Wegweiser und Grenzgänger: Studien zur deutsch-jüdischen Kultur- und Literaturgeschichte [1 ed.] 9783205201045, 9783205206422


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German Pages [457] Year 2018

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Wegweiser und Grenzgänger: Studien zur deutsch-jüdischen Kultur- und Literaturgeschichte [1 ed.]
 9783205201045, 9783205206422

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Schriften des Centrums für Jüdische Studien Band 30 Herausgegeben von Gerald Lamprecht und Olaf Terpitz

Stefan Vogt, Hans Otto Horch, Vivian Liska, Małgorzata A. Maksymiak (Hg.)

WEGWEISER UND GRENZGÄNGER Studien zur deutsch-jüdischen Kultur- und Literaturgeschichte Festschrift für Mark H. Gelber

BÖHLAU V ER LAG W IEN KÖLN W EIM AR

Veröffentlicht mit der Unterstützung durch: Abrahams-Curiel Department of Foreign Literatures and Linguistics, Ben-Gurion University of the Negev, Israel Centrum für Jüdische Studien, Karl-Franzens-Universität Graz Institute of Jewish Studies, University of Antwerp Karl-Franzens-Universität Graz The President of Ben-Gurion University of the Negev, Israel

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2018 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien, Kölblgasse 8–10, A-1030 Wien Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung  : Ausschnitt aus dem Hebräisch-Vokabelheft von Franz Kafka, ca. 1922. Quelle: The National Library of Israel, Schwad 01 19 268 Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Einbandgestaltung  : Michael Haderer, Wien Satz  : Michael Rauscher, Wien

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-205-20104-5

Inhalt

Jeffrey Sammons  : Greetings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  9 Stefan Vogt, Hans Otto Horch, Vivian Liska, Małgorzata A. Maksymiak  : Wegweiser und Grenzgänger. Zur Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil 1  : Deutsch-jüdische Literatur und Kultur Sander L. Gilman  : You, too, could walk like a gentile. Jews and Posture . . . . .

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Jakob Hessing  : Wie klingt ein jiddischer Witz auf Deutsch  ? Zwischen Sigmund Freud und Salcia Landmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Klaus Hödl  : Überlegungen zur Überwindung der jüdisch-nichtjüdischen Dichotomie in den Jüdischen Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kerstin Schoor  : »Goethe«-Rezeption im Kontext jüdischer Kulturdebatten der 1930er Jahre im NS-Deutschland.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Karl Müller  : In welchen Zeiten leben wir  ? Ein Essay über Fremdenhass – Rassismus – Antisemitismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Tuvia Ruebner  : Fragmentarisch-Vollkommen. Haikus 2016. Mit einem Kommentar von Hans Otto Horch.. . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil 2  : Wegweiser und Grenzgänger Ruth Klüger  : Heine’s Last Poems. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Matjaž Birk  : Dialog der Kulturen in den Reisetagebüchern von Stefan Zweig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Birger Vanwesenbeeck  : Jewish Sensibility in Stefan Zweig’s Die Wunder des Lebens.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

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Inhalt

Zhang Yi  : Stefan Zweigs Rezeption in China . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Alfred Bodenheimer  : Die unsichtbare Gefahr und die Gefahr der Unsichtbarkeit. Franz Kafka als Zeuge der jüdischen Moderne . . . . . . . . 147 June O. Leavitt  : Kafka’s Writing Mission as Revealed in His Diaries  : Personal Ideology and Exercises to Realize the Self . . . . . . . . . . . . . . . 161 Vivian Liska  : »Schreckliche Dinge – genug  !« Kafka, Hiob und Theodizee in der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Iris Bruce  : “There’s No Place Like Home”  : Canine Fellow Travelers in Kafka and Agnon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Caroline Jessen  : Karl Wolfskehls romantischer Ernst. . . . . . . . . . . . . . 205 Na’ama Rokem  : Erich Auerbach’s Letters to Jerusalem  : A Report from the Archive.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Monika Tempian  : »Erst jenseits der Kastanien / ist die Welt / der Brücken die nichts überbrücken …« Passagen, Übergänge, Grenzüberschreitungen im künstlerischen Werk Manfred Winklers . . . . . 233 Esther Dischereit  : Whats App Golem _ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Teil 3  : Zionismus und jüdische Geschichte Manja Herrmann  : Emotions in Jewish Nationalist Garb. Wilhelm Herzberg’s Novel Jewish Family Papers  : Letters of a Missionary (1868). . . . . 261 Gerald Lamprecht  : Jüdische Erfahrungen und Erwartungen im Ersten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Małgorzata A. Maksymiak  : Wessen Krieg und mit welchen Folgen  ? Die Selbstverortungsdiskurse der jüdischen Osteuropäer nach dem Ersten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Stefan Vogt  : Max Brod und der Sozialismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299



Inhalt 

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Dietmar Goltschnigg  : Die Internierung des Wiener revisionistischen Zionisten Wolfgang von Weisl im britischen Militärlager Latrun . . . . . . . 313 Eitan Bar-Yosef  : The African Fantasy in Zionist Culture  : Nahum Gutman’s In the Land of Lobengulu King of Zulu . . . . . . . . . . . . 325 Chaim Noll  : Morgen in der Wüste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Teil 4  : Vergleichende Literaturwissenschaft Howard Needler  : Wave to Particle, Particle to Wave  : Towards a Quantum Theory of Poetry.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Aaron Landau  : Race, Gender and Miscegenation in Cervantes and Shakespeare  : A View to the Americas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Irmela von der Lühe  : Zwischen literarischem Jux und politischem Ernst  : Thomas Manns Novelle Das Gesetz (1944) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Stephan Resch  : “This barbaric slaughterhouse that was once known as humanity”. Narrative Tributes and Subversions in Wes Anderson’s The Grand Budapest Hotel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 Alana Sobelman  : Summoning Voices in the Eulogistic Writings of Stefan Zweig, Jacques Derrida, and Mark H. Gelber . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 Jin Yang  : Grenzüberschreitung von Kulturkreisen und Körpergestalten. Eine vergleichende Betrachtung zu Wilhelm Hauffs Märchen Kalif Storch und Orhan Pamuks Roman Die weiße Festung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 Alana Sobelman  : Interview with Mark H. Gelber, July 2017. . . . . . . . . . 431 Autorinnen und Autoren, Herausgeberinnen und Herausgeber . . . . . . . . 447

Jeffrey Sammons

Greeting Dear Mark, Congratulations on your well-deserved retirement. Much as I would have liked to make a contribution to this volume worthy of you, I am not up to it at present, but I do want to participate with a few lines addressed to you. When we both took part in a conference in Graz in 2006, Dietmar Goltschnigg asked me whether you were my “Schüler.” The question took me aback and caused me to hesitate for a moment. The technical answer was yes, but it seemed incongruous. I had long since regarded you as an esteemed colleague and a warm friend. It is true that I was at hand during the gestation of your dissertation of 1980 comparing Gustav Freytag’s Soll und Haben with Charles Dickens’s Oliver Twist (there was no need for me to “direct” it). There you developed the eminently useful term “literary anti-Semitism.” It seems like a simple idea, but in fact it is a concept of considerable discriminatory power. It enables us to distinguish literary works such as Soll und Haben or Der Hungerpastor in their social implications and reception potential from what otherwise may be the aspects of Jewish tolerance or friendliness in the personal relations and other writings of such authors as Freytag or Wilhelm Raabe. Without forbidding consideration of an author’s personal ambiguities and complexities, it invites us to focus on the work in its own life in the literary system. I always regretted that you did not publish the dissertation in book form, but you set out the core concept the year before in an often-cited essay in Comparative Literature Studies. Your productivity over the years has been an inspiration and the range of your scholarship remarkable. Just in my own records I find studies of Freytag, Karl Emil Franzos, Georg Hermann, Ludwig Börne, Kafka and especially Max Brod, for the release of whose papers you campaigned persistently, along with your numerous contributions, including a substantial book, on Stefan Zweig, who could seem almost to have become a specialty insofar as you can be said to have one. There are more comprehensive topics such as the Sephardic self-identification of the German Jews, cultural Zionism, or an overview of the attempted reproduction of Yiddish inflected German in literary texts. All of these are thoughtful and balanced contributions to our understanding of these matters. You have been an indefatigable editor of conference and contributory volumes, and, at a time when we are urged to internationalism and cosmopolitanism, your stamina has sometimes been astonishing. At any time you might be in New York

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Jeffrey Sammons

or California or Prague or Paris or London. Not long ago an Austrian colleague transmitted your greeting to me from Beijing. Nothing is more gratifying in professorial life than to have a “Schüler” with your record of distinguished achievement. Now I trust that you will regard your retirement as a research professorship, released from other obligations and freeing you to pursue a further range of scholarly excellence. Herzliche Grüße, Jeffrey L. Sammons

Stefan Vogt, Hans Otto Horch, Vivian Liska, Malgorzata A. Maksymiak

Wegweiser und Grenzgänger Zur Einleitung Es ist nicht leicht zu sagen, was jemanden zu einem bedeutenden Gelehrten macht. Wegweisende wissenschaftliche Arbeiten und das Erschließen neuer Gegenstandsbereiche gehören unbedingt dazu, reichen aber nicht aus. Das Inspirieren von Schülerinnen und Schülern, die Vermittlung der Fähigkeit, in die eigenen Fußstapfen zu treten und auch wieder aus diesen hinaus, ist eine notwendige Voraussetzung, aber sie ist noch keine ausreichende Bedingung. Das Initiieren von internationalen und interdisziplinären Netzwerken bildet ein wesentliches Element, doch es muss noch etwas hinzukommen. Zu einem bedeutenden Gelehrten gehört es auch, sich selbst nie wichtiger zu nehmen als seine Arbeit, anderen zuzuhören, sie zu ermutigen und ihre Kreativität zu unterstützen, gehören Wärme und Empathie gegenüber Kollegen und Schülern. All dies bei Mark Gelber zu würdigen, ist der Zweck dieser Festschrift, die wir anlässlich seiner Emeritierung vorlegen. Mit über einhundert im Laufe seiner Karriere erschienenen Publikationen zur deutsch-jüdischen Literatur und Kultur prägte Mark Gelber wie kaum ein Zweiter die Deutsch-Jüdischen Studien. Viele seiner literaturwissenschaftlichen, historischen, kulturhistorischen, religionswissenschaftlichen, soziologischen und philosophischen Arbeiten zählen zu den Pionierarbeiten der Forschung. Wenngleich die Literaturwissenschaft den Ausgangspunkt für Mark Gelbers Forschungstätigkeit bildet, so geht diese doch weit darüber hinaus. Sie widmet sich vielmehr einer interdisziplinären »Grenzdisziplin« (so Mark Gelbers eigene Charakterisierung), in der sich Germanistik, Geistesgeschichte und Jüdische Studien auf das fruchtbarste miteinander verbinden. Dabei hat Mark Gelber stets innovative Herangehensweisen, etwa aus den Gender Studies, der Migrationsforschung oder den Postcolonial Studies, in seine Arbeit integriert und so einen bedeutenden Beitrag zur inhaltlichen und methodischen Weiterentwicklung dieses Forschungsfeldes geleistet. Nach wie vor sind seine Studien zum Literarischen Antisemitismus wegweisend. Hier standen nicht mehr die Intentionen von Autoren im Mittelpunkt, sondern die Texte in ihrer problematischen Wirkung auf ein zeitgenössisches wie späteres Publikum. Antijüdische Bilder und Stereotype, von den Autoren strategisch auf entsprechende Figuren projiziert und damit gelegentlich auch relativiert, konnten ohne Kenntnis der Kontexte ihre unheilvolle nationalistische oder gar rassistische Potenz entfalten.

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Stefan Vogt, Hans Otto Horch, Vivian Liska, Malgorzata A. Maksymiak

Mark Gelber ist heute einer der bedeutendsten Forscher zur Kulturgeschichte des Zionismus und wohl der bedeutendste zu dessen deutschsprachigem Teil. Mit seiner Monographie Melancholy Pride (2000) hat Gelber eine Studie vorgelegt, in der er die Themen seiner Aufsätze zur zionistischen Kultur systematisch reflektiert und zugleich neue Kontexte aufgezeigt hat. Dieses Buch wurde in den Besprechungen namhafter Forscher wie Gerhard Kurz, Ritchie Robertson oder Armin A. Wallas einhellig als herausragende Leistung gewürdigt und kann heute ebenfalls den Rang eines Standardwerks beanspruchen. Mark Gelber hat dem Kulturzionismus nicht nur den Status eines eigenständigen wissenschaftlichen Gegenstands verliehen, sondern ganze Generationen von Forscherinnen und Forschern dazu animiert, sich aus einer kritischen und differenzierten Perspektive mit diesem auseinanderzusetzen. Ebenso grundlegend sind Mark Gelbers Arbeiten zur deutsch-jüdischen Literatur. Besonders hervorzuheben sind seine Studien und die von ihm betreuten Konferenzbände zu Stefan Zweig. Die jüdische Sensibilität Zweigs herauszuarbeiten und damit das Bild des Dichters in der Forschung nachhaltig zu revidieren, wie er dies in seiner jüngsten Monographie getan hat, ist eine der vielen grundlegenden und bleibenden Errungenschaften von Mark Gelber. Aber auch Franz Kafka hat Gelber seit 1998 wichtige Studien und Konferenzbände gewidmet, so 2004 den Band über Kafkas Beziehungen zum Zionismus und den entsprechenden Artikel in dem von Oliver Jahraus und Bettina von Jagow herausgegebenen Kafka-Handbuch von 2008. Heinrich Heine gehörte immer zu Mark Gelbers wichtigen Bezugsautoren (siehe vor allem The Jewish Reception of Heinrich Heine, 1992). Die Aufmerksamkeit für Theodor Herzl (siehe dazu den Sammelband Theodor Herzl  : From Europe to Zion von 2007, hg. zusammen mit Vivian Liska) korrespondiert mit Mark Gelbers Interesse für den (Kultur-) Zionismus generell. Zahlreiche zum Teil umfangreiche Aufsätze zu weiteren deutsch-jüdischen Autoren, von Ludwig Börne bis Jakov Lind, unterstreichen den Stellenwert von Mark Gelbers Forschungen auf diesem Gebiet. Als eine Art folgerichtiger Verbreiterung der Reflexion über die deutsch-jüdische Literatur und Kultur können Mark Gelbers neuere Arbeiten allgemeinerer Thematik gelten, etwa zur deutsch-zionistischen Presse, zu Narrativen der jüdisch-europäischen vs. jüdisch-orientalischen Identität, zum Thema der hebräischen Poetologie im Kontext des deutschen Kulturzionismus, zur Germanistik und German Studies in Israel oder zur Phänomenologie der Zeit im Judentum. Auch jenseits seiner eigenen Forschungstätigkeit hat Mark Gelber die deutsch-jüdische Kultur- und Literaturgeschichte nachhaltig geprägt. Er ist die treibende Kraft hinter einer Vielzahl von internationalen Kooperationen und stellt selbst so etwas wie den Fixpunkt in einem weitreichenden, interdisziplinären und multinationalen Netzwerk dar, das sich, maßgeblich durch ihn selbst



Zur Einleitung 

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vorangetrieben, in den vergangenen Jahrzehnten in dieser Disziplin entwickelt hat. Mark Gelber ist wesentlich dafür verantwortlich, dass die Ben-Gurion Universität in Beer-Sheva zu einem der weltweit wichtigsten und anerkanntesten Zentren der Forschung zur deutsch-jüdische Kultur- und Literaturgeschichte geworden ist. Er fungierte als Leiter des Department of Foreign Literatures and Linguistics und war über viele Jahre Direktor des Zentrum für österreichische und deutsche Studien, das sich in dieser Zeit zu einem Anziehungspunkt gerade für jüngere Forscherinnen und Forscher der deutsch-jüdischen Kulturund Literaturgeschichte entwickelt hat, von denen viele zu der vorliegenden Festschrift beigetragen haben. Das Department und das Zentrum waren unter seiner Leitung Gastgeber großer internationaler Konferenzen in diesem Feld. Mark Gelber ist außerdem der Initiator der Internationalen Sommeruniversität für Hebräisch, Jüdische Studien und Israelwissenschaften an der Ben-Gurion Universität, die Jahr für Jahr eine große Anzahl von Studierenden vor allem aus Deutschland nach Beer-Sheva lockt und so einen wichtigen Beitrag zum deutsch-israelischen Austausch leistet. Doch nicht nur in Beer-Sheva, sondern in allen Teilen der Welt hat Mark Gelber die Entwicklung der deutsch-jüdischen Kultur- und Literaturgeschichte wesentlich vorangetrieben. Er war Gastprofessor u. a. an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, an der University of Pennsylvania, an der Franzens-Universität Graz, an der Universität Maribor, an der Universität von Antwerpen, an der University of Auckland, an der Yale University sowie an der Universität von Beijing. Diese Tatsache spiegelt sich auch in dem Umstand wider, dass Kolleginnen und Kollegen aus Israel, Deutschland, Österreich, der Schweiz, Belgien, Slowenien, den USA, Kanada, China und Neuseeland an der Festschrift mitgewirkt haben. Mark Gelber war und ist eine Schlüsselfigur für die institutionelle akademische Kooperation Israels insbesondere mit Deutschland und Österreich, aber er hat beispielweise auch Bahnbrechendes für die Verbreitung der deutsch-jüdischen Kultur- und Literaturgeschichte in China geleistet. Nicht zuletzt ist Mark Gelber ein herausragender akademischer Lehrer. Aufgeschlossen für neue, auch unkonventionelle Ideen, Theorien und Herangehensweisen, kommuniziert er mit seinen Studierenden und Promovierenden stets auf Augenhöhe. Bei aller fachlichen, durchaus auch strengen, aber immer konstruktiven Kritik, verliert er den Menschen nie aus dem Blick. Dies bezeugen eine Vielzahl von Doktorandinnen und Doktoranden sowie Postdocs, die durch seine »Schule« gegangen sind. »Schule« meint hier nicht lediglich die intellektuelle Inspiration und Anleitung, die allein schon ihresgleichen sucht. Sie meint auch die persönliche Freundschaft und Unterstützung, die so viele bei ihm erfahren

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Zur Einleitung

haben und die im inzwischen so »effizienten« akademischen Betrieb alles andere als die Regel darstellt. Ein Lehrer, der sich in solcher Weise um seine Schülerinnen und Schüler »kümmert«, hat eine Festschrift mehr als verdient. Die Fülle der in ihr versammelten Beiträge zeigt zugleich die große Bandbreite von Mark Gelbers eigenem wissenschaftlichen Werk. Die Schrift gliedert sich in vier Abteilungen, die sich an seinen wichtigsten Forschungsthemen orientieren. Abteilung eins umfasst Beiträge zu allgemeinen Aspekten der deutsch-jüdischen Literatur und Kultur, Abteilung zwei Aufsätze zu einzelnen »Wegweisern und Grenzgängern« in diesem Feld. Abteilung drei befasst sich mit dem Zionismus und der deutsch-jüdischen Geschichte, Abteilung vier schließlich beinhaltet Studien zur allgemeinen und vergleichenden Literaturgeschichte. An den Übergängen zwischen den Abteilungen stehen literarische Beiträge von Tuvia Ruebner, Esther Dischereit und Chaim Noll, und den Abschluss bildet ein ausführliches Interview mit Mark Gelber, das den Leserinnen und Lesern noch einmal detaillierten Einblick in seinen wissenschaftlichen Werdegang bietet. Die Herausgeberinnen und Herausgeber möchten sich bei allen Autorinnen und Autoren herzlich für ihre Beiträge und für die hervorragende Zusammenarbeit bedanken. Wir freuen uns auch sehr, dass die Festschrift in die Schriftenreihe des Centrums für Jüdische Studien der Universität Graz erscheinen konnte und bedanken uns dafür bei dessen Leiter Gerald Lamprecht. Herzlich danken möchten wir auch den Personen und Institutionen, die durch ihre finanzielle Unterstützung die Festschrift ermöglicht haben  : der Universität Graz, dem Institut für Jüdische Studien der Universität von Antwerpen, dem Department of Foreign Literatures and Linguistics der Ben-Gurion Universität, der Präsidentin der Ben-Gurion Universität, Rivka Carmi, sowie dem Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz.

TEIL 1  : DEUTSCH-JÜDISCHE LITERATUR UND KULTUR

Sander L. Gilman

You, too, could walk like a gentile Jews and Posture For Mark Gelber  : The most upright man I know

I have written often and critically about discourses about Jewish physicality and the stereotypes that this engenders. None is more pervasive than ideas about Jewish posture, given that the very core of the Western idea of the human – anthropos (αvθρωπoς), the word for man, means the animal whose posture looks upward and considers the gods. National characteristics of posture came by the seventeenth century to be understood as biological realities defining group differences, a fact nowhere better illustrated than in Robert Burton’s Anatomy of Melancholy (1621), which echoes such views and cites the Jews in terms of their poor posture. Burton writes of the “pace” of the Jews, as well as “their voice, […] gesture, [and] looks”, signs of “their conditions and infirmities”.1 Johann Jakob Schudt, the seventeenth-century German Orientalist, commented on the “crooked feet” of the Jews among other indicators of their physical inferiority.2 Difference in posture defines the Jew, but this difference may or may not be racial in its origin. Indeed, to paraphrase Burton, it may be the result of their oppressive lives and the illnesses that result from them. What is folkloric (and Burton is not quite medical science) in the seventeenth century becomes part of the science of race in the nineteenth century. By the early nineteenth century the representations of the philosopher Moses Mendelssohn in Germany did not shy away from stressing his postural deformity, as he was a hunchback.3 A century later Balduin Groller could claim that the overwhelming evidence is that ‘the physical composition’ of both Eastern and Western Jews “is not normal”.4 Groller cites the statistical records of a Russian military doctor on the prevalence of Jewish degeneracy  : the average size of an adult Jew is 162.7 centimeters versus 165 to 170 centimeters for a non-Jew  ; Jews have less developed chest bones and musculature, including a 60 per cent smaller chest size 1

Burton, Robert  : The Anatomy of Melancholy  : What It Is, with All the Kinds, Causes, Symptomes, Prognostickes & Severall Cures of It, New York 1977, p. 211 f. 2 Schudt, Johann Jakob  : Jüdische Merkwürdigkeiten, vol. 2, Frankfurt a. M. 1718, p. 368. 3 See Hochman, Leah  : The Ugliness of Moses Mendelssohn  : Aesthetics, Religion and Morality in the Eighteenth Century, New York 2014, p. 6. 4 Groller, Balduin  : Die körperliche Minderwertigkeit der Juden, in  : Die Welt, 19 April 1901, p. 3–5, here p. 4.

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when compared to the norm  ; Jews suffer from bad posture as well as a greater susceptibility to tuberculosis, skin diseases, eye infections, myopia, and nervous and psychological disorders  ; finally, they have a greater incidence of hernia.5 Joseph Pennell, the Victorian illustrator and friend of James McNeil Whistler, in a small book on The Jew at Home (serialized in the London Illustrated News at the same time), states more or less the same problem among Russian Jews for a popular audience  : Much sentiment has been wasted over the poverty-stricken appearance of the Russian Jew, his consumptive, hollow-chested look, and his shambling walk. […] The Jew naturally is not physically weaker than the peasant. As a soldier, when he is made to stand up straight, he is as fine a man as any other Russian, with the exception that he cannot march as well, but becomes quickly footsore. This is because he never takes any exercise  ; he never walks, he never uses his hands or his legs if he can help it.6

Every view of the Jew’s body sees bad posture at its core, reflecting in one way or another the character of the Jew. The American novelist and social commentator Jack London, in London for the coronation of Edward VII in 1902, spent months in the overcrowded East End. His account of urban poverty at the turn of the century, that of the displaced Eastern European Jews in the ghettos of the East End of London, as in other American and European cities, notes that when […] segregated in the Ghetto, they cannot escape the consequent degradation. A short and stunted people is created, – a breed strikingly different from their masters’ breed, a pavement folk, as it were, lacking in stamina and strength. The men become caricatures of what physical men ought to be, and their women and children are pale and anemic, with eyes ringed darkly, who stoop and slouch, and are early twisted out of all shapeliness and beauty.7

London sees the posture of the slums not only as the impact of the ghetto but also as the result of eugenics. The best and most powerful men (his word) had long abandoned such places leaving the poorest specimens, “a deteriorated stock”, behind to reproduce. By the turn of the twentieth century Jews too accepted the notion of bad posture as a sign of their maladaptation in the modern world. In his opening speech 5 Ibid., p. 4. 6 Pennell, Joseph  : The Jew at Home  : Impressions of a Summer and Autumn Spent with Him, New York 1891, p. 77 f. 7 London, Jack  : The People of the Abyss, New York 1904, p. 220.



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at the Second Zionist Congress in Basel on 28 August 1898, Max Nordau, the most important figure in early Zionism after Theodor Herzl, invented one of Zionism’s most famous, most fraught, and most challenging ideals  : the “muscle Jew”. His essay on “Muskeljudentum”, often translated as “A Jewry of Muscle”, which he originally gave as a dedicatory speech for the opening of yet another Jewish gymnastic club in 1903, condemned the “degenerate modernity” that he earlier saw defining the modern world  : “Unreal, too, are the studied postures, by assuming which the inmates are enabled to reproduce on their faces the light effects of Rembrandt or Schalcken. Everything in these houses aims at exciting the nerves and dazzling the senses.”8 The answer to Jewish degeneracy indeed became a range of sports clubs, mirroring the anti-Semitic Turnvereine. Perhaps the most famous in the pre-war period was the Makkabi Deutschland, the Jewish sporting club founded in 1903 after Jews were substantially excluded from the Turnvereine. When the Jewish philosopher and educator Franz Rosenzweig visited one of the Makkabi clubs he noted that while there were signs in Hebrew on the wall stating mens sana in corpore sano, the young men seemed to know nothing about religious practice or belief.9 A strong mind in a strong body meant postural training. During World War I, the “new Jew” on the front trained now for physical fitness “exposed as lies the fairy tale of the bent and crooked Jews, as our youth grows to maturity in good health and with straight bodies”.10 Bodily training undertaken to refute the calumnies of the posture deficiencies of the Jew has become a leitmotif of Jewish reaction to anti-Semitism. Not merely rejecting such arguments is sufficient  ; the Jewish body must have perfect posture to rebut such claims. The red line that connected early Zionism and other forms of bodily reform, such as “Muscular Christianity” was the resurgence of interest in classical Greece fomented by the Greek Rebellion against the Ottoman Empire in the early 1820s. Not only did it show Jews that older ideas of nationalism could be reclaimed but it was closely associated with notions of bodily reform and politics. (Think of the sporty though disabled Lord Byron, dying at Missolonghi in 1824, as the ideal hero of the Greek rebellion.) Inherent to this was both the staggering importance of Greek sculpture in providing models for the ideal national posture, but it also led to the resuscitation (or invention) of models for bodily reform such as the modern Olympic movement, which has its earliest modern form in the 1830s among the Greeks, then in Great Britain in the 1850s, and   8 Nordau, Max  : Degeneration, New York 1895, p. 11.  9 Rosenzweig, Franz  : Briefe und Tagebücher, ed. Rachel Rosenzweig and Edith Rosenzweig-­ Scheinmann, vol. 1, The Hague 1979, p. 392. 10 Dunker, Ulrich  : Der Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten, 1918–1938, Düsseldorf 1977, p. 541.

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finally in Athens with Pierre de Coubertin in 1896. This renewed tradition, as part of a modern nationalist bodily reform, was particularly important for early Zionism as “Jewish nationalists largely rejected rabbinic spirituality, non-belligerence and the disdain for athleticism which dominated Jewish life after Rome destroyed the Jewish state in 70 CE.”11 Here the Jews overcame specific ideas of bodily reform and embraced the more widely held understanding of postural reform as part of the new nationalistic body. As Nordau noted, by the early twentieth century bad posture was a central maladaptation of the Jews  : “The Jews’ terrible posture does not come from any natural trait. It is but the result of a lack of psychical education. In this way, there is not really a difference between Jew and Aryan.”12 Nordau stated in 1903  : I said  : “We must once again think of creating a Jewry of muscle” […] Once again  ! For history is our witness that such a Jewry once existed. There is no shame to admitting this need  : Our new muscle Jews [Muskeljuden] have not yet regained the heroism of their forefathers […] But morally speaking, we are better off today than yesterday, for the old Jewish circus performers of yore were ashamed of their Judaism and sought, by way of a surgical pinch, to hide the sign of their religious affiliation […] while today, the members of Bar Kochba proudly and freely proclaim their Jewishness.13

Simon Bar Kochba, of course, was the warrior who led the Jews in their failed revolt against the Romans in 132 CE after whom the sporting societies were named. For Nordau and his contemporaries, Jews and non-Jews, The Jews were the sick men of Europe  : Zionist societies use every effort that the members and the Jewish masses in general may know the history of their nation […] they care, in the measure of their strength, for the amelioration of the hygiene of the Jewish proletariat, for its economic improvement by means of association and solidarity, for well directed education of children, and for the instruction of women […] they preach the duty of leading a faultless, spiritual life, the rejection of crude materialism, into which the assimilation Jews, on account of the want of a worthy ideal, are only too apt to sink, and strict self-control in word and deed.

11 Leoussi, Athena S./Aberbach, David  : Hellenism and Jewish Nationalism  : Ambivalence and Its Ancient Roots, in  : Ethnic and Racial Studies 25 (2002), p. 755–777, here p. 755. 12 Cited by Presner, Todd Samuel  : “Clear Heads, Solid Stomachs, and Hard Muscles”  : Max Nordau and the Aesthetics of Jewish Regeneration, in  : Modernism/modernity 10 (2003), p. 269– 296, here p. 296. 13 Nordau, Max  : Jews of Muscle, in  : Mendes-Flohr, Paul R./Reinharz, Jehuda (eds.)  : The Jew in the Modern World  : A Documentary History, New York 2011, p. 547.



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They found athletic societies in order to promote the long neglected physical development of the rising generation.14

In speaking about the newly established Jewish National Fund during the Fifth Zionist Congress in Basel in 1901, Nordau argued  : The physical elevation of the Jewish people is a money question. If the [majority] of Jews were in a good position it would not be necessary to waste words on their physical improvement […] look at the Jewish families who for the past three generations have been men of wealth  ! Compare these stately horsemen, these first rate fighters, these stylish dancers, these prize-winning gymnasts and swimmers, compare their robust bodies with the emaciated and cough-racked frames of the Eastern ghettos. Then you will immediately form an idea of the means required for the physical amelioration of the Jewish race […] The mass has neither the time nor the means for gymnastics and sports. If we offer them any hygienic suggestions it must be such that cost nothing.15

Such views came to be commonplaces. The image of Jewish postural transfor­ mation is at the core of the image of the Jew in other non-Jewish and certainly non-Zionist thinkers of the day. In his 1907 essay, “Die Lösung der Judenfrage” (Solving the Jewish Question), the future Nobel Prize winner Thomas Mann saw the “Jewish Question” as “purely psychological” because the Jew is “always recognized as a stranger, feeling the pathos of being excluded, he is an extraordinary form of life”.16 Mann’s views paralleled the discussion of the deformed Jewish body as a central trope of the debates of the time, including those among the other contributors to the special 14 September 1907 issue of the German newspaper, the Münchner Neuesten Nachrichten, where Mann’s essay appeared. The progress of German culture, not Zionism, Mann argued, permitted – indeed, demanded – the spiritual integration of the Jews into Europe and that resulted in the transformation of the Jewish body. Mann’s fantasy of the Jews imagines them primarily as crippled and malformed inhabitants of the ghettos of Eastern Europe. Their movement into European culture in Germany is not mere social acculturation but physical transformation.17 Mann sees this movement 14 Nordau, Max Simon/Gottheil, Gustav  : Zionism and Anti-Semitism, New York 1905, p. 45. 15 Ibid., p. 176. 16 In Mann’s untitled contribution to Moses, Julius (ed.)  : Die Lösung der Judenfrage  : eine Rundfrage, Berlin 1907, p. 242–248. We are citing from the original edition as it presents the text in its original context. Reprinted in Mann, Thomas  : Zur jüdischen Frage, in  : Gesammelte Werke in 13 Bänden, vol. 7, Frankfurt a. M. 1974, p. 466–475. All translations are mine. 17 Kontje, Todd  : Thomas Mann’s World  : Empire, Race, and the Jewish Question, Ann Arbor 2011, p. 19–24.

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as the replacement of the ghetto Jew, with his “hump back, crooked legs, and red, gesticulating hands”, by “young people who have grown up with English sports and all of the advantages without denying their type and with a degree of physical improvement”. 18 We need here to remember that Mann’s very first successful attempt at the writing of fiction was his 1896 short story, “Little Mr. Friedemann”, the tale of the disabled aesthete, “with his pigeon chest, his steeply humped back and his disproportionately long skinny arms”.19 After a life of self-imposed asceticism because of a youthful rejection, he falls in love with Frau Gerda von Rinnlingen, the homely wife of the military commander of the town in which he lives. She mocks him when he declares his love for her and his only recourse is to commit suicide. Physical imperfection (even, indeed, the evocation of Friedemann’s Jewish-sounding name) gestures toward the psychological self-doubt of those with imperfect posture. For Mann, this malformation and its potential for transformation is part and parcel of the “general cultural development” of Europe – of the new cosmopolitanism of healthy bodies as opposed to degenerate ones. This biological notion of the regeneration of good posture is very much in line with Theodor Herzl’s views on adaption and mal-adaptation  : Education can be achieved only through shock treatment. Darwin’s theory of imitation [Darwinsche Mimikry] will be validated. The Jews will adapt. They are like seals that have been thrown back into the water by an accident of nature […] if they return to dry land and manage to stay there for a few generations, their fins will change back into legs.20

And one can add, they will “stand up straight.” “Only by providing a ‘previously emasculated Central European Jewry with an honorable and manly posture’ did Theodor Herzl believe the goal of the regeneration of a Jewish state could be achieved.”21 But this was not only an ideal. The self-consciously Jewish strongman Siegmund né Zishe Breitbart (1883–1925) became the image of the “new muscle Jew” in Herzl’s Vienna and beyond  : A human being of supernatural powers. Breitbart. He bends steel as if it were soft rubber, bites through chains as though they were tender meat, drives nails into thick wood

18 19 20 21

Mann in Moses, Die Lösung, p. 244 f. Mann, Thomas  : Tonio Kröger and other Stories, trans. David Luke, New York 1970, p. 5. Bein, Alex  : Theodor Herzl  : Biographie, Wien 1974, p. 173. Higate, Paul  : Military Masculinities  : Identity and the State, Westport 2003, p. 189.



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with his bare fist. […] A bridge loaded with hundreds of kilograms of concrete block is lowered onto his gigantic body, and the blocks are pounded with hammers.22

Costuming himself as Bar Kochba or a Roman Centurion (no matter how contradictory these two persona were), he came to represent the new muscle Jew as pseudo-military figure. Sport becomes the means, as it was in the nineteenth-century German national movement, to regenerate not only a healthy body but also a healthy mind. Through such twentieth century transformations the Jew regains a pride in being Jewish through the newly revitalized Jewish body.23 In 1908 the German-Jewish eugenicist Dr Elias Auerbach of Berlin undertook a medical rebuttal to the claims of a Jewish postural inferiority, contesting the “fact” of the predisposition of the Jew for certain disabilities which precluded him from military service in an essay entitled “The Military Qualifications of the Jew”.24 Auerbach begins by attempting to “correct” the statistics, which claimed that for every 1,000 Christians in the population there were 11.61 soldiers, but for 1,000 Jews in the population there were only 4.92 soldiers. His correction (based on the greater proportion of Jews entering the military who were volunteers and, therefore, did not appear in the statistics) still finds that a significant portion of Jewish soldiers were unfit for service (according to his revised statistics, of every 1,000 Christians there were 10.66 soldiers and of 1,000 Jews 7.76). He accepts the physical differences of the Jew as a given but questions whether there is a substantive reason that these anomalies should prevent the Jew from serving in the military. He advocates the only true solution that will give Jews equal value as citizens  : the introduction of “sport” and the resulting reshaping of the Jewish body even though this will not necessarily make them better qualified to be soldiers. In 1909 Max Zirker argued in the Jewish Gymnastics Journal that the Jewish people must develop a “class of farmers” who can till the ground, something that will counterbalance their “mostly intellectual work”. As such, they will develop the bones, musculature, and posture necessary for serving in the military and becoming national citizens able to defend a future homeland, while also honing their intellectual prowess and “mental hygiene”.25 22 Gillerman, Sharon  : Samson in Vienna  : The Theatrics of Jewish Masculinity, in  : Jewish Social Studies 9 (2003), p. 65–98, here p. 85. 23 Breitbart performed often in the United States and his work had a presence there. Breitbart, Siegmund  : Muscular Power, New York 1924. 24 Auerbach, Elias  : Die Militärtauglichkeit der Juden, in  : Jüdische Rundschau, 11 September 1908, p. 491 f. 25 Zirker, Max  : Vom Basler Schauturnen, in  : Die jüdische Turnzeitung, 4 (1903), p. 164–169.

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The pathological meaning of poor posture is found throughout such defenses of the Jews with the rise of racial anti-Semitism at the close of the nineteenth century. Anatole Leroy-Beaulieu, in his 1893 “defense” of the Jews, notes that the Jews are characterized by the predominance of the nervous system over the muscular system  : “too little muscles  ; too much nerves, il est tout nerfs [he is all nerves].” The Jew is all nerves because of his ‘oriental origin’ and his sedentary life.26 At the same moment, the anti-Semites are making the same argument and drawing the same connections. In 1893, the German physician-writer Oskar Panizza, in his depiction of the Jewish body, observed that the Jew’s body language was clearly marked  : When he walked, Itzig always raised both thighs almost to his mid-rift so that he bore some resemblance to a stork. At the same time he lowered his head deeply into his breast-plated tie and stared at the ground. – Similar disturbances can be noted in people with spinal diseases. However, Itzig did not have a spinal disease, for he was young and in good condition.27

The Jew looks as if he is diseased, but it is not the stigmata of degeneracy that the observer is seeing but the Jew’s natural stance. Panizza’s Itzig undertakes massive corrective surgery, including having his bowlegs broken and reset, just as Alexander Granach does in reality at the time. Itzig then appears “somewhat taller and resembled a respectable human being” and “stood straight and tall like a pine tree”.28 At the conclusion of the tale, having tried to pass as a German, his body returns to its “natural” posture revealing his immutable Jewish character. Panizza’s satire of the Jewish body was lived out in the material world of Jewish bodies. For secular, non-Zionist Jews in Germany, some of whom had “nose jobs” beginning in the 1890s to be able to more easily “pass”, postural anomalies revealed too much. Alexander Granach (1893–1945), one of the most popular film and stage actors in Weimar Germany, was a Jew from Austrian Galicia who came to Berlin as a teenager before WWI. He starred in a series of important films from the silent Nosferatu (1922) to one of the first “talkies” Kamaradschaft (1931). In one of his most memorable stage performances, in 1920 in Munich, he even played Shylock. A major star, he immigrated to the United States and continued his film career until his untimely death in 1945. In his 1945 autobiog26 Leroy-Beaulieu, Anatole/Hellman, Frances  : Israel Among the Nations  : A Study of the Jews and Antisemitism, New York/London 1895, p. 198. 27 Panizza, Oskar  : The Operated Jew, trans. Jack Zipes, in  : New German Critique, 21 (1980), p. 63–79, here p. 64. 28 Ibid., p.68.



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raphy There Goes an Actor, Granach explains how he transformed himself from an Eastern European Jew into a German by having both of his legs broken to correct his “crooked knock-knees”.29 His self-consciousness about this was to no little degree because it was seen as a sign of Jewish posture, or at least Eastern European Jewish posture. Studiously, his friends “said they had never noticed that my legs were crooked”.30 He saw this postural deficiency as a sign of something other than race. He attributed his “crooked baker’s-legs” to his hard work in his father’s bakery rather than to malnourishment or to race.31 Immigration policy in the United States at the time Thomas Mann was writing was shaped to no little extent by the posture of Jewish immigrants from Eastern and Central Europe who flooded New York City at the close of the nineteenth century. The medical examination at Ellis Island begun after 1892 was constituted to identify ‘irregularities in movement’ among a wide range of other disabilities. Immigrants were watched as they carried their luggage to observe if “the exertion would reveal deformities and defective posture”. One inspector wrote, It is no more difficult to detect poorly built, defective or broken down human beings than to recognize a cheap or defective automobile. […] The wise man who really wants to find out all he can about an automobile or an immigrant, will want to see both in action, performing as well as at rest.32

Those with “defective” posture quickly had an “L” chalked on their backs. They were then ordered to the shipping companies for transportation back to Europe. If they were admitted to the United States, that is if they were adjudged to be of healthy and of good posture, they were still seen as deformed. At the turn of the twentieth century Richard C. Cabot, a distinguished Boston physician, sitting across from such an immigrant saw […] not Abraham Cohen, but a Jew  ; not the sharp clear outlines of this unique sufferer, but the vague, misty composite photograph of all the hundreds of Jews who in the past

29 Granach, Alexander  : There Goes an Actor, Garden City 1945, p. 189. See Zweig, Arnold  : Juden auf der deutschen Bühne, Berlin 1928, p. 149–156. 30 Ibid., p. 189. 31 Ibid., p. 172. 32 Quotations taken from Baynton, Douglas C.: Disability and the Justification for Inequality in American History, in  : Lennard J. Davis (ed.)  : The Disability Studies Reader, New York 2010, p. 17–33, here p. 28.

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ten years have shuffled up to me with bent back and deprecating eyes, and taken their seats upon this stool to tell their story.33

Reality, Cabot recognized, was masked by assumptions about the Jewish body. By 1931, the historian James Truslow Adams had coined the phrase “the American Dream” in his The Epic of America, to describe the imagined goals of the new immigrants. Adams defines it as “a dream of social order in which each man and each woman shall be able to attain to the fullest stature of which they are innately capable […] regardless of the fortuitous circumstances of their birth”. A liberal understanding of the resiliency of human posture shapes his notion of human stature.34 Such demands for bodily transformation are in the 1930s not only limited to the United States. Scholars of body politics of Stalinist Russia in the 1930s have pointed out that the cultural and public discourse of the time was marked by the rhetoric of reforging (perekovka) human beings. In spite of this culture’s Marxist emphasis on the supremacy of the economic and social environment for human formation, the concept of reforging was paradoxically linked to the notion of biological change within an organism. Various Jewish writers, such as the Soviet children’s book writer Lev Kassil, made attempts to demonstrate the success of such a reforging of the body and soul as exhibited in many of the Russian and Jewish literary characters in the writing of the 1930s. The human body’s biological essence was viewed as a product of the forces of nature against which remedies had to be found. As Mikhail Zoshchenko’s diaries attest, Max Nordau’s turn-of-the century concept of degeneration continued to be influential among the generation of the 1930s, who were concerned with how to overcome it.35 Learning to stand up straight was a key to this in shaping the new Soviet Man (as well as the new Fascist Man and the new Zionist Man), as the historian of sexuality George Mosse argued about the varieties of masculine identity that dominated these disparate political directions.36 Such views penetrate Marxist ideology in the 1930’s beyond the Soviet Union and merge with the assumptions about race science and posture. The utopian Marxist philosopher Ernst Bloch “saw the upright gait as a moral orthopedics of human dignity, as strengthening the backbone against humiliation, depend33 Quoted in Kraut, Allan M.: Silent Travelers  : Germs, Genes, and the “Immigrant Menace”, Baltimore 1994, p. 208. 34 Adams, James Truslow  : The Epic of America, Boston 1931, p. 404 f. 35 Livers, Keith A.: Constructing The Stalinist Body  : Fictional Representations of Corporeality in the Stalinist 1930s, Lanham 2004, p. 204. 36 Mosse, George L.: Nationalism and Sexuality  : Respectability and Abnormal Sexuality in Modern Europe, New York 1985), p. 134–136.



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ency, and subjugation”.37 Bloch reads upright gait as a political act and sees it as standing behind Marx’s demand “to overthrow all relations in which man is a degraded, enslaved, abandoned, or despised being”. He observed that “the claim to the upright gait was within all rebellions  ; otherwise there would not be uprisings. The very word uprising means that one makes one’s way out of one’s horizontal, dejected, or kneeling position into an upright one.”38 Ernst Bloch’s greatest work The Principle of Hope was written in exile from the Nazis between 1938 and 1947, but only published in the 1950s. In it Bloch places posture as a key to his understanding of the altered physiognomy of the body under capitalism. He notes that genuine athletic postures are very different from cosmetic postures in front of the mirror, from make­up that is wiped off a woman’s face again at night, or from other rebuilding which is dismantled when we take off our clothes again. The body should not be concealed at all but rather shed the distortions and disfigurements which an alienating society based on the division of labour has inflicted on it too.39

Capitalism may seem to encourage a healthy posture, but it masks the need for money to maintain it. Of course there are people who breathe correctly, who combine a pleasant self­assurance with well­ventilated lungs and an upright torso, which is flexible to a ripe old age. But it remains a prerequisite that these people have money  ; which is more beneficial for a stooped posture than the art of breathing.40

This is Immanuel Kant’s note that all humans are “crooked wood” now translated into the world of capitalistic exploitation. It reappears in the guise of the world of the poverty-stricken and the simple struggle for food, not in Rousseau’s garden but in the brutal world of fascism. Many things would be easier if we could eat grass. In this respect the poor man, kept as a brute animal in other ways, does not have it as good as that animal. Only the air 37 Bloch, Jan Robert  : How Can We Understand the Bends in the Upright Gait  ? Trans. Capers Rubin, in  : New German Critique 45 (1988), p. 9–39. With reference to Bloch, Ernst  : Natural Law and Human Dignity, trans. D. J. Schmidt, Cambridge 1986. 38 Traub, Rainer/Wiesner, Harald/Klemperer, Otto (eds.)  : Gespräche mit Ernst Bloch, Frankfurt a. M. 1975, p. 123–135. 39 Bloch, Ernst  : The Principle of Hope, trans. Neville Plaice, Stephen Plaice and Paul Knight, vol. 2, Cambridge 1995, p. 453. 40 Ibid., p. 467.

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is readily available, but the soil first has to be tilled, over and over again. In a stooping, painful posture, not as one grows choice fruit upright against the wall. The days of collecting berries and fruit, and of free hunting have long been a thing of the past, a few rich people live off a lot of poor people. Constant hunger runs through life, it alone compels us to drudgery, only then does the whip compel us.41

But Bloch in American exile as a Jew also rejects any notion that such postural differences are the result of race. Thus even the chances of nobility do not stem from breeding  ; it is rather that social hygiene, a society in which an upright posture is not suppressed any more, in which no mean trick pays off any more, reveals noble behaviour anyway, indeed it is truly revealed by that society alone. Only here does the “breeding” of geniuses really succeed, of these true and solely desirable “blood minorities”.

Very different in its rhetoric, it evokes Max Nordau’s view that only a true reform of society can enable the corrupted posture of the Jew to be reformed. For Bloch it is clear that it is capitalist society that takes over the role of anti-Semitism as the force deforming the social body, echoing the Frankfurt School’s view, articulated by Max Horkheimer in the 1930’s that anti-Semitism was merely a secondary phenomenon of late capitalism. It is the world of capital that for Bloch trumps the claims of race. Bloch had been forced to flee Germany in 1934 as a Jew, eventually settling in the United States where he writes his magnum opus before he returned to the German Democratic Republic after the war, where he became a major critic of the repressive communist state. Whether he felt that German communism provided better posture for its citizens is doubtful, but this ceased to be an obsession for him. Locating the unhealthy Jew and separating those Jews from potentially healthy citizens permeated the ideology of Zionism at virtually the same moment. This comes to be rooted in “the idea of ‘productive’ labor” in early Zionism in Palestine. Physical labor became part of a Jewish body politics with regard to the Zionist citizen-to-be. The target group those Zionists addressed with their call for productive, physical labor was not so much non-Jewish society and even less the anti-Semites, but rather the religious Jews who stuck to their books and religious practices. In a quite

41 Ibid., p. 472.



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condescending manner, they used to call them “ghetto-Jews” in contrast to the new “Halutz” (pioneer) who had yet to be trained.42

Was posture remediable, and for whom, was the question. Posture came to be the means of distinguishing permanent factors that disqualified the Jew from those imposed bodily deficits that could be remedied by a new ideology of the body. Let us be clear  : this image of the hunchbacked Jew does not vanish with the establishment of the state of Israel and its creation of a new Muscle Jew. It continues well into the twenty-first century. The Jewish Russian American novelist Gary Shteyngart, who immigrated to New York City from the USSR in 1978 when he was six, turned his “American Jewish” experience into his first novel, The Russian Debutante’s Handbook (2002). His account stresses the impossibility of integration, a theme well known in the American as well as the Soviet discourses of the time. His protagonist, the Soviet Jew Vladimir Girshkin, is employed by the Emma Lazarus Immigrant Absorption Society, a position that his middle-class professional parents find well below his potential. Yet he remains too Russian (and therefore too Jewish) for a cosmopolitan America, made up of Jews who stand up straight. His mother had noted that unlike American Jews, his difference is written on his body  : “‘Look at how your feet are spread apart. Look how you walk from side to side. Like an old Jew from the shtetl. […] How can a woman love a man who walks like a Jew’”. 43 His mother endeavors to walk like a “normal” American and urges, You, too, could walk like a gentile. You had to keep your chin in the air. The spine straight. Then the feet would follow.44

But Vladimir never quite learns this lesson and remains posturally (and thus identifiably) Russian Jewish, his body unreformed into the sporty American body that stood up straight. In other words, stand up straight and walk upright like a real American (read  : gentile) if you survive American white nationalism enveloped in neo-liberal capitalism. Michael Chabon, in his 2016 novel Moonglow gestures at this when he has his Jewish-American protagonist alter his posture as he walks from the Jewish neighborhood in Philadelphia through 42 Rürup, Miriam  : Capitalism and the Jews Revisited  : A Comment, in  : Bulletin of the German Historical Institute Washington, 58 (2016), p. 25–32, here p. 27. 43 Shteyngart, Gary  : The Russian Debutante’s Handbook, New York 2002, p. 44. See also Friedman, Natalie  : Nostalgia, Nationhood, and the New Immigrant Narrative  : Gary Shteyngart’s “The Russian Debutante’s Handbook” and the Post-Soviet Experience, in  : Iowa Journal of Cultural Studies 5 (2004), p. 77–87. 44 Shteyngart, Handbook, p. 46.

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the Italian one abutting it “if you hoped to avoid a beating on Christian Street, you could alter your gait and the cant of your head”.45 This is what Bloch had gestured at in the 1940s as the orthopedia of the upright carriage translated into claims for human dignity. As we have seen the movement from the use of posture to demarcate the Jewish body race merges into to theories of national identity and the corrected posture of the Jews. This has a rather long reach today.

45 Chabon, Michael  : Moonglow  : A Novel, New York 2016, p. 158.

Jakob Hessing

Wie klingt ein jiddischer Witz auf Deutsch  ? Zwischen Sigmund Freud und Salcia Landmann 1 In der Spannung zwischen dem Deutschen und dem Jiddischen wird ein Aspekt der Tragik sichtbar, die der Geschichte des deutschen Judentums anhaftet. Ursprünglich ist das Jiddische an den Ufern des Rheins aus dem Mittelhochdeutschen entstanden, dann mussten die Juden nach Osten fliehen und nahmen ihre Sprache mit.1 Losgelöst vom deutschen Mutterboden ging sie andere Wege, die beiden Sprachen entfernten sich voneinander, doch ihre Verwandtschaft ist auch heute noch unverkennbar. Als die Juden seit dem 18. Jahrhundert wieder in den deutschen Kulturraum zurückzukehren begannen, belastete gerade diese Nähe das Verhältnis der beiden Sprachen. Nicht nur die Deutschen standen dem Jiddischen abschätzig gegenüber, auch die Juden selbst suchten sich mit dem Eintritt in die deutsche Kultur und in die Moderne ihres sprachlichen Erbes zu entledigen. Schon Moses Mendelssohn (1729–1786) führte einen zweifachen Kampf gegen das Jiddische. Als Philosoph der deutschen Aufklärung legte er den Juden Berlins das Deutsche ans Herz  ; als Vordenker der jüdischen Aufklärung, der Haskala, hielt er die Juden im Osten dazu an, das Hebräische zu pflegen. Damit waren die Fronten gesetzt, und zwischen dem Deutschen und dem Hebräischen musste sich das Jiddische einen mühsamen Weg bahnen. Hier soll die prekäre Aufnahme des Jiddischen im deutschen Sprachraum ein Stück weit verfolgt werden. Im Jahrhundert nach Mendelssohn war sie fast ausschließlich negativ, und der amerikanische Germanist Jeffrey A. Grossman arbeitet überzeugend heraus, wie sich Deutschland nach 1780 als Kulturnation definiert und das Jiddische als »unreine« Sprache ausgrenzt.2 Hier werden die Folgen dieser Ausgrenzung an einer paradigmatischen Textsorte überprüft. Es wird versucht, den jiddischen Witz zu verorten, wie er deutschen Lesern im 20. Jahrhundert in zahlreichen Sammlungen und unter 1

Mit Jiddisch wird im Folgenden die Sprache der Juden im osteuropäischen Schtetl bezeichnet. Auf die Verästelungen seiner Geschichte kann hier nicht eingegangen werden. 2 Grossman, Jeffrey A.: The Discourse on Yiddish in Germany. From the Enlightenment to the Second Empire, Rochester 2000.

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verschiedenen ideologischen Flaggen präsentiert wurde. Dabei beschränken wir uns im Wesentlichen auf zwei Autoren, die selber Juden waren und deutsch schrieben, und an ihren Beispielen – Sigmund Freud (1905) und Salcia Landmann (1960) – gehen wir der Frage nach, was mit diesem Witz geschieht, wenn er ins Deutsche übertragen wird. 2 Dem jiddischen Witz, der seinen Ursprung in Osteuropa hat, steht der sogenannte »Judenwitz« gegenüber. Der eine bringt die heute längst untergegangene Welt des Schtetl im O-Ton zu Gehör, er ist selbstkritisch und zeigt ihre Menschen wie in einem Hohlspiegel  ; der andere wird in einem verballhornten Deutsch erzählt, das sich als »Jiddisch« ausgibt, er ist aggressiv und will die in ihm auftretenden Juden diffamieren. In einer Sammlung unter dem Titel 190 gepfefferte jüdische Witze und Anekdoten, die um die Jahrhundertwende erschienen ist, liest sich das so  : Miskele Feichtnos  : Dü, der Dovid Veilchensaft hot e Haupttreffer gemacht, er is vun lauter Glück ganz meschüge. Lebele Saftgrün  : Nü, zohlt er seine Schüld’n  ? Feichtnos  : So meschüge is er nichs.3

Die Namen wollen nicht nur komisch sein, sie wollen auch herabsetzen und lassen erkennen, dass das kein jüdischer Witz ist, wie der Titel des Pamphlets es verspricht, sondern ein Judenwitz, eine judenfeindliche Karikatur, die mit dem antisemitischen Vorurteil der Leser rechnet. Feichtnos ist körperlich unsauber, und unsauber ist auch Dovid Veilchensaft – ein fragwürdiger Geschäftemacher, der nicht daran denkt, seine Schulden abzuzahlen. Bemerkenswert an diesem Text ist die Tatsache, dass er seinen Effekt der Gehässigkeit durch die Mittel der sprachlichen Ausgrenzung erzielt.4 Unsauber sind nicht nur die Protagonisten des Witzes, unsauber ist auch die Sprache, die sie verwenden. Was hier als »Jiddisch« daherkommt, ist gar kein Jiddisch, sondern genau das, was den Sprechern unterstellt wird – ein unreines, verdorbenes Deutsch.5 3

4 5

190 gepfefferte jüdische Witze und Anekdoten, Berlin o.J., S. 4  ; es ist der 13. der 190 »Witze«. Das Groschenheft erschien ohne Jahresangabe im Verlag E. Bartels in Berlin, einem der sogenannten Warenhausverlage, die sich um die Jahrhundertwende etablierten und ihre Produkte in hohen Auflagen billig anboten. Die Technik sprachlicher Verunglimpfung findet sich schon im frühen 19. Jahrhundert, zu Beginn der deutsch-jüdischen Akkulturation. Macht man die Gegenprobe und erzählt den Witz ohne Gehässigkeit, so kann er uns durchaus



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Die Rede vom Judenwitz enthält ihre eigene Dialektik. In einem kürzlich erschienenen Sammelband mit neueren Beiträgen zur Erforschung des jüdischen Witzes machen die Herausgeber darauf aufmerksam, dass sie zuerst ein politisches Schlagwort im Vormärz war.6 Es wurde mit den Schreibweisen von Heine und Börne assoziiert, die den Reaktionären der Heiligen Allianz verhasst waren, galt als ein Synonym für die Bissigkeit ihres polemischen Stils, und erst in einem zweiten Schritt kehrte seine Bedeutung sich später um, verwandelte die Juden von den Subjekten dieses Witzes in seine Objekte. Jetzt waren es die Juden selbst, die von der Aggression deutscher Witzerzähler aufs Korn genommen wurden. Es ist ein Vorgang, der sich in der Geschichte des Antisemitismus immer wieder beobachten lässt. Der Antisemit fühlt sich von den Juden bedroht, und die Aggression, die er gegen sie entwickelt, gibt er vor sich selbst als Notwehr aus. Strukturell ist dieser Mechanismus der Projektion, der unter Hitler dann seinen grauenhaften Höhepunkt finden wird, im Bedeutungswandel des Wortes »Judenwitz« bereits angelegt, und seine Dialektik ist auch in dem Buch wirksam, dem wir uns nun zuwenden – in Sigmund Freuds Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten.7 3 Das Buch erschien 1905 und gehört zu den frühen Werken der Psychoanalyse. Freud legt in ihm eine Theorie zur Technik und Arbeitsweise des Witzes vor, die in der Humorforschung sehr einflussreich geworden ist. Hier aber interessiert uns vor allem der Umstand, dass viele der von ihm untersuchten Witze jiddischen Ursprungs sind. Mit dem Thema hatte er sich seit langem beschäftigt, und schon in einem Brief vom 22. Juni 1897 schreibt er an Wilhelm Fließ  : »Ich will gestehen, daß ich in letzter Zeit eine Sammlung tiefsinniger jüdischer Geschichten angelegt habe.«8 Es fällt auf, dass Freud diese Mitteilung als ein Geständnis empfindet. Es scheint ihm peinlich gewesen zu sein, dass er sich noch einmal einer Welt zuwandte, die für ihn der Vergangenheit angehörte. Sein Vater kam aus Galizien, ein Lächeln entlocken  : »Haste gehört, der Meier hat das große Los gezogen, er is ganz verrückt vor Freude. – Und  ? Bezahlt er jetzt seine Schulden  ? – Nee, so verrückt is er nich.« 6 Meyer-Sickendiek, Burkhard/Och, Gunnar (Hg.)  : Der jüdische Witz. Zur unabgegoltenen Problematik einer alten Kategorie, Paderborn 2015. 7 Freud, Sigmund  : Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten, in  : Studienausgabe, Bd. IV, Frankfurt a. M. 1982, S. 9–219. 8 Freud, Sigmund  : Briefe an Wilhelm Fließ 1887-1904. Ungekürzte Ausgabe. Hg. von Jeffrey Moussaieff Masson. Frankfurt a. M. 1986, S. 171.

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er sprach noch Jiddisch, und Freud legt die Witzsammlung nicht zufällig bald nach seinem Tod an. Viele der »jüdischen Geschichten« wird er von ihm gehört haben, und dass er sie sammelt, erfüllt ihn mit einem Gefühl, das für die Psychoanalyse von zentraler Bedeutung ist – dem Gefühl der Ambivalenz. Dem Geständnis im Brief an Fließ fügt er wie zur Entschuldigung hinzu, dass die Geschichten »tiefsinnig« seien. Diesen Zusatz braucht er, um sein Interesse an ihnen rechtfertigen zu können, denn seine Aversion gegen das Jiddische, den »Jargon«, kann er kaum überwinden. Auch er hat die Vorurteile des deutschen Judentums verinnerlicht, und in seinem Buch über den Witz kommt das deutlich zum Ausdruck. Im zweiten Kapitel, »Die Technik des Witzes«, führt er einen der »Badewitze« an, die die Badescheu der Juden in Galizien behandeln. Wir verlangen nämlich keinen Adelsbrief von unseren Beispielen, wir fragen nicht nach ihrer Herkunft, sondern nur nach ihrer Tüchtigkeit, ob sie uns zum Lachen zu bringen vermögen und ob sie unseres theoretischen Interesses würdig sind. Beiden diesen Anforderungen entsprechen aber gerade die Judenwitze am besten.9

Man beachte, dass Freud hier »Judenwitz« sagt und nicht »jüdischer Witz«. Der Aggression des Kalauers, den er nun erzählen wird, ist er sich voll bewusst, und den verächtlichen Ostjuden, die in ihm zu Worte kommen, will er keineswegs einen »Adelsbrief« ausstellen. Zwei Juden treffen in der Nähe des Badehauses zusammen. – »Hast du genommen ein Bad  ?« fragt der eine. – »Wieso  ?« fragt der andere dagegen, »fehlt eins  ?«10

Die Juden sind unrein, und sie sind Diebe  : An seinen Pointen erkennt man den Judenwitz. Schon eine einfache Beobachtung zeigt, dass er nicht im jiddischen, sondern im deutschen Sprachraum erfunden wurde, denn im Jiddischen gibt es den Ausdruck »ein Bad nehmen« nicht.11 Die syntaktische Inversion »Hast du genommen ein Bad  ?« ist wie bei allen Judenwitzen nur eine sprachliche Täuschung, nur schlechtes Deutsch. Das hindert Freud freilich nicht daran, den Witz zu goutieren. »Wenn man über einen Witz recht herzlich lacht«, schreibt er gleich darauf über ihn, »ist man nicht gerade in der geeignetsten Disposition, um seiner Technik nachzu  9 Freud, Der Witz, S. 49. 10 Ebd. 11 Im Jiddischen wird das Wort »baden« transitiv gebraucht  : »me bud sach« (man badet sich) oder »me geît sach buden« (man geht sich baden).



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forschen. Darum bereitet es einige Schwierigkeiten, sich in diese Analysen hineinzufinden.«12 Im Wien Karl Luegers, dessen Antisemitismus er täglich zu spüren bekam, hätte er über diesen Witz vielleicht weniger herzlich lachen sollen und statt seiner Technik besser der Frage nachgeforscht, was ihn an ihm so erheiterte.13 Prominent in seinem Buch sind die sogenannten Schnorrer-Witze, in denen sich die Armen und die Reichen des Schtetl begegnen. »Der Schnorrer«, so lautet einer dieser Witze bei Freud, der alle Sonntage in demselben Haus als Gast zugelassen wird, erscheint eines Tages in Begleitung eines unbekannten jungen Mannes, der Miene macht, sich mit zu Tische zu setzen. Wer ist das  ? fragt der Hausherr und erhält die Antwort  : Das ist mein Schwiegersohn seit voriger Woche  ; ich hab’ ihm die Kost versprochen das erste Jahr.14

Zuerst wurde dieser Witz wirklich auf Jiddisch erzählt, aber schon die »Sonntage« zeigen an, dass Freud ihn für seine deutschen Leser verändert hat. Die Armen werden am Sabbat bewirtet, und davon wird gleich noch die Rede sein, aber zuvor werfen wir einen Blick auf den Kommentar, den Freud dem Witz folgen lässt  : Man wird hier aufgefordert, über die Frechheit des Anspruchs zu lachen, aber […] die Wahrheit dahinter ist, daß der Schnorrer, der das [Haus] des Reichen wie [sein] eigenes behandelt, nach den heiligen Vorschriften der Juden wirklich fast das Recht zu dieser Verwechslung hat. Natürlich richtet sich die Auflehnung, die diesen Witz geschaffen hat, gegen das selbst den Frommen schwer bedrückende Gesetz.15

Der erste Teil dieses Kommentars hat manches für sich  : Die Sorgepflicht der Reichen für die Armen, die Zedaka, war wie alle Lebensregeln in der traditionellen Welt des Shtetl religiös verankert, und der Arme hatte in der Tat ein Recht auf die Bewirtung. Problematischer ist der zweite Teil des Kommentars  : Für Freud erwuchs die psychische Energie des Witzes aus dem Widerstand gegen das religiöse Gebot, das – so muss man hier folgern – den Reichen bedrückt. Wir haben es offensichtlich mit einer Projektion des Atheisten Sigmund Freud

12 Freud, Der Witz, S. 49. 13 Zu der Frage, was Freud bei der Auswahl seiner Witze motiviert hat, vgl. Oring, Elliott  : The Jokes of Sigmund Freud. A Study in Humor and Jewish Identity, Philadelphia 1984. 14 Freud, Der Witz, S. 106. 15 Ebd., S. 107.

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zu tun, der sich gegen jedes religiöse Gebot auflehnte  ; und niemand wusste besser als er, dass Projektionen eine schwache Erkenntnisgrundlage sind. 4 Wie dieser Witz im jiddischen Original erzählt wurde, ist in der Sammlung Rosinkess mit Mandlen nachzulesen, die Immanuel Olsvanger nach dem Ersten Weltkrieg vorgelegt hat.16 Hier wird er zunächst im vollständigen Wortlaut zitiert  : An ejdim (Schwiegersohn) af kesst Ejnmol frajtig zu nachts noch’n dawenen (Beten) hot a id, wen er is arauss fun schul (Synagoge) ahéjm, genumen zu sich an êjrach (Gast) af schabess. Der êjrach is gewen an alter id mit a grauer bord. Gejt der êjrach noch’n iden un der id set, wi noch dem êjrach schlept sach noch a jungermàn. Mejle gornit. Sej gejen arajn in di schtub, der junger man gejt êjch arajn. Mejle, gejt er arajn  : schabess wet men doch a iden nit arausswarfen fun schtub. Sej nemen essen, der junger man sezt sach êjch awek, gejt sach waschen un nemt êjch essen. Der êjrach hot gemacht kidesch (Lobspruch über den Wein am Sabbatabend), der junger man êjch. Nu mejle, der balaboss hot gesen, ess sizt zum essen noch a mentsch, wet er im doch nit sogen kejn wort. Sej hoben opgegessen, opgebentscht (Schlussgebet gesprochen). Darnoch as sej hoben gewelt awekgejn, fregt der id dem êjrach  : »Sogt mir nor, wer is der jungerman  ?« Sogt der id  : »Der  ? ss’is majn ejdim, er sizt ba mir af kesst.«17

Die hier in Klammern gesetzten Übersetzungen einiger Wörter finden sich auch bei Olsvanger, sie stehen als Fußnoten am unteren Rand der Seite. Dort wird auch »af kesst« (auf Kost) erklärt, denn Olsvanger kann nicht darauf rechnen, dass die deutschen Leser seiner Sammlung mit den Gepflogenheiten im Shtetl vertraut sind. Auf eine deutsche Übersetzung dieses Textes, die einige Jahre später erschienen ist, gehen wir im übernächsten Abschnitt ein. Zunächst aber wenden wir uns seinem jiddischen O-Ton zu.

16 Rosinkess mit Mandlen. Aus der Volksliteratur der Ostjuden. Schwänke, Erzählungen, Sprichwörter, Rätsel. Gesammelt von Dr. Immanuel Olsvanger, Zürich 1920  ; aus dem Buch wird im Folgenden nach den Seitenzahlen der zweiten Auflage 1932 zitiert. 17 Es ist das 168. Stück in Olsvangers Sammlung, ebd., S. 97.



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5 Schon im ersten Satz unterscheidet er sich von der Form, die Sigmund Freud ihm in seiner deutschen Fassung gegeben hat  : Ejnmol fraitig zu nachts noch’n dawenen hot a id, wen er is arauss fun schul ahéjm, genumen zu sich an êjrach af schabess. (An einem Freitagabend nach dem Gottesdienst nahm ein Mann, als er das Bethaus verließ, auf seinem Heimweg einen Sabbatgast mit sich.)

Zeit und Ort seiner Handlung sind zugleich die Determinanten des Witzes. Er spielt nicht am Sonntag wie bei Freud, und auch nicht am Samstag, denn der Sabbat beginnt am Freitagabend. Die Handlung dieses Witzes ist eine heilige Handlung  : Sie beginnt im Bethaus  ; und sie endet am Tisch, an den sich die beiden Gäste, der geladene, und der ungeladene, bald setzen werden, um die »kabalat schabat« zu feiern, den Empfang des heiligen Sabbat. Der Hausherr nimmt den Gast mit sich, weil er ihn nicht kennt. Er hat ihn im Bethaus noch nie gesehen, denn er ist ein Fremder im Shtetl, der hier keinen eigenen Tisch hat, und daher ist es die Pflicht des Hausherrn, ihn einzuladen, an der heiligen Handlung zu partizipieren. Genau so wenig kennt er deshalb auch den jungen Mann, der sie auf dem Heimweg begleitet  : Das ist die innere Logik des Witzes, die bei Freud völlig verloren geht. Denn käme der Gast, wie Freud es erzählt, jeden Sonntag zu Tisch, dann würde sein Gönner doch wissen, dass er in der vergangenen Woche die Tochter verheiratet hat. Freud unterläuft noch eine zweite Ungenauigkeit. Er liest den Text als einen Schnorrer-Witz, aber solange die drei Protagonisten das Haus noch nicht betreten haben, ist er das gar nicht. Anders als Freuds ständiger Sonntagsgast ist der Fremde, der hier aus dem Bethaus mitgenommen wird, zunächst kein Schnorrer, sondern ein »Sabbatgast«, und die Heiligkeit der Gastgeberpflicht findet ihren Ausdruck in dem Wort, das die Juden dafür verwenden  : »êjrach af schabess« ist Hebräisch in jiddischer Aussprache, »oréach schel schabát«, weil alle mit heiligen Handlungen verbundenen Begriffe in der Sprache des Gebetbuches benannt werden. Erstaunt nimmt der Gastgeber wahr, dass auch der junge Mann, der ihnen auf der Straße gefolgt war, ins Haus tritt, und an dieser Stelle heißt es  : Mejle, gejt er arajn  : schabess wet men doch a iden nit arausswarfen fun schtub. (Na meinetwegen, soll er reinkommen  : am Sabbat wird man doch einen Juden nicht aus dem Haus werfen.)

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Anders als bei Freud, wo sich alles in plumper Rede und Gegenrede abspielt, wird der jiddische Witz hier hintergründig. Es ist die Perspektive des Hausherrn, als die wir diese Worte zu lesen haben, aber er spricht sie nicht aus. Schweigend beobachtet er den Vorgang, und was wir hier »hören«, ist seine erlebte Rede, sein stummes Selbstgespräch, in dem er sich das Sabbatgebot ins Gedächtnis ruft. Dann setzen sie sich zu Tisch. Der êjrach hot gemacht kidesch, der junger man êjch. (Der Gast sprach den Segensspruch über den Wein, der junge Mann ebenfalls.) Sej hoben opgegessen, opgebentscht. (Sie beendeten die Mahlzeit und sprachen das letzte Gebet.)

Das Ritual des Sabbateingangs ist abgeschlossen, und erst jetzt – nicht wie bei Sigmund Freud schon vor der Mahlzeit, sondern erst danach, erst als die heilige Handlung vollzogen ist  –, kann der Witz seine Pointe erreichen. Die Gäste wollen schon gehen, da fragt der Hausherr  : »Sogt mir nor, wer is der jungerman  ?« Sogt der id  : »Der  ? ss’is majn ejdim, er sizt ba mir af kesst.« (»Sagen Sie mir doch, wer ist der junge Mann  ?« Sagt der Jude  : »Der  ? Das ist mein Schwiegersohn, er sitzt bei mir auf Kost.«)

Erst hier, in der Umkehrung seiner Pointe, verwandelt der Text sich in einen Schnorrer-Witz.18 Der Mann aus dem Bethaus, bisher ein undefinierter Fremder, dem die Juden im Shtetl das Gastrecht schulden, entpuppt sich als einer der zahlreichen Bettler in der verarmten Gesellschaft des Ostjudentums. Sie wandern von Ort zu Ort, um ihr karges Leben zu fristen,19 und während man über die Pointe lacht, offenbart sie zugleich ihre Tragik. Denn warum sitzt der junge Mann bei dem Schnorrer »auf Kost«, was hat es mit der Verpflichtung des Schwiegervaters auf sich, eine vertraglich festgelegte Zeit lang für den Mann seiner Tochter zu sorgen  ? Auch diese Verpflichtung – wie das Sabbatmahl, dessen Zeugen wir werden – ist tief in der religiösen Welt des Ostjudentums verwurzelt. Die Tochter soll schnell unter die Haube kommen, um Kinder zu gebären, der Mann aber soll seine Ausbildung in der Tal18 Und auch das nur bedingt, wie wir weiter unten noch sehen werden. 19 Die Bettlerorganisationen im Ostjudentum wurden auch in der jiddischen Literatur thematisiert  ; vgl. Mendele Mocher Sforim  : Fischke der Krumme. Ein jüdischer Roman. Deutsch von Alexander Eliasberg, Wien/Berlin 1918.



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mudschule, der Jeschiwa, beenden, und als ein Teil der Mitgift übernehmen die Eltern der Braut die Sorge für das junge Paar. In der Welt dieses Witzes würde niemand auf den Gedanken kommen, an den Gesetzen der Tradition zu rütteln.20 Doch die Zeiten haben sich geändert, der Schwiegervater ist verarmt, und es bleibt ihm nichts anderes übrig, als den Schwiegersohn mitzunehmen auf seine Wanderungen. Anders als Freud es suggeriert, gewinnt der Witz seine psychische Energie nicht aus dem Widerstand gegen eine religiös sanktionierte Ordnung, sondern aus der Not, die den Armen dazu zwingt, auch den Mann seiner Tochter an den Tisch des Reichen zu setzen. 6 Einige Jahre später, 1928, erschien eine deutsche Fassung dieses Textes. Der Wiener Löwit-Verlag brachte eine deutsche Auswahl jiddischer Schwänke heraus, die sich weitgehend auf Olsvangers Sammlung stützte, und der Witz vom ungebetenen Sabbatgast wird dort folgendermaßen wiedergegeben  : In Kost Ein Jude nimmt, wie es Sitte ist, an einem Freitagabend einen Armen aus der Schul* als Sabbatgast nach Hause. Der Sabbatgast, ein alter Jude mit grauem Bart, folgt seinem Gastgeber  ; der bemerkt aber, daß ein junger Mann dem Alten nachgeht. Sie kommen zum Hause des Gastgebers und der Alte tritt ein, der Junge nach ihm. Der Hausherr schweigt  ; er will doch am Sabbat keinem Juden die Tür weisen. Man setzt sich zum Essen – auch der junge Mann nimmt Platz, wäscht sich die Hände und beginnt, ebenfalls zu essen. Der Gast sagt Kiddusch**, der junge Mann ebenfalls. Der Gastgeber sagt kein Wort. Das Essen ist vorüber, das Tischgebet gesprochen, der Alte und der Junge wollen gehen. Da fragt der Hausherr den Gast  : »Wer ist der junge Mann  ?« – »Der  ? Das ist mein Schwiegersohn  ; er ist bei mir in Kost  !« *Synagoge **Segensspruch über den Wein am Sabbat.21

Die Wiedergabe ist eine kompetente, nicht nur wortgetreue, sondern weitgehend auch sinngetreue Eindeutschung des jiddischen Originals aus Olsvangers Rosinkess mit Mandlen. Die Übersetzer, Max Präger und Siegfried Schmitz, sind

20 Die Einschränkung gilt nur für diesen spezifischen Witz  ; in anderen Witzen ist oft ein Widerstand gegen die Gesetze der Tradition zu spüren, da hat Freud nicht Unrecht. 21 Jüdische Schwänke [Auswahl, Übers. und Bearb. Max Präger und Siegfried Schmitz], Wien 1928, S. 122.

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mit der Materie bestens vertraut,22 sie bleiben sich aber dessen bewusst, dass die hier beschriebene Welt den deutschen Lesern fremd ist, selbst wenn sie Juden sind. Denn das Leben im Shtetl gehört für sie einer lange verdrängten Vergangenheit an. Erst eine tiefe Identitätskrise seit der Jahrhundertwende und die Katastrophe des Weltkriegs haben ihr deutsch-jüdisches Selbstbewusstsein erschüttert und bei manchen von ihnen ein neues Interesse für das Ostjudentum erweckt.23 Ihm verdanken sich auch Bücher wie diese Übersetzung jiddischer Schwänke, doch an gewissen Stellen muss die deutsche Fassung dem Erfahrungshorizont des Zielpublikums angepasst werden. Ihr erster Satz weist daher einige Zusätze auf. »[W]ie es Sitte ist«, fügen die Übersetzer zum Brauch des Sabbatgastes ein, denn was dem Ostjuden noch selbstverständlich ist, muss hier bereits erklärt werden. Und das Wort »Schul« lassen sie zwar stehen, in einer Anmerkung aber schreiben sie »Synagoge«, obwohl die »schul« – das ostjüdische Bethaus, und zugleich das gesellschaftliche Zentrum  – im Shtetl ganz anders verortet ist als die Synagoge im Alltag des deutschen Juden.24 Das sind erklärende Zusätze, die den Text verständlicher machen sollen. Die Übersetzer fügen ihm jedoch noch ein weiteres Wort ein, das sich in Olsvangers jiddischem Original nicht findet und es in einer gewissen Weise verändert. Der Sabbatgast, so schreiben sie, sei ein »Armer«, denn auch sie, wie schon Freud, lesen den Text von Anbeginn als einen Schnorrer-Witz. »Zur äußeren Charakteristik des jüdischen Witzes sind die eigenartigen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der jüdischen Masse im Osten heranzuziehen«, schreibt Siegfried Schmitz in seinem informativen Nachwort zu der Sammlung. Daher gebe es »im jüdischen Volkswitz unendlich viel Schnorrergeschichten […], weil eben die große wirtschaftliche Not unendlich viel Varietäten des Bettels hervorgebracht hat und weil in der jüdischen Anschauung die Pflicht, den Armen zu beschenken, eine große Rolle spielt.«25 Die Übersetzer lesen den Text mit einem soziologischen Blick, und das ist der Blick von außen. Automatisch nimmt er die Unterscheidung zwischen »arm« und »reich« wahr und teilt die Protagonisten des Textes entsprechend auf  ; im jiddischen Original aber ist es nicht so. Dort sind der Hausherr und der Sab22 Der promovierte Germanist Max Präger war als Gesellschafter des Löwit-Verlags für Martin Bubers Zeitschrift Der Jude zuständig, die dort erschien  ; Siegfried Schmitz war Übersetzer und Journalist. Beide waren zionistisch orientiert, was ihr Interesse am Ostjudentum erklärt. 23 Vgl. Aschheim, Steven E.: Brothers and Strangers. The East European Jew in German and German Jewish consciousness, 1800-1923, Madison 1982. 24 Wie wir weiter oben gesehen haben, setzt auch Olsvanger für »schul« das Wort »Synagoge« ein. 25 Jüdische Schwänke, S. 257 f.



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batgast zunächst beide »iden«  : ganz gewöhnliche Juden, die sozial gleichwertig erscheinen und es im Licht des Sabbat auch tatsächlich sind. Deshalb kommt der Hausherr hier durcheinander. Den jungen Mann im Gefolge seines Gastes kann er soziologisch nicht einordnen, und ein großer Teil des Witzes erwächst aus der erlebten Rede, in der der schweigende Hausherr sich über die Verhältnisse klar werden will. Da die Übersetzer diese Verhältnisse aber bereits ausgesprochen haben und also kennen, bedarf es hier auch keiner erlebten Rede des unschlüssigen Hausherrn mehr. Die Übersetzung verwendet statt der erlebten Rede die auktoriale Rede und hebt damit einen Teil des doppelbödigen Maskenspiels auf, aus dem der Witz lebt. Einerseits entpuppt sich der Sabbatgast, der seinen Schwiegersohn ungebeten an den Tisch setzt, als ein Schnorrer  ; andererseits aber folgen alle Beteiligten hier nur dem Gebot  : Der Hausherr erfüllt seine Gastgeberpflicht  ; der Sabbatgast erfüllt seinen Vertrag mit dem Schwiegersohn  ; und indem er den Vater seiner Frau begleitet, hält sich auch der Schwiegersohn nur an die Regeln der Tradition.26 7 Als Freud sein Buch über den Witz schrieb, gab es den altösterreichischen Vielvölkerstaat noch, in dem ein großer Teil des jiddischsprachigen Ostjudentums seine Heimat hatte. Bald darauf ging er unter, im Zweiten Weltkrieg wurden seine Juden ermordet, und als Salcia Landmann (1911–2002) ihr Buch Der jüdische Witz (1960) herausbrachte, war es bereits ein Requiem, ein Denkmal für eine vernichtete Kultur. Landmann ist noch im Galizien der Donaumonarchie zur Welt gekommen, sie lebte seit ihrer Kindheit aber in der Schweiz und machte dort eine erstaunliche Karriere. Ihr Buch wurde nicht nur zum Standardwerk seines Genres, sondern auch ein phänomenaler Bestseller, der jahrzehntelang eine Millionenauflage erreichte. Der große Erfolg hatte indessen auch seine Schattenseiten, und in einer frühen Rezension wies Friedrich Torberg ausführlich auf sie hin.27 Sie ermorde den jüdischen Witz, heißt es im Untertitel seiner Kritik. Damit ist mehr gemeint als dass sie ihn nur schlecht erzählt und seine Pointen zerstört. Landmann sah sich als die letzte Sammlerin dieses Kulturgutes und glaubte be26 Es ist auffallend, dass auch Olsvanger das Wort »arm« verwendet, als er den Begriff »êjrach« erklärt. Bei der Wiedergabe des jiddischen Originals weiter oben haben wir nur das Wort »Gast« in Klammern gesetzt, Olsvangers vollständige Fußnote aber lautet  : »Gast. Es ist Sitte, zum Sabbatabend einen armen Gast einzuladen.« Sobald das jiddische Original übersetzt wird, kommt ein fremder und zugleich entfremdender Blick ins Spiel. 27 Torberg, Friedrich   : »Wai geschrien  !«, oder Salcia Landmann ermordet den jüdischen Witz. Anmerkungen zu einem beunruhigenden Bestseller, in  : Der Monat 57 (1961), S. 48–65.

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haupten zu müssen, mit den Juden Europas sei auch der jüdische Witz untergegangen. Weder in Israel noch in Amerika habe er eine Zukunft,28 und Torberg begründet seinen Widerspruch in einer Anmerkung  : »Drehen Sie sich um, Frau Lot von Ephraim Kishon erscheint demnächst in deutscher Übersetzung bei Langen-Müller. Ich bitte wenigstens in einer Fußnote für mich in Anspruch nehmen zu dürfen, daß ich ganz genau weiß, wovon ich rede  ; ich habe das Buch übersetzt.«29 Im historischen Rückblick gewinnt das seine volle Ironie  : Für den deutschen Leser wurde das hier erstmals erwähnte Werk Ephraim Kishons in Torbergs Übersetzungen bald darauf zum Markenzeichen des neuen jüdischen Witzes. Überzeugend weist er Landmann ihre stilistischen und methodischen Mängel nach, in seiner Kritik aber wirft er eine grundsätzlichere Frage auf. Beunruhigt vom großen Erfolg des Buches äußert er eine Vermutung. Unbewusst, so schreibt er, »haben die Leser, denen dieses Buch gefällt, das gleiche angenehm prickelnde Gefühl wie die Kritiker, die es loben  : sie haben die Vergangenheit bewältigt und haben sich dabei auch noch gut unterhalten. Mehr kann man nicht verlangen.«30 Dieser Verdacht einer billig erkauften geistigen Wiedergutmachung ist leider nicht abzuweisen. Salcia Landmann dachte nicht analytisch, sondern apodiktisch, sie kümmerte sich wenig um die Vorurteile, die sie bediente, und die Auswahl ihres Materials war alles andere als reflektiert. Das Kapitel »Klein-Moritz« etwa enthält Judenwitze von der übelsten ­Sorte,31 und Ähnliches findet sich an vielen anderen Stellen des Buches. Nicht alles, was Salcia Landmann zum jüdischen Humor veröffentlicht hat, ist schlecht. Ihre Sammlung Jüdische Anekdoten und Sprichwörter32 zum Beispiel ist nicht nur kompakter und fundierter, sie ist auch zweisprachig und gibt das jiddische Original gut wieder. Unter anderem enthält sie den Witz von dem Schnorrer, der zurechtgewiesen wird, weil er nicht bescheiden genug auftritt und darauf zur Antwort gibt  :

28 Diese fragwürdige Prognose steht noch in der späten Lizenzausgabe des Deutschen Bücherbundes von 1988, nach der hier zitiert wird  : Der jüdische Witz. Soziologie und Sammlung. Hg. und eingel. von Salcia Landmann, Stuttgart/München o.J. (1988), S. 45 f. 29 Torberg, »Wai geschrien  !«, S. 62. 30 Ebd., S. 65. 31 Ein Beispiel dieser Art mag hier genügen. »Lehrer  : ›Kinder, wer kann mir einen Satz mit Norwegen und Dänemark bilden  ?‹ – Klein Moritz  : ›Mai Vatter macht sei Geschäfte nor wege dene Mark.›« Der jüdische Witz, S. 419. 32 Jüdische Anekdoten und Sprichwörter. Ausgewählt und übertragen von Salcia Landmann, München 1965. Auch dieses Buch hatte einen nicht geringen Erfolg, 1979 hatte es eine Auflage von fast 120.000 erreicht.



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‒ Doss gefelt mir dawke  ! ‒ sogt der balejdikter schnorer. ‒ Dacht sich, as nischt fun nechtn hob ich sich genumen zu schnoreraj  ! Ich bin, boruch haschem, ganze finf un zwanzik jor in der dosiker parnosse, wel ich izt oif der elter sajn baj ajch sich lernen schnorn.33

Und Salcia Landmann übersetzt  : »Na, das gefällt mir«  ! sagt der beleidigte Schnorrer. »Schließlich habe ich nicht erst gestern mit der Schnorrerei begonnen  ! Ich bin, Gott sei gelobt, schon ganze fünfundzwanzig Jahre in dem Metier – werde ich jetzt auf meine alten Tage bei Euch lernen, wie man schnorrt  ?  !«34

Für »parnosse« ist das Wort »Metier« etwas zu hoch gewählt, besser wäre »Handwerk« oder »Branche« gewesen, im Ganzen jedoch ist die Übersetzung passabel. Anders ist es leider bei der Geschichte von dem Mann, der seinen Schwiegersohn an den Sabbattisch bringt. Wir haben sie schon bei Freud, bei Olsvanger und in Jüdische Schwänke gelesen, und Salcia Landmann erzählt sie mit folgenden Worten  : Es war im Osten Sitte, daß die ansässigen jüdischen Bürger durchreisende arme Leute, denen sie am Freitagabend (der Sabbat und die meisten Festtage beginnen bei den Juden am Vorabend) beim Gebet in der »Schul« begegneten, zu der festlichen Mahlzeit einluden. Ein Jude lädt einen Schnorrer ein. Als sie zusammen die Synagoge verlassen, heftet sich ein schweigender Jüngling an ihre Fersen, betritt mit ihnen zusammen das Haus, setzt sich an die Festtafel und ißt. Der Hausherr schweigt verwundert. Nach dem Essen fragt er den Gast, ob er den Jüngling vielleicht kenne  ? Der Schnorrer  : »Aber natürlich  ! Das ist mein Schwiegersohn. Er ist bei mir auf Köst.« (Vertraglich zugesicherte Zeit des Unterhalts des jungverheirateten Paars durch den Vater der Braut.)35

Die Vorlage zu diesem Witz, soviel ist gewiss, war seine Version in Olsvangers Rosinkess mit Mandlen. Aber Friedrich Torberg wird sich die Haare gerauft haben, als er lesen musste, welche Form sie nun angenommen hat. Im Ballast der Erklärungen sind alle Pointen untergegangen, und das einzig Witzige hier mag 33 Ebd., S. 78 f. Die jiddischen Originalfassungen wurden Landmann von dem polnisch-jüdischen Schauspieler und Erzähler Horacy Safrin geliefert. 34 Ebd., S. 80. 35 Ebd., S. 178.

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die Vorstellung Salcia Landmanns gewesen sein, man könne über ihren »Witz« noch lachen.

Klaus Hödl

Überlegungen zur Überwindung der jüdischnichtjüdischen Dichotomie in den Jüdischen Studien In all den Jahren, in denen ich mit Mark Gelber in Kontakt gestanden bin, hat er mich immer wieder mit seiner Offenheit gegenüber neuen Forschungsansätzen überrascht. Gleichzeitig hat er mich wiederholt bestärkt, auch selbst mit neuen Methoden zu arbeiten und neue analytische Konzepte anzuwenden. Deswegen scheint es mir konsistent zu sein, in einem Band, der Mark Gelber gewidmet ist, einen Vorstoß für eine neue Geschichte der Juden1 in Wien um 1900 zu wagen – für ein historisches Narrativ, das die Vergangenheit der Juden als einen integralen Bestandteil der allgemeinen Geschichte ausweist.2 Das Vorhaben entspringt der Feststellung, dass vorliegende historische Darstellungen über Juden – wie auch andere ethnisch-kulturelle Gruppen – weitgehend gesonderte Narrative bilden. Dadurch kommt es zu einer einseitigen, in Teilen auch verzerrten Geschichtsdarstellung. Sie soll durch die Herausarbeitung eines »integrativen« Narrativs korrigiert werden. Diese Aufgabenstellung liegt am Schnittpunkt zwischen den Jüdischen Studien und der Geschichtswissenschaft. Sie wird mithilfe neuer analytischer Konzepte in Angriff genommen.

1 2

In diesem Artikel wird das generische Maskulinum verwendet. Unter allgemeiner Geschichtsschreibung wird in diesem Artikel eine Historiographie verstanden, die sich mit keinen spezifisch jüdischen Themen beschäftigt. Ob die Begriffe allgemeine und jüdische Historiographie überhaupt verwendet werden sollen, ist bisweilen Thema von Debatten. Siehe Rosman, Moshe  : How Jewish is Jewish History  ? Oxford 2007, S. 106 f. Die Habsburgermetropole wird für das Projekt als Untersuchungsraum gewählt, weil sie eine ethnisch äußerst heterogene Stadt war, an der interethnische Kontakte, und aufgrund des großen Anteils von Juden an der Gesamtbevölkerung vor allem Beziehungen zwischen ihnen und Nichtjuden, deutlich dargestellt sowie die Tauglichkeit von Ähnlichkeit als analytisches Konzept überprüft werden können. Zur ethnischen Heterogenität und kulturellen Pluralität von Wien um 1900 siehe Csáky, Moritz  : Hybride Kommunikationsräume und Mehrfachidentitäten. Zentraleuropa und Wien um 1900, in  : Röhrlich, Elisabeth (Hg.)  : Migration und Innovation um 1900. Per­ spektiven auf das Wien der Jahrhundertwende, Wien 2016, S. 65–97, hier S. 87.

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Nationale Indifferenz In der jüngeren Vergangenheit hat eine Reihe von Historikern die oftmals nationale Ausrichtung geschichtlicher Erzählungen mit dem Hinweis beanstandet, dass sie vielfältige Gemeinsamkeiten zwischen ethnischen, religiösen, sprachlichen Gruppen ausblendeten und dadurch das Bild von der Vergangenheit verengten und entstellten.3 Pieter Judson, ein namhafter Experte zur Geschichte des Habsburgerreichs, gehört zu den bedeutendsten Kritikern national geprägter Narrative. Zwar bestreitet er nicht, dass es in der ethnisch sehr heterogenen Monarchie nationale beziehungsweise nationalistische Gefühlslagen gegeben habe. Allerdings, so meint er, seien sie häufig lediglich situativ bedingt gewesen. Sie stellten keine tief verankerte Einstellung oder Grundstimmung in der Bevölkerung dar, sondern seien an bestimmte Ereignisse gebunden gewesen.4 Nahm die Aktualität dieser Vorkommnisse ab, so verschwanden auch nationale beziehungsweise nationalistische Erregungen.5 3

Ein rezentes Beispiel einer Kritik an verengten, nationalen Narrativen betrifft die Geschichtsschreibung über die jüdisch-arabischen Beziehungen in Palästina während der Mandatszeit. Siehe Jacobson, Abigail/Naor, Moshe  : Oriental Neighbors. Middle Eastern Jews and Arabs in Mandatory Palestine, Waltham 2016, S. 4 f. Siehe auch Kuzmany, Börries  : Brody. Eine galizische Grenzstadt im langen 19. Jahrhundert, Wien 2011, S. 293–308. 4 Der Hinweis auf die Situationsbezogenheit nationaler Bekenntnisse ist in der historischen Forschung nicht ganz neu. Im Hinblick auf Juden kann auf die Arbeiten des deutsch-kanadischen Historikers Till van Rahden verwiesen werden. Er hat bereits in den 1990er Jahren in seinen Publikationen über Juden in Breslau von deren situativer Ethnizität geschrieben. Er meinte damit, dass jüdisches Selbstverständnis nicht stetig vorhanden, sondern an konkrete Umstände gebunden sei. Vgl. Van Rahden, Till  : Weder Milieu noch Konfession. Die situative Ethnizität der deutschen Juden im Kaiserreich in vergleichender Perspektive, in  : Blaschke, Olaf/Kuhlemann, Frank-Michael (Hg.)  : Religion im Kaiserreich. Milieu, Mentalitäten, Krisen, Gütersloh 1996, S. 409–434  ; Van Rahden, Till  : Juden und andere Breslauer. Die Beziehungen zwischen Juden, Protestanten und Katholiken in einer deutschen Großstadt von 1860–1925, Göttingen 2000. Damit schuf van Rahden einen heuristischen Rahmen, um das Selbstbewusstsein von Juden als fragmentiert, fluid und plural zu untersuchen. Siehe auch die Studien zu Performanz durch Hödl, Klaus  : Wiener Juden – Jüdische Wiener. Identität, Gedächtnis und Performanz im 19. Jahrhundert, Innsbruck 2006. 5 Eines der Beispiele einer an »nationalen« Vorgaben orientierten Geschichtsschreibung, das einen Bezug zur Habsburgermonarchie hat und im Hinblick auf die jüdische Thematik des vorliegenden Aufsatzes genannt werden kann, stellt Israel Bartals beeindruckende Studie über osteuropäisches Judentum dar. Darin führt der Autor aus, dass die galizischen Juden im Laufe der Jahrzehnte lediglich eine unvollständige imperiale Identität erworben hätten, die sie ab den 1880er Jahren »gegen alternative Arten des Selbstverständnisses« eingetauscht hätten. Vgl. Bartal, Israel  : Geschichte der Juden im östlichen Europa 1772–1881, Göttingen 2010, S.  10. Jüdisch-ethnisches Bewusstsein wird demnach gegenüber anderen Identifikationsfacetten als



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Nationale Narrative tendieren nicht nur dazu, interethnische Gemeinsamkeiten auszublenden und dadurch ein unvollständiges Geschichtsbild zu vermitteln. Sie können auch, wie in Bezugnahme auf Juden beispielhaft gezeigt werden kann, geschichtsentstellend wirken und gesellschaftspolitisch problematische Auswirkungen haben. Michael Brenner, Dan Diner und andere Wissenschaftler im Bereich der Jüdischen Studien haben in der jüngeren Vergangenheit mit Nachdruck darauf hingewiesen. Die Folgen zeigen sich unter anderem darin, dass Juden in der allgemeinen Geschichtsschreibung bisweilen überhaupt nicht oder lediglich peripher erwähnt werden.6 Solche Auslassungen sind nicht nur angesichts des Umstandes bemerkenswert, dass Juden in verschiedenen Gesellschaften eine wichtige soziale und kulturelle Rolle gespielt haben, was durch die Narrative nicht widergespiegelt wird. Die historiographische Vernachlässigung von Juden weist auch darauf hin, dass es bis heute nicht selbstverständlich ist, dass sie als zur Gesellschaft gehörig gesehen werden. Die nationale Ausrichtung der Historiographie könne, so betonen Pieter Judson und Tara Zahra im Hinblick auf die Habsburgermonarchie, mit dem analytischen Konzept der nationalen Indifferenz korrigiert werden.7 Eine Arbeit mit nationaler Indifferenz richtet den Fokus der Forschung auf kulturelle Überschneidungen und Vernetzungen, die bei den Angehörigen der verschiedenen Gruppen ein Zugehörigkeitsgefühl zu einem Gesellschaftsverband jenseits nationaler Trennlinien hervorrufen wie auch anzeigen.8 Es geht demnach um einen vorranging gesehen, und ein habsburgisches Gemeinschaftsgefühl gilt bestenfalls als unterentwickelt und austauschbar. 6 Brenner, Michael  : Orchideenfach, Modeerscheinung oder ein ganz normales Thema  ? Zur Vermittlung von jüdischer Geschichte und Kultur an deutschen Universitäten, in  : Bar-Chen, Eli/Kauders, Anthony D. (Hg.)  : Jüdische Geschichte. Alte Herausforderungen, neue Ansätze, München 2003, S.  18. Diner, Dan  : Ereignis und Erinnerung. Über Variationen historischen Gedächtnisses, in  : Berg, Nicolas/Jochimsen, Jess/Stiegler, Bernd (Hg.)  : Shoah. Formen der Erinnerung. Geschichte, Philosophie, Literatur, Kunst, München 1996, S. 13. Siehe auch Hundert, Gershon David  : The Jews in a Polish Private Town. The Case of Opatów in the Eighteenth Century, Baltimore 1992, S. xiii. 7 Judson, Pieter M./Zahra, Tara  : Introduction, in  : Austrian History Yearbook 43 (2012), S. 21– 27. Ähnliche Konzepte sind unter dem Begriff der histoire croisée oder der entangled history bekannt, siehe beispielsweise Werner, Michael/Zimmermann, Bénédicte  : Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen, in  : Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 607–636. Auch das Pluralitätskonzept von Moritz Csáky kann in diesem Zusammenhang genannt werden. Er merkt im Hinblick auf seine Studien zu Wien um 1900 an, dass es aufgrund der Mehrsprachigkeit wie auch der pluralen kulturellen Identifizierungen der Bewohner bisweilen schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, diese einer bestimmten Gruppe zuzuordnen. Vgl. Csáky, Moritz  : Das Gedächtnis der Städte. Kulturelle Verflechtungen – Wien und die urbanen Milieus in Zentraleuropa, Wien 2010, S. 357 f.   8 Im vorliegenden Projektvorhaben inkludiert der Begriff der national ausgerichteten Narrative

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Perspektivenwechsel, der anstelle von Eigenheiten und Differenzen kulturelle Gemeinsamkeiten zwischen gesellschaftlichen Gruppen betont. Diese kommen vornehmlich in der Alltagskultur und in Interaktionen auf lokaler Ebene zum Ausdruck.9 Forschungen zu Kontakten in kleinräumigen, überschaubaren Strukturen und zu regionalen Kulturen zeigen, dass Menschen unterschiedlicher religiöser, nationaler oder sprachlicher Zugehörigkeit weitgehend ohne große Spannungen zusammenlebten und ein in vielerlei Hinsicht gleiches Verständnis von Alltagskultur besaßen. Mit nationaler Indifferenz können nicht nur, wie von Pieter Judson und Tara Zahra angedacht, Belege für ein Gesamtstaatsbewusstsein erfasst werden, sondern es tut sich damit auch ein Zugang zu einer Geschichte der Juden als Teil der allgemeinen Geschichte auf.10 Im Fokus stehen dabei Alltagspraktiken, die Verbindendes zwischen jüdischen und nichtjüdischen Bevölkerungsteilen aufzeigen, das sich einer Einordnung in eine eigenständige – »jüdische« – Erzählung entzieht. Ein Beispiel dafür kommt in den autobiographischen Aufzeichnungen des in Wien geborenen Ernst Waldinger zum Ausdruck. Darin hält er fest, dass um die Jahrhundertwende »die kleinen Geschäftsleute aber, Jud und Christ, […] in verhältnismässigem Frieden miteinander [lebten] und […] abends in den spärlichen Stunden, die ihnen nach der langen Geschäftszeit übrig blieben, im Gasthaus Richter am Gürtel« saßen.11 Waldinger skizziert ein Bild des Wiener Vorstadtmilieus, das sich nicht nur den Berichten über einen verbreiteten Antisemitismus vor allem unter den Gewerbetreibenden und Kaufleuten in den Wiener Außenbezirken entzieht,12 sondern eine gewöhnliche Gaststätte als einen Ort jüdisch-nichtjüdischer Begegnungen ausweist. Juden und Nichtjuden verbrachten dort gemeinsam ihre Mußestunden. Von Spannungen und Differenzen ist keine Rede, das Gemeinsame überwog.

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auch Erzählungen, die auf einem ethno-religiösen Partikularismus beruhen. Dies ist in Bezug auf die Geschichtsschreibung der Juden bedeutsam, in deren Kontext national lediglich mit zionistisch gleichgesetzt werden könnte. Judson, Pieter M.: The Habsburg Empire. A New History, Cambridge 2016, S. 4 f. Das Vorhandensein eines Gesamtstaatsbewusstseins unter Juden haben verschiedene Untersuchungen bereits nachgezeichnet. Siehe dazu die wegweisende Studie von Marsha Rozenblit  : Reconstructing a National Identity  : The Jews of Habsburg Austria during World War I, Oxford 2001  ; oder Arbeiten zur gesamtösterreichischen Haltung bei Rabbiner Josef Bloch, Isaak Noah Mannheimer und anderen, z.B. Wistrich, Robert S.: The Jews of Vienna in the Age of Franz Joseph, Oxford 1990. Waldinger, Ernst  : Darstellung einer jüdischen Jugend in der Wiener Vorstadt, in  : Frankel, Josef (Hg.)  : The Jews of Austria. Essays on their Life, History and Destruction, London 1967, S. 259–281, hier S. 266. Boyer, John W.: Political Radicalism in Late Imperial Vienna, Chicago 1981, S. 78.



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Das Miteinander von Juden und Nichtjuden, an das sich Waldinger erinnert, hinterfragt die Gültigkeit zweier Topoi in der Historiographie, die wesentlich zu einer eigenständigen jüdischen Geschichte beitragen  : Zum Ersten handelt es sich dabei um den häufig genannten Hinweis, dass es zwischen Juden und Nichtjuden in Wien kaum private Kontakte gegeben habe und die Begegnungen zwischen ihnen weitgehend auf geschäftliche Angelegenheiten beschränkt gewesen seien.13 Und zum Zweiten, dass Juden vornehmlich zum Opern- oder Kaffeehausbesuch neigten, während Nichtjuden beim Heurigen und in den Gasthäusern zu finden gewesen seien.14 Indizien für solche Unterscheidungen zwischen Juden und Nichtjuden sind zweifelsohne vorhanden  ; aber daneben hat es auch andere Erfahrungen gegeben, die von der Geschichtsschreibung bislang vernachlässigt worden sind. Und diese bilden die Grundlage für ein Narrativ über Juden in Wien um 1900 als Teil der allgemeinen Geschichte. Das Ähnlichkeitskonzept Nichtsdestotrotz scheint mir nationale Indifferenz ein unvollständiges analytisches Konzept für eine Vergangenheitsschau zu sein, die von national  – oder ethno-religiös  – geprägten historischen Darstellungen abrückt. Zwar können mit nationaler Indifferenz distinkte nationale Erzählungen aufgebrochen werden. Aber indem sie, zumindest implizit, an einer dichotomen Gegenüberstellung einzelner Gruppen, und so auch von Juden und Nichtjuden, festhält, akzeptiert nationale Indifferenz eine wesentliche Voraussetzung für gesonderte Narrative. Eine vollständige Abkehr davon ist nur mithilfe eines Analyseinstruments möglich, das von jeglichem Binarismus  – im konkreten Fall auch zwischen Juden und Nichtjuden – absieht. Dafür eignet sich das kulturwissenschaftliche Konzept der Ähnlichkeit. Das Ähnlichkeitsmodell rückt derzeit verstärkt in den Fokus von Wissenschaftlern. Ausschlaggebend dafür sind Forschungen, die in den letzten Jahren vor allem an der Universität Tübingen durch Dorothee Kimmich und unter federführender Mitarbeit von Anil Bhatti (New Delhi) durchgeführt wurden.15 13 Lappin, Eleonore  : Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit, in  : Stern, Frank/Eichinger, Barbara (Hg.), Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938. Akkulturation, Antisemitismus, Zionismus, Wien 2009, S. 17–38, hier S. 35. 14 Beller, Steven  : »The Jew Belongs in the Coffeehouse«  : Jews, Central Europe and Modernity, in  : Ashby, Charlotte/Gronberg, Tag/Shaw-Miller, Simon (Hg.)  : The Viennese Café and Fin-desiècle Culture, New York 2015, S. 50–58, hier S. 52 f. 15 Bhatti, Anil/Kimmich, Dorothee/Koschorke, Albrecht/Schlögl, Rudolf/Wertheimer, Jürgen  :

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Der zentrale Punkt des Ähnlichkeitsmodells liegt in der Aufgabe der Gegensätzlichkeit von Identität und Differenz. Sie prägt nicht nur strukturalistische und poststrukturalistische Theoreme, sondern ist, wenn auch in abgeschwächter Form, in kulturwissenschaftlichen Studien zum Postkolonialismus, Multikulturalismus und selbst zur Hybridität zu finden.16 Das Ähnlichkeitsmodell führt stattdessen die Kategorie des Sowohl-als-auch ein, die sich der herkömmlichen Polarisierung von Authentizität und Fremdheit entzieht.17 Gleich wie die Anwendung von nationaler Indifferenz, so orientiert sich auch ein Denken in Ähnlichkeitsbezügen an kulturellen Überlappungen statt an Grenzen und Markierungen. Die Ausrichtung auf solcherart Verflechtungen ist für kulturwissenschaftliche Herangehensweisen zwar nicht neu  : Sie dient gewöhnlich der Nachzeichnung von kulturellen Austauschprozessen und Berührungspunkten, die zu Gemeinsamkeiten zwischen zwei oder mehreren kulturellen Bereichen führen.18 Aber trotz Betonung kultureller Übereinstimmungen wird dabei, ähnlich wie bei einer Arbeit mit nationaler Indifferenz, die Gegenüberstellung des Eigenen und Fremden fortgeschrieben. Im Gegensatz dazu versteht das Ähnlichkeitsmodell Sphären kultureller Kontakte nicht als Raum, in dem Gemeinsames ausgehandelt wird, sondern lediglich als eine Bedingung, unter der Verbindendes wahrgenommen werden kann. In diesem Zusammenhang stellt Ähnlichkeit eine situative Erfahrung dar, für die das Selbst und das Andere keine Referenzpunkte bilden. Ähnlichkeit »entsteht im Auge eines Betrachters und ist kontingent, ephemer, unvorhersehbar […]«.19 Das Ähnlichkeitskonzept erfordert gegenüber anderen kulturwissenschaftlichen Ansätzen eine »UmperÄhnlichkeit. Ein kulturtheoretisches Paradigma, in  : Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 36/1 (2011), S. 233–247. An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass dazu bereits in den 1990er Jahren Studien in Afrika (Samir Amin) und Indien verfasst worden sind. Zudem hat das Ähnlichkeitsmodell in der Vergangenheit in der Philosophie eine bisweilen bedeutende Rolle gespielt. Allerdings hat es nie eine transdisziplinäre Aufmerksamkeit erlangt. Siehe Kimmich, Dorothee  : Ins Ungefähre. Ähnlichkeit und Moderne, Leiden 2017. 16 Bhatti/Kimmich/Koschorke/Schlögl/Wertheimer  : Ähnlichkeit, S.  234. Mahajan, Gurpreet  : Jenseits von Differenz und vollkommener Identität. Das Konzept der Ähnlichkeit in den Sozialwissenschaften, in  : Bhatti, Anil/Kimmich, Dorothee (Hg.)  : Ähnlichkeit. Ein kulturtheoretisches Paradigma, Konstanz 2015, S. 153–163, hier S. 154 f. 17 Bhatti, Anil  : Plurikulturalitär, in  : Feichtinger, Johannes/Uhl, Heidemarie (Hg.)  : Habsburg neu denken. Vielfalt und Ambivalenz in Zentraleuropa. 30 kulturwissenschaftliche Stichworte, Wien 2016, S. 171–180, hier S. 207. 18 Siehe dazu exemplarisch Pratt, Mary Louise  : Arts of the Contact Zone, in  : Profession (1991), S.  33–40. Pratt, Mary Louise  : Introduction. Criticism in the Contact Zone, in  : Pratt, Mary Louise (Hg.)  : Imperial Eyes. Travel Writing and Transculturation, London 1992, S. 1–11. 19 Assmann, Aleida  : Ähnlichkeit als Performanz. Ein neuer Zugang zu Identitätskonstruktionen und Empathie-Regimen, in  : Bhatti/Kimmich (Hg.)  : Ähnlichkeit, S. 167–185, hier S. 168.



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spektivierung«,20 im konkreten Fall einen neuen Umgang mit und ein neues Verständnis von kulturellen Überlappungen. Ähnlichkeit ist nicht vorgegeben, sondern wird im Rahmen vielseitiger Begegnungen und Kontakte konstituiert. Sie geht aus dynamischen Interaktionen hervor. In diesem Sinne steht das Ähnlichkeitsmodell mit assoziationstheoretischen Zugängen zur Konstituierung von Gesellschaft in Zusammenhang, die von Bruno Latour und anderen Soziologen mit der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) entwickelt worden sind.21 Dabei wird Gesellschaft als »die Summe von Prozessen […] der Aufnahme sozialer Beziehungen zu anderen Menschen« verstanden.22 Das Gesellschaftliche entsteht durch stetige Kontakte, Assoziierungen und Berührungen, die auch Ähnlichkeit erfahrbar machen, und ist nicht im Sinne eines Kontextes, auf den nur mehr referiert werden muss, gleichsam »vorgänglich« vorhanden. Die Verwendung von Ähnlichkeit als analytisches Konzept kann an der Interpretation eines Zwischenfalls im Wien des späten 19. Jahrhunderts veranschaulicht werden. In der Habsburgermetropole lebten damals rund 150.000 Juden.23 Dadurch bot sie zahlreiche Möglichkeiten zu jüdisch-nichtjüdischen Kontakten. Es konnte sich dabei um ein ritualisiertes Miteinander, um zufällige Begegnungen auf der Straße oder um andere Formen des Zusammentreffens handeln. Bisweilen riefen sie Bekundungen der Empathie hervor, die als eine Artikulation eines Ähnlichkeitsbewusstseins verstanden werden können. In der Historiographie werden Beschreibungen dieser Art von Begegnungen häufig übergangen, weil sie für Darstellungen der jüdischen Vergangenheit entweder als irrelevant erachtet werden oder mit vorherrschenden Narrativen nicht in Übereinstimmung zu bringen sind. Als paradigmatisch dafür kann ein Vorfall gelten, der im Dezember 1896 in der Wiener Innenstadt stattfand. Dabei wurde ein jüdischer Hausierer von einem Geschäftsangestellten auf der Straße attackiert. Soweit scheint es sich um einen gewöhnlichen Fall von Antisemitismus gehandelt zu haben, den jüdische Hausierer als Inbegriff des verachteten Fremden häufig erlebten.24 Der weitere Tathergang lässt sich allerdings in kein bekanntes Erzählmuster mehr einordnen  : Dem Hausierer kamen nämlich (nichtjüdische) Passanten zu Hilfe, die ihrerseits den Aggressor verprügelten.25 20 Assmann  : Ähnlichkeit, S. 171. 21 Siehe beispielsweise Latour, Bruno  : Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie, Frankfurt a. M. 2014. 22 Langenohl, Andreas  : Ähnlichkeit als differenztheoretisches Konzept  : Zur Reformulierung der Modernisierungstheorie, in  : Bhatti/Kimmich (Hg.)  : Ähnlichkeit, S. 105–127, hier S. 111 f. 23 Rozenblit, Marsha L.: Juden in Wien 1867–1914. Assimilation und Identität, Wien 1989, S. 24. 24 Boyer  : Radicalism, S. 78. 25 Ein geschlagener Hausirer, in  : Illustrirtes Wiener Extrablatt, 23. Januar 1897, S. 8.

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Vor dem Hintergrund vorliegender historischer Darstellungen über die Geschichte der Juden Wiens um 1900 kann diese Sympathiebekundung lediglich als Ausnahme von gewöhnlich feindseligen Kontakten zwischen Nichtjuden und jüdischen Hausierern gedeutet werden  ; damit bleibt der Vorfall für die Geschichtsschreibung weithin belanglos. Ein Denken in Ähnlichkeitsbezügen interpretiert ihn allerdings anders, nämlich als eine Manifestation von Solidarität, die den jüdisch-nichtjüdischen Dualismus aufbricht. Zwischen dem Hausierer und den Passanten gab es nichts Gemeinsames, das einer Aushandlung bedurft hätte oder auf jüdisch-nichtjüdische kulturelle Überschneidungen zurückgeführt werden kann. Stattdessen kam ein zwischenmenschliches Mitgefühl zum Ausdruck, das in der gegebenen Situation einen Juden mit Nichtjuden verband. Solche Belege stärken nicht nur die Grundlage einer jüdischen als Teil der allgemeinen Geschichte, sondern hinterfragen gleichzeitig eine unverzichtbare Voraussetzung für eine Historiographie nach nationalen Vorgaben. Eine Arbeit mit Ähnlichkeit als Analysekonzept geht demnach über einen bloßen Perspektivenwechsel, der die Verwendung von nationaler Indifferenz prägt, hinaus. Dass »nationale Indifferenz« als analytisches Instrumentarium zugunsten von Ähnlichkeit nicht ganz aufgegeben wird, hat mit dem Umstand zu tun, dass in den historischen Quellen Ähnlichkeitserfahrungen viel schwieriger als kulturelle Überlappungen aufzufinden sind. In diesem Sinne kommt einer Arbeit mit Ähnlichkeitsbezügen vornehmlich eine unterstützende, wenn auch unabdingbare Funktion bei der Abkehr von national geprägten Narrativen zu  – unverzichtbar insofern, als belegt wird, dass binäre Unterscheidungen nicht Teil von Klassifizierungsschemata und des menschlichen Wahrnehmungshorizontes sein müssen. Das kulturwissenschaftliche Konzept des Raums Die Erforschung von Ähnlichkeitsbezügen führt zu keiner Auflösung von Differenz und lässt Juden somit nicht in der allgemeinen Gesellschaft »verschwinden«. Eine Untersuchung von Ähnlichkeit zwischen Juden und Nichtjuden fokussiert zwar Verbindendes zwischen ihnen, hält aber an einer jüdischen Unterscheidbarkeit fest. Allerdings wird diese lediglich als graduell statt fundamental gesehen,26 als eine vage und unscharf zu umschreibende Unähnlichkeit,

26 Andreas Langenohl schreibt in diesem Zusammenhang  : »Ähnlichkeit wirft Differenz daher nicht über Bord, sondern begründet sie konzeptionell jenseits ihres Gegensatzes zur Identität neu.« Langenohl  : Ähnlichkeit, S. 106.



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die in verschiedenen Schattierungen auftritt.27 Ähnlichkeit und Unähnlichkeit besitzen somit keine substanzielle Eigenschaft, sondern werden im Zuge gesellschaftlicher Begegnungen konstituiert. Diese »relative« jüdische Differenz wird durch Heranziehung der Kategorie Raum konkret festzumachen versucht.28 Die Bezugnahme darauf ergibt sich aus der engen Verbindung des Ähnlichkeitskonzeptes mit dem spatial turn.29 Sie lässt sich auf verschiedenen Ebenen nachzeichnen. Im Folgenden werden drei Aspekte kurz angerissen. Ausgegangen wird vom banalen Umstand, dass menschliches Aufeinandertreffen, das für die Wahrnehmung von Ähnlichkeit unabdingbar ist, immer an einem Ort stattfindet. Dabei handelt es sich nicht nur um einen bestimmten Platz oder eine ausgesuchte Lokalität, die beide im Alltagsverständnis mit einem starren Behälter (container), in dem Aktivitäten stattfinden, gleichgesetzt werden.30 Es geht dabei auch um einen gesellschaftlich produzierten Raum, der erst im Zuge von Handlungen sowie durch die relationale Anordnung von Menschen und Sachgütern und deren Wahrnehmung konstituiert wird.31 Erst ein solcher Raum ermöglicht menschliche Kontakte gemäß dem bereits erwähnten und für das Ähnlichkeitskonzept wichtigen assoziationstheoretischen Modell.32 Die Akteur-Netzwerk-Theorie bildet somit das erste Verbindungsglied zwischen einem Denken in Ähnlichkeitsbezügen und dem spatial turn. Der zweite Konnex ergibt sich aus der Frage, mit welchen Begriffen solcherart Räume zu fassen sind, ob es dazu bereits Vorarbeiten gegeben hat. In diesem Zusammenhang kann auf die Semiosphäre von Juri Lotman verwiesen werden.33

27 Koschorke, Albrecht  : Valenzen eines postkolonialen Konzepts, in  : Bhatti/Kimmich (Hg.)  : Ähnlichkeit, S. 35–45, hier S. 36. 28 Damit wird keiner Essentialisierung von Juden beziehungsweise Nichtjuden das Wort geredet. Weder Juden noch Nichtjuden werden als ein homogenes Kollektiv gesehen. Es wird lediglich davon ausgegangen, dass es zwischen den unterschiedlichen Raumkonstituierungen von Juden mehr Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten als mit jenen von Nichtjuden gab. Die Differenzen in der Raumbildung können auf eine Reihe von Faktoren zurückgeführt werden. Dazu zählen beispielsweise autobiographische Erfahrungen, gesellschaftliche Sozialisationsbedingungen und kulturelle Milieus. 29 Zum spatial turn siehe Bachmann-Medick, Doris  : Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek bei Hamburg 2006, S.  284–328. Siehe auch Lefebvre, Henri  : The Production of Space, Malden/MA 1991. 30 Löw, Martina  : Raumsoziologie, Frankfurt a. M. 2015, S. 24. 31 Soja, Edward W.: Vom »Zeitgeist« zum »Raumgeist«. New Twists on the Spatial Turn, in  : Döring, Jörg/Thielmann, Tristan (Hg.)  : Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Bielefeld 2008, S. 241–262, hier S. 253. 32 Thrift, Nigel  : Raum, in  : Döring/Thielmann  : Turn, S. 393–407, hier S. 393 f. 33 Eine Semiosphäre stellt einen funktionellen Zusammenhang von Sprachsystemen dar, der

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Sie steht nicht nur in einem engen Zusammenhang mit dem spatial turn,34 sondern nimmt in gewisser Weise auch einige Überlegungen zum Ähnlichkeitskonzept vorweg.35 Ein dritter link zwischen dem Ähnlichkeitskonzept und dem spatial turn ergibt sich aus den Folgen der bisherigen Vernachlässigung von Raum gegenüber Zeit in der Erforschung jüdischer Geschichte.36 Im Hinblick auf die inzwischen weitgehend unstrittige Erkenntnis, dass für eine angemessene Darstellung der menschlichen Lebenswelt Zeit, Soziales und Raum unabdingbar sind,37 lässt sich folgern, dass geschichtliche Erfahrungen von Juden kaum angemessen erforscht und beschrieben werden können, wenn Raum als Analyseinstrument unberücksichtigt bleibt. Die Privilegierung von Zeit – und dieser Punkt ist für den Zusammenhang zwischen dem Ähnlichkeitskonzept und dem spatial turn relevant – trägt auch zu einem Denken in Differenzen bei. Ein konkretes Beispiel dafür betrifft die Beschreibung von Juden als gesellschaftliche Minderheit,38 die einer nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft gegenübergestellt wird. Diese Kategorisierung bindet die gesellschaftliche Positionierung der Juden an ein Zeitfenster  ; sie geht davon aus, dass Juden ihren Minderheitenstatus erst im Laufe der Zeit, durch eine Akkulturation an angeblich gesellschaftlich vorgegebene Standards, ablegen können. Mit der Aufwertung von Raum als Analysekategorie verliert das Denken in Differenzen aber an Bedeutung. Damit wird die Suche nach Verbindendem im Rahmen des Ähnlichkeitsmodells erleichtert. Ein anderer Grund für die Heranziehung von Raum als Analyseinstrument liegt im Umstand begründet, dass Raumwahrnehmungen Aufschluss über das Selbstverständnis und den Alltag der Juden geben. Da der spatial turn von Forschern zur Geschichte der Juden Wiens um 1900 bislang kaum aufgegriffen

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ebenfalls keine genauen Abgrenzungen, dafür aber relationale Beziehungen kennt. Vgl. Lotman, Juri  : On the Semiosphere, in  : Sign Systems Studies 33/1 (2005), S. 205–229. Frank, Michael C.: Sphären, Grenzen und Kontaktzonen. Jurij Lotmans räumliche Kultursemiotik am Beispiel von Rudyard Kiplings Plain Tales from the Hills, in  : Frank, Susi K./ Ruhe, Cornelia/Schmitz, Alexander (Hg.)  : Explosion und Peripherie  : Jurij Lotmans Semiotik der kulturellen Dynamik revisited, Bielefeld 2012, S. 217–243, hier S. 217. Bhatti u. a.: Ähnlichkeit, S. 245 f. Siehe Kern, Stephen  : The Culture of Time and Space 1880–1918, Cambridge 2003  ; Slezkine, Yuri  : Das jüdische Jahrhundert, Göttingen 2006, S. 31. Soja  : Thirdspace, S. 72. Winkler, Heinrich August  : Geschichte des Westens I  : Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 2009.



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worden ist,39 tut sich mit der Orientierung auf Räumlichkeit ein Untersuchungsgebiet auf, das eine Fülle neuer Erkenntnisse erwarten lässt.40 Das Ähnlichkeitsmodell, so lässt sich aus den bisherigen Ausführungen festhalten, kann ohne gleichzeitige Überlegungen zu Raum und Räumlichkeit kaum zur Anwendung gebracht werden. Dabei werden jedoch räumliche Konzepte wie third space, liminal space oder in between-space,41 die in kulturwissenschaftlichen Studien gewöhnlich Verwendung finden, durch das des non-lieu ersetzt.42 Begegnungen, die zu Ähnlichkeitsfeststellungen führen, finden an Nicht-Orten statt. Durch die Fokussierung auf non-lieux können jüdisch-nichtjüdische Kontakte, die von der Historiographie bislang unbeachtet geblieben sind, an Bedeutung gewinnen und dadurch zu einer Ergänzung oder auch Korrektur vorliegender historischer Narrative beitragen. Dies kann am Beispiel des Kaffeehauses konkret veranschaulicht werden. Das Café stellte in Wien einen exemplarischen Begegnungsort dar. Sowohl Juden als auch Nichtjuden suchten es auf. Allerdings gab es scheinbar nur wenige Kontaktaufnahmen zwischen ihnen. Deswegen gilt das Kaffeehaus in der Forschungsliteratur gewöhnlich als Raum, der die gesellschaftliche Kluft zwischen Juden und Nichtjuden widerspiegelt.43 Eine Arbeit mit dem Ähnlichkeitskonzept betrachtet diese Konstellation unter einem anderen Blickwinkel. Dabei kann der Mangel an Interaktionen als eine Indifferenzhaltung, von der non-lieux gewöhnlich geprägt sind, und somit als eine Voraussetzung für Ähnlichkeitswahrnehmungen interpretiert werden. Das Café wird dadurch zu einem 39 Unter den wenigen Ausnahmen können die Arbeiten von Lisa Silverman genannt werden  : Siehe Silverman, Lisa  : Leopoldstadt, Judenplatz, and Beyond  : Rethinking Vienna’s Jewish Spaces, in  : East Central Europe 42/2–3 (2015), S. 249–267. Silverman, Lisa  : Jewish Memory, Jewish Geography  : Vienna before 1938, in  : Silverman, Lisa/Sen, Arijit (Hg.)  : Making Place. Space and Embodiment in the City, Bloomington 2014, S. 173–197. 40 Zum besseren Verständnis der nachfolgenden Ausführungen sei angemerkt, dass  – außer im feststehenden Begriff des non-lieu  – mit Ort eine geographisch benennbare Stelle, ein Platz bezeichnet wird, wo der Prozess der Raumbildung stattfindet. Siehe dazu Löw  : Raumsoziologie, S. 198–201. 41 Die genannten Raumkonzepte werden zumeist zur Beschreibung von kulturellen Austauschprozessen verwendet, die, wie bereits erwähnt, dichotome Klassifikationen intakt lassen. 42 Siehe Augé, Marc  : Nicht-Orte, 4. Aufl., München 2014. Für Augé sind Hotels oder Flughäfen Orte, wo unterschiedliche Menschen zusammenkommen und auf der Grundlage des Bewusstseins, miteinander etwas gemeinsam zu haben, mit Differenzen spannungsfrei umgehen. 43 Der Dualismus zwischen Juden und Nichtjuden in den Kaffeehäusern wird gewöhnlich mit dem Hinweis postuliert, dass sie voneinander getrennte Stammtischgesellschaften bildeten und sich kaum aufeinander einließen. Siehe Ashby, Charlotte  : The Cafés of Vienna. Space and Sociability, in  : Ashby, Charlotte/Gronberg, Tag/Shaw-Miller, Simon (Hg.)  : The Viennese Café and Fin-de-siècle Culture, New York 2015, S. 9–31, hier S. 26.

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Ort, in dem die Überwindung statt Fortschreibung des jüdisch-nichtjüdischen Dualismus aufgezeigt werden kann. Bisherige Grundannahmen über das Café werden dadurch revidiert. Während das Café einerseits als Raum für Ähnlichkeitsfeststellungen verstanden wird, kann es sich auch zum Aufzeigen jüdisch-nichtjüdischer Differenzen eignen. Dafür müssen die Raumerfahrungen von und Raumkonstituierungen durch Juden und Nichtjuden miteinander verglichen werden. Es gibt Gründe zur Annahme, dass sie sich voneinander unterscheiden. In diesem Sinne kann auf den Umstand verwiesen werden, dass das Kaffeehaus Juden oftmals als Refugium vor dem alltäglichen Antisemitismus diente.44 Dadurch, so die daraus abzuleitende These, neigten Juden dazu, das Café gegenüber der Straße als abgeschlossen zu betrachten. Der Eingang zum Café bildete die Raumgrenze zu einer als feindselig empfundenen Umgebung. Nichtjuden dürften das Kaffeehaus eher als offenen Teil ihrer Alltagswelt betrachtet haben. Eine weitere Annahme lautet, dass Juden in ihren Raumskizzen Nichtjuden viel häufiger berücksichtigten als umgekehrt. Durch deren Einbeziehung konnte das Café als Ort des jüdisch-nichtjüdischen Miteinanders konzipiert werden. Nichtjuden bedurften dieser Konstruktionen wahrscheinlich nicht. Auch in diesem Fall lohnt jedenfalls ein Vergleich der Raumwahrnehmungen. Zusammenfassung Wie lässt sich der Mehrwert einer Arbeit mit nationaler Indifferenz, dem Ähnlichkeitskonzept und dem kulturwissenschaftlichen Raumbegriff zusammenfassen  ? Welche Aspekte stechen dabei besonders deutlich hervor  ? Zum Ersten kann darauf verwiesen werden, dass mit nationaler Indifferenz Studien zu nationaler, ethnischer und/oder kultureller Heterogenität durchgeführt und historische Narrative unter bislang ungewohnten Perspektiven verfasst werden können. Dadurch können sowohl neue Erkenntnisse über die Vergangenheit gewonnen als auch die Grundlage für eine jüdische als allgemeine Geschichte geschaffen werden.45 44 Pinsker, Shachar  : Between ‘The House of Study’ and the Coffeehouse  : The Central European Café as a Site for Hebrew and Yiddish Modernism, in  : Ashby/Gronberg/Shaw-Miller (Hg.)  : Café, New York 2015, S. 78–97. 45 Dieses Vorhaben wurde verschiedentlich bereits in Angriff genommen, Siehe beispielsweise Gross, Raphael/Weiss, Yfaat (Hg.)  : Jüdische Geschichte als Allgemeine Geschichte, Göttingen 2006. Allerdings, vielleicht wegen unzureichender analytischer Instrumentarien, sind die Ergebnisse nicht sehr überzeugend.



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Die Konzeptualisierung von Ähnlichkeit als kulturwissenschaftliches Analysekonzept ist jüngeren Datums. Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen haben gerade erst begonnen, es auf dessen Anwendbarkeit zu überprüfen. In den Jüdischen Studien ist es bisher noch überhaupt nicht aufgegriffen worden. Nichtsdestoweniger ist zu erwarten, dass es sich für Forschungen zur Geschichte und Kultur von Juden als sehr fruchtbar erweist. Es bietet sich nicht nur zur Überbrückung des jüdisch-nichtjüdischen Binarismus an, sondern könnte auch – um ein weiteres Beispiel zu nennen – Aspekte jüdischen Alltagslebens beleuchten, die von der Forschung bisher vernachlässigt oder übersehen worden sind. Mit dem Ähnlichkeitsmodell wird nicht nur Verbindendes – im konkreten Fall zwischen Juden und Nichtjuden  – hervorgehoben, sondern auch Trennendes aufgezeigt. Anders als mit bislang verwendeten Ansätzen ist es somit möglich, den jüdisch-nichtjüdischen Dualismus aufzuheben, ohne gleichzeitig Differenz zum Verschwinden zu bringen.46 Die Feststellung von jüdisch-nichtjüdischen Ähnlichkeiten entbindet Juden ihrer Fremdheit, ohne sie ihrer Unterscheidbarkeit zu berauben. Ein weiterer Punkt mit großem Innovationspotential ergibt sich aus dem Umstand, dass die Analysekategorie Raum in den Jüdischen Studien bislang vergleichsweise wenig Beachtung gefunden hat.47 Deren stärkere Berücksichtigung bringt eine neue Perspektive in die Untersuchung historischer Praktiken sowie Erfahrungen von Juden ein und ermöglicht neue Sichtweisen auf deren Geschichte, die den bisherigen Kenntnisstand zur Vergangenheit der Juden erweitern. Mit dem Versuch, eine Alternative zu national geprägten Narrativen vorzustellen und jüdisch-nichtjüdische Begegnungen ohne dichotome Kategorisierungen nachzuzeichnen, sind Forschungen unter Anwendung von nationaler Indifferenz, dem Ähnlichkeitsmodell und dem kulturwissenschaftlichen Raumbegriff nicht nur für Jüdische Studien und die jüdische Geschichtsschreibung relevant, sondern für alle Disziplinen, die sich mit gesellschaftlicher Heteroge-

46 Zu diesem Punkte siehe Rosman  : History, S. 4. 47 Dabei geht es nicht um Begriffe wie Territorium und Heimatland, die für die Geschichte des Zionismus natürlich ganz zentral sind, oder um Beschreibungen des Ghettos, des Schtetls oder um Gedächtnistopographien, sondern um die Verwendung des kulturwissenschaftlichen Begriffes Raum in der Forschung. Zur Bedeutung von Raum in den Jüdischen Studien siehe Mann, Barbara E.: Space and Place in Jewish Studies, New Brunswick 2012  ; Brauch, Julia/Lipphardt, Anna/Nocke, Alexandra (Hg.), Jewish Topographies. Visions of Space, Traditions of Place, Burlington 2008  ; Ernst, Petra/Lamprecht, Gerald (Hg.), Jewish Spaces. Die Kategorie Raum im Kontext kultureller Identitäten, Innsbruck 2010.

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nität  – und nicht zuletzt mit dem Genderaspekt48  – beschäftigen. Angesichts der gegenwärtigen Herausforderungen, die sich aus den globalen Migrationsströmen und dem Umgang mit ethnischer und kultureller Diversität ergeben, kommt einer solchen Arbeit auch große gesellschaftspolitische Aktualität zu.

48 Dabei wird die dichotome Differenz, die im Begriff der Geschlechteridentität zum Ausdruck kommt und bisweilen bereits heftig kritisiert worden ist, aufgehoben, während die – abgestufte, relationale – Unterscheidbarkeit fortbesteht. Siehe Eifert, Christiane/Kessel, Martina  : Was sind Frauen  ? Was sind Männer  ? Geschlechterkonstruktionen im historischen Wandel, Frankfurt a. M. 1996  ; Scott, Joan W.: The Fantasy of Feminist History, Durham 2011.

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»Goethe«-Rezeption im Kontext jüdischer Kulturdebatten der 1930er Jahre im NS-Deutschland »Man sollte einmal untersuchen, schrieb Ortega y Gasset, ob Goethe noch standhält, wenn man ihn mit den Augen des Ertrinkenden liest.«1 Mit diesen Worten stellt der deutsch-jüdische Journalist, Schriftsteller und Dramaturg Leo Hirsch im Dezember 1935 in der Berliner Jüdischen Rundschau seiner Rezension von Soma Morgensterns Bestseller-Roman Sohn des verlorenen Sohnes (1935) eine grundlegende Skepsis am Zeitgemäßen klassischer deutscher Dichtungstradition und Ästhetik voran. In einer Bezugnahme auf den spanischen Philosophen und Soziologen Ortega y Gasset, der diese kulturkritische Position bereits 1932, im 100. Todesjahr Goethes, gegen gesamteuropäische kulturelle wie politische Entwicklungen formuliert hatte,2 verweist Hirsch nun Mitte der 1930er Jahre auf die spezifisch veränderten Rezeptionsbedingungen insbesondere klassischer deutscher Kulturtradition im jüdischen Kulturkreis im nationalsozialistischen Deutschland  : »Wir sind gefühllos und unseres Schicksals unwürdig«, ergänzt er, »wenn wir jetzt auch nur einen Roman so lesen können wie früher.«3 Angesichts der politisch motivierten Ausgrenzungen jüdischer Künstler und Intellektueller aus dem deutschen Kulturbetrieb bezogen sich deren Überlegungen zu kulturellen wie künstlerisch-ästhetischen Neupositionierungen in Deutschland seit 1933 unweigerlich auch auf die Haltung zu Goethe und zur deutschen Klassik quasi als »Gretchenfrage« einer grundsätzlichen Positionierung zu deutscher, jüdischer und europäischer Kultur. Wie grundlegend dabei künstlerisch-ästhetische Anschauungen befragt werden mussten, illustriert eine Äußerung des Theaterkritikers Arthur Eloesser von 1927 in der Sondernummer der C.V.-Zeitung zum Thema Unsere Mitarbeit an der deutschen Kultur. Er spricht darin noch in den späten 1920er Jahren von einer »Verschmelzung deutschen 1

Hirsch, Leo  : Ein jüdischer Roman. Soma Morgenstern  : Der Sohn des verlorenen Sohnes. (Roman). Erich Reiß-Verlag, Berlin, in  : Jüdische Rundschau (Literaturblatt), 6. Dezember 1935, S. 7. 2 Vgl. dazu  : Ortega y Gasset, José  : Um einen Goethe von Innen bittend (1932), in  : Gesammelte Werke, Bd. 3, Augsburg 1996, S. 296 f. Darin fragt Ortega y Gasset  : »Man sollte die Klassiker vor ein Tribunal von Schiffbrüchigen stellen und sie gewisse Urfragen des echten Lebens beantworten lassen. Wie würde Goethe vor diesem Gerichtshof bestehen  ?« 3 Hirsch  : Ein jüdischer Roman.

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und jüdischen Geistes bis zur chemischen Unlösbarkeit der Elemente«, von der »Ausstrahlung der Zentralsonne Goethe, auch durch jüdischen Geist«, die »noch vor der bürgerlichen Emanzipation« stattfand.4 Eloesser bezieht sich weiter auf das geistige Erbe von Aufklärung, Klassik und Romantik, dem sich die Mehrheit der deutschen Juden mit dem Austritt aus dem Ghetto und dem Eintritt in die bürgerliche Gesellschaft zunehmend verpflichtet fühlte, da es »den vorwärtstreibenden Geistern, den bedürftigen Seelen unter den Juden zuerst Heimat gegeben hat.«5 Indem diese »Heimat« mit dem Machtantritt Hitlers und seiner Partei endgültig aufgekündigt wird, steht am Ende eines Emanzipationsprozesses, dessen Anfänge mit dem Austritt aus dem Ghetto und Eintritt in die bürgerliche Gesellschaft eng mit den Ideen der Aufklärung und Klassik verbunden waren, für die jüdischen Schriftsteller und Künstler im Verhältnis zu Goethe das Verhältnis zu deutscher bzw. zu jüdischer Kultur als solches erneut zur Debatte. Die programmatische Trennung von sogenannter deutscher und jüdischer Kultur gehörte dabei seit 1933 zu den erkennbar ersten inhaltlichen Prämissen staatlicher Zensurpolitik.6 Diese sah im Kampf gegen das sogenannte Assimilationsjudentum eine der »Hauptstoßrichtungen« ihrer Arbeit. Verbote und Restriktionen häuften sich bereits in der Anfangsphase beispielsweise des im Sommer 1933 gegründeten Kulturbunds deutscher Juden, wenn etwa dessen Dramaturg Julius Bab in seiner Rede für den Kulturbund deutscher Juden im August 1933 selbstbewusst auf einer Zugehörigkeit jüdischer Künstler und Intellektueller zu deutscher und jüdischer Kultur beharrte.7 In dem Glauben an die Überlegenheit der Kultur gegenüber der Politik noch ganz dem bürgerlichen Erbe der Aufklärungszeit verpflichtet, wollte Bab – gegen ein drohendes kulturelles Ghetto – im Kulturbund in einer Bezugnahme auf Goethe einen »Ort lebendigen Geistes« schaffen, einen Ort, 4

Eloesser, Arthur  : Kritik und Kritiker. In  : C.V.-Zeitung Sondernummer  : Unsere Mitarbeit an der deutschen Kultur, 5. August 1927, S. 460. 5 Ebd. Peter Gay erinnerte dies schließlich Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg  : »Lessing, Kant, Goethe […] – waren nicht oberflächlicher Schmuck. Sie waren gelebter Beweis und Zeichen des jüdischen Deutschtums. Sicher in ihrem Besitz, brauchte man nicht mehr zu beweisen, daß man ein Deutscher war. Man war Deutscher.« Gay, Peter  : In Deutschland zu Hause… Die Juden der Weimarer Zeit, in  : Paucker, Arnold u. a. (Hg.)  : Die Juden im nationalsozialistischen Deutschland 1933–1943, Tübingen 1986, S. 31–43, hier S. 35. 6 Vgl. dazu ausführlicher Dahm, Volker  : Das jüdische Buch im Dritten Reich, 2. überarbeitete Aufl., München 1993, S.  55  ; Schoor, Kerstin  : Vom literarischen Zentrum zum literarischen Ghetto. Deutsch-jüdische literarische Kultur in Berlin zwischen 1933 und 1945, Göttingen 2010, S. 158–178. 7 Bab, Julius  : Rede für den Kulturbund Deutscher Juden, in  : C.V.-Zeitung, 10. August 1933, S. 6.



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wo sich auch weiterhin jüdisches Wesen mit deutschem und europäischem zu freier, fruchtbarer Arbeit findet. Ein Ort jenes Geistes, an dessen schließlich überwindende Kraft wir glauben. Dem Geist wollen wir dienen, von dem ein Wort Goethes kündet  : Getrenntes Leben, wer vereinigt’s wieder  ? Vernichtetes, wer stellt es her  ? Der Geist  ! Des Menschen Geist, dem nichts verloren geht, Was er von Wert mit Sicherheit besessen.8

Offenbar hoffte Bab, durch das in der Dichtung Goethes gestaltete Ideal menschlicher Vernunft die Zuschauer nicht nur als Individuen zu stabilisieren, sondern im reflexiven Diskurs  – gegen äußere Ausgrenzungsversuche  – eine kollektive Identität deutscher und jüdischer Prägung ausbilden und (mehr noch) bewahren zu können.9 Erkennbar zielte für ihn eine Bezugnahme auf Goethe in der Kulturbundarbeit vor allem »auf die Herausbildung des Kulturbundes als eines konservierenden Raumes, der die Möglichkeit bieten sollte, traditionelle Bildungsinhalte und -auffassungen zu vermitteln.«10 Dass dies im Propagandaamt der NSDAP durchaus gesehen wurde, belegt ein Schreiben der Ortsgruppe Charlottenburg/Mitte vom Oktober 1934. Es kommentiert eine Formulierung im 10. Heft der Monatsblätter des Kulturbundes deutscher Juden, nach der es für den Kulturbund »kein geeigneteres Werk als Goethes ›Iphigenie‹ gebe  !«, als »taktlose[…] Bemerkung« und fügt ergänzend hinzu  :

 8 Ebd.   9 Vgl. in diesem Sinne auch Schreiber, Paul  : Unser Weg, in  : Der Morgen, August 1933, S. 216– 218, hier S. 218  : »Goethe schreibt einmal in sein Tagebuch  : Deutsche gehen nicht zugrunde ebensowenig wie die Juden, weil es Individuen sind (15.III.1808). Darauf allein kommt es an, nichts Anderes kann unsere Aufgabe sein. Wir müssen wieder wir selbst werden. Nicht im Sinne eines schrankenlosen Individualismus, sondern nicht mehr und auch nicht weniger als deutsche Juden. Wir müssen wieder in uns selbst gefestigt werden.« 10 Rogge-Gau, Sylvia  : Die doppelte Wurzel des Daseins. Julius Bab und der Jüdische Kulturbund Berlin, Berlin 1999, S. 94. Rogge-Gau verweist in diesem Zusammenhang auch auf ein Interview Julius Babs in der Zeitung Der Schild vom 26. Januar 1934 (in dem Beitrag von Hans Samter, Der Kulturbund – ein Träger unserer Zukunft  ?), in dem zu lesen gewesen sei, Bab gedenke, »im Kulturbund ›als Deutscher zu schaffen‹ und müsse daher den Austritt zionistischer Mitglieder, die diese Haltung ablehnten, hinnehmen. Aufgrund dieses Vorfalls, der insbesondere in der Jüdischen Rundschau heftig kritisiert wurde, verbot Singer in einem offenen Brief seinen Mitarbeitern jegliche unautorisierte öffentliche Stellungnahme zu den Richtlinien kultureller Arbeit.« Ebd., S. 77.

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Was haben denn Beethoven und Goethe mit den Juden gemein  ? […] Rein politisch dürfte es angebracht sein, die beiden Redakteure der Kulturbund-Monatsblätter, die beide in Charlottenburg sitzen ([…] Julius Bab, Akazienallee 4, und Gustav Rosenthal, Mommsenstr. 45) zu überwachen, weil wir zweifellos in unserem Kreisbereich jüdische Kristallisationskerne haben  !11

Noch in der Artikulation kultureller Konzepte, die wie jene des Rabbiners Joachim Prinz eine zionistische Gegenposition zu der von Bab geäußerten Anschauung eines weitgehend akkulturierten Judentums vertraten, bleibt jedoch die Referenz auf Goethe und die kanonisierten Namen deutscher Kultur erkennbar. Die bei jüdischen Intellektuellen zum Teil sehr unterschiedlich motivierten Bezugnahmen auf Goethe erscheinen in diesem Sinne als integraler Teil eines kontrovers verlaufenden Prozesses kollektiver Selbstverständigung. Auch Prinz geht es um die Abweisung einer »kleinbürgerliche[n] Kunst des Ghettos« – allerdings durch ein Bekenntnis zum Judentum. Dann werde der Weg zu den großen künstlerischen Erlebnissen, die zu den Namen der Großen aller Völker, zu Beethoven und Goethe führen, keine Flucht in eine unverbindliche Welt, sondern gerade in ihnen und nur in ihnen wird dann der besondere Anteil jüdischer Schöpferkraft in der Kultur lebendig werden.12

Babs Konzept scheitert schließlich nicht nur an den äußeren Eingriffen der NS-Zensurpolitik. Aufgrund interner Streitigkeiten im Kulturbund um die prinzipielle Ausrichtung kultureller Arbeit verließ er dessen Vorstand bereits im Juli 1934.13 Als Dramaturg des Kulturbunds blieb seine Handschrift der Kul11 Propagandaamt der NSDAP, Ortsgruppe Charlottenburg Mitte, an den Propagandaleiter des Kreises I der NSDAP, Berlin 19. November1934, Wiener Library London, Documents Section 575  : MF KDJ I, unpaginiert. 12 Prinz, Joachim  : Der Jude im Kulturschaffen, in  : Jüdische Rundschau, 21. Juli 1933, S. 353. Und auch Kurt Singer, der Leiter des Kulturbunds, bemerkte zur Eröffnung der Kulturbundarbeit im Oktober 1933  : »Das Wort der Bibel, das Ethos der Propheten, die Weisheit talmudischer und rabbinischer Glaubenskünder ist uns so in Blut und Seele gesenkt, wie uns die Welt Kants und Humboldts, Goethes und Beethovens zu eigen wurde. Keine andere Tendenz soll unsere Arbeit begleiten, keine andere Richtung unser Programm bestimmen als der Wunsch, künstlerisches Krongut mit zu verwalten und zu gestalten, soweit es unsere Kräfte zulassen.« Singer, Kurt  : Zum Geleit. Fanget an  ! In  : Monatsblätter des Kulturbunds deutscher Juden, Oktober 1933, S. 1. 13 Vgl. Rogge-Gau, Die doppelte Wurzel, S. 90. Sie bezieht sich bei diesem Hinweis auf einen Auszug aus dem Protokoll der Vorstandssitzung des Kulturbunds vom 5. Juli 1934 zur Eintragung ins Vereinsregister, vgl. Kulturbund deutscher Juden an das Amtsgericht Charlottenburg, Berlin 16.7.1934, Landesarchiv Berlin, Rep. 42, Acc. 2148, Nr. 27347, Bl. 34/35.



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turbundarbeit der folgenden Jahre dennoch erkennbar eingeschrieben. Goethes Werk erschien dem Reichskulturverwalter Hans Hinkel, der mit der staatlichen Überwachung kultureller Aktivitäten deutscher Juden beauftragt war, noch 1937 in einer Weise präsent, dass er in einem Interview der Nationalsozialistischen Partei-Korrespondenz, die ihn am 14. Mai 1937 zur Programmgestaltung der Jüdischen Kulturbünde befragte, nachdrücklich in Richtung der Kulturbundarbeit drohte. Er empfinde es als »Anmaßung […], wenn bei Vorschlägen bzw. Anträgen zu Veranstaltungen der Judenschaft unter sich Werke von Beethoven, Goethe und Mozart auftauchen, denn es ist nicht Zweck der Übung, inhaltlich deutsche Kulturbünde mit jüdischen Mitgliedern aufzuziehen.«14 Jegliche Bezugnahme auf Goethe in der Aufführungspraxis des Jüdischen Kulturbunds war bereits 1936 ganz verboten worden, zu einem Zeitpunkt also, als Goethe, der zwischen 1933 und 1935 im offiziellen NS-Theater zunächst auffallend wenig gespielt worden war, wieder mit bedeutungsschweren Inszenierungen von »monumentaler Eindringlichkeit« auf der deutschen Bühne präsenter wurde.15 Dennoch sind offene wie verdeckte Bezüge auf den Dichter bis zum Dezember 1938, dem Ende des jüdischen Presse- und Verlagswesens im NS-Deutschland, nachweisbar, wenngleich in späteren Jahren oft nur noch in der symbolischen Nennung seines Namens. Goethe wird dabei aus durchaus unterschiedlichen Perspektiven zu einer Art Paradigma bei den Versuchen einer Neubestimmung kultureller Identität. Der Dichter bleibt, als der symbolische Repräsentant einer deutschen Kultur, ein selbstverständlich gesetzter Ausgangs- und Fluchtpunkt ästhetischer wie kultureller Wertmaßstäbe, die in den mit Vehemenz ausgetragenen Debatten um eine »jüdische« Kunst und Kultur auf ihren Bestand wie ihre Verbindlichkeit hin befragt werden, nicht allerdings zwangsläufig verbunden mit der Orientierung auf eine spezifisch »deutsche« Kultur. Die Rezeption Goethes im jüdischen Kulturkreis erscheint zudem nach 1933 tendenziell weniger durch eine produktive Auseinandersetzung der zeitgenössischen Literatur mit dem Werk des Dichters charakterisiert. Umfassende Untersuchungen der verschiedenen Gattungen unter diesem Gesichtspunkt stehen hier noch aus. Zunächst bleibt eine These Karl Robert Mandelkows von 1989 bestehen, nach der sich eine produktive Auseinandersetzung zeitgenössischer Literatur mit Goethe nach 1933 angesichts der eingreifenden Zensurmaßnah-

14 Zit. nach Geisel, Eike  : Premiere und Pogrom, in  : ders./Broder, Henryk M.: Premiere und Pogrom. Der Jüdische Kulturbund 1933–1941, Berlin 1992, S. 7–35, hier S. 16. 15 Vgl. dazu u. a. Drewniak, Bogusław  : Das Theater im NS-Staat. Szenarien deutscher Zeitgeschichte 1933–1945, Düsseldorf 1983, S. 170.

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men »fast ausschließlich auf die Dichter im Exil« verlagert hat.16 Lutz Wincklers Analyse von Rudolf Franks 1935 in Berlin erschienenem »Roman in Erzählungen«, Ahnen und Enkel,17 differenziert diesen Befund dennoch bereits am singulären Phänomen und kann beispielsweise intertextuelle Bezüge des Romans zu Goethes Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten18 überzeugend nachweisen. Kann seine Analyse die eingangs aufgestellte These tendenzieller Entwicklungen dieser Jahre zwar (noch) nicht außer Kraft setzen, sei sie hier jedoch exemplarisch als produktive Anregung künftig notwendiger Forschungen im Bereich fiktionaler Texte benannt.19 Auch in der Rhetorik jüdischer Publizistik in Deutschland bleibt Goethe – ungeachtet seiner durchaus ambivalenten Haltung den Juden gegenüber – die wichtigste Identifikationsgestalt des »klassischen« humanistischen Erbes. Den Entwicklungen im Exil nicht unähnlich, erscheint er als Garant einer humanistischen deutschen und vor allem europäischen Kulturtradition, in der man das deutsch-jüdische Kulturerbe aufgehoben sah und die den gegenwärtigen politischen Entwicklungen entgegenstand. So setzt Ernst Lissauers öffentliche Kritik an Paul Fechters Literaturgeschichte im April 1933 gerade bei Fechters »Befangenheit in einem engen Begriff des Volkstums« an, die ihn – so Lissauer – »Goethe nicht mehr wirklich erkennen« lasse. »Goethes über-, anti-, a-nationale Haltung« bewirke vielmehr, dass »Fechters Einstellung zu Goethe völlig verkehrt« sei.20 Im »übernationalen Weltbürgertum« Goethes als dem »Verkünder gewaltfreier Humanität und dem vermeintlich unpatriotischen Verehrer Napoleons«,21 auf das sich die jüdischen Intellektuellen ausdrücklich bezogen, lagen dagegen gerade auch die Schwierigkeiten einer ideologischen Inanspruchnahme des Dichters durch die nationalsozialistische Kulturpolitik  : Bereits 1930 hatte Alfred Rosenberg in seinem Buch Der Mythus des 20. Jahrhunderts erklärt, dass Goethe für die kommenden »Zeiten erbitterter Kämpfe« nicht brauchbar sei, 16 Vgl. Mandelkow, Karl Robert  : Goethe in Deutschland. Rezeptionsgeschichte eines Klassikers, Bd. 2  : 1919–1982, München 1989, S. 86. 17 Winckler, Lutz  : Nomaden im Laubhüttenland. Rudolf Franks Roman Ahnen und Enkel, in  : Winckler, Lutz u. a. (Hg.)  : Geschichten erzählen als Lebenshilfe. Beiträge zum literarischen und künstlerischen Werk Rudolf Franks, Berlin 2015, S. 60–72. 18 Goethe, Johann Wolfgang von  : Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten, in  : Werke. Hamburger Ausgabe. Bd. 6., hg. von Erich Trunz, München 1988, S.125–241. 19 Zur Goetherezeption in Franz Hessels Spätwerk Alter Mann vgl. Schoor, Vom literarischen Zentrum, S. 67–93, insbes. S. 89 f. 20 Lissauer, Ernst  : Fechters Literaturgeschichte [Rezension], in  : Der Morgen, April 1933, S. 63– 68, hier S. 64 und S. 66. 21 Mandelkow, Goethe in Deutschland, S. 78 f.



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»weil ihm die Gewalt einer typenbildenden Idee verhaßt war und er sowohl im Leben wie im Dichten keine Diktatur eines Gedankens anerkennen wollte, ohne welche jedoch ein Volk nie ein Volk bleibt und nie einen echten Staat schaffen wird«.22 Folgerichtig zitiert der jüdische Soziologe Franz Oppenheimer im Februar 1933 im Morgen in seiner Auseinandersetzung um Staat und Nationalismus als einem letzten öffentlich Appell an den idealen Rechtsstaat Goethes Mephisto-Gestalt mit den Worten  : »Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, Des Menschen allerhöchste Kraft, Laß nur in Blend- und Zauberwerken Dich von dem Lügengeist bestärken, So hab ich Dich schon unbedingt«,

läßt Goethe seinen Mephisto sagen. Wenn wir nicht zugrunde gehen wollen, so müssen wir diesem Spuk in entschlossener Kehrtwendung den Rücken kehren und uns vom Geist, der Gottes ist, führen lassen zum Rechtsstaat, zur civitas dei.23 Und weiter, in deutlichen Worten polemisch auf die unmittelbare Gegenwart bezogen  : »die Gewalt, die diesen Staat, diesen Kapitalismus und diesen Nationalismus geschaffen hat, beruft sich als letzte Instanz auf sich selbst. Es gibt kein Recht mehr, es gibt keine Menschlichkeit mehr, es gibt nur noch Gewalt, die die Macht erstrebt, um sich mit unmenschlichen Mitteln durchzusetzen.«24 Sollte der Rückgriff auf einen kulturell tradierten Diskurstyp im »Sprechen mit und Reden über Goethe« einerseits, wie das Beispiel Julius Babs verdeutlicht, Identität potentiell stabilisieren, zeigt der Text von Franz Oppenheimer auch, dass Bezugnahmen auf den Dichter nicht selten in widerständiger Absicht gegen die offizielle NS-Kulturpolitik eingesetzt wurden. Insbesondere in kabarettistischen Texten oder bei Kleinkunstabenden wurde im Vertrauen auf ein »allgemeines Kulturbewusstsein« mit angedeuteten Kurzzitaten deutscher Klassiker gearbeitet. Goethe wurde zu einem wichtigen Gewährsmann kulturellen jüdischen Widerspruchs gegen den Ungeist politischer Gegenwart.25

22 Rosenberg, Alfred  : Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit, München 1943, S. 515. 23 Oppenheimer, Franz  : Staat und Nationalismus, in  : Der Morgen, Februar 1933, S. 438–444, hier S. 443. 24 Ebd. 25 Vgl. Schoor, Vom literarischen Zentrum, S. 147.

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Goethes Humanitätsbegriff blieb schließlich in seiner Überwindung des Nationalen gleichermaßen für die Abweisung antisemitischer Ausgrenzungen bedeutsam. So hatte Julius Bab bereits 1926 in seinem Buch Goethe und die Juden festgestellt  : »Die grundsätzliche Minderschätzung irgendeiner Gruppe menschlicher Individuen auf nationale, religiöse oder sonstige Merkmale hin (den Irrsinn der kulturmaßgeblichen Rasse hatte man zu Goethes Zeit, wie gesagt, noch nicht erfunden) lag gänzlich außer Goethes Denkmöglichkeit.«26 Ganz diesem Denken verpflichtet stellte Leo Baeck schließlich Anfang 1935 das kommende Semester des Berliner Jüdischen Lehrhauses in seinem Eröffnungsvortrag überhaupt unter die Goethe’sche Formel  : »Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen«. Er erklärte Europa aus der Vergangenheit der Kinder Hams, Sems und Japhets und jeden Europäer zu einem »Kind der hamitisch-semitischen Kulturvergangenheit, die durch Griechenland umgeformt wurde.«27 Goethe wurde in diesem Sinne – wie in vielen Texten des Exils – zum Repräsentanten eines »anderen«, eines »besseren« Deutschland.28 Dabei war der Glaube an einen in Goethe verkörperten humanen Kern des Deutschtums in weiten Intellektuellenkreisen offenbar so ungebrochen, dass er die ebenfalls virulente, eingangs aufgerufene kulturkritische Position einer Auseinandersetzung mit den Entwicklungen bürgerlicher Kultur tendenziell überlagerte. Die Erzählung Kleiner Emigrant von Alice Stein-Landesmann, die im Juli 1934 im Morgen erschienen ist, setzt  – ungewollt  – auch das Problematische dieses Rezeptionsprozesses literarisch ins Bild  : Darin hat der 13-jährige jüdische Protagonist, Robert Heymann, über die Annonce einer englischen Familie seit sieben Monaten bei dieser in London Aufnahme gefunden. Im Januar 1934 reflektiert er dort über seine Situation im Exil. Er ringt mit seinem Heimweh nach dem Vater in Berlin, nach der in England verleugneten deutschen Sprache und Kultur und erinnert sich an das Zerwürfnis mit seinem Schulfreund Wichmann. »Wortlos« war Robert nach dem Streit damals in der Berliner Wohnung durch die Zimmer gegangen,

26 Bab, Julius  : Goethe und die Juden, Berlin 1926, S. 32. 27 Zit. Friedlaender, Fritz  : Grenzen der Kulturautonomie, in  : Der Morgen, Februar 1935, S. 492– 497, hier S. 494 f. 28 Vgl. u. a. die Gründungsurkunde der von Hubertus Prinz zu Löwenstein initiierten amerikanischen Hilfsorganisation für deutsche Intellektuelle und Künstler im Exil, der »American Guild for German Cultural Freedom«, vom 4. April 1935, in der »Lessing, Kant, Schiller and Goethe« als Vertreter des »true spirit of Germany« bezeichnet werden. Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt a. M., Deutsches Exilarchiv 1933–1945, American Guild for Cultural Freedom, EB 70/117.



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[…] – in der Bibliothek machte er Halt. […] drüben standen die Klassiker, 40 Bände Goethe, die Jubiläumsausgabe, und dann die Erstausgabe, ganz kleine Bändchen, noch von Goethe selber redigiert, Vater hatte ihm das erklärt, und Robert teilte seinen Stolz auf diese abgegriffenen Bände. Streichelnd fuhr er über die Lederrücken. Plötzlich ließ er die Hände sinken – Wichmann fiel ihm ein. Er wurde blaß, stand wie ertappt bei etwas Verbotenem. Er war kein Deutscher – hatte keinen Teil an deutschen Leistungen, an deutschem geistigen Besitz. Das waren Wichmanns Worte gewesen.29

Robert hatte danach die deutsche Schule nicht mehr besuchen wollen. Dessen ungeachtet schreibt der 13-jährige dem Vater nun aus der Londoner Einsamkeit, aus einer ihm fremd gebliebenen kulturellen Umgebung  : Was geht denn mich das alles an  ? Ich bin doch woanders zu Hause  ! Es ist doch nicht meine Heimat und kann es niemals werden  ! Denn ich bin ein Deutscher wie Du — ich weiß, wie Mutti erzählte, daß ihre Urgroßeltern in Königsberg lebten. Ich liebe nur deutsche Städte, Vati, ich kann nichts dafür.30

Robert bittet den Vater am Ende der Erzählung schließlich, ihn zu Ostern wieder in der Berliner Schule anzumelden. Verbunden mit der illusionären Hoffnung auf die Macht des Geistes werden in diesem Sinne in einer Bezugnahme auf Goethe insbesondere in den ersten Jahren der NS-Herrschaft auch Momente tragischer Verkennungen der realen politischen Gefährdung der jüdischen Bevölkerung sichtbar. Vor der Folie zeitgenössischer Goetherezeption erscheint der Faschismus zudem fast ausschließlich als Antipode zum Geist der abendländischen Kultur, als Abkehr von Weltbürgertum und humanistischem Menschenbild. Die prinzipielle Frage, wieweit der Rückgriff auf Goethe den Blick auf die politisch-gesellschaftlichen Faktoren des Faschismus nicht überhaupt verstellte, kann allerdings bei einer Literatur unter strengster Zensur kaum wirklich befriedigend beantwortet werden. Es waren schließlich  – neben der NS-Verbotspolitik  – vor allem zwei Entwicklungen, die die Präsenz Goethes im jüdischen kulturellen Leben innerhalb Deutschlands in der NS-Zeit partiell beeinträchtigten  : zum einen der Ausschluss jüdischer Jugendlicher aus dem deutschen Bildungssystem und die praktische Vorbereitung der jüngeren Generation zur Auswanderung, sowie zum anderen die bereits erwähnte Tatsache, dass die erfahrene inhumane Praxis

29 Stein-Landesmann, Alice  : Kleiner Emigrant, in  : Der Morgen, Juli 1934, S.  174–178, hier S. 175. 30 Ebd., S. 177.

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des deutschen Staates einigen Intellektuellen auch den tradierten Humanitätsbegriff deutscher Kultur zunehmend unbrauchbar erscheinen ließ. »Der platonische Geist, der im deutschen Judentum so sehr wie in keinem andern Teil des Judentums Wohnstatt hatte, wird bei uns seine Heimat im alten Maße nicht festhalten können,«31 beklagte der Rabbiner Ignaz Maybaum im August 1934. Der Ausschluss aus den Universitäten und eine vor allem für die Auswanderung nach Palästina notwendige Berufsumschichtung, die einen Wechsel des Milieus und der Lebensführung innerhalb der jungen Generation zur Folge hatten, weckten bei den Älteren die Befürchtung einer »Fellachisierung«32 des Judentums. »Wir sind am Abend müde«, bekannte ein junger Mann im Sommer 1934 auf der von Martin Buber in Herrlingen einberufenen Konferenz für jüdische Erwachsenenbildung »über die Situation der Menschen, die in der Umschichtung zu landwirtschaftlichen und handwerklichen Berufen« standen  : »es bedarf schon aller Energie, um das Lernen des Hebräischen zu bewältigen. Dazu kommen die vielen Vorträge, die uns über unsere zukünftige Situation unterrichten sollen. Wo sollen wir zu einer besonderen Bildungsarbeit noch Zeit und Möglichkeit hernehmen  ?« 33 Auch in den Schilderungen der nach Palästina ausgewanderten Chaluzim, denen Erich Rott 1934 im Morgen seinen Essay Vom Kurfürstendamm nach En Charod gewidmet hatte, muss Goethe schließlich »im Koffer« bleiben  :34 Die Goethehandschrift, ein »vollendet schönes Goethe-Autogramm«, das in der ausgebauten Dachwohnung am Kurfürstendamm »unter Glas und Rahmen« gehangen hatte, als Teil »beste[r] deutsche[r] Vergangenheit«, konnte der Erzähler zwar  : »über alle Grenzen retten. Ich wollte sie mir in meiner neuen palästinensischen Behausung aufhängen. Aber jene Behausung ist kein Haus, sondern nur ein Zelt geworden, und Goethe paßt an seine wackelnde, windgeschüttelte Wand wie die Faust aufs Auge.«35 Bleibt das prometheische Gebet für Erich Rott in Palästina aber durchaus noch denkbar, ist in Deutschland Intellektuellen wie Hanns Reißner und anderen der »deutsch-weltbürgerliche Humanismus […] abgelöst durch den christlich-völkischen Totalitätsanspruch«. Dagegen setzt man ein Bekenntnis zum »Bildungsideal eines jüdischen Humanismus«.36 31 Maybaum, Ignaz  : Die geschichtliche Aufgabe des deutschen Judentums. Martin Buber als Dank für Herrlingen, in  : Der Morgen, August 1934, S. 200–207, hier S. 204. 32 Ebd. 33 Ebd., S. 205 f. 34 Rott, Erich  : Vom Kurfürstendamm nach En Charod, in  : Der Morgen, Januar 1934, S. 415–419, hier S. 416. 35 Ebd., S. 415. 36 Reißner, Hanns  : Geh aus und lerne  ! In  : Der Morgen, August 1933, S. 156–159, hier S. 158.



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Als Lehrprogramm eines jüdischen Landerziehungsheims, dessen Aufbau schließlich durch den Ersten Weltkrieg verhindert worden war, hatte Martin Buber den Begriff eines »hebräischen Humanismus« bereits 1913 vor einem kleinen Kreis pädagogisch interessierter Intellektueller entwickelt. Mit Bezug auf intellektuelle Gewährsmänner wie Platon, Shakespeare, Goethe, Hölderlin und Stefan George hatte dieser im Gefolge des Krieges in weiteren kulturzionistischen Kreisen Aufnahme gefunden.37 Nach 1933, als angesichts einer totalitären Herrschaft in Deutschland ein Denken des abendländischen Humanismus vielen kritischen Intellektuellen zunehmend in die Krise geriet, wurde Martin Bubers religionsphilosophisches Programm eines »biblischen Humanismus« schließlich zum Bildungskonzept für eine verfolgte jüdische Gemeinschaft, das auch von kritischen und der Religion eher fernstehenden Intellektuellen wie Leo Hirsch mit getragen wurde. »Biblischer Humanismus«, erläuterte Martin Buber im Oktober 1933 in einem gleichnamigen Aufsatz im Morgen, »will den Juden von heute zu seinem Urgrund zurückführen.«38 Bezogen auf Konrad Burdachs Nachdenken Über den Ursprung des Humanismus39 und dessen Bestimmung vom Grundwesen eines abendländischen Humanismus, verweist Buber damit zunächst wie jener auf eine Stelle aus Dantes Gastmahl  : »Eines jeden Dinges höchstes Verlangen, das ihm vom Anbeginn die Natur eingepflanzt hat, ist es, zu seinem Urgrunde zurückzukehren.«40 Und wie Burdach verortet Buber sein Humanismus-Konzept in einer »konkreten Umgestaltung des gesamten inneren Lebens«.41 Er sollte jedoch den »Bürger« – wie Ignaz Maybaum 1934 in seinem Artikel Die jüdische Geschichte des deutschen Judentums zutreffend anmerkte  – »über seine prometheische Jugendgeschichte« hinauswachsen lassen, ihn seinen »titanischen Optimismus« aufgeben und »seinen Weg, den er weiter zu gehen hat, gläubig weiter gehen« lassen  : »Die Bekehrung des Bürgers setzt

37 So bezieht sich Martin Buber auf dem 16. Zionistenkongress im Juli/August 1929 in Zürich erneut auf den Begriff eines »hebräischen Humanismus«, vgl. Protokoll der Verhandlungen des XVI. Zionisten-Kongresses und der konstituierenden Tagung des Council der Jewish Agency für Palästina – Zürich, 28. Juli bis 14. August 1929, London 1929, S. 208. 38 Buber, Martin  : Biblischer Humanismus, in  : Der Morgen, Oktober 1933, S.  241–245, hier S. 242. 39 Vgl. Burdach, Konrad  : Über den Ursprung des Humanismus [1913], in  : Reformation, Renaissance, Humanismus. Zwei Abhandlungen über die Grundlage moderner Bildung und Sprachkunst, Berlin 1918, S. 97–203. 40 Zit. Buber, Biblischer Humanismus, S. 242. Vgl. dazu Dante Alighieri  : Das Gastmahl (Convivio). Philosophische Werke, Bd. 4/IV, hg. unter der Leitung von Ruedi Imbach, Hamburg 2004, S. 12. 41 Buber, Biblischer Humanismus, S. 242.

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ein, sein Übergang von der religiös nicht verwurzelten Humanität zum Glauben, der die Humanität rettet.«42 In diesem Diskurs nimmt Goethe erneut eine besondere Rolle ein. Hatte die Aufklärung den Juden den Weg zur Emanzipation gebahnt und ihnen das Bildungsideal einer sittlich-moralischen Erziehung des Menschen hin zu einem von Vernunft geprägten Subjekt gewiesen, das sich immer weiter selbst ausbilden sollte und alle nationalen und religiösen Unterschiede transzendierte, sollte sich das »jüdische Volk« nun – in ausdrücklicher Abgrenzung von Goethes Bildungsprogramm eines Wilhelm Meister  – »aus den Kräften der Umkehr« erneuern.43 Bereits Franz Rosenzweig hatte in seinem Stern der Erlösung in diesem Sinne in einer Bezugnahme auf Goethe den polytheistischen Idealismus mit jüdischer Frömmigkeit konfrontiert.44 »Gerade das deutsche Judentum«, bekräftigte Maybaum 1934, »dessen Schuld es war, als Bildungsjudentum den Glauben verfehlt zu haben, ist berufen, zu einem Glaubensjudentum zu werden.«45 Für ihn führen die »Fragen, die das Schicksal dem deutschen Judentum aufgegeben hat, […] von der Welt Goethes fort«  : Wilhelm Meisters Ideal, »das Leben als Kunstwerk zu gestalten«, durfte eine Zeit lang auch das Ideal des deutschen Judentums sein. Das ist vorbei. […] Hier ist das Leben selbst Auftrag. Nicht mehr, daß das Ich Schöpferfreude erfährt, ist das alles Ausschließende. Entscheidend ist, daß das Ich den Schöpfer erfährt. Damit schreiten wir von einem Idealismus, der der Menschheit »große Werke« fordert, zum Dienst an den »guten Werken«, den maassim towim fort. 46

In einer Situation existentieller Gefährdung der jüdischen Bevölkerung in Deutschland sollte damit der klassische Humanismus-Begriff, an den das Goe­ the’sche Bildungsideal gebunden war, durch einen »jüdischen Humanismus« abgelöst werden, um das isolierte moderne Subjekt über eine Rückkehr zum Glauben in einer religiösen und Solidargemeinschaft neu zu verankern und da-

42 Maybaum, Ignaz  : Die jüdische Geschichte des deutschen Judentums, in  : Der Morgen, November 1934, S. 336–344, hier S. 341. 43 Ebd., S. 342. 44 So konfrontiert Franz Rosenzweig in seinem Stern der Erlösung den polytheistischen Idealismus mit der jüdischen Frömmigkeit, wenn er beispielsweise dem Gebet des jungen Goethe »Schaff ’ das Tagwerk meiner Hände, hohes Glück, daß ich’s vollende« das rechte Gebet des Moses aus Psalm 90,17 gegenüberstellt  : »Ja, das Werk unserer Hände wollest Du fördern.« Rosenzweig, Franz  : Der Stern der Erlösung, Frankfurt a. M. 1988, S. 306. 45 Maybaum, Die jüdische Geschichte, S. 342. 46 Maybaum, Die geschichtliche Aufgabe, S. 206.



»Goethe«-Rezeption im Kontext jüdischer Kulturdebatten der 1930er Jahre 

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durch – ganz im Geiste Bubers – den verlorenen Bund jüdischer Gemeinschaft neu zu begründen.47 Das Resümee der am jüdischen Kulturleben aktiv beteiligten Intellektuellen vor der zweiten großen Fluchtwelle der Juden aus Deutschland 1938 blieb allerdings in allen Gruppierungen ein eher ernüchtertes. So vermutet Emanuel Bin-Gorion, der Mitherausgeber des 1935 veröffentlichten Philo-Lexikons, eines Handbuchs des jüdischen Wissens, im August 1938 im Morgen  : »Der aufgeklärte Israelit, der den Faust auswendig kannte und nicht wußte, daß es ein Buch Hiob gibt,  – dieser Typus ist nicht Erfindung eines Satirikers, sondern eine Massenerscheinung gewesen, vielleicht gar  : geblieben.«48 Und deutlicher konstatiert Hans Bach, der Herausgeber des Morgen, im Februar 1938  : »Fast alle Beobachter des Weges, den das Judentum in den letzten Jahren genommen hat, stimmen darin überein, daß ein hoffnungsvoller Aufschwung, den Anschluß an die Religion zurückzugewinnen, wieder in sich zusammengefallen, in Enttäuschung und Gedrücktheit verpufft« sei.49 Für Bach bedarf es vielmehr – in erneuter Wendung zum tradierten Traditionsbezug europäischer Kultur – eines richtigen Trainings in dem, was mit zunehmendem Glauben entsprechend abgenommen hat  : der Unabhängigkeit, der inneren Freiheit. Sie ist nur dort zu erlangen, wo sie vorhanden ist  : bei den Klassikern aller Zeiten. Die beste Vorbereitung dazu, wieder Jude zu werden, besteht darin, Goethe, Swift, Montaigne, Dante, Augustin, Aristoteles und Plato zu lesen, – dann könnten wir der Bibel etwas näher gerückt sein.50

Die von Konrad Kwiet untersuchten Briefe deutscher Juden, die im nationalsozialistischen Deutschland Selbstmord begingen, enthüllen, in welchem Maße sich viele Juden in ihren letzten Lebensstunden wieder in die ihnen vertraute Welt einer vergangenen deutsch-jüdischen Lebensgemeinschaft zurückgezogen haben. Sie suchten lesend Trost bei den deutschen Klassikern.51 Und auch 47 Vgl. dazu auch zahlreiche der von Martin Buber in diesen Jahren gehaltenen Vorträge, wie z.B. am 21.3.1933 in Berlin vor einer Gruppe von Lehrern und Erziehern über das Problem der jüdischen Bildung und Volkserziehung, in denen er seine Ansichten darlegte. Vgl. Buber, Martin  : Das dialogische Prinzip, Darmstadt 1962 (darin  : Die Fragen an den Einzelnen, 1936)  ; ders.: Der Jude und sein Judentum, Köln 1963. 48 Bin-Gorion, Emanuel  : Wissen ist Trost, in  : Der Morgen, August 1938, S. 215. 49 Bach, Hans  : Judentum für alle Tage, in  : Der Morgen, Februar 1938, S. 445–452, hier S. 445. 50 Ebd., S. 452. 51 Kwiet, Konrad  : Nach dem Pogrom. Stufen der Ausgrenzung, in  : Benz, Wolfgang (Hg.)  : Die Juden in Deutschland 1933–1945. Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft, München 1989, S. 545–659, hier S. 652.

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dem Emigranten Julius Bab, der am Silvestermorgen 1940 in New York eintrifft, gibt Goethe Halt, als Bab zwischen den ihn umgebenden Wolkenkratzern einer fremden Kultur orientierungslos geworden ist und in einem Park ein kleines Denkmal bemerkt  : »Und dieses erste Denkmal, das ich überhaupt in Amerika sah, war eine Marmorstele mit dem Kopf Goethes. – Ich bekenne, daß mir daraufhin etwas besser wurde.«52 Vielen Emigranten war dagegen der Bruch mit Deutschland und seiner Kultur irreparabel geworden. So schreibt die deutsch-jüdische Journalistin und Schriftstellerin Bertha Badt-Strauss 1958 in den USA über Drei unvergessliche Frauen und stellt in ihrem Artikel die letzte Goethe-Lektüre der ermordeten Freundinnen Hannah Karminski, Cora Berliner und der Schriftstellerin Martha Wertheimer in einen kritischen Zusammenhang mit den Entwicklungen deutscher bürgerlicher Kultur.53 Die drei Frauen hatten vielen Kindern und Jugendlichen zur Flucht aus Deutschland verholfen, bevor sie schließlich im Juni 1942 selbst Opfer faschistischer Rassenpolitik wurden. Bertha Badt-Strauss, die sich noch im August 1939 über London in die USA hatte retten können, erinnert ihre Leser  : »Hannahs Brief über ihren letzten Besuch bei Cora und Frau Fürst […]  : ›Sie sassen in der Sonne im Hofe und lasen Goethe›. – Am nächsten Tag kamen die Landsleute Goethes und holten die beiden Frauen in den Tod.«54

52 Bab, Julius  : Vita emigrationis, Julius Bab Archiv der Akademie der Künste Berlin, Mappe 11, MS S. 6 f. Vgl. dazu ebd., Bab, Elisabeth  : Aus zwei Jahrhunderten. Roslyn Heights 1960, S. 211, wo sie drauf hinweist, dass der Begebenheit darin sogar ein Gedicht gewidmet sei, das in dritter Strophe lautete  : »Kann es denn sein, daß diesen Namen hier / dies Land mir als sein erstes Denkmal boete  ? / Und doch  : sein großes Haupt blickt her zu mir / der Herr und Meister meiner Sprache – Goethe  !« Vgl. auch Bab, Julius  : Heimat in Goethe, in  : Über den Tag hinaus. Kritische Betrachtungen, ausgewählt und hg. von Harry Bergholz, Heidelberg 1960, S. 74–77. 53 Badt-Strauss, Bertha  : Drei unvergessliche Frauen, in  : Leo Baeck Institute Bulletin 1 (1958), S. 103–107, hier S. 107. 54 Ebd., S. 107.

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In welchen Zeiten leben wir  ? Ein Essay über Fremdenhass – Rassismus – Antisemitismus

Die Großwetterlage Die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation ADL (Anti-Defamation League) präsentierte 2014 eine erste weltumfassende, in 101 Ländern durchgeführte Umfrage zum Thema Antisemitismus  : Conducted in 101 countries and territories, the poll provided a rare glimpse of prevailing worldwide sentiments about Jews. Some results were expected. Others offered fresh insights  : 35% of people never heard of the Holocaust. 41% believe Jews are more loyal to Israel than their own country, and 74% of people in the Middle East and North Africa are anti-Semitic – the highest regional percentage in the world. Of the 26% of people who hold anti-Semitic views, 70% have never actually met a Jewish person.1

Es überrascht nicht, dass vor allem im Nahen Osten, Nordafrika und auch in Osteuropa solche Vorurteile allgegenwärtig sind, wo 74 Prozent der Bevölkerung antisemitische Ressentiments pflegen bzw. ihnen unterworfen sind. ADL hatte 4,1 Milliarden Menschen in einer repräsentativen Umfrage befragt und dabei nach den »klassischen« antisemitischen, schon von den Nationalsozialisten gebündelten Stereotypen gefragt  : Einfluss auf die Weltwirtschaft, auf Medien und die Politik, Verantwortlichkeit für Kriege, biologische Determiniertheit, Verhaltensweisen, Charakterzüge und Aussehen. Überraschend fielen die Umfrage-Ergebnisse aus, als es um die Einschätzung der Größe der jüdischen Weltbevölkerung ging – nur 16 Prozent trafen den richtigen Wert  : Denn nur 0,19 Prozent der Weltbevölkerung sind Juden und nicht bis zu 10 Prozent,

1

ADL  : Anti-Semitism Globally  : https://www.adl.org/what-we-do/anti-semitism/anti-semitismglobally (letzter Zugriff  : 6. Juli 2017). Vgl. den Bericht in den Salzburger Nachrichten vom 16. Mai 2014. Der vorliegende Beitrag ist die überarbeitete Fassung eines bisher unpublizierten Vortrags, den ich im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Kunst & Kultur im Konflikt« im Innsbrucker »Literaturhaus am Inn« im Mai 2014 gehalten habe.

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wie viele meinten.2 63 Prozent in den arabischen Staaten halten die Shoah für einen Mythos, immerhin 32 Prozent im Durchschnitt. Auch Österreich und Ungarn, wo die offen antisemitische und antiziganistische Jobbik-Partei ihr Unwesen treibt, haben ihre decouvrierenden Werte  : 52 Prozent unserer sogenannten »Landsleute« und 61 Prozent der Ungarn meinen, man spreche zu oft vom Holocaust, 50 Prozent allerdings haben noch nie etwas davon gehört. Die Studie zeigt auch etwas Bekanntes, aber ungern Wahrgenommenes  : Bildung schützt nicht vor Vorurteilen. Die angeblich gebildete Elite, vor allem in den arabischen Staaten, hält an den antisemitischen Vorurteilen fest und verbreitet sie autoritativ, mit Wahrheitsanspruch und medienwirksam. Die Studie spiegelt demnach ein Phänomen wider, das die Antisemitismus-Forschung gut kennt – »ein auf judeophoben Stereotypen basierendes Glaubens- und Weltdeutungssystem, das im kollektiven Bewusstsein der abendländischen Denk- und Gefühlsstrukturen verankert und im kommunikativen Gedächtnis durch seit Jahrhunderten reproduzierte Sprachgebrauchsmuster gespeichert ist. Die Inhalte dieses Systems sind nicht nur kognitiv, sondern maßgeblich auch emotional bestimmt.«3 Jean Améry, der Exilant und KZ-Überlebende, war ein präziser Beobachter antijüdischer und antisemitischer Phänomene nach Auschwitz. Nicht nur die »widernatürliche Kopulation zwischen Rechts und Links«4 eines neuen Antisemitismus im Gewande eines linken Anti-Zionismus konstatierte er5, sondern auch die Zähigkeit von Judenhass und antisemitischen Ressentiments und entsprechender gesellschaftlicher Praxis  :

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Im Jahre 1980 meinten 47 Prozent der Befragten, dass es in Österreich über 5 Prozent Juden gebe, 29 Prozent der Befragten meinten, es wären über 10 Prozent. Die Volkszählung 2011 ergab einen tatsächlichen Wert von 0,1 Prozent in Österreich. Albert Lichtblau kommentiert diese Werte folgendermaßen  : »Bei der Betrachtung der Statistiken ist […] auf einen Blick zu sehen, daß sich die jüdischen Gemeinden bis heute nicht vom Vernichtungsversuch der Nationalsozialisten erholen konnten.« Lichtblau, Albert  : Neubeginn und Rückbesinnung. Die Zweite Republik, in  : Wolfram, Herwig (Hg.), Österreichische Geschichte. Geschichte der Juden in Österreich, Wien 2006, S. 537–565, hier 539. Schwarz-Friesel, Monika  : Antisemitische Hass-Metaphorik. Die emotionale Dimension aktueller Judenfeindschaft, in  : Interventionen 6 (2015), S. 38–44, hier S. 38. Améry, Jean  : Die Zeit der Rehabilitierung. Das Dritte Reich und die geschichtliche Objektivität (1976), in  : Ders.: Werke. Band 7  : Aufsätze zur Politik und Zeitgeschichte, hg. von Stephan Steiner, Stuttgart 2005, S. 90–102, hier S.97. Vgl. Amérys zahlreiche Essays zum »Antizionismus als neuer Antisemitismus/Israel« (z.B. Der ehrbare Antisemitismus 1969, Die Linke und der ,Zionismus’ 1969, Juden, Linke – linke Juden. Ein politisches Problem ändert seine Konturen 1973, Der neue Antisemitismus 1976, Grenzen der Solidarität. Die Diaspora-Juden und Israel 1977), in  : Ebd., S. 131–207.



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Zu verlangen, es solle der Nationalsozialismus mit der gleichen emotionellen Gewalt wie in den Jahren, die dem Zweiten Weltkrieg unmittelbar folgten, als ein Skandalon empfunden werden, ist aussichtslos, wenn auch vielleicht nicht ganz so ungerechtfertigt. Es gibt zweifellos so etwas wie eine historische Entropie  : das geschichtliche »Wärmegefälle« verschwindet, ein ordnungsloses Gleichgewicht stellt sich her.6

Dazu kommt  – im Zeichen des politischen Islams und des weltweit zunehmenden islamistischen Terrors  – folgender Aspekt  : Der Sozialwissenschaftler Michael Ley hat 2014 in einem spectrum-Bericht (»Die Presse«) unter dem Titel »Homo, Jud und Christ« von einem zunehmend klarer werdenden, international verbreiteten Phänomen berichtet, das nicht zuletzt und insbesondere Juden/Jüdinnen und den (jüdischen) Staat Israel betrifft. Jüngste Zahlen einer empirischen Studie des Wissenschaftszentrums Berlin über islamistischen Fundamentalismus verweisen auf Erschreckendes  : Die Untersuchung, durchgeführt in sechs europäischen Ländern, ergab 55 Prozent »handfeste Judenfeinde«, gepaart mit dem islamistischen »Opfermythos«, dem selbstmörderisch in vielen Ländern fast tagtäglich Nahrung gespendet wird. »Der Westen« und damit das mit ihm verbündete Israel zielten für 45 Prozent der Befragten demnach auf die Zerstörung des Islams – ganz besonders junge Muslime sind davon überzeugt. Eine Art von manifestem Verfolgungswahn, geschürt von antijüdisch-antiisraelischen Politiken, ist am Werk. Besonders bemerkenswert ist auch ein anderes Ergebnis der Studie, wonach nur etwa 23 Prozent europäischer Christen diesen fundamentalistischen Islam, dessen Ziel es auch ist, den jüdischen Staat ins Meer zu werfen, als Gefahr betrachtet. Ley kommentiert diesen Befund zutreffend folgendermaßen  : In ihrem Kampf gegen die Moderne verbündeten sich die radikalen religiösen Kräfte [des Islams] mit der antimodernen totalitären Avantgarde Europas. Diese fundamentalen Kräfte schufen eine Symbiose von Totalitarismus und Islam. […] Diese Übereinstimmung zwischen nationalsozialistischen und islamistischen Vernichtungsfantasien ist kein Zufall.7

Die Studie belegt auch die weite Verbreitung der Ansicht, dass »die Juden« für die Französische Revolution verantwortlich gezeichnet hätten, für die bolschewistische Oktoberrevolution und den Ausbruch des Ersten und Zweiten Weltkrieges verantwortlich gewesen wären, die Weltherrschaft anstrebten, die USA nichts anderes wären als eine Marionette des Weltjudentums und die Vereinten 6 7

Ebd., S. 92 und 96. Ley, Michael  : Homo, Jud und Christ, in  : Die Presse (Spectrum), 3. Mai 2014.

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Nationen ein internationales, kosmopolitisches Instrument »zur Erlangung der globalen jüdischen Herrschaft«8. »Aufmerksame Zeitgenossenschaft« und diskurssensible sowie konnotationsbewusste Beobachtung sind also gefragt. Angesichts der skizzierten internationalen Dimension nehmen sich jüngste lokale und regionale österreichische Vorkommnisse auf dem Diskurs-Feld fast lächerlich, allerdings auch hämisch aus, sind sie doch konkreter und – aus der Sicht der Täter – sogar noch stolzer Ausdruck dieser globalen »normalen Wetterlage«. Elfriede Jelinek hatte schon anlässlich der österreichischen Republikfeier vom 12. November 1999 angesichts der Hetze gegen »Überfremdung, Umvolkung, Stigmatisierung des Fremden« von einer grassierenden Hoch-Zeit des Anti-Humanen, gewissermaßen von einem in- und exkludierenden Diskursgefängnis, gesprochen  : »Die anderen sind etwas anderes. Die nicht sind wie wir, die müssen weg. Jetzt wird alles anders. […] Ich bin doch Inländer  !«9 36 Prozent der eingefleischten »Österreicher« – es ist anzunehmen, dass sich darunter keine österreichischen Jüdinnen/ Juden befinden – meinen noch immer, dass der Nationalsozialismus auch »gute Seiten« hatte und 29 Prozent plädieren für einen »Führer«, so eine Umfrage des Sora-Instituts. Auch die Literatur widerspiegelt solche Verhältnisse schon seit geraumer Zeit auf differenzierte und in das Unterfutter einer Gesellschaft leuchtende Weise. Dies sollte natürlich auch ihre Aufgabe sein. In Vladimir Vertlibs Roman Schimons Schweigen (2012) – die Handlung spielt in den 1980er Jahren – müssen sich der russische jüdische Exilant und sein idealistischer zionistischer Vater alle möglichen Demütigungen durch einen nicht-jüdischen Wiener Immobilienmakler gefallen lassen, bevor die Familie über erpresserische »Beziehungen« philosemitischen Kalküls doch noch überraschend zu ihrem Recht kommt  : »In zwanzig Jahren würden die alten Kotzbrocken abgetreten sein […] Irgendwann wird das der Vergangenheit angehören, sagte ich mir. Irgendwann wird alles anders. Irgendwann wächst eine neue Generation heran, und auch ich werde in diesem Land ankommen.«10 Derartig Hoffnungsfrohes darf ein Autor nur seinem poetischen Ich des Jahres 1986 in den Mund legen, jedoch als in Österreich lebender, religionsferner, »säkularer« Jude wird er selbst eines Besseren belehrt. Vertlibs Essays und State­  8 Ebd.   9 Jelinek, Elfriede  : »Die Schranken fallen«. Rede bei der Kundgebung der Demokratischen Offensive am Stephansplatz am 12. November 1999, in  : Lehmann, Brigitte  ; Rabinovici, Doron  ; Summer, Sibylle (Hg.)  : Von der Kunst der Nestbeschmutzung. Dokumente gegen Ressentiment und Rassismus seit 1986, Wien 2009, S. 191 f. 10 Vertlib, Vladimir  : Schimons Schweigen, Wien 2012, S. 230.



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ments, die in dem Sammelband Ich und die Eingeborenen (2012)11 versammelt sind, geben etwas anderes, oft Beklemmendes preis, auch wenn in Österreich seit den 1980er Jahren gerade auf dem Gebiete der Gedenk- und Erinnerungskultur, mit Hilfe neuer gesetzlicher Bestimmungen und einer beharrlichen Aufbauarbeit für neues jüdisches Leben, im Bereich von Bildung, Sozial- und Zeitzeugenarbeit sehr viel geleistet wurde  : Man denke etwa an Rachel Whitereads Mahnmal für die jüdischen Opfer der Shoah auf dem Wiener Judenplatz, an den psychosozialen Dienst ESRA (seit 1994), die Gründung des Jüdischen Museums, die Einrichtung des »Nationalfonds der Republik Österreich«, das »Washingtoner Abkommen« (Restitutionsfonds 2011), das Kulturrückgabegesetz oder die aktuellen Bemühungen um ein »Haus der Verantwortung« in Hitlers Geburtshaus. Jüdinnen und Juden in Österreich seit 1945 Werfen wir einen Blick auf die Lage der Jüdinnen und Juden in den sich wandelnden gesellschaftlichen und geistigen Kontexten der postnazistischen Epoche, also nach der nationalsozialistischen Judenvernichtung. Dabei sei nur an einige wesentliche Phasen und Stationen erinnert, die das Leben und Bewusstsein, die vorherrschenden Orientierungen und das Verhalten von Jüdinnen/Juden in Österreich im Kontext des NS- Schattens nach 1945 mitprägten. Der Nebel der NS-Propaganda war nicht so einfach zu durchbrechen, wie der österreichische Zeithistoriker Ernst Hanisch festhält.12 Die steil ansteigende Wirtschaftskonjunktur zeitigte nicht nur den positiven Effekt, die Mehrheitsgesellschaft an die neue Demokratie zu binden, sondern blockierte jede tiefgreifende Gewissenserforschung. Die verantwortlichen Politiker der Zweiten Republik griffen selektiv die ihnen durch die Moskauer Deklaration (1943) an die Hand gegebene Möglichkeit auf, Österreich als erstes Opfer Hitler-Deutschlands darzustellen. Man konnte sich staatsoffiziell dementsprechend stilisieren  – nach innen und nach außen. Damit wurde der Anteil vieler Österreicherinnen und Österreicher an der NS-Bewegung, an der Auslöschung Österreichs, an den Kriegsverbrechen und am Holocaust in den Schatten gerückt oder konnte sogar geleugnet werden. Die über eine halbe Million zählenden ehemaligen NSDAP-Mitglieder konnten aus Gründen der staatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stabi11 Ders.: Ich und die Eingeborenen. Essays und Aufsätze (Wort Wechsel Bd. 18), Dresden 2012. 12 Vgl. Hanisch, Ernst  : Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert (Österreichische Geschichte 1890–1990), Wien 1994, S. 395–455. Hanisch spricht u. a. von »Rückbruch« und »Die langen Fünfziger Jahre«.

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lisierung weder als Wähler noch als Staatsbürger auf Dauer aus dem mühsam sich entwickelnden demokratischen Leben ausgeschaltet bleiben. Die Minderbelastetenamnestie von 1948 – mehr als 90 Prozent der Registrierten war davon betroffen  – und die Zulassung des VdU (des »Verbandes der Unabhängigen«, einer Sammelpartei von hauptsächlich ehemaligen Nationalsozialisten) zu den Nationalratswahlen waren insofern logische Schritte dieser Art von »Normalisierung«. Der beginnende Kalte Krieg ließ vor allem die latenten und verinnerlichten antibolschewistischen Haltungen wieder aufleben und den Faschismus als marginale Größe erscheinen, der gegen die »bolschewistisch-jüdische Weltverschwörung« einen angeblich gerechten Krieg entfacht hätte. Derartige Geschichtsfälschungen erlebten fröhliche Urständ’. Dazu kam, dass die katholische Kirche schnell Exkulpation erteilte. Nach dem Krieg konnte sich demnach eine sehr heterogene Koalition politischer Kräfte unter den Glassturz einer entlastenden Opfer-Theorie begeben, »zum kurzfristigen Wohle« des Staates Österreich, der Zweiten Republik Österreich. Die historische Wahrheit oder Fragen der Ethik und Moral spielten in diesem »Normalisierungsprozess« offenbar wenig bis keine Rolle, was allerdings die Dialektik der konfligierenden Kräfte langfristig nicht außer Kraft setzte – im Gegenteil. Aber so weitsichtig war nun die Politik freilich nicht. Ausgangspunkt der Entwicklung ist die erschütternde Tatsache, dass von den vor 1938 rund 200.000 österreichischen Jüdinnen und Juden am 31. Dezember 1945 insgesamt 3955 Menschen (ohne Displaced Persons) gelebt haben – Überlebende, KZ-Überlebende und Rückkehrer aus dem Ausland (also 1,9 Prozent von 200.000).13 Die Geschichtswissenschaft meint drei zeitlich benennbare Phasen sowie ein zusätzlich prägendes inhaltliches Element ausmachen zu können, um die historischen Bedingungen jüdischen Lebens in Österreich nach 1945 zureichend zu fassen, unter denen zugleich alle nur denkbaren Formen antijüdischen Ressentiments und antisemitischen Diskurses lesbar werden. Erstens  : Albert Lichtblau nennt als erste Phase das »Zusammenleben unter dem Vorzeichen von Österreichs Opferthese«14 unter dem für die österreichischen Juden dominierenden Zeichen bzw. (Selbst-)Appell »Assimilation trotz Schoah  – Bemühungen zur Aufrechterhaltung von Kontinuität.«15 Es sind die 13 Vgl. Lichtblau, Albert  : Neubeginn und Rückbesinnung. Die Zweite Republik, in  : Wolfram, Herwig (Hg.), Österreichische Geschichte. Geschichte der Juden in Österreich, S.  537–565, hier 538. 14 Ebd., S. 543 ff. 15 Embacher, Helga  : Jüdisches Leben nach der Schoah, in  : Botz, Gerhard/Oxaal, Ivar/Pollak, Michael/Scholz, Nina (Hg.)  : Eine zerstörte Kultur. Jüdisches leben und Antisemitismus in Wien seit dem 19. Jahrhundert. 2. neu bearb. und erw. Aufl., Wien 2002, S. 357–373, hier S. 360 ff.



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Jahre von 1945 bis in die 1980er Jahre  – eine Zeit des »Antisemitismus ohne Juden« oder gar – noch paradoxer – eines »Antisemitismus ohne Antisemiten«.16 Ich selbst, ein nicht-jüdischer Nachgeborener aus der Salzburger Provinz, gewissermaßen die Alpinausgabe des Österreichers, könnte nun vieles über die lastende Dumpfheit, das beharrliche und doch so eigenartig beredte Schweigen, die Geschichts- und Bewusstseinslosigkeit, vermittelt durch Familie und Höhere Schule, während dieser Phase erzählen – etwa über den Maturanten und Germanistik-Studenten, der noch 1971/72 nichts über jenes Zwangsarbeiter- und spätere Durchgangslager auch für jüdische Displaced Persons aus den KZs wusste, an dessen unmittelbarem Rand er als Kind aufgewachsen war. »Dort kann man nicht spielen, geh’ dort ja nicht hin«, sagte der Vater, der den Krieg als Zerstörung seiner Bildungshoffnungen und zugleich als männliches Abenteuer erlebt hatte und nichts von Ideologien, geschweige denn vom Judentum verstand. Nichts wusste ich von jenem Außenlager Mauthausens in jener Stadt, in der ich das Gymnasium besuchte – Ignoranz, Vertuschung, Verdrängen, Schuldgefühle und Schweigen. Zweitens  : Es handelt sich um die Zäsur Mitte der 1980er Jahre im Zuge der Debatten um die Dienstpflichterfüllung in der deutschen Wehrmacht für das NS-Regime bzw. um die Beteiligung an der Deportation griechischer Juden des österreichischen Bundespräsidenten-Kandidaten Kurt Waldheim (ÖVP-Mitglied, ehemaliger Außenminister und UNO-Generalsekretär)  : Die Opferthese wurde sukzessive und schließlich endgültig als Mythos, als politisch opportune Geschichtslüge entlarvt, aber »plötzlich« wagte sich der ohnehin immer schon latent vorhandene, jener offiziell bis dahin freilich nicht gesellschaftsfähige, wenn auch »am Stammtisch« sich zu Wort meldende und durchaus immer wieder – etwa in Form von Attentaten17 – handfest spürbare Antisemitismus hervor und wurde von einem salonfähig gewordenen Rassismus abgelöst, der »eine große Desillusionierung innerhalb der jüdischen Bevölkerung«18 auslöste. Dies 16 Marin, Bernd   : Antisemitismus ohne Antisemiten. Autoritäre Vorurteile und Feindbilder, Frank­furt a. M. 2000, S. 105-115. 17 In einigen Sammelbänden wurde dem Phänomen des Antisemitismus nachgegangen. Heinz P. Wassermann legte 2002 einen Band zum Thema »Antisemitismus in Österreich nach 1945« vor, in dem mehrere Autorinnen und Autoren verschiedene Felder untersucht haben, z.B. Antisemitismus gegenüber osteuropäischen Überlebenden des Holocaust, die Kreisky-Wiesenthal-Kontroverse, die österreichische Literaturwissenschaft in ihrem Umgang mit deutschsprachiger jüdischer Literatur, die Bereiche Sport und Ökologiebewegung, zur Rezeption antisemitischer Vorkommnisse der BRD in Österreich und in den Medien. In diesem Band listet Evelyn Adunka einige der aufschlussreichsten Fälle auf, die sich wie ein roter Faden durch die unmittelbare postnazistische Phase ziehen – Unbelehrbare aller staatstragenden Couleurs, keine glaubwürdig Gewandelte. Anne Betten und Konstanze Fliedl zeichnen gemeinsam mit Klaus Amann und Volker Kaukereit für den Band Judentum und Antisemitismus (Berlin 2003) verantwortlich. 18 Embacher  : Jüdisches Leben nach der Schoah, S. 371.

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geschah parallel zu einem Generationswechsel in der jüdischen Community, der ein ganz neues selbstbewusstes Auftreten junger Jüdinnen und Juden brachte. Ruth Beckermann beschreibt diesen Generationswechsel, auch und insbesondere die grundlegende geistige Veränderung, die damit einherging, aus der Perspektive einer aufgeklärten, linken österreichischen Jüdin, präzise  : Manche hatten sich voller Elan und Begeisterung in die österreichische Gesellschaft [nach 1945] integriert. Die Zeit um 1968 war günstig für vielerlei Illusionen gewesen. Die Allianz mit der neuen Linken schien tragfähig, war sie doch auf gemeinsamem Antifaschismus gegründet. In einem Akt, dessen Gewalt und Strenge uns imponierte, brachen unsere neuen Freunde mit ihren Nazi-Eltern, und wir waren voller Naivität bereit, uns akzeptiert und zuhause zu fühlen. Dabei merkten wir nicht, dass wir schon lange und schon wieder einen Teil von uns abspalteten. Wir verschwiegen nicht, dass wir Juden sind, wir sprachen nur nie davon.19

Ruth Beckermanns Sarkasmus liefert eine beeindruckende Analyse jener vorherrschenden Nachkriegsmentalität in Österreich, die in allen psychologischen Details Ausdruck einer kollektiven Bewusstseins- und Gefühlslage war.20 Beckermann spricht einige wichtige Prägefaktoren an – sowohl bei den sogenannten »Ehemaligen«, den inneren Emigrantinnen und Emigranten, den Neutralen und sogenannten Un-Politischen, aber auch, durchaus selbstkritisch, bei den Jüdinnen und Juden selbst, welcher Haltung und Orientierung auch immer. Die Bandbreite war erheblich  : ›Selbst-Hass›, Internalisierung antijüdischer Stereotypen, Diaspora-Judentum, Assimilierte, Zionisten, ›jüdische Österreicher›  : Die Juden mythisierten ihre eigene Geschichte, klammerten sich an die großen Musiker und Dichter, die das jüdische Wien hervorgebracht hat, und vergaßen die Schattenseiten von Emanzipation und Assimilation. Sie phantasierten sich zurück in das geschönte Vorgestern, ohne sich klarzumachen, dass es das Vorgestern war, das zum Gestern der nationalsozialistischen Verfolgung geführt hatte. Kaum fühlten sie sich als angesehene Bürger, vergaßen sie, dass sie auch nach dem »Zusammenbruch« des NSReichs keiner hier haben wollte. Sie schämten sich ihrer Vitalität, mit der sie aus dem Nichts eine neue Existenz aufbauen vermochten.21 19 Beckermann, Ruth  : Unzugehörig. Österreicher und Juden nach 1945, Wien 1989, S. 121  ; dies.: Illusionen und Kompromisse. Zur Identität der Wiener Juden nach der Schoah, in  : Eine zerstörte Kultur. Jüdisches Leben und Antisemitismus in Wien, S. 383–438. 20 Ebd., S. 385. 21 Ebd., S. 386. Sie denkt dabei u. a. an so unterschiedliche Repräsentanten wie Karl Farkas, Gerhard Bronner, Ernst Waldbrunn, Maxi Böhm, Friedrich Torberg , Hans Weigel oder Georg Kreisler.



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Die Folgen der sogenannten Waldheim-Debatte seien nach Beckermann insofern fassbar, als »der bisher als privates Leid ignorierte Holocaust endlich als öffentliches Unrecht anerkannt wurde […] Zeitgleich mit der geringen, doch spürbaren Veränderung des öffentlichen Diskurses wuchs die Bewegung, die Jörg Haider in jenem Jahr 1986 an sich gerissen hatte.«22 Drittens  : Das »neue jüdische Selbstbewusstsein, das sich auch im Nach-außen-Gehen von Kulturschaffenden wie den politisch engagierten Literaten Doron Rabinovici und Robert Schindel [u.v.a. KM] manifestierte«23 und, wie Helga Embacher bemerkt, zugleich das »Problem des Philosemitismus«24 und seiner Instrumentalisierungspotentiale, auch eines umtriebig selbstherrlichen, aber letztlich kalten oder auch kitschbeladenen Antifaschismus eröffnete, traf nicht nur auf den EU-Beitritt Österreichs des Jahres 1995, sodass österreichische judenfeindliche bis antisemitische Kontinuitäten europaweit sichtbarer wurden, sondern auch auf die »Wenderegierung« von ÖVP-FPÖ seit 2000. Letzteres war Anlass heftiger Proteste auch seitens der österreichischen Jüdinnen und Juden. Schon 1988 hatten sich zahlreiche Wiener Jüdinnen und Juden z.B. gegen ein sich als antifaschistisch präsentiertes künstlerisches Judenbild gewandt  : Alfred Hrdlickas »Straßen waschender Jude« im Kontext des im sogenannten »Bedenkjahr« 1988 errichteten »Mahnmals gegen Krieg und Faschismus« auf dem Wiener Albertina-Platz, das »nicht als Anklage, sondern als Perpetuierung der Demütigung in die Gegenwart«25 empfunden und verstanden wurde. Ruth Beckermanns zugespitzte, auch polemische Einschätzung dieser neuen Phase lautet  : Der offizielle verlogene antifaschistische Grundkonsens zerfiel zwar, ihn ersetzte jedoch keine universalistische, antinazistische Einstellung […] Seit der Wende in Österreich lässt sich beobachten, wie rasant sich eine Gesellschaft mit all ihren Widersprüchen in eine Art »Familie« verwandeln kann. Alle Parteien vereinten sich zum von der Regierung geforderten »nationalen Schulterschluss«. Auch Rot und Grün gingen in die Patriotismus-Falle.26

Viertens  : Dieser Aspekt grundiert die skizzierten historischen Phasen und auch die anhaltenden aktuellen Debatten  : Die Geschichte der österreichischen Ju22 23 24 25

Ebd., S. 389. Lichtblau  : Neubeginn und Rückbesinnung, S. 554. Embacher  : Jüdisches Leben nach der Schoah, S. 371. Patka, Marcus G.: Keine Heimat, keine Heimkehr. Die Remigration österreichischer Juden und ihre Haltung zum Nachkriegs-Österreich. Unpubl. Typoskript. 26 Beckermann  : Illusionen und Kompromisse, S. 391 f.

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den, aller Juden in der Diaspora, ist ohne die Berücksichtigung des Faktors des jüdischen Staates Israel nicht zu schreiben. Dabei spielt dieser Bezug eine sehr wichtige Rolle in der Dauer-Auseinandersetzung um Israel und seine Politik bzw. in den Auseinandersetzungen um das Diaspora-Judentum, eben auch das der österreichischen Juden, das von Kritikern ununterbrochen mit der Rolle des jüdischen Staates konfrontiert wird und damit Auswirkungen auf die Gefühlsund Bewusstseinslage der jüdischen sowie nicht-jüdischen Bevölkerung hat. Zwar spielt sich diese »intellektuelle und politische Debatte über den »neuen Antisemitismus« [im Gewande eines sich kritisch gebenden Antizionismus oder eben berechtigter Israelkritik, KM] im wesentlichen in Zeitschriften und Konferenzen« ab, verfehlt aber sicher nicht ihre Auswirkungen auf Bewusstsein und Denkweisen der Bevölkerung, wie der 1961 in Tel Aviv geborene und schon als kleines Kind nach Österreich gekommene Doron Rabinovici in dem von ihm mit herausgegebenen Sammelband Neuer Antisemitismus. Eine globale Debatte (2004) festhält.27 Einerseits geht es dabei um den hinter antiisraelischer Kritik sich verbergenden Antisemitismus, also um die Vermutung, dass »das Gesagte nicht das Gemeinte« ist, um den Vorwand, im Zuge der Kritik am jüdischen Staat »antisemitische Ideen und Gefühle zu artikulieren.« Andererseits ist Argwohn im Spiel, mit dem »Antisemitismusvorwurf« nur ein »Propagandainstrument im Dienste bestimmter jüdischer und israelischer Interessen« zu sein, um die »Kritik an Israels Politik gegenüber den Palästinensern [mit Hilfe der stärksten verfügbaren diskursiven Waffe, der Antisemitismuskeule, KM] zum Schweigen zu bringen.«28 Drei diskursive Felder, die in diesem Zusammenhang zur Debatte stehen, macht Rabinovici dabei aus  : »Die Auseinandersetzung darüber, wo legitime Kritik an israelischer Politik aufhört und eine antisemitisch motivierte Ablehnung der Existenz Israels beginnt« (Stichwort  : antizionistisch maskierter Antisemitismus versus Einschränkung von politischer und akademischer Meinungs- bzw. Forschungsfreiheit). Zweitens  : Die Frage nach dem Antisemitismus der Linken, d. h. der Kompatibilität von festen linken Überzeugungen, wie etwa Kritik an Kapitalismus und Globalisierung, an Imperialismus und US-Vorherrschaft, mit »antisemitischen Grundeinstellungen und Weltbildern«, sowie drittens »die Frage nach der Verbreitung des Antisemitismus in der islamischen Welt«, in die klassische Stereotypen des Judenhasses (z.B. jüdischer 27 Rabinovici, Doron/Speck, Ulrich/Sznaider, Nathan (Hg.)  : Neuer Antisemitismus. Eine globale Debatte, Frankfurt a. M. 2004. Vgl. auch die Studie zur österreichischen Linken  : Reiter, Margit  : Antisemitismus von links  ? Traditionen – Kontinuitäten – Ambivalenzen, in  : Wassermann, Heinz P. (Hg.)  : Antisemitismus in Österreich nach 1945. Ergebnisse, Positionen und Perspektiven der Forschung (Schriften des Centrums für Jüdische Studien 3), Innsbruck usw. 2002, S. 97–128. 28 Rabinovici/Speck/Sznaider (Hg.)  : Neuer Antisemitismus, S. 9.



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Ritualmord, Streben nach Weltherrschaft u. a.m.) aus Europa importiert wurden und »durch Immigration offenkundig wieder nach Europa zurück[fließen].«29 Einige literarische Beispiele Über die Literatur aus Österreich nach 1945 kann man als von einem überaus reichhaltigen »beharrlichen Gedächtnis der Zweiten Republik«30 sprechen  – und dies in verschiedensten Ausprägungen, unterschiedlichsten Zugängen und Perspektiven, aus der Feder verschiedener, aber doch vergleichbarer Identitäten und ihrer spezifischen lebensgeschichtlichen Erfahrungen und poetischen Herkünfte. Ich spreche hier nicht über Texte von Autorinnen und Autoren mit nicht-jüdischem Hintergrund (z.B. Ingeborg Bachmann, Thomas Bernhard, Peter Handke, Gerhard Roth, Elisabeth Reichart, Erich Hackl, Christoph Ransmayr, Karl-Markus Gauß, Martin Pollack, Robert Kleindienst, Ludwig Laher, Heimrad Bäcker), die sich verschiedener Facetten des jüdischen Themas und Schicksals oft in eigenständiger und paradigmatischer literarischer Weise ebenfalls angenommen haben. – Literatur der KZ-Überlebenden (z.B. Jean Amèry, Fred Wander, Ruth Klüger) und der Überlebenden der Terror-Herrschaft (z.B. Ilse Aichinger, Elfriede Gerstl)  ; – Literatur der österreichischen jüdischen Exil-Autorinnen und -Autoren (ca. 1600 Schreibende mussten ab 1938 das Land verlassen) unabhängig davon, ob sie nie mehr in ihre »Heimat« zurückkehrten, oder Rückkehrer sind, die nach 1945 Österreich überraschend als Lebensmittelpunkt wählten oder schließlich wieder das Land verließen (z.B. Alfredo Bauer, Paul Celan, Erich Fried, Theodor Kramer, Alfred Polgar, Friedrich Torberg, Stella Rotenberg, Berthold Viertel, Robert Neumann, Hilde Spiel, Ruth Klüger, Frederic Morton, Georg Kreisler, Hermann Hakel, Lily Körber, Mira Lobe, Albert Drach, Elias Canetti, Claudia Erdheim)  ; – Literatur der zum Judentum Konvertierten (z.B. Anna Mitgutsch)  ; – Literatur der z.B. in Russland, Israel oder in den USA geborenen jüdischen Immigranten nach Österreich der sogenannten zweiten Generation (z.B. Vladimir Vertlib, Doron Rabinovici, Peter Stephan Jungk)  ; 29 Ebd., S. 9 f. 30 Fliedl, Konstanze  : Einleitung, in  : Betten, Anne/Fliedl, Konstanze (Hg.)  : Judentum und Antisemitismus. Studien zur Literatur und Germanistik in Österreich. In Zusammenarb. mit Klaus Amann und Volker Kaukoreit (Philologische Studien und Quellen 176), Berlin 2003, S. 9–17, S. 16.

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– Literatur der in Österreich Geborenen und zum Teil hier Lebenden derselben Generation mit jüdischem Hintergrund (z.B. Robert Schindel, Robert Menasse, Eva Menasse, Ruth Beckermann, Claudia Erdheim, Elfriede Jelinek). Die heterogenen jüdischen Erfahrungen sind die je spezifischen Okulare für ihre Wahrnehmungen des Zivilisationsbruchs des Nationalsozialismus, den sie mit ihren individuellen poetischen Verfahrensweisen vermitteln – in unterschiedlichen Genres, mit jeweils speziellen Themen, Konflikt-Konstellationen und Schreibweisen/Stilistiken. Freilich, ihre Arbeiten lassen sich keineswegs auf die bloße Thematisierung »jüdische[r] Erfahrungen und jüdische[r] Ängste« 31 beschränken, aber es fällt auf, dass viele sich dem »Zakhor, dem Gebot der Erinnerung und den Fragen der Identität«32 widmen. Doron Rabinovici formuliert es so  : »Ihre Fragen gehen vom jüdischen Dasein aus, sie gehen darauf ein  ; gehen darüber hinaus.«33 Jüdische Autorinnen und Autoren lassen sich eben nicht auf die Thematisierung von Jüdischem beschränken. Allerdings  : Viele ihrer Texte beschäftigen sich mit der Judenvernichtung des 20. Jahrhunderts, ihrer Vorgeschichte und den Folgen  : Poetisch-analytische Durchforschungen – des Verlusts an »Weltvertrauen« angesichts der KZ-Erfahrungen, Analysen der Traumata durch Flucht, Shoah und Krieg  ; – der »Brüche zwischen ihnen (den AutorInnen) und der Überlieferung, zwischen ihrem Leben heute und jenem der Juden vor Auschwitz, zwischen ihnen und den Menschen des Landes, in dem sie aufwuchsen«  ; – der »Demarkationslinien unterschiedlicher Gefühlswelten, die sie von Österreichern und Deutschen trennen«  ;34 – autobiographischer (oder solcherart gefärbte) Erkundungen des eigenen Judentums und/oder jüdischer Familien-»Vergangenheiten«  ; – widersprüchlicher Panoramen der Gegenwart im Zeichen antijüdischen Ressentiments und antisemitischer Haltungen und philosemitischer Masken  ; – der Beschreibungen von Fremdheit und Außenseitertum, der Sehnsucht nach »Heimat« usw. – dies alles im »realistischen« bis surrealen Modus, chronikalisch, tagebuchmäßig, breit erzählerisch ausladend, oft nicht ohne (Selbst)-Ironie, Sarkasmus 31 Rabinovici, Doron  : Angeln aus christlicher Sicht oder Gibt es ein jüdisches Erzählen im Deutschen  ? In  : Hinderer, Walter/Holly, Claudia/Lunzer, Heinz/Seeber, Ursul (Hg.), Altes Land, neues Land. Verfolgung, Exil, biografisches Schreiben. Texte zum Erich Fried Symposium 1999 (Zirkular Sondernummer 56, Oktober 1999), Wien 1999, S. 65. 32 Ebd., S. 66. 33 Ebd., S. 68. 34 Ebd., S. 67.



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und Satire. »Die Autoren sind keine vereinheitlichte Schule des Denkens, des Ausdrucks und des Stils«35, schreibt Rabinovoci und trifft damit die Vielfalt der literarischen Verfahrensweisen. Einige Beispiele seien exemplarisch herausgegriffen  : Vladmir Vertlibs Am Morgen des zwölften Tages (2009) reflektiert in einer fulminanten Erzählung auf der Basis historischer Quellen36 eine vom NS-Regime initiierte »faschistische Perspektive für die Welt des Islam«  – »Halbmond und Hakenkreuz« mit seinen zeitübergreifenden Kontinuitäten nach dem 11. September 2001. Anna Mitgutsch geht es in ihren Romanen, in Beispielen äußerst sensibel gestalteter Prosa – insbesondere in Abschied von Jerusalem (1995), Haus der Kindheit (2000), Familienfest (2003) und auch Wenn Du wiederkommst (2010) – um jüdische Fremdheits- und Außenseiter-Erfahrungen zwischen jüdisch-amerikanischer und jüdisch-österreichischer Wirklichkeit, aber auch um innerjüdische Konflikte anhand außergewöhnlicher Individuen. Bei Mitgutsch handelt es sich um die Darstellung von »Enteignung und Sehnsucht nach Behaustheit«37, wie sie in einer ihrer Grazer Poetikvorlesungen sagt. Mit Imre Kertèsz und auch mit Ilse Aichinger weiß sie um die prinzipielle »Vorbedingung des Schreibens«, nicht nur in einer Diktatur, nämlich »Sprachskepsis und Misstrauen gegenüber vorgegebenen Begriffen.«38 Sie weiß um die Kraft insbesondere von »Leidensdruck und Sehnsüchte[n], die zu Lebensthemen und zum unbewußten Motor«39 der künstlerischen Arbeit werden, indem sie den Fokus auf »jedes einzelne Bewusstsein« lenkt, und zwar als ein »einzigartiges, in der gesamten Geschichte der Menschheit noch nie dagewesenes und unwiederholbares Universum von Bildern, Sätzen, Erfahrungen, akustischen, visuellen, ideellen Erinnerungen, Gedanken, über Zeiträume fortgesponnen, von Erschütterungen, Traumata und gespeicherten Glücksmomenten«40 Dabei aber sei nach Mitgutsch immer auch der jeweils konkrete historische Bezug herzustellen, denn »je besser es einem 35 Ebd., S. 63. 36 Vgl. Gensicke, Klaus  : Der Mufti von Jerusalem und die Nationalsozialisten. Eine politische Biographie Amin-el-Husseins, Darmstadt 2007  ; Mallmann, Klaus-Michael/Cüppers, Martin  : Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina, Darmstadt 2006. 37 Mitgutsch, Anna  : Exkurs  : Romananfänge, in  : Erinnern und Erfinden 1989/99, S. 156. 38 Mitgutsch, Anna  : Die Grenzen der Integrität. Überlegungen zur Situation der Künstler und Schriftsteller in totalitären Diktaturen, in  : dies.: Die Welt, die Rätsel bleibt. Essays. München 2013, S. 199–230, hier S. 223. 39 Ebd., S. 227. 40 Mitgutsch, Anna  : Das autobiographische Ich im literarischen Text, in  : Hinderer, Walter u. a. (Hg.)  : Altes Land, neues Land. Verfolgung, Exil, biografisches Schreiben. Texte zum Erich Fried Symposium 1999, Wien 1999, S. 54.

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gelingt, die konkrete Darstellung einer Situation oder einer Erfahrung auf ihren historischen, politischen Hintergrund transparent zu machen, desto mehr Welt enthält es und desto mehr Allgemeingültigkeit kann es für sich in Anspruch nehmen.«41 Auch die Romane, Essays und die wissenschaftliche Prosa von Robert Schindel (Gebürtig 1992, Der Kalte 2013), von Robert Menasse (z.B. Selige Zeiten, brüchige Welt 1991, Dummheit ist machbar 1999, Erklär mir Österreich 2000 und Das war Österreich 2005), von Eva Menasse (z.B. Vienna 2005), Doron Rabinovici (z.B. Suche nach M. 1997, Instanzen der Ohnmacht. Wien 1938–1945. Der Weg zum Judenrat 2000, Ohnehin 2004) und die filmischen und essayistischen Arbeiten von Ruth Beckermann (z.B. Wien retour 1983, Die Mazzesinsel 1984, Die papierene Brücke 1987, Nach Jerusalem 1990, Jenseits des Krieges 1996) haben Anteil an den erwähnten Themenstellungen und jüdischen Aspekten. Fragt man nach den Quellen der schöpferischen Kraft, die die Autorinnen und Autoren bewegt, so führen viele ihr je spezifisches Verhältnis zu verschiedenen Ausprägungen des Judentums ins Treffen. Robert Schindel hat in einem Vortrag über sich als Jude, als Österreicher, als Wiener und über seine Identität als Schreibender Exemplarisches gesagt. Viele aus seiner Generation dürften ihm in den Kernaussagen zustimmen, die unsere Sensibilität für die Notwendigkeit erhöhen möge, der Gefahr des »Wärmegefälles«, vor dem Jean Améry so eindringlich warnte, entgegenzutreten. Viele sind sich einig  : Weder blindes Engagement noch plattes Moralisieren, sondern misstrauisches Anschreiben gegen den »Zeitgeist« sei die Aufgabe ihrer Generation  : Ich, der Übriggebliebene, weg von den Übriggebliebenen und hinein ins Österreichische  ? Ein Wiener unter Wienern, dem diese Wiener allerdings ins Gesicht schauen und fragen  : Na, du alter Hebräer. Hut ab, wie deine Israeli mit den Arabern umspringen  ?  ! Hut auf  ! So geht das nicht. […] Aber was verbindet mich mit meinen beleidigten, gequälten, deportierten, vergasten und erschossenen Vorfahren, von denen ich nicht einmal ein Bild habe  ? Nichts als eine phantastische, pränative Erinnerung bleibt mir, ein stumm tickendes kulturhistorisches Gedächtnis, welches vorerst wohl eher in der Brust als im Kopf sitzt. Es ist das Zerrissene, das in den Boden Gestampfte, das mich mit meinen Vorfahren verbindet. Die Baßgeige des Juden am Pruth  ? […] Wenn wir uns anschauen, wissen wir  : Auch du  ? Wenn wir reden, wissen wir  : Kein Antisemit, ein Mensch mit Gedächtnis. Das ist nicht eben häufig in Österreich. Hier habe ich eine Kategorie des Judentums angedeutet, die für meinesgleichen entscheidend ist  : die Erin41 Mitgutsch, Anna  : Die Grenzen der Integrität. Überlegungen zur Situation der Künstler und Schriftsteller in totalitären Diktaturen, in  : dies.: Die Welt, die Rätsel bleibt, S. 199–230, hier S. 226.



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nerung. […] Hier setze ich die Kategorie des Widerstands an. Judentum als Widerstand, das ist nicht das bloße Judesein gegenüber dem Antisemitismus. […] Judentum als Widerstand  : Ist das nicht die Seele des Judentums selbst  ? […] Ist nicht das Judentum als Widerstand 1. die Erinnerung an die Traditionen, die da auch und vor allem sind  : Humanismus, Toleranz, Emanzipation, soziales Engagement […] 2. der Zusammenschluß mit den Beleidigten, Verjagten, Vernichteten, und damit die schöpferische Wiederaneignung der eigenen Wurzeln  ? […] Die Tradition der Aufklärung ist […] nicht vom Tisch  ; ganz im Gegenteil. Aber das allein ist wohl noch nichts speziell Jüdisches, sondern, wie ich hoffe, das Lebensinteresse aller Menschen, die für einen bewohnbaren Planeten etwas wagen wollen.«42

42 Schindel, Robert  : Judentum als Erinnerung und Widerstand, in  : ders.: Gott schütz uns vor den guten Menschen. Jüdisches Gedächtnis – Auskunftsbüro der Angst, Frankfurt a. M. 1995, S. 29–34 (Vortrag vom 17. November 1984 in Ljubljana). Fred Wander, der KZ-Überlebende und Verfasser eines so bewegenden Buches wie Der siebente Brunnen, hat in seinem Essay Wie ich mich als Jude sehe geschrieben  : »Ein Jude zu sein, ist eine Fügung, die mir viele Jahre der Verlassenheit, des Schreckens und der Not beschert hat, aber auch ein gewisses Maß an Erkenntnis über diese Welt. […] Ich suche nicht das Judentum, ich bin darin aufgehoben. Mein Judentum bedeutet mir nicht viel mehr, als ein Mensch zu sein, der in dieser Welt als Fremder gezeichnet ist und in der Verstreuung lebt.« (Wie ich mich als Jude sehe, in  : Altes Land, neues Land, S. 127).

Tuvia Ruebner

Fragmentarisch-Vollkommen Haikus 2016 Über das Schreiben

Genug des Schreibens. Bin müd davon. Kommt da ein Haiku und sagt  : Nein  ! * Das Schreiben hält mich am Leben. Metaphorisch. War doch kein Unsinn. * Heute Gedichte schreiben ist wie der Strohhalm an dem du Halt suchst. * Unerträglich. Und doch ertrag ich es und schreib das sogar auf. * Ich lebe nicht was ich schreibe. Ich schreib als wär ich was ich schreibe. *

Die Sprache hält wach. Hörst du sie rauschen, siehst du die Worte in dir  ? * Meine Haiku sind kaum echte Haiku. Unruh statt Gelassenheit. * Der Mandelbaum blüht. Ich schreib das alles nieder. Ach, warum wieder. * Die bösen Worte lassen sich gut schreiben. Und vermögen manches. * Es gibt in unsern Schriften Unausstehliches und lernbar Weises. *

Kommentar von Hans Otto Horch Der israelische Dichter Tuvia Ruebner stand kurz vor seinem 93. Geburtstag, als er mir am 27. November 2016 mitteilte  : »Solange der Kopf hell ist (ich schreibe Haiku  : der Zwang von 17 Silben spornt an), möchte ich weitermachen.« Eine kleine Auswahl dieser gut 70 Haikus ‒ unter dem Motto des Schreibens ‒ ist sein Beitrag zu dieser Festschrift. Acht Jahrzehnte, über alle Brüche und Umbrüche seines Lebens hinweg, hat Ruebner sich die Liebe zu lyrischem Ausdruck und zur Literatur bewahrt. Geboren am 30. Januar 1924 in Bratislava/Preßburg, wuchs er deutschsprachig auf, was für viele bürgerliche jüdische Familien der Slowakei selbstverständlich war.

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Als einzigem seiner Familie gelang ihm 1941 ‒ zusammen mit einer kleinen Gruppe aus der zionistischen Jugendbewegung ‒ die Flucht aus der von einer nazihörigen Regierung beherrschten Slowakei  : über Ungarn, Rumänien, die Türkei, Syrien und den Libanon führte ihn sein Weg nach Palästina/Israel, wo er bis heute mit seiner Frau, der Pianistin Galila Ruebner, lebt. Bereits als Junge hatte er keinen anderen Wunsch, als ein Dichter zu sein ‒ welchen Brotberuf er sonst ausüben sollte, war für ihn zweitrangig. Er brachte deutsche Gedichte mit in die neue Heimat und schrieb unaufhörlich weiter, bald gefördert von zwei der namhaftesten deutschsprachigen Dichter in Israel, Ludwig Strauß und Werner Kraft. Strauß gab ihm dann die Anregung, wie er selbst neben der deutschen auch die hebräische Sprache als Ausdrucksmedium seiner Dichtung zu nutzen. Seit dem Tod von Strauß 1953 dichtete Ruebner fast ausschließlich in Ivrit. Er selbst deutet den Wechsel von der deutschen zur hebräischen Sprache als lebensnotwendig im ganz wörtlichen Sinn  : Ich schrieb in einer Sprache, die ich kaum mehr sprach. Sie war mein Zuhause. In ihr sprach ich weiterfort mit meinen Eltern, mit meiner Schwester, mit den Großeltern, Verwandten, Freunden der Jugend, die alle kein Grab besitzen. Dann wollte ich nicht mehr in meinem, wie ich meinte, »eigentlichen« Leben, in den Gedichten, in der Vergangenheit sein, auch wenn sie unvergangen war. Nicht um sie zu bewältigen – das ist sowohl unmöglich als unerlaubt –, sondern um mit ihr  : zu leben. Ich begann hebräisch zu schreiben, ausschließlich […]1

In seinem Erinnerungsbuch Ein langes kurzes Leben hat Tuvia Ruebner die Bedeutung des Schreibens vor dem Hintergrund der tragischen Geschichte seiner Familie so formuliert  : Das Dichten schien mich damals [während der ersten Jahre in Merchavia] zu meiner Existenz zu berechtigen, sicher war auch Geltungsbedürfnis dabei, eher abstrakt als konkret, aber vor allem mir Halt gebend in der Welt, in der ich jeden anderen Halt verloren hatte.2

Eine Anzahl der frühen deutschen Gedichte kam erst 1995 unter dem Titel Granatapfel im Aachener Rimbaud Verlag heraus, in dem seitdem das deutschsprachige Werk erscheint. Tuvia Ruebner, der zunächst an einer örtlichen Mit1

Ruebner, Tuvia  : Wüstenginster. Ins Deutsche übertragen von Efrat Gal-Ed und Christoph Meckel, München/Zürich 1990, S. 66 f. 2 Ders.: Ein langes kurzes Leben. Von Preßburg nach Merchavia, 2. umgearb. u. durch einen Bildteil erg. Aufl. 2014, S. 49 (zuerst Aachen 2004).



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telschule Literatur unterrichtete, später im Lehrerseminar und schließlich an den Universitäten Tel Aviv und Haifa, veröffentlichte in Israel seit 1957 zahlreiche Gedichtbände  ; er schrieb Aufsätze und Essays zu Fragen moderner Poetik  ; er übersetzte u. a. Goethe, Tieck, Friedrich Schlegel und Kafka ins Hebräische und schrieb über sie Essays  ; und er übertrug Werke von Dan Pagis und Samuel Josef Agnon ins Deutsche, zuletzt dessen großen unvollendeten Roman Schira, der 1998 im Jüdischen Verlag erschienen ist. Gedichte von Tuvia Ruebner erschienen deutsch zunächst in der Zeitschrift »Akzente«, später auch in den »Horen«  ; 1990 kam bei Piper der Band Wüstenginster heraus, übersetzt von Christoph Meckel und Efrath Gal-Ed. Seitdem erschienen bei Rimbaud weitere Gedichtbände  : 1998 Rauchvögel, 1999 Stein will fließen, 2000 Zypressenlicht, 2007 Wer hält diese Eile aus, 2010 Spätes Lob der Schönheit, 2011 Lichtschatten, 2014 Wunderbarer Wahn, 2016 Im halben Licht. Viele der hebräischen Gedichte übertrug der Autor selbst ins Deutsche, und umgekehrt deutsche Gedichte ins Hebräische. Für sein lyrisches Werk erhielt Ruebner u. a. 1994 den Christian-Wagner-Preis, 1999 den Jeannette-Schocken-Preis, 2002 den slowakischen Ján Smirek-Preis, 2008 den Israel-Preis sowie den Theodor-Kramer-Preis, 2012 den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung, für die Übersetzung von Schira 1999 den Paul-Celan-Preis für literarische Übersetzung der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung, deren Mitglied Ruebner seit 1992 ist. Bereits in den frühen deutschen Gedichten wird das Grundmotiv deutlich, das Ruebners gesamtes Schaffen bestimmt  : »Sehnsucht und Sprache und Nacht der Toten«. Diese Zeile steht am Ende eines Gedichts, das im Granatapfel ‒ so die Überschrift ‒ das tiefere Geheimnis des Lebens nach Auschwitz erkennt  : So spiegelt klar und liegt in ergriffner Hand Geheimnis kalter Flamme und stummen Seins. Und tiefer fühl ich und begreife Sehnsucht und Sprache und Nacht der Toten.3

Die unauflösliche Verbindung von Sprache, Sehnsucht und Tod ist auch ein tragendes Motiv der Haikus. Ruebner handhabt die Form wie die meisten europäischen Autoren frei, anders als die strengeren Moren im Japanischen fügen sich die Silben der deutschen Sprache leichter dem quantifizierenden Gesetz. Die thematische Bandbreite reicht vom erinnernden Leben mit der ermordeten Familie, mit dem verschollenen Sohn Moran, mit Freunden und Weggefährten eines »langen, kurzen Lebens« über Fragen gesellschaftlichen Zusammenlebens, von Krieg und Frieden, von Judentum und Antisemitismus, von Schönheit und 3

Granatapfel. Frühe Gedichte. Mit einem Nachwort von Hans Otto Horch, Aachen 1995, S. 18.

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Tuvia Ruebner

Grausamkeit bis hin zu Gott und den Fragen nach dem Sinn des Lebens. In den zehn ausgewählten Haikus wird der enge Zusammenhang von Sprache, Schrift und Schreiben mit den Grundthemen der Dichtung Tuvia Ruebners sinnfällig. Sie bedürfen keiner Interpretation, sondern erklären sich in ihrer schnörkellosen Klarheit selbst. In ihrer Unruhe freilich dementieren sie ein Prinzip der Form, die Gelassenheit verspricht. Aber wie sollte dies angesichts der Weltlage seit Tuvia Ruebners Geburt überhaupt möglich sein  ?

TEIL 2  : WEGWEISER UND GRENZGÄNGER

Ruth Klüger

Heine’s Last Poems The long illness of Heine’s last years inspired him to compose a body of poetry about dying that was so intimate in expression of physical pain and mental anguish that it seemed outrageous to his contemporaries who could only see the unvarnished biographical aspect. In editions of his work these poems are interspersed with other themes, but I am referring here only to those that deal unequivocally with death and dying. They break new ground in giving a lyrical voice to the agonies at the end of life, and they are far more explicit than Dylan Thomas in our own time with his  : “Do not go gentle into that good night / Old age (in Heine’s case fatal illness) should rage and grieve at close of day.” Heine went beyond rage and grief and cursed and desired and was done with pretty phrases and soothing metaphors. A motto for these poems might be his twoliner  : “Mein Leib liegt tot im Grab, jedoch / Mein Geist er ist lebendig noch.” We all know that he called his condition his “Matratzengruft”. Here was a man who for several years languished in a room in which his own mortality stank to high heaven (literally), with a wound on his back that was artificially kept open so that pain killers could be administered, and a continuing paralysis that made him feel as if someone was sucking the sap out of his spine (his words) and that finally made it impossible for his eyes to stay open of their own accord, so that he had to use his fingers to raise his lids. His muscles shrank to the extent that he had to be carried like a small child, and he became totally dependent on others. “Es schmilzt das Fleisch von meinen armen Rippen”, as he put it. At the same time, he kept working, he kept writing, he kept up his sense of humor and his particular, unmistakable sentimentally satirical style. We don’t know for sure what he was suffering from. Jeffrey Sammons comments in his Heine biography, how it’s only 150 years ago, and yet medical knowledge was so primitive by our present standards that even famous cases, like that of Heine, are shrouded in speculation. He himself of course thought that he was suffering from syphilis, but syphilis in the last stages usually affects the brain (think of Nietzsche) and Heine stayed mentally wide awake to the end, so this self-diagnosis is unlikely. More likely that he died of an obscure bone disease. In any case, he had never enjoyed good health. Now usually when people suffer from an incurable, disabling disease and keep mentally active and working, we tend to admire them. We speak of the heroism of doomed cancer patients. Yet in the case of Heine, the world’s sympathy has

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been limited. That is because much of his last work is informed by resentment, and resentment, according to conventional wisdom, is a sign of bad character. But in our own time the torture victim Jean Améry elevated resentment to a basic principle of his writing and showed the role that it can play in our ability to cope with adversity. Heine was arguably the first poet who made resentment unabashedly central to his suffering. These late poems explore both the emotions and the reasoning  – that is, the heart and the mind  – of a deep dissatisfaction with what nature and your fellow men can dish out for you. He wrote poems that shock and, precisely because they were powerful, were pushed aside as an embarrassment. A famous example is Vermächtnis (first line  : “Nun mein Leben geht zu End”), where the sick poet makes his will and leaves his various disabilities to his enemies. He names his “Gebresten” and his “Beschwerden” in no uncertain terms, including hemorrhoids and urinary problems. (This is some ninety years before Günther Eich will choose a latrine as his locus amoebus and will rhyme “Urin” with “Hölderlin”.) Here is Heine in 1850 writing in the poem Vermächtnis  : “Meine Krämpfe sollt ihr haben, / Speichelfluß und Gliederzucken, / Knochendarre in dem Rucken, / Lauter schöne Gottesgaben.” Of course this is offensive, backbiting and envious and blasphemous as well. Readers often feel that he isn’t a nice man. But he is describing his own symptoms while “wishing” them on others and he avoids self-pity by turning it into rage. He presents a plausible, if negative, portrait of a dying man who doesn’t want to die. Rage was answered with the outrage of his critics, starting with his contemporaries. A Jewish publication wrote that the poem Vermächtnis was “ein Ausbruch von Wuth, der an Gemeinheit und Niederträchtigkeit Alles hinter sich läßt”, and Christian publications weren’t any kinder. It took his mother to understand that the poem was mainly about suffering. She writes in a letter to him  : “daß Testament [i.e. the poem Vermächtnis] hätte ich weg gewunschen, den einestheil hat es mich traurig gestimt, weil ich daraus Deine viele Leiden ersehen habe, andertheils ist es ein bischen viel boßhaft, obgleich ich weis daß Du es nicht so schlim meinst…” What follows are three poems as examples of the manner and method he chose to express impotence and suffering. I have deliberately selected poems that are not among his best known work and that illustrate three aspects or themes which I want to highlight  : the eroticism of the impotent, the homesickness of the exile and thirdly envy of those who will outlive the speaker. The first one deals with homesickness, the easiest of three. There had been a repeated sense in Heine’s work that a man has a right to die where he was born. He had asked in earlier poems  : “Wo wird einst des Wandermüden / Letzte Ruhestätte sein  ?”, but these earlier ones lack the immediacy of approaching extinction and find a calming, essentially romantic comfort from natural surroundings. The poem Sterbende is different. Notice the plural, there are two of them, or perhaps not  ?



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Sterbende Flogest aus nach Sonn’ und Glück, Nackt und schlecht kommst du zurück. Deutsche Treue, deutsche Hemde, Die verschleißt man in der Fremde. Siehst sehr sterbebläßlich aus, Doch getrost, du bist zu Haus. Warm wie an dem Flackerherde Liegt man in der deutschen Erde. Mancher leider wurde lahm Und nicht mehr nach Hause kam – Streckt verlangend aus die Arme, Daß der Herr sich sein erbarme  !

Matthew Arnold was probably more responsible than anyone for Heine’s high reputation in the Anglo-Saxon literary world – much higher than it was to be in Germany until relatively recent times. Arnold, writing in the eighteen-sixties, the decade after Heine’s death, singled out two lines from the poem Sterbende to compare favorably with some French verse which, by contrast, he considered stilted and artificial. The lines he liked, “in which one’s soul can take pleasure,” as he put it, are  : Siehst sehr sterbebläßlich aus, Doch getrost, du bist zu Haus.

Arnold uses the word “comfort” in discussing these verses because their folksy simplicity expresses the comfort of him who can die at home. But we are dealing here with two dying men, though they may be flip sides of the same persona. The warm, comfortable “Flackerherd” in Germany is after all the grave (“deutsche Erde”). Moreover, something seems to have happened to the homecomer’s sense of patriotism (“deutsche Treue”) which went the way of his old shirts. Thus, the choice between home and exile is not entirely clear-cut, and yet, there is this word “getrost”, which lingers longer than the irony of the worn-out shirt and the conventional fireside. Yes, he is better off than the other dying man who is lame and full of longing and doomed to die in exile. And if the two should be the same, then the poem asks an existential question in its unpretentious way  : “How and where should a man die  ?”

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There are two women who dominate Heine’s late poetry as they dominated his last years. One is Elise Krinitz, who used the pen name Camille Selden and whom he called the “Mouche,” with whom he could talk to his heart’s content about poetry and things of the mind and who helped him pass the time. In the poem Der Abgekühlte he tackles the erotic phantasies of a male who knows that he has lost a good deal of his virility but not his desires. There he writes  : “Noch einmal möcht ich vor dem Sterben / Um Frauenhuld beseligt werden” – but he knows he is not up to the “Tumult der Leidenschaft.” Contemporaries found this aspect of Heine’s late lyrics particularly indecent and off-putting. One reviewer in Germany wrote  : “Nur höchst widerlich ist die Weise, wie er [Heine] manchmal bedauert und beklagt, daß er diesen und jenen Genuß, zu dem er jetzt nicht mehr fähig, sich in seinem frühern Leben habe entgehen lassen, so wie die wüste Lust, mit der er im Schmutz dieser Erde wühlt.” For Heine it was imperative to make it clear that his famous final friendship was with a labile woman who had her own physical and mental problems and to show his readers that deathbed thoughts involve not only the life of the mind but a keen desire for physical gratification which are part of that vanishing life. Worte  ! Worte  ! keine Taten  ! Niemals Fleisch, geliebte Puppe, Immer Geist und keinen Braten, Keine Knödel in der Suppe.

While these lines are down-to-earth, in other context there is the opposite, when he universalizes his laments by ironically interchanging his and his wife’s first names with the names of Greek gods and goddesses and addressing his beloved last visitor as a lotus flower. In the following poem he comes to terms with this unfulfilled and yet intensely romantic relationship. An die Mouche Wahrhaftig, wir beide bilden Ein kurioses Paar, Die Liebste ist schwach auf den Beinen, Der Liebhaber lahm sogar. Sie ist ein leidendes Kätzchen, Und er ist krank wie ein Hund, Ich glaube, im Kopfe sind beide Nicht sonderlich gesund.



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Vertraut sind ihre Seelen, Doch jedem von beiden bleibt fremd Was bei dem andern befindlich Wohl zwischen Seel und Hemd. Sie sei eine Lotosblume, Bildet die Liebste sich ein  ; Doch er, der blasse Geselle, Vermeint der Mond zu sein. Die Lotosblume erschließet Ihr Kelchlein im Mondenlicht, Doch statt des befruchtenden Lebens Empfängt sie nur ein Gedicht.

The significant lines are the last ones  : “statt des befruchtenden Lebens / Empfängt sie nur ein Gedicht.” (Never mind that the last thing Elise Krinitz could have used at this time in her life was a pregnancy or that Heine never fathered a child, as far as we know.) “Lotosblume und Mond” are familiar to readers of the Buch der Lieder, especially the famous poem “Die Lotosblume ängstigt / Sich vor der Sonne Pracht,” which continues  : “Der Mond, der ist ihr Buhle”. (By some quirk of language, not known in the other major languages, the moon’s gender in German is masculine while the sun is feminine, which leads to some unusual poetic personifications.) What he and Elise Krinitz have in common in place of physical union is of dubious value, merely romantic phantasies about flowers and moonlight. The poet’s verdict on such conceits is  : “Ich glaube im Kopfe sind beide / Nicht sonderlich gesund” (second stanza). These verses are so explicit in their longing for a healthy sex life as the core of an overall healthy state that no Victorian mother could allow her unmarried daughter to read them. With his explicit desires and resentments Heine stands at the beginning of an age which will sink ever deeper into a morass of hypocrisy with regard to bodily functions. At the same time it is the age of a new Realism that began to flourish in France and was often quite unvarnished. I think it is possible that he would not have written his late and “offensive” verse if he had lived in a Germany that was becoming ever more dishonest about sex and sexual phantasies and whose aging poets would prefer to cloak their old-man eroticism in lines like these in a much admired poem by the elderly Theodor Storm  : “Noch einmal fällt in meinen Schoß / Die rote Rose Leidenschaft. / Noch einmal hab ich schwärmerisch / In Mädchenaugen mich vergafft. / Noch einmal legt ein junges Herz / An meinen seinen starken Schlag / Noch einmal weht an meine

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Stirn / Ein juniheißer Sommertag.” Storm’s unexceptionable images and jubilant metaphors fit into the Victorian canon, and their skillful hints allow the reader to avoid picturing an old man screwing a young woman. The most important of his last relationships and, I’d argue, the most ambivalent one as well, was with his French wife, his intellectual inferior and his care giver who made it possible for him to continue to exist. He had a way of appropriating his women by changing their names, and so he called his wife by a name not her own, Mathilde, as he gave Elise the nickname Mouche (Mouche is not all that flattering, if you look at the role of flies in the last stanza of Babylonische Sorgen, see below). Mathilde was outrageously healthy and was to survive him by many years. How could he not have envied her, watching her getting fatter as he was getting thinner, blossoming, as he was wilting  ? I suggest that the irony with which he treats her is in fact turned against himself, deliberately exposing an element of insincerity in the dying husband who envisions his wife after his death. There is, for example the poem Gedächtnisfeier that starts “Keine Messe wird man singen, / Keinen Kaddosh wird man sagen”, where Mathilde, the only one to remember him, visits his grave. But how sincere will her grief be  ? There is the inimitable term “Feuchte Wehmut in den Blicken”, suggesting that she stays within the conventional limits to mourning. She gets tired because of her weight (it’s the weight of life and health). Since the day is warm the poet suggests that she take a carriage at the corner  : “Süßes, dickes Kind […] An dem Barrière-Gitter / Siehst du die Fiaker stehen.” The poet evokes a normal day in the life of a bourgeois widow, and the contrast reflects on the rueful beginning of the poem, where he had implied that he belongs to neither the Jewish nor the Christian community. He is the one who is disadvantaged, she is the one who is well off, cushioned in every sense. It is her irrepressible vitality, exhibited in her sentimental sweetness and her provocative body that produces the speaker’s jealousy, his irony, his plain envy. But the author, the poet, we may assume, knew what he was writing about, and it was about more than the simple emotions of his wife but rather about the complexity of his own drawn-out death. In the next poem the universal implications of their relationship become explicit. Babylonische Sorgen Mich ruft der Tod – Ich wollt, o Süße, Daß ich dich in einem Wald verließe, In einem jener Tannenforsten, Wo Wölfe heulen, Geier horsten Und schrecklich grunzt die wilde Sau, Des blonden Ebers Ehefrau.



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Mich ruft der Tod – Es wär noch besser, Müßt ich auf hohem Seegewässer Verlassen dich, mein Weib, mein Kind, Wenngleich der tolle Nordpol-Wind Dort peitscht die Wellen, und aus den Tiefen Die Ungetüme, die dort schliefen, Haifisch’ und Krokodile, kommen Mit offnem Rachen emporgeschwommen – Glaub mir, mein Kind, mein Weib, Mathilde, Nicht so gefährlich ist das wilde, Erzürnte Meer und der trotzige Wald, Als unser jetziger Aufenthalt  ! Wie schrecklich auch der Wolf und der Geier, Haifische und sonstige Meerungeheuer  : Viel grimmere, schlimmere Bestien enthält Paris, die leuchtende Hauptstadt der Welt, Das singende, springende, schöne Paris, Die Hölle der Engel, der Teufel Paradies – Daß ich dich hier verlassen soll, Das macht mich verrückt, das macht mich toll  ! Mit spöttischem Sumsen mein Bett umschwirrn Die schwarzen Fliegen  ; auf Nas und Stirn Setzen sie sich – fatales Gelichter  ! Etwelche haben wie Menschengesichter, Auch Elefantenrüssel daran, Wie Gott Ganesa in Hindostan. – – In meinem Hirne rumort es und knackt, Ich glaube, da wird ein Koffer gepackt, Und mein Verstand reist ab – o wehe – Noch früher als ich selber gehe.

I suggest that Babylonische Sorgen is not primarily about the wife’s well-being once she is a widow. Such excellent commentators on Heine’s poetry as Sigbert Prawer and Jeff Sammons take his concern for Mathilde’s future on face value. I see it differently. It is a marriage poem and introduces this motif in the first stanza, though in a comical manner, when the wild boar, humanized as “der blonde Eber” is mated humanly with a wife, the “wilde Sau”, (his “Ehefrau”) who emits fear-inspiring and disgusting noises (“schrecklich grunzt”). Clearly, marriage is not going to be a bourgeois idyll in this poem. And indeed, if you look

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closely, you notice that the poet projects the monsters in his own haunted brain onto his wife. Yes, there is jealousy of the conventional kind. But mainly the poem describes the envy of the doomed man whose woman is going to have a good time and maybe other partners after he is rotting in his grave. He presents Paris as a sinful city, as if he had ever been bothered by the sins of sensuality, which he, on the contrary, always celebrated as much preferable to the evils of a hypocritical religiosity. He admonishes her that there is a lot of fun to be had, and she is going to be tempted to join, but be a good girl and don’t. The subtext is  : “for I cannot join you.” The horrible monsters he evokes are absurd in their sequence, since neither sharks nor crocodiles live in climates where they can be bothered by the “Nordpolwind”, and Heine, like his readers, would surely have known as well as we do that sharks and crocodiles don’t inhabit the same waters. In combination, they carry the signs of their origin, indicative that these “Ungeheuer der Tiefe” come not from geography but from the speaker’s subconscious, where the fear of death is lodged. Notice, too, that the rhythm with which the sinful city is evoked couldn’t be more cheerful  : “Das singende, springende, schöne Paris, / Die Hölle der Engel, der Teufel Paradies.” These verses are followed by the ultimate compliment  : “Paris, die leuchtende Hauptstadt der Welt.” The angels may hate the city while the devils love it but their poet had learned from Karl Marx that the belief in both angels and devils was useful only for drugging the common people into submission. Consequently, if he brings in angels and devils, we can be sure he means something else. What he means is  : you are going to have a lot of fun, and the thought drives me crazy (literally  : “mein Verstand reist ab”). Finally, the last stanza makes it amply clear that the monsters were opening their beastly jaws for him alone. For the scene has switched to his bedroom, where there are more monsters, though he recognizes that they are flies. That he sees them as both monsters and flies makes him once more worry about his sanity  : Reason is packing his bags in his head – “In meinem Hirne rumort es und knackt, / Ich glaube da wird ein Koffer gepackt.” He knows that flies, which look like deformed Hindu deities, must derive their monstrosity from his imagination. We remember that Heine in his early years saw India as the ideal country in contrast to Berlin “mit seinem dünnen Tee und überwitz’gen Leuten” and Indian mythology as vastly superior to what could be grasped by his German contemporaries “mit Hegelschem Verstande.” It’s worth noting that the god Ganesa with the elephant’s trunk has the duty to protect married couples. The genius of Babylonische Sorgen is that ultimately it’s a hilariously funny poem. These three poems raise the question of how we contextualize works of literature in our reception of this bitterly personal work. Obviously Heine’s state of health is relevant here, but a clinical interpretation is not, for we must assume



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that the mind of the observer controls what is on the page. These are emotions recollected, if not in tranquility, yet with whatever detachment a master of his trade could muster. Sentimentality crops up only where it belongs, to be examined and discarded, notably in his poems for Elise. Like many poets before him, Heine wrote about how we are forced to love and lose and die – and how we hate to let go. But he wrote as a contemporary of, for example, Balzac and with the psychological knowledge that Realism had brought to prose literature and perhaps even as a forerunner of Sigmund Freud. In the agony of his illness and impending death he had become a modern poet.

Matjaž Birk

Dialog der Kulturen in den Reisetagebüchern von Stefan Zweig Zielsetzung Der vorliegende Beitrag beleuchtet die Inszenierung der Identität kollektiver Kulturen und des Dialogs zwischen ihnen in den Reisetagebüchern von Stefan Zweig unter fremdhermeneutischem Gesichtspunkt.1 Stefan Zweig gehört zu den Autoren der österreichisch-jüdischen Moderne und der Exilliteratur, die sich noch lange nach ihrem Tod ungebrochener Publikumsresonanz erfreuen können  : Als rezente Beispiele sind die Aufnahme des Autors in die renommierte französische Klassikerreihe La Pléiade2 und die internationale Popularität des 2016 herausgekommenen deutsch-französisch-österreichischen Films Vor der Morgenröte3 mit dem Lebensende des Autors im brasilianischen Exil als Thema zu nennen. Zweigs Reisenarrativen haben innerhalb der deutschen Literatur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Hinblick auf ihre kulturvermittelnde Funktion einen besonderen Stellenwert. Die Reisetätigkeit des Autors findet Niederschlag in autobiographischen, essayistischen und literarischen Texten. Besondere kulturvermittelnde Bedeutung kommt dabei den Tagebüchern zu. Obwohl die kulturelle Wende und kulturwissenschaftliche Tendenzen in der Literaturwissenschaft der Erforschung von literarischen Tagebüchern wichtige Impulse verliehen haben, wurde den Diaria Zweigs bisher nur wenig Beachtung zuteil. Die wichtigste Untersuchung von Zweigs Diaristik wurde 2000 von ­Jacques Le Rider vorgelegt.4 Seine deskriptiv-analytische Herangehensweise fokussiert auf die diaristische Inszenierung des Biographischen und beschäftigt sich mit Widersprüchen zwischen privater und öffentlicher Diskursivierung des Politischen bei Zweig. Le Rider zufolge versuchte Zweig die ausgeprägte, frustrierend wirkende Inkongruenz durch Kosmopolitismus, Universalismus, Internationalismus, zeitweise auch durch Versenkung in Sentimentalität zu kompen1 2 3 4

Für das sorgfältige Korrekturlesen des Textes ist der Autor des Beitrags Frau Ina Beyer, M.A. (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg) zu Dank verpflichtet. Der Autor dankt der Slowenischen Forschungsagentur (Forschungsgruppe P6-0265) für die finanzielle Unterstützung. Vgl. http://www.la-pleiade.fr/Auteur/Stefan-Zweig (letzter Zugriff  : 25.05.2017). Vgl. http://www.vordermorgenroete.x-verleih.de (letzter Zugriff  : 25.05.2017). Vgl. Le Rider, Jacques  : Kein Tag ohne Schreiben. Tagebuchliteratur der Wiener Moderne, Wien 2000.

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sieren. Widersprüchlichkeit in Zweigs öffentlicher und privater Artikulation des Politischen war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Le Riders Studie kein Novum in der einschlägigen Literatur  : Bereits seit Mitte der 1990er Jahren konnten Schwankungen in der ideell-ideologischen Haltung des Autors sowie Inkongruenz zwischen privater und öffentlicher Diskursivierung von Politik anhand von Zweigs Briefen und Reiseessays überzeugend nachgewiesen werden.5 Zweigs Reisephänomenologie und -ästhetik Wir fokussieren im Folgenden auf Zweigs Auseinandersetzung mit dem Reisen als anthropologisches und ästhetisches Phänomen. Es ist hinlänglich bekannt, dass Stefan Zweig Weltreisender war  : Seine ausgedehnte Reisetätigkeit führte ihn nicht nur durch Europa, wo er Österreich, Deutschland, Italien, die Sow­ jetunion, Belgien, Frankreich, Spanien und England bereiste, sondern auch auf andere Kontinente, nach Nordafrika (Algerien), Asien (Indien) wie auch nach Nord- und Lateinamerika. Das Reisen verlieh Zweigs Habitus und den auf ihn bezogenen modi operandi im Privaten und Öffentlichen eine entscheidende Prägung und erscheint in seiner literarischen Ästhetik tief eingeschrieben. Beflügelt von Sehnsucht nach authentischer Lebenserfahrung und anregendem Gedankenaustausch mit Zeitgenossen, fühlte sich Zweig, auch wegen seiner notorischen inneren Unruhe, zum Reisen hingezogen. Er scheute keine Mühe, für konkrete Reisevorhaben auch seine Bekannten und Freunde zu gewinnen, wie dies aus einem Brief des Dreiundzwanzigjährigen an Hermann Hesse vom November 1904 hervorgeht  : Und das Reisen  ? Haben Sie es verlernt  ? Ich nicht, wahrhaftig nicht, ich habe so eine Unrast überallhin zu fahren, alles zu sehen und zu genießen, habe Angst vor dem Alter, daß ich dies, meinen liebsten Besitz – einmal verlieren könnte in Mattigkeit und Faulheit. Kommen Sie mit  : Sie wären ein Reisegefährte  !6

Als vordergründiges Ziel von Zweigs Reisetätigkeit erscheint die Individuierung des Reisenden – die Bewegung »dem eigenen Ziele entgegen«7 –, die im 5 Vgl. hierzu Birk, Matjaž  : Stefan Zweigs Impressionen aus dem kommunistischen Rußland 1928, in  : Monatshefte 4/87 (1995), S. 404–419, und ders.: »Vielleicht führen wir zwei verschiedene Sprachen …«  : Zum Briefwechsel zwischen Joseph Roth und Stefan Zweig. Mit 21 bisher unveröffentlichten Briefen, Münster 1996. 6 Zweig, Stefan  : Briefe an Freunde, hg. von Richard Friedenthal, Frankfurt a. M. 1990, S. 15. 7 Zweig, Stefan  : Reisen oder Gereist-Werden, in  : Auf Reisen. Feuilletons und Berichte (Gesammelte Werke in Einzelbänden), Frankfurt a. M. 1987, S. 259–263, hier 263.



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Dialogisieren des Reisenden mit Mensch und Kultur geschehe, in »der Zubewegung des Fremden auf das Eigene, des Inneren auf das Äußere«8, wie sich der Autor in seinem für die Phänomenologie des Reisens ausschlaggebenden, 1926 veröffentlichten Essay Reisen oder Gereist-Werden äußerte. Unter dem Eindruck der politischen Ereignisse und der Erfahrung der Zerbrechlichkeit der Existenz wird die Individuierung als wichtigster ideeller Reisezweck in den 1930er Jahren mit der Sehnsucht nach Befreiung von zeitgeschichtlich bedingten existentiellen Lasten gekoppelt, worüber uns Tagebuchaufzeichnungen von Zweigs Reise von Paris nach London Ende September 1935, die für die Einstellung des Autors zum Reisen nach Hitlers Machtergreifung programmatischen Stellenwert haben, klaren Aufschluss geben  : Ist es, weil die Welt so unruhig hin- und herschwankt, daß man sich gewöhnt hat, im Gleitenden zu leben. […] Man hat sich stärker losgelöst von den Bindungen und Gewohnheiten, von Haus und Besitz – beides fragwürdig geworden und kaum mehr entbehrt. Zwei Koffer, in dem einen die Garderobe, die irdische Notwendigkeit, in dem anderen Manuskripte, die geistige Bereitschaft und man ist überall zu Hause. Und wenn es Sinn ist eines Lebens, sich im Zeitlichen und Geistigen immer wieder eine neue Form der Freiheit zu entdecken, so ist es vielleicht das Beste, mit möglichst wenig Last zu leben, die Kunst, ohne Sentimentalität viel Vergangenheit hinter sich zu lassen.9

Die angestrebte Individuierung wird eingebettet in den ideellen Kontext der idealistischen Naturphilosophie und entfaltet sich vor einem organizistischen Hintergrund. Dieser lässt die Natur und ihre organische Ordnung als einen für den Einzelnen und das Kollektiv paradigmatischen Raum von Transgressionen und Synergien in Erscheinung treten. Als pars-pro-toto dafür erscheint der vonseiten des Reisenden an der Natur beobachtete und festgehaltene »Übergang«, dem der Autor in seinem 1913 veröffentlichten Reiseessay Herbstwinter in Meran eine zentrale poetisierende Funktion zuteil werden lässt  : Meisterschaft des Überganges  : das ist die Gewalt dieser Südtiroler Täler. Und nicht nur in der Struktur in ihrem eigenen Leben ist der Wandel der Erscheinung bezwungen, auch der Umschwung der Jahreszeiten, der Himmel, unter dem sie ruhen, scheint gebändigt von ihrer beruhigenden Gewalt.10   8 Ebd., S. 261.   9 Zweig, Stefan  : Tagebücher (Gesammelte Werke in Einzelbänden), Frankfurt a. M. 1984, S. 383. 10 Ders.: Herbstwinter in Meran (Gesammelte Werke in Einzelbänden), Frankfurt a. M. 1984, S. 161–169, hier S. 163.

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Der transgredierene, Harmonisierungsprozesse auslösende Übergang wird zum poetischen Differenzmerkmal auch in dem 1933 verfassten Essay Salzburg erhoben. Darin liefert die musikalisch-ästhetische Dimension der Stadt, die Zweig ein Jahr darauf infolge einer politisch motivierten Hausdurchsuchung verließ, ideelle und soziale Rahmenbedingungen für die »Lösung von Dissonanzen«11  : Diesem »Zustand der Gnade«, in dem sich »Natur und Kunst […] Kunst und Natur […] wie Lippe und Lippe berühren  ; […]«12, attestiert der Autor eine über das Lokale und Regionale hinausreichende sinn- und identitätsstiftende Bedeutung mit universalem Anspruch. Daher verwundert es nicht, dass Zweig der Inszenierung des Übergang-Konzepts in seiner ideellen, ethischen und ästhetischen Bandbreite auch in seinen Reisetagebüchern viel Aufmerksamkeit schenkte, fest davon überzeugt, dass ein transkulturelles Konzept dieser Art für das Individuum als identitätsstiftende Differenz dringend vonnöten ist, was im Weiteren noch zu zeigen sein wird. Dieses Konzept lässt eindeutig Zweigs Zugehörigkeit zur historischen Moderne zum Vorschein kommen, für die Rüdiger Görner zufolge der Übergang, der in sich eine epochenspezifische sowie zeitübergreifende Form von Schwierigkeiten konzentriert, charakteristisch erscheint.13 In Anlehnung an Görner lässt sich in diesem Zusammenhang feststellen, dass Zweigs Reisender ein zur gesellschaftlichen Wirklichkeit in kritischer Haltung stehendes Individuum ist, das in Zeiten der Erosion sinnstiftender Orientierungsmuster im intensiven Dialog mit der Natur begreift, »wie vieles hier verknüpft werden muss«.14 Zweigs phänomenologische und literarische Diskursivierung des Reisens erhielt wichtige Impulse von der zeitgenössischen deutschen Philosophie, insbesondere von dem 1919 erschienen Reisetagebuch eines Philosophen von Hermann von Keyserling, einer für die moderne Phänomenologie und Literatur des Reisens bedeutende Studie, die sich einer lebhaften Rezeption im deutschen Sprachraum erfreute.15 Zweig trat mit dem Verfasser deutsch-estnischer Herkunft in brieflichen Kontakt. Auf Keyserling kommt der Diarist auch in seiner Korrespondenz zu sprechen, wie aus dem untenstehenden Brief an Alfredo Cahn vom Dezember 1932 hervorgeht. Reisekonzepte von Keyserling positionieren das Reisen auf ideeller Ebene als Aufgehen im Anderen und als eine 11 Ders.: Salzburg, in  : Auf Reisen, S. 353. 12 Ebd., S. 355f. 13 Görner, Rüdiger  : Von Schwierigkeiten und Hofmannsthals lustspielhaftem Umgang damit, in  : Sprachrausch und Sprachverlust. Essays zur österreichischen Literatur von Hofmannsthal bis Mayröcker, Wien, S. 41–53, hier S. 46. 14 Ebd. 15 Vgl. http://www.universalis.fr/encyclopedie/hermann-von-keyserling/ (letzter Zugriff  : 16.05. 2017).



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sich über die Selbsterkenntnis entfaltende Individuierung – als solche verliehen sie Zweigs reisediaristischer Inszenierung der Kollektivkulturen ihre spezifische Prägung. Zweigs Reise(tagebuch)literatur Wie einleitend vermerkt, ließ Zweig Eindrücke von seiner umfassenden Reisetätigkeit in viele Erzählungen, Novellen, Romane, historische Biographien, Essays, Briefe und Tagebücher einfließen. Als sinn- und identitätsstiftendes Moment bildet das Reisen einen wichtigen inhaltlichen Schwerpunkt in den Romanen Ungeduld des Herzens und Rausch der Verwandlung, den Novellen Der Amokläufer und Die Schachnovelle, als literarisches Grundmotiv erscheint das Reisen in Magellan und Sternstunden der Menschheit, wo es der Identität der Protagonisten aus dem Bereich der Wissenschaft, Technik und Politik tief eingeschrieben ist. Einen zentralen identitätsstiftenden Schwerpunkt bildet das Reisen auch und vor allem in den Tagebüchern. Ein Großteil von diesen gilt heute als verschollen. In Zweigs Nachlass im englischen Bath wurden elf Tagebücher aufgefunden, über die Existenz weiterer geben Zweigs zahlreiche Verweise Aufschluss, unter ihnen die auf Aufzeichnungen von der Reise nach Argentinien, die in den Wirren der Zeit verlorengingen, wie auch auf jene aus Paris und London, die einem Diebstahl zum Opfer gefallen sein sollen. Die erhalten gebliebenen Tagebuchaufzeichnungen beschreiben die Reisen des Autors aus dem Zeitraum vom März 1913 bis Juni 1940, die Reisen durch Europa (Paris, Galizien, die Schweiz, von Paris nach London), in die Vereinigten Staaten von Amerika, seine Reise über Spanien und Portugal nach Brasilien16 sowie den Aufenthalt in England (London und Bath). Im Vergleich zu anderen autobiographischen Narrativen, Briefen zum Beispiel, für die eine deutlich umrissene Repräsentation der wahrgenommenen Wirklichkeit in Entsprechung der Erwartungen des Adressaten charakteristisch erscheint, sind Zweigs reisediaristische Narrative der Spontaneität des Autors verpflichtet und lassen seine Subjektivität in einer beeindruckend 16 Das Reisetagebuch, das den Titel Reise nach Brasilien und Argentinien trägt, enthält Aufzeichnungen, die im Rahmen von Zweigs Reise über Spanien und Portugal nach Brasilien und Argentinien im Zeitraum vom 8. August bis 1. September 1936 (25 Tage) entstanden sind. Die letzte Tagebucheintragung  – »den Caffeebetrieb besichtigt (darüber an anderer Stelle) und dann auf das Schiff, wo Duhamel und Ludwig sind, mit denen ich mich ausgezeichnet vertrage […]« (Zweig  : Tagebücher, S. 412), sowie der Umstand, dass das Tagebuch keine Einträge aus Argentinien enthält, sprechen dafür, dass die Fortsetzung des Tagebuchs geplant, aber nicht verwirklicht wurde. Vgl. hierzu  : Birk, Matjaž  : »Reisen ist Rast in der Unruhe der Welt«. Fremdhermeneutische Einblicke in die Reisetagebücher von Stefan Zweig, Würzburg 2016, S. 44.

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differenzierten Art und Weise in Erscheinung treten. Zweigs Reisetagebücher erfüllen grundlegende Anforderungen, die an die Gattung gestellt werden  : Es handelt sich um serielles Erzählen über das Wahrgenommene, das meist tagtäglich, doch mit zahlreichen, auch längeren Zeitunterbrechungen in der Funktion der Chronik und der kritischen Selbst- und Fremdreflexion erfolgte. Die Reflexion gehört neben der Introspektion zu den zentralen Charakteristika der diaristischen Gattung.17 Chronologische Berichterstattung, Reflexion zur (Zeit-) Geschichte und Kunst sowie die Diskursivierung von Eindrücken von Naturund Kulturlandschaften machen Zweigs Tagebücher zu typischen Repräsentanten der Reisediaristik der klassischen Moderne, deren Merkmale des Weiteren auch in Elementen von Kriegs- und Intimjournalen greifbar sind. Die zentrale Motivation fürs Tagebuchschreiben lag in der seelischen Wiederbelebung des Diaristen, worüber die Tagebuchnotiz vom Anfang September 1912 deutlichen Aufschluss gibt  : Heute, an einem ganz beliebigen Tage beginne ich wieder – zum wiederholten Male  ! – mein Tagebuch. Der Grund – ich spürte gerade im Wiederlesen eines Früheren, wie matt, wie gefährlich, wie krankhaft matt mein Gedächtnis geworden ist. Dinge, die dort mit allen Zeichen inneren Erlebens geschrieben sind, Worte sind sie nur, fremdes Vergessen […]. Vielleicht ist diese ganze Gier meines Neuerlebenwollens darin begründet, daß ich keinen Besitz am Vergangenen habe, daß alles gewissermaßen bei mir Fließen ist und mein Leben, sobald nichts zuströmt, ausgetrocknet wäre.18

Den Schwerpunkt der seelischen Wiederbelebung bildet die subtile Wahrnehmung der Alterität im Austausch mit der Identität in historischer, kultureller, ästhetischer und seelischer Perspektive, die wesentliche Ergänzung durch die differenzierten Reflexionen über daraus hervorgegangene individuelle und kollektive Identitäten und identitäre Konstellationen erfährt. Von der Inszenierung des Selbst und des Anderen rührt auch der poetische Charakter der Reisetagebücher, wenngleich sie im Vergleich zu den zur Veröffentlichung bestimmten autobiographischen Texten einen geringeren Grad an literarischer Formung aufweisen  – bei ihrer Niederschrift spielte der Blick auf einen späteren Leser kaum eine Rolle.19

17 Vgl. Gruber, Sabine/Grätzel Stefan  : Das Tagebuch. Ein Medium der Selbstreflexion, Frankfurt a. M. 2008. 18 Zweig  : Tagebücher, S. 9. 19 Vgl. Schönborn, Sibylle  : Das Buch der Seele. Tagebuchliteratur zwischen Aufklärung und Kunstperiode, Tübingen 1999.



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Fremdhermeneutisches Analyseinstrumentarium Ortfried Schäffters Theorie der Fremdwahrnehmung erweist sich als ein analytisches Instrumentarium, das Zweigs reisediaristische Inszenierung von kollektiven Kulturen in ein differenziertes Licht zu rücken vermag und tiefgreifende Aufschlüsse über den Austausch und das Aushandeln von Elementen kollektiven Identitäten liefert.20 Ortfried Schäffter entwickelte seine Fremdheitstypologie in Anlehnung an Fremdheitsphänomenologien von Bernhard Waldenfels und Ortrud Gutjahr. Der Philosoph Waldenfels verweist auf die Komplexität des Phänomens des Fremden  – »ein Hyperphänomen […], das über die Bedingungen seines Erscheinens hinausgeht«21 –, das er zusammen mit dem Eigenen als Topos kategorisiert. Bei Waldenfels wird das Fremde in Verbindung mit dem Kollektiven gebracht, wo das kulturelle Fremde »Nichtzugehörigkeit zu einem Wir«22 bedeutet. Der relationale Charakter des Fremden ist Waldenfels zufolge nicht a priori vorhanden, sondern hängt vom Beobachter ab, dieser grundlegenden Konstituente der Fremdheit, was häufig übersehen wird. Schäffters Typologie, die Fremdheit »als eine konfliktträchtige Zeitgenossenschaft von unterschiedlichen Bedeutungszusammenhängen, zwischen denen häufig eine unüberbrückbare geschichtliche Distanz liegt«23 definiert, ist im Vergleich zu anderen theoretischen Gerüsten deutlicheren Qualifikationsversuchen verpflichtet. Sie beruht auf dem Aspekt der Zeit. Schäffter geht nämlich davon aus, dass »unter autonomen Sinnsystemen« eine temporale Fremdheit besteht. Er definiert vier Wahrnehmungsmodi des Fremden – dem Fremden werden Funktionen von Resonanzboden, Gegenbild, Ergänzung und Komplementarität in seiner Beziehung zum Eigenen zugeschrieben. Während die erste Modalität das Fremde als »abgetrennte Ursprünglichkeit«24 darstellt, kennzeichnen den zweiten Modus die Prämissen von innerer Kohärenz und Ausgrenzung des Anderen. Der dritte von Schäffter definierte Modus der Fremdwahrnehmung besteht in der Möglichkeit der Vervollständigung des Selbst durch das Fremde, denn eine auf Dichotomien und Antinomien beruhende Fremdwahrnehmung als solche gibt es nicht. Der Mensch, die Gruppe oder die Kultur verfüge »über eine Vielzahl unterschiedlicher Umwelten und damit über interne Fremdartigkeit«.25 20 Schäffter, Ortfried  : Modi des Fremderlebens, in  : ders. (Hg.)  : Das Fremde. Erfahrungsmöglichkeiten zwischen Faszination und Bedrohung, Opladen 1991, S. 11–24. 21 Waldenfels, Bernhard  : Topographie des Fremden. Studien zur Phänomenologie des Fremden, Frankfurt a. M. 1997, S. 18. 22 Ebd., S. 22. 23 Schäffter  : Modi des Fremderlebens, S. 11. 24 Ebd., S.18. 25 Ebd., S. 22.

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Den vierten Fremdwahrnehmungsmodus bildet die komplementäre Ordnung, die eine wechselseitige Fremdheit zwischen Eigenem und Fremdem hervorruft und dem Fremden eine Autonomie zuschreibt  : Statt einer Aneignung des Fremden, die für die ersten drei Wahrnehmungsmodalitäten charakteristisch ist, erfolgt hier die »radikale Anerkennung einer gegenseitigen Differenz«, wodurch eine gesteigerte »Sensibilität für gegenseitige Fremdheit« erzeugt wird.26 Kollektive Kulturen im Dialog Der Inszenierung von kollektiven Kulturen in Zweigs reisediaristischen Narrativen verleihen Merkmale ethnisch-nationaler, religiöser und kultureller kollektiver Identitäten eine entscheidende Prägung. Ihrer reisediaristischen Repräsentation ist ein komplexes Überlappen und Konkurrieren von hetero- und homogenisierenden Inszenierungstendenzen eingeschrieben.27 Die inszenierten kollektiven Kulturen sprechen zunächst für sich selbst. In einer weiteren Inszenierungsphase werden ihnen identitäre Merkmale und Wertzuschreibungen vonseiten des Diaristen zuteil. Deutlich lässt er dabei inter- und transkulturelle Aspekte der inszenierten Kulturen in Erscheinung treten, was bedeutet, dass die erschriebenen Hybridisierungsprozesse und kulturellen Vielfachkodierungen in metanarrativer Form an den Leser vermittelt werden, wie dies im folgenden Eintrag aus dem brasilianischen Tagebuch vom August 1936 zu sehen ist  : Es zeigt sich darin die gleiche ausgezeichnete Durchmischung, die mir ja in all diesen Tagen als das Unwahrscheinlichste unserer Zeit erscheinen wird, die absolute Vorurteilslosigkeit zwischen den Rassen – dies schon eine Beobachtung auf den ersten Blick.28

Die Attribuierung von Identitätsmerkmalen erfährt in der Abhängigkeit von historischen Entwicklungsprozessen zahlreiche, stellenweise auch radikale Veränderungen. Die österreichische kollektive Identität wird vom Bereich der intrakulturellen und gegenbildlichen Fremdheit, wie sie die Tagebücher aus dem Ersten Weltkrieg charakterisieren, in den Tagebüchern aus dem Exil in den Be26 Ebd., S. 6f. 27 Hetero- und Homogenisierungstendenzen in literarischer Inszenierung von kollektiven Kulturen sind auch in zahlreichen anderen historischenn Narrativen von Zweig vorhanden, etwa in historischen Biographien und Miniaturen sowie einigen Novellen mit Krieg als Thema (Episode am Genfer See, Wondrak). Vgl. hierzu  : Birk, Matjaž  : Stefan Zweigs historische Narrative  : gedächtniskulturelle Aspekte, in  : Neophilologus 99 (2015), S. 605–615. 28 Zweig  : Tagebücher, S. 400.



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reich der Eigenheit überführt. Aus dem englischen Exil heraus wird die österreichische Monarchie zur Projektionsfläche für Heimatgefühle modelliert und im Sinne Wolfgang Müller-Funks29 mit der Idee einer civil society verbunden, wie dies an der Kritik der medialen Repräsentation des Krieges Anfang 1940 zu beobachten ist  : »Der Ernst der Situation wird hier von den Blättern nicht verleugnet, ich zweifle nur ob ihn das Publicum so begreift wie wir, die wir Zeitungen zu lesen schon 1914 gelernt haben.«30 Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch an der Inszenierung der ethnischen und kulturellen Identität des Judentums beobachten. Auf die Homogenisierung in den Tagebuchaufzeichnungen aus Galizien, die unter Rückgriff auf soziale und kulturelle Stereotype erfolgt und die Funktion der kritischen Distanzierung und Abgrenzung zur jüdischen Kollektivkultur erfüllt  – Juden aus Jaroslaw schreibt der Reisende Frechheit, Besitzgier und Listigkeit als Attribute der gegenbildlichen Fremdheit zu31 –, folgt die Zuweisung von Attributen der internen Fremdheit, die für die Inszenierung des Judentums aus dem amerikanischen Tagebuch vom Anfang 1935 charakteristisch ist und als Resultat der Abgrenzung von dem in New York erlebten jüdischen Nationalismus zu deuten ist. Der Wendung zum Positiven in der Repräsentation des Judentums werden entscheidende Impulse durch die im darauffolgenden Jahr entstandenen Tagebuchaufzeichnungen von der Reise nach Brasilien verliehen  : Der Mitpassagier – »Mr. Montagne aus New York, in Wirklichkeit aus aller Welt […] der […] alle Sprachen spricht […] (Grossmutter Chinesin und ich vermute auch jüdisches Blut). Dabei sehr gebildet, versiert, hochintelligent […]«32 – wird zum Modell einer multipolaren Identität, mit zukunftsweisendem Charakter für Individuum und Gesellschaft. Die Überführung des Judentums als externe und interne Kulturdifferenz in das Zentrum des Eigenen wird in den englischen Tagebüchern vollzogen, in denen die Identifikation mit dem kollektiven Schicksal der Vertreibung in der Inszenierung des Selbst einen zentralen Stellenwert einnimmt  : Ich leide schwer unter meiner vorausdenkenden Phantasie  ; ich sehe jetzt schon in zuckenden Umrissen die Nachkriegsepoche hier in England mit ihrer ausbrechenden Erbitterung, die sich – abermals – gegen uns kehren wird, sei es in der einen Form als Ausländer oder der anderen als Juden.33 29 http://wolfgang.mueller-funk.com/texte/18-religion-and-ethos-in-western-civil-societies-lecture-at-icro-teheran-17-2-2013 (letzter Zugriff  : 25.05.2017). 30 Zweig  : Tagebücher, S. 456. 31 Vgl. ebd., S. 196 und 200. 32 Ebd., S. 396f. 33 Ebd., S. 456f.

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Trotz der zunehmenden Ausgrenzung, die unter dem Eindruck der politischen Ereignisse nach dem Aufstieg des Nazismus in den Vordergrund der reisediaristischen Inszenierung tritt, bleibt die deutsche nationale und kulturelle Identität teilweise noch in den Tagebüchern aus dem englischen Exil mit Attributen der ergänzenden Fremdheit behaftet. Erst im Mai 1940, einige Wochen vor der Fahrt nach Übersee und unter dem Eindruck einer existentiellen Notsituation aufgrund der anstehenden Fahrt ins Ungewisse, machen vor dem universalistischen Humanitätshintergrund die der deutschen Kultur zugeschriebenen Attribute der ergänzenden Fremdheit endgültig den Attributen der gegenbildlichen Platz  : Bis heute haben die Allierten nicht eine neue technische Waffe in Gang gebracht im Gegensatz zu den Deutschen und nicht bloß das Militärische hat sich als zu conservativ gezeigt, sondern die Menschen ebenso wie die Institutionen. Wichtig ist menschlich nur, dies nicht als Schande zu empfinden, militärische Ausbildung nicht mit humaner Ausbildung zu verwechseln und Brutalität als Wert, als Leistung zu empfinden, obwohl sie in ihren Consequenzen sich so auswirkt.34

Einzelne Aspekte der Mentalitätskultur der Engländer werden in dieser Zeit in einem Knotenpunkt von unterschiedlichen Zeitperspektiven des Diaristen, in seiner Situation als »enemy alien« mit jüdischen Wurzeln, in ein zwiespältiges Licht gerückt. Wie der obigen Tagebuchnotiz zu entnehmen ist, führt die Perspektivenverschiebung zur Überlappung der ergänzenden Funktion des Fremden – die aus der Vergangenheitssicht resultiert und in der Repräsentation von historischen Fehlpraxen der Deutschen und Österreicher im Ersten Weltkrieg deutlich wird – mit der radikalen Verfremdung der englischen Kollektividentität, die der Gegenwarts- und Zukunftsperspektive des Diaristen entspringt. Den Schwerpunkt des europäischen Kulturgefüges stellt neben der deutschen die französische Kultur dar. Ihr kommt der Stellenwert einer zentralen referentiellen Kulturordnung zu, die als Ergänzung, stellenweise auch als Komplementarität in der Beziehung zum Eigenen dem Leser vor Augen geführt wird. Im Rahmen einer auf Stereotypen gründenden Nivellierung der Differenz wird die französische kollektive Identität zum Paradigma für die ganze Romania erhoben, was unter anderem im folgenden Tagebucheintrag über Rilke von Mitte März 1914 eindeutig zum Vorschein gebracht wird  : »In Spanien war er [Rilke  ; M.B.], wie er mir sagt, nur um seines Werkes willen […] Paris bietet ihm jene höchste Form der Einsamkeit, die nicht bedrückt, weil – wir sprechen da über die romanische Art – es jedem unmittelbare Anteilnahme gestattet.« 35 34 Ebd., S. 458. 35 Ebd., S. 53.



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Vergangenheitsperspektive und politische Zeitereignisse führten dazu, dass die französische Kultur zunehmend in den Bereich des Eigenen überführt wird. Sie erscheint als letztes Bollwerk der Humanität. Dem Umstand, dass es durch den Nazismus vom Untergang bedroht ist, wird im englischen Exil apokalyptische Züge verliehen, was, wie aus der folgenden Tagebuchnotiz von Mitte Juni 1940 zu ersehen, zwecks visueller Pointierung unter Rückgriff auf Schreckensbilder aus der medialisierten Zeitgeschichte erfolgt  : Ich habe nicht das Mindeste erreicht, weiß heute nicht, was wird, ob und ob überhaupt […]. Dazu die lähmend[en] Nachrichten – die Hakenkreuzflagge auf dem Eiffelturm  ! Hitlersoldaten als Garde vor dem Arc de Triomphe. Das Leben ist nicht mehr lebenswert.36

Deutlich in Erscheinung tritt die Überlappung der hetero- durch die homogenisierende Inszenierungsstrategie in den Tagebuchaufzeichnungen aus der Neuen Welt. Im Vergleich zu den reisediaristischen Narrativen aus Europa gewinnt die Homogenisierung als Inszenierungsstrategie in den Reiseaufzeichnungen aus den USA und Brasilien vielfach an Bedeutung  : Kulturelle Hybridisierungsprozesse und Vielfachkodierungen der Identitäten von Gesellschaftsgruppen gehen auf in der Darstellung von monokodierten supranationalen Kollektivkulturen. Vor den Augen des gegenwärtigen Lesers und vor dem Hintergrund inszenierter gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse und sozialer Ungerechtigkeit, in denen der Reisediarist eine endgültige Auflösung von idealistischen gesellschaftlichen Ganzheitskonzepten und -konstruktionen wittert, entpuppen sich diese als utopisch und nehmen stellenweise gar groteske Züge an, wie dies an folgendem Eintrag aus dem Reisetagebuch aus New York vom Januar 1935 zu beobachten ist  : Merkwürdig wie bei Broadway vor der 1. Straße das Monumentale, das Vornehme abbricht, ein schmieriges Schwarzspanierviertel kommt, Gendarmenstraße aus Berlin […] dann zehn Straßenzüge Cubaner und Spanische Farbige, dann zwanzig dreißig Straßen weit Neger […] Eine Stadt in Schichten. […] Die Cohaesion der Rassen […].37

Die Tagebuchnotiz bringt ein weiteres zentrales Merkmal in Zweigs reisediaristischer Inszenierung von kollektiven Kulturen zum Vorschein – ihren eurozentrischen Charakter. Die Idee von (West)Europa als übergreifende referentielle 36 Ebd., S. 471. 37 Ebd., S. 371f.

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Kulturordnung sickert durch im Umgang mit dem Fremden. Die eurozentrische Sicht des Diaristen verleiht der Inszenierung von Merkmalen unterschiedlicher Fremdheit, von der gegenbildlichen bis zur internen, eine entscheidenden Prägung, wie dies an den Tagebuchnotizen aus Galizien zu sehen war. Trotz einer häufig diametral entgegengesetzten historischen Erfahrung des Reisenden wird der Eurozentrismus zum Kriterium in der symbolischen Hierarchisierung der Kulturen sowohl in den Tagebüchern wie auch in Zweigs Korrespondenz, wie dies aus einem Brief an Alfredo Cahn vom Dezember 1932 hervorgeht – darin werden vom Briefschreiber in programmatischer Weise gegen den kulturellen Amerikanismus gerichtete kultur- und ideologiekritische Töne angestimmt  : Ich glaube auch, daß es für Ihr Land [Argentinien  ; M.B.] ziemlich nützlich wäre, wenn es mehr und mehr in den geistigen Gesichtskreis Europas tritt, die Bücher Keyserlings haben dafür außerordentlich viel getan und in dem Maße, als sich die Welt ernüchtert hat von dem Gedanken, von der amerikanischen Prosperity käme alles Heil, umsomehr tritt Südamerika als eine lebendige Hoffnung an uns heran […].38

Derselbe Diarist, der unter Rückgriff auf persönliche und kollektive Erfahrung ausdrücklich auf den Konstruktionscharakter von Identitäten und darüber hinaus von Wirklichkeitsdarstellung schlechthin verweist  – »Wieder sehe ich (und werde es immer wieder sehen) welche außerordentliche Kultur hier in den vornehmen Kreisen herrscht und wie töricht unsere europäischen Vorurteile sind«39 –, lässt unter dem Vorzeichen der Humanität die kulturelle Heterogenität hinter die Homogenität zurücktreten, d. h. in der festen Überzeugung, dass die Humanität letztendlich durch kulturelle Homogenisierung vor dem Untergang in die Barbarei zu bewahren ist.40

38 Zweig, Stefan  : Briefe 1932–1942, hg. von Knut Beck und Jeffrey B. Berlin, Frankfurt a. M. 2005, S. 43. 39 Zweig  : Tagebücher, S. 405. 40 Auch in Zweigs unveröffentlichtem Radiovertrag, geschrieben auf der Rückreise von New York nach London Anfang Februar 1935, tritt die Homogenisierungstendenz in der Darstellung kollektiver Kulturen deutlich in Erscheinung, bei gleichzeitigen Hinweisen auf die beeindruckende Dynamik in der Entwicklung von New York seit seinem letzten Besuch vor 25 Jahren. Fasziniert von einer »vertikalen« qualitätsmäßigen Entwicklung der sich modernisierenden Stadt, die vor dem organizistischen ideellen Hintergrund als Komplementarität zu Europas »alter Schönheit« vor Augen geführt wird, rückt der Reisende seine Darstellung der Stadtkultur eindeutig in eine homogenisierende, im Konzept des Nationalen begründete Perspektive. Vgl. Zweig, Stefan  : Blick über die elektrische Stadt in die Zukunft hinein, in  : Neue Rundschau 103 (1992), S.109–114.



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Mit dem Verweis auf den Konstruktcharakter der Wirklichkeit, welcher sich dem Leser tief einprägt, werden zugleich ideelle Rahmenbedingungen zur Brechung der kolonialen Perspektive und zur Erzeugung von alternativen Identitätsentwürfen geschaffen, die den Weg von der Homogenisierung zur Heterogenisierung weisen. Alternative Identitätsentwürfe sind erstmals im Tagebuch aus dem durch den Krieg verwüsteten Galizien zu beobachten und treten vermehrt in den Reiseaufzeichnungen aus den USA und insbesondere aus Brasilien auf. Sie zeichnen sich, wie am Beispiel des Schiffspassagiers gezeigt, durch einerseits identitäre Multipolarität und andererseits durch Natur- bzw. Instinktverbundenheit aus. Diese wird von slawischen Bauern aus dem galizischen Tarnow, Afroamerikanern aus New York oder brasilianischen Prostituierten aus Rio verkörpert, die, angereichert mit Attributen des edlen Wilden als Kontrast in der Beziehung zur apokalyptischen Überfremdung des Eigenen vor Augen geführt werden  : »Die Landschaft wunderbar. Das Getreide hoch und üppig, darin die Frauen in frischen Farben. Barfüßige Kinder senden ihr Jauchzen her. Auf den schönen begrünten Wäldern kleine Kirchen mit hellem Kreuz, überall Stille und fast Heiterkeit.«41 Die auch in der gezeigten Reisephänomenologie begründete Naturalisierung erscheint neben der Heterogenisierung und Homogenisierung als dritter wichtiger Modus in der Inszenierung der kollektiven Identitäten. Sie wird zusammen mit der Homogenisierung zur Grundbedingung für die (Re)Humanisierung des Einzelnen und der Gesellschaft erhoben. Stellenweise greift der Reisediarist in der schmerzlichen Konfrontation mit der Überfremdung des Eigenen – der Kultur des Humanen – auf Elemente des habsburgischen Mythos zurück. An diesen Stellen wird die Naturalisierung durch Kulturalisierung ergänzt  : Alternative Identitätsentwürfe im Umfeld des Habsburgmythos erscheinen in regionaler Perspektive, in einem Bündel von natürlichen, kulturellen und sozialen Regionalspezifika. Diese bilden zwar den ideellen und poetischen Rahmen für die Ideologiekritik an der im Rassismus begründeten Überfremdung, lassen jedoch die alternativen Identitätsentwürfe endgültig utopisch überhöht erscheinen. Die Mythologisierung lässt zusammen mit der Naturalisierung das Festhalten des Diaristen an gesellschaftlichen Ganzheitskonzepten endgültig in Erscheinung treten, was einen gegenteiligen Effekt zur angestrebten Entutopisierung der dargestellten Identitätsentwürfe hervorruft.

41 Zweig  : Tagebücher, S. 188.

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Reisetagebücher aus der Gegenwartsperspektive Aus den bisherigen Ausführungen geht hervor, dass der Inszenierung der Kommunikation zwischen kollektiven Kulturen sowohl monologische, ein-, ab- und ausgrenzende als auch dialogische, integrierende und multikommunikative Kommunikationspraxen eingeschrieben sind. Die vor Augen geführten ethnisch-nationalen, kulturellen und religiösen Gemeinschaften lassen nicht nur ihren imaginierten Charakter, sondern auch individuelle und kollektive Machtverhältnisse deutlich zum Vorschein treten. Die Inszenierung der kollektiven Kulturen und ihr Dialog ist eingebettet in individuelle und kollektive Erfahrungen der gesellschaftlichen Modernisierungs- und Migrationsprozesse. Die Modernisierung spiegelt sich in zeittypischer Ambivalenz gegenüber dieser Erfahrung wider, die sich in der dargestellten Naturperspektivierung des Individuums und der gesellschaftlichen Gruppe und in der daraus resultierenden Darstellung des Fremden als Ergänzung und Komplement niederschlägt. Der reisediaristischen Inszenierung von kollektiven Identitäten ist der vormoderne Kulturkonservatismus eingeschrieben, der andererseits stellenweise auch von der Idee einer polyzentrischen Entwicklung der Kulturen überblendet wird. Mit dieser Prämisse, die die dargestellte Brechung der kulturzentristischen Perspektive und eine vorübergehende Absage an essentialistische Identitäten in Reisetagebüchern aus der Neuen Welt zur Folge hat, nimmt der Reisediarist geistig-ästhetische Konzepte der Postmoderne symbolisch vorweg. Die Einbettung in die Erfahrung der politischen Migration lässt sich an der Fokussierung einer großen Zahl von Tagebüchern – aus der Schweiz, Galizien und England – auf die Zeitgeschichte ablesen, wie auch an dem Umstand, dass sich der Diarist in seinem in Bath entstandenem Tagebuch des Englischen als des literarischen Idioms bedient  – einer Sprache, die der polyglotte Exilant am allerwenigsten beherrschte, was für zusätzliche Frustrationen sorgte, die in der Tagebuchnotiz vom Anfang September 1939 überdeutlich zum Vorschein kommen  : Now begins an other life for me, being no more free and independent. I regret only to have no opportunity to write as I am unable to do it in English and have nobody here to rectify my mistakes and to give more colour to what I want to say  : that’s what oppresses most, that I am so imprisoned in a language, which I cannot use – how different was it in those times in Austria and Switzerland  ; where I could speak in my own language and even encourage others.42

42 Zweig, Stefan  : Tagebücher, S. 418.



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Der Gebrauch der englischen Sprache verleiht Zweigs Reisetagebuchaufzeichnungen aus dem englischen Exil nicht nur ihre stilistischen, sondern und vor allem ihre inhaltlichen Spezifika, die sich in verdichteter Zeitgeschichtlichkeit und Psychologisierung niederschlagen. Vor diesem Hintergrund erweisen sich die Ergebnisse unserer fremdhermeneutischen Herangehensweise an die Reisediaristik von Stefan Zweig von bedeutender Relevanz auch für die Erforschung der Migrationsliteratur des 20. Jahrhunderts aus Österreich aus der Sicht der interkulturellen Literaturwissenschaft. Krisenhaften Entwicklungen in historischen Migrationsprozessen in den 1930er Jahren, denen Zweig mit seiner Reisediaristik einen erschütternden symbolischen Ausdruck verlieh, werden durch die Gegenwart in erschreckender Weise bestätigt, was die folgende, von der Wiederkehr des Gewesenen handelnde Tagebuchnotiz vom September 1935 deutlich vor Augen führt  : Ein Blick, ein Stempel in den Paß. Jedes Land in Europa ist heute froh, einen Fremden zu verabschieden. Jetzt also schnell auf das Schiff […]. Aber nein, aber nein […]. Abermals anstellen, und jetzt sieht man, wie in Kriegszeiten, bei seinen Nachbarn eine gewisse Unruhe und Unsicherheit auf den Gesichtern. […] So ist unsere herrliche Welt, Europa, abgeteilt und verriegelt und vergittert mit Grenzen für den frei geborenen Menschen. War jemals dieser Widersinn größer, dieses Absurde absurder  ? Ich glaube niemals.43

Es scheint uns zum Abschluss wichtig darauf hinzuweisen, dass die anhaltende Migrationskrise, von der gerade Südosteuropa vielfaches Zeugnis abzulegen vermag, Forschungen wie diesen zusätzliche Impulse verleiht, die weit über das Wissenschaftliche hinausreichen.

43 Zweig  : Tagebücher, S. 386.

Birger Vanwesenbeeck

Jewish Sensibility in Stefan Zweig’s Die Wunder des Lebens Mark Gelber’s monograph Stefan Zweig, Judentum und Zionismus (2014) constitutes a groundbreaking work of criticism that marks the culmination of almost four decades of scholarship on the Austrian author. Although the fact of Zweig’s Jewish heritage has never been particularly unknown to scholars, it has long stood in the shadow of his more widely publicized – and to some readers, more ideologically palatable  – cultural identities, foremost his pan-Europeanism. Consider, for instance, Volker Weiderman’s claim, made in a 2003 review essay, that Judaism, for Zweig, was “nur eine nebensächliche, unauffällige Lebenstatsache”.1 Gelber’s monograph abundantly and repeatedly makes clear that this is decidedly not the case, through a careful reading of various texts in which Jewish themes feature prominently – from Zweig’s wartime play Jeremias to such stories as Im Schnee, Buchmendel, and Der Begrabene Leuchter  – as well as the author’s correspondence on issues related to Judaism and Zionism with such figures as Martin Buber, Shalom Asch and Joseph Leftwich. Last but not least, Gelber’s monograph devotes careful attention to Zweig’s significant decision – upon leaving Salzburg in 1934 – to donate a portion of his personal papers to what in a letter to library director Hugo Bergmann he called “unsere Bibliothek,” namely the National Library in Jerusalem.2 These aspects of Zweig’s life and work, Gelber contends, reveal the existence of a “Jewish sensibility” in his writing, which he understands as an “empathische[s] 1

Quoted in Gelber, Mark H.: Stefan Zweig, Judentum und Zionismus, Innsbruck 2014, p. 32. Gelber sees the present-day unwillingness of (some) readers to engage the Jewish aspects of Zweig’s writings as a direct result of recent political developments in the Middle East such as the Israeli seizure of Gaza and the outbreak of the second Intifada. As he puts it, “Die Kombination von diesen verschiedenen Faktoren führt dazu, dass eine Assoziation Zweigs mit jüdischen Angelegenheiten für einen Großteil seiner potentiellen Leserschaft nicht wünschenswert ist.” Gelber  : Stefan Zweig, Judentum und Zionismus, p. 60. 2 Ibid. The existence of Zweig’s correspondence with Bergmann, which, at the author’s request, was kept a secret at the time, is mentioned in Friderike Zweig’s memoir about Zweig  : Zweig, Friderike  : Stefan Zweig, wie ich ihn Erlebte, Berlin 1948. Its significance has been previously analyzed by Mordekhai Nadav and by Mark Gelber. See Nadav, Mordekhai  : Stefan Zweig’s Übersendung seiner Privatkorrespondenz an die Jewish National und University Library, in  : Bulletin des Leo Baeck Instituts 63 (1982), p. 67–73  ; Gelber, Mark  : Stefan Zweig und die Judenfrage von heute, in  : id. (ed.)  : Stefan Zweig heute, Bern 1987, p.160–180.

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Verständnis, […] ein […] Wahrnehmungsvermögen und eine […] Kapazität für inniges Empfinden und emotionellere Solidarität”.3 This Jewish sensibility in Zweig, Gelber continues, is not necessarily to be considered a dominant aspect of the author’s persona (even though it plays a more extensive a role than scholars have hitherto recognized), neither should it be seen as excluding other sensibilities such as his Europeanism. Instead, it constitutes a “Komplement” to such other sensibilities with which it exists side by side.4 With this harmonizing approach Gelber echoes the recent work of scholars such as Michael Rothberg who similarly seek to establish a theoretical framework for considering disparate sensibilities. In Multidirectional Memory, Rothberg offers a comparative model for considering holocaust memory, long held to be a case sui generis, in tandem with the trauma of colonization.5 Cultural memory, so Rothberg contends, is not a zero-sum game, where one sensibility displaces all others, but it is “multidirectional”, allowing for cultural memories to intertwine with each other, as he makes clear through a series of enlightening parallel readings of Hannah Arendt and Aimé Césaire and of André Schwarz-Bart and Caryl Phillips, as well as a detailed analysis of W.E.B. Dubois’s 1949 visit to the Warsaw ghetto.6 In a similar vein, Gelber’s concept of sensibility seeks to create a space where Zweig’s Europeanism and his cosmopolitanism can exist in dialogue with his Jewish heritage. In this, the book rightly presents itself as a major corrective to earlier Zweig critics who, sometimes still under the influence of Zweig’s first wife Friderike, have long tended to downplay the Jewish aspects of his life and works in favor of his Europeanism.7 It is this continuing Eurocentrism that makes what 3 4 5

Ibid., p. 13. Ibid., p. 14. Rothberg, Michael  : Multidirectional Memory. Remembering the Holocaust in the Age of Decolonization, Stanford 2009. 6 Interestingly, as Gelber points out, also Zweig draws a comparison between Jewish suffering and that of African Americans in the United States, see Gelber  : Stefan Zweig, Judentum und Zionismus, p. 257. 7 As Gelber points out, both the biography of Zweig by Donald Prater as well as the more recent biography by Oliver Matuschek fail to do justice to the Jewish aspects of Zweig’s life and works. The personally inspired biography, The Impossible Exile (2015) by the Jewish-American writer George Prochnik, constitutes in this regard an important corrective to previous Zweig studies, as does the Zweig chapter in Michael Stanislawski’s 2004 study Autbiographical Jews. See Prochnik, George  : The Impossible Exile. Stefan Zweig at the end of the World, New York 2015  ; Stanislawski, Michael  : Autobiographical Jews. Essays in Jewish Self-fashioning, Seattle 2004. Neither of these two studies, however, make mention of the many significant archival documents that Gelber’s study uncovers. They include, among others, Zweig’s hitherto little known correspondence, throughout the 1920 and 1930s, with such prominent Jewish European writers as Max Brod and Martin Buber and their work towards a jointly drafted (but never



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Gelber calls a “Jewish reception” of Zweig’s life and works at once necessary and long overdue. By the latter term he understands “Leserfahrungen sowie Leserreaktionen, die spezifisch jüdisch sind, d. h. eng mit jüdischen Problematiken verworben sind.”8 My aim in this essay is to expand on Gelber’s insights about Zweig’s Jewish sensibility and his monograph’s call for a “Jewish reception” by relating them both to a text that Stefan Zweig, Judentum und Zionismus does not consider, namely the 1904 novella Die Wunder des Lebens.9 Coming at the heels of what Gelber’s study identifies as Zweig’s “kurze[r] Flirt” with (cultural) Zionism around the turn of the century10, this little-known novella, about the emerging friendship between a fifteen-year-old pogrom survivor and an elderly painter, set in sixteenth-century Antwerp, is significant for two reasons. Not only does it present itself thematically and chronologically as a sequel of Im Schnee – Zweig’s self-styled “Judennovelle” written three years earlier11  – but it also allegorizes the stakes and terms of the turn-of-the-century debate on Zionism. Indeed, the painter’s eventual rejection of an otherworldly conception of miracles (“Wunder”) in favor of an immanently founded one, can be seen as a veiled articulation of Zweig’s own lingering sympathies for cultural Zionism at the time. First published in the story collection Die Liebe der Erika Ewald (1904), the story Die Wunder des Lebens focuses on an unnamed Flemish painter, who, in the story’s opening sequence is being led by a merchant (and local countryman) to a painting inside the Cathedral of Our Lady in Antwerp. The painting, part of an unfinished altarpiece, depicts the Virgin Mary whose heart has been transfixed by a sword. The painting exhibits extraordinary artistic skill which the painter recognizes right away as foreign. “Das hat keiner von den Unsrigen gemalt”,

  8   9

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completed) “Jewish manifest” (in Zweig’s view, the manifest was to be “ein Appell zur Reserve”, a call to European Jews to lay low and refrain from political participation so as to not give cause for anti-Semitic sentiment, quoted in Gelber  : Stefan Zweig, Judentum und Zionismus, p. 20)  ; or his support, as expressed in a 1939 letter sent Toronto, for the inclusion of a Jewish Palestine Pavilion at the World Fair in New York in 1939. Gelber  : Stefan Zweig, Judentum und Zionismus, p. 32. This paper relies on the following edition of this novella Zweig, Stefan  : Die Wunder des Lebens, in  : Buchmendel. Erzählungen, ed. Knut Beck, Frankfurt a. M., 2004, p. 15–95. The novella has, however, also been considered by others. See for instance the essay by Michel Reffet, who calls Die Wunder des Lebens a “Christian-Jewish” novella. Reffet, Michel  : Stefan Zweig und das Christentum, in  : Gelber, Mark (ed.)  : Stefan Zweig Reconsidered, Berlin 2007, p. 91–106. Gelber  : Stefan Zweig, Judentum und Zionismus, p. 70. Gelber also notes that this early infatuation was followed by a two-decades long engagement of Zweig (“Interesse”) with cultural Zionism that lasted until World War I and even beyond, during which Zweig wrote the Bible-inspired theater play Jeremias, see ibid., p. 88. Zweig refers to Im Schnee as a “Judennovelle” in a 1900 letter to Karl Emil Franzos. Quoted in Stanislawski  : Autobiographical Jews, p. 122.

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he tells the merchant.12 The latter confirms this right away, explaining that the panel was in fact executed by an Italian painter who, however, left before completing its intended companion piece  : a second painting of the Virgin Mary. Both paintings were meant to adorn opposite ends of the altarpiece as side panels. The merchant then asks the painter to execute the missing companion piece and the latter accepts. His subsequent struggle to complete the companion piece takes up most of the novella’s plot. Like Antwerp’s future native son, Peter Paul Rubens – whose two enormous canvasses of the crucifixion and the deposition of Christ were to adorn the Church of Our Lady’s main altar after 1852 – Zweig’s painter belongs to that class of Northern painters who emulate Italian masters in order to achieve greatness of their own.13 In this story, it can be said, Zweig exhibits the same fascination with Italian art and culture which characterizes such works as Ludwig Tieck’s artist novel Franz Sternbalds Wanderungen from 1798 (whose eponymous hero passes through Antwerp on the way to Italy), and Goethe’s Italienreise (1816) and which has long constituted a trope within German (as well as, albeit less so, Austrian) literature. Yet for all its initial emphasis on the opposition of Northern European (i.e. Germanic) vs. Southern European (i.e. Italian) art, Zweig’s story soon foregrounds an altogether different matter, namely the rising political and religious 12 Zweig  : Die Wunder, p. 18. The use of the term “Unsrigen” here presumably refers to the Flemish, the native population of Antwerp and of the broader region of Flanders, in the North of what is today Belgium. Although at two places in the text the term “deutsch” is attributed to the merchant and the artist, respectively, what is meant here is presumably the broader category of “Germanic” (which could include the people of Flanders as well as those of the Netherlands and the Scandinavian countries) rather than “German.” The merchant alludes to his having been called “ein[…] deutsche[r] Narr[…]” (ibid., p. 20) during his time in Italy (by a local prostitute)  ; the artist for his part is described by the merchant as featuring “der deutschen, kantige[s] Gesicht” (ibid., p. 26). Since the two of them are otherwise presented as being native to Antwerp – the merchant’s parents live in Antwerp, the painter, from what we can tell, has also lived here all his life – it is safe to presume that both of them are Flemish (or “Germanic”) rather than German. 13 It’s unclear whether Zweig, who was to devote a travel essay to Antwerp a decade later (in which Rubens is mentioned multiple times), had visited the city by the time he wrote Die Wunder des Lebens or, whether he would have been familiar with the presence of both Rubens paintings in the cathedral. His correspondence from around the turn of the century indicates that he visited Brussels (where he met Emile Verhaeren) as well as the Belgian port cities Ostend and Blan­ kenberghe, but he does not mention Antwerp. See Zweig, Stefan  : Briefe 1897–1914, eds. Knut Beck, Jeffrey B. Berlin, and Natascha Weschenbach-Feggeler, Frankfurt a. M. 1995, p. 44. His first extensive exposure to the art of Flemish painting was most likely the pioneering exhibit of the Flemish Primitives that was held in Bruges in the summer of 1902. Zweig reported on this exhibit in an essay on Bruges which appeared in the magazine Vom Fels Zum Meer in October of the same year. See the reprint of the essay in Zweig, Stefan  : Auf Reisen, ed. Knut Beck, 2nd ed., Frankfurt a. M. 2004, p. 17–24.



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tension within the Low Countries at the time in which the story is set, the mid-sixteenth century. Here lies the actual interest of the story. At the very moment that the merchant and the painter make their way to the panel, a mass service is in progress with the (Catholic) priest giving a sermon filled with hatred  : [K]alt, herbe, ohne den sonnigen Strahl war auch die Morgenpredigt  : sie galt den Protestanten und war von wildem Zorn getragen, in dem sich Haß mit starkem Kraftbewußtsein vermählte, denn die Zeiten der Milde schienen vorbei, und von Spanien her kam den Klerikern die frohe Kunde, daß der neue König mit lobenswerter Strenge dem Werke der Kirche diente.14

The year is 1566 and it will only be a matter of time before Philips II, the new king alluded to here, dispatches the duke of Alva to the Low Countries in order to violently quench the Protestant unrest. The Spanish occupation of the Low Countries will eventually result in a closing of the river Scheldt and the subsequent economic decline of Antwerp. In so far as Protestantism is referred to as “eine fremde Ketzerei,”15 it introduces a second foreign element into Zweig’s story which is superimposed upon the perceived “foreignness” of the Italian master’s painting. The novella’s opening sequence indeed all too obviously plays the two off against each other, with the ability of art to co-opt and value otherness, opposing religious sectarianism and bigotry. Whereas the painter perceives the Italian master’s artwork as ein “lichtes Bild, das im Dunkel nur noch weicher und milder in seiner Tönung zu werden schien,”16 highlighting its openness to difference, Protestantism is compared, in rather negative terms, to the thick fog described in the story’s opening sentence, which wraps the city “in ihr dichtes, drückendes Tuch.”17 As the story unfolds, Judaism in turn emerges as a third foreign element that further complicates and disturbs this dialectic between politics and art. Referred to as “ein sonderbares Volk”18 by a local gentile tavern keeper, the Jews of Antwerp had, by the time of the story’s opening, once again grown to a sizeable community after having been decimated at the end of the Middle Ages.19 This 14 15 16 17

Zweig  : Die Wunder, p. 16. Ibid., p. 15. Ibid., p. 17. Ibid., p. 15. One may speculate to what extent Zweig himself shared these negative feelings about Protestantism. In his 1938 biography Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam he evokes Martin Luther as a foil to the religious tolerance of the Dutch thinker. See Zweig, Stefan  : Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam, Frankfurt a. M. 2009. 18 Zweig  : Die Wunder, p. 38. 19 Abicht, Ludo  : The Jerusalem of the West. Jews and Goyim in Antwerp, in  : The Low Countries Yearbook 3 (1995–1996), p. 21–26. In 1348 the Jews of Antwerp and other Flemish cities were

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return of a (crypto-)Jewish presence in Antwerp, over the course of the previous century, was in large part due to the inflow of Jews from the Iberian peninsula who, following a 1526 edict by the Flanders-born emperor Charles V (“dem guten König Karl,”20 as the gentile Antwerp population in the story refers to him) had been granted safe passage to Flanders. Yet it would not be too long before they would find themselves once again the victims of religion-inspired violence. As Ludo Abicht puts it [t]hese Sephardic Jews – merchants, scientists and, above all, diamond traders – arrived in the Low Countries at exactly the wrong moment, for they became caught up in the increasingly bitter strife between the Catholic authorities, religious and secular, and their Neo-Baptist and Calvinist enemies.21

Esther, the Jewish protagonist of “Die Wunder des Lebens,” eventually falls victim to this emerging violence between Protestants and Catholics, yet it should be noted that she herself is not a member of the Iberian diaspora, but a pogrom survivor from a Jewish community in an unnamed German town, brought to Antwerp by a soldier returning from war. The soldier’s account of Esther’s story, as he narrates it to the unnamed painter, is worth quoting at length  : Ich will Euch sagen, wie ich zu der Judendirne kam. Ich war Soldat, in Italien drunten und dann in Deutschland. Ein schlechtes Handwerk sag’ ich Euch, nie schlechter als heute und damals. Ich hatt’s auch über und wollt’ eben durch Deutschland nach Hause ziehn und ein ehrbares Handwerk ergreifen, denn geblieben war mir just nicht viel  ; Beutegeld rinnt zwischen den Fingern durch, und Knauser war ich nie gewesen. Da kam’s in einer deutschen Stadt  ; ich war just dort, als sich eines Abends ein großes Getöse erhob. Warum, weiß ich nicht mehr, doch das Volk hatte sich zusammengerottet, die Juden zu erschlagen, und ich zog mit, verlockt von der Hoffnung, etwas zu erhaschen, auch aus Neugierde, was geschehen möchte.22 accused of having poisoned the city’s wells and were persecuted. On Good Friday 1370 six members of the Jewish community in Brussels were burned at the stake on charges of having stolen the sacred host. This in turn was followed by widespread persecutions all over Flanders, including Antwerp. According to Ludo Abicht, “[a]fter all this it was almost 150 years before there was any further sign of Jewish life in the Antwerp area” (ibid., p. 21). The episode is also recounted in Abicht, Ludo  : De Joden van Anwerpen, Brussels 1987, p. 27 f. The standard historiographical work on the history of the Jewish presence in Antwerp is Schmidt, Ephraim  : Geschiedenis van de Joden in Antwerpen, Antwerpen 1963. 20 Zweig  : Die Wunder, p. 71. 21 Abicht  : The Jerusalem of the West, p. 21. 22 Zweig  : Die Wunder, p. 36.



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The war that is alluded to, is presumably that of the Christian Holy League against the Ottoman Turks, but it could also be a reference to the growing animosity between Huguenots and Catholics in France at the time. Both came to a climax within a decade of the story’s action  : in the 1572 Saint Bartholomew massacre respectively the defeat of the Turkish fleet at Lepanto in 1571. The relative interchangeability of the two wars may well be intentional  : When the religions of Europe, regardless which, go to war with each other, so Zweig’s story suggests, the Jewish population suffers, too. As the soldier gets ready to take part in the ongoing carnage, he is stopped by Esther’s grandfather who offers him a large sum of money if he brings him and his granddaughter to safety  : “Alles, was ich von seinem Judendeutsch verstand, war, daß er mir viel Geld bot, wenn ich sie beide retten wollte.”23 Upon saving the two, he is given a paper slip written in “seltsamen Lettern”24 – presumably these are Hebrew characters – that he is in turn to deliver to a broker in Antwerp. The grandfather subsequently dies, Esther and the soldier make it to Antwerp together. When he hands the paper slip to the broker, he is given more money, and with these newly secured funds he opens up a tavern near the Antwerp harbor. Although the broker’s familiarity with the Hebrew characters on the slip would appear to mark him as a member of Antwerp’s Jewish population, at no point during the transaction does he hint at the possibility that his community might want to look after Esther or even adopt the underage girl. I believe this to be significant  : It highlights Esther’s particularly precarious position in Antwerp, as a Jewish woman within a Christian commu­ nity where even the local Jews keep her at arm’s length. Not even the city’s local Jewish community appears willing to claim her as one of their own. She grows up with the tavern keeper, among gentiles, all the more vulnerable for the stark visibility of her otherness. As the painter finds out even before speaking to the tavern keeper, everybody in the neighborhood knows her as the “Jewish girl”.25 Before Zweig subsequently drives the story to its devastating finale it is briefly suggested that art may offer a temporary respite from the looming tragedy. As the painter enlists Esther to stand as a model for his Virgin Mary painting, a growing friendship between the two develops. Not only does Esther come to see the elderly painter as a paternal figure, a substitute for the lost grandfather. The painter, too, grows increasingly fond of her, calling it “[e]in Wunder des Lebens” that his artistic inspiration has been renewed by the paternal feelings that she evokes in him.26 Throughout the novella, he goes back and forth on whether this 23 Ibid. 24 Ibid., p. 37. 25 Ibid., p. 34. 26 Ibid., 53 f.

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“miracle” should be seen as a gift from God or whether he himself is the one that has worked the miracle. It is important to note that only after the development of the kinship-like bond and after a brief wrong-headed attempt on the painter’s part to convert her to Christianity, he is able to start to work on the painting. In this fashion, Zweig reiterates the story’s earlier evocation of art as the privileged medium, where differences – artistically or religiously inspired – may exist side by side rather than eradicating each other. This harmonizing potential of art subsequently takes on a quasi-mythical proportion when, during her sittings, Esther is being asked by the painter to hold a Dutch woman’s baby in her arms for the painting has morphed into the genre scene of a Madonna with the child. Wie eine Vision sah der alte Mann dieses Paar, das ein flüchtiges Spiel des Lichtes so verschwistert hatte und gleichsam aus fernem Traume fiel ihm des italienischen Malers fast vergessenes Bild ein und seine Gottesmilde. […] Er fühlte Schöpferkraft in sich wie heißes junges Blut. Sein ganzes Leben war ein Rinnen und Rauschen, ein Einschlürfen des Lichtes und der Farbe in dieser Minute, ein Formen und Umfassen seiner zeichnenden Hand. Und in dieser Minute, da er dem Geheimnis göttlicher Kräfte und unbegrenzter Lebensfülle so nahe stand wie noch nie, da sann er nicht ihren Wundern und Zeichen nach, sondern lebte sie, indem er sie selbst erschuf.27

At this point Zweig’s novella starts to resemble a modern, Judeo-Christian version of Nathan the Wise, Gotthold Ephraim Lessing’s well-known sermon on religious tolerance. In Lessing’s play, as is well known, the three Abrahamic religions, as represented by sultan Saladin, the eponymous Jewish character, and his adopted daughter, the Christian girl Recha, come together in a form of harmony that is echoed by the one achieved by the Jewish Esther, the Catholic painter, and the Protestant baby in Zweig’s novella. At the same time the artist himself experiences an artistic merger of sorts with the original painter who, or so he imagines, appears to be “forming” and “grasping” his creating hand. But this blissful vision of religious and artistic integration is not meant to last. One day Esther finds the baby gone  : its Dutch mother has fled to the Protes­ tant North, worried about the growing political tension in Antwerp. From this moment on, the finished painting becomes a substitute to Esther for the baby whom she had come to perceive as her own child. She visits it daily in the Cathe­ dral of Our Lady where the painting has since been hung next to its companion piece. She happens to be in the church, too, on August 20, 1566, when a crowd of iconoclasts descends there to destroy all its artworks.28 When they recognize 27 Ibid., p. 61 f. 28 Zweig may have first read about this historical event in Friedrich Schiller’s Geschichte des Abfalls



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Esther, she is at first seen as a miraculous appearance of the Virgin, until a female voice urges the iconoclasts on, shouting, “Vorwärts […] das ist ja nur das Judenmädel des Wirts.”29 In the ensuing skirmish, Esther tries to protect the painting and is subsequently stabbed to death, thus resembling in her death the Madonna of the Italian painter’s artwork. Returning now to Gelber’s call for a Jewish reception of Zweig’s works and to the earlier-mentioned parallels with the story Im Schnee, we may draw a number of conclusions. First of all, the similarities between the two stories are striking. In the story Im Schnee, too, a Jewish community, located in a German town near the Polish border, escapes the violence of an imminent pogrom, if only to fall victim to the decimating natural forces of a snow storm during their flight across the Eastern European plains. Any escape from the violence of anti-Semitism, so the two stories seem to suggest, can at best be provisional. These plots echo the central idea that had prompted Theodor Herzl a decade earlier to postulate the need for a Jewish state. According to Gelber’s reading of Im Schnee, it is therefore possible to ascribe a (proto-)Zionist significance to the central character Joshua’s vision, moments before his death  : The Jewish community is joined around the table by its ancestors for a Hanukkah celebration  : “[U]nd immer mehr nahen, Juden in altväterlichen, verblichenen Trachten und Gewändern, und es kommen die Helden, Juda Makkabi und alle die anderen  ; sie setzen sich zu ihnen und sprechen und sind fröhlich.”30 Gelber moreover regards it as significant that it is one of the younger Jews who has this vision of the future. Unlike the elders who appear to be all too willing to passively undergo what one of them calls “God’s will,”31 Joshua, with this vision, bespeaks a more rebellious sentiment that mirrors the dream of the Zionists articulated in Zweig’s own time. Is there a similar argument to be made with regard to Die Wunder des Lebens  ? At first there appears to be little in the character of Esther to support such a reading. Unlike Joshua, she is not a member of a ( Jewish) community, nor does she observe any of its rituals. Unlike Joshua, her grasp of Jewish history and culture is at best tenuous, based on fragmentary childhood memories of stories that her grandfather used to tell her. Instead, her only sense of community appears to be with art. In this she prefigures other Zweig characters, both Jewish der vereinigten Niederlande von der Spanische Regierung (1788–1795), which refers to Antwerp multiple times  ; or via Goethe’s play Egmont (1788). 29 Zweig  : Die Wunder, p. 92. 30 Zweig  : Die Wunder, p. 110. It should be pointed out that Gelber, noting the markedly distanced voice of the story’s narrator, presents this as only one possible reading. See Gelber  : Stefan Zweig, p. 93–96. 31 Ibid., p. 99.

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and gentile, such as Herr Kronfeld of Die Unsichtbare Sammlung (1925) and the eponymous character in Buchmendel (1927). Making the reader aware of Esther’s skewed sense of identity, Die Wunder des Lebens aligns itself rather well with the cultural Zionism of the time. Against Herzl’s political Zionism which argued in favor of a more or less immediate relocation of Jews to the Holy Land, cultural Zionists saw the latter as more of a long-term goal, arguing, in the footsteps of Achad Ha-Am, that European Jews were first of all in need of rekindling their cultural heritage before the political foundation of a Jewish state could take place.32 Such cultural Renaissance was urged and contributed to by younger Jewish writers such as Martin Buber and Berthold Feiwel who was the first to publish Im Schnee in his Vienna-based periodical Die Welt in 1901.33 Seen in this context, Esther may be regarded as a figure that emblematizes precisely this need for cultural resuscitation. There can be little doubt about the fact that she identifies as Jewish, even after having lived with the tavern keeper for a decade or so. As the tavern keeper tells the painter, she has steadfastly refused any of the Christian rituals such as baptism and communion. Moreover, she reacts with marked indignation to the painter’s initial attempts to convert her to Christianity. It thus becomes possible to see Esther as an allegorical figure onto which Zweig, in the guise of a story set in sixteenth-century Antwerp, has transferred some of the cultural challenges besieging Europe’s Jews around the turn of the twentieth century. The fact that Zweig, in a letter to Hermann Hesse, referred to Esther as a disguised alter ego strengthens this reading even more, and so does Zweig’s subsequent refusal to allow for any reissues of Die Wunder des Lebens, just as he had done for Im Schnee.34 In so far as Zweig distanced himself later from the cultural Zionist project and sought to fashion himself, at least publicly, as a cosmopolitan and a European, it makes sense that he also sought to dissociate himself from these two stories.35

32 Ibid., p. 91. 33 The story was later reprinted in another Zionist periodical, der Jüdische Almanach in 1902. See Gelber  : Stefan Zweig, Judentum und Zionismus, p. 92. 34 See Zweig  : Briefe 1897–1914, p. 72. Zweig’s own formulation, referring to the stories Die Liebe der Erika Ewald and Die Wunder des Lebens, is that “ich habe mich in den zwei großen Novellen ganz in Mädchengestalten versteckt.” Hermann Hesse also wrote a review in which he lauded the novella’s “reflektierender Betrachtung” and “zögernder Psychologie”. Quoted in Beck, Knut  : Nachbemerkung, in  : Zweig  : Buchmendel, p. 319. 35 In a 1929 letter to J. W. Wolfsohn, executive editor at the Russian journal Vremja, Zweig considered Die Wunder des Lebens as “längst […] zu den Toten geworfen” and did not wish “daß sie wieder aufersteht” (ibid., p. 318). For Zweig’s refusal to allow any future reissues of Im Schnee after 1902, see Gelber  : Stefan Zweig, Judentum und Zionismus, p. 91.



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This allegorical link between Die Wunder des Lebens and the cultural Zionism of its time is perhaps most apparent, however, in the painter’s final words. The sight of the murdered Esther in the cathedral triggers in him an abdication of his faith that brings the reader back to the novella-spanning debate on miracles one more time. Es war dies ein Wunder, ein offenbares Wunder. Aber der alte Mann wollte an keine Wunder mehr glauben. In dieser Stunde, da er sie, seiner letzten Lebenstage mildleuchtende Blüte tot sah, neben seinem zerschmetterten Bilde, war die gläubig klingende Saite seiner Seele zerbrochen. Er verleugnete den Gott seiner siebzig Jahre in einer Minute. […] Lange sah er nieder zu der jungen Toten, die so viel frommes Abendlicht über seine letzten Jahre gegossen. Und er war milder und gerechter, als er die verhaltene Seligkeit um ihre gebrochenen Lippen sah. Demut kam wieder über sein gütiges Herz. Durfte er denn wirklich fragen, wer dies seltsame Wunder vollbracht, daß dieses einsame Judenmädchen für der Madonna Ehre in den Tod gegangen war  ?36

In adopting the rhetoric of Wunder, both in its initial dismissal and its eventual reappropriation, Zweig echoes the ambivalence with which the term is employed in Theodor Herzl’s Der Judenstaat, published just eight years before Die Wunder des Lebens. If Herzl initially fulminates against what he calls “Das Wundermittel der Assimilierung” with which, as he sees it, “ist dem Antisemitismus nicht beizukommen”,37 the last paragraph of Der Judenstaat has him reclaiming this very same term  : “Darum glaube ich, daß ein Geschlecht wunderbarer Juden aus der Erde wachsen wird. Die Makkabäer werden wieder aufstehen.”38 It is Joshua’s hallucination in Im Schnee that captures the content of this vision, but Die Wunder des Lebens adopts its rhetoric. It follows that, as so often in Zweig’s stories, the persona of the author needs to be located in its central suffering protagonist and in the unnamed (and sympathetic) witness of this suffering simultaneously. In this particular case, the split may itself be indicative of the author’s wish to fashion himself as both Jewish and European at the same time.39

36 37 38 39

Zweig  : Die Wunder, p. 93 f. Theodor Herzl  : Der Judenstaat, Berlin 1920, p. 19. Ibid., p. 71. See, for instance, my reading of Zweig’s novella Brief einer Unbekannten, where the persona of Zweig appears to lurk at once behind the figure of the famous novelist R. and behind the eponymous woman whose decades-long misrecognition by the latter may be said to allegorize Zweig’s own exclusion from the literary establishment of his time. See Vanwesenbeeck, Birger  : A Stefan Zweig Revival  ? In  : id./Gelber, Mark (eds.)  : Stefan Zweig and World Literature, Roch­ester 2015, p. 15–34, here p. 27–29.

Zhang Yi

Stefan Zweigs Rezeption in China Obwohl die Chinesen schon in der Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.) durch die Seidenstraße mit der Außenwelt in Berührung gekommen waren und seitdem ein immer regerer Waren- und damit auch Kulturaustausch entstanden ist, ist ausländische Literatur, einschließlich der deutschsprachigen, den Chinesinnen und Chinesen erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts zugänglich. Diese relative Verspätung hat mit der damaligen historischen Situation Chinas zu tun.1 Mit der Qing-Dynastie (1644–1911) geriet China langsam in Stillstand und Isolierung, während sich die westlichen Länder durch die Industrialisierung, die Entdeckung der Neuen Welt und schließlich durch das Vordringen des Imperialismus rasch entwickelt hatten. Die Mandschu-Herrscher ignorierten jedoch den Fortschritt der anderen Länder und wollten den eigenen Rückstand nicht sehen. Wie die chinesischen Kaiser vorangegangener Dynastien waren sie fest davon überzeugt, dass China die Mitte und auch das stärkste Land der Welt sei. Aus blinder Überheblichkeit weigerten sich die Kaiser und die Mandarine der Qing-Dynastie zu erkunden, was außerhalb Chinas passierte. Die Vermittlung westlicher Kulturen und Ideen war unter diesen Umständen nicht möglich. Zweig-Rezeption vor 1949 Nach der Niederlage Chinas im Opiumkrieg (1840) war unter den Volksmassen ebenso wie unter den aufgeschlossenen Beamten ein starker Wunsch zu bemerken, mehr über die westliche Welt zu erfahren. Es entstand ein großer Bedarf an Dolmetschern und Übersetzern. 1862 wurde die erste staatliche Lehranstalt für Dolmetscher und Übersetzer errichtet, wo anfangs nur Englisch, Französisch und Russisch, erst nach 1898 auch Deutsch und Japanisch erlernt werden konnten. Man begann auch damit, Studierende ins Ausland zu schicken, die Naturwissenschaften, Ingenieurwissenschaften und Medizin studieren sollten. Infolge der Berührung mit modernen westlichen Ideen erkannten diese chinesischen Studierenden jedoch, dass man allein mit Naturwissenschaften und Technik 1

Dieser Beitrag beruht auf meiner Monographie Rezeptionsgeschichte der deutschsprachigen Literatur in China von den Anfängen bis zur Gegenwart, Frankfurt a. M. 2007.

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China nicht retten konnte und dass ein demokratisches System und fortschrittliche humanistische Gedanken die Voraussetzungen dafür seien, China von den feudalistischen Fesseln zu befreien. Um das Volk aufzuwecken und aufzuklären, scheuten sie keine Mühe, diejenigen westlichen geisteswissenschaftlichen und literarischen Werke, die den Wert und die Würde des Menschen betonten, die Demokratie und Freiheit verherrlichten, aber die Gewalt, Despotismus und Fremdherrschaft verurteilten, zu übersetzen und dem chinesischen Publikum vorzustellen. Viele chinesische Studierende, die in Japan studierten, waren tief von den Reformen der Meijizeit und von deren positiven Folgen beeindruckt. Sie stellten fest, dass die westliche Literatur dabei eine positive Rolle gespielt hatte. Die Übersetzung ausländischer bzw. deutschsprachiger Literatur diente im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts als ein Mittel zur Erweckung des Nationalbewusstseins der Chinesinnen und Chinesen, zur Bekämpfung der feudalistischen und despotischen Mächte und auch zum Sturz der Fremdherrschaft der Qing-Dynastie. Goethe, Schiller und Nietzsche wurden in China als Rebellen gegen Feudalismus und Despotismus betrachtet. 1911 wurde die Qing-Dynastie durch die Xinhai-Revolution gestürzt, und der letzte Kaiser Xuantong musste abdanken. Im Jahr der Xinhai-Revolution übersetzte Ma Junwu (1881–1940), der in Deutschland studiert hatte, Schillers Wilhelm Tell. Die Situation Chinas zu diesem Zeitpunkt ließ sich vergleichen mit derjenigen der Schweiz der TellZeit, die damals auch von einer Fremdherrschaft tyrannisiert wurde. Was Ma veranlasste, dieses Theaterstück zu übersetzen, waren das vergleichbare Elend des unterdrückten chinesischen Volkes und das gleiche Ziel, das Volk auf einen Aufstand vorzubereiten, der dann 1911 auch erfolgreich durchgeführt wurde.2 Aber nicht nur politische Überlegungen waren damals ausschlaggebend bei der Vermittlung der deutschen Literatur. Auch der Wunsch nach dem künstlerisch Neuartigen spielte eine wichtige Rolle. Das große Interesse der chinesischen Leserinnen und Leser für die ausländische Literatur ermutigte viele, die inzwischen Fremdsprachen erlernt hatten, diese Literatur zu übersetzen. Da diese Übersetzer keine gründliche Ausbildung genossen hatten und sich beim Übersetzen eher nach dem Geschmack der einfachen Bürgerinnen und Bürger richteten, erfolgte die Auswahl der übersetzten Werke ziemlich willkürlich. Mit der Bewegung der neuen Kultur 3 und der Vierten-Mai-Bewe2 Vgl. Zhu Hong  : Schiller in China, Frankfurt a. M. 1994, S. 13 f. 3 Sprachrohr dieser Bewegung der neuen Kultur war die 1915 in Shanghai gegründete Zeitschrift Die Neue Jugend. Der überwiegende Teil des Mitarbeiterkreises der Neuen Jugend stand stark unter dem geistigen Einfluss Europas. Für sie waren »Demokratie« und »Wissenschaft« richtungweisende Begriffe. Den Inhalt der Zeitschrift bildeten zum einen die Kritik an der



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gung4 ist die chinesische literarische Schrift reformiert worden. Bai Hua, die chinesischen Zeichen für die geschriebene Umgangssprache, begannen, sich im literarischen Schaffen durchzusetzen.5 Die Einführung der Bai Hua hat dazu beigetragen, die Bildung zu verallgemeinern und mehr Leserinnen und Lesern aus dem breiten Publikum zu ermöglichen, literarische Werke sowie die Übersetzungen ausländischer Literatur zu lesen und zu verstehen. Damit war eine wichtige Voraussetzung für die breite Aufnahme der ausländischen bzw. deutschen Literatur geschaffen. Im Geist der Vierten-Mai-Bewegung erschien auch eine große Anzahl von Artikeln über die Vermittlung der ausländischen bzw. deutschen Literatur. Aber die Übersetzung spielte eine wichtigere Rolle. Guo Moruo (1892–1979) übersetzte im Jahr 1922 Goethes Die Leiden des jungen Werthers, was ein großes Ereignis im geistigen Leben Chinas in der damaligen Zeit war. »Gebildete Jugendliche, die sich in der Vierten-Mai-Bewegung bewährt hatten, diskutierten damals über den Charakter Werthers und fanden, dass sie selbst das gleiche Schicksal wie Werther und Lotte erlitten – die Unterdrückung durch den Feudalismus.«6 Die chinesischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich in der Anfangsphase mit der deutschsprachigen Literatur beschäftigten, sahen ihre Hauptaufgabe in der Vermittlung. Sie hatten den Wunsch, die chinesischen Leserinnen und Leser mit möglichst vielen deutschen Schriftstellern und deren Werken in Berührung zu bringen. Beispielweise schrieb Mao Dun (1896–1981)7 in der Zeitschrift Xiao Shuo Yue Bao (Monatszeitschrift der Novellen) regelmäßig Artikel über die neuesten literarischen Ereignisse und chinesischen Tradition und am orthodoxen Konfuzianismus und zum anderen die Behandlung der abendländischen Kultur und ihrer Exponenten. Die Zeitschrift hatte damals einen großen Einfluss auf junge Intellektuellen, Studenten und Schüler. 4 Die Vierte-Mai-Bewegung (1919) repräsentierte einerseits den Kampf um die volle nationale Souveränität auf allen Gebieten gegenüber den Vorrechten und Ansprüchen fremder Mächte und zugleich den Kampf gegen einheimische Machthaber, andererseits handelt es sich um einen Kampf gegen die traditionellen feudalistischen Normen und Gewohnheiten und gegen die traditionellen sozialen Strukturen, die sich als Hemmschuhe für die Entwicklung Chinas erwiesen. Die Anhänger der neuen Ideen bekämpften heftig die Lehren der Vergangenheit, insbesondere den Konfuzianismus, den sie als den Hauptträger der traditionellen Ordnung und des traditionellen Denkens und daher als ein Hindernis für allen Fortschritt ansahen. 5 Früher wurde nur Gu Wen, die chinesischen Zeichen für die klassische Schrift als salonfähige Schriftsprache anerkannt. 6 Lü Yuan  : Deutsche Literatur in China, in  : China im Aufbau, März-April 1979. Hier zitiert nach Zhang Yushu  : Die Germanistik und die Rezeption der deutschen Literatur in China, in  : Beiträge zur Hochschulforschung. Hg. v. Bayerischen Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung, Heft 1, 1985, S. 79. 7 Künstlername des größten Romanciers der modernen chinesischen Literatur, Shen Yanbin.

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Tendenzen im Westen. Im Feuilleton dieser Zeitschrift, das Mao Dun leitete, wurden laufend Nachrichten über die westliche Literatur gebracht, darunter Anzeigen deutscher und österreichischer Werke mit Inhaltsangaben und kurzen Kommentaren. Dies fungierte als Ersatz für die fehlenden Originaltexte und auch als ein Hinweis an die Übersetzer. So wurden die chinesischen Leserinnen und Leser informiert, was in den deutschsprachigen Ländern, vor allem in deren Kulturleben geschah. Auch Stefan Zweig wurde 1924 dem chinesischen Publikum von Mao Dun in Xiao Shuo Yue Bao (Nr. 8, Band 15) vorgestellt. In seinem Artikel mit dem Titel Über den europäischen großen Krieg und die Literatur wurde Zweigs Theaterstück Jeremias erwähnt. Mao Dun lobt Zweigs Verhalten gegen den Krieg. Er hebt hervor, dass Zweig in diesem Werk den Sieg des Widerstandsgeistes prophezeie und die Leserinnen und Leser durch diese Prophezeiung vom Zustand der Entmutigung befreit werden würden. Zweig erwähnt in seiner Autobiographie Die Welt von Gestern, er habe zu seinem 50. Geburtstag im Jahr 1931 erfahren, dass seine Werke auch schon ins Chinesische übersetzt worden seien. Da lag, als Geschenk des Insel-Verlags zu meinem fünfzigsten Geburtstag gedruckt, eine Bibliographie meiner in allen Sprachen erschienenen Bücher und war in sich selbst schon ein Buch  ; keine Sprache fehlte, nicht Bulgarisch und Finnisch, nicht Portugiesisch und Armenisch, nicht Chinesisch und Maratti.8

Tatsächlich erschien 1926 die chinesische Übersetzung von Romain Rolland in sechs Folgen in der Zeitschrift Mang Yuan. Ein Jahr danach wurde die Novelle Die Gouvernante vom Russischen ins Chinesische übersetzt. Der Übersetzer war Geng Ji, der 1929 auch Zweigs Novelle Geschichte in der Dämmerung übersetzte. Geng Ji war ein berühmter Übersetzer russischer Literatur. Was ihn dazu anregte, Zweigs Novellen zu übersetzen, war Maxim Gorkis hohe Meinung über Zweigs Werke. Die Atmosphäre Shanghais in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts ließ sich mit derjenigen im Wien Arthur Schnitzlers und Stefan Zweigs vergleichen. Vor diesem Hintergrund erfreuten sich Schnitzlers Werke großer Beliebtheit bei den Bürgerinnen und Bürgern von Shanghai und auch bei den Intellektuellen. Es war wiederum Mao Dun, der im Jahre 1922 dem chinesischen Publikum Ar­ thur Schnitzler vorstellte, indem er Anatol in Buchform herausbrachte und dieses Werk in die Bücherei der »Gesellschaft für Literaturforschung« aufnahm.9 8 9

Zweig, Stefan  : Die Welt von Gestern, Frankfurt a. M. 1944, S. 405. Diese Gesellschaft wurde im Jahre 1921 von Mao Dun und seinen Freunden in Peking gegrün-



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Auch Zweigs Novelle Brief einer Unbekannten wurde 1933 übersetzt und als erste Einzelpublikation vom Shanghaier Hua Tong Verlag veröffentlicht. In der Zeit des chinesisch-japanischen Krieges (1931–1945) war die Apfelschuss-Szene aus Schillers Wilhelm Tell in das Lehrbuch für die Grundschülerinnen und Grundschüler in Chongqing aufgenommen worden, als Symbol für den Widerstand eines unterdrückten Volkes, als eine Geschichte, die patriotischen Zielen dienen sollte. Während dieser Zeit der nationalen Krise standen die meisten chinesischen Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Künstlerinnen und Künstler, Literaturwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftlerinnen durchweg auf der Seite der antifaschistischen Kräfte. Mit großem Interesse verfolgten sie die Aktivitäten der antifaschistischen Schriftstellerinnen und Schriftsteller in Deutschland, Österreich und im Exil. Das Nazi-Regime war den Chinesinnen und Chinesen von Anfang an unsympathisch, nicht zuletzt wegen seiner unmenschlichen Rassentheorie und seines Antisemitismus. Das Leiden der deutschen Juden unter der Nazi-Regierung war ein großer Schock, nicht nur für die chinesischen Intellektuellen, sondern auch für das chinesische Volk, denn in der Geschichte Chinas, wo sich auch Juden niedergelassen hatten, hat es nie eine Judenverfolgung gegeben. Die zahlreichen Juden, die während des Zweiten Weltkriegs in Shanghai lebten, haben den Krieg ohne Schaden überstanden. Sie befanden sich in einem Land, das nicht von Rassenvorurteilen verseucht war, in dem Juden nicht um ihr nacktes Leben fürchten mussten und vollständige Bewegungsfreiheit genossen. Es ist kein Wunder, dass Jakob Wassermann, der in Deutschland und Österreich anfangs gefeiert und dann verurteilt wurde, in China mit unveränderter Wärme aufgenommen wurde. 1934, kurz nach Wassermanns Tod, erschien in der chinesischen literarischen Zeitschrift Chinesische Literatur ein Artikel von Zhang Ziping über Wassermanns Werke. Der Verfasser nahm die Verbannung Wassermanns zum Anlass, um die Nazis und deren Antisemitismus anzuprangern  : »Seitdem Hitler an die Macht gekommen ist, unterdrückt und verfolgt er mit nationalen Vorurteilen Juden im höchsten Grade, was allgemein bekannt ist. Die ganze Welt sieht mit Erstaunen dieser wahnsinnigen Politik der Nazi-Regierung zu. Alle politischen Entscheidungen der Nazis basieren im Grunde genommen auf dem Antisemitismus.«10 det. 10 Zhang Ziping  : Über Wassermanns Werke und den Antisemitismus der Nationalsozialisten, in  : Chinesische Literatur (Shanghai), Nr. 2, Band 2, August 1934, S. 3–4. Alle Übersetzungen aus dem Chinesischen stammen von der Autorin. Zhang Ziping (1893–1947), ein moderner chinesischer Schriftsteller, bekannt als Autor von Liebeserzählungen und Romanen, der in Ja-

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Chinesische Literaturwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftler verfolgten die Situation in Deutschland mit großer Anteilnahme. Sie veröffentlichten unverzüglich die neuesten Nachrichten von deutschen Schriftstellerinnen und Schriftstellern und deren antifaschistischen Tätigkeiten in Zeitungen und Zeitschriften, was als eine besondere Art der Solidarität der chinesischen Intellektuellen mit den von der nationalsozialistischen Regierung verfolgten deutschen Schriftstellerinnen und Schriftstellern verstanden werden sollte. 1936 erschien die chinesische Übersetzung von Zweigs Novelle Amok, und auch seine biographischen Texte, z.B. über Dostojewski und Hölderlin, wurden 1941 und 1942 ins Chinesische übersetzt. Im Vorwort der chinesischen Übersetzung eines Auszugs aus Zweigs Autobiographie über Auguste Rodin schrieb der Übersetzer Fang Jing über den Selbstmord Zweigs. Er glaubte, dass Zweig wegen seiner Verfolgung durch den Nationalsozialismus Selbstmord begangen haben musste.11 Zusammenfassend kann man sagen, dass die Zweig-Rezeption vor 1949 aufgrund ständiger Unruhen und langjähriger Kriege sehr unsystematisch war. Die Übersetzung und Forschung konnte nicht kontinuierlich fortgesetzt werden und wurde oft auch plötzlich abgebrochen. Zweig-Rezeption nach 1949 Die besondere politische und gesellschaftliche Entwicklung Chinas von der Gründung der Volksrepublik China (1949) bis zum Ende des 20. Jahrhunderts bestimmte die Zweig-Rezeption in diesem Zeitraum. Die Außenpolitik der Kommunistischen Partei Chinas nach 1949 entsprach der Konstellation der Mächte der damaligen Zeit. Einerseits wurden freundschaftliche Beziehungen mit den Ländern des sogenannten »sozialistischen Lagers« gepflegt und andererseits ein gegen das »imperialistische Lager« gerichteter Kurs aufrechterhalten. Nach dem Ausbruch des Koreakrieges im Jahr 1950 wurde China vom Westen isoliert, während die Beziehungen zur Sowjetunion umso enger wurden. Es gab auch sehr enge Bindungen zwischen der Volksrepublik China und der DDR. Auf dem Gebiet der Literatur und Kunst wurde die neue sozialistische Kulturpolitik eingeführt, die stark von der Sowjetunion und der ultralinken Ideopan Geologie studiert hatte, gründete mit Guo Moruo 1921 die literarische Gesellschaft der Schöpfung. Er war seit 1928 als Universitätsprofessor und freier Schriftsteller in Shanghai tätig. Er galt als einer der besten Kenner der ausländischen Literatur. 11 Diese Übersetzung erschien am 20. Juli 1947 im Beiblatt Nr. 5 der Zeitschrift Ren Jian Shi, herausgegeben von Lin Yutang, Shanghai.



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logie beeinflusst wurde. Die Literatur, einschließlich der ausländischen, wurde nach der marxistischen Literaturtheorie und Geschichtsauffassung beurteilt, die als allgemeingültig angesehen wurde. Die chinesische Literatur habe unter der Führung der Kommunistischen Partei stets den sozialistischen Realismus als das gesündeste literarische Prinzip zu betrachten und die literarischen Werke aus der Sowjetunion für ihr Modell zu halten. Der Zweck der Literatur und Kunst sei es, dem werktätigen Volk und der revolutionären Aufgabe zu dienen. Der Klassencharakter der Literatur und der Kunst sowie die führende Rolle der Partei sollten im literarischen Werk hervorgehoben werden.12 Die neue sozialistische Kulturpolitik fand auch ihren Niederschlag in der Vermittlung der ausländischen Literatur im Allgemeinen und der deutschsprachigen Literatur im Besonderen. Die sowjetische germanistische Forschung wurde zum Maßstab für die chinesische germanistische Forschung. Die DDR-Literatur wurde in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts als ideologisches Lehrmaterial verwendet und bevorzugt übersetzt. Da die Bundesrepublik Deutschland damals zum westlichen »imperialistischen Lager« gehörte und mit China keine diplomatischen Beziehungen unterhielt, konnten die Autorinnen und Autoren aus der Bundesrepublik ebenso wie diejenigen aus der Schweiz und aus Österreich kaum vorgestellt werden. Für die chinesischen Germanistinnen und Germanisten existierte ein roter Faden in der Geschichte der deutschsprachigen Literatur, der von der Aufklärung über die Klassik und den kritischen Realismus bis zur DDR-Literatur führte. Dieser sogenannte rote Faden lässt sich in der von Germanistinnen und Germanisten der Peking-Universität auf Chinesisch geschriebenen und im Jahr 1959 erschienenen Kurze[n] Geschichte der deutschen Literatur (De Guo Wen Xue Jian Shi) gut erkennen.13 Die Wiener Schriftsteller Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal und Stefan Zweig werden in diesem Buch mit keinem einzigen Wort erwähnt. Da in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts das sowjetische Modell als bewährtes sozialistisches Vorbild galt, lernte man auf allen Gebieten von der Sowjetunion. Daher wurden die westlichen literarischen Texte, die auch in der Sowjetunion publiziert wurden, als einwandfreie Lektüre betrachtet. Vor diesem historischen Hintergrund wurde Vierundzwanzig Stunden aus dem Leben einer Frau von Stefan Zweig Anfang der sechziger Jahre, in der Atmosphäre der politischen und kulturellen Lockerung, ins Chinesische übersetzt. Die Tatsache, 12 Vgl. Zhou Yang  : The Great Debate on the Literary Front, in  : Peking Review 1 (1958), Nr. 4, 25.3.1958, S. 12–15. 13 Feng Zhi/Tian Dewang/Zhang Yushu/Sun Fengcheng/Li Shu/Du Wentang   : Kurze Geschichte der deutschen Literatur (De Guo Wen Xue Jian Shi), Beijing 1959.

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dass dieses Werk in der Sowjetunion positiv rezipiert worden war, galt für die chinesischen Vermittlerinnen und Vermittler der deutschsprachigen Literatur als eine politische Garantie. 1966 brach in China die sogenannte Kulturrevolution aus. Die neue Parteilinie auf dem Gebiet der Literatur und Kultur lehnte die klassische und moderne chinesische Literatur ab und damit auch alle anerkannten und kanonisierten Werke der Weltliteratur. Alle Buchhandlungen waren leer bis auf die Werke von Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao Zedong. In den Bibliotheken durfte man keine ausländischen literarischen Werke ausleihen. Viele Werke über ausländische Literatur und Kunst wurden als Abfall verkauft oder verbrannt. Fast alle Übersetzungen ausländischer Literatur wurden als feudal, bürgerlich oder revisionistisch bezeichnet  ; das Übersetzen ausländischer Literatur wurde praktisch verboten. Obwohl China im Jahr 1972 diplomatische Beziehungen aufnahm, war es den chinesischen Germanistinnen und Germanisten aufgrund der Kulturrevolution unmöglich, Kontakt mit der Bundesrepublik Deutschland und ihren Fachkolleginnen und Fachkollegen aufzunehmen. Die Kulturrevolution wurde im Oktober 1976 beendet. Im Dezember 1978 fand die 3. Plenartagung des XI. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas statt, auf der die neue Politik der Partei beschlossen wurde, welche die Entwicklung Chinas in den achtziger und neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts entscheidend bestimmte. Auf wirtschaftlichem Gebiet begann man damit, eine Reihe von Reformen umzusetzen. Auf geistigem Gebiet begann man, sich mit der jüngsten Vergangenheit (der Kulturrevolution) auseinanderzusetzen. Die Rezeption der deutschsprachigen Literatur nach der Kulturrevolution war von den damaligen besonderen Umständen in China bestimmt. Da die zehn Jahre der Kulturrevolution für die Chinesinnen und Chinesen mit den zwölf Jahren des Dritten Reiches vergleichbar waren und die »Viererbande« in China mit der »Führer-Bande« in Deutschland assoziiert wurde, interessierten sich die Chinesinnen und Chinesen besonders für die deutsche Geschichte der letzten Jahrzehnte.14 14 Die sogenannte »Viererbande«, die auch in der offiziellen Sprache so bezeichnet wurde, war die einflussreichste Gruppe innerhalb der Führung der Kommunistischen Partei während der Kulturrevolution. Sie bestand aus Wang Hongwen, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralkomitees der KP Chinas, Jiang Qing, der Frau Mao Zedongs und stellvertretenden Leiterin der Gruppe zur Führung der Kulturrevolution, dem Vizeministerpräsidenten Zhang Chunqiao sowie Yao Wenyuan, dem für Propaganda und Ideologie zuständigen Mitglied des Politbüros des ZK der KP Chinas. Im Oktober 1976 wurden die Mitglieder der Gruppe verhaftet und von einem staatlichen Gericht verurteilt, da sie für die Gräueltaten und Verbrechen während der Kulturrevolution verantwortlich gemacht wurden.



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Die Rezeption Stefan Zweigs bei den chinesischen Leserinnen und Lesern fing ebenfalls mit der Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit an. Die Weltliteratur veröffentlichte im Jahr 1978 die Übersetzung von Zweigs Schachnovelle, die große Resonanz beim chinesischen Publikum fand, vor allem bei den chinesischen Intellektuellen.15 Das Schicksal von Dr. B. in dieser Novelle, der im Dritten Reich so viele seelische Folterungen und Qualen erlitten hatte, schien viele Chinesinnen und Chinesen an ihre eigenen Erlebnisse während der Kulturrevolution zu erinnern.16 Im Zuge der geistigen Befreiung erweiterte sich der Horizont der germanistischen Forschung und der Vermittlung der deutschsprachigen Literatur. Diese Tendenz wurde auch durch den dringenden Wunsch der Leserinnen und Leser gefördert. Die Informationen über Deutschland, Österreich und die Schweiz und die deutschsprachige Literatur mehrten sich. Die Vermittlung der deutschsprachigen Literatur entwickelte sich nun sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht. Man begann auch damit, die Werke von Stefan Zweig zu übersetzen. Als die erste große Leistung dieser Zeit gelten die Übersetzungen einiger Novellen (Brief einer Unbekannten, Schachnovelle, Die Gouvernante, Die unsichtbare Sammlung) durch Zhang Yushu. Diese Novellen wurden vom chinesischen Lesepublikum mit großer Begeisterung aufgenommen und galten als Bestseller mit insgesamt 100.000 Exemplaren in den ersten Auflagen. Auf Wunsch der Leserinnen und Leser, die mehr von Stefan Zweig lesen wollten, veröffentlichte der Volksliteraturverlag eine Sammlung der Meisternovellen von Stefan Zweig, die außer den oben erwähnten vier Novellen auch noch Amok, Brennendes Geheimnis, Angst, Vierundzwanzig Stunden im Leben einer Frau, Geschichte in der Dämmerung und Mondscheingasse enthielt. Diese Novellensammlung erlebte nacheinander zwei Auflagen, 1982 die erste Auflage mit 38.000 Exemplaren und 1983 die zweite Auflage mit weiteren 21.000 Exemplaren. In seinem grundlegenden Aufsatz Österreichische Literatur in China nennt Zhang Yushu einige Gründe für den nach 1979 erfolgten Durchbruch und die zunehmende Anerkennung Stefan Zweigs.17 So sei Zweig in seiner Literatur »nicht an der Oberfläche stehengeblieben, sondern in die Seele der Menschen 15 Die Weltliteratur, die zuvor unter dem Titel Übersetzungen erschienen war, war die einzige Zeitschrift, die damals Übertragungen ausländischer Literatur herausbrachte. 16 Zhang Yushu  : Die Akzeptanz von Stefan Zweig in China nach der Kulturrevolution. Seelenleben – terra incognita. Von einem »Hauptrepräsentanten der Dekadenz« zu einem Lieblingsdichter der ChinesInnen, in  : Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Frankfurter Ausgabe, 42. Jahrgang, Nr. 20, 11. März 1986, S. 704. 17 Zhang Yushu  : Österreichische Literatur in China. In  : TRANS. Internetzeitschrift für Kulturwissenschaften. Nr. 7. September 1999, http://www.inst.at/trans/7Nr/yushu7.htm (letzter Zugriff  : 17.09.2017).

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eingedrungen.«18 Durch die Novellen Zweigs sei »dem chinesischen Publikum eine neue Welt erschlossen« worden, die Welt des seelischen Lebens und der Liebe.«19 Zhang Yushu verweist auf die Begeisterung der chinesischen Leserinnen und Leser und spricht sogar von einem »Zweig-Fieber« und einem »Höhepunkt der Zweig-Begeisterung«.20 Die neue Rezeption Stefan Zweigs in China Heute zählt Zweig in China ohne Zweifel zu den meistgelesenen deutschsprachigen Schriftstellern. Viele Übersetzungen seiner Werke, insbesondere seiner Novellen erlebten in den letzten 20 Jahren mehrere Auflagen. Vor allem die Novelle Brief einer Unbekannten erfreut sich einer besonderen Beliebtheit beim chinesischen Lesepublikum. Sie wurde mehrmals ins Chinesische übersetzt und als Einzelpublikation von mehreren Verlagen veröffentlicht. In ihrem im November 2004 auf dem Filmfest von San Sebastian mit einer silbernen Muschel für die beste Regie ausgezeichneten Film Brief einer unbekannten Frau beschäftigt sich die chinesische Regisseurin Xu Jinglei ebenfalls mit dieser Novelle von Zweig. Xu hat selbst das Drehbuch geschrieben, in dem sie sich eng an die Vorlage der chinesischen Übersetzung von Stefan Zweigs Erzählung gehalten hat. Sie hat auch selbst die Hauptrolle übernommen. In ihrem Film hat Xu die unbekannte Frau neu interpretiert und präsentiert. Der Film erzählt von einer märchenhaften, echten Liebe, die unsterblich und zeitlos ist. Er stellt eine emanzipierte Frauenfigur dar, die nicht von der Liebe besessen ist und jemanden so sklavisch und hingebungsvoll liebt wie die Protagonistin in der Erzählung von Stefan Zweig. Xu Jinglei ist der Ansicht, dass eine Frau in Liebesbeziehungen Selbstkontrolle besitzen und Unabhängigkeit beweisen sollte. Sie will nicht, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer Mitleid mit der Protagonistin haben, sondern Respekt vor ihr und Verständnis für sie. In der chinesischen Verfilmung wird die Handlung in das Beijing der 1930er und 1940er Jahre verlegt. Die Regisseurin hat versucht, durch die Berücksichtigung der Rituale eines anderen Kulturraums ihr individuelles Zweig-Verständnis und ihre eigenen Interpretationen der Erzählung zum Ausdruck zu bringen. Als wichtige Funktion von Literaturverfilmungen gelten seit jeher die Popularisierung von Literatur und ihre Verbreitung in literaturfernen Rezipientengruppen. Xus Film hat in gewisser Weise diese Funktion übernommen, und zwar 18 Ebd., S. 5. 19 Ebd., S. 6. 20 Ebd., S. 8.



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unbewusst. Der Film hat überraschenderweise zu einem neuen »Zweig-Fieber« in China geführt. Allein im Jahre 2005 erschienen sieben Übersetzungen von Brief einer Unbekannten in China, die von heftigen Diskussionen im Internet und in Fachzeitschriften über die Erzählung und ihre Verfilmung begleitet wurden. Xu selbst setzt die Kenntnis der Vorlage beim chinesischen Theaterpublikum eigentlich nicht voraus. Aber tatsächlich kennen viele Zuschauerinnen und Zuschauer das Original, was für einen hohen Bekanntheitsgrad dieser Erzählung von Stefan Zweig in China spricht. Die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer, die gleichzeitig Zweig-Fans sind, haben den Film von Xu positiv aufgenommen. Die Hauptkritik an der Verfilmung von Xu ist, dass sie an zu vielen Stellen mit Hilfe des Off-Tons die Entwicklung der Handlung und die Emotionen und Gedanken der Protagonistin darstellt, wodurch der Film in seinem Erzählfluss gestört wird. Gleichzeitig halten die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer, die das Original nicht kennen, Xus Film für eine rührende Liebesgeschichte. Viele lernten durch den Film Zweig kennen und begannen, mit Begeisterung seine Werke zu lesen. Dieser Film hat dem österreichischen Schriftsteller zu einer größeren Popularität in China verholfen. Im Jahre 2015 wurde die Novelle Brief einer Unbekannten von Meng Jingsheng auch auf die chinesische Bühne gebracht. In diesem Eine-Frau-Theaterstück erzählt die Hauptdarstellerin die Unbekannte tanzend und Gitarre spielend ihre Geschichte. Das Leben der Unbekannten lässt sich als »dreimal Kochen und dreimal Liebemachen« zusammenfassen, denn »Liebe geht durch den Magen«. Der Regisseur ist der Ansicht, dass jedes »Kochen« und »Liebemachen« in der Aufführung als Missverständnis, Verletzung und Missbrauch von Liebe verstanden werden könnte. Diese extrem individuell geprägte Interpretation des Lebens der Protagonistin der Novelle Zweigs regte zwar zu heftiger Kritik an, fand aber nicht viel Aufmerksamkeit bei Zweig-Forscherinnen und Forschern. Nach und nach wird Stefan Zweig als ein Schriftsteller mit einem besonderen künstlerischen Charakter vom chinesischen Lesepublikum wahrgenommen. Man liest ihn gerne, weil er beim Schreiben nicht nur realistische Methoden anwendet, sondern auch mit verschiedenen modernen Stilmitteln vertraut ist. Seine psychologische Einfühlungsgabe, die Vermittlung von Bildung und Wissen durch Literatur, sein Glaube an die Entwicklungsfähigkeit des Menschen und der Erlebnischarakter seiner Literatur sind die wichtigsten Gründe für Stefan Zweigs herausragenden Erfolg bei den chinesischen Leserinnen und Lesern. Nicht nur sein erzählerisches Werk, sondern auch seine literarischen Biographien wurden seit den neunziger Jahren ins Chinesische übersetzt, zum Beispiel  : Joseph Fouché. Bildnis eines politischen Menschen, Drei Meister  : Balzac – Dickens – Dostojewski, Castellio gegen Calvin oder Ein Gewissen gegen die Gewalt und Marie

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Antoinette. Auch eine Verbreitung und eine Vertiefung der Forschung lassen sich im Hinblick auf Stefan Zweig feststellen. Anlässlich des 70. Todesjahres von Stefan Zweig fand vom 5. bis 7. November 2012 das internationale Stefan Zweig-Symposium an der Renmin-Universität China in Beijing statt. Das Symposium wurde von Redaktion der Literaturstraße21, dem Volksliteraturverlag, der Deutschabteilung und dem Deutschland-Forschungszentrum der Renmin-Universität China veranstaltet, durch die Fritz-Thyssen-Stiftung gefördert und vom Goethe-Institut China unterstützt. Yu Hua, einer der renommiertesten chinesischen Schriftsteller, hat auf dem Symposium in einem Vortrag über seine eigenen Erfahrungen mit Stefan Zweig und dessen Werken berichtet. Auch ein Zweig-Buch mit chinesischen Übersetzungen seiner Novellen und Briefe sowie von Sternstunden der Menschheit und Castellio gegen Calvin oder Ein Gewissen gegen die Gewalt, herausgegeben von Zhang Yushu und veröffentlicht vom Volksliteraturverlag, wurde auf der Eröffnungszeremonie präsentiert.22 Das Thema des Symposiums lautete »Zweig-Forschung und Rezeption im internationalen Blickfeld«. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich während des Symposiums mit Zweigs dichterischem Erbe und politischem Vermächtnis auseinandergesetzt und zu einem tieferen Verständnis seines Werkes beigetragen. Etwa 50 Literaturwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftler aus China, Deutschland, Österreich, Japan, Israel und England haben Vorträge zu Stefan Zweigs Werken gehalten, lebhaft miteinander diskutiert und sich gegenseitig viele Anregungen gegeben. Erörtert wurden Themen wie »Stefan Zweig und der Begriff der Weltliteratur«, »Stefan Zweigs Auffassung vom Goetheschen Dichtertum«, »Stefan Zweigs Bild von fremden Ländern«, »Zur chinesischen Verfilmung von Briefe einer Unbekannten von Stefan Zweig«, »Der 21 Das Chinesisch-deutsche Jahrbuch für Sprache, Literatur und Kultur wurde durch Professor Dr. h.c. Zhang Yushu (Peking-Universität) zusammen mit seinem damaligen Kollegen Professor Dr. Winfried Woesler (Universität Osnabrück) ins Leben gerufen und erschien mit dem ersten Band im August 2000 in Peking beim Volksliteraturverlag. Seit Band 4 (2003) erscheint die Literaturstraße beim Verlag Königshausen & Neumann in Würzburg, bis jetzt sind 18 Bände erschienen. Das aktuelle Herausgebergremium besteht aus Feng Yalin (Sichuan International Studies University), Zhu Jianhua (Tongji-Universität), Wei Yuqing (Fudan Universität), Gerhart Lauer (Universität Göttingen), Jörg Robert (Universität Tübingen) und Gertrud M. Rösch (Universität Heidelberg). Dem Wissenschaftlichen Beirat des Chinesisch-deutschen Jahrbuchs gehören als Mitglieder an  : Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Frühwald (München), Prof. Dr. Walter Gebhard (Bayreuth), Prof. Dr. Mark H. Gelber (Beer Sheva), Prof. Dr. Edeltrud Kim (Seoul), Prof. Dr. Naoji Kimura (Tokio), Prof. Dr. Paul Michael Lützeler (St. Louis, USA), Prof. Dr. Klaus-Detlef Müller (Tübingen) und Prof. Dr. Peter Wiesinger (Wien). Zhang Yushu ist nun der Ehrenherausgeber der Zeitschrift. 22 Zhang Yushu  : Zweig-Buch. Übers. v. Zhang Yushu und Zhang Yi, Beijing 2012.



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Novellenbegriff und die deutsche Literatur« und »Die weibliche Stimme in den letzten Tagen von Stefan Zweig«. Das Symposium hat neue Impulse, neue Fragestellungen und neue Forschungsaspekte für die Zweig-Forschung ergeben. Einerseits hat es Traditionen der Forschung weitergeführt, andererseits neue Bereiche erschlossen. Dass hierbei auch eine interkulturelle Perspektive – ganz im Sinne von Stefan Zweig selbst  – eine wichtige Rolle spielt, ergibt sich nicht zuletzt aus dem Teilnehmerkreis. Um die Resonanz der Tagung zu vergrößern und deren Wirkung zu vertiefen, wurden die Beiträge der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in einem Band als Dokumentation gesammelt und 2015 unter dem Titel Aktualität und Beliebtheit – Neue Forschung und Rezeption von Stefan Zweig im internationalen Blickwinkel, herausgegeben von Zhang Yi und Mark H. Gelber, bei Königshausen & Neumann veröffentlicht.23 Fazit In den letzten Jahren wurden wiederum eine Reihe von Werken Zweigs neu ins Chinesische übersetzt und veröffentlicht. Der Shanghaier Verlag für Literatur und Kunst brachte im Jahr 2013 die erste chinesische Übersetzung von Brasilien. Ein Land der Zukunft heraus. Der Volksliteraturverlag hat nacheinander Zhang Yushus chinesische Übersetzung von Sternstunden der Menschheit (2012), Balzac (2014), Die Welt von Gestern (2015) und Marie Antoinette (2017) veröffentlicht. Anlässlich seines 75. Todesjahres hat der Volksliteraturverlag die Absicht, die chinesische Fassung sämtlicher Novellen und Erzählungen Zweigs in vier Bänden zu veröffentlichen, einschließlich zweier Werke aus dem Nachlass.24 Die Novelle Clarissa wird dafür von Zhang Yi zum ersten Mal ins Chinesische übersetzt. Inzwischen sind auch immer mehr wissenschaftliche Forschungsarbeiten erschienen, die neue Ansätze und Perspektiven präsentieren. Seit dem Ende der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts erlebt China einen Zweig-Boom nach dem anderen, die Zweig-Begeisterung bleibt ungeschwächt und unverändert. Eine ganze Generation chinesischer Leserinnen und Lesern sowie von Schriftstellerinnen und Schriftstellern ist von Zweig fasziniert und beeinflusst, weil er ihnen neue Anregungen und neue Impulse gibt. Zweig erweitert Horizonte durch die Erschließung der terra incognita der menschlichen Seele, der Welt des Unterbewusstseins, durch die Präsentation glaubhafter 23 Zhang Yi/Gelber, Mark H.: Aktualität und Beliebtheit – Neue Forschung und Rezeption von Stefan Zweig im internationalen Blickwinkel, Würzburg 2015. 24 Rausch der Verwandlung und Clarissa.

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Figuren aus Fleisch und Blut, mit den menschlichen Herrlichkeiten und der tierischen Hässlichkeit ihrer Charaktere, der erhabenen Höhe und dem fürchterlichen Abgrund der Seele. Der Meistererzähler begeistert, weil er durch die Schilderung anmutiger Frauengestalten in rührenden und ergreifenden Liebesgeschichten die Schönheit und Erhabenheit der Liebe und der menschlichen Gefühle feiert, weil er den chinesischen Leserinnen und Lesern hilft, Tabus zu brechen und die früher in der chinesischen Literatur dominierenden eindimensionalen, schablonenhaften Figuren zu verscheuchen, weil der angebliche unpolitische Dichter den Chinesinnen und Chinesen zeigt, wie man Demagogen und Diktatoren zu erkennen und sie zu bekämpfen vermag. Die Beliebtheit, deren sich Zweig bei den chinesischen Leserinnen und Lesern erfreut, sowie die ungemein hohe Stellung, die dieser Autor in China einnimmt, bestätigt, was Thomas Mann über Stefan Zweig gesagt hat  : Sein literarischer Ruhm reichte bis in den letzten Winkel der Erde – ein merkwürdiges Vorkommnis bei der geringen Popularität, deren sonst deutsches Schrifttum im Vergleich mit französischem und englischem sich erfreut. Vielleicht ist seit den Tagen des Erasmus (über den er glänzend gearbeitet hat) kein Schriftsteller mehr so berühmt gewesen wie Stefan Zweig.25

25 Mann, Thomas  : Stefan Zweig zum zehnten Todestag 1952, in  : Arens, Hans (Hg.)  : Der große Europäer Stefan Zweig, Frankfurt a. M. 1981, S. 187–188.

Alfred Bodenheimer

Die unsichtbare Gefahr und die Gefahr der Unsichtbarkeit Franz Kafka als Zeuge der jüdischen Moderne

Kein Traum Hannah Arendt stellt dem sechsten und letzten Kapitel von Vita activa ein Zitat aus Kafkas Tagebüchern voran  : »Er hat den archimedischen Punkt gefunden, hat ihn aber gegen sich ausgenutzt, offenbar hat er ihn nur unter dieser Bedingung finden dürfen.«1 Der archimedische Punkt Kafkas wird Arendt dabei zur Metapher menschlicher Weltvermessung seit der beginnenden Moderne. Der jahrhundertelange Prozess der Inbesitznahme der Erde durch »das Vermessen und Karthographieren der Kontinente und Ozeane«2 habe, so Arendt, zugleich einen »Erdschrumpfungsprozess«3 freigesetzt  ; »jede Verringerung von Entfernung auf der Erde kann nur um den Preis einer vergrößerten Entfernung des Menschen von der Erde gewonnen werden, also um den Preis einer entscheidenden Entfremdung des Menschen von seiner unmittelbaren irdischen Behausung.«4 Welteroberung ist Weltentfremdung, Aneignung ist Kenntlichmachung auf Kosten der Erkennbarkeit, die Welt bis auf die Größe eines Globus zu reduzieren und ins eigene Wohnzimmer zu bringen, heißt, sich unendlich von ihr entfernt zu haben. Auch ökonomisch stellt Arendt eine Entwicklung fest, in deren Ablauf »das Eigentum durch Aneignung vernichtet, die Gegenstände durch den Produktionsprozess verschlungen, und die Stabilität der Welt durch das, was diese Jahrhunderte den Fortschritt nannten, unterminiert wurde.«5 Tatsächlich spiegelt kaum ein literarisches Werk dieses Moderneverständnis ähnlich adäquat wider wie das Werk Franz Kafkas. Die Ausnutzung des archimedischen Punktes gegen sich selbst als Bedingung seines Findens kann zumal im Sinne von Arendts Interpretation geradezu als Paradigma von Kafkas Literatur gelesen werden. Kontraktionen und Extensionen von Raum und Zeit 1 2 3 4 5

Zitiert nach Arendt, Hannah  : Vita activa oder Vom tätigen Leben, München 1960, S. 244. Ebd., S. 245. Ebd., S. 246. Ebd., S. 246 f. Ebd., S. 247.

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oder das Oszillieren zwischen dem Innen- und dem Außenraum der Persönlichkeit stehen dafür ebenso wie die unklare Beziehung zwischen Promiskuität und Öffentlichkeit. Die Frage, ob diese Modernitätskonzeption etwas spezifisch »Jüdisches« enthält, soll für den Moment noch offenbleiben. Was jedenfalls deutlich erscheint, ist, dass eine Untersuchung nach dem Verhältnis von Welt und Literatur (als Instrument ihrer Vermessung), von Äußerem und Innerem, von Öffentlichem und Privatem schon bei der Entwicklung von Kafkas frühen Texten ansetzen sollte. Dieser Aufsatz wird sich deshalb hauptsächlich mit einigen früheren Texten Kafkas beschäftigen. Der Prozess der Übernahme der äußeren Welt durch die innere bis hin zur Identität beider markiert eine frühe Wende in Kafkas Schreiben. Sie lässt sich anhand der unvollendeten, posthum veröffentlichten Texte Beschreibung eines Kampfes und Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande erkennen. Das zweite Kapitel des Fragments Beschreibung eines Kampfes mit dem Titel »Spaziergang« beginnt so  : Unbekümmert gieng ich weiter. Weil ich aber als Fußgänger die Anstrengung der bergigen Straße fürchtete, ließ ich den Weg immer flacher werden und sich in der Entfernung endlich zu einem Thale senken. Die Steine verschwanden nach meinem Willen und der Wind wurde still und verlor sich im Abend. Ich gieng in gutem Marsch und da ich bergab gieng, hatte ich den Kopf erhoben und den Körper gesteift und die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Da ich Fichtenwälder liebe, gieng ich durch Fichtenwälder und, da ich gerne stumm in den ausgesternten Himmel schaue, so giengen mir auf dem großausgebreiteten Himmel die Sterne langsam und ruhig auf, wie es auch sonst ihre Art ist. Nur wenige gestreckte Wolken sah ich, die ein Wind, der nur in ihrer Höhe wehte, durch die Luft zog. Ziemlich weit meiner Straße gegenüber, wahrscheinlich durch einen Fluß von mir getrennt, ließ ich einen hohen Berg aufstehn, dessen Höhe mit Buschwerk bewachsen an den Himmel grenzte. Noch die kleinen Verzweigungen und Bewegungen der höchsten Äste konnte ich deutlich sehn. Dieser Anblick, wie gewöhnlich er auch sein mag, freute mich so, daß ich als ein kleiner Vogel auf den Ruten dieser entfernten struppigen Sträucher schaukelnd daran vergaß, den Mond aufgehn zu lassen, der schon hinter dem Berge lag, wahrscheinlich zürnend wegen der Verzögerung.6

Innerhalb des zwischen 1904 und 1907 verfassten Textes findet eine Transgression zwischen der empirischen Welt (des Textes) und der vom Erzähler imaginierten Realität statt. Über seinen Ich-Erzähler dechiffriert sich der Autor selbst 6

Kafka, Franz  : Beschreibung eines Kampfes und andere Schriften aus dem Nachlass in der Fassung der Handschrift, Frankfurt a. M. 1994, S. 62 f.



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als Schöpfer von Narrativen, der die Macht hat, sein eigenes Universum zu erschaffen, zugleich aber auch dazu bestimmt ist, in ihm zu leben. Der Aufbau der drei zitierten Absätze ist dabei klar nachvollziehbar  : Im ersten formt der Erzähler die Bedingungen entsprechend den Bedürfnissen seiner eigenen Person und deren Wohlbefinden  : Die bergige Straße, auf der er geht, wird immer flacher und versinkt in der Ferne gar in einem Tal. Im zweiten Absatz wachsen um ihn herum der Kosmos und die Landschaft seiner Imagination. Zugleich gesteht der Erzähler, dass sein Bild äußerst konventionell ist, so dass der Leser darüber spekulieren möchte, ob der Erzähler nicht behauptet, mit seiner Literatur das geschaffen zu haben, was eigentlich empirisch um ihn herum schon existiert. Damit erhält die Imagination etwas Manieristisches, und die Grenzen zwischen Kontemplation und Solipsismus verschwimmen. Der dritte Absatz verleiht den Transgressionen zwischen (erzählter) Empirie und Imagination eine neue Dimension. Der Erzähler begibt sich in den Gestus der Metamorphose, das »Ich« verwandelt sich in einen kleinen Vogel. Seiner Erzählerrolle weiterhin gewahr, ist er ihr in der verwandelten Form dennoch nicht mehr gewachsen, indem er vergisst, den Mond aufgehen zu lassen (und damit die narrative Verantwortung für den erzählten Kosmos wahrzunehmen). Lehnt sich die Macht des Erzählens und des Schaffens literarischer Welten an Traditionen der deutschen Romantik an, so ist die Unfähigkeit, die desaströsen, aber unvermeidlichen Folgen erzählerischer Allmacht zu meistern, Zeichen der resignativen Moderne. Darauf, dass Kafka die Variationen, Möglichkeiten und Fährnisse von Verwandlung, die später zu einem seiner berühmtesten Texte überhaupt führen, in diesen ersten Jahren des 20. Jahrhunderts literarisch austestet, weist das Fragment Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande von 1906/07 hin. In der Beschreibung des Protagonisten Eduard Raban auf seiner von Unbehagen begleiteten Reise zu der Braut, die auf dem Land lebt, findet sich eine Textstelle, die als Vorläuferin auf die spätere Erzählung Die Verwandlung zu lesen ist. Und überdies kann ich es nicht machen, wie ich es immer als Kind bei gefährlichen Geschäften machte. Ich brauche nicht einmal selbst aufs Land fahren, das ist nicht nöthig. Ich schicke meinen angekleideten Körper nur. Also ich schicke diesen angekleideten Körper. Wankt er zur Thür meines Zimmers hinaus, so zeigt das Wanken nicht Furcht sondern seine Nichtigkeit. Es ist auch nicht Aufregung, wenn er über die Treppen stolpert, wenn er schluchzend aufs Land fährt und weinend dort sein Nachtmahl ißt. Denn ich, ich liege inzwischen in meinem Bett, glatt zugedeckt mit gelbbrauner Decke, ausgesetzt der Luft, die durch das wenig geöffnete Fenster weht. Ich habe wie ich im Bett liege die Gestalt eines großen Käfers, eines Hirschkäfers oder eines Maikäfers glaube ich. […]

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Eines Käfers große Gestalt, ja. Ich stellte es dann so an als handle es sich um einen Winterschlaf und ich preßte meine Beinchen an meinen gebauchten Leib. Und ich lisple eine kleine Zahl Worte, das sind Anordnungen an meinen traurigen Körper, der knapp bei mir steht und gebeugt ist. Bald bin ich fertig, er verbeugt sich, er geht flüchtig und alles wird er aufs beste vollführen, während ich ruhe.7

Die Figur des Käfers erscheint hier als Figuration geretteter mentaler Integrität und Konfrontationsvermeidung mit einer unfreundlichen Welt, die es Raban ermöglichen würde, sich von seinem »Körper« zu trennen und diesen wegzuschicken, während er selbst im Bett bliebe und dem »Körper« nur leise Befehle zuflüsterte. In der doppelten Entfremdung vom eigenen Körper findet eine moderne Version des Prager Golem-Mythos seinen Niederschlag. Rabans Körper, der von seinem Geist hier nicht mehr bewohnt, sondern fremdbestimmt wird, ist nur mehr manipulierte Masse  : »Wankt er zur Thür meines Zimmers hinaus, so zeigt das Wanken nicht Furcht sondern seine Nichtigkeit.« Entsprechend wirkt die Unbeweglichkeit des Käfers hier mehr als Souveränität der »wahren Persönlichkeit«, die durch den vorgeschickten Körper den Kalamitäten gesellschaftlicher Anforderungen entgeht, denn als Hilflosigkeit eines unglücklichen Wesens, wie wir das »Ungeziefer« in der Verwandlung wahrnehmen. Die Kluft zwischen Rabans Tagtraum und der Verwandlung Gregor Samsas (von der explizit gesagt wird, sie sei »kein Traum«)8 liegt in der einleitenden Bemerkung von Rabans Imagination  : »Und überdies kann ich es nicht machen, wie ich es immer als Kind bei gefährlichen Geschäften machte.« Samsa hat sich auf das Experiment eingelassen, das Raban immer im Bereich der Phantasie belassen hatte  : Er hat sich aus seiner eigenen Existenz bis hin zur Entkörperlichung zurückgezogen und sich in jene Gestalt verwandelt, die für Eduard Raban die Verkörperung des Nichtkörpers war  : Den Käfer, bzw. das Insekt. Die Verbindung zu Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande lässt zunächst eine alternative Lektüre über diesen »Prozess der Entmenschlichung« zu,9 wie er in der Verwandlung gesehen worden ist. Die negative konnotierte Terminologie, für die das Wort »Ungeziefer« steht, ebenso wie der Verweis auf »seine vielen, im Vergleich zu seinem sonstigen Umfang kläglich dünnen Beine«, die ihm »hilflos vor den Augen« flimmern,10 lässt gleich zu Beginn einen Grundton des Leidens   7 Ebd., S. 18.   8 »›Was ist mit mir geschehen  ?’, dachte er. Es war kein Traum.« Kafka, Franz  : Die Verwandlung, in  : Ein Landarzt und andere Drucke zu Lebzeiten, Frankfurt a. M 1994, S. 91–158  ; hier S. 93.   9 Hubbert, Joachim  : Metaphysische Sehnsucht, Gottverlassenheit und die Freiheit des Absurden. Untersuchungen zum Werk von Franz Kafka, Bochum 1995, S. 78. 10 Kafka  : Die Verwandlung, S. 94.



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anklingen. Doch es gilt die Differenz zwischen der Perspektive des im Rückblick erzählenden Erzählers und Gregor Samsa selbst und seiner augenblicklichen Versetzung in die Situation des Insekts zu erfassen. Zwar reagiert Samsa irritiert auf seine neue Körperform, die die gewohnten Bewegungsabläufe, etwa beim Aufstehen, nicht mehr zulässt. Doch zugleich gilt sein erster Gedanke nicht unmittelbar der ihm nur diffus bewussten Verwandlung, sondern seiner Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen, die er als unangemessen anstrengend und erniedrigend empfindet – nicht zuletzt das tägliche frühe Aufstehen, das ihm nun gerade durch die neue Körpergestalt nicht gelingen will. Insofern ist die Verwandlung ein Akt des Widerstands, ja der Renitenz Gregor Samsas gegen die ihn einengenden Verhältnisse. Sie ist die Realisierung dessen, was Eduard Raban als Tagtraum erlebte, doch indem sie »kein Traum« ist, sondern die perfekte Flucht in den nichtmenschlichen liegenden Körper, führt sie ins Desaster. Die eigentliche Problematik von Samsas Verwandlung taucht erst auf, als er mit den unerträglichen Zwängen seiner Umwelt (und seiner in gewisser Weise befreienden Unfähigkeit, diesen zu entsprechen) konfrontiert wird  : Beim Blick »zur Weckuhr hinüber, die auf dem Kasten tickte« und als zunächst einziges Element im Zimmer die Verbindung zu den Verpflichtungen der Außenwelt, etwa zum Frühzug, den er verschlafen hat, herstellt.11 Danach sind es die Eltern und der Prokurist, die den Einbruch der Welt in seine Existenz und damit die Dramatik der Inkommensurabilität deutlich machen. Samsa hat den archimedischen Punkt von Rabans Vorstellungskraft gefunden und ihn gegen sich selbst genutzt. Letztlich aber, und hier äußert sich die Moderne in der kränkendsten Weise ihrer Selbstdechiffrierung, ist die Errungenschaft Samsas kein bewusster Akt. Indem sie »kein Traum« ist, ist sie Transformation des Traums in die (narrative) Realität. Nach dem Öffnen der Pandorabüchse, dem rationalen Ordnen des Unbewussten, ist es nicht mehr möglich, die Grenze zwischen dem Rationalen und dem Irrationalen zu ziehen. Der vernünftige Mensch wird umso mehr zur Geisel seines Unbewussten, als er analytisch dessen steuernde Funktion auf sein Handeln wahrnimmt. Literatur ist das Instrument, mit dem bei Kafka der archimedische Akt umgesetzt bzw. deutlich gemacht wird. Die Welt um Samsa bleibt die gleiche, nur er hat sich verändert. Das Individuum, die symbolische Instanz der Moderne, kontrahiert sich auf die Isolation des Einzelnen in den Verstrickungen seiner Arbeits- und Familienpflichten.

11 Ebd., S. 95.

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Unsichtbare Gefahr und die Gefahr der Unsichtbarkeit In seinem Text »Was ist Zeitgenossenschaft« zitiert Giorgio Agamben Roland Barthes’ Bemerkung zu Nietzsche  : »Das Zeitgenössische ist das Unzeitgemäße«.12 Er erklärt  : Zeitgenossenschaft ist also ein spezielles Verhältnis zur Gegenwart  : Man gehört ihr an, hält jedoch gleichzeitig Abstand zu ihr  ; genauer gesagt ist sie jenes Verhältnis zur Zeit, in dem man ihr durch eine Phasenverschiebung, durch einen Anachronismus angehört. Diejenigen, die restlos in ihrer Epoche aufgehen, die in jedem Punkt völlig mit ihr übereinstimmen, sind nicht zeitgenössisch, weil sie gerade deshalb nicht sehen, nicht beobachten können.13

Kafkas Zeitgenossenschaft äußert sich in der Tat in unterschiedlicher Weise als Unzeitgemäßheit. Sein Schreiben baut, indem es Teil »seiner Zeit« ist, eine Distanz auf, die es gerade ermöglicht, hinter die Fassade dieser Zeit zu blicken. In einem seiner frühen Texte wird dies besonders deutlich  : Am 11. September 1909 besuchte Kafka gemeinsam mit den Brüdern Max und Otto Brod eine Flugschau in Brescia. Brod berichtete später, dass die Initiative, von dem gemeinsamen Feriendomizil Riva am Gardasee einen Abstecher nach Brescia zu machen, hauptsächlich von Kafka ausging. Ende September wurde dann sein Artikel Die Aeroplane von Brescia in der Zeitschrift Bohemia publiziert. Er gilt als erster deutschsprachiger literarischer Text, in dem von einer Flugschau die Rede ist ‒ zu dieser Zeit ein Thema, das mehr und unmittelbarer als vergleichbare Texte Moderne verkörperte. Kafkas Text beschreibt die Flugschau als Mischung eines gesellschaftlichen Ereignisses mit vielen Vertretern der italienischen Aristokratie und bekannten Kulturschaffenden im Publikum zum einen und eines Treffens der berühmtesten Piloten und Flugzeugpioniere jener Zeit zum andern. Die Piloten bereiten sich auf ihre Flüge vor, ein Flugzeug hat Motorprobleme, schließlich läuft der Motor  : »Man hört kein Wort, nur der Lärm der Schraube scheint zu kommandieren, acht Hände entlassen den Apparat, der lange über die Erdschollen hinläuft, wie ein Ungeschickter auf Parkett. “14 Das Flugzeug ist nicht zum »Laufen« auf der Erde gemacht – es ist Teil einer anderen Realität, sein Zweck ist, den Menschen zu einer anderen Form der Selbstperzeption zu führen. Das trifft nicht 12 Agamben, Giorgio  : Nacktheiten. Aus dem Italienischen von Andreas Hiepko, Frankfurt a. M. 2010, S. 21. 13 Ebd., S. 23. 14 Kafka, Franz  : Ein Landarzt und andere Drucke zu Lebzeiten, Frankfurt a. M. 2008, S. 316.



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nur für den Piloten zu, sondern auch für seine Zuschauer. Kafka macht dies deutlich, indem er die Faszination beschreibt, als Louis Blériot (der Star unter den Piloten schlechthin, der wenige Wochen zuvor als erster Mensch mit einem Fluggerät den Ärmelkanal überquert hatte) seinen ersten kurzen Flug absolviert  : »Was geschieht denn  ? Hier oben ist 20 M. über der Erde ein Mensch in einem Holzgestell verfangen und wehrt sich gegen eine freiwillig übernommene unsichtbare Gefahr. Wir aber stehn unten ganz zurückgedrängt und wesenlos und sehen diesem Menschen zu.«15 Die »unsichtbare Gefahr« ist es, die den Piloten von seinem Publikum trennt, das seinerseits »zurückgedrängt und wesenlos« wird, ohne Möglichkeiten der Einflussnahme, in die vollständige Passivität des Zuschauens gedrängt. Zunächst lässt sich die »unsichtbare Gefahr« natürlich als Bedrohung durch Unfall und Absturz lesen. Auf diese ganz praktische Gefahr des Fliegens, zumal in jener Frühzeit der Flugzeugentwicklung, die auch einen Teil des Reizes solcher Flugschauen ausmacht, deutet nicht nur das zuvor erwähnte Stottern des Motors hin, sondern auch ein weiter oben in Kafkas Text stehender Satz über Blériots Frau  : »Wenn ihr Mann nicht fliegen kann, ist es ihr nicht recht, und wenn er fliegt, hat sie Angst.«16 Doch noch größer als die unsichtbare Gefahr, die durch grundsätzlich behebbare technische Mängel begründet sein könnte, ist für die Piloten die Gefahr der Unsichtbarkeit. Dies zeigt sich in der Beschreibung des Flugs von Glenn Curtiss, der demjenigen Blériots unmittelbar folgt. Curtiss, einer der erfolgreichsten Wettbewerbsflieger seiner Zeit, fliegt um den Großen Preis von Brescia. Über seinen Flug heißt es in Kafkas Text  : […] schon fliegt er von uns weg, fliegt über die Ebene, die sich vor ihm vergrößert, zu den Wäldern in der Ferne, die jetzt erst aufzusteigen scheinen. Lange geht sein Flug über jene Wälder, er verschwindet, wir sehen die Wälder an, nicht ihn. Hinter Häusern, Gott weiß wo, kommt er in gleicher Höhe wie früher hervor, jagt gegen uns zu  ; steigt er, dann sieht man die unteren Flächen des Biplans dunkel sich neigen, sinkt er, dann glänzen die oberen Flächen in der Sonne. Er kommt um den Signalmast herum und wendet, gleichgültig gegen den Lärm der Begrüßung, geradeaus dorthin, von wo er gekommen ist, um nur schnell wieder klein und einsam zu werden. Er führt fünf solche Runden aus, fliegt 50 Km. in 49’ 24” und gewinnt damit den großen Preis von Brescia, L. 30.000. Es ist eine vollkommene Leistung, aber vollkommene Leistungen können nicht gewürdigt werden, vollkommener Leistungen hält sich am Ende jeder für fähig, zu vollkommenen Leistungen scheint kein Mut nötig. Und während Curtiss allein dort

15 Ebd., S. 318. 16 Ebd., S. 317.

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über den Wäldern arbeitet, während seine allen bekannte Frau um ihn sich sorgt, hat die Menge fast an ihn vergessen.17

Wird die objektive, aber »unsichtbare Gefahr« des Fliegens wiederum durch die Sorge der Frau des Piloten gespiegelt, so begibt sich Curtiss durch seinen Flug in die Gefahr der Unsichtbarkeit. Diese hat eine doppelte Komponente  : Die naheliegende des Verschwindens aus dem Blickfeld der Zuschauer, aber auch diejenige, die für die Perzeption von Modernität weit charakteristischer ist ‒ seine »vollkommene Leistung« als Flieger, im Grunde der Anspruch jeder modernen Technik, sorgt für Langeweile, Desinteresse, sodass angesichts seiner makellosen Runden »die Menge fast an ihn vergessen hat«, während Blériot mit seinem gefährlichen und nicht ganz gelungenen Flug das furchtsame Interesse des Publikums gefesselt hat. In der Beschreibung von Curtiss’ Flug spiegelt sich also die Technikmoderne als Entfremdungsmoment zwischen den ihr unmittelbar verpflichteten »Pionieren« und der »Menge«, die sich zwar als Teil dieser Moderne versteht, aber im Status der Erdverhafteten verbleibt. Scheinbar tritt hier der von Agamben thematisierte Bruch zwischen der Unzeitgemäßheit des restlosen Zusammenfalls mit der Epoche (im Flieger Curtiss) und der Zeitgenossenschaft der Beobachter zutage  – würden nicht die Beobachter selbst angesichts der »vollkommenen Leistung« des Fliegers »fast an ihn vergessen«. Im Unterschied zu Agamben schildert Kafka also die technische Moderne als eine Erscheinung, die sich dem Primat der Funktionalität ausliefert. Nur wenn diese – wie bei Blériot – ins Stocken und Stottern kommt, bildet die »unsichtbare Gefahr« Gemeinschaft und Zeit-Genossenschaft, während der Funktionalität als Ziel ihrer selbst das Prinzip der Zeit als eines relativen, gesellschaftsordnenden Begriffs abgeht. In diesem Sinne bringt sich Funktionalität (hier als Chiffre für die Moderne) selbst in die Gefahr der Unsichtbarkeit. Am Ende des Textes Die Aeroplane von Brescia spitzt Kafka den Kontrast zwischen der in der Fliegerei symbolisierten Funktionalität der Moderne und der mythischen Bodenhaftung als Charakter des Menschlichen zu. Er schildert, wie abends um sieben Uhr das Publikum und auch die drei Freunde den Heimweg antreten, darum bemüht, noch eine Kutsche zu finden, die sie vom Flugfeld in die Stadt bringt. Nun, da das offizielle Wettfliegen beendet ist, beginnt ein anderer berühmter Pilot, Henri Rougier, seinen Flug. Während ihre Kutsche abfährt und die Freunde über die Möglichkeit sprechen, eine Flugschau in Prag zu organisieren, sehen sie dem dauernd steigenden Flugzeug Rougiers zu  :

17 Ebd., S. 318.



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Der Weg dreht sich und Rougier erscheint so hoch, dass man glaubt, seine Lage könne bald nur nach den Sternen bestimmt werden, die sich gleich auf dem Himmel zeigen werden, der sich schon dunkel verfärbt. Wir hören nicht auf, uns umzudrehen  ; gerade steigt noch Rougier, mit uns aber geht es endgültig tiefer in die Campagna.«18

In der Realität betrug die Flughöhe von Rougier, wie Peter Demetz’ Bericht über die Flugschau zu Brescia zu entnehmen ist, 117 Meter, also etwas mehr als ein Drittel der Höhe des Eiffelturms, was aber für zeitgenössische Flugzeuge eine beträchtliche Höhe war.19 Kafka perzipiert diesen Flug als quasi astronautisches Unterfangen, das sich irdischen Parametern beinahe entzieht. Demgegenüber reisen die Freunde »tiefer« in die Campagna, bewegen sich also metaphorisch in vertikaler »Gegenrichtung« zum Flieger. Hannah Arendt, die in Vita activa Kafkas Satz über den archimedischen Punkt zitiert hatte, erläutert dort den Zusammenhang zwischen der Erweiterung der technischen Möglichkeiten des Menschen und dem Preis, den er als Mensch dafür zahlt, als schriebe sie eine Interpretation zu Kafkas Überlegungen  : Die Tatsache, dass die entscheidende Erdschrumpfung schließlich die Folge der Erfindung des Flugzeugs ist, das heißt eines Geräts, mit Hilfe dessen man sich von der Erdoberfläche überhaupt entfernt, weist deutlich auf das Phänomen hin, mit dem wir es hier zu tun haben  : jede Verringerung von Entfernung auf der Erde kann nur um den Preis einer vergrößerten Entfernung des Menschen von der Erde gewonnen werden, also um den Preis einer entscheidenden Entfremdung des Menschen von seiner unmittelbaren irdischen Behausung.20

Ist man der Moderne als Motor der menschlichen Selbstentfremdung gewahr, wie sie in der Fliegerei symbolisch zusammengefasst wird, so ist auch der Umstand, dass der Himmel bei Kafkas Beschreibung von Rougier »schon dunkel verfärbt« ist, entsprechend einzuordnen. Die Moderne, vor der eine Flucht auch in die Tiefe der Campagna real nicht möglich ist, ist ein kontingenter, bedrohlicher Prozess  – ein Prozess des gegenseitigen Entschwindens der Menschen aus der jeweiligen Sichtbarkeit. Unterstreichen lässt sich dieser Prozess, um bei Kafkas Flugschau-Text zu bleiben, durch die Entwicklung des dort erwähnten

18 Ebd., S. 321. 19 Demetz, Peter  : Die Flugschau von Brescia. Kafka, d’Annunzio und die Männer, die vom Himmel fielen. Aus dem Englischen von Andrea Marenzeller, Wien 2002, S. 86. 20 Arendt  : Vita activa, S. 246.

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Besuchers Gabriele d’Annunzio, der im Lauf des Ersten Weltkriegs zu einem lautstarken Propagandisten des Luftkriegs werden sollte.21 Der dreitägige Ausflug Kafkas und der Gebrüder Brod von Riva nach Brescia wird so zum Anlass eines höchst ambivalenten Berichts, aus dem die Sensibilität Kafkas für das Faszinosum und die Gefährlichkeit der Moderne in ihrer Unumkehrbarkeit hervortritt. Homo narrans – Moderne und Judentum Über Kafkas Judentum sprechen wir in unterschiedlichen Kontexten  : Sein Kampf um die Tradition, seine Beziehung zum Jiddischen, seine Hebräischstudien, sein Verhältnis zum Zionismus, seine Frauen- und Familienbeziehungen – all dies wird mit dem Bezug auf Kafka als Juden erwähnt. Inwieweit aber ließe sich sagen, dass Kafkas Moderneperzeption in Beziehung zu seinem Judentum steht  ? Wenn er als Autor behauptete, dass das Auffinden des archimedischen Punkt mit der Anwendung gegen einen selbst zusammenfiel, könnte er auch im Judentum und dessen Kontext Entwicklungen beobachtet haben, die nicht unmittelbar in seinen Texten erscheinen und doch Rückschlüsse darauf zuließen, weshalb jemand wie er Texte wie diese verfasst hatte. Theodor Herzls Roman Altneuland von 1902 zeigt die Herstellbarkeit neuer Zustände durch den Menschen im Gestus der Utopie.22 In Kafkas Texten Beschreibung eines Kampfes und Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande, die wenige Jahre nach Herzls Roman geschrieben wurden, wird das Bewusstsein solcher Machbarkeit ebenfalls ausgespielt, allerdings innerhalb des explizit geschlossenen Rahmens einer literarischen Realitätsgestaltung. Die Umformung der Realität ist aber hier wie dort Signum der Moderne, bei Herzl wie bei Kafka spielt sie sich letztlich im literarischen Rahmen ab. Der homo narrans wird zum Meister der Wirklichkeit, sofern diese Wirklichkeit sich gemäß narrativen Vorgaben vollzieht. Bei Herzl ist das utopische Denken in die historische Umsetzung hinein entworfen – aber eben nur entworfen. Literarisch ist Herzls Entwurf das Gegenstück zu Hegels Geschichtstheorie, nach welcher die Fähigkeit, Geschichte (auch narrativ) zu gestalten, sie also in Sinnzusammenhänge zu bringen, die Größe eines Volkes formt. Herzl schreibt zuerst die Geschichte und misst die Größe der Juden daran, sie zu erfüllen, indem er dem Buch die Präambel voranstellt  : »Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen«. Es könnte sein, 21 Demetz  : Die Flugschau, S. 179–182. 22 Vgl. dazu Peck, Clemens  : Im Labor der Utopie. Theodor Herzl und das »Altneuland«-Projekt, Berlin 2012.



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dass Kafka, der alle Formen von Nationalismus verabscheute, wie sie später im Ersten Weltkrieg zutage traten, sich für den Zionismus als Bewegung interessiert hat, die seiner Wahrnehmung nach in erster Linie auf die Gestaltung der Zukunft und nicht auf Mythen der Vergangenheit fokussiert war. Doch Kafka hat – anders als Herzl – die Kontingenz des homo narrans in die Kontingenz der Moderne hinein weitergedacht. Gregor Samsa, als Fortführung Eduard Rabans, verkörpert dieses Bewusstsein Kafkas. In seiner Verfilmung der Erzählung Die Verwandlung von 1993 hat der spanische Filmemacher Carlos Atanes das Szenario der Erzählung in einen neuen Kontext verlegt  : In der Wohnung der Familie Samsa (an deren Esszimmerwand ein großer Davidstern hängt) sind in der Eingangsszene Marschmusik, Gesang und Jubel zu hören, die Assoziationen an Nazi-Aufmärsche wachrufen, später tauchen in der Wohnung zwei Männer in NS-Uniformen auf, zugleich wird ein Film mit einer Nazi-Parade an die Wand projiziert. Die beiden Männer sind offensichtlich durch das Dienstmädchen ins Haus geholt worden, das beim Horchen an der Türe erfahren hat, dass die Familie finanziell am Ende ist.23 Man mag Atanes’ Zugang kritisch gegenüberstehen, doch er führt in radikaler Weise konsequent die von Kafka zwischen Raban und Samsa schon angelegte Gefahr weiter, sich an die Umsetzung des in der literarischen Utopie Verwirklichbaren zu machen. In Atanes’ Inszenierung des Eindringens zunächst der nationalsozialistischen Propaganda, dann der Nazis selbst in das Haus der Samsas spiegelt sich das Scheitern des Entwurfs der modernen Juden – zuhause ein Jude zu sein und draußen ein Mensch. Es ist dies letztlich auch der Traum des Eduard Raban, der als Käfer vom Bett aus den willenlosen, stellvertretenden Körper dirigieren möchte. Das Sprengen der Grenzen zwischen Innen- und Außensphäre (durch mediale Präsenz der Öffentlichkeit im Privatraum, doch auch durch Formen totalitären Eingriffs ins Private) ist zu einem Kennzeichen der Moderne geworden – den Schutzraum des Privaten gibt es nicht mehr. Kafkas Diagnose der (jüdischen) Familie als Ort missglückender Moderne findet sich auch im Brief an den Vater, vielleicht der eindrucksvollsten literarischen Kritik des Unzeitgemäßen, geradezu eine Analyse des scheiternden Judentums zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Vater beruft sich auf die vermeintlich archaische Funktion des Familienoberhaupts, während seine berufliche und das Judentum betreffende Lebensform unmittelbarer Ausdruck von Modernität sein soll. Er ist mit sich selbst inkompatibel. Kafka zeigt dies an 23 http://www.youtube.com/watch?v=wOrhpRtEXH8 (letzter Zugriff 14.5.2018). In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass die Herabsetzung der Juden durch die Nazis als »Ungeziefer« eine Verbindung zwischen Kafkas Erzählung und Atanes’ filmischer Interpretation nahelegt.

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scheinbar banalen Regelverstößen – beispielsweise an den Tischmanieren, die der Vater von den Kindern einfordert, selbst aber systematisch bricht. Auch das Judentum, das er selbst noch kennt, aber mit keinem positivem Inhalt mehr für seinen Sohn füllen kann, gehört in diese Kategorie. Dies ist nicht so sehr als Mangel an pädagogischem Geschick zu verstehen, sondern steht symbolisch für das Problem zweier Generationen, die sich aus unterschiedlicher Perspektive vor der Herausforderung sehen, familiäre Strukturen, Tradition und Kontinuität aufrechtzuerhalten. Ob diese nach den Maßgaben bürgerlicher Normativität oder nach dem Primat minoritärer Exklusivität vermittelt werden, ist letztlich der eigentliche Streitpunkt.24 Auch Kafkas Blick auf die Flugschau von Brescia kann unter dem Aspekt der jüdischen Moderne gelesen werden. Die unsichtbare Gefahr, die Gefahr der Unsichtbarkeit und auch die Selbsterhebung in einen dunkelnden Himmel, an dem die Sterne hervortreten – all dies könnte als mögliche Metaphorik für das Judentum gelesen werden, in seinem Versuch, mit seiner exponierten Situation im beginnenden 20. Jahrhundert zurechtzukommen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war jeder Form des Judeseins, zumindest im Westen, etwas Pionierhaftes, Ungesichertes inhärent  – insofern vergleichbar mit dem Fliegen. Wie die Flugpioniere waren die Juden eminente Teilnehmer und Teilhaber an der Modernität, der sie zugleich auch ausgesetzt waren. Blériot, der gegen die »unsichtbare Gefahr« der Schwerkraft kämpft, die ihn nach unten zu ziehen und sein Flugzeug zum Absturz zu bringen droht, ist mit den Juden vergleichbar, die ein (wie auch immer geartetes) Festhalten an der jüdischen Tradition mit den Chancen und Unwägbarkeiten der Moderne zu verknüpfen suchen. Wer den scheinbar leichten Weg vollkommener Angleichung an die Erfordernisse der Moderne wählte, ein Vorgehen, das in seiner Reibungslosigkeit an den souveränen Flug von Curtiss in Brescia erinnern mochte, konnte hingegen in die 24 Einmal mehr wird das Problem von Hannah Arendt präzis analysiert  : »Vor dem neuzeitlichen Zerfall der Familie war dies einheitliche Interesse [der Gesellschaft] wie die zu ihm gehörige Meinung über die Welt von dem Familienoberhaupt repräsentiert, dessen Herrschaft Meinungsverschiedenheiten und Interessenkonflikte im Schoße der Familie verhinderte. Das auffallende Zusammenfallen des Aufstieges des Gesellschaftlichen mit dem Verfall der Familie weist deutlich darauf hin, dass die Gesellschaft ihre Entstehung unter anderem dem verdankt, dass die Familie von den Gruppen absorbiert wurde, die ihr jeweils sozial entsprachen, d. h. mit denen sie sich ungefähr auf dem gleichen Lebensniveau befand.« Arendt  : Vita activa, S. 40. Es ist nicht erstaunlich, dass Eduard Rabans (unerfüllbare) Fantasie, sich in die Gestalt des Käfers zu flüchten, der den leeren Körper als Stellvertreter wegschickt, in Verbindung mit seinen Hochzeitsvorbereitungen zum Ausdruck kommt. Vielleicht kann auch Kafkas eigene Hemmung, seine Verlobungen in Eheschließungen münden zu lassen, im Dilemma zwischen dem Wunsch, sich konventionsgemäß zu verhalten, und der Überzeugung, dass Hochzeit und Familie keine zeitgemäßen Lebensformen mehr waren, verstanden werden.



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Gefahr der Unsichtbarkeit und extremer Einsamkeit, vergleichbar der des allzu perfekt seine Runden drehenden Fliegers, hinübergleiten. Die Flucht der drei Freunde »tiefer in die Campagna« kann in diesem Zusammenhang auch als Bewegung weg von einer Entscheidung gelesen werden, die am Ende, was immer ihre Richtung sein würde, unvermeidbar gefährlich werden würde. »Tiefer« zu gehen, nachdem man andere hatte hoch hinausfliegen sehen, war auch eine Entscheidung, die noch einmal den spätromantischen Idealen zu huldigen vorgab, nachdem man die Unentrinnbarkeit der neuen Zeit buchstäblich am Himmel gesehen hatte. So sehr es ein Fehler wäre, die Metaphern gedanklich zu überladen, sollten doch die Anspielungen in Kafkas Beschreibung der Flugpioniere hinsichtlich der Moderne-Analogie auf das Judentum hin nicht ignoriert werden. Der Subtext dieses und der oben erwähnten Texte ist zugleich einer der Moderne und des Judentums, ein Einschreiben des Judentums in die Moderne und der Moderne in das Judentum.

June O. Leavitt

Kafka’s Writing Mission as Revealed in His Diaries  : Personal Ideology and Exercises to Realize the Self Personal Ideology Numerous passages in Franz Kafka’s diaries suggest that when he first began keeping a diary towards the end of 1909, he was driven by a personal ideology  : The very act of inscribing words might trigger an expansive state of being in which he might gain deep knowledge of himself. To this end, he advanced his ideals and conceived of methods and practices that might further his aims. While he most certainly used his diaries to record events in his life, to hone his descriptive writing and to begin prose poems and short stories,1 interwoven with these literary objectives was the assumption that superior acts of writing were essentially catalytic. This caused him to assess his own literary efforts by their experiential quality. In this light, his frequent laments on his inability to write can be understood as a process aborted, rather than a writer’s block. Indeed, his first notation as diarist which contains a lengthy discussion on his literary incapacity makes this clear  : Finally after five months of my life during which I could write nothing that would satisfy me, and for which no power will compensate me, though all were under obligation to do so, it occurs to me to talk to myself again. Whenever I really questioned myself, there was always a response forthcoming, there was always something in me to catch fire, in this heap of straw I have become for five months and whose fate it seems is to be set afire during summer and consumed […]. If only that would happen to me  ! My condition is not unhappiness, but it is also not happiness, not indifference, not weakness, not fatigue, not another interest – so what is it then  ? That I do not know this is probably connected with my inability to write.2

Kafka’s despair over his creative dysfunction stems from the fact that when he began diary writing, he actually dedicated himself to a non-literary objective  : In 1 2

See Hayman, Ronald  : A Biography of Franz Kafka, London 1981, p. 83. Kafka, Franz  : Diaries 1910–1923, ed. Max Brod, New York 1976, p. 12. All quotes I use from Kafka’s diaries are from this edition.

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fact, the rhetoric he uses to describe this objective is a far cry from the language of literary discourse. He seeks a profound experience which he likens to a fire that consumes. He mentions having previously used a self-dialoging method which consummated in an experience that had freed him from dysfunction. It had freed him because it granted him insight. Now in 1910, he cannot even know what is going on inside of him, because he cannot write. Kafka’s extensive narrative concerning this insufficiency is so rife with vivid language and metaphors – heaps of straw, fire that consumes, and as the passage continues, Japanese jugglers and ladders, telescopes and comets3 – that we might well assume his malaise concerns the process rather than his literary creations. He actually goes on to analyze what has caused the process to abort. Things have not occurred to him from “the root up, but only somewhere around their middle”.4 What is quite startling in this quote is that Kafka, who preceded diary passage with a complaint about his body, judged his ability to write by the depth of the effects felt within his body. When he was unable to write, it was because the words issued from a sensation of truncation. He expected his literature to issue from a deeper source. In the continuation of this diary passage, he speaks about a stalk of grass whose blade exists only because of the root system beneath. Clearly, in order for him to feel literarily empowered, his writing must enable him to be fully connected to the root system of his existence in such a way that he experiences cohesion of core self and the larger world. In this diary passage, Kafka proposes an exercise for bringing on fuller awareness since the experience has not been forthcoming. At the same time the passage contains a vivid somatic recollection of a time when this phenomenon indeed occurred  : But every day at least one line should be trained on me, as they now train telescopes on comets. And if I should appear before that sentence once, lured by that sentence, for instance just as I was last Christmas, when I was so far gone that I was barely able to control myself and when I seemed really on the last rung of my ladder, which however rested quietly on the ground and against a wall. But what ground, what a wall  ! And yet that ladder did not fall, so strongly did my feet press against the ground, so strongly did my feet raise it against the wall.5

The exercise he advises is this  : Daily, he is to compose one sentence with such intent and focus that he, like a comet before a telescope, might “appear before 3 Ibid. 4 Ibid. 5 Ibid., p. 12–14.



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that sentence once”. This extended simile could be rephrased. What he is seeking through composing one fully embodied sentence, is a clear vision of his Self,6 like the experience of last Christmas. I will leave it to future scholars to speculate what sentence he may have composed during Christmas 1909 that transported him from “far gone” into a state of ecstasy. At present, we note that he expresses this ecstasy by way of engagement with the physical world  : “what ground, what a wall”. The ladder did not fall because his feet strongly pressed into the ground, and his feet raised it against the wall. Kafka expected his writing to bring about sensations of a Self fully constituted and deeply grounded, a mode of whole being-ness to which he gives physical qualities. The diary of 1910 contains several entries where Kafka describes this conception in terms of physical sensations of radiance and power. On December 16, he writes  : I won’t give up the diary again. I must hold on here. It is the only place I can. I would gladly explain the feeling of happiness which, like now, I have within me from time to time. It is really something effervescent that fills me completely with a light pleasant quiver and that persuades me of the existence of abilities whose non-existence I can convince myself with complete certainty at any moment, even now.7

Here Kafka singles out the diary as the only locus where he can express his true feelings which happen to be on this day extreme joy and confidence. On this day, when he presumably picked the diary up again after a break, he notes how these positive emotions manifest in his body and transform his sense of being. Again on December 27, 1910, he expresses his ideal of achieving a fullness of being and heightened awareness through writing  : “Yes, if it were a question of words, if it were sufficient to set down one word, and one could turn away in the calm consciousness of having entirely filled this word with oneself.”8 It seems clear to me, that Kafka’s definition of the “ability to write” at this time had to do with an expansive mode which would extend from body to an experience of the fully inhabited Self. A scrutiny of the diaries suggests that his ideals concerning the superior act of writing strengthened over the next two years. On January 19, 1911, Kafka restated his vision clearly  : He claimed that he “still strove with hardly a suspicion after a description in which every word would be linked to my life, would draw 6 7 8

I capitalize S to signify the realized or deep Self in contrast to the despairing or truncated self about which Kafka complains. Kafka  : Diaries, p. 29. Ibid., p. 34.

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to my heart and transport me out of myself.”9 According to Kafka, the perfect description was still not a matter of perfecting his use of words. Rather, the perfect description would issue from a positive sensate experience. On August 20, 1911, Kafka discusses the negative aspect of his writing in terms of temporal space-lacking time “to expand myself in every direction in the world.”10 On February 26, 1912, he exudes satisfaction over his more perfected awareness of himself and his world  : “Better consciousness of myself. The beating of my heart as I would wish it. The hissing of the gaslight above me.”11 In these examples, he depicts the perfect act of writing in terms of coherence of mind, body, and the world outside. In the last example, his perfected consciousness manifests as a perfect heart beat and heightened perception of such mundane details like the hissing gaslight in his room. It is not surprising that with his objectives so orientated towards awareness and fuller consciousness, his reflections on writing frequently ring with apocalyptic tones. This can be seen in an item written in 1911  : For no matter how little and how badly I write, I am still made sensitive by these minor shocks, feel, especially towards evening and even more in the morning, the approaching, the imminent possibility of great moments which would tear me open, which would make me capable of anything […].12

Kafka sees himself as preparing for something greater than literature. As he writes, regardless of poor quality and sparse quantity of his output, he readies himself for the possibility of being torn asunder in order to be renewed. On February 25, 1912, he commands himself  : “Hold fast to the diary from today on. Write regularly. Don’t surrender. Even if no salvation should come, I want to be worthy of it at every moment  !”13 Once again, he prioritizes his diary. It is the place where self-shattering moments might occur. Several days later, on March 2, he goes as far to decree that his life is given over to his literary mission. By this, we can presume that this literary mission has everything to do with expanding Kafka’s consciousness and granting him visions of his hidden radiant Self. The night of September 22, 1912, Kafka did indeed have a revelatory vision while writing The Judgement. So profound was the vision that he meticulously recorded the hours of its duration in his diary. Between ten o’clock at night   9 10 11 12 13

Ibid., p. 36. Ibid., p. 50. Ibid., p. 182. Ibid., p. 61. Ibid., p. 180.



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until six o’clock the morning of the 23rd, this story manifested the underlying purpose of his literary mission. It is noteworthy that he did not discuss the story, but rather the qualitative phenomenon which he underwent. The force of his concentration was so intense that he remained fixed at his desk  ; he was “hardly able to pull his legs out.”14 The experience was one of utter joy. He felt as if he was moving over water. He became aware of his heart. He had slight pains there. Weariness disappeared. His perceptions of his surroundings heightened. He was overcome with awe at being in a state of fulfillment. No longer cut off from the world, he and creation harmoniously coalesced  : “How it turned blue outside the window. A wagon rolled by. Two men walked across the bridge. At two I looked at the clock for the last time. As the maid walked through the ante-room for the first time I wrote the last sentence.”15 In The Judgement Kafka finds what was lacking when he wrote from the middle and not from roots up. He becomes intimately grounded with sensory details of his own existence  ; from the color of the atmosphere, the sound of the wagon and the sight of men on a bridge, to the clock on his wall, the maid who enters his room and to his legs which are cramped and stiff. His concluding remarks about the all-embracing aspect of this experience suggest that his literary mission may even have developed a devotional impulse  : “Only in this way, can writing be done, only with such coherence, with such a complete opening out of body and the soul.”16 We can read his remark about opening of Soul with the two diary entries just quoted above  : In the former he says he wants to be worthy of salvation  ; in the latter he says that his life is given over to his literary mission. We can infer that the writing experience he seeks has a powerful spiritual component. Writing Exercises In the first years of keeping a diary, Kafka was enthused by the potential of writing to liberate. He saw it as a locus for experiencing a more illumined state of consciousness, a nexus where his body, mind, soul and world would commingle and in this way he would come to realize his augmented, integrated Self. To this end, he cultivated exercises and practices that would help him manifest his higher aims. He discussed a method whereby each day he would attempt to write one sentence in which he concentrated on himself. Another method he 14 Ibid., p. 212 15 Ibid., p. 213. 16 Ibid.

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employed was self-dialoguing on the diary pages. He questioned himself. He recorded responses. He gave himself directives and advice. He evoked memories of radiant writing experiences. He provided analyses of why writing satisfied him or did not. He created metaphors to explain his inability to write. He pleaded for fulfillment. He depicted somatic sensations that took place during episodes of good writing. There is evidence in his early diaries that he attempted yet another method. It appears at the conclusion of the lengthy diary item of December 15, 1910, in which he discusses his terrible state. He feels like a tombstone in which no human qualities exist at all. He feels neither doubt, nor faith, neither love, nor repugnance. As a result of his bereft condition, he feels that his words jar one against another. The consonants rub leadenly against one another. His doubts encircle every word. He continues  : When I sit down at the desk, I feel no better than someone who falls and breaks both legs in the middle of the traffic of the Place de l’Opera. All the carriages, despite their noise, press silently from all directions, but that man’s pain keeps better order than the police […].17

The measure for Kafka, of being either in a positive or negative state, is a function of the qualities aroused during writing, in this case, dissonance, imperviousness, and extinction. Here when he refers to his sentient self, it is not about the expansion and enlargement that arise from good writing. His body feels like a grave  ; his words ring of death. Yet, something subtle and dynamic happens in the finale of this passage. Kafka attempts to lift himself literally from his experience of devastation. The “traffic”, which was part of the extended metaphor he used to describe his lowly state, becomes a setting or scene as is evidenced in the continuation of the passage. It might seem that Kafka’s personal diary notation has flowed into a prose poem about what he refers to as “that man’s pain”. However, a more penetrative reading suggests that he may be attempting to self-transform by shifting point of view. The diarist becomes third-person narrator with pain now made transpersonal. By objectifying himself he takes on universal qualities opposed to the finite, distressing and oppressive ones that define his everyday life. Through erasure of the first person I which embraces specific contingencies of his existence and changing it to the distanced he his and him, Kafka might be taken beyond the parameters of his being.18 Thus he adopts the third person voice and writes  : 17 Ibid., p. 29. 18 At my workshop “Writing the Kafka Way” (at the conference Kafka after Kafka at Ben Gurion



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“The great commotion hurts him, for he is really an obstruction to traffic, but the emptiness is no less sad, for it unshackles his real pain.”19 His concluding remarks about emptiness being no less sad and “his” real pain being “unshackled”, might be read together with the beginning of the same diary item of December 15, 1910, in which he discusses his terrible state. In this light, the emptiness and the pain of “that man” can be understood as remarks to himself that the literary experiment to be transported out of himself has failed. Kafka’s experiment with objectification shows up eight months later in a more positive manner. On August 26, 1911, he mentions that he is supposed to travel to Italy the following day. Then he slides into a discussion about his father who has been vomiting, gasping for air and sleepless due to business worries. His mother is in a state of terrible stress. Kafka claims that he comforts them that their worries will pass, though he shares with his sisters the “sad conviction” that they will not pass as his father must provide for the family. He ends the personal account on an extremely debilitating note. His mother will go to the landlord to beg.20 While Kafka’s biographer, Ronald Hayman, claims that this was the first time he wrote about himself directly in his diaries,21 this is not quite precise. Kafka had already discussed his depressive and joyous states at length. What does make this entry unique is that this is the first time he gives details of his distressing family situation. What makes this diary passage startling is that no sooner than he becomes very personal, he transports himself out of the personal by shifting point of view. I is now Franz  : “It had already become custom for the four friends, Robert, Samuel, Max and Franz to spend their short holidays every summer of autumn on a trip together.”22 The objectification here creates a larger composite of experiences. It might seem to Kafka scholars that he is simply fictionalizing his life. The prospective real trip to Italy becomes “short holidays” taken every year. The trip to Italy with his closest friend Max Brod recorded at length in his travel diaries,23

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University, 2015), I gave students an exercise. They were to write in diary style a personal account of a recent event in their lives. After that, they were to write the “same” account but this time in third person point of view as Kafka does. That done, I asked them what the different experiences felt like. For the most part, the students experienced the third person point of view as a great deal less personal and far more liberating as they were not restricted by facts or hindered by distressing emotions. Kafka  : Diaries, p. 29. Ibid., p. 52. Hayman  : Biography, p. 95. Kafka  : Diaries, p. 52. Ibid., p. 433 f.

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now includes an imaginary Samuel, whose namesake might be the protagonist in Richard and Samuel, a novel on which he and Brod were working.24 Robert may be a fictionalization of Robert Marschner, his boss and the secretary of the insurance institute where he was employed.25 However, the light-hearted fictionalization which makes Robert secretary of an association, not only transforms the hard facts of Kafka’s existence. It transforms his experience of self. Though Kafka apparently enjoyed a warm relationship with his boss, there are many places in his diaries where he complains about his exhausting and time-consuming work. On December 18, 1910, he even contended that it was causing him to lose himself and to feel like a drowning man.26 Thus in the diary passage, of August 26, 1911, when he objectifies himself and shifts to impersonal third person point perspective, he is transformed into a bank employee. What began as a diary account of his troubled family life turns into a creative piece in which he is liberated from reality and expansive once again. According to Kafka’s biographer Hayman, fictionalization was also at work in Kafka’s aphorisms Paralipomena written in 1921. He states that in that year, “Kafka again took to writing about himself in the third person.”27 However, this rhetoric of biographical scholarship is not quite appropriate when Kafka himself continually uses a spiritually imbued language to describe what he seeks through writing. The discourse we adopt must allow for these possibilities. His shift from first-person diarist to third-person story teller was impelled by the personal mission Kafka has described. Moreover, Kafka’s method of objectification, which began the early years of his diary keeping, that is from 1910 to 1915, was aimed at Self- realization. By 1915, Kafka began to exhibit growing disillusionment with his diary mission. On September 13, 1915, he wrote, “New diary. I don’t need it as much as I used to.”28 On December 25 the same year, he claimed that he only opens the diary to lull himself to sleep.29 In fact, according to Max Brod, he kept no diary in 1918 at all.30 In 1919, when Kafka resumed journaling, there are barely any items. The first one was only composed on June 27 and he wrote, “A new diary really only because I have been reading old ones. A number of reasons and intentions, now at a quarter to twelve, impossible to ascertain.”31 24 Hayman  : Biography, p. 125. 25 Murray, Nicholas  : Kafka, New Haven 2004. p. 184. 26 Kafka  : Diaries, p. 31. 27 Hayman  : Kafka, p. 246. 28 Kafka  : Diaries, p. 341. 29 Ibid., p. 353. 30 See Brod’s annotation, ibid., p. 390. 31 Ibid.



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The intentions which he had elaborated in the first years of keeping a diary are no longer clear to him. Perhaps it is for this reason that in the notation of October 15, 1921, he claimed that he had given all his diaries to M, which Brod in a footnote explained was Mrs. Milena Jesenská, a young Czech journalist and translator with whom Kafka carried on a very intimate friendship.32 In the same diary notation in which Kafka mentions Milena in regard to his diaries, he asked himself a question and provided an answer  : “Am I still able to keep a diary  ? It will in any case be a different kind of diary, or rather it will hide itself away, there won’t be any diary at all […]. I no longer need to make myself minutely conscious of such things.”33 It would seem that Kafka’s original assumptions and expectations about diary writing dissipated by and large. He was less enthusiastic by now about the possibility of reaching an illuminated state through the diaries. However, this is not quite the case. In the face of doubts concerning his orig­ inal ideals about keeping a journal and the drastic reduction of the entries, Kafka never gave up his aspiration for attaining Self-realization through the act of writing. By this I am not referring to his writing of fiction, parables, allegories and aphorisms. I am referring to accounts of his dreams which had their genesis in the first long notation of 1910. From that year on, until death brought his literary mission to an end, Kafka inscribed more than thirty-seven dream chronicles in his diminishing corpus of diaries. Self-Realization I will not discuss at length his dream chronicling or how his interpretations of his own dreams changed. I have done that in my book The Mystical Life of Franz Kafka where I also discussed the possible influence of psychoanalytical theo­ ries and spiritualist ideologies like theosophy which flourished in Kafka’s time.34 Whatever cultural, spiritual or intellectual forces exerted themselves on Kafka, it is clear that his conscientious attitude towards his dreams, (staying aware of dream activity during the moments of falling asleep, then writing down the dreams and his own interpretations in his diary) had a strong ideological basis.35 In fact, the dream chronicle he recorded October 3, 1911, echoes his early aspi­ rations for the diary project  : 32 See Brod’s footnote 119, ibid., p. 500. 33 Ibid., p. 392. 34 See Leavitt, June O.: The Mystical Life of Franz Kafka. Theosophy, Cabala and the Modern Spiritualist Revival, New York 2012. 35 Ibid., p. 79–97.

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Again it was the power of my dreams shining forth into wakefulness even before I fall asleep, which did not let me sleep. […] I feel shaken to the core of my being and can get out of myself whatever I desire. Calling forth such powers, which are then not permitted to function, reminds me of my relationship with B. […] it is a matter of more mysterious powers which are of ultimate significance to me.36

It is notable that Kafka does not articulate the content of the dreams except for a cursory allusion to some person he refers to as “B.” Instead, he focuses on the experience which deeply affected him. By “core” (Boden) it is reasonable to assume that he means the profoundly vibrant and grounded sense of being about which he enthused occasionally in his diaries. As in those testimonies, this dream account refers to sensations of powers that convey all the meaning he seeks. For Kafka, writing down his dreams in his diaries, was yet one other method to bring about Self-realization. However, this method survived Kafka’s disillusionment with the overall journal-keeping project. In fact, an examination of dream chronicles, one from 1914 and the other from 1921, reveals that the assumptions, beliefs and expectations that impelled the larger mission of journal- keeping actually were absorbed by this sub-mission. The very act of inscribing a dream has potential to catalyze self-transfor­ mation. More than that, the act of deciphering the dream might bestow upon Kafka a state of enlightenment or even salvation in which he would come to know what he variously referred to as his Core, Self or Soul. On May 27, 1914, he writes that the white horse appeared to him for the first time before falling asleep.37 As this follows several paragraphs about a wild white horse, it seems as if Kafka was working on a short story in his diary about a wild white horse. However, since he states the horse is now appearing to him as he is falling asleep, it stands to reason that he is in fact referring to a dream flash. The fictional white horse may have been the stimulus of that dream which Kafka attempts to interpret  : If I am not very much mistaken, I am coming closer. It is as though the spiritual battle were taking place in a clearing somewhere in the woods. I make my way into the woods, find nothing, and out of weakness immediately hasten out again  ; often as I leave the woods I hear, or think I hear, the clashing weapons of that battle. Perhaps the eyes of the warriors are seeking me through the darkness of the woods, I know so little of them and that little is deceptive.38 36 Kafka  : Diaries, p. 62. 37 Ibid., p. 269. 38 Ibid., p. 270 f.



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His interpretation, committed to writing, fixes the personal meaning of the dream. For him, it is a spiritual battle that takes place in a clearing in the woods. Kafka approaches this clearing in order to see more vividly the nature of this battle in which he is engaged. While the images he provides as signifiers are sharp and definite – warriors, woods and weapons – their meaning remains unclear. Kafka’s claim that he can not define the spiritual battle implies that he believes that dream images that elude him, actually convey the essence of his life. By depicting this dream’s images in words and attempting to grasp their meaning through exegesis, he prepares for the possibility of gaining quintessential knowledge of Self. This spiritual aspiration can also be seen clearly in an elated dream chronicle written October 20, 1921  : A short dream, during an agitated short sleep, in agitation clung to it with a feeling of boundless happiness. A dream with many ramifications, full of a thousand connections that became clear in a flash  ; but hardly more than the basic mood remains. My brother had committed a crime, a murder I think, I and other people were involved in the crime  ; punishment, solution and salvation approached from afar, loomed up powerfully, many signs indicated their ineluctable approach.39

Despite the sinister context of the dream, his brother committing murder, Kafka abounds with happiness for the very reason that the dream affords him the promise that redemption and salvation will be his. The ramifications and connections which he grasps have to do with the ultimate knowledge of his destiny. Kafka’s jubilant inscribing of the “signs” in the dream – signs which are approaching – imply again that it is not only the dream which can bestow realization. It is committing to writing the pictorial language of dreams, then trying to grasp the profound significance of the dream by way of the words he is using. There are two levels of experience here  : The first is dreaming, to which all human beings (maybe even animals) are privy. The second is putting down the dream in writing. Remembering a dream is an arduous task in itself. Writing down the dream and its possible signification before it slips from mind, is an act that requires tremendous devotion, commitment and practice. In the face of his passionless regard for diary writing at this time, this item written three years before he died, brims with expectation that the hidden secrets of his existence will finally be disclosed to him. In this way, he reaches an enlightened state through chronicling his dreams. 39 Ibid., p. 394.

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Conclusion  : The Act of Writing Backwards and Burning For Franz Kafka, the act of writing was not a matter of the quality of the words that filled the pages, but the quality of the experience undergone while writing those words. For this reason, he focused on the process rather than the literature produced. His commitment and devotion to this process which he believed at base to be transformative, allows us to speculate about one of his more bizarre diary writing methods. Kafka often wrote his diaries from the last page backwards as well as from the front page foreword, so that the entries met in the middle.40 The confusion, according to Brod, was worsened by Kafka’s tendency to number pages of his notebooks with Roman numerals and at the same time to use a second pagination that conflicted with the first.41 However, if we draw a connection between Kafka’s perception of his diaries as a place where revelation and salvation might occur, then we might wonder if writing from right to left was a method of achieving this. Could this have been an attempt to expand his lingual consciousness and to undergo a transformation  ? However, as he still continued writing from left to right in the same notebook, we might ask whether this was a way of tearing himself apart by creating an apocalypse on the pages  ! Could this catastrophic collision of the entries meeting up in the middle cause the disclosure of secret revelatory truths  ? The theory that sabotaging the common rules of formatting was another method of creating himself anew is not far-fetched. Kafka’s more brutal treatment of his manuscripts may have also been impelled by this same personal ideology. By this I mean, his tendency to commit them to flames. According to Elif Batumen, Kafka burned an estimated ninety percent of his work.42 Could it be that these massive acts of conflagration were an invocation to those mysterious powers that he yearned for and wrote at length about in his first diary entry of 1910  ? We should not forget his plea for conflagration there  : “There was always something in me to catch fire, in this heap of straw I have become for five months and whose fate it seems is to be set afire during summer […]. If only that would happen to me”43. His avowed thirst for personal fiery revelation seems to have intensified during the last year of his life. According to Dora Diamant, Kafka’s lover and com40 In his postscript to the Diaries, Brod discusses the state of Kafka’s notebooks as he encountered them. The diaries for the most part were contained in these notebooks. Kafka  : Diaries, p. 490. 41 Ibid., p. 490. 42 Batumen, Elif  : Kafka’s Last Trial, in  : New York Times Magazine, 22 September 2010, http:// www.nytimes.com/2010/09/26/magazine/26kafka-t.html (accessed  : 05.05. 2017). 43 Kafka  : Diaries, p. 12.



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panion in Berlin, while he looked on, she burned at his request a number of his manuscripts. In her words, she did so, because  : For him all that had been nothing but self-liberation. He was possessed by this idea  ; it was a kind of sullen obstinacy. He wanted to burn everything he had written in order to free his soul from these ghosts. I respected his wish and when he lay ill, I burned things of his before his eyes […]. What he really wanted to write was to come afterwards, after he gained his liberty.44

Dora Diamant’s testimony indeed resonates with Kafka’s yearning to be torn asunder and empowered anew. Perhaps Kafka’s last will and testament addressed to Max Brod was emblazoned with the same personal apocalyptic vision  : “Dearest Max, my last request  : Everything I leave behind me … in the way of diaries, manuscripts, letters, my own and others, sketches and so on, is to be burned unread… Yours Franz Kafka”45 However, after Brod read the note left on Kafka’s desk at his parents’ apartment in Prague, he found evidence that Kafka had destroyed much of his literary estate already. Of the twelfth manuscript notebook of the diaries only a few loose-leaf pages remained. The rest had been torn out by Kafka and destroyed.46 We can hypothesize that what Kafka destroyed or urged first Dora and then Brod to destroy were fragments, stories, and diary notations that manifested the aborted process of writing. Perhaps the destroyed contents had not caused him deep sensations within his body. They had not caused him that inner quiver of light and joy or those thrusts of powers welling up from within. They had not issued from a deep source which Kafka likened to a stalk of grass whose blade exists only because of the roots beneath. Those writings he made vanish had not enabled him to be fully aware of his existence in such a way that he experienced cohesion of his self and his world. Yet, the very opposite might be true. Some of those pieces that were consumed by flames may have brought a vision of a purifying spiritual conflagration in which case those corporeal pages were no longer of any use to him.

44 Diamant, Kathi  : Kafka’s Last Love. The Mystery of Dora Diamant, New York 2003, p. 84. 45 See publisher’s note, in  : Kafka, Franz  : The Castle, New York 1998, p. vii. 46 See footnote 118, in  : Kafka, Diaries, p. 500.

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»Schreckliche Dinge – genug  !« Kafka, Hiob und Theodizee in der Moderne Der Begriff Theodizee benennt das Problem der Rechtfertigung Gottes angesichts des von ihm erschaffenen oder geduldeten Übels in der Welt. Das Buch Hiob wurde wie kaum ein anderes als radikale Theodizee gelesen. Als Verkörperung des Leidenden in der hebräischen Bibel stellt die Figur Hiobs die größte Herausforderung an die Gleichzeitigkeit göttlicher Allmacht und Güte dar. Hiobs Leiden, seine Klagen und Anklagen gegen Gott und seine letztendliche Unterwerfung vor der Demonstration göttlicher Herrlichkeit am Ende des Buchs Hiob können tatsächlich als ultimative Rechtfertigung Gottes gelesen werden. Kafkas Werk gilt hingegen als Inbegriff der modernen Antwortlosigkeit auf Fragen der Gerechtigkeit Gottes angesichts der Hinfälligkeit des Menschen. Dennoch wurde Kafka, obwohl er Hiob nie beim Namen nennt, auffallend oft in Bezug auf diese biblische Figur gelesen. In jüngerer Zeit haben Kritiker konkrete Parallelen zwischen Kafkas Werk und dem Buch Hiob aufgezeigt. So sieht etwa Northrop Frye in Der Große Code die Schriften Kafkas »als eine Reihe von Kommentaren zum Buch Hiob« und bezeichnet Kafkas Roman Der Prozess als »eine Art Midrasch« (Kommentar) zu diesem biblischen Buch.1 Andere halten Kafkas Roman für »eine bewusste Parallele zum Buch Hiob«2 und nennen ihn seine »wahre« und selbst »unentbehrliche Übersetzung«  ;3 sie behaupten, dass Kafka in diesem Roman »Hiobs Geschichte zu seiner unerbittlichen und katastrophalen Grenze treibt«4 und dass »das Gericht im Roman Der Prozess das gleiche moralische Wertesystem bekräftigt wie das Buch Hiob«.5 Harold Fisch, für den Kafkas Werk »ein tiefgreifender und anhaltender Versuch ist, Hiob für den modernen Menschen

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Frye, Northrop  : The Great Code. The Bible and Literature, London 1982, S. 195. Diese und alle anderen Übersetzungen aus dem Englischen stammen von der Autorin. 2 Kartiganer, Donald M.: Job and Joseph K. Myth in Kafka’s The Trial, in  : Modern Fiction Studies 8 (1962), S. 31–43, hier S. 31. 3 Fisch, Harold  : New Stories for Old. Biblical Patterns in the Novel, Basingstoke 1998, S. 98. 4 Schreiner, Susan E.: Where Shall Wisdom Be Found  ? Calvin’s Exegesis of Job from Medieval and Modern Perspectives, Chicago 1994, S. 181. 5 Lasine, Stuart  : The Trials of Job and Kafka’s Josef K, in  : The German Quarterly 63 (1990), S. 187–198, hier S. 187.

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darzustellen«, bemerkt 1998, dass »die Analogie mit Hiob ein Gemeinplatz der Kafka-Forschung«6 geworden ist. Die radikalsten Parallelen zwischen Hiob und Kafka zogen jedoch einige deutsch-jüdische Denker der späten zwanziger und dreißiger Jahre. In ihrem Aufsatz von 1929, Das Hiob-Problem bei Franz Kafka, behauptet Margarete Susman, keine anderen modernen Werke trügen »reiner und tiefer als jene Kafkas die Züge der uralten Auseinandersetzung Hiobs mit seinem Gott«.7 Max Brod bezeichnet in seinem Aufsatz Franz Kafkas Grunderlebnis von 1931 und in seiner 1937 erschienenen Biographie Kafkas »die alte Hiobsfrage« als Kern seines Lebens und Werks.8 In einem Brief an Walter Benjamin vom 1. August 1931 schreibt Gershom Scholem, »Ich würde dir raten, jede Untersuchung über Kafka vom Buche Hiob aus zu beginnen«.9 Martin Buber erklärt  : »In der Tat hat Franz Kafka in seinen Werken die größte Hiob-Interpretation unseres Zeitalters gegeben«.10 1934 behauptet Günther Anders – allerdings ohne konkrete Beweise zu liefern –, dass das Buch Hiob Kafka sein Leben lang begleitet habe.11 Für diese deutsch-jüdischen Denker, die zu Kafkas frühesten und prominentesten Interpreten gehörten, erfasst dieser wie kein anderer die Befindlichkeit des modernen Menschen. Sie lesen Kafka im Kontext ihrer jeweiligen Bestrebungen, die Moderne im Licht jüdischer Schriften zu betrachten, die Grundlagen des Judentums im Angesicht des Bruchs mit der Tradition neu zu denken, und allgemein die Möglichkeiten einer göttlichen Ordnung nach dem »Tod Gottes« zu reflektieren. In der Figur des Hiob, der mit Gott hadert, sehen sie einen Vorläufer des zweifelnden Gottsuchers in der Moderne. Die multiperspektivische Erzählweise des Buchs Hiob, seine narrativen Widersprüche und Ungereimtheiten eignen sich ganz besonders für das Bedürfnis dieser Denker, die   6 Fisch  : New Stories for Old, S. 89.   7 Susman, Margarete  : Das Hiob-Problem bei Franz Kafka, in  : Der Morgen. Monatsschrift der Juden in Deutschland 1 (1925), S. 31–49, hier S. 49.   8 Brod, Max  : Über Franz Kafka, Frankfurt a. M. 1966, S. 158.   9 Brief von Gerschom Scholem an Walter Benjamin, 1. August 1931, in  : Benjamin über Kafka. Texte, Briefzeugnisse, Aufzeichnungen, hg. v. Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt a. M. 1981, S. 63–93, hier S. 64. 10 Buber, Martin  : Warum und wie wir die Schrift übersetzten, in  : Martin Buber Werkausgabe Bd. 14  : Schriften zur Bibelübersetzung, hg. v. Ran HaCohen, Gütersloh 2012, S. 174. 11 Anders, Günther  : Kafka Pro et Contra, München 1951, S. 91. Obwohl keine expliziten Beweise vorliegen, dass Kafka das Buch Hiob wirklich gelesen hat, war er sich zweifellos des Buches bewusst, nicht zuletzt durch seine Lektüre von Kierkegaards Die Wiederholung, wie in seiner Korrespondenz mit Max Brod dokumentiert, und durch Stücke jiddischer Theatergruppen, die Kafka besuchte und die sich auf Hiob bezogen.



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jüdische biblische Tradition mit der modernen Welt, wie sie in Kafkas Schriften paradigmatisch zum Ausdruck kommt, in Einklang zu bringen. Die hermeneutischen Schwierigkeiten des Buchs Hiob und vor allem seine zutiefst paradoxe Natur machen es zu einer privilegierten Folie für Kafkas Werk. Das Buch Hiob lässt, wie Kafkas Schriften, keine klare Moral oder Botschaft erkennen. Schon die Hiobsfrage an sich ist ein Paradox  : Wenn es auf der Welt keine Gerechtigkeit gibt, wenn Gerechte und Sündige gleichermaßen leiden, wie kann Gott dann der Gütige und der Allmächtige sein  ? Das Buch Hiob enthält jedoch noch andere, spezifischere Paradoxa. Anders als seine Freunde und vermeintlichen Tröster, die die Wege Gottes rechtfertigen und das Leiden unterschiedlich als Strafe, Prüfung oder Lektion auslegen, rebelliert Hiob gegen Gott und bezichtigt ihn der Ungerechtigkeit, der Gleichgültigkeit und des Rückzugs aus menschlicher Reichweite. Doch Hiob tut dies in einem überaus direkten und intimen Appell, der gleichzeitig Gottes Nähe voraussetzt. Ein verwandtes Paradox ist die überraschende Antwort Gottes auf Hiobs Klagen  : Trotz seines Aufbegehrens lobt Gott seine Haltung und weist die Worte der Freunde, die die göttliche Ordnung bejahen, als leere Schmeicheleien zurück. Schließlich bleibt der Dialog zwischen Gott und Hiob am Schluss des Buchs rätselhaft. In seiner Rede aus dem Wirbelwind antwortet Gott auf ganz und gar unbefriedigende Weise auf Hiobs Vorwürfe. Dennoch unterwirft Hiob sich Gott schließlich »in Staub und Asche« (Hiob 42  : 6). Verwandte Paradoxa und unlösbare hermeneutische Unstimmigkeiten sind auch in Kafkas Werk zu finden. So wiederholt Kafka fast wörtlich die zentrale Frage Hiobs nach der Gerechtigkeit Gottes, der »den Frommen und den Gottlosen« gleichermaßen zunichtemacht (Hiob 9  :22). Ein Tagebucheintrag Kafkas vom 30. September 1915 klingt wie ein Echo dieser Frage. In Bezug auf die Protagonisten von Der Verschollene und Der Prozess bemerkt Kafka, dass »der Schuldlose und der Schuldige […] schließlich beide unterschiedslos strafweise umgebracht« werden.12 Alle genannten deutsch-jüdischen Denker, die sich in ihren Kommentaren zu Kafkas Schriften auf das Buch Hiob beziehen, verhandeln diese Paradoxa in einem Sinne, der an Günther Anders’ Befund anklingt, dass die Moderne für Kafka zwar als gottlose Welt erscheint, diese Erfahrung jedoch selbst eine »religiöse Tatsache« ist.13 Diese Interpretationen bieten, wenn auch auf unterschiedliche Weise, selektive Lesarten des Buchs Hiob, die dessen Paradoxa auflösen und die daraus entstandenen »Lösungen« auf Kafkas Werk projizieren. Das Buch Hiob und Kafkas Schriften werden auf diese Weise ihres Widerstands gegen jegliche versöhnliche Auflösung beraubt und münden in Illustrationen 12 Kafka, Franz  : Tagebücher, Frankfurt a. M. 2002, S. 757. 13 Anders  : Kafka Pro et Contra, S. 82.

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diverser theologischer Konstrukte. Besonders auffallend ist dies in Susmans und Brods Darstellung des Zusammenhangs zwischen Hiob und Kafka. Beide beziehen sich in ihren jeweiligen Analysen von Kafka auf das Buch Hiob, aber sie schließen von den Parallelen zwischen der biblischen Figur und seinem modernen Gegenstück auf radikal unterschiedliche Vorstellungen Kafkas und auf die Beziehung zwischen Gott und Mensch in der Moderne überhaupt. Dennoch unterliegt dem Denken beider über den Zusammenhang von Hiob und Kafka eine jeweils unterschiedliche, aber unverkennbare Theodizee. Das Leiden retten  : Margarete Susmans jüdisch-christliche Theodizee Susmans Aufsatz Das Hiob-Problem bei Franz Kafka von 1929 zählt zu den frühesten deutschen Studien zu Kafkas Werk überhaupt. Er zeichnet ein philosophisches Porträt des Prager Autors im Kontext einer Interpretation Hiobs und eines entsprechenden Verständnisses des Schicksals und der Mission des jüdischen Volkes. Für Susman ist Kafka der paradigmatische Vertreter der Hiobschen Erfahrung in der Moderne. Hiobs Not – sein Leiden, seine verzweifelte Hoffnung von Gott erhört zu werden, seine Suche nach göttlicher Gerechtigkeit – wird von ihr in Kafkas Zeit, die von jeder Richtung, jedem Gewicht, jeder Bedeutung entleert ist, als besonders akut gesehen. Die Beziehung zwischen Schuld und Leiden, die schon im Buch Hiobs problematisiert ist, wird nunmehr völlig unfassbar. In Susmans Worten liegt Kafkas künstlerische Leistung darin, »die Form des Nichts selbst« gefunden zu haben.14 Und doch gibt sein Werk Susman zufolge zu verstehen, dass ein verstecktes, allmächtiges Gesetz jeden Aspekt des Lebens durchdringt, selbst wenn dieses Gesetz so absolut unerreichbar geworden ist, dass es nicht mehr wahrgenommen werden kann und nur Chaos und Verwirrung zurücklässt. Kafkas Werk vermittelt für sie »die von Gott alleingelassene Welt.« »Und doch«, so Susman weiter, ist dies »das große Mysterium  : obwohl Er sie verlassen hat, ist alles in ihr Seine Offenbarung.«15 Indem Susman ihre Argumentation auf eine dialektische Umkehrung von Gegensätzen gründet, löst sie die Unstimmigkeiten und Widersprüche auf, die aus ihren Deutungen Hiobs, Kafkas und dem Vergleich der beiden entstehen. Ihre Argumentationsweise beruht zwar, ähnlich der Schreibweise Kafkas, auf der betonten Wiederholung der Worte »aber« und »jedoch«. Diese rhetorische Form hat bei den beiden Autoren allerdings eine entgegengesetzte Funktion und Wirkung  : In Kafka weist sie auf eine unendliche Oszillation zwischen ver14 Susman  : Das Hiob-Problem, S. 39. 15 Ebd., S. 47.



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schiedenen Möglichkeiten hin, die nie einen Abschluss findet. Susman setzt sie hingegen ein, um die Negativität, die sie in Kafkas Vision diagnostiziert, in eine positive Affirmation umzukehren und so daraus ein geeignetes Werkzeug für eine vollzogene Theodizee zu machen. Es ist Susmans ausdrückliche Absicht, die Paradoxa des Buches Hiob und die Komplexität von Kafkas Werk in eine Theodizee aufzulösen. Für sie sind das Buch Hiob und die Schriften in seiner Tradition – vor allem solche über die Juden im Exil, und allen voran Kafkas Werk – eine Rechtfertigung der göttlichen Ordnung. Susman beschreibt jüdisches Denken als eine Folge der Zwangslage der Juden als Opfer  : Sein Leiden selbst, dessen Grund es nicht erkennt, zwingt das Judentum […] zu immer erneuten Versuchen, Gott zu rechtfertigen  : die Entstehung des Leides und der Schuld und ihren Zusammenhang im Leben zu erklären. Es gibt keine große Leistung des Judentums im Exil, die nicht in ihrem Kern eine Theodizee wäre.16

Zu diesem Zweck und mit dem Mittel einer fortwährenden dialektischen Umkehrung löst sie das zentrale Paradox des Buches Hiob, das Leiden der Unschuldigen, auf. Darüber hinaus zeichnet sie Hiob als einen, der, obwohl er »nicht ablassen [kann], seine eigene Schuld zu suchen«17, sie nicht finden kann, weil er bis zum Ende nicht versteht, dass diese Schuld nicht in ihm persönlich liegt, sondern in der menschlichen Sündhaftigkeit an sich. Für Susman ist es gerade Hiobs Unschuld, die sein Leiden an Bedeutung gewinnen und zu einer Offenbarung von Gottes radikaler Alterität werden lässt  : Das Leiden der Schuldigen wäre eine reine Kausalität und könnte so in ein menschliches Maß zurückgeführt werden. Ähnlich, und mit noch größerem Nachdruck, findet sie in Kafka einen Vertreter und Sprecher für die Armen und Leidenden. So ist Kafka für Susman noch rechtschaffener als Hiob, denn »Kafka fleht nicht für sich persönlich wie Hiob, sondern für seine Welt«.18 Es ist, so Susman, im Leiden solcher Figuren wie Kafkas krankem Hungerkünstler, der hinfälligen Zirkusreiterin, dem versagenden Akrobaten, in dem die Offenbarung der versteckten, göttlichen Macht sich vollzieht. Dieser Sicht entsprechend spitzt Susmans Interpretation Kafkas auch die anderen Paradoxe im Buch Hiob zu - und löst sie auf. So identifiziert sie Hiobs intime Klage an einen fernen Gott mit Kafkas umfassendem Monolog an einen Gott, der sich in modernen Zeiten völlig zurückgezogen hat. Auf ähn16 Ebd., S. 36. 17 Ebd., S. 33. 18 Ebd., S. 42.

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liche Weise werden das Paradox von Gottes Lob des blasphemischen Anklägers Hiob und Gottes Zurückweisung seiner Freunde, die versucht hatten, die göttliche Ordnung zu rechtfertigen, in Susmans Aufsatz zu einer Vorstellung Kafkas als endgültigem Vertreter der Juden, der von Gott auserwählt wurde, obwohl – oder vielmehr gerade weil – er eine Welt darstellt, aus der alle Gerechtigkeit verschwunden ist. Für Susman stellt das Paradox von Hiobs Unterwerfung unter Gott nach dessen unzulänglicher Antwort aus dem Wirbelwind – seine Demonstration der Erhabenheit seiner Schöpfung, die in keiner Weise Hiobs Hinterfragen von Gottes Anspruch auf Gerechtigkeit beantwortet – die wahre Erleuchtung von Hiobs Erfahrung göttlicher Offenbarung dar. Gerade weil sich Gott dem menschlichen Verständnis entzieht, wird Hiobs Unterwerfung zu einem umfassenden Ausdruck seines Glaubens. Nicht Hiob der Rebell, sondern Hiob der Märtyrer ist für Susman Emblem des jüdischen Volkes und Modell des homo religiosus überhaupt. Susman unterstreicht diesen Punkt auf markante Weise, indem sie anmerkt, dass Kafka im Angesicht eines Gottes, der undurchdringlich schweigsam bleibt, sich des Protestes enthält  : »Kafka klagt nicht«, bemerkt sie.19 Er klagt oder protestiert nicht, weil die Entfernung zu Gott in seiner Zeit zu groß geworden sei. Gottes Rückzug sei so absolut, dass niemand mehr da ist, um dem Klagenden zuzuhören, geschweige denn ihm zu antworten. Dass Kafka nicht klagt, ist für Susman ein Ausdruck reiner Frömmigkeit. In der radikalsten Umkehr von Gegensätzen befürwortet sie die Reaktion des Opfers (das Susman als »den Gerichteten« bezeichnet), das, wie Hiob und Kafka, sein Schicksal akzeptiert  : »Die vollkommen fraglose Hingabe erscheint als die einzige Kraft, die […] aus dem vollkommen ausweglosen Nichts wenigstens für Augenblicke herausführt.«20 Wie Hiob, und so auch das jüdische Volk, wird Kafka, indem er das Leiden der Menschheit auf sich nimmt, zu einer Christus-Figur, die für die gesamte Menschheit leidet – und sie damit errettet. Susman stützt ihre Interpretation auf eine Vermengung jüdischer und christlicher Theologumena. Für sie sind Hiobs Vorwürfe gegen Gott auf direkte Weise mit dem Judentum als Gesetzesreligion verbunden  : In dieser Auffassung setzen die Juden, so Susman, mehr als andere, göttliche Gerechtigkeit voraus und sind berechtigt, sie zu erwarten. Aber Susmans Vorstellung des Judentums hat unverkennbar auch christliche Untertöne. Im Gegensatz zur jüdischen Tradition, in der die Auserwählung der Juden auf ihrer Annahme der Torah und ihrer Gesetze basiert, steht jüdische Auserwählung für Susman in direkter Beziehung 19 Ebd., S. 46. 20 Ebd., S. 45 f. Zu Gershom Scholems zurecht entrüsteter Reaktion auf Susmans Haltung vgl. Scholem, Gershom  : Judaica 2, Frankfurt a. M. 1970, S. 42.



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zum Leiden. Dieser christlichen Idee zufolge manifestiert sich der jüdische Sonderstatus in einer gläubigen Unterwerfung unter ihr leidvolles Schicksal. Gleichzeitig, und widersprüchlich, beschreibt Susman das Leiden der Juden als göttliche Vergeltung für ihre Vergehen. Wie ein Echo der Rede von Hiobs Freunden, die sein Leiden als eine Strafe für seine Sünden rechtfertigten, hält sie die Distanzierung von Gott und die jüdische Assimilation für eine Ursache der göttlichen Strafe, die wiederum das Zeichen der jüdischen Auserwähltheit ist. Im 1946 erschienenen Das Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes, in dem sie sich nur sporadisch auf Kafka bezieht, wird Susman diese Analyse noch einen Schritt weiterführen.21 Hier argumentiert sie, dass das Leiden der Juden nicht nur eine Manifestation des Privilegs ist, das Gott seinem Volk verleiht, sondern dass es auch die wahre Mission der Juden in der Welt darstellt. Privileg und Mission der Juden gingen verloren, wenn ihr Zustand als exiliertes, heimatloses Volk weniger bedrängend wird, ihre Rolle als Sündenbock der Weltnationen ein Ende findet. Diese problematische Theodizee Susmans ist ansatzweise bereits in ihrer Interpretation Kafkas als Hiob-Figur zu erkennen. Die Kluft überbrücken  : Max Brods positive jüdische Theologie Susmans Schriften zu Kafka und Hiob zirkulierten weitläufig unter ihren Zeitgenossen, darunter Felix Weltsch, Hans-Joachim Schoeps, Gershom Scholem und Max Brod, die sich auf ihre Arbeit bezogen. Obwohl Brods Schriften über Kafka sich nicht offen gegen Susman richten, kommen sie dennoch einer Polemik gegen ihre Lesart des Autors gleich. In diesen Schriften beruft sich Brod oft auf die »Hiobsfrage« und zitiert in seiner Kafka-Biographie ausgedehnte Passagen aus Hiobs Klagen und Protesten. Diese Bezüge decken sich teilweise mit Susmans, doch Brod negiert implizit die Parallelen, die Susman in ihrer Kafka-Lektüre postuliert. Er lehnt die Vorstellung eines »repräsentativen Leidens« ab und sieht menschliche Sündhaftigkeit als bloß »zufällige« Schwäche – Zweifel an Gott entstammen einem Missverständnis göttlicher Gerechtigkeit. In dem einzigen expliziten Hinweis auf Susmans Interpretation der Beziehung zwischen Kafka und Hiob bestreitet Brod ihre Erklärung historisch entstandener Unterschiede zwischen Gott und Mensch. Für Brod leiten sich diese Unterschiede nicht von der wachsenden Kluft zwischen beiden in der Moderne ab  ; stattdessen liegen sie in Hiobs arroganter Gewissheit seiner eigenen Integrität und Unschuld. Anders als Hiob, so Brod, erkennt Kafka, dass er sündhaft ist. Susman betrachtet diese Demut als eine Unterwerfung unter Gottes Herrlich21 Susman, Margarete  : Das Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes, Zürich 1946.

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keit  ; für Brod handelt es sich dabei eher um einen Mangel an Lebenskraft, welchen er – im Gegensatz zu Susmans Glorifizierung des Exils – in zionistischen Begriffen diagnostiziert  : »Als Glied eines Volkes ohne Land kann man nicht richtig leben«.22 Anders als Susman löst Brod die Paradoxa des Buches Hiob nicht durch dialektische Umkehrungen von Gegensätzen auf. Er harmonisiert sie vielmehr, indem er davon absieht, sie zu problematisieren, und sie stattdessen nebeneinanderstehen lässt. Wie bei Susman folgt jedem von Brods Bezügen auf Hiob ein »aber«. Doch diese »aber« bedeuten eigentlich »aber auch« und fügen damit unvereinbaren Positionen glatt zusammen. Dies geschieht paradigmatisch in einem von Brods Schlüsselsätzen, der Hiobs Leiden mit der Verzweiflung in Kafkas Welt auf eine Linie bringt und in dem er anmerkt, »daß weitaus in überwiegender Mehrheit Sätze, die den Menschen entmachten, auf den Leser eindringen. Aber die Thesen der Freiheit und Hoffnung sind auch da  !«23 Für Brod stellt Kafkas Prosa, wie das Buch Hiob, einen scheinbar grausamen, unmoralischen Gott dar  ; dies ist jedoch nur wahr, wenn man es bei der menschlichen Perspektive belässt und Kafkas Glauben an eine gütige göttliche Macht ausschließt. In Brods Lesart stellt Kafka immer wieder »die alte Hiobsfrage«.24 Anders als Susman löst Brod das Paradox, dass Hiob sich zuletzt Gott unterwirft, obwohl er keine ausreichende Antwort erhalten hat, nicht auf. Stattdessen bekräftigt er sowohl Hiobs als Kafkas jeweilige Rebellion und lässt dabei zugleich Gottes Gerechtigkeit intakt, indem er fremde Mächte einführt, die zwischen Gott und Mensch agieren  : Für Brod ist es nicht Gott, der für die Ungerechtigkeit und Grausamkeit der Welt verantwortlich ist, sondern es sind »Zwischeninstanzen voll Tücke und Gift«.25 So behauptet er, dass für Kafka Gott unendlich gut sei, ungeachtet der Verwirrungen, die durch diese »Zwischeninstanzen« gestiftet werden. Die Unendlichkeit, die Brod hier der Güte von Kafkas Gott zuschreibt, ist in dessen Schriften kaum belegbar, also offensichtlich eine Projektion des Interpreten. Obwohl Kafkas Werk tatsächlich eine Vorstellung von Unendlichkeit vermittelt, ist sie jedoch von anderer Art als Brods Behauptung eines grenzenlosen Vertrauens in die Güte Gottes. Kafkas Unendlichkeit manifestiert sich vielmehr in seiner Schreibweise eines endlosen Zögerns, das nie zu einem letzten Urteil wird. Obwohl Brod Kafkas Skepsis nicht abstreitet, weist er ausdrücklich jede Möglichkeit zurück, diese Skepsis ins Unendliche

22 23 24 25

Brod  : Über Franz Kafka, S. 153. Ebd., S. 151. Hervorhebung im Original. Ebd., S. 151 und 158. Ebd., S. 162.



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auszudehnen  : »Also doch nicht ›grenzenlos skeptisch›  ? Nein, die Grenze war da, eine sehr ferne Grenze.«26 In seinen Verweisen auf das Buch Hiob spricht Brod das gleiche Problem an wie Susman  : die Inkommensurabilität der menschlichen und der göttlichen Sphäre. In ihrer Herangehensweise an dieses Problem werden allerdings grundlegende Unterschiede zwischen ihren jeweiligen Ansichten deutlich. Während Susman sowohl im Buch Hiob wie in Kafkas Werk die Unmöglichkeit der Zusammenführung dieser beiden Sphären als den wahrhaften Ort göttlicher Offenbarung bezeichnet, sieht Brod in Kafka die Bejahung eines gemeinsamen Grundes zwischen ihnen. Er findet in Kafka lediglich eine »Undeutlichkeit« in der Beziehung zwischen den beiden Sphären vor  ;27 auch versöhnt Brod auf wenig überzeugende Weise Kafkas Ansichten mit der traditionellen jüdischen Auffassung, wonach ethische Gebote als das Reich der Begegnung zwischen Gott und Mensch dienen. Zudem findet man bei Brod, mehr noch als bei Susman, einen Widerhall von Hiobs Freunden, die an einer unmittelbaren Kausalität zwischen Leiden und Schuld festhalten. Somit besiegelt auch Brod seine moderne Theodizee. Versuch Kafkas anderen Hiob zu denken »Ich könnte mir einen andern Abraham denken.«28 Dieser erste Satz eines Texts, den Kafka im Juni 192129 an Robert Klopstock schreibt, ist eine implizite Antwort auf Kafkas Lektüre von Kierkegaards Überlegungen zu Abraham und der Opferung Isaaks in Furcht und Zittern. Für Kierkegaard ist Abrahams Gehorsam »das letzte Stadium, das dem Glauben vorangeht«,30 und Hiob, wie Abraham ein »Ritter des Glaubens«, weil er sich Gott nach dessen Rede aus dem Wirbelwind unterwirft. Kafka nennt Hiob zwar nie, aber seine Vorstellung eines »andern Abrahams« ermöglicht es sich vorzustellen, wie er sich einen andern Hiob gedacht hätte  : es wäre ein Hiob, der sich einer Einfügung in eine bedingungslosen Apologie Gottes verweigerte. Kafka denkt sich einen anderen Abraham, einen Abraham, der nicht auf den Berg Morija geht, um seinen geliebten Sohn zu opfern. »Freilich,« so Kafka, 26 Ebd., S. 153. 27 Ebd., S. 152 und 162. 28 Brief von Franz Kafka an Robert Klopstock, Juni 1921, in  : Kafka, Franz  : Briefe, 1902–1924, hg. von Max Brod, Frankfurt a. M. 1958, S. 333 f. 29 Für eine richtungweisende Analyse dieses Textes siehe Alter, Robert  : Necessary Angels. Tradition and Modernity in Kafka, Benjamin, and Scholem, Cambridge, Mass. 1991, S. 73f. 30 Kierkegaard, Søren  : Religion der Tat  : Sein Werk in Auswahl, Hamburg 2013, S. 59.

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würde dieser Abraham »es nicht bis zum Erzvater bringen, nicht einmal bis zum Altkleiderhändler.« Wie der biblische Patriarch ist Kafkas »anderer Abraham« ein frommer Mann, der »die Forderung des Opfers sofort, bereitwillig wie ein Kellner zu erfüllen bereit wäre«  ; im Gegensatz zum biblischen Abraham wäre Kafkas Abraham jedoch einer, »der das Opfer doch nicht zustandebrächte«.31 Kafka beschreibt daraufhin zwei verschiedene Szenen, die unterschiedliche Gründe anführen, welche Abraham davon abhalten, den göttlichen Befehl auszuführen. In der ersten Szene argumentiert Abraham in einer imaginären Antwort an Gott, dass »er von zuhause nicht fortkann, er ist unentbehrlich, die Wirtschaft benötigt ihn, immerfort ist noch etwas anzuordnen, das Haus ist nicht fertig«.32 Kafka entwickelt diese Phantasmagorie weiter und führt Abrahams Ausflüchte dafür, dass er zögert, anstatt Gottes Befehl zu gehorchen, näher aus. Sein »anderer Abraham« steht jetzt im Plural, er ist ein Typus geworden, eine existentielle Haltung  : Die »oberen Abrahame, die stehn auf ihrem Bauplatz und sollen nun plötzlich auf den Berg Morija«33. In Kafkas Vorstellung werden diese Abrahame von Gott gerufen, während sie sich um ihr Haus kümmern  : Die göttliche Verfügung erreicht sie inmitten ihrer Sorge um dieses Haus, um ihre Wirtschaft, ihre Lebenswelt, und es wird ihnen befohlen, all dies aufzugeben, um im Dienste Gottes auf den Berg zu gehen und das Opfer zu vollbringen. So sehr Kafkas »andere Abrahame« auch willens gewesen wären, sich zu fügen, sie sind zu sehr in die Tätigkeit an ihrem »Bauplatz« vertieft, um Gottes Ruf zu folgen. Zwei Jahre nach diesem Brief verfasst Kafka die Erzählung Der Bau, die »unendliche« Erzählung par excellence.34 Sie besteht aus einem langen Monolog eines maulwurfartigen Tiers, das sich wie besessen um seinen Bau kümmert. Das Tier stellt fortwährend Beobachtungen an, trifft Entscheidungen und bestätigt Fakten, nur um sie sofort mit einem »aber« oder einem »jedoch« zu verwerfen und sich einer Vielzahl von Alternativen zuzuwenden, die sogleich das gleiche Schicksal erfahren.35 Die ununterbrochenen Überlegungen und Berechnungen kreisen mit übermäßiger Aufmerksamkeit um jedes kleinste Detail. Nie erfassen sie das Ganze, die Aufgabe ist endlos. Der Bau, der weder zu vervollkommnen noch zu vollenden ist, der weder verlassen noch wirklich bewohnt werden kann, ist das perfekte Bild und die Verkörperung von Kafkas Schreiben, das sich eben31 Kafka an Klopstock, S. 333. 32 Ebd. 33 Ebd. 34 Kafka, Franz  : Der Bau, in  : Sämtliche Erzählungen, hg. von Paul Raabe, Frankfurt a. M. 1985, S. 359–388. 35 Ebd., S. 367.



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falls in einer ständigen Bewegung selbst aufhebt. Auf den letzten Seiten der Erzählung hört der Maulwurf, eine Unterbrechung sowohl fürchtend als auch erhoffend, ein Geräusch und stellt sich vor, dass »mich jemand zu sich rufen wird, dessen Einladung ich nicht werde widerstehen können«. Der Maulwurf vermutet, dass das Geräusch, das er im Bau hört, nicht von vielen kleinen Tieren stammt, »sondern von einem einzigen großen«.36 Etwa einem göttlichen  ? Wie dem auch sei  : sogleich geht der Maulwurf weiter seinen Geschäften nach, und nach sechzehn eng beschriebenen Manuskriptseiten und einem weiteren »aber« bricht die Geschichte mitten im Satz ab. Sie könnte, so scheint es, endlos weitergehen. Der letzte Satz von Kafkas erster Szene in seiner Vorstellung eines »anderen Abrahams« bietet eine Erklärung für diese Endlosigkeit. Sich auf seine »anderen Abrahame« beziehend, die der Einladung des Rufs zur Opferung widerstehen, weil sie sich um ihr Haus kümmern müssen, spekuliert Kafka  : »Bleibt also nur der Verdacht, dass diese Männer absichtlich mit ihrem Haus nicht fertig werden […] um den Blick nicht heben zu müssen und den Berg zu sehn, der in der Ferne steht.«37 Der Berg ist der Berg Morija, wo Abrahams Opferung seines Sohnes stattfinden sollte, aber er könnte auch der Berg Sinai sein, wo Gottes Gesetz offenbart wurde. Will man aufgrund von Kafkas anderem Abraham nun seinen »anderen Hiob« denken, so wäre es bestimmt nicht der Hiob, der nach Gottes Ansprache aus dem Wirbelwind sein Leiden auf sich nimmt und sich Gott in »Staub und Asche« (Hiob 42  :6) unterwirft. Er wäre auch kein Ankläger Gottes. Stattdessen würde dieser »andere Hiob«, wie Kafkas »anderer Abraham«, von diesem Berg in der Ferne wissen, aber alles tun, um seine Augen nicht zu ihm erheben zu müssen. Er würde lieber seine Klage – eine beharrliche Trauer, die die letzte mögliche Art darstellt, für sein Haus zu sorgen – in ein Mittel verwandeln, um den Berg und seine Forderungen auf Abstand zu halten. Dieser Hiob würde keine Antwort von Gott erwarten  ; er würde vielmehr aus seiner Klage eine Dichtung machen, die sie im Buch Hiob tatsächlich ist  – ein potentiell unaufhörlicher, nicht abzuschließender Ausdruck der Lamentation, der vergeblich um einen endgültigen Ausdruck seines Klagens selbst ringt. Hiobs Klage deutet in diese Richtung, wenn er von seiner Not spricht und sagt, sie sei »schwerer als Sand am Meer  ; darum gehen meine Worte irre« (Hiob 6  :3). Die Klage um den Zustand der Welt erfordert wie die Sorge um sie den Verzicht jeglichen Anspruchs auf Endgültigkeit. Doch Kafka geht noch weiter.

36 Ebd., S. 383. 37 Kafka an Klopstock, S. 333. Hervorhebung von der Autorin.

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»Aber ein anderer Abraham«38  : diese ersten Worte von Kafkas zweiter Abraham-Szene – einer Schulklasse mit einem Lehrer, der bestraft und belohnt – führen noch ein Argument für einen Abraham ein, der den göttlichen Ruf verweigert. Auch dieser Abraham ist ein frommer Mann, der durchaus richtig opfern will und überhaupt die richtige Witterung für die ganze Sache hat, aber nicht glauben kann, dass er gemeint ist […]. Ihm fehlt nicht der wahre Glaube, diesen Glauben hat er, er würde in der richtigen Verfassung opfern, wenn er nur glauben könnte, dass er gemeint ist.39

Dieser Abraham, unsicher, dass er wirklich der Auserwählte ist, der, der gerufen wurde, fürchtet, sich lächerlich zu machen  ; er stellt sich vor, die Welt werde sich bei dem Anblick totlachen. […] Ein Abraham, der ungerufen kommt  ! Es ist so wie wenn der beste Schüler feierlich am Schluß des Jahres eine Prämie bekommen soll und in der erwartungsvollen Stille der schlechteste Schüler infolge eines Hörfehlers aus seiner schmutzigen letzten Bank hervorkommt und die ganze Klasse losplatzt.40

Genau wie Kafkas »anderer Abraham« sich in der hintersten Reihe der Klasse versteckt, würde sein »anderer Hiob« auf das Privileg der Auserwähltheit verzichten. Im biblischen Buch bittet Hiob Gott, seine Aufmerksamkeit von ihm abzuwenden  : »Bin ich denn ein Meer oder ein Meerungeheuer, daß du mich so verwahrst  ?« (Hiob 7  :12) und »Warum tust du dich nicht von mir  ?« (Hiob 7  :19). Nicht länger von Gott auserkoren, nicht länger der Auserwählte zu sein, würde ihn von Opfer und Leiden befreien. Kafkas Hiob wäre somit der Widerpart von Susmans leidendem Helden, der die Rechtfertigung Gottes gewährleistet. Kafka denkt sich sogar diese Möglichkeit  : In den letzten Zeilen seines Abraham-Textes erscheint ein Lehrer, der Belohnungen und Strafen austeilt. Die Worte des Erzählers werfen die Möglichkeit auf, dass Abraham keinen Fehler begangen hat, dass es »vielleicht gar kein Hörfehler [ist], sein Name wurde wirklich genannt, die Belohnung des Besten soll nach der Absicht des Lehrers gleichzeitig eine Bestrafung des Schlechtesten sein«.41 Diese Vorstellung, dass der göttliche Machthaber, um sich selbst zu rechtfertigen, das Leiden – die Strafe für eine sündige Menschheit – als Belohnung dem Auserwählten zuweist, 38 Ebd. 39 Ebd. 40 Ebd. 41 Ebd.



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bringt sogar Kafkas unendliches Schreiben zu jenem Stocken, mit dem der Text endet  : »Schreckliche Dinge – genug  !«42 Postskriptum  : Slavoj Žižek zu Hiob und Kafka Kafkas entsetzte Ablehnung einer Theodizee, die auf einer im Wesentlichen christlichen Opferlogik eines repräsentativen und erlösenden Leidens basiert,43 bedeutet nicht die Ablehnung göttlicher Macht als solche. Der Abraham, den Kafka sich vorstellt, negiert Gottes Existenz nicht, vielmehr hadert er mit ihm, wie schon sein biblischer Namensvetter. Ebenso stellt Kafka den Widerstand seines Abraham, das göttliche Gebot zu befolgen, nicht als Ketzerei dar  ; dieser entschuldigt sich vielmehr »höflich«, dem Gebot nicht nachkommen zu können, und wendet seine Aufmerksamkeit seinen weltlichen Aufgaben zu. Anders als Kafka, der erschaudert, wenn er sich die Möglichkeit vorstellt, Leiden als ein Zeichen von Auserwählung zu rechtfertigen, rehabilitieren jüngst einige marxistische Denker Christus’ Leiden für die Menschheit als ein revolutionäres Ereignis. Zu den prominentesten dieser Intellektuellen gehört der slowenische Philosoph und Kulturkritiker Slavoj Žižek. Obwohl Žižek Kafka und Hiob nicht direkt miteinander in Zusammenhang bringt, weist er diesen zwei Figuren eine korrelierende Rolle in seiner Theorie eines erneuerten, potentiell revolutionären Christentums zu. Dabei behält das Judentum zwar eine wesentliche, jedoch fragwürdige Rolle bei  : Im Festhalten an der göttlichen Souveränität macht es die Rebellion gegen die Herrschaft des Einen überhaupt erst möglich. Wir finden bei Žižek das Echo des christlichen Substitutionsglaubens, aber er verleiht ihnen eine entschieden neue Wendung. Das Revolutionäre im Kern des Christentums besteht für ihn darin, dass Christi Tod am Kreuz Gottes Machtlosigkeit offenbart und somit seine Souveränität demontiert. Im Gegensatz dazu hält das Judentum an seinen alten, legalistischen Überzeugungen fest und legitimiert die göttliche Souveränität entgegen seinem eigenen Bewusstsein von Gottes Machtlosigkeit. Diese Interpretation des Unterschieds zwischen Judentum und Christentum prägt auch seine Deutung des Buches Hiob und seine Interpretation von Kafkas Das Urteil. »Den Schlüssel zu Christus«, schreibt Žižek, »liefert die Figur des Hiob, dessen Leiden dasjenige Christi präfiguriert.«44 Für Žižek »[beruht] die ungeheu42 Ebd. 43 Das Judentum ist nicht völlig frei von Erklärungen menschlichen Leidens mit solchen Begriffen, aber diese Tendenz ist für seine Praktiken und seinen Glauben nicht zentral. 44 Žižek, Slavoj, Die Puppe und der Zwerg, Frankfurt a. M. 2003, S. 126.

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ere Wirkung des ›Buches Hiob‹ […] weniger auf seinem narrativen Rahmen«, der in der Tat eine Theodizee belegen würde, »als auf seinem Schluss.«45 Dieser Schluss ist die Wirkung von Gottes Rede aus dem Wirbelwind, die Žižek als »reine Prahlerei« und »billige Hollywood-Horrorshow mit zahlreichen Spezialeffekten«46 beschreibt, in der Gott wie einer handelt, dessen Schwäche offensichtlich geworden ist und der nun auf erbärmliche Weise versucht, sein Gesicht zu wahren. In einer treffenden Bemerkung schreibt Žižek, es handle sich beim Buch Hiob »möglicherweise um den ersten exemplarischen Fall einer Ideologiekritik in der menschlichen Geschichte. Hiobs ethische Würde beruht auf der Art und Weise, wie er […] sich hartnäckig dagegen wehrt, sein Leiden könne irgendeinen Sinn haben.«47 Žižek Interpretation des Buches Hiob führt dabei jedoch eine fragwürdige Umkehrung der Beziehung zwischen Judentum und Christentum durch  : Nun ist es das Judentum, das an einer Theodizee festhält, während das Christentum – »korrekt« ideologiekritisch – diese als Lüge enthüllt. Wenn Hiob für Žižek ein Vorläufer Christi und das Buch Hiob eine radikale Entlarvung der göttlichen Autorität ist, so ist Kafka einer seiner Nachfolger. In einem seiner charakteristischen, von Lacan inspirierten Paradoxa behauptet Žižek, Kafkas Größe liege im »transgressiven Überschreiten der Grenze, die die vitale Sphäre von der rechtlichen trennt«.48 Wie die »billige Hollywood-Horrorshow« im Buch Hiob, entlarven die Gesetzesbücher der Richter in Kafkas Roman, die sich als pornographische Heftchen entpuppen, die Würde der Autorität, die mit der endgültigen gesetzgebenden Autorität, dem jüdischen Gott, gleichgesetzt wird. Kafkas transgressive Geste ist für Žižek, wie Hiobs Anklage, wie Christi Klage, eine Offenbarung von Gottes »Gottlosigkeit« und ein revolutionärer, befreiender Akt  : Sie erlöst von der unterdrückenden Autorität des in Lacansche Begriffe gefassten Gesetzes des Vaters. Kafka, so Žižek, führt gerade wegen seiner jüdischen Herkunft diese Grenzüberschreitung wie kein anderer aus  : Es kommte alles von seinem Judentum her  : die jüdische Religion markiert den Moment der radikalsten Trennung dieser Sphären [der Sexualität und der Heiligkeit]. In allen vorigen Religionen treffen wir auf einen Ort, eine Sphäre heiligen Genusses (zum Beispiel in Form von rituellen Orgien), während im Judentum die Sphäre des Heiligen von allen Spuren der Vitalität entleert ist und die lebende Substanz dem toten Buchstaben des 45 Ebd., S. 127. 46 Ebd. 47 Ebd., S.128. 48 Žižek, Slavoj  : Looking Awry. An Introduction to Jacques Lacan through Popular Culture, Cambridge 1992, S. 147.



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Gottesgesetzes untergeordnet wird. Kafka überschreitet die Grenzziehungen seiner ererbten Religion und durchtränkt dabei die Sphäre des Gesetzes wieder mit [vitaler] Lust.49

Es scheint, dass für Žižek die jüdische Tradition nur dort gerettet werden kann, wo sie sich auf das reduzieren lässt, was es zu überwinden gilt. Das Buch Hiob und Kafkas Schriften rettet er für die Moderne, insofern sie an diesem Vorgang teilhaben. Die jüdische »kritische Moderne«, die Kafka sich in seinem Brief an Robert Klopstock vorstellt, besteht jedoch nicht vornehmlich in der Transgression  : Kafkas Abrahame mögen in der Tat ihre Augen von der »heiligen Sphäre« – dem Berg in der Ferne – abgewendet haben, aber sie scheinen genügend Vitalität darin zu finden, ihr ewig unvollendetes Haus zu bauen, an dem sogar der als endloses Streben nach einer gerechten Ordnung konzipierte talmudische Diskurs teilhaben könnte.

49 Ebd., S. 148.

Iris Bruce

“There’s No Place Like Home”  : Canine Fellow Travelers in Kafka and Agnon When the first Zionists came to Palestine they encountered “an Old Yishuv of a few thousand Orthodox Jews […] the most abject, parasitic aspect of Jewish Diaspora life.”1 Franz Kafka’s (1883–1924) Jackals and Arabs (1917) depicts the Jewish inhabitants as wild, desperate, and shockingly intolerant jackals who horrify a European traveler, while the Arabs see them as “our dogs  ; finer dogs than any of yours.”2 A decade later, Kafka’s jackals find their equivalent in Balak (kelev, i.e. “dog,” in Hebrew, in reverse), the cursed, mangy Diaspora dog that haunts S.Y. Agnon’s (1888–1970) novel Only Yesterday (1945).3 Both texts are situated in Pre-Mandate Palestine, where the canine animal metaphors embody not only Alterity but also represent social satires of Diaspora mindsets and Zionist ideology. The cliché, “there’s no place like home,” provides the ironic background for the representation of humans and their canine fellow travelers from the European Diaspora to the Pre-Mandate period in Palestine, until the period of the British Mandate in the early nineteen twenties. Kafka’s Jackals and Arabs was written in January 1917 and published in mid-October of the same year in Martin Buber’s Zionist journal Der Jude. The story draws on the history of the first (1882–1903) and second (1904–1914) aliyot (immigration waves) and depicts Jewish inhabitants in Palestine as ferocious jackals (canine mammals), who are religious fanatics, backward rather than forward looking, and in constant strife with the local Arabs. The jackals may well refer to the Orthodox Old Yishuv and include descendants of those immigrants who came long ago, “mostly old Jews, who came ‘to die in the Holy Land,’ yet raised families and maintained a Jewish presence, mainly in Jerusalem

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Harshav, Benjamin  : The Only Yesterday of Only Yesterday  : Introduction, in  : Agnon, Shmuel Yosef  : Only Yesterday. Trans. Barbara Harshav, Princeton 2000, p. vii–xxix. 2 Kafka, Franz  : Jackals and Arabs, in  : The Complete Stories, ed. Nahum Norbert Glatzer, New York 1988, p. 407–411, here p. 410. Quotations from this edition are referenced in parentheses and marked CS. For the original German see Kafka, Franz  : Die Erzählungen und andere ausgewählte Prosa, ed. Roger Hermes, Frankfurt a. M. 2014, p. 280–284. Pages in this edition are marked E. 3 Agnon, Only Yesterday. Quotations from this edition are referenced in parentheses and marked OY.

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and Safed.”4 The new Zionist immigrants of the first aliya (1882–1903), however, were farmers who worked on the land for a living and regarded the pathetic existence of these predecessors as “the most abject, parasitic aspect of Jewish Diaspora life.”5 With the second aliya (1904–1914) came the intellectuals and labor Zionists, “secular idealists, mostly Socialist Zionists from Russia.”6 Kafka’s Western visitor in Jackals and Arabs arrives after the second aliya, during World War I and on the eve of the Balfour Declaration (2 November 1917), in which Britain supported the Zionist goal of establishing a national homeland for the Jewish people in Palestine. Jens Hanssen regards Jackals and Arabs as a “postcolonial allegory” which reveals that “Kafka stood outside the Zionist frenzy for Palestine.”7 Taking issue with previous scholars for not seeing Kafka “as a critic of colonialism in general or of settler-Zionism in Palestine in particular,” Hanssen posits that Jackals “represents a rare European account […] in which the violent nature of Zionism’s designs on Palestine is countered by an Arab protagonist whose narrative of resistance […] Kafka renders empathetically.”8 However, even though Kafka parodies the jackals’ religious frenzy, they are neither violent nor overtly Zionist. They are clearly creatures of the Diaspora, who have brought their psychological baggage, their paranoia of persecution, to the land of Israel and seem to remain, forever, victims of their Diaspora mentality. In Kafka’s satire the annoying religious jackals are entirely out of touch with modernity. They lose themselves in a messianic frenzy, immediately latching onto the traveler as their savior  : “We’ve been waiting endless years for you  ; my mother waited for you, and her mother, and all our foremothers right back to the first mother of all the jackals. It is true, believe me  !” (CS 408) This mock religious discourse parodies their messianic recruitment effort. The traveler cannot take them seriously, nor can the Arab leader. As a matter of fact, the European Zionists rejected this Diaspora attitude and wanted a sane, new beginning in Palestine. The jackal metaphor itself derives from antisemitic European discourses, which Zionists frequently employed in their critiques of the Diaspora mindset.9 Thus, Jackals and Arabs is on one level of meaning a devastating critique of the Diaspora Jews for whom nothing has changed in the land of Israel.

4 Harshav  : Only Yesterday, p. x. 5 Ibid. 6 Ibid., p. vii. 7 Hanssen, Jens  : Kafka and Arabs, in  : Critical Inquiry 39 (2012), p. 167–197, here p. 179, 188. 8 Ibid., p. 173, 169. 9 Bruce, Iris  : Kafka and Cultural Zionism  : Dates in Palestine, Madison 2007, p. 80–81.



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Ironically, the Northern visitor may be an acculturated “German-speaking Prague Jew,”10 perhaps even a Zionist. Both would be appalled by this apparition from the stone ages. The traveler may also be a parody of the famous Zionist leader Max Nordau (1849–1923). An allusion to Nordau in the traveler from the North would be especially ironic  : he, who changed his name from Südfeld (southern field) to Nordau (northern meadow) to “break with the [Diasporic] past,”11 now in Palestine encounters a nightmare of diaspora jackals that literally bite into his clothes and will not let him go. The jackals’ messianism is also more than a satire of one Zionist leader. By extension, it can be read as a scathing satire of the political Zionist leadership’s desperate search for European political leaders to support the Zionist aspirations to create a national homeland in Palestine. The Arab informs the Western visitor that he is not the only one whom they have taken to be their true redeemer  : “Every European is offered it [the scissors for ‘sacrificing’ the Arabs] for the great work  ; every European is just the man that Fate has chosen for them” (CS 410). The Northern visitor and those who were approached before him “represent the European powers pursuing an imperial interest in Palestine and the Middle East, upon whose support political Zionism relied blindly.”12 The jackals reaching out to every European then becomes a parody of the many negotiations that finally led to the Balfour declaration. As John Milfull said long ago  : “That this bitter satire of Zionist messianism should have been published in Martin Buber’s periodical Der Jude is in many ways the high point of Kafka’s irony.”13 Hanssen shifts the focus and places the emphasis on the representation of the Arab leader  : “Kafka’s Arab stands – problematically ‘high and white’ – in the literary center of a leading Zionist journal.”14 Indeed, the ultimate irony in this satire of political, messianic Zionism is that Kafka’s Jews are represented as uncivilized animals, whereas the Arab seems very civilized and reasonable when he shows the “enlightened” Northern visitor around. This role reversal, when it comes to the power constellation of Arab and Jew, is not typical of the time  : Kafka is criticizing here the common negative depiction of Arabs in European/ Zionist intellectual circles. He was thoroughly familiar with Zionist racism, as 10 Spector, Scott  : Prague Territories  : National Conflict and Cultural Innovation in Franz Kafka’s Fin-de-Siècle, Berkeley 2000, p. 197. 11 Bruce  : Kafka and Cultural Zionism, p. 154, 185. 12 Shumsky, Dimitry  : Czechs, Germans, Arabs, Jews  : Franz Kafka’s “Jackals and Arabs” between Bohemia and Palestine, in  : AJS Review 33 (2009), p. 71–100, here p. 97. 13 Milfull, John  : The Messiah and the Direction of History  : Walter Benjamin, Isaac Bashevis Singer and Franz Kafka, in  : Obermayer, August (ed.)  : Festschrift für E. W. Herd, Dunedin 1980, p. 180–187, here p. 185, 184. 14 Hanssen  : Kafka and Arabs, p. 184.

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seen, for instance, in the writer Arthur Holitscher’s (1869–1941) description of Arabs, in 1921, as “a primitive monster, separated from Western man by an abyss a thousand years wide.”15 Dimitry Shumsky attributes Kafka’s reversal of contemporary Zionist racism to Kafka’s exposure to the positive representations of Arabs by his friend Hugo Bergmann and the Zionist newspaper Selbstwehr (Self-Defence).16 In his eagerness to condemn Zionist colonialism, Hanssen makes no distinction between different kinds of contemporary European Zionism. Bergmann, a cultural and not a political Zionist, firmly believed that “phenomena identified with modernization, such as industrialization and the development of trade and infrastructure, had already begun among Palestine’s local population,” and he “saw a Palestinian Arab […] closely resembling a citizen of a modern European nation in the making.”17 Shumsky convincingly argues that readers saw “an unmistakable European” in the Arab’s “upright” and “white” (“hoch und weiß”, E 280) figure  : this contemporary Palestinian Arab has a “European appearance, at least with regard to the national-modern outline of his physiognomy.”18 The Arab leader’s upright pose and demeanour indeed suggests Arab self-confidence, pride, and national consciousness  ; however, the color “weiß” in the Middle Eastern context may equally refer to the traditional white Arab garment rather than to his lighter skin color. The jackals do not stress for nothing  : “Filth is their white [ihr Weiß]  ; filth is their black [ihr Schwarz]” (CS 410, E 283)  – the two types of garments for Arabs/Bedouins. The capitalization of white and black in the original German suggests that the colors refer to their outward appearance, and the “filth” to what is underneath. When we look closer beyond the white cover, the Arab is not as “white” and civilized underneath as he initially appeared, just as the Jews as well are not only innocent victims but also fuel the racial problems. The jackals make a point of informing the traveler of their scorn for the Arabs  : “You are indeed a stranger here […] or you would know that never in the history of the world has any jackal been afraid of an Arab. Why should we fear them  ? Is it not misfortune enough for us to be exiled among such creatures  ?” (CS 408) They adopt a self-satisfied and self-righteous stance and flatly deny the Arabs any legitimation for their views, projecting a presumptuous and calculating nature onto them that has no place for “reason”  : “Not a spark of intelligence, let me tell you, can be struck from their cold arrogance” (CS 408). The jackals’ arrogant rejection of the Arabs is absolutely closed-minded  : they refuse to talk to the 15 16 17 18

Holitscher, Arthur  : Reise durch das jüdische Palästina, Berlin 1922, p. 79. My translation. See Bergmann, S. Hugo  : Bemerkungen zur arabischen Frage, in  : Palästina 8 (1911), p. 7–9. Shumsky  : Czechs, Germans, Arabs, Jews, p. 92. Ibid., p. 97.



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Arabs, insisting that communication is impossible and instead “turn tail and flee into cleaner air, into the desert” (CS 409). As expected, the “enlightened” traveler becomes rather anxious when he learns that they want him “to end this quarrel that divides the world” (CS 409) and “slit their [the Arabs’] throats through with these scissors  !” (CS 410) Kafka parodies the entire scene when a jackal comes “trotting up with a small pair of sewing scissors, covered with ancient rust, dangling from an eye tooth” (CS 410). Their performance for the visitor is comical with the dangling rusty sewing scissors that are ritually unclean and ludicrously inappropriate for ritual slaughter. Hanssen exaggerates when he justifies the Arab’s “corporal violence” as a form of “self-defense against the jackals’ threat of murder, what would today be called ethnic cleansing”19 and misses Kafka’s irony and humor. The jackals are satirized for being “too cowardly and weak to draw this blood themselves.”20 Kafka further parodies the jackal’s madness through playful word games. The jackals are so obsessed with making the visitor perform the ritual slaughter of the Arabs that they literally “locked their teeth through [the traveler’s] coat and shirt” (CS 409) so that he cannot get away. The entire paragraph plays with the verb combinations “festgebissen,” “eingebissen,” and “wir haben nur das Gebiß” (CS 409, E 282), which makes a German reader conclude that the jackals are totally “verbissen” (a pun which has the figurative meaning of being “entrenched, deadlocked, obsessed”). Shumsky points out that Hugo Bergmann criticized the Zionist settlers he met on his first visit to Palestine in 1910 for being “entrenched in their position of Eurocentric alienation in relation to the local Arab environment.”21 Indeed, Kafka’s jackals are so “verbissen” (entrenched) that they are as responsible for the racial divide as the Arabs. Moreover, once the Arab caravan leader disperses them with his “great whip” (“seine riesige Peitsche”), they are all huddled together surrounded by “flickering will- o’-the-wisps” (“von Irrlichtern umflogen”, CS 410, E 283), which reveals the error of their ways. The jackals are no threat  : they are totally absorbed by their obsessions. It is not difficult for the Arab to anticipate their reactions. There is no indication in the text either that the Arab “sees through the jackals’ attempt to instrumentalize the European in order to cleanse Arabs from the land.”22 Besides, the Arab leader is all along entirely in control of the situation. Even though he seems to have retired to get some sleep, it turns out that he was just waiting in the background for the right moment to sneak up on them and end the jackal’s “per19 20 21 22

Hanssen  : Kafka and Arabs, p. 184. Gilman, Sander L.: Franz Kafka, the Jewish Patient, New York 1995, p. 151. Shumsky  : Czechs, Germans, Arabs, Jews, p. 97. Ibid., p. 185.

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formance”  : all of a sudden the Arab leader appears out of nowhere, he “had crept upwind towards us and now cracked his great whip” (“der sich gegen den Wind an uns herangeschlichen hatte und nun seine riesige Peitsche schwang,” CS 410, E 283). The whole event was staged for the Western visitor. Hanssen rightly argues that Kafka recognizes “the Arabs on their own terms” because their leader is educated, analytic, self-confident and therefore the European traveler’s equal.23 However, the Arab caravan leader does not escape Kafka’s irony either. Despite his elegant and polite outward appearance, he is not so civilized in his emotional reactions and his abuse of power. True, the Palestinian Arabs are represented as powerful because they are on their own land and in control. But from his position of power, the Arab leader is condescending throughout and ridicules the jackals all the time. He wanted the European visitor to witness the jackals’ performance, and when he finally intervenes, it is obvious that he never seriously felt threatened or in danger  : he is “laughing as gaily as the reserve of his race permitted” (er “lachte so fröhlich, als es die Zurückhaltung seines Stammes erlaubte,” CS 410, E 283). The Arab leader is delighted that he was able to stage this performance so that the visitor can see for himself what the jackals are really like. And when we consider that they actually appear to be “ritual murderers in this ironic replay of the anti-Semitic stereotypes of the day,”24 then the Arab’s happy laughter endorses and makes light of European antisemitism. Moreover, the Arab freely uses antisemitic discourse when he tells the Northerner that it is the jackals’ “profession” [Beruf ] to drain blood out of animals. Their “profession” of blood-letting echoes the antisemitic charges and fantasies of ritual murder and ritual slaughter associated with Jews in European Diaspora societies. Finally, during the World War I period in which Kafka wrote this story, and especially after the Balfour declaration, racist, antisemitic sentiments in Palestine grew, and the militant slogan – “Palestine is our land, and the Jews our dogs” – could be heard in the towns.25 The Arab leader in Kafka’s story repeats this racial slur  : “They are our dogs  ; finer dogs than any of yours” (CS 410). Hanssen quotes this phrase twice, without addressing the clear echo of contemporary Arab antisemitism.26 Ultimately, the Arab’s layer of civilization is a thin veneer, for he becomes brutal in an instant and reaches for the whip. Hanssen emphasizes that “Kafka’s 23 Hanssen  : Kafka and Arabs, p. 191. 24 Gilman, Sander L.: Franz Kafka, the Jewish Patient, New York 1995, p. 151. 25 Arthur Holitscher reports that these kinds of slogans “reverberated throughout Jerusalem during the time of the November pogrom of 1921”. Holitscher  : Reise, p. 85. My translation. 26 Hanssen  : Kafka and Arabs, p. 179, 187.



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Arab feels, thinks, hesitates, and convinces.”27 So do the jackals, though they do not convince anyone. But the caravan leader does not entirely “convince” the European visitor either. As soon as the traveler sees the jackals he immediately notices their “lithe bodies moving nimbly and rhythmically, as if at the crack of a whip” (CS 407), which conjures up an image of a performance in a circus arena. The constant whipping defines their whole body language, and as a result of their treatment the jackals are filled with scorn and hatred. The Arab’s final words testify to this  : “Marvellous creatures, aren’t they  ? And how they hate us  !” (CS 411) The Northern traveler sees and understands how the jackals are trapped in a continual exile, but his timid attempt to mediate is not very effective. When the Arab leader resorts to brutality again, the traveler takes him by the arm (“I stayed his arm,” CS 411), upon which the Arab drops the whip and even agrees with him, ‘“You are right, sir,’ said he” (CS 411). Yet, without the European’s presence, he would not have stopped. All the Northerner achieves, then, is a brief moment of peace for the jackals  : otherwise, the future looks bleak in Theodor Herzl’s promised land. Kafka’s howling, whining jackals find an equivalent in Balak, a mangy, stray Diaspora dog in Ottoman Palestine who haunts Agnon’s novel Only Yesterday (1945). Though written mostly during World War II,28 Agnon’s novel is set in the same time period as Jackals and Arabs and is also a satire of contemporary Zionism, especially of the second aliya. Agnon’s dog Balak not only becomes as desperate, paranoid, and ferocious as Kafka’s jackals, but he is equally impure. There is nothing sacred anymore about Kafka’s fanatically religious jackals that devour unkosher animals, like the camel at the end of the story, without a second thought. As for Agnon’s dog, it “carries the weight of a discourse in which it is seen as an impure animal, a figure of derided alterity, permitted only grudgingly by rabbinical literature.”29 Fittingly, Agnon’s description of Balak’s personal history appears in the chapter “Study of Impurity” and begins with “[I] n the beginning was the camel” (OY 500), parodying the biblical creation story as well as the dog’s impurity.30 Balak “has been interpreted as “an allegory of Jewish Exile, […] as a satire of [ Jerusalem’s] outlandish Orthodox society, as a Kafkaesque parable and a Sur27 Ibid., p. 186. 28 For the composition of the novel see Cohen, Uri S.: Only Yesterday  : A Hebrew Dog and the Colonial Dynamics in Pre-Mandate Palestine, in  : Zalashik, Rakefet/Ackerman-Lieberman, Phillip (eds.)  : Jew’s Best Friend  ? Brighton 2013, p. 156–178, here p. 157. 29 Ibid, p. 159. 30 I owe this insight to Gershon Shaked. See Shaked, Gershon  : Kafka and Agnon  : Their Relationship to Judaism and Zionism, in  : Gelber, Mark H. (ed.)  : Kafka, Zionism, and Beyond, Tübingen 2004, p. 239–257, here p. 245.

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realist vision  ; and he is probably all of those combined.”31 Agnon’s protagonist, the recent immigrant Isaac Kumer,32 meets the dog Balak, a native of Palestine, during World War I. At the time of the “creation” Kumer is described “like an artist whose hand approaches his work” (OY 286), as he is painting “kelev meshugga” (Mad Dog) on Balak’s skin. When he has finished his “art,” “Isaac looked at the dog and was happy” (OY 287), echoing the Bible’s “God saw that it was good.” But nothing is good for Balak ever after, the reverse is true. From the beginning the Hebrew writing on his back is a subject for interpretation, the cause of confusion, misunderstandings, and an outlet for Agnon’s satire and humour. Thus, Balak receives his name from a well-meaning French teacher from the “Alliance Israel” school, actually “the principal” who forgets to read Hebrew from right to left  : he “saw the letters, took a pair of glasses and matched them up with his eyes, and started reading, as was his wont from left to right. He connected the letters and joined them  : BLK, and read  : Balak. He smiled […]” (OY 302–303). The act of naming is based on an error, the written script is reversed, and the narrator comments ironically  : “Well, then, we can call him Balak, too […] perhaps he had a name […] and perhaps he didn’t have a name” (OY 303). This double creation story may be funny, but just as Balak is kelev in reverse, in the novel everything that occurs is the opposite of what individuals expected  : they cannot find new ground, there is no job for Kumer on the land (OY 43, 47, 106), Arabs are hired instead for cheap labor (OY 56, 62, 427) and Kumer is never able to realize his dream (OY 639). Besides natural disasters like the 1915 locust plague (OY 536), individuals die of illness and disease (malaria, dysentery, influenza, OY 44, 313, 374, 461)  ; there is hypocrisy, opportunism, strife and trouble  ; and more Quarrels than one can count  : many pioneers from the second aliya are leaving the country (OY 91, 347), moving back to Europe, going in the reverse direction. Mad Dog is also a metaphor for a mad Palestine. It can be argued that Kumer – like Kafka’s Northern visitor – “adopts (like many other Zionists) a ‘Western’ or ‘Westernized’ gaze in encountering Palestine and its natives both Jew and Arab.”33 Kumer’s inscription, “kelev meshugga” (Mad Dog), creates the perception all around that Balak is mad. The writing becomes a curse, and Balak suffers unending persecution until he really goes mad. In Kafka’s Jackals, the enlightened Northern visitor and the enlightened, 31 Harshav  : Only Yesterday, p. xiii. 32 Kumer’s name is “an allusion to the Biblical Isaac joined with the newcomer Kumer, see Shaked  : Kafka and Agnon, p. 252. Kumer’s last name means, in Yiddish, “the one who comes, arrives” and also “grief, sorrow.” See also Oz, Amos  : The Silence of Heaven  : Agnon’s Fear of God, Princeton 2012, p. 63. 33 Cohen, Only Yesterday, p. 164.



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Westernized, self-confident Arab both perceive and represent the jackals as mad  : the jackals’ unbridgeable alterity causes their persecution by the Arabs (and the Europeans before them) and puts off the Western observer as well. But “Balak’s madness has little to do with his own mind and everything to do with what he is inscribed with – thus, it is precisely what can be read onto the Jew, denying his native-ness.”34 The same is true of the jackals, who have become mad as a result of centuries of misperception. As an allegory of Jewish Exile, and because Only Yesterday was largely composed during World War II, Balak’s inscription and persecution also allude to the Holocaust  : “in fact, a sign uncannily like ‘Dog’ marked the Jew – ‘Jude’.”35 Yet, thematically, the metaphor of inscription equally points to a theme that Agnon shares with Kafka  : the loss of tradition and the critique of modernity. Balak’s writing is in Hebrew calligraphy and echoes a practice in Kafka’s In the Penal Colony, where a script with many flourishes, which resembles Hebrew letters, is engraved on the back of prisoners,36 who, like Agnon’s dog, cannot read the script  : literally (because it is on their backs) and also symbolically, because they are secular and unable to decipher the sacred script.37 Like Agnon’s dog, and Kafka’s jackals, the abject prisoners in the penal colony are made to “feel” the meaning of the words “am eigenen Leibe” (a German metaphorical expression, to “learn something the hard way, first-hand”  ; here, literally, “experiencing something on your own body”).38 Kafka’s In the Penal Colony is directly linked to French colonialism and the Dreyfus affair at the turn of the century.39 Here, a Western traveler is shown around by a representative of the old commandant who attempts to gain Western support of their colonial (execution) practices  – a torture machine which inscribes their transgressions on the prisoners’ bodies – which the modern commandant considers barbaric and wants outlawed. Though the Western visitor distances himself from both sides and leaves, there is an obvious critique of European colonialism in this story. Only Yesterday, in turn, has been linked to Zionist colonialism. For Cohen “the inscribed dog can also be read as a colonial subject to a colonial Kumer” (OY 159). Though there is no overt critique of Zionist colonialism and the treatment of Arabs,40 Balak himself at times 34 Cohen, Only Yesterday, p. 159. 35 Ibid. 36 Kafka, Franz  : In the Penal Colony, in  : The Complete Stories, p. 140–167, here p. 149. See also Bruce, Kafka and Cultural Zionism, p. 63. 37 Ibid., p. 147–149, 161. 38 Ibid., p. 145. 39 Bruce, Kafka and Cultural Zionism, p. 61. 40 The Arab-Jewish interaction is not represented from an anti-Arab point of view. We hear, for

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intimates such criticism. When he bites the stones and the dirt that the Jews throw at him, the stones talk and tell him to “go and complain to them. Says Balak, Do they want to hear complaints, you didn’t hear them saying whichever is stronger can take possession” (OY 503), which can imply abusive colonial practices. Moreover, the identical spelling of the Hebrew and Arabic word for “dog” – kelev and kalb have the same root (KLB),41 and the name inscribed on Balak, “dog,” can be pronounced both ways – may suggest a parallel colonial reading of the mad dog metaphor, symbolizing both European persecution and expulsion of Jews in Europe, as well as Jewish persecution and expulsion of Arabs in Palestine. For Cohen it is “in Balak and his inscription that we best understand the nature of the Jewish trauma that is reenacted by Zionism in the land of Israel sending its once-considered long-lost brothers (natives) into exile.”42 An ironic example of “colonial mimicry,” he continues, is that Herzl’s “remedy is found in the inscription of Zionist maleness on the body of Palestine and Palestinians.”43 Yet, Theodor Herzl can hardly be blamed for the direction political Zionism took after his early death in 1904. Herzl’s Western fairy tale dream in his novel Altneuland (Old-New Land, 1902) envisioned a peaceful co-existence of Arabs, Jews, men, and women in Palestine. As Derek Penslar points out, “Zionism was historically and conceptually situated between colonial, anti-colonial, and post-colonial discourse and practice.”44 While “Zionist discourse as well as practice conformed in many ways to the colonialist and Orientalist sensibilities of European fin-de-siècle society” and there are “obvious similarities between Zionism and colonialism,”45 distinctions need to be made between Palestine in the twentieth century and Israel after the creation of the Jewish State. Zionism was not immediately a colonialist movement because Zionists believed in their “historic, religious and cultural ties to the area known to them as the land of Israel.”46 Penslar rightly stresses that these “assumptions of continuity and the claims of return inherent in Zionist ideology

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instance, about a place where Kumer wants to settle that “Arabs attacked that place and destroyed it” (OY 40), or as an aside about “our comrade who was killed by Arabs” (OY 117), that many immigrants “rented from Arabs” (OY 205), and that they came to the “marketplace where farmers come to hire laborers. Masses of Arabs came shouting and shrieking, like enemies who come to lay siege to a city [. . ]. not for war but for work” (OY 56). I thank Ilan Gross for this insight. Cohen, Only Yesterday, p. 161. Ibid, p. 161, 163. Penslar, Derek J.: Israel  : Colonial or Post-Colonial State  ? (2003), http://homes.chasss.utoronto. ca/~ikalmar/illustex/penslarzionism.htm, accessed  : 24.10.2017. Ibid., p. 4 f. Ibid, p. 16.



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[were] sincerely held by its exponents”.47 Kumer, like many of the second aliya, came with these beliefs but his dreams were never realized (OY 639). Many Zionists criticized the way colonization was handled, and there are indeed “aspects of Zionism that resemble anti-colonial national movements,”48 such as we see in the cultural Zionism of the group of Zionists around Kafka, Hugo Bergmann, Felix Weltsch, and Max Brod.49 Zionism was also “based in concepts of return, restoration, and re-inscription.”50 However, in Only Yesterday, “return,” “restoration,” and “reinscription” are as impossible for Balak as for his alter-ego Kumer. Neither of them can fully “return” and live a new life free of discrimination and suffering. Balak is clearly a “Jewish” dog. Originally from the orthodox quarter Meah Shearim, he is immediately stoned and kicked out after the writing on his skin. Though dogs are unclean for the orthodox, there had been an old tradition when rabbis used them, tying “notes to the tails of black dogs” announcing someone’s excommunication and the dogs had been sent throughout the city to warn people to stay away from him” (OY 287). But there is no such religious purpose or meaning in Balak’s case, which makes him unique  : “Never before had anyone written on the skin of a dog” (OY 287). And Balak is not even black – the color of the cursed dogs –, his hair “looked maybe white or maybe brown or maybe yellow” (OY 286). Yet, he is persecuted because people believe that Kumer’s words (kelev meshugga) are some kind of prophesy. The reverse is true  : the dog becomes crazy as a result of the message that is painted on his body and only because of the prejudice in his social environment. Profoundly disillusioned with life in Exile, among gentiles, Balak decides to “return” to Meah Shearim. But Agnon parodies his longing for redemption and renders it surreal  : “He took one pace and went back two paces. […] His tail came and went in front of him,” and he “went behind his tail. His head came and returned behind him […] all of Balak’s reversals […] happened all by them47 Ibid., p. 16. 48 Penslar  : Israel, p. 10. 49 Uri Cohen points out an echo in Only Yesterday to this kind of cultural Zionism, a direct allusion to “Moshe Smilansky’s story ‘Abu l’Kalb’ (Arabic, ‘Father of the Dog’),” when Isaac Kumer talks to the night guard near his house, “a poor and wretched Arab who has nothing but his dog” (OY 141). The original story revolves around “a black Arab named after his beloved white dog, loved and killed for the whiteness desired by his master but ultimately unattainable.” This allusion is important because Moshe Smilansky (1874–1953) – great uncle of the famous modernist writer and politician, S. Yizhar (1916–2006) – was a Zionist leader of the first aliya  : a strong believer in the cultural Zionism of Ahad Haam. He wrote about Arab life in the Ottoman period, favoured a binational state and wanted peace with the Arabs (this was the cultural Zionism of Kafka and his friends as well). 50 Penslar  : Israel, p. 16  ; my emphasis.

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selves, as if his limbs ruled him and he didn’t rule them” (OY 315). The concept of “turning” (teshuva, repentence, or returning), which is crucial for redemption in Jewish mysticism, is parodied here in typical modernist fashion. The problem in modernity is that “The evil men in Israel are like dogs” (OY 311). Now dogs are no longer used to announce the excommunication of individuals, but an individual like the fanatical Reb Fayesh hangs up “posters of excommunications, which he was afraid to hang up in daytime lest those who were excommunicated tear down the posters” (OY 324). Reb Fayesh is shrewd, hypocritical, and especially rude to Isaac Kumer because he is not observant enough. When he makes Kumer leave his home, a dog is shouting and “Isaac recalled the dog on whose skin he had written Crazy Dog. He turned to Reb Fayesh’s house and said, Crazy Dog should have been written on you and your skin” (OY 309). Reb Fayesh receives an appropriate punishment when he inadvertently chances upon Kumer’s alter-ego Balak that night when he is hanging up the excommunication posters. Balak himself is “filled with love and affection for that human creature who is awake like him” (OY 324) and barks a “welcoming bark.” This startles Reb Fayesh, and in a surreal fashion the excommunication posters are flying away and the Commandments are “rolling away and striking him in the face” (OY 324). Horrified that the forefathers of the excommunicated are coming to take revenge on him, “for the notes were white as shrouds of the dead” (OY 325), Reb Fayesh screams, runs, and the notes run after him. When he kicks Balak and the dog screams, Reb Fayish has a stroke. Balak’s unintentionally revenge, in view of his final intentional attack on his creator Kumer, adds a further dimension to the creation of Balak, especially because he develops a new voice  : not “the voice of wailing” or “whining,” or “groaning,” “but a new voice, a voice of revenge” and he “sank his mouth in the space of the world, to bite the whole world” (OY 505). Todd Hasak-Lowy links Balak with another creation story, “the golem legend.”51 The golem was created in Jewish folklore to help the Jews in times of need to combat antisemitism. Initially a saviour figure, he all of a sudden spins out of control and goes mad. The rabbi, though, remains in control, wipes off the aleph, the first letter in “emeth” (Truth), so that the word transforms into “met” (death) and the golem dies. The original legend testifies to the omnipotent power of the sacred word, but modern versions tell a different story. Gustav Meyrink’s golem (1915) originated out of a “thought” which then took the form of the golem.52 In Agnon, Balak gradually becomes what his inscription says he 51 Hasak-Lowy, Todd  : A Mad Dog’s Attack on Secularized Hebrew  : Rethinking Agnon’s Temol Shilshom, in  : Prooftexts 24 (2004)  : p. 167–198, here p. 172. 52 Meyrink, Gustav  : Der Golem, Leipzig 1915, p. 57.



Canine Fellow Travelers in Kafka and Agnon 

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is. Meyrink was also fascinated by the psychological gothic and represents the golem as an alter-ego in which individuals see themselves. Paul Wegener’s last and most famous silent film Der Golem (1920) features a golem who maliciously turns against his creator. Most importantly, Chajim Bloch’s Der Prager Golem. Von seiner “Geburt” bis zu seinem “Tod” (The Golem of Prague. From his “Birth” until his “Death”, 1920), is a pessimistic commentary on World War I (the experience of a whole generation and Bloch’s own experience as a soldier in the trenches). Bloch depicts the whole world as “vergolemt” (taken over by a golem), since nations blindly follow orders, kill each other, and self-destruct.53 For Balak, too, his entire world is “vergolemt” since his persecution never ends, for “God created one thing against another” (OY 320). When the British come and Balak hears English for the first time, he comments that “languages were created only so that humans will not understand each other” (OY 316). He knows that one more language makes no difference, for he already “knew seventy tongues like most of the dogs in Jerusalem” (OY 316). Balak’s very existence creates a tower of Babel storm after he makes headlines in the newspapers all over Palestine  : “When the Jerusalem newspapers reached Jaffa, Jaffa thought that dog was a parable, like Mendele’s horse and other stories of livestock and animals and birds which a person reads for pleasure, and if he’s intelligent, he applies his intelligence to the moral” (OY 485). But in this case, “they didn’t know who they were against” (OY 485). There is no obvious didactic moral lesson in Balak’s existential dilemma. He attracts so much attention because he is not just an alter-ego of Kumer but represents them all in their “vergolemt” existence. In fact, Agnon satirizes the community that loses sight of what is important as they latch onto the Balak story, in their need for sensationalism and distraction, delving into interpretations in all the languages of the world which exist in Palestine. This creates complete havoc, a confusion of languages as in the biblical Tower of Babel story (OY 487). Ironically, when they refocus their attention on the “Big Quarrel” (OY 488) and rekindle the “war for Hebrew” (OY 487) from 1913, all of a sudden they totally forget to torture Balak, who “thought the world had returned to a good state” (OY 487). The modern message is clear  : the lack of a unified language figuratively results in the loss of a unified vision, which leads to internal division, struggle, and apathy, followed by mental paralysis and spiritual death. All of these symptoms are increasingly exhibited by Balak, who was created to embody this disease of modernity. Balak’s and Kumer’s predicament, then, is a metaphor for an entire “infected” community for whom there is no salvation. All his life Balak keeps searching for the truth, to discover the true meaning of the inscription on his skin (OY 303– 53 Bloch, Chajim  : Der Prager Golem. Von seiner »Geburt« bis zu seinem »Tod«, Berlin 1920, p. 18.

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304, 626). Yet, truth will not reveal itself and remains out of reach for this Joblike golem dog. A meaningless death is near – but not without Agnon granting Balak a final Job-like rebellion against his creator. The vicious circle closes when Balak, now infected with rabies, encounters his creator Isaac Kumer one last time and bites him, infecting him with a “real” disease – for which modern science still has no cure. Kumer, in turn, – another modern Job who is also singled out to suffer for no fault of his own but who, unlike Balak, suffers in silence – eventually becomes a modern Isaac who is not spared but sacrificed (OY 639). Only Yesterday, so near and yet so far away, refers to a time when truth was not just an empty word and even suffering had meaning. Both Kafka and Agnon were modernists and satirists, who shared this awareness of the loss of tradition. Both writers’ texts complement each other  : they are set in the same time period, depict the early stages of immigration to the land of Israel before the establishment of the Jewish State, and use animal metaphors for their social satires. Kafka’s short story, Jackals and Arabs, highlights the complex relationships between Western Zionists, Diaspora Jews/jackals in Palestine, and the dominant Arab population, and is revolutionary in its time for the representation of an educated, Westernized Arab. Here, the jackal metaphor satirizes both the Diaspora Jews as well as Zionist messianism before the Balfour Declaration. Agnon’s Only Yesterday is much larger in scope, a major epic novel, and an ambitious modern secular midrash in modern Hebrew which depicts the loss of tradition, the illness of modernity, amidst the struggles and trials of colonization during the second aliya through the eyes of the protagonists Isaac Kumer and his alter-ego, Balak, the mad Diaspora dog.

Caroline Jessen

Karl Wolfskehls romantischer Ernst Ein übergangslos vom Barock zur Romantik und vom Mythos über den Katholizismus zur Magie gleitendes Denken setzte den Dichter Karl Wolfskehl angesichts eines weit gespannten Freundschaftsnetzes und einer Vielzahl unterschiedlicher Arbeiten in nicht-literarischen Publikationskontexten immer wieder dem Verdacht der Flüchtigkeit und Sprunghaftigkeit aus. Für Wolfskehl gehöre »ein grosser zwang dazu […] etwas fertigzustellen was zu einer Ordnung drängt«1, urteilte George ebenso kalt wie präzise. Wolfskehl ebnete zwar zu Beginn des 20. Jahrhunderts als enger Freund Georges mit poetologischen Überlegungen einer formstrengen Kunst den Weg, die das Denken über Ästhetisches und Politisches in Deutschland mitprägen sollte. Doch die Beobachtung seines schweifenden, vermeintlich »dunklen« Wissens führte später wenig gewogen Urteilende zur Feststellung einer »aufreizenden Vielgesichtigkeit« und zum »Zweifel, was Maske, was Wesen sei« bei diesem Autor, der sich so sehr auf jedes Gegenüber einzulassen vermochte.2 Fragen der Authentizität und Zugehörigkeit, die sich auf solche Weise mit einer zutiefst antisemitischen Kritik an der Wissensfülle Wolfskehls verbanden, gewannen nach der nationalsozialistischen Machtübernahme eine neue Qualität, nicht nur weil sie vor dem Hintergrund der antijüdischen Gesetzgebung und dem Tod Georges existentiell wurden, sondern auch weil sich Wolfskehl 1934 mit einem im Schocken Verlag publizierten Gedichtband neu zu verorten schien. Sein thematisch enggeführtes Werk Die Stimme spricht wurde zum kulturzionistischen Vademecum für die deutschen Juden vor dem Hintergrund der Verfolgung und Entrechtung.3 Die in dem Band versammelten Gedichte verhandeln jenseits der Doxa des Judentums, aber in der Spur tradierter Formen der Gottesansprache die Beziehung zwischen Gott und Mensch, jüdischer Tradition und 1

Stefan George an Karl Wolfskehl, Berlin, 13. Juni 1927, in  : Wägenbaur, Birgit/Oelmann, Ute (Hg.)  : Stefan George – Karl und Hanna Wolfskehl. Der Briefwechsel 1892–1933, München 2015, S. 798. 2 Klages, Ludwig  : Fragmente und Vorträge aus dem Nachlaß. Mit einer Einführung von Ludwig Klages, Leipzig 1940, S. 50. 3 »Kulturzionistisch« verstanden im breitesten Sinne, als Partizipation am Projekt einer jüdisch-nationalen bzw. eigenständigen jüdischen Kultur. Vgl. Gelber, Mark H  : Melancholy Pride, Nation, Race and Gender in the German Literature of Cultural Zionism, Tübingen 2000, S. 11 f.

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Gemeinschaft. Sie beschreiben, etwa im Gedicht Die Stimme spricht  : ich war bei dir, Gottesferne in archaischen Bildern als Hybris  : Ich war bei Dir in düstern Gassen, Nahm in mich, Juda, deinen ganzen Gram. Wie sprang dein Herz auf meiner Weide Froh, leicht, gelöst von allem Leide  ! Wie Meine Zucht dir wohlbekam  ! Dann sollte dir Mein Glanz verblassen, Nach andrer Helle lugtest aus. Verzückt entflohst geweihter Enge – Motte, hab acht, dass dichs nicht senge, Du fändest nimmermehr nach Haus. Du wolltest prahlen prangen prassen, Viel Torheit troff vom weisen Mund, Buhltest mit Magiern und mit Massen, Griffst alles, selber nicht zu fassen, Treu allem – nur nicht Meinem Bund  ! […]4

Die Verse lassen sich durch die Ansprache »Juda« nicht nur als Verwerfung zunehmender Verweltlichung, sondern als Kritik der Geschichte jüdischer »Assimilation« in der Moderne lesen. Sie zeigen die Emanzipation als anziehende, verführerische und in ihrer Herkunftsvergessenheit irreführende Helle. Diese Kritik wird, im Spiel der Literarizität des Texts, zur Selbstkritik des Autors  : Der Vers »Griffst alle, selber nicht zu fassen« ist ein Echo des durch George geprägten Bilds von Wolfskehl als »fänger unfangbar«5. Andere Gedichte reagieren auf die enttäuschten Hoffnungen der Emanzipation6 mit einer Grenzziehung, die in der Variation kulturzionistischer Programmatik als Rückbesinnung auf einen eigenen Traditionsraum gefordert wird.7 4

Wolfskehl, Karl  : Die Stimme spricht  : ich war bei dir, in  : Gesammelte Werke (im Folgenden GW ), Bd. 2, hg. v. Margot Ruben und Claus Victor Bock, Hamburg 1960, S. 143. 5 George, Stefan  : Geheimes Deutschland, in  : Oelmann, Ute (Hg.)  : Stefan George. Das Neue Reich. Sämtliche Werke in 18 Bänden. Bd. IX, Stuttgart 2001, S. 48. 6 Vgl. Wolfskehl, Karl  : Die Stimme spricht am Seder, S. 139  : »Frevelnd wähnte irres Tasten, / Was die Andern sannen, fassten, / mit zu erben.« 7 Vgl. ders.: Euren Ruf im Herzen, in  : GW I, S. 150 f., hier S. 151.



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Anders als das, was mit dem Begriff »Kunstreligion« die Ersetzung von Religion durch Kunst meint und die frühe Lyrik Wolfskehls im George-Kreis treffend beschreiben mag,8 verpflichtet der Band  – wie schattenhaft auch immer – das poetische Sprechen auf das Judentum  : »Bindet bindet euch ans Wort  ! Findet endlich euer Wort  !«9 Die Gedichte bedienen sich im Bemühen um einen streng geordneten Schriftraum nicht nur der Formensprache religiöser Texte (Wiederholungen, Gebetsformeln, zyklische Strukturen usw.)10, sondern sie beziehen sich auf einen transzendenten Sinn, der in der Tradition gegeben ist. Die Titel Am Seder zu sagen oder auch Die Stimme spricht zu Israel am Jom Hakippurim markieren Zugehörigkeit und bezeichnen eine Verpflichtung der poetischen Sprache in der Kontinuität religiösen Sprechens, während sie dennoch einem historischen Bruch Rechnung tragen, der die jüdische Erfahrung der Moderne mitgeprägt hatte und sich bis in die Familiengeschichte des Dichters hinein verfolgen ließe. »Überlieferung, einmal abgerissen, lässt sich nicht wieder knüpfen, was auch romantische Faselhänse meinen und probieren«11, hatte Wolfskehl 1930 konstatiert. Nur durch Neuschaffung könne das Alte, im neuen Zusammenhang, neu wirksam werden.12 Die Stimme spricht nahm gebrochen und erneuernd an der Semantik des Religiösen teil. Wolfskehls schwarz eingebundenes Bändchen Die Stimme spricht wurde als Positionierung gelesen. Es überraschte die Leser des Schocken-Verlags und irritierte die aus dem Umfeld Georges vertrauten jüdischen Freunde. In Briefen von Ernst Gundolf, Robert Boehringer, Edgar Salin, Edith Landmann und anderen drücken sich Ressentiment, aber auch Unbehagen und Sorge aus. Nach dem Tod Georges im schweizerischen Minusio 1933, ein Jahr vor Erscheinen der Gedichte Wolfskehls, war das ästhetisch-ideologische Erbe des Dichters unter den älteren und jüngeren, zum Teil vom Nationalsozialismus durchdrungenen, zum Teil verfolgten Freunden zum Streitfall geworden. Die Gedichte seines treuesten Jüngers schienen das verwaiste Werk nun unrechtmäßig für das Judentum zu beanspruchen. Edith Landmann kommentierte, mit

  8 Vgl. aber Hoffmann, Daniel  : »Ich kam aus dem Geheg«. Karl Wolfskehls Deutung des Exodus in Die Stimme spricht, in  : Mattenklott, Gert/Philipp, Michael/Schoeps, Julius H. (Hg.)  : »Verkannte Brüder«  ? Stefan George und das deutsch-jüdische Bürgertum zwischen Jahrhundertwende und Emigration, Hildesheim 2001, S. 135–151. Vgl. zum Hintergrund  : Auerochs, Bernd  : Die Entstehung der Kunstreligion, Göttingen 2006, bes. S. 72–118.   9 Wolfskehl  : Die Stimme spricht am Seder, S. 138. 10 Vgl. Braungart, Wolfgang  : Ästhetischer Katholizismus. Stefan Georges Rituale der Literatur, Tübingen 1997, S. 279. 11 Wolfskehl, Karl  : Überlieferung (1930), in  : GW II, S. 392–395, hier S. 394. 12 Vgl. ebd., S. 394.

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Georges Wassern treibe Wolfskehl die Mühlen Jehovas.13 Doch der Band »gehörte zum Reisegepäck der Fliehenden. Wolfskehl hatte das Wort der Stunde gefunden.«14 Die Nähe zur Lyrik Georges verhalf dem schmalen Gedichtband zu einer Popularität, die jüngere Dichter zu Imitat und Persiflage trieb  ;15 Wolfskehls komplexes Gewebe von Volksliedstrophe, George-Ton, Psalmenformen, Judentum und Zionismus traf einen Nerv, indem es das, was als »deutsch« und »jüdisch« nach 1933 zum Gegensatzpaar gemacht wurde, in seiner Partikularität ernst zu nehmen schien und doch ineinander wob.16 So liest sich das Gedicht Schechina über die Immanenz Gottes in der Welt wie ein fromm-eingängiges Lied aus des Knaben Wunderhorn  :17 Ein Körnlein ist verscharret Im Irgendwo der Welt. Wer auf das Körnlein harret Mit dem ists recht bestellt. […]18

Dies warf selbst für jüdische Leser die Frage auf, ob es legitim sei, »zum Judentum zurückzukehren in Rhythmen, die aus dem Kerngestein der deutschen Sprache stammen«19, und die erhaltenen Korrekturexemplare und Typoskripte des Gedichtbands deuten an, wie sehr auch der Autor mit der Aussage seiner Dichtung haderte.20 Für viele Leser trat Wolfskehl hier zum ersten Mal als jüdischer (und im weitesten Sinne zionistischer) Autor in Erscheinung. Der Dichter selbst wies zwar im neuseeländischen Exil wiederholt darauf hin, sich bereits um die Jahrhundertwende poetisch und realpolitisch als Zionist gezeigt zu haben – unter anderem hatte er zu der heute klassischen »Sammlung jungjüdischer Gedichte« 13 14 15 16 17 18 19 20

Vgl. Landmann, Michael  : Figuren um Stefan George, Bd. 2, Amsterdam 1988, S. 18. Ebd., S. 19. Vgl. z.B. Briefe an die Redaktion, in  : Jüdische Rundschau, 19. Juni 1934, S. 6. Vgl. die Anmerkung in Blasberg, Cornelia/Hoffmann, Paul (Hg.)  : Karl Wolfskehl. Gedichte – Essays – Briefe, Frankfurt am Main 1999, S. 240  ; Voit, Friedrich  : Karl Wolfskehl. Leben und Werk im Exil, Göttingen 2005, bes. S. 122. Vgl. z.B. Der Maria Geburt, in  : Arnim, Achim von/Brentano, Clemens  : Des Knaben Wunderhorn, Bd. 2, Stuttgart 1979, S. 171 f. Wolfskehl, Karl  : Schechina, in  : GW I, S.135 f., hier S. 135. Landmann  : Figuren, S. 18. Die Handexemplare befinden sich in der Bibliothek des Deutschen Literaturarchivs Marbach. Die Ausgabe von Die Stimme spricht 1936 deutet schon in ihrer Gestaltung den Bezug zum Werk Georges an. Vgl. bes. Wolfskehl, Karl  : Die Stimme spricht. Erweitertes Werk, Berlin [1936].



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Abb. 1  : Korrekturexemplar von Die Stimme spricht, das Wolfskehls Zweifel am Gedicht Schechina im Zusammenhang des Gedichtbands andeutet. (Foto © Deutsches Literaturarchiv Marbach).

Junge Harfen beigetragen und für die Münchner Allgemeine Zeitung über den Zionistenkongress in Basel 1903 berichtet21 –, doch nicht wenige Leser empfanden Wolfskehls Positionierung als eine deutliche Reaktion auf die dramatische Veränderung der rechtlichen Situation der Juden in Deutschland. Wolfskehl sei vor allem, so Margarete Susman 1934 in ihrer Besprechung des Gedichtbands, durch die Beziehung zu George »geprägt«22, aber auch durch das große Interesse an alten deutschen Sprach- und Kulturzeugnissen, die der Dichter entdeckt, gesammelt, übersetzt und zugänglich gemacht habe. »Alles in allem also ein ganz und gar dem deutschen Kulturkreis angehöriger Mensch.« Für sie markierten die nach der nationalsozialistischen Machtübernahme entstandenen Gedichte, die sie als »Worte radikaler Umkehr« apostrophierte, eine »Absage an 21 Wolfskehl, Karl  : Das Zeichen, in  : Feiwel, Berthold (Hg.)  : Junge Harfen. Eine Sammlung jungjüdischer Gedichte, Berlin [1903], S.  8  ; [Ders.:] VI. Zionistenkongreß, in  : Münchner Allgemeine Zeitung, 29. August 1903, S. 3. 22 Die folgenden Zitate aus Susman, Margarete  : [Rez.] Karl Wolfskehl, in  : Der Morgen 10 (1935), S. 471–473, bes. S. 471.

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das Vergangene«, eine Art Konversion, also ein religiöses Ereignis. So unzureichend dieser Kommentar Wolfskehls Position erfasste, so sehr traf Susman doch mit ihrem Hinweis, der Gedichtband signalisiere eine »Abkehr vom Vielen zum Einen«, ins Zentrum der Problematik, die viele Leser im Bemühen um Vereindeutigung bis heute umtreibt. Einer der aufmerksamsten Leser Wolfskehls, neben Edgar Salin, der »tief traurig« über den Druck urteilte, er könne »nur Verwirrung stiften«23, wurde Salman Schocken. Mit dem nach Italien und schließlich Neuseeland Geflüchteten verband den Verleger nicht nur das Werk Die Stimme spricht, das er 1934 und 1936 in Deutschland, 1942 auf Hebräisch in Palästina und schließlich 1947, unter neuem Titel, in den USA zweisprachig herausgab  : Schocken erwarb 1937 auch Wolfskehls umfangreiche Bibliothek und transferierte so einen über Jahrzehnte hinweg gestalteten, in den wesentlichen Teilen deutschen Überlieferungszusammenhang aus Nazideutschland nach Jerusalem.24 Dort ergänzte die Sammlung durch Bücher zu jüdischer und christlicher Religion, Freimaurertum und Romantik Schockens eigene Bibliothek. Beide Männer waren Sammler und Kenner der deutschen Literatur des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts.25 Wolfskehl liebte Brentano,26 Schocken mochte Heine27  – beide verehrten Goethe, Jean Paul und Novalis. In die Achtung für das Wissens und die Arbeit Wolfskehls mischte sich in den Jahren nach Erscheinen von Die Stimme spricht bei Schocken aber eine Irritation, an der er sich noch über den Tod seines Autors 1948 hinaus abarbeitete. Sie betraf das Verhältnis von Wirklichkeit und Poesie in Wolfskehls Leben und damit sein Verhältnis zur jüdischen Geschichte und Gegenwart nach dem Holocaust. Salman Schocken ließ sich 1947 das über die Jahre hinweg im Verlag gesammelte Archivmaterial zu Wolfskehl vorlegen und las sich durch Publikationen 23 Edgar Salin an Karl Wolfskehl, 9. November 1934, in  : Blasberg, Cornelia (Hg.)  : Karl Wolfskehl. »Jüdisch, römisch, deutsch zugleich…« Briefwechsel aus Italien, 1933–1938, Hamburg 1993, S. 54. 24 Vgl. Salman Schocken an Siegfried Moses, 19. Oktober 1936, The Schocken Institute for Jewish Research, Jerusalem (im Folgenden  : SchA), 131/2. 25 Vgl. Dahm, Volker  : Das jüdische Buch im Dritten Reich. 2. Aufl., München 1993, S. 233. 26 Wolfskehl besaß die Abschrift von Brentanos Romanzen aus dem Rosenkranz, die Alphons v. Steinle für seine Edition (Brentano, Clemens  : Romanzen vom Rosenkranz. Hg. v. Alphons M. von Steinle, Trier 1912) genutzt hatte. Die Handschrift befand sich ab 1938 in Jerusalem und wurde 1975 an das Freie Deutsche Hochstift in Frankfurt am Main verkauft. Wolfskehls Rolle für die Brentano-Rezeption im frühen 20. Jahrhundert wäre ein Thema für sich. Vgl. Pravida, Dietmar  : Die Erfindung des Rosenkranzes. Untersuchungen zu Clemens Brentanos Versepos, Frankfurt a. M. 2005, S. 338 f. 27 Zu Schockens Heine-Sammlung in Jerusalem, die später an die Bibliothèque Nationale de France ging, vgl. Dahm  : Das jüdische Buch im Dritten Reich, S. 233 und 422.



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und Dokumente. Das erklärte Ziel wurde schließlich 1948, »einen endgueltigen Schlussbericht« über seine Beziehung zu dem Dichter zu verfassen.28 Dies betraf zunächst die Zahlungen, die er seit dem Kauf der Bibliothek geleistet hatte, ging dann aber weit darüber hinaus und fand doch keinen Abschluss. In der exponierten Figur des George verschriebenen, im südpazifischen Exil begrabenen Juden zeigten sich Konfliktlinien der Selbstverortung, um die Schocken nur zu gut aus eigener Erfahrung wusste. Ihn beschäftigten Fragen der Zugehörigkeit29 – insbesondere angesichts des Versuchs des Ex-Münchners, nach 1945 Stellung zu nehmen zu dem, was dieser als »Frage nach meiner Rueckkehr« aus dem Exil in das Deutschland der Nachkriegszeit zusammenfasste.30 Wolfskehl erklärte in einem Brief, den er zirkulieren ließ, er sei, »was die Franzosen einen ›revenant‹ nennen«  : ein gespenstischer Rückkehrer, ein Wiedergänger, anderen unheimlich. Schocken hatte diesen Halbsatz in seiner Kopie des Briefs rot unterstrichen, ebenso wie all die folgenden, im Brief verstreuten Selbstaussagen. Sie fügen sich so zum Subtext, er sei »der Jude«, »der deutsche Dichter Karl Wolfskehl«, »Buerger der Welt«, »Sohn unseres Planeten«  ; »zum Landfremden«, »zum Urfeind« und »Fremdgebild« erklärt und doch »Mithueter des deutschen Geistes« und »Hiob«.31 Wolfskehl hatte einmal notiert, für ihn sei Jüdisches und Deutsches kein Gegensatz, aber es bleibe ein »Trotzdem«.32 Schockens rote Unterstreichungen markieren diesen paradoxen Zusammenhang, spitzen das »Trotzdem« zu und erfassen gerade hierin Wolfskehls schillernde Positionierung, wortlos konstatierend und ohne Drang zur Vereindeutigung der gelesenen Zeichen. Diese an der Romantik geschulte Lesebewegung Schockens öffnet einen Zugang zu Wolfskehls Texten. 1948, ungefähr zwei Wochen nach Wolfskehls Tod und während der kriegerischen Auseinandersetzungen um die Staatsgründung Israels, schrieb der Verleger aus den USA an seinen Sohn Gustav Schocken, den Herausgeber von Haaretz, er habe in der Ausgabe vom 18. Juli, »ganz nebensaechlich, […] die 28 Salman Schocken, an I. Engel (= Memo 38), 31. August 1948, SchA, Schocken Books New York, File 8. 29 Dies zeigen die roten Spuren seiner Lektüre der Wolfskehl’schen Briefe und der Ankündigung zu An die Deutschen im Verlagsarchiv. Vgl. SchA, Schocken Books New York, File 8. 30 Karl Wolfskehl an Kurt Frener, Auckland, 13. September 1946, in  : Blasberg, Cornelia (Hg.)  : Karl Wolfskehls Briefwechsel aus Neuseeland 1938–1948, Bd. 2, Darmstadt 1988, S. 906–911, hier S. 907. Die folgenden Zitate Wolfskehls finden sich ebd., S. 907 f. 31 Wolfskehl, Karl  : Aus einem Brief an Kurt … in Darmstadt [o.D.], SchA, Schocken Books New York, File 8. Vgl. auch Schockens Aufforderung, diesen Brief und andere herauszusuchen, in  : Salman Schocken an T. Meyer (= Memo #8), 22. Dezember 1947, ebd. 32 Karl Wolfskehl an Abraham Schalom Yahuda, Florenz, 1. Juni 1935, in  : Blasberg/Hoffmann (Hg.)  : Karl Wolfskehl, S. 131.

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Nachricht ueber den Tod von Wolfskehl« gesehen.33 Nebensächlich war der Fund angesichts der dramatischen politischen Ereignisse, aber auch die Platzierung der sechszeiligen Notiz, die zwischen den politischen Kommentaren auf Seite zwei verschwand. Vor dem Hintergrund der Kämpfe um Jerusalem, die am 18. Juli von einer Waffenruhe unterbrochen wurden, war die Einsilbigkeit des Nachrufs leicht nachvollziehbar. Wolfskehl wurde kurz und knapp als bekannter Dichter und Gelehrter sowie als einer der »Watikim« des Zionismus, als Wegbereiter jüdischen Nationalbewusstseins in Deutschland beschrieben.34 Doch den Verleger enttäuschte die Form, in der er eine Verkennung der Bedeutung Wolfskehls sah. Haaretz habe »gewisse Beziehungen und Verpflichtungen zur westeuropäischen deutschen Refugee-Welt und zu dem verflossenen Deutschland«.35 Es galt, die deutsch-jüdische Vergangenheit, so wenig anschlussfähig sie aus der Perspektive des Jahres 1948 auch scheinen mochte, als Vergangenheit in ihrer Bedeutung zu würdigen. Hier hätte der Brief an den Sohn enden können, Schocken aber brachte auf mehreren Seiten zu Papier, wie er über Wolfskehl dachte. Sein Brief ist ein Kommentar zu den Möglichkeiten und Gefahren der Wechselspiele poetischen Sprechens angesichts einer über die Codes der Zugehörigkeit geordneten, durch Geschichte konstituierten Welt. Wolfskehl sei  – so Schocken  – nicht nur »als allgemeiner Dichter von einer so grossen Bedeutung, dass man ueber ihn sprechen sollte«, sondern durch Die Stimme spricht eine »historische Figur« geworden. Bereits in den »dif[f ]usen Dichtungswelten« der Gesammelten Gedichte aus dem Jahr 1903 habe es »eine echt zionistische Zelle« gegeben. Dies demonstrierte Schocken im Zitieren von Gedichten aus dem Zyklus An den alten Wassern.36 Es ging ihm um Gedichte, die die Gott- und Herkunftsvergessenheit jüdischen Lebens in der Moderne verhandelten und sich konkret auf Wolfskehls Schwabinger Maskenfeste zu beziehen schienen37, Unzugehörigkeit thematisierten (»Wer hiess mich fremdling / Zu sein mit euch  ?«38) und Entfremdung unter der Oberfläche der heiteren Gemeinschaft und scheinbar vertrauten Geselligkeit thematisierten  : Sie lachten und sangen. Ich sang wohl mit. Rot gluehten mir die Wangen 33 Salman Schocken an Gustav (Gershom) Schocken, 21. September 1948, SchA, Schocken Books New York, File 8. 34 [Red.:] Karl Wolfskehl gestorben [hebr.], in  : Haaretz, 18. Juli 1948, S. 2. 35 Salman Schocken an Gustav (Gershom) Schocken, 21. September 1948. 36 Ebd. 37 Vgl. bes. Wolfskehl, Karl  : [Es war kein menschenruf ], in  : GW I, S. 53 f. 38 Ders.: [Wer hat die bürde], in  : GW I, S. 55 f.



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Doch weh tat jeder Schritt.39

Die Gedichte stünden über allem, was Autoren wie Berthold Feiwel und andere zu dieser Zeit gedichtet hätten  : »Wolfskehl gehoerte also um die Jahrhundertwende zu dem kleinen Kreis der jungen westeuropäischen Juden, die mit Theodor Herzl gemeinsam das zionistische Erlebnis hatten und er fand dafuer einen echt dichterischen Ausdruck.«40 Tatsächlich markierte der angeführte Zyklus, der 1903 in den Gesammelten Gedichten erschienen war, Wolfskehls poetischen Bezug auf das Judentum.41 Doch war er vom Autor für die Veröffentlichung neben Gedichten angeordnet worden, die sich auf antike Mythen, zeitenthobene Kultpraktiken und christologische Denkfiguren bezogen. Gerade vor diesem doppelten Hintergrund – dem im Gedicht vom lyrischen Ich ausgesprochenen Gefühl der Unzugehörigkeit und dem Beharren des Autors auf dem Platz des Partikularen als Teil eines zeitlich und kulturell größeren Zusammenhangs  – seien die zitierten Verse »eine echte Aussage der wirklichen Existenz Wolfskehls durch die Jahrzehnte hindurch.«42 Dies zielte auf Wolfskehls Feierseligkeit, seine Emphase, die legendären Schwabinger Feste und die esoterischen Treffen der Kosmiker, an deren Ideen Wolfskehl noch festhielt, als der giftige Antisemitismus von Ludwig Klages dem Zusammenschluss schon den Boden entzogen hatte. Vielleicht bezog sich Schocken auch auf die Brüchigkeit der Beziehung zu George,43 der mit Nähe und Distanz zum Dritten Reich kokettiert hatte, indem er sich schlichtweg bis zu seinem Tod der verbindlichen Stellungnahme entzogen hatte. »Im Hohlraum des meisterlichen Schweigens« nisteten »seither die Schwärme feindlicher Interpretationen« – das hatte George 1933 wohl in Kauf genommen.44 Der Verleger wusste um Wolfskehls Verunsicherungen nach der Emigration. An Stelle einer Aufschlüsselung dieser Zusammenhänge wies er seinen Sohn auf das Gedicht Vom Nebo hin  – es sei »eine echte Moses Vision« – und ordnete so Wolfskehls Dichten als eine Erkenntnis der Notwendigkeit jüdischer Autonomie ein, die außerhalb seiner Lebensmöglichkeiten lag.45 39 40 41 42 43

Ders.: [Ich bin ferne gewesen], in  : GW I, S. 56. Salman Schocken an Gustav (Gershom) Schocken, 21. September 1948. Vgl. Wolfskehl, Karl  : Gesammelte Dichtungen, Berlin 1903, S. 111–129. Salman Schocken an Gustav (Gershom) Schocken, 21. September 1948. Vgl. Oelmann, Ute  : »ich will dein Petrus sein«. Karl Wolfskehl und Stefan George, in  : Kotowski, Elke-Vera/Mattenklott, Gert (Hg.)  : »O dürft ich Stimme sein, das Volk zu rütteln  !« Leben und Werk von Karl Wolfskehl (1869–1948), Hildesheim 2007, S. 41–52, bes. S. 45. 44 Raulff, Ulrich  : Kreis ohne Meister. 2. Aufl., München 2010, S. 79. 45 Als führe er diesen Gedanken fort, schrieb Schockens Sohn 1968 über seinen Vater, dieser sei der intensiven Beschäftigung mit den Zeugnissen jüdischer Überlieferung zum Trotz »seinem ganzen Wesen nach ein europäischer Mensch seiner Zeit« geblieben. Schocken, Gershom  : Ich

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Schocken irritierten nicht die Ambivalenz-Gesten, sondern Momente in Wolfskehls Werk, in denen dieser Ambivalenz ihr jüdisches »Momentum« abhandenkam. Sein Leben habe nach der frühen Annäherung an den Zionismus »eine andere Kurve genommen«  ; er habe »das Leben im Kreise von George […] als eine zentrale Figur in einem deutschen Dichter- und Kulturkreis voll ausgekostet.«46 Schocken, den die Dichtung Stefan Georges in ihrer Formstrenge selbst fasziniert hatte, gab einen Abriss von Wolfskehls Leben in der Weimarer Republik, berichtete seinem Sohn vom großbürgerlichen Hintergrund der Familie Wolfskehls, von dessen Leben als Privatier in München, dem Verlust des Vermögens in der Inflation und schließlich den Bemühungen, als Redakteur der Münchner Neuesten Nachrichten und Übersetzer seinen Lebensunterhalt zu verdienen. »Als dann die Hitlerzeit anbrach, hat Wolfskehl eine Periode, vielleicht von 1 bis 2 Jahren des juedischen Miterlebens gehabt«, so Schocken, der Die Stimme spricht zu einem Ausdruck dieses Erlebnisses erklärte und ergänzte, Wolfskehl habe einer Veröffentlichung der Gedichte zögernd gegenübergestanden, weil sie eine Zäsur markierten, zu der er wohl noch nicht bereit gewesen sei.47 Schocken hatte die Gedichte dennoch in seinen Verlag aufgenommen und später immer wieder um das Mitwirken des George-Treuen am Verlagsprogramm geworben, um Editionsvorschläge gebeten und Übersetzungen angeregt. Der darin sich ausdrückenden Verbindlichkeit entsprach allerdings spätestens nach 1945 eine ebenso klar sichtbare Distanzierung, als Wolfskehls prekäre, noch im Entsetzen und in der Trauer über den Holocaust und gegen das Wissen um den Verrat früherer Freunde bewahrte Anhänglichkeit an seine deutsche Vergangenheit und einen europäischen Traditionsraum deutlich wurde.48 Sein als »Lied« und »Abgesang« aufgebautes Gedicht An die Deutschen, 1947 in der Schweiz publiziert, war ein Statement. Der Schluss des »Abgesangs«, in der das Ich des Gedichts von seinem »Meister« angesprochen wird, besiegelte die Bindung, die vor allem eine an das Werk Georges war  : Wo Du bist, du Immertreuer, Wo du bist, du Freier, Freister, werde seinesgleichen nicht mehr sehen. Erinnerungen an Salman Schocken, in  : Der Monat 20 (1968), S. 13–30, hier S. 15. 46 Salman Schocken an Gustav (Gershom) Schocken, 21. September 1948. 47 Ebd. 48 Der »Abgesang« wird als Distanzierung von Deutschland, von George und der Idee deutsch-jüdischer Wahlverwandtschaft gelesen (vgl. bes. Sparr, Thomas  : »Verkannte Brüder«. Jüdische George-Rezeption, in  : Merkur 46. (1992), S. 993–1000), doch bezieht sich diese Distanzierung nur auf die Gegenwart  ; am Ende steht, als Zuspruch des Meisters, die Aufforderung »Überdaure  ! Bleib am Steuer  !«.



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Abb. 2  : Der Dichter im südpazifischen Exil. (Foto  : Bettina Auckland, NZ  ; © Deutsches Literaturarchiv Marbach).

Du, der wahrt und wagt und preist – Wo du bist, ist Deutscher Geist  !49

Als Schocken im gleichen Jahr eine zweisprachige Ausgabe von Die Stimme spricht auf den amerikanischen Markt brachte, erschien diese unter dem Titel  : 1933. A Poem Sequence.50 Die Titelwahl machte deutlich, dass der Band, den der Verleger für eine der wichtigsten Publikationen des neugegründeten Verlags hielt, das historische Zeugnis eines entscheidenden Punktes in der jüdischen Geschichte war – und eine Episode im Leben Wolfskehls. Dies führte Schocken im Brief an seinen Sohn aus  : 49 Wolfskehl, Karl  : An die Deutschen, in  : Voit, Friedrich (Hg.)  : Karl Wolfskehl. Späte Dichtungen. Göttingen 2009, S. 69–75, hier S. 74 f. Hierzu passt die Beobachtung, dass »Deutschland« in vielerlei Hinsicht in An die Deutschen eine »Chiffre« sei. Vgl. Blasberg, Cornelia  : Was heißt Zeitgenossenschaft  ? Karl Wolfskehls Antworten auf eine schwierige Frage, in  : Kotowski/Mattenklott  : O dürft ich Stimme sein, S. 11–21, hier S. 15 f. 50 Wolfskehl, Karl  : 1933. A Poem Sequence in German and English. Übersetzt von Carol North Valhope and Ernst Morwitz, New York 1947. Den Titel setzte Salman Schocken gegen Bedenken Wolfskehls durch.

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In den einsamen Jahren in Neuseeland […] trat die Sehnsucht, wieder unter Freunden zu leben, stark hervor. Seine Einsamkeit hat er in einem Hiob-Zyklus und auch sonst oft dargestellt […]. Die Gedichte haben mich da nicht stark beeindruckt. Spaeter entwickelte sich daraus in Briefen und auch in Gedichten eine Auseinandersetzung mit dem deutschen Volke, in der sein juedisches Erlebnis ganz zuruecktrat. Im Zusammenhang damit ist auch unser Briefwechsel, da ich meine verneinende Haltung zu dieser Entwicklung nicht darstellen wollte, eingeschlafen.51

Den Verleger irritierte das Festhalten Wolfskehls an Beziehungen, die durch den Holocaust aufgesprengt und als nichtig erklärt worden waren. Er versuchte, die Motive zu verstehen, las das gesamte publizierte Werk noch einmal neu. Ein Aufsatz wie Überlieferung im 1930 erschienenen Band Bild und Gesetz, der ganz dem jüdischen Traditionsdenken verpflichtet sei, stehe neben Texten über Das Weihnachtswunder und Sprache und Mundart im Deutschen, erklärte Schocken seinem Sohn, um die Unverbindlichkeit Wolfskehls über die Jahre hinweg zu illustrieren.52 Er sprang dann zu einem Aufsatz Wolfskehls über Heinrich Heine in Bild und Gesetz. Die im George-Kreis heftig geäußerten Vorbehalte gegen den Dichter des Buches der Lieder, um die er wusste, hielten ihn nicht davon ab, Wolfskehls Identifikation mit Heine zu erkennen.53 Ausgehend von einem Hinweis des rheinhessischen Dichters auf die »altrheinischen Judenfamilien«, denen Heine »von der Mutter her entstammte«, kam Schocken zu dem Schluss, Wolfskehl spiele um die Herkunft Heines dasselbe romantische Spiel, das er fuer seine Herkunft ernst nimmt. Er erzaehlte immer wieder und drueckte das dann auch in der letzten veroeffentlichten Gedichtsserie aus, dass seine Vorfahren zur Zeit Karls des Grossen usw. usw.54

51 Salman Schocken an Gustav (Gershom) Schocken, 21. September 1948. 52 Vgl. Wolfskehl, Karl  : Bild und Gesetz. Gesammelte Abhandlungen, Berlin/Zürich 1930, S.  175–187 (Überlieferung), S.  167–170 (Das Weihnachtswunder), S.  188–195 (Sprache und Mundart im Deutschen). Als erweiterte Sammlung anders angeordnet auch in GW II, S. 392– 395 (Überlieferung), S. 389–392 (Das Weihnachtswunder), S. 397–407 (Sprache und Mundart im Deutschen). 53 Ders.: Heine, der deutschen »lustiger Rat«, in  : GW II, S. 289–292. Vgl. die Kritik an Heine in  : George, Stefan/Wolfskehl, Karl  : Vorrede zur ersten Ausgabe, in  : dies. (Hg.)  : Deutsche Dichtung. Bd. 3  : Das Jahrhundert Goethes (1902), Stuttgart 1995, S. 6. 54 Salman Schocken an Gustav (Gershom) Schocken, 21. September 1948.



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Das »Und-so-weiter-und-so-weiter« brachte auf den Punkt, wie müßig das Festhalten an solchen Verbindungen angesichts der Zerstörung jüdischen Lebens in Deutschland geworden war.55 Aber der beiläufige Hinweis auf das »romantische Spiel«, das Wolfskehl für sich ernst nehme, markiert – wohl ohne die Absicht Schockens, der ja nicht von einer poetologischen Zuordnung sprach – den Ernst des Spiels mit der Uneindeutigkeit der poetischen Welt für Wolfskehl, der dieses Spiel, das für ihn keines war, auf seine Herkunft übertrug. In einem ganz und gar nicht historisch gedachten Netz affiner Zeichen aus den entlegensten Überlieferungsbeständen verortete er sich so oft wechselnd  – »im maasslosen Nu, wo die Zeit verschwelt«56 –, dass Beobachter nur noch Unverbindlichkeit und Synkretismus wahrnahmen. Wie fehl ein solches, auf festen Zeichenordnungen insistierendes, Eineindeutigkeit als »Authentizität« schätzendes Urteil ging, hatte Wolfskehl in seinem Portrait Heines angedeutet  : Dessen Werk sei »ein lebenslanger Fasching, den auch der böse und lange Aschermittwoch nicht ganz zu bannen vermochte, und der wie alles Wirkliche seinen Sinn hatte, seinen Ernst – freilich nicht da, wo und nicht so wie Ernste bei guten Deutschen sich zu äussern haben.«57 So stand es auch um Wolfskehl, seine Texte und die Münchner Faschingsfeste, die er zu entgrenzen schien  : »Und es war oft wirklich ein Theater,  – vom frühen Morgen bis in die späte Nacht. Doch ein Theater nur für die Andern, […] weil er alles, das Kleine wie das Grosse, so blutig ernst nahm«, erinnerte sich Edgar Salin an den Freund.58 Wolfskehl schuf Konstellationen von wahlverwandten Zeichen, ohne zwischen Natur, Geschichte, Literatur, Mythos und Religion zu unterscheiden  : Brentano, Dionysos, Elefanten, Feigenbaum, Heine und Hiob wurden ihm alle zum Ausdruck oder Echo von Eigenem, waren sein Modus der Verortung – nicht nur im Text, auch ganz konkret. Diese Aufhebung der Grenze von Text und Leben, die Schocken in seinem Heine-Hinweis benennt, musste irritieren, weil der Freiheit des Texts im Leben nichts entsprach. Sein Dichten schien ihm »[…] sein Leben selbst zu sein«59, urteilte 1962 Ernst Simon, der Wolfskehls Liebe zu Maskenzügen, seine Sammelleidenschaften, seine Dionysos-Aura und seinen vermeintlichen Mangel an »Authentizität« in der Beweisführung anbrachte, um zu fragen  : »Echt oder vermeintlich, wirk55 Vgl. hierzu  : Simon, Ernst  : Priester, Opfer und Arzt  : Zu den Briefen Wolfskehls, Kafkas und Freuds, in  : Tramer, Hans (Hg.)  : In zwei Welten. Siegfried Moses zum 75. Geburtstag, Tel Aviv 1962, S. 414–469, hier S. 428. 56 Wolfskehl, Karl  : Wandlung, in  : Blasberg/Hoffmann (Hg.)  : Karl Wolfskehl,, S. 227. 57 Ders.: Heine, der deutschen »lustiger Rat«, in  : GW II, S. 290–291. 58 Salin, Edgar  : Um Stefan George. Erinnerung und Zeugnis, München 1954, S. 210. 59 Simon, Ernst  : Priester, Opfer und Arzt, Tel Aviv 1962, S. 419.

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lich oder scheinbar  ?«60 Wolfskehls Wechselspiele waren für Simon eine Provokation, weil sie bestimmte Entscheidungen nicht trafen, sich in der Ersetzung des geschichtlichen durch poetisches und letztlich sprachmagisches Denken verstiegen.61 Vor diesem Hintergrund zeigte sich sogar Die Stimme spricht, die Wolfskehls Dichtung für das Projekt einer »authentisch« jüdischen Literatur zu verpflichten schien, als poetisch-ernstes Spiel. Der Band bringt mit den Mitteln des übercodierten Texts zur Sprache, was sich diskursiv so nicht hätte fassen lassen können. Er entzieht sich der Suche nach einem stabilen Verhältnis von Jüdischem und Deutschem oder gar Wolfskehls Kulturzionismus.62 Die in der Geste des Verbindlichen gebrachte Unverbindlichkeit und die in den Worten eines Entweder-Oder vorgetragene Synthese wurden im Zusammenhang des Gesamtwerks paradoxerweise als »Grenze«63 sichtbar, die Wolfskehls Distanz zum Zionismus in seiner politischen und ästhetischen Dimension markiert. »[W]as sollen wir poverini nun mit all unserem frischerwachten Bewusstsein  ?«, hatte Wolfskehl Friedrich Gundolf bereits 1899 geschrieben, als er vermutete, Max Nordau wolle »die jüdischen Symbolisten und Mystiker aus seinem zionistischen Siegeszuge ausschließen«, um im abgründigen Mix aus Ernst und Ironie hinzuzufügen  : »Ja wenn nur Jeruschalajim nicht gar so schön klänge  !«64 – ganz so als wolle er Nordaus Zweifel an der Loyalität der »ästhetischen Schöngeister« bekräftigen.65 Diese Distanzierung war, so unernst sie vorgebracht wurde, poetologisch  ; sie führt zu George und zur Romantik und erschließt so die späteren

60 Ebd., S.  420. Dies zielte an Wolfskehls romantischem Programm vorbei, der Schlegels Programm folgte »die Poesie lebendig und gesellig, und das Leben und die Gesellschaft poetisch [zu] machen«. Vgl. Schlegel, Friedrich  : Athenäums-Fragment Nr. 116, in  : Kritische-Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd. 1/II, hg. v. Hans Eichner, München 1967, S. 182. 61 Simon kritisiert in diesem Sinne Wolfskehls Propheten-Pose. Vgl. Simon  : Priester, Opfer und Arzt, S. 466. 62 Diese Frage ist ein Aspekt der Forschung zur deutschsprachigen zionistischen Literatur geblieben. Vgl. bes. Gelber  : Melancholy Pride  ; Theisohn, Philip  : Die Urbarkeit der Zeichen. Zionismus und Literatur – eine andere Poetik der Moderne, Stuttgart 2005  ; Battegay, Caspar  : Das andere Blut. Gemeinschaft im deutsch-jüdischen Schreiben 1830–1930, Köln 2011. 63 Karl Wolfskehl an Abraham Schalom Yahuda, Florenz, 1. Juni 1935, in  : Karl Wolfskehl. Gedichte – Essays – Briefe, Frankfurt am Main 1999, S. 131–134, hier S. 131. Diese »Grenze« wird durch die Übersetzung von 1942 verwischt, den Gedichten wird im Hebräischen eine Textbewegung genommen. Vgl. Hoffmann  : Ich kam aus dem Geheg, S. 146 f. 64 Karl Wolfskehl an Friedrich Gundolf, 1. August 1899, in  : Kluncker, Karlhans (Hg.)  : Karl und Hanna Wolfskehl. Briefwechsel mit Friedrich Gundolf, Bd. 1. Amsterdam 1976, S. 43 f., hier S. 44. 65 Nordau, Max  : Zionismus und Antisemitismus, in  : Die Welt, 28. Juli 1899, S. 2–4, hier S. 4.



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Texte. Die Stimme spricht ist die Arbeit eines »Spätest-Romantiker[s]«66, ganz ernst dem Alten verpflichtet und doch offensichtlich spielend. Wolfskehls Werk ist ein »zwielichtiger Widerstreit von Gestalt und fließendem Raum«, ließe sich mit dessen eigenen Worten über ihn sagen (er selbst schrieb das über Clemens von Brentano).67 Sein so oft als Synkretismus kritisiertes Zusammenbringen beruhte  – zu Recht oder Unrecht  – auf dem Glauben an die magische Fähigkeit der Sprache, eine neue Welt, ein Neues Reich zu schaffen,68 die ursprachliche Identität von Zeichen und Referent wiederherzustellen, die Dinge der Welt zu verbinden. Eines der letzten, in Auckland entstandenen Gedichte feiert die Sprache als allverbindende Kraft jenseits der geschichtlichen Welt  : Trunkenen Lebens kreisender Tanz ist Sprache. Tods verhaltnes Schweigen  : welche Sprache  ! Funkeln in der Nacht ist Sternes Sprache. Düften ist der Blumen stille Sprache. Nachtigallen, Bülbül, Tuitui  : Euer süss Getön was wär es  ? Sprache  ! Menschenherz, Weltmitte  : Wort des Dichters Löst dir deine, aller Sprachen Sprache.69

Wolfskehls Bemerkung im Mai 1933, »wie symbolisch« die »Wendung ›gegen Juden und Bücher›« sei und wie »sonderbar« sie sich in seiner Person vereine,70 lässt sich im Zusammenhang dieser Ineinssetzung von Welt und Sprache ganz wörtlich lesen, weil Bücher als Zeichenarsenale die Welt ausmachten, in der sich Wolfskehl bewegte.71 66 Karl Wolfskehl an Alfred Kubin, Auckland, Mai 1947, in  : Briefwechsel aus Neuseeland, Bd. 2, Darmstadt 1988, S. 972–974, hier S. 972. 67 Wolfskehl, Karl  : Clemens Brentano, in  : GW II, S. 284–288, hier S. 287. 68 Vgl. aber Hoffmann, Paul  : [Karl] Wolfskehls Dichtung im Entwicklungszusammenhang der modernen Lyrik, in  : Klussmann, Paul Gerhard (Hg.)  : Karl Wolfskehl Kolloquium. Vorträge – Berichte – Dokumente, Amsterdam 1983, S. 83. 69 Wolfskehl, Karl  : In ein Buch, in  : Voit  : Karl Wolfskehl. Späte Dichtungen, S. 225. 70 Karl Wolfskehl an Albert Verwey, 12. Juni [1933], in  : Nijland-Verwey, Mea  : Wolfskehl und Verwey. Die Dokumente ihrer Freundschaft 1897–1946, Heidelberg 1968, S, 284–286, hier 285. 71 Vgl. bes. Kilcher, Andreas  : Das Buch als Leitstern. Konstellationen von Karl Wolfskehls Bibliophilie, in  : Kotowski/Mattenklott (Hg.)  : O dürft ich Stimme sein, S. 195–218, hier S. 214. Die hier wichtige Frage nach der komplizierten Beziehung zwischen romantischer Poetik und jüdischen Diaspora-Konzepten ist ein Thema für sich.

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Auch der Novalis-Leser Salman Schocken bewegte sich, als er sich 1948 mit Wolfskehls Werk beschäftigte, immer stärker in Bücherwelten – und Bücher begleiteten ihn überallhin  ;72 seine Beziehung zum zionistischen Projekt war nicht minder kompliziert als die Wolfskehls, und dies war wohl ein Grund für die Verbindlichkeit, mit der er Wolfskehl begegnete. Als der Dichter in Neuseeland starb, lebte Schocken »das Leben des modernen wohlhabenden Nomaden in seinem Haus in Scarsdale bei New York, in Hotelzimmern auf dem Dolder bei Zürich und in Pontresina, in seiner Bibliothek in Palästina, umgeben von alten und neuen Büchern […].«73 Was den Verleger von Wolfskehl entfernte, ihn enttäuschte und den langen Brief an den Sohn veranlasste, war nicht die für Juden und Nichtjuden irritierende Ambivalenz der poetischen Verortung, sondern das Empfinden, dass Wolfskehl durch die »Poetisierung der Welt« der historischen Wirklichkeit nicht mehr gerecht wurde, während er sie doch 1933, nicht nur in der Bemerkung über die »Wendung gegen Juden und Bücher«, genau erfasst hatte.

72 Vgl. David, Anthony  : The Patron. A Life of Salman Schocken 1877–1959, New York 2003, S. 405. 73 Schocken  : Ich werde seinesgleichen nicht mehr sehen, S. 30.

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Erich Auerbach’s Letters to Jerusalem  : A Report from the Archive In 1956, Martin Buber wrote a letter from Jerusalem to Erich Auerbach, who was then living in Connecticut and teaching at Yale University, to ask him to write a preface for the Hebrew translation of his foundational work, Mimesis  : Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur. Auerbach declined the request and explained that he had structured the book in such a way that it required no introduction. The famous first chapter of the book, in which he compares the scar episode from book 19 of the Odyssey with the binding of Isaac in Genesis 22, Auerbach expands, is meant to serve this function. Adding a second, somewhat contradictory, rationale for his refusal, Auerbach writes it would be preferable if the preface was composed by someone with better knowledge of Israeli readers and of the framing that would help them read his book. This, he notes, had been done in the case of the recent Italian translation, to great success.1 Auerbach may have been drawn to compare the Hebrew and the Italian translations for reasons beyond temporal contiguity. In both cases, his text was rendered in the language of one of the literary texts discussed by him. Or, perhaps more accurately, in a modern language whose users often make a claim to continuity with an ancient or medieval one that preoccupied him.2 The Hebrew translator of Mimesis, Baruch Karu, thus began his work with what might be described, on the basis of such a claim, as an act of return  : reproducing the Hebrew words, which Auerbach quotes in German translation or in transliteration, in the square Hebrew letters in which they are read in Hebrew. However, in his letter to Buber, Auerbach does not remark on this return.3 One might imagine a preface that Auerbach could have written specifically for Hebrew readers of the book. Perhaps something along the lines of Sigmund Freud’s famous preface to the Hebrew version of Totem and Taboo, in which he 1

Barck, Karlheinz/Treml, Martin  : Aus dem Archiv  : Mimesis in Palästina, Zwei Briefe von Erich Auerbach und Martin Buber, in  : Trajekte 2 (2001), p. 4–7. 2 For a recent and suggestive note on Auerbach’s relation to languages, see Warley, Christopher  : Auerbach’s Languages, in  : Arcade (blog), Stanford University, 13.09.2017, http://arcade.stanford.edu/blogs/auerbachs-languages, accessed  : 19.09.2017. 3 His transliteration of the Biblical expression hineni, which, as Galili Shahar has noted, is the first non-German word to appear in the book. Shahar, Galili  : Auerbach’s Scars  : Judaism and the Question of Literature, in  : Jewish Quarterly Review 101 (2011), p. 604–631.

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insists that there is nothing Jewish about his scientific work, even as he indicates that those reading the book in a revived modern Hebrew might have a special understanding of its thesis on the evolution of religion.4 In other words, it is tempting to think of Auerbach’s response to Buber as a disavowal, to use a Freudian term. If, following James Porter and others, we think of Auerbach as a “judaizer of philology” and of his reading of Genesis 22 as a key moment in his response to European discourses – past and present – from his position specifically as a German-Jewish exile, then the two parts of his response to Buber seem inextricably linked to one another.5 On the one hand  : I know nothing about Israel, and have nothing in particular to say to readers of Hebrew. On the other hand  : everything these readers need to know about my book is there, in my analysis of a foundational text of their national mythology, the binding of Isaac. Readers of Auerbach have tended, with good reason, to think of the Genesis chapter to which he devotes his attention less as a Zionist proof-text and more as the quintessential example of a prefiguration of the life of Christ in the Hebrew Bible.6 This mode of reading plays a central role in Auerbach’s approach to Western literature, and his understanding of it is elaborated in the 1938 essay Figura. Interestingly, it was while he was working on this essay that Auerbach first corresponded with a colleague in Jerusalem. The two letters that Auerbach sent to Jerusalem in December 1937 and June 1938 expressed his interest in the books accessible in libraries in Jerusalem, as well as his intention to visit the city. His addressee, Heinz Pflaum, was eight years his junior. Born in 1900 in Berlin to an assimilated Jewish family much like Auerbach’s, he also studied Romance philology in the late 1910s and early 1920s, going to Heidelberg and travelling frequently to Italy, which allowed him to complete his doctoral studies with the Italian Romanist of German-Jewish origins, Leonardo Olschki. Concurrently, he became interested in the Jewish renaissance occurring in Weimar Germany, and in the Jewish national movement, probably largely through the influence of his slightly older – and much more famous  – third cousin, Gershom Scholem.7 Bridging his two interests, 4

Freud, Sigmund  : Preface to the Hebrew Translation (1930), in  : The Standard Edition of the Complete Works of Sigmund Freud, Vol. 13, London 1994, p. xv. 5 Porter, James I.: Erich Auerbach and the Judaizing of Philology, in  : Critical Inquiry 35 (2008), p. 115–147. 6 See, for example, Weidner, Daniel  : Figura, in  : Auerbach Alphabet  : Karlheinz (Carlo) Barck zum 70. Geburtstag. Trajekte Sonderheft. Beilage zu Trajekte 9 (2004), Berlin 2004, p. 7 f. 7 Scholem, Gershom  : Eulogy for Hiram Peri (Heinz Pflaum), n.d., Scholem Archive, National Library of Israel, 1599/277. See also Gershom Scholem  : Hiram Peri (Pflaum)  : L’Homme et sa Carrière, in  : Moshé Lazar (ed.), Romanica et Occidentalia  : Etudes dédiée à la mémoire de Hiram Peri (Pflaum), Jerusalem 1963.



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Pflaum wrote his dissertation on the Italian works of Leon Hebreo (Yehuda Leon Abravanel).8 In the mid-1920s he joined the staff of the Jewish National Library in Jerusalem and, soon after that, the recently founded Hebrew University of Jerusalem. He spent the rest of his career there, teaching Romance languages and philology and pursuing research in Romance studies, eventually under the Hebraized name Hiram Peri, until his death in 1962. As evidenced by his published work and by his archive, which, appropriately, is held by his first employer, now designated as the National Library of Israel, Pflaum/Peri’s interests were broad.9 Among the earliest documents in the archive are the letters he sent to his family from his first study trips to Italy in the late 1910s, and they are followed by a rich documentation of his personal life and his extensive travels, as well as his scholarship and his literary writing. He published studies of religious disputations in medieval Europe – one of these was at the center of his exchange with Auerbach – and of a range of other subjects within the field of Romance philology, from Dante’s Divine Comedy to Judeo-Provencal troubadours. The unpublished materials in the archive include Ladino songs and stories collected from informants in Israel, attempts to formulate a general theory of philology, disquisitions on the geopolitics of the Middle East, and a collection of poems in German, French, and English. There are also many objects of interest, such as  : notebooks acquired in Italy, whose covers are decorated with caricatures related to the war in Ethiopia (1935–36)  ; Bezalel graphic designer Dora Spitzer’s design for an ex libris (From the Books of Hiram Pflaum) depicting Dante leafing through a book (1944)  ; and an entry card for proceedings of the Eichmann trial in Jerusalem, made out for Hiram Peri, translation officer (1961). These are supplemented by the extensive materials related to Pflaum/Peri available at the Hebrew University archive, which includes correspondences, syllabi, protocols and other materials. This archive is thus a valuable and untapped resource for expanding our understanding of a range of partially overlapping issues, including the history of the Hebrew University, the history of the field of Romance Philology, and the lives of German émigrés in Jerusalem. Pflaum also meticulously saved and catalogued the letters he received from numerous correspondents in Europe. And it is near the top of these carefully alphabetized files that we find the letters from Auerbach. As far as I have been able to ascertain, Auerbach did not save Pflaum’s side of the

8 Pflaum, Heinz  : Die Idee der Liebe. Leone Ebreo. Zwei Abhandlungen zur Geschichte der Philosophie in der Renaissance, Tübingen 1926. 9 In what follows, I will refer to him mostly as Pflaum, since I discuss texts that were written, published, and received under that name.

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correspondence, and so we are left with only a partial picture. Nevertheless, there is much of interest to be gleaned from it. Auerbach’s first letter was written in response to a brief note that his younger colleague had published in the journal Romania  : 25.12.37 Sehr verehrter Herr Pflaum, Soeben lese ich mit vielem Vergnügen Ihren Aufsatz über die Barlaam-Stelle in der Romania – natürlich haben Sie Recht, ganz bestimmt mit den letzten beiden Versen, und wohl auch mit der coverclee mue, obgleich das nicht so unmittelbar einleuchtet. In dem Aufsatz zitieren Sie den Traité du sens littéral von Leonard, Paris 1725. Darf ich fragen, wo Sie dies Buch benutzt haben, und ob sie vielleicht einen Weg wissen, wie ich mir das Buch auf einige Wochen hierher beschaffen kann  ? Oder, falls Sie dazu keine Möglichkeit sehen, schreiben Sie mir doch bitte die ungefähre Seitenzahl und das Format. Ich habe es hier bibliographisch recht schwer, es gibt natürlich so gut wie gar keine europäische mittelalterliche Literatur in Istanbul, und ich bin fast ganz auf meine eigene Bibliothek angewiesen. Mit bestem Dank im Voraus, und verbindlichen Grüssen Ihr sehr ergebener E. Auerbach10

Pflaum’s Romania note contained some suggested corrections to German philologist Carl Appel’s 1907 edition of Gui de Cambrai’s Barlaam et Josaphat (1220–1225). The Legend, an account of the life of an Indian Prince who defies his father and converts to Christianity, was popular throughout Europe in the Middle Ages and was translated into almost all of its vernacular languages. With the rise of modern philology and the advancement of the scientific study of Asian texts in the late 18th and 19th centuries, European readers came to realize that a key part of the tale  – the account of prince Josaphat’s birth and of his father’s attempt to shield him completely from any form of suffering, illness, old age or death – closely correlates to accounts of the life of Buddha. This led to an ongoing scholarly effort to trace the travels and the evolution of the tale, from South Asia to Persia, through an Arabic translation into Latinate Europe, and from there to the different European vernacular versions.11 10 Erich Auerbach to Hiram Peri, Hiram Peri Archive, National Library of Israel Jerusalem (henceforth NLI Jerusalem), ARC.4* 1640. 11 Lopez Jr., Donald S./McCracken, Peggy  : In Search of the Christian Buddha  : How an Asian Sage Became a Medieval Saint, New York 2014  ; Cordoni, Constanza/Meyer, Matthias (eds.)  : Barlaam und Josaphat  : Neue Perspektiven auf ein europäisches Phänomen, Berlin 2015.



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In 1959, Pflaum (or, by then, Peri) would publish a book length study of the religious disputes described in different versions of the legend.12 His short article from 1937 focuses on a passage of Gui de Cambrai’s version of the poem in which a disputant defends the Christian religion and compares it to Judaism. In Appel’s reading, this figure says of the Jews that “Lor loys est courvecle et nue” and that “N’entendent selon l’escriture / Car lor loys est toute en figure.” Roughly translated, the verses as Appel transcribes them read  : “Their law is covered and clouded” and “Not understanding according to scripture / for their law is entirely figurative.” In a note to this second line, Appel explicates, “Der jüdische Glaube verbirgt, wie es die vorhergehenden Verse im Bilde aussprechen, die innere Wahrheit unter einer figure, einer Form, welche die Juden täuscht.”13 Pflaum contends that Appel in both cases attributes to the medieval author a view that is the opposite to the one held by his contemporaries. As he puts it  : In Appel’s opinion, as it is expressed in his notes, Gui wanted to say that the Jews understand the Bible poorly, because they let themselves be misled by the figurative sense  ; their understanding of the text is thus inexact, vague, veiled  ; they see the text through a cloud (“nue”, as Appel writes in v. 6450, is translated as “Wolke”)  ; and Appel thinks he finds this same idea also in the preceding metaphor of the covering (“couvercle”). However, this is not at all the idea that was generally held in the Middle Ages about the Jewish interpretation of the Bible.14

Pointing back to the Pauline opposition of the spirit and the letter and to the Aquinian insistence on a “sensus spiritualis” to scripture, Pflaum emphasizes that the Jews are commonly accused of failing to read the Bible figuratively, rather than of clouding the text in figures. In medieval poetry, he finds this view expressed metaphorically in the comparison of the Jews to someone who eats only the shell and not the nut, or the comparison of scripture to a dough that the Jews fail to knead. Pflaum thus prefers to transcribe the final two lines  : “N’entendent selon la figure / Car lor loys est toute si dure.”15 (“Not comprehending according to the figure / because their laws are oh so dour.”) Auerbach enthusiastically accepts this correction but is more skeptical regarding Pflaum’s alternative to Appel’s “nue.” Instead of “cloud” Pflaum reads “mue” as 12 Peri, Hiram  : Der Religionsdisput der Barlaam-Legende, ein Motiv abendländischer Dichtung  : Untersuchung, ungedruckte Texte (Bibliographie der Legende), Salamanca 1959. 13 Appel, Carl  : Gui von Cambrai  : Balaham und Josaphas  : nach den Handschriften von Paris und Monte Cassino, Halle 1907, p. 416. 14 Pflaum, Heinz  : Sur un Passage de Balaham et Josafas, in  : Romania LXIII (1937), p. 519–525, here p. 521 in my translation. 15 Ibid., p. 525.

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a reference to a receptacle, deriving from the measuring unit “moie.” In Pflaum’s reading, the verse describes the Bible as a good wine, kept “coverclee et mue,” that is, sealed within a container. The verse thus implies that the Jews fail to open the receptacle and access the good wine, rather than accusing them of covering and clouding scripture.16 But Auerbach writes to Jerusalem not in order to express his skepticism about this fine point. Rather, he is interested in Pflaum’s reference to a work that deals with the issue of figurative reading  : Martin A. Léonard’s Le Traité du Sens littéral et du sens mystique des Saintes Ècritures (Paris, 1725). It is no mystery why Auerbach read Pflaum’s brief note attentively, or why he wanted to borrow the Léonard volume. In 1938, he would publish his essay Figura, an account of the emergence and the evolution of a distinctly Christian way of reading texts. A number of scholars have emphasized the fact that the essay can only be understood by reference to Auerbach’s experience of exclusion as a German-Jew. It has been read as a key to Auerbach’s philosophy of history, as it is formed by his understanding of his own historical moment, as a defense of the dignity of the Hebrew Bible against its violent erasure by Nazi philology, and, in a recent intervention by Porter, as Auerbach’s engagement with a phase of the western imagination that had been superseded by secular modernity.17 Among its many references, the essay quotes Pflaum’s Romania note, as well as his 1935 volume on religious disputations in medieval literature.18 However, as he does not cite it, it does not seem like he had gotten his hands on the Léonard volume. Indeed, the essay and its footnotes are peppered with comments like “There may be other examples that I have missed” (102) or “I do not have access to specialist literature on this issue at the moment” (94), which hint at the challenging conditions that he faced in exile. These conditions are central also to the second letter he dispatched to Jerusalem  : 3.6.1938 Lieber Herr Pflaum, Bitte verzeihen Sie, dass ich erst so spät auf ihren Brief antworte. Sehr viel Arbeit, sehr viel Korrespondenz, der mit der neuen Wendung der Weltge16 Ibid. 17 Gellrich, Jesse M.: Figura, Allegory, and the Question of History, in  : Lerer, Seth (ed.)  : Literary History and the Challenge of Philology  : The Legacy of Erich Auerbach, Stanford 1996, p. 107–123  ; Zakai, Avihu  : Erich Auerbach and the Crisis of German Philology  : The Humanist Tradition in Peril, Basel 2016, p. 59–83  ; Porter, James I.: Disfigurations  : Erich Auerbach’s Theory of Figura, in  : Critical Inquiry 44 (2017), p. 80–113. 18 Pflaum, Heinz  : Die religiöse Disputation in der europäischen Dichtung des Mittelalters  : I. Der allegorische Streit zwischen Synagoge und Kirche, Geneva 1935  ; Auerbach, Erich  : Figura, in  : Porter, James I. (ed.)  : Time, History, and Literature  : Selected Essays of Erich Auerbach, Princeton 2013, p. 65–113, here p. 102, page references in parentheses below.



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schichte zusammenhängt, und schliesslich noch ein Todesfall in der Familie meiner Frau sind Schuld daran. Also haben Sie herzlichen Dank für Ihre Auskünfte und Vorschläge. Ich ersehe aus Ihren Andeutungen, dass Sie bibliographisch weit besser dran sind als wir, besonders was ma. Texte betrifft. Ich lebe im Wesentlichen von meiner eigenen Bibl., die reich an Texten ist, aber zum grössten Teil in veralteten Ausgaben, und von einem Migne, der in Galata in einer Bibl. von Dominikanern steht. Also werde ich mich, wenn es nötig ist, gern an Sie wenden, und bitte Sie, das Gleiche zu tun. Übrigens habe ich noch eine Menge europäischer Korrespondenten, die mir helfen. Die Sache hat nur den Haken, dass ich selten sehr genaue Fragen stellen kann – ich muss viele Sachen durchblättern, das Problem formuliert sich erst in dieser Tätigkeit selbst so genau, dass ich es ausdrücken kann – und wenn es so weit ist, dann wage ich es nicht mehr jemand mitzuteilen, weil der dann sofort den ganzen Gedanken vor sich sieht und ihn unwillkürlich selbst verwertet – das ist mir nun schon mehrmals so gegangen, besonders mit meinem temperamentvollen Freund und Vorgänger Sp. Sehr schön wäre es wenn Sie mal herkämen – ich würde mich sehr freuen, Sie persönlich kennen zu lernen. Dass ich nach J. komme, ist geplant, dürfte aber wenigstens in nächster Zeit sich noch nicht verwirklichen lassen. Dies Jahr bleibe ich voraussichtlich hier im Lande. Besitzen Sie den Band der Publikationen des hiesigen Seminars  ? Bitte schreiben Sie, falls nicht, ich lasse ihn Ihnen dann zusenden. Mit bester Gruss Ihr, Auerbach.19

Readers of Mimesis – and of its famous postscript – will remember that Auerbach wove the lack of libraries into his account of what made the book possible. In the logic of that account, the lack of a proper research library allows Auerbach to approach the literary texts unencumbered by a voluminous secondary literature. It allows for a close reading of the literary texts and for the broad synthetic view of the entire history of Western literature presented in the book.20 In his letters to Pflaum, however, Auerbach has not yet found this silver lining, and is focused on using his contacts – with Pflaum and other “European correspondents” – to make up for the lack. By and by, Auerbach also voices his worries about having his ideas stolen, complains about his relationship with Leo Spitzer, and shares some suggestive details about his work habits and the importance of a 19 Erich Auerbach to Hiram Peri, 3 June 1938, Hiram Peri Archive, NLI Jerusalem, ARC.4* 1640. 20 As Emily Apter writes, “It is by now a commonplace in the history of comparative literary studies to cite Auerbach’s melancholy postscript.” Cf. Apter, Emily  : The Translation Zone  : A New Comparative Literature, Princeton 2006, p. 44. For the foundational point of reference in this history, see Said, Edward  : The Text, the World, and the Critic, Cambridge 1983. See also Mufti, Aamir  : Auerbach in Istanbul  : Edward Said, Secular Criticism, and the Question of Minority Culture, in  : Critical Inquiry 25 (1998), p. 95–125. On Auerbach’s “bibliographical conditions” in Istanbul, see Konuk, Kader  : East West Mimesis  : Auerbach in Turkey, Stanford 2010.

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kind of “shallow reading” – which he calls here “durchblättern” – to his thought and work process. This habit of leafing through works on the way to formulating a question illuminates Auerbach’s famous postscript and gives depth to his implication that it was only when he was no longer able to fall back on his old scholarly habits that he was able to write the book. About a year after Auerbach wrote his second letter to Pflaum, the Germans invaded Poland, starting World War II and foreclosing the possibility of a journey to Jerusalem. At the end of the war, he made his way west across the Atlantic, rather than south-east to Palestine. It is impossible, in retrospect, to judge what lies behind his remark to Pflaum that his trip to Jerusalem “ist geplant,” or how concrete those plans were. But short of such speculation, the remark nevertheless provides some useful food for thought. In accounts of Auerbach’s exile, Istanbul is commonly contrasted with Europe, and, more broadly, “the West”. Jerusalem provides another, complicating and interesting coordinate on the map. What happens along the axis of Auerbach’s communications with Jerusalem, and how can that axis reorient contemporary discussions about the discipline of comparative literature and its history  ? The two cities have things in common beyond a history shaped for two millennia by the tumultuous relations between the monotheistic religions. This long history is, of course, partly behind Auerbach’s comparison of the bibliographic conditions he and Pflaum are facing. This moment in the letter can be read as an implicit reflection on the material traces left by centuries of Christian attachment to and presence in both cities. Reporting to Pflaum on the Dominican library that he has access to, Auerbach seems to be trying to imagine the monasteries and libraries that must inhabit the holy city. But there are other commonalities that illuminate the exchange of letters between him and Pflaum. Istanbul and Jerusalem are both claimed as capital cities to states that are born out of national movements that put ambitious language reform and revival programs, along with the requisite focus on educational institutions, at the center of their projects. As Kader Konuk has described, Auerbach arrived in Turkey and was recruited by a humanist reform movement that mobilized philology in the service of nation-building. This required a constant negotiation of the relationship to Western tradition and the balance between the putatively universal and the local.21 Konuk’s account, which I can here only allude to, provides a compelling framework for thinking about the work concurrently done at the Hebrew University of Jerusalem.

21 Konuk  : East West Mimesis, p. 23–50.



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Founded in 1924, the Hebrew University of Jerusalem is arguably one of the most substantial early successes of the Zionist movement.22 From the outset, it was also a battleground between proponents of different views of how it could best serve the national cause. In particular, founders of the university had to adjudicate between its status as a Jewish academy of higher learning and its ambitions as a western scientific institution.23 As has often been noted, this adjudication took place on two levels. First, there was the question of the balance between scientific units (such as the Institute for Theoretical Mathematics, an early success of the university, or the Departments of Chemistry and Physics, which were promoted as stepping stones towards a much-desired medical school), which were seen as “identity neutral,” and the humanities and social sciences, which were seen as the appropriate venues for establishing the particularly Jewish identity of the new institution. Concurrently, the founders of the Institute of Jewish Studies, the Department of History, and of other humanistic units centered many of their discussions on the question of the relationship between the particularly Jewish and the universal, and were often eager to emphasize the importance of framing Jewish thought, literature, and history in relation to “general history” and western culture.24 In this context, the question whether and how world literature should be taught at the university becomes a kind of test case for the lager questions about the place of universalism and cosmopolitanism within the Jewish national movement, much like it did in Istanbul. And yet discussions arising from this question – though they did occur – have so far not been part of historical accounts of the foundation of the Hebrew University. Following the tracks of Auerbach’s exchange with Pflaum allows us to fill some of the missing details. Although the Department of Comparative Literature was founded only in the early 1960s, the comparative study of literature had been the subject of ongoing debates going back decades.25 In its early phases, this struggle centered not on the tension between Jewish literature and “general literature,” nor did it follow the outlines 22 Though for a skeptical view of its actual utility to and integration in the national movement, see Shapira, Anita  : The Labor Movement and the Hebrew University in Palestine, in  : Katz, Shaul/ Heyd, Michael (eds.)  : The History of the Hebrew University of Jerusalem  : Origins and Beginnings, Jerusalem 1997, p. 675–689. 23 Myers, David  : Re-Inventing the Jewish Past  : European Jewish Intellectuals and the Zionist Return to History, New York/Oxford 1995, p. 38–54. 24 Lavsky, Hagit  : From Foundation Stone to Opening  : The Establishment of the Hebrew University, 1918–1925, in  : Katz, Shaul/Heyd, Michael (eds.)  : The History of the Hebrew University of Jerusalem  : Origins and Beginnings, Jerusalem 1997, p. 120–159. 25 I describe some of the discussions that led up to the foundation of the department in Rokem, Na’ama  : Questioning Weltliteratur  : Heinrich Heine, Leah Goldberg, and the Department of

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of a debate about the nature and viability of the concept of “Weltliteratur”, as it has come to animate the field of Comparative Literature in the last decades. Instead, the lines of contention were drawn between Romance Philology, on the one hand, and French Civilization, on the other. In this conflict, as I understand it from the records at the university archive, philology stood for a broad, comparative approach, and the idea of “civilization” stood for a nationalist model. It is impossible to understand the terms of this debate without recalling that it emerged within a highly charged geopolitical context. From the late 1920s and through the 1940s, different European powers sought to exert their influence in the Middle East and they perceived the newly founded Hebrew University as a potential vehicle in this pursuit. Germany, Italy, and France all offered financial support to the University at different moments, to encourage the teaching of their languages and cultures and to create a foothold in the British protectorate.26 And under their tutelage, different agendas were promoted at the University. Pflaum, who traveled extensively to Italy in the 1920s and even well into the 1930s  – as evidenced, among other things, by the notebooks preserved in the archive, whose covers are decorated with fascist propaganda about the war in Africa – played a central role in the communications of the Hebrew University with the Italian government. The Italians sent regular shipments of books – on Italian culture as well as the Fascist movement  – and supported the teaching of Romance languages and literatures, including the employment of a lecturer in Latin. Concurrently, the French government expressed an interest in supporting the teaching of French Language and Civilization, a gesture that was consistent with France’s colonial mission civilisatrice in other parts of the world. Indeed, they sent not only funding, but also their own teachers to the university to represent French civilization. The University severed its relationship with the Italian government only after the beginning of the war, when the alliance between Hitler and Mussolini could no longer be disregarded. French support for the mission in Jerusalem, on the other hand, continued to come through and was taken over by the French government in exile during the war. And while Europe was descending into war, the representatives of France and Italy fought their own battles in Jerusalem. The debates between Pflaum and his French rivals were primarily about power and influence, and about using Comparative Literature at the Hebrew University of Jerusalem, in  : Prooftexts 36 (2017), p. 217–239. 26 Trimbur, Dominique/Jacoby, Danny  : The European Powers and the Teaching of Foreign Languages at the Hebrew University during the British Mandate Period, in  : Lavsky, Hagit (ed.)  : The History of the Hebrew University  : Academic Progression in a Period of National Struggle, Jerusalem 2009, p. 134–-159  ; Weiss, Yfaat  : Rückkehr in den Elfenbeinturm  : Deutsch an der Hebräischen Universität, in  : Naharaim 8 (2014), p. 227–245.



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the financial support from abroad to obtain those. On the surface, they focus on methodological and pedagogical questions  : Can French language and culture be taught in separation from other Romance Languages  ? Should the program in French Civilization focus on history and philosophy, leaving literature to the philologists  ? But other questions underlie these debates  : Who should be given access to and influence over the young minds of the Jewish and Zionist community in Palestine  ? Who can speak for a Latinate European culture and in what form is this culture relevant for the students in Jerusalem  ? What model of literary studies should take precedence in the new national university of the Jews  ? In their exchange of letters, Auerbach and Pflaum did not enter into a discussion of institutional or pedagogical matters, staying instead within the realm of an exchange between two researchers. But revealing the line of communication between Istanbul and Jerusalem allows us to think of some of the shared concerns that they had, as German-Jewish Romance philologists, in their respective institutional and national contexts. Furthermore, the letters are helpful in continuing to add nuance to the account of Auerbach’s work as a specifically Jewish intervention in the fields of philology and comparative literature.

Monika Tempian

»Erst jenseits der Kastanien / ist die Welt / der Brücken die nichts überbrücken …« Passagen, Übergänge, Grenzüberschreitungen im künstlerischen Werk Manfred Winklers

[…] die Landschaft, aus der ich zu Ihnen komme, dürfte den meisten von Ihnen unbekannt sein. Es ist die Landschaft, in der ein nicht unbeträchtlicher Teil jener chassidischen Geschichten zu Hause war, die Martin Buber uns allen auf Deutsch wiedererzählt hat. […] es war eine Gegend, in der Menschen und Bücher lebten.1

Von heute gelesen, mutet die Aussage Paul Celans über die Stadt Czernowitz in der ehemaligen Bukowina nostalgisch an, ein Prospektsatz für Kulturreisende. Aber gelesen von der Zeit, auf die sie sich bezieht – die Zeit der Österreichisch-Ungarischen Monarchie –, scheint Celan den Raum zwischen Buchstabe und Sinn zu meinen  : Die Menschen bestimmten sich über die Schrift, und was in der Schrift stand, war in vielen anderen Schriften zu ergründen. In dieser Sicht erfährt die Bedeutung von Territorium eine Abwertung, Sprache und Schrift stellen das Fundament der Identitätskonzeption dar, und der Begriff von »Heimat« ist als ein Prozess der Textualisierung zu verstehen – sogar in der Nachkriegszeit bezog sich George Steiner darauf mit den Worten  : »The text is home  ; each commentary a return.«2 Schreiben stellt somit das Individuum in eine Tradition, bietet Kontinuität, wo sie von der Geschichte unterbrochen wurde, und noch mehr, neben dem ästhetischen Erlebnis mediatisiert es die eigene Stellung in der Welt. So scheint das Gedicht, jenseits seines Kunstwertes, ein Weg zu sein, auf dem sich die jeweiligen Übergänge des Menschen oder der Mensch als Übergangswesen mit all den resultierenden Schichtungen abbilden lassen. Ein bewegendes Zeugnis hierfür ist das Werk des 1922 in Putila, nahe bei Czernowitz geborenen Autors Manfred Winkler, der während der russischen, deutschen und rumänischen Judenverfolgungen in Arbeitslager und anschließend ins kommunistische Rumänien verschleppt wurde und 1959 die 1 2

Celan, Paul  : Ansprache anläßlich der Entgegennahme des Literaturpreises der Freien Hansestadt Bremen, in  : ders.: Der Meridian und andere Prosa, Frankfurt a. M. 1983, S. 37. Steiner, George  : Our Homeland, the Text, in  : ders.: No Passion Spent  : Essays 1978–1995, New Haven 1996, S. 307.

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Monika Tempian

Ausreise ins »Land der Väter« schaffen konnte. Seine in Israel entstandenen Dichtungen muten wie Grüße aus dem Jenseits einer untergegangenen Welt an, aus der letzten Blüte der deutsch-jüdischen Kultur des ehemaligen österreichischen Kronlandes Bukowina, das in der rumänischen Zeit nach 1918 noch seine kulturellen Traditionen zu verteidigen suchte, dessen Zerstörung dann im sogenannten Russenjahr 1940/41 begann und durch die faschistische deutsch-rumänische Terrorherrschaft 1941–1944 »vollendet« wurde. Czernowitz-Jerusalem-Czernowitz … Das Augenmerk dieses Aufsatzes soll den zeit- und schicksalsbedingten Wenden, Übergängen und Grenzüberschreitungen Manfred Winklers und den exemplarischen Themen und Tendenzen seiner Dichtung gelten. Rührend evoziert das Gedicht vom nicht, dessen Verse meinem Aufsatz vorangestellt sind, die verschollene Welt der Czernowitzer Juden  : Das Gedicht vom nicht Vielleicht kommst du morgen und wir werden Unter den Linden gehen damit uns die Menschen sehen, von dem Geschehen wollen wir berichten dem Ungeschehenen Erst jenseits der Kastanien ist die Welt der Brücken die nichts überbrücken Wir wollen einfach gehen ich und du über Brücken die nichts überbrücken Unter den Linden wo Czernowitz nicht gelegen war und uns an nichts erinnern, wo Menschen gegen den Alltag alltäglich noch immer leben und sterben Wir wollen uns aneinander stützen ohne zu wissen wie ohne zu fragen wohin einfach so ohne Brücken von denen man ins Wasser springen kann, die nichts überbrücken



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Weit zurück liegt Czernowitz das märchengewesene mit den Kastanien das nicht gewesene doch die Kerzen machen noch immer im Gelaub den Frühling zum Gebet Unter den Linden wo Czernowitz nicht gelegen ist liegt die vergessene Stadt – unvergessen3

Wenn der Dichter, der das geschrieben hat, nicht mehr als diese Verse verfasst hätte, so wäre ihm, läge die Entscheidung in meinen Händen, schon ein Platz in der Geschichte der deutschen Lyrik des 20. Jahrhunderts sicher gewesen. Manfred Winkler war aber schon seit den Jugendjahren in Czernowitz ein ungemein produktiver Künstler. Als er am 12. Juli 2014 im Alter von zweiundneunzig Jahren in Tsur Hadassah bei Jerusalem starb, lagen acht Lyrikbände in deutscher Sprache vor, weitere vier in hebräischer Sprache und zwei Auswahlbände in englischer Übersetzung4  – das Werk eines sich über sieben Jahrzehnte erstreckenden Schriftstellerlebens  ; ein umfangreiches und vielgestaltiges Werk, das deutlich die Widersinnigkeit einer (nicht nur für einen jüdischen Dichter) katastrophalen Zeit wie auch die Bruchlinien beinahe des ganzen 20. Jahrhunderts widerspiegelt. Welche Dichtungen er in welcher Form und in welchem Kontext der Öffentlichkeit übergeben wollte, das hat Winkler immer selbst entschieden – zwischen 1958 und 1983 wurden beispielsweise allein Gedichte in hebräischer Sprache und englischer Übersetzung veröffentlicht. Insgesamt wurden zu Lebzeiten des Dichters an die siebenhundert deutschsprachige Gedichte publiziert – doppelt so viele unveröffentlichte Texte sind in seinem literarischen Nachlass zu finden, der im Archiv des Instituts für die Kulturgeschichte Südosteuropas (IKGS) München aufbewahrt wird. Bei der Aufarbeitung des Nachlasses, die ich mit 3 Winkler, Manfred  : Im Schatten des Skorpions, Aachen 2006, S. 94 f. 4 Tief pflügt das Leben, Bukarest 1956  ; Fritzchens Abenteuer, Bukarest 1958  ; Kunterbunte Verse, Bukarest 1958  ; Unruhe, im Verlag des Münchner Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 1997  ; Im Schatten des Skorpions, Aachen 2006  ; Im Lichte der langen Nacht, Aachen 2008  ; War es unser Schatten, Aachen 2010  ; Wo das All beginnen soll, Berlin 2014  ; Shirim [me-et], Tel-Aviv 1965  ; Ben etsbeʻot ha-ʻir  : shirim, Tel-Aviv 1970  ; Afar be-ʻimut  : shirim, Tel-Aviv 1979  ; Sfira Le-Achor – Count down, Selected Poems, Tel-Aviv 2000  ; If My Hands Were Mute. Selected Poems of Manfred Winkler, transl. by Mary Zilzer, Saint Louis 1979  ; Mirrored Darkness, transl. by Mary Zilzer, Saint Louis 1983.

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Monika Tempian

freundlicher Unterstützung des IKGS mit dem Ziel einer näheren Bestimmung der Chronologie und Kommentierung des Gesamtwerks in Zusammenarbeit mit Hans-Jürgen Schrader durchführe, ergaben sich interessante Einblicke in die poetische Werkstatt des Dichters und den von tiefgehenden Einschnitten und Wenden begleiteten kreativen Prozess, in dem er seine Texte gestaltet hat. Der Blick in die erhaltenen Manuskripte und Typoskripte offenbart uns ein poetologisch reflektiertes Schreiben, das mit ästhetischer Sensibilität das poetische Handwerk verfeinert  : Auf die erste, meistens in einem Zug entstandene Fassung eines Gedichts folgte das tage-, wochen-, ja sogar jahrelange Feilen an der Sprache, das wohl am treffendsten mit dem Gestalten eines Bildhauers zu vergleichen wäre.5 Von manchen Gedichten sind uns somit zwei, von anderen bis zu acht Fassungen erhalten. Ebenso reflektiert das Verhältnis zwischen dem vom Dichter autorisierten Werk und dem unveröffentlicht gebliebenen Material den hohen Anspruch, den er an seine Lyrikproduktion gestellt hat. Die kultur- und allgemeingeschichtliche Bedeutung der Dichtung Manfred Winklers wurde allerdings erst in den 1990er Jahren erkannt, als er auch den israelischen Staatspreis für Literatur (1999) erhielt und als führender Schriftsteller des Jerusalemer Lyris-Dichterkreises in den Internationalen PEN berufen wurde. Mittlerweile sind sich Forscher aus Israel, Deutschland und Rumänien, aus der Ukraine und der Schweiz einig, dass das Außerordentliche seines Werkes nicht allein in der Zeitzeugenschaft zu den traumatischen Geschichtsereignissen der Shoah, ihrer Begleiterscheinungen und mentalen Folgewirkungen zu erblicken ist, sondern auch in der hochkarätigen Qualität von deutschsprachiger Literatur aus mittelosteuropäischen und schließlich orientalischen Lebenswelten und Erfahrungsräumen. Manfred Winklers Lebensgeschichte war geprägt von Flucht, Vertreibung und Emigration, von Übergängen und Grenzüberschreitungen im unruhigen Suchen nach Geborgenheit, Nähe, Gemeinsamkeit und fortdauerndem Dichten in mehreren Sprachen. Das dichterische Werk des deutschsprachigen israelischen Autors ist zweifellos exemplarisch für das Grenzgängertum der entwurzelten »Jekkes« in seiner Reflexion auf die Traditionsmitgift aus der Bukowina und die spätere Beheimatung im Orient. Ortswechsel, Selbstsuche, Bewältigung disparater Wirklichkeiten sowie die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Weltordnungen sind zentrale Themen dieser Dichtung. Besonders interessant ist 5

Dass die bildkünstlerische Gestaltung ein elementarer Bestandteil des Schaffens Winklers ist, ist auch daran zu verfolgen, dass er zahlreiche plastische und graphische Arbeiten nicht nur als autonome Kunstwerke schuf, sondern in Form von Illustrationen unmittelbar in seine schriftstellerischen Arbeiten einfließen ließ. Die Symbiose von Bild und Text macht nicht zuletzt auch die Einzigartigkeit vieler Manuskripte aus.



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dabei, wie die Grenze als ein Phänomen des Raums und der Zeit in seinen Gedichten erfahren wird  ; wie die Bereiche des Einst und Jetzt oder auch des Zukünftigen aufeinander abgestimmt sind, wie sie zusammenfinden, sich vermischen oder auseinanderfallen. In zahlreichen Briefen, Interviews und Gesprächen hat Winkler darauf hingewiesen, dass Poesie für ihn nicht etwas willentlich zu Veranstaltendes ist, sondern eher etwas unkalkuliert aus Anschauung und Empfindung, spontaner Eingebung und Erinnerung zur Gestalt Findendes, ein Prozess, in dem die Grenze als trennendes Element erfahren werden kann oder aber als Ort, wo der Horizont erweitert, Übergänge und neue Erfahrungen möglich gemacht werden, sodass die Grenzenlosigkeit oder Entgrenzung zum Synonym für Nähe und Gemeinsamkeit wird. Das soll im Weiteren näher veranschaulicht werden. Die Ankunft im »Land der Väter« im Alter von siebenunddreißig Jahren war für den Bukowiner Lyriker eng verbunden mit existentiellen Schwierigkeiten, wirtschaftlicher Bedrängnis und mannigfachen, durch das Zeitgeschehen und den Verlust der Sprach-Heimat bedingten emotionalen Spannungen. Dass er seine Übersiedlung in die neue-uralte Heimat trotzdem oder gerade deshalb mit jener Exterritorialität assoziiert, die Erkenntnis und Schreiben erst ermöglicht, macht den innovativen Ansatz seines künstlerischen Schaffens sichtbar. Ausführlich berichtet der Dichter über diese Wendezeit  : […] es war einerseits das große Erlebnis der Freiheit, andererseits das nie gekannte Gefühl, im eigenen Land zu sein, mit eigenem Boden unter den Füßen. Ein sehr intensiver und schöpferischer Zeitabschnitt von mehreren Jahren setzte ein, trotz der ungeheuren Schwierigkeiten, die mit der materiellen und gesellschaftlichen Eingliederung ins neue Leben verbunden waren. […] Ich könnte diese Zeit mit einem Improvisieren in starken Akkorden auf einem Klavier vergleichen. Akkorde, die einmal verklungen, nicht mehr wiederkamen.6

Die biblische Stadt Jerusalem mit ihren Tempelruinen und mythischen Mauern, die spröden grau-gelb-braunen Landschaften der Wüste mit ihrer Monotonie der Unendlichkeit wie auch die Oasenparadiese am Toten Meer wirken befruchtend auf den frisch Eingewanderten, genauso wie das Erlernen des Hebräischen innerhalb von bloß zwei Jahren, das der Dichter als »ein sprachlich-musikali6

Sienerth ,Stefan  : »Daß ich in diesen Raum hineingeboren wurde…«. Gespräche mit deutschen Schriftstellern aus Südosteuropa , München 1997, S.  118 f. Ähnliche Aussagen sind auch in einem Brief an den Freund Hans Bergel, datiert auf den 5. Mai 1994, zu finden. Vgl. Winkler, Manfred/Bergel, Hans  : Wir setzen das Gespräch fort… Briefwechsel eines Juden aus der Bukowina mit einem Deutschen aus Siebenbürgen, Berlin 2012, S. 12.

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sches Erlebnis von ganz besonderer Art und Intensität« beschreibt.7 Da er mit seltener Gewandtheit die Rhythmen und Klänge mehrerer Sprachen handhabt und zugleich ein vom Sehen geprägter Mensch ist – wobei man hier vom Sehen als präziser Wahrnehmung sprechen könnte wie auch von einem ganz eigenen, inneren, sozusagen »visionären« Sehen –, entstehen in solchen Momenten der Inspiration Verse, die eine beinahe fotografische Beschreibung der Landschaft bieten und zugleich Konkretes und Abstraktes, Individuelles und Allgemeines verweben.8 Illustrativ dafür ist das Gedicht Weg nach Beer Schewa  : Weg nach Beer Schewa Wüstengras kriecht über Hügel, Hält und bedeckt den Sand, Der sich unendlich wellt Niemand gebietet ihm Halt. Er umflutet die Nähe Bis ins Unendliche. Er gleitet hinauf und hinab – Wie das Meer. Kein Baum, nur zuweilen ein Strauch Bricht Farben und Wellen. Um eine Hütte Flattert ein Vogel. Staub –, von den Wegen Über die Hügel getragen, Lässt sie erzittern Im Glühen des Mittags – Und wachsen Ins Grenzenlose der Himmel.9 7 8

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Sienerth  : Daß ich in diesen Raum, S. 119. Ähnlich bemerkt auch Hans Bergel mit Bezug auf die spätere Lyrik Winklers, sie lebe »aus der Spannung zwischen und der Synthese von Sinnenhaftigkeit und Abstraktion, aus poetischem Drang zum Visionären und zur eigenwilligen Reflexion.« Vgl. Bergel, Hans  : »Die Liebe zur deutschen Sprache…«. Der israelische Dichter Manfred Winkler. Nachwort, in  : Winkler, Manfred  : Im Schatten des Skorpions, Aachen, 2006, S. 228. Erstveröffentlichung in  : Tempian, Monica  : Zwischenwelten  : Manfred Winklers Gedichte der Übergangszeit nach 1959, in  : Aescht, Georg/Dácz, Enikő/Kührer-Wielach, Florian (Hg.)  : Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Regensburg, 2016, S. 97.



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Weiterhin ist dem künstlerischen Schaffensprozess im Zeichen des Übergangs eine das Vergangene wieder-holende, wiederaufholende Bewegung, ein Moment des Eingedenkens der Herkünfte eingeschrieben, so dass die lyrischen Produktionen dieser Jahre mit den Worten des Dichters zu verstehen sind als »Zeugen und Zeugnisse jener Zeit, die aus der Erinnerung und dem Leben nicht wegzudenken ist.«10 Die Konfrontation mit den politischen und militärischen Spannungen im Nahen Osten, die 1959 zur Gründung der Fatah durch Jassir Arafat führen und 1967 im dritten israelisch-arabischen Krieg kulminieren, gibt den ausschlaggebenden Impuls zur Auseinandersetzung mit dem Grauen des Krieges und den unaussprechlich schrecklichen Ereignissen der Shoah. Winkler registriert mit seismographischem Gespür die gefahrbringenden Veränderungen, spricht über seinesgleichen als »wir Dünnhäutigen, wir Verletzbaren«.11 Unweigerlich knüpfen sich an das in der Gegenwart Erlebte assoziativ auftauchende Bilder aus der Vergangenheit an, und der Erinnerungsarbeit im poetischen Schöpfungsakt ist es gegeben, die Bruchstücke einer leidvollen, unbeständigen Existenz zusammenzuführen und das Gedenken an die Opfer der Vergangenheit wach zu halten. Den dichterischen Schaffensprozess im Zeichen der Erinnerung beschreibt Winkler ganz bewegend  : Bilder stiegen aus der Vergangenheit auf, Erlebnisse, Eindrücke, die ich schon vergessen geglaubt, kamen wieder, deren Ursprung nur mir bewußt war, und auch dies nicht immer. Diese Begegnung von Gegenwart und Vergangenheit erzeugte große Spannungen, die im Widerspruchvollen und Überraschenden ihren Ausdruck fanden. […] Vergrabenes stieg auf und war da  : die Majestät der Vergangenheit im Augenblick  !12

Nichts wird vergessen. Alles ist Gegenwart durchtränkt von Vergangenheit  : Anklänge an Altvertrautes mischen sich in die Atmosphäre des Nahen Ostens ein, heimatliche Töne unterbrechen die Einsamkeit zur nächtlichen Stunde, und immer wieder erinnern Motive wie der Singsang der ruthenisch-huzulischen Bergbauern, die Berg- und Tälerlandschaft in chagallschen Farben und das Märchen aus alten Zeiten an die heile Welt der Kindheit, die das brutale Verbrechen der Shoah ausgelöscht hat. Dabei sind aber Czernowitz, die gekannte, erlebte, erlittene Stadt und die vielgeliebte, heimelige Waldlandschaft der Kar10 Sienerth  : Daß ich in diesen Raum, S. 116. 11 Winkler, Manfred  : Den Ahnungslosen, unveröffentlichtes Gedicht, in  : Nachlass Manfred Winkler, Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) München, September 1961. 12 Sienerth  : Daß ich in diesen Raum, S. 117.

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paten immer nur fragmentarisch, verstreut präsent, nie als Ganzes. Die große Spannung, erzeugt durch die Spiele einer assoziativen, sprunghaften Phantasie im unruhigen Suchen nach Orientierung, prägt sowohl den Inhalt als auch die Sprache der Lyrik Winklers. Exemplarisch steht hierfür das Gedicht Ich habe fremd in der Nacht gewacht  : Ich habe fremd in der Nacht gewacht auf meinen Händen lag ein Buch ich rief doch kein Laut kam zurück was wollt ich sagen  ? Die Tage tanzten um die Vogelbrut am Dach Fragen stauten sich an waren und waren nicht Auf meinen Lippen lag ein altes Wort ich wollt es sagen mein Mund blieb stumm – Ein Brunnen kam mir in den Sinn eine Eberesche in einem großen Hof und viele Pferde dann nichts ein Kind schrie plötzlich auf jemand sagte du zu mir doch ich war’s nicht Ich finde nicht den Weg zurück als hätt ich nie gelebt geliebt gehasst geschrien vor Schmerz vor Glück geweint Als hätt ich nie einen Traum gehabt auf einem kahlen Berg in den Quaderspalten einer Heiligen Wand eingekerbt einen verlorenen Traum13 13 Erstveröffentlichung in  : Tempian  : Zwischenwelten, S. 102.



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Dass die Grenze als trennendes Element erfahren wird und die zwei Bereiche des Einst und Jetzt auseinanderklaffen, ist auch in der Form des folgenden Gedichts mit seiner klaren Zweiteilung erkennbar  : Tagschafe die du suchst, Hirte sein, du trägst über den grünen Hang ihre bräunliche Wolle – Braunwolle von Sonne versilbert. Von den Schultern der Karpaten zittert ein Flötenspiel ins Tal. Wer gibt mir noch die Kraft der Träume zwischen den Klängen, wo hat sich mein Mond beheimatet  ? Bäume Gräber uralter zerrissener heimgewordener Orient14

Oft wird in solchen Gedichten dem Erinnern und Denken an die Bukowina das Bewusstsein des Uneinholbaren entgegengestellt. So etwa im Unzeit-Gedicht, wenn es heißt  : Ich ziehe durch die Welt einen Strich streiche mich durch, vielleicht bin ich dann eine Kröte die zum Prinzen ward, vielleicht ein Clochard unter den Brücken von Paris, vielleicht Jonas der Prophet auf der Flucht vor Gottes Gebot15

Ab und zu wird aber in der assoziativen Poesie Manfred Winklers die Grenze auch zu jenem Ort, an dem das Neue beginnt und die Horizonte sich weiten. 14 Winkler, Manfred  : Tagschafe die du suchst, in  : ders.: Unruhe, München, 1997, S. 28. 15 Winkler, Manfred  : Unzeit-Gedicht, in ders.: Im Schatten des Skorpions, S. 123f.

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Dann werden die diffusen Umrisse der bukowinischen Herkunftswelt um klare Bilder der Neuheimat ergänzt  : Bilder der Palmen- und Mauernstadt Jerusalem sowie des Steppenberglands um die Wohnung Winklers in Tsur Hadassah und der Küstenlandschaft der Sinai-Halbinsel. So heißt es in dem Gedicht Fremdschnee um Silberzeit  : Fremdschnee um Silberzeit weiße Hüllen überziehen die Bäume – Olive Feige und Mandel Weißspiel von Sternen, in der Luft reifer Erdduft von Nässe16

Oder in dem Gedicht Sinai-Wegreminiszenzen  : Jeder Weg hat seine Erinnerungen jeder Steg seine Felsenwände jede Erinnerung ihren Dornbusch, Blüten auf den Rändern der Wege führen in die Ferne, die Jahre – zur Verengung der Gefühle Erweiterte Horizonte spiegeln sich aus der Blautiefe des Meers17

Aufgrund der traumatisch und paradox erfahrenen Wirklichkeitsprägungen findet Manfred Winkler in den Gedichten der Zwischenzeit zu einer Bildlichkeit, die eine dialektische, kontrapunktisch angelegte Sprachschöpfung bevorzugt. Die Gedichte entbehren fast jeder Beschreibung. Kurze, stakkatoartige Sätze, oft auch nur einzelne Worte, hart und zugleich verwirrend – es haftet ihnen das tastend unbestimmte Moment des Dazwischen, des Flüchtigen an, als hätte sich 16 Ebd., S. 130. 17 Ebd., S. 158.



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der Raum gerade neu konfiguriert im Übergang vom Wachen zum Träumen, vom Wissen um die Welt des Vorhandenen zum Wahrnehmen des Anderen, des Entzogenen, des Verlorenen. Er verkläre nicht mehr, notiert er 1959. »Die Grenzen der Aussage« versuche er »durch das Wort-Gewicht zu erweitern.«18 Denn  : »Nur das Wesentliche ist wichtig, alles andere ist schöngeistiger Ballast.«19 Genauigkeit ist für diesen Dichter eine der wichtigsten Grundlagen seiner Texte, Genauigkeit der Mehrdeutigkeit eines der sonderbarsten Merkmale der Gedichte. Die Spannung solch einer konzentrierten und kombinierten Sprache muss enorm gewesen sein. Eine Entwicklung, die fasziniert. Die Tendenz, aktuelle zeitpolitische und sozialbedingte Geschehnisse in besonders reimfreien und interpunktionsarmen Gedichten zu evozieren, und der Verzicht auf jeden Versuch, in dichterischer Form aus dem Chaos der Zeit in ein ideales Nirgendwo zu flüchten, sind zweifellos markante Dominanten der »Übergangs«-Lyrik Manfred Winklers. Gleich Heine, Büchner, Brecht oder Celan schreibt auch Winkler in den Anfängen seiner hebräischen Zeit für den politisch emanzipierten, umfassend interessierten Leser, der bereit ist, sich mit der Zeitgeschichte auseinanderzusetzen wie auch mit dem persönlichen Schicksal dessen, der sich in den Verszeilen äußert. Durchgehend werden in seinen Gedichten die Landschaftsbilder aus der Naturwelt herausgerissen und in den Dienst der Zeitbeschreibung gestellt, wie das am Beispiel von Gedichten wie Rot glüht der Rauch leicht nachvollziehbar ist. Rot glüht der Rauch In das Helle. Rot brennt die Schlacke Am Rande des Blauen. Rot leuchtet der Mond In der Fülle des Runden, Wenn er dem Tale entsteigt Und Nacht sich erfüllt.20

Ebenso werden die biographischen Findungen in den verdichteten Sprachbildern gebrochen, so dass die selbstbekennenden Markierungen der biographischen Sphäre in Gedichten wie Mosque zahlreiche Mit- und Nebenbedeutungen auf zeitgeschichtlicher Ebene aufrufen.

18 Sienerth  : Daß ich in diesen Raum, S. 119. 19 Ebd. 20 Erstveröffentlichung in  : Tempian  : Zwischenwelten, S. 98.

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Mosque Schuhe, alte, zerlumpte, Neben neuen und eleganten – Nahe dem Eingang. Innen beugt sich die Barfuße Menge – beugt Ihre Stirnen zur Erde, Die weich und im Blauen Ein Teppich bedeckt. Im Hohen wölbt sich der Raum Andacht, Stille und Raunen umschließend, Bis die Stunden ihr Ende Und jeder Fuß seinen Schuh wiederfand.21

Dieser aus tiefster Anschauung und Empfindung andrängenden Lyrik haftet auch nie ein Wirkungskalkül im Sinne einer engagierten Literatur an  : »[E]her bildhaft«, notiert Hans-Jürgen Schrader, »im Ton der Trauer als aus appellativer Richterpose, sind die Anklänge an Politisches sowohl der Düsternisse von Krieg und Shoah als auch der jüdisch-arabischen Feindseligkeiten im eigenen Land instrumentiert […].«22 Es ist nur verständlich, dass die Handhabung der Sprache den Dichtungen der Übergangszeit Manfred Winklers einen besonderen Stempel aufdrückt. Wo ein Verharren in der »Sprache der Täter« unwillkommen war und den Verlust des Publikums bewirkte, war das Nachsinnen über die Herkunftssprache und deren Bedeutung für Selbstfindung, Welterschließung und Kreativität besonders intensiv. Die Einzigartigkeit der Sprache Manfred Winklers wird von Hans-Jürgen Schrader in einem unübertrefflich einfühlsam skizzierten Porträt des Dichters hervorgehoben  : Bei Anlässen zur deutschsprachigen Dichtung in Jerusalem, bei Lesungen oder Vorträgen im Goethe-Institut oder an der Universität, auf dem Mount Skopus und am Givat 21 Erstveröffentlichung ebd., S. 99. 22 Schrader, Hans-Jürgen  : »Gottes starres Lid« – Reflexionen geographischer und metaphysischer Grenzen in der Lyrik Manfred Winklers, in  : Corbea-Hoişie, Andrei/Lihaciu, Ion/Rubel, Ale­ xander (Hg.)  : Deutschsprachige Öffentlichkeit und Presse in Mittelost- und Südosteuropa (1848–1948), Konstanz, 2008, S. 100.



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Ram, ist mir seit meinem ersten Besuch 1988 der eindrucksvolle mittelgroße Mann mit der wuchtigen Stirn unter weiß-kräftiger Chevelure und mit ebensolchem Bart aufgefallen, mit seinem beobachtend-festen Blick aus den tiefliegenden, unbegrenzte Güte strahlenden Augen. In die landesüblich lautstarken und sich gern übersprudelnd echauffierenden Diskussionen mischt er sich selten, bedächtig und eigentümlich tagesenthoben, vom Theoriedisput weg führen seine Redebeiträge in die Anschauung und von da in Beobachtungen zur poetischen Form, ganz umstandlos gehen sie in Grundfragen der conditio humana über. Die volle, schon ein wenig altersrauhe Stimme spricht ein gewähltes und vollkommen nuancengesichertes Deutsch, so als lebte der Mann in beständig-germanophoner Umgebung. Die ganz leichte Färbung aber seiner Intonation und ein gemessen am heute im deutschsprachigen Mitteleuropa gesprochenen Deutsch leicht archaischer Zug von grammatischer Vollkommenheit und kostbar gehobener Lexik deuten doch auf ein Herkommen aus ferneren, ganz offenbar ehemals »ost-kakanischen« Landstrichen.23

In diese Zeit der geographischen, kulturellen und sprachlichen Grenzüberschreitungen fällt auch Winklers literarische Annäherung an Paul Celan und seine eingehende übersetzerische Auseinandersetzung mit den Versen seines Landsmannes. Die übersetzerische Arbeit war zweifellos von ausschlaggebender Bedeutung für die formal-gehaltlichen Veränderungen der Lyrik Winklers in den 1970er Jahren. Seine Faszination durch die Celanschen Rhythmen, durch die Melodie seiner dunkel gefügten Wörter und deren Übersetzungsmöglichkeiten ins Neuhebräische beschreibt Winkler in einem Doppel-Brief an Hans-Jürgen Schrader vom 30. Januar / 8. Februar 2009  : Zu diesem Thema möchte ich Dich aufmerksam machen auf einen bestimmten Aspekt. Celan hat natürlich sehr stark auf mich gewirkt. Ich habe diese Wirkung besonders stark bei der Übersetzungsarbeit gespürt – es war ein musikalisch-sprachlicher Einfluß, wie ich ihn selten erfahren habe. Da ich noch in den Anfängen meiner hebräischen Periode war, floß mir das Kompliziert-sprachliche seiner Dichtung aus der Feder. Ich war vollkommen benommen von diesem Erlebnis als wären es meine Gedichte. Sprachliche Schwierigkeiten besonderer Art übersprang ich, und es waren natürlich nicht wenige, und löste sie später. Das bezieht sich auf die Übersetzung.24 23 Ebd., S. 91. 24 Brief von Manfred Winkler an Hans-Jürgen Schrader vom 30. Januar und 8. Februar 2009, zit. n. Schrader, Hans-Jürgen  : Poetische Celan-Reminiszenzen und Erinnerungen an seinen Israel-­Aufenthalt 1969 im Jerusalemer Lyris-Kreis, bei Ilana Shmueli und Manfred Winkler, in  : Horch, Hans Otto/Mittelmann, Hanni/Neuburger, Karin (Hg.)  : Exilerfahrung und Konstruktion von Identität 1933 bis 1945, Berlin, 2013, S. 65–98, hier S. 89. Am 8. Oktober 1969, beim einzigen Besuch Paul Celans in Israel, hatte Winkler Gelegenheit, als Übersetzer Celans ins

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Dann wieder in einem anderen, 1994 datierten Brief an seinen Freund Hans Bergel betont der Dichter und Übersetzer, die »Liebe zur deutschen Sprache und Literatur« habe unter seiner Annäherung an das Hebräische nicht gelitten, »ich glaube eher, daß beide Sprachgefühle bereichert wurden.«25 Besonders in der dauernden Fluktuation zwischen Vergangenheit und Gegenwart – in Sprache, Bildlichkeit und evoziertem Zeitgeschehen  – wird eine Annäherung an die hebräische Lyrik erkennbar, deren Sprachbildlichkeit, von biblischen Assoziationen durchwoben, mit größter Leichtigkeit denotative Genauigkeit in konnotative Dichte verwandelt. In den 1990er Jahren scheint sich der Dichter dann wieder eines anderen zu besinnen  – wie ein Wanderer, der einen langen Weg geht, plötzlich innehält und sich besinnt. Nach langer Zerrissenheit atmen viele seiner Spätzeitgedichte eine bestimmte Ruhe aus, als würde sich der Dichter einem Hafen nähern. In den Sammelbänden der Altersjahre – Im Lichte der langen Nacht, War es unser Schatten und Wo das All beginnen soll – führt der Weg Manfred Winklers weiter zu einer raffinierteren Dichtung, die sich der jüdischen Thematik im Sinne der biblischen Weltweisheit öffnet und in wachsendem Maße in Selbstbeobachtung und Introspektion mündet. Die beiden Bereiche des Einst und Jetzt, die Hauptinspirationsmomente der früheren Dichtung, verschmelzen bis zum Nicht-Mehr-Erkennen ineinander. Gewagte Sprachexperimente werden seltener, die Gedichte etwas verständlicher, geschmeidiger auch in Klang und Sprachmelodie. Besonders in solchen kaleidoskopischen Gedichten mit mehrdeutigen Bildern erfährt der Leser das bei Grenzüberschreitungen entdeckte Bindende  – jenes dynamische Moment, in dem sich Sachverhalte überlappen und durchdringen, in dem die Abgrenzung vom Anderen wie auch die Gegensätze von Tag und Nacht, Winter und Sommer, Oben und Unten verschwinden. So schiebt sich in dem Gedicht Wo der Tag die Nacht liebt das Bild von der »Karpatenmulde« hinter das Bild des Grabmals des »Bruder Abschalom« vor der Ostmauer Jerusalems, und es bleibt dabei ungewiss, in welche der Welten die »Ziegenherde« und die »Frau in Schwarz« gehören, ob »ein langgezogener Blashornton« von einem Huzuleninstrument oder einem Shofar herrührt  : Wo der Tag die Nacht liebt In der Spiegelung blüht der giftige Oleander […] Neuhebräische und Moderator seiner Lesung im Journalistenhaus (Beth Agron) in Jerusalem aufzutreten. 25 Winkler/Bergel  : Wir setzen das Gespräch fort, S. 12.



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Eine Zigenherde bahnt sich den Weg Eine Frau in Schwarz steht unbewegt Es ist die späte Nachmittagsstunde durch die man gehen muß bis zum Löwentor an der Höhlengruft vorbei […] Oh diese Erlebnisse alter und mittelalterlicher Begebenheit als wärest du, als käme ich aus einer Karpatenmulde Karpatensteg, Kapelle – schindelüberdacht ein langgezogener Blashornton verzittert in Serpentinen Die Luft ist wie Blei und Wachs ein Sandschiff segelt über die Hügel im Wüstenwind Ich gehe schon doch weiß ich nicht wohin26

Der Prozess des Grenzüberschreitens und Bilder-Vermischens wird nochmals mit-thematisiert in dem Gedicht Kindheit, diesmal allerdings mit relativierendem Unterton  : Kindheit Kindheit die anders war Als ich sie jetzt sehe […] Ich finde nicht das Ausbrechen in Tränen, und die Brücke dahin verfließt als wär sie nicht Bergnebel und Realität in einem Wie durch tiefes Wasser seh ich sie Und sehe nichts27

Als Bild des Erinnerns und Verlangens nach Bindung und Gemeinsamkeit wohl am heilsten ist das Gedicht Sehnsucht, in dem der Erinnerungsfluss in die 26 Winkler, Manfred  : Wo der Tag die Nacht liebt, in ders.: Im Schatten des Skorpions, S. 136. 27 Ebd., S. 129.

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Vergangenheit durch einen Moment vergleichbarer Stimmung im Jerusalemer Wohnhaus aufgerufen wird  : Ruhe ist in meinem Zimmer, von ferne dringt der Gassen Laut herein, hier ist mir alles so traut und lieb, und ich bin so allein. Dann kann es wie vor Zeiten sein, die ich im Suchen längst vergaß, ich seh den Berg im Mondenschein und Blütensterne ohne Zahl Mir ist, als wäre ich dann wieder ein Kind und alles bloß ein Traum, ich höre die Huzulenlieder und Wälder rauschen, Baum an Baum28

Und ab und zu wird in solchen Gedichten dem Erinnern und Denken an die Bukowina das Bewusstsein des Uneinholbaren sogar als akzeptiertes Faktum entgegengestellt. So heißt es in dem Gedicht Ein Bild an der Wand bezogen auf die optische Auslösung und Stütze der Erinnerung  : Ein Bild an der Wand Die Flucht aus den Jahren – museal hängt sie an einer Wand in Farben der Erinnerung stempelt vorübergegangene Jahre – Pinselstrich und Wort […] Das Gedicht erwacht aus dem Schlaf – Niemandsland ein Bild auf der Wand verklungenes Versmaß abendlicher Brand eines Labyrinths hinter den Fichten29 Oder im Unzeit-Gedicht als Schlussstrophe  : Es war einmal eine zeitlose Zeit unter den Karpathenfichten, 28 Ebd., S. 174 29 Ebd., S. 125.



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der viereckige Brunnen mit dem großen Rad vor dem Haus, die grüngestrichene Glasveranda und die Bank auf der Vater saß mit den Büchern einer fragwürdigen Gerechtigkeit in der Hand – und las30

Beginnende Abgeklärtheit eines müden Menschen  ? Vielleicht weht uns auch ein Hauch von Todesnähe an, einer tröstlichen, denn Tod und Todesnähe sind jedem Dichter in solchen Augenblicken nah und bekannt. Wo ein Dichter Ruhe fühlt, streift ihn auch die kühle Hand des Versinkens. Immerhin ist Manfred Winkler schon über 70 Jahre alt und wird noch zwei Jahrzehnte lang gegen den Todesengel anschreiben. Hier ist wieder, in gewissem Sinn, das Erhabene zuhause. Höchst charakteristisch heißt es in dem Gedicht Von einer Brücke  : Von einer Brücke Wir sehen einander an und wissen kaum etwas übers Gehen in die Nacht und wie weit die Grenze sich verlegt hat kaum etwas übers Gemeinsame dort über dem grauen Berg31

Der zwischen alle möglichen und unmöglichen Heimaten gepurzelte Manfred Winkler findet zuletzt aber auch kein Zutrauen im Jenseitsgedanken. Das Gedicht Wir gehen uns selber entgegen veranschaulicht eindrucksvoll das Ringen mit Theodizeezweifeln des an der Grenze zwischen dem Diesseits und dem Jenseits Stehenden  : Wir gehen uns selber entgegen über den großen Weg stehen an der Grenze die durch uns geht halten uns an den Händen […] Doch wo Ewigkeit vor uns steht versagen wir, auch die die sich ihr gläubig

30 Ebd., S. 124. 31 Winkler, Manfred  : Von einer Brücke, unveröffentlichtes Gedicht, in  : Nachlass Manfred Winkler, IKGS München, o. D.

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zu geben vermeinen wenn die andern verzagen Auch sie, die ihr ganzes Leben wissentlich verneint haben wissen nicht mehr32

Bis in die späteste Zeit hinein fasziniert der Dichter Manfred Winkler durch seine unerbittlich ehrliche Auseinandersetzung mit dem Thema des Grenzgängertums. Die Substanz seiner Lyrik bleibt dabei über die Jahre hinweg unverändert, in seinen eigenen Worten  : Das Paradox und der Glaube gehören zur Grundlage meines Dichtens und meines Lebens. […] Licht und Dunkel, Tag und Nacht, Zeit und Ewigkeit – das klingt mir wie Akkorde und Rhythmen, diese seltsam bildschaffenden Wortklänge. Manchmal ziehen sie mich in die Tiefe, ich kämpfe mich mithilfe meiner Verszeilen wieder nach oben, sogar himmelwärts – und falle ebenso oft wieder auf die Erde als unsere letzte Instanz, wie immer wir es drehen und wenden wollen. Die Paradoxa zeugen den Urimpuls des Lebens.33

Seine aufrichtige Inventur – ein Antwortgedicht auf Celans Todesfuge (»er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft«) – erinnert nochmals daran, dass die bukowinische Welt der Kindheit und die Zwiesprache mit Freunden aus verschollener Heimat sowie europäischen Mustern der Dichtung bei allen Passagen, Übergängen und Grenzüberschreitungen portativer Lebensgrund des Dichters geblieben ist, das innerste Zentrum seiner Gefühle, der Quell seiner dem Leben sinngebenden Kreativität. Und die Fiedler fiedeln … und die Fiedler fiedeln ihres Todes hohe Fugen die lockengeschläften Fiedler mit den langen Bärten der Trauer und des Wahns ihre Kinder jedoch jubeln und preisen  : wir wollen miteinander Haschen spielen und blinde Kuh wir wollen miteinander spielen des Todes hohe Fugen wir wollen miteinander kreisen um den Ball 32 Winkler, Manfred  : Wir gehen uns selber entgegen, in ders.: Im Schatten des Skorpions, S. 219. 33 Winkler/Bergel  : Wir setzen das Gespräch fort, S. 79.



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wir toten Kinder der Toten. Reich uns deine bleiche Hand des Wahns, Mensch, zu diesem Reigen vor dem offenen Tor denn uns steht noch eine Ewigkeit bevor. Reich uns deine bleiche Hand zum Spiel vor dem Tor. Ein Abendmann spielt dort die abgrundtiefe Ruh Seiner kreisenden Hände wie ein Gebet. Reich uns deine bleiche Hand, Abendmann, unsre Welt ist eine handvoll Asche in einer aufgehenden Sonne und Saat von Dunkel umrahmt34

Es liegt auf der Hand, dass die deutsch schreibenden israelischen Autoren mit ihren Werken den Reichtum der deutschen Literatur vermehrt haben. Einigen wenigen, wie etwa Tuvia Ruebner, ist es auch gelungen, eine Parallelentwicklung durchzumachen und sowohl auf Deutsch als auch auf Hebräisch zu schreiben und auch zahlreiche eigene Gedichte neu zu bearbeiten und aus dem Hebräischen ins Deutsche zu übertragen. Treffend bemerkt Hans-Jürgen Schrader, das Leben und Dichten in zwei so unterschiedlichen Systemen wie das Deutsche und Hebräische habe bei diesen Autoren eine differenzierte Denkweise wie auch sensible Reflexion auf Impuls, Aura und Material der poetischen Äußerung befördert.35 Chassidische Inhalte und mittelosteuropäische Traditionen wie auch das anschauende Erleben im Altneuland durchwirken einander auf derartig gelungene Weise, dass sich die deutschsprachige Dichtung mit Texten wie jenen Winklers unvergleichlich neue Töne hinzugewonnen hat.

34 Erstveröffentlichung in  : Tempian  : Zwischenwelten, S. 102. 35 Schrader, Hans-Jürgen  : »I live in my motherland word« Language as Homeland and Poetic Impulse in German Language Jewish Poetry of the Emigration and Israel, in  : Tempian, Monica/ Levine, Hal (Hg.)  : Exile – Identity – Language. Proceedings of the IV. Jewish Heritage and Culture Seminar, Wellington 2010, S. 33.

Esther Dischereit

Whats App Golem _1 Ich kann nicht sagen, dass ich mit dem Golem auf Du und Du gelebt hätte. Zu Hause waren die Geschichten von Max Brod und ostjiddischer Mystik nicht präsent. Unser Judentum war deutlich von der Shoa gezeichnet, vom Vergessen, vom Vergessenwordensein, vom Verlust der Anderen und auch der Geschichten. Wahrscheinlich war es ja auch so, dass die Assimilierung der Großeltern, als sie einstmals aus Schlesien kommend, sich in Berlin heimisch gemacht hatten, auch darin bestand, sich darum zu kümmern, dass wenigstens die Älteste von den beiden Schwestern einen höheren Schulabschluss erwerben konnte, während die andere zusammen mit den Eltern in der Schneiderei weiterarbeitete. Die Ältere aber genoss als erste eine humanistische Schulbildung, die wegen Herrn Hitler nicht zu einem Studium oder Berufsabschluss führte. Später dann ich, auch ich erhielt eine humanistische Schulbildung. Ob es sich nicht vielleicht sogar um eine gewisse Empfindlichkeit gehandelt haben könnte in der Zurückweisung einer »Volkszugehörigkeit«, weswegen die »Volks«-Erzählungen auch eher abwesend waren, also eine »Überempfindlichkeit« wie Max Brod einmal Zustände beschreibt, wie er sie bei Westjuden diagnostizierte, vermag ich nicht zu sagen. Während der jüdische Religionsunterricht offenbar keinen sonderlichen Eindruck auf mich gemacht hatte, so anders war es mir mit den Gottheiten der Antike ergangen. Mit ihnen kannte ich mich aus. Insofern kam es einer Demonstration gleich, als mein erster Gedichtband den Titel trug »Als mir mein Golem öffnete« und, wie es der Zufall wollte, eben auch in der tschechischen Republik gedruckt war, in deren Hauptstadt Prag der Geburtsort des Golem, so sagt es die Legende, gelegen war. »Ich saß / vor deiner Tür / als / mir mein Golem / öffnete / führte mich / abseits / und strich / mir die Zeile / aus / jetzt fegst du / Staub / vor Deiner Tür« Ist das jetzt »mein Golem« oder der, den ihr mir andichtet … und warum »mir«  – strich »mir« die Zeile aus – bin ich jetzt selbst mein eigen Golem  ? Nehm` ich ihn an und mit und bin ich er oder ich und wäre also zweimal Ich  ? »Ich wurd / als golem / euch geboren / noch fünfzig Jahr / und später / ihr löschtet / uns die Silbe aus / und hängt mich / an dem Wort / und aleph / sein wir / tot geblieben / und aleph sein wir / tot geblieben« 1

Erstveröffentlichung der vollständigen Fassung in  : Jalta – Positionen zur jüdischen Gegenwart 3/2018 (2/5778), S. 67–73.

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Diese beiden Texte waren die Eingangsgedichte, der Band endet damit, dass ich meinen Namen esse. Der Golem ist selbst ein Namenloser. Er ist eine Figur, ein Begriff, ein Abstraktum und doch konkret, so konkret, dass ihn sich Paul Wegener, der Regisseur des legendären Films »Der Golem«, als großen »Rübezahl« – hätte ich beinahe gesagt – vorstellt, ein ungeschlachter grober Klotz, menschenähnlich, und doch arm an Mimik und kantig in den Gesten, wie jemand, dessen Motorik gestört ist. Wie ein Roboter mutete er späteren Generationen an und seine Seelenlosigkeit wird überführt in die Welt der Computer und künstlichen Intelligenz. 1999 erschien das europäisch-jüdische Magazin Der Golem, herausgegeben von einer unabhängigen Gruppe jüdischer Künstler_innen, die sich als Europäer verstanden. Das Magazin erschien in Deutsch I Englisch I Französisch. Die He­ raus­geber*innengruppe Meshulash hatte schon 1997 in der ehemaligen Synagoge in der Brunnenstrasse 33 in Berlin-Mitte eine Golem-Figur platziert, zunächst ein Happening. 1998 begegnete mir Der Golem erstmalig leibhaftig bei AHAWAH in der Auguststraße 14/16 in Berlin-Mitte, einem ehemaligen jüdischen Krankenhaus, Zufluchtstätte, dann jüdisches Kinderheim, später Waisenhaus, »Sammelstelle« für Juden vor der Deportation, zu SED-Zeiten Max Planck EOS. Ein Haufen Erde, dann eine menschenähnliche Figur, platziert auf einer Trage. Der Wachmann, der das Objekt bewacht, so wie die meisten jüdischen Einrichtungen in der Stadt bewacht werden, habe Angst gehabt, hörte ich, als er den »Mann« gesehen habe, und sei davongelaufen. Mir war die Vergegenständlichung merkwürdig, wahrscheinlich hatte ich den Golem für einen spirituellen Zustand gehalten und tue es noch. Und wahrscheinlich halte ich ihn auch für ein universales Phänomen, weswegen er mir in Prag so vertraut und fremd ist wie in Detroit oder andernorts. Wenn ich am Mural von Pollock – sprang er in die Höhe, damit er die Leinwand erreichen konnte  ? was sprang oder malte ihm, als er malte  ?  – vorbeigehe, an den Murals von Diego Rivera, an Frieda Kahlo denke, die sich kaum bewegen konnte und dann an Henry Ford … wir entäußern uns. Mensch und Maschine sind miteinander verschmolzen, die Materie trüge den Sieg über die Lebenden davon  ? Wer bist du, der sich aus sich selbst entäußert, hinausgeht und sich formt nach einem Bilde  ? Nicht nur kann ich in ihm das Bild der Bilder kennen und erkennen, ich kann es finden unter Hunderttausenden  : facial recognition and finding algorithms. Wie finde ich mich oder den anderen, das Gesicht des anderen  ? Vielleicht ist das die falsche Frage und vielleicht ginge es ausschließlich um die Überwältigung des Ich durch meinen eigenen künstlichen Begriff. Mathematischer Lehm dringt in den Maschinen- oder EDV-Raum, in dem gekühlt die Rechner stehen. Durch die Netze der virtuellen Welt hindurch – ein Göttlicher, wer hier davonkommt, und sich durchzieht, bis das Werk in seiner archaischen Fassbarkeit vollendet



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ist. Wir brauchen die Koordinaten. Sonst nichts. Der da gefunden ist, das ist der Golem oder ich. Vom Bild zum tatsächlichen Geschöpf. Wen wünsche ich, gefunden zu haben – wem wünsche ich, gefunden worden zu sein – kenne ich mich, der, den du mit der Kraft deiner Zeichen im Netz verspürst. Im Kinderbuch Willi Wiberg – sagte der Vater, aber bitte nicht die Säge, und für das Kind wurde der Gegenstand Golem und Superman und Stiller Freund zugleich. Meine Tochter sah die Simpsons gerne im Fernsehen an. War es nicht so, dass die Erfindungen vom Küchentisch aus ihren phantastischen Lauf nahmen  ? Mitten aus der Moderne eines 21. Jahrhundert-Couch- und Sesselensembles mit den merkwürdigen Comic-Figuren, die sprechen wie Du und ich  ? Nur ein wenig höher in der Stimmlage, glaube ich. Zwischen diesen Figuren und dem lieb gewordenen Legenden-Bild klafft ein Spalt  ; ihn füllen Kartoffelchips, Chips, Mathematik, Allmacht. Ein ungeschlachter Mensch nach meinem Bilde – wer soll das sein  ? Ich und ein Ich mit urgewaltiger Kraft. So könnte ich mir die jüdische Weltverschwörung auch vorstellen, wie sie die Herrschaft übernimmt, nicht wahr. Der allmächtige Jude verbündet mit dunklen Mächten – King Kong mit dem schönen zarten weißen Mädchen – die affenartigen Züge verraten die Kreation des unbekannt verborgenen Fremden, dem Tier näher als dem Menschen, das Stigma, die Nazis. »Udiyo« nennen Kinder auf den Philippinen das Böse schlechthin und deuten auf die Römer. Während der Prozessionen suchen sie »Udiyo« auszuweichen, damit sie nicht mit ihm in Berührung kämen. Auf mich kommt der Golem zu, ist Lara Croft, ist eine schöne Schwarze Frau und anderntags als Mann und Frau zugleich. So vielleicht. Die kleinen Spielfiguren aber zu einem Riesenmonster zu erheben, dessen Schatten drohen, wem und wogegen  ? In der Legende geht es um die Errettung der jüdischen Bewohner der Stadt, um Abwendung des drohenden Pogroms, im Film von Paul Wegener um die Umwandlung des Dekrets des Königs, mit dem die Vertreibung der Juden beschlossene Sache gewesen sei. William Kentridge betritt mit einem Metronom in der Hand die Welten meiner Seele. So hielte er den »Golem« vor uns  ? Was hat er da, die Zeit, die Schöpfung. Aber schließlich wäre sie reduziert auf Null und Eins. Algorithmus. Immer wieder will ich sagen  : Alogorithmus, als könnte ich den Logos hineinschmuggeln. Vergeblich. Einmal geschaltet  : Ein. Wehe dir. Ich verstehe das, wenn du dir dein eigen Golem wirst. Befremdlich ist das, wie ein Alien oder wie jemand, der zu lange im Matsch gelegen hat  ; vielleicht als Soldat oder auf der Flucht. Hier wird die Erde unangenehm, so süß, dass hungrige Menschen mancherorts davon essen. Zuletzt haben sich übrigens die Kinder des antiautoritären Kindergartens Matsch ins Gesicht geschmiert oder

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sonstwohin oder die, die am Strand liegen und im Meerwasser planschen. Nicht ernstblickende Erwachsene. Bitte, lieber Golem, geh  ! Setze einen Fuß auf diese Seite, einen auf die andere. Vorsichtig, dass du niemanden verletzt, und nimm sie auf, die Leute, die da warten aus Syrien, in Idomeni, in der Türkei, zerreisse die Zäune wie Spinnweb, damit die Menschen hindurchgehen. Halt ein, halt ein – nicht weitergehen und wen oder was zerdrücken mit deiner Hand und deinen Füßen. Kraft der Befehle befehle ich dir. Beuge dich, nimm sie auf, nimm die Leute auf, sie haben lange schon Krieg, da ist Krieg. Dann steige auf das Land, bleib stehen und die Geschosse würden zurückprallen auf die, die sie geschossen hatten – oder sie würden zerplatzen. Sich auflösen im All wie unbekannte Satelliten. Als sei da nichts zu wundern, dass sich bedeckt haltende Absender die Sphären durchstreifen. Ist der Golem ein Nationaler, ein Patriot oder eine Frau  ? Der Golem ist doch sicherlich ein Kosmopolit oder könnte man sich vorstellen, er gehörte nur mir  ? Oder der israelischen Armee  ? Da wäre die Geschichte vom David-gegen-Goliath zerbrochen. Der Golem hingegen hätte sich aus der Inkarnation des David entwickelt, sodass er sich fortentwickeln könnte aus sich selbst. Gefüttert mit Informationen aus Menschenhand. Ein Wort- und Buchstabenmaschinenprogramm, das wir mit Internet bezeichnen. Das Internet hat ein Gedächtnis. Das Angebot Golem erreicht rund 1,67 Millionen Nutzer und wird monatlich rund 8,34 Millionen Mal besucht. Es gehört zu den fünf wichtigsten Internetportalen mit Fokus auf technischen Themen. Steht im Internet. Es kann ja sein, mein Gedächtnis versagt. Seines nicht, es sei denn, ich zöge den Stecker. Bleib stehen, bleib stehen, mitten da, wo die Bomben heulen und der Krieg die Menschen zu Opfern und Leidenden macht. Beug dich noch mehr und wieder und nimm die Leute auf. Jetzt mach schon, nimm sie auf, bring sie heraus und setze sie behutsam ab – da darfst du nicht – nein, da – da auch nicht, da auch wieder nicht – dann bleib doch stehen, behalte die Leute in deiner großen Hand – bleib mit ihnen in der Hand so stehen – ich kann nicht sagen, wohin du dich zu bücken hast, damit du sie absetzen mögest deine zerbrechliche Fracht. Du musst sie jetzt sowieso bald absetzen, weil sie dir Stacheldraht um die Füße wickeln. Ich weiß, du wirst ihn schon zerreißen, aber dafür brauchst du deine Hände. Die Hände, mit denen du die Leute hältst. Unbill auf unserem Volk – oh du meine Güte, die Unbill ist … ich meine, man sollte der Unbill eine nationale Ecke zuweisen, damit sie sich darauf beschränkt oder einen Kasten, einen Fluss oder … sieh hier Esra aus Damaskus staatenlos  ; seit Generationen staatenlos  ; einmal kamen seine Leute aus Haifa. Esra geht morgen zu Audi in Neckarsulm und lernt Deutsch und Elektronik und vielleicht studieren … Golem, finde den Leuten den Platz. Du musst sie absetzen  : vorsichtig, vorsichtig, setze sie ab, du kannst sie nicht ewig auf den Tellern deiner Hände halten … du bist nicht



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Mensch, nicht G`tt, nicht Tier  – nicht was  ? Du bist lebende Materie … du bist nicht gut und bist nicht schlecht … kannst nicht entscheiden … hab dich geboren wie nie ein Mann ein Kind gebären kann … und bist mir fremd und doch vertraut … ich schaffe dich, wie niemand dich erschaffen könnte … du bist mein … nimm diese zarte Tänzerin vorsichtiger. Vorsichtig  ! Sie wird krank werden von deiner Grobheit … Golem, zart kannst du sein und mächtig und kannst Gebäude vor dem Einsturz retten … rette rette rette … du bist doch der, der nicht bestimmt – ich bestimme und wenn es Krieg gibt, machst du Krieg, und ich bestimme, lass dich laufen, Golem, schießen, weiß jetzt nicht, wie ich dich, ich bin es ja, der dich schießen lässt an meiner Statt und dann frag ich dich … hebe sie auf die Leute mit deinen großen Händen und halte sie fest … noch trägst du die Spuren meiner Schöpfung … sie werden verschwinden. Ich werde mich nicht mehr erinnern, niemand wird sich mehr erinnern … wie könnte ich dir Einhalt gebieten … ich müsste es jetzt wollen, den Knopf versuchen, der die Brust bedeckt – die Zeichen auf der Stirn  : emeth /Wahrheit Leben/. Löschte ich dir nur wenige Buchstaben, nur eine Silbe, kann ich dich den Toten übergeben. Du bist nicht Wort und auch nicht Fleisch. Eine Lebend-Kunst-Maschine. Oder eben dies alles nicht, nur eben Fiktion, Theater, Kino, Performance mit Erdflecken und lass dich leben und sterben wie eben da. Ich kann auch gehen wie ein Automat, keine Miene bewegen im Gesicht. Der Moonwalk Michael Jacksons, ich erinnere mich daran oder an die Flying Steps, wie sie mit Roboterarmen tanzten  : Popping in Berlin-Kreuzberg. Ich geb dich ein in meine Suchmaschine, dann lass ich ein Kind die Taste suchen. Vielleicht wird es sie finden … ich habe die Kombination vergessen. Wir sagen den Mächtigen Bescheid. Sie haben nicht gehört und weil sie nicht gehört haben, schickten wir ihn oder sie  : Geschöpf aus Wort und Materie. Wir schickten die Leiharbeitenden, die Befristeten und Unbezahlten aus, um die Ausbeuter zu besiegen. Diese Heerscharen taten ihre Pfennige zusammen oder Cent und kauften den Lehm und gaben Geld dem Mann, der ihn schuf und ließen ihn laufen wie einen Computer der ersten Generation. Bitte nicht Nixdorf. Es gibt ein Nixdorf-Museum, da stehen die frühen Golems herum, frei zur Besichtigung. Es könnte einer von ihnen sein, der zurückkommt mit einem Dekret in der Hand, darin steht, die Juden sollen ihre Häuser verlassen. Manchmal haben meine türkischen Nachbar*innen Angst. Sie denken, sie seien die Juden. A. hat einen Anruf erhalten, sie sei die nächste, deren Haus brenne. Einem anderen haben sie Schweineblut ans Haus geschmiert. Das war 1993 und 2016. Oder es kommt einer von ihnen mit einem Dekret zurück, darin erhalten sie die Gewähr, dass sie dableiben dürfen in der Gesellschaft. Allerdings versäumten sie es, den Golem abzustellen und gingen ihrer Wege.

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So wie der fromme Rabbi einstmals zu lange außer Haus geblieben war, sagt die Legende. Ihre Verträge waren verbessert worden. So geht er weiter, der Golem, ein Frankenstein-Geschöpf und von Faustischer Unsterblichkeit. Schön, vielleicht schön, warum nicht schön  ? Und erschreckend. Wie hypnotisiert geht er weiter und weiter an den Mauern des Diego Rivera entlang, entlang der Montagebänder und -straßen. Der Golem dieser Stadt trug den Namen von Henry Ford. Pass auf, dass Du ihn nicht erzürnst. Fürchterliches kann er tun. Bis er auf eine Tür trifft. Als er sie öffnet, fällt er ins Nichts. Niemand hat ihn abgestellt, ihm seinen Zettel aus dem Mund geholt. Wir warten voller Angst und voller Hoffnung darauf, dass er kommt, und vielleicht hat er den letzten der erteilten Befehle noch gehört. Ungeklärt sind seine Hintermänner, Hinterfrauen. Oder soll ich sagen  : seine Herrschaft  ?  ! Kaum zu glauben, dass sie lange auf einem Dachboden mit Adonai sich besprachen und unter Frömmigkeit und Gebeten sich an das Werk begaben. Ich meine den Befehl, dass er sich bücken solle und solle die Leute aufsammeln aus den Kriegsgebieten und woanders niedersetzen. Stattdessen hält er sie doch in der Hand und wenn er die Hand öffnet, dann würden sie ins Meer fallen. Ich sagte ihm  : sorgsam absetzen. Am Ende war es ein Kind, das die Taste fand. Da hatte er sie dort niedergesetzt, wo sie schon waren. Sie weinten. Die Trümmer des Golem bedeckten ihre Zelte. Das Kind hatte enter gedrückt und den Empfang ausgeschaltet. Die Worte waren der Schlüssel zu seiner Bewegung. Ich muss jetzt wollen, dass ich die Worte wiederfinde. Hab keine Wahl und geh, dem Monster Leben einzuhauchen. Es wunderte mich, dass der Rabbi in der Geschichte aus Prag nie wieder das Geschöpf erwecken wollte. Wegen der Gefahr, die von ihm ausginge. Dies wie hypnotisierte Geschöpf hatte ein gefährliches Eigenleben entwickelt, so als seien Befehle zwar wirksam, aber von wem gegeben  ? In der Medizin scheint die Hypnose allmählich zurückzukehren, auch als Selbsthypnose. Die Zeiten, in denen sie verdammt worden war, verblassen. Und ich würde befehlen  : Geh und tue  ? Die Zeitschrift Der Golem wurde nach drei Ausgaben eingestellt. Neue Golems werden erfunden.

TEIL 3  : ZIONISMUS UND JÜDISCHE GESCHICHTE

Manja Herrmann

Emotions in Jewish Nationalist Garb Wilhelm Herzberg’s Novel Jewish Family Papers  : Letters of a Missionary (1868) “To the Father of all livings belongs each emotion of our heart. Burning love and gratitude, fidelity and humility, fill the hearts of the Hebrews.”1 This quote is taken from the fascinating, but mostly forgotten, Jewish nationalist novel by Wilhelm Herzberg, Jüdische Familienpapiere  : Briefe eines Missionairs, which was published in German in 1868 and translated into English as Jewish Family Papers  : Letters of a Missionary in 1875.2 Obviously, it utilizes deeply emotional vocabulary. Therefore, it is not only an important additional source for our understanding of proto-Zionism, which usually centers on Moses Hess (1812–1875) and his Rome and Jerusalem (1862),3 but it also allows us a glimpse into the utilization of emotions in early Jewish nationalist discourse. 1

Herzberg, Wilhelm  : Jewish Family Papers or Letters of a Missionary. Trans. from the German of Dr. Wilhelm Herzberg [«Gustav Meinhardt”], by the Rev. Dr. Frederic de Sola Mendes, New York 1875, p. 151. The novel played a central role in one of the chapters of my dissertation Concepts of Authenticity in Early German Zionist Discourse 1862–1914 (Ben-Gurion University 2015), which I wrote under the supervision of Professor Mark H. Gelber. It is my pleasure to contribute to this Festschrift and thereby express my gratitude towards him for all his professional and personal help and encouragement over the last years. For this article in particular, I would like to thank Prof Susannah Heschel, Dr Noëmie Duhaut, Matthew Creighton, and Christoph Kasten for their generous remarks. 2 Meinhardt, Gustav [Wilhelm Herzberg]  : Jüdische Familienpapiere. Briefe eines Missionairs, Hamburg 1868. This epistolary novel was extremely successful at the time of publication, and remained immensely influential among later generations. After the anonymous edition from 1868, the novel Jüdische Familienpapiere appeared again 1873 (Hamburg  : Otto Meissner), 1893 (Zürich  : C. Schmidt) and 1879 (Frankfurt a. M.: I. Kauffmann). Next to the translation into English, the novel was translated into Dutch (Uit het leven van een Christelijk Zendeling Ter Bekeering der Joden, Rotterdam 1874) and into Hebrew (‫משפחה עבר''ם‬-‫כתבי‬, Kitvei Mishpaha Ivri’im, Jerusalem 1930). The influence of the novel is traceable even through the second generation of German Zionist thinkers (see Calvary, Moses  : Erinnerungen (unpublished), Central Zionist Archives Jerusalem, K13\13\13\1, p. 59). For further aspects of the novel, see also Herrmann, Manja  : Proto-Zionism Reconsidered  : Wilhelm Herzberg’s Early German-Jewish Nationalist Novel “Jewish Family Papers” and the Discourse of Authenticity, in  : Leo Baeck Institute Yearbook 62 (2017), p. 1–17. 3 Hess, Moses  : Rom und Jerusalem. Die letzte Nationalitätsfrage. Briefe und Noten, Leipzig 1862. English translation  : Rome and Jerusalem  : a study in Jewish nationalism. Translated from

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According to Stuart Hall, emotions are an elementary part of cultural history.4 It has been argued as early as 1987 that they inherently reflect social positions of disadvantaged minority groups.5 Therefore, after a brief introduction to the novel and its emotional patterns, I will show that these emotions display a Jewish reaction towards the discriminatory Christian culture. My article further asks, in line with scholar Sara Ahmed, “What do emotions do  ?” In the said novel, emotions are not only regulated with regard to Christianity, but also within Judaism itself, and accordingly, my analysis reveals the politics of emotion in early Jewish nationalist discourse.6 I argue that this emotional guidance not only enabled a political, but also a moral positioning of nationalist Jewishness. Moral Patterns in the Jewish Family Papers The plot of Herzberg’s novel reveals a clear moral scheme  : The story takes the form of an epistolary novel, which since the epoch of sensibility, has served to portray internal spiritual and emotional processes.7 The novel consists of 29 letters, which are written by the protagonist, Samuel, to his foster father in England. After Samuel, a born Jew, becomes an orphan at the age of five, his foster father takes him into his house. From that moment on, Samuel is raised in the Christian faith. Twenty years later, Samuel travels to Germany to visit his uncle, the brother of his father, in order to proselytize him and his family. But the numerous debates between him and his uncle, a rabbi, change Samuel’s attitude towards Judaism and also towards Christianity. Although Samuel is unhappy and tormented by nightmares at the beginning of the novel, he develops a state of wholesome happiness, once he finally rediscovers his Judaism and his true self. During his stay, Samuel meets the rabbi’s daughter, Rachel, whom he eventually marries. He also meets Benjamin, the rabbi’s youngest son, who has fallen in love with a Christian actress, while the eldest son has converted to Christianity and there is no contact between him and the other family members. The rabbi’s the German with introduction and notes by Meyer Waxman, New York 1918. Rome and Jerusalem is generally understood as the first manifestation of modern Zionist thought and secular nationalist Judaism in the German lands. 4 See Hall, Stuart  : Representation  : Cultural Representations and Signifying Practices, London 1997. 5 Steedman, Carolyn Kay  : Landscape for a Good Woman  : A Story of Two Lives, New Brunswick 1987. 6 Ahmed, Sara  : The Cultural Politics of Emotion, Edinburgh 2004, p. 4. 7 For details see Singer, Godfrey Frank  : The Epistolary Novel  : Its Origin, Development, Decline, and Residuary Influence, New York 1963.



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wife died after the eldest son abandoned Judaism. In the end, and especially by Rachel’s involvement, and with the help of his older brother, Benjamin is prevented from making the same perceived mistake and the whole family is reunited. A clear moral map is already drawn by the story itself, by the emotions utilized throughout, and by the “happy ending” in particular, but is further illustrated in the novel’s title. Since the issues of proselytism and the Christian mission are directly addressed in the subtitle of the novel (Letters of a Missionary), one can assume that these subjects are clearly central.8 From the very outset, however, the reader witnesses Samuel’s own doubts regarding his mission, which implies that the latter’s initial intention might be considered immoral. He arrives at his uncle’s house with a “beating heart” and is “[t]rembling with excitement”,9 and the rabbi’s warm welcome of hugs and cries of joy not only embarrasses Samuel but also reminds him of the day when he lost both his parents. He also recalls what his father said shortly before he died  : “[…] be on your guard [from the Christians, M. H.]  ; they try to convert us. They are not wicked, only narrow-minded. They think if they lead a son of Israel from the right path, that they prove the truth of the Crucified One  !« In the first letter of the novel, Samuel confesses that Christianity had always remained “a book with seven seals” to him.10 Here, we find a multitude of feelings that illustrate this complicated relationship. Samuel confesses to his foster father that he never internalized his teachings of Christian theology. In addition, the description of Jesus’ Passion shocked Samuel and caused him to have terrible nightmares, which also return on the way to his uncle’s. These apparent doubts, which resurface throughout the work, led Samuel Hirsch to categorize Samuel as a tinok shenishba (‫)תנוק שנשבה‬, as a “captured child” in his review in the orthodox periodical Jeshurun.11 Never  8 Wilhelm Herzberg was born on January 27, 1827 in Stettin in Prussia. Christian politics of conversion in nineteenth century Prussia were characterized by various aspects, which included “the convergence of ‘awakened’ religious voluntarism,” “the official goals and policies of a newly confessionalized and aggressively ‘missionary’ state of Prussia,” and the Jewish struggle for emancipation, which “forced mission societies to take up positions of principle on questions regarding the identity of modern Judaism in a Christian, Prussian state.” In short  : The question of conversion and Christian mission to the Jews was embedded in complex religious and political coherencies and resulted in activities of individuals, as well as of the state. See Clark, Christopher M.: The Politics of Conversion. Missionary Protestantism and the Jews in Prussia 1728–1941, Oxford 1995, especially p. 124–281, quotes from p. 3. See also Toury, Jakob  : Soziale und politische Geschichte der Juden in Deutschland, 1847–1871, Düsseldorf 1977, p. 51–68  ; Endelman, Todd (ed.)  : Jewish Apostasy in the Modern World, New York 1990.   9 Herzberg  : Jewish Family Papers, p. 8. 10 Ibid., p. 4. 11 Hirsch, Samuel A.: Jüdische Familienpapiere, in  : Jeschurun. Ein Monatsblatt zur Förderung

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theless, and even though he entertains grave doubts about his mission throughout the book, Samuel argues from a Christian point of view in his long ensuing debates with the rabbi about Judaism versus Christianity. The rabbi’s responses to Samuel’s attempts at conversion quickly reveal that the former is immune to them and thereby he is depicted as morally superior. He defends his stance regarding discussions with Christians by countering with a question  : “Shall the teacher learn wisdom from the scholar [German original  : Schüler]  ?” He then adds, “As long as they come to us and wish to instruct us, we can have nothing to do with them.”12 Additionally, the rabbi points out how obvious it is that Samuel is not trained in Talmudic study. Therefore, he “shall have to converse about things of which” he “never speak[s] to a Talmud-pupil, ay, never […] yet dared to speak.” The rabbi notes “[a]n ordinary scholar” of his “would laugh at the why’s and wherefore’s” that Samuel asks. This remark makes Samuel upset, leading the rabbi to reveal that this is because Samuel has been trained in “reason” and thereby his “heart has grown weary and uncertain of feeling the truth.”13 In other words, the rabbi’s immunity to Samuel’s arguments, as well as his conviction of Judaism’s superiority over Christianity, expose the tendency of the novel to establish Judaism as a moral agency in opposition to Christianity and proselytism.14 A Moral Guide for Proto-Zionists Part 1  : The Jewish-Christian Realm One important aspect regarding the novel’s aim, which is to construct a morally convincing nationalist Judaism, is the establishment of a distinction between Judaism and Christianity. The constructed opposition towards Christian culture and religion manifests itself in the novel through various counter-narratives. This model stems from postcolonial theory and is defined as the process of turning “the traditional master narrative around.”15 Master narratives in literature

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jüdischen Geistes und jüdischen Lebens in Haus, Gemeinde und Schule 15 (5629), April 1869, p. 213–227, here p. 216. Herzberg  : Jewish Family Papers, p. 18 f. Ibid., p. 20. Right at the beginning is also clear that the rabbi does not detract from his Judaism and Samuel has to adhere to the Jewish commandments in the house. Bamberg, Michael  : Considering Counter-Narratives, in  : Bamberg, Michael/Andrews, Molly (eds.)  : Considering Counter-Narratives  : Narrating, Resisting, Making Sense, Amsterdam 2004, p. 351–371, here p. 358. The value of postcolonial theoretical approaches has already been established within the field of Jewish studies, and the perspective on Jews as the internally colonized people of Europe has found much approval. This perspective is founded on the idea that Jews



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can be called “plotlines” or “masterplots”, but in a larger socio-psychological or cultural context they refer to “dominant” or “hegemonic discourses.”16 In the strongest sense, then, they offer a counter-narrative means to “revolt” against discriminatory master narratives  ; in the weakest sense they provide an alternative to a common narrative.17 The analysis will therefore focus on the emotional counter-narratives against Christianity, proselytism, and colonialism.18 In one of his letters, Samuel asks his foster father the provocative question  : “Indeed, the unprejudiced inquirer into history must ask himself the question in all seriousness  : did European civilization arise through Christianity, or in spite of it  ?”19 He goes on to explain how Christianity has “fostered priestly tyranny and the ignorance and stupidity of the masses,”20 and he sums it up as follows  : “Happy those who are repaid for the hypocrisy and wickedness of our lives by the glitter and show of our civilization  ! I am not  !”21 Additionally, Christian civilization is presented here as capitalistic, with “no other care than to make money” in “this noble race for wealth  ; without looking to the right or left, only to the golden goal, which the nearer we approach, recedes the farther” because where could “contentment” be “acquired with gain  ?”22 In short, Christian civilization is harshly criticized in the novel and depicted as something principally uncivilized, and particularly immoral. belonged to a minority culture within the hegemonic Christian culture of Europe. Although these important approaches have been highlighted in the study of Wissenschaft des Judentums and Reform Judaism (see Heschel, Susannah  : Abraham Geiger and the Jewish Jesus, Chicago 1998), their application to early Jewish nationalist discourse is yet to be undertaken. This task is becomes all the more important as one considers that this theoretical position also resonates with the study of the later history of Zionism and Zionist thought (see for example Penslar, Derek  : Zionism and Technocracy  : The Engineering of Jewish Settlement in Palestine 1870– 1918, Bloomington 1991  ; Vogt, Stefan  : Subalterne Positionierungen. Der deutsche Zionismus im Feld des Nationalismus in Deutschland 1890–1933, Göttingen 2016  ; Herrmann, Manja  : Zionismus und Authentizität  : Gegennarrative des Authentischen im frühen zionistischen Dis­ kurs, Oldenburg 2018). 16 Ibid. 17 See Heschel  : Geiger  ; Heschel, Susannah  : Revolt of the Colonized  : Abraham Geiger’s Wissenschaft des Judentums as a Challenge to Christian Hegemony in the Academy, in  : New German Critique 77 (1999), p. 61–85. 18 On counter-narration in national contexts see Bhabha, Homi K.: DissemiNation  : Time, Narrative, and the Margins of the Modern Nation, in  : Bhabha, Homi K. (ed.)  : Nation and Narration, London and New York 1990, p. 291-322. 19 Herzberg  : Jewish Family Papers, p. 71. 20 Ibid., p. 70. 21 Ibid. 22 Ibid., p. 71.

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In the novel, Samuel’s mission is linked to the larger context of the global Christian missionary activities in the nineteenth century. Samuel’s return to Judaism is closely connected to an increasing self-interrogation as to whether his plan to convert the family was ever a viable idea  : Why must I commence my attempt on one of the oldest civilized peoples in the heart of this sad Europe  ? Why not try the innocent children of Nature, if we have left any such remaining  ? I fancy I could have found men among the so-called savages who have leisure to be men  ; perhaps they would have undertaken the performance of those golden doctrines, perhaps have proved it was possible to be a Christian in more than name, for we Europeans and Americans are a god-forsaken people  : like the sick man weary of his couch, we throw ourselves impatiently from side to side, but in every position the same wounds burn us. It is a secret malady, and we do not like to speak of it  : we know it is incurable, and we try our utmost to conceal it. 23

The emotions displayed here, that is “sad Europe,” “sick man weary of his couch,” “impatiently,” “wounds burn,” and “secret malady,” are contrasted to moral terms such as “innocent.” Furthermore, the “innocent children of Nature” and the “socalled savages” are contrasted to the “sick” European culture and thus are in certain ways superior to them. Jews, on the other hand, were the “oldest civilized peoples in the heart of Europe”. First, Jews, like the “savages”, are also to be proselytized, as Samuel’s original plan makes clear. And secondly, the source underlines that Jews are not “savages” at all. On the contrary, in the novel they are consistently presented as superior to the Christian culture. This positioning serves as a tool for clearly distinguishing Jews from “savages.” The text goes one step further and questions the “universal remedy” that Europeans assume works against all this evil, that is, as Samuel exclaims, “Education  ! education  !” (sic)24 He criticizes this ideal on the following grounds  : “men who can read and write make as good murderers as the savages of primeval forest  ; crime has become more refined among our highly educated classes and is more successful in evading justice.”25 The criticism of the German ideal of education represents more than a mere criticism of civilization  : rather, it marks a certain attitude in early Jewish nationalist texts, which in turn implies a break with the German-Jewish ideal of Bildung.26 23 Ibid., p. 68. 24 Ibid., p. 69. 25 Ibid. 26 For the ideal of Bildung in German-Jewish discourse, see Mosse, George L.: Jüdische Intellektuelle in Deutschland. Zwischen Religion und Nationalismus, Frankfurt a. M. 1992.



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The alleged superiority and the spread of Christian ideas and “modern” European civilization is questioned when Samuel states  : A mudhut is as fitting a residence for men as a marble palace, sackcloth as good as silk  ; does not the lunatic who thinks he is a prince, and receives us on his straw-pallet, show us where the true value of things is to be sought  ?27

Christian missionary work is only one of the aspects of European Christian culture and politics that the novel comments on. The deeds of Christian missionaries, in particular, appear in the text as being closely linked to European colonialism. As we saw in the previous two sources, the Christian mission is bound up with colonial ambition and European expansion. In one of his long answers to Samuel, the rabbi equates European expansion with the spread of Christianity, which he depicts as a hypocritical power  : As far as the ocean rolls, the cry and the groaning of the oppressed rise to the Eternal, by reason of Christian violence. Their heart is hard as iron, and mercy they only know by name. Look at millions of our colored brothers enslaved and treated as no Shemite ever handled his cattle  : that is the empire of Grace. Look at the Red-skins, whom the backwoodsman shoots down without a scruple for having stolen some trifle  : the land is cleared of them as if they were some wild animals, and the audacious, greedy race of degenerated Anglo-Saxons in America chase the natives with fraud and violence from their possessions. They do not even give them a place of refuge, and when the simple people send emissaries to the President, to beg for instruction as to how they too can become rich as well as the white man, the assembly bursts into peals of laughter  : that is the empire of Grace.28

The colonial violence against “colored brothers” has no parallel in Jewish history, the rabbi argues, since “no Shemite ever handled his cattle” the way colonizers were treating the colonized. Next to the rabbi’s references to the “colored brothers” and the “Red-skins”, the brutal European expansion throughout Africa is also mentioned in the novel  : Behold what it has achieved on every foreign coast, where the European […] can reveal his true nature. Read the accounts of conscientious travelers, how the white man’s ava­ricious civilization has brought curse and death to the untainted children of nature. Read it, my heart sickens to think of it. In every one of our prayers, in the word ‘Peace’ 27 Herzberg  : Jewish Family Papers, p. 69. 28 Ibid., p. 180 f.

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we lay the secret longing of our souls at His feet  : the Arian nations have another watchword, it is ‘War’  ! […] I have read the accounts of the deeds of the French in Africa, and a soldier of the Foreigners’ Legion told me his experience. They robbed the Kabyles of their herds, the source of their livelihood, and boasted of their actions in heroic bulletins. Villages were stormed, old and young were slain, and that no trace might remain of these heroes’ visit, the pioneers of civilization set the plundered huts on fire.29

The polemical tone of this quote in reference to “heroic bulletins,” “heroes,” and “pioneers of civilization” underlines the hypocrisy of colonialism. Here, the criticism of colonialism is used to condemn not only Christianity and Christian culture, but also Christian “civilization” as a whole. The extremely critical view of the machinations of the European Christian hegemonic powers and their culture of war is, however, related here to an emotion, specifically the sickening of the heart. Additionally, Jewish culture is presented as a culture of peace. This connection makes it possible to revolt against Christianity from an idealistic point of view, and to make Judaism out to represent a healthier alternative to Christianity. After all, according to Samuel, “Jews alone possess the awful power of reality” and “have disdained to prostate themselves to hypocrisy, and in every age, in every land, when demanded, they have sealed their faith with their blood.”30 Christianity derives from Judaism, the “religion of love and sincerity”, but distorted the latter into a “religion of hatred and deceit.” Throughout the ages, Judaism has remained true to itself and thereby exemplifies the authentic opposite to the “rotting world.” It is of particular importance, that the previously-mentioned eleventh letter of the epistolary novel, which contains the critical remarks on Christianity, Chris29 Ibid. Interestingly, he adds  : “You ask whether we were any better when we formed a State  ? In the time of the first Temple, certainly not. But we did not persuade ourselves we had authority for our evil deeds. Spirited men were never wanting who held up to kings and people the mirror of their wicked lives, lashed them with the scourge of truth, as no Grecian orator, not even a Demosthenes, would have dared. Lashed them, I must say, too much. For as their souls were filled with the purest conceptions of justice and love, the smallest deviation from the right path seemed to them a heavy crime. True, we have sinned and merited our punishment a thousand fold. We were not authorized to wrangle and quarrel like the Heathens, for we possessed the eternal Torah and were bound to follow only that code for mankind. But the Christian with his laws stands forsaken on the iron earth. Neither his book nor his traditional customs can give him any instruction. His book contains the religion of women, his customs the religion of despots. So he vacillates between mawkish sentimentality and barbarism, as soon as the claims of real life present themselves. It is not long since a mad cry for vengeance against the revolted Hindoos rang through the length and breadth of pious England, its world-overwhelming missionaries and Bible societies notwithstanding.” Ibid., p. 181 f. 30 Ibid., p. 71.



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tian culture, proselytism and colonialism, actually describes a very emotional scene. The letter begins with Samuel writing, “How glad I am, dear father, that I have some one to write to, some one to whom I can tell what my heart compels me to utter.”31 The next paragraph introduces the romantic setting in which Samuel finds himself “alone” while outside “the snow is blowing through the air, the wind whistles and howls round the corners of the yard, and even agitates my window curtains.” His emotional and moral quest for his true self is illustrated by his wandering “to and fro” in his room.32 It is made clear that Western and Christian civilization brought Samuel into this desolate situation, and he admits to his foster father that “life has become a burden” to him. In Samuel’s words  : “But I have enjoyed neither with heart nor with senses, I have lived only with my reason, and can now no more endure this tyranny.”33 For the rabbi, too, there are certain emotional patterns, which accompany his attitude. The rabbi’s eldest son has converted to Christianity and has taken a Christian wife, who died shortly after the wedding. The rabbi’s own wife died as a result of her grief over her son’s abandonment. In addition, the rabbi’s youngest son Benjamin threatens to imitate his older brother and leave the family, because he has fallen in love with a Christian actress. Throughout the novel, therefore, one is confronted with the negative emotional consequences that the Christian hegemony has on the Jewish characters. A Moral Guide for Proto-Zionists Part 2  : The Inner-Jewish Realm Recent research has shown that during the 19th century, German-Jewish novels were published with clear Jewish political agendas.34 The novel Jewish Family Papers reveals early Jewish nationalist politics of emotion, that is, it delineates “appropriate” and “inappropriate” feelings,35 which provides a moral compass for the reader.36 31 Ibid., p. 67. 32 Ibid. 33 Ibid., p. 68. 34 See Ben-Ari, Nitsa  : Romanze mit der Vergangenheit  : Der deutsch-jüdische historische Roman des 19. Jahrhunderts und seine Bedeutung für die Entstehung einer neuen jüdischen Natio­ nalliteratur, Tübingen 2006. 35 Ahmed  : The Cultural Politics of Emotion, p. 3. Ahmed refers here to Norbert Elias’ The Civilizing Process from 1978 in which the “story of evolution is narrated not only as the story of the triumph of reason, but of the ability to control emotions, and to experience the ‘appropriate’ emotions at different times and places.” Ibid. 36 Lately, for the connection between emotions and morality, the concept “moral economy” has

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Judaism is constructed as a genuinely emotional entity. In the fourth letter, we get a first impression of Judaism as something that is perceived emotionally. Samuel asks, “where then is the Eternal of whom you speak  ?” And the rabbi replies  : In you […], in you  ! Do you not belong to the House of Israel  ? Does not the blood of Abraham run in your veins  ? Therefore are you appointed a revealer of the Eternal  ! He has written His will in your heart and in the fate of your people  ; you must fulfill it, in order that your brethren, the nations, may learn it. [I]f you do not feel it, I have been talking in vain  ! If it did not, long ago, draw you with mysterious power toward the ineffable  ; if a soft whisper has not warned you all through life, not to cleave to earthly things  ; if you have not instinctively felt delight in what is just, and antipathy for wrong, you are no true son of Judah  !37

Judaism appears as something authentic, which, according to the rabbi, is connected to sincere and true feelings, rather than to the hypocritical “idols of pleasure” his eldest son followed.38 The Hebrews “conceive by means of the organs of perception”, and when they “feel something” they “know it is there.”39 Particularly important here is the nationalist orientation. The rabbi explains that the “sole God, the Eternal Creator of the universe is an actuality, a reality to us, which we acknowledge from individual as well as national experience.”40 He adds  : The great folk races are differently formed according to their physical, and according to their spiritual faculties. The ground from which the human deeds and the ideas grow forth is the feeling, the poet’s image, the work of the hero, swell out of it  ; states and religions, society and family arise from it. These formations are differentiated according to races and nations, because the feeling is nationally different – so there are only national ideas. Therefore, the mind takes it, presents it, judges it, but does not create it. Like the feeling organ of a human, which is based on the ganglion, the self-conscious thinking is also differently adapted to the races  ; only the will, the dark power, which is based on the spinal cord nerves, is everywhere the same […].41

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been utilized. See for example Didier Fassin  : Compassion and Repression  : The Moral Economy of Immigration Policies in France, in  : Cultural Anthropology 20 (2005), p. 362–387. Ibid., p. 21 f. Ibid., p. 183. Ibid., p. 151. Ibid., p. 148. Not included in the English translation, see Herzberg  : Jüdische Familienpapiere, p. 212.



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In this source, the rabbi finds a rather rational explanation for the Jewish emotional setting, which is combined with his essentialist view of nationally different feelings. Furthermore, he gives sentiment a scientific background, which also illustrates his “rational” – or in this case  : “Christian” – side. However, the human emotions have to be subordinated to Judaism. The eldest son’s marriage with a Christian results in disaster, and the youngest son, too, is not allowed to follow his heart. On the one hand, this stance is congruent to nationalist theory, which requires from the individual to subordinate himself to the nation, and to merge his own will with that of the nation.42 On the other hand, there is clear evidence in the novel of the overlaps between this appropriation of emotions and the moral ideals of the bourgeoisie, especially with regard to its gendered character. For example, other people, particularly her father, regulate Rachel’s feelings. The rabbi’s position is made clear by his own words  : The “command of the Lord is of more account […] than any tender feeling of […] [his] human nature.”43 Nevertheless, after this sentence, the rabbi “rose with great emotion, and with trembling hand removed the curtain from the portrait of his eldest son”. This shows  : The rabbi’s own fatherly feelings toward his eldest son have to be suppressed in order to maintain the Jewish faith, since fidelity is portrayed as the highest virtue in Judaism.44 Conclusion By investigating Wilhelm Herzberg’s novel, Jewish Family Papers, this article has tried to stress the importance of analyzing emotions in the German-Jewish discourse as a whole, and in Jewish nationalist and proto-Zionist writings in particular. The broad spectrum of emotions utilized in the novel enables a specific analysis of the early Zionist period  : through counter-narratives against prejudiced Christian politics and culture, this text prescribes both moral guidance and clear emotional boundaries for Jewish nationalists. This includes adherence to the constructed morally superior nationalistic Judaism and compliance with its regulation of emotions, and indicates a strong link between emotions and a definite political agenda. Through the study of emotions, we can expect various new impulses regarding the emergence of Zionism in Germany and the role that sentiment plays within it.

42 See for example Elie Kedourie  : Nationalism, London 1961. 43 Herzberg  : Jewish Family Papers, p. 183. 44 Ibid.

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Jüdische Erfahrungen und Erwartungen im Ersten Weltkrieg 1919 hält der Leipziger Rabbiner Reinhold Lewin, der über die vier Kriegsjahre hinweg als Militärrabbiner im Einsatz war1, einen Vortrag mit dem Titel Der Krieg als jüdisches Erlebnis.2 In diesem Text stellt er eingangs die Frage, inwieweit der durchschnittliche jüdische Soldat ein von seinem nichtjüdischen Kameraden abweichendes spezifische Kriegserlebnis gehabt habe. In Annäherung an die Antwort auf diese Frage nimmt er eine Unterscheidung zwischen dem Erleben und dem Berichten des kämpfenden jüdischen Soldaten und jenem des »schwindelhaften, übertreibungssüchtigen Kriegskorrespondenten« vor.3 Diese Unterscheidung dient ihm zunächst zur Legitimation seiner eigenen Berichterstattung, sah er sich als Feldrabbiner doch in einer Zwischenposition zwischen dem Erleben der Soldaten und dem Berichten der Kriegskorrespondenten und all jener, die seiner Meinung nach den Krieg nie von der »Nähe« aus gesehen haben. Lewin geht es um die Absicherung seiner Position als Berichterstatter, um Nähe und Ferne zum Ereignis und der daraus folgenden Frage nach authentisch-legitimer Erzählung. Doch auch wenn er auf Basis seiner Zeugenschaft als Feldrabbiner den Anspruch erhebt, objektiv und authentisch über das Erleben der jüdischen Soldaten berichten zu können, ist auch sein Text einzuordnen in eine Vielzahl weiterer Erzählungen über den Krieg. Denn einen Zugriff auf ein »authentisches« Kriegserlebnis gibt es nicht. Vielmehr sind die Erzählungen und Zeugnisse des Kriegserlebnisses Produkte von Prozessen der Sinnstiftung, der Generierung von Kriegserfahrung.4 Erfahrung ist die individuelle oder kollektive Be- und Verarbeitung des dadurch mit Sinn und Bedeutung versehenen Erlebnisses.5 Dieses erfährt eine kulturelle und gesellschaftliche Einbindung, und der Inhalt des Erlebens ist ein1

Vgl. Hank, Sabine/Simon, Hermann/Hank, Uwe  : Feldrabbiner in den deutschen Streitkräften des Ersten Weltkrieges, Berlin 2013, S. 121–123. 2 Lewin, Reinhold  : Der Krieg als jüdische Erlebnis, in  : Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, Jg. 63 (1919), S. 1–14. 3 Ebd., S. 2. 4 Zur Frage eines jüdischen Kriegserlebnisses vgl. auch. Sieg, Ulrich  : Jüdische Intellektuelle im Ersten Weltkrieg. Kriegserfahrungen, weltanschauliche Debatten und kulturelle Neuentwürfe. 2. Aufl., Berlin 2008, S. 109–172, hier S. 109–111. 5 Vgl. Rogge, Jörg  : Kriegserfahrungen erzählen – Einleitung, in  : ders. (Hg.)  : Kriegserfahrungen

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gebettet in die mentale Disposition derer, die die Situation erleben. In gleichem Maße wie das Erlebnis mit der Erfahrung verbunden ist, ist auch die Erfahrung mit der Erwartung verbunden. Denn nach Reinhart Koselleck gibt es »keine Erwartung ohne Erfahrung, keine Erfahrung ohne Erwartung.«6 Darauf aufbauend gründen die Erwartungen im Hinblick auf den Krieg ebenso wie die während des Krieges gemachten Erfahrungen der jüdischen Bevölkerung in der Emanzipations- und Verbürgerlichungsgeschichte, in Religion und Traditionen sowie in den Diskursen über Männlichkeit, Militarismus und Patriotismus. Sie sind eingebettet in die multiplen Transformationsprozesse jüdischer Identitäten seit dem späten 18. Jahrhundert, die sich im Spannungsfeld von Religion und Aufklärung, von jüdischem Partikularismus und nationalem Egalitarismus sowie nationaler Homogenisierung bewegen. Zugleich unterliegen sowohl Erfahrungen als auch Erwartungen einem zeitlichen Wandel. Einmal gemachte Erfahrungen, so Reinhart Koselleck, wandeln sich mit der Zeit, sie sind zeit- und perspektivenabhängig und können auch falsche Erinnerungen beinhalten. Erfahrung ist gegenwärtige Vergangenheit, deren Ereignisse einverleibt worden sind und erinnert werden können. Sowohl rationale Verarbeitung wie unbewusste Verhaltensweisen, die nicht oder nicht mehr im Wissen präsent sein müssen, schließen sich in der Erfahrung zusammen. Ferner ist in der je eigenen Erfahrung, durch Generationen oder Institutionen vermittelt, immer fremde Erfahrung enthalten und aufgehoben.7

Zur Erfahrung gesellt sich schließlich noch die Erinnerung.8 Denn die Erinnerung an den Krieg ist eine von der Gegenwart aus gelenkte Interpretation der Vergangenheit, und auch an sie werden ganz konkrete Erwartungen und Sinnzuschreibungen gebunden. Sie dient jedoch nicht nur dem Gedenken an die gefallenen Soldaten, die erlittenen Leiden sowie der Trauer- und Traumabewältigung, sondern sie ist stets auch ein politischer Akt der Sinnzuschreibung und Kriegsdeutung sowie der Versicherung kollektiver Identität.9 erzählen. Geschichts- und literaturwissenschaftliche Perspektiven, Bielefeld 2016, S. 9–30, hier S. 13 f. 6 Koselleck, Reinhart  : »Erfahrungsraum« und »Erwartungshorizont«  – zwei Kategorien, in  : ders.: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. 4. Aufl., Frankfurt a. M. 2000, S. 349–375, hier S. 352. 7 Ebd., S. 354. 8 Die Beziehung von Erwartung, Erfahrung und Erinnerung war zentraler Untersuchungsgegenstand des von Petra Ernst-Kühr am Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz durchgeführten Forschungsprojektes »Deutschsprachig-jüdische Literatur und Erster Weltkrieg«. 9 Vgl. u. a. Winter, Jay  : Sites of Memory, Sites of Mourning. The Great War in European Cultural



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Erinnerung ist wie Erfahrung Bedeutungszuschreibung. Walter Benjamin geht in diesem Zusammenhang in besonderem Maße auf die Rolle des Erzählers ein. Er hält fest, dass die Soldaten zunächst verstummt aus dem Krieg nach Hause zurückgekehrt waren.10 Der Erste Weltkrieg als totaler und industrieller Krieg konfrontierte die Menschen mit bislang unbekannten Formen von Gewalt und Zerstörung, sodass die traumatischen Erlebnisse für Viele zu einem Verlust der Sprache, zur Unfähigkeit darüber zu berichten führten.11 Es gab keine historischen oder kulturellen Vorlagen, weder für die Soldaten noch für die Gesellschaften, denen sie angehörten, auf die angesichts der Gräuel hätte zurückgegriffen werden können. Es brauchte eine räumliche Distanz zwischen Front und Hinterland und/oder eine zeitliche zwischen dem Erleben und dem Berichteten, also der Erfahrung, um eine Sinnzuschreibung zu vollziehen, wie sie auch bei Lewin zu finden ist. Somit ist er ein Akteur neben vielen anderen, der am kulturellen jüdischen Narrativ des Ersten Weltkrieges mitgeschrieben hat. Aus dieser Perspektive ist die Frage nach dem jüdischen Kriegserlebnis, wie sie Reinhold Lewin in seinem Vortrag gestellt hat, im Grunde die Frage nach den von Zeit und Ort abhängigen jüdischen Kriegsdeutungen und Sinnstiftung. Sie werden sichtbar in den Erfahrungsberichten der Soldaten, der Memoirenliteratur sowie den Narrativen in jüdischen Zeitungen und Zeitschriften, ebenso wie in den jüdischen Kriegerdenkmälern und anderen Zeichensetzungen in Erinnerung an die gefallenen Soldaten im Weltkrieg.12 In all diesen Zeugnissen finden jene Ereignisse und Erlebnisse Platz, die mit Sinn und Bedeutung behaftet waren und in Narrative transformiert werden konnten. Kriegsnarrationen in der deutschsprachigen jüdischen Presse Lewin deutete mit seinem Text die traumatischen Kriegserlebnisse und massiven Kriegsopfer ebenso wie die im Laufe des Krieges durch den Antisemitismus History, Cambridge 1995  ; Koselleck, Reinhart  : Einleitung, in  : ders./Jeismann, Michael (Hg.)  : Der politische Totenkult. Kriegerdenkmäler in der Moderne, München 1994, S. 9–20. 10 Benjamin, Walter  : Der Erzähler. Betrachtungen zum Werk Nikolai Lesskows, in  : Erzählen. Schriften zur Theorie der Narration und zur literarischen Prosa. Ausgewählt und mit einem Nachwort von Alexander Honold, Frankfurt a. M. 2007, S. 103–128, hier S. 104. 11 Zur Unfähigkeit der Augenzeugen über das Erlebte zu berichten sowie der Bedeutung der Kriegserzählung vgl. u. a. Ulrich, Bernd  : Die Augenzeugen. Deutsche Feldpostbriefe in Kriegsund Nachkriegszeit 1914–1933, Essen 1997  ; Lamprecht, Gerald  : Feldpost und Kriegserlebnis. Briefe als historisch-biographische Quelle, Innsbruck 2001, hier S. 33–43. 12 Zur jüdischen Kriegserinnerung vgl. Lamprecht, Gerald  : Erinnern an den Ersten Weltkrieg aus jüdischer Perspektive 1914–1938, in  : zeitgeschichte 41 (2014), S. 242–266.

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enttäuschten Erwartungen der deutschen Jüdinnen und Juden positiv um. Für ihn mündete die jüdische Kriegserfahrung, zu der auch die intensive Begegnung mit der »ostjüdischen« Lebenswelt gehörte13, in einer verstärkten Hinwendung zum Judentum.14 Dies ist ein Befund, den man für die Habsburgermonarchie und die Republik Österreich nicht uneingeschränkt teilen kann. Für Österreich und hier vor allem Wien ist festzustellen, dass der Erste Weltkrieg eine weiterführende Heterogenisierung und Politisierung der jüdischen Bevölkerung mit weitreichenden Konflikten nach sich zog.15 Diese berührten eng miteinander verwobene Themenkomplexe  : das jüdische Selbstverständniss zwischen Konfession oder Nation und die damit verknüpfte Frage nach der Verortung als nationale oder konfessionelle Minderheit im sich ab 1918 vornehmlich deutsch verstehenden Nationalstaat, ebenso wie die Frage nach dem richtigen Umgang mit dem und der Reaktion auf den Antisemitismus.16 Im Folgenden sollen Narrationen des Krieges anhand von drei in Wien erschienenen deutschsprachigen jüdischen Zeitschriften mit je unterschiedlicher religiöser und ideologischer Ausrichtung diskutiert werden. Es sind dies Dr. Bloch’s Oesterreichische Wochenschrift. Zentralorgan für die gesamten Interessen des Judentums (seit 1884), die Jüdische Zeitung. National-Jüdisches Organ (seit 1907) sowie die Jüdische Korrespondenz. Wochenblatt für jüdische Interessen (seit 1915). Die »Wochenschrift« wurde von Rabbiner Joseph Samuel Bloch gegründet und bis 1920 von ihm herausgegeben. Sie verstand sich als Organ zur Abwehr des Antisemitismus und zur Stärkung jüdischen Bewusstseins. Auch wenn es von Seiten Blochs und seiner Redakteure immer wieder gewisse Sympathien für den Zionismus gab, wurden Zionisten in der Wochenschrift häufig kritisiert. Ab 1904, nachdem die Zeitung Die Neuzeit. Wochenschrift für politische, religiöse und kulturelle Interessen eingestellt wurde, übernahm die Wochenschrift die Funktion als zentrales Sprachrohr der Leitung der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde und repräsentierte die hegemonialen, den Zionismus weitgehend ablehnenden

13 Michael Brenner weist auf diesen Umstand besonders hin. Vgl. Brenner, Michael  : Jüdische Kultur in der Weimarer Republik, München 2000, S. 43. 14 Lewin  : Der Krieg als jüdische Erlebnis, S. 9. 15 Vgl. Pass-Freidenreich, Harriet  : Jewish Politics in Vienna 1918–1938, Bloomington 1991. 16 Die Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie verstanden sich als »Nationalstaaten« im ethnisch exklusiven Sinn der deutschen Nation. Das trifft nicht nur auf Österreich, sondern ebenso auf Ungarn, die Tschechoslowakei und Jugoslawien zu. Vgl. dazu Sundhaussen, Holm  : Von der Multiethnizität zum Nationalstaat. Der Zerfall »Kakaniens« und die staatliche Neuordnung im Donauraum am Ende des Ersten Weltkrieges, in  : ders./Torke, Hans-Joachim (Hg.)  : 1917–1918 als Epochengrenze  ? Wiesbaden 2000, S. 79–100, hier S. 98.



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Jüdinnen und Juden Wiens.17 Sie stand für ein Identitätsnarrativ, das Rabbiner Bloch als Antwort auf die Entwicklung des politischen Antisemitismus und den Liberalismus der Gemeindeleitung formulierte.18 Jüdinnen und Juden seien das »Staatsvolk«, sie seien Österreicher »sans phrase«.19 Marsha Rozenblit folgend kann die Identität der österreichischen Jüdinnen und Juden als eine dreiteilige beschrieben werden  : Loyalität gegenüber dem Herrscherhaus, »ethnische« Zugehörigkeit zum Judentum sowie kulturelle Verbundenheit gegenüber der deutschen, tschechischen, polnischen etc. Kultur.20 Die Jüdische Zeitung. National-Jüdisches Organ wurde 1907 vom »Innerösterreichischen Distriktscomité« des österreichischen zionistischen Landesverbandes gegründet und erschien unter der Herausgeberschaft von Isidor Margulies (1907–1911) und Alexander Geller (1911–1920) bis 1920. Ebenso wie die Wochenschrift hatte sie sich dem Kampf gegen den Antisemitismus verschrieben. Im Gegensatz zur Wochenschrift war sie jedoch jüdisch-national/zionistisch und säkular, was bedeutete, dass jüdische Traditionen im national-säkularen Sinn uminterpretiert wurden.21 Da die zionistische Bewegung in Wien zu Kriegsbeginn 1914 noch über eine geringe Anhängerschaft verfügte, ist die Bedeutung der Jüdischen Zeitung zu diesem Zeitpunkt für den öffentlichen jüdischen Diskurs sicherlich als untergeordnet zu betrachten. Dies sollte sich mit Fortdauer des Krieges aber immer mehr ändern. Die Gründung der Jüdischen Korrespondenz im Jahr 1915 ist eng verbunden mit der Person von Jonas Kreppel. Er wurde 1874 in Drohobycz in Galizien geboren, war Autodidakt und zunächst von 1895 bis 1915 Leiter von hebräischen Druckereien und Redakteur von mehreren hebräischen und jiddischen Zeitungen und Zeitschriften in Krakau und Lemberg.22 Parallel dazu war er externer 17 Zu Dr. Bloch’s Oesterreichischer Wochenschrift vgl. Toury, Jacob  : Die Jüdische Presse im Österreichischen Kaiserreich 1802–1918, Tübingen 1982, S.  74–82, hier S.  82  ; Lappin, Eleonore  : Zensur und Abwehr des Antisemitismus. Dr. Bloch’s österreichische Wochenschrift im Ersten Weltkrieg, in  : Nagel, Michael/Zimmermann, Moshe (Hg.)  : Judenfeindschaft und Antisemitismus in der deutschen Presse über fünf Jahrhunderte. Bd. 1, Bremen 2013, S. 299–316. 18 Bloch, Joseph S.: Der nationale Zwist und die Juden in Österreich, Wien 1886, S. 40. 19 Bloch, Der nationale Zwist, S. 41. 20 Vgl. Rozenblit, Marsha L.: Reconstructing a National Identity. The Jews of Habsburg Austria during World War I, Oxford 2001, S. 23–25. 21 Hecht, Dieter J.: Die Jüdische Zeitung (Wien 1907–1920). Ein nationaljüdisches Organ, in  : Lappin, Eleonore/Nagel, Michael (Hg.)  : Deutsch-jüdische Presse und jüdische Geschichte, Bd. 2, Bremen 2008, S. 57–68  ; Lappin-Eppel, Eleonore  : Gedanken zu Judentum, Krieg und Frieden in der Wiener jüdischen Presse während des Ersten Weltkrieges am Beispiel von »Die Wahrheit«, »Jüdische Zeitung« und »Jüdische Korrespondenz«, in  : zeitgeschichte 41 (2014), S. 200–221, hier 207. 22 Kreppel war unter anderem Chefredakteur der zunächst in Krakau und ab September 1913 in

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Berichterstatter und ab Jänner 1915 Honorarbeamter des Pressedepartements beim k. u. k. Ministeriums des Äußeren in Wien.23 Im Juli 1915 wurde er Vertragsbeamter des staatlichen Pressedienstes.24 Das Erscheinen der Jüdischen Korrespondenz, welche die Zeitschrift der Agudath Jisroel, der Weltorganisation der orthodoxen Juden war und sich vor allem an ein zumeist aus Galizien stammendes Lesepublikum richtete, kann somit in direktem Zusammenhang mit seiner staatlichen Tätigkeit gesehen werden. Das Blatt diente der Verbreitung der patriotischen Kriegsrhetorik innerhalb einer religiösen, antizionistischen und nur wenig politisch interessierten und aktiven Bevölkerungsgruppe.25 Der thematische Schwerpunkt kreiste um Galizien und die Leiden und Sorgen der galizischen und russischen jüdischen Bevölkerung. Kriegsbeginn, patriotische Euphorie und staatsbürgerliche Loyalität Als im August 1914 der Krieg begann, hatten Jüdinnen und Juden ganz konkrete Erwartungen an ihn. Vor allem Vertreter der liberalen, weitgehend verbürgerlichten Elite Wiens sowie weiterer jüdischer Gemeinden Österreichs interpretierten den bevorstehenden jüdischen Kriegsdienst der Soldaten ebenso wie die Kriegsunterstützung der jüdischen Bevölkerung als Teil der Emanzipationsgeschichte und des Kampfes um bürgerliche und gesellschaftliche Gleichstellung. Jüdische Kriegsdienstleistung war Teil des Emanzipationsversprechens, wonach im Tausch für die Bereitschaft, für sein Vaterland ins Schlachtfeld zu ziehen und auch zu sterben, die Partizipation am Gemeinwesen, die Mitgliedschaft in der Gemeinschaft zugesichert werde.26 In diesem Sinne war die Bereitschaft des

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Wien erscheinenden Tageszeitung Der Tag, die als »Zentralorgan der galizischen Juden« geführt wurde. Vgl. Neues Wiener Tagblatt, 27. September 1914, S. 13. Weiter zu Jonas Kreppel  : Kreppel, Jonas, in  : Jüdisches Lexikon. Ein enzyklopädisches Handbuch des jüdischen Wissens in vier Bänden, Bd. III, Berlin 1929, S. 891  ; Kreppel, Jonas  : Juden und Judentum von heute. Übersichtlich dargestellt, Zürich 1925, S. VIII. Kreppel ist Ende September 1914 nach Wien übergesiedelt. Vgl. Meldeauskunft Wiener Stadtund Landesarchiv. Österreichisches Staatsarchiv Wien, AdR, BKA, Präs/Personalakten Jonas Kreppel. Für Herbst 2017 ist die Monographie von Klaus Kreppel über Jonas Kreppel angekündigt. Vgl. Kreppel, Klaus  : Jonas Kreppel – glaubenstreu und vaterländisch. Biographische Skizze über einen österreichisch-jüdischen Schriftsteller. Unter Mitwirkung von Evelyn Adunka und Thomas Soxberger, Wien 2017. Kreppel war unter den Zionisten als Antizionist bekannt. Vgl. Hödl, Klaus  : Als Bettler in die Leopoldstadt. 2. Aufl., Wien 1994, S. 309 f. Zum Konnex Emanzipation und Militärdienst vgl. Schmidl, Erwin A.: Habsburgs jüdische Soldaten, Wien 2014, S 29–32. Aus einer transnationalen Perspektive konstatiert Derek Penslar,



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Bürgersoldaten27, den »Heldentod« zu erleiden, Beweis für die unverbrüchliche Loyalität eines jeden Staatsbürgers gegenüber dem staatlichen Gemeinwesen.28 Und aus jüdischer Sicht verband man mit dem Krieg zudem die Erwartung, dass auf die rechtliche Gleichstellung von 1867 endlich auch die vollständige gesellschaftliche Gleichstellung folge.29 Diese in den jüdischen Zeitungen generierten Erwartungen und Hoffnungen mündeten zu Kriegsbeginn in einen patriotischen Taumel, der im Fall der Wochenschrift und der Jüdischen Zeitung 1914 wie auch ein Jahr später in der Jüdischen Korrespondenz stets mit immer wiederkehrenden Loyalitätsbekundungen gegenüber dem greisen Kaiser Franz Joseph I. verbunden wurden.30 Franz Joseph I., in dessen Regierungszeit die Emanzipation gefallen war, wurde als Garant für die rechtliche Gleichstellung sowie die wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Entfaltungsmöglichkeiten der österreichischen Jüdinnen und Juden gesehen.31 Er wurde als friedensliebender Herrscher charakterisiert, dem der Krieg aufgezwungen worden sei und den er nun zur Erlangung des Friedens ebenso wie zur Befreiung der Jüdinnen und Juden aus dem Joch des Zaren in Galizien, der Bukowina und in Russland führen müsse.32 Der Topos der Befreiung der Jüdinnen und Juden aus der zaristischen Knechtschaft machte aus dem Krieg einen gerechten, einen heiligen Krieg.33 Die Autoren der Wochenschrift, unter ihnen zahlreiche Rabbiner, untermauerten diese Argu-

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dass bedingt durch die Kriegsereignisse und den stetig zunehmenden Antisemitismus von 1914 bis 1918 ein Wandel der jüdischen Erfahrung von den hohen Erwartungen zu Beginn des Krieges hin zu Verzweiflung und Terror in der revolutionären End- und Umbruchsphase stattfand. Vgl. Penslar, Derek  : Jews and the Military. A History, Princeton 2013, S. 155. Vgl. dazu Frevert, Ute  : Die kasernierte Nation. Militärdienst und Zivilgesellschaft in Deutschland, München 2001. Vgl. Buschmann, Nikolaus  : Vom »Untertanensoldaten« zum »Bürgersoldaten«  ? Zur Transformation militärischer Loyalitätsvorstellungen um 1800, in  : Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts 12 (2013), S. 105–126, hier S. 105. Vgl. Rozenblit  : Reconstructing a National Identity, S. 39. Zum Kaiserbild vgl. Rozenblit, Marsha L.: Memory of »Guter, Alter Kaiser« and the Role of Habsburg Loyalty in the Identities of Austrian Jews in the 19th and 20th Century, in  : Ernst-Kühr, Petra/Hecht, Dieter J./Hecht, Louise/Lamprecht, Gerald (Hg.)  : Geschichte Erben  – Judentum re-formieren. Beiträge zur modernen jüdischen Geschichte in Mitteleuropa, Wien 2016, S. 256–270. Vgl. dazu auch Dr. R. Färber  : Unser Kaiser, ein Sendbote Gottes. Predigten zum Allerhöchsten Geburtstage Se. Maj. des Kaisers Franz Joseph I. und aus anderen patriotischen Anlässen, Mährisch-Ostrau 1915. Jonas Kreppel eröffnet die erste Ausgabe seiner Jüdischen Korrespondenz mit einer Huldigung an Kaiser Franz Josef I. anlässlich seines bevorstehenden 85. Geburtstages. Vgl. Zum 18. August, in  : Jüdische Korrespondenz, 12. August1915, S. 1. Der Kaiser Franz Josef I., in  : Dr. Bloch’s Oesterreichische Wochenschrift, 14. August 1914, S. 1.

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mentation nochmals durch die Herstellung religiöser Bezüge und brachten die Kriegsziele der Habsburger auf einer weiteren Ebene mit jenen der jüdischen Bevölkerung in Übereinstimmung.34 Es war dies eine Argumentation, die auch noch anhielt, als sich die Hoffnungen auf ein schnelles Kriegsende zerschlagen hatten. Beispielsweise bilanzierte Jonas Kreppel im Juli 1917, dass es in diesem Krieg zwar immense jüdische Opfer vor allem in Galizien gegeben habe, doch seien diesen zahlreiche positive Errungenschaften wie der Sturz des Zarismus und die in Gang gekommenen Emanzipationsdebatten in Rumänien gegenüber zu stellen.35 Auch wenn in den deutschsprachig-jüdischen Medien die Loyalität gegenüber dem »Vaterland« stets im Zentrum stand, wurde doch auch darauf hingewiesen, dass Loyalität trotz erheblichen Homogenisierungsdrucks nicht im Widerspruch zu jüdischer Solidarität, einem Beharren auf jüdischer Partikularität stehen dürfe und könne.36 Diese Beharrung auf jüdischer Partikularität bei staatsbürgerlicher Gleichheit wurde in steter Betonung eines jüdischen Heldenmutes und dem Festhalten der Soldaten an ihrem Judentum artikuliert. Dementsprechend wurde vor allem in der Wochenschrift immer wieder über religiöse Feiern wie Pessach, Jom Kippur, Purim oder Channuka berichtet, und das Ausleben jüdischer religiöser Identität wurde dabei als alltägliche selbstverständliche Praxis der Soldaten beschrieben. Jüdischer Heldenmut wurde nicht nur als Heldenmut für das Vaterland, sondern stets auch als Bekundung eines bewussten Judentums erzählt.37 Die Jüdische Zeitung stimmte 1914 in die patriotischen Bekundungen der Wochenschrift ein und hielt ebenfalls fest, dass »die Juden die Treuesten unter den Treuen« seien.38 Sie untermauerte das damit, dass die jüdischen Soldaten und vor allem die leidende Zivilbevölkerung an der Ostfront bereitwillig große Opfer bringe, wobei die zionistischen Kriegserwartungen weniger die gesellschaftliche Anerkennung als die Entwicklung »unseres Volkstums« hin zu nationaler Gleichberechtigung im Blick hatte.39 34 Altmann, Adolf  : Jüdische Gemeinden, leget Kriegschroniken an  ! In  : Dr. Bloch’s Oesterreichische Wochenschrift, 6. Februar 1915, S. 154. 35 Drei Jahre Krieg, in  : Jüdische Korrespondenz, 19. Juli 1917, S. 1. 36 Sarah Panter thematisiert eben diese Konflikte und Spannungen um jüdische Loyalitäten und jüdische Solidarität während des Ersten Weltkrieges eindrucksvoll in einem Ländervergleich zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn, Großbritannien und den USA. Vgl. Panter, Sarah  : Jüdische Erfahrungen und Loyalitätskonflikte im Ersten Weltkrieg, Göttingen 2014. 37 Reich, Wilhelm  : Jüdische Kriegshelden, in  : Dr. Bloch’s Oesterreichische Wochenschrift, 11. Dezember 1914, S. 853–855, hier S. 855. 38 Die österreichischen Juden und der Krieg, in  : Jüdische Zeitung, 18. September 1914, S. 1 f., hier S. 1. 39 Unser Aufruf, in  : Jüdische Zeitung, 18. September 1914, S. 1.



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Wir glauben, daß die österreichischen Juden endlich einsehen werden, daß sie die Schmach der Assimilation von sich weisen müssen, daß es für sie nur ein nationales und politisches Bekenntnis gibt  : Das Bekenntnis zur jüdischen Nation und zu Österreich. Wir hoffen aber auch, daß die Regierenden in Österreich erkennen werden, wie wertvoll der Bestand des jüdischen Volkes für Österreich ist und daß sie im Interesse des Vaterlandes diesem jüdischen Volke vollste Gerechtigkeit und vollsten Schutz seiner nationalen Entwicklung gewähren muss.40

Bereits im Juli 1914 wurde diese Position von Egon Zweig artikuliert, indem er pathetisch festhielt, dass ein jüdischer Nationalismus keineswegs den jüdischen Patriotismus für das Habsburgerreich mindere. »Man hat uns von jüdischer Seite bisweilen vorgeworfen, der Zionismus sei mit diesem Patriotismus unvereinbar«, so Zweig, ein »Patriotismus zweiter Güte«. Dem hielt er entgegen  : Ja, wir wollen unseren Kindern den brennenden Schmerz ersparen, nicht als vollwertige Staatsbürger geschätzt zu werden, ja wir sehnen uns nach einem Vaterland, in welchem die Wellen der patriotischen und nationalen Begeisterung nicht nur ineinander spielen, sondern in gleichem Rhythmus, sich gegenseitig verstärkend, emporschlagen. Doch unser »Patriotismus zweiter Güte« ist echt, tief und klar, weil niemand das Gefühl der Treue, der Pflichterfüllung und des rückhaltlosen Opfertums so innig empfindet, als der dafür durch sein Sinnen und Trachten geschulte Zionist.41

In der Position Zweigs wie in weiteren Texten der Jüdischen Zeitung zeigen sich die zentralen zionistischen Kriegserwartungen. Es ging um den Durchbruch des Zionismus als Idee, die Anerkennung des Judentums als Nation und die Stärkung jüdischer Wehrhaftigkeit. Eine Zwischenposition nahm hier die Jüdische Korrespondenz ein. Sie rief 1915 vor allem in Richtung der Zionisten dazu auf, in erster Linie durchzuhalten und alles Erdenkliche zu unternehmen, um den Sieg herbeizuführen, anstatt sich voreilig Gedanken über die weitere Position im Staat und vor allem über die Beziehung zu anderen Nationalitäten zu machen. Zum Ausdruck kamen hierbei die besonderen Erwartungen der von der Jüdischen Korrespondenz repräsentierten Orthodoxie, die nicht zuletzt durch den Flüchtlingsstrom galizischer Jüdinnen und Juden nach Westen im Laufe des Krieges gestärkt wurde und zunehmend als politischer Akteur in Erscheinung trat. Denn

40 Die österreichischen Juden und der Krieg, S. 1 f. 41 Zweig, Egon  : Oesterreich und wir Juden, in  : Jüdische Zeitung, 31. Juli 1914, S. 1.

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die österreichische Judenschaft hat jetzt, wie alle anderen Völker der Monarchie, bloß ein Ziel  : Durchzuhalten und mit allen Kräften zur Erringung des endgiltigen Sieges mitzuhelfen. Ebenso wie der große Kampf alle Völker und Volksgruppen einander näher brachte, ebenso wird der große Sieg jenes herrliche Kaiserwort »viribus unitis« seiner Verwirklichung zuführen. Wir wollen hoffen, daß gar manche parteipolitische und Nationalitätenfrage in dem neuen Österreich jeden Boden verlieren wird.42

Und auch wenn in diesem Text von 1915 die Nähe von Jonas Kreppel zum Staat in Rechnung zu stellen ist, so zeigt er die Erwartung, dass durch die kriegsbedingte Kontaktintensivierung zwischen den »Ost«- und »Westjuden« ein geeintes österreichisches Judentum entstehe.43 Diese Position wandelte sich jedoch mit Fortdauer des Krieges, und an die Stelle des Appells zur jüdischen und nichtjüdischen Einigkeit und der Erwartung der kriegsbedingten Annäherung von »Ost« und »West« trat ein aktives Betonen der Forderungen und divergenten Positionen der österreichischen Orthodoxie gegenüber den Zionisten und Liberalen. Man brachte sich damit für die erwarteten politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen in Stellung, formierte sich und stellte schließlich die Forderung nach religiöser Autonomie ins Zentrum.44 Antisemitismus und die jüdischen Reaktionen Die ersten Kriegsmonate ließen die Kommentatoren in den jüdischen Zeitungen durchaus hoffen, dass all die in den Krieg gesetzten Erwartungen auch erfüllt werden würden. Der ausgerufene »Burgfriede«, verbunden mit der Siegeshoffnung, schien nicht zuletzt durch eine rigorose Zensur zu halten, und auch innerhalb der unterschiedlichen jüdischen Gruppen wurden Konflikte kaum thematisiert. In den ersten Kriegsmonaten gab es eine Welle der Solidarität mit den galizischen Kriegsflüchtlingen, die auch über die jüdische Bevölkerung hinausreichte. Die jüdische Loyalität, so die Erzählung der deutschsprachigen jüdischen Presse, wurde in dieser Phase von Antisemiten nicht in Zweifel gezogen, auch wenn die bereits 1914 einsetzenden Bestrebungen zur Dokumentation jüdischen Helden42 Jüdisch-politische Zeitfragen, in  : Jüdische Korrespondenz, 19. August 1915, S. 1. 43 Die galizischen und westösterreichischen Juden, in  : Jüdische Korrespondenz, 19. August 1915, S. 2 f.; Jüdisch-politische Zeitfragen, in  : Jüdische Korrespondenz, 26. August 1915, S. 1. 44 Ab 1917 beginnt sich die österreichische Orthodoxie organisatorisch zu formieren, und 1918 wird schließlich vom Verein zur Wahrung der Interessen des orthodoxen Judentums eine Konferenz der Orthodoxie in Österreich abgehalten, in der die zentralen Positionen und Forderungen artikuliert werden. Vgl. u. a. Konferenz der Orthodoxie in Österreich, in Jüdische Korrespondenz, 7. Februar 1918, S. 1.



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mutes in der Wochenschrift auf den stets präsenten und noch zu erwartenden Antisemitismus verweisen. Ganz in diesem Sinne publizierte man einen Aufruf des Verbands deutscher Juden und des Zentralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens vom August 1914, ebenso wie einen Text des Publizisten Moritz Frühling mit dem Titel Der Anteil der jüdischen Soldaten an den Kämpfen unserer Armee.45 Beide Texte forderten auf, die Zahl der kämpfenden jüdischen Soldaten zu dokumentieren, um potentiellen antisemitischen Angriffen entgegen arbeiten zu können. Weiters beschwor man den »Burgfrieden« und drang ab 1915/16 immer vehementer auf seine umfassende Einhaltung.46 Klage führte man darüber, dass die Zensur zwar streng über die Wahrung des »Burgfriedens« im Pressewesen wache, doch gerade bei antisemitischen Angriffen nachlässig agiere.47 Dies sei nicht zu akzeptieren, da doch die jüdische Publizistik sich sehr wohl an den Burgfrieden halte und ihre Aktivitäten zur Abwehr des Antisemitismus zurückhaltend gestalte. Dieses Verhalten geriet gegen Ende des Krieges jedoch in Kritik, als man eben dieser Zurückhaltung eine Mitschuld an der immer prekärer werdenden Lage der Jüdinnen und Juden in Österreich gab.48 Die jüdische Presse, allen voran die Wochenschrift, berichtete in den ersten beiden Kriegsjahren nur wenig über Antisemitismus und versuchte zugleich durch patriotische Texte ebenso wie durch die Veröffentlichung der Namen der gefallenen jüdischen Soldaten und der dekorierten »Helden« den jüdischen Patriotismus auf allen Ebenen hervorzuheben. Gleichzeitig nahm der Antisemitismus im Kontext der immer schlechter werdenden Versorgungslage an der Heimatfront und der in großer Zahl anwesenden und zu versorgenden Flüchtlinge stetig zu. Ein in diesem Kontext immer wieder erhobener Vorwurf seitens der Antisemiten war zudem eine vermeintliche jüdische »Drückebergerei«. Daher verwundert es auch nicht, dass die Reaktion der Wochenschrift auf die im Oktober 1916 eingeleitete »Judenzählung« im deutschen Heer kein empörter Aufschrei war.49 Vielmehr wurde die antisemitische Kränkung und Zurückweisung ins Positive gedeutet, indem man argumentierte  : 45 Vgl. Verband der deutschen Juden. Zentralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, in  : Dr. Bloch’s Oesterreichische Wochenschrift, 14. August 1914, S. 566  ; Frühling, Moritz  : Der Anteil der jüdischen Soldaten an den Kämpfen unserer Armee, in  : Dr. Bloch’s Oesterreichische Wochenschrift, 11. Dezember 1914, S. 855 f. 46 Vgl. z.B. Schreiber, Heinrich  : Burgfrieden, in. Dr. Bloch’s Oesterreichsiche Wochenschrft, 30. April 1915, S. 325 f. 47 Vgl. Der Gerichtssaal und der Burgfrieden, in  : Dr. Bloch’s Oesterreichische Wochenschrift, 10. November 1916, S. 731 f. 48 Schreiber, Heinrich  : Die Juden und der Deutschösterreichische Staat, in  : Dr. Bloch’s Wochenschrift, 25. Oktober 1918, S. 673. 49 Zur Judenzählung vgl. Rosenthal, Jacob  : »Die Ehre des jüdischen Soldaten«. Die Judenzählung

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Wir begrüßen diesen Beschluß  ! Wir wünschen ihn nicht nur ausgedehnt auf eine konfessionelle Statistik aller vom Militärdienste Enthobenen überhaupt, sondern wir österreichischen Juden wünschen dringendst und sehnlichst, daß auch endlich in Oesterreich von amtswegen statistisch die konfessionelle Zugehörigkeit aller vom Kriegsdienste Enthobenen ermittelt werde.50

Ähnlich auch die Reaktion in der zionistischen Jüdischen Zeitung  : Wir verlangen die Zählung der vom Militärdienst enthobenen Juden und die Feststellung des Verhältnisses zur Gesamtheit. Wir verlangen, daß diese Zählung gerecht vorgenommen werde, und alle Zweige der Verwaltung umfasse. Dem Resultate sehen wir sehr ruhig entgegen.51

Wie hier erkennbar, hielt man in der Wochenschrift trotz des zunehmenden und im Falle Deutschlands auch staatlich getragenen Antisemitismus Ende des Jahres 1916 an der eingeübten Abwehrstrategie fest. Aufklärung über und Betonung des jüdischen Patriotismus und der jüdischen Opfer sollten demnach die Antisemiten eines Besseren belehren. Der Kampf galt mittels des Kriegsdienstes der Verteidigung der Position innerhalb der Gesellschaft und der Wahrung der staatsbürgerlichen Rechte.52 Diese Position wurde von der Wochenschrift schließlich auch beibehalten, als 1917 eine Lockerung der Zensur einsetzte und mit dem Zusammentreten des Reichsrates ab Mai 1917 sowie im Zuge der Verschärfung der nationalen Gegensätze eine weitere Zunahme des Antisemitismus im politischen und öffentlichen Diskurs zu verzeichnen war.53 Auch die Jüdische Zeitung nahm von der Zunahme des Antisemitismus ab Ende 1916 und vor allem ab 1917 Notiz und verstärkte ihre publizistische Abwehrarbeit. Allerdings zog man aus den Entwicklungen andere Schlüsse als die Wochenschrift. Demnach könne nur eine Stärkung des nationalen Judentums sowie ein Zusammenschluss unter der Führung der jüdisch-nationalen Organisation die Antwort auf die Angriffe sein.

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im Ersten Weltkrieg und ihre Folgen, Frankfurt a. M. 2007, und mit einer etwas konträren Sichtweise Fine, David J.: Jewish Integration in the German Army in the First World War, Berlin 2012. Maximilian, Robert  : Konfessionelle Statistik, in  : Dr. Boch’s Oesterreichische Wochenschrift, 27. Oktober 1916, S. 698 f., hier S. 698. Jüdische Drückeberger, in  : Jüdische Zeitung, 3. November 1916, S. 1 f., hier S. 2. Vgl. Schreiber, Heinrich  : Die Juden und der Krieg, in  : Dr. Bloch’s Oesterreichische Wochenschrift, 29. Juni 1917, S. 405–407, hier S. 407. 1917, in  : Dr. Bloch’s Oesterreichische Wochenschrift, 5. Januar 1917, S. 2.



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Gewiss der Jude ist im Kriege jüdischer geworden und an diesen Umstand lassen sich schöne Hoffnungen knüpfen. Aber der Jude als Individuum ist nicht besser und die jüdische Gesellschaft nicht harmonischer geworden. […] Angesichts der ungeheuren Gefahren, welche das Judentum von außen und innen her bedrohen, heißt es, sich rüsten  ! Wenn der Frieden ein wehrloses Judentum antrifft, dann wird er es zerschmettern54,

so liest man in einem Beitrag im Oktober 1916. Und als im Mai 1917 der Reichsrat wieder zusammentrat und entgegen der Intention Kaiser Karls I. sich die nationalen Gegensätze verstärkten, schrieb Julius Löwy  : Die elementare Logik des jüdischen Nationalismus würde dann [wenn die Zionisten die Führung übernehmen würden,] über all die leisetreterische Diplomatik siegen, die in alter Betätigung der assimilatorischen Instinkte vergessen hat, daß die Politik endlich und schließlich die Ausführung einer politischen Idee ist. Und die politische Idee des Judentums ist  : Leben, ist der Zionismus.55

Die Jüdische Korrespondenz hingegen schien den zunehmenden Antisemitismus in Österreich nicht festzustellen und schrieb diesen in zahlreichen Beiträgen den Ländern der Entente zu. Allem voran war der Antisemitismus in Russland, aber auch derjenige in Frankreich, England und später in Rumänien und den USA Gegenstand der Berichterstattung. Wenn über antisemitische Vorfälle in Österreich berichtet wurde, dann vor allem nach der Wiedereinberufung des Reichsrates und im Kontext antisemitischer Agitationen von Mitgliedern des Polenklubs.56 Besonders hier ist die Nähe von Jonas Kreppel zur k.u.k. Administration erkennbar, und während die Wochenschrift ebenso wie die Jüdische Zeitung immer lauter vor Antisemitismus warnten, schrieb die Jüdische Korrespondenz, »daß man die Auslassungen eines Jerzabek und eines Funder nicht allzu tragisch nehmen darf und daß man der Zukunft nicht mit so schwerer Besorgnis entgegenzusehen hat, wie dies manche Schwarzseher zu verkünden belieben.«57

54 Rüstet Euch  !, in  : Jüdische Zeitung, 18. Oktober 1916, S. 1. 55 Löwy, Julius  : Das Parlament und die jüdische Politik, in  : Jüdische Zeitung, 11. Mai 1917, S. 1. 56 Vgl. u. a. Eine Judenstatistik, in  : Jüdische Korrespondenz, 12. Juli 1917, S. 2  ; Allpolnische Provokation, in  : Jüdische Korrespondenz, 6. September 1917, S. 1. 57 Die Juden und Österreich, in  : Jüdische Korrespondenz, 13. Juni 1918, S. 1.

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Gerald Lamprecht

Schlussfolgerung Der Erste Weltkrieg war im Vergleich zu den Jahren vor 1914 in all seinen Dimensionen eine tiefgreifende Zäsur für die jüdische Bevölkerung Zentraleuropas. Dies äußerte sich in Gewalt, Zerstörung und Not ebenso wie in den kriegsbedingten Erschütterungen des jüdischen Selbstverständnisses und in den grundlegenden Debatten über die künftige Verortung als Minderheit in den sich nationalstaatlich definierenden Nachfolgestaaten.58 All diese fundamentalen Veränderungen und Einschnitte, ebenso wie die traumatischen Erlebnisse des Krieges selbst, wurden trotz eines erheblichen, durch den Krieg bedingten gesellschaftlichen und politischen Homogenisierungs- und Konformitätsdrucks in der jüdischen Öffentlichkeit diskutiert. Jüdische Autoritäten, wie beispielsweise Rabbiner und Gemeindevorstände, ebenso wie jüdische Medien machten in ihren Predigten, Ansprachen und Veröffentlichungen all das Erlebte für viele Menschen erst erfahrbar. Sie transformierten diese in mit Sinn behaftete Narrative, wobei festzuhalten ist, dass die Jüdinnen und Juden nicht als homogene Gruppe betrachtet werden können. Ganz im Gegenteil  : Wie anhand der Analyse der deutschsprachigen jüdischen Zeitungen gezeigt werden konnte, hatten unterschiedliche jüdische Gruppierungen teils unterschiedliche Erwartungen an den Krieg und den jüdischen Kriegsdienst und boten auf der Basis dieser Erwartungen unterschiedliche Antworten auf die mit dem Kriegsverlauf verbundenen Wandlungen und Herausforderungen an.

58 Vgl. allg. Fink, Carole  : Defending the Rights of Others. The Great Powers, the Jews, and International Minority Protection 1878–1938, Cambridge 2004.

Małgorzata A. Maksymiak

Wessen Krieg und mit welchen Folgen  ? Die Selbstverortungsdiskurse der jüdischen Osteuropäer nach dem Ersten Weltkrieg1 Flucht, Pogrome, Epidemien und Migration der jüdischen Osteuropäer, der »Hurrapatriotismus« und die sogenannte »Wiederentdeckung des Ostjudentums« in Westeuropa sind Erlebnisse, die zu Metanarrativen über die jüdische Erfahrung des Ersten Weltkrieges wurden.2 Zweifelsohne ist die Bedeutung dieser Erfahrungen nicht zu unterschätzen  : Nicht nur wurden sie tatsächlich gemacht, sie wirkten sich auch entscheidend auf die Transformation der jüdischen Gesellschaften aus, indem sie eine rege Auseinandersetzung mit angestoßenen Transkulturationsprozessen herausforderten und somit auf eine Selbstverortung der Juden in den Mehrheitsgesellschaften der Umgebung drängten. Und dennoch scheinen die Narrative von Zerstörung und Leid in Osteuropa sowie von Loyalitätsbekenntnissen in Westeuropa, ähnlich wie das just im Ersten Weltkrieg popularisierte Begriffspaar »Ostjuden« – »Westjuden«,3 zu homogen, zu statisch und zu undifferenziert. Deutlich wird diese Erkenntnis, sobald man auf Kriegserfahrungen jüdischer Europäer fokussiert, die sich den erwähnten Schlüsselwörtern gänzlich entziehen. Der erste Teil dieses Beitrags präsentiert die Ablehnung des Krieges als eine nichtjüdische Angelegenheit. Die darin stattfindende Auseinandersetzung mit der Frage der eigenen Europäizität wird herausgelesen aus den kritischen Reaktionen in intellektuellen Kreisen der polnischen und russischen Zionisten auf 1

Einige Teile dieses Beitrags, die sich explizit mit Oswald Spengler beschäftigen, habe ich bereits an einer anderen Stelle veröffentlicht, vgl. Maksymiak, Małgorzata A.: Untergangs- und Aufgangsprobleme der jüdischen Homo Europaeus. Zur zionistischen Kritik an Spenglers Geschichtsphilosophie, in  : Gassimov, Zaur/Lemke Duque, Carl Antonius (Hg.)  : Oswald Spengler als europäisches Phänomen. Der Transfer der Kultur- und Geschichtsmorphologie im Europa der Zwischenkriegszeit 1919-1939, Göttingen 2013, S. 299–322. 2 Vgl. z.B. den Beitrag von Gerald Lamprecht, in diesem Band  ; außerdem Sieg, Ulrich  : Jüdische Intellektuelle im Ersten Weltkrieg. Kriegserfahrungen, weltanschauliche Debatten und kulturelle Neuentwürfe, Berlin 2008  ; Panter, Sarah  : Jüdische Erfahrungen und Loyalitätskonflikte im Ersten Weltkrieg, Göttingen 2014. 3 Ausführlich zur Entstehung und Etablierung des Begriffes des »Ostjuden« vgl. Maksymiak, Małgorzata A.: Mental Maps im Zionismus. Ost und West in Konzepten einer jüdischen Nation vor 1914, Bremen 2015, S. 8–11.

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Małgorzata A. Maksymiak

Oswald Spenglers Untergang des Abendlandes.4 Anhand der Autobiographie des polnisch-jüdischen Gangsters und Literaten Itzik Boruch Farbarowicz (1897– 1939), die in Polen zwischen den beiden Weltkriegen von der jüdischen Leserschaft ausgiebig rezipiert wurde, werden im zweiten Teil unmittelbare Folgen des Krieges für die Unterschichten erörtert.5 Mit diesen beiden osteuropäischen Beispielen, die intellektuelle Debatten den Kriegserfahrungen des »kleinen Mannes« gegenüberstellen, will ich auf die Heterogenität der Kriegserlebnisse hinweisen und die darin begründete Diversität im Umgang mit den Transkulturationsprozessen offenlegen.6 Die zionistische Ablehnung des Krieges als einer keinesfalls jüdischen sondern vielmehr gojischen Angelegenheit entspricht hier, so meine Lesart, der Negierung der Transkulturation und dem Insistieren auf die Homogenität der Juden als eine Nation »orientalischen« Ursprungs. Dagegen bezeugen die Kriegserfahrungen von Itzik Boruch Farbarowicz eine Beschleunigung und Verfestigung der Transkulturation während des Krieges. Dieses so umrissene Spannungsfeld jüdischer Kriegserfahrungen zeigt letztendlich auch die Diversität osteuropäisch-jüdischer Welten, die sich unter dem auf Homogenität insistierenden Begriff »Ostjuden« nicht fassen lassen.

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Spengler, Oswald  : Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte, Bd. 1  : Gestalt und Wirklichkeit, Wien 1918  ; Bd. 2  : Welthistorische Perspektiven, München 1922. 5 Nach Nathan Cohen, der das Leseverhalten der Juden im Zwischenkriegspolen untersuchte, war Farbarowicz alias Urke Nachalnik genauso oft und gern gelesen wie Julian Tuwim, Antoni Słonimski, Schalom Asch, H. G. Wells, Stefan Zweig, Alexander Dumas, Upton Sinclair, Vincenze Blasco Ibanez, Erich Kästner, Pearl S. Buck, oder Karl May. Vgl. Cohen, Nathan  : Czytelnictwo książek polskich w żydowskich bibliotekach w okresie miedzywojennym [Die Lektüre der polnischen Bücher in den jüdischen Bibliotheken im Polen der Zwischenkriegszeit], in  : Prokop-Janiec, Eugenia/Sławomir J, Żurek (Hg.)  : Literatura polsko-żydowska. Studia i szkice [Polnisch-jüdische Literatur. Studien und Skizzen], Kraków 2011S. 21–26, hier S. 25. 6 Ohne in die Auseinandersetzung mit den viel kritisierten Begriffen »Assimilation« und »Akkulturation« einzusteigen, werden die Prozesse der kulturellen »Integration« der Juden in europäische Gesellschaften mit dem von Fernando Ortiz geprägten Begriff »Transkulturation« umschrieben, wobei die Vagheit des mitschwingenden Begriffs der »Kultur« in Kauf genommen wird, vgl. Ortiz, Fernando  : Cuban Couterpoint. Tobacco and Sugar, Durham 1995, S. 102. Zwar ist der Begriff der »Integration« im Sinne Moshe Rosmans ebenfalls der »Assimilation« oder »Akkulturation« vorzuziehen, scheint jedoch zu statisch zu sein, um das gegenseitige Durchdringen jüdischer und nichtjüdischer Welten auf den Punkt zu bringen. Vgl. Rosman. Moshe  : How Jewish is Jewish History  ? Liverpool 2007.



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Der gojische Krieg »When after the First World War«, schreibt Hans Liebeschütz 1965, Jewish doctors or solicitors met a history master of their acquaintance they would be very likely to tell him how much they were attracted by Spengler’s new interpretation of history, because it was so different from the teaching about wars and dynasties they had experienced in their school days.7

Die Begeisterung für Oswald Spengler und insbesondere für sein Werk Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte ergriff in der Tat auch jüdische Leser. Lob und Anerkennung gestanden dem »Dichter« der Weltgeschichte auch Georg Simmel und Walther Rathenau zu,8 während Ludwig Wittgenstein Spengler sogar unter jenen Persönlichkeiten aufzählte, die ihn in seinem Werdegang als Philosoph beeinflusst hätten.9 Der Enthusiasmus für Spenglers innovativen Blick auf das vergangene Weltgeschehen und seine Prophezeiung von der Vollendung der europäischen Zivilisation war jedoch nicht immer so grenzenlos, wie es aus dem Zitat von Liebeschütz hervorgehen mag. Spengler und seine Analyse der Weltgeschichte wurden auch verachtet. Die oft zitierten Worte Walter Benjamins gegenüber Werner Kraft, in denen er Spengler einen »trivialen Sauhund« nannte,10 aber auch die herablassende Bezeichnung des jüdischen Panasiaten Yaakov Ben-Gavriel (Eugen Hoeflich) für dessen nicht ernst zu nehmende Geschichtsschreibung als Spengleriade sind keineswegs Einzelbeispiele.11 Sie gehören vielmehr in eine ganze Reihe empörter Kritiken jüdischer Leser Spenglers – sowohl in West- als auch in Osteuropa –, unter denen gerade die Zionisten herausragten.12  7 Liebeschütz, Hans  : Reflections on Spengler, in  : Leo Baeck Institut Year Book 10 (1965), S.  277–279, hier S.  277. Als Beleg für seine Einschätzung verweist Liebeschütz auf Briefe jüdischer Zeitgenossen Spenglers an den Kulturphilosophen, vgl. Spengler, Oswald  : Briefe 1913–1936, hg. Von Anton M. Koktanek, München 1963.   8 Vgl. Briefe von Oswald Spengler an Hans Klöres, 18.12.1918 und an August Albers, 25.6.1919, in denen Spengler die Worte von Simmel zitiert, es handele sich bei seinem Werk um die wichtigste Geschichtsphilosophie seit Hegel, in  : Spengler  : Briefe, S. 114–15 und 130–131.   9 DeAngelis, Wiliam James  : Wittgenstein and Spengler, in  : Dialog. Canadian Philosophical Review 33 (1994), S. 41–62  ; Haller, Rudolf  : Wittgenstein und Spengler, in  : Revista Portoguesa de Filosofia 38/1 (1982), S. 71–78. 10 Brief Werner Krafts an Wilhelm Lehmann, 6.3.1949, abgedruckt in  : Werner Kraft – Wilhelm Lehmann. Briefwechsel 1931–1968, hg. von Ricarda Dick, Bd. 1, Göttingen 2008, S. 320. 11 Vgl. Ben Gavriels Eintrag vom 25. August 1923, in  : Eugen Hoeflich Tagebücher 1915–1927, hg. Armin A. Wallas, Wien 1999, S. 180. 12 Ausführlich zu Rezeption Spenglers und den ost- und westeuropäischen Zionisten vgl. Maksymiak  : Untergangs- und Aufgangsprobleme.

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Małgorzata A. Maksymiak

Spenglers Untergang des Abendlandes wurde in Osteuropa unverzüglich mit seinem Erscheinen rezipiert. 1923, ein Jahr nach der Publikation des zweiten Bandes, lud die Warschauer Zeitung Haynt (auch  : Nayer Haynt) das interessierte Publikum ein, am 8. Dezember um 20.30 Uhr im Literarischen und Journalistischen Verein in der Tlomackie Str. 13 in Warschau zu erscheinen  ; dort sei ein Vortrag von Dr. J. Gottlieb unter dem Titel Die Dämmerung in Europa laut Spengler mit folgendem Inhalt zu hören  : Anzeichen des Altwerdens in der europäischen Kultur – Der Untergang der Schaffungsfreude und des Schaffungsglauben – Was ist Kultur  ? Das Leben, die Jugend und das Alter der Kultur – Die magische und die faustische Kultur. Wenn eine Kultur in eine Zivilisation umgewandelt wird – Provinz und Weltstadt – Die Epoche des Skeptizismus und Sozialismus – Die Rolle der Ideen in den kritischen Momenten einer Kultur – Ein Blick in die Zukunft.13

Der beworbene Vortrag, so reich an Inhalt er auch war, hatte eindeutig nicht das Ziel, das Thema der Juden in Spenglers Werk direkt anzusprechen. Das war auch nicht notwendig. Der zitierten Inhaltsangabe entsprechend handelte es sich hier vor allem um eine Auseinandersetzung mit der kulturellen Selbstverortung Europas, die allerdings für die jüdischen Osteuropäer von besonderem Interesse war. Denn der Einschätzung von Yaron Peleg zufolge hatte der russische Orientalismus des 19. Jahrhunderts the most significant influence on Hebrew culture, not only because of the proximity of most Jewish centers to Central and Eastern Europe but especially because of the interesting parallels that existed between Russian and Jewish cultures with respect to the East.14

Wie aus den zionistischen Kritiken an Spengler herauszulesen ist, hatte dieser Einfluss in den 1920er Jahren keinesfalls abgenommen. Im Gegenteil  : Es scheint, dass die in diesen Jahren dominierende Hinwendung des russischen Orientalismus nach Asien, die damit einhergehende Etablierung des Eurasianismus15 und auch die Erfahrung des Krieges, die osteuropäischen Zionisten dazu anregten, sich gegenüber Europa und dem »Orient« zu positionieren. Deutlich wird dies 13 Nayer Haynt, 7. Dezember 1923, S. 9 (jiddisch). Alle Übersetzung aus dem Jiddischen, Hebräischen und Polnischen stammen von der Autorin. 14 Peleg, Yaron  : Orientalism and the Hebrew Imagination, Ithaca 2005, S. 20. 15 Zur Geschichte des Eurasianismus, vgl. u. a. die Beiträge in  : Shlapentokh, Dmitry (Hg.)  : Russia between East and West. Scholary Debates on Eurasianism, Leiden 2007.



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zum Beispiel in Shlomo Ben Yosefs Kritik an Spenglers Untergang, die bereits im Sommer 1923 in der in Palästina erscheinenden Parteizeitschrift Ha-Poel Ha-Tsair unter dem Titel Über den Untergang erschien.16 Ben Yosef bespricht hier aus seiner zeitgenössischen zionistischen Warte den Spengler’schen Orientalismus in direktem Bezug auf die Juden. Er wirft Spengler vor, den Juden eine zu geringe Bedeutung in der Geschichte der Menschheit zuzuschreiben. Die Juden seien nach Spengler nur »eine Knospe im großen Baum der arabischen Kultur«, deren Erz das Christentum und die jüdisch-arabische Geschichte der spanischen Epoche sei.17 Zudem wehrt sich Ben Yosef dagegen, dass die Juden seiner Zeit zusammen mit den Arabern von Spengler als »Fellachenvölker« stigmatisiert werden, d. h. als Völker ohne Verbundenheit mit dem Boden, ohne Geschichtsbewusstsein, die auch keine Nationen sind.18 Er unterstreicht auch die Distanz der Juden zum Ersten Weltkrieg, in den sie nicht involviert gewesen seien, sondern den europäischen, vom Krieg ergriffenen Völkern »Moral gepredigt« hätten. Und von diesem seiner Ansicht nach »politischen Unterschied« aus schließt er auch auf einen »geistigen Abgrund« zwischen Juden und Nichtjuden  : »Seien wir nicht so naiv mit uns selbst«, schreibt er und fragt rhetorisch Was werden wir empfinden, wenn wir ihren vom geheimnisvollen Nebel umhüllten gotischen Dom betreten und die Orgel das Bachoratorium anstimmt. Und werden wir je einen Bernhard von Clairvaux, Dante, Ignazius von Loyola, Franziskus von Assisi begreifen  ? Werden wir sie besser verstehen, als uns der Römer Tacitus verstanden hat  ?19

In seiner Abwendung von der westeuropäischen, christlichen Kultur steht Ben Yosef als Kritiker von Spenglers Untergang jedoch nicht allein. Unmut über die westeuropäische Kulturwelt äußerte auch ein weiterer Kritiker der Geschichtsphilosophie Spenglers  : Jacob Naftali Herz Simchoni (1884–1926).20 Dieser aus Russisch-Polen stammende Zionist publizierte bereits 1923 den ersten Teil seiner insgesamt über 40 Seiten langen kritischen Auseinandersetzung mit der Geschichtsphilosophie Spenglers in der hebräischen, zu dieser Zeit in Warschau

16 Ben Yosef, Shlomo  : Al Ha-Shkiya [Über den Untergang], in  : Ha-Poel Ha-Tsair, 20. Juli 1923, S. 13–16. 17 Ebd., S. 15. 18 Zu Spenglers Definition der »Fellachenvölker« vgl. vor allem Spengler  : Der Untergang, Kapitel Urvölker, Kulturvölker, Fellachenvölker, S. 746–783. 19 Ben Yosef  : Al Ha-Shkiya, S. 16. 20 Zu Simchonis Vita vgl. Fink, Y.: Dr. Simchoni, in  : Doar Hayom, 13. Juni 1926, S. 3 (hebräisch)  ; Balaban, Meir  : Jacob Naftali Herz Simchovitsch (Simchoni), in  : Ha-Tsfira, 10. Juni 1927, S. 4 (hebräisch)  ; Jemoeli, Sh.: Dr. J. N. Simchoni, in  : Ha-Tsfira, 27. Mai 1928, S. 3 (hebräisch).

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erscheinenden Vierteljahresschrift Ha-Tqufa.21 Das Urteil über den Westen, das Simchoni im Zusammenhang mit der Besprechung von Spenglers Untergang fällt, ist zutiefst negativ, denn er betrachtet sein Werk als Produkt des gojischen, d. h. explizit nichtjüdischen Ersten Weltkrieges  : Seinem Geist und seinem Inhalt nach ist dieses Buch der wunderbarste literarische Grabstein für das große Unheil, den schrecklichen gojischen Krieg der Jahre 1914– 1918. Es präsentiert alle Folgen dieses Unheils, die Eindrücke, die von ihm auf Generationen lasten werden als eine historische Strafe, der man sich auf keine Weise entledigen kann. Dieses Unheil war Zeichen, historisches Symbol, eine Art Blitz, der das Himmelsgewölbe der Geschichte zerriss, eine Kundgebung über den unausweichlichen Lebensweg der europäischen Kultur.22

Nach Simchoni offenbarte sich während des Ersten Weltkrieges das wahre Gesicht des Westens. Die große Kultur des 19. Jahrhunderts hätte sich als eine falsche Prophezeiung entpuppt. Der Westen sei die »Satansmacht«, die die Gesetze verabschiedet, ohne sie zu befolgen und die eine Kultur erzeugt, um diese selbst zu vernichten.23 Denn gerade während des »geistigen Zusammenbruchs«, wie Simchoni den Ersten Weltkrieg nennt, siegte das »dem [westeuropäischen, M.A.M.] Menschen innenwohnende Tier über seinen Willen, Empfinden und Verstand«.24 Simchonis »Kreuzzug« gegen den Ersten Weltkrieg galt also vor allem der westlichen Kultur, die diesen hervorbrachte. Er scheute sich auch nicht, die westeuropäische Historiographie insgesamt anzugreifen, da diese die Differenz zwischen Ost und West konstruiert habe. Damit nahm er in vieler Hinsicht der Argumentation von Edward W. Saids Orientalism von 1978 vorweg  : »Ein einziger Punkt auf der Erde – Westeuropa – wurde zur Achse, um die herum alte zweitausendjährige Kulturen kreisen«25, schreibt Simchoni und wirft den Westeuropäern vor, sie hielten an überholten geographischen Thesen fest  : Sie schauen auf eine alte Weltkarte, auf der Westeuropa als ein besonderes »Land« gezeichnet ist – und sofort schließen sie auf bedeutende historische Unterschiede zwischen Europa und Asien. Das Europäische wurde ihnen zu einer historischen Formel. 21 Dr. Simchoni, J. N.: Churban Ha-Maarav [Die westliche Katastrophe], in  : Ha-Tqufa, Juli–September 1923, S. 405–424 (Teil I) und Oktober–Dezember 1924, S. 380–410 (Teil II). 22 Ebd., Teil I, S. 409. 23 Ebd., S. 408. 24 Ebd. S. 408–409. 25 Ebd., Teil II, S. 381.



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Und wie viel Überflüssiges holten sie aus diesem Unfug heraus  ! Die Griechen wurden ihnen zu einem Volk mit historischer Sendung, Europa und Asien geistig zu verbinden – dieselben Griechen, Bewohner Europas, die zum großen Teil, insbesondere die bedeutenden von ihnen wie Homer, Heraklit, Pythagoras, in »Asien« geboren, tatsächlich »Asiaten« waren.26

Simchoni sagt sich also los von Europa und auch von dessen gojischem Krieg. Und wie Ben Yosef verortet auch er sich im außereuropäischen Orient. Er ist ein Asiate und demnach Erbe einer Kultur, die keine zerstörerischen Kriege hervorbringt. Mit Itzik Farbarowicz, dessen Kriegserfahrungen ich mich jetzt zuwende, verbindet ihn lediglich die osteuropäische jüdische Abstammung und die Erkenntnis, dass der Krieg die Transformation der gesellschaftlichen Werte und Normen enorm beeinflusste. Sie essen chazer, rauchen und handeln am Schabbath… Itzek Boruch Farbarowicz, geboren 1897 in der Nähe von Bialystok, startete seine kriminelle Karriere noch vor dem Ersten Weltkrieg als yeshive bocher (Schüler einer Yeshiva). In seinem neuen Milieu stieg er schnell auf. Bald kannte man ihn als Urke Nachalnik, ein Name, der seine Etablierung als Dieb unterstrich.27 In der Zeit zwischen 1914 und 1933 verweilte er mehrmals in den »lebendigen Gräbern« Łomża, Warschau und Rawicz, wie er die dortigen Gefängnisse bezeichnete.28 Dort lernte er Polnisch schreiben und begann seinen Weg als Autor von kurzen Geschichten, zwei Romanen und einer zweibändigen Autobiographie, zu der er von dem Journalisten Melchior Wańkowicz (1892– 1974) angespornt wurde und die er mit Hilfe eines Mitarbeiters der Universität Posen zum Druck vorbereitete.29 Der erste Teil der Autobiographie Życiorys 26 Ebd., S. 382. 27 Urke war die jiddische Bezeichnung für einen erfolgreichen, erfahrenen, hochrangigen Dieb  ; Nachalnik kommt vom Polnischen nachalny – unverschämt. 28 Der zweite Teil seiner Autobiographie über die Jahre in den Gefängnissen 1923-1927 erschien 1935 unter dem Titel Zywe grobowce [lebendige Gräber], vgl. Nachalnik, Urke  : Żywe grobowce [l934], Łódź 1990. Vgl. auch den ersten Teil der Autobiographie, ders.: Życiorys własny przestępcy [Der Lebenslauf eines Verbrechers, 1933], Łódź 1989. 29 All diese Angaben stammen von Nachalniks Autobiographie und lassen sich nach den Wirren der beiden Weltkriege kaum verifizieren, vgl. hierzu Kopeć, Zbigniew  : Życiorys własny Urke Nachalnika, in  : Prokop-Janiec. Eugenia/Sławomir J, Żurek (Hg.)  : Literatura polsko-żydowska. Studia i szkice, Kraków 2011, S.  83–97  ; Nota od wydawcy, in  : Nachalnik  : Życiorys, S.  303  ; Kałuszko, Jacek  : Icek Farbarowicz – Urke Nachalnik – Złodziej, literat, obywatel Otwocka [It-

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własny przestępcy – Beschreibung der Kindheit und der Jahre bis Ende des ersten Weltkrieges – erschien 1933, als Nachalnik das Gefängnis verließ, heiratete, Vater wurde und sich gänzlich dem Schreiben widmete. Der zweite Teil Żywe grobowce – Erzählung über den Alltag im Gefängnis 1923–1927 – wurde im Jahr darauf publiziert. Wie erfolgreich Nachalnik im Polen der Zwischenkriegszeit war, illustriert am besten ein zeitgenössischer Artikel der hebräischen Zeitung Davar vom 8. März 1934  : »Urke Nachalnik gilt als der meist gelesene polnische Schriftsteller« heißt es dort, seine Werke erscheinen in polnischen Zeitungen als Folgeromane. Der Verlag Rój gab seine Bücher heraus. Auch dem jiddischen Leser ist Urke Nachalnik heute bekannt. Seine [autobiographischen, M.A.M.] Romane wurden und werden zurzeit veröffentlicht auf den Seiten von Haynt, Forwets, Hayntige Nayes, dem Rigaer Baytog  ; in dem Warschauer Skala-Theater wird ein Theaterstück auf Motiven seines Romans Ahavat Ganavim aufgeführt.30

Trotz dieser Erfolge währte die Karriere Nachalniks als Literat kurz, sie wurde vom Zweiten Weltkrieg abgebrochen. Itzik Farbarowicz alias Urke Nachalnik wurde von den Nazis im Ghetto Otwock im November 1939 erschossen. Die Spuren seiner Frau und seines Sohnes verlieren sich im Ghetto Warschau. Schon dieser kurze biographische Abriss eines Karrierewegs von einem yeshive bocher zum Dieb und schließlich zum Literaten lässt darauf schließen, dass die von Urke Nachalnik verfasste Autobiographie eine seltene Quelle über die kriminelle Welt Polens vor 1939 darstellt. Gwido Zlatkes, der 2003 in der Zeitschrift Polin einen kurzen englischen Artikel über Nachalnik veröffentlichte, schätzt den Quellenwert der Autobiographie noch höher ein. Er schreibt  : Nachalnik’s importance extends well beyond literature. There are four particularly important aspects to his writings. First, he provides an insight into the underworld, its structure and customs. […] Second, Nachalnik’s descriptions of prison life are even more detailed and reliable than his descriptions of life on the streets. […] He offers, for example, one of the first accounts of the homosexuality that was widespread in prisons, and pioneers in detailing the mechanisms of incarcerated communities. […] Third, Nachalnik offers us an entirely unsentimental, probably accurate even if one-sided, account of the Polish Jewish world. […] Finally, Nachalnik provides evidence of the zik Farbarowicz  – Urke Nachalnik  – Dieb, Literat, Bürger von Otwock], http://www.fronda. pl/blogi/ciekawostki-o-zydach/icek-farbarowicz-urke-nachalnik-zlodziej-literat-obywatel-otwocka,27552.html (letzter Zugriff  : 30.11.2017). 30 Derech Agav, in  : Davar, der 8. März 1934, S. 2.



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underworld as an advanced outpost of cultural exchange, a kind of democratic avant-­ garde.31

Die Lektüre des ersten Teils der Autobiographie, der von Urkes aufsteigenden Gangsterkarriere in der Zeit des Ersten Weltkrieges handelt, lässt den Text allerdings auch als äußerst seltene Quelle der rapiden Transformation der jüdischen Unterschichten im Sinne einer intensiven Loslösung von den traditionellen Lebenswelten und einer zunehmenden Transkulturation unter dem Eindruck des Krieges betrachten. Da ist zunächst die Lockerung der Werte und Normen, die auch vor der jüdischen Gemeinschaft nicht Halt machte. Im Gespräch Urkes mit einem jüdischen Hehler hört sich dies wie folgt an  : [Der Hehler  :] Vor dem Krieg hätte ich jeden, der für Geld tötet, in Flammen aufgehen lassen, und heute… Der Krieg hat uns gezeigt, dass das menschliche Leben zu zerstören das gleiche ist, wie eine Henne oder einen Hasen zu töten. Es macht keinen Eindruck mehr. Ich hatte die Gelegenheit, ein paar Mal durch die russisch-deutsche Front zu schleichen, über Leichen wie über Steine zu stolpern und es machte mir nichts aus. Jetzt denk daran, dass der Tod dieser Menschen den Mördern keinen Pfennig Gewinn brachte und doch töteten sie einander. Und du, sollte das passieren, wirst es zu deiner Verteidigung tun. Und für das Geld natürlich.32

Während in diesem drastischen Zitat die Ubiquität des Todes die Unterwelt herausfordert und alte Prinzipien umwirft, ist es häufig auch die im Krieg allgegenwärtige wirtschaftliche Not, die Ähnliches bewirkt. Mit dem Einmarsch der Deutschen in Łódź im Mai 1916 brachen in der Stadt Arbeitslosigkeit und Hunger aus. Gleichzeitig erschienen auch Cafés wie »Pilze nach dem Regen« in jeder Straße. »Jede freizügige Jüdin, die von ihrem verführerischen Charme etwas hielt, fühlte sich verpflichtet, ein solches Geschäft zu führen«, schreibt Urke. Das Inventar solcher Einrichtungen sei bescheiden gewesen  : einige Tische, Stühle, Tresen und mit Fliegen belegter Kuchen auf dem Teller, einige Stückchen Schokolade, ein Pott Kaffee, nur kein Mokka, und ein Päckchen gelber Zucker, das zusammen mit Vaterland [gemeint  : den Deutschen, MAM] auftauchte und zusammen mit den deutschen Pfennigen in einer Schublade aufbewahrt wurde. Ach,

31 Zlatkes, Guido  : A Voice From The Underworld. Urke Nachalnik, in  : Steinlauf, Michael C./ Polonsky, Antony (Hg.)  : Polin  : Studies in Polish Jewry, Volume 16  : Jewish Popular Culture and its Afterlife, Liverpool 2003, S. 381–388. 32 Nachalnik  : Życiorys, S. 263.

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und auch natürlich ein Bett im Nebenzimmer für verdächtigte Aufgaben machte den Ort vollkommen.33

Auch in diesem Beispiel handelt es sich um eine durch Kriegsnot herausgeforderte Loslösung von hergebrachten Werten und Normen in der kriminellen Welt, die selbstverständlich auch die umgebende nichtjüdische Unterwelt betraf, waren die erwähnten Cafés doch oft Joint-Venture-Unternehmen von Jüdinnen, Polinnen und Russinnen.34 Urke Nachalnik, der ein sehr guter Beobachter der gesellschaftlichen Transformationen unter der Erfahrung des Krieges war, versäumt jedoch keinesfalls, auf Ähnliches unter den »normativen« Glaubensgenossen hinzuweisen. Im Gespräch mit seinem Bruder, der ihn überzeugen will, das Gangsterleben aufzugeben und in die Heimatstadt zurückzukehren, äußert Urke seine Bedenken, dass er mit seiner nichtjüdischen Freundin dort auf gar keinen Fall erscheinen könne  ; er fürchte gesteinigt zu werden und Schande über die Familie heraufzubeschwören. Darauf antwortet sein Bruder  : Mein Bruder, über zwei Jahre warst du nicht zuhause. Inzwischen hat sich Vieles verändert in unserem Shtetl. In ruhigen Zeiten würden Jahrhunderte vergehen, ohne dass sich so viel ändert, wie jetzt während des Krieges. Juden handeln und schmuggeln sogar Speck, Mädchen, Töchter der Chassidim, und andere spazieren mit den Soldaten und machen wonach ihnen der Sinn steht. Jungs essen chazer [d.i. Schweinefleich, M.A.M.], rauchen und handeln am Schabbath. Einige Jüdinnen gehen offenkundig der Prostitution nach. Niemand wird es also als Skandal empfinden, wenn du mit deinem Mädchen auftauchst, insbesondere weil du, wie ich sehe, einen guten Geschmack hast. Sie ist wirklich hübsch.35

In beiden aufgeführten Beispielen der Kriegserfahrungen jüdischer Osteuropäer handelt es sich um Erlebnisse, die das jüdische Metanarrativ über den Ersten Weltkrieg nicht reflektiert. Es mag daran liegen, dass sich in ihnen Diskurse widerspiegeln, die nicht unmittelbar dem Kriegsereignis entspringen, sondern lediglich von ihm beschleunigt werden, nämlich Diskurse über die rapide Transformation der jüdischen Gesellschaft und ihre anschließende Selbstverortung unter dem Eindruck des geschehenen Kriegsunheils. Beispiele für diese Prozesse 33 Ebenda, S. 150. 34 Zur Prostitution der jüdischen Frauen während des Ersten Weltkrieges an der Ostfront vgl. Maksymiak, Małgorzata A.: Krieg, Sex und Sprache. Die Abwehr des Images von unsittlichen »Ostjüdinnen« im deutschen zionistischen Pressediskurs 1914–1918, in  : Nagel, Michael/Zimmermann, Moshe (Hg.)  : Judenfeindschaft und Antisemitismus in der deutschen Presse über fünf Jahrhunderte, Bd. 2, Bremen 2013, S. 449–465. 35 Ebenda, S. 260.



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gibt es natürlich noch mehr. So ließe sich etwa die intensive Transkulturation der jüdischen Gesellschaft genauso in dem deutlich veränderten Umgang mit Suizid unter den Juden Osteuropas beobachten, der vor dem Krieg kaum präsent, nach dem Krieg jedoch zu einer kaum anzuhaltenden »Epidemie« wurde. Dies wäre jedoch ein anderer Beitrag. Festzuhalten ist, dass die so unterschiedlichen Erfahrungen des Krieges sowohl die Diversität der Kriegserlebnisse unterstreichen als auch die Homogenität des Begriffes »Ostjudentum« als soziokulturell einheitliche Größe sprengen. Simchoni und Nachalnik bezeugen diesen Befund. Beide entstammten traditionellen jüdischen Familien in Russisch Polen. Simchoni, der als Zionist hohe Anerkennung genoss und 1926 in jungem Alter starb, wünschte sich die jüdische Nation bar jeglichen westeuropäischen Erbes. Seine Rechnung ging allerdings nicht gänzlich auf, denn Spengler, den er mitsamt anderer westeuropäischen Historiographen ablehnte, trug nach Ansicht des Warschauer Haynt sogar zum Aufbau des jüdischen Palästina bei  : Die Zeitung druckte nämlich am 7. Februar 1930 eine Liste hebräischer und ins Hebräische übersetzter Bücher und wies darauf hin, dass jeder Käufer eines der aufgeführten Bücher »zur geistigen und wirtschaftlichen Entwicklung des Erez Israel beitragen« werde. In der Liste befand sich auch ein Buch von Oswald Spengler, allerdings nicht der gesamte Untergang des Abendlandes. Das 1927 erschienene, von Asher Barash (1889–1952) übersetzte und in deutscher Übertragung Neue Einschätzung der Geschichte36 betitelte Buch war lediglich eine Übersetzung der Einführung von Spenglers Werk und sollte statt 2.50 Zloty dann nur noch 1.50 Zloty kosten.37 Nachalnik stellt hier das absolute Gegenteil von Simchoni dar. Bereits am Anfang seiner Gangsterkarriere beschloss er mit den Vorurteilen gegen Gojim, mit denen er aufgewachsen war, aufzuräumen, leugnete aber keinesfalls seine Yiddishkayt. Als Jude war er in seinem kriminellen Milieu gänzlich integriert. Dasselbe wünschte er sich auch außerhalb der Gefängnismauern  : Als Dieb und Literat blieb Izchak Boruch Farbarowicz alias Urke Nachalnik oder Pan Ignacy [Herr Ignaz] wie er sich gerne auf Polnisch nannte, bis zu seinem Tod ein polnisch-jüdischer cultural broker. Angesichts des immer noch latenten polnischen Antisemitismus, der auch »ohne Juden« auskommt, scheint jedoch auch bei ihm die Rechnung von einem entspannten Umgang der polnischen Gojim und Jiden nicht aufgegangen zu sein.

36 Spengler, Oswald  : Haarachah Chadasha La-Historya. Tirgem Me-Germanit Asher Barash [Neue Einschätzung der Geschichte. Aus dem Deutschen von Asher Barash], Tel Aviv 1927. 37 Vgl. Liste der Erez Israelischen Bücher, in  : Haynt, der 7. Februar 1930, S. 12.

Stefan Vogt

Max Brod und der Sozialismus Wurde Max Brods politischer und zionistischer Tätigkeit in der Forschung schon wenig Aufmerksamkeit zuteil, so sind seine sozialistischen Ideen und Aktivitäten heute so gut wie vergessen.1 In den wichtigsten Studien zu Brod, selbst denjenigen, die sich auf dessen politische Tätigkeit konzentrieren, werden sein Engagement in der sozialistischen Bewegung und seine Schriften zur sozialistischen Theorie wenn überhaupt, dann nur ganz am Rande erwähnt.2 Es gibt natürlich gute Gründe für diese Nichtbeachtung. Brod war ganz sicher kein bedeutender sozialistischer Denker, und sein Einfluss auf die Entwicklung der sozialistischen Theorie war bestenfalls marginal. Andererseits jedoch war er keinesfalls eine marginale Figur innerhalb des sozialistischen Zionismus. Brod war 1920 einer der Gründer der tschechischen Sektion der Partei Ha-Poel HaTsair, und während der 1920er Jahre gehörte er zu deren Führung.3 Sein Buch Sozialismus im Zionismus, das er ebenfalls 1920 veröffentlichte, war nicht nur der Versuch, eine programmatische Grundlage für die Arbeit von Ha-Poel HaTsair zu formulieren. Brod präsentierte darin auch eine sehr spezifische Version 1

Der Beitrag geht zurück auf einen Vortrag bei der von Mark Gelber im Mai 2014 organisierten Tagung »Reframing Max Brod and Prague Zionism« und soll daher neben vielem anderen auch dessen großartige Fähigkeit würdigen, eine wunderbare Atmosphäre des intellektuellen Austausches zu schaffen. 2 Zu den Arbeiten über Brod, die sich knapp mit dessen sozialistischen Aktivitäten befassen oder diese wenigstens erwähnen, gehören Vassogne, Gaëlle  : Max Brod in Prag. Identität und Vermittlung, Tübingen 2009  ; Capková, Katerina  : Czechs, Germans, Jews  ? National Identity and the Jews of Bohemia, New York 2012  ; Bärsch, Claus-E.: Max Brod im Kampf um das Judentum. Zum Leben und Werk eines deutsch-jüdischen Dichters aus Prag, Wien 1992  ; Gelber, Mark H.: Max Brod’s Zionist Writings, in  : Leo Baeck Institute Yearbook 33 (1988), S. 437–448. Zu den Arbeiten, die dies überhaut nicht tun, zählen Shumsky, Dimitry  : Zweisprachigkeit und binationale Idee. Der Prager Zionismus 1900–1930, Göttingen 2013  ; Wein, Martin J.: Zionism in Interwar Czechoslovakia. Palestino-Centrism and Landespolitik, in  : Judaica Bohemiae 44 (2009), S. 5–47  ; Spector, Scott  : Prague Territories. National Conflict and Cultural Innovation in Franz Kafka’s Fin-de-Siècle, Berkeley 2000  ; Kieval, Hillel J.: The Making of Czech Jewry. National Conflict and Jewish Society in Bohemia, 1870–1918, New York 1988  ; Pazi, Margarita  : Max Brod. Werk und Persönlichkeit, Bonn 1970. 3 Zur Geschichte von Hapoel Hazair in der Tschechoslowakei vgl. Rabinowicz, Oskar K.: Czechoslovak Zionism. Analecta to a History, in  : Dagan, Avigdor (Hg.)  : The Jews of Czechoslovakia. Historical Studies and Surveys, Bd. 2, Philadelphia 1971, S. 19–136.

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sozialistischer Theorie, die zugleich innovativ, idiosynkratisch und ideologisch problematisch war. Genügend Gründe also, um sich Brods Sozialismus noch einmal genauer anzusehen. Dabei wird sich zeigen, dass in seinem Denken überraschend moderne und radikal emanzipatorische Elemente mit neo-romantischen und sogar autoritären Sichtweisen auf den Menschen und die Gesellschaft verbunden waren. Vor allem war Brods Sozialismus zutiefst mit seiner Vorstellung von Judentum und jüdischem Nationalismus verknüpft. Er erhob den Anspruch, eine spezifisch jüdische Form des Sozialismus entwickelt zu haben. Tatsächlich aber war Brods eigentümlicher Sozialismus in vielerlei Hinsicht ein Kind seiner Zeit und damit am Ende gar nicht so eigentümlich. Eher denn als »jüdischer Sozialismus« sollte er als Teil einer breiten Strömung nichtmarxistischer und antimaterialistischer sozialistischer Theorie verstanden werden, die sich zu dieser Zeit in ganz Europa und nicht zuletzt in den deutschsprachigen Ländern entwickelte. Er ist damit ein weiterer Hinweis darauf, dass auch die europäisch-jüdische Geschichte insgesamt nur als Teil der allgemeinen Geschichte adäquat verstanden werden kann. Die intellektuelle und politische Entwicklung von Max Brod, zuerst zum Zionismus und dann im Rahmen des Zionismus zum Sozialismus, muss hier nicht noch einmal rekapituliert werden.4 Zwei Aspekte verdienen aber eine besondere Erwähnung. Wie wir aus Brods Autobiographie wissen, waren Martin Bubers berühmte Prager Drei Reden über das Judentum von 1909 und 1910 wichtig für seine Wendung zum Zionismus.5 Bedeutsam daran war für Brod jedoch nicht nur die Betonung von jüdischer Identität, sondern auch von sozialer und politischer Aktivität, von »Verwirklichung«, wie Buber dies nannte.6 Brods Übertritt zum Zionismus war also auch eine Bewegung weg von einem Selbstverständnis des »Indifferentismus« und hin zu einem solchen der »Tat«.7 In den folgenden Jahren wurde das Konzept der »Tat« immer wichtiger für Brod und zu einem zentralen Bestandteil seines Verständnisses von Zionismus.8 Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs, den Brod im Unterschied zu vielen anderen 4 5

Vgl. dazu Vassogne  : Max Brod. Offenbar gaben sie aber nur den letzten Ausschlag, während Brods langjährige Freundschaft zu Hugo Bergmann wesentlich einflussreicher war. Vgl. Brod, Max  : Streitbares Leben. Autobiographie 1884–1968, Frankfurt a. M. 1979, S. 49–50. 6 Vgl. v.a. die dritte Rede  : Buber, Martin  : Die Erneuerung des Judentums, in  : Der Jude und sein Judentum. Gesammelte Aufsätze und Reden, Köln 1963, S. 28–64. 7 Zum Konzept des »Indifferentismus« bei Brod vgl. v.a. Brod, Max  : Schloß Nornepygge. Der Roman eines Indifferenten, Berlin 1908. 8 Vgl. z.B. Brods Forderung, dass die Zeitschrift Die weißen Blätter eine Zeitschrift sein sollte, »die nicht vornehm registrieren und geistreich glossieren will, sondern eine, die den Willen zur



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jungen Zionisten nicht begrüßte, verstärkte für ihn noch einmal nachhaltig dessen Bedeutung. In Bezug auf den Zionismus bedeutete dies, für die soziale und ökonomische Erneuerung des jüdischen Lebens in der Diaspora zu arbeiten, zusätzlich zur Kolonisation und zur Errichtung einer neuen Gesellschaft in Palästina. »Tat« hatte für Brod jedoch auch eine universalistische Dimension. Im Jahr 1916 steuerte Brod einen Aufsatz zu der von Kurt Hiller herausgegebenen Anthologie Das Ziel. Aufrufe zum tätigen Leben bei, in dem er zu einer aktiven Mitwirkung der Intellektuellen in Organisationen aufrief, die den Krieg beenden und seine Wiederholung verhindern wollten.9 Im selben Jahr veröffentlichte er eine ausführliche und sehr positive Darstellung dessen, was er als Hillers Wendung von einem zweckfreien zu einem zweckgebundenen Voluntarismus verstand, als eine Wendung vom »Nur aus Langeweile-Wollen« zum »Ziel«.10 Die Bestimmung dieses Ziels, ebenso wie dessen Verfolgung, blieb jedoch auch für Brod eine Sache des Willens, also einer ethischen Entscheidung. In eben dieser Zeit entwickelte er auch seine bekannte Unterscheidung von »edlem« und »unedlem Unglück«.11 Unedles Unglück, so Brod, sei »Elend, das in die Macht des Menschen, in seinen Willen gestellt ist, dem er abhelfen kann und dem abzuhelfen (aus dem Können ergibt sich sofort das Sollen) ein Teil seiner Bestimmung ist.«12 Ethik und Wille waren also eine der Säulen, auf der Brod seine Idee des Sozialismus gründete. Eine zweite Säule war die Kritik der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und insbesondere der industriellen Organisation der Arbeit. In einem Aufsatz in der Zeitschrift Der Jude vom April 1917 attackierte Brod den Taylorismus, also das System der radikalen Arbeitsteilung in der industriellen Produktion, als »die endgültige Hölle der Menschheit«.13 Seine Wut richtete sich vor allem gegen den Umstand, dass die Arbeiter in einer tayloristischen Fabrik keinerlei Bezug zum Inhalt und zur Bedeutung ihrer Arbeit hatten. »Das ist die Hölle wie sie leibt und lebt«, resümierte Brod. »Der Mensch, in Zehntelminuten zerhackt zwecks besserer Hervorbringung von Stahlformen … wahrscheinlich von Schrapnells. Doch darauf kommt es schon gar nicht mehr an. Der zerhackte Wirkung, zum unmittelbaren Tun und eingreifen hat.« Brod, Max  : Die neue Zeitschrift, in  : Die weißen Blätter 1 (1913/14), S. 1227–1230, Zitat S. 1229.   9 Brod, Max  : Organisation der Organisationen, in  : Kurt Hiller (Hg.), Das Ziel. Aufrufe zum tätigen Geist, München 1916, S. 71–79. 10 Brod, Max  : Unsere Literaten und die Gemeinschaft, in  : Der Jude 1 (1916/17), S.  457–464, Zitate S. 458. 11 Diese Unterscheidung ist am klarsten entwickelt in Brod, Max  : Heidentum, Christentum, Judentum. Ein Bekenntnisbuch, Bd. 1, München 1921, S. 28–55. 12 Ebd., S. 29. 13 Brod, Max  : Zwei Welten, in  : Der Jude 2 (1917/18), S. 47–51, Zitat S. 47.

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Mensch dürfte zwischen Frieden und Krieg kaum mehr einen Unterschied finden.«14 Mit anderen Worten, Brods zentrale Kritik an den kapitalistischen Produktionsverhältnissen war eine Kritik an der Entfremdung der Menschen von ihrer Arbeit. Der organisatorische Rahmen, in dem Brod seine sozialistischen Vorstellungen und Aktivitäten entwickelte, war Ha-Poel Ha-Tsair. Die Etablierung dieser Partei in Böhmen und Mähren war zum großen Teil des Werk der Mitglieder und Anhänger der zionistischen Studentenverbindung Bar Kochba. Zusammen mit Hugo Bergmann, Oskar Epstein und anderen war Brod daran beteiligt, die Prager Ortsgruppe der Partei aufzubauen, und er wirkte auch an der Gründung der Ortsgruppe in Brno (Brünn) mit. Auch viele andere Prager Zionisten, wie etwa Hans Kohn und Robert Weltsch, aber auch Martin Buber selbst, waren in und um Ha-Poel Ha-Tsair aktiv. Brod wurde eine der führenden Persönlichkeiten der Partei in der Tschechoslowakei. Er vertrat Ha-Poel Ha-Tsair im Jüdischen Nationalrat der Tschechoslowakei und in der Jüdischen Partei, und er war einer der Delegierten beim Weltkongress von Ha-Poel Ha-Tsair, der im März 1920 in Prag stattfand. Brod war außerdem ein rühriger Agitator und fleißiger politischer Autor, der viele Beiträge in der Zionistischen Zeitschrift Selbstwehr veröffentlichte. 1921 ersetzte er Hugo Bergmann, der zu diesem Zeitpunkt bereits in Palästina war, als Delegierter von Ha-Poel Ha-Tsair beim 12. Zionistischen Kongress in Karlovy Vary (Karlsbad). In den frühen 1920er Jahren war Brod also ein äußerst aktiver und auch höchst sichtbarer Aktivist der Partei in der Tschechoslowakei.15 All dies machte Brods Buch Sozialismus im Zionismus zu einem logischen Schritt in seiner intellektuellen und politischen Entwicklung.16 Gleich zu Beginn der Schrift positionierte er seinen eigenen Ansatz im Kontext der zeitgenössischen sozialistischen Theorie und Politik. Als erstes betonte er, dass dieser Ansatz kein marxistischer sei. Der Marxismus, so Brod, sei theoretisch nicht überzeugend und praktisch für die jüdische Situation ungeeignet. In Bezug auf die praktische Ebene verwies er vor allem auf die Aspekte der Sozialisierung und des Klassenkampfs. Eine vollständige Sozialisierung sei weder für den Sozialismus notwendig, da ja verschiedene bestehende sozialistische Systeme bereits eine Mischung aus privater und öffentlicher Wirtschaft praktizierten, noch war sie wünschenswert, da sie die Handlungsfreiheit der Individuen einschränke. Im Festhalten der großen sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien an der 14 Ebd., S. 48. 15 Vgl. Capková  : Czechs, S. 207–210  ; Rabinowicz  : Czechoslovak Zionism, S. 54–64. Oskar Rabinowicz war als junger Mann selbst ein zionistischer Aktivist in Prag und Brno. 16 Brod, Max  : Sozialismus im Zionismus, Wien 1920.



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Strategie des Klassenkampfs zeigte sich für Brod das Fehlen eines positiven Programms. Er wies die Vorstellung zurück, dass der Kampf für den Sozialismus zwischen Klassen – anstatt zwischen Ideen – ausgetragen werde. Dieser Punkt verweist auf Brods theoretisches Unbehagen gegenüber dem Marxismus. Der Marxismus behaupte vom Arbeiter, dass »nicht die Seele, sondern die Klasse in ihm sich für dieses oder jenes entscheide« und vertrete damit einen »trostlos barbarischen Determinismus«.17 Brods Kritik richtete sich gegen die materialistischen Grundlagen der Marxschen Theorie, gegen deren Wissenschaftlichkeit, die »alles von der Evolution und nichts vom Willen des Einzelnen erwartet«. Die Wissenschaftlichkeit des Marxismus, erklärte Brod, »ist sein deutsches, sein nichtjüdisches, ja antijüdisches Ingrediens.«18 Auf der Basis dieser grundsätzlichen Überlegungen entwickelte Brod drei spezifische Elemente, die seine Vorstellung von Sozialismus ausmachten. Das erste Element war die Bodenreform. Bodenreform war ein großes Thema in den zeitgenössischen sozialreformerischen Debatten, insbesondere in Deutschland, und Brod bezog sich direkt auf die beiden wichtigsten Autoren in diesem Feld, Adolf Damaschke und Franz Oppenheimer. Die zentrale These dieser Autoren, die Brod teilte, war, dass das monopolisierte Eigentum an Boden große Menschenmassen zur Migration in die Städte zwang, wo sie die industrielle Reservearmee bildeten, die wiederum niedrige Löhne und Armut hervorbrachte. Aus diesem Grund verlangte Brod im Einklang mit den Bodenreformern, dass der Boden aus der Marktwirtschaft herausgenommen werden sollte. Dies würde es den Mitgliedern der unteren Klassen ermöglichen, auf dem Land zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Die Debatte um Bodenreform war ein Beispiel für die Vorstellung einer gemischten Wirtschaft, da ja nur ein bestimmter Sektor sozialisiert werden sollte. Zugleich war sie stark von zeitgenössischen agrarromantischen und antiurbanistischen Ideen beeinflusst. Die Wiederverwurzelung des Volkes im Boden wurde als Voraussetzung für dessen moralische und physische Gesundung und Verjüngung betrachtet. Brod äußerte zwar gewisse Vorbehalte wenn er darauf hinwies, dass die städtischen Arbeiter vielleicht gar nicht zurück aufs Land wollten, »wenigstens vorläufig«, wie er ergänzte. Zugleich jedoch hielt auch er die Kultur der Großstädte für »fragwürdig« und die landwirtschaftliche Arbeit für vornehmer.19 In Palästina, so Brods optimistische Perspektive, seien diese Probleme weit weniger relevant, da es hier möglich sei, die Entstehung einer industriellen Reservearmee in den Städten von

17 Ebd., S. 15. 18 Ebd., S. 13. 19 Ebd., S. 18.

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vornherein zu vermeiden.20 In Europa musste die Bodenreform allerdings durch andere Mittel ergänzt werden. An dieser Stelle führte Brod ein Konzept ein, das ursprünglich von dem österreichisch-jüdischen Sozialphilosophen Josef Popper-Lynkeus entwickelt wurde, die »Allgemeine Nährpflicht«. Von der Wissenschaft weitgehend ignoriert, war Popper dennoch eine recht bekannte Figur in den intellektuellen Zirkeln seiner Zeit.21 Seine Berühmtheit verdankte sich vor allem seiner Sammlung von Kurzgeschichten Phantasien eines Realisten, die von den österreichischen Behörden verboten worden war und nach ihrer Wiederveröffentlichung in Deutschland zum Bestseller wurde.22 Doch auch seine sozialökonomischen Schriften, insbesondere seine Arbeit zur »Nährpflicht«, fanden unter progressiven bürgerlichen Intellektuellen große Resonanz.23 Auch heute hat Popper noch einen Kreis von Anhängern, und in Yafo ist sogar eine Straße nach ihm benannt.24 Es ist allerdings eine sehr kleine Straße. Dass Brod sich ausgerechnet auf Popper bezog war also keine absonderliche Wahl, wohl aber eine besondere. Das zentrale Prinzip von Poppers Nährpflicht-Idee war eine Dienstpflicht für alle Männer und Frauen, die es dem Staat ermöglichen sollte, alle Bürger lebenslang und kostenlos mit Gütern des Grundbedarfs wie Essen, Kleidung, Wohnung, Bildung und medizinische Betreuung zu versorgen. Auch ein geringer Geldbetrag zur Deckung der wichtigsten kulturellen Bedürfnisse sollte zur Verfügung gestellt werden. Die Dienstpflicht war der Militärpflicht nachempfunden und sollte in staatlichen Fabriken abgeleistet werden, in denen die Güter des Grundbedarfs produziert wurden. Nach dem Ende der Dienstpflicht, die nach Poppers Berechnungen zwischen acht und dreizehn Jahren dauern sollte, konnte man selbst entscheiden, ob man in der Privatwirtschaft, selbständig oder überhaupt nicht arbeiten wollte. Die Güter des Grundbedarfs sollten als Naturalien ausgegeben werden, alles andere sollte auf dem Markt gekauft werden. Popper zielte also auf ein gemischtes Wirtschaftssystem, das einerseits einen freien Markt besaß, andererseits starke Elemente eines Wohlfahrtsstaats, aber 20 Ebd., S. 20. 21 Die wissenschaftliche Literatur zu Popper-Lynkeus ist dünn gesät und wenig substanziell. Vgl. lediglich Belke, Ingrid  : Die sozialreformerischen Ideen von Joseph Popper-Lynkeus (1838– 1921) im Zusammenhang mit allgemeinen Reformbestrebungen des Wiener Bürgertums um die Jahrhundertwende, Tübingen 1978. 22 Popper-Lynkeus, Josef  : Phantasien eines Realisten, Dresden 1899. 23 Ders.: Die allgemeine Nährpflicht als Lösung der sozialen Frage, eingehend bearbeitet und statistisch durchgerechnet. Mit einem Nachweis der theoretischen und praktischen Wertlosigkeit der Wirtschaftslehre. Dresden 1912. 24 An der Goethe-Universität Frankfurt besteht seit 1986 sogar eine »Joseph Popper Nährpflicht-­ Stiftung«.



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auch von staatlicher Planung und von Zwang. Der Staat bestimmte nicht nur die Länge der Dienstpflicht, er definierte auch nach wissenschaftlichen Kriterien, was ein Gut des Grundbedarfs war und was nicht. Brod war schlichtweg begeistert von den Ideen von Popper-Lynkeus. »Diese Problemstellung ist wahrhaft genial und in ihrer Genialität einfach und originell zugleich«, konstatierte er.25 Er war davon überzeugt, dass sie als die Grundlage für den von ihm angestrebten jüdischen Sozialismus dienen konnten. Das »Lynkeus-System«, wie Brod es nannte, würde nicht nur Sozialismus und Individualismus verbinden. Er lobte Popper auch dafür, dass er die marxistische Theorie zurückwies und den Sozialismus stattdessen auf Ethik gründete. »Als ethische und nur ethische Idee des Sozialen«, schrieb Brod, »scheint mir dieses Programm dazu berufen, mit der Idee der nationalen Seinsform, dem Zionismus, in enge Verbindung zu treten.«26 Brod leugnete nicht, dass es noch wichtige Probleme und offene Fragen gebe, etwa das Verhältnis zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor, der Notwendigkeit eines großen bürokratischen Apparats oder der Gefahr der Bildung eines Schwarzmarkts für die Güter des Grundbedarfs. Er nahm diese Probleme ernst, hielt sie aber nicht für stichhaltige Einwände gegen das System selbst. Für Brod hingen sie alle mit der Frage zusammen, ob die Menschen ein genügend ausgeprägtes ethisches Bewusstsein hätten, um das System zu akzeptieren. Aufgrund seines übertriebenen Rationalismus, so Brod, hätte Popper dieses Problem nicht gesehen und damit die Notwendigkeit übersehen, auf die geistige und moralische Verfassung der Menschen einzuwirken. Das dritte Element von Brods Sozialismus sollte genau diesem Zweck dienen. Dieses dritte Element war die »Zeit-Politik«. In diesem Punkt waren es die Ideen von Brod selbst, die »einfach und originell zugleich« waren. Die Grundidee der Zeit-Politik war die Verknüpfung der Arbeitszeit mit dem Maß an Autonomie und Kreativität der je spezifischen Art von Arbeit. Je niederer die Art der Arbeit, desto stärker sollte die Arbeitszeit reduziert werden. Brod definierte vier Kategorien  : »mechanische Arbeit« mit einem hohen Maß an Automation, Arbeitsteilung und Entfremdung  ; »Arbeit mit seelischer Beteiligung« mit begrenzter Arbeitsteilung, bei der die Arbeiter an der Organisation der Fabrik oder des Arbeitsplatzes mitwirkten und die Profite mit dem Besitzer teilten  ; »freie Arbeit«, in der die Arbeiter entweder selbst oder als Mitglied einer Kooperative Eigentümer des Unternehmens waren  ; und »Arbeit am eigenen Werk«, die, ganz wie die Arbeit des Künstlers, keinen Zweck außerhalb ihrer selbst hatte.27 In der niedersten Kategorie, der »mechanischen 25 Brod  : Sozialismus, S. 22. 26 Ebd., S. 30. 27 Vgl. ebd., S. 42–44.

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Arbeit«, sollte die durch Automation eingesparte Zeit nicht zur Erhöhung der Profite verwendet werden, sondern für eine radikale Verkürzung der Arbeitszeit. Dies sollte es den Arbeitern ermöglichen, ihre freie Zeit für höhere Formen der Arbeit zu verwenden. In Brods Vorstellung sollte der Staat die Arbeitszeitverkürzung durchsetzen, die höheren Formen der Arbeit privilegieren und so den verbliebenen privaten Sektor streng regulieren. Das Ziel der Zeit-Politik war, so formulierte es Brod, die »Vergeistigung der übrigbleibenden Privatsphäre«.28 Brods Pläne einer radikalen Arbeitszeitverkürzung und einer kostenlosen Grundversorgung für alle muten verblüffend modern und bemerkenswert emanzipatorisch an. Die Arbeiterbewegung und viele Linke diskutieren und verlangen beides seit dem Ende des 19. Jahrhunderts und tun dies noch heute. In Deutschland zum Beispiel gibt es seit einigen Jahren die Forderung nach einem »bedingungslosen Grundeinkommen« für jeden. Viele soziale Bewegungen heute fordern, dass beispielsweise Wohnraum aus dem Markt herausgenommen wird, weil es dabei um die Befriedigung fundamentalster menschlicher Bedürfnisse geht, die durch den Markt eben allzu oft nicht befriedigt werden. Die Idee, extreme Ausbeutung durch den Ausschluss der Grundversorgung aus der Marktwirtschaft zu umgehen, ist ohne Zweifel ebenso emanzipatorisch wie aktuell. Dasselbe gilt für die Reduzierung der Arbeitszeit. Brods Vorschlag, die Arbeitszeit am radikalsten in den ausbeuterischsten und am meisten entfremdeten Segmenten der Wirtschaft zu verringern, macht daraus ein noch stärkeres Instrument, um die Würde und Selbstbestimmung der Arbeiter zu verteidigen. Die Verbindung des Kampfes gegen Ausbeutung mit dem Kampf gegen Entfremdung war auch eines der zentralen Ziele der sozialen Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre. In dieser Hinsicht liest sich Brods Buch teilweise wie eine Vorwegnahme der Debatten dieser Bewegungen, die auch heute noch von ungebrochener Relevanz sind. Neben und teilweise verbunden mit diesen äußerst progressiven Elementen finden sich in Brods Sozialismus jedoch auch eine Reihe von regressiven, neoromantischen und autoritären Zutaten. Das offensichtlichste Problem bestand darin, dass Brod kein allzu tiefes Verständnis der kapitalistischen Ökonomie besaß. Natürlich sollte dies auch nicht erwartet werden von einem homme de lettres, der über keinerlei politischen oder akademischen Hintergrund in Sachen ökonomischer Theorie verfügte. Es ist jedoch durchaus bezeichnend für Brods Auffassung von Kapitalismus und Sozialismus, wenn er die Aneignung des durch die Automatisierung generierten Extraprofits durch die Kapitalisten »menschliche[r] Bosheit und Verblödung« zuschrieb und nicht der dem Kapitalismus inhärenten 28 Ebd., S. 70.



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Tendenz, den Profit wo immer möglich zu maximieren.29 Generell tendierte Brod dazu, ökonomische Strukturen und Prozesse in den Kategorien der Mentalität, der Psychologie oder des Geistes zu erklären. Er kritisierte sogar Popper für dessen angeblich übertriebenen Rationalismus, und diese Kritik richtete sich natürlich auch gegen die marxistische Theorie. Brods Bemühen, nicht-rationale und psychologische Elemente in das sozialistische Denken zu integrieren, traf durchaus einen blinden Fleck des Marxismus, insbesondere des deterministischen Kautskyanismus, der zu dieser Zeit noch immer die dominante Version des Marxismus war. Es hinderte ihn jedoch zugleich daran, diejenigen Triebkräfte der Ausbeutung zu sehen, die dem Kapitalismus systematisch inhärent sind. Es war dies auch der Anknüpfungspunkt für neoromantische und irrationale Vorstellungen. Der Antiurbanismus und Agrarromantizismus der Bodenreformdebatte, der auch in Brods Aneignung dieser Debatte aufschien, wurde bereits erwähnt. Doch auch Brods Begriff der Arbeit war hochproblematisch. Die »spirituelle« Form von Arbeit, die Brod der entfremdeten Industriearbeit entgegensetzte, war weitgehend nach einem idealisierten Bild vorindustrieller Arbeit in kleinen Werkstätten, Bauernhöfen oder Künstlerateliers modelliert. Die einzige »postindustrielle« oder genuin sozialistische Form der Organisation von Arbeit, die Brod erwähnte, waren die Kooperativen, doch er behandelte diese nur äußerst kursorisch. Brods Kritik der Entfremdung war also weniger das Ergebnis einer kritischen Analyse der sozialen und ökonomischen Verhältnisse als eines romantischen Ressentiments gegen die moderne Industriegesellschaft. Es war kein Zufall, wenn er letztere als »Zivilisation« bezeichnete, seine eigene Vorstellung von Sozialismus hingegen als »Kultur«.30 Brod reproduzierte hier ein Motiv, das im deutschen neoromantischen und neokonservativen Diskurs weit verbreitet war. Ein weiteres, hiermit verbundenes Problem war die Leichtigkeit, mit der Brod auch die autoritärsten Elemente des Systems von Popper-Lynkeus in sein eigenes Verständnis von Sozialismus einbaute. Dies fällt besonders auf, weil Brod gleichzeitig um die Freiheit des Individuums besorgt war, die er von der marxistischen Theorie und durch eine vollständige Sozialisierung bedroht sah. Wie für Popper sollte auch für Brod der Staat beinahe unbegrenzten Einfluss auf das Leben der Bürger haben. Er erzwang nicht nur eine lange Phase der Dienstpflicht, sondern entschied auch darüber, welche Güter zur Grundversorgung nötig waren und welche nicht. Brod war sich dessen sehr bewusst, dass eine Begrenzung der Möglichkeiten, Profit zu erwirtschaften, von den Kapitalisten nicht freiwillig akzeptiert werden würde und dass ein machtvoller poli29 Ebd., S. 46. 30 Ebd., S. 48.

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tischer Rahmen notwendig war, um sie durchzusetzen. Doch er problematisierte diesen Aspekt nicht, und er hatte keinerlei Bedenken, dem Staat eine solche Macht anzuvertrauen. In dieser Hinsicht stand Brods Konzept den autoritären staatssozialistischen Systemen recht nahe, die sich im Lauf des 20. Jahrhunderts in Osteuropa etablierten. Brod selbst war der Ansicht, dass er eine genuin jüdische Version des Sozialismus entwickelt hatte. Er war davon überzeugt, dass sozialistische Ideen dem Judentum inhärent waren, während kapitalistische Juden so etwas waren wie ein Widerspruch in sich selbst. »Das Judentum als lebendige Quelle sozialer Gerechtigkeit«, schrieb er, »dieser Programmpunkt fand seine nicht ganz unerwünschte Bestätigung in der Tatsache, daß die plutokratischen Schichten des Judentums unserer Erneuerungsbewegung fremd, ja feindlich gegenüberstanden.«31 Was Brods Version des Sozialismus für ihn spezifisch jüdisch machte, war jedoch die ethische Grundlage, auf der sie aufgebaut war. Auch die Ablehnung des marxistischen Materialismus war für Brod spezifisch jüdisch. Es war kein Zufall, argumentierte er, dass jüdische Sozialisten wie Eduard Bernstein oder Gustav Landauer diese Ablehnung besonders radikal und besonders wirksam vertreten hatten. Darüber hinaus hielt Brod auch die Mischung aus sozialisierter und privater Wirtschaft, aus Sozialismus und Individualismus, für spezifisch jüdisch. Sie entsprach nicht nur der sozialen Situation des Judentums, sowohl in Palästina wie auch in der Diaspora, sondern auch den ethischen Werten von menschlichem Willen und Kreativität, die für Brod ebenfalls im Judentum gründeten. Schließlich war der ethische Sozialismus nach Ansicht von Brod auch deshalb spezifisch jüdisch, weil er sich sehr viel einfacher mit dem jüdischen Nationalismus vereinbaren ließ als die marxistische Version. Während der Marxismus noch immer am Endziel der Auflösung aller Nationen festhielt, würde der jüdische Sozialismus die Entwicklung nationaler Besonderheiten erlauben, während er zugleich nationale Rivalitäten und Konflikte überwand.32 Brods Behauptung, dass es sich bei seinem Sozialismus um einen spezifisch jüdischen Sozialismus handele, gründete nicht zuletzt auf dem angeblich jüdischen Ursprung seiner Quellen. Brod fand viele Parallelen zwischen den Ideen von Popper-Lynkeus und Vorstellungen, wie sie im Talmud und in der Bibel zu finden waren.33 Poppers eigene Quellen waren jedoch wesentlich profaner. Die Idee, dass der Staat oder das Gemeinwesen eine materielle Grundversorgung zur Verfügung stellen sollte, wurde beispielsweise von Frühsozialisten wie Charles Fourier, Victor Considérant oder Etienne Cabet diskutiert, ebenso durch den 31 Ebd., S. 7. 32 Vgl. ebd., S. 71 f. 33 Vgl. ebd., S. 24.



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Anarchisten Petr Krapotkin. Ähnliche Überlegungen finden sich auch schon bei Johann Gottlieb Fichte. Eine direktere Quelle sowohl für Popper als auch für Brod waren die Erfahrungen des »Kriegssozialismus« in Deutschland während des Ersten Weltkriegs und des »Kriegskommunismus« in Sowjetrussland unmittelbar danach. Auch die Debatten um Bodenreform wurden bei weitem nicht nur von Juden geführt, auch wenn einer ihrer wichtigsten Protagonisten, Franz Oppenheimer, tatsächlich Jude und Zionist war. Brod zitierte eifrig die positive Bezugnahme Adolf Damaschkes auf die Landgesetze im alten Israel, doch er erwähnte nicht, dass Damaschke selbst aus einer dezidiert christlich-protestantischen Position heraus schrieb.34 Die Bodenreform-Debatte insgesamt war Teil eines wesentlich größeren Feldes von nicht-marxistischen Ideen der Sozialreform, das in Zentraleuropa seit dem späten 19. Jahrhundert entstanden war. Auch Poppers Nährpflicht-Konzept gehört in dieses Feld. Ein explizit »jüdischer« Einfluss für Brods Sozialismus war, jedenfalls auf den ersten Blick, die Ideologie von Ha-Poel Ha-Tsair. Schon im Jahr 1919 hatte Victor Chaim Arlosoroff die wichtigsten programmatischen Prinzipien der Partei in seinem Buch Der jüdische Volkssozialismus dargelegt.35 Viele davon wurden von Brod übernommen. Dazu gehörten die Kritik an der marxistischen Theorie und an der sozialdemokratischen Politik, die beide von Arlosoroff und Brod als rein materialistisch und als geistlos zurückgewiesen wurden, sowie die Ablehnung des Klassenkampfs als Weg, um den Sozialismus zu erreichen. Die Begründung des Sozialismus auf Ethik statt auf materialistischer Theorie und Klasseninteressen, für die sich Brod so emphatisch einsetzte, war ein Eckpfeiler der Ideologie von Ha-Poel Ha-Tsair. In genau dieser Hinsicht war diese Ideologie jedoch alles andere als spezifisch jüdisch. Das Ersetzen des Materialismus durch Ethik war das Ziel einer ganzen Strömung innerhalb der europäischen sozialistischen Bewegung, von Eduard Bernsteins Revisionismus in den 1890er Jahren bis hin zu einer ganzen Reihe von Intellektuellen und Gruppierungen, die ethische und religiöse Formen des Sozialismus in der Zwischenkriegszeit propagierten. In Deutschland beispielsweise wurden solche Vorstellungen in Teilen der sozialistischen Jugendbewegung in der unmittelbaren Nachkriegszeit oder im Kreis der Neuen Blätter für den Sozialismus in den frühen 30er Jahren entwickelt.36 Ha-Poel Ha-Tsair war also Teil einer breiten Bewegung, die ein 34 Brod  : Sozialismus, S. 18. Zu Adolf Damaschke und dem von ihm geführten Bund Deutscher Bodenreformer vgl. u. a. Repp, Kevin  : Reformers, Critics, and the Paths of German Modernity. Anti-Politics and the Search for Alternatives, 1890–1914, Cambridge 2000, S. 67–103. 35 Arlosoroff, Victor Chaim  : Der jüdische Volkssozialismus, Berlin 1919. 36 Vgl. dazu Vogt, Stefan  : Nationaler Sozialismus und Soziale Demokratie. Die sozialdemokratische Junge Rechte 1918–1945, Bonn 2006.

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zeitgenössisch weit verbreitetes Unbehagen am Rationalismus und Materialismus in einem sozialistischen Kontext artikulierte. Es war auch keine Besonderheit, wenn Arlosoroff und andere Anhänger von Ha-Poel Ha-Tsair die nationale Gemeinschaft als Alternative zu Entfremdung und Klassenkampf präsentierten. In nicht-jüdischen Kontexten suchten ethische Sozialisten ebenfalls nach einer Synthese von Sozialismus und Nationalismus. In den Neuen Blättern für den Sozialismus beispielweise konnte man lesen, dass »der Kampf um die Verwirklichung des Sozialismus nur gleichzeitig als Kampf um die Freiheit der Nation geführt werden kann.«37 Ein zentrales Element der Ideologie von Ha-Poel Ha-Tsair, das auch in Brods Sozialismus eine wichtige Rolle spielte, war die Neubestimmung der Kategorie »Arbeit« in den Begriffen der Lebensphilosophie. In seinem Bericht von der Prager Konferenz der Partei im Jahr 1920 beschrieb Robert Weltsch deren wichtigstes Ziel als die »schöpferische[…] Wiedergeburt des jüdischen Volkes durch Arbeit.«38 Für die Mitglieder von Ha-Poel Ha-Tsair, einschließlich Brod, war Arbeit ein bestimmendes Element des menschlichen Lebens, unabhängig vom sozialen oder ökonomischen System, in der sie ausgeübt wurde. Aus diesem Grund war das eigentliche Problem, mit dem sich der Sozialismus auseinanderzusetzen hatte, nicht Ausbeutung, sondern Entfremdung. Auch in dieser Hinsicht war Ha-Poel Ha-Tsair Teil einer breiteren Entwicklung innerhalb der sozialistischen Bewegung, in der Arbeit ebenfalls diese neue Bedeutung bekam. Für ethische Sozialisten wie zum Beispiel Eduard Heimann war sie nicht in erster Linie eine sozio-ökonomische, sondern eine anthropologische Kategorie.39 Die Aufnahme der Lebensphilosophie in den Sozialismus, die darin zum Ausdruck kam, war ein weit verbreitetes Anliegen unter ethischen Sozialisten und als solches wiederum eine Adaption an eine umfassendere intellektuelle Zeittendenz. Keinerlei spezifisch jüdische Dimension lässt sich in der letzten wichtigen Quelle von Brods Sozialismus ausmachen. Die Unbekümmertheit, mit der er autoritäre Elemente in sein Konzept integrierte, war eine direkte Konsequenz von Erfahrungen, die er während und unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg gemacht hatte. Wie viele andere Intellektuelle, auch viele Sozialisten, war Brod der Ansicht, dass der Krieg die Notwendigkeit und Legitimität staatlicher In37 Die Sieger von übermorgen, in  : Neue Blätter für den Sozialismus 3 (1932), S. 516. Vgl. auch Rathmann, August  : Nationale Politik, in  : Neue Blätter für den Sozialismus 1 (1930), S. 29–37, 60–72  ; Heller, Hermann  : Nationaler Sozialismus, in  : Neue Blätter für den Sozialismus 2 (1931), S. 154–156. 38 Weltsch, Robert  : Die Prager Konferenz (Bemerkungen), in  : Der Jude 5 (1920/21), S. 35–37, Zitat S. 37. Vgl. auch Arlosoroff  : Volkssozialismus, S. 38. 39 Vgl. z.B. Heimann, Eduard  : Die sittliche Idee des Klassenkampfes und die Entartung des Kapitalismus, Berlin 1926, S. 33.



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tervention in die Gesellschaft unterstrichen habe. Dadurch habe sich auch die Akzeptanz autoritärer Maßnahmen zur Reorganisation des öffentlichen Lebens vergrößert. Die Zuweisung von Gütern des Grundbedarfs entsprechend fester Quoten, wie sie das Nährpflicht-Konzept vorsah, sei, so Brod, »ein System, das vor dem Krieg ganz phantastisch anmuten mochte, heute aber durch Analogie der Brotkarte u. s. f. zugänglicher geworden ist.«40 Während des Krieges hatten deutsche Sozialisten wie Paul Lensch die Idee einer Kompatibilität von autoritärem Staat und sozialistischer Wirtschaft entwickelt.41 Dieser »Kriegssozialismus« diente bereits Popper-Lynkeus als Inspiration, und ebenso nun Brod. Gleichzeitig wusste Brod sicherlich um den Kriegskommunismus, den die Bolschewiki nach der Revolution in Russland eingeführt hatten. Auch wenn sich Brod nicht direkt auf den Kriegskommunismus bezog und sich seine eigenen Vorstellungen von Sozialisierung und staatlicher Kontrolle von denjenigen der Bolschewiki unterschied, nahm er doch deren Beispiel als Beweis dafür, dass sich auch radikale Maßnahmen erfolgreich durchsetzen ließen. Damit soll nun nicht gesagt sein, dass Brods Sozialismus keine jüdischen Quellen hatte. Brod berief sich zweifellos auf spezifisch jüdische Traditionen, etwa auf das Denken des intellektuellen Führers von Ha-Poel Ha-Tsair, A. D. Gordon, oder auf kulturzionistische Konzepte, wie sie von Martin Buber und dem Kreis der Prager Zionisten entwickelt wurden, dem Brod selbst angehörte. Brods Sozialismus reagierte auch auf die spezifischen jüdischen Bedingungen der Diaspora. Doch diese »jüdischen« Traditionen waren selbst zutiefst mit intellektuellen Entwicklungen verwoben, die sowohl Juden als auch Nichtjuden betrafen. Dies galt insbesondere für den jüdischen und zionistischen Sozialismus. Brods Sozialismus war eine äußerst originelle und höchst eklektische Komposition, doch seine Elemente waren sehr viel stärker Teil allgemeiner Debatten unter europäischen Sozialisten, als Brod dies sehen konnte oder zuzugeben bereit war. Sein Sozialismus kann daher nur verstanden, anerkannt und kritisiert werden, wenn er in eben diesen Kontext gestellt wird.

40 Brod  : Sozialismus, S. 27. 41 Vgl. z.B. Lensch, Paul  : Kriegssozialismus, in  : Vorwärts, 5. Februar 1915, Beilage.

Dietmar Goltschnigg

Die Internierung des Wiener revisionistischen Zionisten Wolfgang von Weisl im britischen Militärlager Latrun Der 1896 in Wien geborene Wolfgang von Weisl ist der bedeutendste und radikalste revisionistische Zionist österreichischer Herkunft. Er hat nach dem Ersten Weltkrieg mit enormem, vielseitigem und auch militantem Einsatz als Politiker, Arzt, Offizier, Ökonom, Kolonist, Vortragender, Schriftsteller und Journalist an der Wegbereitung eines unabhängigen jüdischen Staates in Palästina mitgewirkt. Sein Lebenswerk, seine Autobiographie und seine zahlreichen politischen und literarischen Schriften  – Zeitungsartikel, orientalische Sach- und Reisebücher, medizinische und religionspsychologische Abhandlungen, Gedichte, erzählende und dramatische Texte – sind bisher unerforscht. Im Rahmen eines vom Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) geförderten Projekts sollen Weisls Werke demnächst im Wiener Böhlau Verlag ediert werden, darunter seine beiden autobiographischen Schriften Lang ist der Weg ins Vaterland und Der Weg nach Latrun. Der Berichtszeitraum des Tagebuchs Der Weg nach Latrun erstreckt sich über die drei ereignisreichen, dramatischen Monate vom 29. Juni bis zum 28. September 1946. Es war die bis dahin explosivste Phase vor der Gründung des Staates Israel. Im Laufe dieses Jahres wurden fast allwöchentlich schwere Anschläge paramilitärischer zionistischer Untergrundorganisationen gegen die britische Mandatsherrschaft verübt, die am Schabbat, dem 29./30. Juni 1946, mit der sogenannten »Operation Agatha« (»Schabbat Ha-Sh’chora«, »Schwarzer Schabbat«) zurückschlug und ca. 2700 Mitglieder der Jewish Agency ( JA), der Hagana und ihrer Untergrund-Kampftruppen Irgun, Lechi und Palmach inhaftierte. Die »V.I.P.s« (very important persons), darunter Wolfgang von Weisl, wurden nach Latrun gebracht. In Latrun versammelten sich Vertreter aller Parteien des Jischuw, die revisionistischen »Rechtszionisten« und die »Linkszionisten«. Neben Weisl zählten zu den Revisionisten  : Gerschon Schoffmann (Vorsitzender des Merkaz der ­Hazach)1, Moshe Gold (Weltvorsitzender der revisionistischen Jugendbewe1

Hazach = Neue Zionistische Organisation (NZO)  : 1935 in Wien unter Führung Jabotinskys durch Abspaltung von der Zionistischen Weltorganisation (Präsident Weizmann) gegründete revisionistische, nationaljüdische Bewegung.

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gung) und Zvi Hermann Segal (Mitglied der Irgun). Dem Lager der Linkszionisten gehörten Funktionäre an, von denen einige später wichtige Staatsämter in Israel bekleideten  : Mosche Schertok (Leiter der politischen Abteilung der JA, später Außenminister und Ministerpräsident), Rabbi Jehuda Leib Fischmann (Ausschussmitglied der JA, später Religionsminister), David Remez (Vorsitzender des Vaad Leumi, später Verkehrsminister), Dov Bernard Yosef (Vorstandsmitglied der JA, später Justizminister), Jitzhak Grünbaum (Vorstandsmitglied der JA, später Innenminister), David Hacohen (Mitglied der Mapai2 und der Hagana, später Knesset-Abgeordneter), Yitzhak Ben-Aharon (Arbeiterfunktionär, später Knesset-Abgeordneter und Verkehrsminister), Isser Halperin (Leiter des Nachrichtendiensts der Hagana, später Chef des israelischen Geheimdiensts »Mossad« und Knesset-Abgeordneter) und David Shingarevsky (Mitglied der JA). Vor dem »Schwarzen Schabbat« herrschte Einigkeit unter den Gefangenen, nun rivalisierten die »Rechten« mit den »Linken« um den Vorrang, wobei es oft nur um nebensächliche Alltagsangelegenheiten ging. Wie »draußen« im Zivilleben beschwor Weisl auch im Lager die Einheit des Jischuw im Kampf um den jüdischen Nationalstaat und warnte eindringlich vor innerjüdischen Parteizwistigkeiten. Weisl betätigte sich in Latrun als Lehrer und Erzieher der jüngeren Häftlinge, hielt Vorlesungen über Politik und Hygiene, schrieb an einem Buch über Asthma, ordinierte als praktischer Arzt, stellte Krankheitsatteste für Gefangene aus, um deren Deportation in andere, »härtere« Lager zu verhindern, und übernahm die wöchentliche Parashat Ha-Shawua, die Exegese ausgewählter Thora-­ Abschnitte, jeweils am Schabbatnachmittag in der Synagoge. Dies bot ihm willkommene Gelegenheit, die Bibel im Dienste des modernen revisionistischen Zionismus zu interpretieren. Schon in seiner ersten Parasha fand er ein vorzüglich geeignetes Thema in Shoftim (Buch der Richter), Kapitel 11. Die Geschichte Jiftachs Ha-Giladi, des tapferen Helden, schien ihm »eigens für unsere gegenwärtigen politischen Verhältnisse geschrieben zu sein«.3 Wie 500 Jahre vorher Moses, so sei auch Jiftach in den Untergrund verjagt worden, wo er gewartet habe, bis ihn die Manhigim, die Sprecher der Gemeinde, zum militärischen und politischen Kommandanten wählten, so dass er sein Volk einen und retten konnte, indem er es siegreich gegen die Feinde, die Ammoniter, führte. Moses und Jiftach waren in Weisls Parasha gleichsam gottgesandte biblische Ahnherren der modernen 2 3

Mapai (»Mifleget Poalei Erez Israel«, »Partei der Arbeiter Israels«)  : gegründet 1930, auf Initiative u. a. von David Ben-Gurion. Alle folgenden Zitate stammen, wenn nicht anders angegeben, aus dem im Nachlass des Autors befindlichen Manuskript Der Weg nach Latrun.



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Revisionisten, an die sich die heutigen Manhigim, »die führenden Funktionäre in Latrun«, »erinnern sollen«. Als legitime moderne Nachfolger von Moses und Jiftach rühmte Weisl namentlich die Zionisten Theodor Herzl und Wladimir Zeev Jabotinsky. Für beide wurden in Latrun Gedenkfeiern abgehalten. Während Herzl von den »Linken« und »Rechten« – allerdings getrennt – gefeiert wurde, nahmen an der Jabotinsky-Feier nur die Revisionisten teil, abgesehen von zwei »offiziellen« Delegierten der »Linken«  : Grünbaum von der Sochnut, Schattner vom Vaad Leumi. Die aufwändig vorbereitete Jabotinsky-Feier nimmt den breitesten Raum in Weisls Tagebuch ein. In der Einleitung seiner leidenschaftlichen Rede stellte er wieder eine Verbindung zur Parasha der Woche her  : Matoth, 4. Buch Moses 30  :2–32  :42, wo der große Prophet zu den israelitischen Stammeshäuptern spricht und von ihnen die Erfüllung ihres Gelübdes, der ungeteilten Landnahme westlich des Jordans einfordert. Dieses Versprechen, nicht nur »privat«, sondern auch »öffentlich« abzulegen, wird von Weisl den gegenwärtigen zionistischen Staatsmännern abverlangt. Für sie dürfe es keine »doppelte Moral« geben, »wie sie die Engländer und alle andern Völker praktizieren«. Nur Jabotinsky habe das »Gebot Gottes«, die Unteilbarkeit Palästinas, vorbildlich, weil kompromisslos, »erfüllt«. Das zweite Thema, das Weisl anspricht, ist Jabotinskys »Bündnispolitik«, deren Priorität er für sich reklamiert. Schon im Dezember 1934, und nicht erst 1936 wie Jabotinsky, habe er auf der Weltkonferenz der revisionistischen Zionisten in Krakau ein Abkommen mit der »Kleinen Entente« (Tschechoslowakei, Jugoslawien und Rumänien) zur »Evakuation« von einer Million Juden binnen eines Jahrzehnts aus Polen nach Palästina vorgeschlagen, die mit Chaim Weizmanns halbherzigen, religiös angehauchten »Chalukka«-Plänen zur humanitären, »gnädigen« Verteilung der in der Diaspora gesammelten Gelder an bedürftige jüdische Einwanderinnen und Einwanderer absolut unvereinbar sei. Eine Million Juden hätten  – so Weisls Vorwurf an Weizmann  – bei rechtzeitiger Realisierung dieses Vertrags vor der Shoa gerettet werden können. Weisl beschloss seine Rede mit polemischen Angriffen gegen die seit 1945 amtierende »antisemitische« britische Labour-Regierung Clement Attlees und Ernest Bevins, die den Zionismus zur Lösung der »Judenfrage« für obsolet hielt. Die antibritische Polemik durchzieht das ganze Latrun-Tagebuch. Stets benennt Weisl das Lager als »KZ«, die »Aktion Agatha« als »Polizeipogrom«, die britischen Militärbehörden als »Nazis« und »Schüler der Gestapo«. Die »Gestapo von heute« sei »aber noch viel schlimmer als die von 1933  !«  : »System und Inbegriff eines blinden Terrors«. Andererseits muss Weisl einräumen, dass die »alten« gefangenen Juden, d. h. die Revisionisten, »mit permanenten Protesten bis hin zu Hungerstreiks von den Briten eine Reihe von Zugeständnissen

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erkämpft« hätten, »die einigermaßen erträgliche, menschenwürdige Haftbedingungen gewährleisten«. Immerhin dürfen die Insassen Schach spielen und mit dem Medizinball turnen, lesen, Radio hören, eine unterhaltsame Abendveranstaltung mit der berühmten und populären, 1928 aus Weißrussland nach Palästina eingewanderten Schauspielerin Hanna Rovina miterleben, Utensilien, Süßigkeiten, Sodawasser etc. in einer Kantine einkaufen, die allerdings »von der Regierung Seiner [britischen] Majestät« ebenso an Araber verpachtet wurde wie die Lebensmittelversorgung des ganzen Lagers. Die harten Urteile Weisls gegen die Briten erklären sich wohl auch aus der unmittelbaren Niederschrift seiner Hafterfahrungen im Tagebuch. Rückblickend in seiner 1971 verfassten autobiographischen Skizze urteilte er wesentlich milder, wenn er von einer »sehr menschlichen Behandlung der Gefangenen« in Latrun spricht und – allerdings in ironischen Anführungszeichen  – von »Bedingungen einer bescheidenen Sommerfrische«.4 Eine von den jungen Häftlingen aufgeführte Abendrevue bildet neben dem Rovina-Abend den zweiten kulturellen Höhepunkt in Latrun. Hier sei eine jüdische »Gefängniskunst« par excellence kreiert worden, die Weisl in Begeisterung versetzt, weil sie sogar die Theateraufführung der sibirischen Verbannten in den Memoiren aus einem Totenhaus (1861/62), »dem besten Buch des großen russischen Schriftstellers Dostojewski«, übertroffen habe. Während dort die Gefangenen in den Augen Weisls ein eskapistisches »Kasperltheater« aufführen, das sie »vergessen machen« solle, dass sie »keine eleganten Gutsherren mit spanischem Rohr seien, sondern Gefangene des Zaren«, präsentiere die »Lahakat Latrun« realistisch und patriotisch mit weltpolitischen Anspielungen das gegenwärtige »Leben, wie es wirklich ist«. Die Schauspieler von Latrun singen, musizieren und tanzen als Gefangene vor Gefangenen  : »Denn wir alle sind Juden in der Heimat, und unseren Mut und unseren Geist können keine Kerkermeister in Fesseln schlagen […]  !« Den extremen Kontrast zu dieser unterhaltsamen Abendrevue bildet eine Razzia der britischen Militärpolizei, ein unerhörtes Ereignis sadistischer, auch antisemitischer Unmenschlichkeit der Machthaber. Es geht um die Selektion einer Gruppe von Gefangenen, die strafweise in ein härteres Lager nach E ­ ritrea deportiert werden sollen. Eine Armee von 600 Fallschirmjägern und etwa 150 Polizisten wird mobilisiert, um neun Gefangener habhaft zu werden, die dann nacheinander »im Laufschritt, vom Eingangstor den Hügel hinauf zum Polizei­ lager« gejagt werden. Die Jäger »haben Bajonette aufgesteckt und stechen sie während des Laufens, damit sie rascher laufen – sie stechen nicht gefährlich«, 4

von Weisl, Wolfgang  : Skizze zu einer Autobiographie, in  : ders.: Die Juden in der Armee Österreich-Ungarns, Tel Aviv 1971, S. 54.



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»es ist nur ein Spiel, so wie die Katze mit der Maus spielt«. Zwei Kranke unter den neun Gefangenen können immerhin – dank einer ihnen von Weisl attestierten Transportunfähigkeit – vor der Deportation nach Eritrea bewahrt werden  : »Gott sei Dank  !« Bei der Razzia in den Unterkunftsräumen der Gefangenen hatte das britische Militär allerdings blindlings gewütet. »In zwei Baracken waren die Holzverschalungen von den Wänden heruntergerissen worden, so dass die Baracken jetzt unbewohnbar sind. […]. Den Gefangenen wurde unter anti­ semitischen Beschimpfungen ins Gesicht geschlagen, die britischen S ­ oldaten rühmten Hitler.« Die von der Mandatsregierung am Abend ausgestrahlte Radio­­meldung lautet lapidar und umso zynischer  : »Im Lager Latrun haben Militär und Polizei eine ›Routine-Untersuchung‹ durchgeführt, es sei nichts Verdächtiges gefunden worden.« *** Von den »draußen« verübten Attentatem der zionistischen Untergrundverbände sollen hier nur jene kurz gestreift werden, die von den Lagerinsassen tagelang besorgt und verängstigt diskutiert wurden. Den unmittelbaren Anlass für die »Operation Agatha« hatten drei Anschläge zwischen dem 16. und 18. Juni 1946 gegeben  : die Sprengung aller Brücken (»Leil HaGscharim«, »Nacht der Brücken«), die Palästina mit den arabischen Nachbarländern verbanden, durch die Palmach, ein Bombenanschlag der Lechi auf die Eisenbahndepots in Haifa und die Geiselnahme von drei britischen Offizieren ebenfalls durch die Lechi. 14 britische Soldaten und 25 Attentäter kamen ums Leben, 18 jugendliche »Kämpfer für die Freiheit Israels« wurden gefangengenommen und zum Tode verurteilt. Ihr ungewisses Schicksal treibt die Latruner Lagerinsassen fast zur Verzweiflung, bis endlich doch zwei Monate später, am 29. August 1946, das Todesurteil aufgehoben wird. Die britischen Behörden hatten offenbar die Begnadigung der 18 Attentäter mit der – eine Woche zuvor (am 21. August 1946) erfolgten  – gerichtlichen Freisprechung des britischen Leutnants Benjamin Woodworth junktimiert, der am 19. Juni 1946 in Tel Aviv auf offener Straße den ahnungslosen Zionisten Abraham Rosenberg erschossen hatte. Das verheerendste, weltweit Aufsehen erregende Attentat war die am 22. Juli 1946 um 12.37 Uhr von einer Irgun-Kampfeinheit unter Menachem Begin verübte Bombenanschlag auf das Jerusalemer King David Hotel, in dem sich das britische Militärhauptquartier befand. Der Anschlag war unter dem Decknamen »Chick« als Vergeltung für die »Operation Agatha der englischen Tyrannen« vorbereitet worden. Es gab 91 Tote (28 britische Soldaten, Polizisten und Zivilisten, 3 Irgun-Kämpfer, 60 Araber) und über hundert teils Schwerverletzte. Weisl unterzog den Anschlag einer ausführlichen Analyse  : »Das Attentat war von Anfang an so geplant gewesen«, argumentiert er, auf die Exkulpation der Ir-

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gun-Kämpfer abzielend, »dass es nach Möglichkeit keine Menschenleben kosten sollte. […]. Irgendjemand im King David muss für die fünfzig [  !] Opfer größere Verantwortung tragen als die Terroristen selbst«. Die Irgun habe rechtzeitig vor dem Anschlag gewarnt, so dass genügend Zeit gewesen wäre, den betroffenen Flügel des Hotels vollständig zu räumen. Tatsächlich sind drei telefonische Vorwarnungen ausgeschickt worden, aber keine an die britischen Behörden.5 Fast die gesamte jüdische Bevölkerung sowie die von David Ben-Gurion geführte, vorwiegend sozialistische Hagana, die ihre Ziele eher durch politische Agitation als durch Terroraktionen erreichen wollte, verurteilten den Anschlag, ebenso alle »Linkszionisten« im Lager Latrun. Auch Weisl selbst hielt das Attentat wie alle anderen Terroraktionen der paramilitärischen jüdischen Kampftruppen prinzipiell für »nutzlos«, weil sie nur noch schärfere Vergeltungsmaßnahmen der britischen Mandatsmacht provozierten. Tatsächlich verhängte diese über Tel Aviv einen viertägigen Ausnahmezustand mit Ausgangssperre (»Ozer«), ca. 800 Juden wurden verhaftet, darunter aber kein einziger, der an dem Sprengstoffanschlag beteiligt war. 450 Verhaftete kamen nach Latrun. Die Internierungslager, insbesondere auch das für jüdische Flüchtlinge eingerichtete Auffanglager Atlit, waren bald restlos überfüllt, so dass die britischen Behörden die Operation »Igloo« startete. Zwischen dem 11. und 15. August erfolgte die Beschlagnahmung der Alija-Bet-Schiffe »Yagur«, »Henrietta Szold«, »Katriel Jaffe« und »Kaf Gimel Yordei Ha-Sira« (»Die 23 Seefahrer«) mit insgesamt 2689 Flüchtlingen, die alle nach Zypern verbracht und in Lagern festgehalten wurden. Angesichts dieser Ereignisse entlädt sich der ganze aufgestaute Hass Weisls gegen die Briten in einer harschen Anklage  : »Man führt also den Krieg zur Ausrottung der jüdischen Rasse fort, den Hitler begonnen hat – und das alles nur deshalb, weil die Flüchtlinge Juden sind, die in das Land einwandern wollen, von dem Churchill 1922 geschrieben hat, dass sie es ›by right and not by sufferance‹ betreten dürfen«.6 Am 31. August 1946 trat Weisl in einen 28-tägigen Hungerstreik, der die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf die »faschistischen« Maßnahmen der britischen Mandatsregierung in Palästina lenken sollte. Die »Linkszionisten« reagierten zurückhaltend, stimmten jedoch schließlich dem an den Chief Secretary Government of Palestine adressierten Brief Weisls vom 1. September 1946 zu  : Sir, I have the honour to inform you that I shall abstain from taking food for a period of 28 days, beginning from yesterday, Saturday August 31, after sunset. This my fasting should be understood as a sign of my vehement indignation and protest against the 5 6

Siehe ausführlich Clarke, Thurston  : By Blood and Fire. The Attack on the King David Hotel, London 1981. So Winston Churchill in seinem Weißbuch vom Juni 1922.



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unjust, unjustified and unjustifiable imprisonment of myself and of hundreds of other Jews who are, now for the tenth week, detained without even a hint of suspicion of our being connected with any illegal action in Palestine. I am well aware of the fact that neither my fasting nor that of anybody else will influence the attitude or the decisions of the men who rule today over Palestine and who, apparently, regard it as their duty to hinder by all means the return of Israel to its Home. But since, in these tragic times and circumstances, and at a crucial moment of my people’s history, I can do nothing to help or to encourage them in their refusal against surrender – I will at least impose myself a voluntary sacrifice, by refusing any kind of food except water or other non-nourishing beverages, during the following four weeks. May the Lord in His mercy accept this my fasting as a prayer for His help in this hour of Israel’s supreme distress. I have the honour to be, Sir, faithfully yours, Wolfgang Weisl.

Weisls großes politisches Vorbild des gewaltlosen Widerstands war der von vielen seiner Anhänger als Heiliger verehrte Mahatma Gandhi, der mehrmals gegen die britische Kolonialmacht in den Hungerstreik getreten war. »Was ein Inder kann, kann auch ein Jude«, sogar noch unter härteren Bedingungen, so Weisls nicht gerade bescheidener Vergleich  : Als der 73-jährige Gandhi 1942 im Gefängnis saß, hat er, wenn ich mich recht erinnere, 35 Tage lang gefastet und nur Fruchtsäfte und Ziegenmilch getrunken. Mein Fasten muss jedoch unter gänzlichem Verzicht auf jede Nahrung, auch flüssige, angekündigt und durchgeführt werden.

Dass Weisl den charismatischen indischen Politiker vorbehaltlos zum Vorbild nahm, ist unter einem anderen Aspekt erstaunlich. Denn Gandhi hatte acht Jahre zuvor, am 11. November 1938, in seiner Wochenschrift »Harijan« in einem offenen, von vielen Juden scharf kritisierten Brief zwar seine Sympathien für das jüdische Volk bekundet, aber den Zionismus als ungerecht gegenüber den Arabern abgelehnt, »denen Palästina ebenso zustehe wie England den Engländern und Frankreich den Franzosen«.7 Mit seinem Hungerstreik, der im Gegensatz zu den Anschlägen der jüdischen Kampftruppen kein einziges Menschenleben gefährdete (»außer seinem eigenen«), verfolgte Weisl mehrere überaus ambitionierte, allerdings illusorisch anmutende Ziele  : er sollte das Interesse der nationalen und internationalen Presse (»in London und New York«) nicht nur einige wenige Tage, sondern über einen längeren Zeitraum für seinen Fall wachhalten, »das ganze System des 7

Gandhi, Mahatma  : The Jews in Palestine 1938, in  : Harijan (New Delhi), 11. November 1938.

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britischen Polizeistaats in Palästina erschüttern« und – nicht minder wichtig – der Einheit des Jischuw zum gemeinsamen Kampf für den jüdischen Staat im ungeteilten Palästina dienen. Dazu bedurfte es einer effizienten, gleichsam poetologischen Dramaturgie, und die fand der literarisch versierte Absolvent eines Wiener humanistischen Gymnasiums in der altgriechischen Katharsis, »den ehernen Gesetzen, die Aristoteles dem Drama vorgeschrieben hat«  : Das heißt, das Fasten müsse beim Publikum »Furcht und Mitleid« auslösen. Das Publikum müsse – geradezu vor Aufregung zitternd – dem Hungernden den erhofften Erfolg wünschen. Wie aber könne ein Zuschauer, vor allem ein Christ in fernen Ländern, für den Sieg eines Juden »zittern«, sich also »fürchten«, um mit Aristoteles zu sprechen […].

Dies sei nur dann möglich, wenn die Öffentlichkeit tage- und wochenlang um sein Leben fürchten müsse. Penibel überprüfte der hungernde Mediziner fortlaufend seinen Gewichtsverlust, seinen körperlichen und seelischen Zustand, notierte seine täglichen Befunde und verglich sie  – kurioserweise  – mit den Stoffwechselwerten (Azeton, Kochsalz, Stickstoff etc.) der fastenden bayerischen Bauerndirne Therese Neumann (1898-1962), die er persönlich in den Jahren 1927/28 zweimal im oberfränkischen Fichtelgebirgsdorf Konnersreuth besucht hatte, um sich von ihrer »heiligen Passion« und ihrer mystisch-ekstatischen Imitatio Christi, mit dessen Wundmalen sie behaftet war, persönlich zu überzeugen. Als Arzt hatte Weisl in Konnersreuth sofortigen Zutritt zu dem Zimmer erhalten, in dem die gebenedeiete Jungfrau saß. Nach gründlicher Untersuchung und stundenlangen Gesprächen gab es für ihn »keine Zweifel«  : hier handle es sich »um eine wirkliche Heilige«, »und nicht um eine Hysterikerin im gewöhnlichen Sinne des Wortes«. Weisl publizierte in der Berliner »Vossischen Zeitung« und der Wiener »Neuen Freien Presse« über den Fall, der damals auch international ein enormes Medieninteresse hervorrief und bis heute theologisch, medizinisch und literarisch kontrovers diskutiert wird, eine längere Artikelserie, die auch als Sondernummer erschien und mit 800.000 Exemplaren in wenigen Tagen auf der Straße restlos verkauft war, so dass Weisl, nach seinen eigenen Worten, »zu einem der fünf bestbezahlten deutschen Journalisten« avancierte.8

8

Weisl  : Skizze zu einer Autobiographie, S. 43  ; siehe auch Weisls Artikel Germany’s Maiden of Miracles, in  : The Living Age (New York), 1. Oktober 1927, S. 625–630  ; und mit wissenschaftlichem Anspruch  : ders.: Zwischen Religion und Krankheit. Das Problem der stigmatisierten Jungfrau Therese Neumann von Konnersreuth, Wien 1928 (Veröffentlichungen des Wiener Religionspsychologischen Forschungsinstituts. Heft 4), S. 1–50.



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Dieser absonderliche, groteske Fall von parapsychologischem Interesse9 verdient auch deshalb größeres Augenmerk, weil Weisl ihn in einen erstaunlichen religiös-politischen Kontext stellte. Er »habe immer«, schreibt er im Latrun-Tagebuch, besonders starkes Interesse und besondere Liebe für diese Menschen gehabt, die Gott im Alltag suchen und erleben, auch wenn andere sie für abnormal halten. Man nennt sie »verrückt« mit jenem hässlichen Achselzucken, das unsere Zeit für alle Menschen übrig hat, die anders Werte bewerten als die Krämer und Hausierer« (kursiv  : D. G.).

Aber, so Weisls abstrus anmutende Schlussfolgerung, »›verrückt‹ war Herzl in den Augen seiner Zeit, ›verrückt‹ waren die Revisionisten«, und an deren vorderster Front er, Weisl, selbst, den nicht selten seine skeptische Mitwelt ob seines standhaften politischen Außenseitertums für »ver-rückt« erklärt habe. Tatsächlich hatte übrigens Theodor Herzl, wie er in seiner Autobiographie berichtet, seine Schrift Der Judenstaat als Korrespondent der Wiener »Neuen Freien Presse« in Paris 1895 verfasst, als er sich in einem zweimonatigen, dem Alltagsleben ent-rückten Ausnahmezustand befand  : »Ich glaubte […] so etwas wie ein Rauschen über meinem Haupte, als ich dieses Buch schrieb. Ich arbeitete an ihm täglich, bis ich ganz erschöpft war.«10 In einem ähnlichen Trancezustand betritt auch in Herzls utopischem Roman Altneuland (1902) der autobiographische Wiener Protagonist Dr. Friedrich Löwenberg die wieder »auferstandene« Altstadt Jerusalems – im fiktiven Jahr 1923, ein Jahr nachdem realiter der junge Wolfgang von Weisl erstmals den ersehnten heiligen Zionsberg besteigen durfte. Die von Weisl in seinem Latrun-Tagebuch thematisierte Affinität zu der »Heiligen«-Figur Resl von Konnersreuth und zu seinem großen, messianischen Vorbild Theodor Herzl ist auch damit zu erklären, dass er diese visionären Analogien in einem durch sein Fasten hervorgerufenen ent- und ver-rückten Ausnahmezustand niederschrieb.   9 Siehe z.B. die kritische Replik des Berliner Homöopathen Dr. med. Walter Kröner  : Das Problem der Nahrungslosigkeit. Einige Bemerkungen zum Fall Konnersreuth, in  : Zeitschrift für Parapsychologie (Leipzig) 4 (1929), S. 286–292. 10 Herzl, Theodor  : Selbstbiographie, in   : Zionistische Schriften, hg. von Leon Kellner. Berlin-Charlottenburg 1905, S. 18. Herzl bezieht sich hier auf Heine, einen seiner Lieblingsdichter, der rückblickend (1851) berichtet, dass er in den letzten drei Januartagen des Jahres 1821, als er in Berlin unter den Linden die einaktige Tragödie William Ratcliff in einem Zuge niederschrieb, über seinem »Haupte ein Rauschen« hörte, »wie der Flügelschlag eines Vogels«. Heine, Heinrich  : Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke, hg. von Manfred Windfuhr. 16 Bde., Hamburg 1973–1997, Bd. 5, S. 377  ; vgl. dazu auch Gelber, Mark H.: Heine, Herzl, and Nordau  : Aspects of the Early Zionist Reception, in  : The Jewish Reception of Heinrich Heine, ed. by Mark H. Gelber, Tübingen 1992 (Conditio Judaica Bd. 1), S. 139–151, bes. S. 145 f.

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Unbeirrt von anderslautenden Ratschlägen »guter« Freunde und Bekannter, vor allem auch seiner Ärzte, durchlief Weisl, jegliche Versuche künstlicher Ernährung strikt zurückweisend, sein hungerndes »Stationendrama«  : von der Einzelzelle in Latrun nach Jerusalem in das britische Regierungsspital und zuletzt nach Tel Aviv in die Hadassah. Einige der sich selbst gesteckten Ziele hat er tatsächlich erreicht  : Geistliche Würdenträger und politische Funktionäre, ungeachtet ihrer Couleur, besuchten ihn, ihm bekannte und unbekannte Schriftsteller – sogar aus Amerika – reichten Petitionen für ihn bei der britischen Mandatsbehörde ein, nahezu alle jüdischen Zeitungen Palästinas berichteten über den Verlauf seines Fastens, Dutzende telegraphische Glückwünsche trafen ein, das fernste aus Montevideo, das erfreulichste von Jabotinskys Witwe Johanna aus New York. Am 28. September 1946 konnte Weisl seinen Hungerstreik planmäßig beenden, nachdem zwei Tage zuvor ein Brief eingetroffen war, in dem die »V.I.P.s« aus Latrun, die Revisionisten Schoffmann und Gold gemeinsam mit den »Linken« Schertok, Grünbaum, Hacohen, Remez und Shingarevsky ihn mit herzlichen Worten aufgefordert hatten, das Fasten einzustellen. Die Beendigung des Fastens hatte für Weisl noch ein dramatisches, lebensgefährliches Nachspiel  : Er erlitt eine schwere Darmkolik und kollabierte. Nach Einnahme von Abführ- und Schmerzmitteln normalisierte sich jedoch in den nächsten Tagen seine Darmtätigkeit, und die Nahrungsaufnahme konnte wieder ungehindert erfolgen. Das wagemutige Drama hatte sein Happy-end. Am 5. November 1946 ließen die Briten 2.550 Verdächtige der Hagana frei (darunter Mosche Schertok, Dr. Issac Grünbaum, Dr. Bernard Joseph, David Remez, David Hacohen, David Shingarevsky, Joseph Schoffmann und Mordechai Schattner). Ende Februar 1947 zog Weisl eine nüchterne, illusionsfreie Bilanz. Er gestand freimütig ein, dass sich nach seinem Hungerstreikt nicht viel geändert habe  : Die Gesetze, die jeden Juden Palästinas unter Polizei-Tyrannei stellen, bestehen nicht nur weiter, sondern wurden noch verschärft. Nach wie vor kann jeder Jude jederzeit verhaftet und ins Konzentrationslager gebracht werden. Juden werden zum Tode verurteilt, wenn man bei ihnen Waffen findet.

Gleichwohl sei sein Fasten »nicht zwecklos« gewesen. Ihm selbst habe es »viel gegeben«  : Ich wage zu hoffen, dass von meinem Handeln andere gelernt haben. […]. Wenn so der Geist der Brüderlichkeit mit den Tausenden Gefangenen Zions entflammt wurde, von Brasilien und Amerika bis Shanghai und zu den Konzentrationslagern Deutschlands, dann ist etwas erreicht worden, was mich mit Stolz und Zufriedenheit erfüllen kann.



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So »naiv« solche Hoffnungen gewesen sein mögen, wie Weisl selbst zugeben musste, haben sie sich letztlich doch in seinen Augen als ebenso »real erwiesen« wie die einstige und einzige von ihm und Jabotinsky akzeptierte Definition Weizmanns vom »Nationalheim der Juden«, das »heute [1972] in der Tat ›so jüdisch wie England englisch›« sei – eine kühne Vision, die Weizmann 1919 auf der Pariser Friedenskonferenz zu einem Zeitpunkt auszusprechen gewagt hatte, als der Bevölkerungsanteil der Juden in Palästina, wie Weisl 1925 im Gespräch mit Weizmann mit Hilfe von statistischem Material dokumentierte, nur neun Prozent betragen hatte.11 Die »weltpolitische« Dimension, die Dr. Wolfgang von Weisl ausdrücklich mit seinem 28-tägigen, gegen die britische Mandatsherrschaft gerichteten Hungerstreik der Gründung eines jüdischen Nationalstaats im ungeteilten Palästina verleihen wollte, hat bis heute nichts von ihrer globalen Brisanz eingebüßt.

11 Weisl, Wolfgang von  : Lang ist der Weg ins Vaterland (1971 ff.), Manuskript im Nachlass des Autors.

Eitan Bar-Yosef

The African Fantasy in Zionist Culture  : Nahum Gutman’s In the Land of Lobengulu King of Zulu At the end, in the State of Israel, as I see it, there will be a fence that spans it all… I’ll be told, “this is what you want, to protect the villa  ?” The answer is yes. Will we surround all of the State of Israel with fences and barriers  ? The answer is yes. In the area that we live in, we must defend ourselves against the wild beasts.1

Touring Israel’s eastern border in 2016, Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu depicts Israel as a civilized “villa” surrounded by a dangerous jungle teeming with “wild beasts” – terrorists but also work migrants who seek to infiltrate the Jewish state, taking over Israelis’ resources, jobs, perhaps even women. That many of these migrants (Netanyahu has vehemently denied that they might be asylum seekers or refugees) are Sudanese or Eritrean merely reinforces the colonial resonances of Israel’s image as a white garrison besieged by a wild black mob. To be sure, Netanyahu is not alone in turning to colonial imagery, familiar from the Western encounter with Africa, in order to designate Israel’s place in the world  : it was his nemesis Ehud Barak who, back in 1996, first likened Israel to a villa in the jungle. And yet even Barak was building on a time-honored tradition  : as I have shown in detail elsewhere, “Black Africa” – both as a geographical territory and as a cultural imaginary – has played a crucial role in Zionist culture and in Zionist self-fashioning.2 Often constructed as a territorial and racial “Other”, sub-Saharan Africa has repeatedly figured in a broad array of Zionist texts, visions, and projects. To examine these is to gain a significant insight into racial, territorial, and political desires that have informed Zionist ideology from its inception. Indeed, the earliest Zionist fantasies about Africa surface in the writings of Theodor Herzl.3 When the founding father of Zionism began to envision his 1

Ravid, Barak  : Netanyahu  : We’ll Surround Israel With Fences “To Defend Ourselves Against Wild Beasts”, in  : Ha’aretz, 9 February 2016, http://www.haaretz.com/israel-news/.premium1.702318 (accessed  : 30.09.2017). 2 Bar-Yosef, Eitan  : A Villa in the Jungle. Africa in Israeli Culture, Jerusalem 2013. [Hebrew]. 3 For a detailed discussion see Bar-Yosef, Eitan  : A Villa in the Jungle  : Herzl, Zionist Culture,

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Eitan Bar-Yosef

Zionist scheme in the summer of 1895, he turned to a quintessential African adventure  : “Stanley interested the world with his little travel book How I Found Livingstone”, Herzl wrote in the first page of his new diary  : “And when he made his way across the Dark Continent, the world was enthralled – the entire civi­ lized world. Yet how petty are such exploits when compared to mine”.4 Why was it that, struggling to define his solution to the “Jewish problem”, Herzl’s imagination turned to Henry Morton Stanley’s African adventure  ? One reason might be professional  : after all, both men were journalists who attempted to solve, once and for all, a nagging problem  – and in doing so shifted from covering the news to making them. But it is equally significant that the Zionist scheme was associated, in Herzl’s mind, with a manly, masculine, mission to Africa, an expedition into the “Dark Continent” which would make any white body appear even whiter. Much has been written about Herzl’s tendency to internalize anti-Semitic images of the Jew as physically inferior, feminine, darkskinned  – indeed, even black.5 Herzl’s Zionism was rooted in an attempt to transform the defective body of the Diaspora Jew and create the “New Jew”  : As Daniel Boyarin has argued, it was precisely by transforming the Jews into colonists that Herzl hoped to convert the puny Jews into virile white men.6 The “Uganda proposal” of 1903 – namely, Britain’s offer to the Zionists to establish a Jewish colony in East Africa – presented a unique chance to realize this racial fantasy  : compared to the local savages, the Jews’ dubious whiteness would undergo a swift bleaching. Indeed, even the British settlers in East Africa, who fiercely resisted Chamberlain’s vision of an African Zion, were forced to admit that the Jew was the “lowest possible class of white men”  :7 to paraphrase Homi K. Bhabha, the Jews are not quite – but still white.8 Although, following Herzl’s untimely death in 1904, the Uganda plan was aborted, its colonial resonances would continue to haunt the Zionist imagination.9 There is a direct line, I would argue, connecting the white settlers’ lodges in British East Africa – which the

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and the Great African Adventure, in  : Gelber, Mark/Liska, Vivian (eds.)  : Theodor Herzl. From Europe to Zion, Tübingen 2007, p. 85–102. Herzl, Theodor  : The Complete Diaries, ed. Raphael Patai, trans. Harry Zohn, Vol I, New York 1960, p. 4. Gilman, Sander  : Jewish Self-Hatred. Anti-Semitism and the Hidden Language of the Jews, Baltimore 1986, p. 6–12  ; idem  : The Jew’s Body, London 1991, p. 171–200. Boyarin, Daniel  : Unheroic Conduct. The Rise of Heterosexuality and the Invention of the Jewish Man, Berkeley 1997, p. 302–304. Quoted in Weisbord, Robert  : African Zion. The Attempts to Establish a Jewish Colony in the East Africa Protectorate 1903–1905, Philadelphia 1968, p. 84. Bhabha, Homi K.: The Location of Culture, London 1994, p. 89. Rovner, Adam  : In the Shadow of Zion. Promised Lands before Israel, New York 2014.



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Jews were invited to join back in 1903 – to Barak’s and Netanyahu’s depiction of Israel as a villa in the jungle. More than a century after Herzl’s daydreams about Stanley’s escapades, Africa continues to function in Israeli culture as a space in which national and personal fantasies can be acted out – a space which reflects Zionism’s most coveted, and often repressed, yearnings. This essay explores Africa’s role in Zionist culture by focusing on the work of Nahum Gutman (1898-1980), a central figure in the emergence of modern Israeli art. Born in Bessarabia (then under Russian control), Gutman immigrated with his family to Ottoman Palestine in 1905. Having attended the Herzliya Gymnasium in what would later become the city of Tel Aviv, Gutman went on to study at the Bezalel School of Art in Jerusalem, followed by periods of training in Paris and Berlin. A painter and sculptor, known for his depiction of colorful Oriental scenes, Gutman played a seminal role in initiating a distinctively Israeli style. He was particularly known for generating the visual image of TelAviv as a city built “between sands and blue skies” (the title of his 1964 memoir), a representation which constructed the “first Jewish city” as the civilized, orderly, Europeanized antithesis to Jaffa’s exotic disarray.10 Notwithstanding his numerous canvasses, statues and mosaics, however, it was Gutman’s career as a prolific children’s writer that would ultimately mark his lasting legacy to Israeli culture.11 Significantly, Gutman first began writing during his visit to South Africa in 1934–35. He was then the graphic designer of Davar Leyladim, a children’s weekly published by the Laborite daily Davar. The editor, Yitzhak Yatziv, convinced Gutman to send illustrated reports of his adventures in Africa. The first letter, published in December 1934, proved a great success, encouraging Gutman to continue publication even after his return to Palestine in June 1935.12 The first series of illustrated letters described Gutman’s ship journey to South Africa, followed by some light-hearted adventures depicting the country’s flora and fauna – adventures that Gutman experienced with two men he met there, known as “my English companion” and “my American friend”. The second batch of letters, which began publication in February 1936, presented a different narrative. This was no longer a sporadic collection of illustrated reportage, but rather a full-fledged adventure story, which described the search for King Lobengulu’s legendary treasure of diamonds and gold. One of 10 LeVine, Mark  : Overthrowing Geography. Jaffa, Tel Aviv, and the Struggle for Palestine, 1880– 1948, Berkeley 2005, p. 154 f. 11 Indeed, when Gutman finally won the prestigious Israel Prize in 1978, it was in the field of children’s literature and not art. 12 See Itzhaky, Yedidya  : Nahum Gutman in the Land of Zulu, in  : Elei Siach 34 (1994), p. 56–67. [Hebrew].

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the king’s guards, Umlimo, had witnessed the burial of the treasure some thirty years earlier. After the king’s death, Umlimo tried – in vain – to find the gold. He then approached Williams, a Boer lion-hunter and farmer, and persuaded him to join an expedition in search of another ex-guard of the king, Limabuhu, who might know the actual whereabouts of the treasure. Failing to locate Lima­ buhu, the two are now joined by Gutman and his two mates in what would become the final quest for the treasure. They eventually find Limabuhu, but he is too old to remember anything. As a woman from his tribe tells the search party, Limabuhu had intended, repeatedly, to unearth the gold, “but at the end he grew too old and said, ‘never mind the treasure’. For we are good hunters all of us, and the corn fields yield us plenty, and no one is jealous of his friend”.13 The treasure-hunt ends  ; Gutman’s final letters, published in June 1936, described his journey back home, to his beloved city built between sands and the blue sky. Captivating the Jewish children in Mandatory Palestine, the letters were collected and published as a book in 1939  : entitled In the Land of Lobengulu King of Zulu, Father of the Metabulu People, Who Dwell in the Mountains of Bulawaya, it instantly became a children’s classic, shaping future generations’ notions of Africa. Israelis who, as children, admired Gutman’s story would perhaps be surprised to learn that Lobengula was an actual historical figure (1845-1894). His father, Mzilikazi, was a Zulu general who challenged the authority of King Shaka. In 1823 he escaped westwards, to the region between the Zambezi and Limpopo rivers, where he founded a new nation, the Matabele (an English corruption of Ndebele). With his father’s death, in 1870, Lobengula became king. Gutman changed Lobengula to Lobengulu so the name would rhyme with Zulu  ; but Lobengulu was actually the king of a different nation. Gutman turned Lobengula into an Israeli household name, but it was Africa that turned Gutman into a children’s writer. In this he resembles Henry Rider Haggard, whose first commercial success, King Solomon’s Mines (1885), was also an African adventure written after his residence in South Africa.14 Israeli critics have noted the similarities between the two books, but the broader cultural and political implications of this affinity have remained unexplored  : to what extent does Gutman follow the conventions of the imperial romance, perfected by Haggard’s tale  ? And what is the role played by Gutman’s African fantasy in the construction of native Israeli culture  ? Moving in three circles  – the text itself, its production, and the actual historical details of Lobengula’s life  – this chapter highlights a rather disturbing 13 Gutman, Nahum  : In the Land of Lobengulu King of Zulu, Father of the Metabulu People Who Dwell in the Mountains of Bulawaya, Ben-Shemen [1939] 1999, p. 101. [Hebrew]. 14 Katz, Wendy  : Rider Haggard and the Fiction of Empire, Cambridge 2010.



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gap between the jovial naiveté that seems to permeate Gutman’s In the Land of Lobengulu and the circumstances in which it was written, circumstances embedded in colonial and even racist ideologies. My objective is not to perform yet another exercise in postcolonial reproach, but rather to understand the world in which Gutman was writing – and, in doing so, to understand the guilt that I myself feel as I return to Lobengulu’s treasure  : guilt for betraying good old Gutman, who offered his young readers so many hours of pleasure  ; but also guilt for the pleasure itself. Before we proceed to Africa, it is necessary to say a few more words about Gutman’s connection to the British colonial tradition. Gutman’s family, as mentioned above, was one of the first to make its home in the new Jewish suburb of Tel-Aviv. In early 1917, as the British army was making its way towards Palestine, the Ottomans deported the people of Tel-Aviv, and it was only after the British conquest, later that year, that they were allowed to return to their homes. This traumatic exile is Gutman’s most formative childhood experience  : no wonder that his books tend to associate the British with a wonderful feeling of freedom and relief. This relief is political and economic – but also cultural. In one of his later books, Gutman describes a Jewish seminary student, who, not speaking a word of English, is nevertheless determined to communicate with the British soldiers who entered Jerusalem in December 1917  : He turned to one soldier and said – Shakespeare  ? The soldier smiled back  : – Shakespeare  ! The Jewish student added  : – Dickens  ?  ! The soldier answered  : – Dickens  ! The student added  : – Bernard Shaw  ! And the soldier  : – Bernard Shaw  ! Our eyes shone like in a dream  : we felt that we were standing on firm ground.15

The names of the great British writers are exchanged here like passwords between allies. But what seems a straightforward cultural exchange ignites a complex process of cultural impersonation. Significantly, shortly after the British con15 Gutman, Nahum  : The Pursuit after the Roman Legion Stone. Two Stones that Are One, TelAviv 1968, p. 40. [Hebrew].

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quest Gutman joined the British Army, enlisted in the special Jewish battalion. Depicting his military service, Gutman’s memoir captures the mimicry that lies at the heart of the encounter between Zionists and the British Empire. Mimicry, Homi Bhabha has written, “is at once resemblance and menace”.16 And, indeed, the Jewish troopers’ awkward attempts to become British Tommies merely exasperate their British commander  : “Is this an army or isn’t it  ?”, he rebukes them  : “Please go down to the brothels in Jaffa. Do some sport, write letters home and that’s it. Be soldiers, for heaven’s sake, like all his Majesty’s soldiers”.17 This Jewish colonial mimicry, which is parodic and flawed, is crucial to understanding the limited extent to which Zionism can take on colonial features. The Jew is both an ally and a native  ; same and other  ; white and black. This racial ambivalence dominates Gutman’s In the Land of Lobengulu. On the one hand, throughout his adventures, Gutman seems to sympathize with black Africans and condemn their oppression – whether these are black ship-workers abused by their white superintendents, or the “Metabulu” people, molested by their tyrannical king Lobengulu. In this, Gutman certainly differs from his white companions, the Englishman and the American, who seem far less troubled by these injustices. On the other hand, Gutman’s close relationship with his two Anglo-Saxon friends stresses the Jew’s whiteness (in ways that echo Herzl’s imagined affinity with Stanley). It is perhaps not surprising that the black Umgababa, who guides this small brotherhood’s expeditions, does not earn the title of “friend” or even “companion”. Nor is it surprising that Gutman is repeatedly referred to in the book as “the friend from Eretz Israel” and not “the Jewish friend”  : In the Land of Lobengulu describes a world free of Jews and Jewish neuroses – possibly another reason for its popularity among Israeli children. Gutman, moreover, becomes a great friend of the Englishman. In one scene during the quest for Lobengulu’s treasure, the two embark on a lion hunt. They climb on two adjacent palm trees, only to discover, to their horror, that one of them holds the gun, and his friend – the bullets. “We did not speak to each other for a few days afterwards”, notes Gutman  :18 a covenant of terror and silence unites the two white friends, who withstood the dangers of the African jungle’s wild beasts. Gutman, then, shows sympathy towards the blacks but associates with the whites. This tension is manifested most powerfully when the three friends finally prepare to part their ways  : 16 Bhabha  : Location, p. 86. 17 Gutman, Nahum and Ehud Ben-Ezer  : Between Sands and Blue Skies, Tel-Aviv 1980, p. 171 f. [Hebrew]. 18 Gutman  : Lobengulu, p. 95.



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Each one said a few words. My friend from America  : – We were three, who always helped each other, in word or in deed. A friend in need is a friend indeed  ! My English friend  : – We were three  : one who knows, one who sees and one – that is, myself – who craves everything. Me [Gutman]  : We were three. It’s a pity that we did not each possess all of our collective virtues. And suddenly I remembered  : – Three, three, but we forgot Umgababa  ? What does Umgababa say  ? Umgababa  : – Huma bala taba vala sana gola. I asked  : what does it mean  ? – and was told  : You will all leave this place  ; I shall remain here.19

It was Gutman, and not the American or the Englishman, who remembered Umgababa at the end. Nevertheless, the accompanying illustration shows the three white friends holding hands in the sunset  :20 Gutman did forget Umgababa after all. This racial ambivalence fits in with the general tone of the book, which seems to revel in the African adventure  – traversing the jungle, hunting elephants, navigating up the Zambezi river – but, at the same time, to treat it somewhat skeptically, keep an ironic distance, and mock the hunter’s persona which at other times Gutman is so keen to adopt. Constantly feeling out of place, the “friend from Eretz Israel” makes no attempt to conceal his awkwardness. Significantly, Gutman is the first to understand that the quest for Lobengulu’s treasure is futile. Just before they find the senile Limabuhu, Gutman dreams a strange dream  ; in it, a fierce lion announces what seems to be the moral of the story  : “Mr. Williams and Umlimo could have ploughed, sown and reaped instead of pursuing treasures that others have accumulated”.21 According to the Israeli critic Uriel Ofek, it is precisely this moral which distinguishes Gutman’s narrative from Haggard’s imperial romance  : Whereas King Solomon’s Mines is a story of adventure for adventure’s sake, […] focused on suspense, horrific dangers and a happy ending, Gutman’s book excels in all the values 19 Ibid., p. 109 f. 20 Ibid., p. 111. 21 Ibid, p. 97.

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of great children’s literature  : visual-artistic style, humor, wisdom, and love of all people. Last but not least  : unlike the characters who search for King Solomon’s mines, Mr. Williams did not find Lobengulu’s treasure  ; […] but instead, he heard from the black woman a lesson, more precious than any treasure.22

And the black woman’s lesson, we remember, is that working the cornfields, and living in a communal agricultural society, is the best life one could lead. This lesson is of course a typical labor Zionist ideal – one which associates Zionists with the black Africans in the book (namely, the good people of Limabuhu’s village), and not with the greedy Boers (represented by Williams). According to Ofek’s reading, the fact that Gutman’s treasure-hunt ends with an anticlimax reflects not only the difference between In the Land of Lobengulu and King Solomon’s Mines, but also the difference between Gutman, the friend from the Land of Israel who appreciates the significance of land and crops, and the Boer who abandoned his corn in search of false riches. No wonder that, having failed to find the buried gold, Gutman notes that he “decided to leave Africa and return home, to the land of Israel”.23 The real treasure is the homeland. On the surface, then, Gutman’s adventure story refuses to conform to the conventions of the imperial romance  ; and the ending seems to suggest that the Zionist adventure in Palestine is more noble and meaningful than the colonial African adventure. However, the two are closely related  : to see how, we must now turn from the text itself to the context, in which it was composed. Let us begin with the circumstances that brought Gutman to Africa. The book begins with a dream (one of several, as we have seen)  : “I once had a dream that I was in Africa, hunting wild elephants, lions, rhinoceros, parrots. I woke up and my heart was beating fast  : surely I could go there  !… Why should I not go there  ?”24 The truth, however, is different. Gutman did not travel to Africa simply because he dreamt about wild beasts. Rather, he was sent by Meir Dizengoff, TelAviv’s diligent mayor, to paint a portrait of Jan Smuts for the Tel-Aviv Municipal Museum. Gutman left for Africa in October 1934, completing the portrait in November, and adding it to his exhibition “Paintings of Old and New Palestine” shown in Johannesburg in December and later in Cape Town and Durban.25 Although these details are well known (and mentioned in some of Gutman’s 22 Ofek, Uriel  : Give Them Books. Literary Episodes for Children, Tel-Aviv 1978, p. 178 f. [He­ brew]. 23 Gutman  : Lobengulu, p. 105. 24 Ibid., p. 7. 25 Itzhaky  : Nahum Gutman, p. 57 f., 60 f.



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later writings) they are conspicuously missing from In the Land of Lobengulu, which makes no mention of Smuts, of Gutman’s exhibitions, or of the various South-African Jewish communities that hosted the painter. When he was sitting for Gutman, Smuts (1870–1950) was South Africa’s deputy Prime Minister. A statesman, field marshal and philosopher, it was Smuts’s involvement, back in 1917, in the diplomatic efforts that led to the Balfour Declaration that made him a hero of the Yishuv – leading to Dizengoff ’s initiative to have his portrait taken. “I have always had great respect for Smuts”, Gutman noted in 1968, “who knew the Bible by heart, who loved Zionism, and who always stood by us in our claims from the British”.26 Smuts’s support of the Zionist cause could certainly be traced back to the philo-Semitic sympathies of a devout Christian who knew the Bible by heart. Nevertheless, the political bond between Boers and Zionists also rested on common religious and cultural vocabularies  : the image of Chosen People, striving, against all odds, to reach the Promised Land, was central to the Boer national ethos, epitomized in the great trek to the Transvaal in 1838 – while Zionist culture adopted features of settler colonialism.27 Smuts’s image as the “good” South African is rooted in his commitment to the Dominions’ cause (he served in the Imperial War Cabinet in the two world wars), but also in his ringing defeat in the May 1948 elections  : led by D.F. Malan, the triumphant National Party moved swiftly to institutionalize Apartheid. Smuts, in other words, is often seen as the enemy of fascism – but the truth, of course, was more complex. Apartheid did not simply emerge in 1948, and Smuts contributed in various ways to the cementing of racial segregation in South Africa. Gutman, of course, could hardly be aware of this, but his mission to paint Smuts anticipates the emergence of the alliance between the Jewish state and the Apartheid state, an alliance which would become unabashed after 1967, resting on the common military and mercantile interests of two nations, which the world regards as pariahs.28 My point is that Gutman’s In the Land of Lobengulu embodies some of the most poignant inconsistencies of the Zionist project. The gap between the story and the circumstances in which it was written is the gap between the naive story that Israel tells itself – about the Bible, about making the desert bloom, about pioneering life – and between that same story as seen from the standpoint of its 26 Gutman  : Pursuit, p. 58. 27 Akenson, Donald Harman  : God’s People. Covenant and Land in South Africa, Israel, and Ulstar, Ithaca 1992. 28 Polakow-Surnasky, Sasha  : The Unspoken Alliance. Israel’s Secret Relationship with Apartheid South Africa, New York 2010.

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victims (to paraphrase Edward Said). We have seen how, in some respects, Gutman’s tale stresses the similarities between the Zionists and the black Africans  ; yet here we see that Gutman’s journey was part of an attempt to bring Zionists much closer to white South Africans. Interestingly, Gutman’s narrative omitted all references not only to Smuts but also to the fact that Gutman traveled to Africa with his wife, Dora. This omission reinforces the status of Gutman’s story as an imperial romance in which there is no place for women – as Haggard famously notes at the start of King Solomon’s Mines, dedicating his book to “all the big and little boys who read it”.29 This brings us back to our central question  : to what extent is Gutman writing against the tradition of the imperial romance  ? And why, of all stories, did he decide to focus on King Lobengula  ? Years after the publication of the book, Gutman claimed that he first heard Lobengulu’s story from Smuts  : searching for an exciting story that would complement his original reportage from Africa, he “remembered” the natives’ tales about cruel king Lobengulu.30 In fact, Gutman’s treasure-hunt narrative was borrowed (or perhaps “lifted”) from a book called The Seven Lost Trails of Africa  : Being a Record of Sundry Expeditions, New and Old, in Search of Buried Treasure (1930).31 The author, Hedley A. Chilvers (1879–1941), was a South-African journalist and author. In addition to his work for the conservative, imperially-minded Rand Daily Mail, Chilvers published several books, all of them teeming with racist, chauvinistic and co­ lonial imagery. As its title suggests, The Seven Lost Trails includes tales of mysterious treasures buried in Africa – whether natural treasures, like gold mines, or historical fortunes that have been misplaced. It is significant, however, that in all these plots the fantastic treasure is seldom found (and if it is, the raiders soon die a horrible death, leaving the site of the treasure unknown). This open ending – which Uriel Ofek commended as a typical Zionist moral, indicative of Gutman’s humanism – is presented in Chilvers’s book as a South-African cliché  : the desire for riches is never fulfilled, ensuring that Africa remains forever a land of adventure for big and little boys. One of the chapters in The Seven Lost Trails is entitled “The Buried Millions of Lobengula”. It begins with the terrible king’s decision to bury his fortune for 29 Haggard, Henry Rider  : King Solomon’s Mines [1885], ed. Dennis Butts, Oxford 1989, p. 1. 30 Ofek, Uriel  : From Robinson to Lobengulu, Tel-Aviv 1964, p. 187. [Hebrew]. 31 A copy of the book, with Gutman’s penciled notes, was found in the artist’s library and is kept today at the Gutman Museum, Tel-Aviv. We do not know how and when Gutman obtained it. I am grateful to the late Yoav Degani, former director of the Gutman Museum, for bringing the book to my attention.



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fear that the white man might take it. Many years after Lobengula’s death, one of the king’s former guards makes several attempts to unearth the gold  – but cannot find it. He eventually turns to a seasoned South-African explorer, Lloys Ellis, suggesting that they try to locate another ex-guard who might know the treasure’s whereabouts. Gutman relied on Chilvers’ narrative in numerous ways. Due to limitations of space, I can only offer one short example. Lobengula, Chilvers writes, knew that the white men were coming, because “he occasionally consulted the oracle of the Umlimo Cave, which had told him so. The cave – a historic place to-day – lies in the lonely Matopos on the edge of gloomy Mount Injelele, ‘the Hill of Slippery Sides’”.32 Borrowing these place names, Gutman rearranges them in his narrative. Note how the Boer explorer, in Gutman’s version, recalls his first meeting with the king’s guard  : Suddenly I heard a voice. – Sir, Sir. I raised my eyes  : in front of me stood an unfamiliar negro, not from our vicinity. I said  : what’s with you  ? And where are you from  ? He said  : I am from the lonely Matopos, beyond the mountain of Injelele, near the wandering hills. Umlimo is my name. And this is what I have… In his hand he held the secret map…33

In other cases (too long to be quoted here), Gutman builds on Chilvers’s straightforward account, keeping its exact form in terms of characterization and plot but investing it with imaginative detail, color and humor.34 In some cases, Gutman even borrows visual imagery from Chilvers  : Lobengulu’s treasure-map is closely based on a map that appears in Chilvers’s book.35 Whether we call it adaptation, rewriting, or even plagiarism, this is a deeply intriguing textual process  : demonstrating Gutman’s literary flair, it also offers a textual equivalent of the political covenant described above. If Gutman’s encounter with Smuts hints to the future pact between South Africa and Israel, here this pact is performed as a textual act, as Gutman writes himself into Chil32 Chilvers, Hedley A.: The Seven Lost Trails of Africa. Being a Record of Sundry Expeditions, New and Old, in Search of Buried Treasure, London 1930, p. 101 f. 33 Gutman  : Lobengulu, p. 64. 34 The most powerful example is the scene in which the searchers discover the king’s ex-guard, now too old and senile to remember anything. Cf. Chilvers  : Lost Trails, p. 116  ; Gutman  : Lobengulu, p. 100 f. 35 Cf. Chilvers  : Lost Trails, p. 141  ; Gutman  : Lobengulu, p. 70.

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vers’s chauvinistic, racist, imperial romance. Beneath the narrator’s skepticism and ambivalence, then, lies an internalization of the African adventure. Yet the story does not end here. Having moved from the text to its authorship, we can now examine the relationship between Gutman’s king and the historical Lobengula. In the Land of Lobengulu depicts the king as a cruel and powerful tyrant, oppressing his people. Gutman’s illustrations show a ferocious black king, almost naked, wearing nothing but a loincloth and a feather on his head. It is interesting to compare this image with accounts of travelers who actually met the king. “We found the King a fine handsome specimen of a man, with an intelligent yet kindly countenance”, noted Major Henry Stabb in To the Victoria Falls Via Matabelaland (1875)  : “He was dressed in European clothes, consisting of a pair of cord trousers rather the worse for wear, a dirty flannel shirt ornamented with various figures of foxes’ heads & dogs, a tweed coat, and a pair of lace-up boots with a billycock hat in which was struck a feather”.36 Since Lobengula refused, on superstitious grounds, to have his photograph taken, it is difficult to reconstruct his appearance  : some eyewitness accounts described the king’s “intense black color”, while others claimed that his skin was “of a fine bronze”  ; some claimed his smile was “benign”, while others described “a gross fat man with a cruel, restless eye”.37 Lobengulu thus becomes an empty signifier, whose representation tells us a great bit more about Gutman than about the African king himself. In Gutman’s version, Lobengulu was butchered by his own people  : “Lobengulu did not live for long. He reaped what he had sown. One morning his men had risen, each one of them shooting a poisoned arrow at him. He went wild, yelled, ordered them about, threatened – but they just kept on shooting”.38 The historical facts, however, are radically different.39 The British entrepreneur Cecil Rhodes, who dreamt of an Africa united under British rule, was determined to seize Lobengula’s land. Gutman’s king worries that the whites might steal his gold, but it was the king’s land which the white men coveted. In 1888, under immense pressure from Rhodes, Lobengula ceded his mineral rights in exchange for a small payment, and Rhodes used these concessions to form the British South Africa Company (1889). When British gold miners appeared, and settlers began building Fort-Salisbury, Lobengula rallied his people and in 1893 attacked the British. Rhodes expected the attack – indeed, he desired it. The results 36 Stabb, Major Henry  : To the Victoria Falls via Matabeleland [1875], Cape Town 1967, p. 67. 37 Cloete, Stuart  : African Portraits. A Biography of Paul Kruger, Cecil Rhodes and Lobengula, Last King of the Matabele, London 1946, p. 224 f. 38 Gutman  : Lobengulu, p. 70. 39 See the acount in Cloete  : African Portraits, p. 223–256.



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were disastrous for Lobengula’s people. Thousands were murdered  ; while the old King died – from smallpox – on the banks of the Shangani River. Repeatedly villainized by the British press, Lobengula was hardly a saint. But he was unquestionably a victim of British colonial ambitions. Umgababa’s final words – “You will all leave this place  ; I shall remain here” – carry a terrible irony, considering that the Matabele people were murdered, oppressed and dispossessed. In 1895, the land of “Lobengulu King of Zulu” became Rhodesia. All this is completely absent from Gutman’s narrative (although many of the facts are included in Chilvers’s account). In this respect, with its demonization of the king, In the Land of Lobengulu resembles late-Victorian jingoistic representations such as The Downfall of Lobengula (1895), describing a “struggle between civilisation and barbarity”.40 It is telling that apart from Rhodesia, the only two cultures in which Lobengula became a cult-villain of sorts were 1890s England and 1930s Jewish Palestine. I mentioned the lion-hunt scene in which Gutman and his English friend find themselves on two adjacent trees. The discrepancy between the men’s horror and the fact that they were never really under direct threat suggests a darker, deeper anxiety – a guilty silence surrounding the imperial adventure shared by these two friends, with the figure of Lobengulu/ Lobengula at its core. To conclude, then  : Gutman’s seemingly innocent children’s book actually relies on ideological, narrative and cultural mechanisms associated with oppression and exploitation. In the Land of Lobengulu does subvert some of the conventions of the imperial romance  ; but Gutman’s real object in traveling to Africa – namely, painting a portrait of Smuts – could be said to anticipate the future pact between Israel and the Apartheid regime. The fact that his adventure story is borrowed from a forgotten South-African romance suggests that Gutman was embracing, not rejecting, the imperialist narrative. Finally, Gutman’s representation of Lobengulu as a tyrant murdered by his own people – a radical subversion of historical fact – transforms his story into a quintessential colonial fantasy. It should come as little surprise that treasure-hunt plots, as well as direct episodes from Chilvers’s book, permeate Gutman’s later books  : his African colonial adventure becomes a kind of dress-rehearsal for the Zionist project in Palestine. Yet Gutman never sees the dispossession and the suffering that are the result of Zionist ideology. In Africa, Gutman can shift between black and white, but this ambivalence is much more difficult to sustain in the Land of Israel. In 1948, as the British leave, the Jews are cast as indisputably white  ; this whiteness carries a burden that Gutman’s later books can rarely acknowledge. 40 Wills. W.A./Collingridge, L.T.: The Downfall of Lobengula, London 1895, p. 1.

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Still, it is perhaps not farfetched to insist that Gutman’s naïve optimism is preferable to Netanyahu’s and Barak’s view of Israel as the villa in the jungle. Gutman, at least, remembered to ask for Umgababa’s farewell speech – rather than treat him as a “wild beast” threatening the Zionist outpost. With all its blind-spots and contradictions, In the Land of Lobengulu offers us a valuable lesson – the lesson reiterated by the woman from Limabuhu’s village  : that knowing when to let go of the spoils is sometimes more important than the treasure-hunt itself.

Chaim Noll

Morgen in der Wüste1 Oft habe ich mir das vorgestellt  : da ist nichts. Nichts außer Himmel und Erde. Sonst nichts, einfach nichts, nur Luft und Sand, nur Blau, blasses Gelb, und ein Wind weht, der meine Kleider in wunderbare Falten legt. Vielleicht irgendwo, von fern, ich weiß nicht woher, ein nie gehörter Ton, eine sanfte Melodie. Und irgendwo in diesem Raum ich selbst, allein. Allein fahre ich los. Es ist vier Uhr früh – keine bessere Zeit denkbar für dieses Abenteuer. Das Auto, ein Mietwagen, ist mir fast unbekannt, jedenfalls spüre ich es jetzt, frühmorgens in der Dunkelheit, als ich den Knopf oder Schalter oder Hebel nicht finde für das Scheinwerferlicht. Egal, erst mal los. Langsam. Mit einer Art Standlicht durch die leeren Straßen der Siedlung. Natürlich werde ich angehalten, schon wenige Minuten später. Und bin ganz froh darüber. Ein Soldat in meergrün, ein Kindergesicht unter einem Helm. Wenige Meter weiter steht ein Fahrzeug, ein klobiger Schatten mit kreisender Rundumleuchte. »Dein Licht…« in der Landessprache, die mir, wenn schnell und von Einheimischen gesprochen, immer noch schwer verständlich ist. Meine Papiere sind in Ordnung, mein Gesicht wirkt vertrauenswürdig – es gibt Orte auf der Welt, wo es darauf ankommt. Wo jeder kleine Junge in Uniform geübt ist im Gesichterlesen. Wo Gesichter mehr gelten als Papiere, Stempel, Plastikkarten. Ein Pass kann gefälscht sein, aber nicht der Ausdruck in einem Auge vier Uhr früh. Der Soldat sieht sofort, ob ich heute Nacht geschlafen habe, ob ich etwas zu verbergen habe, ob ich lüge. Er ist darin geübt, auf diese Art kurz und durchdringend in eines Autofahrers Auge zu blicken. Mitten im Nichts zu erkennen  : Gefahr oder nicht. Kurzer, präziser Rat, welches Licht ich einschalten soll um diese Zeit in der halbnächtlichen, frühmorgendlichen Wüste. Lastzüge sind unterwegs und Beduinen. Die Lastzüge rasen, die Beduinen treiben gemächlich ihre Herde über die Straße. Beides lebensgefährlich für jemanden, der ohne richtiges Licht fährt. Ein Oberkörper in grünem Armeetuch beugt sich ins offene Seitenfenster, für Sekunden umfängt mich ein Geruch von chemischer Reinigung, Waffenöl und Milchkaffee. Eine Hand drückt den Knopf, den ich nicht fand. Mein Dank in der Landessprache. Und wieder los. 1 Erstveröffentlichung  : Süddeutscher Rundfunk Stuttgart, Sendereihe Eckpunkt (Redaktion  : Gabriele Finger-Hoffmann), 14.7.1997. © Chaim Noll, 1995.

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Auf leeren, wirklich leeren Straßen. Lange Minuten niemand auf der Gegenfahrbahn, niemand vor mir, hinter mir, kein anderes Licht weit und breit als das meiner Scheinwerfer. Schon das allein ist märchenhaft. Schon das ist das ganze Unternehmen wert. Dieser Morgen ist einzigartig, das weiß ich schon jetzt, einfach, weil ich hier bin, weil ich aufgebrochen bin um vier Uhr früh. Der Mond steht hoch am Himmel. Ein strahlender Halbmond, sehr scharf und leuchtend, in seinem traumhaften Licht sind die zwei verschleierten Beduinenfrauen zu erkennen, die jetzt, halb fünf am Morgen, ihre Herde am Straßenrand versammeln, eine Herde aus zottigen, gehörnten Tieren. Schafe  ? Ziegen  ? Fabelwesen  ? Ich bin schon vorbei. Fern, auf der Gegenfahrbahn, nähert sich ein Ungetüm, etwas Aufgetürmtes, Dunkles mit vier scharfen Lichtern, scharf wie Nadelstiche, vergrößert sich, verdichtet sich zu einem Tanklastzug, donnert vorbei. Noch nie habe ich einen Lastzug als solches Donnerwetter erlebt, als etwas so Urzeitliches, Riesenhaftes, Elementares. Ich höre sein Gebrumm, Geklapper, Ächzen noch einige lange Augenblicke, dann ist wieder Stille. Stille und Alleinsein – zwei seltene Zustände in meinem Leben. Viele Menschen fürchten sich davor. Wir verlernen, was wir nicht üben. Ich höre Musik im Auto, weil ich mich vor der Stille fürchte. Die Stille ist unglaublich, und ich bin noch schlaftrunken. Ich fürchte, die Stille wird mich betäuben, ich werde die Kontrolle über mich und den Wagen verlieren, werde von der leeren Strasse abkommen, dorthin, wohin mein Blick irrt, in die hügelige, verlockend leere Landschaft. Ich höre etwas Italienisches, ein sentimentales Lied mit den immer wiederkehrenden Zeilen  : Con te partiró su navi per mari che io non so…

Mit Dir werde ich losfahren, mit Schiffen, auf Meeren, die mir unbekannt sind… Es stimmt nicht ganz, Du bist nicht bei mir, Du schläfst noch im Haus in der Stadt, von der ich mich unaufhaltsam entferne. Aber ich weiß schon jetzt, dass ich Dich noch heute, spätestens morgen, zu einer Dir genehmeren Tageszeit, hierher fahren werde  : damit Du es auch siehst. Damit Du was siehst  ? Was ist hier, genau genommen, zu sehen  ? Sand in Form von Hügeln und Wellen, ein Auf und Ab von Sand, hin und wider unterbrochen von einer Gruppe dürrer Bäume, einer stillen Versammlung von Sträuchern, Anhäufung von Steinen. Manchmal ein Geschiebe und Gedränge von versteinertem Sand, fast dramatisch, am Ende entsteht eine Art Gipfel oder Plateau, dann wieder Sand, sanft fallender, steigender, wogender Sand, der Vergleich mit einem Meer ist nicht abwegig… Sand.



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Und Licht, fünf Uhr einundzwanzig – ich halte extra am Straßenrand an, um es zu notieren  – »von links blauer Schein«. Keine aufregende Notiz, aber der Schreiber ist aufgeregt, die Handschrift verrät es, verrät es für immer  : er ist in vollständiger Dunkelheit aufgebrochen, hat noch den Mond als einzige Lichtquelle erlebt, hatte sich schon fast gewöhnt an diese öde, etwas gespenstische, amorphe, mondlichterne Welt, und nun… Blauer Schein. Es ist ein unbeschreiblich zartes Blau. Ein Hauch von einem Blau. Sehr fern. Aber so spürbar stark, unaufhaltsam, langsam durchdringend, unbesiegbar wie nur eins sein kann auf dieser Erde  : das Licht der Sonne. Ich erlebe die Sonne jeden Tag, sie steht am Himmel oder kämpft sich, hochstehend, durch Gewölk, oder ist verborgen und dennoch gegenwärtig  : selbstverständlich, alltäglich, fraglos immer da. Nicht nennenswert, weil sie so allgegenwärtig ist, so langweilig-zuverlässig in ihrem Immer-da-Sein. Und wenn nicht sie, dann ihre Nachahmungen von Menschenhand, Lampe und erleuchtetes Fenster, zahllos und überall. Ich bin in einer großen Stadt aufgewachsen, in der das Licht der Hochhäuser, der großen Strassen und Plätze niemals erlischt. Kaum je habe ich darüber nachgedacht, was es hieße, ganz ohne Licht zu sein. Aber heute bin ich losgefahren in völligem Dunkel, um mich nur düsterer, mondfarbener Sand (und dabei weiß ich doch, habe als Kind in der Schule gelernt  : selbst dieses gruslige Mondlicht war nichts anderes als der Sonne Widerschein), und habe gefühlt, eine Stunde und einundzwanzig Minuten lang, was es heißt, ohne Licht zu sein, ohne das der Sonne oder wenigstens ihrer Nachahmungen. Ich habe  – ohne es gleich zu verstehen  – den urzeitlichen Schrecken des Menschen vor vollständigem Dunkel durchgemacht, unsere Urangst vor der dunklen Wolke, die sich vor die Sonne schiebt und ihr Licht vertilgt, vor dem Gewitter, vor der Apokalypse, vor dem letzten Tag. Daher hat mich ihr zarter, ahnungsweiser Schein so verblüfft, dass ich angehalten habe, um die Sensation schriftlich festzuhalten. Und während ich weiterfahre, weiß ich, dass ich froh bin, von Herzen froh. Weil der blaue Schein etwas kräftiger wird und immer deutlicher, weil die Sandwellen endlich Schatten werfen, zarte, scharfe Schatten im Sand, weil die Blätter der letzten Sträucher Kontur gewinnen und das gewohnte Spiel von helleren, dunkleren Stellen. Spiel, Lichtspiel  – ich habe das Wort gewählt, ohne gross nachzudenken  : erst die Sonne macht diese Welt spielerisch und verlockend. Davor, im Mondlicht, herrschte fürchterlicher Ernst. Davor war nur meine Entschlossenheit, um vier Uhr morgens loszufahren, das Dunkel zu durchqueren, aber keine wirkliche Lust am Leben, keine Heiterkeit. Davor war Gott, aber noch nicht sein belebender Hauch. Die nächste viertel Stunde ist auf diese Art erheiternd  : jeder kleine Stein hat sein Gegenbild in seinem Schatten, jede Ecke und Kante gewinnt ihre Form, kleine Vögel segeln über dem Sand, und zwei weitere Beduinenfrauen,

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wieder verschleiert, zeigen erste Farben und Muster im Stoff ihrer Gewänder, ihre Ziegenherde – eindeutig Ziegen, keine Fabelwesen – wirkt nicht mehr erschreckend. So geht es in den nächsten Minuten unaufhaltsam weiter, alles im Aufwachen und Sich-Beleben, der Sand gewinnt Farbe, belebt sich wie Haut, unter der Blut pulsiert. Unbeweglich am Himmel ein Raubvogel, auf Beutesuche, auch er mit der Sonne erwacht. Dann wird alles um mich herum rosa, von einem silbrigen Rosa. Ich muss wieder anhalten, um es zu notieren. Wellen, Sträucher, Steine, ein ausgetrockneter Fluss, alles in Rosa getaucht, mit silbrig-grünen Schatten. Unvorstellbare Zwischentöne. Ein Reichtum nie gesehener Farben, um deren Flüchtigkeit ich weiß. Flüchtig wie auf Steinen, die man aus dem Meer nimmt  : der nächste Augenblick, das volle Licht, lässt ihren Zauber verblassen. Die Sonne steigt nun unaufhaltsam, alltäglich triumphierend auf. Sie ist noch unsichtbar, verborgen hinter Sandhügeln. Gleich beginnt Gegenverkehr von Jeeps und Kleinbussen voller Leute, die irgendwohin fahren, Wegweiser kündigen Siedlungen an, ferne Städte, Grenzübergänge. Ich werde zum ersten Mal aufgehalten, von einem Traktor, von einem bergan schleichenden Lastzug, Irre tauchen im Rückspiegel auf, Raser in der Wüste, Limousinen mit Surfbrettern auf dem Dach, auf dem Weg zum nächsten Meer. Auch ich bin nun voll erwacht, zu voller Geistesgegenwart, Verkehrstüchtigkeit, Wahrnehmungskraft für das Alltägliche. Ich muss überholen, ausweichen, vorbeilassen. Alle paar Minuten ein anderes Auto. Übrigens bin ich auf dem richtigen Weg, die plötzlich auftauchenden Straßenschilder verraten es, ich habe den Soldaten richtig verstanden, ich werde keine Zeit vergeuden, sondern mein Ziel auf dem kürzesten Weg erreichen. Ich denke wieder ökonomisch, bin wieder wach. Es muss an der Sonne liegen. An ihrem Triumph, der auch meiner ist – bin ich nicht losgefahren im Glauben an sie, im Glauben an ihr Aufgehen  ? Ich habe, in ihrem Licht, alle meine Zweifel und Ängste vergessen. Für ein paar Augenblicke bin ich wieder ich selbst, mein alltägliches Selbst. Am Straßenrand ein totes Tier, ein Esel mit aufgeblähtem Bauch, gleich darauf noch ein Kadaver, ein Schakal. Erst vor kurzem überfahren, sein Fell bewegt sich noch in der Morgenbrise. War er satt und müde, nachdem er vom toten Esel gefressen hat  ? Oder war er auf dem Weg zu ihm, angelockt in der dunklen Wüste von seinem Geruch  ? War er satt oder hungrig als er starb  ? Überfahren hat ihn vermutlich einer der Riesen-Trucks, die in regelmäßigen Abständen, sechs Uhr früh, vorbeidonnern, nicht mehr ganz so schrecklich wie der erste in der Nacht. Doch zwischendurch wieder Stille, minutenlang Stille. Vor meinen Augen, im zunehmenden Licht, verändert sich die Wüste, verliert alles Flache, Küstenmeer-Ähnliche, Seichte, das sie bisher noch hatte – Bäume, Sträucher gibt



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es schon lange nicht mehr  – und wird wildbewegt. Wie das Meer wenn man die Ufergewässer verlässt. Sie wird tief und zerrissen und will sich den inneren Schichten der Erde nähern. Durch Klüfte, die sich seitlich öffnen. Es geht tief bergab, besser nicht hinsehen. Geht hoch hinauf, die Strasse ist eindeutig Kunstwerk, Einschnitt, eine in den versteinerten Sand geschnittene Hieroglyphe. Seitlich geht es aufwärts, abwärts, ich muss an mich halten, die Augen nicht nach oben, unten wandern zu lassen, sondern mit angelernter Sturheit auf die gewundene Fahrbahn zu heften. Als erste Schilder die berühmte Wüstensiedlung ankündigen, bin ich innerlich zum Anhalten bereit, diesmal richtig, mit Türöffnen, Aussteigen, den Fuß auf den Boden der Wüste setzen. Und fahre doch an der Siedlung vorbei. Ein paar Kilometer weiter, fern von der Strasse, aber offenbar erreichbar, parken zwei Wagen auf einem Grat zwischen tiefen Schluchten. Dorthin biege ich ab. Gegen Sieben. Ich bin davor gewarnt worden, die Strasse zu verlassen, hier könne man schnell verloren gehen, meine Freunde haben mir ihr Mobil-Telephon mitgegeben für den Fall, dass ich mich verirre. Langsam rollt der Wagen aus, auf sandigem Grund. Langsam, vorsichtig öffne ich die Tür. Sofort umfängt mich Stille, vollständige Stille. Es ist draußen noch stiller als im Auto. Lange habe ich mich, im zunehmenden Lärm dieser Tage, nach Stille gesehnt. Lange habe ich vergessen, was Stille überhaupt ist. Das Auto knackt und stöhnt noch ein paar Mal, dann kommt es zur Ruhe und wird still wie alles um uns herum. Minutenlang höre ich nur meinen Fuß auf dem feinen, sandfarben Geröll, meinen behutsam gesetzten Fuß im Lederschuh, meine zaghaften Schritte. Ich will die Stille nicht stören. Dann fernes Summen, näher kommend, unsichtbar woher, mit der Stärke eines Hubschraubers. Das werde ich nie vergessen. Die Ursache dieses Geräuschs, so überwältigend in der Stille, war eine Biene. Sie flog vorbei, viele Meter entfernt, auf dem Weg zu einer der gelben Blüten talabwärts, sie flog und verursachte diesen unerhörten Lärm. Sie verschwand aus meinem Blick, doch ihr Geräusch erweckte das tiefe Tal. Da ging es steil abwärts, weit unten war etwas Dunkles, Feuchtes zu erkennen, nasser Sand, umrahmt von grünen Pflanzen, eine alte Zisterne, wie ich später aus der Karte erfuhr. Die Biene weckte auch die beiden Schläfer, einen Jungen und ein Mädchen. Sie weckte sie mit durchdringendem Bienengesumm, ließ sie die Augen öffnen in sanftem Erschrecken, mit den Schlafsäcken rascheln, auch dieses unverhoffte Geräusch werde ich nie vergessen. Plötzlich war sehr viel Leben auf dem schmalen Grat, Bienensummen, Rascheln von synthetischem Stoff, Bewegung von Menschenkörpern, ein sich aufreckender Arm, Geräusch von Haar, wenn sich ein Kopf nach der Seite wendet. Ich wurde erspäht, kurzer prüfender Blick,

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Zurückfallen in den weichen Stoff. Ich stand gut hundert Meter entfernt, aber hier war alles zu hören. Sie hatten hier übernachtet, in der Wüste, unter freiem Himmel, ihnen gehörte der Kleinbus, neben dem sie lagen. Und seine Schritte dorthin, Öffnen einer Blechklappe, Öffnen der Wasserflasche, erster Schluck, erstes Wort, »Willst Du auch  ?« in der Landessprache, und ich ging – jeder Schritt weithin hörbar – zu meinem Auto zurück, stieg ein und schrak zusammen unter dem Geräusch der zufallenden Tür. Jetzt war es hell, richtig hell, im Fahren sah ich die Sonne hinter fernen Hügeln aufgehen. Ich kann nichts Aufregendes davon berichten  : sie ist einfach da wie jeden Tag, gelb, strahlend, in ihrem übergangslos grellen Licht verschwindet der letzte Zweifel, alles ist ausgeleuchtet und an seinem Platz. Wie immer erscheint mir der Rückweg kürzer als der Hinweg. Da ist schon der Wegweiser zur berühmten Wüstensiedlung, eine leere Bushaltestelle, dann die Siedlung selbst mit ihren Geräuschen, Hähne krähen, Geschäftigkeit, ein Mann steigt auf eine Leiter und ruft von oben einer Frau etwas zu, langsam fährt ein gelber Traktor vorbei, ich durchquere die Siedlung und erreiche die Aussichtsterrasse. Sie bietet einen nie gesehenen Ausblick in die Urzeit. Sand, aufgetürmt zu Gebirgszügen, Sand, der wie gefroren aussieht in der ewigen Hitze, gläsern scheinender Sand, Treppen, Plateaus, Paläste aus Sand. Ich brauche nur halb die Augen zu schließen und sehe uralte Städte und Festungen, Tempel und Gassen, sehe Türme, die lange Schatten werfen in jäh abstürzende Schluchten. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich dort stand. Die fernen Städte aus Sand – alte Erinnerung und Zukunftsvision zugleich. Wüste ist nur ein vorübergehender Zustand. Wir müssen nicht vor ihr erschrecken. Für den Ewigen sind tausend Jahre wie ein Tag. Unsere Zukunft liegt in der Wüste. Sie breitet sich aus, wir müssen mit ihr rechnen, darüber nachdenken, wie wir sie für uns gewinnen. Hier haben wir begonnen, immer von Neuem begonnen, werden es auch diesmal wieder tun  : wir werden pflanzen und bewässern, werden den schlafenden Sand ins Leben zurückrufen, werden wieder frei atmen und lauschen lernen, die Sonnenaufgänge bewundern, die Erde wieder lieben…

TEIL 4  : VERGLEICHENDE LITERATURWISSENSCHAFT

Howard Needler

Wave to Particle, Particle to Wave: Towards a “Quantum” Theory of Poetry Precision is a fundamental objective and characteristic of scientific thought, which seeks to determine natural laws, and to define their application in the strictly denotational languages of symbolic logic and mathematics. Even where these languages are maladapted to scientific explanation (e.g., in life sciences or psychology), a jargon no less denotational is adopted to serve that purpose. In scientific discourse the linguistic sign is univocal and insusceptible of interpretation – although a scientific term may appear to be rich in implication, and, removed from its context, take on connotations ranging far from its original denotation. A prime example is entropy. The Greek etymon of this word, introduced into the lexicon of Thermodynamics by Clausius, is glossed by Liddell and Scott as “a turning towards  ; respect or reverence”. However, Clausius, who glosses the word as “transformation” and uses it to define a function related to the quantity of heat put into a working system (such as a gas engine), wrote that he designed the word entropy to resemble energy because they seemed to him so analogous in their physical significance. Entropy is a ratio of heat to temperature, and is generated (for example) when an engine, by virtue of work done, is taken from one heat and temperature to another. If the engine is reversible, the change in entropy after it goes through a complete cycle, irrespective of the path taken, is zero. But if the work done is irreversible, the change in entropy is necessarily positive, yielding the more far-reaching implication that the entropy of the whole world has been increased.1 Feynman then takes up the question of the source of irreversibility. Citing the case of a box containing “black” and “white” molecules separated by a partition, he notes that the random movements and collisions that would result in their mixing after removal of the partition are all individually reversible but nonetheless lead to the generation of a situation that is irreversible, for the reason that an ordered arrangement has become disordered. As these random movements all contribute to an increase in entropy, the

1 See Feynman, Richard/Leighton, Robert/Sands, Matthew (eds.)  : The Feynman Lectures on Physics, Vol. I, Reading 1963. p. 44-10–44-12. (The Feynman Lectures feature an idiosyncratic system of pagination, by chapter number and page of chapter).

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Howard Needler

implication is an identification between entropy and disorder, with the further imputation that the disorder of the universe is steadily increasing.2 Entropy can thus be understood as a measure of disorder. This may look like an instance of “semantic drift,” but it is not – at least, not in scientific discourse, where entropy retains its strict denotation. But the identification of entropy with disorder has proved irresistible to some literary critics, who have made it a sort of buzz word indicative not only of disorder, but of indeterminacy, waste, or what one critic has fancifully referred to as “structural blindness” and a “simulacral riddle”. Here semantic drift has become arbitrary exploitation of an exotic term to identify exotic fantasies of the writer using it. In the case of entropy, a term coined to describe a specific scientific concept, and intended to be used with strict denotational precision, has drifted into a region of linguistic indeterminacy where it is used to express forms of mental extravagance. What has made this situation possible is a range within scientific thought from the highly specific to the broadly general. This corresponds to a linguistic range from the mathematical expression S = ∆Q/T to “ordinary language”. It is analogous to the difference between “steno-language”3 and language that is connotational, allusive, and suggestive. The ideas of Physics have always had philosophical implications, but it is only since the late 19th century that physical ideas can be said to entail philosophical consequences whose expression requires a different form of language. What I have argued in respect of entropy is also true of Quantum Theory, of the Uncertainty Principle, of the Principle of Complementarity, and so on – in short, of the new theories that derive, directly or indirectly, from the discovery of the atom and of the world of subatomic particles. The issues of language for the description of scientific phenomena are thoughtfully canvassed in words ascribed to Niels Bohr by Werner Heisenberg  : […] We never know what a word means exactly, and the meaning of our words depends on the way we join them together into a sentence, on the circumstances under which we formulate them, and on countless subsidiary factors. [… ] [William James] says that, though our minds may seem to seize on only the most important meaning of a word we hear spoken, other meanings arise in its darker recesses […]. That happens with everyday speech and a fortiori with the language of the poets. To a lesser extent, it applies to the language of science as well. 2 3

Feynman, Feynman Lectures, p. 46-7–46-9. Rudich, Norman  : The Dialectic of Poesis  : Literature as a Mode of Cognition, in  : Cohen, Robert S./Wartofsky, Marx W. (eds.)  : Boston Studies in the Philosophy of Science, vol. 2, New York 1965, p. 343–400, here p. 356.



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[…] For the language with which we describe our experiments contains concepts whose scope we cannot define with precision. One could, of course, say that the mathematical formulae with which we theoretical physicists describe nature ought to have this degree of logical purity and strictness. But then the whole problem reappears in different guise just as soon as we try to apply these formulae to nature. For if we want to say anything at all about nature – and what else does science try to do – we must somehow pass from mathematical to everyday language.4

Of course, the issues of indeterminacy and slippage in all language have been extensively explored in the work of such philosophers of language as Peirce, Quine, Putnam, and many others  ; the concern of the present essay, however, is not with language as such, but to explore analogy between physical theories of the early 20th century and the specific language of poetry. The problematic of language as a vehicle of scientific description was compounded for 20th century physicists by a problematic of observation. Heisenberg reports a conversation between himself and Einstein as follows  : “But you don’t seriously believe”, Einstein protested, “that none but observable magnitudes must go into a physical theory  ?” “Isn’t that precisely what you have done with relativity  ?” I asked in some surprise. “After all, you did stress the fact that it is impermissible to speak of absolute time, simply because absolute time cannot be observed  ; that only clock readings, be it in the moving reference system or the system at rest, are relevant to the determination of time.” “Possibly I did use this kind of reasoning,” Einstein admitted, “but it is nonsense all the same. […] it may be heuristically useful to keep in mind what one has actually observed. But in principle, it is quite wrong to try founding a theory on observable magnitudes alone. In reality the very opposite happens. It is the theory which decides what we can observe. […] – we must be able to tell how nature functions, must know the natural laws at least in practical terms, before we can claim to have observed anything at all.”5

It is a short step from this view of Einstein to Bohr’s theory of interaction between the observer and the object of observation, which effectively complements the Uncertainty Principle by noting that measuring apparatus, and even the observer’s introduction of himself into the system under observation effectively perturbs the object of his attention and necessarily impedes its precise measure4 5

Heisenberg, Werner  : Physics and Beyond, New York 1972, p. 134 f. Ibid., p. 63.

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ment.6 (An ancient correlative to this idea is Vergil’s description of the Sybilline Oracles in Aeneid III  : the oracles are written upon leaves, arranged on the floor inside the Sybil’s cave. But every time the door is opened, a wind inevitably enters and scatters the piled leaves, making the oracles inaccessible.) A dialectic of precision and imprecision is rooted in the great scientific discoveries of the earlier twentieth century, and touches observation in general, the simultaneous control of conjugate variables (such as momentum and position), and the language used to describe scientific phenomena – all unproblematic in classical physics. In the passage quoted above, Bohr, speaking of the passage of language from denotation to what I call “plurisignation,” cites as an extreme example of the latter “the language of the poets.” What Bohr clearly understood, and has long been recognised as characteristic of poetic language, is its intrinsic capacity to signify multiple senses or images through a single morpheme. But it is to Russian Formalists and their heirs, especially Roman Jakobson and Nikolai Trubetskoy, that we owe the significant development of analytical discourse about poetic language that occurred contemporaneously with the scientific discoveries just referred to. Trubetskoy and Jakobson fruitfully applied to poetry the structure of a trigonometric coordinate system, defining the vertical axis as the Axis of Succession (corresponding to the trope of metaphor), and the horizontal axis as the Axis of Simultaneity (corresponding to the trope of metonymy). Bohr, in formulating his Principle of Complementarity, used vectors in 4-dimensional space-time to represent, respectively, the conjugate variables of position and time and of momentum and energy. This theory holds that [t]he space-time vector and the energy-momentum vector cannot be focussed simultaneously  ; the better the one is focussed, the more blurred does the other become. […] A rigorous space-time description and a rigorous causal sequence for individual processes cannot be realized simultaneously – the one or the other must be sacrificed.7

In poetry, any phoneme is defined by reference to both axes, but its metonymic and metaphorical significations do not blur each other – even though we read and hear poetry differently along the two axes. This point is illustrated by an anecdote  : A literature teacher enters a classroom and writes on the blackboard, “Walk with Light.” Students comment on the loveliness of this poem-in-miniature and ask about its source, only to be told, “I saw it in neon on a traffic signal 6 7

See, for example, Bohr, Niels  : Atoms and Human Knowledge, in  : Atomic Physics and Human Knowledge, New York 1958, p. 88–93. d’Abro, A.: The Rise of the New Physics, vol. 2, Dover 1951, p. 950 f.



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at the street-corner.” The effect of particular arrangements of language is dependent on their context, their use or suppression of ordinary connectives, their degree of metaphoricality, and the disposition of their audience – in sum, on an array of factors identified by Jakobson in his essay “Linguistics and Poetics.”8 At the street corner, we read “Walk with Light” prosaically along the lateral Axis of Simultaneity  ; in the poetry class, we recite it analogically along the vertical Axis of Succession, hearing a phonemic progression of ascent from labial, fricative, and back vowel (Walk with) to liquid, alveolar, and front vowel (Light). The way the three words are recited makes clear whether the speaker thinks them conative or poetic. Within early 20th-century poetics, as within early 20th-century physics, there is a dialectic. In physics, the poles of this dialectic can be defined by conjugate variables, by observation and theory, by macrocosm and microcosm, by precision and fuzziness – and by steno-language and ordinary language. In poetics, the poles of the dialectic are essentially linguistic – succession and simultaneity, metaphor and metonymy – but Jakobson revealed another polarity, intriguingly analogous to Bohr’s ideas about scientific language. The general effects causing poetry to be identified as such are macroscopic  : metricality and rhyme (and less precise categories like tone and meaning) are large-scale elements involving the interrelation of two or more lines of verse, or even the structure of the whole poem. They are comparable to “ordinary language” giving rise to other meanings – for instance, words providing end-rhymes are drawn into mutual relation, like words in the same metrical position in different lines, or different parts of speech with a common root. In his study (with Stephen Rudy) of Yeats’s The Sorrow of Love, or his papers on Pushkin’s Ya vas lyubil or Shakespeare’s Sonnet 129 Jakobson made clear the poetic importance of parts of speech, recurrent variations of word-forms, phonemic and phonetic variation, etc. – though he did not always clarify how such particulars determine the broad effects experienced by poetry’s audience.9 This essay attempts a modest expansion of Jakobson’s work in this direction. There is a refined expression of poetry’s “large” effect in Wallace Stevens’ Peter Quince at the Clavier  :10 “So evenings die in their green going, / A wave, interminably flowing”. If poetry itself can be thought of as a wave,11 we can view   8 Jakobson, Roman  : Selected Writings, ed. Stephen Rudy, vol. 3, The Hague 1981, p. 21–25.   9 See Jakobson, Roman  : Poeziya grammatiki i grammatika poezii [Russian], in  : Poetics-Poetyka-Poetika, Warsaw, 1961, p. 397–417  ; id./Jones, Lawrence G.: Shakespeare’s Verbal Art, in  : Th’Expence of Spirit, The Hague 1970. 10 Stevens, Wallace  : The Palm at the End of the Mind. Selected Poems, ed. Holly Stevens, New York 1972, p. 8–10. 11 I don’t mean to suggest that this was actually Stevens’ intention, and have in fact argued else-

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the minute components of poetic language as particles, producing a wave/particle duality like that of Quantum Mechanics. The most common response to poetry is its perception as a wave – as something continuous and graspable only as a whole  ; it takes a determinedly disciplined approach to perceive and analyze the structure of its particles, as Jakobson did. However, a wave is the energy laterally propagated through a medium that is itself displaced vertically. Any given point on the wave is therefore subject to movement along both axes. Such points may be taken correlatively to represent the individual phonemes of the poem’s language. A two-word (or four-word, if elisions are disregarded) poem by Giuseppe Ungaretti illustrates this point  : M’illumino / D’immenso.12 This is literally untranslatable, although it is roughly rendered as I am illuminated / By immensity. The poem is only realised in recitation, which immediately brings before the ear the double liquid /ll/ in the first verse and the double nasal /mm/ in the second. The other notable features include the long stressed vowels following the double consonants (back vowels in the first verse, medial in the second), the short front vowel /i/ in the initial syllable of both verses, the repeated final syllable /o/, the nasal consonants following the stressed syllable (/n/ and /ns/, respectively) in both verses, and the nasal/dental alternation in the initial phoneme (/m/ and /d/, respectively. Although each double consonant traverses a syllable break, disregard of the syllabification, keeping each set of two consonants together, shows that each verse begins with an almost complete morpheme  : mill[e] and dimm[i], respectively. The first of these words (mille, meaning thousand) intimates the theme of immensity  ; the second (dimmi, meaning tell me) seems like an injunction to the poem to address its reciter. The monosyllabic affix in the first verse is an indirect-object pronoun (mi), which may suggest that the poem itself is speaking  ; that in the second verse is a preposition (di), which is the grammatical link between the two verses. The velar sibilant /s/ in the second verse effectively prolongs the preceding syllable (to which it doesn’t actually belong), and at the same time sonorously initiates closure. This is a case in which the “wave” description of the poem and its “particle” description completely coincide  : the poem is its sound-patterning, which conveys the effect its semantics describes. It is of course possible to read the poem withwhere that the image of the wave is a reference to the transiency of aesthetic experience, see Needler, Howard  : On the Aesthetics of Peter Quince at the Clavier, in  : Wallace Stevens Journal 18 (1994), p. 50–62. 12 Ungaretti, Giuseppe  : Mattina, in  : Brock, Geoffrey (ed.)  : The FSG Book of Twentieth-Century Italian Poetry, New York 2012, p. 158. The following translation, like the other translations of poetry in this paper, is the author’s. The sole exception is Sachs’s Hände, for which the present author has modified the translation in the referenced edition.



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out reciting it, and to gain a sense of what it “says,” although it seems clear that what it “has to say” is neither more nor less than the structure of its sound-images. My second example is a short poem by Salvatore Quasimodo  : Ognuno sta solo sul cuor della terra, Trafitto da un raggio di sole  ; Ed è subito sera.13 [Everyone stands alone on the heart of the earth, Transfixed by a ray of sunlight  ; And suddenly it’s evening.]

The poem’s images are for the most part piercingly clear and sharply etched  : universality (ognuno), solitude (solo), penetration by a ray of sunlight shot like an arrow from a bow (trafitto), and the abrupt fall of evening (subito). At least one reading of the poem’s “message” comes readily to mind  : all people are essentially alone in their experience of the sunlit pulse of life, which is brief and broken off, with startling abruptness, by death. The rhythms of the three verses are pronouncedly different from one another  : the first, with its predominant deep back vowels and nasal beginning followed by a succession of liquid consonants, is strangely solemn, perhaps echoing the pulse of the earth’s heart. The stress pattern of this verse (on syllables 2, 5, 8, and 11), although, like the verse itself (which has one more syllable than the traditional hendecasyllable) irregular, is very close to a classic stress pattern of Italian verse (2, 6, 8, 10). The second verse, however, is a catalectic hendecasyllable, with stress pattern 2, 6, 9, apparently extending its reach beyond that of the first verse, only to be cut short by elimination of the fourth stress. The second verse (in its second syllable) and third (in its third) are marked onomatopoeically by arrests. The first and second verses are linked by sets of double consonants (I  : della terra, II  : trafitto da un raggio), whereas the final verse has only single consonants, and the assonance of terra and sera, reflecting similarity (and therefore, continuity) of sound, but a 50 percent reduction in its duration, emphasizes the character of the change that has occurred between the first verse and the last. The force of the doubled consonants in the second verse (trafitto da un raggio), in the face of the singular word-forms trafitto and raggio, and therefore, of the verse’s emphasis on solitude, is very marked. So is the echo of solo, in the middle of the first verse, in sole, at the end of the second, making the solitude of each human individual against the planet’s pulse a powerful but transient source of light. The play of sibilants (sta solo sul …, 13 Quasimodo, Salvatore  : Ed è subito sera, in  : ibid., p. 222.

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verse 1  ; …sole, verse 2, …subito sera, verse 3) is also noteworthy, tightly linking the three verses, but also, in the accompanying vocalization, marking the transition from an exclusive domain of back vowels in the first verse, via a dominant (stressed) back vowel with secondary (unstressed) front vowel in the second, to a dominant (stressed) front vowel, but closing unstressed back vowel in the third. In sum, the “particle” effects of this poem not only explain its “wave” effect, but illustrate subtleties composing it that would otherwise escape attention. In Hände (Hands), a poem by Nelly Sachs, the kinds of effects I have been discussing operate rather differently14  : Hände Der Todesgärtner Die ihr aus der Wiegenkamille Tod, Die auf den harten Triften gedeiht Oder am Abhang Das Treibhausungeheuer eures Gewerbes gezüchtet habt. Hände, Des Leibes Tabernakel aufbrechend, Der Geheimnisse Zeichen wie Tigerzähne packend – Hände, Was tatet ihr, Als ihr die Hände von kleinen Kindern waret  ? Hieltet ihr eine Mundharmonika, die Mähne Eines Schaukelpferdes, fasstet der Mutter Rock im Dunkel  ? Zeigtet auf ein Wort im Kinderlesebuch – War es Gott vielleicht, oder Mensch  ? Ihr würgenden Hände, War eure Mutter tot, Eure Frau, euer Kind  ? 14 Sachs, Nelly  : Hände, in  : The Seeker and Other Poems, transl. Ruth and Matthew Mead and Michael Hamburger, New York, 1970, p. 14. The following translation is modified by the present author.



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Dass ihr nur noch Tod in den Händen hieltet, In den würgenden Händen  ? Hands Of the gardeners of death You who grew from the death of the camomile in its cradle, That thrives on the hard pastures Or on the slope, The greenhouse monster of your trade. Hands, Tearing open the tabernacle of the body, Gripping signs of the hidden things like tigers’ teeth – Hands, What did you do When you the hands of little children were  ? Did you hold a mouth organ, the mane Of a rocking-horse, clutch your mother’s skirt in the dark, Point to a word in a children’s reader – Was it God perhaps, or Mensch  ? You strangling hands, Was your mother dead  ? Your wife, your child  ? That nothing but death in your hands you held, In your strangling hands  ?

Sachs uses the genius of German grammar and word-formation to establish thematic patterns and images. Of the seven compound words in the poem, three (Todesgärtner, Treibhausungeheuer, and Tigerzähne, all alliterating on the voiceless dental stop /t/) express the violent and monstrous perversion of what normally is morally neutral  ; three (Mundharmonika, Schaukelpferdes, and Kinderlesebuch)

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express positive concomitants of childhood  ; and the remaining one (Wiegenkamille) presents a positive image of early plant growth, that is however wedded to death in a genitive construction. The most obvious thematic motif developed along both axes is Hände, occurring seven times, followed by the four occurrences of Tod, once in each of the three oblique cases and once, in adjectival form. The echo of the last two syllables of – ungeheuer is heard not only in the same line where it occurs (eures), but also in the cluster of second-person plural possessive adjectives in the poem’s concluding verses. There are other striking “particle” effects along the Axis of Succession. The several occurrences of the 2nd-person pronoun ihr are sometimes ambiguous, implying that the poem, though nominally always addressing the hands, is sometimes addressing the possessors of the hands. These are already present in the second verse as the Todesgärtner, and they recur in the poem’s penultimate verse as those who hold only death in their hands. The hands themselves are at first cultivators of plants, but the ultimate object of their cultivation is a murderous monstrosity, and these hands are then seen as destroyers and desecrators of the (human) body. Interestingly, the hands in this role are represented as like the teeth of tigers  : the imputation seems to be of a rapacity for blood and flesh, rather than mere destructive zeal. In the next lines, the hands addressed are clearly understood to belong to a body, which has experienced infancy and childhood, since the speaker asks the hands what they did during these phases of growth  ; these verses amplify the highly-condensed passage from growth to decay in the line about the death of the camomile in its cradle. The word [Mund]harmonika intimates the harmony disrupted by the ruination of the body, a few verses above, the verses following multiply illustrate it, and Mähne, though rhyming with Tigerzähne, refers to a very different part of a very different kind of animal. Finally, however, the hands are again the hands of the strangler, the “gardener of death,” the possible psychic sources of whose murderous energy the speaker perfunctorily and sarcastically canvasses. Much more could be said about this poem, but perhaps this much is enough to indicate how its “quantum” effects illustrate its insistence on the unity of body and soul in respect of their corporate responsibility for their actions, through its disconcerting disjuncture of the two in its images and metaphors. My final example is a long and highly complex poem, Coleridge’s Kubla Khan.15 This poem notoriously was identified by its author as the product of an opium-induced trance-like sleep that fell upon him while he was reading certain lines of Purchas His Pilgrimage, and that was interrupted by the importunate 15 Coleridge, Samuel Taylor  : Kubla Khan, in  : Eastman, Arthur M. et al. (eds.)  : The Norton Anthology of Poetry, New York 1970, p. 593 f.



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man from Porlock – but even without such unusual provenance, it presents itself from its opening line (In Xanadu did Kubla Khan a stately pleasure-dome decree) as deeply invested in visionary fancy. It is also a profoundly political poem16 – and, at the same time, a poem that seems to renounce any political aspirations its speaker might have entertained in favour of the enigmatic paean to the power of poetry and song with which it concludes. Its “wave” effects are themselves highly complicated – something more like an interference pattern of mutually superimposed waves than “a wave, interminably flowing”.17 The poem’s “particle” effects are numerous and extraordinary. They take the form of correlations readily discernible along the Axis of Succession. To take just one example of a phenomenon repeated with many variations, the caverns measureless to man, introduced in verse 4, reappear as the caverns measureless to man in verse 27, then as the caves in verse 34 and caves of ice in verse 36, to make a final appearance as those caves of ice in verse 47. We see the poem appropriate its own material, make reference to it, modify it, and – in this case – end by definitively asserting the visionary poet’s proprietary right to it. The poem begins on a powerful note with an exotic place-name (enhanced in the graphic form by its initial X) and the invocation of the Mongol ruler whose name had long since passed into European legend. His name recurs once, in verse 29, with the significant subtraction of his title in the context of the ancestral voices whose authority overshadows his. The poem, again along the Axis of Succession, steadily and accretively comments on its own exoticism with such words as sacred (verses 3, 24, 26)  ; romantic (verse 12)  ; savage and enchanted (verse 14)  ; haunted (verse 15)  ; demon (verse 16)  ; miracle (verse 35)  ; holy (verses 14 and 52)  ; and dread (verse 52). The uncommon word athwart in verse 13 cuts across the warp of the poem as the deep romantic chasm slants across the cedarn cover. The numerous alliterations playing along the Axis of Simultaneity (e.g., …, waning … woman wailing …, verses 15–16) are vigorously intermitted (to adapt one of Coleridge’s words) by the end-rhymes, as well as by such internal rhymes as pleasure and measure. This particular rhyme may identify one of the Khan’s satisfactions as measurement and enclosure (So twice five miles of fertile ground / With walls and towers were girdled round), but measure, at this point in the poem, must be abstracted from measureless, which expresses the defiance of such satisfactions, and where it finally occurs independently (verse 33) as … the mingled measure / From the fountain and the caves, it has migrated into an en16 The best essay I know on this aspect of the poem is by my late colleague Norman Rudich, see Rudich, Norman  : Coleridge’s Kubla Khan  : His Anti-Political Vision, in  : id. (ed.), Weapons of Criticism. Marxism in America and the Literary Tradition, Palo Alto 1976, p. 215–241. 17 See above, p. 351.

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tirely different semantic region that undercuts and will ultimately overwhelm the Khan’s aspirations. The peregrination of this word through the poem illustrates, in highly condensed form, the poem’s repudiation of seemingly absolute political power and its ultimate assertion of the superior powers of nature (the fountain) and poetry (the caves). This change in the signification of measure is accompanied by a correlative modification of the pleasure dome as it progresses through the poem, and of the caverns measureless to man. At its first mention A stately pleasure dome, the dome has by its second mention at verse 31 lost its “stateliness” to become the dome of pleasure (and the relegation of pleasure to a prepositional phrase connotes its becoming a secondary concern). In the following couplet (verses 33–34) the caverns have become caves (and in the immediately following couplet they achieve their apparently definitive status as caves of ice), and it is as caves that, in conjunction with the mighty fountain, they give rise to a mingled measure, something seemingly impossible to them as caverns measureless (to man, at least). At verse 36 the dome is again a pleasure dome, but it has also acquired the apparently definitive adjective sunny, which alone qualifies it in its final mention as the speaker’s visionary project, in verse 47. Unlike the Khan’s project – an architectural instrument of state enclosed behind walls and towers – the poet’s is a sunny vision accessible to all with ears to hear and eyes to see. There are many more such “migrations” and iterations with a difference along the Axis of Succession. The sacred river, appropriately given its name Alph, suggestive of beginnings, only in its first mention near the beginning of the poem, initially takes its (apparently downward) course through the caverns measureless to man, to a sunless sea. Its second mention (verse 24) occurs in an account of its actual origin, when it is flung up momently (at once and ever). These adverbs suggest that the operation of the mighty fountain in generating the sacred river is both instantaneous and continuous, imparting to the river a dynamism not to be noted in its initial mention  ; and the river’s motion is now also described more dynamically (… ran … / Then reached … / And sank …) and accompanied by prepositional phrases of adverbial force (Five miles meandering with a mazy motion / … / … / … in tumult). In the very next verse this tumult becomes the sonic involucrum of the distant ancestral voices that pre-empt the Khan’s authority  : the sacred precinct taken in by his original act of enclosure, by an assertion of its yet more primordial power, now encloses the lineage that dictates policy to him. The twice five miles measured off with care by Kubla’s architects are subsumed by the sacred river’s five miles of meandering with a mazy motion. The sunless sea to which the sacred river first runs down has now become a lifeless ocean to which it sinks, intimating the equivalence of sun and life, with implication for the usurpa­ tion of the pleasure dome’s “stateliness” by “sunniness”.



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More strikingly, the second stanza maps a powerful contrast between the “dead” expanse of water beneath the earth’s surface and the volcanic energies that tear through that surface. The scene set by the four concluding verses of the first stanza seems edenic in its beauty  ; it is both stable and controlled, with implication of human agency in the mention of gardens, incense-bearing tree[s], and forests … / Enfolding sunny spots of greenery. Such a characterization extends also to Alph, the sacred river, since the river is named and sacredness is typically a quality assigned by humans, rather than intrinsic, to a site (in contrast with the “holiness” of the deep romantic chasm). The qualification of the deep chasm as romantic is of course a human judgment, but the chasm itself is introduced as a feature of the untamed natural world that slant[s] down the (cultivated) green hill and cuts athwart both the cedarn cover and the text of the poem. The word chasm itself, uniquely Greek in a context of mostly Anglo-Saxon roots with a few scattered Latinisms, opens a gulf in the verbal fabric of the poem. The simile that describes this place suggests its likeness at one and the same time to the precinct of a god (holy) and to a site of supernatural and unwholesome rites (enchanted … demon).18 It certainly makes it a locus of unbridled sexual energy, anticipating the immediately following verses describing the chasm, with ceaseless turmoil seething, giving birth to the mighty fountain. The sexual symbolism of the ensuing language (in fast thick pants … breathing, momently was forced, … swift half-intermitted burst, … flung up momently, … sank …) is obvious. The contrast of upward and downward movement is striking  : the fountain is forced upward, the huge fragments (of rock) vault like hail, which falls down and rebounds upward, as the grain beaten by the thresher leaps and falls, and the river itself is flung up, only to sink precipitously after its five-mile meander. The play of specifiers is also noteworthy. At its first mention the chasm is that chasm, as previously known and noted by the speaker, and six verses later it is this chasm, known to both speaker and audience. The earth is this earth, familiar to both speaker and audience (unlike Kubla Khan’s exotic site), and the Huge fragments of verse 21, only two verses later, are these dancing rocks. Both sacred river and caverns measureless to man have definite articles here (as the river necessarily has also in its first mention), and the tumult of verse 28 is, in the immediately succeeding verse, this tumult. The poem’s steady domestication of its own new material reflects the poet’s increasing control of it, and prepares for his mastery of the entire vision in the last two stanzas. This is anticipated in the opening 18 The references to the waning moon (suggesting a dark night) and to woman wailing for her demon lover are reminiscent of midrashic material about the first Eve, an independent and refractory woman who became the night-monster Lilith, and coupled with Satan to beget Cain. I know of no evidence, however, that Coleridge had any knowledge of such material.

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verses of the third stanza, which present a notable variation on the first two verses of the second  : But oh  !, with its unvoiced alveolar stop, contrasts with The shadow, with the correlative voiced stop and a different stress pattern  ; that has given way to the softer the  ; the phonemes deep rom[antic] – are condensed, with the elimination of the medial consonants /pr/, into dome  ; the fricative /k/ is replaced by the softer conjunction of unvoiced labial stop and liquid /pl/, and the voiced sibilant /z/, by /zh/, with the complete elimination of the sounds of which slanted – all together intimating the substitution for the “savage” and untamed work of nature, of the more refined work of the poet. The second verse exhibits an analogous difference, with midway serving as a less harsh and violent parallel to athwart. The occurrence of shadow implies not only the presence of the sun, but also, in indirect allusion, the representational creativity of the poet, who works with images and in what immediately follows proceeds to the synaesthetic conjunction of an image extrapolated from Kubla’s dome with a music extracted from the turmoil and tumult of chasm, fountain, and river. In the concluding couplet of this stanza, it is the poet’s miracle of rare device that is celebrated, not the Khan’s, and the miracle, conjoining the dome attracting the sun’s fire with the iciness attached by the poet to the subterranean caves, incorporates the classic oxymoronic conceit of the “icy fire.” Music is both literally and figuratively central to the poem’s final stanza. The visionary poet begins with a vision of a singer whose identity (an Abyssinian maid) and subject (Mount Abora – whose name might be interpreted as Father of Light, from Hebrew ’av ’or) are both signals of a new beginning. The components of the poem’s opening conceit are radically changed  : Alliteration on /d/ is still present, but it first describes a dulcimer-playing virginal damsel in a vision (and, a few verses later, the deep delight the speaker will experience from rehearing her song), rather than a khan making decrees in an exotic Asiatic setting. There is suddenly a first-person narrator recounting a personal vision whose hoped-for recovery will be the key to this speaker’s final assumption and subsumption of Kubla Khan’s project. The last thirteen verses of the stanza are given over to a complex conditional sentence whose two-line protasis postulates the speaker’s uncertain “revival” within himself of the Abyssinian maid’s symphony and song. The latter of these is a metrical and melodic concatenation of sound that can be remembered, recalled, imitated, and reproduced by the human voice. But symphony implies, more than a parallel to this through musical instruments (the dulcimer), the art of creating such a sound-pattern. The possessor of this art would be able to compose a music of such volume and duration as to realise both sunny dome and caves of ice, and to bring their images into the imaginations of its audience. But this is of course precisely what the poet of the two preceding stanzas has already achieved for his audience, so that should in verse 13 of this



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stanza needs to be read not only as a conditional verb, but as a hortatory imperative, demanding acknowledgment of the inspired poet as the sublime prophet who, like Moses, absent on Mount Sinai for forty days and forty nights, has been nourished only on supernatural food and drink, and whose transfigured physical attributes (His flashing eyes, his floating hair  !) make him seem more divine than human. The poem’s final act of repetition with a difference is the substitution of this transcendent and supremely powerful poetic persona for the legendary autocrat with whose decree it opens. A great deal more might be written about Kubla Khan, a tightly constructed poem whose dense verbal texture could sustain close examination of each of its phonemes and of all their interrelations – but perhaps this much suffices to register a claim for the relevance of the approach adopted here to illuminate the poem’s signification. I hope to have demonstrated that at a certain moment in the history of European culture there occurred a remarkable correspondence, going well beyond analogy, between developments in Physics and in Poetics19 and that this correspondence is traceable through several different, but interrelated, conjugate pairings  : macrocosm and microcosm, general and particular, quantum and continuum, wave and particle. Poetics and Physics have taken widely divergent paths since that time, but the luminosity of their extraordinary convergence at that moment may yet serve to shed light upon them both.

19 By Poetics I mean, of course, theorising about poetry, and not poetry itself. It should be evident that, to the extent that the arguments of this paper are valid, they are applicable to the poetry of any epoch or language.

Aaron Landau

Race, Gender and Miscegenation in Cervantes and Shakespeare  : A View to the Americas In Mimesis and Empire, her groundbreaking study of the relationship between early modern representations of Muslims and Amerindians in (among other countries) England and Spain, Barbara Fuchs had seminally proposed to examine contemporary constructions of racial, religious, and ethnic difference in terms of both transatlantic and Mediterranean identities. While paying considerable attention to Cervantes’s engagement with the Mediterranean and Islam in his “captivity” plays and narratives, she has, however, largely overlooked his interest in the New World, an interest that was not only literary but also personal  : Cervantes is known to have repeatedly appealed for a post in the Americas, which he ultimately failed to obtain. Fuchs had paid even less attention to Shakespeare’s engagement with the New World, limiting herself to his most “American” play, The Tempest (1613), and the well-known connections between this play and early English settlement in Virginia. Significantly, however, Shakespeare chooses to cast his furthermost example of a contemporary Mediterranean Moor, Othello, in the roles of both New World explorer and Amerindian. In the beginning of the play, when Othello repeats to the senators his “travels’ history” (1.3.138), which won him Desdemona’s love, he makes sure to include in his narrative “the cannibals that each other eat, / The Anthropophagi, and men whose heads / Do grow beneath their shoulders (1.3.142–144).1 The mention of Anthropophagi and headless men goes back of course to Pliny and Sir John Mandeville, but it featured prominently in recent English accounts of travels to South America, most notably perhaps in Sir Walter Raleigh’s The Discoverie of the large, rich, and beautiful empire of Guiana (1595) and Laurence Keymis’s sequel to that voyage and text, A Relation of the Second Voyage to Guiana (1596).2 Towards the end of the play, in his dying speech, Othello famously refers to killing Desdemona as the folly of a “base Indian” (5.2.343) who “threw a pearl away / Richer than all his tribe” (5.2.342–344), again conjuring up a sense of Otherness which, although

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All quotations from this play refer to the lines in the following edition  : Shakespeare, William  : Othello, ed. Norman Sander, Cambridge 1984. See Norman Sander’s note to that effect to the line 1.3.143 in  : ibid., p. 74.

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primarily and nominally Mediterranean, is nonetheless also resonant with the particular distinctiveness of the New World and its Amerindian inhabitants.3 In the case of The Tempest, whose action is supposed to take place on a Mediterranean rather than a transatlantic island, it has been pointed out long ago that Shakespeare draws heavily, not only on contemporary accounts of English settlement in North America, but also on Montaigne’s description of native South Americans in “On the Cannibals” (1580). Interestingly, the figure of the cannibal in Shakespeare’s play – the character whose name, Caliban, has often been seen as an anagram of the Spanish word canibal for the Carib indigenous people  – is the dispossessed and enslaved son of a witch, Sycorax, native to Algiers (1.2.61).4 This witch, however, is said to have worshipped Setebos (1.2.375), the god of the Patagonians according to Richard Eden’s translation of the account of Magellan’s expedition in The history of Travel in the West and East Indies (1577). Thus, both Sycorax and Caliban come through as a curious mix of Mediterranean, Caribbean, and Patagonian alterity all wrapped in one.5 Like Othello, whose union with Desdemona is often railed against as an improper and even bestial mingling of bloods, Caliban too is repeatedly referred to as the half-human son of Sycorax and a devil, a freckled monster, a thing of darkness, a mooncalf, half-fish and half-man. Sycorax, having died before the beginning of the play, leaves Caliban as the sole owner of the Island until the eventual arrival of Prospero, the ex-duke of Milan, and his daughter, Miranda. The feminine presence of Miranda converts Caliban too, not unlike Othello, into a potential threat to the integrity and well-being of the Christian female body. Othello, though a most loving husband to Desdemona at first, soon degenerates into a caricature of a tyrannical orientalist husband, obsessively jealous of his wife, verbally and physically abusing and finally killing her. Caliban, although initially befriended by Prospero and allowed to lodge with him and his daughter (1.2.349), is eventually turned out of doors and reduced to sheer slavery after seeking to rape Miranda and people the Isle with Calibans (1.2.350–352). By their very Otherness, men of a foreign race or creed thus appear to represent an 3

This admittedly depends on whether we choose the spelling, “Indian” of the first Quarto of 1622, as most editors do, citing the many sixteenth century references to savages who did not know the value of the precious minerals they possessed, or the spelling in the Folio, “Iudean”, which would suggest an allusion to Judea rather than the New World. See the note to this line in the New Cambridge edition of the play, ibid. p. 185. 4 All quotations from this play refer to the Arden edition  : Shakespeare, William  : The Tempest, ed. Frank Kermode, London 1992. 5 For other, less likely accounts of the name (including the Arabic word for vile-dog, calibia), see Vaughan, Alden T./Mason Vaughan, Virginia  : Shakespeare’s Caliban  : A Cultural History, Cambridge 1993, p. 32–34.



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insurmountable and inassimilable threat, not only to the Christian female body, but also to the Christian body politic and its colonial aspirations. When it comes to females of a foreign race or creed, however, the early modern take on the dangers and/or promises of miscegenation is considerably different. In an insightful essay on the representation of racial and religious difference in early modern English drama, Ania Loomba has pointed out the crucial significance of gender in this respect. More often than not, she observes, “a fair maid of an alien faith and ethnicity [is] romanced by a European, married to him, and converted to Christianity. Her story, unlike those of converted men, does not usually end in tragedy, nor does it focus on the tensions of cultural crossings.”6 The best known example in English drama of this ideologeme (to use Fredric Jameson’s useful term) of female romantic conversion, is surely the story of Jessica’s intermarriage and conversion in The Merchant of Venice (1596-97), a rewriting in some respects of Abigail’s less fortunate trajectory in Marlowe’s The Jew of Malta (1590).7 The most famous example of an opposite situation – the impossible cultural integration of a converted male – would probably be, as we have just noted, the tragic fate of Othello (1605). Loomba discusses Jessica’s case alongside other examples of successful female conversion, and unsuccessful male conversion, in later English plays about the Orient. But perhaps the most striking analogy with Jessica’s case is to be found not in English drama, but in Spanish literature  : the story of the conversion from Islam of Zoraida, the beautiful young daughter of a rich Algerian Moor named Agi Morato in Cervantes’ The Captive’s Tale.8 6

Loomba, Ania  : “Delicious Traffick”  : Racial and Religious Difference on Early Modern Stages, in  : Alexander, Catherine M. S./Wells, Stanley (eds.)  : Shakespeare and Race, Cambridge 2000, p. 212. 7 I have in mind Fredric Jameson’s definition of an ideologeme as “a historically determinate conceptual or semic complex which can project itself variously in the form of a ‘value system,’ or in the form of a protonarrative, a private or collective narrative fantasy”, see Jameson, Fredric  : The Political Unconscious. Narrative as a Socially Symbolic Act, Ithaca 1981, p. 115. For other important studies of female versus male identity and conversion in The Merchant of Venice, see Metzger, Mary Janell  : “Now By My Hood, a Gentle and No Jew”  : Jessica, The Merchant of Venice, and the Discourse of Early Modern English Identity, in  : PMLA 113/1 (1998), p. 52–63  ; Adelman, Janet  : Her Father’s Blood  : Race, Conversion, and Nation in The Merchant of Venice, in  : Representations 81 (2003), p. 4–30  ; Kaplan, M. Lindsay  : Jessica’s Mother  : Medieval Constructions of Jewish Race and Gender in The Merchant of Venice, in  : Shakespeare Quarterly 58/1 (2007), p. 1–30. 8 There is an extensive body of scholarship on Jessica’s conversion in Merchant as well as on Zoraida’s conversion in The Captive’s Tale. But surprisingly little critical energy has been dedicated to a comparative discussion of these two works. For a theorization of early modern European constructions of the enemy as at once, interdependently, Jewish and Muslim  – a study

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Cervantes had probably composed this tale around 1589-90 and later inserted it as an inset piece within the first part of Don Quixote de la Mancha (1605).9 The narrator, a Christian captain lately returned from Algiers in the company of a veiled lady in Moorish dress tells Don Quixote and a group of other listeners about his recent deliverance from captivity by the hand of Zoraida. The captain relates how one day, while he and other captives were confined to the prison courtyard bordering Agi Morato’s house, Zoraida smuggled him some money, a hand-made cross, and a note in Arabic  :10 When I was a little girl my father had a slave woman who taught me in my own language a Christian zalá, or prayer, and told me many things about Lela Marién. The Christian slave died, and I know she did not go to the fire but to Allah, because afterward I saw her two times, and she told me to go to a Christian land to see Lela Marién, who loved me very much. […] [See] if you can plan how we can go, and when we are there you can be my husband if you like, and if you do not, it will not matter, because Lela Marién will give me someone to marry. (p. 347)

that compares Shylock and Othello from this perspective but symptomatically does not allude, even in passing, to Jessica and Zoraida – see Anidjar, Gil  : The Jew, the Arab. A History of the Enemy, Stanford 2003, p. 101–112. Anidjar suggestively points out that there “is to this day no comparative study, no extended association by way of literary analysis, of the two plays once best known as The Merchant of Venice and The Moor of Venice, an absence that has failed to be noticed even by the very few who do engage the comparison”, see ibid., p. 102. Interestingly, one of the few to engage the comparison is Barbara Everett who is concerned, tellingly enough, with the Spanish context of the latter play, see Everett, Barbara  : “Spanish” Othello. The Making of Shakespeare’s Moor, in  : Alexander/Wells (eds.)  : Shakespeare and Race, p. 64–81, esp. p. 65. For discussions of the problematics and poetics of conversion in medieval and early modern En­ gland and/or Spain, see, for example Lampert, Lisa  : Gender and Jewish Difference from Paul to Shakespeare, Philadelphia 2004  ; Friedman, Jerome  : Jewish Conversion, the Spanish Pure Blood Laws and Reformation. A Revisionist View of Racial and Religious Antisemitism, in  : Sixteenth Century Journal 18/1 (1987), p. 3–30  ; Ragussis, Michael  : Figures of Conversion. “The Jewish Question” and English National Identity, Durham 1995  ; Mirrer, Louise  : Women, Jews, and Muslims in the Texts of Reconquest Castile, Ann Arbor 1996, and most recently Shoulson, Jeffrey S.: Fictions of Conversion. Jewish, Christians, and Cultures of Change in Early Modern England, Philadelphia 2013.  9 For the dates and the circumstances of the composition of this text, see Allen, John Jay  : Autobiografía y ficción  : El relato del Capitán Cautivo (Don Quijote I, 39–41), in  : Anales Cervantinos 15 (1976), p. 149–155. For the tale as a prolegomenon to the novel, an Ur-Quixote of sorts, see Murillo, Luis Andres  : El Ur-Quijote. Nueva hipótesis, in  : Cervantes 1 (1981), p. 43–50. 10 Throughout this discussion, I will be using Edith Grossman’s translation of Don Quixote, see De Cervantes, Miguel  : Don Quixote, ed. Edith Grossman, New York 2003. All quotations in the text refer to this edition.



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The captain promises to take Zoraida with him to the land of Christians, whereupon she begins to steal great quantities of money from her father in order to pay ransom fees for the captives and buy a vessel to carry them to Spain. Since Zoraida does not speak Spanish, and the captive does not speak Arabic, they use the services of a Spanish renegade who throughout the tale serves as their interpreter. On the night of their escape, the renegade demands that they take Zoraida’s father with them as well as everything that is of value in the house. Zoraida insists that her father should in no way be touched, and goes back into the house to bring out a casket (cofrecillo) so full of gold coins that she can barely carry it. Unfortunately, the father wakes up and the runaways are forced to carry him with them. They finally abandon him on shore just before taking sail to Spain with both his doubloons and his daughter. Especially interesting in this captivity narrative is the relative absence of contemporary constructions of alterity as hereditary and racial.11 Such constructions had their origin in late fifteenth-century Spain where “purity of blood” was used to distinguish between Old and New Christians, that is to say, between thoroughbred Catholics and Catholics of Jewish or Muslim origin. As Barbara Fuchs has amply shown, the conquest and settlement of the Americas had further complicated, and ultimately enhanced, the Spanish preoccupation with racial and religious “purity”.12 By the end of the sixteenth century, this characteristically Spanish preoccupation with the “purity of blood” became fairly widespread all over Europe, not the least in England.13 Shakespeare is clearly aware of both the idea and its Spanish roots in Merchant. He portrays Portia’s Spanish suitor, the Prince of Aragon, as particularly fussy about his honorable descent – a fussiness about “honor” that was regarded as prototypically Spanish and, in sixteenth-century Spain, was as much about race as about class. Later on in Merchant, Lancelot tauntingly denies Jessica the possibility of salvation, nominally on account of her Jewish ancestry, but also with a suggestive side-view to the economic crisis of the 1590s, with the recurrence, in England, of bad harvests, 11 For an extended recent study of Cervantes’s captivity in Algiers and its influence on his work in general and on The Captive’s Tale in particular, see Garcés, María Antonia  : Cervantes in Algiers. A Captive’s Tale, Nashville 2002. 12 See Fuchs, Barbara  : Mimesis and Empire. The New World, Islam, and European Identities, Cambridge 2001, Chapter 3 and passim. 13 For a discussion of the influence of Spanish constructions of racial difference in early modern Britain, see McGinnis, Paul J./Williamson, Arthur H.: Britain, Race, and the Iberian World Empire, in  : Macinnes, Allan I./Ohlmeyer, Jane H. (eds.)  : The Stuart Kingdoms in the Seventeenth Century. Awkward Neighbours, Dublin 2002, p. 70–93. For a more specific discussion of these issues in the particular context of Cervantes, see Fuchs, Barbara  : Passing for Spain. Cervantes and the Fictions of Identity, Urbana 2003.

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dearth, exorbitant food prices, and famine  : “This making of Christians,” he complains, “will raise the price of hogs  ; if we grow all to be pork eaters, we shall not shortly have a rasher on the coals for money” (3.5.17–20).14 As Kim F. Hall has perceptively observed, concerns about the economic and social crisis in London of the 1590s and the increasing number of black moors in the city inform much of the anxiety about miscegenation in the play  ; they add to the central religious tension between Jews and gentiles also a more explicitly racial tension between whites and blacks, and in so doing bring to the fore a racial rather than religious construction of Otherness. In response to Lancelot’s humorous complaints to Jessica, Lorenzo insists that he “shall answer better to the commonwealth” his marriage to Jessica than Lancelot could answer “the getting up of the Negro’s belly  : the Moor is with child by you, Lancelot” (3.5.31).15 In the case of Jessica, however, it is arguably her own physical assimilability, unlike the physical distinctiveness and indelible visibility of Lancelot’s nameless black Moor, which legitimizes and makes possible her conversion and assimilation, more so perhaps than her internalization of Christian principles and values. Thus, Lorenzo emphasizes the “fairness” of Jessica’s hand as well as handwriting, as soon as he receives her note specifying the time and circumstances of their prospective development  : I know the hand  ; in faith, ’tis a fair hand, And whither than the paper it writ on Is the fair hand that writ. (2.4.12–14)

Here, sexual and racial factors virtually overwrite strictly religious parameters in effecting successful integration into Christian society  : both the whiteness and the femaleness of the converted subject are vital for reproducing her as Christian in the eyes of gentile society, in stark contrast with the inassimilable physical Otherness of circumcised Jews and Muslims or the visual distinctiveness of Negroes and Amerindians in general. 14 For a reading of this incident, and the play as a whole, in the context of the economic crisis, social unrest, and anti-alien sentiments in London of the 1590s, see Landau, Aaron  : “Rouse Up a Brave Mind”. The Merchant of Venice and Social Uprising in the 1590’s, in  : Renaissance Papers (2003), p. 119–147. All quotes from the play refer to the following edition  : Shakespeare, William  : The Merchant of Venice, ed. Molly M. Mahood, Cambridge 1987. 15 According to Kim F. Hall, “famine, one of the more specific rationales for English colonial plantation and expansion, becomes here associated with the black woman”. See Hall, Kim F.: Guess Who’s Coming to Dinner  ? Colonization and Miscegenation in The Merchant of Venice, in  : Renaissance Drama 23 (1992), p. 87–111, here p. 92.



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Something of that sort is admittedly also at play in Cervantes’s tale, where the captain looks up the window and sees Zoraida’s “extremely white hand emerge” (345). The whiteness of the hand suggests to him that it may belong to “a renegade Christian”, for they are often taken as legitimate wives by their masters, who consider this good fortune since the men esteem them more than the women of their own nation (345). Cervantes reiterates here a common European belief, or fantasy, that Turks and Moors are especially attracted to European women, allegedly on account of their fairer skin. The fictive character of Agi Morato, Zoraida’s father, was inspired by the historical figure of Hajji Murad, a Christian renegade of very high social and political standing in Algiers whose daughter in real-life ended up marrying the Sultan of Fez and Morocco.16 Cervantes, however, portrays Morato as a veritable Moor, making sure to leave that bit of historical information out of the text. In the beginning of the tale, when the ladies in the audience, puzzled by Zoraida’s Moorish dress and her complete silence, ask the captain whether she is a Christian or a Moor, the captive responds  : “She is a Moor in her dress and body, but in her soul she is a [great] Christian because she has a very [great] desire to be one” (327). Race, it would appear, is hardly of the essence here, even less, I would argue, than in Merchant. Interestingly, while the maternal provenance of Zoraida is completely effaced in Cervantes’s tale, the historical daughter of Hajji Murad, who served as a source of inspiration for the character of Zoraida, was in fact a granddaughter of Christians on both her father’s and mother’s side. Thus, Cervantes can be said to deliberately turn a blind eye to the legitimate racial makeup of the historical daughter of Hajji Murad when insisting that her literary counterpart is  – in body as well as dress – a Moor.17 When Lancelot (having the price of pork in mind) denies Jessica the possibility of salvation on account of her inherited “formal” Jewishness, Jessica does not justify herself by asserting her true inner faith or intrinsic moral and spiritual qualities, but resorts instead to the “formality” of her being married to a Christian  : “I shall be saved by my husband  ; he hath made me a Christian” (3.5.15). Jessica’s statement is of course a reference to Paul’s first epistle to the Corin­ thians (I Cor. 7–14). But whereas Paul insists on the total equality between wives and husbands in this respect, and even mentions wives first, Jessica’s ex16 Hajji Murad was a native of Ragusa (present-day Dubrovnik) and one of the wealthiest and most powerful persons in Algiers at the time of Cervantes’s captivity there. For historical discussions of Hajji Murad and his daughter, see Asín, Jaime O.: La hija de Agi Morato, in  : Boletín de la Real Academia Española 27 (1947–1948), p. 245–339 and more recently, Canavaggio, Jean  : Agi Morato entre historia y ficción, in  : Cervantes. Entre vida y creacíon, Alcalá 2000, p. 39–44. 17 For a more detailed discussion of the genealogy and biography of Hajji Murad’s daughter, see Garcés  : Cervantes in Algiers, p. 208 f.

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clusive attention to the redeeming qualities of the Christian male body serves to put this entire exchange within an early modern context where conversion is to a large extent both a racial and a gendered undertaking having to do with the “body” no less than with the spirit.18 In Don Quixote, by contrast, what matters most is the inner faith and intrinsic moral qualities of the believer. Zoraida does not even need a Christian husband in order to be a Christian. Her romantic feelings towards the captive, though undeniably there, are curiously ancillary  : the captive is needed, first and foremost, in order to take Zoraida to the land of Christians, the rest is a bonus. There is in general something distinctly matriarchal about Zoraida’s Christian faith  : males are somehow neither the prime cause, nor the necessary condition, nor the ultimate purpose of conversion  ; they are just a logistic necessity, so to speak. Zoraida’s faith is portrayed primarily as a womanly devotion to the most consecrated of females, Mother Mary, which is transferred from one female to another, from the female slave to Zoraida  ; Christ, it is important to note, is not mentioned even once.19 But Zoraida’s piety also goes beyond and even against Catholicism in various significant ways  : it is uniquely hybrid, constantly mixing Arab and Christian terms in what is clearly a very basic and uninformed version of the faith. It is also markedly non-sacramental  : when asked whether Zoraida has been baptized, the captive responds that there has been no opportunity for that yet, nor a real necessity to do so, since she had not found herself in immi­ 18 There is evidently no female body in the whole of Venice capable of “sanctifying” Shylock’s circumcised body, even if only in order to crown the comedy with yet another marriage and in so doing proclaim Shylock’s conversion as truly valid. By the same token, when another converted male, Othello, takes a Christian wife, the effect is not so much sanctification as a tragic relapse into alterity. The chapter in Corinthians is highly relevant to Merchant, since it consists of a wholesale dismissal of “externals” such as celibacy and circumcision as indifferent to salvation. The issue of circumcision, on the other hand, has been regarded as crucial in Merchant by a host of new historicist and feminist critics, including, among many others, Shapiro, James  : Shakespeare and the Jews, New York 1996, p. 119–130, and Metzger  : Now By My Hood. It is interesting to notice how the Pauline take on miscegenation – originally intended, in Scripture, to facilitate universal conversion – is re-deployed, in Merchant, so as to both counter and bring into sharp relief early modern racial arguments against conversion imported to a large extent from Catholic Spain. 19 Garcés has convincingly read Zoraida as a Mary-like figure  : “Constant allusions to Lela Maríen or the Virgin Mary traverse the Captive’s tale [. . .], especially regarding the beauty and Christian qualities of Zoraida. Indeed, even before the Captive’s tale begins, Zoraida’s identification with the Virgin Mary is suggested by the image of the couple’s arrival at the inn, the Moorish woman mounted on a donkey and the Captive at her side, playing the role of St. Joseph, an identification reiterated by Zoraida herself when she pronounces her new name  : María”, Garcés  : Cervantes in Algiers, p. 215.



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nent danger of death “that would oblige her to be baptized without first knowing all the ceremonies required by our Holy Mother Church” (327). There have been in fact both a necessity and an opportunity to baptize Zoraida, but the sacrament of Zoraida’s baptism is suggestively pushed beyond the scope of the narrative. While in Merchant Shylock’s conversion is never actually shown on stage in a dramatic gesture that is possibly meant to undercut its very legitimacy, a similar thing also happens in Don Quixote, but here the reason seems to be that official conversion is, au fond, immaterial and unnecessary  : Zoraida does not have to be formally baptized in order to be “a great Christian”  ; she is one already, in her own singular way, thanks to her great internal desire to be one. In the specific context of early modern Spain, this stance is strongly reminiscent not only of traditional Christian exegetics, but interestingly also of a predominant tendency among cristianos nuevos to emphasize the importance for salvation of true inner faith as opposed to outward ceremony and ritual.20 What is more, side-by-side with the text’s overt celebration of Zoraida’s intensely personal faith, there is also a covert tendency to suspect actual Christians because what really matters is not the nominal and external status of the believer, but the internal and essential quality of the faith. No less suggestive is the overall tendency of the narrative to see through cultural clichés and stereotypes of the Other, even as it brings these clichés and stereotypes into play. If looking beneath the external in order to grasp the internal spiritual meaning becomes, as Lisa Lampert puts it, “both a hermeneu­ tics and an anthropology”,21 it is precisely this hermeneutic and anthropological thrust, coupled with Cervantes’s close, first-hand knowledge of Muslims and Jews in both Algiers and Spain which allows him to see, and show, the human interior of his characters underneath the external surface of alterity. In her first note to the captain Zoraida writes that if her father knew about her plans to escape, he would stone her. This is indeed the official punishment for apostasy in classic Islamic jurisprudence. But in the tale Zoraida’s father is portrayed as exceedingly generous and loving to his daughter, with no trace of an unfeeling or cruel disposition towards her. Upon discovering that she had conspired against him he does initially curse her in the strongest of terms and prays for the destruction and perdition of everyone on board. But upon watching his daughter 20 On Spain’s cristianos nuevos as percursors of Reformation and in particular Erasmian modes of thinking, see Sicroff, Albert A  : El “Lumen ad revelationem gentium”, de Alonso de Oropesa, como percursor del erasmismo en España. Actas de IV Congreso de la Asociación Intenacional de Hispanistas 1971, Salamanca 1982, p. 655–664. For an overall discussion of the religious and cultural configuration of cristianos nuevos and Jews in the work of Cervantes, see Landa, Luis  : Cervantes and the Jews, Beer-Sheva 2002, esp. p. 33–51. 21 Lampert  : Gender and Jewish Difference, p. 41.

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sailing away, he promptly changes his curses to sorrowful lamentations, plucking his beard, tearing his hair, and lying writhing on the ground. Unlike Shylock, who can only mourn for the combined loss of his daughter and his ducats and even wish that his daughter “were dead at [his] foot, and the jewels in her ear” (3.1.70), the old man – as he is sympathetically referred to in Cervantes’s tale – cries to the departing Zoraida  : “Come back, my beloved daughter, come ashore, I forgive everything  ! Give those men the money, it is already theirs, and come and console your grieving father, who will die on this desolate strand if you leave him” (363). In The Merchant of Venice, Jessica – or rather Lorenzo – finally remains with half of Shylock’s goods (provided Antonio does not squander it all first), and this in addition to the riches they have already stolen from Shylock. In Don Quixote, by contrast, Zoraida and the captain remain with not even a single escudo of the Moor’s money. The runaways’ vessel is attacked by French corsairs who plunder everything on board, rob Zoraida of her casket of gold, and strip her of all the precious stones she has carried about her. Thus, the captain and Zoraida reach Spain divested of anything acquired unlawfully from the Moor, in what perhaps constitutes at least some sort of wild poetic justice. I would like to conclude this essay by going back to Ania Loomba as well as to the American context of conversion and cultural assimilation, which served as starting points for my discussion. Loomba insists that when inscribed on the body of a “fair” but “alien” woman, the turn towards Christianity is expressed through a vocabulary of romance and marriage – the vocabulary, I would add, of comedy. 22 At some level, this is undeniably true, both in Merchant and in Don Quixote. In Don Quixote, we do not see the couple properly wedded, but later in the novel the captain serendipitously meets his brother, the licenciado (magistrate) Juan Pérez de Viedma, and subsequently regains the means that would allow him to baptize and marry Zoraida. The role of the Americas is crucial in this respect. It is thanks to the immigration of a third brother, who had moved to Peru and has made a fortune there, that the magistrate could pursue his studies back home and become a magistrate in the first place. What is more, the magistrate, too, happens to be on his way to a lucrative post in the New World, in Mexico, whereby, upon recognizing his elder brother and hearing of his and Zoraida’s trials and tribulations, he embraces the beautiful Moorish woman and leaves all his property to them. In contrast to the works of the mestizo Inca Garcilaso or the Amerindian Guaman Poma, where American identity is used, by the former, to differentiate between genuine Amerindian converts and dishonest, faithless Moriscos or, by 22 Loomba  : Delicious Traffic, p. 212.



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the latter, to attack the notion of miscegenation altogether,23 in Cervantes’ work the New World seems to function as a vital facilitator of any future union between Christian men and Morisco women. In Merchant too, Shakespeare seems to portray Jessica, at some level at least, as a successfully integrated member of genteel society, sanctified in her husband, versed in classical knowledge, and fairly at home in Belmont. And yet, despite the undeniably comedic conclusions of both The Captive’s Tale and The Merchant of Venice, the representation of female conversion in both works can hardly be said to completely smooth away the tremendous strains and conflicts of cultural crossings. On the contrary, even with such successful conversions as those of Jessica and Zoraida, there is so much tension and anxiety at play that what seems to be at stake is not just the capacity of the Other to be integrated into Christian society but also, more radically, the composition and integrity of Christian identity itself. In Cervantes, the desperate cries of the betrayed, abused, and finally abandoned father reverberate more strongly and stridently than any future church bells. In Shakespeare, Jessica’s trading of her parents’ ring for a monkey re-inscribes upon her fair body the signs, not of romance and marriage, but of foul lust  : the monkey, apart from being a rare and expensive pet, a sort of status symbol that signals Jessica’s admission into fashionable society, was commonly associated in early modern England with strong sexual appetite  :24 Incidentally, in The Merry Wives of Windsor (1597–1601), the selfsame Falstaff, who in Shakespeare’s earlier history play had associated the exotic monkey with lust, now refers to the Americas in the context of both lust and greed when he describes Mistress Page as “a region in Guiana, all gold and bounty” (1.3.65) and proclaims that he will simultaneously woo both Mistress Ford and Mistress Page (1.3.65–68).25

23 Fuchs  : Mimesis and Empire, p. 99. 24 For the association of monkeys and strong sexual appetite, see Webb, J. Barry  : Shakespeare’s Animal  : A Guide to the Literal and Figurative Usage, Sussex 1996, p. 118. For the monkey as pet and status symbol in early modern England and in Merchant, see Boehrer, Bruce  : Shylock and the Rise of the Household Pet  : Thinking Social Exclusion in The Merchant of Venice, in  : Shakespeare Quarterly 50/2 (1999), p. 152–170. 25 The quotations above refer to the Arden edition of the play  : Shakespeare, William  : The Merry Wives of Windsor, ed. H. J. Oliver, London 1971. In making Falstaff refer to Guiana, Shakespeare had probably in mind Sir Walter Raleigh’s recent (1595) voyage to that region in search of Eldorado, a voyage which a year later gave birth to one of the earliest and most famous first-hand English accounts of South America  : Raleigh’s The Discoverie of the large, rich, and beautiful Empire of Guiana, with a relation of the great and golden city of Manoa (which the Spaniards call El Dorado) (1596).

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As Mary Janell Metzger has perceptively observed, there is a suggestively darker and ominous side to Jessica’s conversion. In the fifth act, she argues, Jessica and Lorenzo try to make sense of their relationship by looking back to mythological love affairs that all end tragically  : Troilus and Cressida  ; Pyramus and Thisbe  ; Aeneas and Dido  ; Jason and Medea.26 Disturbingly, Lorenzo’s own construction of their relationship foregrounds the more sordid, pecuniary aspects of the affair  : “In such a night / Did Jessica steal from a wealthy Jew, / And with an unthrift love did run from Venice, / As far as Belmont” (5.1.14–17). Jessica on her part, takes up the imagery of stealing and uses it to question Lorenzo’s faith as both lover and Christian, not just teasingly but with a tinge of bitter disillusionment as well  : “In such a night / Did young Lorenzo swear he loved her well, / Stealing her soul with many vows of faith, / And ne’er a true one” (5.1.17–20). Rather than stories of smooth female conversion – stories which, according to Loomba, do not usually end in tragedy, nor focus on the tensions of religious turning – what we have then, in both Shakespeare and Cervantes, are stories of restless tossing and turning. In the case of Cervantes, one cannot help thinking, in retrospect, that by the time the second part of Don Quixote was out, in 1615, conversions such as Zoraida’s would have suffered a far from happy fate. For if The Captive’s Tale is an attempt to recover for Catholic Spain a multiculturalism that was already in full process of being suppressed and repressed in the Iberian Peninsula, this attempt would soon be countered  : Only four years after the publication of the first part of Don Quixote, the en masse expulsion of the Moriscos, women and men alike, from Spain began.

26 Metzger  : Now By My Hood, p. 59 f.

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Zwischen literarischem Jux und politischem Ernst  : Thomas Manns Novelle »Das Gesetz« (1944) In mehrfacher Hinsicht nimmt die von ihm auch als »Moses-Phantasie« bezeichnete Novelle Das Gesetz im erzählerischen Werk Thomas Manns eine Sonderstellung ein. Das beginnt bei der Entstehung und endet bei der Rezeption.1 Vielleicht mit Ausnahme von Wälsungenblut ist bis heute keine Novelle so umstritten wie diejenige über das Sinai-Geschehen. Schon 1944 nannte Shalom Ben Chorin das von Thomas Mann gezeichnete Mose-Porträt »völlig unwürdig«, in einer Schweizer Rezension hatte H. Goldschmidt in der Erzählung einen »Hassausbruch gegen das Judentum«2 diagnostiziert, und noch im Jahre 1993 bilanziert Jacques Darmaun seine wissenschaftliche Untersuchung  : »Kurz, die biblische Geschichte wird entweiht.«3 Unmittelbar im Anschluss an die Fertigstellung der Joseph-Tetralogie hatte Thomas Mann die Arbeit an der Novelle begonnen und – durchaus ungewöhnlich für seinen Arbeitsstil  –innerhalb von nur zwei Monaten zwischen Januar und März 1943 abgeschlossen. Anders als im Falle aller seiner großen Romane, anders auch als im Falle sämtlicher anderer Erzählungen ist Das Gesetz buchstäblich eine Auftragsarbeit. Noch während er an den Schlusskapiteln von Joseph, der Ernährer schrieb, erhielt Thomas Mann von dem österreichischen Emigranten und Literaturagenten Arnim L. Robinson die Bitte um Mitwirkung an einem Film. Auf der Grundlage der »Zehn Gebote« sollte in zehn Episoden die Pervertierung des Dekalogs durch Hitler und den Nationalsozialismus filmisch illustriert werden. Zehn international renommierte Autoren und Autorinnen sollten mitwirken, darunter Rebecca West und Franz Werfel, Bruno Frank und 1

Zu den Einzelheiten vgl. Vaget, Hans-Rudolf  : Thomas Mann. Kommentar zu sämtlichen Erzählungen, München 1984, S.  271–288.; ders.: Das Gesetz, in  : Koopmann, Helmut (Hg.)  : Thomas -Mann-Handbuch, Stuttgart 1990 S.  605–610  ; Catani, Stephanie  : Das Gesetz, in  : Blödorn, Andreas/Marx, Friedhelm  : Thomas Mann Handbuch. Leben-Werk-Wirkung, Stuttgart 2015, S. 142–145. In einem Brief an Alexander Moritz Frey hat Thomas Mann dankend betont, dass jener in einer Rezension der Erzählung den »Ernst im Jux« doch immerhin bemerkt habe. Vgl. Vaget  : Thomas Mann, S. 277. 2 Zit. nach ebd. 3 Darmaun, Jacques  : »Das Gesetz« – Hebräische Saga und deutsche Wirklichkeit, in  : Hansen, Volkmar (Hg.)  : Thomas Mann. Romane und Erzählungen, Stuttgart 1993, S.  270–292, hier S. 279.

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Jules Romain, Sigrid Undset und André Maurois. Alle Autoren und auch Thomas Mann hatten zugesagt, allerdings sagte MGM, die den Film produzieren sollte, rundheraus ab. Robinson fand daraufhin schnell eine andere Lösung und brachte rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft des Jahres 1943 im Verlagshaus Simon und Schuster in New York ein Buch mit dem Titel The Ten Commandments heraus. Der Band wurde durch ein Vorwort aus der Feder Hermann Rauschnings eingeleitet. Thomas Manns Erzählung, die nicht nur einem einzelnen Gesetz, sondern dem Auszug, der Wüstenwanderung und der Entstehung des Dekalogs gewidmet ist, folgte an zweiter Stelle. In seinem Vorwort berichtet Rauschning von Gesprächen mit Hitler, Göring und Goebbels, in deren Verlauf Hitler unmissverständlich erklärt habe, er kämpfe nicht nur gegen das Judentum, sondern ebenso gegen christliche und freimaurerische Ideen, ja grundsätzlich gegen das Diktat des »Du sollst« bzw. »Du sollst nicht«  : Das muss endlich aus unserem Blut verschwinden, dieser Fluch vom Berg Sinai. Dieses Gift, durch das die Juden wie die Christen verdorben und verschmutzt wurden, die freien und wundervollen Instinkte des Menschen auf das Niveau einer hündischen Existenz niedergedrückt wurden.4

Die Seriosität Hermann Rauschnings ist durch die Forschung inzwischen hinreichend erschüttert, insbesondere seine 1939 erschienenen Gespräche mit Hitler wurden als geschichtsmächtige Fälschung entlarvt. Im Vorwort zu Robinsons Buch hat Rauschning sie offenbar direkt genutzt. Für Kontext und Verständnis von Thomas Manns Erzählung ist indes das 1938 erschienene Buch Die Revolution des Nihilismus ungleich wichtiger, denn hier entwickelt Rauschning eine Form konservativer Faschismustheorie, die in der radikalen Entchristlichung das Wesensmerkmal des Faschismus erkennt. Dieser Gedanke taucht auch im Vorwort zu dem Buch Robinsons auf, der seinerseits ergänzte  : »Ich hoffe, daß dieses Buch mithelfen wird, jenen die Augen zu öffnen, die immer noch nicht recht begriffen haben, was die Nazi-Barbarei wirklich ist«.5 Tatsächlich waren Rauschning und Robinson und war auch Thomas Mann fest davon überzeugt, dass die »Nazi-Barbarei« auf die bewusste Abschaffung der »Zehn Gebote« zielte, die sie als Vergewaltigung der menschlichen Instinkte, als systematische Erziehung zur Sklavenmoral, kurzum als Verstümmelung der Menschheit im Namen von Moral, Humanität und Sittengesetz denunzierten. Von dieser brutal-diffamierenden Umdeutung und von der durch das national4 5

Robinson, Armin L. (Hg.)  : Die zehn Gebote. Hitlers Krieg gegen die Moral, Frankfurt a. M. 1988, S. 12 (Verboten und verbrannt, hg. von Ulrich Walberer). Ebd. S. 7.



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sozialistische Regime bereits praktisch exekutierten Abschaffung des Dekalogs sollten ursprünglich der Film und an seiner statt nun das Buch über die »Zehn Gebote« handeln. Allerdings war dem Vorhaben der von Robinson gewünschte Erfolg nicht beschieden  ; der erste Film über Mose und das Geschehen am Sinai kam 1956 in die Kinos, und die erste deutsche Ausgabe des Buches von Robinson erschien in Westdeutschland erst im Jahre 1988 in der von Ulrich Walberer begründeten, freilich alsbald wieder eingestellten Taschenbuchreihe des Fischer-Verlags Verboten und Verbrannt. Damit zum Text der Erzählung selbst, die im Werkkontext Thomas Manns nach Entstehung und Rezeption einen Sonderstatus hat. Dieser Eindruck verstärkt sich beim Blick auf seinen Wortlaut, auf seine Motivik und seine kompositorische Anlage. Schon mit dem ersten Satz schlägt Thomas Mann bzw. sein Erzähler einen Ton an, der im Fortgang der Erzählung beibehalten und ausdifferenziert wird und mit dem eine spezifische, zwischen »Ernst« und »Jux«, zwischen Sittlichkeit und Ironie oder gar zwischen Blasphemie und Humor oszillierende Deutung des biblischen Geschehens um Person und Funktion von Mose verbunden ist  : »Seine Geburt war unordentlich, darum liebte er leidenschaftlich Ordnung, das Unverbrüchliche, Gebot und Verbot.«6 Dieser programmatische Einleitungssatz wird in seinem sachlichen Gehalt alsbald aufgeklärt, freilich bei höchst bezeichnender Abwandlung der biblischen Vorlage. Denn Thomas Mann lässt seinen Mose einen »ebräischen Knecht« zum Vater haben, dem Pharaos zweite Tochter »in Begierde« verfallen war. Die ebenso kurze wie heftige Leidenschaft endet nicht minder heftig  : »Als sie’s gehabt, ließ sie ihn gehen, aber er ging nicht weit, nach dreißig Schritten ward er erschlagen und rasch begraben, so war nichts übrig von dem Vergnügen der Sonnentochter«7. Der neun Monate später geborene Knabe wird von den Frauen der ägyptischen Prinzessin in einem Kästchen im Schilf ausgesetzt, natürlich sofort gefunden und einem Ehepaar aus Gosen, Jochebed und Amram, zur Aufzucht übergeben. Dem wirkungsmächtigen Konnex aus Lust und List, Begierde und Gewalt auf Seiten der ägyptischen Königstochter verdankt sich also Moses »unordentliche Geburt«. In Anknüpfung und als literarische Konkretisierung der Grundthese aus Sigmund Freuds 1939 erschienener Studie Der Mann Moses und die monotheistische Religion erhält Thomas Manns Mose damit eine doppelte Identität  : Er ist ägyptischer und hebräischer Abkunft, und aus dieser doppelten Zugehörigkeit werden wichtige Elemente des folgenden Geschehens plausibilisiert. Persönlichkeit und Charakter, Intentionen und Funktionen eines Religi6 7

Mann, Thomas  : Das Gesetz. Dichtung und Wirklichkeit. Mit einem Essay von Käte Hamburger, Frankfurt a. M. 1964, S. 5. Ebd. S. 7.

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onsstifters und Staatsgründers erscheinen bei Thomas Mann gleichermaßen individualisiert wie rationalisiert  ; die biblische Überlieferung wird zum Material einer poetischen Erfindung, die sich zwar meist in deren Grenzen bewegt, aber vor allem auf den Nachweis zielt, dass in der Person des Mose und insbesondere in der mit seiner Person verbundenen Entstehung des Dekalogs menschheitsgeschichtliche Maßstäbe gesetzt wurden, deren unwiderrufliche Zerstörung in der Gegenwart droht. Ob Thomas Mann im Bemühen um diese Einsicht und damit in der Ausgestaltung der Erzählungen des Pentateuch gelegentlich zu weit, wohl gar den Weg in eine problematische Richtung gegangen ist, das darf in der Tat gefragt werden. Vergleichsweise harmlos und komisch mutet an, wenn der Erzähler die Erziehung seines Helden aus sentimentalen Anwandlungen der leiblichen Mutter, also der ägyptischen Königstochter, begründet. Diese, »ein zwar lüsternes, aber nicht gemütloses Ding, hatte sein gedacht um seines verscharrten Vaters willen […] und wollte nicht, dass er bei den Wilden bleibe, sondern zum Ägypter gebildet werde und ein Hofamt erlange […].«8 Unter den »Stutzern« eines »thebanischen Schulhauses«, mit den »Gecken eines vornehmen Internats« wächst er auf und dabei vor allem mit dem Erlebnis von Einsamkeit und Ausgrenzung  ; schließlich der wachsenden »Abneigung gegen die ganze ägyptische Feinheit, aus deren Lust er entsprungen war.«9 Er flieht und wandert zu seinen Zieheltern nach Gosen zurück, dabei kommt es zu jenem folgenreichen Geschehen, das ihn einen ägyptischen Aufseher erschlagen und sodann bei den Midianitern Zuflucht suchen lässt. Wie schon zu Beginn legt der Erzähler auch im Fortgang des Geschehens großen Wert auf die Beschreibung innerer Prozesse und Empfindungen seines Helden  ; er spart dabei nicht mit übergreifenden, teils archaisierenden, teils aktualisierenden Deutungen. Die Dornbusch-Szene freilich, die sich für ausschmückend-psychologisierende Schilderungen angeboten hätte, fehlt bei Thomas Mann. Hingegen nehmen Erkenntnis- und Entscheidungsprozesse, die aus der Gestalt Moses direkt motiviert werden, großen Raum ein. Dies betrifft nun vor allem Moses Gottesbindung und damit das Gottesverständnis der Erzählung. Schon durch die einleitenden Sätze der Erzählung wird jenes markiert. Auf den zitierten Passus über Moses »unordentliche Geburt« und seine daraus entstandene Liebe zum »Unverbrüchlichen[n]« folgen Sätze, die im Modus von Sachverhaltsmitteilungen weitreichende, die gesamte Komposition und Motivik strukturierende Deutungen enthalten  : »Er tötete früh im Auflodern, darum wußte er besser als jeder Unerfahrene, daß Töten zwar köst-

8 Ebd., S. 10. 9 Ebd.



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lich, aber getötet zu haben höchst gräßlich ist, und daß du nicht töten sollst.«10 Im Vorgriff auf die erst später erfolgende Verkündung der »Zehn Gebote« erscheint das absolute Tötungsverbot in der Seele des Helden bereits angelegt, so dass der Dekalog zum Produkt einer innermenschlichen, einer innerpsychischen Disposition wird und die »grässlich[en]« Folgen einer »köstlich[en]« Triebbefriedigung das universale Verbot konstituieren. Der durchweg antithetische Entwurf der Mose-Figur reicht noch erheblich weiter. »Er war sinnenheiß, darum verlangte es ihn nach dem Geistigen, Reinen und Heiligen, dem Unsichtbaren, denn dieses schien ihm geistig, heilig, rein«11. Diese rhetorische und semantische Trias charakterisiert nicht lediglich das Persönlichkeitsprofil des Thomas Mann’schen Helden, sie koinzidiert mit dem biblischen Bilderverbot  ; also mit einer Gottesvorstellung, die in ihrer Unsichtbarkeit das Wesensmerkmal göttlicher Allmacht erkennt. So konstruiert Thomas Mann einen Mann Mose, dessen Gottesbindung aus einer spezifischen Antithetik des eigenen Innern erwächst. Das »Geistige, Reine und Heilige« fasziniert den Mose Thomas Manns, weil er seinerseits heißblütig, sinnenfroh und zudem von »unordentlicher« Abstammung ist. In der Unsichtbarkeit Jahwes findet er die Entsprechung zu seiner »Begierde nach dem Reinen und Heiligen«. Die Transformation der biblischen Überlieferung treibt der Erzähler Thomas Mann sogar soweit, dass Mose sich »schweren und heftigen Überlegungen« über diesen unsichtbaren Gott überlässt, dass er »erschüttert von Eingebungen und Offenbarungen« zur Erkenntnis eines von diesem Gott an ihn ergangenen Auftrags gelangt  ; und zwar nachdem diese »Eingebungen und Offenbarungen« zuvor »sein Inneres« verlassen und ihm als »flammendes Außen-Gesicht« die Gewissheit verschafft hatten, dass dieser »Gott des Berges« kein anderer als der Gott Abrahams, Jizhacks und Jakobs sein könne. Damit ist Thomas Manns Mose auch explizit im eigenen Erleben und Denken zugleich ägyptischer und abrahamitischer Herkunft. Die Dornbusch-Szene wird in dieser Konstellation eine subjektive Selbstermächtigungsvision, eine Hervorbringung des eigenen Innern, das Produkt einer »Eingebung« mit weitreichenden Konsequenzen. Auf psychologische, naturalistische und zugleich machtpolitische Plausibilisierung der Exodus-Erzählung zielt Thomas Manns »Moses-Phantasie« durchgehend. Die Umstände seiner Geburt, die Erkenntnis seiner doppelten Herkunft und das Erlebnis einer besonderen Gottesbindung an den »Unsichtbaren« führen zu der variationsreich intonierten, freilich nicht selten hart an der Grenze zum Sprachkitsch operierenden Einsicht  : »Gott  – und Befreiung zur Heimkehr  ; der Unsichtbare – und die Abschüttelung des Jochs der Fremde, 10 Ebd., S. 5. 11 Ebd.

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das war ein und derselbe Gedanke für ihn.«12 Die Intensität dieses Gedankens kleidet sich in eine Metaphorik des Blutes und der Lust, an der man wahrlich Anstoß nehmen kann. Durchgehend fühlt Thomas Manns Mose zwar »die bebende Begier« und auch »große Seelenbeschwernis« angesichts des göttlichen Auftrags, zugleich aber die »Lust zu seines Vaters Blut, wie der Steinmetz Lust hat zu dem ungestalten Block, woraus er feine und hohe Gestalt, seiner Hände Werk, zu metzen gedenkt«13. Auch wenn er dem von ihm zu befreienden israelitischen Volke von seinem Auftrag zunächst nichts mitteilt, »denn sie waren ein so elendes, bedrücktes und in der Anbetung konfuses Fleisch«, so ist er sich doch sicher, »daß Jahwe, der Unsichtbare, Lust zu ihnen habe, und so deutete er dem Gotte zu und trug in ihn hinein, was möglicherweise auch des Gottes war, zugleich auch sein eigen  : Er selbst hatte Lust zu seines Vaters Blut […].«14 Der von Mose empfundene Befreiungsauftrag ist durchgehend ein Erziehungsund Bildungsauftrag  ; auch hier korrespondiert die eigene mit einer überindividuellen Antithetik  : nicht nur Mose selbst, auch das von ihm zu befreiende und zu erziehende Volk soll ein »abgesondertes Volk des Geistes, der Reinheit und der Heiligkeit« werden.15 Aufschlussreich für die Gesamtdeutung der Exodus-Geschichte und die Rolle, die Mose in ihr zukommt, ist nun freilich nicht nur der an Sigmund Freud orientierte doppelte Herkunftshintergrund und eine psychologisierende Sicht auf seine Gottesbindung  ; aufschlussreich ist vor allem, dass die von Mose und seinen Helfern, darunter vor allem Aaron und Joschua, organisierte Flucht aus Ägypten die biblische Erzählung mit Fiktionen plausibilisiert, die bereits für die »unordentliche Geburt« des Helden genutzt wurden. Das Kind einer zweifelhaft mörderischen »Lust« begeht nicht nur selbst aus einer »Gotteslust« heraus einen Mord  ; der rhetorisch ungeschickte, dafür aber eindrucks- und kraftvoll mit Fäusten und Armen gestikulierende junge Mann empfindet nicht nur »Lust« an der Bildung und Ausbildung »seines Vaterbluts«  ; Thomas Manns Held zögert auch nicht, dem Pharao, seinem »Lüsternheits-Großvater«, die Umstände seiner unordentlichen Geburt in Erinnerung zu bringen und damit anzudeuten, dass er »es in der Hand hätte, dies an die große Glocke zu hängen.«16 So »unordentlich« die Geburt, so praktisch ihre erpresserische Instrumentalisierbarkeit beim Pharao. Auf ähnliche Weise werden auch die über Ägypten hereinbrechenden Plagen, einschließlich der Ermordung der erstgeborenen Kinder durch den »Würgeengel« Joschua, realistisch-humo12 Ebd., S. 7. 13 Ebd. 14 Ebd. 15 Ebd., S. 6. 16 Ebd., S. 19.



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ristisch motiviert. Das steigert sich bis ins Burlesk-Grobianische, wenn dem in der Wüste verharrenden auserwählten und seiner Kultivierung, Bildung und Erziehung durch Mose dringend bedürftigen Volk noch vor der Verkündung des großen Gesetzeswerkes abverlangt wird, seinen praktisch-alltäglichen Lebensvollzug auf ein angemessenes Niveau zu bringen. Das – so der durchgängig gebrauchte, freilich aus Luthers Bibelübersetzung übernommene Terminus  – »Pöbelvolk« soll unter Moses Diktat Reinheits- und Speisegesetze, hygienische und moralische Vorschriften beherzigen, die es bisher nicht praktizierte und später beim berühmt-berüchtigten Tanz um das goldene Kalb dem Rausch des Vergessens überantworten wird. Das »Gehudel« – ein vom Erzähler mehrfach verwendeter Terminus, den Thomas Mann wohl in Schillers »Wallenstein« gefunden hatte  – wird einem elementar-zivilisatorischen Reinigungsprozess unterworfen, weil es nur so seiner Auserwähltheit entsprechen und der heiligen Reinheit seines Gottes sich würdig erweisen könne. Aus der Perspektive des Erzählers, der diejenige seines Helden damit erweitert, klingt das dann so  : Vorläufig waren sie nichts als Pöbelvolk, was sie schon dadurch bekundeten, daß sie ihre Leiber einfach ins Lager entleerten, wo es sich treffen wollte. Das war eine Schande und eine Pest. Du sollst außen vor dem Lager einen Ort haben, wohin du zur Not hinauswandelst, hast du mich verstanden  ? Und du sollst ein Schäuflein haben, womit du gräbst, ehe du dich setztest  ; und wenn du gesessen hast, sollst du’s zuscharren, denn der Herr, dein Gott, wandelt in deinem Lager, das darum ein heilig Lager sein soll, nämlich ein sauberes, damit Er sich nicht die Nase zuhalte und sich von dir wende. Denn die Heiligkeit fängt mit der Sauberkeit an, und ist diese Reinheit im Groben aller Reinheit gröblicher Anbeginn.17

Das Gesetzeswerk, das Mose auf dem Berg Horeb empfängt, wird in der Oase Kadesch bereits durchgesetzt, ehe seine Verkündung noch erfolgt ist. Durchgängig ist der Mose der Thomas Mann’schen Erzählung als Baumeister und Erzieher, im elementaren Sinne als eine Künstlerfigur entworfen, die – so bestätigt Thomas Mann selbst mehrfach – buchstäblich einem Selbstbildnis Michelangelos nachempfunden wurde. Die Erziehung zum Sittengesetz und zur exklusiven Bindung an den unsichtbaren Gott erfolgt in Thomas Manns Adaption des biblischen Geschehens vom Sinai als ein elementarer Zivilisationsprozess. Zugleich vollzieht sich in ihm das gigantische Schöpfungswerk eines begnadeten Künstlers. Der trägt die Idee zu seinem Werk freilich nicht einfach in sich selbst, sondern er imaginiert sich in Folge seiner doppelten Herkunftsbindung und in 17 Ebd., S. 35.

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Folge der erwähnten seelisch-charakterlichen Antithetik als Vollstrecker eines Auftrags, der ihm schwer zu schaffen macht, an dem er selbst zu verzweifeln scheint und über dessen tatsächliche Erfüllbarkeit er immer erneut mit sich ins Reine kommen muss. […] ein gewaltiges Stück Arbeit war es, dessen er sich da unterwunden  : aus dem Gehudel dem Herrn ein heiliges Volk aufzurichten, eine reine Gestalt, die da bestände vorm Unsichtbaren. Im Schweiß seines Angesichtes werkte er daran zu Kadesch, seiner Werkstatt, indem er seine weitstehenden Augen überall hatte, – er metzte, sprengte, formte und ebnete an dem unwilligen Klotz mit zäher Geduld, mit wiederholter Nachsicht und öfterem Verzeihen, mit loderndem Zorn und strafender Unerbittlichkeit, und wollte doch oft verzagen, wenn sich das Fleisch, in dem er arbeitete, so widerspenstig und vergeßlich-rückfällig erwies, wenn wieder die Leute mit dem Schäuflein zu graben versäumten, Blindschleichen aßen, mit ihrer Schwester schliefen oder auch mit dem Vieh, sich Male stachen, mit Wahrsagern hockten, auf Diebstahl schlichen und einander totschlugen.18

Kaum überraschend, dass ihm seine Bildungs- und Erziehungsarbeit, nämlich »aus dem Gehudel dem Herrn ein heiliges Volk aufzurichten«19, immer erneut als zur Gänze sinnlos und vergeblich erscheint. Nicht erst nach der Rückkehr vom Berge Horeb befallen Thomas Manns Mose diese Zweifel, die sich in dem bekannten Strafgericht äußern. Andererseits verfügt Mose über eine eigene selbstreferentiell-reflexive Möglichkeit, mit der er die Erfahrung und das Empfinden der Vergeblichkeit seiner Anstrengung zu überwinden vermag. Sie ergibt sich aus jener bereits erwähnten Gottesbindung, die konstitutiv für die Mose-Figur Thomas Manns ist. Im imaginären Dialog mit dem Unsichtbaren bittet Mose darum, von seiner Aufgabe entbunden zu werden. Sie sei nicht nur völlig vergeblich, sondern beraube ihn selbst aller Lebensfreude  ; der Unsichtbare möge ihn doch lieber schlichtweg »erwürgen«. Die Reaktion von Seiten des Erzählers ist ebenso lakonisch wie erhellend  : »Aber Gott antwortete ihm aus seinem Inneren mit so deutlicher Stimme, daß er’s mit den Ohren hörte und auf sein Angesicht fiel.«20 Wie bereits in der erzählerisch nicht ausgestalteten Dornbusch-Szene wird auch an dieser Stelle offen gelegt, dass Mose den unsichtbaren Gott in seinem eigenen Inneren sprechen hört, dass mithin die Gottesbindung eine Selbstbindung und die Ermächtigung zum Gesetzes- und Erziehungswerk Vollzug eines wirkungs18 Ebd., S. 40. 19 Ebd. 20 Ebd.



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mächtigen Strebens ist, das dem inneren Erleben eines Künstlers entstammt. Der höhere Auftrag des unsichtbaren Gottes ist nichts anderes als ein aus künstlertypischem Erziehungs- und Gestaltungsbegehren erwachsender Auftrag. Der Erzähler findet eine Vielzahl analogisierender Formulierungen, die das göttliche und das künstlerische Tun in eins setzen und zwar zum Zwecke der Begründung von Bildung und Zivilisation, von Sittlichkeit und Humanität, von Menschenanstand und Kunstsinn. Der an seinem Tun immer wieder verzweifelnde Mose muss sich von Jahwe sagen lassen  : Außerdem ist das alles nur Ziererei, daß du wehklagst vor mir und willst dich losbitten vom Werke. Denn du siehst wohl, daß es schon anschlägt bei ihnen, und hast ihnen schon ein Gewissen gemacht, daß ihnen übel zumute ist, wenn sie Übles tun. Darum stelle dich nicht vor mir, als hättest du nicht die größte Lust zu deiner Plage  ! Es ist meine Lust, die du hast, Gotteslust ist es, und ohne sie würde dir das Leben zum Ekel […].21

Häufig und zu Recht ist darauf hingewiesen worden, dass die Gott-Mensch Konstellation der Mose-Erzählung eine psychologische und keine ontologische sei.22 Wie schon in der Joseph-Tetralogie sei Thomas Manns Theologie »strikt anthropologisch, vom Menschen her gedacht«.23 Wie erwähnt, entstammt der Gott der Mose-Erzählung einer inneren Stimme des Helden, die sich immer wieder auch als Stimme eines Künstlers und Erziehers zu erkennen gibt. Freilich ist dies keine Erfindung Thomas Manns, er geht hier in jenen Spuren, die er sowohl brieflich als auch literarisch, nämlich in der Entstehung des Doktor Faustus, als Quellen für die Novelle genannt hat. Dies sind neben Goethes Israel in der Wüste und Elias Auerbachs Wüste und gelobtes Land24 insbesondere Sigmund Freuds Der Mann Moses und die monotheistische Religion. An die Stelle der Of21 Ebd., S. 41. 22 Vgl. dazu umfassend  : Assmann, Jan  : Mose gegen Hitler. Die Zehn Gebote als antifaschistisches Manifest, in  : Thomas Mann Jahrbuch 28 (2015), S. 47–61, hier S. 50. Sowie  : Assmann, Jan  : Exodus. Die Revolution der Alten Welt, München 2015. 23 Assmann  : Mose gegen Hitler, S. 50 mit Verweis auf die Studie von Schwöbel, Christoph  : Die Religion des Zauberers, Tübingen 2008. 24 Die zum Teil fast wörtlichen Übernahmen Thomas Manns aus dem Buch von Elias Auerbach  : Wüste und gelobtes Land. Geschichte Israels von den Anfängen bis zum Tode Salomons aus dem Jahre 1932 sowie aus Sigmund Freuds Studie finden sich philologisch minutiös nachgewiesen bei  : Käser, Andreas  : Thomas Mann als (biblischer  ?) »Redaktor«. Die Moses-Novelle Das Gesetz, in  : Heinrich Mann Jahrbuch 15 (1997), S. 123–160. Vgl. außerdem die Nachweise in einer kommentierten Neuausgabe der Novelle durch  : Ladenthin, Volker/Vormbaum, Thomas  : Thomas Mann  : Das Gesetz. Novelle (1944), Berlin 2013.

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fenbarung und der Erzählung eines Offenbarungsgeschehens tritt die rationalisierende, psychologische Reflexion, die Thomas Mann überdies – so sein eigener Begriff – in einen »ironischen Realismus« überführt.25 Der zeigt sich nicht lediglich an der durchweg rationalistisch-naturwissenschaftlichen Erklärung der ägyptischen Plagen und der Wunder während der Wüstenwanderung, sondern insbesondere an einem spezifischen Ton. Thomas Mann hat ihn als »voltairisierenden Spott« bezeichnet und auf seine Lektüre von Voltaires Candide während der Entstehungszeit der Novelle zurückgeführt. Eben dieser Ton hat ihn auch zu jenen Scherzen mit der biblischen Erzählung veranlasst, durch die er seinem Mose eine Geliebte, in den Worten des Textes, eine »Bett-Mohrin«26 zubilligt. Kaum überraschend führt deren Existenz bei Mirjam und Aaron, aber auch bei der auf diese Weise brüskierten Ehefrau Zipora zu erheblichem Ärger  ; wegen seiner »schwarzen Grille« sieht sich Mose unter erheblichem Rechtfertigungsdruck, beharrt aber darauf, dass »einem hoch geplagten und schwer beauftragten Manne«27 dergleichen »Entspannung«, die Zipora nicht mehr zu bieten vermöge, schlichtweg erlaubt sein müsse. Als die Ankläger dies immer noch nicht akzeptieren wollen und Mose zu einer heftigen Zornesrede anheben will, teilt der Erzähler mit  : »Jahwe schritt ein, er setzte sein Angesicht gegen die hartherzigen Geschwister und nahm sich seines Knechtes Mose an […].«28 Ein Erdbeben und ein Vulkanausbruch, unterirdisches Donnern und Poltern, der feuerspeiende und sich verhüllende Berg Sinai erscheinen als Strafe Gottes für die uneinsichtigen Familienmitglieder, während Mose sich nicht ganz sicher ist, »ob wirklich Jahwe’s Kundgebung den Geschwistern galt und ihrer Lieblosigkeit, oder ob es sich nur so traf, daß er eben jetzt an ihn seinen Ruf ergehen ließ, damit er wegen des Volkes und des Bildungswerks mit ihm rede.«29 Diese psychologisierende und zugleich ridikülisierende Zurichtung der biblischen Erzählung vom Sinai-Geschehen unterstreicht noch einmal die dominante Intention, die Thomas Mann in dieser Erzählung verfolgt. Anders als in der Joseph-Tetralogie geht es nicht um die Rettung des Mythos durch Psychologie, um ein »Genau-Machen« des mythisch Entfernten, sondern es geht um eine aktualisierende Umdeutung von Religion, vor allem des Gründungsgeschehens am Sinai. Thomas Manns Mose erlebt nicht etwa eine »Gesetzesoffenbarung«30  ; aus rationalen politisch-psychologischen Gründen begibt er sich auf den Berg, 25 Assmann spricht sogar von »ironischem Naturalismus«. Assmann  : Mose gegen Hitler, S. 50. 26 Mann  : Das Gesetz, S. 41. 27 Ebd., S. 43. 28 Ebd. 29 Ebd., S. 44. 30 Assmann  : Mose gegen Hitler, S. 53.



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dort beschriftet er die Tafeln selbst, nachdem er dafür eigens die hebräische Buchstabenschrift erfunden hatte. Solche humoristischen Einfälle, derer die Erzählung viele weitere aufweist, mag man blasphemisch oder verfehlt nennen  ; sie mögen als Element eines nicht lediglich versteckten literarischen Antisemitismus31 gewertet werden, vor allem aber sind sie Beweis für die Absicht des Autors, die Sinai-Geschichte im Horizont einer politischen Gegenwart zu erzählen, die eine Rückbesinnung auf den Dekalog als Gründungsurkunde des Sittengesetzes und der menschlichen Zivilisation erzwang. Freilich fand Thomas Mann auch dafür Vorbilder  ; und zwar bei keinem geringeren als Heinrich Heine, dessen Mose-Bild ihn offensichtlich und nicht lediglich »unbewußt«32 inspiriert hat. In Heines Geständnissen heißt es über Mose, er sei »trotz seiner Befeindung der Kunst, dennoch selber ein großer Künstler« gewesen, der den wahren Künstlergeist besaß. Nur war dieser Künstlergeist bey ihm, wie bey seinen egyptischen Landsleuten, nur auf das Colossale und Unverwüstliche gerichtet. Aber nicht wie die Egypter formierte er seine Kunstwerke aus Backstein und Granit, sondern er baute Menschenpyramiden, er meißelte Menschen-Obelisken, er nahm einen armen Hirtenstamm und schuf daraus ein Volk, das ebenfalls den Jahrhunderten trotzen sollte, ein großes, ewiges, heiliges Volk, ein Volk Gottes, das allen anderen Völkern als Muster, ja der ganzen Menschheit als Prototyp dienen konnte  : er schuf Israel.33

Auch für Heine ist das Gesetzgebungswerk vom Sinai also einem ganz anderen Schöpfungsakt gegenüber nachgeordnet, nämlich der Formung und Erziehung einer zuvor formlosen Masse, der bildhauerischen Bearbeitung eines Rohstoffs und der Entstehung einer »Menschenpyramide«. Das »Volk Israel« als »Prototyp« für die ganze Menschheit entsteht durch die Hand eines bildhauenden Künstlers, dem Thomas Mann überdies die Züge eines Selbstbildnisses von Michelangelo verleiht. Dieser gleichermaßen allegorisierenden wie metaphorisierenden Erzählung des biblischen Geschehens durch Thomas Mann geht es nicht um die Entstehung des Monotheismus, sondern um die Entstehung des Dekalogs als Grundgesetz von Sittlichkeit und Zivilisation.

31 Vgl. dazu Gelber, Mark  : Literarischer Antisemitismus, in  : Horch, Hans Otto (Hg.)  : Handbuch der deutsch-jüdischen Literatur, Berlin 2016, S.140–167. 32 Mann, Thomas  : Doktor Faustus. Die Entstehung des Doktor Faustus, Frankfurt a. M. 1967, S. 690. 33 Heine, Heinrich  : Geständnisse, in  : Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke, hg. v. Manfred Windfuhr, Bd. 15, Hamburg 1982, S. 41.

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Zwei Jahre vor der Gründung der UNO (1945) und fünf Jahre vor der Erklärung der allgemeinen Menschenrechte (1948) entwirft Thomas Mann mit Mose und im Selbstbild Michelangelos eine Künstlerfigur, der »eine neue Bill of Rights, ein alle bindendes Grundgesetz des Menschenrechts und Menschenanstands«34 schafft, auf die es sich für alle Zukunft und zumal in einer bedrohten Gegenwart zu beziehen gilt. Der Künstler als ursprünglicher Menschen- und Volkserzieher, als Menschheitsbildner und politischer Gesetzgeber, der zornige Mahner und geduldige Pädagoge, der begnadete Bildhauer und sittenstrenge Herrscher, wie ihn Thomas Mann in der Umcodierung des biblischen Mose entwirft, mag seinen eigenen Visionen als Repräsentant des »anderen«, »wahren Deutschland« korrespondieren. Die rhetorische Herrscherattitüde, die er in vielen seiner BBC-Reden einnimmt und die wahrlich nicht eben versöhnliche Haltung gegenüber den Deutschen mag passagenweise die Mose-Erzählung grundieren. Ihrer ästhetischen und ihrer politischen Plausibilität kommt all dies nicht zugute. Im Gegenteil  : die in antifaschistischer Absicht entworfene und als mahnende Rückbesinnung auf das universale Sittengesetz angelegte Erzählung verstrickt sich insbesondere am Ende in unauflösbare Widersprüche. Um zu gewährleisten, was als flammende Botschaft der Erzählung gewährleistet werden soll, nämlich mit Mose und der Entstehung des Dekalogs einen Gegentypus zu Adolf Hitler und seiner programmatischen Absage an die »Zehn Gebote« zu entwerfen, das verdankt sich einer problematischen Analogie. Die gehäufte Verwendung der Blutmetapher, die Idee der Formung und Bildung eines »Volkskörpers«, schließlich also die Nähe zu einer »völkische[n] Blut-(und-Boden-) Terminologie«35, die Thomas Mann ansonsten entschieden verhasst war, verweist darauf, dass die sprachlich-kompositorische und die politisch-aufklärerische Intention der Erzählung konfligieren. Während Mose ein barbarisch-unzivilisiertes Volk zu einem auserwählten und reinen Volk erziehen möchte, stellt Hitlers Deutschland den Rückfall eines hochzivilisierten in ein barbarisches Volk dar. Explizit und implizit arbeitet Thomas Manns »Moses-Phantasie« mit dieser Antithese. Um sie literarisch zu illustrieren, wird Mose zugleich zur Inkarnation eines Künstlers, der in extremen Gegensätzen, vor allem zwischen Sinnlichkeit und Moral, Unordnung und Ordnung gefangen ist und doch ein gewaltiges Werk, eine »Menschenpyramide« zu errichten vermag. Sein praktisches Werk liefert er zudem mit dem Dekalog  ; und an diese, also an Moses Steinmetz-Arbeit als dem »ABC des Menschenbenehmens«36 zu erinnern, ist politisches und moralisches Gebot der Stunde. Thomas Mann selbst hat in seiner BBC-Rede 34 Assmann  : Mose gegen Hitler, S. 57. 35 Ebd., S. 56. 36 Mann  : Das Gesetz, S. 56.



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vom 25. April 1943 die Fluch-Rede, mit der die Erzählung endet, explizit zitiert und damit ihre politische Intention direkt unterstrichen  : Aber Fluch dem Menschen, der da aufsteht und spricht  : »Sie gelten nicht mehr«. Fluch ihm, der euch lehrt  : »Auf, und seid ihrer ledig  ! Lügt, mordet und raubt, hurt, schändet und liefert Vater und Mutter ans Messer, denn so steht’s dem Menschen an« […]. Das aber wird auch alles sein, was er weiß, und wer nur das weiß, der ist so dumm wie die Nacht […]. […] gefällt muß der Schurke sein.37

37 Mann  : Das Gesetz, S. 56. Vgl. ders.: Deutsche Hörer  ! Radiosendungen nach Deutschland aus den Jahren 1940–1945, Frankfurt a. M. 1987, S. 96–99, hier S. 98.

Stephan Resch

“This barbaric slaughterhouse that was once known as humanity” Narrative Tributes and Subversions in Wes Anderson’s The Grand Budapest Hotel Wes Anderson has acknowledged on several occasions, most notably in the credits of his own film, that The Grand Budapest Hotel was inspired by the works of Stefan Zweig. In an interview with Zweig scholar George Prochnik, he confirmed that elements of Zweig’s texts Beware of Pity and Post Office Girl found their way into the film1, in other instances he underlined the importance of The World of Yesterday as a means of informing his movie.2 However, none of these texts, neither through their characters nor through their settings or plotlines, are immediately recognisable as a basis for the film. So what exactly are the Zweigian elements in the film, if they cannot be pinned down to readily identifiable characters and places  ? There is much to suggest that Anderson’s knowledge and artistic appreciation of Zweig’s work have shaped even the smallest details in the movie. Using several narrative strategies, Anderson both conjures up the world of The Grand Budapest Hotel and encapsulates what he regards as the essence of Zweig’s writing. Appropriation of existing works, as Mark Browning has suggested, seems an entirely natural way for Anderson to gather inspiration for his own projects  : “Whenever I am getting ready to make a movie I look at other movies I love in order to answer the same recurring question  : How is this done, again  ?”3 In the case of The Grand Budapest Hotel, Anderson seems to have asked this very question not with a motion picture in mind, but with textual and pictorial sources. Starting with Beware of Pity, Anderson focussed his readings of Zweig on the novellas and the autobiography. In the search for an appropriate aesthetic to convey the time period Zweig described in his text, i.e. the first forty years of the 20th century, Anderson came across the Photochrom Collection held by the 1 2 3

Anderson, Wes (ed.)  : The Society of the Crossed Keys, London 2014, p. 10. Anderson, Wes  : I stole from Stefan Zweig, http://www.telegraph.co.uk/culture/film/10684250/ I-stole-from-Stefan-Zweig-Wes-Anderson-on-the-author-who-inspired-his-latest-movie. html (accessed  : 05.08.2017). Browning, Mark  : Wes Anderson – Why his movies matter, Santa Barbara 2011, p. 103.

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Abb. 1  : Grand Hotel Pupp Carlsbad. (Catalogue of the Detroit Publishing Company, 1905).

Library of Congress. These colourised black-and-white photographs of famous European landmarks enabled Anderson to develop a “visual aura” for the film.4 While Anderson points specifically to the Hotel Pupp in Carlsbad (plate 1), today’s Karlovy Vary in the Czech Republic as a model for the Grand Budapest Hotel in the film,5 a look through the Photochrom Collection reveals that Karlovy Vary itself with its imperial fin-de siècle splendour, its recognisable landmarks and remote forest setting seems to have become a narrative backdrop.6 Anderson’s approach to narrative space in The Grand Budapest Hotel could be referred to as a carefully calibrated transposition of his spatial and temporal settings. The historically astute viewer is invited to form associations with factual dates, places and events without being able to pinpoint them exactly. This liberation from a realist approach allows Anderson to create a fairytale-like setting that evokes certain comparisons with aspects of documented history without 4 Anderson  : Society, p. 25. 5 Ibid. 6 The Hotel Imperial (plate 2) shows a similar hilltop position as the Grand Budapest Hotel and features a funicular. Karlovy Vary’s “Stag’s Leap” is also prominently featured in the establishing shot of the first hotel scene and on the large painting in the dining room of the hotel.



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Abb. 2  : Stag’s Leap and Hotel Imperial. (Zenit GNU Free Document License).

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being bound to historical fact. For a start, The Grand Budapest Hotel is neither in Budapest, nor a state that is recognisably Hungarian. While neither Nebelsbad, Sudetenwaltz nor the Republic of Zubrowka ever existed, these names are sufficient to locate the hotel within a fictional space that evokes a Crown Land of the Austro-Hungarian Empire. Such a subversion of the viewer’s historical coordinates is applied to all details of the film, no matter how small. For example, the painting that Dimitri, the son of the wealthy hotel guest Madame D., destroys as he deems it worthless, looks like an – invaluable – work by painter Egon Schiele and therefore seemingly provides evidence for the Austro-Hungarian setting. Yet a closer look reveals that Schiele never painted the motive of the “Masturbating Lesbians”. Similarly, when Madame D., during her breakfast with the concierge M. Gustave, is seated between two landscape paintings by Gustav Klimt, dressed like Adele Bloch-Bauer in the iconic painting, this could be regarded as an homage to Viennese fin-de-siècle cultural life. However, unlike the young models in Klimt’s paintings, Madam D. is over 80 years old. Whenever we become too comfortable and assume we know the narrated place and time, it seems that Anderson deliberately leads us down a narrative dead end. In a similar manner, Anderson sets the action in the year 1932 which clearly connotes the looming threat of National Socialism in bordering Germany, but does not quite match the 1938 annexation of Austria and the Sudetenland.7 Yet in the movie, the annexation of Zubrowka is imminent. As A.O. Scott observes, “Hitler and Stalin don’t exist in this kingdom of make-believe, but sudden eruptions of violence and the offhand mention of tragic happenings point toward a profound darkness just outside the frame.”8 Anderson develops spatial and temporal settings which through their subversion of realism give him the narrative freedom to tell a wistful and distorted tale of a vanished world. As Herbert H. Stein points out, what is presented by Anderson as a high point of civilisation, is little more than a caricature of a peaceful time. This affords him the freedom to banish the disturbing reality of these times off the screen for a while until the closing narrative frames confront us harshly with the outcomes of the very history we were spared on screen.9 7 Similarly, the birth date of “the author” who is modelled after Stefan Zweig is off by approximately forty years. Zweig would in fact be much closer to M. Gustave in age if the timeline of The Grand Budapest Hotel were to be taken seriously. 8 Scott, A. O.: Bittersweet Chocolate on the Pillow  : Wes Andersons Grand Budapest Hotel, in  : New York Times  : 6 March 2014, https://www.nytimes.com/2014/03/07/movies/wes-andersons-grand-budapest-hotel-is-a-complex-caper.html (accessed  : 27.07.2017). 9 Stein, Herbert H.: Defense and Hypomania at the Grand Budapest Hotel, in  : PANY Bulletin 52 (2014), No. 3, p. 11 f.



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Narrative technique There are a total of three narratives frames, all associated with different time periods and visually set apart by Anderson through the use of distinct aspect ratios and discreet colour palettes.10 The narrative frame as a literary device reached the height of its popularity in the 19th century, especially through its use in novellas. The somewhat anachronistic use of frames for the majority of his novellas has become a trademark for Stefan Zweig’s writing  ; and Anderson’s ironic employment of a triple frame pays homage to the Austrian within the first opening scenes of the movie. But more importantly than just a tongue-incheek nod to Zweig, using a frame is normally done for a specific narrative purpose. David Turner has identified three such basic functions of the frame in the context of Zweig’s novellas, namely to arouse interest in the reader, to provide a sense of intimacy between the reader and the writer and, thirdly to give the illusion of authenticity.11 In an interview, Wes Anderson comments on these functions of the frame as follows  : “It draws you in before you say, ‘Now I will tell you my story.’ It creates a ‘gather around’ feeling.”12 In The Grand Budapest Hotel, the frames transport the viewer in reverse-chronological order closer to the embedded story of the film. A young contemporary reader of the book The Grand Budapest Hotel in the first frame leads on to the older author in the second frame quoting the opening lines of his book, which, incidentally are adapted from the first pages of Zweig’s Beware of Pity.13 In the third frame, typically for Zweig’s novels, the younger author meets a stranger, who tells him his most unusual story. That this intricate setup would naturally evoke curiosity in the viewer is taken up ironically by Anderson when he has his young author say that he was “gespannt wie ein Flitzebogen, that is, on the edge of my seat”14 when hearing first about hotel owner and former lobby boy Mr. Moustafa. Intimately connected with a narrative setup that often involves fateful encounters with strangers is the confessional nature of the core story. In a large 10 On the use of colour and aspect ratios refer to Marchant, Beth  : Inhabiting Wes Anderson’s World of Color in The Grand Budapest Hotel, in  : StudioDaily, 26 March 2014, http://www. studiodaily.com/2014/03/inhabiting-wes-andersons-world-of-color-in-the-grand-budapesthotel/ (accessed  : 27.07.2017). 11 Turner, David  : Moral Values and the Human Zoo – The Novellen of Stefan Zweig, Hull 1988, p. 272–291. 12 Anderson  : Society, p. 11. 13 Cf. Zweig, Stefan  : Beware of Pity, London 1939, p. 7. 14 Anderson, Wes/Guinness, Hugo  : The Grand Budapest Hotel [Screenplay], New York 2014, p. 10.

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number of Zweig’s novellas, the idea of entrusting an unusual, highly personal and potentially disturbing story to a stranger forms the driving force of the narrative. In the film, the shared experience of the hot baths and the long dinner set the stage for the confessional narrative of Mr. Moustafa that seems to be driven by a sense of loneliness.15 The motif of the confession returns later in a tragicomic way, when servant Serge, who also wants to share his most unusual story of Madame D’s second will is murdered for his urge to confess in a confession box. Turner has observed a “psychology of curiosity” in Zweig’s novellas, referring to narrators with an urge to know and their counterparts with an urge to reveal themselves.16 While the first hand-encounter of the young author with Mr. Moustafa is meant to authenticate his story, Anderson makes use of another of Zweig’s favourite literary devices17  : the truncated last name. By supposedly protecting the identity of his protagonist, Zweig lends credence to what is narrated. However, Anderson’s attempt to protect the identity of the notorious Gustave H., the widely known concierge of the Grand Budapest Hotel, can once more be regarded as an ironic subversion of Zweig’s narrative signature. Characters While the characters in the narrative frames may be regarded as quintessentially Zweigian for the curiosity and their urge to reveal themselves, the case seems more complicated when it comes to the protagonists of the embedded narrative. Neither M. Gustave nor the young Zero Moustafa are instantly recognisable from the spectrum of Zweig’s characters. Yet Anderson admits that significant parts of M. Gustave are indeed modelled on Zweig himself.18 A closer exam­ ination seems to suggest that in M. Gustave, Anderson has blended a number of Zweig’s personal characteristics with identifiable elements of his writing style. For Marcel Reich Ranicki, one of Germany’s preeminent literary critics, Stefan Zweig’s works always carried a whiff of perfume with them. While Reich-Ranicki admitted to Zweig’s mastery of the literary trade, he found his prose to be loquacious and, at times, too eager to please.19 In the film, M. 15 The screenplay (p. 8) reads  : “He was, like the rest of us, alone – but also, I must say, he was the first that struck one as being, deeply and truly, lonely (a symptom of my own medical condition as well).” 16 Turner  : Moral Values, p. 111. 17 Examples of this can be found in Schachnovelle (Dr. B.), Verwirrung der Gefühle (Geheimrat R. v. D. / Roland D.) or Phantastische Nacht (Baron von R.). 18 Anderson  : Society, p. 11. 19 Reich Ranicki, Marcel  : Für alle Fragen offen, Frankfurt a. M. 2009, p. 213.



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Gustave is described as “the most liberally perfumed man [I] had ever encountered.”20 Whether or not Wes Anderson had come across Reich-Ranicki’s statement, there is no doubt that Gustave in his highly refined, artificial and intricate language evokes something of Zweig’s old-fashioned writing style. Gustave, apart from being a concierge, is also a man of letters. His nightly sermons and poetry declamations in front of hotel staff seem to indicate that service and an appreciation of culture seem to go hand in hand for him. As Ross Douthat states, these facets of his character suggest Gustave’s belief that “precision and poetry might suffice to hold modernity at bay”.21 It is indeed this suspicion of modernity (with the exception of his interest in psychology) that has seen Zweig sidelined from scholarly investigations in some countries. Gustave’s cultured formality, clearly an anachronism even for his time, contrasts starkly with his unusual sexual preferences, that is, his sleeping with his older customers and the suggestion of homosexual inclinations. All of this seems to coincide with Zweig’s own ambiguous sexuality, his womanising and unusual penchants which have been pointed out by recent scholarship22 but also with Zweig’s descriptions of the clandestine sexual underworld of outwardly respectable fin-desiècle Vienna.23 While hotels are often the settings for Zweig’s stories, there is no concierge that has any significant function in any of them. Is it therefore just coincidence that Anderson’s protagonist fills a role, which at its core, requires a dedication to service, connecting with and mediating between people  ? Several studies have pointed towards Zweig’s role as a cultural mediator, a figure well connected in the European cultural world and a mentor for emerging literary talent.24 Zweig himself elucidates in a letter  : In any case, my books are only part of my impact  : I am constantly looking for syntheses, I am mediator and culturally I have had a greater effect on the universal rather than the personal (as a type more “the writer” as Emerson says of Goethe, than “the poet”, everyone who does not speak to himself but serves through his art).25 20 21 22 23 24

Anderson  : Screenplay, p. 33. Douthat, Ross  : Another Lost Kingdom, in  : National Review, 21 April 2014, p. 46. Cf. Weinzierl, Ulrich  : Stefan Zweigs brennendes Geheimnis, Wien 2015. Cf. Zweig, Stefan  : The World of Yesterday, Lincoln 2013, p. 89–113 (chapter “Eros Matutinus”). Zohn, Harry  : Stefan Zweig als Mittler in der europäischen Literatur. Zenta Maurina zum Gedächtnis, in  : Das Jüdische Echo 27 (1978), No. 1, p. 47–51. 25 Stefan Zweig to Joseph Chapiro, 2 July 1920, in  : Zarini, Emmanuelle  : L’idée d’Europe chez Stefan Zweig, unpublished PhD-Thesis, Université Metz 1999, p. 4. The German original reads  : “Überhaupt sind meine Bücher nur Teil meiner Wirksamkeit  : ich bin eben eine synthetische Natur, ein Verbinder und habe eigentlich culturell auf das Allgemeine mehr gewirkt wie auf das Persönliche (im Typus mehr ›the writer’ wie Emerson von Goethe sagt als ›the poet’, jener der

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While it seems that some personal facets of Zweig have been projected on the character of M. Gustave, Anderson also manages to transpose on him certain aspects of the zeitgeist described by Zweig. In The World of Yesterday he writes, alluding to the cultural preoccupation of his generation and the refusal to engage with the dangerous political changes of pre-WWI Austria  : We young men, however, wholly absorbed in our literary ambitions, noticed little of these dangerous changes in our native land  ; our eyes were bent entirely on books and pictures. We took not the slightest interest in political and social problems  ; what did all this shrill squabbling mean in our lives  ?26

The perils of ignoring politics and instead focussing on private affairs are equally on display in The Grand Budapest Hotel. When Zero Moustafa picks up the morn­ing paper and brings it to M. Gustave, both seemingly overlook the disturbing headline of the paper. It reads  : “will there be war  ? Tanks at Border,” referring clearly to the looming annexation of Zubrowka. Instead, the camera zooms in on an article announcing the death of Madame D., M. Gustave’s lover. It is a first warning of the changing tide of Zubrowka’s fortune, yet it does not elicit a response from any of the protagonists, as they are fully engrossed in their private affairs. It could be argued that such unpreparedness to face the imminent political threat is also responsible for M. Gustave’s death (and by extension, the values that he stands for) at the hand of the invading troops. With M. Gustave and the Grand Budapest Hotel, a world disappears which in many ways resembles that of pre-WWI Vienna, as described by Zweig in The World of Yesterday. Old Zero Moustafa explains to the young author in the closing frames about M. Gustave  : “To be frank, I think his world had vanished long before he ever entered it. But I will say, he certainly sustained the illusion with a marvellous grace.”27 M. Gustave of course is unable to stop the downfall of Zubrowka and its eventual takeover by a hostile foreign army. But in his hotel, he can indulge guests in a world where the illusion of a sweet and carefree life is maintained until the very end. The notion of a happy, harmonic, tidy and fairytale-like Habsburg Austria has been identified by Claudio Magris as a tool of power and alienation, distracting nicht sich allein anspricht, sondern dient mit seiner Kunst.)« The suggestion that service is a life ethos to Zweig is also supported by one of Zweig’s stories. In Virata – or the Eyes of the Undying Brother, the protagonist finds inner peace neither in wealth, power nor reclusion but in dedicated service. See Stefan Zweig  : Virata or the Eyes of the Dying (sic) Brother, in  : Jewish Legends. Translated by Eden and Cedar Paul, New York 1987, p. 173–224. 26 Zweig  : The World of Yesterday, p. 86. 27 Anderson  : Screenplay, p. 149.



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Austrians from the real problems the country was facing.28 Stefan Zweig in turn, has been criticised for uncritically evoking a mythical Habsburg world in his autobiography The World of Yesterday  : The gilded, sanitized version that Stefan Zweig offers us of this era (“one lived well, one lived lightly and without care in that old Vienna”) is indeed pure nostalgia. The musical, theatrical modern eye like a dream advertisement for the Austrian tourist industry. It is hardly reliable history.29

I argue that Zero Moustafa’s comment on sustaining the illusion of a vanished world is coined as much with M. Gustave in mind as with Stefan Zweig. Writing from exile about his youth in Vienna, a civilisation that with the rise of Nazism had irretrievably disappeared, The World of Yesterday increasingly became a memoir documenting the cultural achievements of Zweig’s youth  : One day I am going to write such a book, not as an autobiography but as a farewell to this Jewish-Austrian bourgeois culture, that culminated in Mahler, Hofmannsthal, Schnitzler and Freud. That Vienna, that Austria is no longer and will not return. We are the last witnesses.30

Zweig’s memoir allows his readers to immerse themselves in a world where politics, social, ethnical and class tensions are sidelined in favour of celebrating Vienna’s prolific cultural scene at the height of its creativity. It is a literary bubble created at a time when politics was destroying the foundations of European civilisation that Zweig so profoundly identified with. At first glance, the character of young Zero does not seem to have any Zweigian attributes. The name itself suggests a lack of identity and Zero appears to become a projection screen for the political tides of the time. Zero is a stateless refugee who fled his undisclosed war-torn country and ended up in Zubrowka. As a result of Anderson’s carefully calculated skewing of historical facts, Zero’s 28 Magris, Claudio  : Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur, Salzburg 1966, p.19. 29 Wistrich, Robert  : Stefan Zweig and the World of Yesterday, in  : Mark H. Gelber (ed.)  : Stefan Zweig Reconsidered – New Perspectives on his Literary and Biographical Writings, Tübingen 2007, p. 59–77, here p. 60. 30 «Ich will selbst einmal ein solches Buch schreiben, nicht als Autobiographie, sondern als Abgesang jener österreichisch-jüdisch-bürgerlichen Kultur, die in Mahler, Hofmannsthal, Schnitzler, Freud kulminierte. Denn dieses Wien und dieses Österreich wird nie mehr sein und nie mehr kommen. Wir sind die letzten Zeugen.” Stefan Zweig to Felix Braun, 20 June 1939, in  : Zweig, Stefan  : Briefe 1932–1941, ed. Knut Beck, Frankfurt a. M. 2005, p. 250.

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fate seems at first a universal metaphor for the displaced in an increasingly destabilised interwar Europe. Yet a close reading of Zweig’s Beware of Pity may, once again, give an additional insight into the inspiration for Zero’s character. In The Grand Budapest Hotel, Zero is the unlikely subject of a rags-to-riches story. As heir to M. Gustave, who in turn inherited his fortune from Madame D., he becomes the wealthiest man of Zubrowka. When in Beware of Pity, the life story of Lajos von Kekesfalva, owner of a large fortune is related, it becomes apparent that Kekesfalva started his life neither rich nor of noble background. It was the Ukrainian princess Orosvar, famously wealthy owner of Kekesfalva Castle, who left her fortune to her housekeeper so that her own children, who eagerly expected her death, would not receive the inheritance. The family dynamics of the Desgoffe and Taxis family in The Grand Budapest Hotel, especially the characters of Dmitri and his sisters show certain similarities to this sub-plot of the novel. Lajos von Kekesfalva, who was born as Leopold Kanitz, son of a poor Jewish custodian, uses his business acumen to talk the unsuspecting housekeeper out of her newly inherited fortune – before marrying her out of a sense of guilt. By changing his name to Kekesfalva, baptism, deliberate obfuscation of his past and astute management of his estate, he succeeds in taking on a new identity. In Zweig’s novel, the story of Kanitz/Kekesfalva can be read as a parable for the assimilation efforts of Jews and especially Eastern European Jews into the Austrian society.31 The character of Zero Moustafa does not appear to be a precise allegory for a specific population group. The name Moustafa points to the Arabic world, his flight from persecution evokes a troubling diaspora experience at an undisclosed location  : the Balkans come to mind or the Armenian Genocide. Through Anderson’s carefully considered distortion of history, the character of Zero gives the audience a glimpse of the political horrors of the past (he is a political refugee) and the present (he gets singled out as stateless by soldiers every time) while sparing them the horrific pictorial details. What Zero shares eventually with Zweig’s Kekesfalva is the death of his wife and his daughter, which leads the narrator to the observation  : “I must say that he was the first who struck one as deeply and truly lonely.”32

31 Similar reflections on the assimilation efforts of Jews in Austria can be found in the chapter “The World of Security” in Zweig’s World of Yesterday. 32 Anderson  : Screenplay, p. 8.



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Narrative spaces There are a number of recurring narrative spaces in the novels and novellas of Stefan Zweig. Two of them have also been used in The Grand Budapest Hotel for their symbolic significance. Taking centre stage in the film is the Grand Budapest Hotel itself. For Zweig, hotels are frequently used narrative spaces, which provide a stage for unexpected encounters and psychological conflicts. Especially luxury hotels become a space of moral transgression, which is disguised behind a veil of institutional discretion. Gabriella Rovagnati regards the hotel in Zweig’s text primarily as a psychological setting in which two people can meet and engage with each other on neutral ground without the constraints of their usual social and cultural surroundings. She also points at the liberating possibilities offered by the close colocation between public and private spheres  : Das Hotel teilt sich in zwei gegensätzliche Räumlichkeiten  : Hinter den Türen des eigenen Quartiers ereignet sich die Wahrheit der Gefühle, während man sich in den gemeinsamen öffentlichen Bereichen einfach »zu benehmen« hat. So spiegelt das Hotel den Dualismus von Schein und Sein wider, der die Literatur des Fin de siècle ständig durchzieht.33

Just like in Zweig’s description of sexual morality in Vienna of the World of Yesterday, the dichotomy between private transgression and public propriety finds an outlet in the setting of the hotel. It allows the protagonists to undergo a process of transformation that would be unthinkable in their usual surroundings. It is through the protecting effect of anonymity and the close proximity between public and private space that the psychological conflicts and identities of Zweig’s protagonists are negotiated in the hotel settings. In Zweig’s Post Office Girl, the impoverished clerk Christine can transform, albeit not for long, into the alleged daughter of millionaire van Boolen through the anonymity of the hotel. The respectable middle class protagonist of 24 Hours in the Life of a Woman is equally tempted into infidelity through the removed setting of the hotel. Both texts have been cited by Anderson as inspirations for the Grand Budapest Hotel34 and one does not have to look far to see examples of this in the film. Sharing an intimate yet public space – the hotel baths – provides a conduit for Mr. Moustafa’s confessional narrative that forms the core story. As this narrative layer unfolds, the exterior and interior of the hotel perform discernible 33 Rovagnati, Gabriella  : Der Dämon des Hotels, in  : Umwege auf dem Wege zu mir selbst. Zu Leben und Werk Stefan Zweigs, Bonn 1998, p. 128–144, here p. 134. 34 Cf. Anderson  : Society, p. 10 and 23.

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functions within the context of the movie. The Grand Budapest Hotel with its stately appearance, its lush fit-outs and meticulous uniforms positions itself as an unapologetically old fashioned and anti-modern establishment. M. Gustave himself defends the decorum of the hotel against the onslaught of social and political change at the hands of the advancing foreign soldiers. This propriety, however, is not upheld behind closed doors, where it is M. Gustave himself who engages in sexual behaviour with his female guests that would have been deemed as “risqué” by even his most liberal minded contemporaries. It is an exemplification of the suppression of sexuality that Zweig described about Vienna in the World of Yesterday  : Perhaps sexuality could not be eradicated from the polite world, but at least it should not be visible. By tacit agreement, therefore, the whole difficult complex of problems was not to be mentioned in public, at school, or at home, and everything that could remind anyone of its existence was to be suppressed.35

The hotel, however, also serves as a representation of its surrounding signs of civilization. Built as a sanctuary for the privileged, its occupation by the foreign army conveys the end of an era during which politics could be neatly separated from everyday life. Reminiscent of the SS occupation of the Hotel Metropole in Zweig’s Schachnovelle, the Grand Budapest Hotel has been converted from a place of culture, indulgence and moral transgression to a hotbed of violence, represented fittingly by the shoot-out which involves a large proportion of the cast. M. Gustave, embodying like nobody else the Hotel’s ethos comments suitably  : “The Grand Budapest has become a troops’ barracks. I shall never cross its threshold again in my lifetime.”36 Some thirty years later, Zubrowka has become a Communist state and only the core of the original hotel remain visible. The building has been stripped of all its decorative and ornamental features, leaving behind nothing but a plain concrete block. Keeping in mind Hermann Broch’s comment on Vienna as the “exemplary city of art as decoration”37 and Adolph Loos’ idea of the ornament disguising the essence of a building38, it becomes 35 Zweig  : World of Yesterday, p. 90. The German original reads  : “War die Sexualität schon nicht aus der Welt zu schaffen, so sollte sie wenigstens innerhalb ihrer Welt der Sitte nicht sichtbar sein. Es wurde also die stillschweigende Vereinbarung getroffen, den ganzen ärgerlichen Komplex weder in der Schule, noch in der Familie, noch in der Öffentlichkeit zu erörtern und alles zu unterdrücken, was an sein Vorhandensein erinnern könnte.” See Zweig, Stefan  : Die Welt von Gestern, Frankfurt a. M. 2010, p. 80–81. 36 Anderson  : Screenplay, p. 130. 37 Broch, Hermann  : Dichten und Erkennen, Zürich 1955, p. 77. 38 Rossbacher, Karlheinz  : Literatur und Liberalismus, Wien 1992, p. 56.



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clear that in Anderson’s film, the hotel itself is invested with substantial narrative significance. Much of the building’s performative function – as a stage and a microcosm of high society – has now been stripped. With its eventual demolition, the Grand Budapest Hotel truly becomes a “World of Yesterday” that exists only in the nostalgia, or in the case of the film, the rose-tinted memory of the old author. Stefan Zweig’s World of Yesterday contains a remarkable anecdote about pre-republican Austria. After one and a half years in Switzerland, Zweig travels back by train to his home country in March 1919. As he waits for his connection at the border station, he observes how Karl I, the last Emperor of Austria is leaving the country for his imposed exile in a special train. He witnesses, in essence, the last moments of the end of the Habsburg monarchy  : Then, behind the plate glass of the window of the train, I recognised Emperor Karl standing very erect beside his black-clad wife Empress Zita. It gave me a shock – the last emperor of Austria, heir to the Habsburg dynasty that had ruled the land for seven hundred years, was leaving his domains  ! […] To us, the word ‘Emperor’ had been the quintessence of all power and riches, the symbol of an enduring Austria, and from childhood we learnt to speak it with veneration. […] At that moment the Austrian Monarchy that had lasted for nearly a thousand years came to its real end.39

This wistful, two-page long description  – whether Zweig really witnessed the event remains debated in scholarship – is a typical example of his widely used technique of capturing short psychologically interesting anecdotes in an attempt to elucidate larger historical phenomena. In the World of Yesterday, the passage in the train serves a dual purpose  : First of all, it is used as a structuring device, indicating the transition to Zweig’s “second life” (he originally intended to call his autobiography “My Three Lives”) in Salzburg. At the same time, it allows the reader to bid farewell to an era that Zweig had described earlier in the book as a “Golden Age of Security” and (with small exceptions) a heyday of tolerance 39 Stefan Zweig  : World of Yesterday, p. 307–309. The German original reads  : “Da erkannte ich hinter der Spiegelscheibe des Waggons hoch aufgerichtet Kaiser Karl, den letzten Kaiser von Österreich, und seine schwarzgekleidete Gemahlin, Kaiserin Zita. Ich schrak zusammen  : der letzte Kaiser von Österreich, der Erbe der habsburgischen Dynastie, die siebenhundert Jahre das Land regiert, verliess sein Reich  ! […] ‘Der Kaiser’, dieses Wort war für uns der Inbegriff aller Macht, allen Reichtums gewesen, das Symbol von Österreichs Dauer, und man hatte von Kind an gelernt, diese zwei Silben mit Ehrfurcht auszusprechen. […] Die ruhmreiche Reihe der Habsburger, die von Jahrhundert zu Jahrhundert sich Reichsapfel und Krone von Hand zu Hand gereicht, sie war zu Ende in dieser Minute.” See Zweig  : Die Welt von Gestern, p. 293–295.

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and prolific cultural activity. The reverent description of the monarch’s transit constitutes a dignified ending to a monarchy that ended unceremoniously with an enforced exile in 1918. In The Grand Budapest Hotel, trains are also used as transitional spaces, indicating impending changes to the political status quo. While the splendour of the first class compartment can be regarded as an extension of the world represented by the hotel, the outside world intrudes on two particular occasions into the thickly padded luxury of the train.40 The first train ride, taken by M. Gustave and Zero, immediately follows the announcement of Madame D’s death – and the ignored warning of imminent war. While this scene establishes a sense of threat, indicating that the microcosm of the Grand Budapest Hotel and the civilisation it stands for may no longer shield its clients and staff from the violent realities of the outside world, Anderson manages to set an overall light-hearted, almost comical atmosphere. The intruding soldiers, while frightening, have fa­ miliar names (Franz, in this case) and rules can be bent with the help of a few local connections (Police Inspector Henckels). It is at this point that M. Gustave explains to Zero  : “You see, there are still faint glimmers of civilisation left in this barbaric slaughterhouse that was once known as humanity. Indeed, that’s what we provide in our own, humble, insignificant… Oh, fuck it.”41 Therefore, M. Gustave regards himself and the institution he represents as a civilising force against an outside world that is trying to gain control over its citizens – yet he remains acutely aware of how futile his attempts may ultimately be. In contrast, the second train scene has a distinctly different atmosphere. Set around three weeks after the annexation and a day after the state of Zubrowka ceased to exist, it is shot in black and white. This becomes especially striking as the core narrative is shot in rich saturated colours with a heavy emphasis on pink as if to highlight the sugar coated sweetness of life offered up by Mendl’s Patisserie and other purveyors of luxury such as the hotel itself. The switch to black and white confirms to the viewer that the golden age of Zubrowka’s civilisation has ended. Instead we witness a backward development into a much colder pe­ riod (it is now snowing outside) in which the radiance of colours is replaced by a stark black and white colour palette. The armed soldiers entering the train this time have no name. They are part of a faceless foreign army that M. Gustave unceremoniously calls the “official death squads”. As they once again single out Zero for his immigrant status, this time around, local connections are no longer 40 I have borrowed this expression from Zweig’s chapter “The World of Security” in The World of Yesterday in which he states how his parents’ wealth insulated his family from the negative effects of the outside world. See Zweig  : World of Yesterday, p. 23–48. 41 Anderson  : Screenplay, p. 46.



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of any help. It is the last time we see M. Gustave on screen. We are told that he is later killed by the same “official death squads”, yet it is Mr. Moustafa who reminds us that it was M. Gustave who represented the faint glimmers of civi­ lisation. As in the World of Yesterday, the train becomes a structuring element of the narrative and an opportunity to bid farewell a character that is representative of a world that will imminently disappear. There is little doubt that The Grand Budapest Hotel, as stated in the credits, was indeed inspired by the works of Stefan Zweig. However, I hope to have shown that the film is more than just a nod to Zweig. It is a multi-layered homage and at the same time a subversion of Zweig’s works that is made possible through Anderson’s close reading of Zweig’s texts and an ironic appropriation and development of his literary style.

Alana Sobelman

Summoning Voices in the Eulogistic Writings of Stefan Zweig, Jacques Derrida, and Mark H. Gelber What happens when a great thinker becomes silent, one whom we knew living, whom we read and reread, and also heard, one from whom we were still awaiting a response, as if such a response would help us not only to think otherwise but also to read what we thought we had already read under his signature, a response that helps everything in reserve, and so much more than what we thought we had already recognized there  ? ( Jacques Derrida)1

Introduction In the disciplines of philosophy and comparative literature, only a handful of scholars have focused their attention on complications related to the genre of eulogy as a form of life writing.2 As all genres are, to greater or lesser degrees, the genre of eulogy is highly fluid.3 Eulogy may appear in the textual forms 1

Derrida, Jacques  : Adieu. The Work of Mourning, Chicago and London 2001, p. 200–209. This passage is part of a longer text delivered as the funeral oration for Emmanuel Levinas on December 25, 1995. It was subsequently republished in Derrida, Jacques  : Adieu to Emmanuel Levinas, Stanford 1999, p. 1–13. First French publication, Adieu  : A Emmanuel Levinas. Paris 1997, p. 11–27. 2 Thalia M. Mulvihill and Raji Swaminathan offer one such study focusing on the eulogistic form, effectively concluding that “examining eulogy/memorialization auto/biographies helps us to interrogate and inform critical auto/biography methods”, in Mulvihill, Thalia M./Swaminathan, Raji  : Critical Approaches to Life Writing Methods in Qualitative Research, New York 2017, p. 88. Although there exist dozens of articles and several books which examine eulogies in their various historical, political, and biographical contexts, only a small number of studies focus on the complications of the eulogy as a genre, and in particular its relation to literature. Two such particularly interesting works that do touch on these issues include Desirée Henderson, Desirée  : Grief and Genre in American Literature, 1790–1870, New York 2016, and Nelson, John  : Parting Words, in  : Massachusetts Review 52/1 (2011), p. 82–90. 3 The fluidity and inclusivity of eulogistic writing, including its common conventions, are offset by the finality of its subject matter. As Gelber writes of Stefan Zweig’s eulogistic writing  :

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of funeral oration, memorial service speech, conference talk, long newspaper obituary, in memoriam contribution (Nachrufe) to an essay collection on subjects of interest to the recently deceased (Festschrift), and eulogistic poetry. In “Stefan Zweig as (Austrian) Eulogist,” Mark H. Gelber further characterizes the genre  : As a matter of course, modern eulogies that serve to laud the dead might also include words of leave-taking, remembrance, consolation, lamentation, yearning, gratitude, critical appreciation, biographical data and explanation, characterological assessment, and even judicious or light criticism […]4

As I elaborate in the following essay, the eulogies discussed here, which were written by close friends and colleagues in academic and intellectual settings, all “enact the work of mourning  – and of friendship,”5 and are motivated by the living’s desire, among other things, “to recall [the deceased’s] lives and work and bear witness to a relationship with them”6. Gelber’s above list of attributes of the genre serves as the starting point for the study carried out here. My analysis is framed by an evaluation of the eulogistic texts of authors Stefan Zweig, Jacques Derrida, and Mark H. Gelber, using theoretical notions primarily set forth by Derrida. I will argue that all three of these authors make the following Derridian “moves” in their eulogistic writings  : they illustrate the aporia of mourning, that is, the impossibility but necessity to speak in the wake of death  ; the authors of the texts effectively break the aporia by “speaking” for the dead via citations of the dead which are related to the subject of death  ; and all three authors identify themselves within a community of mourners, which in Derridian terms is the core characteristic of fraternal friendship. Bringing to the fore several examples of the similarities in the eulogistic writing of these three authors highlights the need to open the genre of eulogy to deeper examination in historical studies, and illustrates the relevance of these new insights for understanding a minor but dominant part of the process of mourning, remembering, and writing.7 “The plain fact of death renders the purpose and ultimate significance of the eulogy other than the general ‘Würdigung’, despite some generic similarities”. Gelber, Mark H.: Stefan Zweig as (Austrian) Eulogist, In  : Gelber, Mark H. (ed.)  : Stefan Zweig Reconsidered  : New Perspectives on his Literary and Biographical Writings, Tübingen 2007, p. 154. Indeed, it appears that the only stable generic characteristic of eulogistic writing is the finitude of its subject matter, that is, it’s naming, bearing witness, and reflection on, another’s departure. 4 Gelber  : Stefan Zweig as (Austrian) Eulogist, p. 152. 5 Brault/Naas  : Mourning, p. 3. 6 Ibid. 7 I recognize that time and place are also relevant characteristics of eulogy, and historical context is essential to such a study. This essay, however, focuses on the elemental and philosophical as-



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The Aporia of Mourning Derrida’s eulogy for Paul de Man illustrates one aporia of mourning  : If we have, as one says in French, “la mort dans l’ame,” death in the soul, it is because from now on we are destined to speak of Paul de Man, instead of speaking to and with him, destined to speak of the teacher and of the friend who he remains for so many of us, whereas the most vivid desire from now on would be to speak, still, to Paul, to hear him and to respond to him. Not just within ourselves (we will continue, I will continue, to do that endlessly) but to speak to him and to hear him, himself, speaking to us. That’s the impossible, and we can no longer even take the measure of this wound.8

Derrida poses the important difficulty of acknowledging the fact of a friend’s passing, including his or her transition from physical life to image, from outside in the world to inside the imagination of the mourner. In his eulogy for Michel Foucault, delivered at Foucault’s funeral, Derrida stated  : “I am still trying to ­imagine Foucault’s response. I can’t quite do it. I would have so much liked for him to take it on himself.”9 According to Pascale-Anne Brault and Michael Naas in their introduction to Derrida’s The Work of Mourning, “Derrida suggests that it is only ‘in us’ that the dead may speak, that it is only by speaking of or for the dead that we can keep them alive.”10 Derrida’s plea to be responded to by Foucault and de Man is first an admittance that the deceased are “‘with us,’” but “only insofar as they are ‘in us.’”11 This challenge to the mourning writer can also be seen in the eulogistic writings of Stefan Zweig and Mark H. Gelber. In Zweig’s first published eulogy, in memory of the Belgian poet Verhaeren, who was “one of the first objects of [Zweig’s] youthful literary devotion,”12 Zweig utilizes particular tropes for demarcating and recording the transition from “living with us” to “living in us”  : And the more I told myself that he was dead, the more I felt, how much of him was still breathing and living in me. And precisely these words, which I am writing, in order to

  8   9 10 11 12

pects of eulogy. For instance Gelber, Zweig, and Derrida were from different eras and locales, yet they are linked by characteristics which transcend the context in which each of their eulogistic texts was written. Derrida  : Work of Mourning, p. 72. This eulogy was delivered at Yale University in January, 1984 in a memorial ceremony that took place one month after De Man’s death. Derrida  : Work of Mourning, p. 90. Brault/Naas  : introduction, p. 9. Ibid., p. 2. Gelber  : Stefan Zweig as (Austrian) Eulogist, p. 152.

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take leave from him for ever, have made him alive again in me. It is only the knowledge of great loss which indicates the possession of that which is ephemeral. And, only the unforgettably dead are totally alive in us.13

The phrase “alive in us” clearly depicts an attempt at “coming to terms”14 with Verhaeren’s death and as indirect acknowledgement of the aporia of mourning. Along these same lines, Derrida discusses a movement that takes place in the work of mourning  : Memory and interiorization  : since Freud, this is how the “normal” “work of mourning” is often described. It entails a movement in which an interiorizing idealization takes in itself or upon itself the body and voice of the other, the other’s visage and person, ideally and quasi-literally devouring them.15

One expression of this “devouring” is seen in eulogistic writings that call attention to the voice, speech, or the ability of the subject of mourning to “answer back” or respond. Although he does so less explicitly than Derrida, Gelber also emphasizes voice and speech in his eulogistic essay written in memory of his friend and colleague Margarita Pazi. This move once again may indicate Gelber’s grappling with the aporia of mourning. Disclosing details of the end of her life, and in particular the incomprehensibility of her speech near the end, he writes  : When she could no longer travel and after she was confined to a wheelchair, she reached a stage when it became very difficult to understand her altogether. Yet, her closest friends continued to visit  ; many came from abroad especially for that purpose – from Germany and the U.S. – to visit, to read to her, to try to decipher her barely comprehensible speech.16

Read through a Derridian lens, this passage suggests that Pazi’s death was marked in advance by the loss of her voice and inability to communicate with friends and colleagues. In Derridian terms, then, Gelber’s eulogistic text highlights Pazi’s “impossible speech”, which befell Pazi before her actual death occurred. This trope allows for an acknowledgement of the impossible transition between Pazi’s living with us to living in us. Although Gelber presents the aporia 13 14 15 16

Cited in ibid., p. 161. Ibid., p. 152. Derrida  : Work of Mourning, p. 34. Gelber, Mark H.: Margarita Pazi. 1920–1997, in  : Modern Austrian Literature 31/1 (1998), p. 170–174.



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in a slightly different manner – pointing out the death of Pazi’s voice before all else – the strength of this passage cannot be understated. It indicates an equal, if not more violent, disruption of life, and it privileges the life of the voice itself over the life of the whole living individual. Calling attention to the aporia of mourning, whether directly or indirectly, is a trope common to the eulogistic writings of Gelber, Zweig, Derrida, and other “scholar-eulogists.” In the case of the three authors under discussion in this essay, the textual devices that each writer utilizes in response to his confrontation with this aporia, while slightly varied, are strikingly similar in their implied purpose  : to break the aporia of mourning by allowing the dead to respond, and to speak, “one last time.” The Voice of Mourning The Derridian notion of mourning reveals writing as a process that is constituted by a paradoxical insistence on being responded to by those who cannot now, and will never again, offer a reply. In Derrida’s eulogy for Emmanuel Levinas, delivered at Levinas’s funeral, he states  : “[A]llow me to once again let Emma­ nuel Levinas speak, he whose voice I would so much love to hear today […]”17 Derrida focuses special attention on his relation to Levinas’s impossibility of response  : Whom is one addressing at such a moment  ? And in whose name would one allow oneself to do so  ? Often those who come forward to speak, to speak publicly, thereby interrupting the animated whispering, the secret or intimate exchange that always links one, deep inside, to a dead friend or master, those who make themselves heard in a cemetery, end up addressing directly, straight on, the one who, as we say, is no longer, is no longer living, no longer there, who will no longer respond.18

Mourning for friends in a “lawful” manner entails speaking to the dead friend and not of the friend  : “With tears in their voices, they sometimes speak familiarly to the other who keeps silent, calling upon him without detour or meditation, apostrophizing him, even greeting him or confiding in him.”19 The purpose of this speaking to is

17 Derrida  : Work of Mourning, p. 204. 18 Ibid., p. 200. 19 Ibid., p. 201.

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so as to traverse speech at the very point where words fail us, since all language that would return to the self, to us, would seem indecent, a reflexive discourse that would end up coming back to the stricken community, to its consolation or its mourning, to what is called, in a confused and terrible expression, “the work of mourning”.20

To speak “to” and “for” the dead is, according to Derrida, a far more faithful act than to speak “of ” the dead. Citations of the dead in scholar-written eulogies in memory of friends and colleagues enact a “speaking for,” and do this by way of citations of the dead which themselves refer to death. Derrida suggests precisely this notion in his eulogy for Louis Marin. Here he states  : “Let us begin by letting him speak. Here are a few words, his words, that say something difficult to understand.”21 Citing the words of the dead can be understood as a writing device that reveals the desire to summon the voice of the deceased friend or colleague, and to do so by imparting onto the text that which is nearest to the actual, audible voice of the dead  : his or her own written words. Furthermore, by including citations of the dead that refer to death, or the pending death of the person, in a certain effect brings the dead “back to life,” and lets them speak once again. Gelber points out a similar device in Zweig’s eulogistic writings  : “Zweig desired to represent a process whereby he was able to marshal life forces from the very act of penning the eulogies.”22 Pascale-Anne Brault and Michael Naas write of Derrida’s inclusion of citations in his eulogistic writings  : Citing the other speaking of death, of their own death, here allows the dead a sort of survivance, a kind of living on, not only after their death, their actual death, but even before, as if they were already living on posthumously before their death, as if they had found a way not simply to utter some prophetic intimation of their own death but to enact the impossible speech act Poe cited at the beginning of Speech and Phenomenon  : “I am dead.”23

In citing the deceased, the authors actively partake in bearing witness to the tragic physical loss of an individual, and respond by textually summoning the departed in order to let them speak “one last time,” reiterating the impossible fact that the individual is no longer living with us, but only in us.

20 Ibid. 21 Ibid., p. 143. 22 Gelber  : Stefan Zweig as Austrian Eulogist, p. 161. 23 Brault/Naas  : introduction, p. 23.



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In his eulogistic essay in memory of Sol Liptzin entitled, Solomon Liptzin  : The Last Years, Mark H. Gelber cites a letter from Liptzin written to Gelber four years before the former’s death, and introduces it by describing the elderly scholar’s waiting in peaceful anticipation of the end of his life  : He was never gloomy about the prospect of his own inevitable death. Rather he cheerfully, if patiently, anticipated the coming of “Thanatos, the young man with the dark robe,” and he was anxious to express his gratitude to “him” for waiting so long to arrive.24

In his description of Liptzin in his last years, Gelber bears witness to Liptzin’s welcoming attitude to his own death, providing a two-fold depiction of a man who is not only at peace with the prospect of death, but who is also, according to his optimistic and prophetic approach to it, at peace in death. Gelber then cites from Liptzin’s letter  : “He wrote to me on June 1, 1991 that he and Anna ‘might prefer to be half their age, but they have no reason to be dissatisfied with the lot granted to them in their old age.’”25 The citation serves as evidence to validate Liptzin’s admirable relationship to his own death, but more importantly it allows Liptzin to speak, and to speak for himself alone. And what he has to say is both devastating in its finality but also comforting in its acceptance. It may of course also be concluded that Gelber employed this writing device in order to comfort others, as if to reassure his fellow mourners that Solomon Liptzin was content to leave this earth and so they need not be concerned about that. But the more probable purpose of this trope, I contend, is to allow Liptzin to have the “last word”, and to make that last word a kind of preordained confirmation of, and response to, his own death. Derrida’s memorializing writings illustrate similar characteristics to those found in Gelber’s eulogies for Pazi and Liptzin. Derrida’s eulogy for Paul de Man, entitled (for publication) In Memoriam  : Of the Soul contains two memory recollections, both testifying to the depth of the scholars’ friendship, one in the form of a scene, the other a letter citation. The letter citation is what is of interest here. Derrida states  : The last letter I received from Paul  : I still don’t know how to read the serenity and the cheerfulness which it displayed […] Among other things, he wrote what I am going to permit myself to read here because, rightly or wrongly, I received it as a message, con-

24 Gelber, Mark H.: Solomon Liptzin (1901–1995)  : The Last Years, in  : Modern Austrian Literature 28, 3/4 (1995), p. 256–262, here p. 258. 25 Ibid.

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fided to me, for his friends in distress. You’ll hear a voice and a tone that are familiar to us […]26

After recalling the memory of the letter Derrida cites de Man directly  : I knew it all along but it is being borne out  : death gains a great deal, as they say, when one gets to know it close up – that ‘peu profond ruisseau calomniê la mort’ [shallow stream calumniated as death] […] Anyhow, I prefer that to the brutality of the word ­‘tu­meur’ – which, in fact, is more terrible, more insinuating and menacing in French than in any other language [tumeur/tu meurs  : you are dying].27

The first citation depicts de Man as skeptically prepared for his death and exhibiting a somber yet courageous will to meet it with deep foresight, if not readiness. Like Gelber’s depiction of Liptzin, Derrida offers an ideal image of an individual nearing death. At the same time, Derrida’s expressed concern with sharing this private correspondence with other mourners is indicative of the complex process of speaking for the dead. And much like both Gelber and Zweig, Derrida also uses citations from private correspondences and published works in order to make the dead “answer back,” to respond to their own deaths, and to die only in a particular way that leaves open the possibility of the dead speaking to us one last time. The following and final section of this essay addresses aspects of Derrida’s conception of friendship in Politics of Friendship in order to establish the framework for my discussion of community in eulogistic writings. And Us In an interview with Derrida on his The Politics of Friendship, the philosopher roughly defines what he sees as the basic model of friendship  : “[F]irst of all the model of this friendship is a friendship between two young men, mortals, who have a contract according to which one will survive the other, one will be the heir of the other, and they will agree politically.”28 The relevant phrase of this 26 Derrida  : Work of Mourning, p. 74. 27 Cited in ibid. 28 Derrida, Jacques  : Politics of Friendship, London/New York 1997, p. 5. According to Derrida, the friendship he writes of in Politics of Friendship is of a very specific kind, one that Derrida describes within a political framework, based on participation in an ethical and religious brotherhood. He concedes that this type of friendship “excludes first of all friendship between a man



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passage for the present study is “survive the other.” Derrida further explains that this “living on” is a basic precondition of friendship  : A memory is engaged in advance, from the moment of what is called life, in this strange temporality opened by the anticipated citation of some funeral oration. I live in the present speaking of myself in the mouths of my friends, I already hear them speaking on the edge of my tomb. The Ciceronian variety of friendship would be the possibility of quoting myself in exemplary fashion, by signing the funeral oration in advance […]. Already, yet when I will no longer be. As though pretending to say to me, in my very own voice  : rise again.29

Brault and Naas clarify Derrida’s construction  : One must always go before the other  ; one friend must always die first. There is no friendship without the possibility that one friend will die before the other, perhaps right before the either’s eyes. For even when friends die together, or rather, at the same time, their friendship will have been structured from the very beginning by the possibility that one of the two would see the other die, and so, surviving, would be left to bury, to commemorate, to mourn.30

Living on or surviving the friend is thus inherent in the pact of friendship. Derrida writes  : [P]hilía begins with the possibility of survival. Surviving – that is the other name of a mourning whose possibility is never to be awaited. For one does not survive without mourning. No one alive can get the better of this tautology, that of the stance of survival [survivance] – even God would be helpless.31

The condition of surviving, Derrida continues, “is at once the essence, the origin and the possibility, the condition of possibility of friendship  ; it is the grieved act of loving. This time of surviving thus gives the time of friendship.”32 Friendship anticipates the survival of one friend over the other. And when one friend dies the other must face the overpowering truth that there will no longer be any and a woman, or between women, so women are totally excluded from this model of friendship  : woman as the friend of a man or women as friends between themselves”. 29 Ibid. 30 Brault/Naas  : Introduction, 1. 31 Derrida  : Politics of Friendship, p. 14. 32 Ibid.

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response. According to Derrida, this holds true for individual friends, but what of a community of friends, colleagues, and mourners, those signified by “us” and “we” in eulogistic writings, who face the aporia of mourning, naturally, in some collective manner  ? The definition of “community” to which the present essay refers is taken from a lecture entitled What Have We Been Doing these Last Thirty Years  ? delivered by Mark H. Gelber in 2010.33 In his talk, Gelber offers a fascinating history of the emergence of the discipline of German-Jewish Studies, emphasizing the community of scholars that coalesced in order for the field to come into existence. Some scholars were more active (and at different times than others), and some have died in the interim. Still others’ works are, naturally, included in the present Festschrift. Gelber provides a fitting image of the “we” in the case of his close colleagues.34 Writing from his position within this scholarly community, Gelber states  : Some thirty years ago a community of scholars, very international in origin and diverse in nature, began to coalesce to produce an outpouring of scholarly work, while also creating scholarly frameworks for researching, analyzing and discussing the literary and cultural legacy of Central European Jewry. It was precisely a process of community formation which appears to have transpired around this time which proved decisive in terms of the emergence of the new discipline. Thus, a “we” was being created – or it was evolving –, which signalized and also helped contribute to an accelerated scholarly production.35

Gelber’s multiple references to this perhaps elusive but nevertheless identifiable community throughout the lecture are imbued with affection and nostalgia, rendering the fact of friendship or collegiality amongst community members an obvious circumstance. Gelber explains that around 1979–1980, which was the pivotal period of transition and scholarly production in the discipline, “[a] 33 Gelber’s “30 Years” lecture was delivered at a conference at Ben-Gurion University of the Negev in Be’er Sheva, Israel in 2010, organized by Gelber and marking thirty years of German-Jewish (and Austrian-Jewish) literary and cultural studies. 34 Gelber explains his use of “we” in the lecture as a direct reference to the then-recently published When Kafka Says We  : Uncommon Communities in German-Jewish Literature by scholar Vivian Liska, Bloomington 2009. The book is a fascinating exploration of “uncommon communities” depicted in a wide range of German-Jewish literary works. Liska’s emphasis on the complexities of the relationship between the community and the self in her book is of special interest here, and there exists potential to reframe the communities presented in Liska’s study as communities of mourners. 35 Gelber  : Thirty Years, p. 7 f.



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community of international scholars was in the process of being forged for the specific occasion of a conference or the publication of a special issue of a journal or an anthology.”36 As the group grew, “[n]ew members were invited or welcomed into the community for any given occasion  ; some stayed on for longer, some for shorter periods of time, some never left the community.”37 At one point in the lecture, Gelber references the intellectual community (Gemeinschaft) to which Max Brod belonged, naming several of its members. This reference suggests a parallel between Gelber’s and Brod’s communities of individuals, who are together selflessly partaking in a “commonality of purpose,”38 driven by a shared ethical intent. Today this community continues to expand and prosper, as contributions to this Festschrift will attest. Its setbacks have taken the shape of the deaths of important individuals in the community. Gelber memorializes two such individuals through eulogistic writing – Margarita Pazi and Solomon Liptzin  – and both, not surprisingly, are referenced in Gelber’s “Thirty Years” lecture. Other members of Gelber’s scholarly community who have died in the last four decades include Geoffrey Hartman (1929–2016), Petra Ernst (1957– 2016), Robert Wistrich (1945–2015), Peter Gay (1923–2015), Stéphane Mosès (1931–2007), Gershon Shaked (1929–2006), Jean Paul Bier (1937–2003), Harry Zohn (1923–2001), George Mosse (1918–1999), Werner Kraft (1896–1991), David Bronsen (1926–1991), and Gershom Scholem (1897–1982). As the eulogistic writings presented in this essay illustrate, the occurrence of death in the community naturally brings individual members closer together for some time, mourning as a collective and holding one another responsible for bearing witness to the fact of the deceased no longer being able to participate, share, and respond. The rhetorical devices used by the individual authors cited here suggest an insistence on a “we,” which would make engagement in the work of mourning less of a solitary and lonely experience. Even Derrida, who has condemned the instance of community,39 writes that while speaking may be impossible in the wake of a friend or colleague’s death, “so too would be silence or absence or a re-

36 Ibid., p. 11. 37 Ibid., p. 12. 38 Ibid. 39 See Caputo, John (ed.)  : Deconstruction in a Nutshell  : A Conversation with Jacques Derrida, New York 2008, wherein Derrida states  : “I don’t much like the word community. I am not even sure I like the thing. / If by community one implies, as if often the case, a harmonious group, consensus, and fundamental agreement beneath the phenomena of discord or war, then I don’t believe in it very much and I sense it is as much threat as promise. / There is doubtless this irrepressible desire for a ‘community’ to form but also for it to know its limit – and for its limit to be its opening”, p. 107.

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fusal to share one’s sadness.”40 Sharing is a signature characteristic of community, and despite Derrida’s rejection of the notion of community, his eulogistic writings contradictorily illustrate this point. In Derrida’s eulogy for Paul de Man, he depicts a depth of friendship, not only between Derrida and de Man, but between de Man and “us” – that is, the others who mourn with Derrida, including students, colleagues, and friends  – which allows for a collective and intermutual reading that attempts to break the aporia of mourning and let de Man speak, reiterate, and, most crucially, to respond, one last time. Derrida confesses that on the day of de Man’s funeral, his memory is too given over to mourning for all that I have shared with him here [at Yale] during the last ten years, from the most simple day-to-dayness to the most intense moments in the work that allied us with each other and with others, the friends, students, and colleagues who grieve for him so close to me here.41

Derrida directly calls forth a community of mourners, emphasizing the shared experience of mourning, and responding to the paradox of mourning by sharing de Man’s words with the others, as if to bring de Man back into the community circle, allowing him to respond to the fact of his death. Zweig, as has been illustrated above, also uses inclusive pronouns in his eulogistic writings, for example in the very last line of his eulogy for Verhaeren, where he states  : “And, only the unforgettable are totally alive in us.”42 Similarly, Gelber’s utilization of “we” and “us” are found in both of his published eulogistic texts. In these writings, Gelber calls to an “us” and a “we”  – that is, the community of mourners made up of friends and colleagues of the dead – experiencing the devastating loss of friends and colleagues. He refers to Pazi’s voice as “a stentorian one in those scholarly circles which touched upon the areas of her competence and interest,” which will “be missed by many of us.”43 Gelber is writing from within one such “scholarly circle,” addressing a community of mourners faced with the devastating fact of Pazi’s silence. In memory of Solomon Liptzin, Gelber writes  : “Those of us who were close to him read to him aloud from his mail and from newspapers and journals.”44 Gelber’s recollection of communication with Liptzin, and not only his personal communication but communications enacted between other members of the mourning community and Liptzin, can be understood as a direct 40 41 42 43 44

Derrida  : Work of Mourning, p. 72. Ibid., p. 74. Cited in Gelber  : Stefan Zweig as (Austrian) Eulogist, p. 90. Gelber  : Margarita Pazi, p. 174. Gelber  : Solomon Liptzin, p. 257.



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response to the aporia of mourning, that is, as a testimony to Liptzin’s ability to respond. Further on Gelber writes  : “For a long time, it seemed to many of us that he would be eternally hale and fit, and when he began to suffer the first setbacks, it took us all by surprise, despite his advanced age.”45 Again, Gelber illustrates here a grappling with Liptzin’s aging, his mortality, and his death, this time implicating the entire community of mourners, expressing their shared denial of the possibility of Liptzin’s demise, even in the face of the fact of his death. Conclusion In this essay I have proposed reading the eulogistic writings of colleagues and friends of deceased writers and scholars in favor of a philosophically motivated understanding of these texts as depicting a model of summoning, speaking for, and gathering around the dead. Along these same lines, Brault and Naas reiterate  : “One must respond even when one does not have the heart or is at a loss, lacking the words  ; one must speak, even reckon, so as to combat all the forces that work to efface or conceal not just the names on the tombstones but the apostrophe of mourning.”46 Expressions of the necessity but impossibility of speech have been illustrated throughout this essay by means of citations from the works of Stefan Zweig, Mark H. Gelber, and Jacques Derrida. This short study additionally expanded on Gelber’s argument in favor of reading Stefan Zweig’s eulogistic writings as an act of “seiz[ing] upon the moment of death as an opportunity for celebrating life, to the extent that it might be overcome or transcended”47 by introducing three concepts from Derrida’s The Work of Mourning. By examining the eulogistic works in light of Derrida’s assertions about the complex difficulties inherent in the “work of mourning” following the deaths of friends and colleagues, I hope to have shown new possibilities for focusing se­ rious scholarly attention on eulogistic writings, including some of their generic, rhetorical, and philosophical dimensions.

45 Ibid., p. 259. 46 Brault/Naas  : Introduction, p. 30. 47 Gelber  : Stefan Zweig as (Austrian) Eulogist, p. 160.

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Grenzüberschreitung von Kulturkreisen und Körpergestalten Eine vergleichende Betrachtung zu Wilhelm Hauffs Märchen Kalif Storch und Orhan Pamuks Roman Die weiße Festung Die Veröffentlichung von Wilhelm Hauffs Märchen Kalif Storch (1826) und von Orhan Pamuks Roman Die weiße Festung (1985) liegen zwar über anderthalb Jahrhunderte auseinander, die Handlungen der beiden Werke verbindet jedoch, dass sie im Orient angesiedelt sind und zwei männliche Figuren in einer hierarchischen Beziehung als Protagonisten haben. Die jeweilige Beziehungskonstellation wird im ersten Teil des vorliegenden Essays beleuchtet, um herauszuarbeiten, inwiefern die Herr-Diener-Beziehung durch anders gelagerte Verhältnisse modifiziert oder unterlaufen wird. Der zweite Teil geht dem Konnex zwischen Körper und Identität nach, um auf diesem Wege Formen der Hybridität zwischen zwei Kulturkreisen oder der Metamorphose zwischen Tier und Mensch zu erhellen. Der dritte Teil handelt vom Orientalismus Hauffs und vergleicht die Bedeutung von Oralität oder Schriftlichkeit in den beiden Werken. 1 Im Märchen Kalif Storch wird die Beziehung zwischen dem Kalif und dem Großwesir vertieft durch das Storchabenteuer. Die Szenen zu Beginn und am Ende des Textes, die die Kerngeschichte der Metamorphose einrahmen, betreffen den rituellen Nachmittagsbesuch des Großwesirs im Hause des Kalifen, wobei er vom Junggesellen zu Beginn des Textes zum Familienvater mit Frau und Kindern an dessen Ende wird  – dieser Wandel ist wiederum auf das Storchabenteuer zurückzuführen, worauf noch einzugehen ist. Da der Großwesir als Onkel der Kinder in den Familienkreis integriert ist, ist Freundschaft oder sogar Geschwisterschaft zwischen den beiden anzunehmen, was die strikte Rangtrennung zwischen Herrscher und Untertan gewissermaßen aufhebt. Während der Verzauberung in Storchgestalten kommt eine Kameradschaft zustande, wobei der Großwesir vom Kalifen als »du treuer Gefährte meines Elends«1 bezeichnet wird. Im Verlauf der Geschichte ist zu beobachten, dass 1

Hauff, Wilhelm  : Kalif Storch, in  : ders.: Sämtliche Werke in drei Bänden, Bd. 2, München 1970,

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der Kalif meistens die Initiative ergreift und der Großwesir die komplementäre Rolle als Ratgeber und Mitwirkender inne hat. Manchmal besteht eine charakteristische Differenz zwischen ihnen, z. B. in der Ruinenszene, in der beide ein Seufzen und Stöhnen, »ein leises Weinen« (20) vernehmen. Während der Großwesir große Angst vor Gespenstern hat, fasst der Kalif Mut und erkundet die Quelle des Geräusches, nämlich eine Eule. Das Erscheinen der Nachteule bereichert das Paar der Storchgestalten um ein drittes gefiedertes Tier mit menschlichem Vorleben, dem einer indischen Prinzessin, als gemeinsame »Leidensgefährtin« (20). Während das kollektive und daher geteilte Leid der beiden in Storchgestalt Verwandelten deren Einsamkeit lindert und eine mitteil- und unterhaltsame Dialogform in Gang setzt, hat die Prinzessin in ihrer Eulengestalt eine ausschließlich traurige Existenz zu fristen, da sie eine vierfache Strafe erleidet, nämlich räumliche Enge, Einsamkeit, extreme Hässlichkeit und Tagesblindheit. Aufgrund desselben Missgeschicks entsteht eine Koalition der drei Verzauberten, die den bösen Mächten aktiv entgegenwirkt. Die Bedingungen der dreifachen Entzauberung sind aber reziprok so miteinander verknüpft, dass die Erlösungspraktiken wie ein Tauschhandel erscheinen. Um das entscheidende Zauberwort zu erfahren, sind der Kalif und der Großwesir auf die Information der Eule angewiesen  ; diese nutzt aber diesen Wissensüberschuss zuerst für die eigene Rückverwandlung, welche die Bereitschaft eines der anderen zur Heirat mit ihr voraussetzt. Die Brautwerbung ist hier kein Erlösungsmotiv wie in vielen Märchen, sondern ein notwendiges risikobeladenes Mittel zum Zweck der eigenen Befreiung aus der Tiergestalt und der Rückkehr zur Menschlichkeit. Angesichts der Verlobungspflicht entsteht kurioserweise keine Konkurrenz zwischen Kalif und Großwesir, vielmehr versuchen sie aus Furcht vor der eulenmäßigen Hässlichkeit der künftigen Braut diese unangenehme Pflicht einander zuzuschieben, was dem geläufigen Märchenmuster widerspricht  : Das Märchenmotiv der bedenkenlosen und bereitwilligen Erlösung der Tierbraut durch den (zukünftigen) Partner wird hier also durch die Ehescheu des Kalifen rationalisiert, banalisiert und ironisiert, indem dessen allzumenschliche Unzulänglichkeiten auf humoristische Weise herausgestrichen werden.2

2

S.  19. Die im Klammer angeführte Seitenzahl gilt stets für alle unmittelbar vorhergehenden Zitate, solange keine anderen Angaben gemacht werden. Brunner Ungericht, Gabriela  : Die Mensch-Tier-Verwandlung. Eine Motivgeschichte unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Märchens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Bern 1998, S. 204.



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Die Menschwerdung der verwandelten Prinzessin vollzieht sich im Augenblick des Eheversprechens des Kalifen wie eine magische Handlung. Anschließend werden die beiden Storchgestalten entzaubert. So ist der Kalif sowohl Erlöser als auch Erlöster. »Kalif und Prinzessin erlösen  : einander. Also nicht bloß einseitig wie zumeist im Volksmärchen. Und sie leben, entstorcht und enteult, fortan glücklich zusammen, nachdem der thronräuberische Widersacher unschädlich gemacht worden ist.«3 Diese Ehe zwischen dem Kalifen von Bagdad und der Prinzessin aus Indien hat auch eine interkulturelle Dimension. Das Eheglück als typischer Ausgang des Märchens belegt das gute Gelingen der interkulturellen Kommunikation ohne Sprachbarriere, da die Prinzessin in der verzauberten Eulengestalt schon Arabisch spricht. Zudem kommt ihr fernöstliches Ursprungsland dem Wunsch des Kalifen nach dem Fremden und Exotischen entgegen, der ihn überhaupt zum Storchabenteuer getrieben hat. Anders gesagt, seine Neugier und seine Wissbegierde führen zur Erschließung einer fremden Kultur, die in der Ehepartnerin verkörpert ist, und sie werden belohnt vom harmonischen Zusammenleben mit der assimilierten »Fremden«. Es ist vielleicht mehr als ein Zufall, dass im Roman Rot ist mein Name (1998) von Orhan Pamuk dem entdeckten Mörder aus Istanbul Indien als Fluchtort vorschwebt. Der Roman Die weiße Festung erzählt die Geschichte zwischen einem venezianischen Sklaven und dessen türkischem Herrn, einem Hodscha (Gelehrten). Die beiden sind sich in ihrem Aussehen sehr ähnlich. Beim ersten Anblick des Hodschas meint der Ich-Erzähler, in sein eigenes Spiegelbild zu sehen  : »Der Eintretende glich mir in unglaublicher Weise.«4 Nur der Bart des etwa fünf Jahre älteren Hodschas markiert einen Unterschied im Aussehen der beiden. Während der Pestplage, in der sie sich immer mehr verbunden fühlen, erzählt der Hodscha dem Sklaven von einem Traum, in welchem sie Brüder gewesen sein sollen, und von dem neuerdings in der Stadt kursierenden Gerücht, sie seien Zwillinge. Das Doppelgängertum evoziert unvermeidlich Verwirrungen in der Selbstwahrnehmung bzw. ein Gefühl der Ich-Spaltung, und es ermöglicht später den Rollentausch. Mit dem Sklavendasein beginnt für den anonymen Venezianer, den Ich-Erzähler im Roman, eine marginale Existenz im sozialen Abseits mit absoluter Abhängigkeit und Unterwerfung. Als ein namenloser sozialer Niemand, dessen Lebensraum auf das Zuhause beschränkt ist, führt er kulturell entwurzelt ein 3 Pöge-Alder, Kathrin  : Märchenforschung. Theorien, Methoden, Interpretationen, Tübingen 2007, S. 219. 4 Pamuk, Orhan  : Die weiße Festung. Frankfurt a. M. 2008, S. 27. Die im Klammer angeführte Seitenzahl gilt stets für alle unmittelbar vorhergehenden Zitate, solange keine anderen Angaben gemacht werden.

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Schattendasein, unterliegt absoluter Bewegungseinschränkung und ist zudem der Gewalt von Fesseln und Peitschenhieben durch seinen Herrn ausgeliefert. Die Versklavung im Exilzustand hat offensichtlich eine Subalterität bzw. Unterordnung im Sinne des Theoretikers des Postkolonialismus, Homi Bhabha, zur Folge. Allerdings ist auch bei dem türkischen Hodscha Subalterität zu konstatieren, die in diesem Fall seiner Unterlegenheit auf dem Feld des Wissens entspringt. Der Sklave war ursprünglich ein 23-jähriger Student, hat in Florenz und Venedig Wissenschaften und Kunst studiert und gerät dann bei einem Schiffsüberfall in türkische Gefangenschaft. Eben dieser Kultur- und Bildungshintergrund war Voraussetzung für das Zustandekommen der Herr-Diener-Beziehung zwischen dem Sklaven und dem Hodscha, die indes um eine Schüler-Lehrer-Beziehung bereichert wird, wie der Sklave erzählt  : »Anschließend forderte er [der Hodscha] von mir, ihn alle Dinge zu lehren, er habe mich deswegen vom Pascha erbeten […].« (40) Dass der Venezianer vom Hodscha als Sklave angenommen wird, rettet ihn vor dem Tod, da er um keinen Preis, auch nicht den seines Lebens, zum Islam konvertieren will. Daraus wird ersichtlich, dass die Religionszugehörigkeit ihm, dem um alles Beraubten, die letzte kulturelle Identität gewährt. Die Weitergabe des Wissens befriedigt nicht nur die Wissbegier des Hodschas. Sie beflügelt auch seine politischen Ambitionen, den pubertären Sultan nach europäischem Bildungskonzept zu erziehen, womit er hofft, indirekt in die Staatspolitik einzugreifen. Indem er als Multiplikator des gerade erst durch den Sklaven vermittelten Wissens fungiert, trägt er Wesentliches zum Kulturtransfer bei und wirkt als Relaisstelle im dynamischen Prozess permanenter Kulturtransformationen des Osmanischen Reiches mit. Dabei tritt er auch mit dem Sultan in eine Herr-Diener-Beziehung ein, sodass sich für die drei Personen insgesamt mehrfache Herr-Diener-Konstellationen ergeben  : zunächst zwischen dem Sultan als Herrn und den beiden Dienern, wobei diese zu einem kollegialen Arbeitsteam zusammengeschweißt werden, d. h. hier ist der Sklave gleichzeitig Diener zweier Herren – des Hodschas und des Sultans. Dabei dient er dem Sultan direkt und vertritt in dieser Funktion auch den Hodscha, was wiederum eine Konkurrenzkonstellation zu diesem schafft und bereits ein Vorspiel des späteren Rollentausches liefert. So ist die ursprüngliche Herr-Sklave-Beziehung hier einem Prozess ständiger Modifikationen und Variationen unterworfen. Mit der Figur des Herrschers des Osmanischen Reiches wird ein Dritter eingeschaltet, der das Verhältnis von Herr und Sklave noch einmal anders in den Blick nimmt, indem er als Beobachter und Kommentator die binäre und zirkuläre Struktur des Herr-Diener-Verhältnisses aufbricht.



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2 In Hauffs Märchen widerfährt der Prinzessin die Verzauberung aufgrund der Ablehnung des Heiratsbegehrens des Zauberers für dessen Sohn. Dies kann als Normalfall der Verzauberung gelten  : »Die Tierverwandlung erscheint in unseren Märchen meist als ein tragisches Schicksal, als entwürdigende Un-Menschlichkeit […].«5 Der Kalif hingegen vollzieht freiwillig den Gestaltwandel und verfällt damit der politischen Intrige desselben Widersachers. Seine Abenteuerlust auf Verwandlung ist motiviert sowohl durch die Neugier auf die Tiersprachen, mit denen er das Wissen erweitern und die Erlebnisgrenze überschreiten kann, als auch durch ein starkes Bedürfnis nach Spaß und Unterhaltung. Dabei übersieht er die Gefahr und das Tückische dieses Reizes  : das Gebot, dass die Verwandelten niemals lachen dürfen, da sie sonst sogleich das Rückverwandlungswort vergessen und in der Tierhaut steckenbleiben müssen. Dies bewahrheitet sich bei ihrem ersten Lachanfall und hat sogleich politische Konsequenzen  : Sie werden für tot erklärt, und das Machtvakuum wird vom Sohn des Zauberers für eine Usurpation des Kalifen-Amtes genutzt. Durch die Metamorphose wird die Grenze zwischen der Tier- und Menschenwelt flüssig und die Hybridität beider Welten offenbar. Man kann sagen, die Zauberwelt bricht hier ins Alltagsleben ein, Zauber und Magie gehören zum Alltäglichen. Die Verwandlung des Menschen in die Tiergestalt beschränkt sich auf das Körperliche, während das Denken und Fühlen der Verzauberten davon untangiert, d. h. gänzlich menschlich bleibt. Selbst die Essgewohnheiten von den beiden »Ausnahmestörchen« bleiben die alten  : »[Sie] ernährten sich kümmerlich von Feldfrüchten, die sie aber wegen ihrer langen Schnäbel nicht gut verspeisen konnten. Zu Eidechsen und Fröschen hatten sie übrigens keinen Appetit, denn sie befürchteten, mit solchen Leckerbissen sich den Magen zu verderben.« (19) Im Fall des Protagonisten Gregor Samsa in Kafkas Erzählung Die Verwandlung (1912) beispielsweise ist hingegen der Appetit des in ein Ungeziefer verwandelten Samsa sogleich auf denjenigen eines Käfers umgestellt. Während sich in der Diskrepanz zwischen Gregors tierischem Körper mit dessen Bedürfnissen einerseits und seinem menschlichen Empfinden und Denken andererseits sein tragisches Schicksal abzeichnet, sorgen in Hauffs Märchen die Abweichungen der tierverwandelten Menschen von den wirklichen Tieren für Komikeffekte. Die Kontinuität im Gefühlsleben trotz der Verwandlung suggeriert eine Hybridität. Die Figuren werden zu einer Art Menschtier, was sich auch in ihrer Körpersprache niederschlägt, wie etwa bei der weinenden Eule  : »Dicke Tränen rollten ihr aus den großen, runden Augen, und mit heiserer Stimme stieß sie ihre Klagen zu dem krummen Schnabel heraus.« (20) Die Körpersprache der 5

Röhrich, Lutz  : Märchen und Wirklichkeit, Stuttgart 1964, S. 88.

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Verwandelten ist hier nicht nur anthropomorph, sondern auch mit Geschlechtsmerkmalen und ästhetischem Stil aufgeladen. Die Gesten der Eule z. B. sind feminin codiert  : »Zierlich wischte sie mit dem braungefleckten Flügel die Tränen aus dem Auge […].« (20). Hingegen demonstriert die Körperhaltung des Kalifen die galante Manier  : »[Er] brachte seine dünnen Füße in eine zierliche Stellung […].« (20). Nicht nur die Ausnahmetiere verhalten sich weiterhin dem Kodex der menschlichen Gemeinschaft gemäß, sondern die von den Verwandelten beobachtete und belauschte Storchwelt wird auch mit der Menschenwelt synchronisiert. Das »Storchisch« (17) ist eine höchst gestelzte Ausdrucksweise, ähnlich der einer Adelsgesellschaft. Nicht nur die Redeform, sondern auch die Umgangsart der Störche miteinander befolgt die höfischen Anstandsregeln, wie das Putzritual eines Storchs illustriert  : »[E]r putzte sich mit dem Schnabel seine Füße, legte seine Federn zurecht, und ging auf den ersten Storchen zu.« (18 f.) Es ist eine genau wie die Menschengemeinschaft regulierte und strukturierte Tiersphäre, von der allerdings beispielsweise die Essgewohnheiten, also die Bevorzugung roher Tiere, ausgenommen sind. Im Roman Die weiße Festung korrespondiert der Nachahmungseifer und Nachholbedarf des Hodschas im Bereich der Bildung mit seiner Sehnsucht nach der Kultur des Herkunftslands des Sklaven, also Venedig. Sein Lernen beschränkt sich nicht allein auf die Übernahme von Wissen, sondern umfasst ebenso die Denkweise der Venezianer, aus seiner Sicht der »Zivilisierten«, und deren Weisheit, Bräuche und Alltagsgewohnheiten, wofür die Nutzung des für ihn fremden Möbelstückes Tisch bezeichnend ist  : Ich lehrte ihn in jenen Tagen, was ein Tisch ist, und ließ dieses Möbelstück von einem Schreiner nach meinen Maßangaben anfertigen. Es mißfiel dem Hodscha zunächst, als es ins Haus gebracht wurde, er verglich diesen neuen Gegenstand mit einer Totenbank und hielt ihn für unheilbringend, doch mit der Zeit gewöhnte er sich an den Tisch wie auch an die Stühle. Man könne besser nachdenken und schreiben auf diese Weise, stellte er fest. (44)

Dem Ich-Erzähler wird durch den Lerneifer des türkischen Herrn die Überlegenheit seiner Heimatkultur, nämlich der toskanischen Hochkultur, erst richtig bewusst. Hier vollzieht der türkische Autor auf der Erzählebene wiederum einen Perspektivwechsel bzw. eine kulturelle Travestie, indem er dem Ich-Erzähler die kulturelle Identität des Anderen zuordnet. Die kulturelle Mimikry durch den Hauslehrer/Sklaven führt zu einer hybriden Identität des Hodschas und in einen Kampf an zwei Fronten. Er muss zu Hause seine Überlegenheit gegenüber dem Sklaven aufrechterhalten, die Lehrer-Schüler-Beziehung durch



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Umschreibungen kaschieren, um sich vor der Verachtung des Sklaven bzw. des Kulturbringers zu schützen  : da »gebrauchte der Hodscha schon nicht mehr das Wort ›lehren›  : Gemeinsam würden wir forschen, gemeinsam finden, gemeinsam vorankommen […].« (41) Für dieses spannungsvolle Verhältnis ist Hegels Gedankenkonstrukt einer dialektischen Herr-Knecht-Beziehung aufschlussreich. Seiner Differenzierung in Phänomenologie des Geistes (1807) zufolge ist beim Herrn ein Selbstbewusstsein vom »Für-Sich-Sein« und beim Knecht eines vom »Außer-Sich-Sein« zu konstatieren. Während der Knecht arbeitet, genießt der Herr die Arbeitsfrüchte. Der Knecht modifiziert die Welt durch seine Arbeit und kämpft um die Anerkennung durch den Herrn. Diese asymmetrische Interaktionstruktur, aufgespannt in der Wechselbeziehung zwischen Dienst und Befehl, kann aber ad absurdum geführt werden, sodass eine Abhängigkeit des Herrn vom Knecht entstehen und der Knecht Unabhängigkeit erlangen kann. Parallel zur Nivellierung des Wissensgefälles zwischen Sklave und Herr wird der Abstand zwischen dem Hodscha und seinen Landsleuten vergrößert. Je mehr Wissen er verinnerlicht hat, desto unzufriedener wird er mit dem Herrscher und dessen höfischer Gesellschaft, weil »ihre Köpfe keinen Raum zum Bewahren des Wissens [haben].« (59f ) Das Etablieren einer kulturellen Utopie, die auf Venedig projiziert wird, evoziert beim Hodscha Selbstkritik, die zuletzt in Selbsthass mündet. Die Konstellation der vermittelten Wissenschaften im Roman, die sich später im 19. Jahrhundert in Natur- und Geisteswissenschaften aufspalten, ist eingebettet in das Wissensgefüge des 17. Jahrhunderts. Nicht zufällig wird hier mit Leonardo da Vinci an eine große Wissenschaftstradition angeknüpft, die der Ich-Erzähler mit dem Verlassen seiner Heimat Venedig hat hinter sich lassen müssen. So heißt es beim Hodscha  : »Wenn er nicht als Sklave bei uns, sondern frei im eigenen Lande sein Leben geführt hätte, dann wäre aus ihm der Leonardo des 17. Jahrhunderts geworden  !« (213). Das in der Renaissance etablierte Vorbild eines Universalgelehrten gilt weiterhin im Zeitalter des Barock. Da die Handlung des Romans sich über einen Zeitraum von 1652 bis 1680 erstreckt, ist der historische Hintergrund für diesen Roman relevant. In diesen Zeitraum fallen der Niedergang des Osmanischen Reiches und der Aufstieg Venedigs im Seehandel. Für dieses literarische Werk spielt die historische Dimension eine erhebliche Rolle, nämlich im Hinblick auf ihre Nachwirkung in den Bereichen Wissenschaft und Kunst. Vor allem militärisch sind im 17. Jahrhundert immer wieder Niederlagen des Sultans zu registrieren, der Kriege gegen die germanischen Habsburger, das romanische Venedig und das slawische Polen führte, wobei der Mythos der Unbesiegbarkeit des osmanischen Heeres sukzessive an Bedeutung verlor. Im Zusammenhang mit diesem turbulenten Zeitalter voller Um- und Durchbrüche, Kräfteverschiebungen und neuen Machtformationen ist auch die

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Schizophrenie des Hodschas  – hin- und hergerissen zwischen Paranoia und Größenwahn  – zu verstehen, die zugleich mit Unruhe und Jähzorn korreliert. Insofern kann man sagen, dass der festgestellte Kampf der Kulturen zwischen dem Abendland und dem Morgenland in dieser Figur internalisiert ist. Der Hodscha ist zerrissen zwischen konservativem Patriotismus dem eigenen Vaterland gegenüber und der landesverräterischen Sehnsucht nach der fremden Kultur. Seine ambivalente Haltung dem Fremden gegenüber drückt sich am prägnantesten darin aus, dass er einerseits von der Idee besessen ist, durch die Erfindung einer Wunderwaffe die Eroberungspolitik des Sultans militärtechnisch zu unterstützen, andererseits diplomatische Beziehungen zu den europäischen Ländern herbeisehnt, um als Gesandter nach Venedig geschickt zu werden und auf diese Weise die Kultur der anderen intensiv kennenzulernen. Da eine Diplomatenidentität ohne die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen nicht zu bewerkstelligen ist, praktiziert der Hodscha, nachdem sein politisches Vorhaben, mithilfe der Wunderwaffe die weiße Festung einzunehmen, gescheitert ist, nun das Kulturabenteuer auf privater Ebene, wobei er sich der kulturellen Identität des Sklaven bedient, um ungestört sein Projekt zu verfolgen. Er flieht nach Venedig, um anstelle des Sklaven dessen Leben dort nach der Zäsur von 23 Jahren weiterzuführen, während dem Sklaven nichts anderes übrig bleibt, als die Identität des Herrn zu übernehmen und in Istanbul sesshaft zu bleiben. Beim Abschied erzählt der Ich-Erzähler seinem Herrn die ganze Nacht lang detailreich aus seinem Vorleben und gibt ihm am Ende seinen Ring und ein Medaillon  : »Das Bildnis meiner Urgroßmutter befand sich darin und eine ganz von selbst weiß gewordene Haarlocke meiner Braut.« (193) Dies alles soll dem Hodscha bei der Ankunft in Venedig als evidentes Beweismittel für seine übernommene Identität dienen und seine erfolgreiche Integration überhaupt in Gang setzen. Am Schluss des Romans ist zu erfahren, dass der Hodscha Erbe des Familiensitzes und mit der inzwischen Witwe gewordenen Braut vermählt ist. Fest verankert in der familiären Genealogie, schafft er es, den Lebensfaden des Venezianers aufzunehmen und dessen Vorleben in größtmöglicher Anpassung fortzusetzen. Nach dem Rollentausch muss der Ich-Erzähler allein dem Sultan gegenüber treten, der den Rollentausch wohl durchschaut und ihn mit dem Befehl psychisch foltert, fortwährend und sehr detailliert aus den Lebenserinnerungen des vermeintlich geflohenen Sklaven zu erzählen. Diese »Inquisition« treibt den Diener/ Ich-Erzähler geradewegs in einen Nervenzusammenbruch  : »Doch schließlich begann der Herrscher, die Pforten meines Geistes in grausamer Weise zu öffnen und zu schließen, als hätten wir, zu Pferd im Walde einem Hasen nachjagend, den Weg verloren und ritten aufs Geratewohl hin und her.« (201) So artet die neu



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konsolidierte Herr-Diener-Beziehung in psychischen Terror aus. Nach sieben Jahren qualvoller Dienerschaft und psychischer Tortur zieht er sich schließlich vom Hof- und Stadtleben zurück und flieht aufs Land, wo er heiratet und Familienvater wird. Eine Scheinintegration ist ihm gelungen. Sein über siebzigjähriges Leben umfasst also drei große Abschnitte  : Den ersten Lebensabschnitt verbringt er in Venedig, während des zweiten lebt er zusammen mit dem Hodscha und im letzten in der Rolle des Hodschas. Damit folgt sein Leben einer abwärts laufenden Linie mit einem sukzessiven Verlust von Heimat und Identität. Insgesamt ist das kulturelle Übergängertum dem Hodscha besser gelungen als dem Ich-Erzähler. Mit dem gewagten Fort-Schritt nach Venedig vollendet der Hodscha einen unaufhaltsamen Siegeszug in der familiären und sozialen Anerkennung. Seit der Begegnung mit dem Ich-Erzähler eignet er sich immer mehr dessen Kultur und Wissen an, dann dessen Lebenserinnerungen einschließlich der materiellen Andenken und durch das freiwillige Verlassen der eigenen Heimat auch noch dessen Identität und Herkunft. Als Heimkehrer wird er in Venedig akzeptiert, worauf er Glück im Privatleben und Erfolg in der Schriftsteller-Karriere aufbaut. 3 Das Märchen Kalif Storch ist die erste Geschichte des Novellenzyklus Märchen-Almanach auf das Jahr 1826, dessen Rahmenerzählung eine spontane Erzählgemeinschaft zusammenbringt. Die Kaufleute erzählen sich Geschichten zur Unterhaltung für den langen Weg der Krawane. Eine solche mündliche Erzählsituation wiederholt sich auch textintern, sodass dem Kalifen und dem Großwesir die gemeinsamen Erinnerungen an das Lebensabenteuer als unerschöpflicher Unterhaltungsstoff durch ihr ganzes Leben hindurch dienen. Die mündliche Überlieferung als Rahmenerzählung, die seit der arabischen Märchensammlung Tausendundeine Nacht auch in der deutschsprachigen Literatur eine lange Tradition hat, paart sich mit der Übernahme orientalischer Stile und Stoffe, wobei die Binnenerzählung Kalif Storch die Geschichte vom König Papagei aus Tausendundeine Nacht als Vorlage hat. Das exotische Kostüm ist ein Rückgriff auf »die schon überholte und ausgeschriebene orientalische Wunderwelt«, Hauffs verspäteter Orientalismus soll zum »fremdartigen Stimmungsreiz« beitragen.6 Die räumliche und kulturelle Distanz der Handlung generiert zudem eine fröhliche Stimmung, entsprechend der behaglichen Lebensart in dieser heiter-komischen Humoreske. Gegenüber der Dominanz der Oralität spielt die Schrift in diesem Märchen eher eine marginale Rolle. Für den Handlungsablauf ist das Aussprechen des 6

Pöge-Alder  : Märchenforschung, S. 210 f.

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Zauberwortes Mutabor für die Ver- und Entwandlung entscheidend. Die Metamorphose wird veranlasst durch das Entziffern der lateinischen Schrift durch Konsultation des Gelehrten Selim. Latein zählt nach der Ansicht von Andrea Polaschegg zu den Ingredienzien fremder Kulturen  : »Schon wenn sich im Kalif Storch der rätselhafte Zauberpulver-Beipackzettel nach gründlicher philologischer Prüfung als Latein herausstellt oder die Eule ›in gutem, menschlichem Arabisch‹ spricht, zeugt dies von Hauffs erzählstrategischem Willen zu kultureller Verfremdung.«7 Im Roman Die weiße Festung wird hingegen der Schriftlichkeit, die sich in mehreren autobiographisch geprägten Schreibprojekten niederschlägt, großer Wert beigemessen. Der Rollentausch setzt neben der physiognomischen Ähnlichkeit den Austausch der Lebenserinnerungen in der gemeinsamen Schreibwerkstatt voraus. Das Schreiben der Memoiren ist veranlasst von der solipsistischen Frage des Hodschas – »Warum bin ich, was ich bin  ?« (76) –, dafür befiehlt er dem Sklaven, über sich selbst nachzudenken und das Eingefallene niederzuschreiben  : »Nachdenken solle ich und zu Papier bringen, wer ich sei.« (79) Für diese halb authentisch erzählte und halb fabulierte »Autobiographie« ist der Hodscha als einziger Leser bestimmt. In der zweiten Schreibphase, wo sie beide »am Tisch einander gegenübersitzend« (44) gemeinsam schreiben, kommt ein symmetrisches Autor-Leser-Verhältnis zustande, wobei der Sklave nicht nur der prädestinierte Leser ist, sondern auch als Kontrollinstanz ins Schreibverfahren des Hodschas eingreift. Unter dem Titel »Warum bin ich ich selbst  ?« (84) verfasst dieser seine Lebenserinnerungen. Der Leseakt bedeutet indes ein Aneignen der Lebenserinnerungen des jeweils Anderen  : »Was ich zehn Jahre lange nicht hatte erfahren können aus seinem Leben, das lernte ich so in zwei Monaten.« (83) In diesem Prozess des (Mit-)Teilens der Lebenserinnerungen verschwistern sich das Individuelle und das Transindividuelle, das Fremde und das Eigene im Verhältnis beider miteinander. Bezeichnenderweise wird nach dem Rollentausch aus dem Hodscha, einem freiwilligen Flüchtling, ein heimischer Autor mit viel Erfolg. Dabei dient das angebliche Exilleben als probater Erzählstoff  : »Er habe nach Seiner Heimkehr eine große Anzahl von Büchern verfaßt über Seine unglaublichen Abenteuer unter den Türken […].« (205) Seine Bücher kommen gut an bei den Europäern, die für den Orient schwärmen. So erntet er Ruhm und Reichtum und hält an Akademien Vorlesungen, womit er am Ende gar der geistigen Elite der europäischen Kultur angehört. In seinen Büchern übernimmt er narrativ die Identität 7

Polaschegg, Andrea  : Biedermeierliche Grenz-Tänze. Hauffs Orient, in  : Osterkamp, Ernst/Polaschegg, Andrea/Schütz, Erhard  : Wilhelm Hauff oder die Virtuosität der Einbildungskraft, Göttingen 2005, S. 134–159, hier S. 141.



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eines Zurückgekehrten, schreibt seiner kulturellen Travestie zufolge aus der Perspektive eines Venezianers, wofür der Titel seines jüngsten Buches exemplarisch ist  : »Ein Türke, der mir gut bekannt« (211). Diese Erzählperspektive stimmt überdies mit der des Ich-Erzählers einer eingeschalteten Erzählung des Romans überein, die jedoch als »Steppdeckenmachers Stiefkind« (9) betitelt ist, was sich auf die Herkunft des Hodschas bezieht. Insofern entsteht ein Vexierspiel der Erzählperspektiven in den Schreibprojekten sowohl des Ich-Erzählers als auch des Hodschas. Letzterer weist wiederum eine gewisse Analogie zum Ich-Erzähler des Romans von Orhan Pamuk auf, da Die weiße Festung ebenfalls hauptsächlich »über die unglaublichen Abenteuer unter den Türken« aus der Perspektive eines Venezianers berichtet. So reiht sich dieser Roman hypothetisch auch in die Erfolgsbücher des Hodschas ein. Während die Bücher des Hodschas von seinen Zeitgenossen für authentische Lebensberichte gehalten werden und viel Resonanz und Anerkennung finden, schreibt der Ich-Erzähler sieben Jahre lang seine wahren Erlebnisse auf, schafft also Emigrationsliteratur im wahrsten Sinne, um so diese Lebensperiode zu vergessen. Er hält die Aufzeichnungen dann 16 Jahre lang verborgen, bis ein Leser und Verehrer des venezianischen Hodscha vorbeikommt und die Notizen zu lesen bekommt. Seitdem liegt dieses Manuskript unveröffentlicht und verstaubt etwa dreihundert Jahre lang zwischen juristischen Akten in einer Archivtruhe. Zufällig entdeckt es ein Lexikonschreiber und transkribiert die Vorlage  : Wenn ich ein, zwei Sätze des vor mir auf einem Tisch aufgeschlagenen Manuskripts gelesen hatte, ging ich in ein anderes Zimmer, wo ich an einem anderen Tisch in heutigen Worten sinngemäß zu Papier zu bringen versuchte, was mir im Gedächtnis haftengeblieben war. (12)

Die Aktualisierung der Sprache im Original wird in einem Übersetzungsprozess vollzogen, der vom Hin- und Herlaufen des »Übersetzers« zwischen den beiden Räumen begleitet ist. Was bei diesen Laufbewegungen seinem Kurzgedächtnis entfällt, fehlt dementsprechend im Zieltext, wobei eine originalgetreue Übersetzung weder gewährleistet noch angestrebt wird. Das Ergebnis dient als Manuskript für den vorliegenden Roman, der insofern eigentlich als Übersetzungsliteratur einzustufen ist, wobei sich hier auch der mediale Wechsel vom Manuskript zum Gedächtnis zu einer weiteren Aufzeichnung vollzieht. Den Informationen des Herausgebers zufolge ist die historische Person des Manuskriptverfassers nicht zu eruieren, zahlreiche Daten und Fakten darin entsprechen seiner Einschätzung nach nicht historischen Tatsachen. Insofern entpuppt sich der Roman hier als Phantasieliteratur, als Ergebnis mehrfach ineinander geschachtelter Schreibprojekte.

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In den Aufzeichnungen durchläuft die Gefühlslage des Ich-Erzählers in zweierlei Hinsicht einen großen Wandel  : Zum einen versucht er nach dem Rollentausch den Hodscha zu vergessen und erarbeitet sich das Schreiben von Märchen als Ablenkungsstrategie  : »[…] in diesen sechzehn Jahren, die ich Geschichten erzählend verbrachte, um ihn zu vergessen […].« (208) Diese Strategie geht aber nicht auf, so dass er den Rest seines Lebens damit verbringt, an den Hodscha zu denken. Sein Heimweh wird abgelöst von der Sehnsucht nach dem Hodscha, seinem alter ego  : »Ich liebte ihn, liebte ihn in gleicher Weise wie das hilflos erbärmliche Bild meiner selbst, das mich heimsuchte in meinen Träumen […].« (207) Anstatt es dem Hodscha übelzunehmen, dass er ihm die Möglichkeiten der Heimkehr Zeit seines Lebens genommen und diesbezügliche Hoffnungen endgültig zerstört hat – denn der Ich-Erzähler scheint gänzlich von den türkischen Lebensumständen gefangengenommen  –, projiziert er in die Figur des Hodschas seine Sehnsucht nach der Heimat. Damit zerbröckelt schließlich die Ost-West-Dichotomie, und die kulturellen Identitäten verflüssigen sich. Orhan Pamuk stellt mit diesem Erzählwerk eine radikale Hypothese über die Austauschbarkeit des Ichs in einer Herr-Diener-Beziehung auf, wobei Fragen hinsichtlich der Doppelgänger-Problematik und der Konfrontation zweier Kulturkreise, eines christlich-westlichen und eines muslimisch-östlichen, im Mittelpunkt stehen. Zahlreiche Koordinaten des Ich, wie z. B. der Körper, das Wissen, der Geist, die Heimat und Herkunft sowie Erinnerungen sind hier vermittel- und auch übertragbar, so dass multiple Identitätsprozesse in Gang gesetzt werden können. Entscheidend ist nicht nur, was ich bin, sondern was ich werden kann, d. h. die Potenziale der Entwicklung und Verwandlung des Ich. Die Dichotomien von Geistes- und Naturwissenschaften, Historie und Fiktion, Orient und Europa werden hier am Beispiel der beiden Figuren transzendiert, so dass ein transkultureller dritter Raum im Sinne Homi Bhabhas Kontur gewinnt. Trotzdem bleibt hier ein Kern des Ich – seine Religiosität und das Gefühl – unreduzierbar und unhintergehbar. Dafür ist eine Aussage des italienischen Lesers der Doppelautobiographie des Hodschas und des Ich-Erzählers signifikant, der die Kluft zwischen den beiden Verfassern feststellt  : »Merkwürdig ist nur«, sagte er später, »daß er [der Hodscha] in Eurem Wesen nichts berührt hat  !« Nun, da er mich kennengelernt und liebgewonnen habe, könne er sein Erstaunen nicht verbergen darüber, wie es angehe, daß zwei Menschen, die jahrzehntelang einander nahegestanden hätten, einander doch so wenig glichen. (213)

Die Differenz zwischen den Ichs ist die Grundbedingung für die Liebe. Diese Quintessenz des Romans ist von enormer heuristischer Bedeutung.

Alana Sobelman

Interview with Mark H. Gelber July 2017

What first stimulated your interest in the German language and German-language literature  ? Who were the first German-language authors you read in the original German  ? As a young teenager in the U.S., I became interested in the Shoah. Why, though, I cannot say. The idea that a genocide had been perpetrated against Jewry a few years before I was born was inconceivable to me. I was fascinated with Yiddish as a child. Although we did not speak Yiddish at home, my parents spoke to each other in Yiddish sometimes, and I had a strong wish to learn the language. Some of the poetry and prose I wrote in high school in English incorporated the Yiddish I knew. It appears to me now to be an early indication of my budding interest in multilingualism. My high school offered German as a foreign language, and when I was fourteen years old I began to learn the language formally. My goal was to understand Yiddish and the Shoah better. I had to stop learning the language because of scheduling difficulties, but I took it up again in college. With­in a short time I was able to read prose and plays by Heinrich Böll, Hermann Hesse, Friedrich Dürrenmatt, Marie Luise Kaschnitz, Bertolt Brecht, poetry by Goethe and Schiller, and even Franz Kafka’s Vor dem Gesetz (Before the Law). Later, when I was in graduate school at Yale, I took a leave of absence in order to study Yiddish linguistics and literature at YIVO and Jewish history at Columbia University in New York. In retrospect it seems clear to me that I was searching for a way to balance or combine my intellectual interests in Jewish literature and culture and German language and culture. There was something very personal about the direction of my intellectual pursuits. But, in all honesty I cannot say that I “understand” the Shoah better because I know German. Who were the mentors, professors, and scholars who personally played a role in the development of your scholarly interests  ? Can you offer any stories related to these individuals  ? Several excellent college and university teachers introduced me to German literature and culture, sometimes within the framework of comparative literature

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or European history and thought. Wesleyan University and its College of Letters proved to be ideal frameworks for my B.A. studies, supplemented by study abroad in West Germany, France, and Israel. My undergraduate professors set very high standards. None, as I recall, were specifically interested in the Jewish aspects of German literary studies. When many years later my friend Ruth Klüger wrote that German was in fact a Jewish language, she invariably struck a sensitive but dissonant cord that had been dormant inside of me since I had been a teen. One can debate what she meant by the statement. Several of my undergraduate instructors in the College of Letters or German Department at Wesleyan, including Howard Needler, Manfred Stassen, Herb Arnold, Norman Rudich, Jerry Wensinger, Franklin Reeve, and Krishna Winston, were especially important in terms of my intellectual development. Howard Needler, an outstanding Dante expert, offered me a tutorial in Medieval European literature  ; I thought that the final paper I wrote for him on the Nibelungenlied was one of the best pieces of work I produced as an undergraduate. Luckily, I have not looked at that paper in decades. Manfred Stassen, whose B.A. seminar on Plato and Kant was very important for my understanding the basis of Western philosophy, offered me two tutorials  : one in French on Diderot’s writings – aesthetic, phil­ osophical, literary – and one in German on Thomas Mann’s novels. Stassen set the bar very high and prepared unbelievably demanding reading lists for those he chose to be worthy of working with him individually. I remember the feeling of accomplishment I had when I finished plowing through Mann’s Buddenbrooks in German. It was a challenge, but The Magic Mountain, Doktor Faustus, and Joseph and His Brothers followed, and they were even more so. As a student in the College of Letters and as a Junior Fellow in Wesleyan’s Center for the Humanities, I had regular opportunities to encounter and converse with important writers and intellectuals, who came to campus to give lectures and hold seminars. I benefited from lively conversations during this time with George Steiner, Elie Wiesel, Jerzy Kosinski, Isaac Bashevis Singer, Shlomo Avinieri, J. Hillis Miller, Hayden White, and others. Studying as an undergraduate in Germany (then West Germany), France, and Israel was also important for my intellectual development and exposure to European and Jewish cultures first-hand. In 1970 I studied literature and aesthetic philosophy at the University of Bonn and French at the summer session of the University of Grenoble. In the summer of 1971 I studied Biblical archaeology and the historical geography of the land of Israel at the University of Tel Aviv, and I also participated in two archaeological digs in the Negev. From a window upstairs in our home in Omer today, I can almost see Tel Beer Sheva, or what was thought in 1971 to have been Tel Beer Sheva (near Tel Sheva) – the location of one of the excavations in which I participated. It is actually quite close.



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During the entire time I was in Bonn, I was an active member of the small local Bonn synagogue, whose members were by and large formerly displaced, Yiddish-speaking East European Jews and Holocaust survivors. I was even invited as a young American student living abroad to lead the community Seder evening on Passover that year. One member of the congregation invited me on a regular basis to his home on Shabbat mornings after the religious services. The meals his wife served were superb, and afterwards we studied Torah, Rashi and other commentary literature together. Some twenty-five years later, following a lecture I gave at the University of Bonn, a person in the audience approached me to say how much he appreciated my talk, which centered on Hebraic lexical items and Jewish aspects of Heinrich Heine’s poetry. I did not recognize this person at first, but from his accent I soon realized that he was the same person who had invited me so kindly to his home on Shabbat mornings, when I had been a poor and relatively lonely student in Bonn. I revealed who I was, thanking him profusely for his having invited me and having studied with me so many years before – it had meant the world to me, and there were no doubt some heartfelt tears in my eyes when I said it. He responded by giving me a long, sincere bear hug right there in public – something that is not done normally following a public lecture in a German university. It was a lovely moment, even if onlookers seemed to be taken aback by this behavior. To return to your question  : regarding professors who were my mentors, probably those in graduate school played an even more important role in terms of the specific scholarly direction I eventually decided to take. The most important were Jeffrey Sammons, Peter Demetz, Heinrich Henel, Geoffrey Hartman, Peter Gay, Edward Stankewiecz and even Paul de Man, by way of negation. Let me explain. There was something about de Man’s demeanor that made me instinc­ tively uncomfortable, and there was much that was fundamentally objectionable to me in his complicated articulations. He seemed to cast a spell on some of the most promising graduate students in literature at Yale, while gurus repelled me. I tried my best to avoid the common tendency of graduate students to idealize their teachers. I was convinced that language, while imperfect and richly polysemic, nevertheless did provide a basis for fairly reliable human communication and complex literary expression. I did not wish to be associated with him, but his teachings seemed poised to become the dominant direction in American literary scholarship for the next decades. After studying with de Man I decided to leave Yale and literary studies altogether  – only to return a few years later. When I did return, I was convinced that I could make a modest contribution within the framework of a different kind of literary scholarship. In the interim I had worked and lived in Israel  ; I had consulted with Stéphane Mosès, Paul Mendes-Flohr, Sol Liptzin and Gershom Scholem. I worked out a methodology

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for understanding and analyzing literary anti-Semitism, and I had made what I considered to be a minor, but nevertheless remarkable literary discovery concerning unknown intertextual relations regarding Gustav Freytag’s bestselling nineteenth century novel, Debit and Credit (Soll und Haben). These relations shed light in important ways on the issue of literary anti-Semitism, especially when contrasted with the literary anti-Semitism of an author like Charles Dickens. By this time I was on my way to unite my German and Jewish interests in what became an intellectually promising manner. I apologize for the long response, but I hope I have made it clear that I am extremely grateful to my teachers. I know you are interested in scholarly autobiographies and my answer to your question seems to fit that genre. I am reminded now of Stefan Zweig’s novella, Confusion (Verwirrung der Gefühle), when the narrator, a distinguished and celebrated professor of literature, receives a Festschrift in his honor, but realizes that the scholar and teacher who figured most decisively in his career early on – the person who exerted the most significant impact on his intellectual and personal development – was not mentioned once, and that none of his students or colleagues had any inkling of his existence. Probably there is something similar in the background of my own career, but I suppose it will remain unmentioned. You played a major role in the creation and development of the field of German-Jewish studies on an international scale. Can you tell me a bit about how this all began  ? I have already said a bit about how I understand now in retrospect that I may have been searching for a way to combine my Jewish and German interests with a professional endeavor. But, there was something serendipitous about my moving full steam ahead into the uncharted waters of a new field of study. My doctoral dissertation was about literary anti-Semitism, which I endeavored to clarify, as I developed a methodology for analyzing it in a variety of texts, mostly culled from German and English literatures. The comparative and pedagogical aspects were important features of my work. I handed in my doctoral dissertation in New Haven on a Friday in the summer of 1980 and I – together with my wife Jody and my three small children – boarded a plane bound for Israel on Sunday, that is immediately afterwards. We never looked back – not that everything has been so rosy in Israel over the years. That is another topic altogether. After arriving in Israel I wished to continue with my work on literary anti-Semitism and I focused on the writings of Thomas Mann. At that time, the Jewish aspects of his career were either neglected in some respects or required more nuanced clarifications. The methodology I developed for literary anti-Semitism in my doctoral



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dissertation was certainly applicable for texts written earlier or later than the nineteenth century examples that were the focus of my doctoral research. I was hired by Ben-Gurion University (BGU) to teach German and Comparative Literature, and in order to do so I needed to help build up the university library collection in these fields. One strategy was to enlist the Austrian and German embassies and foundations to contribute to this effort. When I contacted the cultural attachée of the Austrian Embassy in Tel Aviv to discuss this project, she showed uncommon interest in me, as well as in my young university in general. Her name was Barbara Taufar, and she had been a disciple of Bruno Kreisky. She proposed that I organize a major Stefan Zweig Conference to take place in late 1981, since it was the Zweig Centennial year and Zweig conferences were being planned in a couple of locations throughout the world. Some were being supported by the Austrian embassies or its cultural institutes. I did not know much about Zweig, although I had cited him in a paper on Nelly Sachs that I wrote for a graduate school course on Poetics and Linguistics, and which I subsequently published. I had doubts about investing much time and energy in a writer, whom I did not consider to be among the best of the first half of the twentieth century. I admit that I did not know enough about Zweig at that time to be able to make this judgement convincingly, but I believed I could rely on my intuition. My department chair, Claude Gandelman, a genial and congenial French-Israeli comparativist, urged me to go ahead with this project in cooperation with the Austrian embassy. I probably did not realize then that the French have a strong tradition of being very partial to Zweig, perhaps owing to his “francophilie.” I conducted research on Zweig in the Jewish National Library, as it was called back then (now the National Library of Israel). At that time the library had a separate Stefan Zweig Room where the files were housed, which Zweig had sent secretly to Jerusalem in the 1930s. I was flabbergasted to learn that Zweig had initiated a secret relationship with the Jewish National Library. His decision to do so did not match the image I had of him  : that of a mostly assimilated, cosmopolitan humanist. Also, I found abundant unknown letters from Zweig to Martin Buber in the Martin Buber Archive and other related material concerning Zweig and Zionism. Margot Cohn, who had been Martin Buber’s personal secretary for the last years of his life, was a great help to me as I conducted my research. At the Central Zionist Archives, which were then located in the center of Jerusalem, I made a discovery, which I think in retrospect launched my career as a serious Zweig scholar  ; but beyond that it helped me begin a career in German-Jewish Studies, adding another area of research to my work on literary anti-Semitism in German literature. Namely, I discovered early and unknown publications by Zweig in the German-language Zionist newspaper founded by Theodor Herzl, Die Welt, published in Vienna. It

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was the primary journalistic instrument of the newly established World Zionist Organization. It seemed contradictory that Zweig, who was celebrated as a great cosmopolitan, humanist writer, and who supposedly rejected all nationalisms, nevertheless contributed poetry, prose and fiction to Zionist newspapers, anthologies and other publications. I sensed that the image of Zweig that was widespread – that is, one from which Jewish-related aspects had been mostly erased or marginalized – would have to be revised in order to accommodate the Jewish dimensions and arrive at a more complete understanding of him and his career. This general principle became the guiding tenet for my work in German-Jewish Studies in general. By attempting to investigate and understand the neglected, marginalized, or repressed Jewish and Zionist aspects of an entire range of German-language Jewish authors and texts, I was ultimately able to contribute to the establishment of a new and exciting academic discipline. I eventually developed the notion of a Jewish sensibility, which many highly acculturated German-Jewish writers and intellectuals manifest, and it has helped me to explain the Jewish dimension of some writers and intellectuals who are positioned at the margins of Jewish self-understanding. Some of the most important writers whose work I was drawn to, in addition to Zweig, were  : Heinrich Heine, Ludwig Börne, Karl Emil Franzos, Theodor Herzl, Max Nordau, Martin Buber, Franz Kafka, Max Brod, Elias Canetti, Nelly Sachs, Jakov Lind, Rose Ausländer, and Ruth Klüger. The precise nature of their different Jewish sensibilities fascinated – and continues to fascinate – me. In the late 1970s and early 1980s, other scholars were beginning to look more closely and more critically at the Jewish aspects of German writing composed by Jewish authors. New publications, special issues of scholarly journals, international conferences, and new editions of mostly forgotten or neglected Jewish writers writing in German were coming into view. I understood the field of German-Jewish Studies to be an independent enterprise constituting a new discipline driven by a community of scholars. For me it was the ultimate post-modern scholarly endeavor. You have devoted much of your scholarly attention to the question of Zionism in the late nineteenth and early twentieth-century writings of European Jews, and in particular, it seems, to those Jews who did not emigrate from their home countries to Israel, even if the opportunity was available to them in their lifetimes. What interests you about the question of Zionism for these writers  ? For me, the topic of Zionism, like the issue of Judaism, encompasses a world or worlds of its own. And, my view of Zionism has changed over the years, as I learned more and more about the movement, and after I came to live in Israel,



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raise a family here, serve in a combat unit in the army, observe and participate in the Jewish national and religious education of my children, see my sons through their army service and my daughter through national service, and now prepare for my grandchildren to begin national service and soon no doubt army service for my grandsons. Sometimes, observers will make a statement to the effect that Judaism and Zionism on their own are very limited objects of interest, and therefore that it only makes sense in a globalized world to contextualize Judaism in terms of mostly antiquated comparative religions or to contextualize Zionism in relation to other narrowly conceived nationalisms or within nationality theory in general. According to this view, the potential of Judaism or Zionism to serve as the focus for broad and overarching studies with global ramifications would be quite circumscribed. I have never understood Zionism this way. For me it is a Weltanschauung or more than that. Judaism and Zionism continue to represent for me vast and complicated fields of intellectual interest, in addition to their providing frameworks for meaningful human living, which can also be quite frustrating on a regular basis. After I came to live in Israel, it made good sense to me to attempt to reorient my research priorities to a degree according to the availability of archival documents and materials and resources found in Israeli libraries and archives. My publications depended to a significant degree on my discovering new sources or new textual and ideational connections. It was not only the discovery of the Zweig materials in Jerusalem that made a difference in my career, but as a matter of fact, Israel’s libraries and archives proved to be a treasure-trove for German-language Zionist and non-Zionist literature. Owing to the Shoah and other factors, the German-language milieu of Central European Zionism had been largely repressed or forgotten by the time I had finished my Ph.D. in 1980. Thus, I arrived in Israel well-positioned and well-trained to make a difference precisely in this scholarly and intellectual environment. I only realized this belatedly. For example, I discovered the correspondence and papers of Abraham Sonne in the Central Zionist Archives and in the National Library. He is known in Israel as Avraham ben Yitzhak, an important Hebrew expressionist poet, who still has a relatively secure place in the history of the development of modern Hebrew poetry. But, additionally, according to my reading, Sonne plays a major role in Elias Canetti’s autobiography. Canetti chooses not to reveal details concerning Sonne’s Zionist career, how he had once been a leading figure in the Zionist movement, in addition to being a Hebraist, before he retired from his political activities and settled in Vienna. Regarding Joseph Roth and his reception one will find statements to the effect that he was at times close to Zionism, even though he is mostly celebrated as a writer who opposed vigorously all nationalist sentiment  ; he is regularly quoted as having written or uttered some extremely harsh anti-Zionist opinions. Having access to resources

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in Jerusalem, I was able to trace the complicated Jewish and Zionist receptions of Roth’s novels, for example their positive reception in the important German-Zionist newspaper, Die Jüdische Rundschau. Regarding the Zionist Jugendstil artist, Ephraim Moses Lilien, I was attracted by different literary clues to his work, and I subsequently organized an international conference in Beer Sheva about him and his art. His son, Otto Lilien, had contacted me after he read one of my first major essays on early German Cultural Zionism in the Yearbook of the Leo Baeck Institute. He helped me understand much about the bohemian nature of the early Zionist scene in Berlin, in which his father played a major role, crossing all sorts of artistic and cultural boundaries. Furthermore, I became seriously interested in the work of writers or scholars who had come to Palestine/Israel either because of Zionism or owing to anti-Semitism and Nazism, but then at some point decided to leave and either return to Central Europe or go on to the UK, the U.S. or elsewhere. Many important figures within the field of exile literature fit this category, including Arnold Zweig and Heinz Politzer. The career and writings of Jakov Lind in German and in English, which are also pertinent to this phenomenon, fascinated me, especially the fact that his first publication was in Hebrew. Also, my friendship with Ludwig Greve belongs in this context as well. Greve fled from Germany with the rise of Nazism, and he was in hiding under difficult conditions in Northern Italy. He eventually arrived in Palestine, lived in Haifa, and tried to make a go of it. But, his heart was elsewhere and his strongest allegiances were to German language and literature, especially poetry. He returned to Germany and eventually became the head of the German Literature Archive in Marbach – an exceedingly important position in the world of German literary scholarship. At the same time he was being celebrated in the most discerning circles for his sophisticated German poetry. I was a regular visitor in Marbach and Greve found an occasion to introduce himself to me. I knew nothing about his background, or that he was Jewish, fled from Nazi Germany, spent time in Palestine, or that he was a poet of stature  ; his poetry was one of the best kept secrets in modern German literature and he was exceedingly modest. He took a sincere interest in my scholarship and he attempted to help out, give advice, point me in the right direction or to somewhat unknown authors and scholars, whose work was potentially significant for me. His encouragement meant a lot to me, but he also helped me to understand a great deal about the relationship between Zionism and Central European diasporic Jewry and German literature. The unlikely but undeniable success of Zionism within Jewry inevitably raises the question of the viability of diaspora Jewry, and I have been very much interested in the inner Jewish debates about this topic. But, I have never been a



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Jewish survivalist, that is, overly anxious that the Jewish people might cease to exist, either owing to a devastating war or genocide or rampant intermarriage and assimilation or something else. I have never doubted the ability and desirability of the Jewish people to continue to exist indefinitely, even if its compo­ sition would change over time. Maybe I am more of an optimist than I perceive myself to be in this regard. While sometimes I tend to think of myself as the last Zionist, in reality I am extremely critical of aspects of Zionist ideology in my scholarship, and anyway I view Zionism as a transitional phase in the long history of the Jewish people. You have been very interested in the legal case concerning Max Brod’s will and his posthumous papers and archive, the latter of which contains manuscripts penned by Franz Kafka. Also, you served as an expert consultant for the National Library during the case and you have spoken out, debated in public and lectured at universities on the topic of the trial in Israel, Europe, the U.S., China, Brazil, New Zealand, and perhaps elsewhere. Could you say something about your scholarly interests in Kafka and Brod and your view of the trial, after the supreme court in Israel rendered its final verdict in the trial ruling in favor of the National Library of Israel as the legal owner and appropriate repository for this material  ? Now that the trial is behind us, do you believe that Kafka and Brod will gain more attention in Israel  ? Also, did you ever meet Esther Hoffe, Brod’s secretary  ? There are many questions here. Let me begin with the last one. As a matter of fact, I did meet Esther Hoffe. It must have been in late 1983 or 1984. She had begun to sell off Kafka’s letters and manuscripts to the highest bidders, after an Israeli court upheld her right of inheritance and confirmed her legal possession of Max Brod’s posthumous papers and the Kafka manuscripts that had been in his possession. My colleague from Tel Aviv, Margarita Pazi, asked me if I would agree to meet with Esther Hoffe, in order to convince her to establish a Brod archive at the National Library in Jerusalem. Margarita knew that Esther Hoffe would never be willing to donate Kafka’s manuscripts to the Jewish National Library. But, perhaps she would agree to donate Brod’s manuscripts, letters, and first editions and other archival material in her possession. Margarita’s reasoning was that if Esther Hoffe were to meet me, she might become convinced that there was a younger generation of scholars in Israel, which I exemplified, who would be very interested in Brod and who would continue to keep his legacy alive through scholarship, publications, and teaching. It was a long shot anyway you look at it. The meeting came about, but I do not recall exactly what we discussed. Esther Hoffe sat across from me stone-faced, while Margarita did most of the talking. Anyway, nothing came of it. Esther Hoffe was simply not

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interested in relinquishing papers which were legally in her possession, unless perhaps substantial sums of money were offered for them. I have a tendency to be attracted to literary topics that have been neglected, as well as to writers who have not received the serious critical scrutiny they deserve. Max Brod and his writings definitely belong to these categories, while a vast critical industry has flourished around Kafka in the last so many decades. In terms of scholarship, I came to Kafka via Brod, although I had read Kafka much earlier on. There was almost nothing serious or critical which had been published on Max Brod’s Zionist writings, when I took an interest in them, and I attempted to fill in this gap. Gradually I also learned quite a bit about Kafka’s complicated relationship to Zionism – which had been critically neglected to a degree, even if it is reflected clearly in his diaries and correspondence and also obliquely in the few works he published during his lifetime and in the posthumously published writings. I like to think that much of what Kafka says about Zionism in his literary works is implicit, whereas it is explicit in his diaries and letters  – also in his many Zionist and Jewish-related activities and relationships. When I read in an Israeli newspaper in the 1980s that part of Kafka’s personal library had surfaced in Germany and was purchased by the Center for the Study of Prague German Literature at the University of Wuppertal, I immediately planned a research visit to work through the collection there. My discovery of one of Kafka’s Hebrew notebooks in Wuppertal had a major impact on my understanding of him and his career. At that time, I did not know that an additional Hebrew notebook was located in our National Library in Jerusalem. While his obsession with Yiddish and Yiddish theater had been fairly well documented, his complicated but very serious relationship to Hebrew was a new area of potential interest calling for scholarly consideration. I was convinced that teaching Kafka in Beer Sheva was important for several reasons, so I continued to offer courses about his writings throughout the years, without publishing much or anything about him. I also taught Kafka as a visiting professor at the University of Pennsylvania. More recently, I have lectured on Jewish and Zionist dimensions of Kafka’s writings in China. I was the organizer of an international conference held in Jerusalem and in Beer Sheva entitled  : “Kafka, Zionism, and Beyond”  ; the published papers from this conference were received enthusiasti­ cally. My intention was to try to establish this topic within Kafka scholarship in general. Also, my scholarly contribution to one of the Kafka handbooks regarding “Zionist Readings of Kafka” has been singled out for praise, for example by Dan Miron, one of the great scholars of Hebrew literature, whose view of Kafka is much different from mine, if not diametrically opposed to it. When the recent court case in Israel concerning the will of Max Brod and the fate of his personal papers and the Kafka manuscripts in his possession began, I



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was contacted by the legal team representing the National Library. Although I had not read his will or versions of his will at that time, it was clear to me that a strong case could be made for Jerusalem as the proper place for the manuscripts of Brod and Kafka, based on Brod’s Zionism and Kafka’s serious engagement with it. Subsequently, I was quoted in the press to this effect. The Brod trial and the fate of the Kafka manuscripts were controversial topics for several years, and I was invited by numerous institutions to discuss the trial or debate the issue. On one memorable occasion in 2013, a “conversation” which was more like a debate about where Kafka belonged was organized at the New School for Public Engagement (New School for Social Research) in New York. My colleague Mark Anderson from Columbia University argued against Israel, while I tried to make a case in favor of the National Library. Vivian Liska moderated, and the insightful questions and contribution of the audience are still in my mind. Once I debated Niels Bokhove, the head of the Dutch Kafka Society, at a similar event held in the Jewish Historical Museum in Amsterdam. Bokhove argued that Israel “did not really care about Kafka” and thus it had no right to the Kafka manuscripts that had been in Brod’s possession. I thought it an odd claim, and I did my best to refute it. But, I am not sure I won over the audience to view the matter the way I do. Now that the legal case is finally behind us, I look forward with anticipation to having an opportunity to inspect this material. Whether or not it will be possible to generate more interest in Brod in Israel is another question entirely. My guess though is that the sustained interest in Kafka will probably continue indefinitely, in Israel and elsewhere throughout the world. A particularly unique feature of your career seems to me to be your role as personal and academic host to likely more than a hundred scholars and writers from abroad, who have accepted your invitations to come to Israel and share their work with students, scholars, and the general public. Can you describe the most memorable of these visits  ? Has it really been that many  ? From the time I began to teach in Beer Sheva in 1980, I understood one important dimension of my role at the university to be to help establish it as a serious academic center for research and scholarly exchange. After all, it was a very young university that had only been established a few years before. I was convinced that the presence of scholars of the first rank in Beer Sheva would allow students and faculty to benefit tremendously – the way I had when I was an undergraduate  – from their erudition, scholarship, methodological clarity. In order to facilitate the process, I organized more than two dozen international conferences over the years, and many first-rate writers, intellectuals and scholars participated. I also invited others for individual

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visits or for lecture series and to teach a class in my courses. After I established the International Summer University for German-speaking students at BGU, I found additional opportunities to invite German-speaking writers and scholars to Beer Sheva. The same holds for the decade, during which time I have directed the Center for Austrian and German Studies at Ben-Gurion University. Being able to invite and host leading scholars and intellectuals is probably the best part of administrative positions, like the ones I have held. The intellectual exchanges and dialogues within these frameworks have been extraordinarily stimulating over decades, and they enable a fair amount of professional and scholarly networking at the same time. Although the guests usually came from abroad, I also invited Israeli scholars from other institutions to give lectures at conferences or to my students in my department. At the Stefan Zweig Conference (1981) I already mentioned – the first major international conference I organized – Harry Zohn, one of the great Zweig scholars of his generation and an exile from the Nazis, came to Beer Sheva, as did David Turner from the UK, and Gershon Shaked, the dean of Hebrew literary studies in Israel before he passed away. Sol Liptzin, who had known Zweig personally (he also knew Arthur Schnitzler and Richard Beer Hofmann) gave a fascinating talk about his personal memories of Zweig. Zohn, Shaked, and Liptzin became my good friends, even as they continued to advise me in this post-doctoral phase. The evening reception after the opening session at the university took place in our small Beer Sheva apartment, because I was not sure that the modest budget I had at my disposal would be sufficient to cover an appropriate reception with food either at a local restaurant or at the university. I had absolutely no experience in this regard, but I anticipated that several participants were likely to be very hungry after travelling great distances in order to be present. My wife and I purchased quantities of food and cooked up a fairly elaborate meal for about 30 guests at our own expense  ; the noise from the lively conversations in the living room woke up our small children, who joined the reception in their pajamas to the delight of the guests. Afterwards, I was able to win partners in order to finance international visitors, for example, in addition to the Austrian Embassy, the Goethe Institute (Tel Aviv), the Leo Baeck Institute ( Jerusalem), the Czech Cultural Forum, and others. Once the Faculty of the Humanities and Social Sciences at BGU launched its Distinguished Visitors Program more than a decade ago, the challenge of financing first-rate international scholars became somewhat easier, although the competition has been keen. Within the framework of this program, I was able to invite and host Geoffrey Hartman, Ruth Klüger, Erica Jong, Sander Gilman, Stanley Corngold, and Nicole Krauss for shorter or longer visits. All of their visits were memorable in their own way. For example, I recall that my wife Jody



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and I had many fun evenings with Erica Jong during her visit. She was a living legend when we were students, that is, after the publication of Fear of Flying. A friend of mine called us – that is, Erica and me – “the odd couple.” Ruth Klüger was absolutely amazing, and I am regularly in awe of her  ; she has visited several times, as has Sander Gilman. I have a fond memory of Ruth Klüger sitting on the floor in a student’s apartment following one of her talks, surrounded by about twenty or thirty students and discussing some of her experiences during the war as well as her writing. Once I invited her to visit during the time of the Summer University, in order to give a series of talks and readings for my German-speaking students. She and I went swimming every day, usually after she finished the daily crossword puzzle in the newspaper. Once, Sander Gilman showed up for a Nordau symposium I organized in Beer Sheva, following a long flight and taxi ride from the airport. He arrived directly to the conference room, gave his talk, responded brilliantly to the other talks, enjoyed a splendid dinner with the participants in my favorite restaurant in Ottoman Beer Sheva, and then left by taxi at about 10  :30 or 11  :00 p.m. to attend a meeting in Jerusalem  ! His energy was absolutely stupendous. In 2015 I invited him to a Kafka conference in Beer Sheva, and without any warning in advance, he arrived with a cumbersome walking cast, like an oversized boot, since he had fractured his foot by falling down a flight of stairs only a few days earlier, before departure from the U.S.! Any normal colleague – if I may use the term “normal” – would have cancelled the visit in face of the arduous flight or two and then more travel from the center of Israel to us in Beer Sheva. But, Sander Gilman displayed such personal commitment and courageous professionalism that we were all in awe of him – that in addition to his impressive erudition. I think I could go on and on about this topic, because I have hosted so many writers and scholars over the years and their visits were an essential part of my career and my own intellectual life. But, I cannot mention all of them, and no doubt I have forgotten some important ones. Maybe just two or three more items  : In 1990, before his 90th birthday, I invited Sol Liptzin to deliver the last lecture of his career at a conference I organized in Beer Sheva on the “Jewish Reception of Heinrich Heine.” His talk on Heine and Yiddish Poetry was absolutely breathtaking. One had to be there to believe it. My teacher, Jeffrey Sammons, also came from New Haven to participate in this conference. He gave two separate lectures, and they were first-rate. The visits by Jakov Lind, Esther Dischereit, and Peter Sichrovsky in Beer Sheva were very special and memo­rable in different ways, as were lectures by Bernhard Greiner, Dominique Bourel, Horst Turk, Hans Otto Horch, Stephan Braese, Irmela von der Lühe and Vivian Liska. Vivian has visited numerous times. She said that she gave the first talk of her brilliant scholarly career at an academic conference in Beer

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Sheva following my invitation. Regarding Israeli colleagues, writers, and poets, I think that the visits of Stéphane Mosès, Yonat Sened, Shirley Kaufman, Chaim Shoham, ­Shimon Sandbank, Yoram Kaniyuk, and Zeruya Shalev should also be mentioned. I can’t go into all the details, though. On a few occasions, cities or institutes or universities in Israel or abroad have invited me to organize or co-organize conferences with them, and many of these have been memorable. Just to mention some  : I co-organized the first Stefan Zweig Congress in Salzburg in 1992, in cooperation with the city of Salzburg and its university. It was a major academic and cultural event for the city, perhaps for all of Austria. I remember that a journalist writing in the Salzburg daily newspaper expressed dismay that an Israeli “had to be invited” in order for the city and university to organize an international Zweig event. That was the way he put it, in other words, as a lament or possibly as a scandal. My partners, who were organizing the Zweig events for the city of Salzburg, thought there might be a hint of anti-Semitism in the newspaper article. They were all first-rate professionals and cosmopolitan people, and one said to me something to the effect that he would not have cared at all – that is, he could refute the criticism of any critical faction – even if the headline of the newspaper article had read  : “Jude leitet Zweig Kongress in Salzburg” ([A] Jew to Direct the Zweig Congress in Salzburg), while in fact it read  : “Israeli leitet Zweig Kongress” ([An] Israeli to Direct the Zweig Congress). This conference was organized superbly – over 120 participants from 18 countries registered – and the level of the lectures and discussions was very high. From that point on, this conference served for me as a model of what might be accomplished within the framework of scholarly meetings of this nature. Many years later, as part of my DAAD guest professorship in Aachen in 2013, I was asked to organize a doctoral/post-doctoral workshop on new research in “German-Jewish Studies.” The eight or ten young people I invited from Israel, Germany, Belgium, and the U.S. certainly rose to the occasion, giving superb presentations, and the senior scholars who responded actively were all of the first rank. They included Stephan Braese (my host and the host of this meeting in Aachen), Hans Otto Horch, Bernhard Greiner, Bernd Witte, Ruth Klüger, and Vivian Liska. They guaranteed the intellectual success of this workshop. Not long ago, the National Library of Israel and the Cherrick Center for Zionism, then directed by Dimitri Shumsky, invited me to co-organize a major international Max Brod conference. The evening at the National Library in Jerusalem, which included musical interludes with an accomplished pianist who played some of Brod’s unknown musical compositions, was definitely a highlight. And, the Institute for Jewish Studies in Antwerp once invited me to co-organize a major Theodor Herzl conference to mark the centennial of his death. Herzl and Zionism are not exactly major topics of scholarly concern at the University



Interview with Mark H. Gelber 

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of Antwerp, despite its very dynamic Institute of Jewish Studies, directed by Vivian Liska. Still, the lectures and participation of Robert Wistrich, Gershon Shaked, Ilan Troen, Frank Stern, Eitan Bar Yosef, Benno Wagner, Anat Feinberg, and others definitely stimulated serious interest. It was like bringing a taste of Israel to Antwerp, with some other flavors thrown in. I would also mention the international conference I co-organized with the Moses Mendelssohn Center of the University of Potsdam and another one on “The German-Jewish Experience” with the Institut für Zeitgeschichte at the University of Vienna. But, I think I have already said far too much in answer to your question. As I said, I could go on and on about this topic. You immigrated to Israel at the very start of your academic career. At Ben-Gurion University, you have served more than once as Chair of the Department of Foreign Literatures and Linguistics, you were head of the International Program at BGU, and you were appointed the first Dean for International Academic Affairs. You established the International Summer University for Hebrew, Jewish Studies and Israel Studies for German speaking students, which has hosted hundreds of German students over the last 20 years. Also, you have directed the Center for Austrian and German Studies for more than ten years, and held other prominent positions and served on important university committees. Can you say something about your view of how the university and the Humanities have changed over these nearly 40 years, and in particular how the status of German writers in the Israeli academy has shifted over these years  ? When I came to Beer Sheva in 1980, I was fond of saying that Ben-Gurion University was “almost a university or like a university, but not quite one.” It certainly is a university today. I was a Zionist idealist, who was motivated by the challenge of helping to build a new university in the Negev, but I was at the same time hopelessly naïve about what the consequences of working at a new, underfunded university might be for an academic career. I had job offers in Jerusalem, Tel Aviv and Haifa, but I decided to stay in Beer Sheva, for better or for worse. For me, moving somewhere meant moving my entire family, and my wife Jody was a full partner in all decision making. In the first years of my career in Israel, I travelled at least once a week to Jerusalem or Tel Aviv to work in the libraries and archives there. I also regularly attended lectures or events concerning German-Jewish literature, culture and history in Tel Aviv and Jerusalem, and I met with colleagues who shared similar scholarly interests  : Sol Liptzin, Margarita Pazi, Stéphane Mosès, Gershon Shaked, Paul Mendes-Flohr. The Leo Baeck Institute in Jerusalem, directed by Dani Brecher and later Shlomo Meier, as well as its office in Tel Aviv headed by Eli Rothschild, and the Center for German History at the University of Tel Aviv, directed at that time by Walter

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Grab, were important venues for me and my work. I remember being inspired by an event I attended in Jerusalem – I think it was in 1981 – a public celebration of Werner Kraft’s 85th birthday. Ernst Simon, Gershom Scholem and others were among the speakers. One talk was about Werner Kraft’s scholarly productivity in the last five years. He continued to be extremely prolific into his 80s. Scholem spoke of his memories of Werner Kraft from before the First World War, when they were students in Jena  ! Events like these inspired my own work and seemed to imbue my career with purpose and meaning. Maybe I was deceiving myself. Even though my first priority was to my institution, Beer Sheva and the Negev, I enjoyed for decades excellent relations to people and institutions in the center of the country, and subsequently to colleagues and institutions abroad. Regarding the Humanities, I do not think the situation in Beer Sheva is appreciably different from that in other institutions in Israel and in the West in general. I think there are serious challenges which require attention and no doubt changes must be made in curricula, as they have been made in the past. In 1971, I heard a talk by Isaac Bashevis Singer and he made a quip about Yiddish. He said that people are claiming that Yiddish is dying out. Perhaps it is, he said. But, it has been dying out for the last couple of hundred years and it will probably continue to die out for a few hundred years more. Frankly, I do despair sometimes. But, I am usually encouraged by the sterling examples and boundless critical enthusiasm of some of my own mentors, who taught me to believe that there is nothing more important in higher education and in society than the Humanities. This is not to say that I subscribe to this view. Concerning German and German literature in Israel  : I have made a point for a long time – and I have published on this topic – that scholarship in Israel is by and large interested in German-Jewish Studies, not in German Studies, not in Germanistik. There are good reasons for this tendency. However, I think that there are clear signs of change, and it could be that very soon a form of International German Studies will come into existence in Israel, if it does not already exist in its early germinative stage. A fair amount of German literature in He­ brew translation is read in Israel  ; and there is great interest in German cultural centers like Berlin, where many Israelis now reside. Also, while the Shoah has gained in importance in the collective memory of Israelis and is deeply embedded in the educational program in the Jewish sectors, I wonder if it is only natural that this interest and the importance ascribed to the Shoah will diminish as we get farther and farther away in time from the genocide. Given these factors and trends and some others, it would only be logical and natural for there to be an increase of interest in German literature and culture.

Autorinnen und Autoren, Herausgeberinnen und Herausgeber Eitan Bar-Yosef ist Associate Professor am Department of Foreign Literatures and Linguistics der Ben-Gurion University of the Negev, wo er mit Mark Gelber zuerst als Postdoc (2001–2003) und dann als Kollege zusammengearbeitet hat. Er ist Herausgeber der Zeitschrift Teoria U-vikoret (publiziert vom VanLeer Institut Jerusalem) sowie Autor von zwei Monographien  : The Holy Land in English Culture, 1799–1917  : Palestine and the Question of Orientalism (Clarendon Press, 2005) und A Villa in the Jungle  : Africa in Israeli Culture (in Hebrew, VanLeer, 2013). Matjaž Birk ist Professor für deutsche Literatur an der Philosophischen Fakultät der Universität Maribor. Seine Forschungsschwerpunkte sind Literatur des 19. Jahrhunderts, der Jahrhundertwende und des Exils, insbesondere aus Österreich, sowie deutsch-slowenische Literatur- und Kulturtransfers. Seine Bekanntschaft mit Mark Gelber geht auf den Salzburger »Zweiten Internationalen Stefan Zweig-Kongress« im Jahr 1998 zurück. 2006 war Mark Gelber Gastprofessor an der Universität Maribor und beteiligte sich dort an der internationalen Tagung »Stefan Zweig und das Dämonische«. Zuletzt erschien von Matjaž Birk »Reisen ist Rast in der Unruhe der Welt« Fremdhermeneutische Einblicke in die Reisetagebücher von Stefan Zweig (Königshausen & Neumann, 2016). Alfred Bodenheimer, Promotion 1993 mit einer Arbeit über Else Lasker-Schülers Emigration nach Palästina an der Universität Basel, danach Dozenturen und Forschungspositionen an der Hebräischen Universität Jerusalem und der Bar-Ilan Universität in Ramat Gan sowie an der Universität Luzern. Seit 2003 Professor für Religionsgeschichte und Literatur an der Universität Basel, daneben 2005–2008 auch Rektor der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg. Autor u. a. der Monografien Wandernde Schatten. Ahasver, Moses und die Authentizität der jüdischen Moderne (Wallstein Verlag, 2002) und Ungebrochen gebrochen. Über jüdische Narrative und Traditionsbildung (Wallstein Verlag, 2012). Zuletzt Herausgeber von Sebastian Münster  : Der Messias-Dialog. Der hebräische Text von 1539 in deutscher Übersetzung (Schwabe, 2017). Seit 2014 Autor der Krimireihe um den Zürcher Rabbiner Gabriel Klein.

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Iris Bruce ist Associate Professor für Deutsche und Vergleichende Literaturwissenschaft an der McMaster University in Hamilton, Kanada. Ihre Forschungsinteressen sind Kafka in seiner Zeit und in der zeitgenössischen populären Kultur, Deutsch-Jüdische Studien und Israelstudien. Von Oktober 2014 bis April 2015 war sie Gastprofessorin bei Mark Gelber am Center for German Studies und am Abrahams-Curiel Department of Foreign Literatures and Linguistics an der Ben-Gurion Universität in Beer-Sheva, Israel. Sie ist die Autorin von Kafka and Cultural Zionism. Dates in Palestine (University of Wisconsin Press, 2007). Esther Dischereit, Schriftstellerin. Werke u. a. Übungen jüdisch zu sein (Essays, 1998), Großgesichtiges Kind (Prosa, 2014) und Als mir mein Golem öffnete oder Vor den hohen Feiertagen gab es ein Flüstern und Rascheln im Haus (Gedichte, 1996, 2009). Sound-Installationen, zuletzt Museumsquartier Wien, 2014. Blumen für Otello. Klagelieder. Über die Verbrechen von Jena (Libretto/Buch). Das gleichnamige Hörspiel zu den Verbrechen des NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) wurde durch Deutschlandradio Kultur uraufgeführt, 2014. Erich-Fried-Preis, 2009. Fellow Moses Mendelssohn-Zentrum Potsdam, 1995. Gastprofessur an der University of Virginia, Gast des International Writing Programs der University of Iowa, 2017. Bis 2017 Professorin für Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst Wien. Performances zusammen mit Musiker*innen und Holly Handman-Lopez. Kuratorin, zuletzt Fotofilme »Mood & Memory«  : Flucht und Dann Danach, 2017. Sander L. Gilman ist Distinguished Professor of the Liberal Arts and Sciences sowie Professor für Psychiatrie an der Emory University. Der Kultur- und Literaturhistoriker ist Autor oder Herausgeber von mehr als 90 Büchern. Sein Cosmopolitianisms and The Jews erschien 2017 bei University of Michigan Press. Er ist der Autor der grundlegenden Studie zur visuellen Stereotypisierung von Geisteskranken, Seeing the Insane, publiziert 1982 von John Wiley and Sons (Reprints 1996 und 2014) sowie der 1986 bei Johns Hopkins University Press erschienenen Monographie Jewish Self-Hatred, dem noch immer lieferbaren Standardwerk zu diesem Thema. Er war Gastprofessor an zahlreichen Universitäten in Nordamerika, Südafrika, Großbritannien, Deutschland, Israel, China und Neuseeland. 1995 war er Präsident der Modern Language Association. Er wurde 1997 zum Doctor of Laws (honoris causa) an der University of Toronto ernannt, wurde im Jahr 2000 Ehrenprofessor an der Freien Universität, 2007 Ehrenmitglied der American Psychoanalytic Association und 2016 Fellow der American Academy of Arts and Sciences.



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Dietmar Goltschnigg ist emeritierter Ordentlicher Professor für Neuere deutsche Sprache und Literatur am Institut für Germanistik der Karl-Franzens-Universität Graz. Er war Gastprofessor an den Universitäten Salzburg und Ljubljana. Zu seinen wichtigsten Publikationen gehören Mystische Tradition im Roman Robert Musils. Martin Bubers »Ekstatische Konfessionen« im »Mann ohne Eigenschaften« (Stiehm, 1974) und Rezeptions- und Wirkungsgeschichte Georg Büchners (Scriptor-Verlag, 1975). Er ist Herausgeber von Georg Büchner und die Moderne. Texte, Analysen, Kommentar (3 Bde., Erich Schmidt Verlag, 2001-2004) und von Heine und die Nachwelt. Geschichte seiner Wirkung in den deutschsprachigen Ländern (3 Bde., Erich Schmidt Verlag, 2006-2011, mit Hartmut Steinecke). Manja Herrmann ist seit Juni 2017 Postdoktorandin des Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg an der Technischen Universität Berlin (Zentrum für Antisemitismusforschung). Von 2011 bis 2015 promovierte sie bei Mark Gelber am Department for Foreign Literatures and Linguistics und am Center for Austrian and German Studies der Ben-Gurion Universität in Beer Sheva. Die Doktorarbeit erscheint 2018 unter dem Titel Zionismus und Authentizität. Gegennarrative des Authentischen im frühen zionistischen Diskurs im DeGruyter Verlag. Jakob Hessing ist Professor emeritus für Deutsche Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zur deutsch-jüdischen Literatur, darunter Monographien u. a. zu Else Lasker-Schüler, Sigmund Freud und Heinrich Heine. Jakob Hessing ist Herausgeber des Jüdischen Almanach 1993-1999 im Jüdischen Verlag bei Suhrkamp und ständiger Mitarbeiter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Zeitschrift MERKUR. Klaus Hödl, Historiker, unterrichtet an einer berufsbildenden Schule und an der Karl Franzens-Universität Graz. Zu seinem Forschungsgebiet gehören jüdisch-nichtjüdische Beziehungen. Sein letztes Buch Zwischen Wienerlied und Der Kleine Kohn erschien im Dezember 2017 bei Vandenhoeck & Ruprecht. Hans Otto Horch studierte von 1964 bis 1971 die Fächer Germanistik, Philosophie und Musikwissenschaft in Tübingen und Aachen und promovierte 1974 mit einer textsemantischen Arbeit über Gottfried Benn. Von 1974 bis 1983 war er Hochschulassistent in Aachen und wurde 1984 mit einer Arbeit über die deutsch-jüdische Literatur im 19. Jahrhundert habilitiert. 1989 erfolgte die Ernennung zum apl. Professor  ; von 1992 bis zu seiner Emeritierung 2009 war er Inhaber der neu gegründeten Universitätsprofessur für Deutsch-jüdische Literatur- und Kulturgeschichte in Aachen. Zahlreiche Publikationen zur

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Autorinnen und Autoren, Herausgeberinnen und Herausgeber

deutsch-jüdischen Literatur, zur Lyrik der Moderne, zur Erzählliteratur des Realismus  ; Herausgeber der Reihe Conditio Judaica im Verlag Walter de Gruyter, Mitherausgeber der Zeitschrift Aschkenas. Caroline Jessen arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Literaturarchiv Marbach für das Projekt »Autorenbibliotheken« des Forschungsverbunds Marbach Weimar Wolfenbüttel. Von 2012 bis 2015 koordinierte sie für das Deutschen Literaturarchiv und das Rosenzweig Minerva Forschungszentrum das Projekt »Spuren deutsch-jüdischer Geschichte« zur Erschließung deutschsprachiger Archivbestände in Israel. Zu Karl Wolfskehl erschien von ihr Überlebsel. Karl Wolfskehls Bibliothek und ihre Zerstreuung (Zeitschrift für Ideengeschichte, 2017). Jin Yang ist Professorin (Ordinaria) für Germanistik und Leiterin des Germanistischen Instituts der School of Foreign Languages von der Sun Yat-Sen University in Kanton in der Volksrepublik China. Sie lernte Mark Gelber auf der internationalen Konferenz über Stefan Zweig an der Renmin University in Peking im Jahr 2012 kennen. Sie promovierte 2009 an der Humboldt-Universität zu Berlin und ist Autorin u. a. von »Innige Qual«. Hugo von Hofmannsthals Poetik des Schmerzes (Königshausen & Neumann, 2010). Ruth Klüger (Ruth Kluger) ist die Autorin von Weiter leben, eine Erinnerung an den Holocaust, die zum Bestseller wurde. Sie wurde in Österreich geboren, emigrierte 1947 in die Vereinigten Staaten, studierte englische und deutsche Literatur am Hunter College in New York und an der University of California in Berkeley (Ph. D. in Germanistik), lehrte an mehreren Universitäten und publizierte Bücher und Essays zur deutschen Literatur. Sie erhielt zahlreiche literarische Preise und ist emeritierte Professorin für Germanistik an der University of California Irvine. Sie ist eine langjährige Freundin von Mark Gelber und seiner Familie. Gerald Lamprecht ist Historiker und Leiter des Centrums für Jüdische Studien der Karl-Franzens-Universität Graz. Gemeinsam mit Olaf Terpitz ist er Herausgeber der Schriften des Centrums für Jüdische Studien, in denen 2014 Mark Gelbers Band Stefan Zweig. Judentum und Zionismus erschienen ist. Er ist Autor u. a. von Fremd in der eigenen Stadt. Die moderne jüdische Gemeinde von Graz vor dem Ersten Weltkrieg (Studienverlag, 2007) und Herausgeber von Gerschon Schoffmann. Nicht für immer. Erzählungen (Literaturverlag Droschl, 2017)



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Aaron Landau ist Senior Lecturer am Department of Foreign Literatures and Linguistics der Ben-Gurion University of the Negev, wo er vor allem moderne Englische Literatur unterrichtet, insbesondere Shakespears Dramen. Er hat unter anderem zu Shakespeare, Cervantes, Dickens, britischer Literatur über Südamerika und kritischer Theorie des 20. Jahrhunderts publiziert. June Leavitt ist eine amerikanisch-israelische freie Autorin und Forscherin, die sowohl Erzählliteratur, als auch Erinnerungen, von denen einige ins Deutsche übersetzt wurden, wissenschaftliche Aufsätze und Monographien veröffentlicht hat. Auch ihre Master- und ihre Doktorarbeit, die beide unter der Mentorschaft von Mark Gelber entstandenen sind, wurden publiziert  : Esoteric Symbols  : The Tarot in Yeats Eliot and Kafka (University Press of America, 2007) und The Mys­ tical Life of Franz Kafka  : Theosophy, Cabala and the Modern Spiritual Revival (Oxford University Press, 2012). Sie unterrichtet regelmäßig Kurse über mystische literarische Traditionen im Overseas Program der Ben-Gurion University of the Negev. Vivian Liska ist Professorin für deutsche Literatur und Direktorin des Instituts für Jüdische Studien an der Universität Antwerpen, Belgien. Seit 2013 ist sie auch Distinguished Visiting Professor an der Hebrew University, Jerusalem. Sie ist seit 1995 mit Mark Gelber befreundet und seit vielen Jahren seine Kollegin und Mitherausgeberin. Sie ist Autorin u. a. von When Kafka Says We. Uncommon Communities in German-Jewish Literature (Indiana University Press, 2009) und German-Jewish Thought and its Afterlife  : A Tenuous Legacy (Indiana University Press, 2017). Małgorzata A. Maksymiak ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Rostock und promovierte 2009 an der Ben-Gurion Universität in Beer Sheva bei Mark Gelber mit einer Arbeit, die 2015 unter dem Titel Mental Maps im Zionismus. Ost und West in Konzepten einer jüdischen Nation vor 1914 (edition lumière) erschien. Zurzeit arbeitet sie an einer Monographie über die deutsche Furcht vor dem Osten, in der sie der Entstehung und Etablierung des Bildes der sogenannten »Ostjuden« in der Zeit von 1772–1897 nachgeht. Als Mitarbeiterin in dem DFG-geförderten Projekt zu Erschließung und Digitalisierung des Nachlasses von Oluf Gerhard Tychsen (1734–1815) erschließt sie paläographisch die jüdischen Handschriften des Archivs. Karl Müller ist Universitätsprofessor i. R. für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Salzburg. Er ist Vorsitzender der Theodor-Kramer-Gesellschaft (seit 1996), Mitglied des P.E.N.-Clubs, Mitglied des Stefan Zweig Zentrums und des

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Autorinnen und Autoren, Herausgeberinnen und Herausgeber

Zentrums für Jüdische Kulturgeschichte der Universität Salzburg sowie Leiter des Online-Projektes Österreichische SchriftstellerInnen des Exils seit 1933. Karl Müller ist Träger des Wissenschaftspreises der Stadt Salzburg (1998) und des Großen Verdienstzeichens des Landes Salzburg (2010). Arbeiten u. a. zur literarischen Antimoderne Österreichs seit den 1930er Jahren, zum rot-weiß-roten Kulturkampf gegen die Moderne, zur Literatur der Inneren Emigration, zur jiddischen Kultur und Literatur aus Österreich, zu Diaspora-Exil, Krieg und Literatur, zu »Heimat«, zu den Salzburger Festspielen, zu Ödön von Horváth, Stefan Zweig, Theodor Kramer, Mira Lobe, Fred Wander, Hans Schwerte und Jean Améry. Howard Needler ist Professor Emeritus of Letters an der Wesleyan University, wo er von 1969 bis 2012 gelehrt hat und einer von Mark Gelbers Lehrer am College of Letters war. Zu seinen Publikationen gehören Saint Francis and Saint Dominic in the Divine Comedy (Schriften und Vorträge des Petrarca-Instituts an der Universität Köln, Bd. XXIII, Scherpe, 1969) und (mit Norman Shapiro) Fables from Old French (Wesleyan University Press, 1982) Derzeit befasst er sich mit der Englischen Übersetzung provenzalischer Troubadour-Dichtung. Chaim Noll wurde unter dem Namen Hans Noll in Ostberlin geboren und studierte dort Kunst und Kunstgeschichte, bevor er Anfang der 1980er Jahre den Wehrdienst in der DDR verweigerte und 1983 nach Westberlin ausreiste. 1991 verließ er mit seiner Familie Deutschland und lebte in Rom. Seit 1995 lebt er in Israel, in der Wüste Negev. 1998 erhielt er die israelische Staatsbürgerschaft. Chaim Noll unterrichtet neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit an der Universität Beer-Sheva. Veröffentlichungen, u. a.: Der Abschied (Hoffmann und Campe, 1985), Berliner Scharade (Hoffmann und Campe, 1987), Der goldene Löffel (Deutsche Verlags-Anstalt, 1989), Nachtgedanken über Deutschland (Rowohlt, 1992), Feuer (Verbrecher-Verlag, 2010), Schlaflos in Tel Aviv (Verbrecher-Verlag, 2016). Stephan Resch ist Senior Lecturer in German an der University of Auckland, Neuseeland. Er arbeitete mit Mark Gelber an mehreren Projekten zu Stefan Zweig zusammen und organisierte die Einladung Mark Gelbers als Distinguished Academic Visitor nach Auckland. Er ist Autor u. a. von Stefan Zweig und der Europa-Gedanke (Könighausen & Neumann, 2017) und Provoziertes Schreiben – Drogen in der deutschsprachigen Literatur (Peter Lang Verlag, 2007). Na’ama Rokem lehrt hebräische und vergleichende Literaturwissenschaft an der University of Chicago. Sie war von 2007 bis 2008 Kreitman Postdoctoral Fellow an der Ben-Gurion University of the Negev, unter Mark Gelbers Mentorschaft.



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Sie ist die Autorin von Prosaic Conditions  : Heinrich Heine and the Spaces of Zionist Literature (Northwestern University Press, 2013). Tuvia Ruebner 1924 in Bratislava-Pressburg in einer liberal-jüdischen Familie geboren, der Vater war Direktor der Pressburger Filiale von Schenker und Co., besuchte ich die evangelische Volksschule, die den besten Namen hatte und nachher das deutsche Staatsrealgymnasium, bis Juden in der hitlerhörigen Slowakei nicht mehr zugelassen wurden  ; ein letztes Jahr das slowakische Gymnasium. Aus dem jüdischen Schwimmklub Bar Kochba Bratislava, von einem Trainer zusammen mit anderen Jugendlichen in die zionistische Jugendbewegung Haschomer Hazair gebracht, habe ich dadurch später meine Lebensrettung zu verdanken. Von allen Schulen und Handwerksstellen ausgeschlossen (kurz arbeitete ich illegal bei einem Elektriker, der eine Jüdin zur Frau hatte) organisierte der Haschomer Hazair eine Hachschara (Vorbereitung auf Palästina), und ich war zuerst Feldgärtner in der Südslowakei, nach Kriegsausbruch Elektrikerlehrling in der Mittelslowakei (Banska Bystrica). 1941 kam völlig überraschend die Nachricht, dass neun Jugendlichen aus dem Haschomer Hazair, 17jährig, Jugendeinwanderungszertifikate zur Verfügung ständen, wenn die Eltern genügend Bestechungsgeld aufbringen können. Meine Schwester war zu jung. Ende April verließen wir neun Bratislava. 12 Monate später wurden Eltern, Schwester und Grosseltern in Auschwitz vergast. Ich lebe im Kibbuz Merchavia, leistete zuerst landwirtschaftliche Arbeit, später unterrichtete ich Allgemeine Literatur in den oberen Klassen der Mittelschule, nachher an einem Lehrerseminar, nachher an den Universitäten Tel Aviv und Haifa, ohne je eine weitere Ausbildung als mein acht Schulklassen erfahren zu haben, hilfs meinen beiden Mentoren Ludwig Strauss und Werner Kraft, denen ich meine geistige Existenz verdanke. Meine akademische Laufbahn beendete ich als Professor. Ich schrieb schon in meinen jungen Jahren, meistens Kurzgeschichten, die ich im deutschen Gymnasium der Klasse montags vorzulesen hatte. In Palästina, dem späteren Israel, schrieb ich 12 Jahre deutsche Gedichte, häufig in der griechischen Odenform. Seit 1953 schreibe ich Ivrith und später in beiden Sprachen. Ich erhielt verschiedene Preise, u. a. den Israelpreis, die höchste Auszeichnung, und 2012 den Adenauerpreis. Ich wurde in einige Sprachen übersetzt und gab noch vor kurzem ein Haiku-Buch heraus. Ich bin seit 1953 mit meiner zweiten Frau, Galila, einer Konzertpianistin, verheiratet, nachdem meine erste Frau, Ada, 1950 bei einem Busunglück umkam und ich drei Monate mit Verbrennungen im Spital lag. Die Tochter meiner ersten Frau, Miriam, lebt in Island und hat drei Kinder und fünf Enkelkinder. Unser Sohn, Idan, lebt in Nepal und ist Vadjarana-Buddhist. Sein jüngerer Bru-

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Autorinnen und Autoren, Herausgeberinnen und Herausgeber

der, Moran, ist 1983 nachdem er uns in Harvard, wo ich mein sabbatical hatte, besuchte, spurlos im Ecuador auf einer Ausflugsreise verschollen. Jeffrey L. Sammons promovierte 1962 an der Yale University, war 1961–1964 Instructor an der Brown University, 1964–1967 Assistant Professor, 1967–1969 Associate Professor und 1969–2001 Professor an der Yale University. Seit 1979 war er dort Leavenworth Professor of Germanic Language and Literatures und von 1969–1977 sowie von 1988–1991 Leiter des Departments. Von 1971–1973 war er Guggenheim Fellow. Jeffrey Sammons war Lehrer und »Doktorvater« von Mark Gelber an der Yale University. Ausgewählte Buchpublikationen  : Heinrich Heine  : The Elusive Poet (Yale University Press, 1969)  ; Six Essays on the Young German Novel (The University of North Carolina Press, 1972)  ; Heinrich Heine  : A Modern Biography (Princeton University Press, 1979)  ; Wilhelm Raabe  : The Fiction of the Alternative Community (Princeton University Press, 1987)  ; Ideology, Mimesis, Fantasy  : Charles Sealsfield, Friedrich Gerstäcker, Karl May, and Other German Novelists of America (The University of North Carolina Press, 1998)  ; Friedrich Spielhagen  : Novelist of Germany’s False Dawn (Niemeyer, 2004)  ; Heinrich Heine  : Alternative Perspectives 1985–2005 (Königshausen & Neumann, 2006)  ; Kuno Francke’s Edition of The German Classics 1913–1915  : A Critical and Historical Overview (Lang, 2009). Kerstin Schoor ist Professorin für deutsch-jüdische Literatur- und Kulturgeschichte, Exil und Migration an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und Mitglied im Direktorium des Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg. Beide Institutionen pflegen enge Kontakte mit Mark Gelber und dem Center für German Studies der Ben-Gurion Universität in Beer-Sheva. Kerstin Schoor ist u. a. Autorin des Buches Vom literarischen Zentrum zum literarischen Ghetto  : Deutsch-jüdische literarische Kultur in Berlin zwischen 1933 und 1945 (Wallstein, 2010). Alana Sobelman ist Lecturer für Englische Literatur an der Ben-Gurion University of the Negev. Sie schrieb ihre Doktorarbeit über die autobiographischen Schriften von Sarah Kofman und Peter Gay bei Mark Gelber. Zu ihren jüngsten Publikationen zählen Arnold Schoenberg’s Jewish Veil  : The Workings of Anti-Semitic Rhetoric in Die glückliche Hand, Op. 18 (1913) in Jewish Aspects in Avant-Garde  : Between Rebellion and Revelation (De Gruyter, 2017) und Binding Words  : Sarah Kofman, Maurice Blanchot, Franz Kafka, and the Holocaust, in  : Kafka after Kafka  : From the Holocaust to Post-Modernity (Camden House, 2018).



Autorinnen und Autoren, Herausgeberinnen und Herausgeber 

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Monica Tempian ist Senior Lecturer an der Victoria University of Wellington. 2011 und 2014 hatte sie die Gelegenheit, Mark Gelber für Gastvorträge nach Wellington einzuladen. Sie ist Mitherausgeberin von Haschen nach Wind. Manfred Winkler – Die Gedichte (Arco Verlag, 2017), The Young Victims of the Nazi Regime  : Migration, the Holocaust, and Postwar Displacement (Bloomsbury 2016), und Autorin von Minnie Maria Korten  : Ein Schauspielerleben rund um die Welt (Königshausen & Neumann, 2015). Birger Vanwesenbeeck ist Associate Professor für Englisch an der State University of New York at Fredonia. Er ist Mitherausgeber (mit Mark Gelber) von Stefan Zweig and World Literature (Camden, 2015) und (mit Crystal Alberts und Christopher Leise) von William Gaddis, »The Last of Something«  : Critical Essays (McFarland & Company, 2009). Aufsätze und Rezensionen von ihm erschienen in Postmodern Culture, Mosaic, Journal of Austrian Studies und Los Angeles Review of Books. Derzeit arbeitet er an einer Monographie über die Verbindungen zwischen Trauer und Übersetzung. Stefan Vogt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Martin-Buber-Professur und Privatdozent am Historischen Seminar, beides an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Im Sommersemester 2018 war er Gastprofessor für Israelstudien an der Universität Potsdam. Von 2009 bis 2011 war er Postdoc bei Mark Gelber am Center für German Studies der Ben-Gurion Universität in Beer Sheva. Er ist Autor u. a. von Subalterne Positionierungen. Der deutsche Zionismus imFeld des Nationalismus in Deutschland, 1890-1933 (Wallstein-Verlag, 2016). Irmela von der Lühe, Professorin (a. D.) für Neuere Deutsche Literatur an der Freien Universität Berlin und (seit Oktober 2013) Senior Advisor am Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg. Forschungsschwerpunkte im Bereich der deutsch-jüdischen Literatur- und Kulturgeschichte, der Literatur des Exils und der Shoah, der Literaturgeschichte weiblicher Autorschaft sowie der Thomas Mann-Familie. Jüngste Veröffentlichung  : (mit HansRichard Brittnacher)  : Kriegstaumel und Pazifismus. Jüdische Intellektuelle im Ersten Weltkrieg (Edition Peter Lang, 2016). Zhang Yi studierte Germanistik an der Peking-Universität, an der Ludwig-Maximilians-Universität München und an der University of Maryland at College Park und promovierte im September 2000. Sie ist zur Zeit Ordinaria und Dekanin an der Deutschabteilung der Renmin-Universität China in Peking und Direktorin des Deutschlandforschungszentrums der Renmin-Universität China. Sie ist Mitherausgerberin der Zeitschrift Deutsche Literatur und Literaturkritik.