gedankenw e l t von Clausewitz w a r von fundamentaler Gesundheit, zumal sein A n spruch, daß der K r i e g eine Fortsetzung der P o l i t i k m i t anderen M i t t e l n sei. Das bedeutete, daß die politischen Faktoren wichtiger sind als die m i l i tärischen. Der deutsche I r r t u m war, zu glauben, daß ein militärischer Erfolg die politischen Probleme lösen werde." (Zitat nach Ritter von Schramm , S. 257). 73
142 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt c) Auch i m zweiten Weltkrieg haben die Westmächte unter Vernachlässigung aller weiterreichenden politischen Zweckmäßigkeiten m i t Besessenheit ein rein militärisches Ziel, das der bedingungslosen Kapitulation, verfolgt. General Giraud i m Jahre 1942: „ E i n einziges Ziel, der Sieg 76 ." Vor allem aber Präsident Roosevelt — befangen i n der Tradition der amerikanischen liberalistischen Staatsphilosophie des 19. Jahrhunderts 7 7 — hatte sich die völlige Vernichtung der gegnerischen Streitkräfte zur vornehmsten Aufgabe gesetzt 78 . Die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation war — da zu keinem Zeitpunkt die völlige Beseitigung des deutschen Staates ernsthaft i n Aussicht genommen war — rein militärischer Natur und wenn wahrscheinlich auch kein Grund für die hitlerischen Durchhaltebefehle, so doch zumindest ein starkes Argument i n der Goebbelsschen Kriegspropaganda, die die deutsche Bevölkerung i n ihrem verzweiflungsvollen Widerstand bis zum Letzten bestärkte 79 . d) Das rein militärische Kriegskonzept der Westmächte machte sie auch blind für die Tatsache, daß die Sowjetunion nur als ein gelegentlicher Verbündeter zu betrachten und zu behandeln sei, verbündet nur durch die gemeinsame Feindschaft gegen das Deutsche Reich, i m übrigen aber wegen seiner ideologisch-politischen Programmatik i m Grunde genommen ein ständiger Gegner 80 . e) Das militärische Ziel einer möglichst raschen und völligen Zerreibung der deutschen Streitkräfte und die Fehleinschätzung der Sowjetunion als einen echten, beständigen Bündnispartner führten zu den Invasionen i m Süden und Westen. Der Verzicht auf eine Invasion vom Balkan her, der es der Sowjetunion ermöglichte, m i t ihren Streitkräften bis in das Herz Mitteleuropas vorzustoßen und i n der Folge dort zu verbleiben und ihre politischen Zielsetzungen zu verwirklichen, ist ein Beispiel dafür, daß strategische Einzelentscheidungen 7
« Z i t a t nach Aron, S. 40. Siehe hierzu die eindringliche Darstellung von Spanier i n : American Foreign Policy since W o r l d W a r I I , 1960, S. 1—13, wonach die ausgesprochen moralistische amerikanische H a l t u n g gegenüber außenpolitischen Vorgängen es unmöglich macht, bei militärischen Konflikten sich i n der Gewaltanwendung zu mäßigen u n d Kompromisse zu schließen; S. 11: "This same moralistic attitude w h i c h is responsible for our a l l - o r - n o t h i n g approach' to w a r — either abstain f r o m the d i r t y game of power politics or to crusade for its complete elimination — also militates against the use of diplomacy i n its classical sense: to compromise interests, to conciliate differences and to moderate and isolate conflicts." Vgl. dazu auch Aron , S. 56 f., m i t Hinweis auf ähnliche Feststellungen bei Tocqueville. 78 Aron, S. 40 f. 7 » Aron, a.a.O., S. 40. 80 Z u der Unterscheidung zwischen ständigen u n d gelegentlichen Bündnispartnern siehe Aron t S. 41. 77
§ 8. Faktische Aspekte
143
höchste politische Bedeutung gewinnen können 8 1 . Dasselbe gilt für die deutsche Entscheidung i m ersten Weltkrieg zum verschärften U-Bootkrieg, die den sofortigen Kriegseintritt der Vereinigten Staaten herbeiführte 82 . Auch der Entschluß zu den deutschen Frühjahrsoffensiven i m Jahre 1918 war diktiert von dem militärischen Bemühen, trotz der zweifelhaften Aussichten den ersehnten Sieg vor dem Eintreffen des überlegenen Kampfpotentials der Vereinigten Staaten zu erzwingen; dieser Entschluß implizierte aber eine Absage an die politisch aussichtsreichere Möglichkeit, auf einen rein militärischen Sieg zu verzichten und m i t den vorhandenen Kraftreserven eine entscheidende Niederlage möglichst lange hintanzuhalten, den Gegner zu ermüden und zur Aushandlung eines Kompromisses zu bewegen 83 . f) I n der Koreakrise — i m Gegensatz zu den beiden Weltkriegen — ist es den Vereinigten Staaten unter schließlicher Beschränkung auf das begrenzte Ziel, die Überschreitung der Grenze zwischen Nord und Süd durch kommunistische Truppen zurückzuweisen, gelungen, eine uferlose Ausweitung der militärischen Auseinandersetzungen zu vermeiden, und dies gegen die entschiedensten Forderungen des eigenen Militärs 8 4 . g) Bei den anhaltenden Auseinandersetzungen i n Vietnam erscheint es noch als keinesfalls gesichert, daß eine Begrenzung der Kampfhandlungen gelingen w i r d und daß vernünftige politische Zielsetzungen gegenüber maßlosen militärischen Imperativen sich durchsetzen werden. Die Entwicklung der militärischen Auseinandersetzung der letzten Monate ist durch eine ständige Steigerung i n der Zahl der am Kampf beteiligten Truppen und i n der Zahl der am Kampf unmittelbar oder mittelbar beteiligten Staaten, ferner durch eine Progression i n der Zerstörungskraft der verwandten Waffen und eine stete Ausweitung der Operationsgebiete gekennzeichnet. Das amerikanische Ziel i n Südvietnam, eine demokratische Regierung zu garantieren, liegt angesichts der innenpolitischen Wirren i n den Städten und der kommunistisch 81
So Aron, S.40f. Siehe Aron, S. 51 f. Siehe a.a.O., S. 45. 84 Vgl. hierzu Spanier, The T r u m a n — Mac A r t h u r Controversy an the Korean War, 1959. — Der gegenüber den politischen D i r e k t i v e n Washingstons renitente u n d aus diesem G r u n d schließlich seiner Aufgaben i m Koreakonflikt enthobene General Mac Arthur formulierte seinen Anspruch auf alleinige F ü h r u n g des Krieges als allgemeinen Grundsatz: " W h e n diplomacy has failed to preserve the peace, you then go to force; and w h e n y o u do that, the balance of control . . . is the control of the m i l i t a r y . A theatre commander, i n any campaign, is not merely l i m i t e d to the handling of his troops; he commands the whole area politically, economically, and m i l i t a r i l y . . . w h e n politics fail, and the m i l i t a r y take over, y o u must trust the m i l i t a r y . " (Zitat nach Spanier, American Foreign Policy, S. 11). — Vgl. dazu auch Aron , S. 42 f. 82
83
144 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt beeinflußten Haltung der Landbevölkerung möglicherweise jenseits des politisch Erreichbaren. Dieses Bedenken muß i n einem militärischpolitischen Kalkül, das die zu erwartenden Opfer dem Wert und der Wahrscheinlichkeit des Erfolges gegenüberstellt, um so schwerer wiegen, als die Zielvorstellungen der Vereinigten Staaten den bei der Guerilla-Kriegführung kaum erreichbaren militärischen Sieg zur Voraussetzung haben, während für einen endlichen Erfolg der kommunistisch-revolutionären Kräfte der Befreiungsfront und ihrer Verbündeten ein permanenter Kampf ohne Totalniederlage die ausreichende Bedingung zu sein scheint 85 . Da i n Vietnam auch die kleineren und kleinsten militärischen Aktionen i n Ubereinstimmimg mit der politischen Führung erfolgen 86 , scheint eine Gefahr allerdings weniger i n zu forscher Selbstherrlichkeit der militärischen Kräfte, sondern eher i n einer überwiegend militärisch ausgerichteten Denkweise der Regierung zu liegen. I I I . Schlußfolgerungen zu dem Verhältnis von diplomatischer Auswärtiger Gewalt und militärischer Auswärtiger Gewalt zueinander Die theoretische Betrachtung wie die historische Erfahrung lehren, daß die militärischen Äußerungen eines Staates, daß seine militärische Auswärtige Gewalt vernünftigerweise, d.h. wenn sie m i t ihren W i r kungen nicht dem blinden Zufall und der ihrer Natur innewohnenden Tendenz zur Steigerung i n maß- und sinnlose Zerstörung ausgeliefert sein soll, der leitenden, Ziel und Maßstäbe setzenden Außenpolitik als stets verfügbares und gehorsames Instrument untergeordnet sein muß. Der militärischen Auswärtigen Gewalt kommt keinerlei Selbständigkeit zu m i t Ausnahme der Bereiche technisch-militärischer Detailfragen, die keine allgemeine politische Bedeutung entfalten können. Als Wirkungsmittel der Außenpolitik gehört sie deren sonstigem differenzierterem 87 Instrumentarium zu, das — soweit es nicht gewaltsamer Natur ist — zur Anwendung der diplomatischen Auswärtigen Gewalt anvertraut ist, da rationale Außenpolitik nur eine Politik sein kann, die unter einheitlichen einigenden Gesichtspunkten geführt wird, gleichgültig, ob sie sich nur friedlicher oder auch militärischer M i t t e l bedient 88 . Die Außenpolitik eines Staates anderen 85 Z u der Alternative des „Gewinnen oder Verlieren" i n subversiven K r i e gen siehe Aron, S. 46 ff., und Mao Tse-tung, Theorie des Guerillakrieges. se Bericht i n der F A Z v o m 18. 8.1966 von Hans-Achim Weseloh. 87 Vgl. oben § 5. 88 Siehe Aron, S. 37: „Die Unterscheidung von Diplomatie u n d Strategie ist ganz relativ. Die beiden Bezeichnungen sind komplementäre Aspekte der einen K u n s t der P o l i t i k — einer Kunst, den Verkehr m i t anderen Staaten zum Besten des »nationalen Interesses' zu führen."
§ 9. Bundesstaatliche Aspekte
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Völkerrechtssubjekten gegenüber geltend zu machen, ist Sache der einen einheitlichen Auswärtigen Gewalt. I m allgemeinen bedient sie sich dabei der Organe der führenden diplomatischen Auswärtigen Gewalt, deren Äußerungen bekräftigt und gedeckt werden durch die Möglichkeiten, zu den Pressionsmitteln der sachlich nachgeordneten und auch zu diesem Zweck unselbständigen, dienenden militärischen Auswärtigen Gewalt notfalls zu greifen 89 . Wenn Wheare sagt 90 : „The control of external affairs without control of the armed forces is empty; the control of the armed forces without the control of external affairs is blind", so läßt sich dies frei übersetzen: diplomatische Auswärtige Gewalt ohne die dienende Unterstützung der militärischen Auswärtigen Gewalt ist schwach und ohne Einfluß; militärische Auswärtige Gewalt ohne die maßgebende Führung der diplomatischen Auswärtigen Gewalt ist rein zerstörerisch und chaotisch. Es erscheint als eine unabdingbare Voraussetzung vernunftgemäßer Außenpolitik, daß die diplomatische Auswärtige Gewalt und die militärische Auswärtige Gewalt (Wehrhoheit) nicht voneinander getrennte, selbständige Zuständigkeitsbereiche sind, da deren voneinander unabhängige Zielsetzungen und Maßnahmen notwendig die verhängnisvollsten Widersprüche hervorrufen würden; vielmehr müssen beide als unterscheidbare, aber aufs innigste miteinander verbundene Teilbereiche einer einheitlichen, unteilbaren Auswärtigen Gewalt betrachtet werden, die die Führung der Außenpolitik durch ihre diplomatischen Organe (diplomatische Auswärtige Gewalt) verwirklicht, deren Absicherung und i m Ausnahmefall unerläßliche Durchführung durch ihre militärischen Organe (militärische Auswärtige Gewalt) ermöglicht.
§ 9. Bundesstaatliche Aspekte zum Verhältnis von Wehrhoheit und diplomatischer Auswärtiger Gewalt zueinander I. Grundsätzliches 2. „Bundesstaat" als rechtswissenschaftlicher Systematisierungsbegriff Der Bundesstaat ist eine staatsrechtliche Verbindung von Einzelstaaten zu einem Gesamtstaat, der wesentliche innere Staatsfunk» 9 I n diesem Sinn sagt Berber, Lehrbuch I I I , S. 87: „ W e n n A r o n Diplomaten u n d Soldaten als die Organe des internationalen Verkehrs bezeichnet, so sind die Diplomaten zweifellos die führenden, die Soldaten die — manchmal — ausführenden Organe." 90 Wheare, The Allocation of Powers to a Union of States, i n : International Social Science Bulletin, Bd. I I I (1951), S. 280 ff., zitiert nach Loewenstein, K a m p f u m den Wehrbeitrag I I , S. 346. 10 Sachau
146 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt tionen für die Gesamtheit des Verbandes erfüllt und diesen — i m Gegensatz zum Staatenbund — nach außen als geborenes und generelles Völkerrechtssubjekt 1 vertritt 2 . Ob die Gestaltung der auswärtigen Beziehungen mit friedlichen Mitteln allein erfolgt oder zu militärischer Gewaltanwendung geschritten werden muß, der Bundesstaat t r i t t nach außen grundsätzlich als Einheit auf 3 . Ein selbständiges Recht zur Kriegführung und sonstiger zwischenstaatlicher Gewaltanwendung der Gliedstaaten würde eine beständige Gefährdung des Bundesstaates durch Dekomposition und Sezession bedeuten. Schon der wesentlich lockere, völkerrechtliche Verband des Staatenbundes kennt — mit Rücksicht auf den Dauerzweck der Verbindung und den regelmäßigen Hauptzweck der Verteidigung gegen dritte Staaten — nur eine einheitliche Führung der Truppen i m Falle eines auswärtigen Konflikts; dies gilt gesteigert für den Bundesstaat, dessen Verfassung stets als „ewiger B u n d " 4 zu verstehen ist 8 . Auch die Führung der Außenpolitik mit friedlichen Mitteln ist dem Oberstaat i m Bundesstaat allein anvertraut 6 . Allerdings gibt es keinen festen Rechtsbegriff des Bundesstaates in der Art, daß bei seinem Auftauchen i n einer Verfassungsurkunde gefolgert werden könnte, daß die Gliedstaaten völlig von der Teilnahme an der unmittelbaren Gestaltung der auswärtigen Beziehungen ausgeschlossen seien und auch i m internen akzessorischen Bereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt und der militärischen Auswärtigen Gewalt keinerlei Zuständigkeiten besitzen würden. Der Begriff des Bundesstaates ist ein unter Absehimg von den vielfältigen individuellen Erscheinungsformen der wirklichen Staatenwelt gebildeter Systematisierungsbegriff ohne normativen Gehalt 7 . Es ist durchaus denkbar, daß eine Verfassung den durch sie konstituierten Staat als Bundesstaat bezeichnet und auch i m übrigen Regelungen trifft, die allein die Einordnung des verfaßten Staatsgebildes i n die Kategorie 1
Z u diesem Begriff vgl. Berber, Lehrbuch I, S. 113. Berber, a.a.O., S. 143 f. 3 Mallmann, S.641; Grewe, W D S t R L , Heft 12, S. 171. 4 So i n der Präambel der deutschen Reichsverfassung von 1871: „ . . . schließen einen ewigen B u n d zum Schutze des Bundesgebietes . . . " 6 Kunz, S. 660. « Mosler, Thoma-Festschrift, S. 131. 7 So Kunz, S. 620, i n der K r i t i k des Bundesstaatsbegriffs v o n Nawiasky: „Bedenklich von vornherein, eine Theorie des Bundesstaates, der kein Rechtsbegriff i m normativen Sinn, sondern ein rechtswissenschaftlicher K l a s sifikationsbegriff ist, auf rein abstraktem, deduktiven Weg, unter Absehung von den konkreten Rechtsordnungen, aus denen allein j a der Begriff des Bundesstaates durch die Rechtswissenschaft, durch Abstraktion u n d A u f stellung typischer Merkmale gewonnen w i r d , geben zu wollen." 2
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des mehr oder weniger dezentralisierten Einheitsstaates gestattet. Zur Erfassung der rechtlich verbindlichen Staatsstruktur eines Bundesstaatswesens sind von entscheidender Bedeutung die Verfassungsbestimmungen, Kataloge und Generalklauseln über die Zuständigkeiten von Zentralstaat und Gliedstaaten; die diesbezügliche notwendig erschöpfende Regelung, die auch nicht durch verfassungsgesetzlich unvorhergesehene Delegationen und Devolutionen verfälscht werden darf 8 , bildet das Herzstück jeder Bundesstaatsverfassung. Je nachdem welche enumerierten Kompetenzen dem Zentralstaat oder den Gliedstaaten durch die Verfassung zugesprochen, ob die überwiegende Anzahl der Staatsfunktionen, die überwiegend bedeutsamen Aufgaben dem Oberstaat oder den Unterstaaten überlassen sind und ob die die Einzelzuweisungen regelmäßig ergänzende subsidiäre Zuständigkeits-Generalklausel 9 zugunsten des Bundes oder der Länder lautet, besitzt jeder Bundesstaat andere ganz individuelle Charakteristika, sein eigentümliches Gepräge. Wenn man i m Wege rechtsvergleichender Verfassungsanalyse als Voraussetzung sinnvoller bundesstaatlicher Existenz einen Mindestkatalog zentralstaatlicher Zuständigkeiten aufgestellt hat 1 0 , so handelt es sich hierbei nicht u m ein verbindliches jus commune bundesstaatlicher Organisation, sondern lediglich u m rechtsstatistisches Material, das zu beachten für jeden Verfassungsgeber und Reformer angeraten zu sein scheint, gleichgültig ob er i n der Integrationsfunktion der bundesstaatlichen Verfassung, i n der Ergänzung einer demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung durch bundesstaatliche Gliederung und Zuordnung der gesamtstaatlichen K r ä f t e 1 1 oder i n einem anderen Prinzip die wesentliche Aufgabe einer Bundesstaatsverfassung sieht. Es ist aber möglich, daß künftige Bundesstaatsschöpfungen bei der Verteilung der Zuständigkeiten auf Zentral- und Partikularstaaten — bewußt oder als Folge politischer Konstellationen, die keine andere Lösung erlauben, und auf die Gefahr größerer Instabilität h i n — i n Einzelheiten auch von den wenigen allen historischen Bundesstaaten gemeinsamen Traditionen abweichen. A u f jeden Fall ist es denkbar, daß bei grundsätzlicher Übernahme der als bundesstaatliches M i n i m u m betrachteten Zentralstaatszuständigkeiten i n Bundesstaatsverfassungen doch für Teilbereiche solcher Zuständigkeiten Kompromisse geschlossen werden und Abweichungen zugunsten der Gliedstaaten erfolgen; solche 8 Für die Bundesrepublik vgl. Maunz-Dürig, Art. 20, Rz. 17 f.; Adamovich,
S. 150 ff., für Österreich. ® Z u diesem Begriff vgl. oben S. 74. 10 So z.B. Loewenstein, Wehrbeitrag I I , S.346. 11 So Hesse, der die Intregationsfunktion als überlebt betrachtet, S. 29 f. 10*
148 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt Modifikationen des abstrakten Schemas bundesstaatlicher Minimalforderungen sind auch bei den überkommenen Bundesstaatsverfassungen zu beobachten und dies insbesondere auch i n Hinsicht auf die als notwendige Zentralstaatszuständigkeiten betrachteten diplomatische Auswärtige Gewalt und militärische Auswärtige Gewalt.
2. Militärische Auswärtige Gewalt und diplomatische Auswärtige Gewalt im Bundesstaat W i l l ein Staat sinnvolle, konstruktive Außenpolitik treiben, so ist dafür die erste unabdingbare Voraussetzung eine weitestgehende Koordinierung und Zentralisierung aller Äußerungen seiner diplomatischen Auswärtigen Gewalt, das heißt für den Bundesstaat eine umfassende Zuständigkeit des Zentralstaates i n diesem Bereich. Entsprechend werden i n fast allen Bundesstaaten der Welt die Gliedstaaten durch den Oberstaat i m friedlichen Völkerrechtsverkehr völlig mediatisiert 12 . Einige Bundesstaatsverfassungen jedoch gewähren den Gliedstaaten — abgesehen vom weit verbreiteten Recht zur Teilnahme am Willensbildungsprozeß i n bezug auf auswärtige Angelegenheiten, zur Einflußnahme i m akzessorischen Bereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt — i m Rahmen ihrer Gesetzgebungskompetenzen bzw. zur Regelung von Fragen des nachbarschaftlichen Verkehrs mit rein lokaler Bedeutung das Recht zum Vertragsschluß m i t auswärtigen Staaten. Die mit solchen Rechten begabten Gliedstaaten sind dadurch zwar nicht zur Führung einer eigenen Außenpolitik berufen, aber doch als beschränkte Träger diplomatischer Auswärtiger Gewalt eingesetzt. Besitzen die Gliedstaaten nach dem Verfassungstext und i n der Verfassungspraxis eine gewisse Selbständigkeit bei dem Abschluß derartiger Verträge und werden sie i n der Völkerrechtsgemeinschaft für die i n der Verfassung bezeichneten Bereiche als staatliche Kontrahenten anerkannt — wobei diese Anerkennung nicht ausdrücklich zu erfolgen braucht, sondern regelmäßig implicite i n der Anerkennung des Gesamtstaates mit seiner speziellen bundesstaatlichen Verfassung zu finden sein w i r d —, so sind die Gliedstaaten insoweit als echte wenn auch beschränkte Völkerrechtssubjekte unmittelbare Teilnehmer am völkerrechtlichen Verkehr 1 3 . Daß sich eine solche unmittelbare, selbständige, wenn auch noch so beschränkte Teilnahme der Gliedstaaten eines Bundesstaates an 12 Einzelheiten u n d Nachweise zur verfassungsvergleichenden Untersuchung vgl. i n den folgenden Abschnitten I I u n d I I I dieses Kapitels. 13
So Mallmann,
S. 641; Mosler,
Thoma-Festschrift, S. 145 und S. 163.
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internationalen militärischen Auseinandersetzungen mit Rücksicht auf den inneren Zusammenhalt des bundesstaatlichen Gefüges verbietet, wurde bereits verdeutlicht. Demgemäß nehmen alle Bundesstaaten der Welt die militärische Auswärtige Gewalt als die Zuständigkeit zu aktueller Gewaltanwendung gegen fremde Völkerrechtssubjekte, Gewaltanwendung, die i n jedem Fall hochpolitischen Charakter besitzt, für den Zentralstaat i n Anspruch. Aber auch für diese regelmäßig umfassende Bundeskompetenz enthalten einige Bundesstaatsverfassungen insofern eine Modifizierung, als sie i n deren akzessorischen Bereichen der innerstaatlichen Organisation und Zurüstung der Streitkräfte den Gliedstaaten Zuständigkeiten zugestehen, insbesondere i n einigen Fällen das bedeutsame Recht, eigene Truppen aufzustellen und zu unterhalten 1 4 .
3. Einheit von militärischer Auswärtiger Gewalt und diplomatischer Auswärtiger Gewalt als Ergebnis einer rechtsvergleichenden Überschau I m folgenden w i r d ein Uberblick über die Einzelregelungen hinsichtlich der militärischen Auswärtigen Gewalt und der diplomatischen Auswärtigen Gewalt gegeben, wie sie sich i n den verschiedenen zur Zeit i n Geltung stehenden Bundesstaatsverfassungen der Erde und i n den früheren deutschen Bundestaatsverfassungen finden. Der Begriff des Bundesstaates ist bei dieser Ubersicht — da es keinen eindeutig fixierten Rechtsbegriff des Bundesstaates gibt und sich für den gegebenen Zusammenhang eine Auseinandersetzung m i t den Theorien erübrigt — unkritisch weit gefaßt, so daß darin einige Staatsverfassungen erscheinen, die häufig als lediglich quasi-föderalistisch, als Einheitsstaatsverfassungen m i t stark dezentralisierter Organisationsform betrachtet werden. Als heuristisches Einteilungsprinzip wurde die Frage nach einer vom Zentralstaat unabhängigen Gesetzgebung der Gliedstaaten verwendet 1 5 . Das Ergebnis des Vergleichs ist unter verschiedenen Aspekten eine weitere entscheidende " Eine Übersicht über die denkbaren Beteiligungsformen der Gliedstaaten gibt Kunz, S. 655 f. 16 Als verfehlt erscheint die Methode von Usteri, der i n seiner Theorie des Bundesstaates als N o r m f ü r den Begriff des Bundesstaates die ausgeprägt gliedstaatsfreundliche Verfassung seines Heimatstaates, der Schweiz, betrachtet und von diesem Ausgangspunkt her zu dem Ergebnis gelangt, daß es allenfalls vier Bundesstaatsverfassungen, nämlich die der USA, der Schweiz, von Kanada und von Australien gibt; siehe Usteri, S. 340. Durch eine so enge Begriffsbildung werden verwandte Erscheinungsformen des Staatslebens, die gerade durch den Begriff des Bundestaates zusammengefaßt werden soll, voneinander getrennt.
150 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt Bestätigung 16 des engen begrifflichen und sachlichen Zusammenhangs zwischen der militärischen Auswärtigen Gewalt und der diplomatischen Auswärtigen Gewalt, die aus der Natur der Sache folgende notwendig allgemeine organisatorische Gleichbehandlung beider Zuständigkeitsbereiche i m bundesstaatlichen Kompetenzsystem. Zunächst zeigt sich die Zusammengehörigkeit der Begriffe i n dem äußerlich systematischen Zusammenhang, der regelmäßig unmittelbaren Aufeinanderfolge oder Zusammenfassung, i n der die Bestimmungen bezüglich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt und der militärischen Auswärtigen Gewalt erscheinen. Darüber hinaus erweist sich i n der Tatsache, daß — wie soeben schon angedeutet — alle Bundesstaatsverfassungen zumindest die Grund- und Hauptzuständigkeit für die diplomatische Auswärtige Gewalt und die militärische Auswärtige Gewalt dem Zentralstaat zuweisen, nicht nur eine kluge Beachtung der Mindestvoraussetzungen für eine erfolgreiche Außenpolitik und eine staatsbewahrende Wehrpolitik, sondern zugleich daß eine völlig isolierte Betrachtung und Behandlung dieser beiden Bereiche der einen einheitlichen Auswärtigen Gewalt mit Rücksicht auf deren inneren sachlichen Zusammenhang, wie er i m vorhergehenden Paragraphen dargestellt wurde, sich nach durchgehender Verfassungstradition vernünftigerweise verbietet. Diplomatische Auswärtige Gewalt und militärische Auswärtige Gewalt werden einheitlich, als Einheit stets zu den Zuständigkeiten des Zentralstaates überwiesen gemäß den Grunderwägungen, wie sie i n den bereits oben angeführten Worten Wheares zum Ausdruck kommen 1 7 : „ I t should need little argument to support the assertion that the control of external affairs and defense should be handed to the common government... The 18 Eine Unterscheidung militärischer u n d diplomatischer Befugnisse i m Rahmen der i n t r a governmental division of powers zwischen Verteidigungsministerium u n d Auswärtigem A m t ist sachlich gerechtfertigt u n d ungefährlich, solange die oberste harmonisierende politische Kontrolle u n d F ü h r u n g durch den Kanzler bzw. Ministerpräsidenten gewährleistet ist; bei einer unterschiedlichen Zuweisung der militärischen u n d diplomatischen Zuständigkeiten i m Rahmen der inter governmental division of powers zwischen Zentralstaat u n d Gliedstaat aber w ü r d e eine wirkliche A u f splitterung der Funktionen erfolgen, deren notwendig einheitliche W a h r nehmung i n diesem K a p i t e l dargelegt werden soll. I m Bundesstaatssystem hat der Begriff der „Hoheit" oder „ G e w a l t " seine spezifische F u n k t i o n (vgl. dazu oben § 1, Abschnitt I, 2), vor allem a m Bundesstaatsmodell muß sich daher erweisen, ob es sich rechtfertigen ließe, zwischen Militärischer Gewalt u n d Auswärtiger Gewalt als selbständigen Hoheitsbereichen zu unterscheiden. 17 Oben §8, Abschnitt I I I (S. 145); vgl. auch Wheare, Federal Government, S. 186: " A n d for another, if the control of foreign affairs has been given to the general governments, i t seems reasonable to give t h e m also the control of those armed forces which give to policies their influence and final effectiveness."
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control of external affairs without control of the armed forces is empty; the control of the armed forces without control of external affairs is blind." Die innere Verwandtschaft und Zusammengehörigkeit der diplomatischen Auswärtigen Gewalt und der militärischen Auswärtigen Gewalt kommt schließlich auffällig auch i n den Bundesstaatsverfassungen zum Ausdruck, die den Grundsatz der Alleinzuständigkeit des Zentralstaates für die Angelegenheiten der Auswärtigen Gewalt zugunsten der Gliedstaaten i n der Weise modifizieren, daß sie ihnen beschränkte Vertragsschlußkompetenzen gewähren. Diese Teilzuständigkeit der Unterstaaten i m Bereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt ist regelmäßig — eine Ausnahme bildet hier die Weimarer Verfassung — begleitet von beschränkten, sonst nirgends anzutreffenden Befugnissen i m akzessorischen Bereich der militärischen Auswärtigen Gewalt, nämlich Befugnissen bei der Aufstellung der Streitkräfte; es läßt sich als Regelsatz aufstellen, daß eine beschränkte föderalistische Dezentralisation der Militärorganisation, des akzessorischen Bereichs der militärischen Auswärtigen Gewalt, nur dort auftritt, wo die diplomatische Auswärtige Gewalt teilweise den Gliedstaaten anvertraut ist 1 8 .
I I . Die die Wehrhoheit und die diplomatische Auswärtige Gewalt betreffenden Normen in den geltenden Bundesstaatsverfassungen 1. Verfassungen mit ausschließlicher und umfassender Zuweisung der Auswärtigen Gewalt an die Zentralstaaten Die ganz überwiegende Anzahl der geltenden Bundesstaatsverfassungen weist einheitlich die diplomatische Auswärtige Gewalt und die militärische Auswärtige Gewalt dem Zentralstaat zu und sieht auch keinerlei Abweichungen für die akzessorischen Organisationsbereiche 18 Historisch ist häufig das gemeinsame Schutzbedürfnis, die Zusammenfassung der Wehrgewalt der einzelnen Staaten, Vorläufer oder Hauptbeweggrund f ü r die B i l d u n g von Konföderationen u n d Föderationen (Wheare, S. 186); die Konzentration der militärischen Auswärtigen Gewalt geht der Konzentration der diplomatischen Auswärtigen Gewalt voran, nie aber u m gekehrt. So erfolgte z. B. die Entstehung der USA auf dem Weg über einen Staatenbund zum Zweck gemeinsamer Verteidigung u n d Kriegführung; siehe Berber, Lehrbuch I, S. 140. Der Entstehung des Norddeutschen Bundes u n d des Deutschen Reiches gingen Angriffs- u n d Verteidigungsbündnisse voraus; siehe Laband, Staatsrecht I V , S. 16 f. und S. 37. Z u den M i l i t ä r konventionen, die der Begründung der UdSSR voraufgingen, vgl. Maurach, A r t . 13, Erl. 3 b. — Entsprechend der aufgezeigten geschichtlichen E n t w i c k lungsrichtung verweisen Bundesstaatsverfassungen i n ihren Präambeln häufig auf den Zweck gemeinsamer Verteidigung hin, selten aber ausdrücklich auf das Ziel einer einheitlichen Außenpolitik; vgl. z.B. einerseits die
152 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt vor. Nach den Verfassungen folgender Bundesstaaten sind die Gliedstaaten völlig von der unmittelbaren Gestaltung der auswärtigen Beziehungen und den diesbezüglichen Vorbereitungsmaßnahmen ausgeschlossen19: a) Argentinien, 16. 3.1949 b) Australien, 9. 7.1900 c) Brasilien,
Neufassung der Verfassimg des Jahres 1853 vom Commonwealth of Australia
Constitution Act
vom
Verfassung vom 24. 9.1946
d) Birma, Verfassung vom 24. 9.1947 e) Indien, Verfassung vom 26.11.1949 f) Jugoslawien, Verfassung vom 30.1.1946 und ergänzendes Grundgesetz vom 13.1.1953 g) Kamerun,
Verfassung vom 1. 9.1961
h) Kanada, British North America Act vom 29. 3.1867 i) Kenia, Verfassung vom 12.12.1963 j) Kongo — Kinchasa, Verfassung vom 30. 5.1964 k) Malaysia, Verfassung vom 16. 9.1963 1) Mexiko, Verfassung vom 31.1.1917 m) Nigeria, Verfassung vom 1.10.1963 n) Österreich, am 1. 5.1945 erneut in K r a f t gesetzte Verfassung vom 10.11.1920 o) Südafrika,
South Africa Act vom 20. 9.1909
p) Tansania, Union of Tanganyika and Zanzibar Act vom 26. 4.1964 q) Uganda, Verfassung vom 2.10.1962 r) Venezuela, Verfassung vom 11. 4.1953 2. Verfassungen mit beschränkter Zuweisung der Auswärtigen Gewalt bzw. ihrer akzessorischen Bereiche an die Gliedstaaten (Schweiz, UdSSR, USA) 20 a) Schweiz, Verfassung vom 29. 5.1874 aa) Zur diplomatischen Auswärtigen Gewalt des Bundes siehe: Art. 2 Verfassungen der Vereinigten Staaten v o m 17.9.1787 u n d des Deutschen Reiches v o m 16.4.1871, andererseits das Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland v o m 23. 5.1949. Textliche Nachweise m i t Anmerkungen siehe unten i m Anhang unter I. 20 Texte der angeführten Bestimmungen unten i m Anhang unter I I .
§ 9. Bundesstaatliche Aspekte
153
Art. 8 Art. 85 Nr. 5 und 6 Art. 102 Nr. 8 und 9 bb) Zur diplomatischen siehe:
Auswärtigen
Gewalt
der
Gliedstaaten
Art. 9 A r t . 10 cc) Zur militärischen Auswärtigen Gewalt des Bundes siehe: Art. Art. Art. Art. Art. Art.
19 Abs. 2 und 3 20 Abs. 1 22 41 Abs. 2 85 Nr. 4, 6 und 9 102 Nr. 11 und 12
dd) Zur militärischen siehe: Art. Art. Art. Art. Art.
Auswärtigen
Gewalt
der
Gliedstaaten
13 19 Abs. 1 lit. a und b, Abs. 4 15 20 Abs. 1 und 3 21
ee) Anmerkungen: Die Kantone haben ein beschränktes Vertragsschlußrecht; bei der Ausübung dieses Rechtes sind sie weitgehend auf die Vermittlung des Bundesrates angewiesen 21 . Der Zuständigkeit der Kantone i m Bereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt korrespondiert eine sehr beachtliche Kompetenz i m akzessorischen Bereich der militärischen Auswärtigen Gewalt. Das Schweizer Heer ist ein Bundesheer, aber organisiert auf kantonaler Grundlage 22 . Die Gesetzgebung über das Heerwesen, der gesamte Militärunterricht, die Bewaffnung sind Sache des Bundes; er hat ein umfassendes Aufsichtsrecht und trägt alle Kosten des Militärwesens; der Bund hat die Verfügung über das Bundesheer und das Kriegsmaterial. Demgegenüber steht die Zuständigkeit der Kantone für die Zu21 Der B u n d hat nach h.M. ein umfassendes Vertragsschließungsrecht, aber keine Transformationskompetenz i m Bereich der ausschließlichen kantonalen
Gesetzgebung; vgl. Harupa, S. 25 ff. (S. 27). 22 Loewenstein, Wehrbeitrag II, S. 397.
154 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt sammensetzung der Truppenkörper, die grundsätzlich aus der Mannschaft desselben Kantons gebildet werden, die Fürsorge für die Erhaltung ihres Bestandes und die Ernennung und Beförderung ihrer Offiziere bis zum Hauptmannsrang und der Unteroffiziere, die Beschaffung der notwendigen Bekleidung und Ausrüstung, die Sorge für den Unterhalt und schließlich die M i t w i r k u n g beim Vollzug des eidgenössischen Militärrechts 2 3 . Die Kompetenzzuweisungsnormen der A r t . 2, Art. 85 Nr. 6 und Art. 102 Nr. 9 berühren mit Bezeichnungen für das Bemühen um „Unabhängigkeit", „Neutralität" und „äußere Sicherheit" i n gleicher Weise Funktionen der diplomatischen Auswärtigen Gewalt wie der militärischen Auswärtigen Gewalt, begreifen beide Funktionsbereiche als eine einheitliche komplexe auswärtige Zuständigkeit. Die Verfügung über das Bundesheer und dessen oberste militärische Leitung ist nach der Schweizer Verfassung Sache des Parlaments, der Bundesversammlung 24 ; nur „sobald ein großes Truppenaufgebot zum Schutz der Neutralität und der Unabhängigkeit i n Aussicht steht oder angeordnet ist 2 5 , wählt die Bundesversammlung zur Konzentrierung der militärischen Leitung und Verfügungsgewalt den ,General der eidgössischen Armee' 2 6 ". b) Sowjetunion,
Verfassung vom 5.12.1936
aa) Zur diplomatischen Auswärtigen Gewalt des Bundes siehe: A r t . 14 lit. a und b A r t . 68 bb) Zur diplomatischen siehe:
Auswärtigen
Gewalt
der
Gliedstaaten
A r t . 18 a A r t . 60 Art. 78 Nr. 11 cc) Zur militärischen Auswärtigen Gewalt des Bundes siehe: Art. 14 lit. g A r t . 132 23 24
Z u Einzelheiten vgl. Ruck, S. 299.
Menzel, W D S t R L , Heft 12, S. 199. 25 A r t . 205 der Militärorganisation der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 12. 5.1907. 2 « Huck, S. 303.
§ 9. Bundesstaatliche Aspekte dd) Z u r militärischen siehe:
Auswärtigen
Gewalt
155 der
Gliedstaaten
A r t . 18 b A r t . 60 A r t . 78 Nr. 11 ee) Anmerkungen: Nach dem Verfassungstext haben die Unionsrepubliken eine außerordentlich starke Stellung, deren markantester Ausdruck das i m A r t . 17 verankerte Sezessionsrecht ist: A r t . 13. Die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken ist ein Bundesstaat, gebildet auf der Grundlage freiwilliger Vereinigung gleichberechtigter Sozialistischer Sowjetrepubliken. A r t . 15. Die Souveränität der Bundesrepubliken ist lediglich innerhalb des Rahmens, der i n A r t . 14 der Verfassung der UdSSR angegeben ist, beschränkt. Außerhalb dieses Rahmens übt jede Bundesrepublik selbständig die Staatsgewalt aus. Die UdSSR schützt die souveränen Rechte der Bundesrepubliken. A r t . 17. Jeder Bundesrepublik bleibt das Recht auf freien Aust r i t t aus der UdSSR vorbehalten. Allerdings enthält die Verfassung auch bedeutsame Einschränkungen für die unabhängige politische Existenz der Unionsrepubliken: A r t . 16. Jede Bundesrepublik hat ihre Verfassung, die den Besonderheiten der Republik Rechnung trägt und i n voller Übereinstimmung m i t der Verfassung der UdSSR aufgebaut ist. A r t . 67. Die Verordnungen des Ministerrates der UdSSR sind für das ganze Gebiet der UdSSR verbindlich. Darüber hinaus ist für die Verfassungswirklichkeit die Existenz der straff zentralisierten kommunistischen Einheitspartei, die die wirkliche politische Macht i n der Sowjetunion verkörpert, von größter Bedeutung. Der dezentralisierten Staatsgewalt steht stets die zentralisierte Parteigewalt als führende politische K r a f t i n der Sowjetunion gegenüber 27 . Eine Abspaltung und Verselbständigung lokaler Parteiinstanzen i m Interesse einzelner Sowjetrepubliken würde als Konterrevolution die härteste Verfolgung nach sich 27 Z u r Methodik der Einflußnahme der Kommunistischen Partei auf das staatliche Handeln, dem sogenannten System der Transmissionen, vgl. Maurach, Handbuch der Sowjetverfassung, Einführung, 11,3.
156 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt ziehen. Daß das Sezessionsrecht daher nicht aktuell ist 2 8 , w i r d von der sowjetischen Staatsrechtslehre auch deutlich ausgesprochen 29 . Ob die ausgesprochene föderale Strukturierung der sowjetischen Staatsorganisation durch den Zentralismus des Parteiaufbaues jeder praktischen Bedeutung entkleidet ist, ist i m nichtkommunistischen Schrifttum umstritten. Maurach unterscheidet 30 : Vom Standpunkt der reinen Dynamik sei die UdSSR als dezentralisierter Einheitsstaat anzusprechen; bei Berücksichtigung der teilweise nachweisbaren Balance zwischen Form und Inhalt sei die UdSSR als Zwischenerscheinung zwischen einem zentralisierten Bundesstaat und einem dezentralisierten Einheitsstaat zu betrachten. Durch A r t . 18 a sind den Republikstaaten m i t dem aktiven und passiven Gesandtschaftsrecht und den inhaltlich unbeschränkten Vertragsschlußkompetenzen, auch wenn man die Zuständigkeit der Union zur Regelung des allgemeinen Verfahrens für die Gestaltung auswärtiger Beziehungen durch Gliedstaaten (Art. 14 lit. a) und die diesbezügliche allgemeine Leitungsbefugnis der Union (Art. 68 lit. d) in Betracht zieht, ungewöhnlich weite, auch die allgemeine Außenpolitik berührende Zuständigkeiten i m Bereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt eingeräumt 31 . Ebenso w i r d das gewichtige Recht der Gliedstaaten auf eigene Truppenformationen nach Art. 18 b nur unwesentlich durch die Befugnis der Union zur Feststellung von Grundsätzen für die Organisation der Gliedstaatstruppen eingeschränkt. Beide Bestimmungen, Art. 18 a und Art. 18 b, sind in die sowjetische Verfassung erst durch die Verfassungsänderung vom 1.2.1944 i n der Absicht eingefügt worden, die Sowjetunion außenpolitischdiplomatisch zu stärken 32 . Bei den Vorverhandlungen über die Gründung der Vereinten Nationen beanspruchte die Sowjetunion als Gegengewicht zu den Stimmen der britischen Dominien die Anerkennung seiner Gliedstaaten als souveräne Staaten 33 , als selb2
® Mosler, Thoma-Festschrift, S. 140. Maurach, A r t . 15, Erl. 2 a, u n d die Erläuterungen zu A r t . 17. 39 Maurach, A r t . 15, Erl. 2 b. 31 I. Herrmann, S. 82. 32 Siehe dazu Maurach, A r t . 18, Erl. 1; Menzel, Bonner Kommentar, A r t . 32, Anm. III, B b . 33 Z u dem doppelten Souveränitätsbegriff i n der sowjetischen Rechtswissenschaft, der bei Beziehung auf die „Kolonialmächte" auf umfangreichen u n d strengen Voraussetzungen basiert, f ü r den blockinternen Gebrauch hingegen wesentlich lockerer u n d weiter gefaßt ist, vgl. Maurach, A r t . 15, Erl. 1 und 2 a, u n d die Erläuterungen zu A r t . 17. 29
§ 9. Bundesstaatliche Aspekte
157
ständige Völkerrechtssubjekte, und damit für sich ein mehrfaches Stimmrecht. U m diese Forderung vom internen Verfassungsrecht her zu rechtfertigen, wurden die Gliedstaaten m i t den bezeichneten und beschriebenen Kompetenzen ausgestattet 34 . Die Vereinigten Staaten und Großbritannien u. a. erklärten sich i n den Verhandlungen um die UN-Satzung bereit, zwei weiteren Gliedstaaten neben der UdSSR ein selbständiges Stimmrecht einzuräumen. Die UN-Charta und die Friedensverträge wurden i n der Folge von der UdSSR sowie von der ukrainischen und der weißrussischen Sowjetrepublik gesondert unterzeichnet. I m innerstaatlichen Bereich der UdSSR aber wurden zwar i n allen Republiken Ministerien für auswärtige Angelegenheiten und Ministerien für Streitkräfte eingerichtet, i m übrigen jedoch fehlt es an jeglicher praktischer Wahrnehmung der den Gliedstaaten zugestandenen Kompetenzen. Abgesehen von den Funktionen der Sowjet-Ukraine und Sowjet-Weißrußlands i n den U N haben die Sowjetrepubliken — auch nach dem Eingeständnis i m sowjetischen Schrifttum — weder formell noch i m Sinne einer mittelbaren Einflußnahme teil an der diplomatischen Auswärtigen Gewalt der Union 3 5 . Ebenso fehlt den Republiken jegliche Verwaltungskompetenz bezüglich des einen einheitlichen, auf der allgemeinen Wehrpflicht sich gründenden Bundesheeres; nationale Verbände i m Rahmen des Bundesheeres, für die den Unionsrepubliken nach vorangegangener Verfassungspraxis die Zuständigkeit zur Namensgebung, Fahnen- und Abzeichenverleihung und allenfalls das Vorschlagsrecht für die Besetzung territorial gebundener Kommandos zukäme, sind i n der Nachkriegszeit nicht mehr i n Erscheinung getreten 36 . Die Verfassungswirklichkeit der UdSSR ist also i n Fragen der Auswärtigen Gewalt besonders weit von dem geschriebenen Verfassungstext entfernt. Trotzdem verdient der Text als Rechtsentwurf und ruhendes Recht einige Aufmerksamkeit. I m Zusammenhang der hier durchgeführten Untersuchung ist von besonderem Interesse, daß die ausgedehnten Kompetenzen der Unionsrepubliken i m Bereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt von bedeutsamen Zuständigkeiten i m akzessorischen Bereich der militärischen 34 Z u den i n der amtlichen Begründimg der Verfassungsreform von Molotow angegebenen Gründen — die Gliedstaaten hätten inzwischen die für die Wahrnehmung diplomatischer Angelegenheiten erforderliche k u l t u relle u n d wirtschaftliche Reife erlangt und erst jetzt stünden die zur Ausbildung nationaler Truppenteile erforderlichen Offizierskader zur Verfügung — vg. Makarov, ZaöRVR, Bd. 12, S. 111.
M Maurach, A r t . 18 a, Erl. 2. 3 6 Maurach, A r t . 18 b, Erl. 2.
158 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt Auswärtigen Gewalt begleitet sind, daß man, u m die völkerrechtliche Handlungsfähigkeit der Gliedstaaten glaubwürdig darzutun, diesen auch Wehrkompetenzen verleiht, daß man diplomatische Auswärtige Gewalt und militärische Auswärtige Gewalt aufgrund ihrer sachlich-wechselbezüglichen Abhängigkeit als Einheit einheitlich behandelt. c) Vereinigte
Staaten von Amerika,
Verfassung vom 17. 9.1787
aa) Zur diplomatischen Auswärtigen Gewalt des Bundes siehe: Präambel Art. 2 Section 2 Abs. 2 Art. 2 Section 3 A r t . 6 Abs. 3 bb) Zur diplomatischen siehe:
Auswärtigen
Gewalt
der
Gliedstaaten
Art. 1 Section 10 Abs. 1 Art. 1 Section 10 Abs. 3 cc) Zur militärischen Auswärtigen Gewalt des Bundes siehe: Präambel Art. 1 Section 8 Abs. 1, 11—14 und 16 Art. 2 Section 2 Abs. 1 Art. 2 Section 3 dd) Zur militärischen Auswärtigen Gewalt der Gliedstaaten: Art. 1 Section 8 Abs. 16 Art. 1 Section 10 Abs. 3 ee) Anmerkungen: I n auffälliger Parallelität verleiht auch die Verfassung der Vereinigten Staaten den Gliedstaaten sowohl ein auf unpolitische Verträge beschränktes 37 , der Kontrolle des Kongresses unterstehendes Vertragsschließungsrecht als auch die Ermächtigung zur Organisation einer einsatzbereiten eigenen Miliz. I n der Verfassungspraxis sind beide Zuständigkeiten, die den Gliedstaaten einen ausgewogenen, wenn auch sehr beschränkten auf das Auswärtige bezogenen Status verleihen, zu weitgehender Bedeutungslosigkeit herabgesunken. Die Gliedstaaten haben von dem Recht zum Vertragsschluß mit auswärtigen Staaten so gut wie keinen Gebrauch gemacht 38 , so 37 Wheare, S. 169. 38 Stieneke, S. 19, weist als einen Ausnahmefall einen Vertrag zwischen dem Staat New Y o r k u n d Kanada nach.
§ 9. Bundesstaatliche Aspekte
159
daß dieses als obsolet erscheint 39 , während die zunächst nicht unbestrittene, umfassende, durch Gliedstaatsrechte nicht beeinträchtigte auswärtige Zuständigkeit des Bundes sowohl als Vertragsschlußkompetenz als auch als Transformationskompetenz durch verschiedene Entscheidungen des Supreme Court ausdrücklich anerkannt worden ist 4 0 und vom Bund — allerdings, soweit es um Gliedstaatsrechte geht, mit der politisch gebotenen Vorsicht und Zurückhaltung 4 1 wahrgenommen wird. M i t der Institution eigenständiger Milizen der Einzelstaaten neben den Streitkräften des Bundes hat die amerikanische Verfassung ein ungewöhnliches, ein ausgeprägt dualistisches System der Wehrangelegenheiten eingeführt 42 . Die Möglichkeit der Staaten, über eigenständige Milizen zu verfügen, hat m i t zu dem Ausbruch des amerikanischen Bürgerkrieges beigetragen 43 . Die Bedeutung der Miliz wurde faktisch zu Beginn des 19. Jahrhunderts beseitigt, zunächst durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, deren Rechtmäßigkeit vom Bundesgericht mit Hinweis auf den absoluten Vorrang des Bundes auch i n diesem Bereich der Auswärtigen Gewalt bestätigt wurde 4 4 . Nach dem ebenfalls i m 1. Weltkrieg ergangenen National Defence Act wurden die nunmehr als National Guard bezeichneten Milizen zur Reserve der Bundesarmee erklärt, die bei Einziehung i n das Bundesheer ihren eigenständigen Status verliert 4 5 . Einen letzten, die eigenständige Bedeutung der gliedstaatlichen Milizen beeinträchtigenden Einfluß des Bundes stellt die m i t starken Aufsichts- und Kontrollrechten verbundene, vom Bund ausgehende Finanzierung dieser heute verhältnismäßig unbedeutenden Truppenkörper dar 4 6 . Die allgemeine Schlußfolgerung aus dieser Entwicklung zieht Beard mit den folgenden Worten: „The ancient symbol of independence, armed forced, passes from the states to the Nation 4 7 ." 39
Corwin, S. 202 f.; Mallmann, S. 643. 40 Siehe u.a.: Ware v. H y l t o n (1796), 3 Dali., 199; Geofrey v. Riggs (1890), 133 U.S. 258, p. 267; Missouri v. Holland (1920), 255 U.S. 416; United States v. Curtiss W r i g h t Export Corp. (1936), 299 U.S. 304. — Vgl. dazu Wheare, S. 172 f. « Vgl. hierzu Berber, Nawiasky-Festschrift, S. 245 f.; Wheare, S. 173. 42 Wheare, S. 190; Loewenstein, Wehrbeitrag I I , S. 397. 43 Wheare, S. 192; Loewenstein, a.a.O. 44 Selective Draft Cases (1918), 254 U.S. 366; vgl. dazu Wheare, S. 193; Loewenstein, a.a.O., S. 398. 45 Wheare, S. 193 f.; Loewenstein, S. 398. 4« Wheare u n d Loewenstein, a.a.O. 47 Beard, American Government and Politics, 8. Aufl., S. 462, zitiert nach Wheare, a.a.O.
160 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt I I I . Die die Wehrhoheit und die diplomatische Auswärtige Gewalt betreffenden Normen in den historischen deutschen Bundesstaatsverfassungen 48 1. Reichsverfassung
vom 16.4.1871
a) Zur diplomatischen Auswärtigen Gewalt des Bundes siehe: Art. Art. Art. Art.
11 3 Abs. 6 4 Nr. 7 56
b) Zur diplomatischen Auswärtigen Gewalt der Gliedstaaten siehe: A r t . 8 Abs. 3 A r t . 11 Abs. 2 und 3 c) Zur militärischen Auswärtigen Gewalt des Bundes siehe: Präambel A r t . 3 Abs. 5 A r t . 4 Nr. 14 A r t . 60 S. 2 Art. 61 A r t . 57 A r t . 58 Art. 62 A r t . 53 Art. 63—65 d) Zur militärischen Auswärtigen Gewalt der Gliedstaaten siehe: A r t . 8 Abs. 1 Nr. 1 Art. 60 Art. 63 Abs. 2 S. 3 A r t . 66 Schlußbestimmung zum X I . Abschnitt A r t . 78 Abs. 2 e) Anmerkungen: Die Bestimmungen der Reichsverfassung von 1871, die die diplomatische Auswärtige Gewalt betreffen, enthalten — offenbar um Empfindlichkeiten der sich ihrer Souveränität begebenden Gliedstaaten zu schonen, i n der ihr vielfach nachgerühmten Elastizität — keine ausdrücklichen föderalen Kompetenzzuweisungs- bzw. Ausschluß48
Texte der angeführten Bestimmungen unten i m A n h a n g unter I I I .
161
§ 9. Bundesstaatliche Aspekte
normen. Die Haupt- und subsidiäre Gesamtzuständigkeit des Reiches wurde von den Interpreten aus der Konstituierung des Reiches als eines selbständigen, unabhängigen Staates 49 , seiner völkerrechtlichen Anerkennung 5 0 , aus der Zielsetzung der Reichsgründung, Macht und Einfluß der deutschen Einzelstaaten gegenüber dritten Staaten durch den Zusammenschluß zu steigern 51 , aus der dem Kaiser i m A r t . 11 zugesprochenen völkerrechtlichen Vertretungsmacht, dem Gesandtschaftsrecht, Vertragsschlußrecht und Recht zur Kriegserklärimg 5 2 und schließlich aus dem kaiserlichen Oberbefehlsrecht für die Kriegsmarine (Art. 53) und dem Befehlsrecht für das Heer (Art. 63) 53 gefolgert. I n klarer Erkenntnis des engen, untrennbaren Zusammenhangs zwischen diplomatischer und militärischer Auswärtiger Gewalt schloß man aus dem Oberfehl des Kaisers und dem Recht über Krieg und Frieden, daß der Gesamtbereich unabhängiger Außenpolitik den Ländern verschlossen sei, daß die Länder keinerlei der auswärtigen Tätigkeit des Reiches widersprechende oder nur beeinträchtigende Maßnahmen ergreifen dürften 5 4 . Trotz fehlender Zuständigkeitsnormen anerkannte man jedoch beschränkte Zuständigkeiten der Gliedstaaten i m Bereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt als historisch überkommene, selbstverständliche 55 , durch die Reichsverfassung nicht beeinträchtigte 56 , von den Einzelstaaten zu Recht beanspruchte und wahrgenommene Rechte Haenel, S. 531. «o Haenel, a.a.O., Laband, Staatsrecht I I I , S. 2. « Laband, a.a.O., Bd. I I , S. 125 ff.; Meyer-Anschütz, 52 Haenel, S. 531.
S. 263, A n m . 14.
H\aenel, S. 522 f.; Meyer-Anschütz, S. 267 m i t A n m 14. — Laband, Staatsrecht I I I , S. 4: „Da das Reich allein K r i e g erklären u n d Frieden schließen k a n n u n d der Kaiser den Oberbefehl über die Machtmittel des Reiches (Heer u n d Marine) hat, so ist auch die gesamte auswärtige Politik, die hiervon untrennbar ist, f ü r das ganze Reich notwendig eine einheitliche u n d eine f ü r alle Bundesglieder gemeinschaftliche Angelegenheit"; vgl. dazu auch unten Anm. 63. — Huber, Verfassungsgeschichte I I I , S. 932: „ W e n n aber die Länder das jus belli ac pacis nach der Reichs Verfassung nicht mehr besaßen, hatten sie auch nicht mehr die Zuständigkeit f ü r eine selbständige auswärtige P o l i t i k ; denn beides w a r nach klassischem Völker- u n d Staatsrecht untrennbar miteinander verbunden." « 4 Uber die alleinige Berufung des Reichs zur „großen P o l i t i k " als Folge der Konzentration der Machtmittel i n seiner Hand und seiner daraus erwachsenen Stellung als „Macht" vgl. Haenel, S. 553 f.; daselbst, S. 554: „Das Recht der Kriegführung ist nicht n u r die letzte Bedingung eines selbständigen Einflusses auf den Gang der europäischen Politik, es ist vor allen Dingen auch das letzte, entscheidende Schutzmittel, von dessen möglicher oder aktueller Anwendung die Selbstbehauptung des Staates u n d die W a h r u n g der i h m anbefohlenen Interessen u n d Rechte abhängt." 55 v. Seydel, A r t . 11, A n m . I V u n d V I ; I. Herrmann, S. 47 u n d 92 m i t weiteren Nachweisen. B6 Haenel, S.551; E.R. Huber, S. 931. 11 Sachau
162 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt an. Zur Rechtfertigung des aktiven und passiven Gesandtschaftsrechtes der Länder wurde speziell auf die Ablehnung eines Abänderungsantrages i m verfassungsberatenten Reichstag, der auf die Beseitigimg des Gesandtschaftsrechtes der deutschen Souveräne i n ihrem Verhältnis zum Bundesausland zielte, verwiesen 57 und auf die Ziffern V I I und V I I I des Schlußprotokolls zum bayerischen Bündnisvertrag vom 23. November 1870, i n denen u. a. die Vertretung der Bundesgesandten durch bayerische Gesandte vorgesehen ist und damit ein allgemeines Gesandtschaftsrecht der Länder vorausgesetzt w i r d 5 8 . Für die an keine Zustimmung durch Reichsorgane gebundenen Vertragsschlußkompetenzen der Länder hat man i n A r t . 11 Abs. 3, der das Vertragsschlußrecht des Bundes i m Umfang seiner Gesetzgebungszuständigkeit an die Zustimmung des Bundesrates und die Genehmigung des Reichstages bindet, eine durch Umkehrschluß sich offenbarende, materiellrechtliche Grundlage erblickt 5 9 ; nach h.M. waren die Vertragsschlußkompetenzen zwischen Reich und Gliedstaaten nach Maßgabe der Gesetzgebungszuständigkeiten aufgeteilt 60 . A l l e i n für das Konsulatswesen enthielt die Reichsverfassung von 1871 m i t dem A r t . 56 eine eindeutige Zuständigkeitsregelung und zwar — m i t dem Ziel der Beseitigung der Gliedstaatskonsulate — zuungunsten der Länder 6 1 . Die zur Ermöglichung einer mittelbaren Einflußnahme der Gliedstaaten auf die Außenpolitik des Reiches auf Drängen der süddeutschen Staaten i n die Verfassung (Art. 8 Abs. 3) aufgenommene Institution eines Bundesratsausschusses für auswärtige Angelegenheiten hat als Beratungsorgan keine, ja nicht einmal i n seiner Kontrollfunktion i n der Praxis einige Bedeutung erlangt 6 2 . Den dargelegten weitgehenden Zuständigkeiten der Gliedstaaten i m Bereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt — Gesandtschaftsrecht und umfangreiche Vertragsschlußkompetenzen — entsprechen nach dem Verfassungstext beachtliche Zuständigkeiten i m akzessorisen Bereich der militärischen Auswärtigen Gewalt. Nach A r t . 60, 63 Abs. 1 und A r t . 66 setzt sich das Reichsheer aus von den Einzelstaaten 57
v. Seydel, A r t . 11, A n m . I V . ß® Haenel, S. 551; Laband, Staatsrecht I I I , S. 2; v. Seydel, a.a.O.; Huber, S. 933. » Haenel, S. 540 f. M Haenel, S. 540 u n d S. 557; Meyer-Anschütz, S. 263; v. Seydel, A r t . 11, A n m . V I ; weitere Nachweise bei Bernhardt, S. 107, A n m . 461. Vgl. hierzu das noch heute gültige Gesetz, betreffend die Organisation der Bundeskonsulate, aus der Zeit des Norddeutschen Bundes v o m 8.11.1867 i n der Fassung v o m 16.12.1950 i m BGBl. I S. 784. 62 E.R. Huber, S. 931; Gesamtdarstellung: Deuerlein, Der Bundesratsausschuß f ü r auswärtige Angelegenheiten, 1954.
§ 9. Bundesstaatliche Aspekte
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aufzustellenden selbständigen Kontingenten zusammen, bezüglich derer die Bundesfürsten als Kontingentsherren sämtliche Verwaltungsrechte, beschränkte Offiziersernennungsrechte und alle Ehrenrechte innehaben. Der m i t der Reichsgründung nach der Präambel angestrebte gemeinsame, wirksame Schutz des Bundesgebietes 63 ist garantiert durch das einheitliche, vom Bund ausgehende Gesetzgebungs- und Verordnungsrecht, durch einheitliche Organisation, Formation, Bewaffnung, Ausrüstung und Ausbildung und durch das durchgreifende kaiserliche Befehlsrecht i n Krieg und Frieden; die Kriegsmarine ist nach A r t . 53 überhaupt eine Einrichtung des Reichs. Angesichts der starken Abweichungen dieser Heeresverfassung gegenüber den reinen Kontingentssystemen des alten, 1806 zusammengebrochenen Reiches und des Deutschen Bundes, nach denen den Einzelstaaten bis zur i m Kriegsfall erfolgenden Übertragung der Befehlsgewalt auf einen gemeinsam bestellten Reichs- bzw. Bundesfeldherrn sämtliche Organisations- und Befehlsrechte hinsichtlich der von ihnen aufzustellenden Kontingente zustanden 64 , angesichts der umfassenden kaiserlichen Befehlsgewalt einerseits und der durch den Bund i n der beschriebenen Weise eingeengten militärischen Verwaltungshoheit der Einzelstaaten andererseits, blieb die von Laband vorgenommene Qualifizierung dieser Wehrverfassung als „System des Kontingentheeres" immer angefochten 65 . Unzweifelhaft ist, daß den Einzelstaaten nach der Reichs63
Z u r aus der N a t u r der Sache folgenden Zentralisierung der militärischen Auswärtigen Gewalt bei der Zentralinstanz als Konsequenz einer Konzentration der diplomatischen Auswärtigen Gewalt i n einem verbundenen Staatensystem vgl. noch einmal Laband, Staatsrecht I V , S. 1 f.: „Die völkerrechtliche Stellung des Reichs als politische Einheit wäre praktisch bedeutungslos ohne Zusammenfassung und einheitliche Organisation der i m Reiche vorhandenen Streitkräfte; die Willensakte des Reiches . . . i m internationalen Verkehr m i t auswärtigen Mächten . . . w ü r d e n der Energie u n d Würde entbehren, wenn das Reich nicht imstande wäre, denselben durch Entfaltung physischer K r a f t Nachdruck zu geben. A l l e Schriftsteller über das Wesen und die Einrichtungen des Bundesstaates waren von jeher darüber einig, daß so w i e die völkerrechtliche Vertretung u n d die Wahrnehmung der i n t e r nationalen Interessen so auch die Ordnung des Heerwesens u n d der Oberbefehl über die bewaffnete Macht zur Bundeskompetenz gehört. Auch die Reichsverfassung erkennt dieses Prinzip an, welches durch die N a t u r der Sache geboten ist, u n d sie sichert nach allen Richtungen die tatsächliche Durchführung desselben." 64 E. R. Huber, S. 992. 68 Laband, Staatsrecht I V , S. 3: „Es gibt k e i n Heer des Reiches, sondern n u r Kontingente der Einzelstaaten." Dagegen Haenel, S. 531: Hiernach steht denn die Militärhoheit i n Deutschland, vorbehaltlich der Sonderstellung Bayerns, ausschließlich, unter Verneinung jedes gleichartigen Rechtes der Einzelstaaten, dem Reiche zu. Die gesamte M i l i t ä r v e r w a l t u n g i m vollen Wortsinne ist, ungeachtet u n d i n Wahrung einzelner Rechte der Einzelstaaten auf eine bestimmte E i n w i r k u n g auf dieselbe, eigene u n d u n m i t t e l bare V e r w a l t u n g des Reiches." Überblicke über den Streit der Meinungen bei Laband, a.a.O., S. 5 ff., A n m . 1 u n d 2; v. Seydel, S. 310 ff.; E.R. Huber, S. 992. n*
164 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt Verfassung von 1871 beschränkte Zuständigkeiten i m akzessorischen Bereich der militärischen Auswärtigen Gewalt eingeräumt waren. Die Verfassungswirklichkeit erhielt aber dadurch ein völlig anderes Gesicht, daß bis auf Bayern, Württemberg und Sachsen alle Gliedstaaten durch sogenannte Militärkonventionen, die sie mit dem Reich abschlossen, ihre Kontingente mit dem preußischen Kontingent vereinigten und die ihnen als Kontingentsherrlichkeit zustehenden militärischen Hoheitsrechte auf den Bundesfeldherrn übertrugen 6 6 . K r a f t der Identität zwischen dem preußischen König als Kontingentsherrn und dem Kaiser als obersten Befehlsträger ging das preußische Kontingent m i t den i h m eingegliederten Truppenteilen von 22 Einzelstaaten i m — damit weitgehend einheitlichen — Reichsheer auf 6 7 . Auf die Sonderstellung Bayerns und Württembergs i m Wehrsystem der Reichsverfassung w i r d ausdrücklich i n der Schlußbestimmung zum X I . Abschnitt über das Reichskriegswesen Bezug genommen. Die diesen Staaten durch die i n der bezeichneten Bestimmung genannten völkerrechtlichen, dem Beitritt zum Bunde vorausgehenden Verträge eingeräumten Rechte können — wie A r t . 78 Abs. 2 ausdrücklich erwähnt — nicht i m Wege der Reichsgesetzgebung, der Verfassungsänderung geändert oder beseitigt werden; es sind echte Reservatrechte, staatenbündische Elemente, die den durch die Reichsverfassung von 1871 konstituierten Staat nicht als reinen Bundesstaat, i m Sinne strenger Begrifflichkeit vielmehr als unechten Bundesstaat erscheinen lassen 68 . Bayern hatte nach Abschnitt I I I § 5 Absatz I I Ziffern I — I V des Vertrages, betreffend den Beitritt zur Verfassung des Norddeutschen Bundes, vom 23. November 1870 „alle Rechte der Militärhoheit unbeschränkt, vorbehaltlich des kaiserlichen Oberbefehls i m Kriege" 6 9 . Die Sonderrechte Württembergs nach der Militärkonvention vom 21./25. November 1870 gingen nur unwesentlich über die Regelungen der Reichsverfassimg hinaus; sein Kontingent bliebt kraft kaiserlicher Befehlsgewalt und der Verbindlichkeit des Reichsmilitärrechts und der Reichsmilitärorganisation integriert i m Gesamtsystem w Laband, Staatsrecht I V , 8 f.; E. R. Huber, S. 996 ff. m i t Nachweis der einzelnen Konventionen auf S. 997. 67 E. R. Huber, S. 998. — Z u den historischen Gründen für die Entwicklung einer so komplexen S t r u k t u r der Wehrorganisation, zu dem starken Widerspruch des Verfassungstextes zu der diesen i m unitarischen Sinn w e i t überholenden Verfassungspraxis vgl. Laband, Staatsrecht I V , S. 2 ff. u. S. 10 ff., der die Verfassung als bewunderungswürdigen Kompromiß zwischen den militärischen Bedürfnissen der Zeit u n d den politischen Gegebenheiten, das Gesamtsystem als eins der eigentümlichsten und sonderbarsten Gebilde des öffentlichen Rechts (S. 2), zugleich als juristisches K u n s t w e r k (S. 11) feiert. 68 Kunz, S. 632; Berber, Lehrbuch I, S. 144. « 9 So v. Seydel, A r t . 66, A n m . I V .
165
§ 9. Bundesstaatliche Aspekte
des Reichsheeres 70. Dasselbe gilt für Sachsen, dessen Sonderstellung auf der als Ubergangsregelung geschlossenen Militärkonvention vom 7. Februar 1867 beruhte und i n der Praxis des Kaiserreichs aufrecht erhalten wurde, obwohl ein solches Vorrecht weder völkerrechtlich fortbestand noch i n der Reichsverfassung verankert w a r 7 1 . 2. Weimarer
Verfassung vom
11.8.1919
a) Zur diplomatischen Auswärtigen Gewalt des Bundes siehe: A r t . 78 Abs. 1 A r t . 45 A r t . 6 Nr. 1 Art. 35 A r t . 122 Abs. 2 b) Zur diplomatischen Auswärtigen Gewalt der Gliedstaaten siehe: A r t . 78 Abs. 2—4 c) Zur militärischen Auswärtigen Gewalt des Bundes siehe: Art. Art. Art. Art. Art.
79 46 47 6 Nr. 4 7 Nr. 19
d) Zur militärischen Auswärtigen Gewalt der Gliedstaaten siehe: e) Anmerkungen: Durch Art. 78 Abs. 1 W V und A r t . 79 S. 1 W V werden i m Gegensatz zu den Regelungen i n der Reichsverfassung von 1871 die diplomatische Auswärtige Gewalt und die militärische Auswärtige Gewalt ausdrücklich, i n umfassender, die Länder ausschließender Weise für das Reich i n Anspruch genommen. Die beiden A r t i k e l vollenden je für ihren Teilbereich die i n der Verfassungspraxis des Kaiserreiches angebahnte Entwicklung zur völligen Konzentration der Auswärtigen Gewalt beim Zentralstaat, insbesondere durch die Abschaffung des jus legationis der Länder, des Systems des Kontingentheeres und der militärischen Reservatrechte der Länder Bayern und Württemberg. Die systematische Zusammenordnung dieser Zuständigkeitsgeneralklauseln wie auch die der weiteren Regelungen, 70 E. R. Huber, S. 999. 71 Laband, Staatsrecht I V , S. 31 f.; Huber,
a.a.O., m i t A n m . 19.
166 3. Kap.: Verhältnis der Begriffe Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt die die intra governmental division of powers betreffen, vor allem aber die vollinhaltliche Ubereinstimmung all dieser Bestimmungen erweist, daß die Wehrhoheit i n der Weimarer Verfassung nicht als ein selbständiger, von der diplomatischen Auswärtigen Gewalt abzusondernder Zuständigkeitsbereich konzipiert ist. Entsprechend hat auch der überwiegende Teil der Staatsrechtslehrer die Auswärtige Gewalt nach der Weimarer Verfassung als einen einheitlichen, alle auswärtigen Funktionen umfassenden Zuständigkeitsbereich verstanden 72 . So vorbildlich klar A r t . 78 Abs. 1 und A r t . 79 S. 1 W V als Generalzuständigkeitsregelungen für den Bereich auswärtiger Staatsfunktionen sind, ihre systematische Stellung ist falsch; sie hätten als Grundsatznormen i m Rahmen der inter governmental division of powers i n den ersten Abschnitt der Weimarer Verfassung „Reich und Länder" gehört 7 3 . A u f der anderen Seite hätte es i m sechsten Abschnitt „Reichsverwaltung" einer ausdrücklichen Einsetzung einer Reichsverwaltung für Auswärtige und Verteidigungsangelegenheiten bedurft, da i m gewaltenteilenden Rechtsstaat grundsätzlich die Zuständigkeiten den einzelnen Organen der Gesetzgebung, der Verwaltung bzw. Regierung und Rechtsprechung zugewiesen werden und die materiellen Funktionsgeneralklauseln als Grundsatzregelungen und Auslegungsregeln nur die Aufgabe haben, die Entscheidung über zweifelhafte Kompetenzen, wie sie sich besonders i m Bereich der von den sonstigen Staatsfunktionen grundlegend verschiedenen auswärtigen Angelegenheiten ergeben können, zu erleichtern. Der Grundsatz der Alleinzuständigkeit des Reiches für die Verteidigungsangelegenheiten ist durch keinerlei Ausnahmebestimmungen eingeschränkt. A r t . 79 S. 2 WV, der eine Berücksichtigung der besonderen landsmannschaftlichen Eigenarten i n der durch Reichsgesetz auszugestaltenden Wehrverfassung des deutschen Volkes vorsieht, ist ein Programmsatz und begründet keine Rechtsposition der Gliedstaaten. I m Bereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt ist durch A r t . 78 Abs. 2 W V eine auf ihre Gesetzgebungskompetenz bezogene Vertragsschließungskompetenz der Länder begründet, wobei die führende Stellung des Reiches bei der Gestaltung der auswärtigen Angelegenheiten durch die Möglichkeit gesichert ist, die erforderte Zustimmung zu verweigern. Für den internen akzessorischen Willensbildungsbereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt ist ferner die Zustimmung 72
73
Siehe dazu oben § 6, Abschn. 3, m i t Nachweisen. Siehe hierzu und zum folgenden Anschütz, Art. 79, Anm. 2.
§ 9. Bundesstaatliche Aspekte
167
der Länder für die sie betreffenden Veränderungen der Staatsgrenze vorgesehen, wie auch die Herbeiführung der erforderlichen Einrichtungen und Maßnahmen zur Wahrung sonstiger spezieller, durch Maßnahmen der diplomatischen Auswärtigen Gewalt des Reiches berührter Interessen. I m übrigen sind die Länder von jeder Teilnahme an der Ausübung der Auswärtigen Gewalt ausgeschlossen74.
74 Fleischmann, HdbDStR, Bd. I, S. 210.
Viertes
Kapitel
Wehrhoheit als Teil der Auswärtigen Gewalt im bundesstaatlichen Kompetenzsystem des Grundgesetzes § 10. Auslegung des Artikels 32 Absatz 1 des Grundgesetzes Durch die Untersuchung der allgemeinen, rechtlichen, rechtshistorischen, logischen und faktischen Zusammenhänge zwischen Wehrhoheit und Auswärtiger Gewalt i m vorhergehenden Kapitel ist der Weg eröffnet für eine fundierte Auslegung des Artikels 32 Abs. 1 GG i n Hinblick auf die von Berber 1 aufgeworfene und m i t dieser Arbeit verfolgte Fragestellung, ob nicht die Wehrhoheit nach dem Grundgesetz Teil der Auswärtigen Gewalt des Bundes ist, gesetzestechnisch: ob der Zuständigkeitsbegriff der Wehrhoheit unter die Kompetenzregelung des A r t . 32 Abs. 1 GG zu subsumieren ist. Die Durchführung der Auslegung gliedert sich nach den vier Hauptmethoden juristischer Hermeneutik 2 i n I. die Wortauslegung und grammatische Interpretation, I I . die logisch-systematische Auslegung, I I I . die objektivteleologische Auslegung und IV. die historische Auslegung. Die Wortauslegung und die systematische Auslegung erfolgen wie die teleologische Auslegung unter objektiven Gesichtspunkten; der subjektiven, historischen Auslegung ist nur subsidiäre Bedeutung beizumessen. I m Streit u m den Vorrang zwischen subjektiver und objektiver Gesetzesauslegung ist die objektive Theorie i n allen Rechtsbereichen i m Vordringen begriffen 3 ; für die Verfassungsauslegung ist sie völlig vorherrschend 4 . Das Bundesverfassungsgericht sagt zur Methodenfrage 5 : „Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der i n dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und 1 Siehe Berber , Polizei (Vortrag), S. 117 f. (zit. oben, Einleitung, Abschn. 1, Abs. 3).
2
Engisch , S. 77, mit weiteren Nachweisen in Anm. 72. 3 Engisch , S. 89. 4 Maunz, S. 48 f. ß BVerfGE, Bd. 1, S. 312.
§ 10 Auslegung des Artikel 32 Absatz 1 des Grundgesetzes
169
dem Sinnzusammenhang ergibt, i n den diese hineingestellt ist. Nicht entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung. Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt für deren Auslegung nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den angegebenen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können 6 ." I. Wortauslegung Durch den Satz des A r t . 32 Abs. 1 GG „Die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten ist Sache des Bundes" w i r d dem Bund die Auswärtige Gewalt, die Zuständigkeit zur Gestaltung aller Beziehungen zu fremden Staaten bzw. Völkerrechtssubjekten 7 , zugewiesen 8 . I n dieser auswärtigen Zuständigkeit des Bundes ist das Recht über Krieg und Frieden, die Entscheidung zur Gewaltanwendung gegenüber dritten Staaten und das Recht selbst zur Anwendung solcher Gewalt mitinbegriffen 9 . Diese Feststellung widerstreitet zwar dem naiven Wortverständnis, das bei dem Begriff „Pflege" Samariterdienste assoziiert, jedoch es ist bei der Wortauslegung der volle Sinn der befragten Ausdrücke zu entwickeln unter Berücksichtigung eines eventuellen spezifischen juristischen Sprachgebrauchs 10 , und bei solchem Vorgehen zeigt sich, daß die oben angegebene Auslegung sich nicht einmal aus dem Kernbereich 1 1 der in Art. 32 Abs. 1 GG verwendeten Begriffe hinaus bewegt. 1. Das Wort „Pflege " Das Wort „pflegen,, geht auf das althochdeutsche Wort „plegan" zurück, das nicht nur den speziellen Sinn „behüten" hatte, sondern « Vgl. auch Peter Schneider , W D S t R L , Heft 20, S. 46 (Leitsatz), zur Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts: „Es r ä u m t der grammatikalischen, logischen, systematischen, teleologischen, am Gesetzestext orientierten Methode den Vorrang ein u n d läßt den Materialien n u r dann entscheidende Bedeutung zukommen, wenn die Interpretation nach den v o r genannten Methoden keine eindeutige Entscheidung zuläßt u n d der Rückgriff auf die Materialien zu keinem absurden Ergebnis führt." 7 Siehe oben, §3. 8 Siehe oben, §4. 9 Siehe oben, insbesondere § 5 u. § 6 i.V.m. § 1 u. § 3.
i« Larenz, S. 242 f. 11 Z u der Unterscheidung zwischen begrifflichem Kernbereich u n d Randbereich siehe Larenz, S. 242.
170
4. Kap.: Wehrhoheit als Teil der Auswärtigen Gewalt
auch u. a. „sorgen für etwas", „sich annehmen", „betreiben" bedeutete 12 . Letztere Bedeutungsrichtung dominierte i n dem mittelhochdeutsch abgewandelten „pflegen", das so viel wie „verantwortlich sein" und „einstehen für" meinte 1 3 . I n diesem Sinn liest sich „Pflege" i n dem A r t . 32 Abs. 1 GG wie folgt: Für die Beziehungen zu auswärtigen Staaten ist der Bund verantwortlich, er hat für sie einzustehen. Bei solcher Lesart w i r d besonders deutlich, daß die Kompetenzzuweisung nicht nur ein Recht, sondern auch eine Verpflichtung bedeutet, zwar keine Verpflichtung zu inhaltlich bestimmten Verhalten, aber doch eine solche zu verantwortlichem Tun. Der Bund muß — hiermit werden sinngleiche Formulierungen aus ausländischen Verfassungen zitiert — i m Guten wie i m Bösen „Beziehungen zu auswärtigen Staaten unterhalten" 1*, „Außenpolitik führen" 15. A m zutreffendsten w i r d nach meiner Ansicht das Wort „Pflege" zu seiner Sinnausdeutung und Entfaltung durch das Wort „Gestaltung" ersetzt bzw. damit umschrieben; i n diesem Wort kommt i n gleicher Weise das konstruktive Element zum Ausdruck, das das Wort „Pflege" unzweifelhaft enthält, wie auch die Freiheit des Handelns, die dem Bund mit der Zuständigkeit für die Pflege auswärtiger Angelegenheiten gewährt ist; daher wurde auch oben „Auswärtige Gewalt" als der Teilbereich der Staatsgewalt definiert, der der Gestaltung der Beziehung zu anderen Völkerrechtssubjekten gewidmet ist 1 6 .
2. Pflege der „Beziehungen
zu auswärtigen
Staaten"
Das volle Verständnis des Wortes „Pflege" i n A r t . 32 Abs. 1 GG, das weit über die karitativen und kultivatorischen Aspekte hinausgeht, w i r d erst ermöglicht, wenn man es auf sein Objekt bezieht, die Beziehungen zu auswärtigen Staaten. Es ergibt sich aus der gegenwärtig vorfindlichen Struktur der internationalen Beziehungen, daß die Zuständigkeit eines staatlichen Machtträgers zu ihrer „Pflege" nicht gleichbedeutend sein kann m i t der Aufgabe, dem Recht und der Pflicht, mit allen Staaten sich ins freundschaftlichste Benehmen zu setzen. Ein solcher Auftrag wäre nur sinnvoll denkbar, wenn sich die Beziehungen zu den einzelnen fremden Staaten isoliert voneinander entwickeln ließen. I n Wirklichkeit bilden die Beziehungen aller 12 Kluge, Ethymologisches Wörterbuch, is Kluge, a.a.O. 14 Brasilianische Verfassung v o m 24.9.1946, A r t . 5: "The U n i o n shall have power: I. To maintain relations w i t h foreign states: . . . (Zitat nach Peaslee). is Verfassung von Venezuela v o m 11.4.1953, A r t . 108, lit. b Nr. 9: „ T o conduct the foreign relations . . ( Z i t a t nach Peaslee). i« Siehe oben, §3.
§10 Auslegung des Artikel 32 Absatz 1 des Grundgesetzes
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Staaten untereinander ein vielfach verschlungenes Geflecht, i n dem die an einem Fädchen wirkende Kraft das ganze Gewebe i n eine andere Lage versetzt — ein hochkompliziertes Interdependenzsystem. Die internationalen Beziehungen sind durch starke ideologische Rivalitäten, echte und eingebildete Interessengegensätze, Reminiszenzen belastet, die offene und latente, auf verschiedenen Ebenen widersprüchliche Gruppenbildungen, Sympathien und Antipathien bedingen 17 . Der Versuch eines Staates, sich i n diesen Spannungsfeldern neutral zu halten bzw., ohne die bestehenden Gegensätze zu berücksichtigen, mit jedem anderen Staat i n guter Partnerschaft zu leben, wäre vielen Mißdeutungen ausgesetzt und könnte leicht die Gefahr heraufführen, sich zum Feinde aller zu machen. Es gibt zahlreiche Situationen, i n denen die internationalen Verhältnisse den Führern der staatlichen Außenpolitik starke gestalterische Entscheidungen abverlangen. Das betonte Einvernehmen m i t einem Staat oder einer Staatengruppe, Parteinahme und Bündnis werden unweigerlich die Animositäten anderer Staaten und Staatengruppen bedingen. Trotzdem können solche Schritte wesentlich konstruktivere Beiträge für die gesamte internationale Situation sein als bloßes Stillhalten und schwächliche Anbiederungsversuche in alle Richtungen. Die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten, wenn sie ihren Gegenstand, d.h. den Gesamtkomplex internationaler Beziehungen, ernst nimmt, w i r d häufig — nach dem Grundsatz: obsta principiis — darin bestehen, politischen Zumutungen, unmäßigen Forderungen und Drohungen politischer Opponenten, aber auch eigener Bündnispartner, m i t Entschiedenheit entgegenzutreten, berechtigte und billige Ansprüche, gleich von welcher Seite sie erhoben werden, m i t Bestimmtheit zu unterstützen und auf diese Weise von verschiedensten Seiten Widerspruch, Gegnerschaft und Feindschaft, ja unter Umständen Gewaltanwendung zu riskieren, die Notwendigkeit eines Verteidigungskrieges auf sich zu nehmen. Daß ein Krieg nicht als eine Unterbrechung der internationalen Beziehungen betrachtet werden kann — schon rein äußerlich stellt er doch die denkbar heftigste Begegnung der i n widerstreitenden Interessen befangenen Staaten dar —, wurde oben ausführlich i n dem Kapitel über „Faktische Aspekte zum Verhältnis von diplomatischer Auswärtiger Gewalt und militärischer Auswärtiger Gewalt" dargelegt 18 . Es sei an dieser Stelle noch einmal Aron zitiert: „Die internationalen Beziehungen, soweit sie zwischenstaatlich sind, lassen sich auf die Diplomatie und den Krieg zurückführen ... Die zwischenstaatlichen 17
VgL hierzu u n d zum folgenden §5, Abschn. I, m i t A n m . 2. iB Siehe §9.
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Beziehungen entfalten sich erst i m Schatten des Krieges oder, um einen genaueren Ausdruck zu gebrauchen, die Beziehungen zwischen den Staaten bergen ihrem Wesen nach die Alternative von Krieg und Frieden i n sich 19 ." Soll der Krieg sich nicht in rein sinnlose Zerstörung pervertieren, so muß er als Konsequenz des vorangegangenen politischen Geschehens begriffen werden und i n seiner Durchführung muß das politische Ziel der Wiederherstellung ausgewogener internationaler Beziehungen i m Blick behalten werden 2 0 . Aron: „Die Vernunft gebietet, trotz des Schlachtenlärms an den Frieden zu d e n k e n . . . Der Verkehr zwischen den Nationen geht weiter, Diplomatie und Krieg sind nur einander ergänzende, einander wechselweise beherrschende Modalitäten, ohne daß die eine gänzlich zum Vorteil der anderen verschwindet.. . 2 1 " Die Pflege der auswärtigen Beziehungen, die Bemühung um eine konstruktive Außenpolitik setzt sich i m Krieg und mit dem Krieg fort, ohne diese Bemühung und dieses Ziel, ohne die Instrumentalisierung der Gewalt für die Zwecke der Außenpolitik ist ihre Anwendung von vornherein ein völlig sinnloses Geschehen. Eine Auslegung des A r t . 32 Abs. 1 GG, die unter „Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten" ausschließlich die Wahrnehmung friedlicher, diplomatischer Beziehungen begreift, ist schon durch den möglichen Sinn des Wortlauts nicht gedeckt; sie erscheint als der Versuch, eine durch eine unterstelltermaßen zu weite Gesetzesformulierung entstandene Regelungslücke 22 i m Wege der teleologischen Reduktion, durch Einschränkung des eigentlichen Wortsinns, zu schließen 23 . Eine solche über die Auslegung des Grundgesetzes hinausgehende Rechtsfortbildung würde aber den Nachweis voraussetzen, daß die dem Grundgesetz innewohnende Teleologie zwingend erfordert, daß die Regelung des Art. 32 Abs. 1 GG nur auf die friedlichen diplomatischen Beziehungen zum Ausland, nicht aber auf militärische Konflikte angewendet w i r d ; diesen Beweis zu führen, ist aber nie versucht worden 2 4 , und die objektiv-teleologische Auslegung ergibt genau das Gegenteil 25 . Das Wort „Pflege" — ohne Bezug auf 19
Aron, S. 14. Die ausführliche Darstellung dieser grundlegenden u n d universal anerkannten Clausewitz-These vgl. oben, § 8. 2 * Aron, S. 56. 22 Z u m Begriff der Regelungslücke siehe Larenz, S. 280f.; zum Begriff der verdeckten Lücke vgl. a.a.O., S. 296. 23 Z u m Verfahren der teleologischen Reduktion siehe Larenz, S. 296 ff. 24 Z u r herrschenden Auslegung des A r t . 32, Abs. 1 vgl. oben, § 4, Abschn. III. 25 Z u r objektiv-teleologischen Auslegung siehe unten, Abschn. I I u. I I I . 29
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sein eben nicht pflegebedürftiges und i n diesem Sinn nicht einmal pflegefähiges Objekt, die internationalen Beziehungen 26 — i n seiner engsten Bedeutung, der des „Behütens" 2 7 zu nehmen und so als inhaltliche Beschränkung der Auswärtigen Gewalt auf die „friedliche Bewahrung" der auswärtigen Beziehungen zu verstehen, widerspricht auch der systematischen Bedeutung des A r t . 32 Abs. 1 GG 2 8 .
3. Wertung
des Auslegungsergebnisses
Das Ergebnis der Wortauslegung, der grammatischen Auslegung ist, daß sowohl die diplomatische Auswärtige Gewalt als auch die militärische Auswärtige Gewalt durch A r t . 32 Abs. 1 GG dem Bund zugewiesen sind; sie bilden zusammen einen einheitlichen, sinnvoll als Auswärtige Gewalt zu bezeichnenden Zuständigkeitsbereich 29 . Diese Auslegung liegt i m Kernbereich des Bedeutungsinhalts der interpretierten Bestimmung. I m Randbereich des Wortsinns würde sich eine Auslegung befinden, die über die unmittelbare Gestaltung der auswärtigen Beziehungen m i t friedlichen und gewaltsamen M i t t e l n hinaus auch jeden innerstaatlichen Vorgang, der geeignet ist, die auswärtigen Beziehungen mittelbar faktisch zu beeinflussen, als durch A r t . 32 Abs. 1 GG erfaßt betrachtet. Da das hier gewonnene Ergebnis der Wortauslegung i m Kernbereich der Sinnbedeutung des A r t . 32 Abs. 1 GG liegt und damit als eindeutig gesichert erscheint und für Zweifel keinen Raum läßt, erübrigt sich an sich die Heranziehung weiterer Interpretationsmethoden. Weil jedoch die gesamte i n dieser Arbeit i n Anlehnung an Berber 3 0 entwickelte Blickrichtung neu ist, das Ergebnis der Wortauslegung gegenüber dem herkömmlichen Verständnis des Art. 32 Abs. 1 GG als „weit" erscheint und sich daher möglicherweise zu einzelnen der hier vollzogenen Gedankenschritte Widerspruch erheben wird, sollen die weiteren Grundmethoden juristischer Auslegung zur Bestätigung und Untermauerung des i n der Wortauslegung erzielten Ergebnisses herangezogen werden. Allerdings besteht angesichts der tatsächlich sehr weiten Wortfassung des A r t . 32 Abs. 1 GG kein Bedürfnis und keine Möglichkeit, die Wehrhoheit des Bundes über die einfache Gesetzesauslegung hinausgehend i m Wege der offenen Rechtsfortbildung durch Lückenausfüllung 31 — Ge26 Oben, § 10, Abschn. 1,2 am Anfang. Oben, § 10, Abschn. 1,1 am Anfang. 28 Siehe unten, Abschn. I I , 3. 29 Z u dieser Terminologie vgl. oben, § 5, Abschn. I I . 30 Siehe dazu oben, Einleitung, Abschn. 1, Abs. 3. 31 Z u diesem Verfahren siehe Larenz , S. 273 ff. 27
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setzesanalogie zu der Regelung über die diplomatische Auswärtige Gewalt oder Rechtsanalogie zu den Regelungen über den akzessorischen Bereich der militärischen Auswärtigen Gewalt 3 2 — oder gar i m Wege der Rechtsumbildung unter Berufung auf ein unabweisbares Bedürfnis oder die Natur der Sache33 zu begründen. A r t . 32 Abs. 1 GG ist der bestimmte Ort i m Grundgesetz, i n dem die militärische Auswärtige Gewalt des Bundes als Teil seiner Auswärtigen Gewalt ihre Verankerung gefunden hat.
n . Systematische Auslegung 1. Art. 30 und Art. 32 Abs.l
GG
Die durch das Grundgesetz geschaffene bundesstaatliche Ordnung ist durch das Bestreben gekennzeichnet, zur Vermeidung von Verfassungskonflikten, die sich aus föderalen Zuständigkeitsstreitigkeiten ergeben könnten, ein unbedingt lückenloses Kompetenzverteilungssystem darzubieten. Z u diesem Zweck sind den ausführlichen Spezialkatalogen für die drei Bereiche des klassischen Gewaltenteilungssystems mit den A r t i k e l n 70, 83 und 92 34 Zuständigkeitsgeneralklauseln vorangestellt. Durch A r t . 30, der für den Fall einer Regelungslücke die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben zur Ländersache erklärt und mit dieser generellen Regelung die Grenzlinien der formalen Gewaltenteilung überschreitet, w i r d das grundsätzliche System der Zuständigkeitsgeneralklauseln zur Vermeidung von Kompetenzlücken scheinbar gekrönt. Neben A r t . 30 GG steht jedoch i n dem gleichen zweiten Grundgesetzabschnitt über Bund und Länder der A r t . 32 Abs. 1 GG, der gleichfalls ohne Bezugnahme auf das formelle Gewaltenteilungssystem die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten generell zur Bundesangelegenheit erklärt und damit nach h.M. 3 5 als primäre Zuständigkeitsspezialklausel für seinen Geltungsbereich die Regelung der subsidiären Zuständigkeitsgeneralklausel des Art. 30 derogiert. Der Bund ist für die Gestaltung aller auswärtigen Beziehungen zuständig, soweit das Grundgesetz keine andere Regelung t r i f f t oder zuläßt. Den Gel82 Vgl. die Darstellung solcher Versuche u n d ihre erste K r i t i k oben, §2, Abschn. I V u. V. 33 Z u diesen Interpretationsgesichtspunkten siehe Larenz, S. 305 ff. 34 Die enumerative Aufzählung der Bundesgerichte i n A r t . 92 k o m m t einer Beschränkung der Bundeszuständigkeit zugunsten einer Generalkompetenz der Länder gleich. 85 siehe oben, § 4, Abschn. I I I , 2.
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tungsbereich dieser Bestimmung allein i n dem Handlungsbereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt zu erblicken, wie es herkömmlicherweise bei ihrer Auslegung geschieht, erscheint auch unter systematischen Gesichtspunkten als willkürliche Verengung der gesetzlichen Regelung. Durch Art. 32 Abs. 1 GG w i r d die Einheit der staatlichen Außenpolitik garantiert. Das Grundgesetz schließt mit Rücksicht auf eine kraftvolle, durch Widersprüche und interne Differenzen nicht gelähmte Wahrnehmung der auswärtigen Interessen für den Bereich der Gestaltung der Beziehungen zu auswärtigen Staaten die Geltung der die Länder berechtigenden subsidiären Zuständigkeitsgeneralklausel des Art. 30 aus und ersetzt sie durch die generelle Zuständigkeitsspezialklausel des A r t . 32 Abs. 1. Die auswärtigen Angelegenheiten haben wegen ihrer grundlegenden Verschiedenheit von den innerstaatlichen Angelegenheiten eine Sonderstellung i n der Verfassung der Bundesrepublik erhalten. Z u den Angelegenheiten m i t unmittelbarem Bezug auf auswärtige Staaten gehört aber i n gleicher Weise wie die diplomatische Auswärtige Gewalt auch die militärische Auswärtige Gewalt, die Gewaltanwendung gegen andere Staaten. Es wäre ein offensichtlicher Sprung i m System des Grundgesetzes — eine konträre Behandlung sachlich zusammengehöriger Erscheinungen — wenn für diesen Bereich, der um der Effektivität und sinnvollen Ausübung w i l l e n genau wie der Bereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt einer äußersten Konzentration der Befugnisse i n der Hand des Zentralstaates bedarf, i n Abweichung von A r t . 32 Abs. 1 die generelle, subsidiäre Zuständigkeitsgeneralklausel des A r t . 30 Geltung haben würde mit der Folge, daß alle i n den nachfolgenden Grundgesetzabschnitten nicht eindeutig dem Bund zugewiesenen Einzelzuständigkeiten auf den Gebieten der Gesetzgebung, der Regierung, Verwaltung und der Rechtsprechung den Ländern zustehen würden. Bei der teleologischen Auslegung w i r d erneut auf den oben nachgewiesenen engen Zusammenhang zwischen diplomatischer Auswärtiger Gewalt und militärischer Auswärtiger Gewalt 8 6 ihre rechtsfinal kaum aufzulösende Kontingenz, ihre wesensmäßige Einheit hinzuweisen sein, für die Zwecke der systematischen Auslegung genügt es zu wiederholen, daß beide Begriffe durch die unmittelbar gestaltende Einwirkung auf die Beziehungen zu auswärtigen Staaten definiert sind 3 7 . Für die gestaltende Einwirkung auf die auswärtigen Beziehungen aber gilt, gleichgültig mit welchen Mitteln sie erfolgt, mit denen friedlicher Diplomatie oder denen militärischer Gewalt, die Zuständig36 37
Oben, § 7 u. § 8. Siehe oben, § 1, Abschn. I I , § 3 u. § 6.
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keitsregelung des A r t . 32 Abs. 1 GG. Die weite Formulierung „Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten" erfaßt alle auswärtigen Beziehungen, i m Guten wie i m Bösen. Es würde eine gewaltsame Aufsprengung des durch A r t . 32 Abs. 1 GG gestifteten, vernünftigen rechtlichen Zusammenhanges bedeuten, wollte man einseitig nur die diplomatische Auswärtige Gewalt unter diese Vorschrift subsumieren und damit eine Behauptung des prinzipiellen Vorrangs des Bundes für den Bereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt gleichzeitig i m Bereich der militärischen Auswärtigen Gewalt den Ländern für jeden Zweifelsfall die Vorrangigkeit zugestehen. Richtigerweise gilt für die Wehrhoheit wie für die diplomatische Auswärtige Gewalt aufgrund des Art. 32 Abs. 1 GG, daß, sofern nicht den Ländern ausdrücklich Einzelkompetenzen zugewiesen sind, der Bund die auf diesen Bereichen sich ergebenden Aufgaben zu erfüllen hat und die dazu erforderlichen Befugnisse besitzt.
2. Innere und auswärtige Angelegenheiten — Die Zweispurigkeit des grundgesetzlichen Systems der Zuständigkeitsgeneralklauseln zur Vermeidung von Kompetenzlücken Dieses Ergebnis systematischer Überlegungen würde zu seiner Begründung kaum einiger Worte bedürfen, wenn die grundlegende Unterscheidung des Grundgesetzes zwischen innerstaatlichen Angelegenheiten und auswärtigen Angelegenheiten i n der herkömmlichen Auslegung der einschlägigen Bestimmungen schon ihren Platz gefunden hätte; die wirkliche Natur der Sonderstellung, die die Auswärtige Gewalt erhalten hat, ist jedoch bei der traditionellen Interpretation der A r t . 30 und 32 Abs. 1 GG noch nicht vollauf erfaßt worden. Erst Kölble hat i n jüngerer Zeit i n einer Fußnote den Gedanken geäußert, daß — richtig verstanden — Art. 30 GG von vornherein nicht auf die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten anzuwenden sei 38 . Diese Ansicht erscheint als der entscheidende Ansatzpunkt für ein vollständigeres und zutreffenderes Verständnis des grundgesetzlichen Systems der Zuständigkeitsgeneralklausel zur Vermeidung von Kompetenzlücken. Wie oben dargestellt, sind Bund und Ländern Einzelzuständigkeiten unter Beachtung des dreiteiligen Gewaltenunterscheidungsschemas i n verschiedenen Kompetenzkatalogen und Einzelbestimmungen 39 zugewiesen worden. I n dem Grundgesetzabschnitt über Bund und Länder sind nur zwei, jedoch grundlegende Zuständigkeitsgeneralklauseln enthalten, die A r t . 30 und 32, die nach ihrem Inhalt 38 39
Kölble, Auslandsbeziehungen der Länder? D Ö V 1965, S. 145 ff. Anm. 6. Als Einzelbestimmungen vgl. A r t . 105 u. A r t . 108 GG.
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die Grenzen der formellen Gewaltenteilung überschreiten. Diese beiden Bestimmungen i n ihrer generellen Fassung haben die Funktion, alle begründeten Zweifel über die Kompetenzverteilung nach dem Grundgesetz zu bereinigen, sich etwa offenbarende Lücken zu schließen. Das Kompetenzsystem des Bundes gipfelt nicht i n einer, sondern i n zwei nebeneinader stehenden Generalklauseln, die je für einen völlig anderen Bereich der materiellen Staatsgewalt gelten und eine sehr unterschiedliche Wirkungsweise enthalten. Art. 30 GG gilt — wie sich aus der Gegenüberstellung zu A r t . 32 GG ergibt — allein und umfassend für den Bereich der innerstaatlichen Gewaltausübung. Hier bewirkt er als subsidiäre Zuständigkeitsgeneralklausel, daß alle Lücken i n den Zuständigkeitsspezialregelungen des Grundgesetzes zugunsten der Länder zu schließen sind. Trotz des so begründeten prinzipiellen Vorranges der Länder für die inneren Angelegenheiten liegt aber nach den ausführlichen Kompetenzspezialklauseln des Grundgesetzes das Schwergewicht der staatlichen Gewalt doch beim Bund 4 0 . Art. 32 Abs. 1 GG gilt allein und umfassend für den Bereich der Ausübung staatlicher Gewalt i n unmittelbarem Bezug auf fremde Völkerrechtssubjekte, insbesondere auswärtige Staaten. Hier bewirkt er als primäre Zuständigkeitsgeneralklausel den völligen Ausschluß der Länder von den bezeichneten Staatsfunktionen, soweit das Grundgesetz nicht durch Spezialklauseln eindeutig und immißverständlich etwas anderes bestimmt; jeder Zweifel geht i n diesem Bereich zu Lasten der Länder. Dieser so begründete Vorrang des Bundes ist durch die einzelnen vorhandenen Ausnahmeregelungen zugunsten der Länder nicht ausgehöhlt. Die herkömmliche Anschauung betrachtet Art. 32 Abs. 1 GG nicht als Zuständigkeitsgeneral- sondern als Zuständigkeitsspezialklausel, als lex specialis gegenüber der Regelung des A r t . 30 GG. Dagegen ist einzuwenden, daß alle sonstigen Spezialzuständigkeitszuweisungen — diese i n der Tat leges speciales gegenüber Art. 30 GG — nicht i m zweiten Grundgesetzabschnitt ihren Platz und nicht eine über das Gewaltenteilungssystem sich erhebende allgemeine Formulierung gefunden haben; sie erscheinen vielmehr alle versammelt i n den nachfolgenden Grundgesetzabschnitten über die Gesetzgebung, die Verwaltung, die Rechtsprechung und das Finanzwesen. Sollte A r t . 32 Abs. 1 GG, die den Bund berechtigende und verpflichtende Zuständigkeitsregelung für den Bereich der nach außen gewendeten Hoheitsrechte, wirklich dem A r t . 30 GG, der die Länder berechtigenden und verpflichtenden subsidiären Zuständigkeitsgeneralklausel, untergeordnet sein, so wäre es naheliegend gewesen, diese Bestimmung nach dem 40
Hesse, Der „unitarische" Bundesstaat, S. 14 ff.
12 Sachau
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Vorbild der Weimarer Verfassung i n den Abschnitt über die Bundesverwaltung oder auch über die Bundesregierung aufzunehmen, wobei A r t . 73 Ziff. 1 GG für den Gesetzgebungsbereich die erforderliche Ergänzung gebildet hätte. Auch die Tatsache, daß die herrschende Meinung, die den A r t . 30 GG auf den Gesamtbereich staatlicher Tätigkeit ausdehnt und A r t . 32 Abs. 1 GG als Ausnahme und Spezialregelung versteht, folgerichtig, aber schwerfällig und umständlich A r t . 32 Abs. 3 GG als doppelte Ausnahme begreifen muß — A r t . 32 Abs. 1 als Ausnahme gegenüber A r t . 30, A r t . 32 Abs. 3 als Ausnahme gegenüber A r t . 32 Abs. 1 — ist ein Hinweis darauf, daß das Verhältnis von A r t . 30 zum A r t . 32 Abs. 1 nicht richtig gesehen w i r d 4 1 , denn von Verfassungsnormen, insbesondere von den Zuständigkeitsnormen einer Verfassung ist ein Höchstmaß an Klarheit und Übersichtlichkeit zu erwarten. „Es darf" — bei der (systematischen) Gesetzesauslegung nach Larenz — „davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber sachlich Zusammengehöriges auch zusammenhängend geregelt hat und daß er dort, wo er schon durch die Einteilung des Gesetzes und durch die Uberschriften sowie durch eine bestimmte Terminologie Unterschiede gemacht h a t . . . eine verschiedene rechtliche Behandlung auch gewollt hat 4 2 ." „Der systematischen Stellung einer V o r s c h r i f t . . . kommt dann größeres Gewicht zu, wenn sie nicht nur dem Ordnungsbedürfnis und dem Zwang zur Einhaltung einer gewissen Stoffgliederung entspricht, sondern zugleich Ausdruck einer sachlichen Entscheidung des Gesetzgebers oder eines durch die Sache gegebenen Sinneszusammenhanges ist 4 3 ." Daß die Stellung des Artikels 32 Abs. 1 GG und seine Weite, die Grenzen des Gewaltenteilungsschemas überschreitende Wortfassung nicht etwa aus einem Ordnungs- und Gliederungszwang folgte, wurde soeben dargelegt. Man w i r d daher dieser auffälligen Stellung und Wortfassung i n der oben entwickelten Weise den Rang einer sachlichen Entscheidung beimessen müssen. Das Kompetenzsystem des Grundgesetzes m i t seinen Zuständigkeitsgeneralklauseln zur Vermeidung von Kompetenzlücken ist zweispurig angelegt. Das Nebeneinander der zwei allgemeinsten, durch das Gewaltenteilungsschema nicht beschränkten Generalklauseln des Grundgesetzes, der A r t . 30 und 32 Abs. 1, i n dem zweiten Grundgesetzabschnitt zwingt zu dem Schluß, daß sie gleichen Rang besitzen sollen und daß damit i n der Zuständigkeitsordnung des Grundgesetzes eine grundlegende Unterscheidung zwischen zwei Bereichen der materiellen Staatsgewalt Platz greifen soll, die Unter"
42 43
So auch Kölble,
Larenz, S. 246. a.a.O., S. 247.
S. 146.
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Scheidung zwischen dem Inbegriff aller nach innen wirkenden Hoheitsrechte und der Gesamtheit der nach außen gerichteten Hoheitsrechte 44 . A u f der Grundlage dieser Unterscheidung dieser zwei Stränge i m Kompetenzsystem des Grundgesetzes ergibt sich dann m i t Notwendigkeit die Einordnung der Wehrhoheit, der militärischen Auswärtigen Gewalt, i n den materiellen Bereich der nach außen gewendeten Hoheitsrechte, ihre Unterwerfung unter die Regelung des A r t . 32 Abs. 1 GG.
3. Materiellrechtliche
Beschränkungen
der Auswärtigen
Gewalt
Wie schon bei der Wortauslegung angedeutet, kann aus der Verwendimg des Ausdrucks „Pflege" i n Art. 32 Abs. 1 GG unter Berufung auf dessen engeren Bedeutungsinhalt des „Behütens und Bewahrens" auch aus systematischen Gründen nicht eine materiellrechtliche Beschränkung der Auswärtigen Gewalt auf friedlich-diplomatische Beziehungen abgeleitet werden. A r t . 32 Abs. 1 GG ist eine Kompetenzzuweisungsnorm, durch die dem Bund die Wahrnehmung der nach außen gerichteten Hoheitsrechte aufgetragen wird, die Gestaltung der auswärtigen Beziehungen, deren Wesen es ist, „sich i m Schatten des Krieges zu entfalten", „die Alternative von Krieg und Frieden i n sich zu tragen" 4 5 . A r t . 32 Abs. 1 GG ist keine materiellrechtlich beschränkende Vorschrift über Inhalt, Ziel und M i t t e l der Auswärtigen Gewalt der Bundesrepublik Deutschland; er gibt m i t dem i n dem gegebenen Zusammenhang doch recht farblosen Wort „Pflege" keine verbindliche Richtlinie zur Führung einer pazifistischen Außenpolitik. Zwar ent44 Das Oberste (amerikanische) Bundesgericht hat i n verschiedenen E n t scheidungen f ü r die U S A eine solche strenge Scheidung zwischen auswärtigen u n d internen Angelegenheiten entwickelt u n d dabei dargelegt, daß die Regel, daß die Bundeszuständigkeit n u r die i n der Verfassung aufgezählten Befugnisse umfasse, n u r f ü r den internen Bereich gelte; vgl. dazu die oben §9, A n m . 40 aufgeführten Entscheidungen, sowie Mosler, ThomaFestschrift, S. 155, u n d Menzel , W D S t R L , H e f t 12, S. 181. I n der Entscheidung U n i t e d States v. Curtiss W r i g h t E x p o r t Corp. (1936), 299 U.S. 304, z. B. heißt es: " I t results that the investment of the federal government w i t h the powers of external sovereignty d i d not depend upon the affirmative grants of the Constitution. The power to declare and to wage war, to conclude peace, to make treaties, to m a i n t a i n diplomatic relations w i t h other sovereignties, i f they had never been mentioned i n the Constitution, w o u l d have vested i n the federal government as necessary concomitants of nationality." I n der Bundesrepublik besteht keinerlei Bedürfnis, sich f ü r die Begründung dieser grundlegenden Unterscheidung zwischen den inneren u n d äußeren staatlichen Befugnissen auf Erwägungen solch allgemeinerer übergesetzlicher A r t zu stützen, die Zweiteilung ist vielmehr durch das Nebeneinander der A r t i k e l 30 u n d 32 Abs. 1 m i t aller wünschenswerten Deutlichkeit i m Grundgesetz formuliert. 45
1*
So Aron , vgl. oben, S. 171 f.
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4. Kap.: Wehrhoheit als Teil der Auswärtigen Gewalt
hält das Grundgesetz Richtlinien und Maßstäbe für die Außenpolitik, jedoch als solche ausdrücklich und deutlich durchformuliert i n der Präambel und i n den A r t i k e l n 24 Abs. I I und I I I , 26 und 146 46 . Der Friedenswille des Grundgesetzes kommt i n seiner Präambel und i n den A r t i k e l n 24 Abs. I I und 26 zum Ausdruck; allerdings folgt aus dem ausdrücklichen Verbot der Vorbereitung von Angriffskriegen in A r t . 26 Abs. 1 die Verfassungsmäßigkeit von Verteidigungskriegen 47 und i n A r t . 24 Abs. I I werden kollektive Sicherheitsbündnisse als ein M i t t e l zur Friedensbewahrung betrachtet. Vor allem die einzelnen Wehrrechtsartikel des Grundgesetzes, die Zuständigkeitsspezial- und Organisationsnormen 48 , beweisen, daß das Grundgesetz für die Beziehungen der Bundesrepublik zu anderen Staaten nicht bedingungslos auf die Anwendung von Gewaltmitteln verzichtet. So entfällt jede Rechtfertigung „Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten" i m Sinne nur-friedlicher Beziehungsgestaltung zu verstehen; die Gewaltanwendung, die i n Einzellagen durchaus konstruktive Bedeutung gewinnen kann, ist i n die Reihe der übrigen Motivationsmittel der internationalen Politik, die der Auswärtigen Gewalt an die Hand gegeben sind, einzuordnen. I I I . Objektiv-teleologische Auslegung 1. Verhältnis der objektiv-teleologischen zur systematischen Auslegung
Auslegung
„Ein Gesetz sinnvoll auffassen heißt, es so zu verstehen, wie es in Hinblick auf seinen Zweck, auf die von ihm angestrebten Lösungen verstanden werden muß 4 9 ." Die objektiv-teleologische Auslegung bemüht sich, indem sie den vorgegebenen Gesetzesformulierungen nachdenkt und sie selbständig zu Ende denkt, deren objektiven Zweckund Sinngehalt voll zu entfalten 50 . Die systematische Auslegung, die eine gesetzliche Bestimmung in ihrem Regelungszusammenhang zu verstehen und letztlich ihren Sinn i n bezug auf die Gesamtheit der ihrem Wesen nach finalen Rechtsordnung zu entwickeln versucht, ist i m Grunde genommen bereits objektiv teleologische Auslegung. Eine scharfe Trennung zwischen beiden Interpretationsmethoden ist nicht 46 Siehe oben, § 4, Abschn. 1,3. 47 Maunz-Dürig, A r t . 26, Rz. 8. 48 Siehe dazu oben, § 2, Abschn. I I I , 2. 49 Larenz, S. 250. 69 Maunz, S. 50 f. — Z u r Charakteristik der objektiven Gesetzesauslegung ausführlich Engisch, S. 89 ff. u n d Radbruch, S. 211: „Das Gesetz k a n n klüger sein als seine Verfasser — es muß sogar klüger sein als seine Verfasser."
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möglich . Die systematische Auslegung konzentriert sich stärker auf die gesetzes-technischen Sinnzusammenhänge und die rechtliche Zielsetzung einzelner Normengruppen, bei der objektiv-teleologischen Auslegung steht der Bezug auf die Gesamtrechtsordnung i m Vordergrund als einem sachlogischen Strukturen unterworfenen vernünftigen, objektiven — die Rechtsordnung zuweilen transzendierenden 62 — Zwecken dienenden Gedankensystem 53 . I n diesem Sinn wurden bei der systematischen Auslegung als gemeinsames, wesensbegründendes Merkmal der diplomatischen Auswärtigen Gewalt und der militärischen Auswärtigen Gewalt herausgearbeitet, daß es sich bei ihnen u m nach außen gewendete Hoheitsrechte handelt, und dargelegt, daß sie aufgrund dieser Gemeinsamkeit i n dem zweispurigen Kompetenzsystem des Grundgesetzes beide derselben Kompetenzgeneralklausel des A r t . 32 Abs. 1 GG untergeordnet werden müssen. Die objektiv-teleologische Auslegung bestätigt dieses Ergebnis, die gemeinsame Unterwerfung der diplomatischen Auswärtigen Gewalt und der militärischen Auswärtigen Gewalt als einheitliche Auswärtige Gewalt unter die Generalzuständigkeit des Bundes nach A r t . 32 Abs. 1, rechtfertigt es als eine der Natur der Sache, der Völkerrechts- und Friedensfreundlichkeit des Grundgesetzes entsprechende Auslegimg.
2. Die Natur
der Sache
Die militärische Auswärtige Gewalt als Teil der Auswärtigen Gewalt zu betrachten, militärische Auswärtige Gewalt und diplomatische Auswärtige Gewalt als einen i m bundesstaatlichen Kompetenzsystem einheitlichen Komplex zu begreifen, ist für eine vernünftig-sinnvolle Verfassungsauslegung eine sich aus der Natur der Gegenstände 54 ableitende Notwendigkeit. Wie oben ausführlich entwickelt 5 5 , ist die Gewaltanwendung eines unter den vielen Motivations- und Gestaltungsmitteln der Außenpolitik. Bei der gesteigerten Zerstörungskraft moderner Waffen bedarf sie mehr denn je der Führung durch die Außenpolitik, der Hemmung, Dämmung und des gezielten, i m Umfang genau umschriebenen Einsatzes, der durch das politische K a l k ü l jeweils gebotenen Einschränkungen und der steten Kontrolle i n allen Phasen m Engisch , S. 79. s* a.a.O.
«s Larenz , S. 250 u. 253 ff. Z u m Begriff der N a t u r der Sache als der „den Dingen innewohnende Ordnung" vgl. Larenz , S. 309; zur N a t u r der Sache als objektiv-teleologisches K r i t e r i u m , S. 253 f. 55 Siehe oben, §5, u n d zu diesem gesamten Unterabschnitt vollinhaltlich oben, §8.
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4. Kap.: Wehrhoheit als Teil der Auswärtigen Gewalt
einer Auseinandersetzung durch die diplomatische Auswärtige Gewalt bzw. die Auswärtige Gewalt als Gesamtträger auswärtiger Kompetenzen. Löst sich die Gewaltanwendung aus dem gegebenen politischdiplomatischen Zusammenhang, so ist sie in zweifacher Weise von der Gefahr bedroht, sich i n völlig sinnlose Zerstörung zu pervertieren. Zum einen hat die militärische Gewaltanwendung, allein der Logik ihres Handwerks folgend, die Tendenz, durch Präventions- und Vergeltungsmaßnahmen, durch die bei allen rein gewaltsamen Auseinandersetzungen zu beobachtende Aufschaukelung, sich zur A n wendung der äußersten, verheerendsten Kampfmittel zu steigern und damit zugleich die teilweise oder völlige Selbstvernichtung m i t heraufzubeschwören. Zum anderen w i r d eine Kampfesführung, die die Verbindung mit der übrigen Außenwelt verliert, früher oder später zu dieser i n unheilvolle, verderbliche Widersprüche geraten, indem sie — allen weiterreichenden politischen Erwägungen und von politisch-diplomatischer Seite angestrebten Veränderungen unzugänglich — gelegentliche Bündnispartner als ständige Freunde, potentielle Verbündete als ständige Feinde behandelt und durch das ihr wesenseigene, unelastische, resolute und bedingungslose Handeln die Möglichkeiten zerstört, durch Ubereinstimmung und Vereinbarungen m i t Gegnern und dritten Staaten die außenpolitische Gesamtsituation zu eigenen Gunsten zu wandeln und vor allem die militärische Auseinandersetzung i m politisch verheißungsvollsten Augenblick oder auch nur rechtzeitig zur Abwendung einer größeren Niederlage zu beendigen. Soll die Wehrgewalt nicht rein destruktiven — und das heißt zugleich selbstzerstörerischen — Charakter besitzen, so muß sie staatsrechtlich ihre Einordnung als Teilfaktor i m Rahmen einer einheitlich geführten Außenpolitik finden. Die Einheit der Außenpolitik, die überhaupt eine Grundvoraussetzung für die Gestaltung der auswärtigen Beziehungen eines Staates ist, läßt sich nur verwirklichen, wenn alle wesentlichen Kompetenzen — und dazu gehört vor allem auch die m i t so außerordentlichen Mitteln ausgestattete Wehrhoheit — demselben staatlichen Machtträger anvertraut sind. Für das bundesstaatliche Kompetenzsystem folgt daraus, daß es eine widervernünftige, der Natur der Dinge zuwiderlaufende Auslegung wäre, eine Norm wie den Art. 32 Abs. 1 GG, die die Gestaltung der auswärtigen Beziehungen dem Zentralstaat zuweist, nur auf den Bereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt anzuwenden, die militärische Auswärtige Gewalt aber einer anderen Kompetenzgeneralklausel unterzuordnen, die die Gliedstaaten begünstigt.
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Daß es sich bei der diplomatischen Auswärtigen Gewalt und der militärischen Auswärtigen Gewalt um eine nicht aufzulösende Sachund Sinneinheit handelt, beweisen auch die Ergebnisse der oben durchgeführten rechtsgeschichtlichen Untersuchungen über das Verhältnis dieser beiden staatlichen Hoheitsrechte zueinander 56 und die Resultate der vorgenommenen rechtsvergleichenden Recherchen i n bezug auf alle deutschen und alle zur Zeit i n Geltung befindlichen ausländischen Bundesstaatsverfassungen 57 . Es handelt sich dabei um Material, das i n erster Linie zur Aufhellung der Entstehungsgeschichte i m Rahmen der historischen Auslegung der i n Frage stehenden Regelungen zu dienen geeignet ist. Aber alles entstehungsgeschichtliche Material ist auch einer objektivierenden Deutung zugänglich 58 und diese kann i m gegebenen Zusammenhang nicht anders ausfallen, als daß die Wehrhoheit ein wesentlicher Bestandteil der Auswärtigen Gewalt ist.
3. Die Völkerrechtsfreundlichkeit
des Grundgesetzes
Eine Auslegung des Art. 32 Abs. 1 GG, die die Wehrhoheit unter diese Kompetenznorm subsumiert und so als Teil der Auswärtigen Gewalt begreift, entspricht auch der grundsätzlich völkerrechtsfreundlichen Haltung des Grundgesetzes. Völkerrechtsfreundliches Verhalten als ein für die Bundesrepublik verpflichtendes Prinzip w i r d vor allem aus der Regelung des Art. 25 GG abgeleitet 59 , die über Art. 4 W V 6 0 und weit über die entsprechenden Regelungen der meisten anderen Staaten 61 hinausgehend die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu gegenüber den einfachen Gesetzen 62 vorrangigem Bundesrecht erklärt. I m Bereich der Rechtsanwendung w i r d sich der Grundsatz des völkerrechtsfreundlichen Verhaltens nicht auf die wohlwollende, verfassungskonforme Auslegung völkerrechtlicher Verträge 6 3 beschränken w Siehe oben, § 6. " Siehe oben, § 9. 58 Engischy S. 97. — Vgl. auch Erik Wolf, S. 107, zum Naturrecht als ontologischen Befund der Sachgerechtigkeit, als „ N a t u r der Sache": „Naturrecht ist dann Sachgerechtigkeit. Es bedeutet den Inbegriff jener durch Erfahrung betrachteten Gesetzmäßigkeiten des sozialen Daseins, die sich als i m m e r wiederkehrende, aus sachlicher Notwendigkeit („Gegebenheit") wiederholende Ordnungsschemata darstellen. „Sachgerechte" Naturrechtslehre arbeitet m i t den Methoden der empirischen Sozialforschung: rechtsvergleichend, rechtspsychologisch u n d rechtssoziologisch." (Hervorhebung v o m Verf.). 59 Maunz-Dürig, A r t . 25, Rz. 2 m i t weiteren Nachweisen. 60 Berber, Lehrbuch I, S. 98 ff. Berber, Lehrbuch I , S. 95 ff. «2 Berber, a.a.O., S. 100. « 3 BVerfGE, Bd. 6, S. 157 ff. (Konkordatsurteil).
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4. Kap.: Wehrhoheit als Teil der Auswärtigen Gewalt
lassen, sondern man w i r d auch bei der Auslegung der Verfassung selbst, soweit sich mehrere i m übrigen gleichwertige Auslegungsmöglichkeiten anbieten, die den Ordnungs- und Friedensbestrebungen 64 der Völkerrechtsordnung entgegenkommende Auslegung wählen müssen 66 . Die oben angestellten völkerrechtlichen Untersuchungen 66 haben gezeigt, daß die Tendenz zu beobachten ist, den Organen der diplomatischen Auswärtigen Gewalt und der militärischen Auswärtigen Gewalt i n gleicher Weise einen Sonderstatus zu gewähren, daß es i n vielen Bereichen fließende Ubergänge zwischen den Maßnahmen der diplomatischen Auswärtigen Gewalt und der militärischen Auswärtigen Gewalt gibt und daß diplomatische Auswärtige Gewalt und militärische Auswärtige Gewalt den Rechtsbindungen des Völkerrechts unterworfen sind. Diese Feststellungen für sich genommen würden nicht ausreichen, es vom Völkerrecht her als angezeigt zu betrachten, bei der innerstaatlichen Kompetenzverteilung diplomatische Auswärtige Gewalt und militärische Auswärtige Gewalt als einheitliche Zuständigkeit demselben Kompetenzträger zu überweisen, Entscheidend ist, daß überdies durch das Völkerrecht alle Gewaltanwendung an so enge Rechtsvoraussetzungen gebunden ist, insbesondere auch an die i n jedem Stadium eines Konflikts vorgängige vollständige Erschöpfung der M i t t e l friedlicher Streiterledigung, daß hierdurch die militärische Auswärtige Gewalt als unter nur ganz besonderen Umständen zugelassene ultima ratio staatlicher Außenpolitik und damit als eine der umfassenden Auswärtigen Gewalt eingegliederte und untergeordnete Zuständigkeit sich darstellt. Eine von der Auswärtigen Gewalt qua diplomatische Auswärtige Gewalt abgesonderte Kompetenz zur Gewaltanwendung, eine als selbständige Gewalt konzipierte Wehrhoheit erweckt den Anschein und die Gefahr, daß diese eine vom sonstigen diplomatisch-politischen Geschehen abgelöste staatliche Möglichkeit, zur Gewalt zu resortieren, repräsentiert. Ein solches unabhängiges Recht zur Gewaltanwendung gibt es aber seit der soteriologischen Wendung des Völkerrechts, seit der weitgehenden Verrechtlichung der internationalen Beziehungen gerade nicht mehr. Die Wehrgewalt ist nicht nur m i t ihren einzelnen militärischen Maßnahmen einem sehr differenzierten jus i n bello unterworfen, sondern ihr Einsatz überhaupt ist durch das äußerst
64 Z u den Möglichkeiten, das völkerrechtliche Kriegsverhütungsrecht durch die innerstaatliche Rechtsordnung zu unterstützen, vgl. Berber, Lehrbuch I I I , S. 127 ff.
68
So auch Harupa, S. 45.
60
Vgl. zu d e m Folgenden vollinhaltlich oben, §7.
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einschränkende jus ad bellum abhängig von der politischen Gesamtentwicklungen, von der hier führenden diplomatischen Auswärtigen Gewalt. Nach der weitgehenden Illegalisierung aller Gewaltanwendung vollziehen sich die internationalen Beziehungen i n einem einheitlichen, von Anarchie und W i l l k ü r abgelösten Bereich, i n dem der einzelne Staat der rechtlichen Ordnung nur dann v o l l entsprechen kann, wenn seine diplomatischen und militärischen auswärtigen Kompetenzen einheitlich durch die i n einer Hand ruhende, ungeteilte Auswärtige Gewalt wahrgenommen werden.
4. Die Friedensfreundlichkeit
des Grundgesetzes
Die Einschränkung und Nachordnung der militärischen Auswärtigen Gewalt gegenüber der führenden diplomatischen Auswärtigen Gewalt vom modernen Völkerrecht her ist eine Folge aus dessen vorrangiger Bemühung um die Kriegsverhütung, den Weltfrieden. Daß das Grundgesetz seinen Friedenswillen nicht nur mittelbar durch A r t . 25, sondern auch ausdrücklich i n seiner Präambel und i n den A r t i k e l n 42 Abs. 2 und 26 bekundet hat, ist daher ein weiterer Grund, die Wehrhoheit nicht als eine unabhängig neben der Zuständigkeit für die diplomatische Auswärtige Gewalt stehende Kompetenz, sondern als einen Teil der umfassenden Auswärtigen Gewalt zu begreifen, gesetzestechnisch: ein Grund, die militärische Auswärtige Gewalt unter A r t . 32 Abs. 1 GG zu subsumieren. Die Friedensfreundlichkeit des Grundgesetzes hat ihren stärksten Ausdruck i n Art. 26 Abs. 1 gefunden, der friedensstörende Handlungen, insbesondere die Vorbereitung eines Angriffskrieges, illegalisiert und die Bestrafung solcher Handlungen vorsieht. Mauns* 7 bezeichnet Art. 26 GG als eine „feierliche Bekundung des Friedenswillens des deutschen Volkes" als ein „programmatisches Bekenntnis", das eine „wesentliche Ausrichtung der gesamten westdeutschen Wehr- und Außenpolitik" bedeutet. Entsprechend sagen Hettlage - von der Heydtedie die Friedenssicherung als „neues L e i t motiv für das staatliche Leben" und als „tragenden Pfeiler unserer Verfassung" bezeichnen: „Die Friedenssicherung ist i m Grundgesetz Staatszweck und verfassungsrechtliches Prinzip geworden. Dies geht besonders sinnfällig aus A r t . 26 hervor, . . . Der Gedanke der Friedenssicherung als Staatszweck muß die Organe des Bundes bei der „Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten" l e i t e n . . . E i n Kernstück der Zuständigkeit nach Art. 32 ist die Zuständigkeit des Bundes zur Friedenssicherung." Diesen Ausführungen ist vollinhaltlich zuzustimMaunz-Dürig, «8 Hettlage-von
A r t . 26, Rz. 1. der Heydte , Wehrbeitrag I I , S. 669.
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4. Kap.: Wehrhoheit als Teil der Auswärtigen Gewalt
men; eine wesentliche Aufgabe der dem Bund nach A r t . 32 Abs. 1 GG generell zustehenden Auswärtigen Gewalt ist es, durch eine kluge Gestaltung der auswärtigen Beziehungen so weit als möglich kriegerischen Entwicklungen vorzubeugen, insbesondere auch, wo nötig, mit kraftvollen Entscheidungen, die durch die Gesamtheit der zur Verfügung stehenden M i t t e l staatlicher Außenpolitik friedlicher und militärischer A r t abgedeckt sind, sich rechtswidrigen Zumutungen und Drohungen von Anfang an zu widersetzen 69 . Was aber sollte neben der i n dieser Weise dem Frieden verpflichteten Auswärtigen Gewalt eine selbständig, unter anderen Zuständigkeitsgesichtspunkten begründete Kompetenz zur Gewaltanwendung gegen auswärtige Staaten? Auch die m i t den Novellen aus den Jahren 1954 und 1956 i n das Grundgesetz eingeführte Wehrverfassung, die durch sie konstituierte Wehrgewalt, soll dem Frieden dienen. Das Friedensbekenntnis des Grundgesetzes läßt keinen Raum für die Vorstellung, daß mit den Mitteln der Wehrgewalt selbständig aggressive, außenpolitische Absichten verfolgt werden können. Das Ziel der Friedenssicherung kann aber, wie jedes andere Ziel i n der Außenpolitik, erfolgversprechend nur einheitlich, d. h. von einem m i t allen auswärtigen Zuständigkeiten friedlicher und militärischer A r t ausgestatteten Kompetenzträger verfolgt werden. Die Bewaffnung der Bundesrepublik ist erfolgt, um i m Verein mit den verbündeten Westmächten vermuteten aggressiven Tendenzen eine wirksame Abschreckung entgegenzusetzen. Der Gedanke der Friedenswahrung durch die Abschreckungsmacht kollektiver Sicherheitssysteme ist ausdrücklich schon i n Art. 24 Abs. 2 GG ausgesprochen 70. Die Wehrhoheit als nach außen gerichtetes Hoheitsrecht soll sich nach diesem Konzept durch Gewaltanwendung gegen auswärtige Staaten nach Möglichkeit nie aktualisieren. Sie steht vielmehr i n ihrer zum jederzeitigen, wirkungsvollen Einsatz organisierten Verfassung der diplomatischen Äußeren Gewalt zur Verfolgung ihrer friedenssichernden Außenpolitik als Motivationsmittel, als Drohmittel gegenüber aggressiven, friedensbedrohenden Bestrebungen zur Verfügung. Eine direkte Anwendung kommt nur für den Fall eines feindlichen Angriffes i n Betracht; die Beschränkung der militärischen Gewaltanwendung auf echte „Verteidigung" kommt i n zahlreichen, mit den Wehrrechtsnovellen eingeführten Grundgesetzbestimmungen zum Ausdruck 7 1 . Aber auch über das Gegebensein der rechtlichen Voraussetzungen für einen militärischen Einsatz, den Wert, das Ziel, den 69 Z u m konstruktiven, friedensbewahrenden Außenpolitik siehe oben § 10, Abschn. 1,1, Abs. 2. 79 Vgl. A r t . 52 UN-Satzung. 7 * A r t i k e l 45 a, 59 a, 65 a, 73 Nr. 1.
Charakter
einer
solchen
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Umfang und schließlich die Beendigung eines solchen Einsatzes w i r d unter politischen Gesichtspunkten zu entscheiden sein. Es fehlt daher jede innere Rechtfertigung, die Wehrkompetenz als eine unter eigenen Gesichtspunkten, losgelöst von der allgemeinen Kompetenz für auswärtige Angelegenheiten begründete Zuständigkeit zu begreifen. Da die gesamte Wehr- und Außenpolitik durch das Friedensbekenntnis des Grundgesetzes eine wesentliche Ausrichtung erfahren hat, da die Zuständigkeit des Bundes zur Friedenssicherung ein Kernstück der Zuständigkeit nach A r t . 32 Abs. 1 GG ist, muß die Wehrhoheit als Teil der Auswärtigen Gewalt verstanden und unter die Generalzuständigkeitsklausel des A r t . 32 Abs. 1 subsumiert werden. Das Bundesverfassungsgericht sagt zur teleologischen Verfassungsauslegung 72 : „Die einzelne Verfassungsbestimmung kann nicht isoliert betrachtet und allein aus sich heraus ausgelegt werden. Aus dem Gesamtinhalt der Verfassung ergeben sich gewisse verfassungsrechtliche Grundsätze und Grundentscheidungen, denen die einzelnen Verfassungsbestimmungen untergeordnet sind. Diese sind deshalb so auszulegen, daß sie m i t den elementaren Verfassungsgrundsätzen und Grundentscheidungen des Verfassungsgebers vereinbar sind." I n diesem Sinne sind die Völkerrechts- und Friedensfreundlichkeit der Bundesrepublik Grundsätze und Grundentscheidungen des Grundgesetzes, die allein eine Auslegung des A r t . 32 Abs. 1 GG als seiner Teleologie gemäß erscheinen lassen, die diplomatische Auswärtige Gewalt und militärische Auswärtige Gewalt nach dieser Bestimmimg als Teilbereiche der i n ihr verankerten einen einheitlichen Auswärtigen Gewalt des Bundes betrachtet.
IV. Historische Auslegung 1. Aufgabe und Methode der historischen
Auslegung
Bei der Übereinstimmung und Eindeutigkeit der Ergebnisse der grammatischen, systematischen und objektiv-teleologischen Interpretation besteht an sich keine sachliche Notwendigkeit, Art. 32 Abs. 1 GG i n Hinblick auf die mit dieser Arbeit aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis von Wehrhoheit und Auswärtiger Gewalt auch noch unter den doch nur subsidiär 73 bedeutsamen historischen Gesichtspunkten, nach den Grundsätzen der subjektiven Interpretationstheorie, auszulegen. Die historische Auslegung erfolgt trotzdem, u m einerseits 72 73
BVerfGE, Bd. 1, S. 14 ff. (Südweststaatsurteil), Leitsatz 4. Siehe oben, Einleitung zu diesem Paragraphen.
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4. Kap.: Wehrhoheit als Teil der Auswärtigen Gewalt
durch sie eine weitere Bestätigung des bisherigen Auslegungsergebnisses zu erlangen zu suchen, andererseits um vor Augen zu führen, ob — und wenn ja — i n welcher Weise und ob i n Ubereinstimmung m i t den Regeln der juristischen Hermeneutik bei der Subsumtion der Wehrhoheit unter Art. 32 Abs. 1 GG ein Bedeutungswandel dieser Bestimmung vorausgesetzt wird. Die historische Auslegung fragt nach dem Willen des Gesetzgebers 74. Bei der modernen parlamentarischen Gesetzgebung besteht der Gesetzgeber aus einer großen Zahl von Personen, die zu Einzelheiten eines i n Frage stehenden Gesetzes, zu bestimmten Auslegungen häufig recht verschiedene Ansichten, meistens sogar überhaupt keine Meinung haben 75 . Als maßgeblicher Wille des Gesetzgebers kommen daher regelmäßig nur „die Zwecke und die grundlegenden rechtspolitischen Entscheidungen, die durch das Gesetz verwirklicht werden sollen" 7 6 , i n Betracht 77 . Es kann nicht unterstellt werden, daß der Gesetzgeber sich die i n den Motiven und amtlichen Begründungen der Gesetzesverfasser geäußerten Ansichten zu Detailfragen und die in den parlamentarischen Beratungen von einzelnen Sprechern zum Ausdruck gebrachten Meinungen zueigen gemacht hat 7 8 ; solche Meinungen und Ansichten können lediglich als Anregungen für eine vernünftige Auslegung dienen 79 . Für die Ermittlung der tragenden Zielvorstellungen und Grundentscheidungen des Gesetzgebers ist neben den Materialien die Entstehungsgeschichte i n ihrem ganzen Perspektivenreichtum heranzuziehen: von Bedeutung können u. a. der vorherige Rechtszustand, die weitere rechtsgeschichtliche Tradition und die vergleichbaren Regelungen i n verwandten Rechssystemen sein 80 . 2. Der Wille des Gesetzgebers des Grundgesetzes vom 23.5.1949 Der Parlamentarische Rat hat — wie oben dargelegt 81 — durch die Abänderung des Art. 41 Abs. 1 HChE i n die Fassung des A r t . 32 Abs. 1 GG dem Bund ein umfassendes, über seine speziellen Gesetz74 Engisch, S. 88 f.; Larenz, S. 247. 75 Larenz, a.a.O. 7« Larenz, S. 248. 77 H i e r i n ist einer der entscheidenden Gründe f ü r das allgemeine V o r dringen der objektiven Auslegungstheorie zu erblicken. 78 Larenz, S. 247 f. 7 9 Larenz, S. 249. Z u r objektivierenden Deutbarkeit der Entstehungsgeschichte vgl. Engisch, S. 97. so Engisch, S. 81; Larenz, S. 249. 8i Siehe oben, § 4, Abschn. I I , 3.
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gebungskompetenzen hinausgehendes Vertragsschlußrecht sichern wollen. Die sonstigen Funktionen der diplomatischen Auswärtigen Gewalt, die der Vornahme einseitiger völkerrechtlicher Rechtsgeschäfte und der Gestaltung der zwischenstaatlichen Verkehrsbeziehungen vorrechtlicher A r t 8 2 , wurden bei der Erörterung des A r t . 32 Abs. 1 GG nicht i n Betracht gezogen. Die völlig herrschende Auslegung des A r t . 32 Abs. 1 GG, die i n dieser Bestimmung Recht und Pflicht des Bundes zur verantwortlichen Gestaltung der gesamten auswärtigen Beziehungen i n allen ihren friedlichen Erscheinungsformen — nicht nur denen des völkerrechtlichen Vertrages — begründet sieht 83 , steht aber trotzdem nicht i n Widerspruch zum historischen Willen des Grundgesetzgebers. Die Gesetzgeber des Grundgesetzes waren die Länderparlamente, die über dessen Annahme zu entscheiden hatten 8 4 . Sie konnten das Grundgesetz nur i n toto annehmen und ablehnen, nicht aber durch Änderungsanträge und Vorbehalte auf dessen Inhalt und Auslegung Einfluß nehmen. Für den Willen des ursprünglichen 85 Grundgesetzgebers muß daher noch i n stärkerem Maße als i m Falle des normalen parlamentarischen Gesetzgebers, der die eingebrachten Entwürfe beraten und abändern kann, gelten, daß er nicht Einzelheiten der angenommenen Regelung und ihrer Auslegung entscheidet, sondern sich i n Vorstellungen über deren Gesamtbedeutung, Grundentscheidungen und Haupttendenzen erschöpft 80 . I n diesem Sinne war es der Wille der Grundgesetzgeber, daß der Bund primär für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig sein sollte. Nach dem den Landtagen zur Annahme vorgelegten und von ihnen angenommenen Text des Grundgesetzes sollte der Bund i m akzessorischen Bereich der Auswärtigen Gewalt laut A r t . 73 Nr. 1 die ausschließliche Gesetzgebung für die auswärtigen Angelegenheiten haben und laut A r t . 87 Abs. 1 den auswärtigen Dienst i n bundeseigener Verwaltung führen. Auch aus A r t . 59 Abs. 1, der an sich nicht die inter-governmental-division-of-powers zwischen Bund und Ländern, S2 Siehe oben, § 3, Abschn. 2. Siehe oben § 4, Abschn. I I I , 1.
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85
Maunz, S. 10.
I m Gegensatz zu den Gesetzgebungskörperschaften des Bundes (Bundestag u n d Bundesrat) als pouvoir constituant bei Verfassungsänderungen. 86 Da diese Vorstellungen aber vorwiegend aus dem Studium des zur A n nahme vorgelegten Textes erwachsen sein werden, nähert sich die subjektive Auslegung des Grundgesetzes notwendig weitgehend der objektiven Auslegung an. Es liegt h i e r i n m. E. ein besonderer Grund, gerade bei der A u s legung des Grundgesetzes von vorherein der objektiven Methode den V o r rang einzuräumen.
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4. Kap.: Wehrhoheit als Teil der Auswärtigen Gewalt
sondern die intra-governmental-division-of-powers 87 zwischen Bundesorganen betrifft, ergab sich mittelbar, daß dem Bund die Führungsposition i n den auswärtigen Angelegenheiten zugedacht war. Den Ländern war ausdrücklich lediglich als Ausnahme zu dem generell den Bund berechtigenden A r t . 32 Abs. 1 nach A r t . 32 Abs. 3 ein auf den eigenen Gesetzgebungsbereich beschränktes, von der Zustimmung des Bundes abhängiges Vertragsschlußrecht und das Konsultationsrecht nach A r t . 32 Abs. 2 eingeräumt. Bei dieser erkennbar starken und von den Länderparlamenten als eine Grundentscheidimg bejahten Kompetenzbevorrechtigung des Bundes für den Bereich der auswärtigen Angelegenheiten kann eine Auslegung des A r t . 32 Abs. 1 GG, die i n i h m nicht nur eine weitgefaßte Vertragszuständigkeit, sondern eine Generalzuständigkeitsklausel für die Gestaltung der auswärtigen A n gelegenheiten erblickt, nicht als dem Willen der Grundgesetzgeber widersprechend betrachtet werden. Dies u m so weniger, als bei den Beratungen i m Parlamentarischen Rat eine solche Lösung und Auslegung ja nicht abgelehnt worden ist, sondern die Frage nach der umfassenden Generalzuständigkeit, nach der diplomatischen Auswärtigen Gewalt als Gesamtzuständigkeit, gar nicht aufgetaucht ist! Zieht man ferner i n Betracht, daß i n allen bei Erlaß des Grundgesetzes bekannten und zum Teil als vorbildlich betrachteten Bundesstaatsverfassungen 88 die Auswärtige Gewalt als Generalzuständigkeit den Zentralstaaten zustand 89 und vor allem daß die Formulierung des A r t . 32 Abs. 1 GG auf den A r t . 78 Abs. 1 W V zurückgeht, der nicht anders als als Generalzuständigkeitsnorm für auswärtige Angelegenheiten zugunsten des Reiches ausgelegt wurde 9 0 , so darf man annehmen, daß die Auslegung, die A r t . 32 Abs. 1 GG als Generalüberweisung der diplomatischen Auswärtigen Gewalt an den Bund versteht, von dem Grundgesetzgeber auch gewollt w a r 9 1 . Anders beantwortet sich die Frage, ob nach dem Willen der Gesetzgeber, ihren Vorstellungen bei Erlaß des Grundgesetzes, ebenfalls die 87
Z u diesem Gegensatzpaar siehe oben § 4, Abschn. I I I , 6. Verfassungen der USA, der Schweiz u n d von Österreich. Siehe oben, §9. 99 Siehe oben, § 9, Abschnitt I I I , 2. 91 Die Grundgesetzverfasser haben vielfach an die Regelungen u n d Ausdrucksweise der Weimarer Verfassung angeknüpft, u m so den künftigen Grundgesetzinterpreten auf dem Weg i n die neue W i r k l i c h k e i t die j u r i s t i schen Leistungen deutscher Verfassungsvergangenheit als H i l f s m i t t e l zugänglich zu machen. Vgl. Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, S. 31: „ D i e Aufzählung der einzelnen Gesetzgebungszuständigkeiten schließt sich auf vielen Gebieten dem Katalog der Weimarer V e r fassung an . . . Auch die Formulierungen sind, wo es angängig war, aus der Weimarer Verfassung übernommen worden, zumal Rechtsprechung u n d V e r w a l t u n g m i t übernommenen u n d abgeklärten Fassungen leichter arbeiten als m i t v ö l l i g neuen." Auch den Grundgesetzgebern sind die wesentlichen Grundzüge der Weimarer Verfassung bekannt gewesen. 88 89
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Wehrhoheit als i n der Bestimmung des Art. 32 Abs. 1 GG als Generalzuständigkeit des Bundes verankert betrachtet werden kann. Wie dargelegt 92 , enthielt das Grundgesetz vom 23. 5.1949 i n seiner Orinigalfassung — entgegen der deutschen Verfassungstradition und der der ganzen W e l t 9 3 und dies mit von seinen Verfassern erklärter Rücksicht auf die Vergangenheit und die aus ihr resultierenden gesamtpolitischen Lage 9 4 — keinerlei grundlegende wehrrechtliche Bestimmungen. Diese auffällige Lücke in der i m übrigen sehr perfekten Verfassimg, dieser Mangel jeglicher verfassungstextlichen Grundlage für die Organisation von Streitkräften i n der Bundesrepublik stellte sich für jedermann, insbesondere und zuerst aber für die Mitglieder der Länderparlamente, als sie über die Annahme des Entwurfs zu entscheiden hatten, als ein eindringliches Bekenntnis zur Waffenlosigkeit der zu gründenden Bundesrepublik, als ein nachdrücklicher Verzicht auf eine eigene Verteidigungsmacht dar 9 5 . Die m i t der Abfassung des Grundgesetzes getroffene politisch und rechtspolitisch eklatante negative Wehrentscheidung wurde daher ein Teil der maßgebenden Zielvorstellungen und Grundprinzipien, die der Grundgesetzgeber m i t der Annahme des Grundgesetzes verwirklichen wollte. Würde sich nun jemand auf den von der Bundesregierung zu Beginn des Kampfes u m den Wehrbeitrag vertretenen, später vielfach abgeschwächten und schließlich praktisch aufgegebenen Standpunkt 9 6 stellen, die Wehrgewalt sei ein i n der ursprünglichen Anlage des Grundgesetzes bereits enthaltenes staatliches Hoheitsrecht, die Vorbereitung auf ihre mögliche aktive Inanspruchnahme durch Schaffung einer Verteidigungsorganisation habe daher keinerlei Verfassungsänderung oder Ergänzung rechtlich erforderlich gemacht, so verließe er damit jedenfalls den Boden der historischen Verfassungsauslegung. Entsprechend würde bei der sich weiter ergebenden Fragestellung, wem denn i m bundesstaatlichen Kompetenzsystem nach der ursprünglichen Grundgesetzfassung die militärische Auswärtige Gewalt zu»2 Siehe oben, §2, Abschnitt I. 93 Siehe oben, § 9 u n d § 2, Abschnitt 1,1 m i t A n m . 1. 94 Siehe oben § 2, Abschnitt 1,1 m i t A n m . 2. 96 Deutlicher i n dieser Hinsicht allerdings die japanische Verfassung v o m 3.5.1947 m i t der Bestimmung des A r t . 9: „1. I m aufrichtigen Streben nach einem auf Gerechtigkeit u n d Ordnung neugegründeten internationalen Frieden verzichtet das japanische V o l k f ü r i m m e r auf den K r i e g als ein souveränes Recht der Nation u n d auf die Androhung u n d A n w e n d u n g v o n Gewalt als Mittel, internationale Streitigkeiten zu regeln. 2. U m diesen Endzweck des vorangegangenen Abschnittes zu erreichen, werden nie mehr Land-, See- u n d Luftstreitkräfte sowie anderes Kriegspotential unterhalten werden." (Zitat nach Berber, Lehrbuch I I I , S. 114 f. u n d S. 131 f.). se Siehe oben, § 2, Abschnitt 1,2 a.E.
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4. Kap.: Wehrhoheit als Teil der Auswärtigen Gewalt
gestanden habe, der Hinweis auf A r t . 32 Abs. 1, der Aufgabe und Verpflichtung des Bundes, die Beziehungen zu auswärtigen Staaten zu gestalten, i n diesem Zusammenhang in Widerspruch zu dem auf Waffenlosigkeit der Bundesrepublik gerichteten Willen des Grundgesetzgebers stehen. Unter der Voraussetzung, daß durch das Grundgesetz i n seiner Fassung vom 23. 5.1949 nach dem Willen des Grundgesetzgebers substantiell die Befugnis zu militärischer Gewaltanwendung gegen auswärtige Staaten begründet wurde, könnte auch die Interpretation des Art. 32 Abs. 1 GG, die i n dieser Bestimmung die militärische Auswärtige Gewalt als Bundesgewalt verankert sieht, m i t Rücksicht auf die völlig parallel laufenden, das Reich berechtigenden Kompetenzgeneralüberweisungen für die diplomatische Auswärtige Gewalt und die militärische Auswärtige Gewalt i n A r t . 78 Abs. 1 und Art. 79 S. 1 WV, die einheitliche Übertragung dieser beiden auswärtigen Kompetenzen an den Zentralstaat i n allen bekannten Bundesstaatsverfassungen 97 und endlich die innige sachliche Zusammengehörigkeit einer konstruktiv wirkenden diplomatischen Auswärtigen Gewalt und militärischen Auswärtigen Gewalt 9 8 als i n Übereinstimmung mit dem Willen des Grundgesetzgebers betrachtet werden. Da aber gerade die hinsichtlich des Willens des Grundgesetzgebers angenommene Voraussetzimg wie dargelegt nicht zutrifft, dieser vielmehr vom Prinzip der Waffenlosigkeit der Bundesrepublik ausging, steht auch die auf dieser angenommenen Grundlage entwickelte Auslegung des ursprünglichen Textes des Grundgesetzes, die die Wehrhoheit als Teil der Auswärtigen Gewalt begreift und unter die Komzetenzbestimmung des Art. 32 Abs. 1 GG subsumiert, i n offenem Widerspruch zum entstehungszeitlichen Willen des Grundgesetzgebers. Solche Auslegung kann also nach der historisch-subjektiven Interpretationsmethode nur dann begründet sein, wenn dem A r t . 32 Abs. 1 GG nach dem Willen des Gesetzgebers bei späteren Grundgesetzänderungen eine weitere Bedeutung zugewachsen ist. 3. Der Wille des Gesetzgebers der Wehrrechtsnovellen zum Grundgesetz Durch die Wehrrechtsnovelle vom 26. 3.1954 zum Grundgesetz, insbesondere durch die Ergänzung des Art. 73 Nr. 1 GG, wurde die Wehrhoheit als staatliches Hoheitsrecht der Bundesrepublik begründet 99 oder zumindest ausdrücklich begründet 1 0 0 . M i t der Schaffung einer ®7 Siehe oben, §9. »8 Siehe oben, § 8. ®9 Siehe oben, §2, Abschnitt I I . ioo Siehe oben, § 2, Abschnitt 1,2.
§ 10 Auslegung des Artikel 32 Absatz 1 des Grundgesetzes
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ausschließlichen Bundesgesetzgebungskompetenz für die Verteidigung kam aufs deutlichste zum Ausdruck, daß die Bundesrepublik nicht länger waffenlos und daß die Organisation von Streitkräften Bestandteil des staatlichen Lebens sein sollte. Durch die zweite Wehrrechtsnovelle vom 19. 3.1956 wurden weitere, die Gesetzgebungskompetenzbestimmung des A r t . 73 Nr. 1 GG ergänzende Einzelheiten der Wehrverfassung der Bundesrepublik geregelt 101 . Die Mehrzahl der Vorschriften betrifft die Verteilung wehrrechtlicher Befugnisse zwischen obersten Bundesorganen wie z. B. der höchstbedeutsame A r t . 65 a GG, der zur Sicherung des politischen Einflusses auf die Führung der militärischen Angelegenheiten i n grundlegender Abweichung 1 0 2 zu der Regelung i n A r t . 47 W V 1 0 3 den Oberbefehl über die Streitkräfte i n die Hände des verantwortlichen Verteidigungsministers und für den Verteidigungsfall i n die Hände des für die Gesamtpolitik verantwortlichen Bundeskanzlers legt 1 0 4 . Die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern w i r d lediglich durch A r t . 87 b der zweiten Wehrrechtsnovelle berührt, der den Ländern einen beschränkten und überdies durch Bundesgesetz weiter stark beschränkbaren Anteil an der Wehrverwaltung überläßt. Eine Grundsatznorm, die nach dem Muster des A r t . 79 S. 1 W V die Wehrhoheit als spezifisch auswärtige Kompetenz begründet und als Gesamtzuständigkeit dem Zentralstaat zuweist, ist durch keine der Wehrrechtsnovellen i n das Grundgesetz eingeführt worden 1 0 5 . Daß durch die Novellen trotzdem die Wehrhoheit für die Bundesrepublik begründet oder zumindest ausdrücklich i n Anspruch genommen werden sollte, wurde bereits gesagt 106 . Aber es war auch der Wille des Gesetzgebers der Wehrrechtsnovellen 107 , die Wehrhoheit als — m i t der Ausnahme des A r t . 87 b Abs. 2 — ausschließliche Gesamtzuständigkeit des Bundes einzuführen. Daß die Aufstellung von Streitkräften nur eine Bundesangelegenheit sein könne und die notwendige Wehrverwaltung eine Bundesverwaltung sein müsse, war eine Ansicht, die bei der parlamentarischen Beratung der Wehrrechtsnovellen von allen Parteien geteilt wurde. Die Wehrhoheit des Bundes wurde dabei allseits als eine sich aus 101 Siehe oben, §2, Abschnitt I I I . 102 Vgl. hierzu 132. Sitzung des 2. Bundestages v o m 6.3.1956, Sten. Ber. S. 6819 ff. (6820 A), mündlicher Bericht von Dr. E. Schwarzhaupt zu den Ausschußberatungen über die 2. Wehrrechtsnovelle. los w v A r t . 47: „Der Reichspräsident hat den Oberbefehl über die gesamte Wehrmacht des Reichs." 104 Z u der mittelbaren bzw. direkten parlamentarischen Verantwortlichkeit von Minister u n d Kanzler vgl. A r t . 65 S. 1 u n d 2 u n d A r t . 67 GG. 105 Siehe oben, § 2, Abschnitt I I u n d I I I . 10
ö Ausführlich siehe oben, § 2, Abschnitt I I . Bundestag u n d Bundesrat, vgl. A r t . 79 Abs. 2 GG.
107
13 Sachau
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4. Kap.: Wehrhoheit als Teil der Auswärtigen Gewalt
„der deutschen Verfassungstradition der letzten Jahrzehnte und der Regelung wohl i n allen Bundesstaaten" 108 zwingend ergebende Konsequenz, die Verteidigung überhaupt als „natürliche Bundesangelegenh e i t " 1 0 9 betrachtet. Allerdings gerade weil über die umfassende Gesamtzuständigkeit des Bundes für die Verteidigung und für die akzessorischen Bereiche der internen Organisation der Streitkräfte keine Meinungsverschiedenheiten bestanden und die Aufmerksamkeit bei den Beratungen der anstehenden Grundgesetzänderungen sich auf kontroverse Fragen wie z . B . 1 1 0 die gesteigerte parlamentarische Verantwortung des Bundesverteidigungsministers durch direkte Abhängigkeit vom Vertrauen des Parlaments konzentrierte, hat die Begründimg der Wehrhoheit als einer Bundesgeneralkompetenz i n den Wehrrechtsnovellen zum Grundgesetz nur einen unzureichend unmittelbaren Ausdruck erlangt. Die beiden echten Kompetenzzuweisungsbestimmungen der Novellen, A r t . 73 Nr. 1 und Art. 87 b GG, betreffen nur die interne Wehrgesetzgebung und die interne Wehrverwaltung, nicht aber die Wehrgewalt i n ihrem Wesenskern als einem nach außen gewendeten Hoheitsrecht, als die Zuständigkeit zur Gewaltanwendung gegen auswärtige Staaten. Außerdem scheint der Wehrbereich i m grundgesetzlichen System der ergänzenden, lückenschließenden Zuständigkeitsgeneralklauseln der Regelung des A r t . 30 GG zu unterstehen mit der Folge, daß alle nicht ausdrücklich und eindeutig dem Bund zugesprochenen Kompetenzen für Verteidigungsangelegenheiten solche der Länder sind. Der vollkommenste Ausdruck der von den Gesetzgebern der Wehrrechtsnovellen verfolgten Absichten wäre die Übernahme des A r t . 32 a Abs. 1 S. 1 aus den Entwürfen gewesen, auf deren Grundlage die Novellierungsberatungen der Ausschüsse erfolgten 1 1 1 , mit der sich an die Regelung des Art. 79 S. 1 W V anschließenden Formulierung: „Die Verteidigung der Bundesrepublik ist Sache des Bundes." Daß diese Übernahme i n die Wehrrechtsnovellen nicht erfolgte, kann nur darauf zurückgeführt werden, daß man die beschlossenen Regelungen fälschlicherweise für inhaltlich vollständig und systematisch zureichend hielt, 108 Anlage 3 zur Bundestagsdrucksache 1700, 2. W.P. v o m 23.9.1955, E r widerung der Bundesregierung auf Stellungnahme u n d Änderungsvorschläge des Bundesrates zum E n t w u r f des Soldatengesetzes. 109 Erklärung des Bundesverteidigungsministers zum E n t w u r f des Freiwilligengesetzes, 92. Sitzung des 2. B T v o m 27.6.1955, Sten. Ber. S.5214A. Vgl. auch Dr. Weber (CDU), 9. Sitzung des 2. B T v o m 14.1.1954, Sten. Ber. 5. 244 C. 119 Sitzungsberichte des Deutschen Bundestages, 132. Sitzg. des 2. B T v o m 6. 3.1956, Sten. Ber. S. 6819 ff., 6827 ff. u n d 6845 C ff. 111 BT-Drucks. 124, 125, 2. W.P., v o m 4.12.1953. — Vgl. oben § 2, A b schnitt I I , 1.
§ 10 Auslegung des Artikel 32 Absatz 1 des Grundgesetzes
195
daß man die volle sachliche und systematische Bedeutung der Entwurfsregelung des A r t . 32 a Abs. 1 S. 1 verkannte. Der von der Bundesregierung zu Beginn aller wehrrechtlichen Debatten eingenommene Standpunkt, für die Bewaffnung der Bundesrepublik sei keinerlei verfassungsgesetzliche Regelung erforderlich, scheint bei den Ausschußberatungen der von den Fraktionen eingebrachten Entwürfe insoweit fortgewirkt zu haben, als man bemüht war, die zu beschließenden Änderungen und Ergänzungen auf das unerläßliche M i n i m u m zu reduzieren 112 . Diesen Bestrebungen ist augenscheinlich der Satz 1 des A r t . 32 a bei der systematischen Umgruppierung von dessen sonstigem I n h a l t 1 1 3 zum Opfer gefallen. Seine Streichung — i n der Vorstellung, er habe lediglich rein iterativ-ornamentale Bedeutung — erfolgte ohne weitere Begründung und wurde auch bei den parlamentarischen Beratungen der Wehrrechtsnovellen m i t keinem Wort erwähnt 1 1 4 . Da es der erklärte Wille aller Parteien war, bei der Wehrrechtsnovellierung des Grundgesetzes die Generalzuständigkeit des Bundes für die Verteidigung als eine durch die eigene Verfassungsgeschichte und die Regelungen i n anderen Bundesstaatsverfassungen festgelegte Norm und als eine durch die Natur der Dinge bedingte Notwendigkeit zu behandeln, und auch die allseitige Überzeugung bestand, m i t den beschlossenen Regelungen — trotz der Auslassung der A r t . 32 a Abs. 1 S. 1 der Entwürfe — eine solche Gesamtkompetenz des Bundes geschaffen zu haben, erscheint eine Auslegung des A r t . 32 Abs. 1 GG, die i n dieser Bestimmung die Wehrhoheit verankert sieht, als in Ubereinstimmung m i t den vom Gesetzgeber der Novellen getroffenen, grundlegenden rechtspolitischen Entscheidungen und den mit den Novellen verfolgten Zwecken. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung stellt sich die Wehrhoheit — wie von den parlamentarischen Urhebern der grundgesetzlichen Wehrergänzungen gewollt, jedoch i n den von ihnen beschlossenen Detailregelungen allein nicht klar zum Ausdruck gebracht — als Generalkompetenz des Bundes dar. Es ist nicht so bedeutsam, ob man bewußt die Möglichkeit, den A r t . 32 Abs. 1 GG so auszulegen, gesehen hat — die dieser Auslegung entsprechende Zusammenfassung von auswärtigen Angelegenheiten und Verteidigung 112 Schon i n der die Koalitionsparteien bindenden Erklärungen des A b geordneten Dr. von Merkatz — i n der 17. Sitzg. des 2. B T v o m 26. 2.1954, Sten. Ber. S. 552 D — w i r d zwar eine Regelung der Verwaltungskompetenzen, aber nicht mehr eine Generalkompetenzbestimmung i n Aussicht genommen, us Vgl. oben, S. 36. I i 4 132. Sitzg. des 2. B T v o m 6.3.1956, Sten.Ber. S. 6819 Ä f f . ; 155. Sitzg. des Bundesrates v o m 16.3.1956, Sten. Ber. 760 ff.
13*
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4. Kap.: Wehrhoheit als Teil der Auswärtigen Gewalt
unter Nr. 1 a.F. des Art. 73 GG ist ein gewisses Indiz dafür — entscheidend ist, daß das Ergebnis dieser Auslegung den Grundvorstellungen der Gesetzgeber über den Inhalt der von ihnen erlassenen Wehrrechtsnovellen entsprach, daß dieses Auslegungsergebnis den Gesetzgebern als ein dem novellierten Grundgesetz i n irgendeiner Weise immanent gewordenes Hauptprinzip erschien. Die ausdrückliche Berufung der Gesetzgeber auf die deutsche Verfassungstradition der letzten Jahrzehnte, die Regelungen i n anderen Bundesstaaten und die sich aus der Natur der Dinge ergebende Notwendigkeit rechtfertigen es, i n dem gegebenen Zusammenhang der historischen Verfassungsauslegung noch einmal darauf hinzuweisen, daß sich aus den aufgezählten Gesichtspunkten nicht nur die Wehrhoheit des Bundes für sich als vernünftige Verfassungsregelung rechtfertigen läßt, sondern daß von dorther auch die durch die Subsumtion der Wehrhoheit unter A r t . 32 Abs. 1 GG bedingte Herstellung eines rechtlichen Zusammenhangs zwischen Wehrhoheit und diplomatischer Auswärtiger Gewalt als geschichtstreu gegenüber der eigenen Verfassungsgeschichte 110 , traditionsgebunden i m Verhältnis zu den älteren Bundesstaatsverfassungen 116 , sachgemäß i n Beziehung auf die faktischen Zusammenhänge zwischen Diplomatie und militärischer Gewalt 1 1 7 bestätigt wird.
4. Der Bedeutungswandel
des Art. 32 Abs. 1 des Grundgesetzes
Die Auslegung des Art. 32 Abs. 1 GG, die unter dieser Kompetenzgeneralzuweisung die Wehrhoheit subsumiert und damit i n ihr die Auswärtige Gewalt als eine einheitliche, nach außen gerichtete Zuständigkeit begreift, die die Teilbereiche der diplomatischen Auswärtigen Gewalt und der militärischen Auswärtigen Gewalt umfaßt, entspricht nach allem dem Willen des historischen Gesetzgebers, der durch den Erlaß der Wehrrechtsnovellen, die Einführung der Wehrhoheit, das gesamte grundgesetzliche Verfassungssystem demokratischer, ausbalancierter Kräfte einer tiefgreifenden Veränderung unterwarf 1 1 8 . Diese Auslegung stimmt jedoch nicht — wie darSiehe oben, §9, Abschnitt I I I . Vgl. insbesondere die völlige formale Übereinstimmung der A r t . 78 Abs. - u n d 79 S. 1 W V , durch die die diplomatische Auswärtige Gewalt u n d die militärische Auswärtige Gewalt f ü r das Reich i n Anspruch genommen werden, u n d das durch die Aufeinanderfolge beider Regelungen systematisch äußerste Zusammenrücken der beiden i n t e r dependenten auswärtigen Kompetenzen. Siehe oben, § 9, Abschnitt I u n d I I . siehe oben, § 8. Ii« Siehe oben, §2, A n m . 77. Vgl. auch Schule, Bundeswehr, S. 9: „Das Wesen eines Staates ändert sich tiefgreifend, wenn er, bisher ohne eigenen Schutz, sich nunmehr einen militärischen Waffenträger schafft." U n d Maunz,
§ 10 Auslegung des Artikel 32 Absatz 1 des Grundgesetzes
197
gestellt — m i t dem Willen des Verfassungsgebers des Jahres 1949 überein, der von der fehlenden Wehrhoheit der Bundesrepublik ausging. Die angegebene Auslegung beruht auf der Annahme, daß der Art. 32 Abs. 1 GG mit dem Erlaß der Wehrrechtsnovellen einen Bedeutungswandel erfahren hat. Ein solcher Bedeutungswandel gesetzlicher Regelungen aufgrund der ständigen Wandlungen der Wirklichkeit, zu der das Gesetz einen vernünftigen Bezug behalten muß, ist der juristischen Hermeneutik wohl bekannt 1 1 9 und seine Feststellung stellt einen A k t zulässiger Gesetzesauslegung dar 1 2 0 . So kann nach dem Bundesverfassungsgericht eine Gesetzesbestimmung „bei gleichbleibendem Wortlaut durch Veränderung der Verhältnisse einen Bedeutungswandel erfahren" 1 2 1 ; speziell bei Verfassungsbestimmungen hält es einen Bedeutungswandel für möglich, „wenn i n ihrem Bereich neue, nicht vorausgesehene Tatbestände auftauchen oder bekannte Tatbestände durch ihre Einordnung i n den Gesamtablauf einer Entwicklung i n neuer Beziehung oder Bedeutung erscheinen" 122 . Sind die neuen Tatbestände oder Gesamtentwicklungen zunächst rein technische, wirtschaftliche, soziale, politische, kulturelle, moralische Phänomene 123 , so kann ihnen bei der Auslegung einer Norm, deren Urheber diese Erscheinungen nicht vorausgesehen hat, nur i m Wege der objektiven Gesetzesauslegung Rechnung getragen werden 1 2 4 . Aber die unvorhergesehenen wirklichkeitsverwandelnden Tatbestände, die einzelne gesetzliche Regelungen i n einem anderen Licht erscheinen lassen, können auch neue Rechtsnormen sein. Engisch stellt diesen Fall des durch das Ergehen neuerer Gesetzesbestimmungen bedingten Bedeutungswandels einer i m Wortlaut unveränderten Regelung allen anderen voran 1 2 5 : „Der Sinn des Gesetzes wandelt sich schon darum, weil das Gesetz Bestandteil der gesamten Rechtsordnung ist und daher an deren ständiger Umbildung kraft der Einheit der Rechtsordnung teilnimmt. Neu hinzukommende Bestimmungen strahlen ihre Sinnkraft auf ältere aus und gestalten sie um." Bei der Gesetzesauslegung Staatsrecht, V o r w o r t zur 15. Auflage: „Die wesentlichsten Änderungen durch den Verfassungsgeber kamen i m Zusammenhang m i t der Wehrordnung, deren Entstehen u n d Wachsen i m Jahre 1949 nicht vorgesehen werden konnte. I h r e Wirkungen strahlen auf alle Zweige des Staatslebens aus." u® Engisch, S. 90; Larenz, S. 261 ff. Vgl. auch Berber, Sicherheit, S.24, zur besonders starken Dynamik allen politischen Rechtes. 120 Maunz, S. 57. 121 BVerfGE, Bd. 7, 342. 122 BVerfGE, Bd. 2, S. 401 u n d Bd. 3, S. 422. 123 Engisch, S. 90. 124 Larenz, S. 262. 125 Engisch, S. 90.
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4. Kap.: Wehrhoheit als Teil der Auswärtigen Gewalt
muß der Blick immer auf die Gesamtrechtsordnung gerichtet bleiben als einem einheitlichen, sinnvollen Regelungssystem m i t dem Ziel, Widersprüche — soweit als möglich — auszuräumen 126 . Der Auslegungsgrundsatz „lex posterior derogat legi priori" z.B. ist eine Harmonisierungsregel, durch die kontradiktorische Widersprüche zeitlich nacheinander ergehender Regelungen ausgeschlossen werden 1 2 7 . Sofern die jüngere Regelung aber nicht denselben Gegenstand betrifft wie die ältere, sondern mit ihr lediglich i n sachlichem Zusammenhang steht, w i r d die ältere Vorschrift nicht einfach derogiert, sondern so auszulegen sein, daß sie mit der jüngeren i n widerspruchsfreiem, sinnvollem, gesamtsystematischem Zusammenhang steht. W i r d i n einer Rechtsordnung z.B. die Todesstrafe abgeschafft, so entfallen die alten Straftatbestände, i n denen die Todesstrafe angedroht ist, nicht, sondern sind dahin auszulegen, daß an die Stelle der Todesstrafe die höchste Freiheitsstrafe tritt. I m allgemeinen w i r d auch der Bedeutungswandel einer gesetzlichen Regelung aufgrund von normativen Veränderungen der Gesamtrechtsordnung durch objektive — grammatische, systematische und teleologische — Auslegung zu ermitteln sein 1 2 8 . Jedoch dort, wo die Rechtsänderungen — wie i m Falle der Wehrrechtsnovellen — ein ganzes Gesetz i n einschneidender Weise umgestalten, erhält das Gesetz einen „zweiten Gesetzgeber". Da jedes Gesetz ein organisches Ganzes bildet und weniger die einzelne Bestimmung als der Gesamtzusammenhang die legislatorischen Grundentscheidungen und Zielvorstellungen offenbart, ist anzunehmen, daß der Urheber umfassender Novellen die Auswirkung der Rechtsveränderungen auf die in ihrem Wortlaut unveränderten Bestimmungen mit i n Betracht gezogen hat. Die historische Auslegung der bei weitreichenden Gesetzesänderungen i n ihrem Wortlaut unberührt gebliebenen Bestimmungen muß daher i n einem zweistufigen Verfahren erfolgen, i n dem zunächst nach dem Willen des ursprünglichen Gesetzgebers zu fragen ist, u m dann zu prüfen, ob der „zweite Gesetzgeber" mit seiner Novelle neue maßgebende rechtspolitische Entscheidungen und Zielvorstellungen i n das Gesetz einführte. W i l l man diese fortschreitende historische Gesetzesauslegung nicht als echte historische Auslegung anerkennen, so w i r d man sie jedenfalls als Teil der zulässigen und primär gebotenen objektivierenden Verfassungsauslegung betrachten müssen. Die Subsumtion der Wehrhoheit als Teil der Auswärtigen Gewalt der Bundesrepublik unter die Bestimmung des A r t . 32 Abs. 1 GG ist 12« a.a.O., S. 156 ff. 127 a.a.O., S. 159. 128 a.a.O., S. 90.
§11. Herkömmliche Auslegung des Artikels 32
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das übereinstimmende Ergebnis grammatischer, systematischer und objektiv-teleologischer Auslegung des Grundgesetzes. Es w i r d auch durch die historische Auslegung bestätigt, sofern man den Willen der Gesetzgeber der Wehrrechtsnovellen nicht in isolierender Betrachtungsweise nur bei der Interpretation der dem Wortlaut nach ergänzten und der neu eingeführten Bestimmungen heranziehen w i l l .
§ 11. Wertung des Auslegungsergebnisses und Einbeziehung in die herkömmliche Interpretation des Art. 32 Abs. 1 GG 1. Verhältnis der vorgeschlagenen Auslegung des Art. 32 Abs. 1 GG zu seiner herkömmlichen Auslegung Das Ergebnis der i m vorhergehenden Paragraphen vollzogenen Auslegung des A r t . 32 Abs. 1 GG, die ausschließliche Bundesgeneralkompetenz für Verteidigungsangelegenheiten, befindet sich i n völliger Ubereinstimmung m i t der zu dieser Zuständigkeitsfrage i n der Literatur einmütig gehegten Meinung. Die erstmals von Berber i m Jahre 1963 ausgeführte Ableitung dieses Ergebnisses 1 aus A r t . 32 Abs. 1 GG ist i n der staatsrechtlichen Literatur neu, steht jedoch nicht i n Widerspruch zu der herkömmlichen Auslegung dieser Bestimmung, ist vielmehr i n dieser Auslegung angelegt und stellt ihre völlige Entwicklung und Entfaltung dar. Nach der herrschenden Meinung obliegt aufgrund des Art. 32 Abs. 1 GG „die Wahrnehmung aller Aufgaben, die sich aus der Stellung des Staates innerhalb der Völkergemeinschaft ergeben" 2 , dem Bund. Aus der Stellung der Bundesrepublik i n der Staatengemeinschaft ergibt sich aber nicht nur — wie allgemein vorausgesetzt — die Möglichkeit und das Recht zur Beziehungsgestaltung mit friedlich-diplomatischen Mitteln, sondern auch die Möglichkeit und das Recht, sich feindlicher Angriffe m i t Gewalt zu erwehren. Allerdings, sofern die auswärtigen Beziehungen als Gegenstand der Auswärtigen Gewalt nach A r t . 32 Abs. 1 GG als „Rechtsbeziehungen" eines Staates zu anderen Völkerrechtssubjekten definiert werden 3 , ist die Gewaltanwendung aus dem Bereich der „Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten" aus1 Siehe dazu Berber, Polizei (Vortrag), S. 117 f., u n d oben, Einleitung, Abschn. 1, Abs. 3. 2 So Bernhardt, S. 125. Vgl. zur Auslegung des A r t . 32, Abs. 1 G G u n d zur Definition der Auswärtigen Gewalt auch oben § 4, Abschnitt I I I , 1 u n d § 3, Abschnitt 1 u n d 2. 3 v. Mangoldt-Klein, A r t . 32, A n m . I I , 1 (vgl. oben § 4, Abschn. I I I , 1 am Anfang).
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4. Kap.: Wehrhoheit als Teil der Auswärtigen Gewalt
geschlossen. Jedoch es wurde oben schon dargelegt 4 , daß die Beschränkung des Begriffs der auswärtigen Angelegenheiten auf reine Rechtsbeziehungen nicht der Wirklichkeit gerecht wird, daß sich vielmehr die allgemeinen zwischenstaatlichen Verkehrsbeziehungen i n einem vorrechtlichen Raum verwirklichen, gebunden nur an die Regeln der Courtoisie. Andererseits ist die zwischenstaatliche Gewaltanwendung heute — wie dargelegt 5 — nicht von jeglichen Rechtsbindungen frei, sondern i n Voraussetzungen und Durchführung eng an das Völkerrecht gebunden. Waffenkämpfe zwischen Staaten sind zwar keine völkerrechtlichen Rechtsverhältnisse, aber jede Rechtsverletzung i m Rahmen einer Auseinandersetzung ist ein Rechtsfolgen begründendes völkerrechtliches Delikt. Wenn man „Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten" i n „Handeln i m Bereich der Völkerrechtsordnung" übersetzt 6 , so ist dies völlig zutreffend, eine überzeugende Definition der Auswärtigen Gewalt. Die Auswärtige Gewalt umfaßt danach auch die Gewaltanwendung i m internationalen Bereich. Sofern man diese Schlußfolgerung nicht zieht, hat man die eigene Begriffsbestimmung — eventuell aufgrund einer Verkennung der völligen Verrechtlichung der internationalen Beziehungen durch das moderne Völkerrecht — nicht erschöpft. Die Tatsache, daß man sich in der heutigen Staatsrechtslehre noch nicht auf den der früheren Verfassungstheorie vertrauten 7 und sich auch bei der Verfassungsvergleichung darstellenden 8 innigen Zusammhang zwischen diplomatischer Auswärtiger und militärischer Auswärtiger Gewalt zurückbesonnen und für die Auslegung des A r t . 32 Abs. 1 GG fruchtbar gemacht hat, ist i m wesentlichen darauf zurückzuführen, daß bei Erlaß der Wehrrechtsnovellen zum Grundgesetz, der Begründung der Wehrhoheit für die Bundesrepublik, die Auslegung des A r t . 32 Abs. 1 GG bereits fixiert war 9 . Zunächst war es gerechtfertigt, Auswärtige Gewalt i m Sinne dieser Bestimmung als diplomatische Auswärtige Gewalt zu begreifen, da die Abwesenheit jeder weiteren Detailregelung zu einer Wehrverfassung i m Grundgesetz wie z.B. über die Verteilung von Gesetzgebungs- und Verwaltungszuständigkeiten, Innehabung des Oberbefehls, deutlich erkennen ließ, daß der durch das Grundgesetz i m Jahre 1949 konstitutierte 4
§ 3, Abschnitt 2. § 7, Abschnitt I . v. Mangoldt-Klein, a.a.O., (Hervorhebung v o m Verf.). Siehe oben, § 6, Abschnitt 1—3. Siehe oben, § 9. 9 Dazu, daß diese F i x i e r u n g der Vorstellungen durch die Verwendung des Wortes „Pflege" i n A r t . 32 Abs. 1 GG gefördert wurde, siehe Berber, Polizei (Vortrag), S. 118 (zitiert oben, Einleitung, Abschn. 1, Abs. 3). « « 7 8
§11. Herkömmliche Auslegung des Artikel 32
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Staat waffenlos sein sollte. Sich von dieser zunächst zutreffenden, beschränkten Auslegung des A r t . 32 Abs. 1 GG abzulösen, anzuerkennen, daß diese Bestimmung mit dem Inkrafttreten der Wehrrechtsnovellen einen Bedeutungswandel erfahren hat, daß neuerdings ihr Bedeutungsgehalt den vollen Sinngehalt ihrer Worte umfaßt 1 0 , ist ein Schritt, der von Berber i n den oben 11 wiedergegebenen Erwägungen angeregt wurde, aber bisher noch nicht allgemein vollzogen worden ist. Die 1954 begründete Wehrhoheit der Bundesrepublik wurde als eine dem Staat erneut zugewachsene, eigenständige Funktion betrachtet; eine Untersuchung des Zusammenhanges zwischen Wehrhoheit und dem entwickelten beschränkten Begriff der Auswärtigen Gewalt ist durch die Interpreten des Grundgesetzes nicht erfolgt. 2. Kritische Darstellung der Untersuchungen der heutigen Staatsrechtslehre zum Verhältnis von Wehrhoheit und Auswärtiger Gewalt zueinander (Arndt, Kraus, Loewenstein, Krüger) a) Vor dem Ergehen der Wehrrechtsnovellen, i n einem Schreiben zum Wehrstreit vor dem Bundesverfassungsgericht vom 30.12.1953, hat Arndt auf den notwendigen Zusammenhang zwischen dem Art. 32 Abs. 1 GG und der Frage nach der Wehrhoheit hingewiesen 12 , indem er feststellte, daß die separate Armee eines Landes gegen die verfassungsgemäße Ordnung verstoße, „da die Existenz einer bewaffneten Macht, die zur Gewaltanwendung auch fremden Staaten gegenüber geeignet ist, i n die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten eingreift, die allein Sache des Bundes ist (Art. 32 Abs. 1 GG)". Die Hinzufügung, daß andererseits A r t . 32 Abs. 1 GG die gesetzgebenden Organe des Bundes nicht zum Erlaß einer Wehrverfassung ermächtige, entsprach der damaligen Verfassungsgesamtlage. b) Auch Kraus hat i n seinen Gutachten zum Streit um den Wehrbeitrag der Bundesrepublik 1 3 die Frage, ob die Regelung des A r t . 32 Abs. 1 GG die Wehrhoheit für die Bundesrepublik begründe, aufgeworfen und verneint, sich dabei aber nicht ausdrücklich auf die aus dem Gesamtinhalt des Grundgesetzes sich ergebende Aussetzung der Verteidigungsfrage, sondern auf den Inhalt des Begriffs der Auswärtigen Gewalt berufen. Nach Kraus ist die Auswärtige Gewalt, speziell die Pflege der Beziehungen der Bundesrepublik zu auswärtigen Staaten, begrifflich streng von der Wehrhoheit zu unterscheiden. Kraus 10
Z u r Wortauslegung des A r t . 32, Abs. 1 G G siehe oben, § 10, Abschnitt I. Siehe oben, Einleitung, Abschn. 1, Abs. 3. 12 Arndt, Wehrbeitrag I I I , S. 371 ff. (413). 13 Kraus, Wehrbeitrag I, S. 139 ff. (144) u n d Wehrbeitrag I I , S. 530 ff. (536). 11
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4. Kap.: Wehrhoheit als Teil der Auswärtigen Gewalt
räumt ein, daß der Gegenstand von Auswärtiger Gewalt und Wehrhoheit der gleiche sei, die Gestaltung der auswärtigen Beziehungen; das begriffliche Unterscheidungsmerkmal beider Bereiche, sagt Kraus, liege i n den zur Verfügung gestellten Mitteln, Waffengewalt gehöre nicht zu den Mitteln der Auswärtigen Gewalt 1 4 . Jedoch für eine solche Unterscheidung nach den zur Verfügung gestellten Mitteln bietet A r t . 32 Abs. 1 GG keinerlei Anhaltspunkt. Kraus selbst sagt 15 : „Der Ausdruck ,Pflege der Beziehungen' ist nicht auf die Goldwaage zu legen. Diese Pflege muß nicht nur i n Anknüpfung, Festigung und Verbesserung des Verhältnisses zu anderen Staaten bestehen, sondern kann möglicherweise auch auf Verschlechterung bis zur Repressalie, Abbruch der Beziehungen und Krieg gerichtet sein." Zur weiteren Begründung seiner These weist Kraus auf die getrennte innerstaatliche Organisation von diplomatischer Auswärtiger Gewalt und militärischer Auswärtiger Gewalt h i n 1 6 ; i n seinem Zweitgutachten bezieht er sich weitgehend auf die Stellungnahme der Niedersächsischen Landesregierung zum Wehrstreit 1 7 , die allein unter diesem innerstaatlichorganisatorischen Gesichtspunkt zwischen Wehrhoheit und Auswärtiger Gewalt unterscheidet 18 . Solche Berufung auf die Unterschiede zwischen militärischer Auswärtiger Gewalt und diplomatischer Auswärtiger Gewalt i n ihren internen akzessorischen Organisationsbereichen war vollauf gerechtfertigt, um darzulegen, daß i m gewaltenteilenden Rechtsstaat der Bundesrepublik aus der materiellen Generalzuständigkeitsklausel des Art. 32 Abs. 1 GG, einer Grundsatznorm und Auslegungsregel für Kompetenzstreitigkeiten, allein, ohne das Vorhandensein irgendwelcher Spezialzuweisungen von Kompetenzen an einzelne Organe der Rechtssetzung und Verwaltung die Wehrhoheit nicht abgeleitet werden konnte. Die Unterschiede i n der internen Organisation der auswärtigen Staatsfunktionen berechtigen aber nicht, die diplomatische Auswärtige Gewalt und die militärische Auswärtige Gewalt als begriffsnotwendig selbständig und unabhängig voneinander zu behandeln. Der „Versuchung", der sich Kraus ausgesetzt sieht, Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt als vierte und fünfte Gewalt i m Staate zu behandeln, kann nur der ernsthafteste Widerstand entgegengesetzt werden, denn ein solches Verfahren würde die Auflösung jedes sinnvollen Zusammenhanges i n den auswärtigen Funktionen des Staates bedeuten. 14 Kraus, Wehrbeitrag iß a.a.O. 16 a.a.O., S. 144. 17 Kraus, Wehrbeitrag 18 Stellungnahme der Wehrbeitrag I I , S. 402 ff.
I , S. 143.
I I , S. 536. Niedersächsischen Landesregierung v o m 21.8.1952, (431 ff.).
§11. Herkömmliche Auslegung des Artikel 32
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c) I m Kampf u m den Wehrbeitrag hat schließlich Loewenstein ohne besondere Bezugnahme auf A r t . 32 Abs. 1 GG die Feststellung getroffen, daß auswärtige Angelegenheiten und Wehrwesen zwei verschiedene Zuständigkeiten seien, um daran die Schlußfolgerung zu knüpfen, daß die letztere nicht aus der ersteren abgeleitet werden könne 1 9 . Die 1949 begründete Bundesrepublik gab das Beispiel eines Staates, der nach seiner Verfassung w o h l die diplomatische Auswärtige Gewalt, nicht aber die militärische Gewalt innehat. I n diesem Sinne sind die beiden Zuständigkeiten unterscheidbar und die eine nicht auf der anderen abzuleiten. Die Frage, die sich heute, nach der Begründung der Wehrhoheit, für die Bundesrepublik stellt, ist davon völlig verschieden. Es ist die Frage, ob es eine sinnvolle Auslegung des Grundgesetzes sein kann, die Generalzuständigkeit des Bundes für die diplomatische Auswärtige Gewalt auf A r t . 32 Abs. 1 GG zurückzuführen und mangels einer entsprechenden ausdrücklichen Regelung für die militärische Auswärtige Gewalt für diesen Bereich eine subsidiäre Generalzuständigkeit der Länder aus Art. 30 GG zu entwickeln. Loewenstein, der die diplomatische Auswärtige Gewalt und die militärische Auswärtige Gewalt des Zentralstaates zu den Essentialia bundesstaatlicher Organisation zählt, würde diese Frage verneinen 2 0 . I n diesem Sinn führt er Wheare an m i t der sprechenden Feststellung, daß die diplomatische Auswärtige Gewalt und die militärische Auswärtige Gewalt demselben Gewaltträger zugewiesen werden müssen, da die militärische Auswärtige Gewalt ohne die diplomatische Auswärtige Gewalt leer, die diplomatische Auswärtige Gewalt ohne die militärische Auswärtige Gewalt blind sei 21 . d) I n jüngerer Zeit hat sich unter den Staatsrechtlern Krüger i n seiner Staatslehre, also ohne auf die speziellen Auslegungsfragen zum Grundgesetz einzugehen, m i t dem Problem des Verhältnisses von Wehrhoheit und diplomatischer Auswärtiger Gewalt zueinander auseinandergesetzt 22 . Auch er trennt zunächst beide Staatsfunktionen bei Anerkennung ihrer gemeinsamen Aufgabe, „der unmittelbaren Sicherung der nationalen Existenz" 2 3 . Dabei arbeitet er als einen wesentlichen Unterschied zwischen diplomatischer und militärischer Auswärtiger Gewalt heraus, daß die diplomatische Auswärtige Gewalt als einzige Staatsgewalt es nicht m i t Untertanen oder sonstwie Unterworfenen zu t u n habe und darauf angewiesen sei, ihresgleichen (die 19
Loewenstein, Wehrbeitrag II, S. 337 ff. (355).
20 a.a.O., S. 346. 21 a.a.O., S. 346 f.
22 Krüger, S. 929 ff. 23 a.a.O., S. 934.
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4. Kap.: Wehrhoheit als Teil der Auswärtigen Gewalt
fremden Staaten) freiwillig zu gewinnen und zu verpflichten, während die Militärgewalt, mit Befehlsrechten ausgestattet, sich am wenigsten der Zustimmung der Adressaten ihrer Maßnahmen, der Zustimmung ihrer Angehörigen nämlich, zu versichern brauche 24 . Diese Unterscheidung ist unzutreffend, weil die militärische Auswärtige Gewalt wie die diplomatische Auswärtige Gewalt ein nach außen gewendetes Hoheitsrecht ist, die Adressaten ihrer Maßnahmen primär die fremden Staaten sind, und die Soldaten i n erster Linie Organe der Wehrgewalt sind und nicht Adressaten, wie die Diplomaten Organe der Auswärtigen Gewalt sind und nicht ihre Adressaten. Das Wesen der Wehrhoheit i n der die Bürger belastenden Wehrpflicht und nicht i n der Staatsverteidigung m i t Gewalt zu erblicken, hieße M i t t e l und Zweck vertauschen. Des weiteren hebt Krüger als Unterschiede die „Zielsetzung" 2 5 hervor: die diplomatische Auswärtige Gewalt müsse Kriege verhüten, die militärische Auswärtige Gewalt müsse Kriege gewinnen, und die „Gestimmtheit" 2 6 : die militärische Auswärtige Gewalt müsse i m Gegensatz zur diplomatischen Auswärtigen Gewalt präventiv denken. Tatsächlich steht die mit friedlichen Mitteln geführte Außenpolitik genauso unter dem Zwang, präventiv zu denken, wie das Militär, vor allem aber lassen sich in Frieden und Krieg die militärische und die diplomatisch Zielsetzung nicht voneinander trennen 2 7 . Krüger mißt auch seinen deskriptiven Unterscheidungen keinen weiteren juristischen Wert bei, endet vielmehr bei der von i h m grundsätzlich aufgeworfenen Fragestellung, „ob die einzelnen Gewalten unverbunden nebeneinander stehen und womöglich deswegen gegeneinander wirken, oder ob nicht eine unter ihnen dadurch ausgezeichnet sein muß, daß sie alle Einzelgewalten i m Sinne der Gesamtheit und des Gemeinwohls zusammenfaßt und zu einer Gesamtleitung ordnet". 2 8 Nach einer Darstellung der ungemein gesteigerten Realität der Militärgewalt fordert er eine erneute „grundsätzliche Klärung des Verhältnisses von Auswärtiger Gewalt und Militärgewalt". Unter Berufung auf das i n seiner Staatslehre i m Mittelpunkt stehende Prinzip der Nichtidentifikation 2 9 lehnt er jede ideologische Kriegführung ab und bekennt sich ausdrücklich zu den ClausewitzThesen über das Verhältnis vom Krieg zur Politik, zur Unterordnung der Militärgewalt als einem M i t t e l unter die herrschende, Ziel und Maßstäbe setzende Auswärtige Gewalt 3 0 . * 4 a.a.O. a.a.O. 26 a.a.O., S. 934 f. 27 Siehe dazu oben, § 8. 28 Krüger, S. 925. 29 a.a.O., S. 178 ff. 80 a.a.O., S. 935 f.
§11. Herkömmliche Auslegung des Artikel 32
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3. Kritische Stellungnahme zu anderen Versuchen der Begründung der Bundesgeneralkompetenz für Verteidigung a) Dogmatisch völlig unzureichend ist die Berufung darauf, „daß nach einhelliger Meinung der Bundesregierung, des Bundestages und des Bundesrates Aufstellung und Unterhaltung der Streitkräfte Bundesangelegenheiten sind" 3 1 . Auch i n der Wissenschaft w i r d die Bundesgeneralzuständigkeit für Verteidigungsangelegenheiten zum Teil ohne weitere Begründung vorausgesetzt 32 . Einzuräumen ist dabei allein, daß von den Ländern bisher keine Verteidigungsbefugnisse beansprucht wurden und zur Zeit beim Bund auch keine Bestrebungen erkennbar sind, Verteidigungsaufgaben in größerem Umfang zu delegieren 33 . Trotzdem bleibt für den Verfassungsjuristen, der unabhängig von den aktuellen Konflikten das Ganze der Verfassung als ein durchschaubares, festes, sinnvolles Ordnungssystem darzustellen hat, die Frage zu beantworten, an welcher Stelle i m Grundgesetz die militärische Auswärtige Gewalt als Gesamtzuständigkeit des Bundes verortet ist bzw. ob die herrschende Meinung, die dem Bund die Wehrhoheit ausschließlich zuspricht, überhaupt rechtlich zutreffend ist. b) Als wenig befriedigend müssen unter den juristischen Begründungsversuchen diejenigen angesehen werden, die aus der großen Zahl der den akzessorischen Organisationsbereich der militärischen Auswärtigen Gewalt betreffenden Bestimmungen eine herausgreifen und aus ihr i m Wege eines kühnen Induktionsschlusses die Generalzuständigkeit, die umfassende Wehrhoheit des Bundes ableiten. Dies gilt insbesondere für die zahlreichen Versuche, auf A r t . 87 a GG die These der Alleinzuständigkeit des Bundes für die Aufstellung und Unterhaltung von Streitkräften zu gründen 34 . A r t . 87 a GG ist eine die intra-governmental-division-of-powers innerhalb des Bundes betreffende Organisationsbestimmung, die dem Parlament mittels der Haushaltsgesetzgebung nach A r t . 110 Abs. 2 S. 1 GG ein besonderes Kontrollrecht über die Entwicklung seiner Streitkräfte gewährt, und keinesfalls dafür bestimmt, etwas über die inter-governmentaldivision-of-powers zwischen Bund und Ländern auszusagen35.
31 Meyer-Dahlheuer,
S. 185.
32 Siehe z. B. Schüle, Bundeswehr, S. 17. 33 Z u m Verbot von Kompetenzdelegationen i m Bundesstaat siehe MaunzDürig, A r t . 20, Rz. 17 f. u n d Adamovich, S. 150 ff. 34 So Maunz-Dürig,
A r t . 87 a, Rz. 6 m i t zahlreichen weiteren Nachweisen.
35 Z u r K r i t i k dieser Auslegung des A r t . 87 a GG siehe auch oben, § 2 Abschnitt I I I , 2 l i t . k.
206
4. Kap.: Wehrhoheit als Teil der Auswärtigen Gewalt
c) Auch die oben dargestellten Versuche 36 von Maunz, Martens und in einem später eingeschränkten obiter dictum des Bundesverfassungsgerichts, aus einem Bündel solcher Detailbestimmungen die Bundesgeneralkompetenz für Verteidigung abzuleiten, sind problematisch. Es wurde in der ersten K r i t i k dieser Begründungsversuche oben 37 bereits dargelegt, daß es nach dem Baurechtsgutachten des Bundesverfassungsgerichts ein unzulässiges Verfahren ist, aus föderalen Einzelzuständigkeiten eine umfassende Gesamtzuständigkeit abzuleiten, und daß schon nach allgemeinen hermeneutischen Prinzipien eine gesetzesergänzende Lückenausfüllung erst i n Betracht kommt, wenn eine Gesetzeslücke nachgewiesen ist. Anerkennt man die m i t dieser Arbeit i n Anlehnung an Berber 3 8 entwickelte Auslegung des Art. 32 Abs. 1 GG, die die Gestaltung aller auswärtigen Beziehungen m i t friedlichdiplomatischen Mitteln und mit militärisch gewaltsamen Mitteln als eine Einheit begreift und deswegen die Generalzuständigkeit des Bundes nicht nur für den Bereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt, sondern auch für den Bereich der militärischen Auswärtigen Gewalt i n dieser Bestimmung verankert sieht, so erübrigt sich die in einem geschlossenen bundesstaatlichen Kompetenzsystem stets prekäre Lückenausfüllung praeter legem. d) Entsprechend kommt auch die Ableitung der Wehrhoheit des Bundes als einer die Länder ausschließenden Gesamtzuständigkeit aus dem Rechtsgedanken der Natur der Sache nicht i n Betracht. Das Grundgesetz, die Verfassung eines gewaltenteilenden Rechtsstaats 39 , weist i n ihren Kompetenzkatalogen die Zuständigkeiten prinzipiell den Organen der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung zu. Die Kompetenzregelungen erfolgen primär nicht nach materiellen Hoheitsrechten 40 . Jedoch ist es ein Charakteristikum des Grundgesetzes, daß es um der Geschlossenheit seines Kompetenzsystems willen den Spezialkatalogen nicht an das Gewaltenteilungsschema gebundene allgemeine Zuständigkeitsgeneralklauseln, die Art. 30 und 32 Abs. 1 GG, überordnet 41 . Dabei ist nach der oben entwickelten Auslegung des A r t . 32 Abs. 1 GG diese Bestimmung nicht als eng auszulegende Ausnahmebestimmung gegenüber A r t . 30 GG zu betrachten, sondern als weit auszulegende Regelbestimmung. A r t . 30 GG betrifft alle rein innerstaatlichen Funktionen und weist 38 Oben, § 2, Abschnitt I V . 37 Oben, §2, Abschnitt V. 38 Vgl. dazu oben, Einleitung, Abschn. 1, Abs. 3. 39 Das Grundprinzip ist i n A r t . 20 Abs. 3 GG formuliert. 40 Siehe Kaufmann, Wehrbeitrag I I I , S. 323. 4 * Vgl. oben, § 10, Abschnitt I I , 1 u n d 2.
11. Herkömmliche Auslegung des Artikel 32
207
sie i m Zweifel den Ländern zu; A r t . 32 Abs. 1 GG betrifft alle nach außen gerichteten Staatstätigkeiten ohne Rücksicht auf die verwendeten Mittel, nämlich die diplomatische und die militärische Auswärtige Gewalt, und weist sie grundsätzlich ausschließlich dem Bund zu. Die beiden Zuständigkeitsgeneralklauseln gliedern die gesamten Staatsfunktionen mit der Unterscheidung von inneren und auswärtigen Angelegenheiten i n zwei materielle Funktionsbereiche und schließen je für ihren Bereich die Begründung von Bundes- bzw. Gliedstaatkompetenzen, die auf dem Prinzip der Natur der Sache fußt, weitgehend aus 42 . Dort, wo Zweifelsfragen auftauchen, fungieren diese Bestimmungen als gesetzliche Auslegungsregeln, wo sich echte Lücken i n den Einzelzuweisungen zeigen, schließen sie diese Lücken, ohne daß es einer rechtsfortbildenden Gesetzesauslegung bedürfte. 4. Schlußbetrachtung Die mit dieser Arbeit vollzogene, auf den Ausführungen Berbers aus dem Jahre 196343 fußende Auslegung des Art. 32 Abs. 1 GG hebt die klare Scheidung des Grundgesetzes zwischen inneren und auswärtigen Kompetenzen hervor. Die Herausarbeitung des Charakters der Wehrhoheit als eines nach außen gewendeten Hoheitsrechtes ermöglicht die bis dahin nicht erreichte eindeutige Fixierung der Bundesgeneralzuständigkeit für Verteidigungsangelegenheiten i m bundesstaatlichen Kompetenzsystem des Grundgesetzes. Die gemeinsame Subsumtion der diplomatischen Auswärtigen Gewalt und der militärischen Auswärtigen Gewalt als Teilaspekte der einen einheitlichen Auswärtigen Gewalt unter die Kompetenznorm des A r t . 32 Abs. 1 GG bedeutet aber nicht nur eine feste Verortung der dogmatisch gesehen bis dahin vagierenden Wehrhoheit, sie bringt zugleich i n eindringlicher Weise die Einordnung und Unterordnung der militärischen Funktionen i m Verhältnis zu der allgemeinen Außenpolitik zum Ausdruck. Die politische Führung der Streitkräfte sollen i m Grundgesetz i n erster Linie die Bestimmungen der A r t i k e l 65 und 65 a, die Bindung der Außenpolitik an das Völkerrecht, insbesondere an die Friedensprinzipien des Völkerrechts, die A r t i k e l 25 und 26, gewährleisten. Die Wille des Grundgesetzes, daß die Wehrhoheit nicht als eine unabhängige Staatsfunktion i n Erscheinung trete, sondern stets ein Gestaltungsmittel i m Rahmen der allgemeinen Außenpolitik bleibe und zwar i n Bindung an das Völkerrecht eine ultima ratio 42
So Maunz zu A r t . 30 i n : Maunz-Dürig, A r t . 30, Rz. 14. Berber , Polizei (Vortrag), S. 117 f. (wiedergegeben oben Einleitung, A b schnitt 1, Abs. 3). 43
208
4. Kap.: Wehrhoheit als Teil der Auswärtigen Gewalt
der Selbstverteidigung, spiegelt sich aber auch nach der hier entfalteten Berberschen Auslegung des A r t . 32 Abs. 1 GG i m Kompetenzsystem des Grundgesetzes wider, i n der Zusammenfassung aller auswärtigen Funktionen zu der einen Auswärtigen Gewalt. Die Proklamation des absoluten Vorranges der Wehrgewalt und der militärischen Zielsetzungen i n Kriegszeiten, wie sie i m 1. Weltkrieg durch General Ludendorff erfolgte 44 , hätte sich auch zur Weimarer Zeit u. a. auf die Verfassung berufen können, die m i t ihren A r t i k e l n 78 Abs. 1 und 79 S. 1 scheinbar 45 diplomatische und militärische Auswärtige Gewalt 4 6 gleichrangig nebeneinander stellte und so den Gedanken nahelegte, diplomatische Auswärtige Gewalt sei die Auswärtige Gewalt i m Frieden und militärische Auswärtige Gewalt der allein maßgebende Faktor i m Kriege. Solche die Einheit der Außenpolitik, die Sicherheit und unter Umständen die Existenz des Staates gefährdende Aufteilung der auswärtigen Funktionen ist nach dem Kompetenzsystem des Grundgesetzes, i n das keine dem A r t . 79 S. 1 W V entsprechende Bestimmung aufgenommen wurde, i n dem vielmehr alle auswärtigen Funktionen durch Art. 32 Abs. 1 zusammengefaßt werden, nicht möglich. Diese sich nach der von Berber vorgeschlagenen und hier ausführlich entwickelten Auslegung des A r t . 32 Abs. 1 GG i m Zuständigkeitssystem des Grundgesetzes offenbarende Unselbständigkeit der militärischen Funktionen, ihre Bindung an die diplomatische Auswärtige Gewalt, steht auch i n einer aufgrund der Völkerrechts- und Friedensfreundlichkeit des Grundgesetzes 46 positiv zu bewertenden Ubereinstimmung mit der allgemeinen Entwicklungsrichtung der zwischenstaatlichen Beziehungen und der völkerrechtlichen Ordnung. Während i n einem ersten Stadium Kriege die beherrschende Erscheinungsform internationaler Beziehungen waren, die militärische Auswärtige Gewalt der maßgebende Teilaspekt der Auswärtigen Gewalt, sind bei stärkerer Intensivierung der zwischenstaatlichen Kontakte die friedlichen Verkehrs- und Vertragsbeziehungen zu einer immer größeren Bedeutung erwachsen 47 . Der Häufigkeit militärischer Begegnungen und friedlich-diplomatischer Berührungen nach erhielt die diplomatische Auswärtige Gewalt i n den letzten 150 Jahren eine überragende Bedeutung. Zieht man jedoch die Zerstörungsgewalt militärischer Wirkungsmittel und die bis zum Ende des 1. Weltkrieges 44
Siehe oben, § 8, A n m . 67. Z u r Auslegung dieser Bestimmung siehe oben, § 6, Abschnitt 3 u n d § 9, Abschnitt I I I , 1. 4 « Siehe oben, § 10, Abschnitt I I I , 3 u n d 4. 47 Siehe oben, §6, Abschnitt 1. 45
§11. Herkömmliche Auslegung des Artikel 32
209
fortbestehende völlige Freiheit zur Kriegführung i n Betracht, w i r d man sagen müssen, daß sich bis zu diesem Zeitpunkt diplomatische und militärische Auswärtige Gewalt relativ selbständig gegenüberstanden. Eine entscheidende Veränderung brachten die durch das Völkerrecht dieses Jahrhunderts entwickelten rigorosen Bindungen und Einschränkungen der Gewaltanwendung i m internationalen Bereich mit sich 48 . Durch sie wurde alle militärische Gewaltausübung den friedlich-diplomatischen Gestaltungsmitteln nachgeordnet, die militärische Auswärtige Gewalt der diplomatischen Auswärtigen Gewalt untergeordnet. Diesem Entwicklungsschritt des Völkerrechts trägt das innerstaatliche Verfassungsrecht der Bundesrepublik durch die Einbeziehung der militärischen Gewalt i n die auswärtige Gesamtzuständigkeit des Bundes nach A r t . 32 Abs. 1 GG i n prägnanter Weise Rechnung. Ein letzter Schritt i n der aufgezeigten Entwicklung, ein notwendiger Schritt zum Heil der sich explosionsartig vermehrenden und mit immer ungeheureren Waffen sich rüstenden Menschheit, wäre ein völliger Verzicht der Staaten auf die Ausübung ihrer militärischen Auswärtigen Gewalt, eine Beschränkung der Auswärtigen Gewalt auf friedlich-diplomatische Mittel.
48
Siehe oben, § 7, Abschnitt 1.
14 Sachau
Zusammenfassung Die Wehrhoheit des Bundes als ausschließliche Generalzuständigkeit für Verteidigungsangelegenheiten ist i n der Kompetenzgeneralklausel des A r t . 32 Abs. 1 GG verankert. Diese Bestimmimg umfaßt alle auswärtigen Staatsfunktionen als einheitliche „Auswärtige Gewalt". U m den durch diese Bestimmung gestifteten rechtlichen Zusammenhang zwischen dem diplomatischen auswärtigen Bereich und dem militärischen auswärtigen Bereich zum Ausdruck zu bringen, empfiehlt es sich, diese Teilbereiche der Auswärtigen Gewalt der Bundesrepublik als „diplomatische Auswärtige Gewalt" und „militärische Auswärtige Gewalt" zu bezeichnen.
Anhang
Textliche Nachweise zu den Bestimmungen über die Wehrhoheit und die diplomatische Auswärtige Gewalt in Bundesstaatsverfassungen mit Anmerkungen I. Die geltenden Verfassungen mit ausschließlicher und umfassender Zuweisung der Auswärtigen Gewalt an die Zentralstaaten 1 a) Argentinien,
Neufassung der Verfassung des Jahres 1853 v o m 16.3.1949
aa) Diplomatische Auswärtige Gewalt des Bundes: A r t . 68 Congress shall have power: . . . (19) To approve or reject treaties signed w i t h other n a t i o n s . . . (23) To authorize the executive power to declare w a r or to make peace; A r t . 83
The president of the Nation has the following p o w e r s : . . .
(10) He appoints and removes ambassadors ... He concludes and signs treaties of peace, of trade, of navigation, of alliance, of boundaries and neutrality, agreements w i t h the Pope and other negotiations required for the maintenance of good relations w i t h foreign nations, receives their ministers and admits their consuls; (18) He declares w a r . . . bb) Militärische Auswärtige Gewalt des Bundes: A r t . 68
Congress shall have power: . . .
(23) To fix the strength of the armed forces i n time of peace and war, to provide regulations and rules for governing t h e m . . . (24) To allow the introduction of foreign troops into the territory of the Nation and to allow national troops to leave the c o u n t r y . . . A r t . 83
The president of the nation has the following p o w e r s : . . .
(15) He is commander-in-chief of all the armed forces of the Nation; (16) He appoints the m i l i t a r y officers of the N a t i o n . . . (17) He governs the armed forces and sees to their organization and distribution... 1 Die Texte finden sich m i t der Ausnahme der Verfassung von Tansania bei Peaslee.
14*
Anhang — Bundesstaatsverfassungen
212 cc) Anmerkungen:
Die Gliedstaaten werden i n der argentinischen Verfassung ausdrücklich von der Teilhabe an der Auswärtigen Gewalt ausgeschlossen: „ A r t . 101. The provinces shall not exercise any power delegated to the Nation. They c a n n o t . . . a r m ships of w a r or organize armies except i n case of foreign invasion or of danger so imminent as to admit no delay, an account thereof immediately to be given to the Federal Government; nor appoint or receive foreign a g e n t s ; . . . " Die Befugnis der Provinzen, i m Falle einer Invasion oder sonstiger akuter Gefahr Waffengewalt zu organisieren, ist ein echtes Notrecht u n d keine reguläre Beteiligung an der Wehrhoheit des Bundes. I n der unter bb) zitierten Bestimmung des A r t . 68 Nr. 24 sind Aspekte zwischenstaatlichen Vertragsrechtes u n d der militärischen F ü h r u n g m i t einander vermischt. b) Australien,
Commonwealth of Australia Constitution A c t v o m 9. 7.1900
aa) Diplomatische Auswärtige Gewalt des Bundes: Der Commonwealth of Australia Constitution A c t des englischen Parlaments v o m 9.7.1900, durch den sechs englische Kolonien zum Commonwealth of Australia zusammengeschlossen wurden, enthält, fragmentarisch u n d vorwiegend auf anstehende, unmittelbar regelungsbedürftige Streitfragen bezogen w i e alle englische Gesetzgebung 2 keinerlei Regelung bezüglich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt. Trotzdem ist ganz allgemein anerkannt, daß die diplomatische Auswärtige Gewalt, die „external affairs", i n umfassender Weise dem B u n d zustehen 3 . Die Provinzen haben niemals eine eigene Vertragsschlußkompetenz für sich i n Anspruch genommen 4 . Die Rechtsprechung hat dem B u n d sogar die Transformationskompetenz für internationale Verträge zugesprochen, die die Gesetzgebungskompetenzen der Gliedstaaten berühren 5 . bb) Militärische Auswärtige Gewalt des Bundes: Section 51. The Parliament shall, subject to this Constitution, have power to make laws for the peace, order, and good government of the Commonwealth w i t h respect t o : . . . (VI) The naval and m i l i t a r y defence of the Commonwealth and of several States . . . Section 68. The command i n chief of the naval and m i l i t a r y forces of the Commonwealth is vested i n the Governor-General as the Queen's representative. Section 69. On a date or dates to be proclaimed by the Governor-General after the establishment of the Commonwealth the following departments of the public service i n each state shall become transferred to the Commonwealth: . . . naval and m i l i t a r y defence. Section 114. A State shall not w i t h o u t the consent of the Parliament of the Commonwealth raise or maintain any naval or m i l i t a r y f o r c e . . . 2 Boehmer, S. 15. 3 Hood Phillips, The Constitutional L a w of Great B r i t a i n and the Commonwealth, S. 728 u n d S. 714. 4 Mallmann, S. 642. 5 Wheare, S. 174.
I. Unbeschränkte auswärtige Kompetenz der Zentralstaaten
213
cc) Anmerkungen: Section 114 ist ihrer negativen Fassung nach u n d i n Zusammenschau m i t den vorangehenden, auf die militärische Auswärtige Gewalt bezogenen Bestimmungen i n erster L i n i e als Ausschluß der Gliedstaaten von der militärischen Auswärtigen Gewalt des Gesamtstaates zu verstehen 6 . Da — w i e sich aus Section 69 ergibt — die Gliedstaaten bei Gründung des Commonwealth noch über eigene Wehrorganisationen verfügten, die erst nach Begründung des Commonwealth beim Bunde vereinigt werden sollten, w a r es systematisch notwendig, ihnen eine beschränkte, von der jederzeit widerruflichen Erlaubnis des Bundes abhängige Wehrkompetenz i m akzessorischen Bereich der militärischen Auswärtigen Gewalt zuzugestehen. Nach vollzogener Zusammenfassung der gesamten Verteidigungsorganisation beim B u n d verlor Section 114 als Zuständigkeitsnorm für die Provinzen — w i e auch die Praxis beweist — ihre Bedeutung. Diese Bestimmung stellt für die Gliedstaaten heute einseitig eine Verbotsnorm dar u n d könnte n u r für eine — freilich k a u m zu erwartende — v o m B u n d ausgehende Dezentralisierung der Wehrorganisation eine weitergehende Bedeutung entfalten als eine zur Kompetenzdelegation berechtigende Norm. Die „defence power" des Parlaments w i r d i m Kriegsfall m i t B i l l i g u n g der Gerichte i n so extensiver Weise ausgelegt, daß sie ein umfassendes Notstandsrecht des Bundes unter weitgehender Verdrängung der Gliedstaaten begründet*. c) Brasilien , Verfassung v o m 24. 9.1946 aa) Diplomatische Auswärtige Gewalt des Bundes: Art.
5 I. II. V.
The Union shall have power: To m a i n t a i n relations w i t h foreign states and to make treaties and conventions w i t h them; To declare w a r and to make p e a c e . . . To permit foreign forces to pass through national territory or, for reasons of war, to remain therein t e m p o r a r i l y ; . . .
A r t . 66
Nr. I u n d I I (Parlamentarische Zuständigkeiten)
A r t . 87
Nr. V I — X (Präsidentielle Zuständigkeiten)
bb) Militärische Auswärtige Gewalt des Bundes: Art.
5 IV.
The U n i o n shall have p o w e r : . . . To organize the armed forces, the security of the frontiers, and the external defence; ...
A r t . 65
V (Parlamentarische Zuständigkeiten)
A r t . 87
Nr. X I u n d X I I mando)
(Präsidentielle
Zuständigkeiten,
u.a.
Oberkom-
6 Wheare, S. 189: „Exclusive control over raising armed forces has been given to the general government"; und einschränkend: „The power of the general government is therefore potentially exclusive"; S. 191: „ . . . the states must rely upon the forces of the general government . . . , the constitution permits no . . . state to raise any forces against the general government." 7 Hood Phillips , S. 727 ff .; Wheare, S.196f.
Anhang — Bundesstaatsverfassungen
214 cc) Anmerkungen:
Durch die A u f f ü h r u n g der Unionszuständigkeiten i n A r t . 5 w i r d die „ i n t e r governmental division of powers" vollzogen, ohne diese m i t Fragen der formellen Gewaltendreiteilung u n d sonstigen Problemen der „ i n t r a governmental division of powers" zu vermengen. Durch A r t . 5 Nr. I u n d I V w i r d deutlich, daß die Gliedstaaten v o n jeder Teilnahme an der Auswärtigen Gewalt ausgeschlossen sind. Ausnahmebestimmungen zugunsten der Gliedstaaten existieren nicht. A r t . 4 enthält eine sachliche Beschränkung u n d Nachordnung der militärischen Auswärtigen Gewalt gegenüber der diplomatischen Auswärtigen Gewalt u n d i n A r t . 178 w i r d das politische Führungsrecht des Staatspräsidenten auch für Kriegszeiten gegen jede militärische Eigenmächtigkeit ausdrücklich beansprucht: „ A r t . 4. Brazil shall resort to w a r only i n case of non-applicability or failure of any international security organization i n which i t may participate; and i n no case shall i t embark on a w a r of conquest, directly or indirectly, alone or i n alliance w i t h another state." A r t . 178. „ T h e political direction of w a r and the selection of the commanders-in-chief of the forces i n operation shall be incumbent on the President of the Republic." d) Burma , Verfassung v o m 24. 9.1947 Die Gesetzgebungs- u n d Regierungszuständigkeiten der U n i o n ergeben sich nach Section 92 Nr. I u n d Section 122 Nr. I der Unionsverfassung aus der U n i o n Legislative L i s t (Third Schedule, List I). aa) Diplomatische Auswärtige Gewalt des Bundes: Section 2. E x t e r n a l Affairs (1. Diplomatische, konsularische u n d Handelsvertretung, 2. UNO, 3. Internationale Konferenzen, 4. Kriegserklärung u n d Friedensschluß, 5. Internationale Verträge aller A r t . . . ) . bb) Militärische Auswärtige Gewalt des Bundes: Section 1. Defence: that is to say, the defence of the U n i o n and every part thereof including generally a l l preparations for defence as w e l l as such acts i n times of w a r as may be conducive to its successful prosecution and to effective demobilization after its termination, and i n p a r t i c u l a r . . . (differenzierte, sehr umfassende Einzelaufzählung unter sieben Nummern). cc) Anmerkungen: Die verfassungsgesetzlich projektierte bundesstaatliche Organisation von Burma ist wegen des fehlenden Durchsetzungsvermögens der Zentralregierung bisher nicht v e r w i r k l i c h t worden 8 . I m Jahre 1962 w u r d e die burmesische Verfassung durch die Abschaffung des Zentralparlaments u n d seine Ersetzung durch einen Revolutionsrat weitgehend außer K r a f t gesetzt®. e) Indien,
Verfassung v o m 26.11.1949
Gesetzgebungs- u n d Regierungsbefugnisse der U n i o n bestimmen sich laut Section 246 u n d Section 256 der Unionsverfassung nach der U n i o n - L i s t (Seventh Schedule). 8
Loewenstein, S. 310.
» Siehe A d G 9708 B u n d 9735 F.
I.Unbeschränkte auswärtige Kompetenz der Z e n t r a l s t a a t e n 2 1 5 aa) Diplomatische Auswärtige Gewalt des Bundes: Section 10. Foreign Ä f f airs; a l l matters which bring the U n i o n into relation w i t h any foreign country. Section 11—15 (Spezifizierung dieser allgemeinen u n d weitgefaßten Formel u n d ihre Ergänzung für den internen, akzessorischen Bereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt). bb) Militärische Auswärtige Gewalt des Bundes: Section 1. Defence of India and every part thereof including preparation for defence and a l l such acts as may be conducive i n times of w a r to its prosecution and after its termination to effective demobilization. Section 2—9 (Spezifizierung u n d Komplettierung, vgl. oben aa), cc) Anmerkungen: Nach Loewenstein weicht auch i n I n d i e n die Verfassungspraxis w e i t von dem i n der indischen Verfassung verankerten quasi-föderalistischen Schema a b 1 0 . f) Jugoslawien, 13.1.1953
Verfassung v o m 30.1.1946, ergänzendes Grundgesetz v o m
aa) Diplomatische Auswärtige Gewalt des Bundes: A r t . 15
Grundgesetz. W i t h i n the sphere of exclusive competence of the Federal People's Assembly a r e : . . . 7. decision on the course of foreign p o l i c y . . . 8. proclamation of the state of w a r and conclusion of peace, ratification of international agreements on political or m i l i t a r y cooperation and the ratification of international agreements which require the introduction of new laws or changes i n the existing law.
A r t . 71
Grundgesetz. The president of the R e p u b l i c : . . . I I . Represents the Federal People's Republic of Jugoslavia w i t h i n the country and i n international r e l a t i o n s ; . . . 4. u n d 5. (Ausübung des aktiven u n d passiven Gesandtschaftsrechtes)
A r t . 94
Grundgesetz (Einrichtung eines Außenministeriums)
bb) Militärische Auswärtige Gewalt des Bundes: A r t . 73 A r t . 94
Grundgesetz (Präsident als oberster Befehlshaber der Streitkräfte) Grundgesetz (Einrichtung eines Ministeriums f ü r nationale V e r teidigung) Verfassung A r t . 134 u n d 135 (Die jugoslawische Armee als die Streitmacht der Föderalen Volksrepublik von Jugoslawien) cc) Anmerkungen: Als erratischer Block i n der stark unitarisch orientierten Verfassungss t r u k t u r Jugoslawiens, deren bundesstaatlicher Charakter vielfach i n Frage Loewenstein,
S. 309. — Vgl. zur indischen Verfassungsstruktur
Hood Phillips, S. 775 und S. 778 f.
auch
Anhang — Bundesstaatsverfassungen
216 11
gestellt w u r d e , erscheint das i n A r t . 1 der Verfassung verankerte Separationsrecht der Gliedstaaten. M i t Rücksicht auf die betont zentralistische Organisation der staatsstragenden Macht, der Kommunistischen Partei Jugoslawiens, die jedes Trennungsbestreben als Konterrevolution verfolgen würde, k a n n das gliedstaatliche Recht aber nicht als aktuelles Recht betrachtet werden 1 2 . Daß es sich bei dem Sezessionsrecht n u r u m eine akzentuierte politische Deklamation über das freie Zustandekommen der Union u n d die Souveränität der Gliedstaaten i m Sinne der von den k o m m u nistischen Ländern für ihren eigenen Bereich verwandten Terminologie handelt 1 3 , macht auch der Gesamtwortlaut des A r t . 1 der jugoslawischen Verfassung deutlich: „ A r t . 1. The Federal People's Republic of Jugoslavia is a federal people's state, republican i n form, a community of peoples, equal i n right, who on the basis of the right of selfdetermination, including the r i g h t of separation, have expressed their w i l l to live together i n a federative state." g) Kamerun,
Verfassung v o m 1. 9.1961
aa) u n d bb) Diplomatische u n d militärische Auswärtige Gewalt des Bundes: Art.
5
The powers of the federal Authorities shall embrace the following matters:... National defense; Foreign Affairs; The . . . external security of the Federal S t a t e . . .
cc) Anmerkungen: Wie i n der Verfassung von Brasilien ist hier die Zuständigkeit f ü r die diplomatische Auswärtige Gewalt u n d die militärische Auswärtige Gewalt als umfassende Gesamtkompetenz an den B u n d überwiesen worden, ohne zunächst zwischen den Funktionen der einzelnen Bundesorgane bei der Wahrnehmung dieser Zuständigkeit zu unterscheiden. Die Aufeinanderfolge der Zuweisungen, die Einschließung des Begriffes der „Foreign Ä f f airs" zwischen den weitgehend synonymen Begriffen der „national defense" u n d der „external security" zeigt, w i e sehr hier diplomatische Auswärtige Gewalt u n d militärische Auswärtige Gewalt als E i n heit verstanden werden. h) Kanada,
B r i t i s h N o r t h America Act v o m 29. 3.1867
aa) Diplomatische Auswärtige Gewalt des Bundes: Der B r i t i s h N o r t h America A c t von 1867 ist keine Verfassung i m Sinne einer umfassenden Regelung der staatlichen Grundordnung m i t erhöhter Bestandsgarantie, sondern gemäß englischer Rechtssetzungstradition ein einfaches, w e n n auch inhaltlich höchst bedeutsames Gesetz 14 , das die bei der Gründung des Commonwealth of Canada unmittelbar regelungsbedürf11
Berber, Lehrbuch I , S. 146; Sonn, S. 31. Mosler, Thoma-Festschrift, S. 140. 13 Z u m doppelten Souveränitätsbegriff der Ostblockstaaten u n d dem Sezessionsrecht der sowjetischen Gliedstaaten siehe Maurach, A r t . 15, Erl. 1 u n d 2 a u n d die Erläuterungen zu A r t . 17. 14 Hood Phillips, S. 6 f. über „flexible and r i g i d Constitutions". 12
I. Unbeschränkte auswärtige Kompetenz der Z e n t r a l s t a a t e n 2 1 7 tigen Fragen, ohne irgendeine systematische Vollständigkeit anzustreben 1 5 , abhandelt u n d i m übrigen seine Ergänzung i n den verschiedensten rechtlichen u n d vorrechtlichen Emanationen des öffentlichen Lebens findet 1 6 . So enthält der B r i t i s h N o r t h America A c t von 1867 keine ausdrückliche Regelung über die Zuständigkeit des Zentralstaates für die diplomatische Auswärtige G e w a l t 1 7 . Jedoch ist diese Kompetenz — wie i m gleichliegenden F a l l des Commonwealth of Australia Constitution Act von 1900 18 — ganz unstreitig 1 ^. Sie folgt aus der i n Section 91 des B r i t i s h N o r t h America A c t von 1867 verankerten subsidiären Generalzuständigkeit des Bundes 2 0 . A l l e r dings w i r d durch Umkehrschluß aus Section 132, die dem Zentralstaat die Transformationskompetenz f ü r v o m B r i t i s h Empire abgeschlossene, Kanada verpflichtende Verträge einräumt, gefolgert, daß dem Zentralstaat die dem inneren, akzessorischen Bereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt zugehörige Transformationskompetenz für selbständig eingegangene V e r pflichtungen, soweit sie die Kompetenzen der Gliedstaaten berühren, fehle 2 1 . bb) Militärische Auswärtige Gewalt des Bundes: Section 15. The Commander-in-Chief of the L a n d and Naval M i l i t i a , and of a l l Naval and M i l i t a r y forces, of and i n Canada, is hereby declared to continue to be vested i n the Queen. Section 91. (Gesetzgebungszuständigkeit des Bundesparlamentes f ü r Miliz, M i l i t ä r - u n d Marinedienst u n d Verteidigung) cc) Anmerkungen: Die Zuständigkeit des Bundes nach Section 91 für die militärische Auswärtige Gewalt ist w i e die Zuständigkeit f ü r die diplomatische Auswärtige Gewalt e x k l u s i v 2 2 . i) Kenia,
Verfassung v o m 12.12.1963
aa) u n d bb) Diplomatische u n d militärische Auswärtige Gewalt des Bundes: Section 31. There shall be a Governor-General and C o m m a n d e r - i n - C h i e f . . . cc) Anmerkungen: Die materielle Kompetenzverteilung zwischen Zentral- u n d Gliedstaaten ergibt sich aus den der Verfassung angefügten Listen. Nach Schedule 1 15 Vgl. das oben unter b) aa) u n d i n A n m . 2 zur australischen Verfassung Gesagte. 16 Hood Phillips, S. 697 : „ T h e B r i t i s h N o r t h America A c t d i d not purport to be a comprehensive document l i k e the Constitution of the U n i t e d States. Conventions explain the constitutional position of the Governor General, the Cabinet, the position of the Prime Minister and the responsibüity of the Cabinet to the House of Commons. I n addition to conventions, customs and usages , the Constitution of Canada includes common l a w principles, B r i t i s h and Canadian Acts of Parliament and Orders i n Council, j u d i c i a l i n t e r pretations of the w r i t t e n Constitution and of other statutes, and the p r i v i leges and practice of Parliament. Other usages determine the relations between the legislature and the executive. Similar considerations apply to the corresponding principles i n the government of the Provinces." 17 Vgl. oben, b) aa). ™ Wheare, S. 175. ^ Hood Phillips, S. 697; Mallmann, S. 642. 20 Hood Phillips, S. 703. 21 Hood Phillips, S. 710 f.; Wheare, S. 174 ff. 22 Hood Phillips, S. 703; Wheare, S. 189.
Anhang — Bundesstaatsverfassungen
218
sind die Regionalparlamente u n d E x e k u t i v e n auf die E r f ü l l u n g rein örtlicher Funktionen beschränkt u n d von Angelegenheiten m i t Auslandsbeziehung — gleichgültig ob diplomatischer oder militärischer A r t — zugunsten des Bundes ausgeschlossen. j) Kongo-Kinchasa,
Verfassung v o m 30. 5.1964
aa) Diplomatische Auswärtige Gewalt des Bundes: Art.
9
A r t . 41
A r t . 59
The president of the Republic shall negotiate and r a t i f y treaties and international agreements i n the name of the Republic. (Erfordernis parlamentarischer Zustimmung bei Verträgen, die den Staatshaushalt belasten oder Gesetzgebungskompetenzen berühren, — Referendum bei Gebietsabtretungen — Konsultation der Provinzen, sofern deren Interessen berührt werden.) Nr. 1 (Ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Republik f ü r auswärtige Angelegenheiten unter Einschluß der diplomatischen Beziehungen, der Organisation des Außenhandels, internationaler Verträge u n d Vereinbarungen) The president of the Republic shall direct and control the foreign policy of the Republic. (Beglaubigung u n d Empfang der Gesandten — Ratifikation der Verträge)
bb) Militärische Auswärtige Gewalt des Bundes: A r t . 48 A r t . 63
Nr. 4 u n d 5. (Ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Repub l i k f ü r äußere Sicherheit u n d nationale Verteidigung) The president shall be the supreme head of the armed forces. (Präsidentielles Ernennungs- u n d Abberufungsrecht f ü r den Oberbefehlshaber u n d die Offiziere der Streitkräfte)
cc) Anmerkungen: Der völlige Ausschluß der Provinzen von der militärischen Auswärtigen Gewalt, auch ihrer akzessorischen Bereiche, w i r d durch die Regelungen der A r t . 171 u n d 172 deutlich unterstrichen: A r t . 171. „There shall be one single national army i n the Republic consisting of the land, sea and air forces." (Eine einheitliche nationale — nicht provinziale — Gesetzgebung f ü r die Ordnung der Streitkräfte). A r t . 172 (Die Streitkräfte dienen der Nation als Gesamtheit.) „No one may organize m i l i t a r y or paramilitary formations or private militias, nor maintain an armed or subversive group of young persons." k) Malaysia , Verfassung v o m 16. 9.1963 aa)—cc) Anmerkungen zur diplomatischen u n d militärischen Gewalt des Bundes:
Auswärtigen
„ T h e Constitution of the Federation secures most of the legislative powers to the Federal Legislative. The State Legislative Assemblies have concurrent powers i n such matters as social welfare, protection of women, children and young persons, and public health. The exclusive powers of the States are comparatively minor and relate almost solely to matters of purely local and religious concern 2 3 ." 23
D. P. O'Connell,
B Y I L 1963, S. 96.
I. Unbeschränkte auswärtige Kompetenz der Z e n t r a l s t a a t e n 2 1 9 1) Mexiko,
Verfassung v o m 31.1.1917
Die Beschränkung der Gliedstaaten auf ihre inneren Angelegenheiten k o m m t schon deutlich zum Ausdruck durch die allgemeine Grundregel des A r t . 41 Abs. 1 S. 1: „ T h e people exercise their sovereignty through the federal powers i n matters pertaining to the union, and through those of the states i n matters relating to the internal administration of the latter. aa) Diplomatische Auswärtige Gewalt des Bundes: A r t . 73 A r t . 76
Nr. X I I (Kriegserklärung durch den Kongreß) Nr. I (Erfordernis der Zustimmung des Senats zu internationalen Verträgen) Nr. I I ( M i t w i r k u n g des Senats bei der Ernennung von Diplomaten) Nr. I I I (Mitsprache des Senats bei der Stationierung ausländischer Truppen i m Inland)
A r t . 89
Nr. I V (Diplomatenernennung durch den Präsidenten)
bb) Militärische Auswärtige Gewalt des Bundes: A r t . 73
Nr. X I V (Gesetzgebung des Kongresses über Armee- u n d M a r i n e Streitkräfte, ihre Aufstellung, Unterhaltung u n d Organisation) Nr. X V (Gesetzgebung des Kongresses über Rüstungsangelegenheiten)
A r t . 76
Nr. I V (Mitsprache des Senats bei der Verfügung über die Streitkräfte)
A r t . 89
Nr. I V u n d V (Offiziersernennungsrecht des Präsidenten m i t Z u stimmung des Senats f ü r die höheren Ränge) Nr. V I u n d V I I (Präsidentieller Oberbefehl über die Streitkräfte) Nr. V I I I (Kriegserklärung durch den Präsidenten)
cc) Anmerkungen: Deutlicher als durch die einzelnen Ermächtigungsnormen f ü r Kongreß, Senat u n d Präsidenten k o m m t der völlige Ausschluß der Gliedstaaten von der Teilnahme an der Auswärtigen Gewalt durch die ausdrücklichen V e r botsbestimmungen der A r t . 117 u n d 118 zum Ausdruck, wobei sich i n der I n t e r d i k t i o n des A r t . 117 Abs. 1 Aspekte der diplomatischen Auswärtigen u n d der militärischen Auswärtigen Gewalt i n charakteristischer Weise f ü r deren wechselbezügliches Abhängigkeitsverhältnis, für die komplexe S t r u k t u r des Begriffes der Auswärtigen Gewalt, mischen. A r t . 117 Under no circumstances may a state: (1) enter into alliance, treaties, or coalitions w i t h another state or w i t h foreign p o w e r s ; . . . A r t . 118 No state shall, w i t h o u t the consent of the Congress: A r t . (I) M a i n t a i n at any time permanent troops or warships; A r t . (II) Make w a r on its o w n behalf on any foreign power, except i n cases of invasion or of such imminent p e r i l as admits of no delay. I n such event the state shall immediately notify the President of the Republic. A r t . 118 Nr. I gibt dem B u n d die Möglichkeit an die Hand, die Wehrorganisation auf der Grundlage der bundesstaatlichen Ordnung zu dezent r a l i s i e r e n 2 4 ; A r t . 118 Nr. I I S. 1 Halbs. 2 statuiert zugunsten der Staats24 Siehe oben, b) cc).
220
Anhang — Bundesstaatsverfassungen
gesamtheit — wie die argentinische Verfassung — ein Notrecht der Gliedstaaten 2 5 . Demgemäß k a n n der Zentralstaat auch die Essenz seiner m i l i t ä rischen Auswärtigen Gewalt, das Kriegführungsrecht, delegieren — was allerdings einer Selbstauflösung gleichkäme. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Vorgehens ist äußerst gering, u n d es ist i m übrigen gut denkbar, daß die Eröffnung dieser Möglichkeit nach der komplizierten S t r u k t u r der fraglichen Bestimmung auf ein Redaktionsversehen zurückgeht. A u f jeden F a l l ist durch keine der Bestimmungen des A r t . 118 den Gliedstaaten eine Teilzuständigkeit i m Bereich der militärischen Auswärtigen Gewalt gewährt, vielmehr handelt es sich bei dieser Bestimmung u m eine K o m petenzausschlußnorm. m) Nigeria , Verfassung v o m 1.10.1963 26 aa)—cc) Anmerkungen zur diplomatischen u n d militärischen Gewalt des Bundes:
Auswärtigen
Die Legislativ- u n d Exekutivkompetenzen, ihre A u f t e i l u n g zwischen Zentral- u n d Gliedstaaten ergibt sich aus den der Verfassung angefügten Legislative Lists, die die Gliedstaaten auf die E r f ü l l u n g bestimmter, ausschließlich interner Angelegenheiten ihrer Regionen beschränken. n) Österreich , am 1. 5.1945 erneut i n K r a f t gesetzte Verfassung v o m 10.11. 1920 aa) Diplomatische Auswärtige Gewalt des Bundes: A r t . 10 (1) Bundessache ist die Gesetzgebung und Vollziehung i n folgenden Angelegenheiten: ... Nr. 2 äußere Angelegenheiten m i t Einschluß der politischen u n d w i r t schaftlichen Vertretung gegenüber dem Ausland, insbesondere Abschluß aller Staatsverträge: ... A r t . 16 (1) Die Länder sind verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, die i n ihrem selbständigen Wirkungsbereich zur Durchführung von Staatsverträgen erforderlich werden; k o m m t ein L a n d dieser Verpflichtung nicht rechtzeitig nach, so geht die Zuständigkeit zu solchen Maßnahmen, insbesondere auch zum Erlaß der notwendigen Gesetze, auf den B u n d über. (2) (Umfassendes Überwachungsrecht des Bundes) A r t . 50
(Genehmigung von politischen Verträgen u n d Verträgen gesetzesänderndem I n h a l t durch den Nationa'xat)
mit
bb) Militärische Auswärtige Gewalt des Bundes: A r t . 10 (1) Bundessache ist die Gesetzgebung u n d Vollziehung i n folgenden Angelegenheiten: ... Nr. 15 militärische Angelegenheiten:... 26
Siehe oben, a) cc). Nach den Berichten der Süddeutschen Zeitung versuchte der durch einen Putsch an die Macht gelangte General Ironisi Nigeria i n einen E i n heitsstaat zu verwandeln, er wurde jedoch durch den stärker föderalistisch gesinnten Oberst Gowon Ende J u l i gestürzt; die Verfassungslage ist z. Z. unklar. 26
I. Unbeschränkte auswärtige Kompetenz der Z e n t r a l s t a a t e n 2 2 1 A r t . 79 (1) Dem Bundesheer liegt der Schutz der Grenzen der Republik ob. A r t . 80 (1) Den Oberbefehl über das Bundesheer f ü h r t der Bundespräsident. A r t . 81
Durch Bundesgesetz w i r d geregelt, inwieweit die Länder bei der Ergänzung, Verpflegung u n d Unterbringung des Heeres u n d der Beistellung seiner sonstigen Erfordernisse m i t w i r k e n .
cc) Anmerkungen: I n der österreichischen Bundesverfassung ist die Überweisung der diplomatischen u n d militärischen auswärtigen Angelegenheiten an den B u n d i n besonders klarer u n d nachdrücklicher Weise vorgenommen worden, so daß die Verfassungspraxis i n diesem Bereich — i m Gegensatz zu der Situation i n manchen anderen Bundesstaaten 2 7 — durch keinerlei tiefgehende Meinungsverschiedenheiten belastet i s t 2 8 . Neben die Grundsatzzuweisung des A r t . 10 (1) Nr. 2, der die diplomatischen auswärtigen Angelegenheiten dem B u n d anvertraut, t r i t t klärend die Regelung des A r t . 16 m i t der Bestimmung, daß die Länder i m akzessorischen Bereich der diplomatischen Auswärtigen Gew a l t zum Vollzug auch solcher v o m Bunde kontraktierter internationaler Verpflichtungen verpflichtet sind, die ihren eigenen Kompetenzbereich berühren. Die herrschende Stellung des Zentralstaates i m Bereich der diplomatischen Auswärtigen Gewalt, die durch ein umfassendes Überwachungsrecht u n d für den Ungehorsamsfall durch Kompetenzdevolution gestützt w i r d , muß vom Zentralstaat maßvoll ausgeübt werden, w e n n der bundesstaatliche Frieden u n d die bundesstaatliche Ordnung nicht auf dem Wege über internationale Verträge unterhöhlt werden soll 2 9 . Neben die Grundsatzzuweisung des A r t . 10 (1) Nr. 15, der die militärischen auswärtigen Angelegenheiten — gemäß alter österreichischer Staatstradit i o n 3 0 allein dem B u n d anvertraut, t r i t t erklärend die Regelung des A r t . 81 m i t der Maßgabe, daß eine Teilhabe der Länder an der militärischen A u s wärtigen Gewalt i n deren akzessorischen Bereichen k r a f t Delegation n u r i n dem i n dieser Bestimmung umschriebenen engen Rahmen i n Betracht kommt31. o) Südafrika,
South Africa A c t v o m 20.9.1909
aa) u n d bb) Diplomatische u n d militärische Auswärtige Gewalt des Bundes: Die Provinzen sind auf die Erledigung rein lokaler Angelegenheiten beschränkt. Diplomatische u n d militärische Auswärtige Gewalt liegen i n u m fassender und ausschließlicher Weise bei der U n i o n 3 2 . 27
Australien, BRD, Kanada, Schweiz, USA. Katzenstein, S. 81 ff. u n d S. 84 f. 29 Z u dieser Problematik i n den U S A u n d ihrer praktischen Lösung durch die vorsichtige Zurückhaltung i n Hinblick auf alle Gliedstaatenkompetenzen vgl. Berber, Z u den föderalistischen Aspekten der „Auswärtigen Gewalt" i n : Festschrift f ü r Nawiasky, 1956, S. 245 ff. 30 Adamovich, S. 340: Schon i n der Donaumonarchie m i t ihren zahlreichen staatsrechtlichen Besonderheiten zugunsten verschiedener Gebiete ist das Heerwesen straff zentralisiert gewesen." 28
31 32
Adamovich, S. 339 ff. Hood Phillips, S. 740 f. u n d S. 748.
222
Anhang — Bundesstaatsverfassungen
cc) Anmerkungen: Da die Provinzen keinerlei ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeiten besitzen u n d i n i h r e m Verordnungsrecht von der Zustimmung der Zentralregierung abhängen, ist die Einordnung der Südafrikanischen U n i o n i n die Reihe der Bundesstaaten zweifelhaft 3 3 . p) Tansania,
U n i o n of Tanganyika and Zanzibar A c t v o m 26.4.1964
aa) u n d bb) Diplomatische u n d militärische Auswärtige Gewalt des Bundes: Section
5
(1) . . . (a) . . . reservation to the Parliament and Executive of the united Republic of the following matters: . . . (II) External affairs; (III) D e f e n c e . . .
The schedule . . . I V There shall be reserved to the Parliament and Executive of the united Republic the following matters: . . . (b) E x t e r n a l affairs; (c) Defence. A n d the said Parliament and Executive shall have exclusive authority i n such matters throughout and for the purposes of the united R e p u b l i c . . .
q) Uganda, Verfassimg vom 2.10.196234 aa) u n d bb) Diplomatische u n d militärische Auswärtige Gewalt des Bundes: Die Gesetzgebungskompetenzen u n d Exekutivzuständigkeiten der Gliedstaaten ergeben sich für das Königreich Buganda aus den Legislative Lists der Schedule 7, f ü r die übrigen Gliedstaaten aus den Legislative Lists der Schedule 8. Die Gliedstaaten sind nach diesen der Verfassung angefügten Zuständigkeitskatalogen von allen Gegenständen m i t auswärtigem Bezug zugunsten des Zentralstaates ausgeschlossen. Section 73
Parliament shall have power to laws for the peace, order and good government of Uganda (other t h a n the Federal States) w i t h respect to any matter.
Section 77
(1) The executive authority of Uganda shall extend to the maintenance and execution of this Constitution (other than the Schedules 1, 2, 3, 4 and 5 to the Constitution) and a l l matters w i t h respect to which Parliament has for the time being power to make laws.
cc) Anmerkungen: Daß die Gliedstaaten keine Zuständigkeit zur Aufstellung v o n Streitkräften besitzen, ergibt sich m i t Deutlichkeit auch aus der Auslegungsregel des A r t . 131 (1): „,The armed forces of Uganda' means the Uganda M i l i t a r y forces, for which provision is made by Parliament and any other armed forces of Uganda which provion is so made." r) Venezuela, Verfassung v o m 11. 4.1953 aa) Diplomatische Auswärtige Gewalt des Bundes: 83
Ablehnend: Hood Phillips a.a.O.; Brookes i n Peaslee, Bd. 3, S. 475. Seit der Vertreibung des Königs von Buganda i m M a i 1966 ist die V e r fassungslage unklar. 34
I.
eschränkte auswärtige Kompetenz der Z e n t r a l s t a a t e n 2 2 3
A r t . 60
Nr. 29 (Subsidiäre Generalzuständigkeit des Bundes, die f ü r die Auswärtige Gewalt — als Folge fehlender entsprechender Kompetenzzuweisungen an die Gliedstaaten — gilt)
A r t . 81
Nr. 2 u n d 3 (Autorisierung von Kriegserklärung u n d Friedensschluß u n d aller internationalen Verträge durch beide Kammern)
A r t . 99
(Subsidiäre Ersatzzuständigkeit der Bundesexekutive)
A r t . 108 a) Nr. 4 (Vertragsschluß durch den Ministerrat i m Namen des Präsidenten) b ) N r . 9 (Führung der auswärtigen Angelegenheiten u n d diplomatischen Verhandlungen durch den Außenminister i m Namen des Präsidenten) c) Nr. 21 (Kriegserklärung durch den Präsidenten) bb) Militärische Auswärtige Gewalt des Bundes: A r t . 60
A r t . 102
The competence of the National Power includes matters relating to: (1) T h e defense of the Nation. (4) The National A r m e d Forces. The president of the Nation i s . . . the highest officer of the National A r m e d Forces.
ranking
A r t . 108 (c) Nr. 22 (Die K r i e g f ü h r u n g obliegt dem Präsidenten).
I I . Die geltenden Verfassungen mit beschränkter Zuweisung der Auswärtigen Gewalt bzw. ihrer akzessorischen Bereiche an die Gliedstaaten (Schweiz, UdSSR, USA) a) Schweiz, Verfassung v o m 29. 5.1874 aa) Diplomatische Auswärtige Gewalt des Bundes: Art.
2
Der B u n d hat zum Zweck: Behauptung der Unabhängigkeit des Vaterlandes gegen a u ß e n , . . .
Art.
8
Dem B u n d allein steht das Recht zu, K r i e g zu erklären u n d Frieden zu schließen, Bündnisse u n d Staatsverträge, namentlich Z o l l - u n d Handelsverträge m i t dem Ausland einzugehen.
Art.
85
Die Gegenstände, welche i n den Geschäftsbereich beider Räte fallen, sind insbesondere f o l g e n d e : . . . Nr. 5 Bündnisse u n d Verträge m i t dem Ausland sowie Gutheißung von Verträgen der Kantone unter sich oder m i t dem Auslande. Solche Verträge der Kantone gelangen jedoch n u r dann an die Bundesversammlung, w e n n v o m Bundesrat oder einem anderen K a n t o n Einsprache erhoben w i r d . Nr. 6 Maßregeln für die äußere Sicherheit, für Behauptung der Unabhängigkeit u n d Neutralität der Schweiz, Kriegserklärungen u n d Friedensschlüsse.
Anhang — Bundesstaatsverfassungen
224 A r t . 102
Der Bundesrat hat innert den Schranken der gegenwärtigen Verfassung vorzüglich folgende Befugnisse u n d Obliegenheiten: . . . Nr. 8 Er w a h r t die Interessen der Eidgenossenschaft nach außen, w i e namentlich ihre völkerrechtlichen Beziehungen u n d besorgt die auswärtigen Angelegenheiten überhaupt. Nr. 9 Er wacht f ü r die äußere Sicherheit, für die Behauptung der Unabhängigkeit u n d Neutralität der Schweiz.
bb) Diplomatische Auswärtige Gewalt der Gliedstaaten: Art.
9
Ausnahmsweise bleibt den Kantonen die Befugnis, Verträge über Gegenstände der Staatswirtschaft, des nachbarlichen Verkehrs u n d der Polizei m i t dem Auslande abzuschließen; jedoch dürfen dieselben nichts dem Bunde oder den Hechten anderer Kantone Zuwiderlaufendes enthalten.
Art.
10
Der amtliche Verkehr zwischen Kantonen u n d auswärtigen Staatsregierungen sowie ihren Stellvertretern findet durch die V e r m i t t l u n g des Bundesrates statt. Uber die i m A r t . 9 bezeichneten Gegenstände können jedoch die Kantone m i t den untergeordneten Behörden u n d Beamten eines auswärtigen Staates unmittelbar i n Verkehr treten.
cc) Militärische Auswärtige Gewalt des Bundes: Art.
2
Der B u n d hat zum Zweck: Behauptung der Unabhängigkeit des Vaterlandes nach a u ß e n , . . . (vgl. oben)
Art.
19
(II) Die Verfügung über das Bundesheer m i t Inbegriff des gesetzlich zugehörigen Kriegsmaterials steht der Eidgenossenschaft zu. (III) I n Zeiten der Gefahr hat der B u n d das ausschließliche u n d unmittelbare Verfügungsrecht auch über die nicht i n das Bundesheer eingeteilte Mannschaft u n d alle übrigen Streitm i t t e l der Kantone.
Art.
20
(I) Die Gesetzgebung über das Heerwesen ist Sache des Bundes... (II) Der gesamte Militärunterricht u n d ebenso die Bewaffnung ist Sache des Bundes.
Art.
22
(Recht des Bundes, militärische Anlagen der Kantone gegen Entschädigung zu enteignen)
Art.
41
(II) (Kontrolle des Bundes von Herstellung, Beschaffung u n d Vertrieb, E i n f u h r u n d Ausfuhr von Waffen, Munition, Sprengm i t t e l n u n d sonstigem Kriegsmaterial u n d deren Bestandteilen)
Art.
85
Die Gegenstände, welche i n den Geschäftskreis beider Räte fallen, sind insbesondere f o l g e n d e : . . . Nr. 4 W a h l d e s . . . Generals der eidgenössischen Armee Nr. 6 (vgl. oben) Nr. 9 Verfügungen über das Bundesheer
I.
eschränkte auswärtige Kompetenz der Z e n t r a l s t a a t e n 2 2 5
A r t . 102
Der Bundesrat hat innert den Schranken der gegenwärtigen Verfassung vorzüglich folgende Befugnisse u n d Obliegenheiten: . . . Nr. 9 (vgl. oben) Nr. 11 (Aufgebot der erforderlichen Truppenzahl u n d Verfügung hierüber i n Dringlichkeitsfällen) Nr. 12 Er besorgt das eidgenössische Militärwesen u n d alle Zweige der Verwaltung, welche dem Bunde angehören.
dd) Militärische Auswärtige Gewalt der Gliedstaaten: A r t . 13
Der B u n d ist nicht berechtigt, stehende Truppen zu halten. Ohne Bewilligung der Bundesbehörde darf kein K a n t o n oder i n geteilten Kantonen k e i n Landesteil mehr als 300 M a n n stehende Truppen halten, die Landjägerkorps nicht i n begriffen.
Art.
19
(I) Das Bundesheer besteht: (a) aus den Truppenkörpern der Kantone (b) aus allen Schweizern, welche zwar nicht zu diesen Truppenkörpern gehören, aber nichtsdestoweniger m i l i tärpflichtig sind. (IV) Die Kantone verfügen über ihre Wehrkraft, soweit sie nicht durch verfassungsmäßige oder gesetzliche A n o r d nungen des Bundes beschränkt sind.
Art.
15
Wenn einem Kantone v o m Ausland plötzlich Gefahr droht, so ist die Regierung des bedrohten Kantons verpflichtet, andere Kantone zur Hilfe zu mahnen unter gleichzeitiger Anzeige an die Bundesbehörde u n d unvorgreiflich den spätem Verfügungen dieser letztern. Die genannten Kantone sind zum Zuzuge verpflichtet. Die Kosten trägt die Eidgenossenschaft.
Art.
20
(I) (Die Gesetzgebung über das Heerwesen ist Sache des Bundes.) Die Ausführung der bezüglichen Gesetze i n den Kantonen geschieht innerhalb der durch die Bundgesetzgebung festzusetzenden Grenzen u n d unter Aufsicht des Bundes durch die kantonalen Behörden. (III) Die Beschaffung der Bekleidung u n d Ausrüstung u n d die Sorge für deren Unterhalt ist Sache der Kantone; die daherigen Kosten werden jedoch v o m Bunde den Kantonen nach einer von i h m aufzustellenden N o r m vergütet.
Art.
21
Soweit nicht militärische Gründe entgegenstehen, sollen die Truppenkörper aus der Mannschaft desselben Kantons gebildet werden. Die Zusammensetzung dieser Truppenkörper, die Fürsorge f ü r die Erhaltung ihres Bestandes und die Ernennung u n d Beförderung ihrer Offiziere ist, unter Beachtung der durch den B u n d aufzustellenden allgemeinen Vorschriften, Sache der Kantone.
b) Sowjetunion ,
Verfassung v o m 5.12.1936
aa) Diplomatische Auswärtige Gewalt des Bundes: 15 Sachau
226
Anhang — Bundesstaatsverfassungen
Art.
14
Z u der Zuständigkeit der UdSSR i n der Gestalt ihrer obersten staatlichen Machtorgane u n d Staatsregierungsorgane gehören: a) Die Vertretung der UdSSR i m internationalen Verkehr, der Abschluß, die Ratifizierung u n d die K ü n d i g u n g der Verträge der UdSSR m i t anderen Staaten; die Feststellung des allgemeinen Verfahrens i n den gegenseitigen Beziehungen der Unionsrepubliken m i t auswärtigen Staaten; b) Fragen des Kriegs u n d Friedens;
Art.
68
Der Ministerrat der U d S S R : . . . d) hat die allgemeine Leitung der Beziehungen zu ausländischen Staaten . . .
bb) Diplomatische Auswärtige Gewalt der Gliedstaaten: A r t . 18 a Jede Bundesrepublik hat das Recht, i n unmittelbaren Verkehr m i t auswärtigen Staaten einzutreten, m i t ihnen A b k o m m e n abzuschließen u n d diplomatische u n d konsularische Vertreter auszutauschen. Art.
60
Der Oberste Rat der B u n d e s r e p u b l i k . . . e) legt die Vertretung der Bundesrepublik i n den internationalen Beziehungen f e s t ; . . .
Art.
78
Nr. 11 Z u d e n . . . Republik-Ministerien gehören die Ministerien f ü r . . . Auswärtige Angelegenheiten
cc) Militärische Auswärtige Gewalt des Bundes: Art.
14
Z u der Zuständigkeit der UdSSR i n der Gestalt ihrer obersten staatlichen Machtorgane u n d Staatsregierungsorgane g e h ö r e n : . . . g) die Organisation der Landesverteidigung der UdSSR u n d die Leitung der gesamten Wehrmacht der UdSSR; die Feststellung der richtunggebenden Grundsätze für die Organisierung der Truppenformationen der Unionsrepubliken.
A r t . 132
Die allgemeine Wehrpflicht ist Gesetz. Der Militärdienst i n den Reihen der Streitkräfte der UdSSR ist Ehrenpflicht der Bürger der UdSSR.
dd) Militärische Auswärtige Gewalt der Gliedstaaten: A r t . 18 b Jede Bundesrepublik hat ihre republikanischen tionen.
Truppenforma-
Art.
60
Der Oberste Rat der B u n d e s r e p u b l i k . . . f) legt das Verfahren für die B i l d u n g der Republik-Truppenformationen f e s t ; . . .
Art.
78
Nr. 11 Z u d e n . . . Republik-Ministerien gehören die Ministerien f ü r . . . Streitkräfte.
c) Vereinigte
Staaten von Amerika,
Verfassung v o m 17.9.1787
aa) Diplomatische Auswärtige Gewalt des Bundes: Preamble. We the people of the United States, i n order to from a more perfect union, . . . promote the general welfare . . . do ordain and establish this Constitution for the United States of America. Art. 2
Section 2 (I) The executive power shall be vested in a President of the United States of America. Section 2 (II) He (the President) shall have power, by and with the advice and consent of the
II. Beschränkte auswärtige Kompetenz der Zentralstaaten
227
Senate, to make treaties, provided t w o thirds of the Senators present concur; and he shall nominate, and by and w i t h the advice and consent of the Senate, shall appoint ambassadors ... Section 3 . . . he (the president) shall receive ambassadors . . . Art. 6
(III) . . . a l l treaties made, or which shall be made, under the authority of the United States, shall be the supreme l a w of the land; and the judges i n every State shall be bound thereby, anything i n the Constitution or laws of any State to the contrary notwithstanding.
bb) Diplomatische Auswärtige Gewalt der Gliedstaaten: Art. 1
Section 10 (I) No State shall enter into any treaty, alliance or confederation ...
Art. 1
Section 10 (III) No State shall, w i t h o u t the consent of Congress, enter into any agreement or compact . . . w i t h a foreign state.
cc) Militärische Auswärtige Gewalt des Bundes: Preamble. We the people of the U n i t e d States, i n order to form a more perfect union, . . . provide for the common defense, . . . do ordain and establish this Constitution for the United States of America. Art. 1
Section 8 The Congress shall have power. (I) . . . t o . . . provide for the common defense...; (XI) To declare w a r . . . ; ( X I I ) T o raise and support armies, but no appropriation of money to that use shall be for a longer t e r m t h a n t w o years; ( X I I I ) To provide and maintain a N a v y ; (XIV) To make rules for the government and regulation of the land and naval forces; (XVI) To provide for organizing, arming, and disciplining, the m i l i t i a , and for governing such part of them as may be employed i n the service of the United States.
Art. 2
Section 2 (I) The President shall be Commander i n Chief of the A r m y and the N a v y of the United States, and of the m i l i t i a of the several States, w h e n called into the actual service of the United States;
Art. 2
Section 3 . . . he (the president) shall commission a l l the officers of the U n i t e d States.
dd) Militärische Auswärtige Gewalt der Gliedstaaten: Art. 1
Section 8 The Congress shall have p o w e r : . . . (XVI) (To provide for organizing, arming, and disciplining the m i l i t i a , and for governing such part of them as may be employed i n the service of the United States), reserving to the States respectively, the appointment of the officers, and the authority of t r a i n i n g the m i l i t i a according to the discipline prescribed by Congress.
Art. 1
Section 10 ( I I I ) No State shall, w i t h o u t the consent of Congress, keep troops or ships of w a r i n time of peace . . . or engage i n
15*
Anhang — Bundesstaatsverfassungen
228
war, unless actually invaded or i n such imminent danger as w i l l not admit of delay.
I I I . Die historischen deutschen Bundesstaatsverfassungen (RV 1871, W V 1919) 1. Reichsverfassung
vom 16. 4.1871
aa) Diplomatische Auswärtige Gewalt des Bundes: A r t . 11 Abs. 1 Das Präsidium des Bundes steht dem Könige von Preußen zu, welcher den Namen Deutscher Kaiser führt. Der Kaiser hat das Reich völkerrechtlich zu vertreten, i m Namen des Reiches K r i e g zu erklären u n d Frieden zu schließen, B ü n d nisse u n d andere Verträge m i t fremden Staaten einzugehen, Gesandte zu beglaubigen u n d zu empfangen. Abs. 2 Z u r Erklärung des Krieges i m Namen des Reiches ist die Zustimmung des Bundesrats erforderlich, es sei denn, daß ein A n g r i f f auf das Bundesgebiet oder dessen Küsten erfolgt. (Nach dem verfassungsänderndem Gesetz v o m 28.10.1918 ist stets die Zustimmung v o n Bundesrat u n d Reichstag erforderlich.) Abs. 3 Insoweit sich die Verträge m i t fremden Staaten auf solche Gegenstände beziehen, welche nach A r t . 4 i n den Bereich der Reichsgesetzgebung gehören, ist zu i h r e m Abschluß die Zustimmung des Bundesrates u n d zu ihrer G ü l t i g k e i t die Genehmigung des Reichstages erforderlich. (Nach dem verfassungsändernden Gesetz v o m 28.10.1918 bedürfen Friedensverträge u n d alle Verträge, die sich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung beziehen, der Z u s t i m m i m g des Bundesrates u n d des Reichstages.) Art. 3
Abs. 4 Dem Auslande gegenüber haben alle Deutschen gleichmäßig Anspruch auf den Schutz des Reiches.
Art. 4
Der Beaufsichtigung seitens des Reiches u n d der Gesetzgebung desselben unterliegen die nachstehenden Angelegenheiten: . . . Nr. 7 . . . Anordnung gemeinsamer konsularischer Vertretung, welche v o m Reiche ausgestattet w i r d ; . . .
A r t . 56
Abs. 1 Das gesamte Konsulatswesen des Deutschen Reiches steht unter der Aufsicht des Kaisers, welcher die Konsuln, nach Vernehmung des Ausschusses des Bundesrates für Handel Verkehr, anstellt. Abs. 2 I n dem Amtsbezirk der deutschen Konsuln dürfen neue Landeskonsulate nicht errichtet werden. Die deutschen Konsuln üben f ü r die i n ihrem Bereich nicht vertretenen Bundesstaaten die Funktionen eines Landeskonsuls aus. Die sämtlichen bestehenden Landeskonsulate werden aufgehoben, sobald die Organisation der Deutschen Konsulate dergestalt vollendet ist, daß die Vertretung der Einzelinteressen aller Bundesstaaten als durch die Deutschen Konsulate gesichert von dem Bundesrate anerkannt w i r d .
III. Die historischen deutschen Bundesstaatsverfassungen
229
bb) Die diplomatische Auswärtige Gewalt der Gliedstaaten: Art. 8
Abs. 3 Außerdem w i r d i m Bundesrate aus den Bevollmächtigten der Königreiche Bayern, Sachsen u n d Württemberg u n d zwei vom Bundesrate alljährlich zu wählenden Bevollmächtigten anderer Bundesstaaten ein Ausschuß f ü r die Auswärtigen Angelegenheiten gebildet, i n welchem Bayern den Vorsitz führt.
A r t . 11 Abs. 2 u n d 3 ( M i t w i r k u n g des Bundesrates bei Kriegserklärung, Friedensschluß u n d sonstigen Verträgen des Reiches, vgl. oben) cc) Militärische Auswärtige Gewalt des Bundes: Präambel
. . . schließen einen ewigen B u n d zum Schutze des Bundesgebietes . . .
Art. 3
Abs. 5 Hinsichtlich der Erfüllung der Wehrpflicht i m Verhältnis zu dem Heimatslande w i r d i m Wege der Reichsgesetzgebung das Nötige geordnet werden.
Art. 4
Der Beaufsichtigung seitens des Reiches u n d der Gesetzgebung desselben unterliegen die nachstehenden Angelegenheiten: . . . Nr. 14 Das Militärwesen des Reiches u n d die Kriegsmarine.
A r t . 60
S. 2 (Festsetzung der Friedenspräsenzstärke des Heeres i m Wege der Reichsgesetzgebung)
A r t . 61 Abs. 1 Nach Publikation dieser Verfassung ist i n dem ganzen Reiche die gesamte Preußische Militärgesetzgebung ungesäumt einführen, . . . Abs. 2 Nach gleichmäßiger Durchführung der Kriegsorganisation des Deutschen Heeres w i r d ein umfassendes Reichsmilitärgesetz dem Reichstage u n d dem Bundesrate zur verfassungsmäßigen Beschlußfassung vorgelegt werden. A r t . 57
Jeder Deutsche ist wehrpflichtig u n d k a n n sich i n der Ausübung dieser Pflicht nicht vertreten lassen.
A r t . 58
Die Kosten u n d Lasten des gesamten Kriegswesens des Reiches sind von allen Bundesstaaten u n d ihren Angehörigen gleichmäßig zu tragen . . .
A r t . 62
(Beiträge der einzelnen Staaten zur Bestreitung des A u f wandes f ü r das gesamte deutsche Heer u n d die zu demselben gehörigen Einrichtungen)
A r t . 53
Die Kriegsmarine des Reiches ist eine einheitliche unter dem Oberbefehl des Kaisers. Die Organisation u n d Zusammensetzung derselben liegt dem Kaiser ob, welcher die Offiziere u n d Beamten der Marine ernennt, u n d für welchen dieselben nebst den Mannschaften eidlich i n Pflicht zu nehmen sind.
A r t . 63
Abs. 1 Die gesamte Landmacht des Reiches w i r d ein einheitliches Heer bilden, welches i n K r i e g u n d Frieden unter dem Befehle des Kaisers steht.
230
Anhang — Bundesstaatsverfassungen Abs. 2 Die Regimenter usw. führen fortlaufende N u m m e r n durch das ganze deutsche Heer. F ü r die Bekleidung sind die Grundfarben u n d der Schnitt der königlich preußischen Armee maßgebend. Abs. 3 Der Kaiser hat die Pflicht u n d das Recht dafür Sorge zu tragen, daß innerhalb des deutschen Heeres alle Truppenteile vollzählig u n d kriegstüchtig vorhanden sind u n d daß Einheit i n der Organisation u n d Formation, i n Bewaffnung u n d Kommando, i n der Ausbildung der Mannschaften, sowie i n der Qualifikation der Offiziere hergestellt u n d erhalten w i r d . Z u diesem Behufe ist der Kaiser berechtigt, sich jederzeit durch Inspektionen von der Verfassung der einzelnen Kontingente zu überzeugen u n d die Abstellung der dabei vorgefundenen Mängel anzuordnen. Abs. 4 Der Kaiser bestimmt den Praesenzstand, die Gliederung u n d Einteilung der Kontingente des Reichsheeres, sowie die Organisation der Landwehr, u n d hat das Recht, innerhalb des Bundesgebietes die Garnisonen zu bestimmen, sowie die kriegsbereite Aufstellung eines jeden Teiles des Reichsheeres anzuordnen. Abs. 5 Behufs Erhaltung der unentbehrlichen Einheit i n der A d ministration, Verpflegung, Bewaffnung u n d Ausrüstung aller Truppenteile des deutschen Heeres sind die bezüglichen k ü n f t i g ergehenden Anordnungen f ü r die Preußische Armee den Kommandeuren der übrigen Kontingente, durch den A r t . 8 Nr. 1 bezeichneten Ausschuß f ü r das Landheer u n d die Festungen, zur Nachachtung i n geeigneter Weise mitzuteilen.
Art. 62
S. 2 A l l e deutschen Truppen sind verpflichtet, den Befehlen des Kaisers unbedingte Folge zu leisten. Diese Verpflichtung ist i n den Fahneneid aufzunehmen. Abs. 2 Der Höchstkommandierende eines Kontingents sowie alle Offiziere, welche Truppen mehr als eines Kontingents befehligen, u n d alle Festungskommandanten werden von dem Kaiser (nach dem verfassungsändernden Gesetz v o m 28.10. 1918 unter Gegenzeichnung des Reichskanzlers) ernannt. Die von demselben Ernannten leisten auf i h n den Fahneneid. Bei Generalen u n d den Generalstellungen versehenden Offiziren innerhalb des Kontingents ist die Ernennung von der jedesmaligen Zustimmung des Kaisers abhängig zu machen. Abs. 3 Der Kaiser ist berechtigt, behufs Versetzung m i t oder ohne Beförderung für die von i h m i m Reichsdienste, sei es i m preußischen Heere, oder i n anderen Kontingenten zu besetzenden Stellen aus den Offizieren aller Kontingente des Reichsheeres zu wählen.
Art. 65
(Recht des Kaisers zur Anlage von Festungen innerhalb des Bundesgebietes)
dd) Militärische Auswärtige Gewalt der Gliedstaaten: Art. 8
Abs. 1 Der Bundesrat bildet aus seiner M i t t e dauernde Ausschüsse 1. f ü r das Landheer u n d die F e s t u n g e n ; . . .
III. Die historischen deutschen Bundesstaatsverfassungen
231
A r t . 60
Die Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres w i r d bis zum 31.7.1871 auf ein Prozent der Bevölkerung von 1867 normiert u n d w i r d pro rata derselben von den einzelnen Bundesstaaten gestellt.
A r t . 63
Abs. 2 S. 3 Dem betreffenden Kontingentsherrn bleibt es überlassen, die äußeren Abzeichen (Kokarden usw.) zu bestimmen.
A r t . 66
Abs. 1 Wo nicht besondere Konventionen ein anderes bestimmen, ernennen die Bundesfürsten, beziehentlich die Senate die Offiziere ihrer Kontingente m i t der Einschränkung des A r t . 64. Sie sind Chefs aller ihren Gebieten angehörigen Truppenteile u n d genießen die damit verbundenen Ehren. Sie haben namentlich das Recht der Inspizierung zu jeder Zeit u n d erhalten, außer den regelmäßigen Rapporten u n d Meldungen über vorkommende Veränderungen behufs der nötigen landesherrlichen Publikationen, rechtzeitige M i t teilung von den die betreffenden Truppenteile berührenden Avancements u n d Ernennungen. Abs. 2 (Die Ernennung, Versetzung, Beförderung u n d Verabschiedung der Offiziere u n d Militärbeamten eines Kontingents erfolgt unter Gegenzeichnung des Kriegsministers des Kontingents. — Ergänzung durch das verfassungsändernde Gesetz v o m 28.10.1918) Abs. 3 (Die Kriegsminister sind dem Bundesrat u n d dem Reichstag f ü r die V e r w a l t u n g ihres Kontingents verantwortlich. — E r gänzung durch das verfassungsändernde Gesetz v o m 28.10. 1918)
Schlußbestimmung zum X I . Abschnitt (Reichskriegswesen, A r t . 57—68) Die i n diesem Abschnitt enthaltenen Vorschriften kommen i n Bayern nach näherer Bestimmung des Bündnisvertrages v o m 23. November 1870 (Bundesgesetzblatt 1871 S. 9) unter I I I § 5, i n Württemberg nach näherer Bestimmung der M i l i t ä r konvention v o m 21./25. November 1870 (Bundesgesetzblatt 1870 S. 658) zur Anwendung. A r t . 78
Abs. 2 Diejenigen Vorschriften der Reichs Verfassung, durch welche bestimmte Rechte einzelner Bundesstaaten i n deren V e r h ä l t nis zur Gesamtheit festgestellt sind, können n u r m i t Z u stimmung des berechtigten Bundesstaates abgeändert werden.
2. Weimarer
Verfassung
vom 11. 8.1919
aa) Diplomatische Auswärtige Gewalt des Bundes: A r t . 78
Abs. 1 Die Pflege der Beziehungen zu den auswärtigen Staaten ist ausschließlich Sache des Reiches.
A r t . 45
Abs. 1 Der Reichspräsident v e r t r i t t das Reich völkerrechtlich. Er schließt i m Namen des Reichs Bündnisse u n d andere V e r träge m i t auswärtigen Mächten. Er beglaubigt u n d empfängt die Gesandten. Abs. 2 Kriegserklärung u n d Friedensschluß erfolgen durch Reichsgesetz.
232
Anhang — Bundesstaatsverfassungen Abs. 3 Bündnisse u n d Verträge m i t fremden Staaten, die sich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung beziehen, bedürfen der Zustimmung des Reichstags.
Art.
6
Das Reich hat die ausschließliche Gesetzgebung über: 1. die Beziehungen zum A u s l a n d . . .
A r t . 35
Der Reichstag bestellt einen Ausschuß f ü r auswärtige A n gelegenheiten, . . .
A r t . 112 Abs. 2 Dem Ausland gegenüber haben alle Reichsangehörigen inner- u n d außerhalb des Reichsgebietes Anspruch auf den Schutz des Reiches. bb) Diplomatische Auswärtige Gewalt der Gliedstaaten: A r t . 78 Abs. 2 I n Angelegenheiten, deren Regelung der Landesgesetzgebung zusteht, können die Länder m i t auswärtigen Staaten V e r träge schließen; die Verträge bedürfen der Zustimmung des Reiches. Abs. 3 Vereinbarungen m i t fremden Staaten über Veränderung der Reichsgrenzen werden nach Zustimmung des beteiligten Landes durch das Reich abgeschlossen. Abs. 4 U m die Vertretung der Interessen zu gewährleisten, die sich f ü r einzelne Länder aus ihren besonderen wirtschaftlichen Beziehungen oder ihrer benachbarten Lage zu auswärtigen Staaten ergeben, t r i f f t das Reich i m Einvernehmen m i t den beteiligten Ländern die erforderlichen Einrichtungen u n d Maßnahmen. cc) Militärische Auswärtige Gewalt des Bundes: A r t . 79
Die Verteidigung des Reiches ist Reichssache. Die W e h r verfassung des deutschen Volkes w i r d unter Berücksichtigung der besonderen landsmannschaftlichen Eigenarten durch ein Reichsgesetz einheitlich geregelt.
A r t . 46
Der Reichspräsident e r n e n n t . . . die Offiziere . . .
A r t . 47
Der Reichspräsident hat den Oberbefehl über die gesamte Wehrmacht des Reiches.
Art. 6
Das Reich hat die ausschließliche Gesetzgebung über: 4. die Wehrverfassung . . .
Art. 7
Das Reich hat die Gesetzgebung über: . . . bahnen, die Binnenschiffahrt, den Verkehr zeugen zu Lande, zu Wasser u n d i n der L u f t , von Landstraßen, soweit es sich u m . . . die gung handelt.
dd) Militärische Auswärtige Gewalt der Gliedstaaten: —
...
19. die Eisenmit Kraftfahrsowie den Bau Landesverteidi-
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