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German Pages 392 [394] Year 2021
Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament Herausgegeben von Walter Dietrich Ruth Scoralick Reinhard von Bendemann Marlis Gielen Band 231
Helmut Merkel
Wege und Irrwege zum historischen Jesus Herausgegeben von Peter Pilhofer
Verlag W. Kohlhammer
1. Auflage 2022 Alle Rechte vorbehalten © W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Print: ISBN 978-3-17-040036-8 E-Book-Format: pdf: ISBN 978-3-17-040037-5 Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Meiner Frau und unseren Kindern gewidmet
Vorwort Der Systematiker Bernard Sesboüé überliefert das Diktum eines anonymen Philosophen: „Wenn eine wissenschaftliche Theorie durch eine andere ersetzt wird, heißt das nicht zwangsläufig, daß die neue mehr Wahrheit enthält als die Vorgängerin; es heißt aber sicher, daß die Generation der Vertreter der Vorgängertheorie abgetreten ist.“1 Als ich vor Jahren das Studium der Theologie aufnahm, war die Frage nach dem historischen Jesus auf der Tagesordnung. Käsemann, Bornkamm, Kümmel, Jeremias, etwas später Hahn, Hengel, Gnilka und Merklein bestimmten das Gespräch. Sie alle sind nicht mehr unter uns, und ihre Einsichten und Problemlösungen geraten in Vergessenheit, oft ohne durch Besseres ersetzt zu werden. Seit gut Jahren werden dazu aus den USA, dem Land des grenzenlosen Subjektivismus, immer neue Denkgebote und Denkverbote importiert, die Erreichtes als veraltet deklarieren. Daher bin ich als einer der letzten noch am Rande zu der Generation der seinerzeit „neuen Frage nach Jesus“ Gehörigen den Herausgebern der BWANT, insbesondere Frau Kollegin Marlis Gielen und Herrn Kollegen Reinhard von Bendemann, außerordentlich dankbar, daß sie mein gegen den Trend gerichtetes Votum aufgenommen haben. Dem Beispiel bedeutender Kollegen folgend werden die früheren Aufsätze unverändert nachgedruckt.2 Umfangreiche Literaturnachträge zu bringen halte ich nicht für nützlich. Stattdessen habe ich in dem kleinen Essay „Ein Weg zum historischen Jesus“ auf einige mir bemerkenswert erscheinende Arbeiten hingewiesen und einige Retractationes vorgebracht.3 Mein herzlicher Dank gilt dem Kollegen und Freund Peter Pilhofer. Er hat den Band angeregt und zusammen mit Rebecca Weidinger keine Mühe gescheut, das Manuskript auf den Weg zu bringen.4 Dem Verlag Kohlhammer danke ich für die freundliche Zusammenarbeit. Osnabrück, im Juni
Helmut Merkel
1 B. Sesboüé, La question de Jésus historique au regard de la foi, in: D. Marguerat/E. Norelli/J.-P. Poffet (Hgg.), Jésus de Nazareth. Nouvelles approches d’une énigme, Genf , , A. . 2 Für die Genehmigung insbesondere des Nachdrucks meines umfangreichen Forschungsberichts aus der ThR bin ich dem Verlag Mohr Siebeck in Tübingen zu Dank verpflichtet. 3 Dazu vgl. unten S. IX bis XXI. 4 [Als Herausgeber füge ich einige Details an: Frau Weidinger hat nicht nur die alten Dateien mit beharrlicher Gründlichkeit in TEX/LATEX verwandelt, sondern auch die Register erstellt, wofür ihr alle Benutzer und Benutzerinnen des Buches dankbar sein werden. Der TEX-Stammtisch in Erlangen hat unter der Leitung von Walter Schmidt in seit Jahren bewährter Weise unsere Probleme immer wieder einer Lösung zugeführt. Dr. Philipp Pilhofer (Berlin) hat die unerläßliche SVN-Plattform erstellt und alle kurzfristig auftretenden Schwierigkeiten umgehend zuverlässig gelöst. P. P.]
Inhaltsverzeichnis
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
Einleitung: Ein Weg zum historischen Jesus . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XI
I
Jesus und die Pharisäer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II
Markus ,: Das Jesuswort über die innere Verunreinigung . . . . . . .
III
Peter’s Curse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV
War Jesus ein Revolutionär? Die jüdische Widerstandsbewegung zur Zeit Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
Ein melancholischer Bankrott: Zu Rudolf Augsteins Buch »Jesus Menschensohn« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VI
Jesus im Widerstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII The opposition between Jesus and Judaism . . . . . . . . . . . . . . . .
VIII Die Gottesherrschaft in der Verkündigung Jesu . . . . . . . . . . . . .
IX
„Zu Bethlehem geboren . . . “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
X
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach . . . . . . . . . . . . . . . .
XI
Markus ,f.: Tempelreinigung oder Tempelblasphemie? . . . . . . . .
XII Jesus und die Tora. Eine forschungsgeschichtliche Skizze von Reimarus zu Wellhausen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliographie Helmut Merkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Indices . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Liste der Erstveröffentlichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Einleitung Ein Weg zum historischen Jesus Im September , kurz vor Aufnahme des Studiums der Theologie und Latinistik an der Universität Erlangen, suchte ich den Dekan meines Heimatstädtchens auf, um mir Rat für den Besuch der Vorlesungen zu holen. Natürlich sollte ich mit Exegese beginnen; aus Termingründen empfahl sich das Neue Testament. Ethelbert Stauffer las Matthäusevangelium, Gerhard Friedrich Theologie des NT. Ein Exegeticum schien zwar das Gebotene zu sein, aber bei Stauffer . . . Nach einigem Hin und Her meinte mein Ratgeber: „Geh’ lieber nicht zu Stauffer, damit es keine Verwirrung gibt!“ Ziemlich genau vier Jahre später übertrug mir Stauffer die „Verwaltung der Dienstgeschäfte eines wissenschaftlichen Assistenten“ – so hieß es bei nicht Promovierten – am Seminar für Geschichte des Urchristentums. Wie konnte es dazu kommen? Selbstverständlich saß ich am ersten Tag meines Studiums im überfüllten Hörsaal bei Friedrich, erfuhr aber schon in den ersten Minuten, daß Leute wie ich hier fehl am Platze seien und frühestens in vier Semestern diese Vorlesung hören sollten. So ging ich ins Matthäus-Kolleg Stauffers. Die betuliche Apologetik, die er der Weihnachtsgeschichte angedeihen ließ, konnte kein Anlaß zu Verwirrung werden. Aber seine sehr kritische Exegese der Bergpredigt bewirkte gerade das Gegenteil: Ein Jesus, der streitbar war und fromme Konventionen hinterfragte, faszinierte mich. Daß man manches auch anders bewerten konnte, erfuhr ich sehr schnell durch das Jesusbuch Günther Bornkamms1 ; der dort gezeichnete Jesus erschien mir freilich recht zögerlich und etwas konventionell. So wollte ich mir ein persönliches Bild machen und wechselte zum Sommersemester nach Heidelberg – aber Bornkamm hatte ein Freisemester. Weiterführende Impulse gaben Aufsätze von Ernst Käsemann2 und Werner Georg Kümmel3 . Käsemann übte unter der Überschrift „Die Fortsetzung der alten LebenJesu-Forschung“4 zwar energische Kritik an Joachim Jeremias, traf aber damit auch Stauffer; allerdings sah er die Torakritik Jesu ähnlich wie Stauffer.5 Kümmel setzte sich mit Stauffer unter methodischem Aspekt auseinander. Diese ernsthaften Beden1
G. Bornkamm, Jesus von Nazareth, / (Urban-Tb. ). E. Käsemann, Das Problem des historischen Jesus, in: Ders., Exegetische Versuche und Besinnungen I, Göttingen , –; Ders., Sackgassen im Streit um den historischen Jesus, in: Ders., Exegetische Versuche und Besinnungen II, Göttingen , –. 3 W. G. Kümmel, Diakritik zwischen Jesus von Nazareth und dem Christusbild der Urkirche (), in: Ders., Heilsgeschehen und Geschichte. Gesammelte Aufsätze –, hg. v. E. Grässer, O. Merk und A. Fritz, Marburg , –; Ders., Das Problem des geschichtlichen Jesus in der gegenwärtigen Forschungslage (), ebd., –. 4 E. Käsemann, Sackgassen im Streit um den historischen Jesus, a. Anm. a. O., ff. 5 Ibid. . 2
Einleitung
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ken und die Tatsache, daß Stauffer seinen Jesus immer stärker als agent provocateur zeichnete6 , veranlaßten mich, meine Verbindung zu Stauffer zu lösen. Der Kirchengeschichtler Walther von Loewenich wurde mein Mentor und väterlicher Freund. Ich hatte bei ihm als Student mehrere Seminare besucht; eine Dissertation auf dem Gebiet der Patristik lag angesichts meines Zweitfaches Latein nahe. In den Jahren – war ich Assistent von Martin Hengel, dem ich vielerlei Förderung verdanke. Er hat nicht nur im Oberseminar, sondern auch sonst die Jungen an seiner Forschungsarbeit teilhaben lassen. Ein Dokument dieser Zusammenarbeit ist der Aufsatz über Mt 7 , dessen wichtigste Ergebnisse ich in einem späteren hochschulöffentlichen Vortrag verwendet habe.8 Daß mich die Frage nach dem historischen Jesus nicht loslassen würde, stand fest. Die z. T. abgehobenen Diskussionen, ob man nicht von der historischen Jesusfrage oder von der Frage nach dem irdischen Jesus oder noch besser von der Frage nach Jesus von Nazareth oder am besten von der Frage nach dem „wirklichen Jesus“ sprechen sollte, halte ich für Glasperlenspielerei. Zunächst haben wir in den vier Evangelien die vier ältesten Jesusbilder der frühen Christenheit. Sie sind „aus Glauben auf Glauben hin“ geschrieben worden. Aber seit Wellhausen und den Formgeschichtlern wissen wir, daß diese Bilder den Mosaiken gleichen, d. h. daß sie aus vielen kleinen Stücken zusammengesetzt sind. Also gilt es, diese „kleinen Einheiten“ für sich historisch-kritisch zu bearbeiten. Ein klassisches Beispiel ist Martin Hengels „Nachfolge und Charisma“9 , das leider zu wenig Nachfolge gefunden hat. Die kleinen Einheiten wird man unschwer von kleinen Übermalungen befreien und dann mit einer vernünftigen Kriteriologie auf ihren Erinnerungswert befragen können. Über dieses Problem habe ich mich in meinem Forschungsbericht ausführlich geäußert.10 Im Vorübergehen notiere ich, daß auch jüngere Fachkollegen kriteriengeleitete Untersuchungen noch für richtig halten.11 Ob man dann die historisch mehr oder weniger gesicherten Überlieferungsstücke mit historischer Intuition wieder zu einem eigenen Ganzen zusammenfügen soll, ist mir fraglich. erschien mein erster Aufsatz „Jesus und die Pharisäer“12 , entstanden noch in der Zeit der Klärung meiner Position. Das Thema war damals en vogue, besonders durch den jüdischen Gelehrten Paul Winter, auf der Gegenseite standen Käsemann, Kümmel und Stauffer. Es zeigte sich in dieser Frage ein begründeter exegetischer Konsens zwischen Tübingen, Marburg und Erlangen: Jesus stand in scharfem Gegensatz zu den Pharisäern. Zu diesem Ergebnis kam auch M. Hengel in seiner etwa gleich-
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E. Stauffer, Jesus war ganz anders, Hamburg . M. Hengel/H. Merkel, Die Magier aus dem Osten und die Flucht nach Ägypten (Mt ) im Rahmen der antiken Religionsgeschichte und der Theologie des Matthäus, in: P. Hoffmann u. a. (Hgg.), Orientierung an Jesus. Zur Theologie der Synoptiker. Festschrift für Josef Schmid, , –. 8 Siehe in diesem Band S. –. 9 M. Hengel, Nachfolge und Charisma, Berlin/New York (BZNW ). 10 Siehe in diesem Band S. –. 11 T. Hägerland, The Future of Criteria in Historical Jesus Research, JSHJ , , –. 12 In diesem Band S. –. 7
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zeitig erschienenen Studie „Nachfolge und Charisma“.13 In der historisch-kritischen Jesusforschung wurde die Pharisäerthese nicht mehr vertreten. Freilich blieb die Distanzierung unterschiedlich gewichtet, wie die drei wichtigsten Jesusbücher dieser Forschungsepoche zeigen. Die deutlichste Aussage bietet J. Becker, zurückhaltender urteilen J. Gnilka und M. Hengel/A. M. Schwemer. Dementsprechend unterschiedlich wird auch die Torakritik Jesu beurteilt.14
* * * erhielt ich die Einladung zu einem Beitrag in einem von C. F. D. Moule und Ernst Bammel geplanten Sammelband „Jesus and the Politics of His Day“. Arbeitstitel: „The clash between Jesus and Judaism“. Das Thema war mir, immer noch auf der Suche nach dem für Jesus Charakteristischem, Eigenem, wichtig, aber zu schroff formuliert; so einigte ich mich mit Bammel auf die gemäßigte Formulierung „The Opposition between Jesus and Judaism“. Das wäre nicht nötig gewesen, wenn ich damals schon das richtige Verständnis der sogenannten Tempelreinigung gehabt hätte. Die Bedenken gegen die Historizität dieses Vorfalls, die schon Origenes geäußert hatte, standen mir ebenso im Wege wie die Unwahrscheinlichkeit der Annahme, Jesus habe sich für den ihm sonst gleichgültigen Tempelkult engagiert. Zur weiteren Vorgeschichte meiner neuen Auffassung habe ich mich im Aufsatz über Mk ,f. geäußert.15 Leider findet sich das Fehlurteil noch in meinem Forschungsbericht.16 So habe ich die Thematik meines ersten Aufsatzes hier auf breiterer Basis weitergeführt. Das Ergebnis: Jesus stand über Gesetzesfragen in Opposition zum Judentum seiner Zeit, v. a. zum Pharisäismus, schien gesichert. Allerdings erschien der Aufsatzband erst 17 – da kam gerade das judenchristliche Jesusbild aus den USA, the Third Quest. In Deutschland machte in den er Jahren v. a. der jüdische Publizist Pinchas Lapide Furore mit der in jüdischer Jesusliteratur seit Abraham Geiger meist vertretenen These vom Pharisäer Jesus.18 Dagegen habe ich in einem Aufsatz Widerspruch eingelegt und das methodische Ungenügen der Arbeit Lapides aufgezeigt.19 Im gleichen Jahr wie „Jesus und die Pharisäer“ erschien mein Aufsatz über Mk ,, der sich einem besonders umstrittenen Einzelproblem widmete:20 der kultischen Reinheit, die für die nachexilische Theologie besonders wichtig war und einen Lebensnerv des Pharisäismus bedeutete. Bei Anwendung des „Unableitbarkeitskrite13
Vgl. oben Anm. . J. Becker, Jesus von Nazareth, Berlin/New York , –; J. Gnilka, Jesus von Nazaret. Botschaft und Geschichte, Freiburg usw. , –; M. Hengel/A. M. Schwemer, Jesus und das Judentum, Tübingen , f., ff. 15 Siehe in diesem Band S. –. 16 In diesem Band S. –; hier S. und S. . 17 E. Bammel/C. F. D. Moule (Hgg.), Jesus and the Politics of His Day, Cambridge . 18 Z. B. Jesus in Israel, Gladbeck ; Der Rabbi aus Nazareth. Wandlungen des jüdischen Jesusbildes, Trier ; Er wandelte nicht auf dem Meer, Gütersloh . 19 Jesus im Widerstreit. In diesem Band S. –. 20 Markus ,: Das Jesuswort über die innere Verunreinigung, in diesem Band Seite –. 14
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Einleitung
riums“ schien mir nur der erste Teil des Logions jesuanisch zu sein, während die Aussage von der „inneren Unreinheit“ im zweiten Teil durchaus ableitbar und damit als paränetischer Zusatz zu beurteilen ist. Und W. G. Kümmel hat die Echtheit der Torakritik bestätigt, aber meine Begründung für die „Teilung“ kritisiert.21 Ich räumte schon früher ein, daß tatsächlich nur das Unableitbarkeitskriterium wirklich sticht,22 bin aber aufgrund meiner seit sicheren Auffassung von der sogenannten Tempelreinigung als kultkritischer Aktion nach wie vor überzeugt, daß Jesus keine gedanklichen Anleihen beim Kult gemacht hat. Die Kritik an der Reinheitstora durch Jesus ist bis in die er Jahre des vorigen Jahrhunderts weithin anerkannt worden, wenn auch unterschiedlich akzentuiert. Auf vier Irrwege möchte ich hinweisen. a) Es kann semitischer Idiomatik entsprechen, daß die Aussage „Nicht A, sondern B“ keine absolute Negation von A bedeutet, sondern nur eine relative, aber „B ist wichtiger als A“. Unter Rückgriff auf diese in dem (ursprünglichen) aramäischen Jesuswort möglicherweise gemeinten Sinn wollen v. a. angelsächsische Autoren23 Mk , so deuten, daß die innere Reinheit wichtiger sei als die äußere. Also müßte man annehmen, daß das ursprüngliche Jesuswort falsch übersetzt wurde; denn dem griechischen Wortlaut ist eine „dialektische Negation“ absolut nicht zu entnehmen. Was nötigt aber zur Annahme einer Fehlübersetzung? Nichts – denn Jesu unbefangener Umgang mit „Zöllnern und Sündern“ und Kranken aller Art gehört doch zu den bestbezeugten Zügen seines Verhaltens! b) Einen anderen Notausgang hat sich James D. G. Dunn geschaffen.24 Von seinem Konzept des „Jesus remembered“ aus meint er, die mildere Fassung des Logions in Mt , stamme aus altem Erinnerungsgut. Dazu kann ich mir nur die zornige Kritik John P. Meiers zu eigen machen: „It is a shame that recent . . . emphasis on the ongoing influences of oral tradition in the st-century-church has led some exegetes to forget or to ignore the valuable insight gained by redaction criticism, especially the work done on Matthew’s redaction of Mark in the s and s.“25 c) Ebenso scharf muß ich über den Umdeutungsversuch von Wolfgang Stegemann urteilen. Er stützt sich zwar auf zwei jüdische Forscher26 , aber es ist ein Rückschritt 21 W. G. Kümmel, Äussere und innere Reinheit des Menschen bei Jesus, in: H. Balz/S. Schulz (Hgg.), Das Wort und die Wörter, Festschrift G. Friedrich, Stuttgart usw. , – = W. G. Kümmel, Heilsgeschehen und Geschichte, Bd. , –. 22 Vgl. in diesem Band Seite –, hier Seite , Anm. . Ich merke an, daß J. Sauer mit anderer Begründung „den den Kommentar [Mk ] b ff. erst ermöglichenden V. [Mk ] b für die früheste Ausdeutung des Logions [Mk ] a*“ hält; allerdings beurteilt er Mk ,a als späte Gemeindebildung. S. J. Sauer, Rückkehr und Vollendung des Heils, Regensburg , f. –. 23 Literaturangaben bei J. P. Meier, A Marginal Jew, Bd. IV, Law and Lore, New Haven/London , S. , Anm. . 24 Jesus and ritual purity. A study of the tradition history of Mk ,, in: À cause de l’Évangile. Études sur les Synoptiques et les Actes, offertes à P. Jacques Dupont, O. S. B. à l’occasion de son e anniversaire, LD , , –. 25 J. Meier, a. Anm. a. O., . 26 Y. Furstenberg, Defilement Penetrating the Body. A New Understanding of Contamination in Mark :, NTS , , –; D. Boyarin, The Jewish Gospels. The Story of the Jewish Christ, New York . Aus diesen beiden Studien zieht Stegemann den Schluß: „Bei einer sorgfältigen Beachtung des markinischen literarischen Kontextes des Reinheitslogions und der biblischen bzw. historisch
Ein Weg zum historischen Jesus
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hinter die Evangelienanalyse von J. Wellhausen und K. L. Schmidt, wenn er mit diesen Gewährsleuten den Sinn von Mk , „zunächst und vor allem im Lichte der spezifischen, durch den Kontext insinuierten Umstände diskutiert.“27 Wenn ein Text nach Literarkritik ruft, dann Mk ,–. John P. Meier erklärt zu Recht: „One senses from the start that we may be dealing with various layers of tradition that have been secondarily put together.“28 d) Martin Ebner nützt den komplexen Charakter von Mk ,– zu einer neuen Hypothese aus.29 Als Ausgangspunkt soll es ein Apophthegma gegeben haben, das Mk ,f.*..*.* umfaßte. Damit ist natürlich schon vorentschieden, daß das Logion über die Verunreinigung sich auf das „Händewaschen“ und nicht etwa auf Speisegebote oder gar die gesamte Reinheitstora bezieht. Auf einer zweiten Überlieferungsstufe wurde das Apophthegma durch Kommentierung der einzelnen Teile des Logions (VV. –) bearbeitet und schließlich durch Markus in zwei Teile geteilt durch Einfügung von VV. –*, und im Zusammenhang damit wird das ursprüngliche Reinheitslogion von Mk neu formuliert – V. ! – und dabei inhaltlich generalisiert.30 M. E. wird dem Markus hier eine zu komplizierte Redaktionstätigkeit zugemutet. Simplex sigillum veritatis. Außerdem ist er nirgends sonst an einer Verschärfung der Gesetzeskritik interessiert. Es zeigt sich also auch hier, daß das gewünschte Ergebnis die Methode beeinflußt. Übrigens gibt Ebner den Sinngehalt des ursprünglichen Reinheitswortes Mk ,*.* so an: „Nicht beim Essen, sondern beim Sprechen verunreinigt sich der Mensch.“31 Das ist ein klarer Widerspruch zur Tora. Ebner schwächt ihn m. E. ohne stichhaltige Begründung ab, wenn er schreibt: „Selbst wenn unser Spruch in seiner sprachlichen Form pointiert die gängige Reinheitskonzeption in Abrede zu stellen scheint, realisiert er damit genau die Tatsache, die rückwirkend das vorausgesetzte jüdische Milieu bestätigt.“32 Es sei nämlich ein „typisch weisheitliches Anliegen, kultische Selbstverständlichkeiten bzw. kultische Standards, . . . zugunsten des zwischenmenschlichen Verhaltens zu hinterfragen und in ihrer absoluten Geltung zu relativieren“33 . Das trifft so zu, aber mir ist kein Beleg dafür bekannt, daß in der jürelevanten innerjüdischen Reinheitsdiskurse legt sich . . . nahe, dass der markinische Jesus fest auf dem Boden der schriftlichen Tora steht, während er den Pharisäern/Schriftgelehrten vorwirft, diesen verlassen zu haben.“ (a. Anm. a. O., f.) Kam hier das exegetische Gewissen des Autors zu Wort, das im Titel und im Prolog des Aufsatzes nicht durchschlug: all’ die aufgewandte Mühe kann höchstens den markinischen Jesus entdecken, nicht aber den „historischen“! NB: Auf die jüdische Jesusforschung hoffe ich in einer späteren Studie eingehen zu können. 27 W. Stegemann, Hat Jesus die Speisegebote der Tora aufgehoben?, in: P. v. Gemünden/D. G. Horrell/M. Küchler (Hgg.), Jesus – Gestalt und Gestaltungen. Rezeptionen des Galiläers in Wissenschaft, Kirche und Gesellschaft, Festschrift für G. Theißen zum . Geburtstag, Göttingen , – (NTOA/SUNT ). 28 J. P. Meier, A Marginal Jew, Bd. IV: Law and Love, New Haven/London , . 29 M. Ebner, Jesus – ein Weisheitslehrer? Synoptische Weisheitslogien im Traditionsprozeß, Freiburg usw. , – (HBS ). 30 M. Ebner, ibid. 31 Ibid. . 32 Ibid. . 33 Ibid. .
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Einleitung
dischen Weisheit die metaphorische Verwendung kultischer Terminologie die Wortbedeutung aufgehoben hätte. Selbst der jüdische Chefallegorist Philo tadelt „gewisse Leute“, die das wörtliche Verständnis der Gesetze gegenüber dem übertragenen vernachlässigen (de migr. Abr. f.). ῎Εδει γὰρ ἀµφοτ´ερων ἐπιµεληθῆναι. Man erinnert sich an Mt ,: Die jüdische und judenchristliche Haltung ist, das Wichtige zu tun und das nicht ganz so Wichtige nicht zu unterlassen. Jesus läßt sich nicht einfach in den „innerjüdischen Diskurs“ einbinden. Das ist das Ergebnis der Dissertation von Tom Holmén, die der Verlag Brill der ThR nicht zusandte und die mir leider erst nach Abschluß meines Forschungsberichtes bekannt wurde.34 Holmén geht aus von der Tatsache, daß das Theologumenon eines Bundes zwischen Gott und Israel für das Frühjudentum grundlegend wichtig war. Der verheißene Segen Gottes war aber an das Halten „des Gesetzes, der Satzungen und Rechte“ geknüpft (z. B. Dt ,–). Daher die Mahnung des Mose: „So tut nun getreulich, wie euch der Herr, euer Gott, geboten hat und weicht nicht zur Rechten noch zur Linken; genau auf dem Wege, den euch der Herr, euer Gott, geboten hat, sollt ihr gehen, auf daß ihr am Leben bleibt und es euch wohl ergehe . . . “ (Dt ,f.) Damit war die Aufgabe gestellt, genau den Weg zu finden, der der Bundessatzung entspricht. Holmén nennt das covenant path searching. So untersucht er die bekannten Streitgespäche u. a. darauf, ob sie etwas beitragen zum rechten Einhalten des Sabbat, zur korrekten Verzehntung oder zu berechtigten Scheidungsgründen und kommt zu dem gut begründeten Ergebnis: „All in all, Jesus appears to have refrained from the activity of path searching; in other words, trying to find out how to keep faithful to the various practices and beliefs of the Jewish faith appears not to have been important to Jesus. And this applies irrespectively of whether Jesus’ interpretations of the issues can be characterized as displaying Tora relaxation or Tora radicalisation, whether the issues themselves pertain to ritual (human-to-God relationship) of moral (human-to-human) matters, or whether they have haggadic or halakhic implications.“35 Holmén ist – trendgemäß – sehr darum bemüht, die Tragweite seines Ergebnisses einzuschränken: „A reading in terms of the question whether Jesus was for or against the various practices and beliefs . . . will not prove relevant here“.36 Bei dem Verbot der Ehescheidung und bei dem Gebot der Feindesliebe sieht er vorausgesetzt „a change of realities, a change of human being and the world he or she is living in“.37 Und das führt zu seiner – vorsichtig – vorgetragenen Lösung: Jesus denkt an den endzeitlichen Bund von Jeremia und Ezechiel. Dafür gibt es zwar keinen Beleg, aber mit dieser Hypothese vermeidet man „the formerly fashionable picture of Jesus as radically standing out from Judaism“38 . Es wäre bedauerlich, wenn die richtigen Beobachtungen Holméns einem Trend der Jesusforschung geopfert würden. Ich wähle das Thema Sabbat. Zunächst kann 34 T. Holmén, Jesus and Jewish Covenant Thinking, Leiden (bis ); einen Überblick über seine Arbeit gibt er in dem Aufsatz Jesus, Judaism and the Covenant, JSHJ , , –. 35 Jesus, Judaism and the Covenant (vgl. die vorige Anm.), . 36 Ibid. . 37 Ibid. . 38 Ibid. .
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man davon ausgehen, daß diese Überlieferungen im Prinzip vertrauenswürdig sind. Christopher Tuckett stellt in einer gründlichen, u. a. auch die Arbeit von Holmén berücksichtigenden Untersuchung fest: „There is . . . nothing really to support the theory that the Sabbath stories in the gospels are inauthentic and/or reflect the interests and concerns of early Christian communities.“39 Allerdings stellt er die Position Holméns in Frage, daß Jesus einfach indifferent gegenüber dem Sabbatgebot gewesen sei: „. . . Sabbath observance was universally accepted by all Jews of the time . . . Hence an attitude of indifference, of casual disinterest, would surely be a far more provocative act than staking a claim to some neutral middle ground between the two extremes.“40 Im Blick auf Mk , gilt: „. . . if Mk , is to be taken as reflecting the views of the historical Jesus, then the startling implication is almost that »doing good« overrides Sabbath obligations, in which case not working on the Sabbath is by implication excluded from the category of the »good« (whereas from a Jewish perspective, presumably the very presence of the command not to work on the Sabbath within the Torah [and the Decalogue!] defines not working as the primary »good« on the Sabbath).“41 Ich möchte diese Sicht an Hand von Mk , vertiefen. Zunächst schließe ich mich der Abwehr einer schöpfungstheologischen Überfrachtung dieses Logions durch Martin Ebner an und übernehme seine Übersetzung: „Der Sabbat ist wegen des Menschen da, und nicht der Mensch wegen des Sabbats.“42 Diese Zweckbestimmung des Sabbat widerspricht aber der in Ex ,– gegebenen: „Haltet nur ja meine Ruhetage! Denn das ist ein Zeichen zwischen mir und euch . . . damit man wisse, daß ich, der Herr, es bin, der euch heiligt. Darum haltet den Ruhetag; denn er muß euch heilig sein. Wer ihn entweiht, soll sterben . . . Sechs Tage darf man arbeiten; am siebten Tage aber ist hoher Feiertag, dem Herrn geweiht. Wer am Sabbattag arbeitete, der soll sterben. Darum sollen die Israeliten den Ruhetag halten . . . als immerwährende Verpflichtung. Er ist für die Zeiten ein Zeichen zwischen mir und den Israeliten. Denn in sechs Tagen hat der Herr den Himmel und die Erde gemacht; am siebenten Tage aber hat er geruht und sich erquickt“ (Übersetzung Zürcher Bibel). Auch in Dt ,– ist die theologische Begründung des Sabbat vorrangig. „Achte auf den Sabbattag, daß du ihn heilig haltest . . . der siebente Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott, geweiht . . . sei dessen eingedenk, daß du Sklave gewesen bist im Lande Ägypten und daß der Herr, dein Gott, dich von dannen herausgeführt hat mit starker Hand und ausgerecktem Arm. Darum hat dir der Herr, dein Gott, geboten, den Ruhetag zu halten“ (Zürcher Bibel). Daß das Gebot der Arbeitsruhe hier ausdrücklich auch auf Knechte, Mägde und Fremdlinge ausgedehnt wird, könnte mit der auch sonst bemerkbaren sozialen Einstellung des Dt zu tun haben, könnte aber auch dem Schutz der Heiligkeit des Tages dienen. Die Erinnerung an „Israel in 39 C. Tuckett, Jesus and the Sabbath, in: T. Holmén (Hg.), Jesus in Continuum, Tübingen , –; Zitat . 40 Ibid. . 41 Ibid. . 42 M. Ebner, a. Anm. a. O., . Dieselbe Übersetzung bietet auch die Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, Das Neue Testament, Stuttgart , z. St.
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Einleitung
Ägypten“ soll jedenfalls das große Heilsereignis des Exodus als Begründung für das Gebot angeben. Nirgends ist jedoch das Wohl des Menschen der Hauptzweck des Sabbat. Jesus hat der theologischen Begründung schlicht widersprochen und sie durch eine andere ersetzt. D. h. aber: Jesus hat den Sabbat nicht »abgeschafft«, sondern für gut befunden, wenn der dem Menschen dient. Gutes tun ist immer erlaubt. Aber die Einhaltung des Sabbat ist nicht für die Gottesbeziehung wichtig. Der Gott, der einen Bund mit Geboten, Satzungen und Rechten mit seinem Volk schließt, ist nicht der Gott Jesu. Im Blick auf Jesu Ablehnung des Opferkults wird sich dieses Bild vertiefen. Es ist sicher kein Zufall, daß das Buch von Holmén – wenn ich recht sehe – wenig Aufmerksamkeit gefunden hat. Selbst J. P. Meier, der es in seiner exzessiven Bibliographie erwähnt, geht nur am Rande auf Holmén ein. Dabei ist das Mantra Meiers „the halakic Jesus“ durch Holmén im Voraus schon falsifiziert worden.
* * * Ein Symposium aus Anlaß des . Geburtstags von Martin Hengel gab mir Gelegenheit, meine kritischen Überlegungen zur Gottesherrschaft in der Verkündigung Jesu vorzulegen. Daß Jesus – wie viele seiner Zeitgenossen – von der Gottesherrschaft geprochen hat, ist seit Johannes Weiß bekannt. Nur finden sich Aussagen, die die königliche Herrschaft Gottes nach einem künftigen katastrophalen Eingriff Gottes in den Weltlauf erwarten, wie sie in der Apokalyptik gang und gäbe waren, neben Aussagen, die den Anbruch der Gottesherrschaft in der Gegenwart, ja dem Wirken Jesu sehen. Johannes Weiß und die anderen Vertreter der später sogenannten religionsgeschichtlichen Schule brachten diese gegensätzlichen Auffassungen durch die Annahme zusammen, Jesus sei selbstverständlich Apokalyptiker gewesen und habe daher die Gottesherrschaft für nahe oder ganz nahe Zeit erwartet, habe aber in „Augenblicke[n] erhabener prophetischer Begeisterung, wo ihn ein Siegesbewußtsein überkommt“, von einem bereits gegenwärtigen Reich gesprochen;43 d. h. in heutiger Sprache, wenn er gerade »high« war. Man hätte auch umgekehrt argumentieren können: Jesus sei in die allgemeine Weltuntergangsstimmung verfallen, wenn er öfter mal down war; dann könnte man die Diagnose »manisch-depressiv« stellen. Kurz: Daß Weiß zu einer solchen Verlegenheitsauskunft griff, war angesichts der in der liberalen Exegese vertretenen Psychologisierung verständlich, da es kein Kriterium zur Herausstellung authentischer Jesustradition gab; die Diskussion darüber begann erst.44 Daß sich diese Lösung aber so lange halten konnte, ist nicht zu verstehen. Daher leuchtete mir die von E. Stauffer und E. Käsemann vertretene Ablehnung des apokalyptischen Jesus sofort ein. Das Unableitbarkeitskriterium gibt hier eine eindeutige Entscheidung. Mein Plädoyer für die Vorrangstellung dieses – heute zu Unrecht 43
J. Weiß, Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes, Göttingen , . Einige Hinweise in meinem Aufsatz: Die Gottesherrschaft in der Verkündigung Jesu (in diesem Band –; hier S. –); ausführlich D. S. du Toit, Der unähnliche Jesus, in: J. Schröter/R. Brucker, Der historische Jesus. Tendenzen und Perspektiven der gegenwärtigen Forschung, Berlin/New York , –. 44
Ein Weg zum historischen Jesus
XIX
umstrittenen – Kriteriums habe ich in meinem Forschungsbericht ergänzt.45 Die aus Amerika kommende Third Quest Richtung geht davon aus, daß Jesus „inmitten des Judentums“ gelebt und gewirkt hat. Dann gilt mit G. Theißen/D. Winter: „Wenn zum Programm erhoben wird, dass Jesus ins Judentum gehört, macht die zum methodischen Grundsatz erhobene Abgrenzung zum Judentum wenig Sinn.“46 Damit wird der Individualität Jesu bewußt eine höchstens geringe Rolle zuerkannt, wie H. Frankemölle, ein energischer Anhänger dieser Richtung, offen zugibt: „Es ist für jeden Menschen soziologisches Gesetz, dass es Identität nur durch Abgrenzung von Anderen gibt. Allerdings wurde dieses Gesetz – wie sich an vorliegenden Büchern zeigen lässt – kontraproduktiv, da Abgrenzung allzu leicht mit einer negativen Qualifizierung anderer religiöser Gruppen und Personen einherging.“47 Also wird Jesus nach dem merkwürdigen Motto abusus tollit usum ein selbstverständliches Recht verweigert. Wenn führende katholische Neutestamentler das Theißen/Merzsche Plausibilitätskriterium etwas umformulieren: Es frage danach, „inwiefern eine bestimmte Tradition sich in das Gesamtgefüge des Judentums einpasst und dazu gleichzeitig einen Akzent zeigt, der eine gewisse Individualität verrät“48 , dann bleibt doch das problematische a priori, Jesus müsse in das Judentum „eingepasst werden“ und er dürfe nur „eine gewisse Individualität verraten“, sodaß eine ergebnisoffene Rückfrage nach dem historischen Jesus verhindert wird. Heinrich August Wilhelm Meyer, der Begründer des bis heute bedeutenden „Kritisch-Exegetische[n] Kommentar[s] zum Neuen Testament“ hat sein Unternehmen mit den Worten verteidigt, „den Inhalt der Schrift nach kirchlicher Voraussetzung zu ermitteln, ist und bleibt, so viel man auch dagegen excipire und clausulire, eine schon von vorne herein bereits bestochene Procedur, bei welcher man hat, ehe man sucht, und findet, was man hat.“49 Gilt das nicht auch, wenn man den Inhalt der Schrift nach Voraussetzungen der political correctness zu ermitteln sucht? Doch nun zur Sache. Mein energisches Plädoyer für einen nicht-apokalyptischen Jesus wurde ausgezeichnet weitergeführt in einer kleinen Schrift von Hans Weder.50 Dieser Arbeit ist bis heute nicht das Gewicht beigemessen worden, das ihr gebührt. Zwar findet in Deutschland keine Zensur statt, aber Autoren, die nicht mit dem Trend gehen, werden gerne ausgegrenzt.
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In diesem Band S. –, alte Seiten –. G. Theißen/W. Winter, Die Kriterienfrage in der Jesusforschung, Freiburg/Göttingen , (NTOA ). 47 H. Frankemölle, Der Jude Jesus und die Ursprünge des Christentums, Mainz , . 48 M. Ebner/R. Hoppe/Th. Schmeller, Der „historische Jesus“ aus der Sicht Joseph Ratzingers, BZ , , . 49 H. A. W. Meyer, Kritisch-Exegetischer Kommentar zum Neuen Testament, . Abth., . Hälfte, Göttingen , XIIf., zitiert nach G. W. Kümmel, Das Erbe des . Jahrhunderts für die neutestamentliche Wissenschaft von heute, in: Ders., Heilsgeschehen und Geschichte. Gesammelte Aufsätze –, hg. v. E. Grässer, O. Merk und H. Fritz, Marburg , f. 50 H. Weder, Gegenwart und Gottesherrschaft, Neukirchen-Vluyn (BThS ). 46
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Einleitung
Die auch von mir vertretene Auffassung von Lk , als präsentisch-eschatologisches Jesuswort ist inzwischen durch A. M. Schwemer gesichert worden.51 Ebenso hat Gerd Theißen die weithin als Q-Fassung des sog. „Stürmerspruches“ anerkannte, bei Justin erhaltene Kurzform ὁ νόµος καὶ αἱ προφῆται ἕως ᾽Ιωάννου, ἀπὸ τότε ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ βιάζεται καὶ βιασταὶ ἁρπάζουσιν αὐτήν als jesuanisch gesichert, indem er »Gewalttäter« im Sinn einer Selbststigmatisierung der Jesusjünger auffaßt.52 Diese Lösung haben M. Hengel/A. Schwemer schon früher kurz skizziert.53 Wenn Theißen in diesem Spruch aber den „Gedanke[n] einer Erfüllung und Überbietung der Thora in der Gottesherrschaft“ sieht54 , ist das ohne Anhalt am Wortlaut – der ist eindeutig: „Die Zeit von »Gesetz und Profeten« reicht nur bis Johannes. Dann beginnt das radikal Neue, die Zeit der mit Jesu Wirken anhebenden Gottesherrschaft.“55 Ebenfalls gegen den Trend richtet sich ein Aufsatz von Dietrich Rusam.56 Er zeigt in einer guten redaktionstheologischen Untersuchung, daß das seit längerem für eine „Berufungsvision“ Jesu gehaltene Logion Lk , eine Bildung des Lukas sein dürfte. Meine beiläufig geäußerte Ablehnung der Authentizität des Logions57 wird dadurch bestätigt. Das apokalyptische Etikett taugt nicht für Jesus.
* * * Die Einladung zu einem Festkolloquium zum . Geburtstag von Otto Merk gab mir die Anregung, mein bevorzugtes Arbeitsgebiet mit dem seinen zu verbinden und das brisante Thema „Jesus und die Tora“ forschungsgeschichtlich zu beleuchten. Wie befreiend die Markuspriorität auf die Wahrnehmung der Einzelüberlieferung gewirkt hat, ist bemerkenswert. Aber selbst die eingefleischten Matthäusprioristen Baur und Strauß kamen u. a. mit Hilfe »tendenzkritischer« – heute würden wir sagen redaktionstheologischer/redaktionsgeschichtlicher – Überlegungen weitgehend frei vom matthäischen Schatten. Wenn im Jahr behauptet wird, Mt ,– dürfte die Haltung Jesu zum Gesetz zutreffend wiedergeben58 , werden Jahre Forschungs51 A. M. Schwemer, Das Kommen der Königsherrschaft Gottes in Lk ,f., in: Le Jour de Dieu – Der Tag Gottes. . Symposium Strasbourg, Tübingen, Uppsala. .–. September in Uppsala, hg. v. Anders Hultgard und Stig Norin, Tübingen (WUNT ), –. 52 G. Theißen, Jünger und Gewalttäter, Der Stürmerspruch als Selbststigmatisierung einer Minorität, in: Mighty Minorities. Minorities in Early Christianity. Positions and Strategies, FS für Jacob Jervell, , –. In meinem in Rede stehenden Aufsatz (vgl. Anm. ) habe ich über diese von Theißen schon in Kurzfassung geäußerte These geurteilt, sie sei „geistreich, aber kaum beweisbar“ (in diesem Band S. , Anm. ). Dieses Urteil korrigiere ich hiermit. 53 M. Hengel/A. Schwemer, a. Anm. a. O., . 54 A. Anm. a. O., . 55 M. Hengel/A. Schwemer, a. Anm. a. O., . 56 D. Rusam, Sah Jesus wirklich den Satan vom Himmel fallen (Lk .)? Auf der Suche nach einem neuen Differenzkriterium, NTS , , –. J. Schröter (Jesus von Nazaret, Jude aus Galiläa – Retter der Welt, Leipzig (BG ), , Anm. ) vermerkt zwar anmerkungsweise die These Rusams, lehnt sie aber als bloße Vermutung ab. 57 Die Gottesherrschaft in der Verkündingung Jesu, in diesem Band S. –, hier S. , Anm. . 58 J. Schröter, Jesus und das Judentum seiner Zeit, MThZ , , .
Ein Weg zum historischen Jesus
XXI
geschichte übergangen. Wie klare exegetische Einsichten immer wieder umgebogen und verschleiert worden sind, ist kein Ruhmesblatt der theologischen Wissenschaft. Daß man keinen Revolutionär in Jesus sehen wollte, ist berechtigt. Jesus hat nicht an jedem Sabbat einen Sack mit Wackersteinen herumgeschleppt, und er hat auch nicht zu jedem Frühstück einen geräucherten Aal verspeist. Das liefe letztlich auf eine neue Anti-Gesetzlichkeit hinaus. Jesus hat den Sabbat als Tag der Erholung durchaus akzeptiert, er hat keinerlei Speisepläne für seine Jünger aufgestellt. „Esst, was sie euch vorsetzen!“ (Lk ,). Solche Verhaltensweisen haben nach der Meinung Jesu keine Bedeutung für das Gottesverhältnis, sie sind Adiaphora. Denn Gott ist für Jesus kein assyrischer oder persischer Großkönig, der seinen Vasallen Lasten auferlegt. Er ist Vater. Natürlich hat ein Vater auch Forderungen an seine Kinder, aber er fordert nichts für sich. Deshalb ist Lk , „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist“ die Grundforderung Jesu. Der Jünger Jesu darf den Vater im Himmel täglich um Erlaß seiner Schuld bitten und soll täglich seinem Nächsten erlassen, was der ihm schuldig geblieben ist (Lk ,//Mt ,). Das ist der Ertrag meiner Untersuchung zur sogenannten Tempelreinigung.59 Ich denke, daß dieses Resumé meiner Jesusforschung einem genuin christlichen Anliegen entspricht: „Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns“ (Joh ,).
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In diesem Band S. –.
Jesus und die Pharisäer * In letzter Zeit ist die Frage nach dem Verhältnis Jesu zu den Pharisäern häufig diskutiert worden. Nicht nur die neuen Jesusdarstellungen, sondern auch mehrere Spezialuntersuchungen1 haben sich dieses Themas angenommen. Aber alle diese Arbeiten unterscheiden sich durch die grundverschiedene Beurteilung der neutestamentlichen Aussagen. Während etwa G. Bornkamm von der »Feindschaft« zwischen den Pharisäern und Jesus spricht,2 E. Haenchen sogar von einer »Todfeindschaft«,3 wird andererseits von J. Klausner erklärt, Jesus sei »in Wirklichkeit ein Pharisäer« gewesen, »der nur den Schwerpunkt der pharisäischen Lehre verschob«,4 und bei P. Winter findet sich sogar der Satz: »Jesus was a Pharisee.«5 Zwischen diesen unvereinbaren Positionen finden wir noch mancherlei Kompromißlösungen, die von solchen Autoren vorgeschlagen werden, die zwar die Evangelienberichte nicht ohne weiteres als tendenziös und falsch beiseite schieben wollen, sie aber doch ihrer theologischen Relevanz berauben möchten. So führt R. T. Herford, dessen Buch kürzlich eine Neuauflage erlebte,6 die Opposition Jesu gegen den Pharisäismus darauf zurück, »daß Jesus mit der Tradition, die er angriff, nicht sehr vertraut war«,7 die Auseinandersetzung war also nur Folge eines bedauerlichen Mißverständnisses. Ähnlich will S. Zeitlin die Kontroverse zwischen Jesus und den Pharisäern verharmlosen, indem er sie auf verschiedene Ansichten über die »nature of society« zurückführt: »Jesus and his disciples, being idealists, dreamed of establishing a utopian society«;8 diesem Wunsche mußten sich natürlich vernünftige staatserhaltende Kräfte entgegensetzen. Angesichts dieser konträren Urteile, die ja nur die schwierigen traditions- und redaktionsgeschichtlichen Probleme der hier zur Debatte stehenden Texte signalisieren, ist es verständlich, wenn H.-F. Weiß, der die jüngste mir bekannte Untersuchung zu diesem Thema veröffentlicht hat, weitgehende | Skepsis hinsichtlich einer sicheren Scheidung von Tradition und Redaktion äußert und seinen Ergebnissen selbst nur
Ursprünglich veröffentlicht in: NTS (/), S. –. Vgl. die Literaturübersicht bei H.-F. Weiß, »Der Pharisäismus im Lichte der Überlieferung des Neuen Testaments«, in: R. Meyer, Tradition und Neuschöpfung im antiken Judentum (), S. , Anm. . 2 G. Bornkamm, Jesus von Nazareth (, ), S. . 3 E. Haenchen, »Matthäus «, in: ZThK, XLVIII (), S. . 4 J. Klausner, Jesus von Nazareth ( ), S. , Anm. ; ähnl. E. L. Ehrlich, Geschichte Israels (), S. f. 5 P. Winter, On the Trial of Jesus (), S. . Ebenso J. Carmichael, Leben und Tod des Jesus von Nazareth ( ), S. ff., , . 6 R. T. Herford, Die Pharisäer. Mit einer Einleitung von N. N. Glatzer () (. Aufl. ). Vgl. dazu die Besprechung von E. Bammel in ThLZ, XCI (), Sp. f. 7 A. a. O., S. f. 8 S. Zeitlin, »The Pharisees«, in: JQR, LII (/), S. –; Zitat S. . *
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»einige Wahrscheinlichkeit« zubilligt.9 Ich glaube aber, daß diese Frage, die eine entscheidende theologische Tiefendimension besitzt, eine klare Lösung erfordert und in den Hauptpunkten auch ermöglicht.
I Die Synoptiker und das Vierte Evangelium zeichnen übereinstimmend das folgende Bild vom Verhältnis zwischen Jesus und den Pharisäern: () Bis zum Beginn der Passionswoche sind die Pharisäer die meistgenannte Gruppe von Jesusgegnern. () Sie vor allem nehmen an seiner Stellung zum Religionsgesetz Anstoß. () Häufig sind Pharisäer in Verbindung mit anderen Gruppen als Gegner Jesu aufgetreten. () In der Passionsgeschichte treten die Pharisäer ganz zurück; dort übernehmen die offiziellen Instanzen (Hochpriester, Schriftgelehrte, Älteste) die entscheidende Rolle. Dieses klare und in sich einleuchtende Bild wird seit langem angefochten. Schon um die Jahrhundertwende bemühten sich nämlich jüdische Gelehrte um die Heraushebung jüdischer Züge an Jesus und standen damit vor der Notwendigkeit, die in den Evangelien berichteten Feindseligkeiten zwischen Jesus und den Pharisäern als Auswirkungen einer späteren antinomistischen und antijüdischen Tendenz beiseite zu schieben.10 Die formgeschichtliche Untersuchung der Evangelien schien nun diese Thesen zu bekräftigen; denn sie ließ vermuten, es wirke in den Synoptikern eine »Tendenz, als Gegner Jesu stets die Pharisäer und Schriftgelehrten auftreten zu lassen«.11 Doch erklärte R. Bultmann mit Bedacht: »Selbstverständlich will ich nicht aus allen Streitgesprächen die Pharisäer und Schriftgelehrten fortschaffen . . . «12 Diese radikale Konsequenz wird jetzt vor allem wieder von P. Winter gezogen, der stark tendenzkritisch arbeitet. Da die früheste christliche Tradition, die in Mark xiv und xv verarbeitet sei, nichts von einer Feindschaft zwischen Jesus und den Pharisäern wisse, müsse die Gegnerschaft der Pharisäer erst sekundär in die Geschichte Jesu eingetragen worden sein.13 |
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H.-F. Weiß, a. Anm. a. O., S. . Vgl. dazu G. Lindeskog, Die Jesusfrage im neuzeitlichen Judentum (); bes. S. ff. und ff. 11 R. Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition ( ) (= ), S. . 12 Ibid., S. . 13 P. Winter, a. Anm. a. O., S. f. – Dagegen bemerkt H.-F. Weiß mit Recht, »daß – auch wenn die Leidensgeschichte zuerst schriftlich im Zusammenhang fixiert worden ist – damit noch nichts über die zeitliche und sachliche Priorität der Leidensgeschichte gegenüber der übrigen synoptischen Überlieferung gesagt ist« (a. Anm. a. O., S. , Anm. ). Es dürfte eher umgekehrt ein Zeichen für die Zuverlässigkeit der Überlieferung sein, daß die Pharisäer nicht in die Passionsgeschichte eingetragen wurden, in der nun einmal die offiziellen Instanzen maßgeblich waren. 10
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Und zwar habe die Urkirche ihre eigenen Auseinandersetzungen mit ihren pharisäischen Gegnern in das Leben Jesu retrojiziert: »The actual opponents of Christianity, coeval with a particular evangelist, are cited as adversaries of Jesus.«14 Wir stehen somit vor zwei Problemen: () Lassen sich die synoptischen Berichte über Konflikte zwischen Jesus und den Pharisäern insgesamt als Bildungen der späteren Gemeinde erklären? () Sind diese Evangelienberichte auch nicht durchweg Tendenzprodukte, so sind doch Tendenzen in ihnen wirksam, die erkannt und ausgeschieden werden müssen; wie ist dann das Verhältnis Jesu zu den Pharisäern zu beurteilen?
II Wir wenden uns kurz dem ersten genannten Problem zu. Daß Jesus sich in völliger Übereinstimmung mit den Pharisäern befunden habe und erst die das Christusdogma entwickelnde Gemeinde auf Ablehnung und Feindschaft bei den Juden gestoßen sei, erweist sich als eine geschichtlich ganz unwahrscheinliche These. Wir müssen zwei Erwägungen dagegen geltend machen: () Saul von Tarsus war Mitglied des Pharisäerordens und hat schon bald nach Ostern die Jüngergemeinde verfolgt. Beides wissen wir aus dem Selbstzeugnis des Apostels15 und dem damit übereinstimmenden Zeugnis der Apostelgeschichte.16 Wie aber hätte ein junger Pharisäer zum erbitterten Verfolger der Jesusjünger werden können, wenn noch kurz zuvor seine »Ordensoberen« mit Jesus in völliger Übereinstimmung gelebt hätten?17 () Dieser am Anfang der Kirchengeschichte vorhandene offene Gegensatz der Pharisäer zur Gemeinde Jesu hat sich jedoch im Laufe der folgenden Jahre und Jahrzehnte gelegt.18 Dies war ein Erfolg der um den Herrenbruder Jakobus gescharten judenchristlichen Bewegung. Von der in jener Zeit herrschenden guten Beziehung zwischen Christen und Pharisäern zeugt Josephus19 ebenso wie eine Nachricht der Apostelgeschichte,20 man habe den nach Jerusalem zurückgekehrten Paulus darauf hinweisen können, daß | »Zehntausende« von »gesetzeseifrigen Juden« gläubig ge14
P. Winter, a. Anm. a. O., S. ; vgl. überhaupt S. ff. Phil. iii. f.; Gal. i. f.; . Kor. xv. . 16 Act. viii. ; ix. I, ; xxii. ; xxiii. ; xxvi. . 17 Vgl. J. Jeremias, Jerusalem zur Zeit Jesu ( ), S. : ». . . es ist kein Zufall gewesen, daß der Pharisäer Saulus mit der Christenverfolgung im Jahre p. betraut wurde.« 18 Vgl. G. Stählin, Die Apostelgeschichte (NTD ), (), S. : »Die palästinische Gruppe der Christen . . . scheint als eine besondere „Synagoge“ oder als eine fromme Sekte . . . neben anderen . . . gegolten und bis in den Jüdischen Krieg hinein mehr oder weniger unangefochten im Schoße der jüdischen Volksgemeinde weitergelebt zu haben; das war die positive Folge der unzweifelhaften „Rejudaisierung“, die wir bei der palästinischen Urgemeinde gegenüber der Haltung und Verkündigung Jesu festzustellen haben.« 19 Ant. xx. , , ist von einer Intervention pharisäischer Kreise gegen die Tötung des Jakobus die Rede. 20 Act. xxi. ; die Übertreibung der Zahl – wie öfter in Act – kann die Nachricht als solche nicht entwerten. Vgl. auch Act. xv. . 15
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worden seien. Nun fiel aber die Ausbildung der synoptischen Tradition in diese Zeit der im wesentlichen freundlichen Nachbarschaft von Kirche und Synagoge: Es bestand also kein Grund, antipharisäische Überlieferungen zu schaffen!21
III Ist es somit unmöglich, die Pharisäerkonflikte insgesamt erst als Bildungen der späteren Gemeinde hinreichend zu erklären, so muß doch die Frage nach sekundären antipharisäischen Tendenzen in den Evangelien noch geprüft werden. Nun wird vielfach dem Evangelisten Matthäus ein besonders ausgeprägter Antipharisäismus zugeschrieben.22 In der Tat finden sich bei ihm die meisten Erwähnungen der Pharisäer, und er hat die längste Rede gegen Pharisäer und Schriftgelehrte zusammengestellt (Kap. xxiii. –). Auch an mehreren anderen Stellen fügt Matthäus die Pharisäer ein oder nennt gegen seine Quellen sie allein als Gegner Jesu. Als Musterbeispiel für diese Tendenz des Matthäus wird immer wieder auf Matt. iii. //Luk. iii. verwiesen. Schon J. Wellhausen beobachtete, daß »die bei Matthäus den Pharisäern und Sadducäern geltende Strafrede des Täufers bei Lucas vielmehr an das Volk gerichtet« ist und erklärte: » . . . und dazu paßt ihr völlig allgemeingiltiger Charakter entschieden besser.«23 Das ist aber nicht einzusehen. Warum wohl sollte der Täufer die buß- und taufwillige Menge so hart und ungerecht angefahren haben? Die Scheltrede paßt entschieden besser auf die Pharisäer und Sadduzäer, die nach Matthäus ja gar nicht als Täuflinge gekommen sind,24 sondern die wir uns als Zuschauer oder besser Beobachter des »Taufbetriebs« vorstellen müssen. Hier – wie wohl auch an einigen anderen Stellen25 – hat also Lukas die in seiner Quelle genannten26 Adressaten geändert. Antipharisäische Tendenzen glaubte man ebenfalls in den Parallelversionen zu Mark. xii. –, der Frage nach dem höchsten Gebot, feststellen zu können.27 Denn Matthäus und Lukas stellen die Frage des Schriftgelehrten als eine »versucherische« | 21
Mindestens in späterer Zeit gab es Kontroversen, die in die vita Jesu zurückgeblendet wurden; so gehen im Vierten Evangelium die mit »Pharisäern« handelnden Diskussionen auf alte Tradition zurück, während die ᾽Ιουδαῖοι-Passagen einer jüngeren Schicht angehören. (E. Bammel, »John did no miracle«, in: Miracles, ed. C. F. D. Moule (), S. .) 22 Neuerdings von A. F. J. Klijn, »Scribes, Pharisees, Highpriests and Elders in the New Testament«, in: Nov. Test. III (), S. ; P. Winter, a. Anm. a. O., S. , Anm. ; H.-F. Weiß, a. Anm. a. O., S. . 23 J. Wellhausen, Die Pharisäer und die Sadducäer ( ), S. , Anm. . Dieselbe Argumentation bei H.-F. Weiß, a. Anm. a. O., S. . Vgl. auch R. Bultmann, a. Anm. a. O., S. . 24 Nach Matt. iii. kamen die Pharisäer und Sadduzäer ἐπὶ τὸ βάπτισµα, nach Luk. iii. kamen die ὄχλοι βαπτισθῆναι ὑπ’ αὐτοῦ. – Daß unsere Deutung von Matt. iii. zutreffend ist, zeigen Mark xi. f. und Luk. vii. . 25 Vgl. Luk. iv. mit Mark. i. ; Luk. iv. mit Mark. i. //Matt. vii. . 26 Auch K. H. Rengstorf, Lukasevangelium (NTD ), ( ), S. und H. Conzelmann, Die Mitte der Zeit ( ), S. halten die ὄχλοι des Luk. für Ersatz der ursprünglichen Anrede an »Pharisäer und entsprechende Leute«. 27 So u. a. R. Bultmann, a. Anm. a. O., S. ; E. Klostermann, Matthäusevangelium (HNT ), ( ), S. ; H.-F. Weiß, a. Anm. a. O., S. .
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Frage dar, und beide streichen das für den Schriftgelehrten anerkennende Schlußwort Jesu (»Du bist nicht fern vom Reich Gottes«). Das scheint die Erklärung nahezulegen, Markus biete »an dieser Stelle zweifellos die ursprünglichere Form der Überlieferung, die durch Matthäus und Lukas erst sekundär im antipharisäischen Sinne umgestaltet bzw. interpretiert worden« sei.28 Nun hat aber G. Bornkamm diese Perikope einer eindringenden Untersuchung unterzogen29 und nachgewiesen, »daß der uns vorliegende [Mk-] Text eine spätere, hellenisierte Fassung darstellt und Mtth und Lk eine andere, ältere Textgestalt vor sich hatten, der die charakteristisch-apologetische Abzweckung noch fehlte«.30 Seine Beobachtungen machen die »Annahme, daß sogar jeder der beiden [Großevangelisten] eine eigene Variante unseres Mc-Textes vor sich hatte«,31 höchst wahrscheinlich. Damit ergibt sich, daß die Auslassung des Lobes an den Schriftgelehrten keiner spezifisch matthäischen Tendenz entspringt. Diese Beispiele sollten vor einem pauschalen Urteil über Tendenzen der Evangelisten und deren Auswirkung warnen. Wenn sich sekundäre Züge in der Darstellung der Pharisäer finden – etwa das Fehlen »individueller Merkmale«32 –, so ist das wohl eher auf einen gewissen Formelzwang zurückzuführen, unter dem die Evangelisten als Katecheten standen;33 ebenso ist in einer Reihe von Fällen ein »juristischer Präzisionsverlust« in Anschlag zu bringen.34 Doch zwingt uns noch eine andere Erwägung dazu, das Urteil über die »pharisäerfeindlichen Tendenzen« des Matthäus zu modifizieren. Neben ausgeprägter Feindschaft den Pharisäern gegenüber finden sich nämlich bei ihm und nur bei ihm auch Worte, die eine ungewöhnliche Verbindung mit dem Pharisäismus anzeigen. In erster Linie muß hier auf Matt. xxiii. hingewiesen werden: »Alles, was sie (die Schriftgelehrten und Pharisäer) euch sagen, das tut und beachtet!« Dieses Wort »ist eine große und uneingeschränkte Anerkennung der Pharisäer und Schriftgelehrten«.35 Wie die folgende Gegenüberstellung von διδάσκειν und ποιεῖν zeigt, geht es Matthäus vor allem um die Anerkennung der pharisäischen Halacha; in der Chri-
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H.-F. Weiß, ibid. G. Bornkamm, »Das Doppelgebot der Liebe«, in: Neutestamentliche Studien für R. Bultmann ( ), S. –. 30 G. Bornkamm, a. a. O., S. . 31 Ibid. 32 Von H.-F. Weiß, a. Anm. a. O., S. moniert. 33 Katechetische Abzweckung ist besonders für Matthäus zu berücksichtigen; s. E. v. Dobschütz, »Matthäus als Rabbi und Katechet«, in: ZNW, XXVII (), S. ff. 34 Vgl. z. B. Matt. xii. mit Mark. iii. und Matt. xvi. mit Mark viii. . – Zu Begriff und Sache s. E. Stauffer, »Neue Wege der Jesusforschung«, in: Gottes ist der Orient, Festschrift für O. Eißfeldt (), S. –; bes. ff. 35 E. Lohmeyer, Matthäus, ed. W. Schmauch (), S. . G. Strecker, a. Anm. a. O., S. , möchte xxiii, durch xvi. f. neutralisieren. Aber die Warnung vor der διδαχὴ τῶν Φαρισαίων ist doch wohl eine Verzweiflungsauskunft, da der ursprüngliche Sinn von Mark. viii. nicht mehr verstanden wurde, was schon die Ersetzung des Herodes durch die Sadduzäer beweist. (Vgl. E. Stauffer, a. a. O., S. .) Matt. xvi. f. könnte der vormatthäischen Tradition entstammen, da διδαχή kein Lieblingswort des Evangelisten ist (nur noch vii. u. xxii. , beide Stellen nach Mark i. gebildet). 29
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stologie geht er selbstverständlich | seine eigenen Wege.36 Dieselbe grundsätzliche Bejahung rabbinischer Lehren steht auch hinter Matt. xxiii. .37 Und wenn Matthäus in xiii. sein Ideal des christlichen Schriftgelehrten zeichnet, bemüht er sich um eine Vereinigung von Altem und Neuem, von pharisäischer und christlicher Lehre.38 Dieses Wort, »das offenbar erst Mt. zu einem Herrenwort gemacht hat«,39 steht freilich in schneidendem Kontrast zu Mark. ii. f. = Matt. ix. f.! Wir müssen also in den genannten konservativen Worten das Programm des Matthäus erkennen; der in ihnen erkennbaren positiven Einstellung zum Rabbinat entspricht es, daß der Matthäuskreis den Sabbat noch hält40 und noch die Tempelsteuer entrichtet.41 Infolge dieser weiter bestehenden inneren und äußeren Bindung an das Judentum42 sieht Matthäus die Gestalt Jesu in diesem Rahmen. Schon das erste Wort des matthäischen Christus betont die Notwendigkeit des πληρῶσαι πᾶσαν δικαιοσύνην (Matt. iii. ). Dieses Programm wird in v. , , präzisiert und in v. – expliziert. Nun ist die Erklärung des πληρῶσαι in v. sehr umstritten;43 mit D. Daube44 sehe ich es als Äquivalent zu !M¦ = קִּיaufrecht erhalten an und damit als Bekräftigung der vollen Autorität der Tora; ohne Zweifel ist dieses Logion redaktionellen Ursprungs.45 In demselben Sinn ist v. als »Überschrift«46 über die berühmten Antithesen gesetzt. In der Tat wollen drei der Antithesen nur alttestamentliche Ge36 Zum Verhältnis Christus–Gesetz bei Matthäus bemerkt G. D. Kilpatrick, The Origins of the Gospel according to St Matthew ( ), S. : »He (the evangelist) effects his reconciliation of the two by making Christ the giver of a revised Law.« 37 So E. Haenchen, a. Anm. a. O., S. ; G. Barth, »Das Gesetzesverständnis des Evangelisten Matthäus«, in: Bornkamm/Barth/Held: Überlieferung und Auslegung im Matthäus-Evangelium ( ), S. f. 38 Wenn E. Haenchen, Der Weg Jesu (), S. , zu Matt. xxiii. f. sagt: »Daraus, daß Mt diese Überlieferung weitergab, folgt keineswegs, daß er selbst die schriftgelehrte Auslegung des Gesetzes als bindende Vorschrift ansah«, trägt er Matt. xiii. zu wenig Rechnung: Nur Überbietung und Ergänzung der rabbinischen Auslegung ist erforderlich. 39 R. Bultmann, a. Anm. a. O., S. . 40 Matt. xxiv. , »die einzige synoptische Stelle . . . welche nicht zur Sabbatkritik, sondern zur Sabbatobservanz aufruft. Man wird das µηδὲ σαββάτῳ daher nicht Jesus . . . sondern der späteren rejudaisierenden Bewegung zuzuschreiben haben« (H. Braun, Spätjüdisch-häretischer und frühchristlicher Radikalismus, II, , S. , Anm. ). So auch G. Barth, a. Anm. a. O., S. f., der ferner auf Matt. xii. b hinweist (a. a. O., S. ). 41 Matt. xvii. ff.; dazu G. Barth, a. a. O., S. . 42 Zum christlichen Charakter des Matthäus vgl. etwa Kilpatrick, a. Anm. a. O., S. . – G. Strecker, Der Weg der Gerechtigkeit (), beurteilt die oben genannten Tatsachen anders. Er geht nämlich von einer – im einzelnen nicht immer zwingenden – Scheidung zwischen Tradition und Redaktion aus und bringt das, was Matthäus aus der Tradition übernommen hat, nicht für seine spezielle Theologie in Anschlag. Mir erscheint gerade der Stoff, mit dem Matthäus seine direkten Vorlagen (Markus, Q) auffüllt, für ihn charakteristisch. 43 Vgl. die Angaben bei G. Barth, a. Anm. a. O., S. ff. 44 The New Testament and Rabbinic Judaism (), S. f. So schon G. Dalman, Jesus-Jeschua (), S. ff. 45 So z. B. R. Bultmann, a. Anm. a. O., S. f.; G. Strecker, a. Anm. a. O., S. ; anders wieder H.-F. Weiß, a. Anm. a. O., S. . 46 R. Bultmann, a. Anm. a. O., S. .
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bote radikalisieren, nämlich die Antithesen vom Töten (v. –), vom Ehebrechen (v. –) und vom Schwören (v. –). Dagegen glaubte man vielfach, in | den drei anderen Antithesen faktisch eine Aufhebung des Gesetzes erblicken zu müssen.47 Dies trifft jedoch m. E. nicht zu. Die Antithese von der Ehescheidung (v. f.) hebt ja Jesu radikales Scheidungsverbot (Mark. x. ) durch den Zusatz παρεκτὸς λόγου πορνείας auf, und dieser Zusatz »rettet zugleich auch Dt. xxiv. vor gänzlicher Aufhebung«.48 Aber ebensowenig hebt die Antithese von der Wiedervergeltung (v. –) das ius talionis einfach auf, sondern geht, wie D. Daube gezeigt hat, aus »from the refined Rabbinic meaning of the maxim, from „An eye for an eye“ as signifying the claim to accurate, nicely calculated compensation«.49 Daß sich die Antithese von der Feindesliebe (v. –) nicht gegen Moses richtet, ist bekannt.50 Damit erweisen sich die Antithesen als »injunctions intended to illustrate the position of Jesus as upholder, not destroyer, of the Law«.51 Auch anderwärts trägt Matthäus in das Bild Jesu Züge eines pharisäischen Schriftgelehrten ein: Er vermehrt die Schriftbeweise im Munde Jesu,52 gestaltet die Wortüberlieferung im Stil schriftgelehrter Diskussionen um53 und umschreibt meist den Gottesbegriff,54 den Jesus völlig ungescheut gebraucht haben dürfte – »Matthew’s is a Rabbinic gospel«!55 Die Forscher, die Jesus als Pharisäer zeichnen und verstehen, übernehmen damit das Jesusbild des Matthäus, also desselben Evangelisten, den sie in seiner Pharisäerpolemik unglaubwürdig machen. Der scheinbare Widerspruch in der Stellung des Matthäus löst sich, wenn man die polemischen Äußerungen gegen den Pharisäismus genauer betrachtet. Es zeigt sich dann nämlich, daß die Kritik des Matthäus zwar oft äußerst scharf, aber nirgends prinzipiell ist. In Matt. xxiii ist ja das große Stichwort, dem sich alle Vorwürfe subsumieren, die Heuchelei. Matthäus hat einige echte und viele gemeindetheologische Kampfworte dahin ausgerichtet, daß sie den Gegensatz zwischen der – an sich gültigen – Lehre und dem nicht mit ihr übereinstimmenden Leben der jüdischen Schriftgelehrten und Pharisäer anprangern. »Die Schriftgelehrten und Pharisäer sind gar nicht die Frommen, als die sie sich ausgeben. Es geht ihnen gar nicht um Gott. Sie wollen mit ihrer zur Schau getragenen Frömmigkeit nur auf die Menschen Eindruck machen. In Wirklichkeit sind sie Gottes Feinde, die von jeher seine Propheten 47 So u. a. E. Klostermann, Matthäusevg. ( ), S. ; G. Bornkamm, »Enderwartung und Kirche im Matthäusevg.«, in: Überlieferung und Auslegung im Mt-Evg. (s. Anm. ), S. ; G. Strecker, a. Anm. a. O., S. . 48 G. Barth, a. Anm. a. O., S. . 49 D. Daube, a. Anm. a. O., S. ; vgl. überhaupt S. ff. Anders G. Barth, a. Anm. a. O., S. . 50 Vielmehr wird sie sich gegen den in Qumran gebotenen Feindeshaß richten. Dazu E. Stauffer, Jesus und die Wüstengemeinde am Toten Meer ( ), S. . 51 D. Daube, a. Anm. a. O., S. . 52 So Matt. xii. f.; xiii. f. 53 Vgl. bes. Matt. xii. f. mit Mark. iii. ; Matt. xix. – mit Mark. x. –; Matt. xxii. . 54 Bei Matthäus meist βασιλεία τῶν οὐρανῶν statt βασιλεία τοῦ θεοῦ. 55 D. Daube, a. Anm. a. O., S. .
Jesus und die Pharisäer
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verfolgten. Darum wartet die Hölle auf sie! | So etwa können wir das Urteil des Matthäus kurz zusammenfassen.«56 Der christliche Pharisäer unterscheidet sich vom jüdischen also vornehmlich dadurch, daß er auch tut, was er sagt.57 Solche Polemik ist aber keineswegs originell: »En maints passages, le rouleau des Hymnes, l’Ecrit de Damas, les divers Commentaires Bibliques esséniens, notamment le Commentaire d’Habacuc et le Commentaire de Nahum, présentent de véhémentes attaques contre les Pharisiens«58 – Attacken ganz im Stile des Matthäus.59 Ferner kann auf die Assumptio Mosis (vi. ; vii. f.) und sogar auf Selbstkritik im pharisäischen Lager60 verwiesen werden: überall wird gegen Unredlichkeit und Heuchelei bei den Pharisäern Front gemacht. Solche als topisch erkannte Polemik trägt sachlich nichts aus. Wie sich später noch deutlich zeigen wird, muß unser Urteil über Matthäus lauten: Matthäus hat die antipharisäische Polemik Jesu von Nazareth vulgarisiert – ein Weg, auf dem das Evangelienfragment des Papyrus Oxyrhynchos kräftig weitergeschritten ist.61 Die von uns skizzierte zwiespältige Stellung des Matthäus zum Pharisäismus, die sich u. E. immer noch am besten durch die These E. v. Dobschütz’ erklärt, Matthäus sei ein konvertierter Rabbi, zwingt uns dazu, bei der Feststellung des historischen Sachverhalts von Matthäus abzusehen.
IV Ehe wir die für unsere Frage wichtigsten Texte prüfen, müssen wir unser Bild der pharisäischen Bewegung skizzieren. Wir schließen uns dabei den Ergebnissen der kritischen Forschung an, die wesentlich von J. Wellhausen angeregt wurde.62 In neutestamentlicher Zeit63 waren die Pharisäer ordensmäßig organisiert, eine »Vereinigung, die ihre Führer hatte und ihre Zusammenkünfte . . . und | die ihre 56
E. Haenchen, a. Anm. a. O., S. . Matt. xxiii. f.; vgl. v. : ὃς δ’ ἂν ποιήσῃ καὶ διδάξῃ . . . – H.-F. Weiß, a. Anm. a. O., S. f., hält den Vorwurf der »Heuchelei« für jesuanisch, allerdings soll er ursprünglich keineswegs nur den Zwiespalt zwischen Reden und Tun gegeißelt haben, sondern er galt dem »Tatbestand, daß alles – auch das subjektiv ehrliche – Bemühen der Pharisäer um das „Erfüllen“ des Gesetzes letztlich doch nicht zum „Erfüllen“ des Willens oder des Gebotes Gottes im Sinne Jesu führte.« Mir erscheint es unmöglich, ein »subjektiv ehrliches Bemühen« als Heuchelei zu bezeichnen; außerdem wird die oben vorgetragene Deutung durch die auch sonst bei Matthäus häufige Betonung des Tuns gestützt (dazu vgl. G. Barth, a. Anm. a. O., S. f.). 58 A. Dupont-Sommer, »Les manuscrits de la mer Morte et l’histoire des origines chrétiennes«, in: Revue de l’Université de Bruxelles (Mars–Mai ), S. f. 59 S. auch J. Maier in Judaica, XVIII (), S. –. 60 S. Strack-Billerbeck IV, S. ff.; Beispiele zitiert auch E. Stauffer, Jerusalem und Rom im Zeitalter Jesu Christi (), S. f. 61 Vgl. J. Jeremias, Unbekannte Jesusworte ( ), S. –, der freilich den Quellenwert dieses Textes positiv beurteilt. 62 J. Wellhausen (s. Anm. ); J. Jeremias (s. Anm. ), S. ff.; E. Stauffer (s. Anm. ), S. ff.; B. Reicke, Neutestamentliche Zeitgeschichte (), S. ff.; R. Meyer (s. Anm. ). 63 Die Meinungen über die Anfänge der Pharisäerbewegung sind noch kontrovers; über die verschiedenen Theorien informiert W. Beilner, »Der Ursprung des Pharisäismus«, in: BZ (N.F. ) (), S. –. 57
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eigene interne Gerichtsbarkeit besaß«.64 Sie waren die »Starken . . . die in der Lage waren, dem Ideale der Schriftgelehrten von einem rechten Israeliten zu entsprechen, die sich das Studium des Gesetzes zum Behufe der Praxis zur Lebensaufgabe machten«.65 Damit ist die Frage nach dem Verhältnis von Pharisäern und Schriftgelehrten66 gestellt: »Als getreueste Schüler schlossen sie (sc. die Pharisäer) sich den Schriftgelehrten an, sie waren eine Erweiterung des Kreises derselben für die Zwecke mehr des öffentlichen Lebens, gegenüber den lehrenden νοµικοί gleichsam die wandelnden νοµικοί.«67 Die besondere Verpflichtung des Pharisäers bestand in der regelmäßigen Abgabe des Zehnten und in der Beachtung der Reinheitsgesetze, wie sie das Alte Testament nur für den am Heiligtum amtierenden Priester vorschrieb; darüber hinaus aber legten die Pharisäer auch auf überschüssige Gebotserfüllungen und alle möglichen guten Werke großen Wert.68 Auf diesem Hintergrund sind die Evangelienberichte zu sehen. () Mark. ii. – Parr. berichtet von einer Auseinandersetzung über die Fastenpraxis. Während das gewöhnliche Volk nur einmal im Jahr, am großen Versöhnungstag, zu fasten verpflichtet war, nahmen die Pharisäer eine Vielzahl von Fastentagen freiwillig und zusätzlich auf sich (vgl. Luk. xviii. !). Auch der Täufer hatte asketische Ideale, denn seine Nahrung bedeutete ein permanentes Fasten,69 und mancherlei andere »Heilige« seiner Zeit huldigten ähnlichen Idealen.70 Es mußte also sofort auffallen, daß Jesus nicht fastete, und dieses Versäumnis mußte ihn in den Augen der Pharisäer als religiösen Lehrer disqualifizieren! Nun hat freilich R. Bultmann aus der Tatsache, daß Jesus hier nicht sein, sondern der Jünger Verhalten verteidige, geschlossen, hier berufe sich in Wahrheit die Gemeinde für ihr Verhalten auf Jesus, mithin sei die Szene Gemeindebildung.71 Dagegen ist zu sagen: (a) Wenn die Jünger als Privatleute nicht fasteten, war das in keiner Weise auffällig. Bemerkenswert wurde diese ihre religiöse Laxheit erst dadurch, daß sie als Sondergruppe nicht fasteten. Dann aber war ihr Meister dafür verantwortlich, und es ist ganz natürlich, daß man ihn nach dem Grund fragt. |
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J. Jeremias, a. Anm. a. O., S. f. S. auch Ch. Rabin, Qumran Studies (), passim. J. Wellhausen, a. Anm. a. O., S. . 66 Natürlich nur soweit es sich um pharisäisch gesonnene Schriftgelehrte handelt, die aber sicher in der Überzahl gegenüber den sadduzäisch gestimmten waren. 67 J. Wellhausen, a. a. O., S. . 68 J. Jeremias, a. Anm. a. O., S. . 69 Vgl. Matt. xi. Par. – Daß dies zugleich eine »eschatologische Demonstration« war, ist damit nicht bestritten (so Ph. Vielhauer, »Tracht und Speise Johannes des Täufers«, in: Aufsätze zum Neuen Testament, , S. –; Zitat S. ). 70 Etwa der Lehrer des Josephus, Bannus, oder Rabbi Saddok der Faster (vgl. E. Stauffer, a. Anm. a. O., S. und ). 71 R. Bultmann, a. Anm. a. O., S. . 65
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(b) Die Annahme, die Perikope sei Gemeindebildung, also Retrojektion späterer Diskussionen, ist kirchengeschichtlich ganz unmöglich, denn »eine das Fasten grundsätzlich ablehnende Kirche hat es im . Jahrhundert nicht gegeben«.72 Eine Diskussion zwischen Synagoge und Urkirche: »Warum fastet ihr nicht?« hätte gar keinen Sinn gehabt. Das beweist schon die Markusfassung der Geschichte, die eigentlich auf eine Rechtfertigung des kirchlichen Fastens hinausläuft.73 Dies kann nicht ursprünglich sein. Denn das Jesuswort Mark. ii. – ist eine äußerst ungeschickte Bildung: »Den gewöhnlichen Hochzeitern wird weder der Bräutigam entrissen, noch haben sie Anlaß zu fasten, wenn die Hochzeit zu Ende ist.«74 Mark. ii. mit dem doppelten Vaticinium auf Jesu Tod und das Fasten der Kirche ist also als sekundäre Bildung auszuscheiden. Aber auch der Relativsatz (V. b) ἐν ᾧ ὁ νύµφιος µετ’ αὐτῶν ἐστιν, der ja V. vorbereitet, stört schon das Bild und muß daher als sekundär betrachtet werden. Somit bleibt als ursprüngliche und völlig ausreichende Antwort Jesu die Gegenfrage: µὴ δύνανται οἱ υἱοὶ τοῦ νυµφῶνος νηστεύειν. Dieses Wort soll in drastischer Weise ein Adynaton ausdrücken.75 Die Neutralisierung des Logions a schon in der vormarkinischen Gemeinde war ein voller Erfolg, denn Matt. vi. ff. wird das christliche Fasten ganz selbstverständlich vorausgesetzt und nur in typisch matthäischer Weise von dem der »Heuchler« abgegrenzt; in der Didache (viii. ) schließlich unterscheiden sich die Christen von den Heuchlern nur noch durch die Wochentage, an denen sie fasten.76 () In ernsthafteren Gegensatz zu pharisäischem Denken stellt sich Jesus durch seine wiederholte Verletzung der Sabbatgebote, denn: »Die große Spezialität der rabbinischen Thoraexegese und pharisäischen Thorapraxis ist das Sabbatgebot.«77 Wenn Jesus also, wie die Überlieferung behauptet, den Sabbat gebrochen, seine Jünger dazu angestiftet und ganz prinzipiell die Bedeutung der Sabbatgebote in Frage gestellt hat, dann traf er den Pharisäismus an einer entscheidenden Stelle. Wir untersuchen hier nur Mark. ii. – Parr. R. Bultmann beurteilt auch den Rahmen dieses Streitgesprächs als Gemeindebildung, da Jesus wegen des Verhaltens seiner Jünger interpelliert werde; die Gemeinde lege also die | Rechtfertigung ihrer Sabbatpraxis Jesus in den Mund.78 Doch müssen wir dagegen mit E. Haenchen ein72 K. Th. Schäfer, ». . . und dann werden sie fasten, an jenem Tage«, in: Synoptische Studien (Festschrift Wikenhauser) (), S. . 73 M. Dibelius, Die Formgeschichte des Evangeliums ( ), S. f. 74 J. Wellhausen, Das Evangelium Marci ( ), S. . G. Quispel, »The Gospel of Thomas and the New Testament«, in: Vig. Chr. XI (), ff., weist S. darauf hin, daß das Logion des Thomasevangeliums dieses Wort in einer ursprünglicheren Fassung erhalten haben könnte; aber auch in diesem Fall bliebe der Einwand Wellhausens gültig. 75 Die Allegorie Bräutigam = Messias = Jesus ist sicher nicht ursprünglich gemeint. Vgl. J. Jeremias, Gleichnisse Jesu ( ), S. , Anm. . 76 Wenn K. Th. Schäfer, a. a. O., meint, »daß sich kein praktisches Interesse aufzeigen läßt, das die Gemeinde mit ihr (sc. der Geschichte Mark. ii. ff.) hätte verfechten können«, so übersieht er diese Entwicklung. – Vgl. im übrigen die Auslegungsgeschichte des Logions Mark. ii. von F. G. Cremer, Die Fastenansage Jesu (). 77 E. Stauffer, a. Anm. a. O., S. mit eindrucksvollen Belegen. 78 R. Bultmann, a. Anm. a. O., S. . Ebenso E. Lohse, »Jesu Worte über den Sabbat«, in: Judentum, Urchristentum, Kirche (Festschrift J. Jeremias) (), S. .
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wenden: »Es war sicherlich nicht eine besondere Vorliebe der Christen, am Sabbat durch Getreidefelder zu gehen und von den Ähren zu essen.«79 Wenn man mit W. Grundmann annimmt, daß die »Erkenntnis spezieller und nicht typischer Situationen in der Rahmung der Berichte« zur Gewinnung der historischen Gegebenheiten dient,80 dann liegt in der ausgefallenen Rahmung unseres Berichts ganz sicher ein historisches Element. Die von Bultmann monierte Tatsache, daß Jesus wegen des Verhaltens seiner Jünger interpelliert werde, erweist sich außerdem im Lichte der rechtsgeschichtlichen Lage als völlig situationsgerecht: Jesus ist in Mark. ii. »ein öffentlicher Abfallprediger, der öffentlich gewarnt wird.«81 Wie begründet nun Jesus sein Verhalten? Schon Markus überliefert drei Antworten Jesu, die sich charakteristisch unterscheiden. Die erste Antwort (Mark. ii. f.) will Jesu Verhalten durch einen Schriftbeweis rechtfertigen: Als David mit seinen Leuten hungerte, aß er die Schaubrote, die nur Priester essen dürfen, und gab auch seinen Leuten davon. Aber dieser Schriftbeweis leistet nicht, was er soll.82 Denn erstens handelte es sich im Fall Davids nicht um einen Konflikt mit den Sabbatgeboten, und zweitens muß eine Halacha aus dem Gesetz abgeleitet werden. Da der Schriftbeweis also materialiter und wohl auch formaliter keinen Gegner Jesu überzeugt hätte, halten wir ihn für sekundär.83 Matthäus muß diese Mängel empfunden haben, denn er paßt die vorliegende Erzählung dem Davidbeispiel dadurch an, daß er einleitend »einen Notstand konstruiert« (ἐπείνασαν!).84 Außerdem fügt er noch einen zweiten Schriftbeweis hinzu, der nun den rabbinischen Regeln wirklich entspricht.85 Völlig anders lautet die zweite Antwort, die Markus berichtet: τὸ σάββατον διὰ τὸν ἄνθρωπον ἐγένετο καὶ οὐχ ὁ ἄνθρωπος διὰ τὸ σάββατον (Mark. ii. ). Dieses Wort will nicht einen Ausnahmefall begründen und rechtfertigen wie der vorhergehende Schriftbeweis, sondern stellt apodiktisch alle Sabbatgebote in Frage. Das dritte Logion (Mark. ii. ), das sich als Folgerung aus dem zweiten | gibt (ὥστε), spricht von der Herrschaft des Menschensohnes über den Sabbat. Aber man kann nicht bezweifeln, »daß das Wort von der Freiheit des Menschensohnes eine deutliche Einschränkung und Abschwächung des ersten darstellt. Dann liegt jedoch die Annahme nahe, daß die Gemeinde solche Abschwächung vorgenommen hat, weil 79
E. Haenchen, a. Anm. a. O., S. . ThLZ, LXXXIII (), Sp. . 81 E. Stauffer, a. Anm. a. O., S. . 82 Vgl. D. Daube, a. Anm. a. O., S. : »The original argument – from David’s conduct – was anything but conclusive from the scholarly, legal point of view.« Allerdings hat der Hinweis auf ein Beispiel erst in neutestamentlicher Zeit seine Beweiskraft für halachische Entscheidungen verloren (so D. Daube, Collaboration with Tyranny in Rabbinic Law (), S. ). 83 Auch der Hinweis von H.-J. Schoeps (»Jesus und das jüdische Gesetz«, in: Studien zur unbekannten Religions- und Geistesgeschichte, , S. –) auf rabbinische Traditionen, nach denen die Handlung Davids an einem Sabbat geschehen sei, macht den Schriftbeweis nicht passender; denn Davids Verstoß bestand in dem am Werktag wie am Sabbat verbotenen Verzehr der Schaubrote. 84 E. Stauffer, a. Anm. a. O., S. . 85 Vgl. D. Daube, a. Anm. a. O., S. : ». . . the scholarly, strictly rabbinic character of the addition . . . «. – Das Zitat Hos. vi. dagegen beweist alles und nichts. 80
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sie wohl ihrem Herrn, nicht aber jedermann die von ihm ergriffene Freiheit zubilligen konnte«.86 Matthäus, der ja noch den Sabbat hält, und Lukas lassen das allgemeingültige Wort von der Freiheit gegenüber dem Sabbatgebot ganz weg und bringen nur das christologisch ausgerichtete. Damit ergibt sich, daß nur Mark. ii. Anspruch hat, als primäre Jesusüberlieferung angesehen zu werden, denn die beiden umrahmenden Logien dienen der Abschwächung und Verwässerung dieses kühnen und streng antipharisäischen Jesuswortes.87 Nun wird freilich immer wieder darauf hingewiesen,88 daß Rabbi Simon ben Menasja sich ähnlich wie Jesus in Mark. ii. geäußert habe: »Euch ist der Sabbat übergeben und nicht ihr seid dem Sabbat übergeben.« Aber de facto bedeutete dies nur, daß der Sabbat zur Rettung eines Menschenlebens entweiht werden durfte.89 Hier erweist es sich als äußerst wichtig, daß wir auch den Rahmen der Szene als ursprünglich erkannten; denn dadurch wird deutlich, daß das Jesuswort doch eine ganz andere Bedeutung als das Wort des Simon ben Menasja hat: Jesus dispensiert nicht nur in äußersten Notfällen von der strengen Sabbatobservanz, sondern meint eine grundsätzliche, bedingungslose Freiheit gegenüber dem Sabbatgebot. () Schon diese Beispiele lassen den tiefen Gegensatz Jesu zu pharisäischem Denken erkennen; doch bliebe Jesus nur ein Reformer oder Reformator, wenn er sich allein gegen pharisäische Superfrömmigkeit gewandt hätte. Aber der Gegensatz geht tiefer, bis in die letzte mögliche Tiefe. Das zeigt der Konflikt über »Rein und Unrein« (Mark. vii, – Par.). In diesem Abschnitt sind verschiedenartige und verschiedenwertige Überlieferungen vereinigt worden, die sich aber noch erkennbar voneinander abheben.90 Die Verse – handeln von einer Auseinandersetzung mit der »Tradition der Ältesten«, V. – über die Umgehung des Gottesgebotes durch kasuistische Bestimmungen; die V. ff. bringen ein isoliertes Logion, das mit dem Vorangehenden in keinem engen Zusammenhang steht, und V. – und – bringen dazu »Erläuterungen«. Der Kernsatz ist zweifellos Mark. vii. : Οὐδέν ἐστιν ἔξωθεν τοῦ ἀνθρώπου εἰσπορευόµενον εἰς αὐτὸν ὃ δύναται κοινῶσαι αὐτόν. Dieses Wort ist nicht nur eine Absage an alle schriftgelehrten | Spezialdiskussionen über Rein und Unrein, sondern eine uneingeschränkte Absage an die alttestamentlichen Reinheitsvorschriften. Dieser Konflikt mit der Tora wird zwar nicht überall erkannt;91 aber gegen alle Bedenken muß man hier mit 86
E. Käsemann, »Das Problem des historischen Jesus«, in: ZThK, LI (), S. –; zitiert nach: Exegetische Versuche und Besinnungen, I (), S. . Vgl. H. Braun, a. Anm. a. O., S. , Anm. : »Die sekundär christologische Argumentation entschärft die primäre Sabbatkritik.« – E. Lohse, a. Anm. a. O., S. , beurteilt dagegen Mark. ii. als Überbietung von ii. . 87 E. Bammel, »Erwägungen zur Eschatologie Jesu«, in: Studia Evangelica, III (TU Bd. ) (), S. , weist auf die Zusammengehörigkeit der – u. E. sekundären – Verse f. und hin. 88 Vgl. schon J. Wellhausen, Das Evg. Marci ( ), S. . 89 Billerbeck II, S. . 90 Vgl. Bultmann: Analyse (a. Anm. a. O., S. f.). 91 Selbst J. Wellhausen, a. Anm. a. O., S. stellt ausdrücklich fest, Jesus sei in Mark. vii. – nicht über Moses hinausgegangen. Auch E. Klostermann, Markusevangelium (HNT ), ( ), und V. Taylor, The Gospel according to St Mark ( ), z. St., zögern vor dieser Auslegung. Ebenso meint H.-J. Schoeps, a. Anm. a. O., S. , dieses Wort lege nur »den Gedanken gefährlich nahe, daß damit die ganze levitische Gesetzgebung aufgehoben sei«.
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E. Käsemann feststellen: ». . . wer bestreitet, daß die Unreinheit von außen auf den Menschen eindringt, trifft die Voraussetzungen und den Wortlaut der Thora und die Autorität des Moses selbst.«92 Markus hat das richtig erkannt, wenn er V. c formuliert: »So erklärte er alle Speisen rein.«93 Das bedeutet also nicht nur, daß Jesus »mit einem Strich den ganzen jüdischen Traditionsgedanken [beseitigt] und . . . damit für die Pharisäer das ganze Gesetz über den Haufen« wirft,94 sondern wir müssen folgern: »Jesus stellt sich nicht unter den Kanon des Alten Testaments, sondern über ihn.«95 Damit hat Jesus die Basis verlassen, auf der überhaupt noch eine Verständigung mit einem Pharisäer möglich ist, denn der göttliche Ursprung des Gesetzes und damit seine unbedingte Geltung standen ihm eindeutig fest.96 Die Gegenprobe für die Ursprünglichkeit des Logions Mark. vii. liefert wieder das Studium der sekundären Zusätze und späteren Auslassungen. Schon Markus hat den entscheidenden Gegensatz Jesu zur Tora durch die Verbindung mit den Kontroversen über das Händewaschen und die Geltung der Halacha verwischt; auch der »paränetisch klangvolle, aber kampftheologisch unanstößige Lasterkatalog«,97 mit dem er den Abschnitt beschließt, wirkt abschwächend. Matthäus schließlich streicht »die Schlüsselbemerkung von Mark. vii. über die Aufhebung aller Speiseverbote, und in Matt. xv. setzt er unter den ganzen Komplex die irreführende Schlußbilanz: τὸ δὲ ἀνίπτοις χερσὶν φαγεῖν οὐ κοινοῖ τὸν ἄνθρωπον.«98 Die Urgemeinde hat also auch hier wieder an die Stelle der prinzipiellen Kritik Jesu eine nur relative Abgrenzung gegenüber den Pharisäern gesetzt. () In Mark. x. – Par. wird Jesus über die Ehescheidung befragt.99 Ohne Wenn und Aber erklärt Jesus die Ehe für unauflöslich (V. ). Damit stellt er sich wiederum in ausdrücklichen Gegensatz zum Alten Testament, | das die Ehescheidung unter bestimmten Bedingungen durchaus gestattet.100 Schon Markus hat das absolutistische Wort Jesu durch einen Schriftbeweis (V. –) untermauern zu müssen geglaubt, der freilich wieder nicht überzeugt; denn es ist doch klar, »daß aus . Mos. i. und ii.
92 E. Käsemann, a. Anm. a. O., S. . Dieses Votum übernimmt auch G. Bornkamm, a. Anm. a. O., S. ; in demselben Sinn äußern sich H. Braun, a. Anm. , a. O., S. ; E. Stauffer, a. Anm. a. O., S. ; E. Haenchen, a. Anm. a. O., S. f. 93 Diese Auffassung von Mark. vii. c hat jetzt auch Eingang in die revidierte Lutherbibel von gefunden. 94 W. G. Kümmel, Jesus und die Rabbinen, erstmals erschienen; zitiert nach Heilsgeschehen und Geschichte (), S. –; Zitat S. . 95 E. Stauffer, Die Botschaft Jesu (), S. . 96 Vgl. etwa J. Leipoldt/S. Morenz, Heilige Schriften (), S. . In diesem Geist kann Matthäus ὁ θεὸς εἶπεν sagen, wo er in seiner Markus-Vorlage Μωυσῆς εἶπεν liest (Matt. xv. – Mark. vii. ). 97 E. Stauffer, a. Anm. a. O., S. . 98 Ibid. 99 Zum rechtsgeschichtlichen Hintergrund vgl. E. Stauffer, a. Anm. a. O., S. . 100 So schon J. Wellhausen, a. Anm. a. O., S. ; vgl. auch G. Bornkamm, a. Anm. a. O., S. ; E. Stauffer, a. Anm. a. O., S. ; H. Braun, a. Anm. a. O., S. . – Anders H.-J. Schoeps, a. Anm. a. O., S. : »Jesus leugnet also nicht Deut. xxiv. und somit die Bestimmung über die Ehescheidung . . . « Schoeps kommt zu diesem Urteil, weil er die matthäische Fassung für die ursprünglichere hält; doch das ist schwerlich möglich.
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nichts gegen die mosaische Scheidungsgesetzgebung zu beweisen ist«.101 Matthäus aber stellt die Autorität des Mose stillschweigend wieder her, indem er Jesus in einem abschließenden Votum die Ehebruchsklausel einfügen läßt (Matt. xix. ; vgl. v. ). In der matthäischen Fassung ist Jesus nur ein pharisäischer Schriftgelehrter, der in einer damals viel verhandelten Streitfrage den strengen Standpunkt der Schule Schammais vertritt.102 Das lehrt uns, auch hier den ursprünglich radikalen Gegensatz zu den Pharisäern als jesuanisch anzusehen. () Was wir bisher über die Stellung Jesu zum pharisäischen Denken ermittelt haben,103 bestätigt sich auf das deutlichste in einem ganz unmittelbar gegen den Pharisäismus gerichteten Kampfwort Jesu, nämlich im Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner (Luk. xviii. –). Schon A. Jülicher hatte Jesus als den »Schöpfer dieser urechten παραβολή« anerkannt,104 und bis heute ist sich die Forschung in der Echtheitsfrage einig.105 Der Pharisäer des Gleichnisses ist sicher nicht als billige Karikatur gemeint, er stellt nach der Meinung von Jesu Zeit und Umwelt tatsächlich das »Musterbild eines frommen Menschen« dar.106 Wir können ihm glauben, daß er das Programm des Pharisäismus genau erfüllt, daß er es sich blutsauer werden läßt. Und gerade über diesen Menschen spricht Jesus das »Nicht gerechtfertigt«!107 Damit wird noch einmal brennpunktartig deutlich, was schon bei den einzelnen Kontroverspunkten immer wieder hervorgetreten ist: (a) Jesus kämpft nicht gegen einzelne Entartungserscheinungen im Pharisäismus, sondern gegen den Pharisäismus an sich; denn das Verhalten des Pharisäers zu Gott und zu seinem Nächsten ist falsch. (b) Jesus beruft sich bei seinem Urteil weder auf Sonderoffenbarungen, wie die Propheten, noch auf Schriftdeduktionen, wie die Schriftgelehrten, | sondern spricht ὡς ἐξουσίαν ἔχων; ». . . Jesus von Nazareth verkündet seinen Gott mit einem Geltungsanspruch, der ganz allein auf dem lebenslänglichen Sonderverhältnis des Sohnes zum Vater beruht und jede andersartige Begründung, vollends aber jede Berufung auf irgend eine fremde Autorität verschmäht«.108
101 H.-J. Schoeps, a. Anm. a. O., S. . – Wichtig der Hinweis bei H. Braun, a. Anm. a. O., S. , auf ein in diesem Fall unabweisbar erscheinendes »Abhängigkeitsverhältnis der Jesustradition von der Sektentradition«. 102 So schon E. v. Dobschütz, a. Anm. a. O., S. . 103 Dasselbe Bild zeigen auch andere Jesustraditionen, so die Aufhebung der Todesstrafe bei Ehebruch, sein Anspruch, die Sündenvergebung auszusprechen, sein Verkehr mit »Zöllnern und Sündern«. 104 A. Jülicher, Die Gleichnisreden Jesu, (), . 105 Vgl. dazu E. Haenchen, a. Anm. a. O., S. ff.; J. Jeremias, Die Gleichnisse Jesu ( ), S. ff.; E. Linnemann, Gleichnisse Jesu (), S. ff. 106 E. Linnemann, a. a. O., S. . 107 Daß das παρ’ ἐκείνου exklusiven Sinn hat, hat J. Jeremias, a. a. O., S. , nachgewiesen. 108 E. Stauffer, »Jesus und seine Bibel«, in: Abraham unser Vater, Festschrift für O. Michel (), S. . Diesem Aufsatz verdankt die vorliegende Arbeit entscheidende Anregungen.
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Jesus und die Pharisäer
V Hermann Samuel Reimarus hat vor bald Jahren erklärt, es sei offenbar, »daß Jesus die jüdische Religion in keinem Stücke abschaffen und statt derselben eine neue hat einführen wollen«.109 In dieser Sicht hat er immer wieder und bis heute Nachfolger gefunden. Im Lichte der neueren Forschung hat sich uns diese Position als unhaltbar erwiesen: »Sich jenen Mann (sc. Jesus von Nazareth) nur als einen Lehrer erhabener religiöser und ethischer Maximen vorzustellen, die sich nicht wesentlich von dem herkömmlichen Muster unterschieden, gibt uns keinen hinreichenden Grund zur Erklärung seines Lebensendes, läßt auch der Überlieferung keine Gerechtigkeit widerfahren.«110 Im vorliegenden Überblick über einige wichtige synoptische Stellen111 haben wir versucht, der Überlieferung gerecht zu werden. Dabei wurde deutlich der unerhörte Geltungsanspruch Jesu erkannt, der sich in aller Schärfe gegen die Theologie des normativen Judentums gerichtet hat. Jesus hat damit unausbleiblich herausgefordert einen »Kampf zwischen Glaube und Glaube – zwischen dem juristisch unkontrollierbaren Offenbarungsanspruch Jesu Christi und dem gesetzlich garantierten Offenbarungsanspruch des Alten Testaments«.112 Wer den Zusammenstoß zwischen Gesetz und Evangelium, zwischen Leistungsreligion und Heilsbotschaft, der sich in den Konflikten Jesu mit den Pharisäern manifestiert, verharmlost, rührt daher letztlich an das Zentrum des Christusglaubens: Christusbegegnung ist Gottesbegegnung.
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Zitiert nach A. Schweitzer, Geschichte der Leben-Jesu-Forschung ( ), S. . G. Lindeskog, »Der Prozeß Jesu im jüdisch-christlichen Religionsgespräch«, in: Abraham unser Vater (Festschrift O. Michel) (), S. . Vgl. auch S. . 111 E. Stauffer, a. Anm. a. O., S. weist auch auf beachtliche Übereinstimmungen im . Evangelium hin. 112 E. Stauffer, ibid., S. . 110
Markus , Das Jesuswort über die innere Verunreinigung * Walther v. Loewenich zum . Geburtstag R. Bultmann hat in seiner »Geschichte der synoptischen Tradition«1 aufgewiesen, daß in der Logienüberlieferung eine Tendenz zu sekundären Erweiterungen besteht.2 Vor allem sind einleitende oder abschließende Zusätze abzuheben, die durch die Einfügung der ursprünglich einzeln überlieferten Stücke in einen größeren Zusammenhang bedingt sind; es finden sich aber auch dogmatische Erweiterungen, die auf »ein in der Regel unbewußtes Abfärben christlicher Anschauungen« zurückgehen.3 Bultmann zeigt diese Tendenz vornehmlich am redaktionellen Material, aber er fordert, »daß man sich mit solchen Beobachtungen nicht auf die Fälle beschränken darf, in denen ein Vergleich der Quellen möglich ist, sondern daß man die Linie der Betrachtung bis hinter unsere letzten Quellen, Q und Mk, zurückziehen muß und so in der Tat einen Einblick in das Werden der Tradition erhält vor ihrer Fixierung in den uns zugänglichen Quellen«.4 Zu solcher Betrachtung scheint uns das bisher stets als organische Einheit verstandene Logion Mk , aufzufordern.
I Es ist heute weithin anerkannt, daß Mk ,–, das Streitgespräch über Rein und Unrein, keine ursprüngliche Einheit ist.5 Daß hier eine sekun- | däre Komposition vorliegt, zeigt schon eine einfache Überlegung: Wie können die Jünger ein Streitgespräch provozieren (V. ), indem sie einer Maxime Jesu entsprechend handeln, die sie doch erst später (V. ) kennenlernen und dann noch nicht einmal verstehen (V. f.)? Zwar herrschen über die Unterteilung der VV. – verschiedene Meinungen, Ursprünglich veröffentlicht in: ZRGG , , S. –. Zitiert nach der . Aufl., Göttingen . 2 A. a. O., ff. 3 Ibid. . 4 Ibid. . 5 Vgl. J. W, Das Evangelium Marci, Berlin , f.; J. H, Die Worte Jesu über die kultische Reinheit und ihre Verarbeitung in den evangelischen Berichten, ThStKr , , ff.; R. B (s. Anm. ), f.; M. D, Die Formgeschichte des Evangeliums, Tübingen , f.; J. S, Die Zusammensetzung des Markusevangeliums, Abo , ff.; E. H, Frühgeschichte des Evangeliums I, Tübingen , f.; V. T, The Gospel according to St Mark, London , ; E. H, Der Weg Jesu, Berlin , ff.; E. S, Das Evangelium nach Markus, (NTD ), , f. *
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aber unzweifelhaft beginnt mit V. ein neuer Abschnitt; denn in V. – geht es um das Händewaschen, in V. ff. aber um Speisegebote (V. !).6 V. ist redaktionelle Einleitung zu dem Logion V. , V. folgt, wie öfter bei Mk,7 eine Frage der unverständigen Jünger, auf die in zwei Anläufen geantwortet wird (V. b.; –). Die »Keimzelle«8 dieses Abschnitts ist V. : Οὐδέν ἐστιν ἔξωθεν τοῦ ἀνθρώπου εἰσπορευόµενον εἰς αὐτὸν ὃ δύναται κοινῶσαι αὐτόν· ἀλλὰ τὰ ἐκ τοῦ ἀνθρώπου ἐκπορευόµενά ἐστιν τὰ κοινοῦντα τὸν ἄνθρωπον.
II Was wollte Jesus mit diesem Logion (Mk ,//Mt ,) sagen? Ein kurzer Überblick über die neuere exegetische Debatte zu unserem Wort zeigt starke Divergenzen in der Beurteilung. a) Wenn Jesus erklärt, nichts von außen in den Menschen Eingehendes könne ihn verunreinigen, so sieht das wie eine Stellungnahme gegen die alttestamentlichen Speisegebote aus, die ja in der Tat behaupten, der Genuß gewisser Fleischarten ziehe kultische Unreinheit nach sich. Einen solchen Konflikt Jesu mit der Tora wollen freilich viele Gelehrte nicht zugeben. Schon stellte C. F. A. F9 zu Mt , fest: »Vehementer laborarunt interpretes, ne Iesus ciborum discrimina Mosis illa sancita lege diserte sustulisse videretur.« Das trifft nach Fritzsches Meinung nicht zu: »Sed reprehendit Iesus nimiam Pharisaeorum in rebus non magni momenti, neglectis gravissimis, religionem (cf. V. –), nec negat omnino cibos hominem polluere, sed prava animi consilia multo inquinare magis.« Vom matthäischen Kontext bestimmt entnimmt Fritzsche unserem Logion nur eine Überordnung der Herzensreinheit über die kultische Reinheit. Bei allen Exegeten, die sich ähnlich wie Fritzsche entschieden haben, steht solche Rücksicht auf den Kontext und auf das matthäische Christusbild (Mt ,ff.; , u. a.) mehr oder weniger deutlich im Hintergrund. An die Welt der hellenistischen Allegorese der Reinheitsgebote fühlen | wir uns gemahnt, wenn wir bei C. F. K10 lesen: »Jesus faßt den gesetzlichen Begriff von Rein und Unrein in seiner schriftmäßigen ethischen Bedeutung, welche von den Pharisäern gänzlich verkannt wurde, und erklärt Speise und Trank an und für sich für ein Adiaphoron, ohne damit die mos. Speisegesetze aufzuheben, da diese auf ethischer Grundlage ruhten, obwol aus seinem Ausspruche sich ergab, daß nur die denselben zu Grunde liegende ethisch-religiöse Idee ewige Bedeutung hat, ihre Form aber mit der ganzen Institution des A[lten] B[undes] einer Wandlung unterliegen
6 Diese Einwände sind doch zu schwerwiegend, als daß der Hinweis von D. D (The New Testament and Rabbinic Judaism, London , f.) auf rabbinische Formparallelen eine ursprüngliche Einheit von Mk ,– annehmen ließe. 7 Mk ,; ,. 8 E. H (s. Anm. ), . 9 Evangelium Matthaei, Leipzig , f. 10 Commentar über das Evangelium des Matthäus, Leipzig , f.
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Das Jesuswort über die innere Verunreinigung
kann.« Den schriftgelehrten Kontrahenten Jesu dürfte freilich das mosaische Gesetz nicht bloß als wandelbare Konkretion einer ewigen Idee erschienen sein! Auch B. W11 gesteht nicht zu, daß Jesus mit der Tora gebrochen habe, sondern nur mit den Satzungen der Pharisäer; »denn soweit die Pharisäer und ihre Schriftgelehrten das Gesetz Mosis lehrten, hat er rundweg für sie Partei ergriffen (Matth. ,f.) und all ihre Kleinlichkeit und Reinlichkeit in der Erfüllung derselben hat er nicht schlechthin verworfen, sondern nur verlangt, daß man darüber nicht die Hauptsache vergesse (,f.)«.12 Mit dieser festen Gründung auf dem matthäischen Christusbild kann B. Weiß nun zu Mk , erklären, daß Jesus »mit diesem Urtheile über die pharisäischen Satzungen mit nichten das Gesetz Gottes über Rein und Unrein erschüttern wolle«.13 Aus diesem Wort »ersieht das Volk, daß er an der gesetzlichen Ordnung festhält, welche einen Unterschied macht zwischen Rein und Unrein . . . Der Genuß der verbotenen Speisen verunreinigt nicht im levitischen Sinne, sondern ist eine grobe strafwürdige Gesetzesübertretung. Vielmehr was von dem Menschen ausgeht, die verschiedenen Blut- und Samenflüsse, der im Aussatz heraustretende Ausschlag, die aus dem Leichnam sich entwickelnde Verwesung, das ist das nach dem Gesetz Verunreinigende«.14 Indem B. Weiß das zweimalige κοινοῦν in V. a und b im physischen Sinn versteht, findet er hier eine Halacha Jesu zur Reinheitsgesetzgebung! Jedoch will Weiß mit dem Ausspruch auch noch einen tieferen Sinn verbunden wissen, indem er das κοινοῦν nun beidemale im übertragenen Sinn versteht. Die gesetzliche Ordnung sei Jesus »zum Gleichniß für die höhere Ordnung« geworden, »wonach im Gottesreiche bestimmt werden soll, was wahrhaft, d. h. im sittlichen Sinne verunreinigt und was nicht«.15 Somit erreicht B. Weiß, was er erreichen will: Nach beiden Deutungen, der nur auf die kultische und der nur auf die sittliche Reinheit abzielenden, zeigt Jesus dem Volk, »daß sein Bruch mit den Pharisäern kein Bruch mit dem Gesetze sein sollte, das dieselben zu vertreten vorgaben«.16 Zwar hat diese Deutung keinen weiteren | Anklang gefunden, aber sie weist doch mit Recht darauf hin, daß der bei der geläufigen Deutung angenommene Bedeutungswechsel des Verbums κοινοῦν in V. a/b nicht so selbstverständlich ist, wie es scheint. J. W17 nennt Mk , zwar einen »prinzipiellen Ausspruch«, gibt ihm aber keinerlei Erläuterung. Erst bei der Behandlung des absoluten Scheidungsverbotes Jesu (Mk ,–) erklärt er beiläufig: »Im Unterschied zu § (Mk ,–) geht 11
Das Leben Jesu II, Berlin . A. a. O., . 13 Ibid. . 14 Ibid. . 15 Ibid. 16 Ibid. . – In seinem Mt-Kommentar (MeyerK ) urteilt er: »Gegen die Mosaischen Speisegesetze redet er nach dem Contexte nicht, aber die Anwendung seiner Rede auf dieselben ist nach Meyer unvermeidlich, so daß damit nothwendig ihre materielle Auflösung in die Perspective tritt . . . « Aber er fühlt sich doch genötigt hinzuzufügen, daß Jesus »Speise und Trank nur an und für sich als Adiaphoron bezeichnet, die besonderen Verhältnisse, unter denen der Genuß unsittlich ist (Unmäßigkeit, Ärgerniss . Kor. u. s. w.) hier außer Betracht läßt« . 17 A. Anm. a. O., . 12
Markus ,
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Jesus hier über Moses hinaus.«18 Leider wird nicht deutlich, warum Wellhausen in Mk , keinen Torakonflikt sieht. Ähnlich wie C. F. Keil äußern sich F. J. F. J und K. L:19 Jesus hat das Gesetz nicht nach seinem Buchstaben, sondern nach seinem Geist verstanden. Seine Haltung gegenüber dem Gesetz sei ähnlich derjenigen der Pharisäer gewesen, denen es auch um eine »re-interpretation« des Gesetzes gegangen sei.20 Während freilich die pharisäische Neuinterpretation das Gesetz in Wirklichkeit veränderte, sei Jesu Vorgehen gegründet »on the mind of the divine author of the Law«.21 »His own interpretation was that the purpose of the Law was to avoid defilement which is the result, not of food, but of evil thought and bad conduct . . . «22 Ob man diese Spiritualisierung der levitischen Reinheitsgesetze als sachgemäße »Interpretation« bezeichnen darf, ist doch sehr fraglich; denn Israeliten sollten eben kein Schweinefleisch essen, ganz abgesehen von den guten oder bösen Gedanken, die den einzelnen dabei bewegen mochten. A. J23 erkennt zwar in unserem Wort einen »radikalen Bruch mit der jüdischen Ethik, . . . mit Lev , ἐν τούτοις µιανθήσεσθε und der daran hängenden Unzahl von ἀκάθαρτος ἔσται ist Jesu οὐ δύναται κοινῶσαι unvereinbar«. Aber er wehrt recht unvermittelt die »Übertreibung« ab, »Jesus gehe Mc f. zur Aggressive gegen den Mosaismus über, er werfe sämtliche mosaische Reinigkeitsgesetze über den Haufen«.24 Es ist ihm eben »undenkbar«, daß Jesus irgendwelche Vorschriften des Pentateuch abrogiert haben könnte. »Aber mit dem Recht der religiösen Genialität hat er dieses Gottesgesetz ausgelegt nach dem Kanon des eigenen Gewissens, und, ohne die levitischen Speisesatzungen anzugreifen oder zu verteidigen, ein sittliches Prinzip ausgesprochen, von dessen Höhe aus die Entwertung großer Teile des Mosegesetzes von selbst erfolgte . . . «25 Könnte die Urkirche in der Tischgemeinschaft mit Heiden ein Problem gesehen haben, wenn Jesus die Speisegesetze radikal abgelehnt hätte? So fragt C. T. C.26 Zwar sieht er klar: »Taken literally, this saying (sc. Mk ,) might be thought to cross out entire chapters of the book of Leviticus.« Aber er entzieht sich diesem Verständnis mit Hilfe der selbstbeschwichtigenden Wendung ». . . we should not suppose that Jesus was an | iconoclast . . . «; also ist unser Wort nur als Protest »against the extreme concern with ritual defilement« zu verstehen. Auch H.-J. S sieht,27 daß mit Mk , »praktisch der Lev. cap. , Deut. cap. u. ö. geforderte Unterschied zwischen „reinen“ und „unreinen“ Tieren aufge18
Ibid. . The Beginnings of Christianity I, London , ff. 20 A. a. O., . 21 Ibid. . 22 Ibid. , Anm. . 23 Die Gleichnisreden Jesu II, Tübingen , ff. 24 A. a. O., f. 25 Ibid. . 26 The Beginning of Christianity, New York/Nashville , f. 27 Jesus und das jüdische Gesetz, in: Studien zur unbekannten Religions- und Geistesgeschichte, Göttingen , . 19
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Das Jesuswort über die innere Verunreinigung
hoben« sei, aber er will als die »mit Sicherheit feststellbare Intention Jesu« lediglich die Aussage gelten lassen, »daß die ethischen Gesetze der Thora denen über das Speiseritual vorzuziehen seien«. Unser Logion sei nämlich nicht »prinzipiell«, sondern als »gelegentliche Spruchweisheit« aufzufassen. Da Schoeps auch in der Sabbatfrage und in der Ehescheidungskontroverse keine Torakonflikte annimmt, ist ihm solche abschwächende Interpretation möglich. b) Eine zweite Gruppe von Exegeten verneint zwar die Möglichkeit eines direkten Torabruches Jesu, sieht aber doch in Mk , einen Grundsatz ausgesprochen, der implizit eine Abschaffung der levitischen Gesetze beabsichtige. In diesem Sinne äußerte sich schon H. G.28 Direkt wende sich Jesus nur gegen die pharisäisehe Auffassung, »ita immunda esse quaedam natura sua, ut per se, non ex instituto, animam polluerent . . . Nihil igitur hic Christus docet contra legem ciborum discriminatricem, neque enim tempus advenerat, quamquam oblique, dum ostendit nihil esse natura immundum, contra quam Pharisaei existimabant, simul significat legem illam non esse immutabilem . . . « »Ita aequa interpretatio legis de ciborum discrimine, ut et ante de sabbato, earundem legum antiquationi viam molliter praestruxit.« Ähnlich behutsam denkt sich T. K29 das Vorgehen Jesu, das aus seiner augenblicklichen Lage motiviert gewesen sei. In Mk ,– nämlich hat Jesus den endgültigen Bruch mit dem Pharisäismus vollzogen und muß nun, soll seine Sache nicht verloren sein, das Volk zum Bundesgenossen gewinnen. »Ein weiser Lehrer auch in der Volksaufklärung, auch in der Nothwehr, auch in der Aufregung eilt er aber nicht zum völligen saubern Abbruch des Glaubens an das System . . . «30 Gewiß enthielt Mk , »den Kern der ganzen Jesuslehre gegen die Pharisäerlehre, ja in letzter Perspective gegen die Gesetzeslehre«, aber Jesus darf das, was Keim sieht, nur andeutend gesagt haben, denn »seine Gewissenhaftigkeit erlaubte es ihm nicht, den geistigen Prozeß seines Volks zu übereilen . . . «.31 Die biographische Konstruktion führt also zu einer abschwächenden Deutung unseres Wortes. C. W32 geht von der Haltung der Urkirche zum Gesetz aus, die »das Gesetz ehrte, und doch auf einer neuen Grundlage lebte, die aber kein anderes Gesetz ist«. Dies führt er auf »Vorgang und Anweisung« Jesu zurück, der ja das Gesetz als »Rechtsordnung« achtete – hier kommt wieder das Matthäus-Sondergut zur Geltung! –, aber »doch Urteile ausgesprochen | [hat], welche gewissen Geboten des Gesetzes nur einen vorübergehenden Wert lassen, und andere höhere Ansichten und Ziele darüber stellen«.33 Dazu gehört auch Mt ,, ein Wort, durch das die Jünger lernen sollten, »die Verunreinigung durch Speisen als gleichgültig für die sittliche Reinheit« zu achten; vielmehr stehe »innere Reinheit höher als die der Speiseordnung«. Entscheidend sei das Bewußtsein, »daß alle Gesetzesbeobachtung doch nicht ausreiche, 28 29 30 31 32 33
Annotationes in Novum Testamentum, Editio nova T. I, Halle , . Geschichte Jesu von Nazara I, Zürich , ff. A. a. O., . Ibid. . Das apostolische Zeitalter der christlichen Kirche, Freiburg , . Ibid.
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einen Menschen gerecht zu machen; damit war noch nicht gesagt, daß er sie aufgeben solle; aber er erreichte das Lebensziel nicht darin«.34 Der Grundsatz Weizsäckers, die vermittelnde Stellung der Urgemeinde auf Vorgang und Anweisung Jesu zurückzuführen, ist nicht unanfechtbar. Auch J. K35 will die verschiedenen Strömungen der Urgemeinde auf Jesu Haltung zurückführen: Sowohl Jakobus und Petrus, die für die Beibehaltung des Gesetzes kämpften, als auch Paulus, der das Zeremonialgesetz beseitigen wollte, können sich nach seiner Meinung auf Jesus berufen.36 Denn Jesus »blieb . . . im Zusammenhang mit der alten Thora und erfüllte die Zeremonialgesetze wie jeder pharisäische Jude . . . «, aber auch Paulus mußte für seinen Ruf nach Freiheit vom Gesetz »in den Worten Jesu mindestens entsprechende Andeutungen gefunden« haben, die ihn dazu legimitierten.37 Zu diesen Worten gehört nach Klausner auch Mk ,; mit diesem Wort erlaubt Jesus, »wenn auch nur vorsichtig und andeutungsweise, Speisen, die in der Thora Moses verboten waren«.38 Zwar erkennt auch E. K39 , daß mit Mk , »folgerichtigerweise die ganze levitische Gesetzgebung selbst beiseitegeschoben« wird, aber er meint, »Jesus selbst brauche diese Konsequenz noch nicht gezogen zu haben«;40 ähnlich äußern sich V. T41 und P. B42 . Aber es wird nicht recht einsichtig, warum das klare Wort Jesu nur »andeutend« gemeint sein solle. c) Eine dritte Gruppe von Exegeten schließlich erkennt zwar an, daß Mk , nach seinem klaren Wortlaut ein offener Angriff auf die mosaischen Speisegesetze bzw. auf die Gesamtheit der levitischen Reinheitsgesetze ist, spricht aber gerade wegen dieser Radikalität das Wort – mindestens in der vorliegenden Form – dem historischen Jesus ab. Letztlich entspringt dieses Urteil denselben Erwägungen, die die bisher genannten Forscher zu Abschwächungen und Umdeutungen des Wortlauts bewogen haben. Mit großer Schärfe und Klarheit hat W. B43 gesehen, daß unser | Wort, »so ohne Vorbehalt geäußert, einigen ganz unzweideutigen Aussagen und Bestimmungen des mosaischen Gesetzes« widerspricht.44 Und er erklärt, dieser »aperte Widerspruch gegen das geschriebene Gesetz darf meines Erachtens dem Meister der jerusalemischen Urapostel nicht zuerkannt werden«.45 Freilich meldet Brandt auch ernste Bedenken gegen die Form unseres Wortes an, das zu den Paradoxen gehöre, da ja in der ersten Hälfte der Aussage nur an materielle, in der zweiten nur an sittliche 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45
. Jesus von Nazareth, Jerusalem . A. a. O., . Ibid. . Ibid. . Das Markusevangelium (HNT ) , f. A. a. O., . A. Anm. a. O., f. L’Evangile selon St Matthieu (Comm. du NT ), , . Jüdische Reinheitslehre und ihre Beschreibung in den Evangelien (BZAW ), , ff. A. a. O., . Ibid. .
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Das Jesuswort über die innere Verunreinigung
Reinheit gedacht sei. Die Verwendung solcher Wortspiele in Streitreden aber hält Brandt für »bedenklich, denn sie fordern Mißverständnisse geradezu heraus, verwirren die Debatte und führen nur ab von ihrem Ziel: man hat da ein Recht zu fragen, ob sie wirklich Geist bekunden, nicht vielmehr einem wirren Kopf, gedanklicher Unklarheit, mangelhafter Logik entsprungen seien«.46 Dieser temperamentvolle Angriff enthält zweifellos eine berechtigte Erwägung: bei B. Weiß war ja ein Mißverständnis des auf zwei Ebenen argumentierenden Wortes aufgetreten! Ob deswegen eine Unechtheitserklärung notwendig oder gerechtfertigt ist, ist eine andere Frage. Mit Entschiedenheit wollte auch B. W. B47 unser Logion dem historischen Jesus absprechen. »Jesus’ attitude toward the Law is consistently and uniformly that of the prophet, applying and teaching its „weightier“ commandments. He subordinates, but does not annul its ritual and ceremonial requirements.«48 Der Radikalismus in der Formulierung ist also dem Heidenchristen Markus zuzuschreiben.49 Als Begründung für dieses Urteil lesen wir: »The radical belligerency of Mk against Jewish legalism in toto . . . is incompatible with the references of Paul to Jesus’ conciliatory attitude (Rom. :–; :; ICor. :; Gal. :f.).«50 Solche Berufung auf Paulus trägt nun zwar nicht viel aus, da er kaum viel über den irdischen Jesus gewußt haben dürfte,51 aber die Möglichkeit einer Retrojektion späterer antinomistischer Tendenzen muß natürlich erwogen werden. Auch B. H. B52 sieht sich gezwungen »to agree that the saying (sc. Mk ,) was scarcely uttered by Jesus in quite so clear-cut a form and with so explicit and radical an application«.53 Freilich zeigte sich Jesus indifferent gegenüber den Reinheitsforderungen, auch verwarf er das biblisch begründete Scheidungsrecht, die Gebote über die Gültigkeit der Eide und ignorierte die Sabbatvorschriften, so daß eine gelegentliche Äußerung wie Mk , schon denkbar wäre. »He may very well have declared in connection with some specific case that arose that a good man who was engaged in doing a good deed did not become evil in God’s sight through the food which he ate . . . «54 Allerdings ist diese »Rahmung« reine Vermutung Branscombs, und er gibt keinerlei Hinweise, wie das »ursprüngliche« Wort rekonstruiert werden könnte. | Daß Mk , »nicht mehr Konzentration, Verinnerlichung und Vollendung der Thora, sondern ihre Außerkraftsetzung in einem ganzen Gesetzesbereich« bedeute, hat jüngst auch W. T55 deutlich erkannt. Gleichwohl erwägt er, »ob die prinzipielle Schärfe der Formulierung nicht doch zum Teil auf das Konto des Hei46 47 48 49 50 51 52 53 54 55
Ibid. . Studies in Matthew, London . A. a. O., . Ibid. . Ibid. . Vgl. dazu G. B, Art. Paulus, RGG , Bd. V, . The Gospel of Mark (Moffat NT Comm.), , ff. A. a. O., . Ibid. . Fragen zur Geschichtlichkeit Jesu, Düsseldorf , .
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denchristen Markus und seine da und dort spürbare kühle Distanz zu „den Juden“ und sein relatives Unverständnis für jüdisches Denken und Leben geht«.56 Auch hier müssen wir nach den Kriterien fragen, die solehe Umformung erkennen lassen. d) In neuerer Zeit mehren sich die Stimmen, die Mk , als echtes Kampfwort Jesu gegen die Tora anerkennen. Schon F. C. B57 hat nach einer umfassenden, heute noch lesenswerten Diskussion von Mt , erkannt, daß dieser gesetzesgebundene »Ausspruch erst in der Relation des Evangelisten eine judaistische Fassung erhalten hat, in welcher er nicht aus dem Munde Jesu gekommen ist«58 und die bis heute gültige methodologische Folgerung gezogen: »Um . . . zu bestimmen, in welches Verhältnis Jesus sich und seine Lehre zum Alten Testament gesetzt habe, kann man sich nur an die in der evangelischen Geschichte darauf sich beziehenden Aussprüche Jesu halten.«59 Mit einem solchermaßen für die Einzelaussage befreiten Blick kann Baur zu Mk , feststellen: »Hiermit erklärte er überhaupt die Beobachtung der mosaischen Reinigkeitsgesetze für etwas sittlich Indifferentes . . . «60 Stellen wie Mk ,; Mt ,. , ff., ff. »bezeugen es klar, daß er dem mosaischen Gesetz keine absolut bindende Autorität zuerkannte«.61 Nach W. B62 zielt Jesu Wort Mk , »zwar zunächst nur auf die wider pharisäische Satzung ohne vorheriges Händeeintauchen genossene Speise, aber unmöglich konnte es Jesu entgehen, daß er damit die ganze mosaische Unterscheidung reiner und unreiner Speise für das religiöse Gewissen aus den Angeln hob«. Beyschlag vereinbart diese Erkenntnis mit Mt , ff., indem er die »Erfüllung« des Gesetzes durch Jesus betont, die eben eine »Auflösung, Aufhebung« in sich schließe. Die ethischen Gebote »führt er aus der rechtlichen Sphäre und äußerlich zwingenden Satzungsnatur in die rein-sittliche empor, welche die Sphäre der Freiheit ist«, die Ritualgebote | »führt er aus der ritualen Äußerlichkeit ebenso in die rein religiöse Innerlichkeit über, – beide aus dem Buchstaben in den Geist . . . «63 Zwar »begnügte er sich, unter rücksichtsvoller Schonung des Bestehenden und der daran haftenden Pietät, Saatkörner künftiger Gesetzesfreiheit in die Gemüther seiner Jünger auszu-
56
Ibid. Vorlesungen über Neutestamentliche Theologie (ed. F. C. Baur), , ff. 58 A. a. O., . 59 Ibid. . 60 Ibid. f. 61 Ibid. . – Da Baur aber auch Mt ,. , ff. für echte Worte Jesu hält, kommt er zu dem Resultat, daß Jesus »zwar in einzelne seiner Aussprüche genug hineinlegen wollte, um einen principiellen Gegensatz nicht blos gegen die Satzungen der Pharisäer, sondern auch gegen die fortdauernde absolute Geltung des Gesetzes begründen konnte, daß er aber, statt es zu einem offenen Bruche kommen zu lassen, die weitere Entwicklung des an sich und thatsächlich schon vorhandenen Gegensatzes dem Geiste seiner Lehre überließ, der von selbst dazu führen musste«, . 62 Das Leben Jesu, . Teil, Halle , ff. 63 A. a. O., . 57
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Das Jesuswort über die innere Verunreinigung
streuen«64 , aber »seine eigene innere Stellung, gesetzesfrei wie sie ist, verbirgt er dabei seinen Vertrauten nicht«.65 Auch E. P. G66 erkennt die Tragweite von Mk ,: ». . . Jesus strikes at the root not only of traditionalism, but of ceremonialism, saying that it was not what a man took into his stomach, but what came out of his heart, that defiled him.« Dieser Bruch mit dem geschriebenen Gesetz »released men from the obligation of a part of the law said to have been given by God to Moses«. Kurz und klar ist hier das Wesentliche ausgesagt. Mit größter Energie hat sich C. G. M67 dem Problem unseres Wortes gestellt. Scharfblickender als die meisten zeitgenössischen Theologen stellt er fest, daß der Kontext dieses Wortes zwar nur von rabbinischen Gesetzen spricht, »yet the great principle laid down by Jesus runs directly counter to the laws of the Pentateuch«.68 Die uns geläufige Unterscheidung von (unwichtigen) kultischen und (bleibenden) ethischen Gesetzen im AT weist Montefiore vom Standpunkt des Pentateuch und der Rabbinen aus entschieden zurück: »If the one set of laws is divine, so is the other set.« Über die revolutionären Konsequenzen von Mk , hat Montefiore Bleibendes geäußert – seine Worte verdienen es, hier wiederholt zu werden: »According to the great principle laid down by Jesus, no thing can make you unclean. You can only make yourself unclean by sin. The principle seems profoundly true. It destroys with a prophet’s blow the terrible incubus from which all ancient religions suffered, that certain objects or physical states are in themselves taboo or religiously unclean . . . That rested upon very ancient superstitions, which, again, themselves depended upon polytheistic or „animistic“ conceptions of still greater antiquity.«69 »Such a saying lifts a load, and removes a nightmare, from the human mind and thought . . . The world is profoundly indebted to Jesus for this liberating and clarifying words.«70 Allerdings steht dieses bemerkenswerte Votum unter einem leisen Vorbehalt: ». . . it may even be that the full consequence of the great principle laid down in was not present to his (sc. Jesus’) own mind, or that he did not desire that his disciples should practically draw out those consequences in their own lives . . . «71 Dieser Vorbehalt geht darauf zurück, daß Monte- | fiore auch die Polemik von Mk ,– für echt hält – dort aber grenzt sich Jesus nur von der pharisäischen Tradition ab und erkennt die Tora ungeschmälert an. So ist es unvermeidlich, daß die Torakritik in V. von Montefiore als »inconsistency« getadelt wird.72 64 65 66
Ibid. Ibid. . A Critical and exegetical Commentary on the Gospel according to St. Mark (ICC), = ,
. 67
The Synoptic Gospels I, London , ff. (Ähnlich in der . Aufl. z. St.) A. a. O., . 69 Ibid. (vgl. . Aufl. ). 70 Ibid. (vgl. . Aufl. ). – Vom Standpunkt des liberalen Judentums aus bejaht Montefiore dieses Jesuswort aufs entschiedenste, sucht aber doch eine Rechtfertigung für die Beibehaltung äußerer Religionsübungen. (; vgl. I , .) 71 Ibid. . 72 Ibid. (= I , f.). 68
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Klar und ohne Umschweife legt J. W73 unser Wort aus: »Es gibt überhaupt keine Verunreinigung durch Speisen. Er (sc. Jesus) hätte auch sagen können (und vielleicht war das auch der ursprüngliche Sinn:) „Nichts, was von außen an den Menschen herankommt, kann ihn verunreinigen.“ Das ist ein im Judentum Palästinas unerhört kühnes und grundstürzendes Wort. Denn nicht nur die Lehren der Schriftgelehrten, sondern das ganze mosaische Gesetz mit seinen vielen Reinigungsund Opfervorschriften beruht auf dem Gedanken, daß man sich durch Berührung und Befleckung und durch Speisengenuß „unrein“ machen und vom Verkehr mit Gott und von der Gemeinde ausschließen könne. Zieht man die Folgerung aus dem Worte Jesu, so wird all diesen Geboten und einem großen Teil der jüdischen Frömmigkeitsübungen der Boden entzogen. Seine Tragweite ist ebenso groß wie die des Sabbatwortes . . . « R. B hat schon in der . Auflage seiner »Geschichte der synoptischen Tradition« von in einigen verstreuten Bemerkungen Wichtiges zu Mk , gesagt. Er löst den V. aus dem Kontext und betrachtet ihn als »älteste Tradition«.74 Denn auch dieses Wort enthält etwas »Charakteristisches, Neues, was über Volksweisheit und Volksfrömmigkeit hinausgeht und doch ebensowenig spezifisch schriftgelehrtrabbinisch oder jüdisch-apokalyptisch ist . . . «75 So äußert er sich auch zuversichtlich über die Historizität des Logions: »Das älteste Gut . . . liegt offenbar in den kurzen Kampfworten vor, die maschalartig Jesu Stellung zur jüdischen Frömmigkeit zum Ausdruck bringen wie Mk ,; ,; Mt ,–. f., f. Hier hat man m. E. am ersten das Recht, in Form und Inhalt ursprüngliche Jesusworte zu finden.«76 Auch jüngst hat er wieder betont, die Gesetzesproblematik sei »doch schon in der Verkündigung Jesu selbst angelegt, ja auch zum Ausdruck gelangt. Gewiß liegen uns die Antithesen der Bergpredigt, die Kampfworte wie Mk ,; ,; Mt ,. . f. f. und die Streitgespräche wie Mk ,–. –; ,–; ,– nur in der von der Gemeinde oder gar den Evangelisten redigierten Form vor. Aber daß sie ihren Ursprung in der nachösterlichen Gemeinde haben, halte ich für ausgeschlossen«.77 Ohne Wenn und Aber hat sich auch A. S78 über die Bedeutung von Mt , (= Mk ,) geäußert: »Wie beim Sabbath, so hat Jesus auch mit diesem Wort einen beträchtlichen Teil des mosaischen Gesetzes beseitigt. Nicht nur einzelne Härten der Gesetzgebung oder Übertreibungen in ihrer Auslegung, sondern auch die mosaischen Satzungen, die die von außen an | den Menschen herantretenden Befleckungen abwehrten, verschwinden.«79 Mit Recht weist Schlatter darauf bin, daß die Frage der Reinheitsgebote nicht erst in der Heidenmission betreibenden Kirche aufkam, sondern schon aus der Geschichte Jesu entstand, »da er im Verkehr mit 73
Die Schriften des Neuen Testaments I, Göttingen , . R. B, Die Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen , . 75 Ibid. . 76 Ibid. ; vgl. sein Jesusbuch (Ausgabe von ), . 77 Ist die Apokalyptik die Mutter der christlichen Theologie? in: Apophoreta (Festschrift für E. Haenchen, BZNW , ), = Exegetica (ed. E. Dinkler), Tübingen , . 78 Der Evangelist Matthäus, Stuttgart , ff. 79 A. a. O., f. 74
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Das Jesuswort über die innere Verunreinigung
den Frommen beständig an ihrem Reinheitsideal gemessen wurde und den Verdacht gegen sich hatte, er habe das völlig reine Leben nicht erreicht«80 . Diesen letzten wichtigen Gedanken unterstreicht auch W. G81 : »Auf Schritt und Tritt begegnet diese Unbekümmertheit Jesu gegenüber möglicher Verunreinigung. Auch seine Jüngerschaft hält er nieht zu kultischer Reinigung an.« In umfassender Weise hat E. K82 die Konsequenzen unseres Wortes gesehen: »Jesus hat mit einer unerhörten Souveränität am Wortlaut der Tora und der Autorität des Moses vorübergehen können. Diese Souveränität erschüttert nicht nur die Grundlagen des Spätjudentums und verursacht darum entscheidend seinen Tod, sondern hebt darüber hinaus die Weltanschauung der Antike mit ihrer Antithese von kultisch und profan und ihrer Dämonologie aus den Angeln.« G. B83 und S. S84 schließen sich diesem Votum Käsemanns an. Auch J. S85 , J. S86 und H. B87 verstehen Mk , als Angriff auf die Gesamtheit der levitischen Reinheitsgesetze, während E. S88 und G. H89 den Angriff Jesu speziell gegen die alttestamentlichen Speisegebote gerichtet sehen; E. H sieht beide Fronten verbunden: »Obwohl sich Jesu Wort unmittelbar nur mit den sog. „unreinen“ Speisen befaßt, verneint es damit doch zugleich die gesamte kultische Frömmigkeit Israels . . . «90 |
III Wenn wir die wichtigsten Fragen und Erwägungen zu unserem Logion überblicken, die sich in der exegetischen Debatte der letzten Jahre gezeigt haben, so kann unsere Entscheidung nur zugunsten der vierten Lösung ausfallen. Mit den zuletzt aufgeführten Exegeten halten wir Mk , für ein torakritisches Kampfwort des irdischen Jesus. a) Allen Versuchen, unser Wort nicht als Angriff auf die Tora zu verstehen, mangelt letztliche Durchschlagskraft; jene abschwächenden und umdeutenden Auffassungen 80
Ibid. f. Die Geschichte Jesu Christi, Berlin , . – J. S dürfte dagegen nicht recht haben, wenn er meint, Jesus sei »in seiner äußeren Lebenshaltung konservativ gewesen«. (Das Evg. nach Markus [NTD ], , .) 82 Das Problem des historischen Jesus, ZThK , , –. – (Zitiert nach: Exeget. Versuche und Besinnungen I, Göttingen , .) Vergleiche auch seine Meditation zu Mt , – (in: Exeg. Versuche und Besinnungen I, ff.). 83 Jesus von Nazareth, Stuttgart . , f. Freilich schränkt er dieses Votum S. etwas ein: »Ob dieses Wort (sc. Mk ,) schon als ein Angriff auf den Buchstaben der Tora von Jesus gemeint war, mag man allenfalls noch fragen.« Ohne diese Einschränkung äußert er sich in ThW VI, s. v. πρέσβυς, f. 84 Markus und das Alte Testament, ZThK , , . 85 A. Anm. a. O. 86 Das Evangelium nach Markus (Regensburger NT ), , . 87 Spätjüdisch-häretischer und frühchristlicher Radikalismus II, Tübingen , ; . 88 Neue Wege der Jesusforschung, in: Gottes ist der Orient (Festschrift für O. Eißfeldt), , . 89 Jesus und das Gesetz (Matth. , –), in: Antijudaismus im Neuen Testament? (edd. Eckert/ Levinson/Stöhr), , . 90 A. Anm. a. O., . 81
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ließen sich ja nur durch den Blick auf den Kontext und auf spezifisch matthäische Traditionen rechtfertigen. Wir erachten es jedoch für eine unumgängliche methodologische Forderung, die Einzeltraditionen für sich zu interpretieren.91 Aus diesem Verständnis von Mk , ergeben sich natürlich wesentliche theologische Konsequenzen, die sich mit einer Formulierung W. L92 so zusammenfassen lassen: »Jesu Anschauung über Rein und Unrein . . . bedeutet im Grunde eine Aufhebung des gesetzlichen Wesens.« Und P. S93 zieht die wichtige Verbindungslinie zwischen unserem Logion und dem Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner: In beiden Äußerungen hebt Jesus »das Grundgefüge von Heilig und Profan auf und mit ihm – ganz entsprechend zu Röm. , – die gesamte spätjüdische Rechtsethik.« b) Es liegt kein Grund vor, dieses Wort dem historischen Jesus abzusprechen; denn es hält dem schärfsten Kriterium zur Bestimmung authentischer Jesustradition stand, das E. K formuliert hat: Auf historisch gesichertem Boden stehen wir dann, »wenn . . . Tradition aus irgendwelchen Gründen weder aus dem Judentum abgeleitet noch der Urchristenheit zugeschrieben werden kann, speziell dann, wenn die Judenchristenheit ihr überkommenes Gut als zu kühn abgemildert oder umgebogen hat«94 . Betrachten wir nämlich Mk , als Keimzelle des Streitgesprächs Mk ,–, so muß schon die Zusammenstellung des torakritischen Wortes mit Mk ,– als Abschwächung und Umbiegung erscheinen, da es in jenen Versen ja nur um die Geltung der Halacha geht. Aber auch die | Deutungen (Mk , ff., ff.) unseres Logions, »die seiner Radikalität nicht gerecht werden«95 , mildern das kühne Jesuswort nur ab; in diesen Versen »ist Jesus schon bedenklich auf das Niveau der pharisäischen Kasuistik herabgesunken«96 . Erst recht hat dann Matthäus an unserem Wort Anstoß genommen und die Kritik am mosaischen Gesetz, die es aussprach, abgebogen, wie vor allem die Einfügung der Verse Mt ,– und die ihm eigene Abschlußformel V. zeigen: »Mt holds that it is the ablutions alone which are here primarily concerned and cancels Mk’s comment on the saying about inward and outward cleansing because he does not agree to it. In other words he understands the saying not to abolish but to subordinate the outward.«97 91
»Dies aber ist überhaupt das wesentliche Ergebnis der formgeschichtlichen Arbeit für die Synoptikerexegese: sie weist uns zum Einzelnen für Logien wie Geschichten.« (J. Schniewind, ThR N. F. , , .) 92 Paulus, Witten , . 93 Gerechtigkeit Gottes bei Paulus (FRLANT ), , . 94 A. Anm. a. O., . 95 M. D (s. Anm. ), . 96 J. H (s. Anm. ), . – Völlig auf der pharisäischen Ebene argumentiert Jesus in dem Disput mit dem Oberpriester Levi, den der Papyrus Oxyrh. überliefert. Daher scheint es uns unmöglich, diesen Text als authentische Jesusüberlieferung anzusehen, obwohl J. J (Unbekannte Jesusworte, Gütersloh , ff.) gezeigt hat, daß die Rahmung dieses Dialogs von »Jerusalemer Lokalkolorit« gekennzeichnet ist. 97 B. W. B (s. Anm. ), . In demselben Sinn äußern sich z. B. auch J. S, Das Evangelium nach Matthäus (Regensburger NT ), , f.; G. B, ThW VI, ; E. S (s. Anm. ); R. H, Die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Judentum im Matthäusevangelium, München , ff.; G. B, Das Verständnis des Bösen in den synoptischen Evange-
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Das Jesuswort über die innere Verunreinigung
Somit erweist das Studium der sekundären Zusätze und Abweichungen schon bei Mk und vollends bei Mt die Unableitbarkeit des Logions. Es bleiben freilich zwei Fragen: . Wie umfassend ist Mk , gemeint – richtet sich Jesus nur gegen die alttestamentlichen Speisegebote oder gegen alle Reinheitsgesetze? . Das Kampfwort Mk , liegt uns, wie R. Bultmann betont hat, »nur in der von der Gemeinde oder gar von den Evangelisten redigierten Form vor«98 . Läßt sich im Sinne unserer einleitenden Bemerkungen eine ursprünglichere Form desselben erschließen?
IV a) Das Logion Mk , zerfällt in zwei Hälften, die verschiedene Intention haben. V. a stellt apodiktisch die Verbindlichkeit alttestamentlicher Reinheitsvorschriften in Frage, V. b dagegen behauptet, es gebe Regungen des Menschen, die seine innere Reinheit gefährden. Freilich | liegt der Akzent des Wortes deutlich auf der zweiten, positiven Aussage, wie die Äußerungen fast aller Exegeten zeigen. So rechnet R. Bultmann99 Mk , unter die »Worte, die eine neue Gesinnung fordern«, B. W. Bacon100 spricht vom »saying about inward purity«, Fr. Hauck101 sieht es als »das umfassende, grundsätzliche Wort Jesu über den neuen Reinheitsbegriff« an, J. Schmid102 findet »eine grundsätzlich neue Bestimmung des Reinheitsbegriffs«, W. Michaelis103 eine »neue Definition von Sünde«, W. Grundmann104 sieht den »alten dinglichen Heiligkeitsbegriff« durch einen »neuen personalen Heiligkeitsbegriff« ersetzt; am schärfsten formuliert W. Trilling105 : »Hier wird offenkundig ein neues Gesetz aufgestellt, nach dem neu entschieden werden soll, was als rein und was als unrein zu gelten habe.« Über der neuen Gesetzgebung in b kommt die Torakritik in a gar nicht recht zum Tragen. Es ist jedoch aus der Situation im Leben Jesu heraus unvorstellbar, daß Jesus nur so nebenbei einige Kapitel der Tora annulliert haben könnte! Das Nacheinander von a und b bedeutet also eine nicht unerhebliche Akzentverlagerung. Daß a und b in der Tat ein verschiedenes Gewicht haben, wird auch dadurch deutlich, daß zu a in V. f. eine – gewiß unzureichende106 – Begründung gegeben
lien (Theol. Arbeiten XIX), , . – Anders G. S, Der Weg der Gerechtigkeit, (FRLANT ), , f. 98 S. Anm. . 99 A. Anm. a. O., . 100 A. Anm. a. O., . 101 Das Markusevangelium (ThHK II), , . 102 A. Anm. a. O., . 103 Das Evangelium nach Matthäus II (Prophezei), , . 104 A. Anm. a. O., . 105 A. Anm. a. O., . 106 »Das ist die Ausdeutung einer tiefen religiösen Wahrheit durch einen nüchternen kleinen Verstand und durch eine . . . pedantische Phantasie.« (E. H, a. Anm. a. O., .)
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wird, während die Aussage von b ohne weiteres als gültig anerkannt und durch einen der geläufigen Lasterkataloge107 nur weiter entfaltet wird. Schließlich spricht auch die verschiedene Verwendung des Verbums κοινοῦν in beiden Vershälften, die schon W. Brandt so heftig kritisiert hatte108 , dagegen, daß Mk , ein organisch einheitliches Logion ist. Versuchsweise wollen wir daher die beiden Vershälften isolieren und einer gesonderten Betrachtung unterziehen. b) Wenn wir Mk ,a οὐδέν ἐστιν ἔξωθεν τοῦ ἀνθρώπου εἰσπορευόµενον εἰς αὐτὸν ὃ δύναται κοινῶσαι αὐτόν für sich betrachten, legt es sich nahe, die Wendung εἰσπορευόµενον εἰς αὐτόν zu streichen, da sie pleonastisch ist, | wie schon wiederholt festgestellt wurde, und markinischem Sprachgebrauch entspricht109 . Das so reduzierte Wort οὐδέν ἐστιν ἔξωθεν τοῦ ἀνθρώπου ὃ δύναται κοινῶσαι αὐτόν ist ein apodiktisches Kampfwort gegen alle Gebote, die eine religiös zu bewertende physische Unreinheit voraussetzen, nicht nur gegen Speisegesetze: »Es gibt nichts außerhalb des Menschen, das ihn verunreinigen kann!« Diese auf jede Begründung oder Stütze durch eine formale Autorität verzichtende absolutistische Redeweise ist für den irdischen Jesus charakteristisch110 . Aber auch sachlich erweist sich das Wort a als unableitbar; denn weder das Judentum noch das frühe Christentum kannten eine so generelle Freiheit von den Reinheitsgesetzen. Ganz vereinzelt steht im Rabbinat der oft zitierte Satz des Jochanan ben Zakkai: »Bei eurem Leben, nicht der Tote verunreinigt und nicht das Wasser macht rein, aber es ist eine Verordnung des Königs der Könige: Gott hat gesagt: Eine Satzung habe ich festgesetzt, eine Verordnung habe ich angeordnet; kein Mensch ist berechtigt, meine Verordnung zu übertreten . . . «111 Hier führt die Uneinsichtigkeit der
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Alle seine Bestandteile finden sich auch in vorchristlichen und anderen frühchristlichen Lasterkatalogen; s. S. W, Die Tugend- und Lasterkataloge im Neuen Testament (BZNW ), , ff.; G. B (a. Anm. a. O.) ff. 108 S. oben Anm. . 109 M. J. L hatte εἰσπορευόµενον εἰς αὐτόν unter die bei Mk zahlreichen »tournures en apparence pléonastique« gerechnet (Evangile selon Saint Marc, Paris , LXXIII f.), V. T wollte diese Wendung zusammen mit ihrer Entsprechung in b τὰ ἐκπορευόµενα als »explanatory addition« streichen (a. Anm. a. O., ); umgekehrt erklärte W. B (Synoptische Studien I, Halle , ) die Worte ἐστιν ἔξωθεν τοῦ ἀνθρώπου als Textveränderung des letzten Bearbeiters des Mk-evg., die aus dem Streben nach Anschaulichkeit erfolgt sei. Jedenfalls ist die Doppelung ἔξωθεν τοῦ ἀνθρώπου und εἰσπορευόµενον εἰς αὐτόν überflüssig. Zum markinischen Sprachgebrauch vgl. J. C. H, Horae Synopticae, Oxford , . Unter dem Einfluß des Doppelausdrucks hat man ἔξωθεν mit »von außerhalb« übersetzt (W. B, Griechisch-Deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der übrigen urchristlichen Literatur, Berlin , s. v.), aber die von uns angenommene Bedeutung »außenbefindlich« ist ebenso belegt (ibid.) und gut möglich (BD, Grammatik des neutest. Griechisch, Göttingen , § , ). 110 E. K (s. Anm. ), ff.; G. B (s. Anm. ), ff.; E. S, Jesus und seine Bibel, in: Abraham unser Vater (Festschrift für O. Michel), , ff. 111 Pes b; vgl. S-B I, . Dazu A. S, Jochanan Ben Zakkai der Zeitgenosse der Apostel (BFChrTh III, ), , ff.
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Das Jesuswort über die innere Verunreinigung
Reinheitsvorschriften nicht zu ihrer Annullierung, sondern zur Beugung unter den »majestätischen Willkürwillen Gottes«112 . Auch die Stellung des Paulus (Röm , ff.) und der späteren Zeit (Act ; Tit ,) zeigt gegenüber unserem Jesuswort doch wieder | charakteristische Einschränkungen113 , so daß seine Unableitbarkeit nicht in Frage gestellt ist114 . c) Ganz anders liegen die Dinge jedoch bei Mk ,b. Dieses Wort will ja ein »neues Gesetz« zur Bestimmung von Rein und Unrein aufstellen und zwar sollen böse Worte und Taten als Verunreinigung des inneren Menschen angeprangert werden. Das Wort ruft also zu einem »sauberen« ethischen Verhalten auf. Ohne Zweifel hat Jesus solche Forderung erhoben. Aber in b wird das rechte ethische Verhalten nicht um seiner selbst willen gefordert, sondern um der Vermeidung innerer Unreinheit willen. Damit ist die spiritualisierte Reinheitsauffassung eine Stütze für die ethische Forderung geworden. Richtig sagt Fr. Hauck115 : »Jesus behält den alten Begriff des „Gemeinen“, dh Verunreinigenden bei, erhebt ihn aber auf eine neue Ebene«. Allerdings muß man dann fragen, ob es der Art Jesu entsprach, seine Forderungen auf eine solche Pseudoautorität wie den spiritualisierten Reinheitsbegriff zu stützen. Von der Unmittelbarkeit und Souveränität seiner Rede ist hier jedenfalls nichts zu spüren. Wie wenig der Gedanke der »inneren Verunreinigung« der Botschaft Jesu entspricht, zeigt indirekt E. Käsemanns Versuch, den positiven | Bezug von b aufzuzeigen: »Unrein wird der Mensch nicht durch das, was ihm widerfährt, sondern durch das, was er tut. Das Böse steckt in ihm. Gereinigt werden muß er deshalb nicht von äußerer Befleckung, sondern in sich selbst, in seinem Herzen und in seiner Existenz. Dort kann er jedoch nicht mehr durch rituelle Entsühnung, sondern ein-
112 E. H (s. Anm. ), . – Vgl. auch H. C, Grundriß der Theologie des Neuen Testaments, München , f. 113 Für Paulus gilt: »Durch sich selbst ist nichts gemein; aber es wird für den gemein, der es für gemein hält, und deshalb gibt es ein Essen, das Sünde ist . . . « (A. S, Gottes Gerechtigkeit, Stuttgart , ). – Für . Tim. , ff. gilt: »Der Christ, der die ἀγάπη feiert, wie der Jude, der das Tischgebet sprach, sollten aus dem Schöpfungsglauben und der Opfertheologie wissen, daß Gottes Gaben mit Dank entgegenzunehmen sind. Das Tischgebet ist nicht nur Ausdruck dankbarer Hinnahme, sondern Heiligung der Speise: ἁγιάζεται. Das Natürliche ist für mich nicht durch sich selbst heilig. Den Reinen ist alles rein (Tit. ,). Der Reine aber ruft über der Speise Gott an.« (G. H, Die Pastoralbriefe, (ThHK ), , ). Auch in Tit ,f. ist die »Reinheit« kultisch motiviert: »οἱ καθαροί sind die Gäste am Tisch des Herrn, die Sündenvergebung empfangen haben. Für sie gilt: πάντα καθαρά, weil der Herr selbst unter Brot und Wein beim Sättigungsmahl der ἀγάπη gegenwärtig ist.« (G. H, a. a. O., .) 114 Das gilt auch für Lk , f. J. H (s. Anm. ) hat aus diesem Text ein Apophthegma rekonstruiert (»Ist nicht alles, was (der Vater) geschaffen hat, rein? Siehe, alles soll euch rein sein!«), das ihm ursprünglicher erscheint als Mk ,. Doch zeigen sich hier u. E. deutlich sekundäre Züge. Während Mk , apodiktisch urteilt, beruft sich Lk , f. auf die Schöpfungsordnung. Dies finden wir zwar auch in Mk , –, aber dort handelt es sich sicher nicht um ursprüngliche Jesustradition, da schon Qumran dieselbe Beweisführung kannte (s. H. Braun, a. Anm. a. O., ). Wie . Kor , ff. und . Tim , f. zeigen, berief sich auch die Urkirche gerne auf die Schöpfungsordnung. Außerdem klingt der Nachsatz πάντα καθαρὰ ὑµῖν ἐστιν durch das restringierende ὑµῖν doch sehr wie eine Gemeinderegel. 115 A. Anm. a. O., .
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zig durch Vergebung gereinigt werden.«116 Dem Begriff der Vergebung, den Jesus als entscheidend für unser Gottesverhältnis gebraucht hat, entspricht aber nicht der der Verunreinigung, sondern der der Schuld (Mt ,; , ff.)! Der hellenistischen Welt freilich war die vergeistigte Reinheitsauffassung sehr geläufig und vertraut117 . Während den ursprünglichen Formen wohl aller Religionen die Vorstellung kultisch reiner oder unreiner Bezirke eigen ist, wird auf den höheren Stufen der Reinheitsgedanke doch nicht verworfen, sondern sublimiert und vergeistigt. Die griechisch-hellenistische Welt kennt diesen Vorgang, ebenso wie die alttestamentliche. Wir führen nur einige Beispiele an. Platon kann etwa unter Voraussetzung einer solchen spiritualisierten Reinheitsauffassung sagen: ἀκάθαρτος γὰρ τὴν ψυχὴν ὅ γε κακός, καθαρὸς δὲ ὁ ἐναντίος· µάτην οὖν περὶ θεοὺς ὁ πολύς ἐστι πόνος τοῖς ἀνοσίοις· τοῖς δὲ ὁσίοις ἐγκαιρότατός ἐστιν (Leg IV e). Und Epiktet118 widmet dem Thema περὶ καθαριότητος eine ganze Diatribe (IV ), in der er feststellt: πρώτη οὖν καὶ ἀνωτάτω καθαρότης ἡ ἐν ψυχῇ γενοµένη καὶ ὁµοίως ἀκαθαρσία . . . ὥστε ψυχῆς µὲν ἀκαθαρσία δόγµατα πονηρά, κάθαρσις δ’ ἐµποίησις οἵων δεῖ δογµάτων. Καθαρὰ δ’ ἡ ἔχουσα οἵα δεῖ δόγµατα.
Für das Alte Testament verweisen wir auf die Berufungsvision Jesajas, der sich einen »Mann mit unreinen Lippen« nennt, der unter einem »Volk mit unreinen Lippen« wohnt (Jes. ,). »Die Unreinheit besteht bei Jesaja entgegen dem ursprünglich kultischen Sinn des Ausdrucks darin, daß der Mensch sich nicht durch den heiligen Willen Gottes bestimmen und beherrschen läßt, sondern ihm nur in heuchlerischer Weise dient . . . «119 Ähnlich steht hinter Jes , ff. eine vergeistigte Reinheitsauffassung: »Anstatt zu beten, wäre es nötig, daß sie sich waschen und reinigen. Freilich meint Jesaja das nicht im ursprünglichen Sinn der kultischen Waschung, durch die man gottesdienstliche Rein- | heit erlangt, sondern verwendet den Ausdruck bildlich: Weg mit dem Opferblut und weg mit dem Unrecht – das ist besser als Gottesdienst.«120 Auch die Psalmen , und zeigen ein auf das Innere gehendes Verständnis des Reinheitsbegriffes. Häufig findet es sich auch in der Septuaginta zu den Proverbien121 , wo es ganz generell heißen kann: ἀκάθαρτος ἔναντι Κυρίου πᾶς παράνοµος (,), und in der LXX-Fassung des Buches Hiob122 . Auch in der nachalttestamentlichen jüdischen Literatur spielt diese Begrifflichkeit eine Rolle. Ein am Kultischen so stark interessiertes Buch wie die Jubiläen verwen-
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E. K, Meditation (s. Anm. ), . Vgl. allgemein zum Problem: H. W, Die Spiritualisierung der Kultusbegriffe Tempel, Priester und Opfer im Neuen Testament (Angelos-Beiheft ), ; zu unserer Frage: R. M– F. H, Art. καθαρός, in: ThW III, –. 118 A. B, Epiktet und das Neue Testament (RGVV ), , passim, bes. u. . 119 G. F, Das Buch Jesaja I (Zürcher Bibelkomm.), , . 120 Ibid. f. 121 S. Prov. ,; ,; ,; ,; , LXX. 122 Hiob ,; , LXX. 117
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Das Jesuswort über die innere Verunreinigung
det sie gelegentlich123 , auch der Aristeasbrief124 , die Zwölfertestamente125 und der Siracide126 . Die Qumrangemeinde legt zwar größten Wert auf die verschärfte Beobachtung der levitischen Reinheitsgesetze127 , aber sie betont auch die Forderung nach reiner Gesinnung128 ; man »erhebt sich zu einer verinnerlichten sittlichen Auffassung von Sühne und Reinheit«129 . Schließlich ist in diesem Zusammenhang unbedingt auf Philon zu verweisen130 . Ohne Abstriche hält er an der Forderung nach levitischer Reinheit fest, aber er bemüht sich stets auch um eine vergeistigte Auffassung dieser Gebote: »Es sollen . . . diejenigen, die das Heiligtum betreten und an den Opfern teilnehmen wollen, ihren Körper reinigen und mehr noch als den Körper ihre Seele . . . Die Mittel zur Läuterung der Seele sind aber die Weisheit und ihre Lehren, die uns zur Betrachtung der Welt und der Dinge in ihr anleiten, ferner der heilige Reigen der übrigen Tugenden und die edlen und durchaus lobenswerten tugendhaften Handlungen.« (SpecLeg I ; Übers. von I. Heinemann.) Wer schwören will, muß sich prüfen, »ob er rein an Seele, Leib und Zunge ist, ob die Seele rein von gesetzwidrigem Tun, der Leib rein von Befleckungen, die Zunge rein von lästerlicher Rede; denn sündhaft wäre es, wenn durch | den Mund, mit dem einer den heiligsten Namen ausspricht, auch irgend welche häßliche Reden gingen« (Decal. ; Übers. von L. Treitel. Vgl. SpecLeg II ). – In die Nähe unseres Textes führt folgende Betrachtung Philons: »Die beste und vollkommenste Reinigung nun liegt darin, auch nicht auszudenken, was ungehörig ist, sondern in Frieden und Wohlgesetzlichkeit, denen Gerechtigkeit vorangeht, sein Leben zu führen; das zweite, sich nicht mit Worten zu verfehlen, wie es geschieht, wenn einer lügt oder falsch schwört oder betrügt oder intrigiert oder falsch anklagt oder überhaupt Mund und Zunge zum Verderben eines Menschen losläßt, . . . Deswegen hielt Moses die Gesinnung von Anklage und Bestrafung frei, da sie meistens unfreiwilligen Umschlägen und Wandlungen unterliegt und mehr von den von außen herandrängenden Gedanken passiv bewegt als aktiv tätig ist. Was aber durch den Mund geht, das zieht er zur Verantwortung und zur Rechenschaftsablage, insofern eben das Sprechen in unserer Gewalt sei.« (Mut nom ; ; Übers. von M. Adler.) Gerade die letzte Stelle mit dem Gegensatz »von außen herandrängen« – »durch den Mund (heraus)gehen« ist eine entfernte Parallele zu unserem Reinheitswort. 123
Jub , f. Ep Ar ; . 125 Test Rub IV ; VI f.; Benj VI ; VIII f.; Jos. IV ; Napht III . 126 Sir ,; ,. 127 Bes. CD XII –; QSa. S. H. B, Spätjüdisch-häretischer und frühchristlicher Radikalismus I, Tübingen , , Anm. ; ff.; , Anm. u. ; F. N, Heiligkeit in den Qumranschriften, Revue de Qumran, Bd. , , ff.; ff. 128 QS III ff.; IV f.; V f.; IQH XI f. 129 F. N, Zur theologischen Terminologie der Qumran-Texte (BBB ), , . S. auch A. Dupont-Sommer, Culpabilité et rites de purification dans la secte juive de Qoumrân, Semitica XV, , ff. 130 S. I. H, Philons griechische und jüdische Bildung, , ff. u.ö. 124
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Spielt die spiritualisierte Reinheitsauffassung bei Philon eine hervorragende Rolle, so ist sie auch dem Rabbinat nicht fremd, ohne jedoch vorherrschend zu werden131 . In diesen Strom ordnet sich auch die Urkirche ein; sie spricht oft und gern von der Herzensreinheit132 und geht »mit dem hellenistisch-jüdischen Sprachgebrauch und Urteil zusammen«133 . Damit erweist sich Mk ,b als Ausdruck eines verbreiteten, der Umwelt wie der frühen Gemeinde am Herzen liegenden Gedankens, also als ableitbar. Es ist keineswegs ein »neuer Heiligkeitsbegriff«, ein »neues Gesetz«, was hier zum Ausdruck kommt! Nach unserem oben genannten Kriterium können wir in Mk ,b kein authentisches Jesuswort sehen. Gerade die Konfrontation von Mk ,a und b führt uns dazu, die folgende methodologische Erwägung E. L zu unterstreichen: »Die Verkündigung des historischen Jesus kann . . . nur dann sachgemäß erfaßt werden, wenn gezeigt werden kann, warum die Schriftgelehrten, Ältesten und Oberpriester miteinander darüber einig wurden, diesen Jesus aus Nazareth zu beseitigen. Einen milden Anwalt der Humanität, einen Prediger von Tugend und Moral hätte man ungeschoren gewähren lassen. Aber die Vollmacht, mit der Jesus verkündete, weckte entweder | Gehorsam oder aber entschlossene Gegnerschaft, so daß Jesu Kreuz in unlöslichem Zusammenhang mit seiner Botschaft steht.«134 d) Ergänzen wir unsere Analyse durch eine synthetische Betrachtung! Der Gemeinde war mit Mk ,a ein Jesuswort überliefert, das die levitischen Reinheitsgebote ganz generell und ohne Begründung ablehnte. Verständlicherweise erschrak sie vor einem so kühnen Wort. Zudem aber vermißte sie an jenem Wort eine positive »erbauende« Zielsetzung, die es für die Weitergabe in der Predigt geeignet machte. Was lag da näher, als dieses Wort im geläufigen Sinn zu ergänzen und ihm eine neue, der Gemeindeunterweisung dienende Spitze aufzustecken. Nach der Anfügung von b dürfte dann das Wort a durch die Wendung εἰσπορευόµενον εἰς αὐτόν erweitert worden sein, wodurch eine Angleichung der ersten Aussage an die zweite erreicht wurde135 . Damit hat das torakritische Kampfwort Jesu die Verbindung mit seinem historischen Ort verloren und ist in den Dienst der kirchlichen Paränese getreten136 .
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R. M, (s. Anm. ), f.; S-B , f. . Kor ,; Mt ,; Act ,; Jak ,; .Tim. ,; ,; . Tim ,. 133 F. H, (s. Anm. ), . 134 E. L, Die Frage nach dem historischen Jesus in der gegenwärtigen neutestamentlichen Forschung, ThLZ , , . Vgl. auch G. L, Der Prozeß Jesu im jüdisch-christlichen Religionsgespräch, in: Abraham unser Vater (Festschrift für O. Michel), , ff., bes. . 135 Freilich sind die beiden Vershälften nicht wirklich parallel gebaut, erst Mt hat sie formal einander angeglichen, wodurch sich seine Fassung als sekundär verrät (so schon A. J, a. Anm. a. O., ; anders E. L, Das Evangelium des Markus (Meyer K ), , f.). – Die Wiedergabe unseres Wortes im koptischen Thomasevangelium Logion b ist weitgehend von Mt abhängig (s. W. S, Das Verhältnis des Thomas-Evangeliums zur synoptischen Tradition und zu den koptischen Evangelienübersetzungen (BZNW ), , f.). 136 Diese Formulierung wurde von J. J (Die Gleichnisse Jesu, Göttingen , ) für das Gleichnis vom verlorenen Schaf geprägt – sie kann direkt auf unser Logion übertragen werden. 132
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Das Jesuswort über die innere Verunreinigung
Dieser Vorgang – Umprägung von Jesustraditionen zum Zweck der Verwendung in der Paränese – ist keineswegs singulär. R. B137 hat festgestellt, daß einzelne Gesetzesworte durch die Zusammenstellung in »Katechismen« solchen Umdeutungen unterlagen, daß nämlich »Stücke, die ursprünglich einen viel mehr polemischen als regulierenden Zweck hatten, auch den Charakter von Regeln« erhielten. Wie stark die Akzentverschiebung hin auf das Paränetische bei der Gleichnisüberlieferung gewirkt hat, hat J. J nachgewiesen138 . Er zeigt, daß als »Motiv für die allegorische Deutung . . . die Paränese völlig im Vordergrund« steht139 , und belegt die Feststellung, daß viele Gleichnisse sekundär mit generalisierenden Logien abgeschlossen werden, wodurch die | Gleichnisse »einen moralisierenden Sinn erhalten, der die ursprüngliche Situation, die Kampfeshaltung, die Schärfe des eschatologischen Weckrufes, die Härte der Drohung verdunkelt«140 . Ganz in demselben Sinne, so scheint uns, hat die Gemeinde auch das Kampfwort Mk ,a mit einer moralisierenden Ergänzung versehen, die nunmehr die Verwendung des Wortes in der kirchlichen Paränese ermöglichte.
V Ist unser Versuch, hinter die älteste schriftliche Fixierung des Reinheitswortes zurückzugehen und eine ursprüngliche Form desselben zu rekonstruieren, nicht zu scharfsichtig und ungesichert? Um diesem Bedenken zu begegnen, verweisen wir kurz auf einen analogen Fall, der schon wiederholt zu solcher Betrachtung Anlaß gegeben hat, nämlich Jesu Wort über das Fasten (Mk , f.). Hier antwortet Jesus auf die Frage, warum seine Jünger nicht fasten, mit den Worten: µὴ δύνανται οἱ υἱοὶ τοῦ νυµφῶνος, ἐν ᾧ ὁ νυµφίος µετ’ αὐτῶν ἐστιν, νηστεύειν; ὅσον χρόνον ἔχουσιν τὸν νυµφίον µετ’ αὐτῶν, οὐ δύνανται νηστεύειν. ἐλεύσονται δὲ ἡµέραι ὅταν ἀπαρθῇ ἀπ’ αὐτῶν ὁ νυµφίος καὶ τότε νηστεύσουσιν ἐν ἐκείνῃ τῇ ἡµέρᾳ.
Diese Antwort kann nicht ursprünglich sein, da sie ja eigentlich nicht auf die gestellte Frage antwortet, sondern auf eine Rechtfertigung der späteren kirchlichen Fastenpraxis hinausläuft141 . Weiterhin müssen wir mit J. W feststellen, daß das Bildwort Mk ,f. eine äußerst ungeschickte Bildung ist: »Den gewöhnlichen Hochzeitern wird weder der Bräutigam entrissen, noch haben sie Anlaß zu fasten, wenn die Hochzeit zu Ende ist.«142 Also muß b. mit seinem doppelten Vaticinium auf Jesu Tod und das Fasten der Kirche sekundäre Erweiterung sein143 . In 137
A. Anm. a. O., . S. Anm. . 139 Ibid. . 140 Ibid. . 141 M. D (s. Anm. ), ; J. J, Art. νύµφη, νύµφιος, in: ThW IV, ; E. K (s. Anm. ), ; E. H (s. Anm. ), ; B. H. B, (s. Anm. ), . 142 A. Anm. a. O., . 143 W. B, Kyrios Christos, Göttingen , f.; R. B (s. Anm. ), f.; J. S (s. Anm. ), ; F. H, Christologische Hoheitstitel (FRLANT ), , , Anm. ; E. S, (s. Anm. ), ; T. A. B, Mysterious Revelation, Ithaca (N. Y.), , . 138
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der Tat ist es »äußerst unwahrscheinlich, daß Jesus, der sonst keine Anweisungen für das Verhalten seiner Jünger nach seinem Tode gegeben hat . . . , hier eine von seiner Gegenwart verschiedene Fastensitte der Jünger nach seinem Tode im voraus sollte legitimiert haben . . . «144 . Das nach der Abtrennung von b. übrig bleibende | Logion a µὴ δύνανται οἱ υἱοὶ τοῦ νυµφῶνος, ἐν ᾧ ὁ νυµφίος µετ’ αὐτῶν ἐστιν, νηστεύειν; ist »zweifelsfrei alt«145 und auf Jesus selbst zurückzuführen146 . Es fragt sich aber, ob der Relativsatz ἐν ᾧ ὁ νυµφίος µετ’ αὐτῶν ἐστιν zum ursprünglichen Bestand der Antwort gehört. Sofern nämlich diese Wendung den Inhalt der ausgeschiedenen Verse b. andeutend vorwegnehmen soll, müssen auch hier die oben vorgetragenen Bedenken geltend gemacht werden. Daher ist die These vertreten worden, die Worte »solange der Bräutigam bei ihnen ist«, seien eine Umschreibung für »während der Hochzeit«147 . Doch ist dieser Zusatz dann entbehrlich, da man von »Hochzeitsgästen« sowieso nur reden kann, solange die Hochzeit dauert. Die ursprüngliche Antwort Jesu wird also in der Gegenfrage bestanden haben: »Können etwa Hochzeitsgäste fasten?«148 Dieses Bildwort soll einfach ein Adynaton ausdrücken – »wie man während der Hochzeitsfeier nicht fastet, so auch nicht in der Heilszeit«149 ! Dieses Wort, das jede religiöse Bedeutung des Fastens verneint, entspricht der Verkündigung Jesu aufs beste: Jesus hat Askese weder geübt noch gefordert. »Diejenigen Worte Jesu, die asketisch klingen, fordern in Wirklichkeit nicht Askese, sondern den Einsatz im gebotenen Fall.«150 Freilich hat sich die Kirche anscheinend sehr früh wieder zur Übernahme der Fastensitte entschlossen; sehr ansprechend ist die von J. W151 , E. M152 und C. H. K153 vorgetragene Vermutung, daß sich in der urkirchlichen Fastensitte Einfluß des Täuferkreises zeige, der ja auch anderwärts zu beobachten ist154 . In dieser | Situation wurde das Fastenwort Jesu umgeprägt: Die allegorische Auffassung des Bildes der »Hochzeit« erlaubte ohne weiteres die Anfügung der VV. b., durch die das Wort der neuen Sitte angepaßt wurde. Erst danach wird die Einfügung der Wendung »solange der Bräutigam bei ihnen ist« 144
G. W. K, Verheißung und Erfüllung (AThANT ), , . Ibid. . – Allerdings äußert sich Kümmel unter Berufung auf Dibelius skeptisch über die Rekonstruktionsmöglichkeit des ursprünglichen Wortlauts; wir teilen diese Skepsis mit Bultmann (a. Anm. a. O., , Anm. ) nicht. 146 R. B, Die Erforschung der synoptischen Evangelien, Berlin , ; F. H (s. Anm. ): Daß das Traditionsstück Mk , – »in seinem Grundbestand von V. . a auf Jesus selbst zurückgeführt werden darf, steht außer Zweifel«. 147 J. J, a. Anm. a. O.; ., Gleichnisse Jesu (s. Anm. ), , Anm. ; E. Klostermann (s. Anm. ), . 148 So schon W. B (s. Anm. ). 149 E. S (s. Anm. ), . 150 H. C (s. Anm. ), . 151 S. Anm. . 152 Ursprung und Anfänge des Christentums (Nachdruck Stuttgart ), Bd. I, ; Bd. III, . – Nicht so entschieden M. G, Jean-Baptiste, Paris , , Anm. . 153 John the Baptist, , f. 154 S. E. B, Is Luke , – of Baptist’s Provenience? in: The Harvard Theological Revue LI, , ff. 145
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Das Jesuswort über die innere Verunreinigung
in V. a erfolgt sein, die nun den Nachsatz eng mit dem Vordersatz verknüpfte und ihn wie eine notwendige Folgerung erscheinen ließ155 . Die Analogie zum Vorgehen bei Mk , ist damit deutlich gegeben. Die möglichen und z. T. bis heute wiederholten Argumente gegen diese wesentlich auf Wellhausen zurückgehende These hat H. J. E in einem Aufsatz vorgetragen, auf den wir kurz eingehen müssen156 . . Gegen die Wellenhausensche Sicht spricht nach Ebeling die Tatsache, daß Mt , ff. das Fasten weder vergleichgültige noch gar ablehne, dazu der »durch sämtliche Evangelien gehende Grundzug, daß Jesus dem Gesetz treu geblieben« sei157 . – Die Behauptung von der Gesetzestreue Jesu ist natürlich schon durch Mk ,a, aber auch durch andere sicher authentische Jesustraditionen158 in Frage gestellt; die Berufung auf Mt , ff. aber – so oft sie auch wiederholt wird159 – beweist gar nichts, da es sich hier um sicher unechtes Gut handelt, wird doch in jenen Versen Gott »in gut pharisäischer Weise als der Vergeltergott angesehen, der für gute Leistungen den entsprechenden Lohn gibt«160 . Auch ist die in Mt , ff. vollzogene Abgrenzung gegen die Pharisäer als »Heuchler« typisch matthäisch161 . . Wie hätte die Gemeinde im Gegensatz zu Jesus die Fastensitte wieder aufnehmen können, »obwohl sie wie ihr Meister der Gewißheit lebte, in der Heilszeit zu stehen«162 ? Muß man nicht eher urteilen: »Die Gemeinde lebte nicht in einer „erfüllten“ Zeit, sondern der Zukunft entgegenharrend. Sie wußte sich in einem eigentümlichen Zwischenzustand . . . «163 . Da in sämtlichen Streitgesprächen der gegen die Jünger erhobene Vorwurf in Wahrheit die Gemeinde treffe, und Jesus durch sein damaliges Verhalten die jetzige Haltung der Gemeinde rechtfertige, müsse es sich auch im Fastendisput so verhalten: »Die Jünger stellen sich jenseits des Fastengebotes, Jesus rechtfertigt sie und damit die Gemeinde und ihre Übung. Die | Gemeinde fastet also nicht.«164 – Diese Argumentation übersieht den komplexen Charakter unseres Traditionsstückes, in dem sich, wie gezeigt, zwei Schichten überlagern; für die redaktionelle Schicht gilt aber ausdrücklich: τότε νηστεύσουσιν ἐν ἐκείνῃ τῇ ἡµέρᾳ!
155 Anders E. H (s. Anm. ): V. b ist eine »ganz späte letzte Ergänzung«, ein »Nachtrag einer pedantischen Hand, die auf die Frage a eine Antwort haben wollte«. 156 Die Fastenfrage (Mk , –), ThStKr (N. F. III), /, ff. 157 A. a. O., . 158 S. New Test. Stud. , /, ff. 159 Neuerdings z. B. von K. T. S, . . . und dann werden sie fasten, an jenem Tage, in: Synoptische Studien (Festschrift Wikenhauser), , ; V. T (s. Anm. ), ; P. B (s. Anm. ), . Vermittelnd urteilt M. D, Jesus (. Aufl. mit einem Nachtrag von W. G. Kümmel), , f. 160 E. H (s. Anm. ), . 161 S. E. H, Matthäus , ZThK , ff., wieder abgedruckt in: Gott und Mensch, Tübingen , ff. 162 A. Anm. a. O., . 163 F. H, (s. Anm. ), . 164 A. a. O., .
Markus ,
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. Ein wichtiges Argument Ebelings ist ferner, daß bei der »Wellhausenschen Lösung« die Anfügung der VV. / unverständlich sei: »In beiden Sprüchen wird die Unvereinbarkeit zweier Ordnungen, die sich ausschließende Gegensätzlichkeit von Neu und Alt dargetan.«165 – Wir müssen nicht nur die Argumentation vom Kontext her als Fehler beanstanden, wenn es um die Ermittlung des ursprünglichen Sinnes geht, sondern auch Ebelings Deutung von Mk , anfechten. Denn dieses Wort will keineswegs das Alte zugunsten des Neuen radikal abtun, sondern bei diesem Gleichnis »gilt die Sorge ganz offenkundig nicht dem an sich so gut wie wertlosen neuen Flicken, sondern dem alten Kleide, das erhalten werden soll, durch den ungeeigneten Flicklappen aber vollends ruiniert wird«166 . »Genaugenommen warnt mindestens V. eher vor dem Aufgeben des Alten.«167 Jedenfalls zielt Mk mit der Anfügung dieses Spruches nicht unbedingt auf eine Verwerfung jeder Fastensitte168 . . Sind somit die Argumente gegen die oben vorgetragene Deutung nicht zwingend, so müssen auch starke Bedenken gegen Ebelings eigenen Lösungsversuch erhoben werden. Er schlägt nämlich vor, Jesu Anweisung in eschatologischer Ausrichtung zu verstehen; in der Zeit der letzten Wehen sei »der Herr den Gläubigen entrissen, dann wird Zeit zu Trauer und Fasten sein . . . «169 . Eine solche Vorstellung sieht Ebeling durch Test Dan und Asser belegt, wo es heißt: ἀφίσταται ὁ Κύριος καὶ κυριεύσει ὁ Βελίαρ. – Diese Belege sagen allerdings nichts über eine Zeit eschatologischer Bedrängnis, sondern stehen im Zusammenhang ethischer Ermahnungen170 . Auch das Fastenwort zeigt somit eine ähnliche Umwandlung schon im Laufe der mündlichen Überlieferung, wie wir sie für Mk , angenommen haben. In beiden Fällen erkennen wir zwar einen konservativen Zug der Überlieferung, die sich an vorgegebene Worte Jesu hält, aber wir sehen auch, wie stark die Bedürfnisse einer neuen Zeit die überlieferten Worte umgeformt haben. Damit dürfte sich das Recht, ja die Notwendigkeit einer Rückfrage hinter die ältesten schriftlichen Quellen erwiesen haben.
165
Ibid. K. T. S (s. Anm. ), ; ähnl. A. S (s. Anm. ), ; J. S (s. Anm. ), ; B. H. B (s. Anm. ), . R. B, a. Anm. a. O., , urteilt, der ursprüngliche Sinn von Mk , f. sei »unerkennbar«. 167 E. S (s. Anm. ), . 168 E. H (s. Anm. ), , Anm. : »Mk hat nicht das Fasten als solches mit dem Alten gemeint, sondern, das jüdische Fasten.« 169 A. a. O., . 170 So schon K. T. S, (s. Anm. ), ; W. G. K (s. Anm. ) , Anm. . 166
Peter’s Curse * T report of Peter’s denial is connected with the trial of Jesus equally in both the Synoptic and Johannine traditions.1 Challenged three times about his attachment to the Nazarene, Peter three times denies his Lord. While the first two denials in Mark consist of a mere disputing of acquaintance with Jesus (ἠρνήσατο – πάλιν ἠρνεῖτο), the third goes significantly further in its intensity: ἤρξατο ἀναθεµατίζειν καὶ ὀµνύναι ὅτι οὐκ οἶδα τὸν ἄνθρωπον. Matthew has constructed a climax out of this: while the first denial involves a mere ἀρνεῖσθαι, the second is strengthened by an oath (ἠρνήσατο µετὰ ὅρκου), and the third denial renews this oath and strengthens it with a curse (ἤρξατο καταθεµατίζειν2 καὶ ὀµνύειν). Luke, on the other hand, decidedly weakens the expressions, and uses the verb ἀρνεῖσθαι only once (ἠρνήσατο – ἔφη – εἶπεν). He, like the fourth evangelist, omits the curse. When we turn to the Gospel of the Nazarenes we find the third denial stressed even more heavily than in Mark; here it is introduced with a threefold statement: ἠρνήσατο καί ὤµοσεν καί κατηράσατο. One may suppose that this is intended quite consciously as a rising crescendo; this might well suggest that the | triad was formed by the addition of introductions to the first two denials as follows: ἠρνήσατο – ἠρνήσατο καί ὤµοσεν – ἠρνήσατο καί ὤµοσεν καί κατηράσατο.3 Against whom is Peter’s curse directed? Older exegetes like Ludwig Wolzogen saw here two possibilities: »The verb „to curse“ can here apply to Christ just as much as to Peter, as there is no reflexive in the Greek.« Wolzogen naturally opted for the second possibility: But though the sin of Peter, for which he wept so bitterly, ought not to be minimized, neither is there any reason to exaggerate it or make it greater by supposing that he cursed and execrated Christ himself; we must rather decide that he cursed himself, as the Jews who were opposing Paul cursed themselves in Acts. ., .4 * Ursprünglich veröffentlicht in: The Trial of Jesus. Cambridge Studies in Honour of C. F. D. Moule, Cambridge , S. –. 1 The attempt of G. Klein, »Die Verleugnung des Petrus«, ZTK , , pp. –, to explain this episode as the reflection of the behaviour of Peter after Easter, presents, in fact, an »explicatio obscuri per obscurius« (so M. Hengel, Nachfolge und Charisma [BZNW ], , p. n. ). Also in opposition to Klein stands E. Linnemann, »Die Verleugnung des Petrus«, ZTK , , pp. ff.; in my opinion she decides far too quickly about the historicity of the denial traditions, but she does say »that the denial by the disciples at the passion of Jesus is a self-evident fact«. 2 The equivalence κατάθεµα = κατανάθεµα = ἀνάθεµα already established by A. Harnack, Die Lehre der zwölf Apostel (TU .–), , p. , can stand as valid for the verb too; so also Liddell and Scott, s.v.; less positively, J. Behm, TWNT I, p. (TDNT I, p. ). 3 See E. Preuschen, Antilegomena, nd ed., Giessen , p. n. . A discussion of this source with E. Bammel suggested the above references. 4 Commentarius in Evangelium Matthaei, Irenopolis (= Friedenstadt) , p. .
Peter’s Curse
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In similar terms Hugo Grotius also decided in favour of the »easier interpretation«, namely that the words here only relate to a »qualified self-cursing« by Peter.5 Nowadays, with certain modifications, this interpretation is found in all the commentaries.6 Some commentators take the unexpressed object of ἀναθεµατίζειν and relate it to the speaker and those whom he was addressing.7 Elsewhere we find a small catalogue of those things which Peter might have had in mind with his curse: »To curse . . . usually has some object: himself (so R V)? the day of his birth? his luck?«8 An examination of linguistic usage is, however, not favourable to this consensus. For neither the LXX,9 Aquila,10 Symmachus,11 | Theodotion,12 nor the extra-biblical literature13 , 14 use ἀναθεµατίζειν as a description of self-cursing.15 Furthermore, an element of self-cursing is already implicit in the use of an oath: »Swearing is qualified self-cursing.«16 In the LXX, therefore, such oath-formulae are introduced merely by ὤµοσεν17 or more often only εἶπεν18 and the fact that the oath contains an element of self-cursing is not explicitly stated.19 If therefore ἀναθεµατίζειν is mentioned alongside and in addition to ὀµνύναι, there must be some special reason.20 5
Adnotationes in Novum Testamentum, editio nova, ed. Chr. E. von Windheim, Halle , p. . E. g. F. Hauck, Das Evangelium des Markus (THK ), , pp. f.; W. Grundmann in the nd ed. of this commentary (); V. Taylor, The Gospel according to St Mark, nd ed., London , ad loc.; E. Haenchen, Der Weg Jesu, Berlin , pp. f. 7 Thus A. Schlatter, Der Evangelist Matthäus, Stuttgart , p. ; »Peter will fall under the ban (! )חרסif he is lying, and so will others if they say he is a disciple.« Similarly G. Wohlenberg, Markus (KNT), rd ed., , p. , n. ; E. Lohmeyer, Markus (KEKNT), th ed., , p. ; J. Schneider, TWNT V, p. (TDNT V, p. ); C. E. B. Cranfield, The Gospel according to St Mark, Cambridge , pp. f. 8 F. C. Grant, The Interpreter’s Bible , New York , p. . 9 Num. .; .,; Deut. . (); .; Josh. . (); Judg. .(A); .; I Kingdoms .; IV Kingdoms .; I Chron, . II Esdr. [=Ezra] .; I Macc. . (see Hatch and Redpath s.v.). 10 Ex, .(); Deut. .; ., ; .; I Kingdoms .; Isa. .; .; .; Jer. ().; Micah .. 11 Ex. .(); Deut. .; I Kingdoms .; Isa. .; .; Jer. ().; Micah .. 12 Ex. .(); Deut. .; I Kingdoms .; Isa. .; .; Micah .. 13 Twice in a table of curses from Megara: S. A. Audollent, Defixionum Tabellae, Paris , No. ; G. Deissmann, Light from the Ancient East, ET, rd ed., London , p. . The formal ecclesiastical usage yields nothing (see A Patristic Greek Lexicon, ed. G. W. H. Lampe, fasc. , Oxford , ad loc.). 14 The formal ecclesiastical usage yields nothing (see A Patristic Greek Lexikon, ed. G. W. H. Lampe, fasc. , Oxford , ad loc.). 15 This has been established by M.-J. Lagrange, L’Evangile selon Saint Marc, rev. ed., Paris, , p. , though he did not draw out the consequences. The usage in Acts . has a particular bearing: ἀναθέµατι ἀναθεµατίζειν ἑαυτόν as does the formulation in Eth. Enoch .: ἀναθεµατίζειν ἀλλήλους. 16 J. Wellhausen, Das Evangelium Marci, nd ed., Berlin , p. , and E. Klostermann, Markus (HNT), th ed., , p. . Both, however, assume that ἀναθεµατίζειν and ὀµνύναι are identical in meaning. 17 II Kingdoms .; III Kingdoms .,. 18 I Kingdoms .; .; .; II Kingdoms .,; IV Kingdoms .; Ruth .. 19 See Horst, »Der Eid im Alten Testament«, in his Gottes Recht, Munich , p. ; C. Vriezen, art. »Eid« in Bibl.-hist. Handwörterbuch I, ed. L. Rost and B. Reicke, Göttingen , pp. f. 20 The view of E. Lohmeyer (see n. above), that ἀναθεµατίζειν and ὀµνύναι form a hendyadis, lacks any foundation. 6
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Peter’s Curse
Now, it must be noticed that in all the places referred to ἀναθεµατίζειν has a direct object after it;21 our passage Mark . is the one and only support for the absolute use of this verb. It therefore seems awkward to postulate an intransitive usage in this passage.22 Rather does the suggestion commend itself that the | object of Peter’s curse is intentionally left unspecified. Is it possible to make a well-grounded suggestion about this? As mentioned previously, many exegetes believe that by his curse Peter was threatening the servants and serving-girls who were exerting pressure on him. But for what reasons would a curse invoked by Peter on the high-priestly servants have been rendered unrecognizable in the development of the tradition? With this we are driven back to the possible interpretation which was considered by Wolzogen but suppressed for reasons of piety. Did Peter, under renewed pressure in spite of his repeated protestations, resort to what would probably count in the eyes of his Jewish opponents as the strongest way of dissociating himself, that is, cursing Jesus? One could appreciate that the community would only shudderingly and allusively relate the story of this most terrible denial of her Lord by his foundation-apostle, and all the more so since every subsequent expression of an oath had the effect of reviving it.23 Several considerations lend support to this theory: . If in Mark . the expression οὐκ οἶδα τὸν ἄνθρωπον is mentioned as the content of the oath, then this recalls the form of words used in the rabbinic banformula: »I have never known you.«24 . The Gospel of the Nazarenes uses, in place of ἀναθεµατίζειν, the verb καταρᾶσθαι. This verb, too, always has a transitive meaning.25 Therefore it was not here understood in the sense of self-cursing.26 . We know from the younger Pliny’s letter about Christianity that to curse Jesus could serve as the proof of innocence in the case of a person accused of being a Christian.27 The governor demanded of the suspect that, as well as offering a sacrifice before the image of Caesar, he should also curse Christ, »none of which acts, it is said, those who are really Christians can be forced into performing«. | In Justin, Apol. I.., a similar procedure is reported of Bar Kochba, who, during the Second Jewish Revolt, had all Christians whom he had seized executed if they did not deny and curse Jesus the Messiah. R. Freudenbergermight therefore quite rightly 21 A. Schlatter’s comment on Matt. . (see n. above), that »καταθεµατίζειν needs no object«, is quite arbitrary. 22 As is done in Stephanus, Thesaurus Graecae Linguae I., Paris –, col. . 23 J. Hempel, »Die Israelitischen Anschauungen von Segen und Fluch im Lichte altorientalischer Parallelen«, ZDMG, NF , , pp. f. 24 b. Moed Katan a; see S-B I, p. ; cf. Matt. .. 25 See Liddell and Scott, ad loc. 26 E. Preuschen, Antilegomena, Giessen , p. , translates correctly »And he denied and swore and cursed«, whereas P. Vielhauer translates fragment »damned himself« (NT Apoc. I, p. ). 27 On this, recently, R. Freudenberger, Das Verhalten der römischen Behörden gegen die Christen im . Jahrhundert, Munich .
Peter’s Curse
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see in those »Jewish, or rather Pharisaic and rabbinic precautionary measures against the Church« the source of the curse demanded by Pliny.28 We might perhaps understand in this context the statements in I Cor. ., described by W. Bousset as »not entirely transparently clear«.29 Certainly the normal interpretation is that Paul intends with these words to indicate a method of testing spiritual or ecstatic utterances,30 but powerful arguments have been marshalled against this. A. Schlatter has shown that the cry ἀνάθεµα ᾽Ιησοῦς is, in its form and in its intention, explicitly Jewish.31 O. Cullmann, too, has opposed the understanding of our text in terms of glossolalia,32 and has emphasized that »speaking with tongues is inarticulate speech, whereas here the reference is to a quite precise affirmation«.33 As Mark . and Matt. .ff. show, it was a primitive Christian conviction that the inspiration of the Spirit was particularly to be expected in a situation of persecution. It is possible that Christians, who had consented to »curse Christ« under pressute exercised by the courts,34 described this later in terms of the inspiration of the Spirit; on the other hand, Paul provides a criterion of content for statements produced by the Spirit. If we have correctly recognized in this third denial of Peter a curse directed against Christ,35 then strong support is gathered for the observation of J. Schniewind36 that it is quite unthinkable that | the community should have invented a story about her recognized leader which humbled him so deeply, unless something of the sort had actually taken place.37
28
Op. cit., p. . Kyrios Christos (FRLANT ), nd ed., , p. . 30 W. Bousset on I Cor. . in Die Schriften des NT neu übersetzt und für die Gegenwart erklärt, ed. J. Weiss, rd ed., Göttingen , p. . 31 A. Schlatter, Paulus der Bote Jesu, nd ed., Stuttgart , p. . Cf. S-B III, p. . 32 The Earliest Christian Confessions, ET London , pp. ff. 33 Ibid., p. . 34 Are we, with Freudenberger, op. cit., p. , to think of a synagogue commission? 35 I notice that this view is also held by G. Bornkamm, Jesus of Nazareth, ET London , p. , and by G. W. H. Lampe, »Church Discipline in the Epistles to the Corinthians«, Christian History and Interpretation: J. Knox Festschrift, ed. W. R. Farmer, C. F. D. Moule and R. R. Niebuhr, Cambridge , p. . 36 Das Evangelium nach Markus (NTD, th ed.), , p. . Similarly E. Schweizer in the new ed. () of Schniewind’s commentary; E. Dinkler, »Die Petrus-Rom-Frage«, TR , , p. n. , and H. von Campenhausen, Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab, nd ed., Heidelberg, , p. , have also declared themselves in favour of the historicity of the denial tradition. 29
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The author wishes to express his gratitude to Dr D. Catchpole for translating this article.
War Jesus ein Revolutionär? Die jüdische Widerstandsbewegung zur Zeit Jesu * Seit der Rückkehr aus dem babylonischen Exil ( v. Chr.) war das jüdische Volk von fremden Großmächten abhängig, von den Persern, Ptolemäern und Seleukiden. Im Jahr erhob sich unter der Führung der Makkabäer aktiver Widerstand gegen die seleukidische Fremdherrschaft und die damit verbundene Religionspolitik. Als Vorbilder für solches gewaltsames Eintreten für die Religion der Väter sah man Pinehas (Num ) und Elija (Kön Kap. –) an, die gegen den Abfall Israels »geeifert« hatten. Die relative Selbständigkeit, die durch die makkabäische Erhebung errungen wurde, fand freilich mit der Eroberung Jerusalems ( v. Chr.) durch Pompejus ihr Ende. Eine akute revolutionäre Situation entstand wieder nach dem Tod des Königs Herodes ( v. Chr.); als im Jahr n. Chr. Judäa in eine steuerpflichtige römische Provinz verwandelt wurde (vgl. Lk ), organisierte Judas der Galiläer zusammen mit dem Pharisäer Zaddok den Widerstand gegen die Besatzungsmacht.1 Das Hauptmotiv des Kampfes war die Forderung, Gott allein sei als Herr Israels anzuerkennen; die Steuerzahlung, die ja eine Anerkennung der Herrschaft des Kaisers bedeutete, müsse daher verweigert werden. Ebenso rigoros wie das . Gebot des Dekalogs wollten die Aufständischen, die sich Zeloten (Eiferer) nannten, auch das Bilderverbot eingehalten wissen, so daß sie keine römischen Münzen, die das Kaiserbild trugen, in die Hand nahmen; auch mancherlei Reinheitsvorschriften und die Forderung der Beschneidung wurden verschärft. Dadurch, daß sie mit dem Schwert gegen jüdische und heidnische Gesetzesbrecher vorgingen, glaubten die Zeloten, aktiv den Anbruch der Gottesherrschaft herbeiführen zu können. Tatsächlich aber führte der Guerillakrieg zur Konfrontation mit der römischen Weltmacht. Der jüdisch-römische Krieg (– n. Chr.) mußte mit einer verheerenden Niederlage der Aufständischen enden.
Gab es Beziehungen zwischen Jesus und den Zeloten? Nachdem schon H. S. Reimarus, dessen Abhandlung »Vom Zwecke Jesu und seiner Jünger« von G. E. Lessing herausgehoben wurde, die These aufgestellt hatte, Jesus habe in Wirklichkeit das unter der römischen Knechtschaft seufzende Volk befreien wollen und sei dabei gescheitert, hat vor allem R. Eislerdiese politische Jesusdeutung in einem zweibändigen Werk / zu beweisen gesucht. Neuerdings hat J. Carmichael2 die Eislerschen Thesen ausgeschrieben und damit viel unverdientes * Ursprünglich veröffentlicht in: Bibel und Kirche , , S. – (wieder abgedruckt in: themen, . Jahrg., , S. –). 1 Vgl. M. Hengel, Die Zeloten, Leiden . 2 Leben und Tod des Jesus von Nazareth, München .
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Aufsehen erregt; auf Carmichael berufen sich wiederum F. Pzillas3 und – in modifizierter Form – auch J. Lehmann4 , dessen Machwerk5 durch die Illustrierte »Stern« bekannt geworden ist. Auf wissenschaftlicher Ebene bemüht sich der englische Religionshistoriker S. G. F. Brandon6 um eine Stützung der Eislerschen Position. Bevor wir die Deutung Jesu als eines Aufrührers kritisch beleuchten, müssen wir die im Vorjahr erschienenen wissenschaftlichen Untersuchungen von M. Hengel7 und O. Cullmann8 nennen. Diese beiden Neutestamentler kommen, trotz gelegentlicher unterschiedlicher Urteile in Einzelfragen, zu dem Ergebnis, daß es unmöglich sei, Jesus als politischen Aufrührer anzusehen. Wer eine ausführliche Diskussion der anstehenden Fragen und streng wissenschaftliche Information sucht, sei nachdrücklich auf diese beiden Untersuchungen verwiesen. Wie steht es nun um die hauptsächlichen Argumente für die »zelotische« Jesusdeutung? . Man verweist auf die Tatsache, daß ein Jünger Jesu, Simon, Zelot gewesen sei (Mk ,; Lk ,). Folgt aber hieraus, daß Jesus selbst Zelot war? Nach Mk , hat Jesus doch auch einen Zöllner, also einen Kollaborateur mit der Besatzungsmacht, in die Nachfolge gerufen. Die Hinwendung Jesu zu den moralisch und religiös verachteten Zöllnern ist ja eindeutig in allen Quellenschichten belegt. Sollte Jesus nur die Zöllner zur Umkehr aufgefordert haben, nicht aber die Zeloten? Eine Verfälschung des Sachverhalts liegt übrigens bei Lehmann vor, der behauptet, »daß mindestens sechs (!) der zwölf Jünger Zeloten« gewesen seien (S. ); dafür gibt es keinerlei stichhaltige Beweise. | . Man betrachtet die Tempelreinigung (Mk ,ff ) als den Versuch Jesu, den Tempel mit Hilfe einer bewaffneten Schar zu besetzen. Da die Erzählung dies nicht erkennen läßt, behauptet man, Markus habe die Begebenheit tendenziös abgeschwächt. Dagegen ist aber zu sagen: Hätte Jesus wirklich einen größeren Tumult ausgelöst, dann hätte zweifellos die jüdische Tempelwache oder die in der Burg Antonia an der Nordwestecke des Tempelvorhofs stationierte römische Kohorte eingegriffen. Man wird also eher annehmen müssen, daß Markus das Ausmaß der Aktion Jesu übertrieben dargestellt hat. . Man verweist auf das Wort Jesu (Lk ,): »Wer kein Schwert hat, verkaufe seinen Mantel und kaufe ein Schwert.«. Dieses Wort muß keinesweg als Aufforderung zu zelotischer Aktivität verstanden werden; es kann sich um einen paradox formulierten Hinweis auf Anfechtungen und Anfeindungen handeln, denen die Jünger ausgesetzt sein werden. 3 Der Messiaskönig Jesus, in: Jesusbilder in theologischer Sicht, herausgegeben von K. H. Deschner, München . 4 Jesus-Report, Düsseldorf . 5 Vgl. die fundierte wissenschaftliche Kritik in dem von K. H. Müller herausgegebenen Taschenbuch: Rabbi J. – Eine Auseinandersetzung mit J. Lehmanns Jesus-Report, Würzburg . Dazu auch die Beiträge in »Bibel und Kirche« Heft /. 6 The Trial of Jesus of Nazareth, London . 7 War Jesus Revolutionär? Stuttgart . Besprochen in »Bibel und Kirche« Heft /. 8 Jesus und die Revolutionären seiner Zeit, Tübingen .
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Die jüdische Widerstandsbewegung zur Zeit Jesu
Auch das Wort Mt ,: »Ich bin nicht gekommen, Frieden auf die Erde zu bringen, sondern das Schwert«, meint nicht bewaffnete Aktion der Jünger, sondern weist bildlich auf den Zwiespalt und Streit hin, den Jesu Entscheidungsruf bringt (vgl. Lk ,). . Unbestreitbar ist schließlich die Tatsache, daß Jesus von den Römern gekreuzigt wurde; die Anklage lautete auf Aufruhr. Damit ist jedoch noch nicht gesagt, daß Anklage und Verurteilung sachlich begründet waren. Auf die Vielzahl von traditionsgeschichtlichen und rechtsgeschichtlichen Problemen, die der Prozeß Jesu aufgibt, kann hier nicht eingegangen werden.9 Aus dem Prozeßbericht allein kann jedenfalls über Recht oder Unrecht der Beschuldigung nicht entschieden werden. Es ergibt sich somit, daß die zelotische Jesusdeutung auf sehr unsicheren Grundlagen ruht; sie wird vollends unmöglich, wenn wir nicht nur einzelne Worte und Fakten herausgreifen, sondern die Verkündigung Jesu als Ganzes betrachten.
Drei grundlegende Absagen Jesu an das Zelotentum In den Evangelien wird nirgends von einer Auseinandersetzung Jesu mit den Zeloten berichtet. Man hat dieses Schweigen aus der Tendenz erklären wollen, die positive Stellung Jesu zu den Zeloten zu verschleiern. Richtig jedoch ist die Feststellung M. Hengels10 , daß die Zeloten lehrmäßig den Pharisäern nahestanden, so daß ein Teil der gegen den Pharisäismus gerichteten Äußerungen Jesu auch die Zeloten trifft. Sodann ist zu bedenken, daß das Zelotentum im jüdischen Krieg ja größtenteils den Untergang gefunden hat und daher zur Zeit der Abfassung der Evangelien keine akute Gefahr darstellte; aus diesem Grunde können Äußerungen Jesu über die Zeloten in Vergessenheit geraten oder aber ohne Angabe der ursprünglichen Adressaten überliefert worden sein. Drei Worte Jesu kann man jedenfalls als klare Absagen an zelotische Ideale verstehen. . Die Zeloten wollten, wie schon gesagt, durch ihre Aktivität den Anbruch der Gottesherrschaft beschleunigen. Auch Jesus hat von der Gottesherrschaft gesprochen. Aber er hat im Gleichnis von der »selbstwachsenden Saat« (Mk ,–) betont, daß Gott sein Reich ohne menschliches Zutun selbst herbeiführt. Die Geduld des Landmanns ist ein Vorbild für den Glauben, der alles von Gott erwarten soll. Ja, Jesus interpretiert die Vorstellung vom Kommen der Gottesherrschaft noch weiter um: Sie steht nicht mehr nur in der Zukunft, sie ist in seinem Wirken bereits angebrochen! »Wenn ich mit dem Finger Gottes die Dämonen austreibe, dann ist damit das Reich Gottes schon zu euch gelangt« (Lk ,; vgl. Mt ,). Das heißt, die Verkündigung Jesu ist von seiner Person und von seinem Wirken nicht abzulösen. . Der Anlaß zur Formierung der Widerstandskämpfer war die Censusaktion des Jahres n. Chr. gewesen. Die nach Mk ,ff an Jesus herangetragene Frage »Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen oder nicht?« muß zweifellos auf diesem Hinter9 Vgl. dazu die umfassende Untersuchung von J. Blinzler, Der Prozeß Jesu, Regensburg , und den von E. Bammel herausgegebenen Sammelband: The Trial of Jesus, London . 10 S. o. (Anm. ), S. f.
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grund gesehen werden. Die Antwort Jesu »Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, aber Gott, was Gottes ist«, ist eine eindeutige Absage an die zelotische Steuerverweigerung, ebenso freilich eine deutliche Mahnung an die kompromißbereite römerfreundliche Partei der Sadduzäer. »Die Weltmacht wird weder gerechtfertigt noch verdammt; sie wird durch das „aber“, das auf Gottes Sache hinweist, entmächtigt.«11 Wenn man hier und anderwärts sieht, daß Jesu jenseits aller Parteien stand, versteht man das Interesse an seiner Beseitigung wohl. . Die entscheidende Differenz zwischen Jesus und den Zeloten wird aber an der Stellung zum Mitmenschen deutlich. Während die Zeloten glaubten, im Dienst an der Sache Gottes alle Gesetzesbrecher rigoros ausrotten zu müssen, hat Jesus die Liebe zum Nächsten, ja zum Feind gefordert (Mt ,ff ). Diese Liebe gründet in der grenzenlosen Vaterliebe Gottes (Lk ,–) und wird anschaulich im Verhalten Jesu, der sich als »Freund | der Zöllner und Sünder« beschimpfen läßt (Mt ,; Lk ,), und der es als seine Aufgabe bezeichnet, die Sünder zu rufen (Mk ,). Daher antwortet Jesus auf die Frage des Schriftgelehrten nach dem höchsten Gebot von Mk ,ff mit dem Doppelgebot der Liebe: »Höre Israel, der Herr, unser Gott, ist Herr allein, und du sollst den Herrn deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft.« Bis hierher hätte jeder Zelot seine Zustimmung gegeben, aber er hätte die Folgerung gezogen: »Darum sollst du alle, die das Gesetz Gottes genau erfüllen, lieben, und alle, die das Gesetz Gottes brechen, hassen.« Jesus aber fügt dem Gebot der Gottesliebe hinzu: »Das zweite ist dieses: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Es gibt kein anderes Gebot, das größer wäre als dieses.«
Das Liebesgebot – Mitte und Norm christlichen Handelns Wenn die Haltung gegenüber dem Mitmenschen durch Liebe bestimmt sein soll, so sehr, daß nicht nur Racheakte und Rachegedanken fernbleiben, sondern sogar die Fürbitte für den Feind geboten ist, dann kann es keine Rechtfertigung für Gewalttätigkeit gegen den Nächsten geben. Wie sieht die von Jesus geforderte Nächstenliebe aus? Der barmherzige Samariter, das Urbild der Mitmenschlichkeit, hilft dem, der in Not ist, ohne nach der Nationalität, Konfession oder Weltanschauung des Hilfsbedürftigen zu fragen. Er hilft unter Einsatz seines Lebens – die Räuber könnten ja auch ihn überfallen! Und er leistet konkrete Hilfe in der konkreten Situation; er entwirft kein Programm, das eine – angeblich – endgültige Sicherung der Straße vor Wegelagerern garantierte. Ein derartiges Programm mag seinen Sinn haben, aber nicht, solange der eine am Straßenrand zu verbluten droht. Dementsprechend gilt es vor Gott, dem Richter, als Ersatz für ein vielleicht vollkommen verpfuschtes Leben, wenn sich in ihm eine Tat der Menschlichkeit findet: Ein Hungernder, ein Dürstender, ein Gefangener, dem Hilfe zuteil ward, bewirkt den
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M. Hengel s. o. (Anm. ), S. .
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Die jüdische Widerstandsbewegung zur Zeit Jesu
Freispruch (Mt ,–). Die Gefahr liegt nahe, daß wir »scheel sehen, weil Gott so gütig ist« (Mt ,) – aber der Gott Jesu achtet auf den Dienst am Geringen. So sehr fordert der Gott Jesu den Dienst am Mitmenschen, daß um seinetwillen sogar die geheiligte Ordnung des mosaischen Gesetzes außer Kraft gesetzt wird. Jesus hat das Sabbatgebot wiederholt gebrochen (Mk ,ff; ,ff ) und das Wohl des Menschen grundsätzlich höher gestellt (Mk ,); er hat die Reinheitsgesetzgebung annuliert (Mk ,), da sie nur Äußerliches betrifft; er hat die in der damaligen Zeit große Härten verursachende Scheidungserlaubnis negiert (Mk ,). Nicht der Dienst an irgendwelchen Idealen oder Ideen, so groß und geheiligt sie sein mögen, sondern der Dienst an der Erhaltung des Lebens steht im Vordergrund (Mk ,). Mit dieser Freiheit nicht nur von der rabbinischen Kasuistik, sondern auch vom Buchstaben des Alten Testaments stand Jesus abermals jenseits aller Parteien seiner Zeit. Dieser Aspekt der Verkündigung Jesu, der in der gegenwärtigen Jesusforschung mit zunehmender Klarheit erkannt wird12 , wird von Carmichael und Lehmann ignoriert. So behauptet Lehmann ganz unbekümmert, »daß der Jude J. keine eigene Lehre hatte, sondern eine bereits bestehende Lehre ausschließlich für Juden verbreitete, eine Lehre, die so eng mit der Tradition des jüdischen Volkes verwurzelt ist, daß jede einseitige Akzentverschiebung vom Jüdischen weg gleichzeitig eine Verfälschung des ursprünglich Gemeinten« bedeute (S. ). Lehmann könnte sich zur Stützung dieser Auffassung auf Mt ,– berufen; doch hat die historisch-kritische Forschung längst erkannt, daß in diesen Versen nicht Jesus, sondern die judenchristliche Gemeinde zu Wort kommt13 . Die streng historische Befragung der Evangelien zeigt, daß es für Jesu Gesetzeskritik in seiner Zeit und Umwelt keine Analogie gibt. »Hier liegt der grundsätzliche Unterscheidungspunkt gegenüber dem Pharisäismus wie den charismatisch-apokalyptischen Strömungen innerhalb des Judentums einschließlich des Essenismus und des Täufertums: Die Mosetora bildete für ihn (Jesus) nicht mehr Mittelpunkt und letztgültigen Maßstab. Jesus stand nicht – wie die Gesamtheit seiner jüdischen Zeitgenossen – unter, sondern über der von Mose am Sinai empfangenen Tora«.14 An diesem Aspekt der Verkündigung Jesu, den man revolutionär nennen könnte, wird allerdings deutlich, daß Jesus nicht die Rechtfertigung der jeweils bestehenden Verhältnisse gewollt hat: Wenn sie der Mitmenschlichkeit nicht dienen oder ihr gar im Wege stehen, tritt er für ihre Beseitigung ein. Die Forderung nach gerechteren Sozialstrukturen kann also durchaus im Sinne Jesu sein, wie O. Cullmann15 hervorgehoben hat. Nur kann diese Forderung von Jüngern Jesu nie mit der Waffe in der Hand durchgesetzt werden. Der Weg der Kirche ist der Weg des Dienens, den Jesus ihr vorgelebt hat (Mk ,–). Mißerfolg und | Kreuz sind deshalb auch für die Kirche stets zu gewärtigen. 12
Vgl. W. Trilling, Fragen zur Geschichtlichkeit Jesu, Düsseldorf , S. ff. S. R. Hummel, Die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Judentum im Matthäusevangelium, München , S. ff. 14 M. Hengel, Nachfolge und Charisma, Berlin , S. . 15 S. o. Anm. , S. . 13
War Jesus ein Revolutionär?
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Wir fassen zusammen: . Die Verkündigung Jesu, die wir in charakteristischen Beispielen herangezogen haben, zeigt eine eindeutige und grundsätzliche Distanz zum Zelotentum. Die törichte Rede, Jesus sei Revolutionär gewesen, sollte aus Respekt vor den historisch-kritisch zu erhebenden Tatbeständen aufhören. . Die Forderung der Nächstenliebe, die im Zentrum der sozialen Verkündigung Jesu steht, schließt gewaltsame Veränderung ebenso aus wie starres Festhalten an ungerechten Zuständen. . Man wird mit M. Hengel16 konzedieren, daß Gewaltanwendung auch für den Christen »eine letzte, verzweifelte Form der „Notwehr“ sein« kann, aber eine Kirche, die die »gerechte Revolution« verkündigte, würde dem Auftrag ihres Herrn untreu.
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S. o. Anm. , S. .
Ein melancholischer Bankrott Zu Rudolf Augsteins Buch »Jesus Menschensohn« * In der Ausgabe vom . Dezember klärte das deutsche Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« seine Leser darüber auf, »daß alle Berichte über Jesus in irgendeiner Weise gefärbt oder auf einen bestimmten Zweck hin geschrieben worden sind – wobei die Art der Färbung dem Geschmack und den Gewohnheiten der Zeit angemessen gewesen sein mag, also nicht die Absicht der Täuschung gehabt haben muß . . . « (S. ). Dieser Artikel, ein Überblick über neuere Jesusforschungen, erregte seinerzeit ungeheures Aufsehen, brachte er doch viele nur im akademischen Raum verhandelte Probleme erstmals in die Öffentlichkeit. Wenn jetzt der Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein ein Buch über Jesus veröffentlicht, das die damalige Zitatensammlung nicht nur an Umfang weit übertrifft, sondern auch eine viel ausgeprägtere antikirchliche Tendenz besitzt, wird er nicht mehr auf solche Resonanz hoffen dürfen. Denn einerseits ist eine weit größere – kirchliche wie nichtkirchliche – Öffentlichkeit heute über die anstehenden Probleme informiert. Nicht nur die plagiatorischen Machwerke eines Joel Carmichael (»Leben und Tod des Jesus von Nazareth«) und Johannes Lehmann (Jesus-Report) haben zahlreiche Leser gefunden, auch große Verlage beider Konfessionen haben mancherlei informative Literatur auf den Markt gebracht. In Gemeindeseminaren und auf Kirchentagen wird der »Streit um Jesus« offen ausgetragen. Andererseits hat sich Augstein durch den Stil seines Buches, der eher für ein Pamphlet denn eine sachliche Darstellung geeignet wäre, selbst darum gebracht, von ernsthaften Leuten ernstgenommen zu werden. Nicht nur, daß er namhaften Forschern unterstellt, sie sagten bewußt die Unwahrheit (S. , ), ja alle Theologen als Lügner abqualifiziert (S. ), er diskriminiert die gesamte christliche Tradition als Fälschung und Phantasterei (S. ), bezeichnet das Christentum als einen »explosiven Irrtum« (S. ) und die Kirche als eine Institution, die »ihre Existenz den sehr drängenden Phantasien trostbedürftiger Menschen verdankt« (S. ). Solche unverhüllte Feindseligkeit hat natürlich einen aktuellen Anlaß: Augstein nahm als Kandidat der FDP am bundesdeutschen Wahlkampf teil und wollte mit dieser Veröffentlichung den verderblichen politischen Einfluß der Kirchen bekämpfen (S. ). »Man sieht nicht recht, wie die Kirchen überleben können, wenn sie zugeben, was sie nicht zugeben dürfen, daß sie nämlich auf uralten Fiktionen gründen, auf geronnenen Menschheitsträumen« (S. ). Auf den beiden letzten Seiten des Buches erfährt der geduldige Leser allerdings, daß die Motivation Augsteins zur Jesusforschung noch tiefer liegt: Es geht ihm um eine sehr persönliche Abrechnung mit seiner (katholischen) Vergangenheit. Daher der überaus emotionale anklagende Stil. * Ursprünglich veröffentlicht als: Ein melancholischer Bankrott. Zu Rudolf Augsteins Buch »Jesus Menschensohn«, in: Orientierung , , S. –.
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Keine Intuition für die Überlieferung Eine Inhaltsangabe des Buches zu geben ist unmöglich. Ein eigentlicher Gedankenfortschritt findet nicht statt. Die zwölf Kapitel stellen eher Variationen eines einzigen Themas dar, das Augstein auf Seite so formuliert: »Nicht was ein Mensch namens Jesus gedacht, gewollt, getan hat, sondern was nach seinem Tod mit ihm gedacht, gewollt, getan worden ist, hat die christliche Religion und mit ihr die Geschichte des „christlichen Abendlandes“ bestimmt.« Hier wird zunächst mit provozierender Schärfe behauptet, daß allein der irdische Jesus Maßstab der christlichen Theologie sein dürfe. Über die Berechtigung dieser dogmatischen These Augsteins soll hier nicht gerechtet werden. Immerhin sei aber darauf hingewiesen, daß sich christlicher Glaube von allem Anfang an nicht nur als Bindung an den irdischen Jesus verstanden hat. Vielmehr war das Osterereignis – wie auch immer zu deuten – konstitutiv für den Glauben an Jesus. Die Überzeugung, daß dieser Gekreuzigte als erhöhter Herr lebt, unterschied die Urkirche von rabbinischen Lehrhäusern ebenso wie von hellenistischen Philosophenschulen und anderen Zweckgenossenschaften. Die Jünger waren also nicht nur »blasse Schatten eines melancholischen Bankerotts [sic!]« (S. ), sondern Gesandte des Auferstandenen. Dazu aber weiß Augstein nicht viel zu sagen. Überhaupt bleibt bei ihm die Dimension des Glaubens völlig ausgeblendet. Das Phänomen der Religion versteht er einfach nicht; hier hat er seinen blinden Fleck. Ob es aber dann sinnvoll ist, ein Buch über Jesus zu schreiben? Seit Herder wissen wir doch, daß zur Geschichtsschreibung die Intuition gehört, mindestens der Wille zum Verstehen der Überlieferung. Davon läßt Augstein aber rein gar nichts erkennen. Doch ist die genannte Grundthese nicht nur dogmatisch, sondern auch historisch provozierend, behauptet sie doch, alle Überlieferung über den irdischen Jesus sei falsch. Diese Behauptung wird durch eine solche Fülle von Zitaten aus der wissenschaftlich-theologischen Literatur, teils freilich auch aus der Belletristik, gestützt, daß der der Sache nicht kundige Leser den Eindruck gewinnen muß, hier sei alles erwiesene Tatsache. Das Gegenteil ist richtig! Man kann diesen enormen Apparat von Zitaten geradezu als ein ungeheures Täuschungsmanöver bezeichnen. Denn erstens muß Augstein vorgeworfen werden, daß er in der Auswahl seiner Gewährsleute sehr willkürlich verfährt – immer hat der Forscher recht, der eine Tradition anzweifelt; Gegenargumente, und seien sie für den Sachkundigen noch so bedenkenswert, zählen nicht. Zweitens muß darauf hingewiesen werden, daß Augstein sehr oft den gleichen Trugschluß vorführt: Weil zwei oder drei Ausleger verschieden über einen Text urteilen, muß der Text unsinnig sein. Augstein denkt gar nicht daran zu fragen, warum die Ausleger zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, und hat auch nirgends sachliche Argumente zur Lösung der strittigen Fragen beizutragen. Er jongliert lediglich Zitate aus der Sekundärliteratur hin und her, wie wir das aus dem »Spiegel« kennen. Ist dies – wissenschaftlich gesehen – auch Wahnsinn, hat es doch Methode.
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Ablehnung der Quelle Q Methode hat auch Augsteins Äußerung zur Quellenfrage. Mit der gesamten Forschung sieht er Markus als das älteste Evangelium an. Nun bieten aber Matthäus und Lukas eine große Zahl von Texten, meist Worte Jesu, die im Wortlaut und in der Reihenfolge weitgehend übereinstimmen, so daß sich die Annahme einer gemeinsamen Quelle für diese Texte nahelegt. Diese – freilich nur rekonstruierte – Logienquelle (Q) lehnt Augstein entschieden ab (f.). Dazu beruft er sich auf J. Jeremias, einen der bedeutendsten Neutestamentler der Gegenwart. Freilich steht Jeremias gerade mit seiner Ablehnung einer schriftlichen Logienquelle ziemlich allein. Was soll man aber von der Berufung Augsteins auf Jeremias halten, wenn man an vielen anderen Stellen sieht, wie er diesen verdienten Gelehrten verspottet und verhöhnt, da er ein konservativer Forscher ist (s. S. ; ; ; ; )? Derselbe Jeremias kann freilich noch einmal als Kronzeuge angerufen werden, wenn es Augstein in den Kram paßt. Alle kritischen Exegeten sind sich nämlich darüber einig, daß das Jesuswort Mk , (Was ein Mensch ißt, macht ihn nicht unrein) einen Angriff auf die alttestamentliche Reinheitsgesetzgebung darstellt; da Augstein aber Jesus für ein konturen| loses Wesen ausgeben möchte, liegt ihm natürlich daran, dieses revolutionäre Wort möglichst abzuschwächen. Hier hilft J. Jeremias! Allerdings hat Jeremias ganz andere Gründe für seine abschwächende Auslegung von Mk ,; er möchte nämlich Jesus in prinzipieller Übereinstimmung mit dem Gesetz sehen. Die Ablehnung der Quelle Q entspringt bei Augstein deutlich der Tendenz, die Gestalt und Verkündigung Jesu möglichst im Nebel verschwimmen zu lassen. Markus überliefert ja relativ wenige Worte Jesu. Aber Augstein will auch das »Sondergut« der Evangelisten Matthäus und Lukas nicht als selbständiges Quellenmaterial gelten lassen, sondern auf die Evangelisten selbst zurückführen. Dies geschieht allerdings nicht nur ohne jeden Beweis, sondern teilweise sogar gegen den nachprüfbaren sprachlichen Befund. Aber Beweise sind Augsteins Stärke nicht. So dekretiert er Seite : »Wie, wenn Lukas den Text des Matthäus entgegen aller Wissenschaft doch gekannt hätte?« Da es seit über dreißig Jahren eine gründliche philologische Untersuchung von J. Schmid zu dem Problem »Matthäus und Lukas« gibt, in der einwandfrei nachgewiesen wird, daß Lukas nicht von Matthäus abhängig ist, muß Augsteins Behauptung als pure Verlegenheitsauskunft betrachtet werden, die durch seine Leugnung der Existenz von Q bedingt ist. Aus demselben Grund muß er das Wort Mt ,f., den Vorwurf, Jesus sei ein »Fresser und Weinsäufer, ein Kumpan der Zöllner und Sünder«, dem »sinnenfreudigen Matthäus« in die Schuhe schieben, der wohl seinen eigenen ausschweifenden Lebenswandel durch Jesu Vorbild habe decken wollen. Dabei stand dieses Wort in Q, wie sein Auftreten in Lk ,f. beweist. Was soll man überhaupt von der Quellenkenntnis Augsteins halten, wenn er Matthäus für »sinnenfreudig« hält, wo doch ausgerechnet Matthäus als einziger Evangelist ein pessimistisches Urteil über die Ehe bringt (Mt ,–) und als einziger Evangelist ausdrücklich das Fasten empfiehlt (Mt ,–)?
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Aber auch an seiner Hauptquelle Markus übt Augstein sehr subjektive Kritik. In Mk , (. . . da kam Jesus von Nazareth in Galiläa . . . ) bezweifelt er die Ursprünglichkeit der Ortsangabe Nazareth mit der einfachen Begrüdung: »Der Ort kann beim Abschreiben der Markustexte nachgeschoben worden sein« (S. ). Da die gesamte handschriftliche Überlieferung aber nicht den geringsten Anhalt für diese Annahme liefert, bleibt der Wunsch, von Jesus möglichst wenig stehen zu lassen, der Vater dieses Gedankens. Die Perikope von der Syrophönizierin paßt nicht in Augsteins Jesusbild: Wie kann sich Jesus mit einer Heidin abgegeben haben, da er doch »in der Enge seines jüdischen Gesichtskreises« gefangen war (S. )? Also wird dekretiert: »Ersichtlich haben wir hier eine „unechte“, eine keinesfalls auf Jesus zurückreichende, wenn auch eine hübsche und einprägsame „Perikope“ . . . « (S. ). Wie kann diese Perikope nur im Markusevangelium stehen! Also nimmt Augstein flugs seine Zuflucht zur »Urmarkushypothese« W. Bußmanns, der behauptet hatte, dieser Text habe nicht zum Urbestand des Evangeliums gehört. An keiner weiteren Stelle nimmt Augstein auf die Arbeit Bußmanns Bezug – nur hier paßt ihm seine »philologische Konstruktion«. Man mag dies alles für Kleinigkeiten halten, für Inkonsequenzen eines nicht ganz in der Materie Bewanderten. Aber derartige Unsauberkeit im Urteil setzt sich munter fort. Auf Seite lesen wir den apodiktischen Satz: »Daß Jesus von Johannes getauft worden sei, berichten alle vier Evangelien. Wahr muß es darum nicht sein.« Abgesehen von der peinlichen Unkenntnis der Quellen – Johannes sagt nämlich nicht, daß Jesus getauft worden sei – muß hier doch jeder unvoreingenommene Leser fragen, wie ein solches Urteil zustandegekommen sein mag. Eine Begründung weiß Augstein nicht zu geben. Und es läßt sich auch nicht begründen, warum die Gemeinde erfunden haben sollte, ihr Herr habe sich der Bußtaufe zur Vergebung der Sünden unterzogen. Es hat ihr im Gegenteil Schwierigkeiten bereitet, dieses Faktum zu verstehen, wie der nur bei Mt ,f. zu findende Einschub zeigt. Augstein geht sogar so weit, die Kreuzigung Jesu als zweifelhaft zu bezeichnen (S. ). Was in aller Welt sollte die Urgemeinde mit einer solchen »Erfindung« bezweckt haben? Hier hört jede Möglichkeit historischen Verstehens auf.
Das Problem der Naherwartung Wie steht es um die Verkündigung Jesu? Mit einem Großteil der Forschung sieht Augstein die drängende Naherwartung als Hauptmerkmal Jesu an (S. u. ö.). Natürlich kann er einen solchen in eindeutig ausgebliebenen Erwartungen befangenen Jesus leicht in die Rumpelkammer schieben. Daß es mancherlei Fragen an dieses Jesusbild gibt – erinnert sei nur an die Namen C. H. Dodd, E. Käsemann, E. Bammel –, erfährt der Leser nicht; ausnahmsweise akzeptiert Augstein hier die communis opinio (vorherrschende Lehrmeinung), doch wohl, weil sie zu seiner Tendenz paßt. Mindestens einige Gleichnisse zeigen, daß Jesus nicht nur von der Naherwartung her argumentierte (Mk ,ff.; Lk ,ff.; ,ff.). So unheilbar kann Jesus nicht
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vom apokalyptischen Fieber gepackt gewesen sein, wie Augstein gerne möchte. Über unsere Einwände kann er sich freilich leicht hinwegsetzen, weiß er doch, »daß es eine Lehre, die Jesus mit einem Anschein von Zuverlässigkeit zugeschrieben werden könnte, nicht gibt« (S. ). Wie begründet er dies? »Was Jesus gesprochen haben könnte, hat niemand mitstenographiert. Die mit ihm kurze Zeit umherzogen, wenn welche mit ihm umherzogen, waren einfache, der Schrift unkundige Leute . . . Gutes Gedächtnis sollten wir von ihnen am wenigsten erwarten. Was ihnen jeweils richtig schien, machten sie zu seinem Wort, Lehre über ihn zu seiner Lehre . . . Darum gibt es kein „echtes“ Jesuswort, keine „auf Jesus selber zurückgehende Parabel“, kein „sehr wahrscheinlich altes echtes | Jesuswort“, kein „wahrscheinlich echtes Gleichnis“, wie uns auch von den fortgeschrittensten Theologen immer noch suggeriert wird . . . « (S. ). Hier besticht zunächt die traumwandlerische Sicherheit, mit der Augstein weiß, was die Jünger sicher nicht leisten konnten, obgleich er anderwärts Kapital aus der Tatsache schlägt, daß wir fast nichts von den Jüngern wissen (S. ). Gewiß hat niemand Jesu Verkündigung mitstenographiert, aber Jesus hat seine Jünger schon zu seinen Lebzeiten mit einem Verkündigungsauftrag ausgesandt! Das bezeugt nicht nur Mk ,ff., sondern auch die Logienquelle (Lukas berichtet nämlich zweimal von einer Aussendung, in Kap. und : das eine Mal nach Mk, das andere Mal doch wohl nach Q). Selbstverständlich denken wir nicht daran, aus dieser Tatsache einen Garantieschein für die Echtheit aller Jesusüberlieferungen zu machen, aber es wäre ebenso ungerechtfertigt, diese Tatsache zu ignorieren. Aber Augstein verfährt ja ständig nach der Palmströmschen Logik: Das »nicht sein kann, was nicht sein darf!« Gerade an diesem Punkt zeigt sich Augsteins horrende Unkenntnis der historischen Problematik. Wären nämlich seine Kriterien zur Abqualifizierung der Jesusüberlieferung schlüssig, dann müßten sofort alle Althistoriker ihr Geschäft an den Nagel hängen. Denn der Umgang mit legendarisch ausgeschmückten Texten gehört zu ihrem täglichen Brot. Wie wenig wüßten wir über Solon, Alexander den Großen, Tiberius oder andere weltgeschichtliche Persönlichkeiten, wenn sie Quellenkritik à la Augstein betrieben! Aber selbst in dem Glücksfall, daß dem Althistoriker echte Überreste aus der Zeit seines Forschungsgegenstandes vorliegen, kann er sich doch nicht naiv darauf verlassen, sondern muß diese Quellen sachkritisch auswerten. »Ein Briefschreiber kann auf den Empfänger einwirken, sich selbst in einem bestimmten Licht darstellen wollen, eine Urkunde kann versuchen, den Eindruck eines Gnadenerweises zu erwecken, wo es sich in Wirklichkeit um durch Zwang abgepreßte Zugeständnisse handelt, ein Aktenstück kann zum Beispiel einen moralischen oder erzieherischen anstelle eines finanziellen Grundes für eine Verwaltungsmaßregel vorspiegeln wollen usw.« So beschreibt der Profanhistoriker A. von Brandt die Probleme, vor die ihn seine Quellen stellen. Wenn die wissenschaftliche Theologie seit Jahren ähnliche kritische Fragen auch an die Bibel stellt, so tut sie dies in Anerkennung des historischen Charakters dieses Buches. Freilich – und dies übersieht Herr Augstein geflissentlich! – kann die wissenschaftliche Kritik nur mehr oder weniger gesicherte Hypothesen erzielen, muß also stets für neue Erkenntnisse offen bleiben. Es ist daher höchst töricht, wenn er die kritischen Fragen, die heute an R. Bultmann auch
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von seinen Schülern und Enkelschülern gestellt werden, als »rückläufige Bewegung« verspottet, die ja doch nur dem finster-klerikalen Ziel dient, Jesu »Einzigartigkeit wenigstens als die eines „höchsten religiösen Lehrers der Menschheit“ zu retten« (S. ). In Wirklichkeit ist es so, daß die geduldige Einzelarbeit manches formgeschichtliche Urteil durch philologische oder zeitgeschichtliche Erwägungen richtigstellen konnte, vor allem aber zeigte sich, daß gewisse Prämissen der Formgeschichte korrekturbedürftig sind. Doch davon weiß Herr Augstein nichts und will wohl auch nichts wissen.
Was kann als kritisch gesichert gelten? Wenn wir also die geschichtswissenschaftlich verantwortbare »Tendenzkritik« an den Evangelien üben, dann werden wir alles, was entweder im Judentum zur Zeit Jesu wirklich gängig war oder was speziellen Anliegen urchristlicher Theologie entspricht, als möglicherweise sekundär ansehen. Damit kommen wir zu einem Minimalbestand an Jesusgut, das aber jetzt wirklich gesichert ist. Von diesem authentischen Gut aus lassen sich dann Verbindungslinien zu weniger sicheren Texten ziehen. Als kritisch gesichert können unbedingt die Auseinandersetzungen Jesu mit dem alttestamentlichen Gesetz gelten, nämlich die Konflikte über den Sabbat (sicher echte Stellungnahme Jesu: Mk ,), über die Reinheitsgebote (sicher echt: Mk ,) und über die Ehescheidung (sicher echt: Mk ,). Nun läßt auch Augstein die Gesetzeskritik Jesu als historisch wahrscheinlich gelten (S. ), aber er verkennt den Ernst der Haltung Jesu, wenn er von »einer unkonventionellen Unbedingtheit, einer schwärmerischen Verrücktheit« und ähnlichem spricht (S. ). Denn wie jeder antike Jude wußte auch Jesus, daß er sich mit solcher Kritik an der Thora nicht nur aus der Volksgemeinschaft, sondern auch aus der Gemeinschaft mit dem Gott Israels absonderte. Wer weiß, wieviel Märtyrerblut für die Thora geflossen ist, wird Jesus nicht mit einer solchen playboyhaften Attitüde versehen können, wie Augstein es tut. Ein weiterer sicherer Zug der Wirksamkeit Jesu war seine Tischgemeinschaft mit »Zöllnern und Sündern«! Davon ist schon in der Markusüberlieferung die Rede (Mk ,ff.), ebenso in Q (Mt , = Lk ,) und in Sondergutstücken (Lk ,ff.). Auch daß Jesus sich in einer für einen jüdischen Rabbi undenkbaren Weise mit Frauen und Kindern abgegeben hat, ist in der Überlieferung fest verankert (Mk ,f.; Lk ,ff.; Mk ,ff. – nach Augstein [S. ] allerdings nur »Kanzel-Erbaulichkeiten«). Ohne jede Begründung versucht er jedoch, diese sicheren Züge des Bildes Jesu zu entwerten, indem er den heutigen Theologen vorwirft, sie wollten Jesu »Einmaligkeit retten, indem sie das heute Gängige herausstellen, seine angebliche (!) Gemeinschaft mit Fressern, Säufern und Huren« (S. ). Wie weit dieses Verhalten Jesu, das ihn zu den Ausgestoßenen und Geächteten seiner Zeit geführt hat, eine heute wirklich »gängige« Sache sein mag, bleibe dahingestellt; auf jeden Fall entspricht sie dem Quellenbefund. Wie sehr Jesus die Schranken des konventionellen Denkens seiner Zeit sprengte, zeigt das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Jeder Jude mußte es als Ohrfeige
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empfinden, daß Jesus ausgerechnet einen Angehörigen des verachteten samaritanischen Mischvolkes als Vorbild hinstellte. Augstein behauptet, das Gleichnis gehe natürlich nicht auf Jesus selbst zurück, sondern auf Lukas. Nur gibt er wieder keine stichhaltige Begründung. Er fragt rhetorisch, warum das Gleichnis denn nicht bei Matthäus oder Markus stehe, und dekretiert dann: »Die Antwort kann nicht lauten: Weil diese beiden Evangelisten Jesu Gleichnis für unerträglich kühn hielten. Sie muß (!) vielmehr heißen: Weil in der ältesten Traditionsschicht das Gleichnis nicht vorkommt. Samaritaner sind für Jesus nicht beispielhaft« (S. ). Das nicht sein kann, was nicht sein darf!
Jesus und Qumran Daß die Forderung der Nächstenliebe auf Jesus zurückgehe, wird von Augstein natürlich auch bestritten. Begründung: Markus stelle uns in ,ff. »einen Jesus vor, der schematisch die Nächstenliebe des Alten Bundes« predige (S. ). Das aber habe der Rabbi Hillel schon »um vor der Zeitrechnung gelehrt«. Zunächst darf darauf hingewiesen werden, daß die Anekdote von Hillel, auf die sich Augstein im Gefolge zahlreicher Kommentatoren bezieht, im Traktat Schabbat des babylonischen Talmuds steht, mithin in einer Quelle, die frühestens Jahre nach der Zeitrechnung geschrieben wurde. In diesem Fall fühlt sich Herr Augstein natürlich nicht zu kritischen Erwägungen über den Quellenwert veranlaßt. Aber nehmen wir die Anekdote einmal für historisch: Rabbi Hillel habe einem Heiden (!) erklärt, die ganze Thora bestehe in dem Gebot: »Was dir nicht lieb ist, das tue auch deinem Nächsten nicht«, alles andere sei nur Auslegung dieses Gebotes. Ist dies wirklich dasselbe, wenn Jesus die Liebe zu Gott und zum Nächsten als höchstes Gebot bezeichnet? Es muß | doch beachtet werden, daß Hillel mit der Goldenen Regel die Vielzahl der Thoragebote keineswegs relativieren wollte, sondern sie als logische Folgerungen aus der Grundregel darstellte. Nach Markus jedoch meint Jesus die prinzipielle Vorrangstellung des Liebesgebotes vor allen anderen Geboten. Ferner meint Augstein, die in Mt ,ff. geforderte Feindesliebe sei in Qumran viel besser verwirklicht worden als in der Urkirche (S. ff.), ebenso sei sie ja schon in den »Sprüchen Salomonis« gefordert, also nicht authentisch. Dabei übersieht – oder übergeht – Augstein zweierlei: ) Sowohl in Qumran als auch im Spruchbuch ist die Feindesliebe vom Gedanken an die Vergeltung Gottes bestimmt, Jesus aber fordert die Feindesliebe aus dem Geist der Gotteskindschaft heraus, ohne Lohn in Ausssicht zu stellen. ) In Qumran hat man nicht daran gedacht, die allgemeine Nächstenoder gar Feindesliebe zu predigen. Das zeigen große Partien aus derselben Schrift, aus der Augstein einen Satz zitiert. Von allen, die in die Ordensgemeinschaft eintreten, wird gefordert »zu lieben jeden nach seinem Los in der Ratsversammlung Gottes, aber alle Söhne der Finsternis zu hassen, jeden nach seiner Verschuldung in Gottes Rache« (Q S I, –). Und dieselbe Schrift bestimmt, daß bei der Eintrittszeremonie nicht nur die »Männer des Gottesloses«, also die »Qumraner«, gesegnet werden sollen, sondern die Außenstehenden, die »Männer der Grube«, die »Männer des Loses
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Belials«, verflucht werden sollen: »Möge Gott dir Schrecken geben durch die Hand aller Rächer und dir Vernichtung nachsenden durch die Hand aller, die Vergeltung heimzahlen. Verflucht seist du ohne Erbarmen entsprechend der Finsternis deiner Taten, und verdammt seist du in Finsternis ewigen Feuers. Gott sei dir nicht gnädig, wenn du ihn anrufst, und er vergebe nicht, deine Sünden zu sühnen. Er erhebe sein zorniges Angesicht zur Rache an dir, und kein Friede werde dir zuteil im Munde aller derer, die an den Vätern festhalten« (Q S II, –; Übersetzung von E. Lohse). Wenn Jesus nach Mt , sagt: »Ihr habt gehört, daß gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen . . . «, so hat er damit keinen »Pappkameraden zum Abschießen« aufgebaut, wie Augstein unterstellt (), sondern haargenau die in unserem Zitat belegte Mentalität der Qumraner angesprochen. Wenn auch oft vom Gericht in den Evangelien die Rede ist – so martialisch und unversöhnlich hat sich die Urkirche nie gegen ihre Umwelt gestellt. Aber dann wirft Augstein in seiner unüberbietbaren Doppelzüngigkeit der Urkirche vor, bei ihrer Predigt der Feindesliebe sei »moderne Werbepsychologie« am Werk gewesen (S. ), und schließlich sei den alten Christen ja auch gar nichts anderes übriggeblieben: »Als „Underdogs“ tun sie gut daran, die Feindesliebe zu predigen« (S. ).
Echte Aufgabe historischer Kritik Es müßte noch vieles richtiggestellt werden, was Augstein seinen Lesern zumutet – es sei nur an die peinlichen Äußerungen zur alttestamentlichen Religion erinnert (S. ff.), in denen S. Freud und Thomas Mann die Hauptgewährsleute sind. Doch sollten die bisher angeführten Beispiele dem unvoreingenommenen Leser zeigen, daß der Informationswert des Buches gleich Null ist. Seine »Schlußfolgerung«, Jesus gewinne »ethisch, moralisch, sittlich im Markus-Evangelium keine Kontur« (S. ), ist völlig verfehlt. Sie wird noch unzutreffender, wenn man in sorgsamer Analyse der Quellen weiteres Gut aus Q und den Sonderstücken des Matthäus und Lukas dazugewinnt. Wer jedoch die ernsthafte historisch-kritische Arbeit als »Wörter-Zählen« und »Silbenstechen« abtut (S. ), muß sich sagen lassen, seine Recherchen hätten einen melancholischen Bankrott erlitten. Der Mißbrauch, den Augstein mit der Kritik getrieben hat, darf nicht dazu führen, die historische Arbeit überhaupt zu verwerfen, aber er kann den Blick schärfen für die Erfordernisse, die an die Arbeit zu stellen sind: Sie muß kritisch sein, darf aber nicht von feindseligen Affekten beherrscht werden, sie muß nüchtern vorgenommen werden, darf aber nicht in plattem Rationalismus enden, der alles ihm nicht Einsichtige als verrückt und unsinnig abtut. Mit sauberen Methoden läßt sich die Geschichte der synoptischen Tradition aufhellen und der ursprüngliche Traditionskern von der späteren Interpretation scheiden. Mag dadurch auch manche uns liebgewordene Vorstellung in den Hintergrund treten müssen – der Ruf Jesu als Forderung und Verheißung tritt dadurch wieder neu an uns heran.
Jesus im Widerstreit * Es gehört zu den wenigen hoffnungsvollen Zeichen unserer Zeit, daß ein echter Dialog zwischen Juden und Christen anhebt, der sich in einer Reihe beachtenswerter Veröffentlichungen niedergeschlagen hat.1 Angesichts der »fast zweitausendjährigen Entzweiungsgeschichte von Juden und Christen«2 kann man für dieses neu erwachte Glaubensgespräch nur dankbar sein. Einer der beachtenswertesten Züge dieses Gespräches ist das von großer Sympathie getragene Interesse am Jesus der Geschichte. P. Lapide hat jüngst über hebräische Jesusbücher referiert,3 die alle ein positives Bild Jesu zeichnen. Auch im deutschen Sprachraum sind neuere Darstellungen Jesu aus jüdischer Sicht zugänglich, die von derselben Tendenz beherrscht sind.4 Ohne Zweifel tragen diese Arbeiten viel für das bessere Verstehen von Geschichte und Gegenwart aus. Wir erkennen deutlich, daß das Auftreten des irdischen Jesus keineswegs »messianisch« war, so daß die alten antijüdischen Vorwürfe wegen der Ablehnung des Messias als unangemessen erscheinen; keineswegs hat »das« jüdische Volk Jesus abgelehnt, und ebenso hat Jesus sein Volk nicht verworfen. Erst die Reprojektion der Auseinandersetzungen zwischen Urkirche und Synagoge hat ein derart verzerrtes Bild entstehen lassen. Dennoch bleiben ungeklärte Fragen, deren wichtigste natürlich die nach Recht und Sinn der Osterverkündigung ist. Aber selbst wenn man diese für den christlichen Theologen unaufgebbare Thematik ausklammert, bleibt Jesus »im Widerstreit«, wie die Diskussion zwischen H. Küng und P. Lapide überschrieben wurde. Der Hauptpunkt dieses Widerstreits dürfte zweifellos die Beurteilung der Stellung Jesu zur Torah des Mose sein. Nach den Gründen dieses Dissensus soll im folgenden gefragt werden – nicht, um alte Positionen zu repristinieren, sondern um zu einer präziseren Erfassung des schwierigen Sachverhaltes beizutragen. »Wenn bei einem Dialog alle einander lobend auf die Schulter klopfen, schaut die Sache wunderbar gesellig aus, aber man lernt dabei wenig.«5 Dieses goldene Wort aus der Feder von P. Lapide ermutigt dazu. * Ursprünglich veröffentlicht in: Glaube und Gesellschaft. Festschrift für W. F. Kasch, hg. v. K. D. Wolff, Bayreuth , S. –. 1 P. Lapide, F. Mußner, U. Wilckens, Was Juden und Christen voneinander denken. Bausteine zum Brückenschlag, Freiburg/Basel/Wien (= Kleine ökumenische Schriften ); H. Küng, P. Lapide, Jesus im Widerstreit. Ein jüdisch-christlicher Dialog, Stuttgart/München ; P. Lapide, U. Luz, Der Jude Jesus, Thesen eines Juden – Antworten eines Christen, Zürich/Einsiedeln/Köln . 2 P. Lapide, in: Lapide, Luz S. . 3 P. Lapide, Ist das nicht Josephs Sohn?, Stuttgart/München . 4 Z. B. S. Ben Chorin, Bruder Jesus. Der Nazarener in jüdischer Sicht, München ; D. Flusser, Jesus in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten (rowohlts monographien ), ; N. P. Levinson, Nichts anderes als ein Jude. Jesus aus der Sicht eines heutigen Juden, in: Gottesverächter und Menschenfeinde? Juden zwischen Jesus und frühchristlicher Kirche, hrsg. v. H. Goldstein, Düsseldorf , S. –; P. Lapide, Der Rabbi von Nazaret. Wandlungen des jüdischen Jesusbildes, Trier . 5 P. Lapide, in: Lapide/Mußner/Wilckens (sh. Anm. ), S. .
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Am energischsten vertritt P. Lapide die These, der »synoptische Jesus« habe »nie und nirgends die Torah des Mose gebrochen oder irgendwie zu ihrem Bruch aufgefordert.«,6 der irdische Jesus sei »erzjüdisch und rabbinisch angehaucht« auf | Erden gewandelt,7 mithin »bleibt seine Torah-Treue in Wort und Tat die bestverheimlichte Tatsache in den Synoptikern.«8 »Der Christus, der „das Gesetz abschafft“, der „es prinzipiell außer Kraft setzt“, der „zum Abfall von Moses verführt“, der zumindest das Gesetz „vergleichgültigt“ oder „relativiert“, genießt zwar große Popularität in der Kirchentheologie, aber dem synoptischen Jesus bleibt er fremd«.9 Diese Grundthese zieht sich durch alle Veröffentlichungen Lapides hindurch; sie hat ihre Entsprechung in der bei jüdischen Jesusforschern häufig zu lesenden These, Jesus sei Pharisäer gewesen.10 Nun wird ein Dialog der jüdischen Jesusforschung dadurch erschwert, daß es zwar unter evangelischen wie katholischen Neutestamentlern eine lebhafte Debatte über Kriterien zur Ermittlung authentischen Jesusgutes gegeben hat, daß aber die jüdischen Mitforscher hier meist nicht mit der gleichen methodologischen Klarheit vorgehen. Wenn etwa Ben Chorin die Lehre des »Bruders Jesu« hauptsächlich aus der Bergpredigt des Matthäus erhebt,11 so setzt er damit das matthäische Jesusbild mit dem historischen Jesus gleich, unbeschadet der beiläufig geäußerten Einsicht, bei Matthäus sei »viel kerygmatisches Gut mit aufgenommen«.12 D. Flusser geht von der Annahme aus, Matthäus und Lukas hätten nicht immer heutiges Markusevangelium, sondern eine ursprünglichere Vorform desselben benutzt.13 Diese Hypothese entspricht keineswegs dem Stand der Synoptikerforschung14 und scheint in ihrer konkreten Durchführung dem Ausleger die Wahl der ihm jeweils ursprünglich erscheinenden Fassung freizugeben.15 P. Lapide äußert sich nicht grundsätzlich über Methodenfragen. Er bedient sich z. B. beim Gleichnis von den bösen Winzern li6
P. Lapide, in: Küng/Lapide (sh. Anm. ), S. . P. Lapide, in: Lapide/Luz (sh. Anm. ), S. . 8 Ibid. S. . 9 P. Lapide, Anm. a. O., S. f. 10 Vgl. J. Klausner, Jesus von Nazareth, , S. ; E. L. Ehrlich, Geschichte Israels, , S. f.; P. Winter, On the Trial of Jesus, , S. ff. 11 Anm. a. O., S. ff. 12 Ibid. S. . 13 Anm. a. O., S. f. 14 Vgl. etwa W. G. Kümmel, Einleitung in das Neue Testament, Heidelberg , S. ff.; E. Lohse, Entstehung des Neuen Testaments, Stuttgart , S. ff.; Ph. Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur, durchges. Nachdr. Berlin, New York , S. f.; W. Marxsen, Einleitung in das Neue Testament, Gütersloh , S. ff.; N. Perrin, The New Testament: An Introduction, New York, Chicago , S. f.; ff.; G. Bornkamm, Art. Evangelien, synoptische, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, . Aufl., Bd. , , Sp. ff., hat das bis heute gültige Urteil formuliert: »Alles in allem wird man sagen müssen, daß die Rekonstruktion eines Ur-Mt ebensowenig wie die eines Ur-Mk oder Ur-Lk gelungen ist und nur dazu führt, die Ergebnisse der mit einem relativ geringen Einsatz von Hypothesen durchgeführten Zweiquellentheorie zu vernebeln.« (Sp. f.) 15 So wählt Flusser aus Mk ,–//Mt ,–//Lk ,– die Lukas-Fassung aus, weil sie den Todesbeschluß gegen Jesus nicht enthält (S. f.); ebenso bevorzugt er aus Mk ,–//Mt ,–//Lk ,– die Lk-Fassung, weil sie das verbotene Abreißen der Ähren nicht erwähnt (S. ); die Heilung der Syrophönizierin wird nach Mt ,– wiedergegeben, weil Mt über Mk ,– hinausgehend das Logi7
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terarkritischer und redaktionsgeschichtlicher Überlegungen, um das antijüdische Logion Mt. , als matthäische Bildung zu erweisen;16 ebenso rechnet er zu Recht mit einer »redaktionellen Schuldverschiebung« in den Prozeßberichten der Evangelien.17 Andererseits druckt Lapide fast fünf Seiten lang Stellen aus den Synoptikern ab, die beweisen sollen, daß Jesus eine der populärsten Gestalten des jüdischen Altertums gewesen sei, ohne zu bedenken, daß ein Großteil der Stellen bei Mt. und Lk. einfach aus Mk. übernommen wurde bzw. redaktionelle Neubildung ist und daher historisch keine Aussagekraft besitzt. Von den Mt-Stellen bleiben höchstens Stellen (, ; , ; ,f. ), die auf eine von Mk. unabhängige Quelle verweisen. Schon ein Blick in eine Synopse macht diesen Tatbestand klar.18 An diesem Beispiel wird deutlich, daß eine grundsätzliche Abklärung des methodischen Vorgehens unabdingbar ist. Wir müssen nach den ältesten Quellen fragen, und selbst da wird die Scheidung von Tradition und Redaktion noch notwendig sein. Um beim oben angeführten Beispiel zu bleiben: Von den Stellen des Mk., die nach Lapide die Popularität Jesu zeigen, gehen ,.b ; , ; , ; , ; , ; , ; , ; ,b sehr wahrscheinlich auf den Evangelisten zurück.19 Aber auch die vormarkinischen, vormatthäischen und vorlukanischen Traditionen | geben noch nicht in jedem Fall das ipsissimum verbum bzw. factum wieder. Angesichts des kerygmatischen Charakters der Evangelienüberlieferung, den die formgeschichtliche Erforschung herausgestellt hat, müssen zusätzliche Überlegungen angestellt werden, um das authentische Jesusgut von der Gemeindeüberlieferung zu scheiden. Überlegungen von R. Bultmann20 weiterführend hat E. Käsemann das »Unableitbarkeitskriterium« formuliert: »Einigermaßen sicheren Boden haben wir nur in einem einzigen Fall unter den Füßen, wenn nämlich Tradition aus irgendwelchen Gründen weder aus dem Judentum abgeleitet noch der Urchristenheit zugeschrieben werden kann, speziell dann, wenn die Judenchristenheit ihr überkommenes Gut als zu kühn gemildert oder umgebogen hat.«21 Mit der von Käsemann selbst gemachten Einschränkung, daß man »von hier aus keine Klarheit über das erhält, was Jesus mit seiner späteren Gemeinde verbunden hat«,22 wird man mit Ferd. Hahn zugleich fest-
on enthält: »Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen vom Hause Israel« (Mt ,). In allen drei Fällen lassen sich die Mt- bzw. Lk-Fassungen als redaktionelle Bearbeitungen des Mk-Textes verstehen. 16 A. Anm. a. O., S. f. 17 Ibid. S. . 18 Wenn P. Lapide auf S. des Anm. genannten Werkes anführt, die zitierten Stellen würden »hauptsächlich im Hinblick auf ihre Wirkungsgeschichte und weniger aus historisch-kritischer Sicht behandelt«, so dient das in einer Untersuchung über den historischen Jesus nicht gerade der Klarheit. 19 Vgl. J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus, Bde, Zürich, usw. , jeweils z. St.; etwas zurückhaltender urteilt R. Pesch, Das Markusevangelium, Bde, Freiburg usw. /, z. d. St. 20 Die Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen , S. . 21 E. Käsemann, Das Problem des historischen Jesus (), in: Ders., Exegetische Versuche und Besinnungen , Göttingen , S. . 22 Ibid.
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stellen müssen, dieses Kriterium versage auch »dort, wo unleugbare Zusammenhänge Jesu mit jüdischer Tradition vorliegen.«23 Aber trotz der berechtigten Hinweise auf die Einseitigkeit dieses »Prinzips der Unähnlichkeit«24 wird es selbstverständlich nach wie vor als Kriterium gelten können, »mit dessen Hilfe solche Worte des historischen Jesus hörbar werden, die sicherlich er und kein anderer gesprochen hat.«25 Leider vermißt man bei jüdischen Jesusforschern ein Eingehen auf diese Problematik. Man hat eher den Eindruck, sie urteilten nach der Regel: Je jüdischer, desto eher jesuanisch. Dabei bleibt völlig außer Betracht, daß die ersten Gemeinden ebenfalls dem Judentum entstammten, ihre Interpretation Jesu also notwendigerweise an die ihnen überkommenen Vorstellungen gebunden war. Die Feststellung J. Wellhausens, die Jünger hätten Jesus »durch das jüdische Ideal« begriffen26 , ist in ihrem ganzen Umfang zu bedenken. Wenden wir uns den Texten zu, die vor allem den Widerstreit begründen! . Die Sabbatheiligung ist nicht nur ein Dekaloggebot, sondern seit der Exilszeit ein Bekenntnisakt des Judentums. In Qumran und in pharisäischen Kreisen wurden spezielle Halachot zur genaueren Einhaltung des Sabbatgebotes entwickelt.27 Wenn Jesus nach Mk. , sagt: »Der Mensch ist nicht um des Sabbats willen geschaffen, sondern der Sabbat um des Menschen willen«, so wird man hier das Wohl des Menschen der Sabbattorah vorgeordnet sehen müssen. Damit ist die absolute Autorität des Mose aber in Frage gestellt.28 Ebenso wird über die Frage Mk. , zu urteilen sein: »Darf man am Sabbat Gutes tun oder Böses, ein Leben retten oder töten?« Die Alternative Gutes tun oder Böses tun wird hier »an die Sabbatinstitution als ein deutlich
23 Ferd. Hahn, Methodologische Überlegungen zur Rückfrage nach Jesus, in: Rückfrage nach Jesus, hrsg. v. K. Kertelge, Freiburg usw. , S. . 24 Vgl. auch O. Cullmann, Unzeitgemäße Bemerkungen zum »historischen Jesus« der Bultmannschule, in: Der historische Jesus und der kerygmatische Christus, hrsg. von H. Ristow und K. Matthiae, Berlin , S. f.; Chr. Burchard, Art. Jesus, in: Der kleine Pauly, Bd. , , Sp. ; P. Stuhlmacher, Kritische Marginalien zum gegenwärtigen Stand der Frage nach Jesus, in: Fides et communicatio (Festschrift M. Doerne), Göttingen , S. ff.; N. Perrin, Was lehrte Jesus wirklich? Rekonstruktion und Deutung, Göttingen , S. ff.; H. K. Nielsen, Kriterien zur Bestimmung authentischer Jesusworte, in: Studien zum NT und seiner Umwelt , , S. ff. 25 E. Lohse, Die Frage nach dem historischen Jesus in der gegenwärtigen neutestamentlichen Forschung (), in: Ders., Die Einheit des Neuen Testaments, Göttingen , S. . Vgl. das Urteil Ferd. Hahns: »Ist man sich über diese bedingte Tragweite im klaren, kann dieses Prinzip durchaus zu einem gewissen Leitfossil werden« (a. Anm. a. O.). 26 J. Wellhausen, Einleitung in die drei ersten Evangelien, Berlin , S. . 27 Vgl. W. Rordorf, Der Sonntag. Geschichte des Ruhe- und Gottesdiensttages im ältesten Christentum. Zürich , S. ff.; E. Lohse, Art. „sabbaton“, ThWNT Bd. , , S. ff. 28 So E. Käsemann, a. Anm. a. O., S. ; W. Rordorf, a. Anm. a. O., S. ff.; G. Bornkamm, Jesus von Nazareth, Stuttgart usw. , S. f.; K. Niederwimmer, Jesus, Göttingen , S. f.; R. Schäfer, Jesus und der Gottesglaube, Tübingen , S. f.; R. Pesch, Das Markusevangelium, Bd. , , S. f.; E. Lohse, Jesu Worte über den Sabbat (), in: Ders., Die Einheit des Neuen Testaments, Stuttgart , S. ; J. Becker, Das Gottesbild Jesu und die älteste Auslegung von Ostern, in: Jesus Christus in Historie und Theologie. Neutestamentliche Festschrift für H. Conzelmann, hrsg. v. G. Strecker, , S. ff.
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ihr übergeordnetes Maß herangetragen.«29 In beiden Jesusworten »wird der Sabbat seiner apriorischen göttlichen Qualität beraubt.«30 Wenn P. Lapide wieder den Ausspruch des Rabbi Simon ben Menasja (um n. Chr.) als Parallele anführt: »Der Sabbat unterliegt eurer Gewalt, und nicht ihr | der Gewalt des Sabbats«31 so muß energisch betont werden, daß Simon lediglich eine Ausnahmeregelung zur Rettung eines Menschen bei akuter Lebensgefahr formuliert, also den Sabbat nicht grundsätzlich antastet.32 Doch bezieht sich Lapide noch zusätzlich auf fünf »glaubwürdige NT-Stellen«, die »einstimmig« bezeugen, »daß Jesus grundsätzlich die genaue Einhaltung des Sabbats als Bibelgebot anerkennt.«33 a) Nach Mt. , sollen die Jünger darum bitten, die eschatologische Flucht nicht am Sabbat antreten zu müssen. Nun ist Mt. , aus Mk. , übernommen, wo die Worte »noch am Sabbat« nicht zu lesen sind. Also hat sie erst der Evangelist Matthäus hier eingefügt, der auch bei seiner redaktionellen Bearbeitung der Streitgespräche Mt. ,–.– den Angriff Jesu auf die Torah abgeschwächt hat.34 b) Aus Mk. , (»Sie gingen nach Kapernaum hinein, und gleich am Sabbat ging er in die Synagoge und lehrte«) liest Lapide »nicht nur Jesu Gebundenheit an das jüdische Lehr- und Bethaus, sondern auch seine Befolgung der T’chum Vorschrift (Erub. IV,), die Sabbat-Spaziergänge auf die jeweiligen Stadtgrenzen beschränkt«, heraus.35 Damit wird diese Notiz auf jeden Fall überfrachtet: »Es ist ganz selbstverständlich, daß Jesus die Gelegenheit benutzte, in den Synagogen, wo am Sabbat das Volk beisammen war, seine Botschaft auszurichten. Die Verkündigung ist jedes Mal der Zweck seines Synagogenbesuches gewesen. Die Tatsache, daß Jesus in der Synagoge lehrte, besagt also nichts hinsichtlich der Frage nach seiner Stellung zum Sabbat als solchem; genausowenig dürfen wir aus der naheliegenden Missionsmethode des Paulus, an den Sabbaten den Juden das Evangelium zu predigen, folgern, Paulus habe den Sabbat nach jüdischer Weise gehalten.«36 c) Nach Lk. , hat Jesus erst nach Sabbatausgang Heilungen unternommen, »die mit der geringsten Arbeit verbunden waren«.37 Diese auf Mk. ,– basierende Notiz besagt freilich eher etwas über die Sabbatheiligung der Leute von Kapernaum: »Als die Sonne untergegangen war, brachten alle, die an vielerlei Krankheit Leidende hatten, diese zu ihm, und er legte jedem von ihnen die Hände auf und heilte sie.«
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J. Becker, ibid. S. . Ibid. S. . 31 A. Anm. a. O., S. . 32 E. Lohse, a. Anm. a. O., S. ; J. Becker, a. Anm. a. O., S. . 33 A. Anm. a. O., S. . 34 Vgl. G. Barth, Das Gesetzesverständnis des Evangelisten Matthäus, in: G. Bornkamm/G. Barth/ H. J. Held, Überlieferung und Auslegung im Matthäus-Evangelium, Neukirchen , S. ff.; R. Hummel, Die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Judentum im Matthäusevangelium, München , S. ff.; W. Rordorf, a. Anm. a. O., S. f.; H. Hübner, Das Gesetz in der synoptischen Tradition, Witten , S. ff. 35 P. Lapide, a. Anm. a. O., S. . 36 W. Rordorf, a. Anm. a. O., S. . 37 P. Lapide, a. Anm. a. O., S. . 30
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d) In Lk. , heißt es, Jesus sei »nach seiner Gewohnheit am Sabbat in die Synagoge« gegangen. Lapide kommentiert: »Ein Jude, der fromm genug ist, allwöchentlich am Sabbat in der Synagoge zu beten, kann kaum als willkürlicher oder vorsätzlicher Sabbatbrecher gelten«,38 überzieht aber diese Notiz damit ebenso wie die unter b) verhandelte Angabe Mk. , . e) Nach Mk. , fanden die Hohenpriester und der ganze Hohe Rat kein todeswürdiges Zeugnis gegen Jesus. »Wenn Jesus ein gelegentlicher Sabbatbrecher gewesen wäre, wie der vierte Evangelist uns glauben machen will – oder gar der „Abfallprediger zum Sabbatbruch“ . . . – so wäre der Hohe Rat, samt seiner zahlreichen „Aufpasser“, nicht in Verlegenheit geraten.«39 Nun hat P. Lapide in einer späteren Veröffentlichung die in der jüdischen For-| schung verbreitete These akzeptiert, »daß es keinen jüdischen Prozeß Jesu gegeben hat; einen Prozeß vor dem Hohen Rat, den Johannes gar nicht kennt, während die Synoptiker in ihren Gerichtsschilderungen sowohl einander als auch der jüdischen Rechtspraxis jener Tage in acht wesentlichen Punkten widersprechen.«40 Damit würde dieses letzte Argument für die Torahtreue Jesu automatisch hinfällig. Doch auch dann, wenn man mit der jüngsten Arbeit zum Prozeß Jesu von A. Strobel41 den Synoptikern nicht grundsätzlich mißtraut, wird man fragen müssen, ob nicht die Einzelheiten kerygmatisch stilisiert sind.42 Schließlich gibt Mk. , eine Begründung für die »Verlegenheit« des Hohen Rates, die die Folgerungen Lapides endgültig als unangemessen erscheinen läßt: Es fehlte nicht an Anklagen, sondern an übereinstimmenden Anklagen. Damit hat sich der fünffache Beweis für die Sabbatobservanz Jesu als unzutreffend erwiesen; das eindeutige Zeugnis von Mk. , und , ist nicht zu erschüttern. . Die Vorschriften kultischer Reinheit und Unreinheit gehörten ebenfalls zu den Torahgeboten, welche im Judentum wesentlich waren und durch kasuistische Auslegungen in ihrer Bedeutung vergrößert wurden.43 Das »Streitgespräch« Mk. ,– zeigt in V. – zunächst eine Auseinandersetzung mit den halachischen Ausweitungen der Reinheitsgebote, aber in dem sekundär angefügten Abschnitt ,f. geht es um nichts anderes als um die Annullierung der Reinheitsgebote selbst. »Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen; sondern das, was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein.« (Mk. , ). Mit E. Käsemann muß man aus dem eindeutigen Wortlaut des Spruches folgern: ». . . wer bestreitet, daß die Unreinheit von außen auf den Menschen eindringt, trifft die Vor-
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Ibid. Ibid. 40 P. Lapide, a. Anm. a. O., S. . 41 Die Stunde der Wahrheit, Tübingen . 42 R. Pesch, Das Markusevangelium II, , S. f., weist zu Mk ,f. Anspielungen auf die passio-iusti-Traditionen nach. 43 Vgl. W. Paschen, Rein und Unrein, München . Zu Qumran bietet jetzt die Tempelrolle aufschlußreiches Material (J. Maier, Die Tempelrolle vom Toten Meer, München , S. ff.). 39
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aussetzung und den Wortlaut der Torah und die Autorität des Mose selbst.«44 Daß diese Haltung aus dem zeitgenössischen Judentum nicht ableitbar ist, dürfte klar sein; aber auch das Urchristentum hat sich dieses Jesuswort nur mit Abschwächungen angeeignet. Schon Mk. hat durch die redaktionelle Verknüpfung des ursprünglich selbständig überlieferten Spruches , mit der Kontroverse über das Händewaschen und dem Lasterkatalog eine gewisse Einengung angebahnt45 , die Mt. dann konsequent fortgeführt hat; in seiner Fassung zielt das Gespräch überhaupt nur noch auf die Ablehnung der rabbinischen Halacha (Mt. ,b ).46 Für P. Lapide dagegen ist diese Perikope ein Beispiel dafür, »wie ein gesetzestreuer Jude posthum zum Schutzpatron des Antinomismus „zweckentfremdet“ werden konnte.«47 Dazu muß er den völlig eindeutigen Spruch Mk. , zum »Epigramm« erklären, bei dem es »nicht um den oberflächlichen Wortsinn« geht, »sondern um die tiefere Bedeutung«.48 Und diese angebliche tiefere Bedeutung nimmt Lapide aus den Versen ,– : es gehe um die »Priorität der moralischen Lauterkeit vor der rituellen Reinheit«.49 Die letzten Worte von Mk. , (»womit er alle Speisen rein erklärte«) gehen allerdings wieder auf den verständnislosen | »Redakteur des Markusevangeliums« zurück; diese Worte widersprechen »dem Gesamtbild des synoptischen Jesus völlig«.50 Schon vorher hatte Lapide die rhetorische Frage gestellt: »Sollte Jesus, der halachisch so konservative Ausleger der Torah, plötzlich die Geltung aller Speisegesetze außer Kraft setzen?!«51 Von unserem Gesamtbild her muß diese Frage eindeutig bejaht werden. Schließlich spricht die in allen alten Überlieferungsschichten (Mk. , ; Mt. , ; Lk. , ) genannte Tatsache der Tischgemeinschaft Jesu mit Zöllnern entschieden dafür, gelten die Zöllner doch in besonderer Weise als kultisch unrein.52 . Ein dritter Konfliktstoff wird von vielen Neutestamentlern in der Stellung Jesu zur Ehescheidung gesehen. Nach Deut. , ist Ehescheidung möglich, nach Mk. , und Lk. , nicht.53 Auch in diesem Falle zeigen die sekundären Zusätze (Mk. ,f. ), daß Mk. , nicht aus der Gemeindetheologie verstanden werden kann. Der 44 E. Käsemann, a. Anm. a. O., S. ; ebenso G. Bornkamm, a. Anm. a. O., S. ; E. Schweizer, Das Evangelium nach Markus, Göttingen , S. ; R. Pesch, a. Anm. a. O., S. f.; N. Perrin, a. Anm. a. O., S. ff.; W. G. Kümmel, Innere und äußere Reinheit des Menschen bei Jesus () in: Ders., Heilsgeschehen und Geschichte II, Marburg , S. ff.; H. Hübner, a. Anm. a. O., S. ff.; Ders., Mark VII und das jüdisch-hellenistische Gesetzesverständnis, in: New Testament Studies , /, S. ff.; I. Riches, Jesus and the Transformation of Judaism, London , S. ff. 45 W. G. Kümmel, ibid. S. ff. 46 Vgl. G. Barth, a. Anm. a. O., S. ff.; R. Hummel, a. Anm. a. O., S. ff.; H. Hübner, a. Anm. a. O., S. ff.; E. Schweizer, Das Evangelium nach Matthäus, Göttingen , S. ff. 47 A. Anm. a. O., S. . 48 Ibid. S. . 49 Ibid. S. . 50 Ibid. S. . 51 Ibid. S. . 52 O. Michel, Art. „tel¯on¯es“, ThWNT Bd. , , S. ; E. Lohse, Umwelt des Neuen Testaments, Göttingen , S. . 53 Vgl. G. Bornkamm, a. Anm. a. O., S. ; J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie I, Gütersloh , S. ; B. Schaller, Die Sprüche über Ehescheidung und Wiederheirat in der synoptischen
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Evangelist Matthäus aber stilisiert Jesus zum Schriftgelehrten um, indem er ihm die Ehebruchsklausel in den Mund legt (Mt. , ; , );54 damit wird gleichzeitig die Autorität des Mose wiederhergestellt. In diesem Fall legt sich P. Lapide nicht eindeutig fest. Er stellt zu Recht fest, Jesus hätte die Schule Schammais vertreten, »falls Mt. , – nicht Mk. , – den genauen jesuanischen Wortlaut enthält.«55 Nach dem derzeitigen quellenkritischen Forschungsstand ist aber Mt. , sicher sekundär.56 Somit bliebe die Alternativlösung: »Falls das absolute Scheidungsrecht nach Mk. , richtig ist, richtete sich Jesus offensichtlich nach der puritanischen Regel der Essener (C.D. .,), die schon zu Jesu Zeiten alle ihre Anhänger zur strikten Monogamie verpflichteten.«57 Nun ist einerseits das Verständnis des angeführten Textes in der Damaskusschrift (,–,) nicht völlig klar; dem ganzen Zusammenhang nach scheint hier lediglich die Polygamie verboten zu werden, die Frage der Ehescheidung jedoch nicht im Blick zu sein.58 Andererseits übergeht Lapide die traditionsgeschichtlich ältere Aussage Mk. , , für die es keine Parallelen gibt. Somit läßt sich auch bei diesem Problemkreis der Konflikt Jesu mit der Torah des Mose nicht aus der Welt schaffen. Die drei skizzierten Themen (Sabbat, kultische Reinheit und Ehescheidung) ergeben einen kritisch gesicherten Minimalbestand an authentischen Jesusworten, die zeigen, daß die Torah für Jesus »nicht mehr Mittelpunkt und letztgültigen Maßstab«59 bildete. Dasselbe gilt etwa auch für die primären Antithesen der Bergpredigt in ihrer ursprünglichen Form (Mt. ,f. f. – ), in denen Jesus sich »gegen die Torah samt ihrer schriftgelehrten Auslegung«60 wendet. Wie sehr Jesus auch mit dem Glauben und Hoffen Israels verbunden gewesen sein mag, hier wird ein neues, die Grenzen Israels sprengendes Denken erkennbar.61 Überlieferung, in: Der Ruf Jesu und die Antwort der Gemeinde (Festschrift J. Jeremias) Göttingen , S. ff.; P. Hoffmann/V. Eid, Jesus von Nazareth und eine christliche Moral, Freiburg , S. ff.; G. Friedrich, Sexualität und Ehe, Stuttgart , S. f.; D. R. Catchpole, The Synoptic Divorce Material as a Traditio-Historical Problem, in: Bulletin of the John Rylands University Library , , S. ff. 54 Vgl. R. Hummel, a. Anm. a. O., S. ff.; D. R. Catchpole, a. Anm. a. O., S. f. 55 A. Anm. a. O., S. . 56 Vgl. die ob. Anm. genannten allgemeinen Arbeiten; speziell zu Mt ,: J. Schmid, Markus und der aramäische Matthäus, in: Synoptische Studien (Festschrift A. Wikenhauser), München , S. ff.; H. Baltensweiler, Die Ehe im Neuen Testament, Zürich , S. ff.; P. Hoffmann, a. Anm. a. O., S.ff.; D. R. Catchpole, a. Anm. a. O., S. ff. 57 P. Lapide, a. Anm. a. O., S. . Die Stellenangabe ist nicht ganz klar; es dürfte CD IV gemeint sein. 58 So H. Braun, Spätjüdisch-häretischer und frühchristlicher Radikalismus, I, Tübingen , S. ; H. Baltensweiler, a. Anm. a. O., S. ; P. Hoffmann, a. Anm. a. O., S. , Anm. . 59 M. Hengel, Nachfolge und Charisma, Berlin , S. . 60 P. Hoffmann, a. Anm. a. O., S. ; vgl. S. ff. 61 Daher wird man auch die Sicherheit nicht teilen können, mit der P. Lapide erklärt: »So kann also der ursprüngliche Sinn seiner Worte beim letzten Abendmahl die nationalen Grenzen Israels nicht überschritten haben« (a. Anm. a. O., S. ). Unbeschadet der schwierigen traditionsgeschichtlichen Probleme der Abendmahlsüberlieferung bezeichnet Mk , ziemlich sicher die Heilsbedeutung des Todes Jesu für alle Völker (so zuletzt E. Kutsch, Neues Testament – Neuer Bund? Neukirchen-Vluyn , S. f.).
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Die Ursache für Jesu Bruch mit der Torah ist zweifellos in seinem Gottesbild zu suchen.62 Jesus verkündigt in seinen Gleichnissen Gott als den barmherzigen Vater, der den davongelaufenen Sohn ohne Bedingungen annimmt (Lk. ,. ), als gütigen | Arbeitsherrn, der nicht nach dem Leistungsprinzip entlohnt (Mt. ,– ), als Hirten, der sich grenzenlos über ein wiedergefundenes Tier freut (Lk. ,– ), als Gläubiger, der eine riesige Schuld aus purem Mitleid erläßt (Mt. ,ff. ). So kann der Mensch sich vom Gott Jesu nur beschenken, nicht aber für seine Leistung belohnen lassen. Im Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner hat Jesus dies als seinen grundsätzlichen Widerspruch gegen den Pharisäismus artikuliert63 – zu Unrecht? Konnte ein Pharisäer zugeben, daß das Verhältnis zu Gott nicht durch das Gesetz bestimmt sei? Hier liegt die Wurzel für die Auseinandersetzungen zwischen Jesus und Pharisäern aller Schulrichtungen, nicht bloß den Schülern Schammais, wie Lapide einräumt.64 Damit werden wir auf die Frage gestoßen, ob nicht diese Gottesverkündigung einen irgendwie gearteten christologischen Anspruch beinhaltet. Auch hier müssen Andeutungen genügen. Aber es ist doch auffällig, daß Jesus nicht exegetisch aus der Torah deduziert, sondern in eigenen Gleichnissen und Parabeln spricht, daß er sich nicht auf die Tradition beruft, vielmehr beide Normen kritisiert: so kann er unter keinen Umständen als Rabbine bezeichnet, eher in die Kategorie des Propheten eingeordnet werden; wenn er aber nach Lk. , / Mt. , sich selbst als Bringer der Gottesherrschaft bezeichnet65 und »nach Lk. ,f. sich selbst und nicht das Gesetz zum Gerichtsmaßstab einsetzte«66 , wird letztlich auch diese Kategorie unzureichend. Unabhängig von der Frage nach christologischen Hoheitstiteln müssen wir mit einem besonderen »Sendungsanspruch«67 Jesu rechnen. Nicht erst »das vorwiegend griechisch gestaltete Christusbild paulinisch-johanneischer Prägung« ist für den Ju62
Vgl. besonders den Anm. genannten Aufsatz J. Beckers. Vgl. E. Linnemann, Gleichnisse Jesu, Göttingen , S. ff.; P. Stuhlmacher, Gerechtigkeit Gottes bei Paulus, Göttingen , S. ff.; N. Perrin, a. Anm. a. O., S. f. Die neueste Arbeit von F. Schnider, Ausschließen und ausgeschlossen werden (Lk ,–a), in: Bibl. Zeitschr. , , S. ff., bietet trotz einer Reihe wertvoller Beobachtungen eine Verengung des Skopus, wenn es dort heißt, Jesus wolle die Pharisäer nur davor warnen, Gottes Barmherzigkeit nicht zu beschränken. »Im Sich-Vergleichen des Pharisäers mit dem Zöllner und im wertenden Sich-Absetzen des Pharisäers vom Zöllner liegt die Negativität seines Betens begründet, die zur Folge hat, daß er nach diesem Gebet ungerechtfertigt nach Hause geht« (S. ). Wozu legt Jesus dem Pharisäer ein so ausführliches Gebet in den Mund? Wenn die angeführten Leistungen zu Gottes Weg der Rechtfertigung gehören, ist das Sich-Absetzen von denen, die nicht auf diesem Weg wandeln, naheliegend (Ps !). 64 P. Lapide, a. Anm. a. O., S. . – Zu dem Verhältnis Jesu zu den Pharisäern vgl. die ausgewogene Darstellung von Fr. Mußner, Traktat über die Juden, München , S. ff. 65 Dazu zuletzt H. Merklein, Die Gottesherrschaft als Handlungsprinzip, Würzburg , S. ff.; Chr. Burchard, Jesus für die Weit. Über das Verhältnis von Reich Gottes und Mission, in: Fides pro mundi vita. Missionstheologie heute (Festschrift W. Gensichen) , S. ff.; bes. S. ff. 66 J. Becker, a. Anm. a. O., S. . Zur Diskussion über Lk ,f. zuletzt R. Pesch, Über die Autorität Jesu. Eine Rückfrage anhand des Bekenner- und Verleugnerspruchs Lk ,f. par, in: Die Kirche des Anfangs (Festschrift H. Schurmann), Freiburg usw. , S. ff. 67 Diesen Terminus prägt F. Hahn, a. Anm. a. O., S. . Vgl. die Beobachtung Fr. Mußners: »Es scheint so, daß Jesus . . . einen Anspruch in Israel erhoben hat, wie er bisher in Israel so noch nicht gehört worden war und der seine Gegner auf den Plan trieb.« (a. Anm. a. O., S. ). Ausdrücklich 63
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den »mehr als ein Ärgernis«68 , sondern schon der irdische Jesus. Die »Metamorphose des nachösterlichen Jesus im außerjüdischen Bereich«69 hat den Graben verbreitert, aber nicht geschaffen.70 So führt die historisch-kritische Analyse der synoptischen Überlieferung dazu, daß Jesus im Widerstreit zwischen Juden und Christen bleibt, übrigens auch im Widerstreit zwischen unterschiedlichen christlichen Gruppierungen. Doch soll dies gemeinsamer Besinnung auf Jesus keinen Abbruch tun, sondern zu intensiverem Austausch einladen.
möchte ich mir folgende Sätze Mußners zu eigen machen: »Wieweit man die Reaktion der Pharisäer als „Schuld“ bezeichnen kann und darf, ist eine beinahe unlösbare Frage. Diese Schuld, sollte es sie wirklich gegeben haben, aber heute noch aufzurechnen, wäre völlig verkehrt« (a. a. O., S. ). 68 P. Lapide, a. Anm. a. O., S. . 69 Ibid. S. . 70 Vgl. auch die schönen Ausführungen von U. Luz, in: Lapide/Luz, a. Anm. a. O., S. ff.
The opposition between Jesus and Judaism * Jesus was a Jew. This indisputable fact1 long ago led H. S. Reimarus, the founder of the study of the historical Jesus, to regard Jesus completely within the framework of Judaism, and to consider it evident »that Jesus had not the slightest intention of doing away with the Jewish religion and putting another in its place«.2 From this it became necessary to explain the New Testament accounts of conflicts between Jesus and the Pharisees as the product of exchanges between church and synagogue3 – an early position which the form-critical approach has appeared to confirm.4 But if Jesus lived in harmony with his contemporaries, then the reason for his violent end must have lain in his political activity. Accordingly, from Reimarus to R. Eisler down to S. G. F. Brandon Jesus has again and again been placed in the company of Zealot resistance fighters.5 Since the Enlightenment, too, the representation of Jesus as an Essene wisdom teacher has often been placed alongside representations of him as an orthodox Pharisee and a nationalistic resistance fighter.6 Since the publication of the Qumran texts particularly, repeated attempts have been made to connect Jesus with the Essenes.7 | Over against all these stands an impressive list of scholars who have taken seriously the opposition of Jesus to his contemporaries which comes to light in various places * Ursprünglich veröffentlicht in: Jesus and the Politics of His Day, hg. v. E. Bammel u. C. F. D. Moule, Cambridge , S. –. 1 O. Michel, »Jesus der Jude«, in H. Ristow and K. Matthiae (eds.), Der historische Jesus und der kerygmatische Christus (nd edn. Berlin, ), pp. ff. 2 Quoted by A. Schweitzer, The Quest of the Historical Jesus (ET London, ), p. . 3 Cp. G. Lindeskog, Die Jesusfrage im neuzeitlichen Judentum (Uppsala, ). More recent studies from this point of view include J. Isaac, Jésus et Israel (Paris, ), pp. ff; P. Winter, The Trial of Jesus (Berlin, ), pp. ff; S. Ben Chorin, Bruder Jesus (München, ), pp. f, , f; D. Flusser, Jesus (Reinbeck bei Hamburg, ), pp. ff, ET Jesus (New York, ), pp. –. See also G. Jasper, Stimmen aus dem neureligiösen Judentum (Hamburg, ). 4 R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition (th edn. Göttingen, ), ET The History of the Synoptic Tradition (nd edn. Oxford, ), p. . J. C. Weber, Jr., »Jesus’s Opponents in the Gospel of Mark«, JBR (), ff, entirely follows Bultmann’s conclusions. A substantially different view is taken by H. F. Weiss, »Der Pharisäismus im Lichte der Überlieferung des Neuen Testaments« in R. Meyer, Tradition und Neuschöpfung im antiken Judentum (Leipzig, ), pp. ff. Cp. also his article »Φαρισαῖος« in ThWNT ix, ff. 5 R. Eisler, ΙΗΣΟΥΣ ΒΑΣΙΛΕΥΣ ΟΥ ΒΑΣΙΛΕΥΣΑΣ ii (Heidelberg, ); S. G. F. Brandon, Jesus and the Zealots: A Study in the Political Factor in Primitive Christianity (Manchester, ). Further literature is cited in M. Hengel, War Jesus Revolutionär? (Tübingen, ) (ET Was Jesus a Revolutionist? (Philadelphia, )). 6 Cp. S. Wagner, Die Essener in der wissenschaftlichen Diskussion vom Ausgang des . bis zum Beginn des . Jahrhunderts (Berlin, ). 7 Cp. especially A. Dupont-Sommer, Les écrits esséniens découverts près de la mer Morte (Paris, ), ET The Essene Writings from Qumran (Oxford, ), pp. –. Further material may be found in H. Braun, Qumran und das Neue Testament ii (Tübingen, ), ff, ff.
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in the Gospels. David Friedrich Strauss, the first radical critic of the Gospel tradition, recognised as the simple historical outline of the life of Jesus that he grew up in Nazareth, had himself baptized by John, gathered disciples, wandered around the Jewish countryside teaching, set himself in opposition to Pharisaism throughout and summoned men to the Messianic kingdom; that he was finally brought down by the hatred and jealousy of the Pharisaic party, and died on the cross.8
Since Strauss’s time, the significance of the opposition between Jesus and the Pharisees has been often emphasised by both radical and conservative scholars.9 Rudolf Bultmann lists the »breaking of the Sabbath commandment, violation of the rules of purity, polemic against Jewish legalism, association with outcasts like tax-gatherers and prostitutes, sympathy for women and children« among the characteristics of Jesus’s actions that can »with some caution« be ascertained.10 Most of the more recent critical portraits of Jesus also take account of the opposition between Jesus and the Pharisees,11 though to be sure it has been a matter of debate whether Jesus attacked only Pharisaic casuistry or the Torah itself as well.12 Recent study of the trial of Jesus has regarded this opposition as the decisive factor | behind Jesus’s indictment.13 The supposed affinity of Jesus and the Zealots has also been recently questioned; it has indeed been proposed that there was an unbridgeable gulf between them.14 The representation of Jesus as a Qumran Essene has not remained uncontested either.15 With such an abundance of opposing positions and views on the question, we might feel justified in giving up, especially since to many questions we feel able with 8
D. F. Strauss, Das Leben Jesu i (st edn. Tübingen, ), . T. Keim, Geschichte Jesu von Nazara ii (Zürich, ), ff (ET History of Jesus of Nazara iv (London, ), –); B. Weiss, Das Leben Jesu ii (nd edn. Berlin, ), ff (ET The Life of Jesus ii (Edinburgh, ), –); W. Beyschlag, Das Leben Jesu ii (Halle, ), ff; W. Bousset, Jesus, ET (London, ), pp. –; P. Wernle, Jesus (rd edn. Tübingen, ), pp. ff; M. Goguel, La vie de Jésus (Paris, ) (ET The Life of Jesus (London, ), pp. –), GT (Zürich, ), pp. f; W. Heitmüller, Jesus (Tübingen, ), pp. f. 10 R. Bultmann, »Das Verhältnis der urchristlichen Christusbotschaft zum historischen Jesus« (ET as »The Primitive Christian Kerygma and the Historical Jesus«, in C. E. Braaten and Roy A. Harrisville (eds.), The Historical Jesus and the Kerygmatic Christ (New York and Nashville, ), p. ). The present translation differs slightly. 11 G. Bornkamm, Jesus von Nazareth (th edn. Stuttgart, ), pp. ff, ET Jesus of Nazareth (London, ), pp. –; E. Stauffer, Die Botschaft Jesu (Bern, ), pp. ff; E. Haenchen, Der Weg Jesu (Berlin, ), passim; M. Hengel, Nachfolge und Charisma (Berlin, ), p. ; H. Braun, Jesus (Stuttgart, ), pp. ff. Cp. my survey in NTSt (–), – [in diesem Band S. –]. 12 An attack by Jesus on the Torah itself is disputed by J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie i (Gütersloh, ), ff (ET New Testament Theology i (London, ), –). For the contrary view see especially Stauffer, Botschaft; Haenchen, Weg; Hengel, Nachfolge, pp. f. 13 So G. Lindeskog, »Der Prozess Jesu im jüdisch-christlichen Religionsgespräch«, in Abraham unser Vater (Festschrift O. Michel) (Leiden, ), pp. ff; D. R. Catchpole, »The Problem of the Historicity of the Sanhedrin Trial«, in E. Bammel (ed.), The Trial of Jesus, (nd edn. London, ), pp. ff, and idem, The Trial of Jesus (Leiden, ), pp. ff. 14 Hengel, War Jesus Revolutionär?; O. Cullmann, Jesus und die Revolutionären seiner Zeit (Tübingen, ) (ET Jesus and the Revolutionaries (New York, )). 15 Cp. the summary in Braun, Qumran ii, ff, ff. 9
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a clear theological conscience to give a verdict of non liquet with an appeal to Kähler and Bultmann.16 On the other hand, it has been shown that faith has an interest in the historical facts about Jesus,17 although this subject will not concern us further here. But what can we say about the actual possibility of historical reconstruction?
I It is today generally recognised that the Gospels are of a kerygmatic nature, so that an uncritical estimate of their value is out of the question.18 The fundamental breakthrough to this recognition was made by form-criticism, although it had already operated in »liberal« study around the turn of the century. Adolf Jülicher, for example, set out the problem strikingly in an evaluation of the achievements of Wrede, Wellhausen, and Harnack: The task will always be for us to distinguish within the Synoptic tradition what can probably be ascribed to the community, or perhaps what was composed by the community in venturing to correct older material, and what is more probably to be traced back to Jesus himself. Whenever | characteristic traits are striking in a disorganized mass of material, whenever words of peculiar stamp and character meet us, then this is . . . the surest proof of authenticity.19
Wilhelm Heitmüller, whose presentation of Jesus was debated by the Prussian chamber of deputies,20 formulated five critical canons, of which the first was that in spite of legendary and mythological elements and in spite of the not inconsiderable overlaying attributable to the belief of the community that we have to clear away, we have material of historical value in the gospel tradition whenever there are elements in it which cannot be reconciled with the belief of the community to which the material as a whole belongs. What is not consonant with this belief cannot have grown out of it. These elements often show themselves to be at variance with the belief of the community through their omission or alteration by later writers.21
»We can have complete confidence [in the residuum of material satisfying this criterion]. We can extend this confidence to everything that stands in an organic relation to it.«22 Further indicators of authenticity were the local colour of narratives, 16
G. Strecker, »Die historische und theologische Problematik der Jesusfrage«, EvTh (), ff. O. Michel, »Der „historische Jesus“ und das theologische Gewissheitsproblem«, EvTh (), ff; J. Jeremias, Das Problem des historischen Jesus (Stuttgart, ) ET The Problem of the Historical Jesus (Philadelphia, ); W. G. Kümmel, Die Theologie des Neuen Testaments nach seinen Hauptzeugen (Göttingen, , pp. f ); P. Stuhlmacher, »Kritische Marginalien zur gegenwärtigen Frage nach Jesus«, in Fides et communicatio (Festschr. M. Doerne), ed. D. Rössler et al. (Göttingen, ), pp. ff. 18 This is the weakness of the comprehensive study of W. Beilner, Christus und die Pharisäer (Wien, ). The work of K. Berger, Die Gesetzesauslegung Jesu (Neukirchen, ), while rich in material, also raises doubts about method. What the author considers a »comprehensive traditio-historical method« (Foreword), often operates like »combinatorial magic«. Cp. also note , below. 19 A. Jülicher, Neue Linien in der Kritik der evangelischen Überlieferung (Tübingen, ), pp. f. 20 Jesus (Tübingen, ). Cp. the Foreword, pp. iiiff. 21 Ibid. pp. f. 22 Ibid. p. . 17
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Aramaisms, and forms of traditional material suitable for memorisation. With these principles Heitmüller offered a way of making Jülicher’s methodology more precise. Ernst von Dobschütz expressed himself similarly.23 This position changed with Bultmann. He wanted to abandon any presumption of reliability in dealing with the Gospel tradition,24 believing that nothing more than the earliest stratum of the tradition could ever be discerned; to what extent Jesus was behind it could no longer be determined.25 He also extended the criteria for authenticity: Jesus must | stand out not only from the later community but also from Jewish moral teaching and piety.26 On this foundation rests the »criterion of underivability« developed by Ernst Käsemann in his famous lecture.27 Inasmuch as this formulation has been acknowledged in principle by scholars of widely differing opinions,28 it can be considered an accepted result of the discussion of method to date. The most weighty objection that can be raised – and which has been repeatedly raised29 – against this criterion, was stated by Käsemann himself, viz., that »we shall not, from this angle of vision, gain any clear view of the connecting link between Jesus, his Palestinian environment and his later community«.30 To get a complete picture of the proclamation of Jesus, we could overcome this objection in part by following Heitmüller’s method and regarding everything that was »in organic relation« 23 »Der heutige Stand der Leben-Jesu-Forschung«, in ZThK N. F. (), ff. In order to prove that the Gospel »did not originate in the ideas of the time or the aspirations of men«, von Dobschütz emphasised two facts: () »The gospel tradition made changes in words and narratives, a sign that it found some things offensive.« () »In this process, some individual traits were preserved which could not have been made up since they are in direct contradiction with later attitudes . . . « (p. ). He went on to refer to the local colour, Aramaisms, and Jewish concepts in the Gospels. 24 A presumption still shared by Heitmüller, Jesus, and M. Dibelius, Die Formgeschichte des Evangeliums (th edn. Tübingen, ) (ET From Tradition to Gospel (London, ), pp. f ), and Jesus (rd edn. Berlin, , p. (ET Jesus (Philadelphia, ), p. ). 25 R. Bultmann, Jesus (Berlin, ) (ET Jesus and the word (New York and London, ), pp. f ). 26 R. Bultmann, Geschichte der Synoptischen Tradition (Göttingen, ), p. , ET History of the Synoptic Tradition (Oxford, ), p. . 27 E. Käsemann, »Das Problem des historischen Jesus«, in Exeget. Versuche i (Göttingen, ) (ET »The Problem of the Historical Jesus«, in Essays on New Testament Themes (London, ), pp. –): »In only one case do we have more or less safe ground under our feet: when there are no grounds either for deriving a tradition from Judaism or for ascribing it to primitive Christianity, and especially when Jewish Christianity has mitigated or modified the received tradition, as having found it too bold for its taste« (p. ). 28 W. Grundmann, Die Geschichte Jesu Christi (nd edn. Berlin, ), pp. f; H. Conzelmann, »Jesus Christus«, RGG iii, ; Stauffer, Botschaft, pp. , ; O. Cullmann, »Unzeitgemässe Bemerkungen zum „historischen Jesus“ der Bultmannschule«, in Ristow and Matthiae, Der historische Jesus, pp. ff, esp. pp. f; E. Lohse, »Die Frage nach dem historischen Jesus in der gegenwärtigen neutestamentlichen Forschung«, ThLZ (), ; E. Bammel, »Erwägungen zur Eschatologie Jesu«, in StEv iii, ff, esp. p. ; C. Burchard, »Jesus«, in Der kleine Pauly ii (Stuttgart, ), ; N. Perrin, Rediscovering the Teaching of Jesus (London, ), pp. f; H. G. Klemm, »Das Wort von der Selbstbestattung der Toten«, NTSt (/), ff, esp. ; Jeremias, Theologie i (ET p. ); Hengel, Nachfolge, p. . 29 Cullmann, »Unzeitgemässe Bemerkungen«; P. Stuhlmacher, »Kritische Marginalien«; Jeremias, Theologie i, . 30 Käsemann, »Das Problem« (ET p. ).
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to the residuum of underivable material as authentic. However, for the question at issue here we have to discover first what this residuum of material is that unmistakably goes back to Jesus, and for this undertaking by itself the »criterion of dissimilarity« (as Norman Perrin calls it) is suitable. Criteria of form,31 however, can provide valuable checks: source-critical, form-critical, and redaction-critical analysis must obviously be combined with considerations of content. This comprehensive method of investigation32 may well overcome the | sceptical attitude (which seemed at first to be required by form-criticism) that it is impossible to get back behind the post-Easter community. We appeal here to the fundamental remarks of H. Schürmann, who has shown that it is not the post-Easter community but the pre-Easter circle of disciples that is the earliest recoverable social entity.33 We may resolutely give up all a priori guarantees for the trustworthiness of the tradition as a whole.34 Everything depends on the examination of individual traditions.
II The Gospel tradition has preserved several instances in which Jesus placed himself in direct opposition to Jewish religious practice. (a) First of all there is the saying in Matt. : par. in which Jesus invites the violation of something that is a religious duty in all cultures. Matthew and Luke have blunted the edge of the saying by altering its context, and the further history of its exegesis shows that this saying remained offensive.35 There can, then, be no doubt of its authenticity.36 (b) It has long been recognised that Jesus’s attitude to women was unusual.37 The extraordinarily low estate of women in Judaism38 and the generally reserved and critical estimate of them in early Christianity39 guarantee, at least in principle, that
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Jeremias, Theologie, pp. ff (ET i, –). M. Lehmann, Synoptische Quellenanalyse und die Frage nach dem historischen Jesus (Berlin, ), also proposes a »co-operation of criteria«. For similar proposals, see P. Stuhlmacher, »Thesen zur Methodologie gegenwärtiger Exegese«, ZNW (), ff, esp. ; and D. G. A. Calvert, »An Examination of the Criteria for Distinguishing the Authentic Words of Jesus«, NTSt (–), ff, esp. . 33 H. Schürmann, »Die vorösterlichen Anfänge der Logientradition«, in Ristow and Matthiae, Der historische Jesus, pp. ff. 34 Against H. Riesenfeld, The Gospel Tradition and its Beginnings (Oxford, ), and B. Gerhardsson, »Memory and Manuscript« (Lund, ). The references to the rabbinic transmission of tradition may perhaps serve as a counterweight to radical scepticism, but they do not bear examination in individual cases. Cp. the criticism of W. D. Davies, The Setting of the Sermon on the Mount (Cambridge, ), pp. ff, and Hengel, Nachfolge, pp. ff. 35 Cp. also Klemm, »Das Wort«. 36 So also Hengel, Nachfolge, p. . 37 Cp. A. Oepke, »γυνή«, in TDNT i, f; Stauffer, Botschaft, pp. ff; Braun, Jesus, p. f; Hengel, »Maria Magdalena und die Frauen als Zeugen«, in Abraham unser Vater, pp. ff. 38 Cp. esp. S–B iii, f; iv, f; and J. Jeremias, Jerusalem zur Zeit Jesu (rd edn. Göttingen, ), pp. ff (ET Jerusalem in the Time of Jesus (London, ), pp. –). 39 Cor. : f; : ff; Tim. : f; Luke :; Rev. : ff. 32
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those traditions in which the »religious equality of women«40 can be read to go back to Jesus. (c) Jesus’s rejection of fasting, in its original form in Mark : f, must have been astonishing and, for a religious teacher, disqualifying.41 The fact | alone that this pericope in its Markan form actually constitutes a justification for the practice of fasting in the church (ἐλεύσονται δὲ ἡµέραι . . . τότε νηστεύσουσιν),42 shows that verse a, which is critical of fasting, cannot be derived from the thinking of the early church, which (as Matt. : ff and Did. . clearly show) placed a high value on Christian fasting.43 The form-critical objection to the authenticity of Mark : f holds that Jesus is here defending not his own but his disciples’ conduct, and that by this device the community is appealing to Jesus to justify its own conduct.44 This line of argument is spelled out twice by Bultmann;45 none the less it should now be given up, since it is quite natural that Jesus should have been called to account for shortcomings in the conduct of his followers.46 Jesus’s critical position toward the Sabbath and ritual purity will be treated in detail below, since in these cases it is a question not only of characteristically Jewish custom but of the Law itself.
III Jesus’s attitude to the outcasts of society must have given rise to very serious conflicts. (a) Tax-gatherers were among the most hated classes of people in ancient Judaism.47 Their profession belonged to that class of occupations which »were not only despised, nay hated, by the people; they were de jure and officially deprived of rights and ostracized«.48 The special favour of Jesus for the tax-gatherers,49 evidenced in all strata of the tradition, has to be understood as an outrageous provocation from the Jewish point of view. On the other hand, the question was no longer a problem for the 40
Hengel, »Maria Magdalena«, p. . For this see my argument in »Markus , – das Jesuswort über die innere Verunreinigung«, ZRGG (), – [in diesem Band S. –; hier S. –]; and J. Roloff, Das Kerygma und der irdische Jesus (Göttingen, ), pp. ff. 42 Dibelius, Formgeschichte, pp. f (ET pp. f ). 43 Roloff, Kerygma, p. , continues to defend the authenticity of the rule of fasting in Matt. : ff. None the less, the picture of Jesus as a reformer of the religious institutions of Judaism seems to fit the Matthaean christology rather than the historical Jesus. 44 Bultmann, Synoptische Tradition, p. (ET p. ). 45 Ibid. p. . 46 So especially, E. Stauffer, »Neue Wege der Jesusforschung«, in Gottes ist der Orient (Festschrift O. Eissfeldt) (Berlin, ), pp. ff. Cp. the earlier essay of C. H. Dodd, »Jesus as Teacher and Prophet«, in G. K. A. Bell and A. Deissmann (eds.), Mysterium Christi (London, ), pp. –; Roloff, Kerygma, p. ; and D. Daube, »Responsibilities of Master and Disciples in the Gospels«, NTSt (–), ff. 47 Cp. S–B i, pp. f. 48 Jeremias, Jerusalem, p. (ET p. ). 49 Mark :– (pre-Markan; see R. Pesch, »Das Zöllnergastmahl«, in Mélanges Bibliques en hommage au R. P. Béda Rigaux (Gembloux, ), pp. ff ); Matt. : f par. (Q); Luke : –; : – (L-material); Matt. : f (M-material). 41
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later church, whose references to tax-gatherers, although widely distributed, are few in | number.50 This fact admits of the conclusion that the texts which describe Jesus’s association with tax-gatherers correspond to neither Jewish nor Christian thinking, and so reflect Jesus’s own attitude. It must have been scandalous to all Jesus’s contemporaries that he received into his company the »notoriously sinful Israelites who have separated themselves from the true Israel«.51 The reproach taken up by Jesus that he was a »glutton and a drinker, a friend of tax-gatherers and sinners« (Matt. : f par.) is the best possible illustration of this attitude of Jesus and its rejection.52 It is not merely a moral disqualification that is expressed here, but the accusation according to religious law that Jesus was a »disobedient son«, who, according to Deut. : f, was punishable by stoning.53 (b) The mixed race of the Samaritans was just as hated and scorned in the time of Jesus as the tax-gatherers.54 When Jesus, in the undoubtedly authentic55 parable of the »good Samaritan« (Luke : ff ), let the deed of human kindness be performed ideally by none other than a Samaritan, it must have been taken as an insulting affront by any patriotic Jew. H. G. Klemm has rightly pointed out that in Luke : –, just as in the parables | in Matt. : ff, : ff, and Luke : ff, a »reversal of perspectives, a victory of human kindness over inflexible principles and hardened attitudes« is accomplished.56 Jesus’s lack of prejudice, evident in this parable, is reflected also in the story of the »grateful Samaritan« (Luke : ff ) and in the conflict 50 In the synoptics, the mention of tax-gatherers is almost always taken over in traditional material. R. Pesch, »Levi-Matthäus«, ZNW (), ff, tries to show a redactional origin for Mark : f. Two facts tell against this thesis: () the discontinuity between verses and (noticed as early as J. Wellhausen, Das Evangelium Marci (nd edn. Berlin, ), p. , which would have been avoidable if verse was editorial; and () the absence of the name Levi from Mark’s list of apostles in : ff. Matt. : has been regarded since A. Harnack, Sprüche und Reden Jesu (Leipzig, ), pp. f (ET (London, ), p. ), as the more original form of the saying paralleled in Luke : f. Matt. : seems to have its origin in pre-Matthaean tradition (see R. Hummel, Die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Judentum im Matthäusevangelium (nd edn. München, ), p. . Matt. : may be redactional (so Bornkamm, »End-Expectation and Church in Matthew«, in G. Bornkamm, G. Barth and J. Held, Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium (Neukirchen, ), pp. ff, ET Tradition and Interpretation in Matthew (London, ), pp. f; G. Strecker, Der Weg der Gerechtigkeit (nd edn. Göttingen, ), p. ; Hummel, Auseinandersetzung; U. Luz, »Die Jünger im Matthäusevangelium«, ZNW (), ), or indeed the whole parable: see my argument in »Das Gleichnis von den „ungleichen Söhnen“ Mt XXI. –«, NTSt (–), ff. The Johannine tradition ignores all encounters between Jesus and tax-gatherers. 51 O. Michel, ThWNT viii, (ET TDNT viii, ). 52 On the authenticity of Matt. : f, see E. Schweizer, »Der Menschensohn«, in Neotestamentica (), f; C. Colpe, ThWNT viii, , ET TDNT viii, ; and J. Jeremias, Die Gleichnisse Jesu (th edn. Göttingen, ), pp. f (ET he Parables of Jesus (London, ), pp. f ). 53 Stauffer, »Neue Wege«, p. ; Jeremias, Theologie, i, f (ET f ). Brandon touches on this complex of issues only in a subordinate clause (Zealots, p. ), without considering its far-reaching implications. 54 S–B i, ff; Jeremias, Jerusalem, pp. ff (ET pp. ff ). 55 Jeremias, Gleichnisse, pp. ff (ET pp. ff ); Perrin, Teaching, pp. ff; H. G. Klemm, »Das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter« (Diss. Erlangen-Nürnberg, ). 56 Klemm, Gleichnis, p. .
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between his disciples and the inhabitants of a Samaritan village (Luke : ff ).57 Only the saying in Matt. : f shares the prejudice of the time against the Samaritans. Joachim Jeremias has, to be sure, demonstrated the great antiquity of this text,58 but the evidence of Aramaic idioms proves only that the saying was handed down by the earliest, Aramaic-speaking church. Since Matt. : f fits into the Jewish and JewishChristian horizon and at the same time contradicts authentic tradition about Jesus, the conclusion that it is of secondary origin is attractive.59 (c) If our assignment of Matt. : f to the Jewish-Christian church is correct, then one of the most difficult texts for the problem of »Jesus and the Gentiles« is removed from the discussion. No planned limitation of the Christian mission can be seen in the earliest sources; the historical Jesus could not have imposed it on himself or his disciples.60 To be sure, we may not follow F. Spitta61 and make Jesus the first missionary to the Gentiles, but the texts make it clear that Jesus displayed a fundamental openness to Gentiles which corresponded to his attitude to »tax-gatherers and sinners« and Samaritans. As illustrations there are several specific individual cases (Mark : ff par., Matt. : ff par.), whose original history is in any event not easy to reconstruct, as well as the sayings in Luke : , : ff, : f,62 in which Jesus sets up the Gentiles as contrasting examples over | against the failure of Israel. Finally, this openness of Jesus even with regard to non-Jews, is connected with the fact that Jesus detached religion from national soil.63 By this »un-limitation« he made the essential preparation for the Gentile mission.64 This fact, that Jesus burst through traditional ways of thinking in his position toward tax-gatherers, Samaritans, and Gentiles, goes unappreciated by Brandon. Every representation of Jesus as a religious conformist runs aground on it. 57 The authenticity of Luke : ff was doubted already by P. Wernle, Die synoptische Frage (Freiburg, ), p. , and thoroughly disputed by R. Pesch, Jesu ureigene Taten? (Freiburg–Basel–Wien, ), pp. ff. Cp., however, the reply to this criticism by M. Hengel, Gewalt und Gewaltlosigkeit (Tübingen, ), p. . Roloff, Kerygma, considers the narrative to be independent tradition but the mention of the Samaritan secondary. On Luke : ff, cp. Hengel, Nachfolge, p. . Both texts are organically related to the residuum of underivable material. 58 J. Jeremias, Jesu Verheissung für die Völker (nd edn. Stuttgart, ), pp. f (ET Jesus’ Promise to the Nations (London, ), pp. f ). 59 So too E. Käsemann, »The Beginnings of Christian Theology«, in New Testament Questions of Today (ET (London, ), p. ); F. Hahn, Das Verständnis der Mission im Neuen Testament, (nd edn. Neukirchen-Vluyn, ), p. ; Haenchen, Weg, p. ; M. Hengel, »Die Ursprünge der Christlichen Mission«, NTSt (/), . The argument of H. Kasting, Die Anfänge der urchristlichen Mission (München, ), pp. ff, that Matt. : and : are compositions of the evangelist, is not convincing, since Aramaisms do not occur in redactional material. 60 Against Jeremias, Verheissung. 61 F. Spitta, Jesus und die Heidenmission (Giessen, ). 62 Jeremias, Verheissung, p. (ET p. ), favours the Matthaean form of this saying, but W. Trilling, Das wahre Israel (rd edn. München, ), pp. f, has shown that Luke is the earlier. Against Jeremias’s wide-ranging conclusions from the Lukan »inaugural sermon«, cp. Haenchen, Weg, p. , n. . 63 A. Harnack, Mission und Ausbreitung des Christentums i (th edn. Leipzig, ), (ET The Mission and Expansion of Christianity in the First Three Centuries (nd edn. London, ), p. ). 64 Cp. Hengel, NTSt (–), .
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IV It was a binding axiom for all Jews that the Torah was the final dispensation of the purpose of God, although differences might appear in the interpretation of this divine precept.65 It is widely assumed that Jesus shared this contemporary view,66 but several texts have to be adduced in which a conflict of Jesus with the Torah can be denied only by a forced exegesis. (a) The saying of Matt. : f par. discussed above not only represents a disregard for part of the »core of Jewish piety« but can be »taken as an attack on the reverence toward parents enjoined in the Fifth Commandment«.67 The same goes for the narratives of the calling of the disciples in Mark : ff, which, as Rudolf Pesch has shown, rest on »recognizable historical foundations«.68 »In Mark : , the unconditional willingness to follow Jesus is at stake. In this case the call of Jesus requires a break with the Fifth Commandment.«69 (b) Strict observance of the Sabbath was required by the Torah,70 and special halakhot for its more exact observance were developed in Qumran as well as Pharisaic circles.71 Now there is widespread agreement among | scholars that the controversies over the Sabbath reported in both the Synoptic and Johannine traditions reflect the attitude of Jesus.72 It is not merely a matter of an attack on the Pharisaic Sabbath halakha, as Jeremias maintains,73 since the sayings in Mark : and : plainly qualify the absolutely unquestionable commandment to keep the Sabbath holy, whose violation is made punishable in the Torah by death. Even the oldest Gospel did not tolerate the saying in Mark : in its unconditional form, in which the welfare of man is placed above the norm fixed by the Torah, but blunted it by a christological argument: not man, but the »Son of man«, is lord of the Sabbath.74 Finally, Matthew omits Mark : and lets the conflict over the Torah fade away.75 In the same way, Matthew recasts the second controversy over the 65 S. W. Gutbrod, ThWNT iv, –; H. Braun, Spatjüdisch-häretischer und frühchristlicher Radikalismus i (Tübingen, ), ff, ff, ff, ff. 66 See the literature cited in note , p. [in diesem Band p. ], and Jeremias, Theologie i, –. 67 Hengel, Nachfolge, p. . 68 Pesch, »Berufung und Sendung, Nachfolge und Mission«, ZKTh (), ff (quotation p. ). 69 Stauffer, Botschaft, p. . 70 For this and what follows, see W. Rordorf, Der Sonntag (Zürich, ); (ET Sunday (London, )). 71 Qumran: CD X.–XI.; cp. Braun, Radikalismus i, f; E. Lohse, Umwelt des Neuen Testaments (Göttingen, ), pp. f, f; S. T. Kimbrough, Jr., »The Concept of Sabbath at Qumran«, RdQ (), ff. For rabbinic material see S–B i, ff. 72 Cp. E. Lohse, »Jesu Worte über den Sabbat«, in Judentum-Urchristentum-Kirche, Festschr. J. Jeremias (nd edn. Berlin, ), pp. –; and Rordorf, Der Sonntag, pp. ff (ET pp. –). 73 Jeremias, Theologie i, (ET p. ). 74 Cp. Käsemann, »Das Problem«, f; Braun, Radikalismus i, p. n. ; Rordorf, Der Sonntag, pp. ff. The analysis of Roloff, Kerygma, overlooks the connection between Mark : f and demonstrated by Bammel, »Erwägungen« and also pointed out by H. Hübner, Das Gesetz in der synoptischen Tradition (Witten, ), p. . 75 By the introduction of ἐπείνασαν, Matthew emphasises the correspondence to the example of David (Matt. :), he adds a second proof-text which, in contrast to Mark :, actually satisfies the
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Sabbath in Mark : ff. »The Sabbath commandment remains in force in principle. The Torah is the common ground of the debate. Only its interpretation and practical application are at issue.«76 From all this, the underivability of Jesus’s criticism of the Sabbath can be concluded. (c) The subject of cultic purity and impurity is also among the most important elements of the Torah; in Qumran and among the Pharisees it underwent various halakhic treatments.77 The saying in Mark : , οὐδέν ἐστιν ἔξωθεν τοῦ ἀνθρώπου εἰσπορευόµενον εἰς αὐτὸν ὃ δύναται κοινῶσαι αὐτόν, offers a radical criticism of this whole concept. I have | elsewhere presented a detailed survey of the many softenings and re-interpretations that this saying of Jesus has suffered in the last years.78 Unbiased exegesis, however, can only maintain that »the man who denies that impurity from external authority can penetrate into man’s essential being is striking at the presuppositions and the plain verbal sense of the Torah, and at the authority of Moses himself«.79 Again in this case the state of the secondary additions and later rabbinic demands (see D. Daube, The New Testament and Rabbinic Judaism (London, ), p. ), and he calls the disciples innocent (: ). The omission of Mark : by Matthew and Luke seems to have been differently motivated: what seemed to Jewish Christians too critical of the Torah could have seemed to Gentile Christians too partial to the institution of the Sabbath. The conjecture of Wernle, Synoptische Frage, p. , that the omission could reflect an earlier text of Mark is thus unnecessary, and more than unnecessary since Luke’s takeover in : of the Markan transitional formula καὶ ἔλεγεν αὐτοῖς betrays his knowledge of Mark : . This tells against the hypothesis of Hübner, Gesetz, pp. ff, who supposes that Matthew and Luke were influenced by a Q form of the controversy. But even if he were correct, it would remain unexplained why Matthew and Luke should simultaneously desert Mark in favour of Q. 76 Hummel, Auseinandersetzung, p. . 77 Lev. f, ; Num. : ff; ; Deut. : ff; : ff; etc. For the rabbinic material see S–B i, ff; for Qumran material see Braun, Radikalismus i, , f, , , ff. On the whole question see W. Paschen, Rein und Unrein (München, ). 78 ZRGG (), – [in diesem Band S. –; hier S. –]. 79 Käsemann, Exeget. Versuche i (), ; so Bornkamm, Jesus, p. , ET p. ; Braun, Qumran ii, ; Stauffer, »Neue Wege«, in Gottes ist der Orient, p. ; Haenchen, Weg, pp. f; Perrin, Teaching, pp. f; S. Kawashima, »Jesus und die jüdischen Speisevorschriften« (Diss. Erlangen-Nürnberg, ); Hübner, Gesetz, pp. ff. Against this, it represents a step backwards when Paschen, Rein, understands the whole saying on the basis of verse b. Verse a should be taken at least as seriously! This must also be said against Jeremias, Theologie i, (ET pp. f ). The attempt of Paschen and Hübner to trace an earlier form of the tradition behind the saying of Jesus in Mark : cannot be discussed here. My own reconstruction is treated critically by W. G. Kümmel, »Äussere und innere Reinheit bei Jesus«, in Das Wort und die Wörter (Festschrift G. Friedrich) (Stuttgart, ), pp. –. The difference of views is determined by a difference in the degree to which the »criterion of dissimilarity« is accepted. Happily, Kümmel’s recognition of the force of Jesus’s criticism of the Torah is not impaired. Berger, Gesetzesauslegung, pp. ff, goes too far in softening the criticism of the Torah in saying »The notion of purity is not abolished, but only transferred to the realm of the spiritual« (p. ), in order to be able to illustrate »the great proximity of this maxim to Hellenistic Judaism« with a comparison with Philo, de Spec. Leg., iii, f. I have previously shown (ZRGG () see note , above [in diesem Band S. –]) that the spiritualised notion of purity was well known, but Berger is still at fault in his contention that the annulment of the letter of the Torah went along with this internalising in Hellenistic Judaism. Philo, Berger’s authority, expresses himself definitely to the contrary: »There are some who, regarding laws in their literal sense in the light of symbols of matters belonging to the intellect, are overpunctilious about the latter, while treating the former with easy-going neglect. Such men I for my
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omissions offers the most probative check on the authenticity of the saying. Mark himself blurs Jesus’s opposition to the Torah by connecting : with the controversies over hand-washing and the validity of the halakha (: ff ). He also limits the saying, which applies to all the commandments about purity, to the food laws (: c), and he diverts attention from the deeper opposition by means of the peremptory, »parenetically sonorous but theologically inoffensive catalogue of vices«.80 The transformation of the whole debate by Matthew, a | masterpiece of his scribal method,81 keeps the conflict over the Torah out of sight, and implies by the concluding formula τὸ δὲ ἀνίπτοις χερσὶν φαγεῖν οὐ κοινοῖ τὸν ἄνθρωπον that only the problem of hand-washing had been discussed. »In fact, the debate in Matthew ends with Jesus formulating a particular halakha concerning hand-washing which contradicts the Pharisaic one.«82 Here too the tradition has preserved the attitude of Jesus only with qualifications, and so testifies to the individuality of Jesus. (d) Finally, the saying in Mark :, which denies the possibility of divorce, is in explicit contradiction to the Torah (Deut. : ff ).83 Already in the oldest tradition it was thought necessary to underpin the unconditional saying of Jesus with a proofpart should blame for handling the matter in too easy and off-hand a manner: they ought to have given careful attention to both aims, to a more full and exact investigation of what is not seen and in what is seen to be stewards without reproach . . . These men are taught by the sacred word to have thought for good repute, and to let nothing go that is part of the customs fixed by divinely empowered men greater than those of our time.« (de Migr. Abr. f, transl. by F. H. Colson in Loeb Library, Philo, iv, p. ). 80 Stauffer, »Neue Wege«, in Gottes ist der Orient, p. . 81 The earlier thesis of von Dobschütz that Matthew was a converted rabbi (»Matthäus als Rabbi und Katechet«, ZNW (), ff ) has been more recently seconded by Hummel, Auseinandersetzung, and (cautiously) by Weiss, »Der Pharisäismus« in Meyer, Tradition, p. , and still awaits refutation. The latest advocate of a Gentile Christian origin for Matthew, R. Walker (Die Heilsgeschichte im ersten Evangelium (Göttingen, )), has done more harm than good to this thesis. It will not do to assert of all the Jewish elements in Matthew that they are »completely antiquated« or have only »illustrative value« or are »purely homiletical examples«, etc. Certainly Walker’s magic formula »that traditional material is one thing, the literary use made of it by the author of the Gospel is another« (p. ) comes to grief in the controversies between Jesus and the Pharisees: in these Mark is clearly the source, and the rabbinic elements are to be credited to Matthew. The case is similar to the µηνδὲ σαββάτῳ of Matt. :, which Walker asserts is »an anachronism which has remained in the text as an irrelevancy« (p. ); a glance at the synopsis contradicts this. The judgement of the rabbinic scholar D. Daube still applies: »Matthew’s is a Rabbinic Gospel« (Rabbinic Judaism, p. ). For the Jewish Christian provenance of Matthew, see also H. Stegemann, »„Die des Uria.“ Zur Bedeutung der Frauennamen in der Genealogie von Mt . –«, in Tradition und Glaube, Festgabe für K. G. Kuhn, ed. G. Jeremias et al. (Göttingen, ), pp. –, esp. pp. f; E. Lohse, Entstehung des Neuen Testaments (Stuttgart– Berlin–Köln–Mainz, ), pp. f; W. G. Kümmel, Einleitung in das Neue Testament (th edn. Heidelberg, ), ET , pp. ff; A. Wikenhauser and J. Schmid, Einleitung in das Neue Testament (th edn. Freiburg–Basel–Wien, ), pp. ff. 82 Hummel, Auseinandersetzung, p. . 83 Wellhausen long ago recognised the criticism of the Torah in this saying (Marci, p. ), and he is followed by Bornkamm, Jesus, pp. f (ET pp. f ); Stauffer, »Neue Wege«, in Gottes ist der Orient, p. ; Braun, Radikalismus, p. ; Jeremias, Theologie, i, (ET ); Haenchen, Weg, p. . For the authenticity of Mark : see also B. Schaller, »Die Sprüche über Ehescheidung und Wiederheirat in der synoptischen Überlieferung«, in Der Ruf Jesu und die Antwort der Gemeinde, Festschrift J. Jeremias (Göttingen, ), pp. ff.
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text (Mark : –),84 and it is supplemented with casuistic stipulations (verses f )85 in which the possibility of divorce is | again presupposed. Matthew tacitly restores the authority of Moses by putting the exception for adultery on the lips of Jesus as part of his concluding pronouncement (Matt. : , cp. : ). In the Matthaean form of the debate, Jesus is again presented as a Pharisaic scribal authority86 who defends the view of the school of Shammai in what was at the time a much-debated subject,87 but who upholds the Torah according to its original intention. It emerges clearly from the foregoing texts we have briefly examined that for Jesus the Torah formed »no longer the focus and ultimate standard . . . Jesus – unlike the whole body of his Jewish contemporaries – stood not under, but above the Torah received by Moses at Sinai.«88 This is the deepest reason why there could be no understanding between Jesus and a Jew of Qumran or Pharisaic practice. The attack of Jesus on the Torah confronts us finally with the unprecedented claim of Jesus to authority, a fact which is being increasingly recognised by scholars.89
V Since the Zealots stood near to the Pharisees doctrinally,90 they too must have been shocked by Jesus’s criticism of the Torah, as well as by his association with those who collaborated with the occupation government and by his openness towards the Gentiles.91 If only by reason of the fundamental difference in their ways of thinking which appears here, any alliance between Jesus and the Zealots is quite improbable. Three texts, however, have to be pointed out which imply Jesus’s unequivocal renunciation of the Zealot ideology. (a) The discussion of tribute-money (Mark : ff ),92 whose authenticity cannot be doubted,93 presupposes the problem raised by Judas of Galilee in forming the resistance movement: tribute to the pagan ruler was idolatry.94 In his answer to the artful question, »Jesus neither allowed himself to be lured into conferring divine status on the existing power | structure, nor concurred with the revolutionaries who wanted to change the existing order and compel the coming of the Kingdom of God 84
On this see Haenchen, Weg, pp. ff. Since the discussion of E. Bammel, »Markus : f. und das jüdische Eherecht«, ZNW (), ff, this verse can no longer be considered a late, Hellenistic addition (against Schaller, »Die Sprüche«, in Der Ruf Jesu, p. , n. ). For the question of authenticity, which Bammel explicitly leaves open (p. ), the contradiction with Jesus’s absolute prohibition of divorce in : is still the deciding factor. 86 Cp. Hummel, Auseinandersetzung, p. . 87 So already von Dobschütz, ZNW (), p. . 88 Hengel, Nachfolge, p. . 89 Ibid. pp. f; Jeremias, Theologie, i, ff, ET pp. ff. Cp. also H. von Campenhausen, Die Entstehung der christlichen Bibel (Tübingen, ), pp. f, ET The Formation of the Christian Bible (London, ), p. . 90 M. Hengel, Die Zeloten (Leiden, ), pp. ff; cp. War Jesus Revolutionär?, pp. f (ET pp. f ). 91 Hengel, Die Zeloten, pp. ff. 92 For this see Stauffer, Die Botschaft Jesu, pp. ff; Bornkamm, Jesus, p. (ET pp. ff ). 93 So even Bultmann, Tradition, p. (ET p. ). 94 Hengel, Die Zeloten, pp. ff. 85
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by the use of force.«95 Brandon’s attempt to discover beneath the Markan form of the discussion of the tribute-money an anti-Roman statement of Jesus which was recast for apologetic reasons, lacks any support.96 (b) The Parable of the Patient Husbandman (Mark : ff ) is best explained on the hypothesis that Jesus is here placing himself in opposition to Zealot activism.97 Just as the husbandman cannot advance the moment of the harvest, αὐτοµάτη ἡ γῆ καρποφορεῖ, so neither can anyone force the Kingdom of God to come. Faith should wait for everything from God. Indeed, Jesus reinterprets the conception of the coming of the Kingdom of God still further: it is no longer merely in the future, but in his work has already broken in! This is expressed not only in a number of parables98 but also in a saying from the sayings-source in Luke : par.: εἰ δὲ ἐν δακτύλῳ θεοῦ ἐγὼ ἐκβάλλω τὰ δαιµόνια, ἄρα ἔφθασεν ἐφ’ ὑµᾶς ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ.99 Here again it becomes clear that the proclamation of Jesus cannot be
separated from his person. Brandon overlooks this range of issues. (c) The crucial difference between Jesus and the Zealots, however, becomes clear in the matter of the attitude to one’s fellow-men. Whereas the Zealots believed that it was necessary in the service of God’s cause to root out rigorously all law-breakers,100 Jesus demanded unconditional love of one’s neighbour and even one’s enemy (Matt. : ff par.). In dealing with | this passage, the tendentiousness of Brandon’s judgement once again interferes: Matthew, moved by the dangers which threatened the church in Alexandria during these difficult years, not only presented Jesus to his fellow-Christians as the Messiah who rejected armed violence to promote his cause, but he represents him as commanding his followers to show themselves similarly pacific in their conduct.101
95
Lohse, Umwelt, p. . Brandon (Zealots, pp. –) adduces two arguments, which cannot however be sustained by the texts in question: () Jesus would not have been recognised as messiah if he had not refused to pay the tribute. Against this one must at least say with O. Cullmann, Die Christologie des Neuen Testaments (rd edn. Tübingen, ), p. , ET The Christology of the New Testament (nd edn. London, ), p. , that »Jesus showed extreme reserve toward the title Messiah. He actually considered the specific ideas connected with the title as satanic temptations.« () Jesus is accused by the Jews in Luke : of forbidding payment of tribute to Caesar. But the discussion by G. Schneider in this volume, pp. – , removes the force of this reference. On this problem, cp. also the contributions of F. F. Bruce, pp. –, and of G. M. Styler, pp. –. 97 For Zealot activism, see Hengel, Die Zeloten, pp. ff. For the parable, see Jeremias, Gleichnisse, pp. f (ET pp. f ), and Bammel, StEv iii, . 98 C. H. Dodd, The Parables of the Kingdom (London, ). 99 In favour of authenticity are W. G. Kümmel, Verheissung und Erfüllung (Zürich, ), pp. ff (ET Promise and Fulfilment (London, ), pp. –); J. Becker, Johannes der Täufer und Jesus von Nazareth (Neukirchen-Vluyn, ), pp. f; H. W. Kuhn, Enderwartung und gegenwärtiges Heil (Göttingen, ), pp. ff; Perrin, Teaching, pp. ff; Bammel, »Erwägungen«, StEv iii, . Against it is Haenchen, Weg, p. , but the considerations in this direction do not seem probative. The problem of the relation of present and future eschatology cannot of course be discussed here. 100 Hengel, Die Zeloten, p. . 101 Zealots, p. . 96
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In this Brandon of course neglects the fact that the commandment to love one’s enemy is to be found already in Q (see Luke : f, ff )! In fact, since parallels to this unconditional requirement are lacking in both Qumran and rabbinic literature,102 and since the primitive church took up other themes (cp. Rom. : ; John : f; John : ; Rev. : ), we may well apply the criterion of underivability: this »Magna Charta of agape«103 can only go back to Jesus himself. If conduct toward one’s fellow-men is to be so totally determined by love that not only are vindictive acts and thoughts to be eschewed but even intercession for one’s enemy is required, then there can be no justification for Zealot acts of violence against a fellow-man. All ideals, however great or sacred they may be, must be subordinated to love for one’s neighbour. With this precept Jesus placed himself outside all parties and groups of his time. Once we become aware of how often Jesus burst through the bounds of conventional thought and behaviour, we must regard a conflict between him and the representatives of the traditional order as unavoidable. In fact, the proclamation of Jesus »cannot be set within the Judaism of the time without supposing that it made a fundamental breach in the framework of Judaism«.104 This historical situation is suitably reflected theologically in Rom. : and John : . Paul and John have preserved here a significant feature of the proclamation of Jesus, even though the outlines of the earthly Jesus may not otherwise show up clearly in their writings.105
102
So Jeremias, Theologie, p. (ET p. ); Braun, Jesus, p. . Hengel, War Jesus Revolutionär? p. (ET p. ). 104 Hengel, Nachfolge, p. . 105 The article was translated by Dr J. F. Coakley. Some aspects of the more recent discussion are dealt with in my article »Jesus im Widerstreit« in: Glaube und Gesellschaft (Festschrift W. F. Kasch), (Bayreuth, ), pp. – [in diesem Band S. –]. 103
Die Gottesherrschaft in der Verkündigung Jesu * Ein fast einmütiger Konsens besteht in der neutestamentlichen Wissenschaft darüber, „daß das zentrale Thema der öffentlichen Verkündigung Jesu die königliche Herrschaft Gottes war“1 . Fragt man jedoch weiter, was denn inhaltlich die Rede Jesu von der Gottesherrschaft bedeute, so erhält man die unterschiedlichsten Antworten. Beherrschend ist die von Johannes Weiß inaugurierte, von Albert Schweitzer konsequent ausgebaute und von Rudolf Bultmann durch existentiale Interpretation theologisch verwertbar gemachte Auffassung, Jesus habe wie andere Apokalyptiker auf die Nähe der kosmischen Katastrophe hinweisen wollen2 . Demgegenüber hatte Charles Harold Dodd das Stichwort der „realized eschatology“ ausgegeben und exegetisch zu erweisen gesucht, daß Jesus ganz unapokalyptisch von der Gegenwart des Heils geredet habe3 . Dazu gibt es eine Vielzahl von Versuchen, diese beiden extremen Positionen zu verbinden4 . Ist die Gottesherrschaft also rein zukünftig, zukünftig aber sehr nahe, ist sie rein gegenwärtig, mehr zukünftig als gegenwärtig, mehr gegenwärtig als zukünftig oder ebenso zukünftig wie gegenwärtig? Und welche Folgen ergeben sich aus der gewählten Zuordnung? Es läge nahe, auch angesichts der verwirrenden Vielfalt von Thesen auf diesem Gebiet über den desolaten Zustand der neutestamentlichen Wissen- | schaft zu klagen. Doch zuvor sollte man die bündige Feststellung von Geza Vermes bedenken: „The Gospel evidence appears inconclusive.“5 Angesichts dessen hat Rudolf Schnackenburg im Nachtrag zur . Auflage seiner grundlegenden Monographie zu Recht die programmatische Feststellung getroffen: „Um . . . zu größerer Klarheit zu kommen, bleibt kaum ein anderer Weg, als die in * Martin Hengel in dankbarer Verbundenheit gewidmet. [Ursprünglich veröffentlicht in: Königsherrschaft Gottes und himmlischer Kult, hg. v. M. Hengel u. A. M. Schwemer (WUNT ), Tübingen , S. –.] 1 J. J, Neutestamentliche Theologie I, Gütersloh , S. . Eine Gegenposition skizziert E. B, Erwägungen zur Eschatologie Jesu, StEv III, Berlin , S. ff. 2 J. W, Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes, Göttingen , . Aufl., ; . Aufl., , hg. v. F. H. – A. S, Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis. Eine Skizze des Lebens Jesu, Tübingen (= . Aufl., ); D., Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, Tübingen, . Aufl., (= . Aufl., ); R. B, Jesus, Tübingen . 3 C. H. D, The Parables of the Kingdom, London , rev. ed. . 4 So die Tendenz der beiden „klassischen“ Monographien von W. G. K, Verheißung und Erfüllung, Zürich, . Aufl., , und R. S, Gottes Herrschaft und Reich, Freiburg, . Aufl., . Ähnlich ausgerichtet ist jetzt G. R. B-M, Jesus and the Kingdom of God, Grand Rapids/Exeter . Vgl. E. G, Verheißung und Erfüllung. Werner Georg Kümmels Verständnis der Eschatologie Jesu, in: Glaube und Eschatologie (FS W. G. K), Tübingen , S. ff. 5 G. V, The Gospel of Jesus the Jew, Newcastle upon Tyne , S. .
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den Evangelien überlieferten Worte Jesu je für sich, nach allen Seiten und mit allen verfügbaren Methoden zu prüfen, wie weit sie seine originalen Gedanken wiedergeben oder von der urchristlichen Interpretation durchdrungen bzw. neu gebildet sind.“6 Dies kann in einem Aufsatz natürlich nur knapp und unter Berücksichtigung der hauptsächlichen Argumente geschehen. Zuvor aber soll wenigstens eine Linie der Forschungsgeschichte herausgegriffen werden, um daran die methodischen Fragen zu erörtern. Mit der Geschichte eines Problems wird man der Problematik am besten ansichtig7 .
I. Forschungsgeschichtliche Schlaglichter Vor knapp Jahren, im Jahr , hat der damals jährige Göttinger Extraordinarius Johannes Weiß in einer nur Seiten umfassenden Broschüre die „Predigt Jesu vom Reiche Gottes“ untersucht und damit der neutestamentlichen Wissenschaft eines ihrer bis heute oft und kontrovers diskutierten Hauptprobleme gestellt. Im Unterschied zur Theologie seiner Zeit, die das Reich Gottes als innerweltliches sittliches Ideal ansah, so daß die Verwirklichung der Herrschaft Gottes im sittlichen Handeln der Menschen erfolgte, kommt Weiß zu dem diametral entgegengesetzten Urteil, „daß das Reich Gottes nach der Auffassung Jesu eine schlechthin überweltliche Größe ist, die zu dieser Welt in ausschließendem Gegensatz steht“8 . Die Worte Mk ,; Mt ,; Lk ,. lassen die Meinung Jesu deutlich erkennen: „Das Reich (oder die Herrschaft) Gottes hat sich soweit genähert, daß es vor der Tür steht. Also da ist die Basileia noch nicht, aber ganz nahe.“9 Wenn Jesus in Mt , und Lk , von der Gegenwart des Reiches Gottes spricht, so tut er es, „weil durch das Wirken Jesu die Macht des Satan, der vor allem der Bringer der Übel ist, gebrochen wird, darum redet Jesus bereits von einem gegenwärtigen Reiche | Gottes: Aber dies sind Augenblicke erhabener prophetischer Begeisterung, wo ihn ein Siegesbewußtsein überkommt . . . “10 . Daher liegt die Tätigkeit Jesu auf derselben Ebene wie die Johannes des Täufers: Sie ist „gerade im Sinne Jesu . . . keine messianische, sondern eine vorbereitende“11 . Dieser Wertung entspricht, daß Jesus als Rabbi, Prophet und Lehrer anzusehen ist12 . Auch die ethische Verkündigung Jesu kann nur vom Hintergrund ihrer eschatologischen Grundlage her verstanden werden: Sie ist nicht Sittengesetz für die Kirche aller Zeiten, sondern ein Bußruf „zur intensivsten Bereitschaft für das Reich Gottes“13 . 6
A. Anm. a. O., S. . Die Forschungsgeschichte bis wird knapp nachgezeichnet von N. P, The Kingdom of God in the Teaching of Jesus, London (= . Aufl., ) und eingehender von G. L, The Kingdom of God in the Teaching of Jesus, Edinburgh/London ; den Fortgang der Forschung von – skizziert J. S, Le règne de Dieu dans les dits de Jésus, I, Paris , S. –. 8 J. W, a. Anm. a. O., . Aufl., S. (= . Aufl., S. ). 9 Ibid. S. (= S. ). 10 Ibid. S. (= S. ); vgl. S. (= S. ). 11 Ibid. S. (= S. ); S. (= S. ); S. (= S. ). 12 Ibid. 13 Ibid. S. (= S. ). 7
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Es ist im Rahmen dieses Aufsatzes nicht möglich, die teilweise heftigen Auseinandersetzungen um diese Thesen nachzuzeichnen. Aber es soll zuerst die Aufnahme und Modifikation des Weißschen Bildes bei drei gleichgesinnten Forschern dargetan werden. Sie gehörten, wie Johannes Weiß, zu dem Kreis junger Göttinger Dozenten, den man später als die Religionsgeschichtliche Schule bezeichnete14 . Ihr gemeinsames Anliegen war es, das Neue Testament im Rahmen der Sprech- und Denkweise seiner eigenen Zeit zu verstehen, d. h. besonders vor dem Hintergrund der jüdischen Apokalyptik. Hatte Johannes Weiß Jesus ganz und gar in die jüdische Apokalyptik eingereiht, so wollte Wilhelm Bousset noch im gleichen Jahr „Jesu Predigt in ihrem Gegensatz zum Judentum“ herausstellen. Sein methodisches Postulat, mit dem er die Arbeiten seiner Vorgänger kritisierte, lautet: „Die Arbeit, die hier begonnen ist, muß auf eine religionsgeschichtliche Vergleichung Jesu und des Judentums in großem Stil hinausgeführt werden, eine Vergleichung, in der ebensosehr auf die gemeinsamen Züge wie auf den Gegensatz zwischen Jesus und dem Judentum geachtet wird, in der die grundlegende Frage erst entschieden werden kann, ob man Jesus von vornherein mehr im Rahmen des Judentums oder mehr im Gegensatze zu ihm verstehen soll, ob man aufgrund der gemeinsamen Basis erst die originalen Züge verstehen oder von diesen den Ausgangspunkt nehmen und dann erst auf die wunderbaren Verknüpfungen achten soll, in denen das Neue mit dem Alten in der Gestalt Jesu verbunden erscheint. – Es ist nur zu begreiflich, daß man im Beginn der Arbeit im Gegensatz zu einer ganz ungeschichtlichen Betrachtungsweise erst einmal diejenigen Linien stärker gezogen, die vom Judentum zu Jesus hinüberführen, daß man in der Freude an der neuen Entdeckung diese für größer hielt, als sie | war.“15 Mit Hilfe des religionsgeschichtlichen Vergleiches soll nicht das Zeitgebundene der Person Jesu, sondern „das eigentlich ursprüngliche, urkräftige der Persönlichkeit“16 herausgestellt werden. Es geht darum, „die einzelne Erscheinung in ihrer Mannigfaltigkeit wie auch in ihrer Eigentümlichkeit und Ursprünglichkeit zu erfassen“17 . Schließlich warnt Bousset auch vor der „Gefahr mit zu kleinen Maßstäben an das Leben Jesu heranzugehen, so an der Erforschung desselben zu arbeiten, als hätte man Alltagsleben der Menschheit vor sich“18 . Da Bousset das für Jesus Charakteristische zu erfassen sucht, kann er sich nicht wie Johannes Weiß mit der allgemeinen Vorstellung von der jüdischen Apokalyptik begnügen; Bousset gibt vielmehr eine ausführliche, leider mit negativen Wertungen verbundene Schilderung des „Spätjudentums“, die den Hintergrund für die Predigt Jesu bildet19 . Ausgangspunkt der Verkündigung Jesu, in welchem uns das „ureigenste und wahrhaft schöpferische“ seiner Predigt entgegentritt, ist die „Verkün-
14 G. L, Die religionsgeschichtliche Schule, in: Theologie in Göttingen, hg. v. B. M, Göttingen , S. ff. Vgl. auch O. M, Art. Bibelwissenschaft II, TRE , S. ff. 15 W. B, Jesu Predigt in ihrem Gegensatz zum Judentum, Göttingen , S. f. 16 Ibid. S. . 17 Ibid. S. . 18 Ibid. 19 Ibid. S. ff.
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digung Gottes des himmlischen Vaters“20 , die im Gegensatz zum transzendenten abstrakten Gottesbegriff des Judentums steht. Vom Gott-Vater-Glauben Jesu her wird auch die negative Haltung zur Welt korrigiert, wie sie die Apokalyptik auszeichnet, und der Jünger Jesu „erstürmt das Himmelreich nicht“, „im Besitz der Gottesnähe überläßt er Gott die weitere Zukunft und meidet jene ewig fragende, forschende und rechnende, oder gar die Zukunft herbeizwingende Ungeduld, wie sie den Frommen des Spätjudentums eigen ist.“21 Natürlich gibt es auch Worte, die eine weltflüchtige, weltabgewandte Seite an Jesus erkennen lassen; aber es überwiegt doch der positive Bezug zur Welt. Auch mit seinen sittlichen Forderungen überwindet Jesus die negativ asketische Sittlichkeit der Apokalyptiker. Wenn Jesus auch formal wie der Täufer mit einem Bußruf aufgetreten ist, so unterscheidet er sich inhaltlich doch total vom Täufer: „Er predigte nicht Buße vom Ideal einer asketischen Heiligkeit aus, er rief zu einer neuen Gerechtigkeit.“22 Daß die Predigt Jesu von einer festlichen, freudigen Stimmung geprägt ist, „wurzelte in der Gewißheit, daß seine Gegenwart, die Zeit in der er auf Erden wandelt, schon in einer viel engeren, bestimmteren Beziehung zu der kommenden seligen Endzeit steht, als alle vorhergegangene Zeit. Seine Zeit ist messianische Zeit . . . Soviel ist jedenfalls gewiß, daß er damit seiner Zeit den Charakter einer bloßen Vorbereitungs- und Wartezeit auf das Ende hin genommen hat.“23 Mit den Apokalyptikern erwartete Jesus die „selige Zukunft des | künftigen Äon“ in allernächster Nähe. „Aber für Jesus war der ungeheure Abstand, die Spannung zwischen der Gegenwart und der herrlichen Zukunft verschwunden, er hörte schon das Rauschen einer neuen Zeit, er lebte in ihr.“24 Warum kann Jesus die apokalyptische Zukunftshoffnung in dieser Weise neu fassen? „Weil für Jesus diese Welt nicht mehr des Teufels sondern Gottes des himmlischen Vaters war, weil für ihn die Gegenwart und das Leben in ihr eine Wirklichkeit geworden, kein leerer Schein mehr, deshalb war ihm auch die Zukunft sicher und gewiß. Es ist keine Kluft zwischen Gegenwart und Zukunft, Ideal und Wirklichkeit sind miteinander vermählt.“25 Schließlich betont Bousset, daß Jesus „nicht nur seine Zeit, die Gegenwart als andersartig im Vergleich zu der ganzen vorhergegangenen Zeit erfaßte, sondern auch sich selbst für durchaus verschieden von all seinen Vorgängern erklärte.“26 Dieses so andersartige Gesamtbild der Verkündigung Jesu hat Bousset nicht deswegen erhalten, weil er sich in der Einzelexegese von Johannes Weiß unterschiede; es ist die Folge einer weitgehend andersartigen Anordnung desselben Materials. Stärker exegetisch argumentiert Bousset erst im letzten Teil der Schrift, in welchem er die Begriffe Gottesreich und Menschensohn untersucht. Auch hier geht Bousset von einem hochmodern klingenden Grundsatz aus, nämlich „daß die Begriffe, die Vorstellungen, die einmal geprägten Formen und Formeln langlebiger sind als die hinter ihnen 20 21 22 23 24 25 26
Ibid. S. . Ibid. S. . Ibid. S. . Ibid. S. f. Ibid. S. f. Ibid. S. f. Ibid. S. .
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Die Gottesherrschaft in der Verkündigung Jesu
und ihnen zugrundeliegende Welt der Stimmungen, der unausgesprochenen aber empfundenen und gefühlten. Kein schöpferischer Genius . . . kann ganz von vorne anfangen, kann aus seiner Haut heraus und sich eine völlig neue Sprache bilden, die ganz das ausdrückt, was er meint, im Inneren lebt und fühlt. Er wird immer mit überkommenen Worten und Vorstellungen arbeiten müssen . . . “27 Die Aufgabe besteht also darin, „hinter die zusammenfassenden Begriffe auf das was recht eigentlich das innerste Leben, der süßeste Kern ist“28 zu blicken. Mutatis mutandis hat Bousset damit das Prinzip des Primates der Synchronie vor der Diachronie ausgesprochen. Er führt zunächst Stellen an, in denen Jesus den bereits im Judentum begonnenen Prozeß der Vergeistigung der Zukunftshoffnungen vollendet hat (Mk ,; Mt ,f.; ,; ,; ,ff.; , u. ö.), erörtert sodann die Stellen, die von der Gegenwart des Gottesreiches reden (Mt ,; Lk ,f., Mt ,; ,; ,; Mk ,; die Gleichnisse in Mk ), Worte, die „den Charakter von Paradoxien, von scharfen in der Polemik zugespitzten Wendungen“ tragen, oder die „in Augenblicken höchster Begeisterung gesprochen“ sind29 . Daneben stehen rein eschatologische Aussagen | vom Gottesreich, und Jesus hat beide Aussagenkreise nicht miteinander ausgeglichen. In einem gehaltenen, aber erst veröffentlichten Vortrag geht William Wrede über Boussets Einwände hinweg zurück zur Linie von Johannes Weiß und radikalisiert dieselbe sogar. Seine methodische Prämisse lautet: „Jesus hat nie eine Belehrung darüber gegeben, was er unter dem Reich Gottes verstehe. Er hat nie seinen Jüngern gesagt, daß seine Anschauung vom Gottesreiche eine andere sei als die landläufige. Überall ist der Eindruck, daß er ein bekanntes Wort in demselben Sinne gebraucht, in dem man es allgemein verstand.“30 Gegenüber dem Einwand, „daß die eigenartigsten und größten Persönlichkeiten ihre Größe gerade darin zeigten, daß sie auch das Überkommene mit neuem Inhalte füllten, ererbte Begriffe unvermerkt umbildeten“31 , macht er geltend, „daß der Übergang von der eschatologischen – sagen wir zur spiritualistischen Idee des Reiches Gottes erheblich schwerer ist, als die meisten annehmen“32 . Hätte Jesus eine solche Verschiebung des Begriffes vorgenommen, dann hätte er das deutlich aussprechen müssen; aber auch der Sprachgebrauch der neutestamentlichen Briefe und der ältesten Gemeinde gibt keinen Hinweis auf eine solche Wandlung. Ausgehend von Mk ,; Lk ,; ,; ,; , muß Jesus als Verkündiger des nahen Gottesreiches angesehen werden. „Nicht das Reich, sondern die Nähe des Reiches ist Inhalt des Evangeliums.“33 Nun vermittelt Mt , freilich den deutlichen Eindruck, „daß hier von einem Gekommensein, also einer Gegenwart des Reiches die Rede ist“34 . Während aber Johannes Weiß hier ein Siegesbewußtsein, 27
Ibid. S. . Ibid. S. . 29 Ibid. 30 W. W, Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes, in: D., Vorträge und Studien, Tübingen , S. . 31 Ibid. S. . 32 Ibid. 33 Ibid. S. . 34 Ibid. S. . 28
Die Gottesherrschaft in der Verkündigung Jesu
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das einem Augenblick erhabener prophetischer Begeisterung entspringt, erkennen zu können glaubte, schraubt Wrede die Bedeutung dieses Spruches stark zurück: „Die Besiegung der Dämonen ist nichts anderes als ein Vorschein, eine Morgenröte, eine Vorauswirkung des künftigen, nahen Gottesreiches. Eben darum läßt sie sich aber auch als ein Vorzeichen und Vorbote seines Kommens ansehen. Die himmlischen Kräfte des Reiches werden schon spürbar: so sind sie ein Beweis seiner Nähe.“35 Auch die Predigttätigkeit Jesu und seiner Jünger „bringt nicht das Reich, sie bahnt nicht einmal direkt sein Kommen an, sie dient nicht ihm, sondern den Menschen, sie rüstet und bereitet die Menschen für das Reich, sie hat zunächst vorbereitenden Charakter; sie ruht ja ganz auf dem Gedanken, daß es noch Zeit ist, Buße zu tun, weil das Reich noch nicht da ist, wenn auch nicht mehr lange Zeit. Andererseits verheißt sie ja zugleich das | Reich, stellt sein Kommen für bald in Aussicht, ist damit aber auch nur wieder vorbereitend“36 . Die Heilungen Jesu sind Illustrationen und Beglaubigungen seiner Botschaft; im Weheruf über Chorazin und Bethsaida (Mt ,ff.) „erscheinen die Zeichen geradezu als Rufe zur Umkehr“. Wenn Jesus aber nur das Kommen des Reiches vorbereitet, dann kann er auch nicht der Messias sein. Diese Überzeugung wird Ausgangspunkt für das im Jahr erscheinende Hauptwerk Wredes37 . Sehr kurz fertigt Wrede dann eine Reihe von Sprüchen ab, die seiner rein eschatologischen Auffassung entgegenstehen (Mk ,; Mt ,.). Etwas ausführlicher wird Lk , besprochen. Die Übersetzung des letzten Kolons „Es ist mitten unter euch“ erscheint ihm unannehmbar, sinngemäß muß der Satzteil verstanden werden: Das Reich ist, „wenn es kommt, auf einmal mitten unter euch, plötzlich, überraschend, unverkennbar. Das Präsens und das »siehe« malt diese Überraschung“38 . Gegen die übliche Deutung der Parabeln vom Senfkorn und vom Sauerteig auf ein gegenwärtiges Gottesreich stellt Wrede letztlich nur die Alternative: „Entweder die klar und überall entweder notwendige oder mögliche eschatologische Gesamtauffassung und Stimmung oder diese eine Stelle in ihrer gewöhnlichen Deutung. Welche Waagschale ist leichter?“38a Für Wrede ist die Antwort eindeutig. Im Blick auf die inhaltliche Füllung des Begriffes Gottesreich hebt Wrede dann, wie seine Vorgänger, etwa das Fehlen der Schilderungen messianischer Herrlichkeit, den Verzicht auf politisch-nationales Gepräge der Reichshoffnung und einen mindestens tendenziellen Universalismus hervor. Die ethische Predigt Jesu kann Wrede bei seiner Gesamtauffassung dadurch in die Verkündigung von der Gottesherrschaft integrieren, daß er sie als Formulierung der Bedingungen für die Teilnahme am Reiche ansieht. Auch Johannes Weiß hat in der zweiten, wesentlich erweiterten Auflage seiner Schrift aus dem Jahre den Einwänden Boussets keine Rechnung getragen. Trotz
35 36 37 38 38a
Ibid. S. . Ibid. S. . W. W, Das Messiasgeheimnis in den Evangelien, , . Aufl., . Ibid. S. . Ibid. S. .
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mancher Modifikationen im einzelnen39 und trotz der Einsicht, die „vollendete Gottesgemeinschaft, auf welche die Verkündigung abzielt“, werde „nur sehr ungenügend durch die Vorstellung βασιλεία bezeichnet“40 , bleibt das Gesamtbild das gleiche. Ja sogar Wilhelm Bousset hat sich in seinem Forschungsbericht vom Jahr 41 und auch in einer allgemein verständlichen | Jesusdarstellung42 der Sicht von Johannes Weiß angeschlossen. Die Naherwartung des kommenden, wunderbaren Gottesreiches ist das Zentrum seiner Verkündigung; die früher als charakteristisch jesuanisch erscheinenden Worte von der gegenwärtigen Gottesherrschaft werden jetzt mit Johannes Weiß psychologisierend erklärt als Worte, die in höchster Begeisterung gesprochen worden seien. Die einzige Veränderung, die Jesus an den Zukunftshoffnungen seines Volkes vorgenommen habe, sei die Durchbrechung der nationalen Schranken. Recht anders sieht das Bild in der Jesusdarstellung Wilhelm Heitmüllers aus43 . Er kann in der Verkündigung vom nahen Gottesreich nur mehr den „Ausgangspunkt“ der Verkündigung Jesu sehen, „aber nicht den charakteristischen und alles beherrschenden Mittelpunkt“44 . Im Hintergrund dieser Akzentverschiebung stehen die Forschungen von William Wrede und Julius Wellhausen, die den Einfluß des urgemeindlichen Glaubens auf die Jesusüberlieferung aufgewiesen hatten. „Die sehnliche Hoffnung auf das Reich stand, wie der Glaube an Jesu Messiastum, im Mittelpunkt der Frömmigkeit der Urgemeinde. So müssen wir unter allen Umständen befürchten, daß das Hoffen der Gemeinde hier besonders stark auf die Tradition eingewirkt hat.“45 Damit trägt Heitmüller seiner grundsätzlichen methodologischen Forderung Rechnung, die Grundlage des Jesusbildes sei „das Material, das etwa dem Glauben, der Theologie, der Sitte, dem Kultus der Urgemeinde zuwiderläuft oder wenigstens nicht völlig entspricht. Zu ihm dürfen wir unbedingtes Zutrauen haben. Das dürfen wir ausdehnen auf alles, was mit solchen Stoffen in organischer Verbindung steht“46 . So muß der methodische Zweifel „besonders rege gegenüber allen Dingen sein, die der ältesten Christenheit besonders am Herzen lagen; dahin gehören der Glaube an Jesu Messianität, sein demnächstiges Kommen, das ganze Gebiet der sog. Eschatologie (Reich Gottes), Leiden und Auferstehung, die Wunderkraft Jesu; wo das Herz und die Theologie oder die Apologetik der alten Christenheit be-
39 Hinweise darauf gibt F. H im Vorwort zu der Anm. angeführten . Aufl., S. IX. Zur Kritik an W siehe R. S, Das Reich Gottes bei A. Ritschl und Joh. Weiß, ZThK , , S. – ; die Antikritik von F. R ist wenig überzeugend: J W: „Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes“, ZKG , , S. ff. 40 ./. Aufl., S. . 41 W. B, Das Reich Gottes in der Predigt Jesu, ThR , , S. ff., ff. (siehe S. Anm. ). 42 W. B, Jesus, Tübingen, . Aufl., . 43 W. H, Jesus, Tübingen (ursprünglich in RGG, . Aufl., Band III, erschienen). 44 Ibid. S. f. 45 Ibid. S. . 46 Ibid. S. .
Die Gottesherrschaft in der Verkündigung Jesu
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sonders Anteil nahmen, da müssen wir Einfluß auf die Geschichtsüberlieferung oder -bildung befürchten“47 . Was kann Heitmüller bei Anlegung dieses kritischen Maßstabes über Jesu Verkündigung von der Gottesherrschaft sagen? Zunächst knüpft Jesus an die seinen Hörern geläufigen Vorstellungen an. „Auch für ihn ist im allgemeinen und von Haus aus das »Reich« die Herrschaft Gottes in der Endzeit und der | dadurch herbeigeführte Zustand, die Herrschaft Gottes, die allein durch sein Tun und Walten verwirklicht wird, nicht etwa eine innerweltliche, durch menschliches Tun sich verwirklichende Gemeinschaft.“48 Die Berufung auf Texte wie Mk ,ff.ff.ff.; Mt ,ff..ff.ff.; Lk ,f. zum Erweis der These, Jesus habe das Reich als ein gegenwärtig vorhandenes angesehen, lehnt Heitmüller ab. „Trotzdem wird man vorsichtigerweise nicht sagen dürfen, daß das Reich von Jesus nur als zukünftiges gedacht worden sei. An einigen wenigen Stellen der zuverlässigen Überlieferung taucht, allerdings mehr blitzartig, die Vorstellung auf, daß es schon in der Gegenwart sich zu verwirklichen anfange.“49 Als solche zuverlässigen Überlieferungen sieht Heitmüller Mt , par. Lk ,; Mt , par. Lk , und, „wenn es ein echtes Wort ist, Mt , par Lk ,“50 an. „Das Gewicht dieser vereinzelten Stimmen wird dann noch erheblich durch die Tatsache verstärkt, daß Jesus jedenfalls gegen Ende seiner Wirksamkeit . . . die messianische Würde wenigstens nicht abgelehnt hat: Messias aber und Gottesreich sind zueinander gehörende Größen.“51 Damit ergibt sich die Folgerung: „Jesus beginnt . . . das überkommene Erbe umzugestalten und zu vermehren.“52 Bis zu einem gewissen Grad versucht auch Heitmüller noch, dieses Phänomen psychologisch zu erklären. „Er erlebte das Unterliegen der feindlichen Mächte, der Dämonen, er erlebte an sich und in sich das, was das Reich bringen sollte, er lebte, als sei das Reich Gottes bereits verwirklicht, er sah verheißungsvolle Ansätze dazu auch im Kreise der Seinen, er begann sich als den Messias zu betrachten: Da mußte sich ihm die ererbte Anschauung von der Zukunft des Reiches, vielleicht zum eigenen Staunen, zum Glauben an die bereits sich vollziehende Gegenwart verschieben, wenn auch natürlich zunächst nur keimartig.“53 So zeigen bereits diese hervorragenden Vertreter der Religionsgeschichtlichen Schule ein breites Spektrum an Einsichten und Ergebnissen auf. Die wesentlichen Fragehinsichten lassen sich hieraus deutlich erheben: Erstens wird es darum gehen, den religionsgeschichtlichen Befund zu verdeutlichen und zu präzisieren; Heitmüllers Feststellung, die den jüdischen Hörern Jesu geläufige Vorstellung sei „nicht schlechthin einheitlich“ gewesen, hat sich im Laufe der Zeit deutlich bestätigt. Zweitens wird die Frage nach der Bestimmung zuverlässiger Jesustradition zu vertiefen sein. Drittens wird, wenn es authentische Worte von 47 48 49 50 51 52 53
Ibid. S. f. Ibid. S. . Ibid. Ibid. S. . Ibid. Ibid. Ibid. S. f.
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Die Gottesherrschaft in der Verkündigung Jesu
der künftigen und der gegenwärtigen Gottesherrschaft gibt, deren Verhältnis zu bestimmen sein. Viertens sind die Aussagen | über die Herrschaft Gottes im Blick auf den Geltungsanspruch Jesu zu bedenken. Die bei Heitmüller erkennbare Verknüpfung des Erbes der Religionsgeschichtlichen Schule mit der radikalen Evangelienkritik Wellhausens und Wredes hat Rudolf Bultmann umfassend und konsequent durchgeführt. Mit der Religionsgeschichtlichen Schule geht Bultmann davon aus, daß die Verkündigung Jesu „eschatologische Botschaft“ ist, „d. h. die Botschaft, daß nunmehr die Erfüllung der Verheißung vor der Tür stehe, daß nunmehr die Gottesherrschaft hereinbreche“54 . Von dieser Überzeugung aus kann er „das hochgespannte eschatologische Bewußtsein“55 , das aus einem Wort erkennbar ist, geradezu als Echtheitskennzeichen ansehen; „den höchsten Grad der Echtheit“ kann ein Jesuswort wie Mt , beanspruchen, da es erfüllt ist „von dem eschatologischen Kraftgefühl, das das Auftreten Jesu getragen haben muß“56 . Gleichzeitig aber legt er – über Heitmüller weit hinausgehend – noch schärfere Kriterien zur Herausschälung authentischer Jesusüberlieferung an. Aufgrund kritischer Analyse der Evangelienüberlieferung fordert er die Erweiterung des Authentiekriteriums: Jesus muß nicht nur von der späteren Gemeinde, sondern auch von der jüdischen Moral und Frömmigkeit abgehoben werden. So stellt er für die „Weisheitsworte“, für die es eine Vielzahl von Parallelen in der alttestamentlich-jüdischen Literatur gibt, fest: „Es ist gut möglich, daß Jesus tatsächlich das eine oder andere Sprichwort in genau der Form sagte, in der die Synoptiker es wiedergeben. Es ist auch möglich, daß er bestimmte volkstümliche Sprichwörter zitiert hat. Aber wir müssen auch mit der Möglichkeit rechnen, daß die Gemeinde ihm manches schöne Wort in den Mund gelegt hat, das vielmehr aus dem Schatz jüdischer Spruchweisheit stammt. Jedenfalls haben wir in diesem Fall keine Gewähr, daß es sich um ursprüngliche Jesusworte handelt. Sie geben sehr wenig Auskunft über die charakteristische geschichtliche Bedeutung Jesu, da wir kaum wesentliche Unterschiede zwischen ihnen und jüdischer Spruchweisheit entdecken können.“57 Anders sind die Gesetzesworte Jesu zu beurteilen: „Diese Worte sind zumeist Kampfesworte, die dem Gegensatz zur herrschenden Form jüdischer Frömmigkeit entstammen. Daher können sie nicht aus dem Judentum übernommen sein, noch können sie Gemeindebildungen sein, jedenfalls nicht in ihren wesentlichen Zügen, denn die Tatsache, daß die palästinische Gemeinde die kritische Bedeutung dieser Worte nicht verstand und keinen praktischen | Gebrauch von ihnen machte (wie sich an ihrem Verhalten Paulus gegenüber zeigt), macht es ziemlich sicher, daß hier der Geist Jesu lebendig ist.“58 Echtes Jesusgut möchte Bultmann auch unter den prophetischen Jesusworten finden,
54 R. B, Jesus, Tübingen , S. ; vgl. D., Theologie des Neuen Testaments, . Aufl. durchgesehen und ergänzt von O. M, Tübingen , S. . 55 R. B, Die Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen, . Aufl., , S. . 56 Ibid. S. . 57 R. B, Ein neuer Zugang zum synoptischen Problem (), in: Zur Formgeschichte des Evangeliums, hg. v. F. H, Darmstadt , S. ff., Zitat S. f. 58 Ibid. S. .
Die Gottesherrschaft in der Verkündigung Jesu
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„in denen Jesus das Hereinbrechen der Gottesherrschaft verkündigt“59 . Begründung: „. . . ohne Zweifel trat Jesus als Prophet auf, der die kommende Gottesherrschaft ankündigte. Dies wird deutlich in der Gestalt der frühen Gemeinde, denn sie lebte in der Überzeugung, der heilige Rest Israels zu sein, die Gemeinde der letzten Tage, von Gott berufen durch Jesus.“60 Andererseits können prophetische Worte auch auf urchristliche Propheten zurückgehen, „aber das sind vor allem apokalyptische Worte, ganz im Stil der jüdischen Apokalyptik, die Einzelheiten über die Zukunft schildern, vor allem Ereignisse, die mit den »letzten Tagen« zusammenhängen. Solche apokalyptischen Worte wurden einfach als Ganze aus der jüdischen apokalyptischen Überlieferung übernommen und so überarbeitet, daß sie zu christlichen Vorstellungen paßten“61 . Im Anschluß an die Analyse der Gleichnisüberlieferung formuliert Bultmann kurz und bündig: „Wo der Gegensatz zur jüdischen Moral und Frömmigkeit und die spezifisch eschatologische Stimmung, die das Charakteristikum der Verkündigung Jesu bilden, zum Ausdruck kommt, und wo sich andererseits keine spezifisch christlichen Züge finden, darf man am ehesten urteilen, ein echtes Gleichnis Jesu zu besitzen.“62 Man wird fragen müssen, ob es nicht inkonsequent war, daß Bultmann zwar ausdrücklich das für Jesus Charakteristische erheben wollte, aber gleichzeitig die der jüdischen Umwelt und dem Urchristentum nicht fremde „eschatologische Stimmung“ für Jesus in Anspruch nahm. Dieses Interesse an der Zukünftigkeit der Gottesherrschaft war theologisch motiviert; denn Bultmann sah dahinter die unmythologische „Grundanschauung“ Jesu „vom Menschen als in die Entscheidung gestellt durch Gottes zukünftiges Handeln.“63 Deswegen erklärte der Theologe Bultmann für unwesentlich, was der Exeget Bultmann durchaus erkannte, „daß Jesus nicht, wie andere jüdische Fromme, gespannt und in banger Sehnsucht in die ungewisse Zukunft schaut, sondern überzeugt ist, daß eben jetzt die Wende der Zeiten da ist und die Kräfte der hereinbrechenden Gottesherrschaft schon spürbar sind“64 . Da Bultmann der historischen Jesusfrage aber keinen Rang zuerkannte, blieben seine weiterführenden methodischen Ansätze zunächst unwirksam und | die sachliche Inkonsequenz, daß Naherwartung bei Jesus vorausgesetzt statt aufgewiesen wurde, blieb unhinterfragt. Als aber Ernst Käsemann die historische Jesusfrage wieder zum Thema der Theologie machte, legte er die Bultmannsche Methodologie in charakteristisch zugespitzter Weise zugrunde: „Einigermaßen sicheren Boden haben wir nur in einem einzigen Fall unter den Füßen, wenn nämlich Tradition aus irgendwelchen Gründen weder aus dem Judentum abgeleitet noch der Urchristenheit zugeschrieben
59
Ibid. Ibid. S. . 61 Ibid. S. . 62 A. Anm. a. O., S. . 63 A. Anm. a. O., S. ; das Stichwort „Entscheidung“ auch S. ; ; ; ; ; ; ; ; ff. Vgl. auch Theologie des NT, S. f. 64 Ibid. S. ; vgl. Theologie des NT, S. . 60
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werden kann, speziell dann, wenn die Judenchristenheit ihr überkommenes Gut als zu kühn gemildert oder umgebogen hat.“65 Durch den Verzicht auf inhaltliche Vorgaben hat Käsemann den Bultmannschen Ansatz in ein reines Formalprinzip umgewandelt. Damit aber treten die „ableitbaren“ Naherwartungsaussagen in den Hintergrund, während die von Weiß, Heitmüller und Bultmann für unwesentlich erklärten Worte von der Gegenwart der Gottesherrschaft als das charakteristisch Jesuanische hervortreten und ein anderes Gesamtbild Jesu fordern. Mag Jesus auch wie ein Rabbi oder Prophet aufgetreten sein, so überschreitet sein Anspruch doch den jedes Rabbi oder Propheten, so daß Käsemann allein die Kategorie des Messias für angemessen hält66 . Die Doddsche Konzeption der „realized eschatology“ erscheint zwar als nicht zutreffend, aber es geht in der Predigt Jesu doch um „die sich von jetzt ab verwirklichende Herrschaft Gottes“67 . In einem späteren Aufsatz faßte Käsemann dies in die These „daß Jesus zwar von der apokalyptisch bestimmten Täuferbotschaft ausging, seine eigene Predigt aber nicht konstitutiv durch die Apokalyptik geprägt war, sondern die Unmittelbarkeit des nahen Gottes verkündigte“68 . Noch später präzisiert Käsemann die Eigenart Jesu gegenüber dem Täufer so: „Jesus hat es als seine Aufgabe und als die ihm geschenkte Gnade angesehen, den gnädigen Gott als gegenwärtig und in die Welt einbrechend zu bezeugen. Er hat es so getan, daß er wie die Propheten des Alten Testaments die eigene Botschaft und das persönliche Auftreten als Beginn des göttlichen Handelns verstand, wie nach Mt , die Verkündigung der nahen Basileia die Nähe dieser Basileia selbst ist. So geht er in seine Botschaft gleichsam als leibgewordene Verheißung ein und kann nicht mehr wie der Täufer unter der Kategorie des Vorläufers gefaßt werden, sondern . . . nur unter der des Mittlers, der die eschatologische Zeit bringt, indem er sie ansagt.“69 | Mit dieser leider nur umrißhaft skizzierten Sicht70 hat der Enkelschüler von Joh. Weiß und Wilh. Heitmüller im Grunde die Position des frühen Bousset erneuert.
65 E. K, Das Problem des historischen Jesus (), in: D., Exegetische Versuche und Besinnungen I, Göttingen, . Aufl., , S. . 66 Ibid. S. . 67 Ibid. S. . 68 E. K, Die Anfänge christlicher Theologie (), in: D., Exegetische Versuche und Besinnungen II, Göttingen, . Aufl., , S. . 69 E. K, Zum Thema der urchristlichen Apokalyptik (), in: D., Exegetische Versuche . . . II (siehe vorige Anm.), S. . 70 Auch K jüngster Aufsatz: Die endzeitliche Königsherrschaft Gottes, in: D., Kirchliche Konflikte I, Göttingen , S. –, setzt die exegetischen Ergebnisse mehr voraus, als daß er sie erörterte.
Die Gottesherrschaft in der Verkündigung Jesu
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Die Impulse Käsemanns sind zwar vereinzelt aufgenommen worden71 , aber das Bild vom Apokalyptiker Jesus blieb vorherrschend72 . Selbst ein Forscher wie Hans Conzelmann, der dem Käsemannschen Unableitbarkeitsprinzip grundsätzlich zustimmte, versuchte die Zusammenfügung von Gegenwarts- und Zukunftsaussagen mit Hilfe der „Faustregel“: „Das Reich steht bevor – die Zeichen sind da.“73 Freilich mußte er „die präsentischen oder die präsentisch aussehenden Aussagen“ abschwächen oder ihren Sinn als unsicher erklären. Inzwischen mehren sich die Stimmen, die das Apokalyptische in den Hintergrund treten lassen oder ganz aus der Verkündigung Jesu streichen74 . Deren Argumentation wird in den folgenden exegetischen Erörterungen zu diskutieren sein. Zuvor soll aber noch das methodische Problem geklärt werden. Das von E. | Käsemann formulierte Unableitbarkeitsprinzip, das auch unter den Bezeichnungen Unähnlichkeitskriterium, Differenzprinzip oder Differenzkriterium zitiert wird, hat inzwischen weithin Anerkennung gefunden; man wird es als den wichtigsten Ertrag der bisherigen methodologischen Diskussion ansehen dürfen75 . Das logisch Zwingende dieses Prinzips hat eindringlich Walter Simonis herausgestellt. „Die einzige inhaltliche Voraussetzung, die das ansonsten zunächst rein formale Differenzprinzip enthält, 71
So bei N. P, Rediscovering the Teaching of Jesus, London , im folgenden zitiert nach der deutschen Übersetzung: Was lehrte Jesus wirklich?, Göttingen (vgl. E. G, Norman Perrin’s Contribution to the Question of the Historical Jesu, JR , , S. ff.); P. V, Gottesreich und Menschensohn in der Verkündigung Jesu (), in: D., Aufsätze zum Neuen Testament, München , S. ff., bes. ff. 72 Vgl. A. S, Die apokalyptische Sendung Jesu, Göttingen ; W. S, Jesus und die Weltlichkeit des Reiches Gottes (), in: D., Jesus Christus in der Verkündigung der Kirche, Neukirchen-Vluyn , S. ff.; D., Jesus und die Apokalyptik, in: Jesus Christus in Historie und Theologie (FS H. C), , S. ff.; S. S, Der historische Jesus, ebd., S. ff.; H. B, Jesus. Der Mann aus Nazareth und seine Zeit, Stuttgart , S. ff.; mit leichter Einschränkung, daß Jesus „nicht einfach Apokalyptiker war“: E. G, Die Naherwartung Jesu, Stuttgart , Zitat S. ; G. L, Zur Möglichkeit christlicher Naherwartung, in: G. G/G. L, Naherwartung, Auferstehung, Unsterblichkeit, Freiburg, . Aufl., , S. ff. 73 H. C, Grundriß der Theologie des Neuen Testaments, München , S. . 74 J. B, Das Heil Gottes, Göttingen ; D., Johannes der Täufer und Jesus von Nazareth, Neukirchen-Vluyn ; H.-W. K, Enderwartung und gegenwärtiges Heil, Göttingen ; N. P (siehe Anm. ); L. G, Theologie des Neuen Testaments, I, Göttingen ; N. W, Zur theologischen Relevanz apokalyptischer Aussagen, in: Theologische Versuche VI, , S. ff.; H. M, Die Gottesherrschaft als Handlungsprinzip, Würzburg ; D., Jesu Botschaft von der Gottesherrschaft, Stuttgart ; J. S (siehe Anm. ); W. V, Die „Naherwartung“ Jesu. Theol. Versuche (), S. ff.; P. H, Zukunftserwartung und Schöpfungsglaube in der Basileia-Verkündigung Jesu, in: rhs , , S. ff.; M. J. B, A Temperate Case for a NonEschatological Jesus, in: Forum , , S. ff.; D., An Orthodoxy reconsidered: The »End-of-theWorld Jesus«, in: The Glory of Christ in the New Testament. Studies in Christology in Memory of G. B. C, Oxford , S. ff.; B. L. M, The Kingdom Sayings in Mark, Forum , , S. ff. 75 In Auswahl seien genannt: H. C, Art. Jesus Christus, RGG III, Sp. ; E. L, Die Frage nach dem historischen Jesus in der gegenwärtigen Forschung, ThLZ , , Sp. ; C. B, Art. Jesus, in: Der kleine Pauly II, , Sp. ; R. H. F, A Critical Introduction to the New Testament, London , S. ff.; D., The Criterion of Dissimilarity: The Wrong Tool?, in: Christological Perspectives, hg. v. R. B u. S. A. E, New York , S. ff.; D. L, Die Frage nach Kriterien für ursprüngliche Jesusworte – eine Problemskizze, in: Jésus aux origines de la christologie, hg. v. J. D, Leuven , S. ff.; J. G, Das historische
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ist diese: Zwei verschiedene, nicht harmonisierbare Konzeptionen können nicht auf einen einzigen Urheber zurückgehen; wenn ich die Konzeption der Gemeindetheologie und die des allgemeinjüdischen Denkens kenne – beide sind natürlich sehr komplexe Größen – und nun auf eine Reihe von Aussagen stoße, die eine andere, dritte Konzeption vertreten, dann muß ich annehmen, daß diese auf einen anderen Urheber zurückgeht. Oder aber ich mache das Denken der Gemeinde bzw. das zeitgenössische jüdische Denken bzw. das Denken Jesu zu einer ungeschichtlichen Größe, die auf letztlich nicht mehr einsichtige Weise Unvereinbares doch harmonisch und bruchlos vereinbart haben soll. In Wirklichkeit unterstelle ich aber so bereits der Urgemeinde oder dem allgemeinjüdischen Denken oder schließlich Jesus selbst ein erst in viel späterer Zeit erreichtes theologischsystematisches Denken, in dem verschiedene Konzeptionen zu einem Ganzen harmonisiert bzw. die Gegensätze wenigstens verbal-begrifflich ausgeglichen worden sind.“76 Obwohl die Logik für das Unableitbarkeitskriterium spricht, ist es aus unter-| schiedlichen Gründen immer noch umstritten. Der Einwand, das Differenzprinzip sei für historische Erkenntnis grundsätzlich ungeeignet, steht hinter der Formulierung: „Man überlege einmal hypothetisch, was von einem Luther übrig bliebe, wenn man ihm alle Motive abspräche, die auch mittelalterlich oder altprotestantisch zu belegen sind!“77 Auf den ersten Blick wirkt dieser Einwand stark, aber er geht am Entscheidenden vorbei. Nicht die zweifellos bei Luther vorhandenen Elemente mittelalterlichen Denkens geben uns Auskunft über die charakteristische geschichtliche Bedeutung des Reformators, sondern die Elemente, die ihn von seiner mittelalterlichen Umwelt unterscheiden! Und selbstverständlich enthalten auch die altprotestantischen Dogmatiken viele Elemente aus Luthers Theologie, aber eingebaut in ganz andere systematische Konzeptionen, in denen sie andere Funktion und Tragund theologische Problem der Rückfrage nach Jesus, in: Wer ist doch dieser? Die Frage nach Jesus heute, hg. v. D., München , S. f.; D., Die Evangelien und der historische Jesus, in: Schriftauslegung dient dem Glauben, hg. v. P. K, Frankfurt/M. , S. ff.; F. H, Methodologische Überlegungen zur Rückfrage nach Jesus, in: Rückfrage nach Jesus, hg. v. K. K, Freiburg/Basel/Wien , S. ff., bes. f.; F. L-D, Kriterien für die historische Beurteilung der Jesusüberlieferung in den Evangelien, ibid. S. ff., bes. ff. – F. M und Mitarbeiter, Methodologie der Frage nach dem historischen Jesus, ibid. S. ff., bes. ff. – L. G, a. a. O., S. f. – D. M, The Dissimilarity Test, ScJT , , S. ff.; H. F, Jesus von Nazareth, Anspruch und Deutungen, Mainz , S. ; H. S, Kritische Jesuserkenntnis, BiLi , , S. ff.; E. B, Criteria of Authenticity, The Lucan Beatitudes as a Test Case, Forum , , S. ff. 76 W. S, Jesus von Nazareth. Seine Botschaft vom Reich Gottes und der Glaube der Urgemeinde, Düsseldorf , S. . Infolge seiner rigorosen Beschränkung auf den kritischen Minimalbestand, den das rigoros gehandhabte Differenzprinzip ergibt, bleibt das Gesamtbild dieser in manchem anregenden Arbeit unbefriedigend. 77 K. K, Ratlos vor der Apokalyptik, Gütersloh , S. , Anm. . – Auch C. L. M, Jesus. The Fact behind the Faith, Grand Rapids , S. , weist auf das Beispiel Luthers hin, allerdings nicht, um das Unähnlichkeitskriterium abzulehnen, sondern um seine Ergänzungsbedürftigkeit herauszustellen: „This stringent test provides a solid nucleus of historic material, but a nucleus to which must be added elements that he took over from the best in the traditions of his people and elements that the continuing life of the Church adopted because they had his authority.“ Die Auswahl der Überlieferungsstücke, die den Kernbestand ergänzen, soll mit dem „test of consistency“ erfolgen. Das entspricht unserer Position.
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weite haben als bei Luther selbst. Welch blasses Bild käme heraus, wenn man die Theologie Luthers etwa aus dem Konkordienbuch rekonstruieren wollte? Unsachlich ist der Versuch, das Unableitbarkeitskriterium dadurch zu diskriminieren, daß ihm „ein christologisches Konzept, das Jesu Menschsein immer noch nicht völlig ernst nimmt“78 , unterstellt wird. Ist nicht vielmehr mit R. H. Fuller zu fordern, es müsse wie bei jedem anderen Menschen, der den Lauf der Geschichte verändert hat, so auch bei Jesus nach dem für ihn Charakteristischen gefragt werden79 . Die Unterstellung schließlich, in diesem Kriterium stecke eine antijudaistische Tendenz80 , müßte letztlich zur Diskreditierung jeglicher historischer Fragestellung führen. Sie wäre nur dann bedenkenswert, wenn man eine tendenziöse Anwendung des logisch zwingenden Kriteriums aufweisen könnte. Sogar der jüdische Jesusforscher Josef Klausner hat „etwas“ in Jesus gefunden, aus dem sich „Unjudentum“ entwickelte, und der des | Antijudaismus gewiß unverdächtige Neutestamentler Franz Mußner hat dieses Stichwort aufgenommen81 . Den wichtigsten Einwand, den man gegen das Unableitbarkeitskriterium erheben kann, und der auch wiederholt dagegen erhoben worden ist, hat schon Ernst Käsemann genannt, daß man nämlich „von hier aus keine Klarheit über das erhält, was Jesus mit seiner palästinischen Umwelt und seiner späteren Gemeinde verbunden hat“82 . Ein wirklich historisches Gesamtbild der Verkündigung Jesu wird man daher nur dann gewinnen können, wenn man im Sinne Heitmüllers alles, was mit dem kritisch eruierten Minimalbestand „in organischer Verbindung“ steht, als jesuanisch an-
78
J. G, Das Matthäusevangelium, . Teil, Freiburg , S. . R. H. F, The Criterion of Dissimilarity (siehe Anm. ), S. . 80 J. G, a. Anm. a. O. Dieses Urteil überrascht, da G das Unableitbarkeitskriterium früher zu „den brauchbarsten und erfolgversprechendsten“ gerechnet hatte: „Es mag übertrieben kritisch erscheinen, ist aber doch ein bewährtes scharfes Seziermesser, mit dessen Hilfe man die Anfänge erreicht“ (Die Evangelien und der historische Jesus [siehe Anm. ] S. ; ähnlich auch in: Das historische und theologische Problem der Rückfrage . . . [siehe Anm. ]). Behutsamer hatte F. M schon darauf hingewiesen, daß die totale Isolierung Jesu vom AT und vom Judentum „auch Ausdruck der Wirksamkeit eines bewußt-unbewußten christlichen Antisemitismus sein kann“ (a. Anm. a. O., S. ), ohne damit aber den sachgemäßen Gebrauch des „kritischen Aussonderungsprinzips“ zu verwerfen. 81 F. M, Das „Unjudentum“ in Jesus und die Entstehung der Christologie, in: D., Die Kraft der Wurzel, Judentum – Jesus – Kirche, Freiburg i. Br. , S. ff. 82 E. K, a. Anm. a. O., S. . 79
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sieht83 . Formale Kriterien | können dabei wertvolle Indizien liefern84 ; die literarkritische, formgeschichtliche und redaktionstheologische Analyse muß selbstverständlich stets mit dem Sachkriterium verbunden werden. Diese umfassende Untersuchungsweise85 dürfte über die zunächst durch die Formgeschichte scheinbar erzwungene Skepsis, man könne nicht über die nachösterliche Gemeinde zurückfragen, hinausführen. Dem dienen auch die grundsätzlichen Überlegungen Heinz Schürmanns, der gezeigt hat, daß als erste greifbare soziologische Größe nicht die nachösterliche Gemeinde, sondern schon der vorösterliche Jüngerkreis anzusehen ist86 . Jegliche apriorische Garantie für die Zuverlässigkeit der Überlieferung muß freilich abgelehnt werden87 . Alles liegt an der Analyse der Einzeltraditionen. 83 Diese Forderung wird heute als Prinzip der Kohärenz (N. P, Was lehrte Jesus wirklich?, siehe Anm. , S. ff.; F. H, a. Anm. a. O., S. ) oder das Prinzip der Gegenkontrolle (F. M, a. Anm. a. O., S. ff.) aufgenommen. Wichtig ist jedoch, daß der kritisch gesicherte Minimalbestand den Ausgangspunkt bildet. – W. G. K, Jesu Antwort an Johannes den Täufer (), in: D., Heilsgeschehen und Geschichte II, Marburg , S. ff., schlägt dagegen bei scharfer Ablehnung des Unableitbarkeitskriteriums vor, bei jedem Überlieferungsstück „zunächst durch den Vergleich paralleler Überlieferungen die älteste uns erreichbare Überlieferung herauszufinden und dann an sie die Frage zu stellen, ob zwingende Gründe die Annahme unmöglich machen, daß es sich um einen Bestandteil der ältesten und damit vermutlich auf die vorösterliche Überlieferung zurückgehenden Jesustradition handelt?“ (S. ). Welches aber sind „zwingende Gründe“, die die Annahme der Echtheit „unmöglich machen“? Da bleibt dem Ermessen oder auch der kritisch/frommen Willkür ein zu großer Spielraum! Für „Ableitbarkeit“ gibt es immerhin nachprüfbare Gründe. K Einwand, daß wir „weder das Judentum zur Zeit Jesu noch das Urchristentum so gut kennen, daß wir mit Sicherheit sagen könnten, daß diese oder jene Vorstellung oder Formulierung dort nicht begegnet oder nicht begegnen kann“ (S. ), trifft nur teilweise; denn bessere Kenntnis könnte den Umfang des unableitbaren Gutes höchstens weiter verkleinern. Immerhin räumt K ein, das Unableitbarkeitskriterium sei „dort sachgemäß, wo sich innerhalb der Jesusüberlieferung eine vom Judentum abweichende und eine damit konforme Aussage oder Verhaltensweise Jesu nebeneinander finden oder entsprechend Übereinstimmungen mit späteren christlichen Gedanken oder Abweichungen davon; in diesen Fällen besteht große Wahrscheinlichkeit, daß nur die vom Judentum bzw. von der frühen Kirche abweichende Überlieferung ursprünglich ist“ (S. , Anm. ). – Methodologisch ganz fragwürdig ist das Buch von E. P. S, Jesus and Judaism, London : Während S Jesus so scharf wie möglich von der späteren Kirche trennt, sucht er ihn ganz ins Judentum zu integrieren. R. H. F, Int , , erhebt zu Recht den Vorwurf gegen S „that he has not thought through his criteria of authenticity. On the one hand, he insists that Jesus must »fit into his milieu«, thus abandoning the criterion of dissimilarity as it applies to the relation between Jesus an Judaism . . . On the other hand, he readily applies the criterion of dissimilarity when it is a question of Jesus and the post-Easter church . . . “ (S. f.). In S’ neuem Aufsatz: Jesus and the Kingdom: The Restauration of Israel and the new People of God, in: Jesus, the Gospels, and the Church (FS W. R. F), , S. ff., findet man keine neuen exegetischen Argumente, sondern sehr unerfreuliche Polemik gegen den hochverdienten J J. 84 Dazu J. J, a. Anm. a. O., S. ff. 85 Neben dem Anm. genannten Aufsatz von H. S sind die methodenkritischen Arbeiten von M. L, Synoptische Quellenanalyse und die Frage nach dem historischen Jesus, Berlin , und P. S, Thesen zur Methodologie gegenwärtiger Exegese, ZNW , , S. ff., zu bedenken. Die „neuen Wege und Methoden“, über die F. M in Theolog. Berichte , , S. –, referiert, bieten meist allgemeine Postulate. 86 H. S, Die vorösterlichen Anfänge der Logientradition (), in: D., Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zu den synoptischen Evangelien, Düsseldorf , S. ff. 87 „Es stimmt nicht, daß Jesus selber seine Jünger seine Worte und die Berichte von seinen Taten hat auswendig lernen lassen, wie eine Gruppe skandinavischer Forscher nachweisen möchte: es trifft auch
Die Gottesherrschaft in der Verkündigung Jesu
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II. Die Worte von der nahen Gottesherrschaft Johannes Weiß und William Wrede nahmen ihren Ausgangspunkt bei Mk ,: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen; kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ Dieser Heroldsruf ist Teil des Summariums Mk ,f., steht also formgeschichtlich im Verdacht, eine „ganz sekundäre Bildung“88 , möglicherweise sogar eine Bildung des Evangelisten selbst zu | sein89 . Da letzteres aber wortstatistisch nicht erweisbar ist, wird man eher mit einer vormarkinischen Tradition90 , näherhin mit „katechetischer Überlieferung“91 rechnen. „Gemessen an dem »Stil« der Rede Jesu, wie wir ihn aus der übrigen synoptischen Überlieferung erkennen können, fallen diese Worte aus dem Rahmen. Diese theologisch-begrifflich konzentrierte und thematisch-programmatische Weise entspricht nicht der konkret-unsystematischen Art der Rede Jesu, wie sie uns sonst begegnet. So dürfen wir mit Sicherheit sagen, . . . daß Vers als solcher und in dieser sprachlichen Fassung nicht von Jesus gesprochen worden ist.“92 Während es für das erste, dritte und vierte Glied des Satzes auch inhaltliche Gründe gibt, die jesuanische Herkunft zu verneinen93 , wird das zweite Satzglied, ἤγγικεν ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ, immer wieder von diesem Urteil ausgenommen94 . Zur Begründung verweist man einerseits auf die Tatsache, daß sich auch in der Logienquelle eine ähnliche Aussage findet (Lk , par. Mt ,). Freilich stellt die Logienquelle diese in ihrem Wortlaut nicht sicher rekonstruierbare Formulierung nicht als Verkündigung Jesu, sondern als den Jüngern aufgetragene Botschaft dar. Zum anderen wird darauf verwiesen, „daß die Basileia-Botschaft ihren Ursprung nicht im nachösterlichen, inhaltlich christologisch orientierten Kerygma haben kann“95 , so daß es als „sachgemäß“ erscheint, „wenn die Tradition diese Aussage als Zusammen-
nicht zu, daß die Evangelisten primär sorgfältige Überlieferer waren und daß die Überlieferung daran interessiert war, die Einzelheiten oder Quellen sklavisch zu bewahren . . . Die Hypothesen schließlich, daß es im Urchristentum »bestimmte autorisierte Überlieferungsträger« oder einen Stand von Tradenten der biblischen Berichte gegeben habe, sind ebenso aus der Luft gegriffen, wie die Überlegung, ob es nicht unter den Jüngern Schriftgelehrte gegeben haben könnte, die Jesusüberlieferung aufzeichnen konnten.“ Dieses Urteil W. G. K, a. Anm. a. O., S. , gilt nach wie vor. Vgl. auch den Abschnitt „Jesus als Lehrer seiner Jünger und die Anfänge der synoptischen Überlieferung“ in M. H, Nachfolge und Charisma, Berlin , S. ff. – Daß auch mit der Möglichkeit völliger Neubildung von Jesusworten durch urchristliche Propheten gerechnet werden muß, hat G. F. H, The Role of the Christian Prophets in the Gospel Tradition, in: Tradition and Interpretation in the New Testament. Essays in Honor of E. E. E, Grand Rapids/Tübingen , S. ff., erneut erwiesen. 88 R. B, a. Anm. a. O., S. . 89 G. S, Literarkritische Überlegungen zum Evangelion-Begriff im Markusevangelium, in: Neues Testament und Geschichte (FS O. C), Tübingen , S. ff., bes. S. ff. 90 So R. P, Das Markusevangelium I, , S. ; J. G, Das Markusevangelium I, , S. f. 91 W. T, Christusverkündigung in den synoptischen Evangelien, München , S. . 92 Ibid. S. . 93 Vgl. H. M, Die Gottesherrschaft als Handlungsprinzip, Würzburg , S. ff.; J. S, a. Anm. a. O., S. ff. 94 H. M, ibid. S. ff. 95 Ibid. S. .
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fassung der Botschaft Jesu wertet“96 . Aber ist denn die Ansage der nahegekommenen Gottesherrschaft damit schon als „zentrale Aussage und das entscheidende Thema der Verkündigung Jesu“97 anzusehen? Damit wäre ja in der Tat eine „damalige (palästinische) Allerweltswahrheit“98 für die Verkündigung Jesu zentral gewesen. „Denn daß Gott in der Zukunft seine Königsherrschaft aufrichten werde, hat zur Zeit Jesu sowieso jeder in Israel, der überhaupt in Endzeithoffnung lebte, geglaubt.“99 Damit wäre auch das zweite Satzglied von Mk , ableitbar und unjesuanisch. | Dieses Urteil gälte nicht, wenn man mit C. H. Dodd und J. Becker100 das griechische ἐγγίζειν als Wiedergabe eines aramäischen ! מטאansehen dürfte. Dann könnte Mk ,b übersetzt werden mit „jetzt vollzieht sich das Herrwerden Gottes“. Diese Aussage wäre schlechthin unableitbar; aber sie ist nicht mehr als eine Möglichkeit, die schon ein bestimmtes Gesamtverständnis der Verkündigung Jesu voraussetzt. Vom griechischen Sprachgebrauch und insbesondere vom Sprachgebrauch der Septuaginta her ist diese Möglichkeit eher unwahrscheinlich101 . Aber eines dürfte sich aus der skizzierten Problemlage mit Sicherheit ergeben: Mk , ist nach dem heutigen Stand exegetischer Arbeit als Ausgangspunkt zur Bestimmung der Basileia-Verkündigung Jesu nicht geeignet. Noch schwieriger liegen die Dinge beim zweiten Hauptbeleg, dem oben schon genannten Spruch aus der Jüngeraussendungsrede der Logienquelle Mt , par. Lk ,. Die matthäische Fassung des Logions ist deutlich eine Wiederaufnahme der schon Jesus (Mt ,) und dem Täufer (Mt ,) zugeschriebenen Formulierung. Nach der lukanischen Fassung sollen die Jünger die nahegekommene Gottesherrschaft den von ihnen Geheilten zusprechen, darüber hinaus aber auch den sie Ablehnenden die Nähe der Gottesherrschaft ansagen (Lk ,b). Diese zweite Stelle wird weithin mit guten Gründen der lukanischen Redaktion zugeschrieben102 . Gibt also Lk , ἤγγικεν ἐφ’ ὑµᾶς ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ den ursprünglichen Wortlaut von Q wieder? Die sachliche Nähe von Lk , zu dem Q-Logion Mt , par. Lk ,, das noch ausführlich zu erörtern sein wird, scheint dafür zu sprechen103 . Aber die Angleichung beider Sprüche könnte auch auf den Redaktor Lukas zurückgehen104 . Entscheidet 96
Ibid. S. . Ibid. S. . 98 H. S, Jesu ureigenes Basileia-Verständnis, in: D., Gottes Reich – Jesu Geschick, Freiburg i. Br. , S. ff., Zitat S. , Anm. . 99 G. L, Die Not der Exegese mit der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu, ThQ , , S. ff., Zitat S. . 100 C. H. D, The Parables . . . (siehe Anm. ), S. ; J. B, a. Anm. a. O., S. f. 101 Das räumt auch J. S, a. Anm. a. O., S. , ein, obwohl er sich im Sinne D und B entscheidet. ἐγγίζειν wird in LXX nicht nur als Übersetzung für hebr. !נגׁש/aram. !מטא, sondern auch für ! קרבverwendet. 102 P. H, Studien zur Theologie der Logienquelle, München , S. ; S. S, Q – Die Spruchquelle der Evangelisten, Zürich , S. ; O. M, Das Reich Gottes in den lukanischen Schriften, in: Jesus und Paulus (FS W. G. K), Göttingen , S. ; G. S, Das Evangelium nach Lukas I, ÖTK /, S. ; A. P, Fragmenta Q, Neukirchen-Vluyn , S. . 103 P. H, ibid. S. . 104 ἐφ’ ὑµᾶς als lukanisch: H. C, Die Mitte der Zeit, Tübingen , S. ; S. S, ibid.; O. M, ibid. 97
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man sich gegen die lukanische Formulierung, dann bleibt wieder nur die palästinische Allerweltsweisheit vom nahegekommenen Ende übrig. Darüber hinaus bliebe in diesem Fall auch zu bedenken, daß wir in der hinter der Logienquelle stehenden Gemeinde mit einer ganz starken Naherwartung des Endes zu rechnen haben105 , so daß es sicher kein Zufall ist, daß diese Ansage | den Jüngern in den Mund gelegt wird. Sie wäre nicht nur aus zeitgenössischem jüdischen Denken ableitbar, sondern auch aus der spezifischen Theologie der Tradentenkreise von Q. Als sicherer Ausgangspunkt für die Beurteilung der jesuanischen Vorstellung eignet sich dieser Spruch also nicht. Leichter steht es mit zwei lukanischen Stellen, welche Wrede als Stütze für die Naherwartung Jesu angegeben hat. Lk , wird längst mit guten Gründen als redaktionelle Überleitung angesehen und fällt daher als Beleg aus106 . Lk , ist im Unterschied zu Mk , erst von Lukas zu einem Basileiawort gemacht worden und spiegelt die lukanische Auffassung der Gottesherrschaft107 . Immer wieder wird die Matthäus und Lukas gemeinsame zweite Bitte des Vaterunsers als Beleg für die Naherwartung Jesu angeführt108 . Ein Hauptargument für diese Auffassung ist die Tatsache, daß die beiden ersten Bitten des Vaterunsers im synagogalen Kaddisch-Gebet Parallelen haben, wo insbesondere um die Königsherrschaft Gottes „zu euren Lebzeiten und zu euren Tagen und zu Lebzeiten des ganzen Hauses Israel in Eile und Bälde“ gebetet wird. Anton Vögtle meint dazu: „Und es duldet keinen Zweifel, auch Jesus läßt um die »in Eile und Bälde«, also möglichst gleich erfolgende Offenbarung der Königsherrschaft Gottes bitten, auch wenn seine Formulierung keine Entsprechung zu jener nachdrücklichen, mit »zu euren Lebzeiten« beginnenden Zeitangabe aufweist.“109 Hier dürfte ein klassisches Beispiel für Eisegese vorliegen. Gerade wenn man davon ausgeht, daß sich Jesus an das KaddischGebet angelehnt hat, muß es doch als höchst bezeichnend erscheinen, daß er die umfangreichen Formulierungen für die dringliche Erwartung des Reiches in der Vorlage gerade nicht mit einer einzigen Silbe übernommen hat110 ! Daher rechnet W. G. Kümmel diese Stelle mit Recht zu den Aussagen, „in denen zwar nicht die Nähe, wohl aber die Zukünftigkeit der Gottesherrschaft vorausgesetzt oder ausdrücklich erwähnt wird“111 . Wenn man sich die inhaltliche Füllung dieser Bitte nicht einfach oder vorwiegend durch die Umwelt Jesu geben | läßt, wird man die Frage, wie die Gottesherrschaft im Leben des Beters zur Geltung kommen solle, nur aus dem Ganzen der Verkündigung Jesu selbst erheben dürfen. 105
P. H, ibid. S. ff.; D. Z, Der Zusammenhang der Eschatologie in der Logienquelle, in: Gegenwart und Kommendes Reich (Schülergabe A. V), Stuttgart , S. ff. 106 So schon J. W, Das Evangelium Lucae, Berlin , S. ; J. J, Die Sprache des Lukasevangeliums, Göttingen , S. f. u. v. a. 107 Vgl. J. Z, Die Eschatologiereden des Lukas-Evangeliums, Bonn , S. ; R. G, Die lukanischen Endzeitreden, Bern usw. , S. ff. 108 Stellvertretend für viele: J. G, a. Anm. a. O., S. ; A. L, Art. Herrschaft Gottes/Reich Gottes IV, TRE , S. . 109 A. V, Das Vaterunser – ein Gebet für Juden und Christen?, in: Das Vaterunser. Gemeinsames Beten von Juden und Christen, hg. v. M. B u. a., Freiburg i. Br. , S. ff., Zitat S. . 110 Richtig U. L, Das Evangelium nach Matthäus (Mt –), Neukirchen-Vluyn , S. . 111 W. G. K, a. Anm. a. O., S. .
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Ein besonders umstrittenes Terrain sind die sogenannten Terminworte Mk ,; ,; Mt ,. Selbst die Forscher, welche mit einer Naherwartung bei Jesus rechneten, urteilten sehr unterschiedlich über ihre Authentizität112 . Weitgehende Einigkeit besteht über die nachösterliche Entstehung von Mt ,113 . Der Versuch, Vers b aus seinem jetzigen Kontext herauszulösen und so als ein einzeln überliefertes Jesuswort anzusehen, das bestätige, „daß Jesus mit dem Eintreten der Gottesherrschaft und dem Kommen des Menschensohns in Herrlichkeit innerhalb der Lebenszeit der Generation seiner Hörer gerechnet hat“114 , überzeugt deswegen nicht, weil der isolierte Vers b nicht aussagt, welche Art von Tätigkeit die Jünger in den Städten Israels nicht zu Ende führen können. So wird man mindestens Vers a als ursprünglichen Kontext beibehalten müssen und dann den Spruch als „Trostwort für Verfolgte und Flüchtige“115 verstehen können. Eine derart umfassende Verfolgungssituation läßt sich aber für die Zeit Jesu nicht aufzeigen; Verfolgungen der palästinischen Urgemeinde lassen sich dagegen mehrfach nachweisen. Ansprechend ist die Vermutung, es „dürfte sich bei Mt , um eine nachösterliche Reflexion zu Mt , par. handeln, die aus der Anweisung, einem Ort, der sich der Botschaft Jesu widersetzt, den Rücken zu kehren, eine positive Anweisung zur Flucht macht“116 . Auch die Authentizität von Mk , läßt sich mit guten Gründen in Frage stellen. Dieses Logion ist isoliert nicht tradierbar; erst durch den Kontext wird deutlich, daß mit „dies alles“ die Endereignisse gemeint sind. Der Versuch, die Kontextgebundenheit des Spruches dadurch aufzuheben, daß man das Demonstrativpronomen wegläßt, hilft nicht wirklich weiter; der Rückbezug auf , ist ganz deutlich. Rechnet man mit der Mehrheit der Exegeten damit, daß Mk ,– vom Evangelisten selbst gebildet wurde, dann ist , eine Bildung des | Evangelisten selbst117 ; sollte der Grundbestand der apokalyptischen Rede dem Evangelisten jedoch schon als Jesusrede überliefert worden sein, dann muß es sich bei diesem Logion „um eine Ad-hoc-Bildung für die vormarkinische Apokalypse“118 handeln. Sicher ist aber in jedem Fall, daß es kein Jesuswort ist. 112 Vgl. den Überblick von L. O, Die Stellung der „Terminworte“ in der eschatologischen Verkündigung des Neuen Testaments, in: Gegenwart und kommendes Reich (Schülergabe A. V), Stuttgart , S. ff. 113 Dazu E. B, Matthäus ,, StTh , , S. ff.; E. G, Das Problem der Parusieverzögerung in den synoptischen Evangelien und in der Apostelgeschichte, Berlin-New York , S. f.; A. V, Exegetische Erwägungen über das Wissen und Selbstbewußtsein Jesu (), in: D., Das Evangelium und die Evangelien, Düsseldorf , S. ff., bes. S. ff.; K. M, Jesu Naherwartung und die Anfänge der Kirche, in: Die Aktion Jesu und die Re-Aktion der Kirche, hg. v. D., Würzburg , S. ff., bes. S. f.; H. M, a. Anm. a. O., S. f.; J. G, a. Anm. a. O., S. f. 114 W. G. K, a. Anm. a. O., S. . 115 V, a. Anm. a. O., S. . 116 H. M, a. Anm. a. O., S. , im Anschluß an A. V, a. a. O., S. . 117 Siehe J. G, Das Markusevangelium II, , S. ; K. M, a. Anm. a. O., S. f.; H. M, a. Anm. a. O., S. . 118 R. P, Das Markusevangelium, . Teil, , S. .; L. O, a. Anm. a. O., S. f.
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Stärker umstritten ist die Herkunft von Mk ,: ἀµὴν λέγω ὑµῖν ὅτι εἰσίν τινες ὧδε τῶν ἑστηκότων οἵτινες οὐ µὴ γεύσωνται θανάτου ἕως ἀν ἴδωσιν τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ ἐληλυθυῖαν ἐν δυνάµει. Positive Indizien für jesuanische Herkunft119 sind nicht von Gewicht: Es ist zwar nach wie vor wahrscheinlich, daß satzeinleitendes ἀµὴν λέγω ὑµῖν ein Kennzeichen der ipsissima vox Jesu ist; aber es ist ebenso wahrscheinlich, daß diese ureigenste Redeweise Jesu auch sekundär verwendet wurde120 . Auch der eher semitische Ausdruck γεύσωνται θανάτου kann bestenfalls beweisen, daß der Spruch schon in der palästinischen Gemeinde überliefert worden ist. Auch das Argument, das Wort müsse zur ältesten Tradition gehören „weil ja das Nichteintreffen dieser Voraussage so starke Schwierigkeiten bereiten mußte, daß man sie sich schwerlich erst selber geschaffen hätte“121 , muß kritisch hinterfragt werden. Für eine Gemeinde, die in lebhafter Naherwartung lebte, die aber durch den Tod von Jüngern beunruhigt war, konnte es durchaus hilfreich sein, aus Prophetenmund zu hören, der Herr habe nicht allen, sondern nur einigen Jüngern in Aussicht gestellt, den Anbruch der Gottesherrschaft zu erleben122 . Weder der Prophet noch die Gemeinde können in dieser Situation daran gedacht haben, daß dieser unter die Autorität des erhöhten Christus gestellte Spruch Jahre später möglicherweise Schwierigkeiten bereiten würde, denn das Wort setzt ja den Eintritt der Endereignisse in durchaus absehbarer Zeit voraus. Wahrscheinlicher aber noch als die Annahme eines urchristlichen Prophetenspruches dürfte | die Zurückführung von Mk , auf den Evangelisten selbst sein123 . Klar ist, daß die Rede von den „hier Stehenden“ kontextgebunden ist; ein isoliert überliefertes Logion könnte so nicht begonnen haben. „Gegen die markinische Herkunft von ,b spricht nicht, daß γεύεσθαι θανάτου semitischen Einfluß verrät, denn Griechisch war kaum die Muttersprache des Evangelisten.“124 Die auffällige Strukturgleichheit mit Mk , macht diese Annahme noch wahrscheinlicher. Fer119
Aufgelistet von R. P, a. Anm. a. O., S. f. J. J, a. Anm. a. O., S. f. über satzeinleitendes Amen als sprachliche Neuschöpfung Jesu; aber: „Das Vorliegen einer von Jesus bevorzugten Redeweise (ipsissima vox Jesu) enthebt uns nicht der Notwendigkeit, jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob wir ein echtes Logion (ipsissimum verbum) vor uns haben“ (S. )! 121 W. G. K, a. Anm. a. O., S. , ähnlich K. M, a. Anm. a. O., S. . 122 Daß nur einigen die Volloffenbarung der Gottesherrschaft in Aussicht gestellt wurde, weist deutlich auf die verzögerte Parusie hin! So u. a. E. G, a. Anm. a. O., S. ; G. B, Die Verzögerung der Parusie (), in: D., Geschichte und Glaube, . Teil, München , S. ff.; H. M, a. a. O., S. . Methodisch fragwürdig ist die These von J. S, a. Anm. a. O., S. ff., die ursprüngliche Form des Logions habe den Term τινες nicht enthalten. Außer dem Wunsch, die Verwandtschaft mit . Thess ,ff. und . Kor , loszuwerden, gibt es keine Argumente dafür. Übrigens stützt sich S auf die oben in Frage gestellten Echtheitsindizien. 123 Schon N. P, The Composition of Mk ,, NT , , S. ff., plädierte – mit nicht ganz ausreichender Begründung – für markinische Herkunft. Die wesentlichen Gründe nennt H. S, Das Lukasevangelium I, Freiburg i. Br. , S. f. G. R. B-M, a. Anm. a. O., S. , stellt fest: „. . . Mark , is pertinent to Mark’s day and to the church for which he wrote.“ 124 C. B, Nachfolge und Zukunftserwartung nach Markus, Zürich , S. . Allerdings rechnet B dann doch mit einem traditionellen Logion. Da er klar die Kontextgebundenheit des Hinweises auf „einige der hier Stehenden“ sieht, postuliert er flugs, Mk habe mit dieser Wendung die ursprüngliche Angabe ἡ γενεὰ αὕτη ersetzt. Das ist ebenso willkürlich wie der Anm. erwähnte Rettungsversuch Schlossers. 120
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ner muß man bedenken, daß die Anfügung von , den ganzen Abschnitt Mk ,– , in einer für Markus besonders charakteristischen Weise abschließt125 . Erwägt man schließlich, daß das Markusevangelium in den apokalyptischen Jahren kurz vor der Zerstörung Jerusalems abgefaßt worden sein dürfte126 , dann wird es um so verständlicher, daß der Evangelist die Nachfolge in das Licht der in Bälde hereinbrechenden Gottesherrschaft gerückt hat. Somit ist dem Urteil Helmut Merkleins voll beizupflichten: „Die sog. Terminworte Mk ,; ,; Mt , dürften allesamt erst nachösterliche Bildungen sein.“127 Der eschatologische Ausblick beim Abendmahl (Mk , par. Lk ,) wird ebenfalls immer wieder als Ausdruck der Naherwartung Jesu in Anspruch genommen. Nun ist zwar weder die literarkritische Frage des Zusammenhangs zwischen Mk , und eindeutig geklärt noch die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Markus- und der Lukasfassung, aber man mag in Ermangelung eines besseren Kontextes die Markusfassung des Spruches im Zusammenhang des letzten Mahles Jesus belassen und es als wahrscheinlicher ansehen, daß Lukas von Markus literarisch abhängig ist128 . Dann wird man den | Spruch als eine verhüllte Todesansage Jesu ansehen können, die zugleich den Blick auf die künftige Gottesherrschaft lenkt. Über die Nähe oder Ferne der Gottesherrschaft aber wird absolut nichts ausgesagt. Die häufig geäußerte Annahme, das Logion impliziere eine gewisse Naherwartung129 , dürfte schon zu weit gehen. Die Verbindung der Gottesherrschaft mit einem Festmahl ist ein stehendes Bild im Judentum, findet sich aber auch in der Jesusüberlieferung (Mt ,f. und par.)130 ; im Blick auf die hohe Bedeutung, die Tischgemeinschaft im Wir-
125 E. H, Die Komposition von Mk VIII.–IX., NT , , S. ff. Auch der von C. B herausgestellte Sachverhalt, daß für Markus „die Nachfolge ihre Motivierung aus der Zukunftserwartung hat“ (a. a. O., S. ), stützt dies. 126 Vgl. M. H, Entstehungszeit und Situation des Markusevangeliums, in: Markus-Philologie, hg. v. H. C, Tübingen , S. ff.; L. S, Das Markusevangelium, Stuttgart usw. , S. ff. 127 H. M, Jesus, Künder des Reiches Gottes, in: D., Studien zu Jesus und Paulus, Tübingen , S. . 128 Dazu zuletzt: R. P, Das Abendmahl und Jesu Todesverständnis, Freiburg i. Br. , S. ff.; J. B, Der „eschatologische Ausblick“ Mk , und seine Bedeutung, in: Kontinuität und Einheit (FS F. M), Freiburg i. Br. , S. ff. 129 Siehe H. M, a. Anm. a. O., S. . 130 D. Z, Das Logion Mt ,f./Lk ,f. und das Motiv der „Völkerwallfahrt“, BZ , , S. ff.; , , S. ff.; N. P, a. Anm. a. O., S. ff.; J. S, a. Anm. a. O., Bd. II, S. ff.; D. C. A, J., Who will come from East and West? Observations on Matt. .– – Luke .–, IBS , , ff., mit der bereits von B erwogenen, aber verworfenen These, nicht Heiden, sondern Diasporajuden würden hier im Gegensatz zu Palästinajuden als Teilhaber am Endzeitmahl angekündigt. Methodisch fragwürdige Voraussetzung: Da das Motiv der Völkerwallfahrt im Judentum nie als Gericht über Israel verstanden werde, könne auch Jesus dieses Motiv nicht zur Leugnung jüdischer Hoffnungen verwendet haben (S. ). Welchen Sinn die Entgegensetzung von Palästinajuden und Diasporajuden in der Verkündigung Jesu haben soll, wird nicht klar. Die Bemerkung: „This eschatological reversal, this overturning of the expected, runs through the Jesus tradition“ (S. ), stimmt besser zu traditioneller Deutung des Logions.
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ken des irdischen Jesus gehabt hat131 , könnte man vorsichtig für die Authentizität dieser Überlieferung plädieren. Aber als Ausgangspunkt für die Frage nach der spezifisch jesuanischen Konzeption sind diese Logien sicher nicht geeignet. Das Ergebnis ist eindeutig: Es gibt zwar Hinweise darauf, daß Jesus an eine künftige Basileia gedacht hat, aber der Zeitfaktor wird in keinem auch nur mit einiger Sicherheit als authentisch anzusehenden Logion thematisiert.
III. Die gegenwärtige Gottesherrschaft Wenigen Logien wird so allgemein das Siegel der Authentizität gegeben wie dem aus der Logienquelle stammenden Spruch Lk , par. Mt ,132 . Zu | Recht wird die Lukasfassung εἰ δὲ ἐν δακτύλῳ θεοῦ ἐγὼ ἐκβάλλω τὰ δαιµόνια, ἄρα ἔφθασεν ἐφ’ ὑµᾶς ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ als ursprünglicher Wortlaut angesehen. Die übliche Annahme, es handle sich um ein ursprünglich isoliert überliefertes Einzellogion, ist freilich problematisch, da Ichform und direkte Anrede einen Kontext fordern. Der Vorschlag H. Schürmanns133 , aus dem Grundbestand von Mt ,.a.a par. Lk ,.a. ein Apophthegma zu rekonstruieren, vermag dieses Problem auf einleuchtende Weise zu beheben. Umstritten ist, in welchem Sinn die jetzt erfolgenden Exorzismen Jesu – und im damaligen Verständnis seine Krankenheilungen insgesamt134 – zur Gottesherrschaft in Beziehung gesetzt werden sollen: Sind sie Zeichen, daß die Gottesherrschaft vor der Tür steht135 , oder zeigen sie, daß die Gottesherrschaft bereits angebrochen136 ist? Philologisch spricht alles für die zweite Auffassung. Das Verbum φθάνειν im Aorist hat im Neuen Testament in der Regel die Bedeutung „erreichen, hinkommen“, eben131 Vgl. O. H, Jesu Tischgemeinschaft mit den Sündern, Stuttgart ; E. G, Der Mensch Jesus als Thema der Theologie, in: Jesus und Paulus (FS W. G. K), Göttingen , S. ff., bes. S. ff.; J. B, Zukunft und Hoffnung im Neuen Testament, in: W. H. S/J. B, Zukunft und Hoffnung, Stuttgart , S. f.; C. B, Jesus für die Welt, in: Fides pro mundi vita (FS W. G), , S. ff. 132 W. G. K, a. Anm. a. O., S. ff.; H.-W. K, a. Anm. a. O., S. ff.; N. P, a. Anm. a. O., S. ff.; H. M, a. Anm. a. O., S. ff.; J. S, a. Anm. a. O., S. ff. – Die Unechtheitserklärung von T. L, Zum Logion Mt ,; Lk ,, in: Neues Testament und christliche Existenz (FS H. B), Tübingen , S. ff., wird zurückgewiesen von E. G, Zum Verständnis der Gottesherrschaft, ZNW , , S. –, bes. ff. 133 Das Zeugnis der Redenquelle für das Basileia-Verständnis Jesu, in: Gottes Reich – Jesu Geschick (siehe Anm. ), S. ff., bes. S. f. 134 Auf diesen Zusammenhang verweisen C. B, a. a. O., S. ; H. M, Jesu Botschaft von der Gottesherrschaft, Stuttgart , S. ; O. B, Art. Dämonen IV, TRE , S. . 135 So z. B. W. W (o. S. ); H. C, Theologie des Neuen Testaments, München , S. ; E. G, a. a. O.; K. M, a. Anm. a. O., S. ; V. H, Art. φθάνω, EWNT , Sp. . 136 N. P, a. a. O., S. ; W. G. K, a. a. O., S. f.; H.-W. K, a. a. O., S. f.; P. H/V. E, Jesus von Nazareth und eine christliche Moral, Freiburg i. Br., . Aufl., , S. ff.; J. S, a. a. O.; G. R. B-M, a. Anm. a. O., S. ; H. M, a. Anm. a. O.; O. B, Zeichen und Wunder im Neuen Testament, in: Geisteswissenschaften – wozu? hg. v. H.-H. K, Stuttgart , S. ff., bes. S. –.
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so auch in der Theodotionübersetzung des Buches Daniel, an manchen Septuagintastellen, in den Zwölfertestamenten und bei Philo137 . Daß die Ansage der gegenwärtigen Gottesherrtschaft im Judentum der Zeit Jesu denkbar ist, hat H.-W. Kuhn138 schon aufgrund früher veröffentlichter Qumrantexte herausgestellt – die Sabbatlieder von Qumran unterstreichen diese Einsicht aufs kräftigste139 . Gleichzeitig aber wird uns die Unableitbarkeit des Logions um so deutlicher. Denn für Jesus ist Gottesherrschaft nicht an heilige Zeiten oder heilige Orte und auch nicht an Gesetzesobservanz gebunden, sondern an sein heilendes Wirken. In diesem Sinne bleibt W. G. Kümmels Bewertung als einer „bewußt die eschatologische Dogmatik der Juden über den Haufen werfenden Aussage Jesu“140 gültig. | Die Verlegenheit gegenüber diesem Logion, welches das herkömmliche Bild Jesu als eines apokalyptischen Rufers radikal in Frage stellt, äußert sich in verschiedenartigen Ausfluchtsversuchen. H. Conzelmann erklärt beispielsweise: „Das Wort φθάνω heißt: eintreffen. Aber wir kennen nicht das hebräische Äquivalent. Auch dieses Wort dürfte auf die gegenwärtigen Zeichen des kommenden Reiches hinweisen.“141 Der Einwand, wir kennten das hebräische (besser aramäische) Äquivalent nicht, gilt natürlich für jedes Jesuswort; er hätte aber nur dann Gewicht, wenn sich zeigen ließe, daß eine Wiedergabe der entsprechenden Aussage aramäisch nicht möglich ist. Doch hat Gustav Dalman142 schon längst darauf hingewiesen, daß φθάνειν im aramäischen ! מטאein Äquivalent besitzt. Der Wunsch, die Aussage abzuschwächen, steht offenbar hinter der Auslegung von A. Lindemann: „Zweifellos spricht das Logion Mt , par. von der Gegenwart der Gottesherrschaft. Aber an der Zeitfrage ist es dabei kaum interessiert . . . “143 Das Satzgefüge ist doch deutlich darauf ausgerichtet, aus den gegenwärtigen wahrnehmbaren Taten Jesu die bereits angekommene Gottesherrschaft zu erkennen. Wenn H. Merklein nach einer völlig zutreffenden Auslegung des Wortes sofort mahnt, man dürfe sich durch Lk , aber „nicht dazu verleiten lassen, die Aussagen vom (zukünftigen) Kommen der Gottesherrschaft (vgl. Lk , par.) im Sinne einer 137
Vgl. G. F, Art. φθάνω, ThWNT IX, S. ff.; J. S, a. a. O., S. f. Siehe Anm. . 139 Siehe A. M. S in diesem Band, oben S. – (ff.). 140 A. Anm. a. O., S. , Anm. . – Andere in diesem Zusammenhang oft zitierte Texte erscheinen uns nicht hinreichend sicher für die Verkündigung Jesu beanspruchbar zu sein und bleiben daher unberücksichtigt. Das gilt für Mk ,–, wozu H. S, a. Anm. a. O., S. Anm. , zutreffend bemerkt: „Diese Reflexion hat eine christologische Absicht und ist nachösterlich. Rückerinnerung an ein Bildwort wie Mk ,f. kann nicht ausgeschlossen werden.“ – Die neuerliche Hochschätzung von Lk , kann ich nicht teilen. Jüdische und urchristliche Apokalyptik interessierte sich für den himmlischen Endkampf mit den Mächten des Bösen (QM ,ff.; QMelch f.; Or Sib ,ff.; Apok ,–), so daß Unableitbarkeit sicher nicht behauptet werden kann; außerdem bleibt der Spruch „im Gesamten der Jesusüberlieferung . . . ein vereinzeltes Stück Treibgut“ (so V, „Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen“ [Lk ,], ZNW , , S. ff., Zitat S. ). 141 Siehe Anm. . 142 Die Worte Jesu I, Nachdruck der . Aufl. , Darmstadt , S. ; vgl. J. B, a. Anm. a. O., S. ; H.-W. K, a. a. O., S. . 143 A. L, a. Anm. a. O., S. . 138
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»Realized Eschatology« einzuebnen“144 , dann besteht die Gefahr, diesen Spitzensatz durch den Blick auf andere Stellen gleich wieder zu relativieren. Sodann ist Lk ,f. zu bedenken. Die apophthegmatische Gestaltung des Stückes könnte Lukas zu verdanken sein145 , für die Annahme redaktioneller Herkunft des ganzen Stückes jedoch sind die Gründe nicht ausreichend146 . Einleuchtend ist die Annahme, Lukas könnte Vers a aus dem folgenden Q- | Text (Vers ) übernommen haben, um Sonderüberlieferung und Logienquelle besser zu verklammern147 , und er habe nach diesem Einschub durch die für ihn typische Wendung ἰδοὺ γάρ zur Quelle zurücklenken wollen. Das vorlukanische Einzellogion dürfte mithin gelautet haben: οὐκ ἔρχεται ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ µετὰ παρατηρήσεως· ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἐντὸς ὑµῶν ἐστιν148 . Dieser Spruch ist in zwei parallelen, chiastisch angeordneten Satzgliedern einprägsam geformt; die Rückübersetzbarkeit ins Aramäische ist gewährleistet149 . Was wird nun aber konkret im ersten Satzglied abgelehnt, und was wird im zweiten positiv über die Gottesherrschaft ausgesagt? Daß das Kommen der Gottesherrschaft nicht µετὰ παρατηρήσεως stattfinde, kann entweder im antipharisäischen Sinn auf die „Beobachtung“ des Gesetzes oder im apokalyptischen Sinn auf Berechnung des Endtermins durch „Beobachtung“ astronomischer oder ähnlicher Phänomene oder speziell auf die im . Jahrhundert mit der Passahnacht als der νὺξ παρατηρήσεως in Verbindung gebrachten Messiaserwartung bezogen werden. Jede dieser Deutungen aber setzt voraus, daß µετὰ παρατηρήσεως als Kürzel für ein Syntagma steht, etwa für παρατήρησις τῶν νοµίµων, παρατήρησις ἄστρων oder νὺξ παρατηρήσεως. Dafür gibt es keine Belege. Außerdem ist das Alter der jeweils damit verbundenen jüdischen Vorstellungen sehr zweifelhaft. So wird man bei der philologisch einfachsten Übersetzung des ersten Satzgliedes bleiben: „Die Gottesherrschaft kommt nicht so, daß man sie beobachten kann.“150 Diesem allgemeinen Sinn entspricht auch Dalmans Rückübersetzung mit Hilfe der aramäi144
H. M, a. Anm. a. O., S. . So z. B. J. Z, a. Anm. a. O., S. f.; J. S, a. Anm. a. O., dagegen aber J. B, a. Anm. a. O., S. Anm. . 146 Gegen H. C, a. Anm. a. O., S. f.; R. G, a. Anm. a. O., S. ff. 147 So schon G. D, a. Anm. a. O., S. ; A. S, Die Passaerwartung als urchristliches Problem in Lc ,f., ZNW , , S. ff., bes. S. f.; J. S, a. a. O., S. . 148 Ähnliche Rekonstruktion bei J. Z, a. a. O., S. f. J. S, a. Anm. a. O., S. ff., möchte in V. b die Worte µετὰ παρατηρήσεως als lukanische Ergänzung erweisen. Die Indizien (µετὰ + Gen. häufig in Apg, aber auch sonst; das Verb παρατηρεῖν wird zweimal redaktionell verwendet [Lk ,; ,] – aber im Sinn des lauernden, feindseligen Beobachtens, wie es Lk , = Mk , vorgegeben war!) sind schwach. Das Logion hätte dann den Sinngehalt: Das Reich Gottes kommt nicht nur, wie alle glauben, sondern es ist bereits da. Übrigens verweist S, S. f., richtig darauf hin, daß die Fassung des Spruches im koptischen Thomasevangelium, Logion , von Lk abhängig ist, womit sich die Beweisführung N. P, a. Anm. a. O., S. ff. erledigt; immer noch grundlegend: W. S, Das Verhältnis des Thomasevangeliums zur synoptischen Tradition und zu den koptischen Evangelienübersetzungen, Berlin ; jetzt C. T, Thomas and the Synoptics, NT , , S. ff. 149 G. D, a. a. O. 150 Vgl. die Wörterbücher von L-S und W. B/K. A s. v. 145
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Die Gottesherrschaft in der Verkündigung Jesu
schen Wurzel !נטר151 . Bezieht man die „Umweltreferenz“ dieser Aussage mit ein, wird man am ehesten wieder auf die apokalyptische Denkweise gelenkt. Daß durch Beobachtung des Weltlaufs Schlüsse auf das endzeitliche Handeln Gottes ermöglicht werden, ist jüdischer wie urchristlicher Apokalyp- | tik selbstverständlich152 . Der Widerspruch zu beiden Bereichen ist offenkundig und läßt auf ein echtes Jesuswort schließen.153 Was heißt nun: Die Gottesherrschaft ist ἐντὸς ὑµῶν? Seit W. Wrede wird diese Aussage immer wieder auf die Plötzlichkeit des Kommens bezogen: „. . . Wenn das Reich kommt, wird man nicht mehr fragen und suchen, sondern mit einem Schlage ist es inmitten der Toren da, die noch sein Kommen berechnen wollten.“154 Hier liegt wieder ein klassischer Fall von Eisegese vor; denn „die Pointe der Plötzlichkeit ist erst eingetragen und außerdem steht ἐστιν und nicht ἔσται im Text“155 . Die Ausflucht, im Aramäischen gebe es doch gar keine Kopula156 , hätte nur dann Gewicht, wenn nachzuweisen wäre, daß das ἐστιν eine Fehlübersetzung sein muß. Ein solcher Nachweis ist bis jetzt nicht versucht worden. Ergo nehmen wir das Präsens als Wiedergabe des ursprünglich Gemeinten, zumal es den Futura des Kontextes (Vers a.) widerspricht157 . Es bleibt noch das vielerörterte ἐντὸς ὑµῶν zu bedenken. Philologisch muß die Bedeutung innerhalb des Spektrums von „innen, darinnen, im Bereich von“ liegen158 . Die Gottesherrschaft im Herzen oder in der Seele des Individuums zu suchen, wie es Harnack oder Wellhausen wollten159 , kann man als Denken einer vergangenen Epoche ansehen. Aufgrund griechischer Vergleichstexte hat A. Rüstow die Übersetzung „Die Gottesherrschaft steht in eurer Hand“ vorgeschlagen; das wäre in dem Sinne gemeint: „Es liegt in eurer Hand, sich seiner würdig zu erweisen, um, wenn es kommt, darein aufgenommen zu werden, die Eintrittsbedingungen zu erfüllen.“160 Eine derartige Moralisierung der Verkündigung Jesu von der Gottesherrschaft widerspricht aber Lk , ebenso wie anderen gleich noch zu nennenden Jesusworten. | 151
Ebenso J. S, a. a. O., S. f. Vgl. nur S-B IV, S. ff.; Mk par.; Lk ,f. 153 W. G. K, a. Anm. a. O., S. ff.; J. B, a. Anm. a. O., S. f.; F. M, „Wann kommt das Reich Gottes?“ Die Antwort Jesu nach Lk ,b., BZ , , S. ff.; W. T, Die Botschaft Jesu, Freiburg i. Br. , S. f.; A. L, a. Anm. a. O., S. f. 154 W. W, siehe o. S. ; R. B, a. Anm. a. O., S. ; E. L, EvTh , S. ff.; H. C, a. Anm. a. O.; J. J, a. Anm. a. O., S. . 155 J. B, a. Anm. a. O., S. ; so auch W. G. K, a. Anm. a. O., S. ; G. R. B-M, a. Anm. a. O., S. ; R. S, a. Anm. a. O., S. ; L. G, a. Anm. a. O., S. . 156 J. J, a. a. O. 157 Umgekehrt argumentiert J. J, a. a. O.: Die Futura des Kontextes rücken das ἐστιν in V. b „in die gleiche zeitliche Sphäre wie das ἔσται in V. “. Da der Kontext sicher sekundär ist, ist diese Argumentation falsch. 158 Vgl. B-A, Sp. . 159 Vgl. A. . H, Das Wesen des Christentums (), Taschenbuchausgabe mit einem Geleitwort von R. B, München/Hamburg , S. ; J. W, a. Anm. a. O., S. . 160 A. R, ΕΝΤΟΣ ΥΜΩΝ ΕΣΤΙΝ, ZNW , , S. ff., Zitat S. . 152
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So bleibt die Aussage: Die Gottesherrschaft ist in eurer Mitte. Auch wenn der Kreis der hier Angesprochenen unbestimmt ist, gibt es doch keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß Jesus eine kultische Versammlung angesprochen hätte. So ist auch in diesem Spruch das Herrwerden Gottes im Alltag der Welt gemeint, und insofern ist diese Aussage ähnlich wie Lk , unableitbar. Diese beiden absolut gesicherten Worte können als Hintergrund für eine Reihe anderer Jesusüberlieferungen dienen. Das Apophthegma Mk ,–a überliefert als Antwort auf die Frage, warum die Jesusjünger den frommen Brauch des Fastens nicht einhielten, die paradoxe Gegenfrage: „Können Hochzeitsgäste fasten?“161 Damit setzt Jesus doch wohl voraus, daß seine Jünger im Unterschied zu den Johannesjüngern in einer Freudenzeit leben. Sie warten nicht bang auf den richtenden Gott, sondern haben den heilschaffenden Gott bereits erfahren. Es besteht ein weitgehender, gut begründeter Konsens darüber, daß die von Jesus gewährte Tischgemeinschaft (Mk ,ff. u. ö.) der Konkretion solcher Heilsansage dient. Das in Q erhaltene Schimpfwort, Jesus sei „ein Fresser und Säufer, ein Kumpan von Zöllnern und Sündern“ (Mt , par.)162 , fügt sich hier ebenso glänzend an wie die oben besprochene Schilderung des postmortalen Heils unter dem Bild des Festmahles (Mt , par.). Daß die Gegenwart Heilszeit ist, sagt schließlich auch der Makarismus Lk ,f. par. Mt ,f., dessen ursprüngliche Fassung gelautet haben dürfte: „Heil den Augen, die sehen, was ihr seht; denn ich sage euch: Viele Propheten und Könige sehnten sich danach zu sehen, was ihr seht und sahen es nicht, und zu hören, was ihr hört, und hörten es nicht.“163 Wer in den Tagen des Messias leben und die Wohltaten Gottes an Israel sehen darf, ist nach zeitgenössischer Auffassung selig zu preisen (Ps Sal ,; ,; Or Sib ,; ,); nicht der, der nur Vorzeichen sieht. „Die Jetztzeit ist . . . schon integrierter Teil der Heilszeit, ist vollgültiger Anfang des ganzen Futurums.“164 | Zuletzt soll die Antwort Jesu auf die Anfrage des Täufers auf dem Hintergrund der Worte von der gegenwärtigen Gottesherrschaft bedacht werden (Mt ,f. par.). Die oft bestrittene Authentizität ist u. E. durch J. Becker und vor allem durch W. G.
161 Diese Rekonstruktion habe ich eingehend zu begründen versucht in meinem Aufsatz: Markus , – das Jesuswort über die innere Reinheit, ZRGG , , S. ff., bes. S. – [in diesem Band S. –]. Ebenso urteilen E. S, Das Evangelium nach Markus (NTD ), . Aufl., , S. f.; J. G, a. Anm. a. O., S. f.; H. S, a. Anm. a. O., S. . 162 Vgl. P, a. Anm. a. O., S. f.; M. T, Zeichenhafte Handlungen Jesu, Würzburg , S. ff.; H. M, a. Anm. a. O., S. f. 163 Die Ergänzung „und euren Ohren“ ist matthäisch; ebenso die Ersetzung der Könige durch „Gerechte“; siehe E. S, Das Evangelium nach Matthäus (NTD ), S. ; J. G, a. Anm. a. O., S. . 164 J. B, Johannes der Täufer und Jesus von Nazareth, Neukirchen-Vluyn , S. ; vgl. H.W. K, a. Anm. a. O., S. und schon W. G. K, a. Anm. a. O., S. f.; H. M, a. Anm. a. O., S. f.
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Kümmel gesichert worden165 . Sind es in Lk , die Exorzismen und nur implizit die anderen Heilungen, die Jesu Wirken als Anbruch der Gottesherrschaft erkennen lassen, so werden hier weitere Aspekte des Wirkens und der Verkündigung Jesu genannt, die auf Ausblicke auf die Heilszeit aus dem Buche Jesaja (,; ,f.; ,) anspielen und damit doch wohl in demselben Sinne verstanden werden sollen. Nur kurz soll auf den „dunklen und umstrittenen »Stürmerspruch«“166 (Mt ,f. par. Lk ,) verwiesen werden. Bereits die Auslegungsgeschichte zeigt ein derart breites Spektrum an Meinungen167 , daß jede Lösung unter erheblichen Vorbehalten stehen muß. Ein gewisser Konsens der Exegeten läßt als Q-Fassung wahrscheinlich werden ὁ νόµος καὶ οἱ προφῆται µέχρι ᾽Ιωάννου· ἀπὸ τότε ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ βιάζεται καὶ βιασταὶ ἁρπάζουσιν αὐτήν168 , aber die Übersetzungen dieses durchaus nicht unbegründeten | Rekonstrukts gehen weit auseinander. Meint Jesus: „Die Gottesherrschaft leidet Gewalt, und Gewalttäter rauben sie/versuchen sie zu rauben“ oder meint er: „Die Gottesherrschaft bricht sich mit Gewalt Bahn, und Menschen, die zu allem entschlossen sind, reißen sie an sich“?169 Während die erste Übersetzung die oft vorhandenen negativen Konnotationen des Stammes βια- berücksichtigt, ent165 J. B, a. a. O., S. f.; W. G. K, a. Anm. a. O. – Da auch die Seligpreisungen der Bergpredigt (Lk ,–) von Jes ,ff. her zu verstehen sind (vgl. M. H, Zur matthäischen Bergpredigt und ihrem jüdischen Hintergrund, ThR , , S. ff., bes. S. ff.), wird man die Frage, ob sich Jesus als jesajanischer Freudenbote verstanden hat, noch einmal prüfen müssen, trotz der etwas zu selbstsicheren Verneinung bei H. F, Jesus als deuterojesajanischer Freudenbote? in: Vom Urchristentum zu Jesus (FS J. G), Freiburg i. Br. , S. ff. 166 W. T, Art. βιάζοµαι, EWNT , S. . 167 Dazu P. S C, Violence and the Kingdom. The Interpretation of Matthew :, Frankfurt a. M./Bern/New York/Nancy . 168 Vgl. D. K, Die Gottesherrschaft im Zeichen des Widerspruchs, Bern/Frankfurt a. M./New York . Inzwischen ist dieser Konsens von zwei Seiten in Frage gestellt worden. () D. R. C, The Law and the Prophets in Q, in: Tradition and Interpretation in the New Testament (FS E. E), Grand Rapids/Tübingen , S. ff., gibt sehr erwägenswerte Gründe für die Rekonstruktion des Q-Textes: ὁ νόµος καὶ οἱ προφῆται ἕως ᾽Ιωάννου ἀπὸ τότε ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ εὐαγγελίζεται. Sollten sich die Gründe in der Diskussion bewähren, hätte das z. B. auch Bedeutung für die o. Anm. angeschnittene Frage. () G. R. B-M, a. Anm. a. O., S. f., nimmt nach dem Vorgang anderer an, dem βιάζοµαι läge die hebr./aram. Wurzel !Z פרzugrunde, so daß die ursprüngliche Fassung gelautet habe: „The kingdom of heaven is powerfully breaking out (into the world), and violent men are strongly attacking it.“ Dies entspricht der matthäischen Übersetzung, während Lukas eine im Anschluß an . Sam , und . Chr , übersetzte Fassung des Spruches erhielt. Die Bedeutung erschließt sich von Jes ,f. her, einer Stelle, die in einem anonymen Midrasch als Beschreibung der Offenbarung der Gottesherrschaft gedeutet wird. Eine sehr verschlungene Deutung! Ebensowenig überzeugt der Versuch, aus dem ersten Versteil eine Dreiteilung der Heilsgeschichte herauszulesen: „() the period of law and prophets, climaxing in John’s ministry; () the period of John’s ministry, serving as the introduction of the eschatological period (cf. Matt. : and ); and () the period of Jesus, in whom the kingdom operates among men in power“ (S. ). Daß der Spruch selbst die Zeit des Täufers als eigene Epoche bezeichne, vermag ich nicht zu sehen. – J. S, a. Anm. a. a. O., S. ff. deutet die Gewalttäter, die sich der Gottesherrschaft bemächtigen, als Leute, die die üblichen Einlaßbedingungen nicht erfüllen, also auf Zöllner und Sünder. Ähnlich jetzt auch G. T, Jesusbewegung als charismatische Wertrevolution, NTS , , S. ff., bes. f.; „Gewalttäter“ sei metaphorische Selbstbezeichnung der Jesusbewegung. Zwei geistreiche, aber kaum beweisbare Thesen! 169 Vgl. die Zusammenstellung bei H. M, a. Anm. a. O., S. ff. Für die erste Möglichkeit z. B. W. T, a. a. O., für die zweite H. M.
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spricht die zweite Übersetzung besser dem Kontext, in welchem Gottesherrschaft und „Gesetz und Propheten“ gegenübergestellt werden. In beiden Fällen aber bestätigt das Logion die Gegenwärtigkeit der Gottesherrschaft; denn man kann sie nur gewalttätig rauben oder entschlossen an sich reißen, wenn sie bereits da ist. Klar ist schließlich die Aussage der Gleichnisse vom Schatz und von der Perle (Mt ,–). Ein Mensch findet einen vergrabenen Schatz und verkauft überwältigt vor Freude seine Habe, um in den Besitz des Schatzes zu kommen. Ebenso handelt ein Perlenkaufmann, der eine besonders kostbare Perle gefunden hat. So verhält es sich mit der Gottesherrschaft. Der Mensch, der in der Verkündigung Jesu der Gottesherrschaft begegnet, wird sich ihr ganz hingeben. Aber es ist vorausgesetzt, daß der Mensch tatsächlich der Gottesherrschaft begegnet! Der Mensch im Gleichnis verkauft sein Hab und Gut ja nicht deswegen, weil er in jenem Acker einen Schatz finden könnte, sondern weil er ihn bereits gefunden hat; der Perlenkaufmann hofft nicht nur auf eine besonders kostbare Perle, sondern sieht sie vor sich. „Das Reich Gottes wird jetzt schon gefunden, es wird jetzt schon eingehandelt. Der Schatz und die Perle werden nicht proleptisch und nicht antizipatorisch und nicht dynamisch erworben, sondern real.“170 Johannes Weiß hatte dagegen den beiden Gleichnissen nur den Gedanken entnehmen wollen, um des Reiches Gottes willen seien die größten Opfer geboten, womit er die Texte seinem Jesusbilde einordnen konnte; daß von einem „Opfer“ nicht gesprochen werden kann, ist aber evident170a . Der Schatzfinder handelt geradezu berechnend, und der Perlenkaufmann handelt kaufmännisch! Die oben zitierten unwirschen Bemerkungen, mit denen Wrede und Heitmüller diese Texte beiseitezuschieben versuchten, sprechen für sich: mit dem Bilde eines apokalyptischen Rufers sind sie nicht vereinbar. | Aus diesen Jesusworten ergibt sich eine klare Gesamtaussage: Da wo Jesus Menschen heilt, und da, wo Jesus Menschen das Heil Gottes ansagt, da ist die Gottesherrschaft angebrochen, mitten im Alltag der galiläischen Bauern und Bäuerinnen, Fischer und Zöllner.
IV. Der Mensch unter der Herrschaft des gütigen Gottes Es bleibt noch zu konkretisieren, wie Jesus die Gegenwart der Gottesherrschaft verstanden hat. Zunächst darf man davon ausgehen, daß Jesus ähnlich wie der Täufer den Menschen in einer auswegslosen Unheilssituation sieht171 . Neben dem Doppelspruch Lk 170 G. L, a. Anm. a. O., S. ; ähnlich auch H. W, Die Gleichnisse Jesu als Metaphern, Göttingen, . Aufl., , S. ; J. G, a. Anm. a. O., S. . 170a J. W, a. Anm. a. O., ./. Aufl., S. . Ebenso z. B. R. B, Jesus (siehe Anm. ), S. . Dagegen z. B. H. W, a. a. O., S. . 171 J. B, a. Anm. a. O., S. ff.; H. M, a. Anm. a. O., S. ff. Da Jesus seine Wirksamkeit faktisch auf Israel beschränkt hat, ist es durchaus richtig, wenn H. M, a. a. O., S. , i. S. Jesu vom „Unheilskollektiv Israel“ spricht. Aber die oben vorgenommene Verallgemeinerung dürfte der Intention Jesu entsprechen: „Aus dem Verhältnis zwischen dem Knecht und seinem Herrn und dem damit gekoppelten Verhältnis der Knechte untereinander (Mt ,–) kann geschlossen werden, daß sich alle Menschen in der gleichen Situation von Verschuldung und gegenseitiger Verpflich-
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,– mit dem drohenden Refrain: „. . . Wenn ihr nicht umkehrt, werdet ihr alle . . . umkommen“, wird man hier an Gleichnisse erinnern dürfen, die von Menschen handeln, denen das Wasser bis zum Hals steht (Lk ,–a; Mt ,–). Aber im Unterschied zum Täufer ist die Gerichtsansage bei Jesus keine unbedingte, sondern sie wird durch eine Heils- und Gnadenzeit unterfangen. Der unfruchtbare Feigenbaum (Lk ,–) wird nicht abgehauen, sondern darf noch ein Jahr stehenbleiben und soll gehegt und gepflegt werden – unvorstellbar, daß er unter diesen Voraussetzungen nicht doch noch Frucht brächte. Es wird dem Gleichnistext wohl nicht ganz gerecht, wenn man sagt, es werde „dem unfruchtbaren Feigenbaum eine letzte Chance eingeräumt“172 , ohne daß man der besonderen Bemühungen um den Baum gedenkt, die ihm das Fruchtbringen ermöglichen; auch die Aussage, die Ethik werde „durch das bald hereinbrechende Eschaton“173 motiviert, geht am Text vorbei, da die Jahresfrist genau die für das Fruchtbringen benötigte Zeitspanne ist. Am deutlichsten wird das hier Gemeinte im Gleichnis vom Schalksknecht (Mt ,–)174 . Die sprachliche Analyse zeigt, daß der vormatthäische | Bestand die Verse b– umfaßt haben dürfte175 . Die erste Szene stellt einen Mann mit unvorstellbar hohen Schulden vor (zehntausend Talente entsprechen Millionen Drachmen; zum Vergleich: die jährlichen Einnahmen des Königs Herodes beliefen sich auf etwa Talente). Der Herr dieses (betrügerischen? leichtfertigen? unfähigen?) Verwalters faßt Sanktionen ins Auge, die jüdischem Recht nur teilweise entsprechen176 ; aber dadurch will der Erzähler nur unterstreichen, daß sich der Mann in einer völlig ausweglosen Unheilssituation befindet. Und doch: Es geschieht ein Wunder. Dieser Mann kommt frei und ledig davon. So verhält es sich, wenn Gott zur Herrschaft kommt! In der zweiten Szene schickt der Erzähler dem so unerwartet begnadigten Verwalter einen Mitknecht über den Weg, der ihm eine vergleichsweise geringfügige Summe schuldet; er läßt den Mitknecht mit denselben Worten wie vorher den Verwalter um Geduld bitten, aber der besteht auf seinem Recht: Er bringt seinen Schuldner in
tung befinden. Nach welchem Maßstab wollte man hier Grenzen ziehen?“ (W. T, Die Botschaft Jesu, Freiburg/Basel/Wien , S. ). 172 W. S, Ethik des Neuen Testaments (GNT ), Göttingen, . Aufl., , S. . 173 Ibid. 174 A. W, Die Knechtsgleichnisse der synoptischen Evangelien, München ; P. F, Jesus und die Sünder, Bern/Frankfurt a. M. , S. ff.; H. M, a. Anm. a. O., S. ff.; H. W, a. Anm. a a. O., S. ff.; W. H, Die Gleichniserzählungen Jesu, Göttingen , S. ff.; I. B, Die Parabel vom Verzicht auf das Prinzip von Leistung und Gegenleistung (Mt ,–), in: À cause de l’Évangile (FS J. D), Paris , S. ff.; P. D, Rabbinische Gleichnisse und das Neue Testament, Bern/Frankfurt a. M./New York/Paris , S. f. 175 Vgl. bes. A. W, a. a. O. W hält auch den stark matthäisch geprägten V. für redaktionell, aber er ist – mit I. B – als erzählerisch notwendig beizubehalten. Gegen weitergehende Dekompositionsversuche spricht die sachlich gute szenische Dreiteilung: () Herr–Knecht: Nachlaß der Schuld, () Knecht–Mitknecht: kein Nachlaß der Schuld, () Mitknecht–Herr–Knecht: Widerruf des Schuldenerlasses (D, a. a. O., S. /). 176 Vgl. J. J, Die Gleichnisse Jesu, Göttingen, . Aufl., , S. . Seiner Meinung nach ist der Befehl des Königs „in erster Linie als Ausdruck seines Zornes zu verstehen“ (S. ).
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Schuldhaft. (Bei einer derart geringen Summe durfte der Schuldner nicht verkauft werden.) Die dritte Szene schildert die Reaktion des Herrn. Er ist verständlicherweise empört darüber, daß der Knecht, dem er sich so gütig gezeigt hatte, daraus nichts gelernt hat, und übergibt ihn den Folterknechten. Die beiden ersten Szenen des Gleichnisses (Vs b–) sprechen für sich selbst. Aber die Schlußszene erscheint anstößig. „Das nach Vs – über den Knecht hereinbrechende Gericht . . . darf gar nicht mehr erzählt werden, denn es relativiert die zuvorkommende Barmherzigkeit Gottes. Es macht diese nämlich abhängig von unserem (Un-)Vermögen, ihr zu entsprechen.“177 Ist dieser Anstoß begründet und berechtigt er dazu, die Verse – als späteren Zuwachs zu betrachten? Diese Frage muß verneint werden178 . Der Horizont des Gleichnisses ist das Gericht, die Rechenschaftsablage (Vs ). Diesem Gericht wäre der erste Knecht ausweglos verfallen, hätte nicht sein Herr ein ganz unbegreifliches Erbarmen mit ihm. Dem Gericht ist die Gnade vorgeordnet. Dieser Gesichtspunkt ist für die Verkündigung Jesu schlechthin grundle- | gend und markiert den entscheidenden Unterschied zu Johannes dem Täufer. Wie schon für Lk ,–.– gilt auch hier: „Das drohende Gericht ist nicht mehr unabwendbar und auswegslos. Gott selbst schafft die Möglichkeit einer gegenwärtigen Gnadenzeit mit positiver Folge für die Zukunft.“179 Die Gnade Gottes kommt also unserem Tun zuvor und ist insofern unabhängig von unserem Vermögen oder Unvermögen. Aber die Vergebung bleibt nur über dem, der sich in seinem Leben davon bestimmen läßt. Der Mißbrauch der Gnade verfällt dem Gericht. „Der große Schuldner streicht die empfangene Vergebung insofern selbst durch, als er, wie er zeigt, sein Leben nicht von ihr regiert sein lassen will – entzieht er doch die Vergebung bzw. ihr Echo seinem Bruder. Sähe er in der Vergebung den Grund seiner Existenz, so müßte er selbst zur Vergebung bereit sein.“180 Bedeutet die Gottesherrschaft nach diesem Gleichnis somit totalen Schuldenerlaß für die Verschuldeten, so stellt Jesus sie im Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk ,–)181 als die Annahme der Verlorenen dar. Hier wird Gott unter dem Bild eines Vaters gezeichnet, der sehnsüchtig darauf wartet, daß sein davongelaufener Sohn zurückkehrt, um ihn dann wider alles Erwarten voll in seine Sohnesrechte einzusetzen. Gerade dieses Gleichnis zeigt, daß es zutiefst seinen Sinn hat, daß Jesus trotz der zentralen Rede von der βασιλεία τοῦ θεοῦ Gott nie βασιλεύς nennt182 , sondern Vater. Dabei bedient sich Jesus des familiären aramäischen Wortes Abba183 , und erin177
H. W, a. a. O., S. ; ähnlich P. F, a. a. O. Vgl. die genannten Arbeiten von H, B und D. 179 J. B, a. Anm. a. O., S. . 180 G. E, Gleichnisse der Evangelien, Neukirchen-Vluyn , S. . 181 N. P, a. Anm. a. O., S. ff.; H. W, a. Anm. a a. O., S. ff.; R. H, Gleichnis und Situation, BZ , , S. ff.; H. M, a. Anm. a. O., S. ff. 182 Mt , dürfte eine sekundäre Einschränkung und Abschwächung der ursprünglichen Forderung, überhaupt nicht zu schwören, sein. Siehe G. S, a. Anm. a. O., S. . Vgl. K. W. M, in diesem Band o. S. ff. 183 Grundlegend: J. J, Abba, in: D., Abba. Studien zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte, Göttingen , S. ff.; H. M, a. Anm. a. O., S. ff.; P. H, 178
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nert damit an die Erfahrungen des Kleinkindes, das (normalerweise) von den Eltern angenommen wird, wie es ist, und das aus einem Urvertrauen zu den Eltern heraus lebt. Das ursprünglich isoliert überlieferte Logion Mk ,, das den Zugang zur Gottesherrschaft davon (und nur davon) abhängig macht, daß der Mensch sie vertrauensvoll wie ein Kind annimmt, fügt sich hier gut ein184 . Eine wahrhaft paradoxe „Einlaßbedingung“! Wenn der Gnaden- und Geschenkcharakter der Gottesherrschaft aus diesen | Überlieferungen deutlich geworden ist, so machen sie andererseits auch deutlich, daß das gütige Handeln Gottes das Handeln des Menschen bestimmen soll. Der „Schalksknecht“ zieht sich das Gericht zu, weil er trotz der empfangenen Barmherzigkeit seinen Mitknecht unbarmherzig behandelt. Auch die unableitbare Forderung der Feindesliebe begründet Jesus mit dem gütigen Verhalten Gottes, das keine Grenzen kennt185 . Ebenso grenzenlos soll der Mensch unter der Gottesherrschaft sich dem Mitmenschen zuwenden. „Der Feind ist nicht letzte Stufe der gerade noch möglichen Zuwendung, sondern Basisbestimmung. Der Extremfall wird Ansatz für jedes Sozialverhältnis, das grundsätzlich immer durch Liebe bestimmt sein soll.“186 Wenn der Wille Gottes somit letztlich an seinem Verhalten als des gütigen Schöpfers und des alles schenkenden endzeitlichen Herrschers abgelesen werden soll, dann kann die Tora nicht mehr die entscheidende Willenskundgabe Gottes sein187 . Schon der „Stürmerspruch“ hat ja die Gotteshertschaft als Ablösung der Zeit des Gesetzes proklamiert. „Die Zeit der prophetischen | Weissagung, die Zeit der traditionellen „Er weiß, was ihr braucht . . . “ (Mt ,), in: Ich will euer Gott werden, Beispiele biblischen Redens von Gott (SBS ), , S. ff., bes. S. ff.; H. M, a. Anm. a. a. O., S. ff.; J. A. F, Abba and Jesus’ Relation to God, in: À cause de l’Évangile (FS J. D), Paris , S. ff. 184 E. B, Mark :–: The Child as Model Recipient, in: Biblical Studies – Essays in Honour of W. B, London , S. ff. – A. L, a. Anm. a. O., S. , rechnet Mk , zu den Logien, die „vermutlich von Jesus stammen“, während er in seinem ansonsten wichtigen Aufsatz: Die Kinder und die Gottesherrschaft, WuD , , S. ff., den Vers als vermutlich von Markus selbst gebildet beurteilt (S. ). H. M, a. Anm. a. O., S. Anm. , erkennt im Anschluß an W. G. K „Formulierung der Gemeindesprache“, aber sachlich korrekte Entsprechung zur „Intention Jesu“. J. S, a. Anm. a. O., Bd. II, S. f., sammelt Indizien, die für Gemeindebildung sprechen. 185 Aus der Literaturflut zu diesem Thema seien hervorgehoben: J. B, Feindesliebe – Nächstenliebe – Bruderliebe, ZEE , , S. ff.; D. Z, Die weisheitlichen Mahnsprüche bei den Synoptikern, Würzburg, . Aufl., , S. ff.; H. M, a. Anm. a. O., S. ff.; P. H, Tradition und Situation. Zur Verbindlichkeit des Gebots der Feindesliebe . . . , in: Ethik im Neuen Testament, hg. v. K. K, Freiburg i. Br. , S. –; G. S, Die Bergpredigt. Ein exegetischer Kommentar, Göttingen , S. f.; M. H, a. Anm. a. O., S. .–; W. S, a. Anm. a. O., S. ff. – Ebenfalls vom gütigen Verhalten des Schöpfergottes her ist Jesu Verbot des Sorgens motiviert; dazu: P. H, Der Q-Text der Sprüche vom Sorgen Mt ,– /Lk ,–, in: Studien zum Matthäusevangelium (FS W. P), Stuttgart , S. ff.; D., Die Sprüche vom Sorgen in der vorsynoptischen Überlieferung, in: Artikulation der Wirklichkeit (FS S. O), Frankfurt a. M. usw. , S. ff.; D., Jesu „Verbot des Sorgens“ und seine Nachgeschichte in der synoptischen Überlieferung, in: Jesu Rede von Gott und ihre Nachgeschichte im frühen Christentum (FS W. M), Gütersloh , S. ff. 186 J. B, a. a. O., S. . 187 Dieses Problem habe ich in meinem Aufsatz: The opposition between Jesus and Judaism, in: Jesus and the Politics of His Day, hg. v. E. B und C. F. D. M, Cambridge, . Aufl., , S. ff.,
Die Gottesherrschaft in der Verkündigung Jesu
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Offenbarung Gottes im geschriebenen Wort der Tora und im geschriebenen und mündlichen Wort der Propheten, geht bis zu Johannes dem Täufer. Das heißt aber: Von da ab beginnt etwas qualitativ Neues, das nicht mehr als die Zeit der Tora vom Sinai und der prophetischen Weissagung, sondern als Zeit der Erfüllung umschrieben werden muß.“188 Dieser grundsätzlichen Äußerung entspricht es, daß die Jesusüberlieferung kaum positive Bezugnahmen auf Toragebote bringt, während einzelne Torabestimmungen direkt kritisiert werden. Dies gilt für die nach Dtr , erlaubte Ehescheidung, die Jesus nach Mk , grundsätzlich ablehnt. Daß Jesus hier in Widerspruch zur Tora tritt, wird weithin anerkannt, selbst von Forschern, die Jesus sonst torakonform zeichnen189 . Jüdischerseits ist die Möglichkeit der Ehescheidung nie in Frage gestellt worden, die Urkirche hingegen kam sehr schnell zu anderslautenden Entscheidungen (vgl. schon Mk ,ff.; Mt ,f.; ,; .Kor ,–)190 , daher erscheint die Unableitbarkeit von Mk , als gesichert. Analoges wird für die ursprüngliche Fassung der „primären“ Antithesen der Bergpredigt (Mt ,.a; f.; .a.) gelten191 . Auch hier geht Jesus apodiktisch über alttestamentliche Setzungen hinweg. In der Zeit des Gesetzes mag es genügt haben, justitiable Tatbestände zu vermeiden, den vollbrachten Mord, den vollzogenen Ehebruch, den Meineid; der Mensch in der Gottesherrschaft dagegen wird schon den Ansatz zu diesen Untaten in seinem Herzen nicht aufkommen lassen. Die übliche Auffassung, in diesen Sprüchen werde die Tora radikalisiert, dürfte den Sachverhalt bes. ff., erörtert [in diesem Band S. –]. Neuere Arbeiten, die extrem kontroverse Positionen vertreten: P. S, Das Gesetz als Thema biblischer Theologie, ZThK , , S. ff.; M. H, Jesus und die Tora, ThB , , S. ff.; U. L, Jesus und die Tora, EvErz , , S. ff.; G. D, Gesetzeskritik und Gesetzesgehorsam in der Jesustradition, in: Das Gesetz im Neuen Testament, hg. v. K. K, Freiburg i. Br. , S. ff.; P. F, Die Tora bei Jesus und in der Jesusüberlieferung, ibid., S. ff.; G. K, Art. Gesetz III, TRE , S. ff.; J. B, Das Ethos Jesu und die Geltung des Gesetzes, in: Neues Testament und Ethik (FS R. S), Freiburg i. Br. usw., , S. ff.; W. S, a. Anm. a. O., S. ff. 188 M. H, a. a. O., S. . 189 Als einziger Torakonflikt Jesu wird Mk , bewertet von J. W, Das Evangelium Marci, Berlin, . Aufl., , S. ; W. T, a. Anm. a. O., S. . Ohne diese Einschränkung: D. C, The Synoptic Divorce Material as a Traditio-Historical Problem, BJRL , , S. ff.; W. S, a. Anm. a. O., S. ff.; M. H, a. O., S. f. – U. L, a. a. O., S. , schwächt die Tragweite ab: Daß einzelne Gebote außer Kraft gesetzt werden konnten, war im Judentum durchaus möglich. Etwa das alttestamentliche Gebot des Fluchwassers (Nu ,ff.) wurde im . Jh. n. Chr. abgeschafft, weil es nicht mehr praktikabel war, wobei er auf Sota , verweist. Aber dort beruft sich der Rabbi Jochanan ben Zakkai auf Hos ,, während der „Laie“ Jesus apodiktisch urteilt! „Jesu Sachkritik beruht . . . primär nicht auf Exegese, sondern auf Vollmacht, die die Unmittelbarkeit Gottes und seines Willens zum Zuge bringt.“ (W. S, a. Anm. a. O., S. f.) 190 In Qumran ist zwar die Polygamie verboten (CD IV ff.; TR ,f.), aber daß damit „möglicherweise auch eine Scheidung ausgeschlossen erscheint“ (J. M, Die Tempelrolle vom Toten Meer, München/Basel , S. ), leuchtet nicht ein. Rabbinische Diskussion bei S-B, S. ff. Vgl. auch G. D, Art. Ehescheidung, RAC IV, Sp. ff. 191 Auch hier kann nur auf Weniges verwiesen werden, was uns hilfreich erscheint: P. H, Auslegung der Bergpredigt III/IV, BiLe , , S. ff.ff.; H. M, a. Anm. a. O., S. ff.; G. S, a. Anm. a. O., S. ff.; M. H, a. Anm. a. O., S. –.
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nicht adäquat erfassen192 ; denn | die Forderung Jesu liegt auf einer ganz anderen Ebene als der des Gesetzes, zeigt sie doch auf, daß die innere Einstellung des Menschen zum Bruder, zur Frau, zur Wahrheit eine andere wird. Freiräume, die das Gesetz gelassen hat, gibt es jetzt nicht mehr. Der Mensch unter der Gottesherrschaft ist total in Anspruch genommen. Auch die dem nachexilischen Judentum so wichtige Sabbatgesetzgebung hat Jesus kritisch hinterfragt193 . Die Worte „Der Sabbat ist um des Menschen willen geschaffen, und nicht der Mensch um des Sabbats willen“ (Mk ,) und „Ist es erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun oder Böses zu tun, ein Menschenleben zu retten oder zu töten?“ (Mk ,) lassen keinen anderen Schluß zu: Der Sabbat ist nicht mehr als apriorische göttliche Setzung, sondern als eine gute Stiftung Gottes zum Wohle des Menschen zu verstehen. Wo Gottes gütige Herrschaft aufscheint, hat das Tun des Guten Vorrang vor dem Kultgesetz. Jesus hat das Sabbatgebot also nicht abgeschafft, aber dem Gebot der Nächstenliebe untergeordnet. In der zeitgenössischen Diskussion kann das Sabbatgebot zwar durch andere Toragebote „verdrängt“ werden, ansonsten aber darf es nur im Grenzfall der Lebensgefahr gebrochen werden. Ist die Stellungnahme Jesu damit aus dem Judentum unableitbar, so kann sie doch auch nicht auf urchristliche Positionen zurückgeführt werden, da das Judenchristentum hinter die Position Jesu zurückgegangen zu sein scheint, während die heidenchristliche Kirche weit darüber hinaus ging194 . Auch das – wahrscheinlich ursprünglich isoliert überlieferte – Logion Mk , „Es gibt nichts, das von außen in den Menschen eingeht, das ihn verunreinigen kann, sondern das, was aus dem Menschen herausgeht, das verunreinigt | den Menschen“ gehört in diesen Zusammenhang195 . Gegenüber einer Unzahl von abschwächenden 192 Von Radikalisierung der Tora könnte man etwa bei den Reinheitshalachot der Tempelrolle oder den Sabbathalachot der Damaskusschrift sprechen, vielleicht auch bei den Antithesen in ihrer matthäischen Fassung, nicht aber im Blick auf die Jesusstufe. Vgl. die zu Mt ,f. getroffene Feststellung von U. L, a. a. O., S. : „Hier verschärft Jesus das Dekaloggebot des Tötens dadurch, daß er es nicht juristisch, sondern ethisch auslegt. . . . Die paränetische Auslegung des Dekalogverbots . . . steht nicht mehr neben dem Recht, sondern tritt gleichsam an seine Stelle.“ Vgl. auch H. M, a. Anm. a. O., S. f. 193 Zur jüdischen Sabbatobservanz vgl. E. L, Art. σάββατον, ThW VII, S. ff. – Die Forschungsgeschichte von Mk , bietet F. N, Jesus and the Sabbath. Some Observations on Mark II, , in: Jésus aux origines de la christologie, hg. v. J. D, Leuven , S. ff. Ferner: M. H, a. Anm. a. O., S. ff.; W. S, a. Anm. a. O., S. f. Unbefriedigend ist U. L, a. Anm. a. O., S. , der nur kurz auf die Seltenheit eindeutiger Sabbatübertretungen Jesu hinweist, ohne sich über die Logien Mk ,; , zu äußern. A. L, „Der Sabbat ist um des Menschen willen geworden . . . “, WuD , , S. ff., erklärt apodiktisch zu ,: „Daß Jesus das Logion selbst gebildet hat, kann man m. E. ausschließen, ebenso christlichen Ursprung des Wortes; andernfalls wäre sein Auftauchen im Judentum kaum zu erklären“ (S. , Anm. ). Aber ist der unter dem Namen eines Tannaiten der . Generation – als exegetische Folgerung aus Ex ,! – überlieferte Spruch „Euch ist der Sabbat übergeben, und nicht seid ihr dem Sabbat übergeben“ formal und sachlich wirklich so nahe bei Mk ,, daß man nicht an unabhängige Formulierungen denken dürfte? 194 Vgl. W. R, Der Sonntag, Zürich . 195 Zur Analyse von Mk ,– vgl. außer den Kommentaren: J. L, Jesus and the law. An investigation of Mk ,–, Leuven ; R. D, Das Eigentliche der Ethik Jesu, Mainz , S. ff.; D. L, . . . womit er alle Speisen für rein erklärte (Mk ,), WuD , , S. ff.
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und verharmlosenden Deutungen196 wird hier als die Meinung Jesu zu erkennen sein, „daß nicht die äußerliche, rituelle Verunreinigung das Gottesverhältnis zerstört, sondern sein böses Herz und das, was aus ihm an Gedanken, Worten und Werken hervorgeht. Jetzt, da die Gottesherrschaft anbricht, verliert die rituelle Reinheit ihre – gerade die essenische und pharisäische Frömmigkeit beherrschende – Bedeutung“197 . Natürlich ist die Vorstellung, das Gottesverhältnis werde durch rituelle Verunreinigung zerstört, schon alttestamentlich; mithin muß man den Exegeten Recht geben, die hier eine torakritische Absicht Jesu sehen198 . Die tiefsten Konsequenzen von Mk , hat schon längst Ernst Käsemann aufgezeigt: „. . . Wer bestreitet, daß die Unreinheit von außen auf den Menschen eindringt, trifft die Voraussetzungen und den Wortlaut der Tora und die Autorität des Moses selbst. Er trifft darüber hinaus die Voraussetzungen des gesamten antiken Kultwesens mit seiner Opfer- und Sühnepraxis. Anders gesprochen: Er hebt die für die gesamte Antike grundlegende Unterscheidung zwischen dem Temenos, dem heiligen Bezirk, und der Profanität auf und kann sich deshalb den Sündern zugesellen.“199 Angesichts dessen erscheint es fast als | absurd, wenn Mk , neuerdings Jesus ab- und einem urchristlichen Anonymus zugesprochen wird200 . Das Argument, Paulus habe sich in der Frage der Tischgemeinschaft von Juden- und Heidenchristen auf ein Wort wie Mk , nicht berufen können, weil es ein solches Wort nicht gab, ist nicht nur als argumentum e silentio fragwürdig, sondern auch im Blick darauf, wie Paulus sonst mit angeblich autoritativen Jesusüberlieferungen umgegangen ist. Denn in .Kor ,f. spielt Paulus auf eine Überlieferung wie Mt ,; Mk ,f. an, um aber den vorlie196 Zur älteren Forschungsgeschichte vgl. meinen Aufsatz: Markus , – das Jesuswort über die innere Verunreinigung, ZRGG , , S. ff. [in diesem Band S. –]. Abschwächende Auslegung jetzt auch bei U. L, a. a. O., S. („Es könnte sich hier aber auch um eine überspitzte, rhetorisch geschliffene Formulierung handeln, die lediglich betonen wollte, daß die Worte eines Menschen, die aus seinem Herzen kommen, ihn unendlich viel mehr verunreinigen als rituelle Unreinheit“, wobei L sich auf Mt ,f. beruft!). J. D. G. D, Jesus and ritual purity, in: À cause de l’Évangile (FS J. D), Paris , S. ff., möchte mit Hilfe von Mt , und Thomasevangelium, Logion , eine weniger scharfe Formulierung des Logions als jesuanisch ansehen, die (ähnlich wie L es annimmt) die innere Reinheit für wichtiger als die rituelle erklärte (S. ). Da – wie D aber selbst sieht – die gemilderte matthäische Form sich durchaus matthäischer Redaktion verdanken kann (S. ) – in diesem abmildernden Sinn hat Matthäus das ganze Streitgespräch bearbeitet! –, ist diese These nicht überzeugend. Für Abhängigkeit von Mt ,– von Mk ,– plädiert mit guten Gründen C. M. T, The Revival of the Griesbach Hypothesis, Cambridge , S. ff. Auch bleibt, wie schon oben bemerkt, die Abhängigkeit des Thomasevangeliums von den Synoptikern immer noch sehr wahrscheinlich, so daß Logion kaum eine vormarkinische Tradition wiedergeben dürfte. 197 M. H, a. Anm. a. O., S. . Dort auch der Verweis auf Lk ,f. (S. ). 198 W. G. K, Äußere und innere Reinheit bei Jesus (), in: D., Heilsgeschehen und Geschichte II, Marburg , S. ff.; H. H, Mark. VII.– und das „jüdisch-hellenistische“ Gesetzesverständnis, NTS , /, S. ff.; L. G, a. Anm. a. O., S. ; R. P, Markusevangelium I, S. . (siehe Anm. ). J. L, a. a. O.; R. D, a. a. O.; G. K, a. Anm. a. O., S. ; J. B, a. Anm. a. O., S. f.; W. S, a. Anm. a. O., S. f. 199 E. K, a. Anm. a. O. 200 H. R, Zur Herkunft von Markus ,, in: Logia. Les paroles de Jésus, hg. v. J. D, Leuven , S. ff.; G. D und P. F, a. Anm. a. O.; E. P. S, a. Anm. a. O., S. .
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genden Fall anders zu entscheiden. Und in .Kor , spielt Paulus auf ein Jesuswort von der Entlohnung der Evangeliumsverkündiger an (vgl. Lk ,), das aber neben Argumenten aus dem allgemeinen Recht und dem Alten Testament steht und ebenfalls seine eigene Entscheidung nicht bestimmt201 . Leuchtet somit die Echtheitskritik vom paulinischen Befund her überhaupt nicht ein, so kann man mit dem Kriterium der Kohärenz die jesuanische Herkunft von Mk , bekräftigen: Die in vielen Überlieferungsstücken sich spiegelnde Freiheit Jesu von allen möglichen „Berührungsängsten“, sei es gegenüber „Zöllnern und Sündern“, gegenüber Prostituierten oder Aussätzigen202 , ließe sich kaum verstehen, wenn Jesus nicht grundsätzlich die Zuwendung zum Menschen über kultische Reinheit gestellt hätte. Nur kurz sollen noch weitere Sachverhalte und Texte erwähnt werden, die belegen, daß die Tora für Jesus nicht mehr letztgültiger Maßstab war: So führte sein Ruf in die Nachfolge (Mt ,f.; Mk ,–) zum Bruch mit frommer Sitte und auch mit dem Vierten Gebot203 , und die von Jesus beanspruchte Vollmacht zur Sündenvergebung greift nach einer göttlichen Prärogative (Ex ,f.)204 . | Schließlich zeigt die in der vormarkinischen und vorjohanneischen Tradition überlieferte Tempelaustreibungsgeschichte205 , daß Jesus eine Zeichenhandlung im Tem201
Weitere Überlegungen zu diesem Problem bei J. B, a. a. O., S. ff. – Die Frage, inwieweit Paulus mit Jesustraditionen bekannt war, wird kontrovers diskutiert. Daß Paulus in Gal , sagen wolle, er habe sich um Informationen bei Kephas bemüht (so J. D. G. D, NTS , , S. ff.), ist wohl überzogen (s. O. H, ZNW , , S. ff.). Zum Thema vgl. P. S, Jesustradition im Römerbrief?, ThB , , S. ff.; F. N, Paul and the Sayings of Jesus, in: L’Apôtre Paul. Personnalité, style et conception du ministère, hg. v. A. V, Leuven , S. ff.; N. W, Paulus und die urchristliche Tradition, NTS , , S. ff. 202 Vgl. Mk ,–; Mt , par.; Lk ,–; Mk ,–; Lk ,–. Ohne in die Diskussion über die Authentizität der einzelnen Stücke eintreten zu können, sei der vernünftige Grundsatz in Erinnerung gebracht: Geschichten kreisen um Geschichte! 203 M. H, Nachfolge und Charisma, Berlin . Sogar E. P. S räumt ein, daß Jesus in diesem Fall gegen die Tora verstößt (Jesus and Judaism, siehe Anm. , S. ff.). 204 Zu Mk ,– kommen die beiden neuesten Untersuchungen trotz unterschiedlicher literarkritischer Ansätze zum u. E. gut begründeten Ergebnis, daß der Zuspruch der Sündenvergebung auf den irdischen Jesus zurückgeht: O. H, Jesu Zuspruch der Sündenvergebung. Exegetische Erwägungen zu Mk ,b, in: Diakonia (FS B. S), Thessalonike, , S. ff.; H.-J. K, Die Frage der Sündenvergebung in der Perikope von der Heilung des Gelähmten (Mk ,– par.), BZ , , S. ff. Auch für F. M, Der Anspruch Jesu, in: D., Die Kraft der Wurzel, Freiburg i. Br. usw. , S. ff., wird hier der unerhörte Geltungsanspruch Jesu deutlich: „Mit dem Anspruch auf die göttliche Vollmacht zur Sündenvergebung fiel Jesus zweifellos aus dem Rahmen des Judentums“ (S. ). Nun hat P. F, Jesus und die Sünder, Bern/Frankfurt a. M. , mit dem Hinweis darauf, daß nach alttestamentlich-jüdischem Glaubensverständnis nur Gott das Recht zur Sündenvergebung besitze, erklärt, es sei „ganz unwahrscheinlich, ja geradezu ausgeschlossen, daß Jesus, wie Mk ,– – vordergründig gesehen – behauptet, Sünden vergeben und/oder ein Wort wie Mk , gesprochen hat“ (S. ). Dazu bemerkt M mit Recht, hier werde „der methodische Fehler begangen, Jesu Anspruch am jüdischen Glaubensverständnis zu normieren: Er darf nur gesagt und gelehrt haben, was diesem Glaubensverständnis entsprochen habe! Natürlich gewinnt man auf solche Weise einen rein »jüdischen« Jesus, was er aber nicht war“ (S. Anm. ). 205 Mit F. H, a. Anm. a. O., S. m. Anm. , halte ich diese Bezeichnung für zutreffender als die übliche „Tempelreinigung“. Die Deutung Mk , ist sicher sekundär (R. B, a. Anm. a. O., S. ; J. R, Das Kerygma und der irdische Jesus, Göttingen , S. ).
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pel ausführte, die letztlich den alttestamentlich sanktionierten Kultbetrieb in Frage stellen konnte (Mk ,–; Joh ,–)206 . Auch diese – in den Evangelien sehr unterschiedlich gedeutete – Handlung läßt sich bestens in unsere Gesamtsicht integrieren: Da Gott jetzt selbst herrscht, ist die Vermittlung durch den Kultus nicht mehr angemessen. Dem fügt sich organisch an, daß Jesus anderwärts die Versöhnung mit dem Bruder für wichtiger als die Darbietung einer Opfergabe im Tempel erklärt hat (Mk ,f.)207 . Alle diese Fälle, in denen Jesus konkrete Bestimmungen der Tora vergleichgültigt oder kritisiert hat, lassen einen ungeheuren Autoritätsanspruch erkennen. So konnte kein Prophet sprechen und auch der Täufer nicht. Für die jetzt anbrechende Zeit der Gottesherrschaft wird der Wille Gottes autoritativ im Wort Jesu kundgemacht, wie er für die vergangene Epoche im Gesetz des Mose formuliert war. Der sowohl in Q als auch in der Markus-Überlieferung (Mk ,; Lk , par.)208 wiedergegebene Anspruch Jesu, das Urteil Gottes richte | sich nach der Stellung des Menschen zu Jesus und zu seinem Wort, beansprucht unüberbietbare Vollmacht209 .
V. Die Vollendung der gegenwärtigen Gottesherrschaft Kann es somit keinen ernsthaften Zweifel daran geben, daß Jesus von dem Bewußtsein her dachte, sein Wirken und Verkündigen stelle die entscheidende Zäsur in der Geschichte Gottes mit seinem Volk dar, so daß jetzt schon das Heil als Leben aus Gottes Nähe und Güte möglich sei, so bleiben doch diejenigen Logien noch zu bedenken, welche einen zukünftigen Aspekt der Basileia bezeugen. Wer die Gottesherrschaft jetzt nicht in der rezeptiv-dankbaren Weise des Kindes annimmt, wird nicht 206 Die Austreibung von Verkäufern, Käufern und Geldwechslern legt den Kultbetrieb faktisch lahm! In der johanneischen Form werden nur Verkäufer und Wechsler vertrieben. Die Notiz Mk , wird meist gedeutet, Jesus habe „das Durchtragen von Gefäßen (häuslichen Bedarfs) durch den Vorhof (zur Abkürzung des Weges) untersagt“ (Roloff, S. ) – aber naheliegender ist, an Gefäße kultischen Bedarfs zu denken. So mit Entschiedenheit J. G, a. Anm. a. O., S. . [Zu dieser Perikope vgl. jetzt meinen Aufsatz: Markus ,f.: Tempelreinigung oder Tempelblasphemie?, in diesem Band S. –.] 207 Für die Echtheit dieses Stückes spricht die „kategorische hyperbolisch zugespitzte exemplarische Forderung, die auf eine neue Grundeinstellung zum Mitmenschen zielt“ (U. L, a. Anm. a. O., S. ). 208 Dazu J. B, a. Anm. a. O., S. ff.; W. G. K, Das Verhalten Jesus gegenüber und das Verhalten des Menschensohns (), in: D., Heilsgeschehen und Geschichte II, Marburg , S. ff.; R. P, Über die Autorität Jesu. Eine Rückfrage anhand des Bekenner- und Verleugnerspruchs Lk ,f. par., in: Die Kirche des Anfangs (FS S), Freiburg usw. , S. ff. 209 Auch F. M, der die Torakritik Jesu sehr zurückhaltend beurteilt („Dieser Jesus . . . schien gerade die Weisungen Gottes in Frage zu stellen, etwa in Hinsicht auf das strenge Sabbatgebot oder die in der Tora selbst vorliegende Vorschriften über »rein« und »unrein«“), stellt fest, „daß Jesus von Nazareth in seinem Volk und zu seiner Zeit einen Anspruch erhoben hat, wie er so zuvor von niemandem in Israel erhoben worden ist, und der mit den Titeln und Würdenamen »Rabbi«, »Prophet«, »Messias« nicht abdeckbar ist“ (a. Anm. a. O., S. ). Bedenkenswert bleibt das Votum E. K: „Die einzige Kategorie, die seinem Anspruch gerecht wird, ist völlig unabhängig davon, ob er sie selbst benutzt und gefordert hat oder nicht, diejenige, welche seine Jünger ihm denn auch beigemessen haben, nämlich die des Messias“ (a. Anm. a. O., S. ).
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in sie hineingehen. Jesus lehrt seine Jünger, um das Kommen der Gottesherrschaft zu beten. Viele aus Ost und West werden in der Gottesherrschaft mit den Erzvätern zu Tische liegen, und Jesus selbst erwartet, nach seinem Tod in neuer Weise vom Gewächs des Weinstocks zu trinken. Können diejenigen, welche sich der Gottesherrschaft unterstellen, eine heilvolle Zukunft erwarten, so wird denjenigen, welche der neuen Situation nicht entsprechen, künftige Heillosigkeit angesagt. Wer jetzt die Einladung zum Festmahl ausschlägt, zieht sich für immer den Verlust der Einladung zu (Mt ,– par. Lk ,–). Weniger warnend als werbend zeigt das Gleichnis vom Verlorenen Sohn im älteren Bruder den Menschen, der sich vom Freudenmahl selbst ausschließt, weil er sich über den wiedergefundenen Bruder nicht freuen, weil er sich von der Gottesherrschaft als der Herrschaft der Gnade nicht regieren lassen will. Daß Gegenwart und Zukunft nicht im apokalyptischen Zwei-Äonen-Schema gedacht sind, ist klar210 : Es fehlt der Bruch, und Fest und Freude sind jetzt und dann bestimmend. Den Weg zum Verständnis weist das Gleichnis vom Senfkorn, dessen | ursprüngliche Fassung mit Hans Weder folgendermaben zu rekonstruieren ist: „Wie sollen wir das Reich Gottes abbilden, in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen? Wie mit einem Senfkorn (ist es), das, wenn es einmal ausgesät ist auf die Erde, aufwächst und große Zweige treibt, so daß die Vögel in ihrem Schatten nisten können.“211 Wer das sprichwörtlich winzige Senfkorn in die Erde legt, kann ganz sicher sein, daß daraus eine große Senfstaude heranwächst. Ebenso ist gewiß, daß die in der Predigt Jesu und in seinen Zeichenhandlungen unscheinbar anwesende Gottesherrschaft einmal universal zur Macht kommen wird. Das heißt, daß an die Stelle partieller Überwindung von Not, Leiden und Tod im Wirken Jesu und zeitweiliger Stiftung von Mahlgemeinschaft einmal die völlige Überwindung des Leides und immerwährende Festfreude treten sollen. Analog macht auch das Gleichnis vom Sauerteig (Lk ,f. par.) den alltäglichen Sachverhalt, daß eine kleine Menge Sauerteig eine riesige Menge Mehl durchsäuert, durchsichtig für den Glauben an die künftige Durchsetzung der Gottesherrschaft212 . Dabei ist übrigens vorausgesetzt, daß die Gottesherrschaft in Jesus bereits angefangen hat; eine bloß angekündigte Gottesherrschaft kann so wenig zur Vollendung kommen wie ein noch nicht unter das Mehl gerührter Sauerteig wirken kann. Auch das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk ,–) zeigt, daß die sichere Erwartung der Ernte nach der Aussaat die wunderbare Vollendung der in Jesu Wirken und Verkündigung angefangenen Gottesherrschaft erhoffen läßt213 . Saat und Ernte bezeichnen einen zusammengehörigen Vorgang214 , der in keiner Weise 210
Vgl. A. V, Das Neue Testament und die Zukunft des Kosmos, Düsseldorf , S. ff. H. W, a. Anm. a a. O., S. ; ganz ähnlich H. M, a. Anm. a. O., S. ff. 212 Vgl. H. W, a. a. O., S. f. 213 Vgl. H. W, a. a. O., S. f.; W. G. K, Noch einmal: Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat. Bemerkungen zur neutestamentlichen Diskussion um die Auslegung der Gleichnisse Jesu, in: D., Heilsgeschehen und Geschichte II, Marburg , S. ff. 214 Durch das Joel-Zitat erscheint die Ernte aber nicht mehr als der natürliche Abschluß des Geschehens, sondern als etwas Drohendes. Außerdem wird das Gleichnis dadurch allegorisierend übermalt (so 211
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beschleunigt oder verkürzt wird, sondern auf seine Weise abläuft. Die „Zerdehnung“ in V. f. nimmt dem Vorgang alles Drängende215 . Die Zukunft ist Vollendung dessen, was jetzt wirklich wird oder nie; daher kann Jesus dieses Zukünftige ganz Gott überlassen. Unser Versuch, die in sich nicht schlüssige Jesusüberlieferung methodologisch klar zu analysieren, hat ein in sich geschlossenes und theologisch bedeut- | sames Gesamtbild ergeben. Die folgende thesenartige Zusammenfassung soll dies noch einmal verdeutlichen und zugleich die Eigenart Jesu gegenüber apokalyptischem Denken anzeigen216 . . Für Jesus wie für die Apokalyptik ist die Welt gottfern und heillos. . Für Jesus ist ebenso wie für die Apokalyptik die strenge Theozentrik charakteristisch: Nur Gott kann Heil schaffen. Während die Apokalyptik diese Welt aber so grundsätzlich negativ ansah, daß Heil erst in einem kommenden Äon möglich erschien, hat Jesus diese Welt als möglichen Ort heilvoller Gottesherrschaft angesehen. . Während die Apokalyptiker bis hin zu Johannes dem Täufer den Anbruch der Heilszeit mit dem Gericht Gottes verbinden, verbindet Jesus das Herrwerden Gottes mit der Ansage einer bedingungslosen Amnestie. . Da für die Apokalyptik Heil nur durch einen schöpferischen Neuanfang Gottes gegeben werden kann, ist menschliches Handeln unter den Bedingungen dieser Welt an die Tora vom Sinai gewiesen; ihre penible Erfüllung hilft zum Bestehen im Gericht. Für Jesus dagegen will der Schöpfer dieser Welt die Herrschaft über diese seine Schöpfung wieder ergreifen; infolgedessen gilt es, den ursprünglichen guten Willen des Schöpfers gegen die Geschöpfe im mitmenschlichen Handeln zu verwirklichen. Motivation für das Handeln ist nicht das Gericht, sondern die Dankbarkeit. . Für Jesus wie für die Apokalyptik verlieren die Prärogativen Israels ihre Bedeutung. Während die Apokalyptik aber dazu neigt, das Heil konventikelhaft auf einen „Rest“ Israels zu beschränken, sprengt Jesus vom Schöpfungsgedanken her jegliche Einengung des Heils auf. . Mit der Apokalyptik erwartet Jesus einen Zustand, in welchem Gott uneingeschränkt Herr ist. Aber dieser endgültige Heilszustand steht für Jesus nicht in absoluter Diskontinuität zur Gegenwart. „Die gegenwärtige Verwirklichung der Basileia steht . . . im Zeichen des Senfkorns.“217 Der Mensch wird damit sicher nicht zum „Aktanten des Reiches Gottes“218 , aber gelebte Güte und erfahrene Gemeinschaft darf Gleichnis für das Erhoffte werden. richtig R. P, a. Anm. a. O., S. ; P. D, a. Anm. a. O., S. /, sieht durch das Joel-Zitat die Gleichsetzung Anthropos im Gleichnis = Menschensohn begründet). So spricht viel für das Urteil H. W, a. Anm. a a. O., S. Anm. , der Anklang an Joel , sei sekundär. 215 Die Ausscheidung des V. durch H. W, a. a. O., S. , ist nicht hinreichend begründet. 216 Natürlich gibt es „die apokalyptische Theologie“ nicht, sondern eine Vielzahl von apokalyptischen Entwürfen, die auf jede neue Situation reagieren. Das hat besonders K. M, Art. Apokalyptik III, TRE , S. ff., herausgestellt. Im folgenden nehmen wir daher nur gewisse Grundelemente dessen an, was man – auch im Sinne M – als Apokalyptik bezeichnen kann. 217 P. H, a. Anm. a. O., S. . 218 Gegen G. L, a. Anm. a. O., S. f..
„Zu Bethlehem geboren . . . “ 1 Bei keinem neutestamentlichen Textbereich ist die fundamentalistische Versuchung wohl so groß wie bei den Weihnachtsgeschichten. Seit frühester Kindheit stehen uns diese Texte als reale Geschichten vor Augen: die Krippenfiguren unter dem Tannenbaum, die Krippenspiele im Kindergottesdienst, die Bilder großer Meister zeigen uns, wie es gewesen ist, und selbst das Gloria der himmlischen Heerscharen haben wir aus Bachs Weihnachtsoratorium im Ohr. Jedoch schon bei gründlicher Lektüre der Weihnachtstexte müßte uns auffallen, daß die uns geläufige Szenerie gar nicht nur aus dem Neuen Testament stammt. Beim Tannenbaum, dem in der Vorweihnachtszeit allgegenwärtigen Symbol, leuchtet das sicher ein: Im Orient gibt es ihn nicht. Er hat seinen Siegeszug seit dem Spätmittelalter vom Elsaß aus angetreten.2 Aber auch die zu jeder Krippe gehörenden Nebenfiguren Ochs und Esel sind erstmals im . Jahrhundert bei Origenes belegt, sie stammen aus Jes ,. Auch der Stall als Geburtsstätte Jesu ist nicht ursprünglich; „ob sich die Krippe in einem separaten Stall, einer Hürde im Freien oder der traditionellen Höhle befand . . . , läßt sich dem Lukas-Text nicht entnehmen“.3 Um die Mitte des . Jahrhunderts n. Chr. nahm man jedenfalls an, die Geburt Jesu habe in einer Höhle stattgefunden; so belegen es Justin der Märtyrer und das apokryphe Protevangelium des Jakobus. Im PseudoMatthäusevangelium, einem im ./. Jahrhundert entstandenen Apokryphon, wird das Jesuskind in einer Höhle geboren, nach drei Tagen siedelt Maria in einen Stall über und legt das Kind in eine Krippe, nach weiteren sechs Tagen zieht sie nach Bethlehem | um.4 Übrigens ist eine Krippe im antiken Palästina nicht aus Holz, sondern aus Lehm oder Stein; die heute übliche Holzkrippe hat erstmals Giotto in San Francesco zu Assisi gemalt. Auch die „Heiligen Drei Könige“ sind unbiblisch. Matthäus spricht von Magiern. Daß es drei Magier gewesen sein müssen, erschließt schon Tertullian um n. 1 [Ursprünglich veröffentlicht in: Die fundamentalistische Versuchung, hg. v. M. Oeming, Osnabrück , S. –.] Das Anliegen dieses für den Druck etwas erweiterten Vortrags ist es, die Einsicht in die Notwendigkeit historisch-kritischer Betrachtung zu fördern, wobei diese Notwendigkeit nicht nur der intellektuellen Redlichkeit, sondern auch dem glaubenden Verstehen dient. Darin weiß ich mich der meisterhaften Studie von A. Vögtle, Was Weihnachten bedeutet, Freiburg , verpflichtet. Die ältere wissenschaftliche Diskussion ist aufgearbeitet bei R. E. Brown, The Birth of the Messiah, Garden City ; vgl. weiter R. E. Brown, Gospel Infancy Narrative Research from to ; Part I (Matthew), CBQ , , –; Part II (Luke), ibid. –. 2 Zu diesen und den folgenden Angaben vgl. A. Meyer, Das Weihnachtsfest. Seine Entstehung und Entwicklung, Tübingen ; O. Cullmann, Der Ursprung des Weihnachtsfestes, Zürich/Stuttgart . Zum Weihnachtsbaum als christologischem Symbol vgl. die interessanten Ausführungen von O. Böcher, Radix Jesse – lignum vitae, in: Anstöße – Theologie im Schnittpunkt von Kunst, Kultur und Kommunikation (FS R. Volp), Darmstadt , –. 3 M. Hengel, Art. phatne, ThW ,. 4 Vgl. W. Bauer, Das Leben Jesu im Zeitalter der neutestamentlichen Apokryphen, –.
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Chr. aus der Dreizahl der Geschenke. Daß es Könige gewesen sein müssen, folgert Tertullian aus alttestamentlichen Texten (Jes ,, Ps ,f.). Selbst der uns so vertraute Tag der Geburt ist durch keine historische Nachricht verbürgt. Im Laufe des vierten Jahrhunderts hat die Kirche diesen Tag beansprucht, weil er der Hauptfesttag des von Kaiser Aurelian im Jahre zum Reichsgott erhobenen Sonnengottes (Sol invictus) war. Diese Übertragung wurde dadurch motiviert, daß Jesus Christus die in Mal , verheißene „Sonne der Gerechtigkeit“ sei. Mit Hilfe des Alten Testaments war aber um die Mitte des . Jahrhunderts ein unbekannter gelehrter Christ auf ein ganz anderes Datum gekommen. Die Erschaffung der Welt begann bekanntlich mit der Trennung von Licht und Finsternis. Das kann nur an der Frühjahrs-Tag- und -Nachtgleiche stattgefunden haben, die nach dem damals gültigen julianischen Kalender am . März lag. Da die Sonne am vierten Schöpfungstag erschaffen wurde, entstand sie am . März; mithin muß Jesus als die Sonne der Gerechtigkeit auch am . März geboren sein.5 Andere errechneten auf ähnlich spekulative Weise den . oder . April oder auch den . Mai. Schon um n. Chr. mokierte sich Clemens von Alexandrien über „Leute, welche allzu geschäftig nicht bloß das Jahr, sondern selbst den Tag der Geburt unseres Heilandes bestimmen“.6 Es wäre nicht schwer, weitere Beispiele anzuführen, wie das Weihnachtsfest durch fromme oder folkloristische Ausschmückungen gestaltet wurde. Der Historiker, der fragt, wie es eigentlich gewesen ist, muß jene sekundären und tertiären Elemente ausscheiden, um des Ursprünglichen ansichtig zu werden. Und der Theologe muß die eigentliche Botschaft kennen, um sie gegen Verkürzungen und Verzerrungen zu schützen.
I Die ältesten Darstellungen der Geburt Jesu finden wir in den Evangelien des Matthäus und Lukas. Diese Evangelien wurden nach gut begründeter Auffassung in den achtziger oder neunziger Jahren des . Jahrhunderts n. Chr. abgefaßt, mithin drei Genera- | tionen nach dem Ereignis.7 Nicht nur dieser zeitliche Abstand zwingt den Historiker zu kritischen Rückfragen, sondern mehr noch die Tatsache, daß die Erzählungen selbst sehr unterschiedliche Gestalt haben. Nach Mt sind Maria und Joseph in Bethlehem zuhause; dort wird das Kind geboren, dort huldigen ihm die „Magier aus dem Osten“, die den mißtrauischen König Herodes auf die Geburt eines Rivalen aufmerksam machen und damit zum Bethlehemitischen Kindermord veranlassen. Die Familie Jesu flieht daher nach Ägypten und 5
Ps-Cyprian, de pascha computus VIIf. Clemens Alexandrinus, strom. I, cap. XXI, ,. 7 Vgl. E. Lohse, Die Entstehung des Neuen Testaments, Stuttgart , . (Mt und Lk sind um n. Chr. anzusetzen); E. Schweizer, Theologische Einleitung in das Neue Testament, Göttingen , . (Mt gegen , Lk in den achtziger Jahren abgefaßt); W. G. Kümmel, Einleitung in das Neue Testament, Heidelberg , . (Mt zwischen – n. Chr., Lk zwischen – n. Chr.); A. Wikenhauser/J. Schmid, Einleitung in das Neue Testament, Freiburg , . (Mt und Lk zwischen – n. Chr.). 6
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kehrt erst nach dem Tod des Herodes zurück, zieht aber aufgrund einer im Traum empfangenen Weisung nach Galiläa und wird in Nazareth ansässig. Nach Lk dagegen ist die im Entstehen begriffene Familie des Joseph in Nazareth beheimatet, muß sich aber infolge der universalen Steuererhebung des Kaisers Augustus in den Herkunftsort Bethlehem begeben; dort wird das Kind aus Raummangel in einen Futtertrog gelegt. Die ersten, die ihm huldigen, sind Hirten. Acht Tage nach der Geburt wird das Kind im Tempel zu Jerusalem beschnitten, Tage danach folgt die „Darstellung im Tempel“, und dann kehrt die Familie an den alten Wohnsitz Nazarath zurück. Schon den alten Kirchenvätern sind die Widersprüche zwischen den beiden Erzählungen aufgefallen, und sie haben sich nach ihren Möglichkeiten um Harmonisierung bemüht. So meint z. B. Euseb von Caesarea (Anfang . Jh.), Lukas habe die Ereignisse bei der Geburt Jesu berichtet, während Matthäus Begebenheiten melde, die sich erst zwei Jahre später zugetragen hätten. Dazu greift Euseb – modern gesprochen – zu einer Hypothese: Die Eltern Jesu hätten alljährlich den Geburtstag des Jesuskindes in Bethlehem gefeiert – deshalb konnten die „Weisen“ sie zwei Jahre später dort antreffen8 . Abgesehen davon, daß der Matthäustext absolut nichts von einem zweijährigen Intervall zwischen Geburt Jesu und Huldigung durch die „Weisen“ sagt, wird man die gerade zur Zeit Eusebs aufblühende peregrinatio ad loca sancta für den Vater dieses Gedankens halten dürfen. Und daß in Mt ,– eben doch Bethlehem als der ursprüngliche Wohnsitz angesehen wird, übergeht Euseb. | Anders harmonisiert Augustin in seiner viel gelesenen Schrift de consensu evangelistarum die Weihnachtstexte: Auf die in Lk ,– geschilderten Ereignisse läßt er die Magierepisode (Mt ,–a) folgen, dann die „Darstellung im Tempel“ (Lk ,–a) und danach die Flucht nach Ägypten und die übernatürlicher Weisung bedürftige Rückkehr nach Nazareth (Mt ,b–).9 Abgesehen davon, daß Augustin recht willkürlich den Erzählzusammenhang des Matthäus in V. zerstört, ist es historisch völlig unwahrscheinlich, daß die Familie Jesu unbehelligt in die Hauptstadt reist und dort auch noch von Simeon und Hanna öffentliche Huldigungen empfängt, ohne daß der mißtrauische und für sein Spitzelsystem berüchtigte König Herodes etwas davon erfährt. Und wieso kehren die nach Lukas in Nazareth ansässigen Eltern wieder nach Bethlehem zurück, um erst jetzt von einem Engel nach Ägypten geschickt zu werden? Man könnte das Puzzlespiel natürlich noch weiter treiben und einzelne Erzählungen anders anordnen, aber keine Harmonisierung ist ohne Gewalt möglich, und jede Harmonisierung schafft neue historische Unwahrscheinlichkeiten. So ist das fundamentalistische Anliegen, die historische Zuverlässigkeit beider Darstellungen zu erweisen, als gescheitert zu betrachten.
8 Vgl. H. Merkel, Die Widersprüche zwischen den Evangelien. Ihre polemische und apologetische Behandlung in der alten Kirche bis zu Augustin, Tübingen , f. 9 Ibid. . – Vgl. ferner H. Merkel, Art. consensu evangelistarum, de, Augustinus-Lexikon I, /.
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Man wird den Fundamentalisten auch die Frage nicht ersparen dürfen, welche Vorstellung von der Inspiration sie eigentlich haben, wenn man zur Gewinnung des „richtigen“ Ablaufs der Ereignisse die Evangelientexte wie ein Puzzle neu zusammensetzen muß.
II Wenn eine vernünftige Harmonisierung also nicht möglich und letztlich auch unangemessen ist, fragen wir: Läßt sich wenigstens die Historizität einer Darstellung retten? Wir gehen also zum evangelikalen Denkansatz über. Natürlich befragen wir zuerst Lukas, der ja gemäß dem Prolog seines Evangeliums (Lk ,–) als Historiker gearbeitet hat.10 „Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzt würde . . . “ (Lk ,). Diese historische Einordnung der Geburt Jesu bietet erhebliche Schwierigkeiten; denn wir wissen absolut nichts von einem universalen Reichszensus unter Augustus, zumal nicht in der Herrschaftszeit des Herodes. Lukas schränkt im folgenden Vers diese Aussage ein: „Diese Schätzung war die allererste und geschah in den Tagen, da Kyrenios Landpfleger von Syrien war“ (Lk ,). | Demnach war die Reise nach Bethlehem nicht durch einen Reichszensus, sondern nur durch einen Provinzialzensus veranlaßt, den der syrische Legat P. Sulpicius Quirinius durchzuführen hatte. Wir wissen, daß dieser Quirinius / n. Chr. Prokonsul von Syrien war und nach der Absetzung des ältesten Herodessohnes Archelaos eine Volkszählung vornahm.11 Das war Jahre nach dem Tod Herodes d. Gr. Natürlich gibt es Versuche, Lukas und Josephus zu harmonisieren.12 Aber diese Versuche benötigen eine Reihe von Hypothesen, die alle unbewiesen sind. Nach wohlwollender Erörterung der apologetischen Argumente kommt Heinz Schürmann zu dem Ergebnis: „Gegen die Annahme, Lk , läge – zumindest in der Angabe über Quirinius – eine lukanische Verwechslung vor, können einige zur Vorsicht mahnende Gegenargumente angeführt werden, vor der Entdeckung neuer historischer Zeugnisse freilich kein völlig überzeugender Gegenbeweis“.13 Da sich in den Jahren, seit Schürmann diese vorsichtige Äußerung schrieb, keine neuen Zeugnisse gefunden haben, wird man dem Urteil François Bovons zustimmen müssen: „Wörtlich genommen irrt Lukas . . . , trifft aber dennoch die geschichtliche
10 Vgl. M. Hengel, Zur urchristlichen Geschichtsschreibung, Stuttgart , bes. –; E. Schweizer, a. a. O., f. 11 E. Schürer, The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ, revised and edited by G. Vermes & F. Millar, Bd. , Edinburgh , ff. 12 Am eindrucksvollsten: E. Stauffer, Die Dauer des Census Augusti. Neue Beiträge zum lukanischen Schatzungsbericht, in: Studien zum Neuen Testament und zur Patristik, E. Klostermann zum . Geburtstag dargebracht, Berlin , –. Das dort gebotene Textmaterial ist freilich sehr heterogen, und die für die Harmonisierung entscheidend wichtige Unterscheidung zwischen apographe und apotimesis ist problematisch. 13 H. Schürmann, Das Lukasevangelium, . Teil, Freiburg (HThK III/) .
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Tendenz der Zeit und des Kaisers narrativ und volkstümlich richtig.“14 Historisch problematisch sind auch die bei Lukas geschilderten Begleitumstände. Die Registrierung hätte in Nazareth stattfinden können; nur Grundbesitzer mußten am Ort ihres Besitztums erscheinen. Natürlich fällt einem konservativen Ausleger wie Theodor Zahn die Vermutung leicht, daß Joseph in Bethlehem „ein unbewegliches Eigentum besaß oder Mitbesitzer eines solchen war“.15 Viel hilft diese bloße Vermutung freilich nicht; denn warum begibt sich Joseph mit seiner schwangeren Verlobten in eine Herberge statt zu seinem Pächter? Schließlich war die Anwesenheit Marias nach römischem Recht nicht erforderlich; | warum sie die Beschwernisse dieser Reise auf sich genommen haben sollte, ist unerfindlich.16 Sind Anlaß und Begleitumstände der Reise nach Bethlehem kaum nachvollziehbar, wird man wohl fragen dürfen, ob diese Reise überhaupt stattgefunden hat, zumal ja Matthäus die Geburt Jesu in Bethlehem zwar in einem Nebensatz erwähnt, aber nichts von der Reise weiß. Blicken wir indes in das älteste Evangelium, das des Markus, so wird dort Bethlehem überhaupt nicht erwähnt. Nach Mk , ist Nazareth die Vaterstadt Jesu, und auch die häufige Benennung Jesu als nazarenos weist ihn als Nazaretaner aus. Auch das Vierte Evangelium, das zwar das jüngste ist, aber wohl auf judenchristlicher Tradition beruht, spricht schon in Joh ,f. von Jesus als dem Mann aus Nazareth. Aufschlußreich ist auch die Szene Joh ,–, die erkennen läßt, daß die galiläische Herkunft Jesu als Argument gegen seine Messianität verwendet werden konnte. Aber der Evangelist denkt nicht daran, solche Angriffe mit dem Hinweis auf die Geburt in Bethlehem zu parieren. Wir sehen daran, daß im frühen Christentum die Überzeugung von der Geburt Jesu in Bethlehem keineswegs Allgemeingut war. Wer die Historizität von Lk ,– bezweifelt, ist in guter Gesellschaft.17 | 14 F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas (Lk ,–.), Zürich – Neukirchen-Vluyn (EKK III/), . Ähnlich schon z. B. M. Hengel, Die Zeloten, Leiden – Köln (AGSU ), mit Anm. ; H. R. Moehring, The Census in Luke as an Apologetic Device, in: Studies in New Testament and Early Christian Literature (FS A. P. Wikgren), Leiden (NT.S ), –. Auch die Neubearbeitung des Standardwerkes von E. Schürer (s. o. Anm. ) kommt zu diesem Ergebnis. 15 Th. Zahn, Das Evangelium des Lucas, Leipzig/Erlangen / (KNT III), . 16 Th. Zahn, a. a. O., , stellt zu Recht fest: „Daß er (sc. Joseph) . . . die Reise zugleich mit Maria machte, war durch keine obrigkeitliche Anordnung veranlaßt“, und malt daher psychologisierend aus: „Joseph nahm auf diese Reise Maria mit sich, da sie schwanger war. In diesem ihrem Zustand wollte er sie nicht allein in Nazareth zurücklassen; er wollte sie den schimpflichen Nachreden ihrer Mitbürger entziehen, denen sie als eine verlassene Braut ausgesetzt war, wenn ihr Zustand an den Tag kam“ (S. ). Schade, daß davon nichts im Text steht! 17 In der bedeutenden Arbeit des katholischen Gelehrten J. P. Meier, A Marginal Jew. Rethinking the Historical Jesus, I, New York , , wird die Diskussion folgendermaßen resümiert: „While Jesus’ birth in Bethlehem cannot be positively ruled out (one can rarely »prove a negative« in ancient history), we must accept the fact that the predominant view in the Gospels and Acts is that Jesus came from Nazareth and – apart from Chapters – of Matthew and Luke – only from Nazareth. The somewhat contorted and suspected ways in which Matthew and Luke reconcile the dominant Nazareth tradition with the special Bethlehem tradition of their Infancy Narratives may indicate that Jesus’ birth at Bethlehem is to be taken not as a historical fact but as a theologoumenon, i. e. as a theological affirmation (e. g., Jesus is the true Son of David, the prophesied royal Messiah) put into the form of an apparently historical narrative. One must admit, though, that on this point certitude is not to be had.“
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III Suchen wir noch kurz nach historischen Elementen in der Hirtenszene (Lk ,–)!18 Daß es sich hier um das massivste Epiphaniewunder des ganzen Neuen Testaments handelt – nicht nur ein oder zwei Engel, sondern ein ganzes Engelsheer tritt auf –, soll nicht sofort die Etikettierung mit dem naheliegenden Reizwort „Legende“ begründen. Und daß die Hirten sich auf eine so machtvolle himmlische Proklamation hin eilends auf den Weg machen, ist durchaus einleuchtend. Nur – wohin sollen sie eigentlich gehen? In die Stadt Davids – so hatte der Engel gesagt. Im Alten Testament und im nachalttestamentlichen jüdischen Schrifttum ist das aber stets eine Bezeichnung für Jerusalem. Der Leser des Lukas weiß aus V. , daß die Geschichte „in der Stadt Davids, die da heißet Bethlehem“ spielt, aber die Hirten konnten das nicht wissen. Selbst wenn wir annehmen, die Hirten hätten aufgrund irgendwelcher Kenntnisse die vom Engel genannte „Stadt Davids“ mit Bethlehem identifizieren können, dann bleibt der Suchauftrag immer noch vage genug. Ein neugeborenes Kind in einem Futtertrog ist sicher etwas Ungewöhnliches – aber wo genau stand dieser Futtertrog? Auch wenn wir uns das antike Bethlehem als „ein eher kleines Landstädtchen“19 vorzustellen haben, dürfte es doch ein paar hundert Futtertröge dort gegeben haben. Die standen entweder in Wohnhäusern oder in Höfen oder in Ställen – wie sollten die Hirten zu mitternächtlicher Stunde den richtigen finden? Schließlich wird man bei einem derartigen Einbruch der himmlischen in die irdische Welt auch fragen dürfen, welche Auswirkungen er hatte. Und hier muß man doch wohl eine totale Fehlanzeige vermelden. Weder hören wir davon, daß auch nur einer der Hirten sich später Jesus angeschlossen hat, noch beruft sich irgendein urchristlicher Zeuge auf diese himmlische Proklamation – nicht einmal der notorisch mißtrauiche König Herodes hat durch einen seiner zahllosen Spitzel davon erfahren. Ich breche das „historische Verhör“ der lukanischen Weihnachtsgeschichte ab. Sie bietet so viele historische Unklarheiten und Unwahrscheinlichkeiten, daß wir sie vernünftigerweise nicht als historischen Bericht verstehen können.
IV Müßte ich meinen Vortrag an dieser Stelle beenden, dann verstünde ich bis zu einem gewissen Grad, wenn Hörerinnen und Hörer evangelikaler oder gar fundamentalistischer Prägung in einer Art Trotzreaktion die Wissenschaft an den Nagel hingen und einem fundamentalistischen Rattenfänger nachliefen. Freilich ändern sich dadurch die | Sachverhalte nicht. Indes sind wir ja längst über die rein negative Kritik Natürlich hat Meier recht mit der Feststellung, es gebe keine absolute Sicherheit in historicis. Aber angesichts der von ihm so präzis benannten Argumente wird man Bethlehem doch mit relativ hoher Sicherheit als Geburtsort Jesu ausschließen dürfen. Zur Diskussion über die Beinamen Nazarener bzw. Nazoräer vgl. H. Merkel, Art. Nazarenos/Nazoraios, EKL III. 18 Dazu ausführlich A. Vögtle, a. Anm. a. O., ff. 19 S. Mittmann, Art. Bethlehem, TRE , .
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eines Reimarus hinausgekommen, und deshalb muß ich hier nicht schließen, sondern komme zum wichtigsten Teil der Ausführungen über Lukas: Worin liegt die wirkliche Bedeutung der Weihnachtsgeschichte? Am besten beginnen wir mit der Hirtengeschichte (Lk ,–). Sie ist ganz und gar vom Stil alttestamentlicher Erzählungen über Gottesboten geprägt.20 Solche Erzählungen gibt es vor allem zur Ankündigung des rettenden Handelns Gottes oder der Geburt eines Kindes. In der dem Lukas überlieferten Erzählung waren beide Motive verbunden. Im Hintergrund könnten messianische „Weissagungen“ wie Jes ,– und Mi stehen. Diese Texte verheißen die Geburt eines künftigen Heilsbringers. Diese Heilserwartung sahen manche jüdischen Frommen in Jesus erfüllt und wurden Christen. Die Wahrheitsfrage gegenüber unserer Erzählung lautet also: Darf Jesus von Nazareth als Erfüller der Hoffnung Israels gelten? „Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines anderen warten?“ – diese Frage kann und darf nicht bewiesen wenden, sondern ist allein Sache des Glaubens. Wenn Judenchristen ihren Glauben an Jesus als den Christus mit einer solchen an alttestamentliche Texte angelehnten Erzählung weitersagten, lag es nahe, die Geschichte in Bethlehem zu lokalisieren: Wie der erste David in Bethlehem zur Welt kam, so wird es auch bei dem neuen, endzeitlichen David gewesen sein.21 Da Jesus aber als Jesus von Nazareth bekannt war, mußte man den theologisch erschlossenen Geburtsort Bethlehem begründen; dazu half die Erinnerung an eine Zensusaktion des Quirinius.22 Das große Wunder, daß Gott seinem Volk in Jesus Christus Heil schaffen will, kann eben nur in Bildern ausgesagt werden, die allemal unzureichend und manchmal sogar fehlerhaft sind. | Zur Zeit des Evangelisten Lukas, den wir mit guten Gründen in die Zeit um n. Chr. datieren, war dieses Bekenntnis zur Messianität Jesu nicht unwichtig, aber nicht mehr ausreichend. Deshalb charakterisiert der Verkündigungsengel den Heilsbringer mit zwei weiteren Hoheitstiteln. Der Angekündigte soll nicht nur Christus = Messias, sondern auch Herr = Kyrios und Heiland = Soter sein. Beide Hoheitstitel sind den Lesern des Lukasevangeliums nicht fremd. In den damals weit verbreiteten Mysterienkulten galten Mithras, Sarapis und Osiris als Herren, und die Göttin Isis 20 C. Westermann, Alttestamentliche Elemente in Lk ,–, in: Tradition und Glaube (FS K. G. Kuhn), Göttingen , –. 21 Weitergehende Versuche, die Erzählung alttestamentlich oder frühjüdisch zu grundieren, sind m. E. methodisch nicht ausweisbar. Das gilt z. T. schon für C. Westermann (s. vor. Anm.), besonders aber für R. D. Aus, Weihnachtsgeschichte – Barmherziger Samariter – Verlorener Sohn. Studien zu ihrem jüdischen Hintergrund, Berlin (ANTZ ). Die von dem Alttestamentler H. Schweizer in anderem Zusammenhang betonte „Hauptfrage“ muß immer wieder in Erinnerung gerufen werden: „gibt es von den NT-Texten her überhaupt Indizien, daß sie explizit vom AT her gelesen werden wollen?“ „Wenn . . . Textsignale fehlen, dann sollte man mit einem atl. »Aufladen« der NT-Texte zurückhaltend sein“ (ThRev , , ). Aufgrund der erheblichen chronologischen Probleme muß man mit einem rabbinischen Aufladen ntl. Texte eher noch zurückhaltender sein. 22 Auf die richtige Spur führt die Bemerkung E. Bammels: „Wenn Lukas die Schätzung als eine universale bezeichnet, so mag er das unter dem Eindruck der Zensusmaßnahmen der Jahre / geschrieben haben“ (Art. Quirinius, RGG V, ). Möglicherweise haben diese zeitgenössischen Zensusaktionen Lukas überhaupt dazu gebracht, die Geburt in Bethlehem mit Hilfe eines Gebotes zur Schätzung zu erzählen.
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wurde als Herrin (kyria) angeredet. In dem alten Christushymnus, den Paulus in Phil ,– zitiert, wird das Ziel des Christusweges darin gesehen, „daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, daß Jesus Christus der Herr ist“ (Phil ,ff.). Das am Ende der Zeiten universale Bekenntnis zu Christus als dem Kyrios wird jetzt schon in der Gemeinde Jesu Christi laut, und das ist die wesentlichste Wirkung des Heiligen Geistes ( Kor ,). So ist es kein Unrecht, wenn schon in dem armseligen Wickelkind der künftige Weltenherr erkannt wird.23 Auch die Bezeichnung „Heiland“ ist ursprünglich profaner Herkunft.24 Das von Luther so prägnant übersetzte Wort Soter heißt „der Retter“ und wird als Ehrentitel für Staatsmänner, Kriegshelden, Ärzte und Philosophen verwendet. Die ptolemäischen und seleukidischen Herrscher der hellenistischen Zeit legten sich häufig den Titel Soter zu; im Westen wird er erstmals auf Caesar und Augustus angewandt. Und Augustus ließ sich, nachdem er jahrzehntelang militärisch tätig gewesen war, als der große Friedensbringer feiern. Bekannt sind die öffentlichkeitswirksamen Akte der Schließung der Pforte des Janustempels i. J. . v. Chr. und der Errichtung des Altars des augusteischen Friedens (Ara pacis augustae) i. J. v. Chr. Mit verhaltenem Stolz schreibt Augustus in seinem Tatenbericht gegen Ende seines Lebens darüber: „Als ich aus Spanien und Gallien nach glücklich vollbrachten Taten in diesen Provinzen unter dem Konsulate des Tiberius Nero und des Publius Quintilius nach Rom zurückkehrte, da beantragte der Senat, den Altar des „Augustus-Friedens“ beim Marsfeld für meine | Rückkehr zu weihen; auf ihm sollten die Behörden, die Priester und die Vestalischen Jungfrauen nach seinem Befehl ein jährliches Opfer darbringen. Das Janus-Quirinus-Tor, das nach dem Willen unserer Vorfahren geschlossen sein sollte, wenn im ganzen Machtbereich des römischen Volkes zu Wasser und zu Land durch Siege errungener Friede herrschte, beantragte der Senat, in meinem Prinzipat dreimal zu schließen, während es vor meiner Geburt seit Gründung der Stadt überhaupt nur zweimal nach der Überlieferung geschlossen gewesen war . . . “25 Selbst ein durchaus kritischer Geist wie Horaz machte sich „in dem Preis des Soter Augustus . . . zum Wortführer einer Zeitströmung und zum Dolmetsch von Gefühlen . . . , die die Herzen damals bewegten: »dem Glauben, in Augustus den Erlöser und Befreier 23 Die höchst kontroverse Diskussion über den Kyrios-Titel, die W. Bousset, Kyrios Christos. Geschichte des Christusglaubens von den Anfängen des Christentums bis Irenäus, Göttingen , angestoßen hat, kann hier nicht einmal angedeutet werden. Zur älteren Lit. s. W. Foerster, Art. Kyrios, ThW , –.–; Neueres bei J. A. Fitzmyer, Art. Kyrios, EWNT , –. Zur Frühgeschichte des Titels vgl. M. Hengel, Der Sohn Gottes. Die Entstehung der Christologie und die jüdischhellenistische Religionsgeschichte, Tübingen , –. In unserem Zusammenhang geht es nur um die Frage, wie die Hörer des Lukas in ihrer Zeit und Umwelt diesen Titel gehört haben können. Inschriftlich wird ja z. B. auch Nero als „Kyrios des ganzen Kosmos“ verherrlicht (s. A. Deißmann, Licht vom Osten, Tübingen , ), u. bes. Domitian ließ sich als dominus et deus anreden (Sueton, Domitian ). 24 Das Material bietet W. Foerster, Art. soter, ThW , –. Ferner: K. H. Schelkle, Art. soter, EWNT , –; A. D. Nock, Essays on Religion and ihe Ancient World, Bd. , , –. 25 Res gestae f.; Übersetzung: C. K. Barrett/C.-J. Thornton, Texte zur Umwelt des Neuen Testaments, Tübingen , . Vgl. auch T. Livius, a.u.c. I, .
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gefunden zu haben«“.26 Und Vergil hat die in seiner . Ekloge ersehnte Heilsbringergestalt in der Aeneis ausdrücklich mit Augustus identifiziert: „Der aber hier ist der Held, der oft und oft dir verheißen, Caesar Augustus, der Sproß des Göttlichen, Goldene Weltzeit bringt er wieder für Latiums Flur“. Ja, die Schließung der Pforten des Janustempels wird in der ersten Rede Jupiters in der Acneis geradezu als das Ziel der römischen „Heilsgeschichte“ dargestellt: „Krieg wird ruhn und die Welt, die verrohte, neigt sich zur Milde, Fides, die graue, und Vesta, Quirinus mit Remus, dem Bruder, geben Gesetz; die Pforten des Kriegs, die grausigen, werden dicht verschlossen mit Riegeln aus Erz; des ruchlosen Wahnsinns Dämon, rücklings gefesselt mit hundert ehernen Banden, hockt über grausen Waffen und knirscht mit blutigem Munde.“27 Auch in den Provinzen wurde religionspolitische Propaganda betrieben. Es ist ja kein Zufall, daß uns der Tatenbericht des Augustus nur in drei Inschriften aus Kleinasien erhalten ist. Die Provinzialbevölkerung „mußte den Princeps als den gerechten und humanen Beherrscher der ganzen Kulturmenschheit, als den Erretter von den Bedrückungen und Nöten der voraufgehenden Periode, den Friedebringer und Vater des Menschengeschlechts, als den weisen Regenten im Sinne der hellenistischen Staatsphilosophie oder den Gottkönig altorientalischen Stiles verehren lernen.“28 Um wenigstens einen Text zu zitieren, sei der Beschluß des Provinziallandtages der kleinasiatischen Griechenstädte aus dem Jahr v. Chr. genannt: Auf einen Wink des römischen Prokonsuls hin beschlossen sie, den Geburtstag des Augustus zum Jahresanfang zu machen. Die Begründung: „Da die Vorsehung, die unser Leben ordnet, in | Fürsorge und Eifer unser Dasein mit dem höchsten Schmuck gekrönt hat, da sie Augustus hervorbrachte, den sie zum Segen der Menschen mit jeglicher Tugend erfüllte, uns und unseren Nachkommen als Retter, der den Kampf beendet, der alles ordnet, und da Cäsars Erscheinen die Hoffnungen vorangehender (Zeiten) überboten hat, weil er nicht allein die vor ihm lebenden Wohltäter der Menschen übertraf, sondern auch den künftigen jede Hoffnung nahm, es ihm zuvorzutun, der Geburtstag des Gottes aber für die Welt die erste von ihm ausgehende Freudenbotschaft war (so wird der Vorschlag des Prokonsuls nebst Ehrungen für diesen angenommen).“29 Auf diesem Hintergrund las ein gebildeter Leser wie Theophilos30 das Lukasevangelium, allerdings mit der bedrückenden Erfahrung, daß die seit Augustus’ Tagen 26 V. Pöschl, Horaz und die Politik, Heidelberg , (SHAW phil.-hist. Klasse /). Forschungsbericht: E. Doblhofer, Horaz und Augustus, ANRW II /, , –. 27 Aen. VI, ff., I, –; Übers. v. J. Götte. Zum ganzen Problem vgl. die Beiträge in dem Sammelwerk Saeculum Augustum II, hg. v. G. Binder, Darmstadt , I, –. 28 W. Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, Köln–Graz , . 29 Übers. von K. Latte, Die Religion der Römer und der Synkretismus der Kaiserzeit, Tübingen , ; auch in H. G. Kippenberg/G. A. Wewers, Textbuch zur neutestamentlichen Zeitgeschichte, Göttingen , . Auf diese Inschrift wird oft hingewiesen, wenn über den Hintergrund des Begriffs „Evangelium“ gehandelt wird. Ihre Bedeutung für Lk wurde hervorgehoben von E. Klostermann, Das Lukasevangelium, Tübingen , (HNT ), W. Grundmann, Das Evangelium nach Lukas, Berlin , (ThHK ), und besonders nachdrücklich von W. Schmithals, Die Weihnachtsgeschichte Lukas ,–, in: Festschrift für Ernst Fuchs, Tübingen , –, bes. . 30 Schon die Widmung des lukanischen Doppelwerkes an Theophilos läßt erkennen, daß Lukas sozial höhergestellte Leser ansprechen will; vgl. A. Vögtle, Was hatte die Widmung des lukanischen
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mit immer höheren Ansprüchen auftretenden Caesaren die Welt keineswegs in ein Paradies verwandelt hatten. Der mächtige Kaiser in Rom kann zwar die ganze Welt in Bewegung setzen mit seiner Zensusaktion – aber der wirkliche Friede kann nur von dem armen Wickelkind31 in Bethlehem kommen. Das ist allerdings aus dem Geschehen selbst nicht ableitbar. Deshalb wird die abschließende Deutung von der Engelschar ausgesprochen: „Herrlichkeit für Gott in der Höhe und Frieden auf Erden unter den Menschen des (göttlichen) Wohlgefallens.“32 Wer das Gloria der Engel im Sinne des Lukas verstehen will, wird auf die von Lukas stark veränderte Erzählung vom Einzug Jesu in Jerusalem achten müssen. Dort nehmen die Jünger (und nur sie) den Engelsruf auf: „Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!“ (Lk ,). Man kann das einen „liturgischen Wechselgesang, der in ei- | nem weitgespannten Bogen das Erdenwirken Jesu überwölbt“, nennen.33 Den Jüngern ist in der Nachfolge Jesu der Friede Gottes zuteilgeworden; sie sind die Menschen, auf denen Gottes Wohlgefallen ruht. Das Jesus ablehnende Jerusalem hat dagegen nicht erkannt, „was zum Frieden dient“, denn es hat die im Wirken und Verkündigen Jesu erfolgende göttliche „Heimsuchung“ übersehen (vgl. Lk ,– ).34 Deshalb hat Lukas auch stärker noch als Markus betont, daß es eine bloß feindselige Unterstellung ist, Jesus in die Nähe politischer Aufrührer zu bringen (vgl. Lk ,– mit Mk ,–, Lk ,– mit Mk ,–).35 Weder der Kaiser in Rom noch die manchmal mit messianischen Attributen auftretenden Widerstandskämpfer sind „Retter“. Ich breche hier ab. Es hat sich hoffentlich gezeigt, daß die lukanische Weihnachtsgeschichte alles andere als eine naive Idylle ist. Erst wenn wir die höchst problematisch bleibende historische Fragestellung hinter uns lassen, erkennen wir in ihr die bildhaft-anschauliche Darstellung wichtiger Aspekte des lukanischen Christuszeugnisses.
Doppelwerkes an Theophilos zu bedeuten? in: Ders., Das Evangelium und die Evangelien, Düsseldorf , –. Dies wird bestätigt durch die narrative Analyse von J. B. Tyson, Images of Judaism in Luke-Acts, Columbia , –: der implizite Leser des Lukas muß über gehobene Bildung verfügen. Dies hat sich mir auch bei der Untersuchung einer anderen Frage bestätigt: H. Merkel, Das Gesetz im lukanischen Doppelwerk, in: Schrift und Tradition (FS J. Ernst), Paderborn , –. 31 Zu diesem Motiv vgl. J. Kügler, Die Windeln Jesu als Zeichen, BN , , ff. 32 Diese Übersetzung von Lk , weicht von der durch Bachs Weihnachtsoratorium bekannten Lutherübersetzung doppelt ab: Sie bietet nur zwei Satzglieder und spricht von „Menschen des göttlichen Wohlgefallens“. So wird der griechische Text von den besten heute bekannten Handschriften geboten. Dazu sind alle neueren Kommentare zu vergleichen. 33 G. Klein, Der Friede Gottes und der Friede der Welt, ZThK , , –, Zitat . 34 Vgl. F. G. Untergaßmair, „Gott hat sein Volk heimgesucht“ (Lk ,b). Ein Spezifikum lukanischer Christologie, in: Glauben – bezeugen – handeln in Kirche, Gesellschaft und Schule (FS W. Arens), hg. v. M. Spieker und Fr. Fischer, Paderbom , –. 35 Vgl. G. Schneider, The political charge against Jesus (Luke .), in: Jesus and the Politics of His Day, hg. v. C. F. D. Moule u. E. Bammel, Cambridge , –.
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V Befragen wir die matthäische Geburtsgeschichte nach historischen Elementen!36 Bei der ersten Episode, dem Aufzug der „Weisen aus dem Morgenland“ (Mt ,– ) scheint die Apologetik ein leichtes Spiel zu haben. Mit dem großen Astronomen Johannes Kepler kann man an die für das Jahr v. Chr. errechnete Konjunktion der Planeten Saturn und Jupiter denken, oder an einen Kometen oder das Aufleuchten einer Supernova.37 Wer eine derartige, im Gewande höchster Wissenschaftlichkeit einhergehende rationalistische Erklärung vertritt, muß freilich der Astrologie eine Bedeutung zuerkennen, die mit der Bibel nicht vereinbar ist. Indes gibt es auch noch andere | Gegenargumente. Schon David Friedrich Strauß38 hat mit Recht darauf hingewiesen, daß eine Planetenkonjunktion zwar von Ost nach West zieht, nicht aber den Weg von Jerusalem nach Bethlehem weisen kann, wie unsere Geschichte voraussetzt – denn dann müßte sie von Nord nach Süd gewandert sein. Außerdem: Wie kann ein Planet oder gar eine Planetenkonjunktion auf ein kleines Häuschen hinweisen?39 Selbstverständlich hat sich der Erzähler der Geschichte einen Wunderstern vorgestellt! Und das wird den ersten Lesern schon durch die Wortwahl klar: „Aster“ bezeichnet immer einen Einzelstern, nie eine Planetenkonjunktion.40 Hingegen war den antiken Erzählern und Hörern wohlbekannt, daß bei der Geburt bedeutender Männer wunderbare Himmelserscheinungen schon die künftige große Bedeutung angezeigt haben sollen. Bei Geburt und Thronbesteigung des späteren Königs Ptolemaios V., der sich den Beinamen „Epiphanes“ (menschgewordener Gott) gab, erschienen Kometen; deshalb prägte er später Münzen, auf denen zwei Sterne abgebildet waren.41 Auch bei der Geburt des Königs Mithridates von Pontus, der eine 36 Zum folgenden vgl. M. Hengel/H. Merkel, Die Magier aus dem Osten und die Flucht nach Ägypten (Mt ) im Rahmen der antiken Religionsgeschichte und der Theologie des Matthäus, in: Orientierung an Jesus (FS J. Schmidt), Freiburg , –. Die neueren Matthäuskommentare von U. Luz (EKK I/, Neukirchen-Vluyn/Zürich ), J. Gnilka (HThK I/, Freiburg ) und W. D. Davies/D. C. Allison (ICC; Bd. , Edinburgh ) stimmen grundsätzlich mit der in jenem Aufsatz vertretenen Sicht überein. Im Blick auf die Problemstellung dieser Vorlesungsreihe erscheinen besonders hilfreich: A. Vögtle, Messias und Gottessohn. Herkunft und Sinn der matthäischen Geburts- und Kindheitsgeschichte, Düsseldorf ; G. Schmahl, Die Magier aus dem Osten und die Heiligen drei Könige, TTZ , , –; I. Broer, Jesusflucht und Kindermord. Exegetische Anmerkungen zum . Kapitel des Matthäusevangeliums, in: Zur Theologie der Kindheitsgeschichten. Der heutige Stand der Exegese, hg. v. R. Pesch, München , –. 37 Dazu jetzt die Studie von A. Strobel, Der Stern von Bethlehem – ein Licht in unserer Zeit? Fürth ; gelehrt, aber stark apologetisch. 38 D. Fr. Strauß, Das Leben Jesu I, Tübingen , f. 39 H. S. Reimarus, Apologie der Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes, hg. v. G. Alexander, , II, . „Allein er geht auch vor ihnen her, und bleibt über dem Hause stehen? Das kann kein wahrer Stern thun, der viele Millionen Meilen, oder vielmehr Semidiameiros terrae von uns entfernt ist. Ein Comete mit seinem Schwantze ist auch noch zu hoch auf ein gewisses Häußchen zu weisen, oder Reisenden den rechten Weg auf Erden zu bezeichnen.“ 40 F. Boll, Der Stern der Weisen, in: Ders., Kleine Schriften zur Sternkunde des Altertums, Leipzig , –; vgl. auch W. Bauer, Griechisch-deutsches Wörterbuch zum NT, ., völlig neu bearb. Aufl. v. K. u. B. Aland, Berlin , Sp. . 41 R. Hazzard, Theos Epiphanes-Crisis and Response, HThR , , –, bes. f.
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Zeitlang die große Hoffnung aller Gegner des römischen Imperialismus war, soll ein Komet erschienen sein, der Tage lang so hell leuchtete, daß man glaubte, der ganze Himmel stehe in Flammen.42 Selbst die jüdische Haggadah hat dieses Motiv übernommen: In der Nacht der Geburt Abrahams sollen die Sterndeuter des Königs Nimrod gesehen haben, daß sich ein Stern im Osten erhob und vier Sterne an den vier Seiten des Himmels verschlang. Daraus schlossen sie, daß in dieser Nacht ein Kind geboren worden war, das die ganze Erde in Besitz nehmen sollte.43 Auch in der jüdischen Messiaserwartung spielte das Sternmotiv eine Rolle. Ausgangspunkt war die rätselhafte Episode um den heidnischen Seher Bileam im . Buch Mose, der gegen seinen Willen die erste große messianische Weissagung ausspricht: „Aufgehen wird ein Stern aus Jakob und aufstehen wird ein Mann aus Israel . . . “ (Num ,). Die jüdische Haggada zu Num / hat Bileam zum letzten Propheten der Heiden und Vater aller künftigen Magie hochstilisiert und ihm als Söhne die Erzmagier Jannes und Jambres beigesellt; und diese Verkörperung des gottlosesten Heiden- | tums muß den zukünftigen Triumph Israels beim Erscheinen des Messias, des Sternes aus Jakob, ansagen.44 Simon bar Koseva, einer der Führer im Jüdischen Aufstand gegen Rom unter Hadrian, wurde von dem bedeutenden Rabbi Akiba unter Berufung auf Num , als „Sternensohn“ (Bar Kochba) begrüßt;45 er ließ Münzen prägen, auf denen der Jerusalemer Tempel, über dem ein Stern steht, abgebildet war.46 In dem aus dem hellenistischen Judentum stammenden Testament des Levi heißt es vom messianischen Hohenpriester aus dem Stamme Levi: „und es wird sein Stern aufgehen“ (Test Lev ,). Wer diese Hintergründe kennt, muß nicht mehr mit pseudogelehrten astronomischen Wahrscheinlichkeiten rechnen, sondern vernimmt die Aussage der Erzähler; für sie hat sich die Weissagung des Bileam im wörtlichen Sinne erfüllt. Der Messias ist geboren, die Magoi – gewissermaßen die Nachfahren Bileams – „haben seinen Stern beim Aufgehen gesehen“. Auch die zweite Episode hat bis heute viel pseudogelehrte Apologetik auf den Plan gerufen: der bethlehemitische Kindermord (Mt ,–). Alle Kenner der neutestamentlichen Zeitgeschichte sind sich darüber einig, daß dem ständig um seine Herrschaft besorgten König Herodes eine derartige Greueltat zuzutrauen wäre. Der bedeutendste Biograph des Herodes, Abraham Schalit, hat sich darüber sehr vorsichtig geäußert: „Der Glaube an die unmittelbar bevorstehende Ankunft oder Geburt des messianischen Königs lag damals in der Luft. Der argwöhnische Despot spürte überall Verrat und Feindschaft, und ein vage zu ihm gedrungenes Gerücht kann sei-
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Justin, hist. ,ff. L. Ginzberg, The Legends of the Jews, Philadelphia , Bd. , . 44 Ibid. Bd. II, ff. S. ferner: L. Schmidt/P. Schäfer, Art, Bileam, TRE , –. 45 j Taannit ,/d; Text u. Kommentar bei P. Lenhardt/P. v. d. Osten-Sacken, Rabbi Akiva, Berlin , ff. (ANTZ ). 46 Y. Yadin, Bar Kochba, Hamburg , . 43
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nem kranken Geist sehr wohl den Gedanken eingegeben haben, die neugeborenen Kinder zu töten. Der Befehl hat somit nichts Unmögliches an sich“.47 Aber unsere Geschichte erzählt ja nun nicht von einem vagen Gerücht, sondern von der konkreten Anfrage der Magoi aus dem Osten und von der konkreten Auskunft der Hoftheologen. Wie verhält sich der „argwöhnische Despot“ Herodes? Er schickt die Magoi nach Bethlehem und wartet darauf, daß sie ihm die Hausnummer des Rivalen mitteilen – als ob Herodes nicht einen ausgezeichnet funktionierenden Staatssicherheitsdienst besessen hätte, der ihm sofort Meldung gemacht hätte, wenn in Bethlehem | etwas Auffälliges passiert wäre. Mindestens dieser Zug der Erzählung ist völlig unglaubwürdig. So naiv war der blutrünstige Tyrann Herodes nicht. Das hat schon Reimarus klar gesehen.48 Aus der Überzeugung, daß der Befehl zu einer derartigen Mordtat an sich nicht unvorstellbar ist, darf also nicht gefolgert werden, daß die matthäische Erzählung historisch sei. Die alte apologetische Masche, daß die Historizität biblischer Erzählungen erst als denkbar, dann als möglich, dann als wahrscheinlich und damit auch als sicher ausgegeben wird, ist fromme Hochstapelei, die meist auf den zweiten Blick entlarvt wird.49 Auf die richtige Fährte kommen wir wieder, wenn wir nach dem zeitgenössischen Verständnishintergrund fragen. | 47 A. Schalit, König Herodes, der Mann und sein Werk, Berlin , f. Anm. . Überblick: H. Merkel, Art. Herodes d. Gr., RAC , –. – In demselben Sinn äußert sich auch die mir erst nach Abschluß des Manuskripts zugänglich gewordene neueste Monographie von P. Richardson, Herod – King of the Jews and friend of the Romans, Columbia , –: „plausibility does not guarantee accuracy“ (). 48 H. S. Reimarus, a. Anm. a. O., f.: „Nun kommt der König Herodes, weil ihm die Magi nicht Bescheyd gebracht hatten, wo das Kindlein wäre, und läßt alle Kinder in und um Bethlehem von zwey Jahren und darunter töten. Ey! hatte er doch die Magos selbst nach Bethlehem gewiesen. So war es ihm nur darum zu thun, das eigentliche Haus zu erfahren. Wenn er in solcher Angst über die Geburt eines Königes der Juden gewesen wäre: so hätte er ihnen ja wohl gleich seine Bediente und Leibwachte auf dem Fuße nachgeschickt, und nicht bis ins zweyte Jahr vergeblich auf ihre Rückreise gewartet. Was sollte ihm nun der Bethlehemitische Kindermord helfen? oder vielmehr, wie durfte er eine so wütende Grausamkeit an so viel unschuldigen Kindern ausüben, ohne daß ein öffentlicher Aufstand aller mitleydigen Väter, ohne daß eine allgemeine Klage an den Landpfleger oder Kayser über ihn daraus erwachsen wäre? Ja, Herodes war ein Wüterich: aber gegen seine eigene Familie, Söhne, Brüder, Gemahlinnen. Darum bekümmerte sich niemand, zumal nach Römischer Gewalt der Hausväter über ihre Kinder. Aber dies war eine öffentliche himmelschreyende Sache. Wie sollte auch Josephus, der die übrigen Grausamkeiten Herodis nicht verschweigt, dieser ausnehmenden vergessen haben? Denn man findet bey ihm nicht ein Wort davon.“ 49 Das gilt auch für den Rettungsversuch der Historizität des Kindermordes durch R. T. France, Herod and the children of Bethlehem, NT , , –. Er stellte zwar zu Recht fest, daß das Zitat Jer , nicht die Quelle der Erzählung sein dürfte (ff.), spielt aber die Mose-Typologie zu Unrecht stark herunter (ff.); deren Bedeutung schon für die vormatthäische Überlieferung hatte W. D. Davies, The Setting of the Sermon on the Mount, Cambridge , –, aufgewiesen und wieder herausgestellt in W. D. Davies/D. C. Allison, The Gospel according to Saint Matthew, I, , – . France überspielt sodann das Problem, daß der Kindermord nirgends sonst belegt ist: „Among the more striking atrocities . . . it was a relatively minor incident, which has understandably not left any clearly independent mark in the very selective record of Herod’s reign“; dagegen hat schon Reimarus in dem Anm. zitierten Passus das Nötige gesagt. Den nervus rerum berührt France am Schluß des Aufsatzes: Die Ereignisse der Vorgeschichte müssen historisch sein, weil Matthäus sie als „Erfüllung“ der Schrift darstellt. „Matthew is not simply meditating on Old Testament texts, but claiming that in what has happened they find a fulfilment. If the events are legendary, the argument is futile.“ (). Zu die-
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Das Motiv der Bedrohung und Verfolgung eines neugeborenen Königskindes war im alten Orient und in der griechisch-römischen Welt weit verbreitet. Der Altphilologe Gerhard Binder hat eine Fülle von Material zusammengestellt und kritisch analysiert.50 Von Göttern und Heroen, aber auch von historischen Persönlichkeiten bis hin zum Kaiser Augustus werden derartige Geschichten erzählt. Nicht unbekannt ist dieses Motiv aus der alttestamentlichen Moseüberlieferung (Ex –). In der MoseHaggada wird das Motiv der Gefährdung so ausgeschmückt: Ägyptische Weise sagen dem Pharao die Geburt eines jüdischen Kindes voraus, das die Hebräer befreien und Ägypten zerstören wird; deshalb beschließt der Pharao, alle neugeborenen männlichen Kinder der Hebräer in den Nil zu werfen. Nur Mose wird auf wunderbare Weise gerettet.51 Daß sich die matthäische Erzählung an die Mosehaggada anschließt, geht klar aus dem V. hervor. Dort wird Ex , nach der griechischen Bibel zitiert: „Alle sind gestorben, die nach deinem Leben trachteten“. Da bei Matthäus nur vom Tod des Herodes die Rede ist, ist der Plural „sie sind gestorben . . . “ unzutreffend und eben ein Rückverweis auf die Mosegeschichte. Ein solcher Bezug zwischen Mose- und Jesusgeschichte wird durch die typologische Schriftauslegung ermöglicht, die in Personen, Institutionen und Ereignissen der Vorzeit Vorausdarstellungen endzeitlicher Personen, Institutionen und Ereignisse sah. Schon im Judentum war man überzeugt: „Wie der erste Erlöser (sc. Mose), so der zweite Erlöser (sc. der Messias).“ Hier und auch anderwärts läßt Matthäus ein typologisches Verständnis Jesu als den neuen Mose oder besser: ein Verständnis des Mose als des Typos für den Christus Israels erkennen.52 Ich breche hier ab. Wie schon bei Lukas zeigt sich auch hier: Wer nach historischen Fakten sucht, findet mit viel gutem Willen ein paar auffällige Sachverhalte, die freilich für sich nicht viel besagen: Im Jahr der (denkbaren) Planetenkonjunktion sind viele Kinder zur Welt gekommen, auch in Bethlehem mehr als nur eines. Daß Jesus der von jener Konjunktion Bezeichnete war, ist schon glaubende Deutung! sem komplexen Problem soll jetzt nur gesagt werden, daß jeder unbefangene Leser von Jer , sieht, daß hier keine Weissagung auf Künftiges vorliegt, sondern die Klage um die verbannten Nordisraeliten. Ebenso ist das Zitat von Hos , in Matth , keine Weissagung, sondern erinnert an das Exodusgeschehen. Das Zitat in Matth , ist bekanntlich so im AT gar nicht zu finden, sondern ist ein „Mischzitat“ aus Mich , u. . Sam ,. Wir können also den Schriftgebrauch des Matthäus nicht ohne weiteres nachvollziehen. Vgl. auch die ausgezeichnete Problemanzeige von N. Walter, Zur theologischen Problematik des christologischen „Schriftbeweises“ im Neuen Textament, NTS , , –. – Ch. Dohmen, Damit uns ein Licht aufgeht. Die Weihnachtsgeschichte als kleine Einübung ins Lesen und Verstehen der Bibel, GuL , , –, hat das Phänomen der Intertextualität ins Spiel gebracht; darüber wird noch nachgedacht werden müssen. Darüber hinaus müßte die Fixierung fundamentalistischer und evangelikaler Christen auf die Historie in einem größeren Zusammenhang hinterfragt werden, wozu auf den lehrreichen Aufsatz von M. Oeming, Bedeutung und Funktion von „Fiktionen“ in der alttestamentlichen Geschichtsschreibung, EvTh , , –, verwiesen werden soll. 50 G. Binder, Die Aussetzung des Königskindes Kyros und Romulus, Meisenheim am Glan ; vgl. die Übersicht bei U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus (EKK I/), Neukirchen-Vluyn/Zürich , vor S. . 51 Vgl. L. Ginzberg, Legends (s. Anm. ); Bd. , ff. 52 Umfassender Nachweis jetzt bei D. C. Allison, The new Moses: a Matthean typology, Minneapolis, MN (zu Mt –, S. –).
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Wer dagegen die kleinliche und oft auch peinliche Apologetik hinter sich läßt und den wahren Charakter dieser Erzählungen erkennt, wird gewahr, daß hier tiefsinnige Erzähler gleichsam alles antike Gold, den Weihrauch und die Myrrhe aus ihren Schatz- | kammern geholt haben, um ein kostbares Bild ad maiorem Iesu Christi gloriam zu malen. Der Evangelist hat dieses Bild an den Anfang seines Evangeliums gestellt, weil es viele Grundmotive seines Christusverständnisses aufleuchten läßt, die er im folgenden darstellt. Versuchen wir, die Grundmotive des Evangelisten Matthäus abschließend zusammenzufassen: . Die ersten, die kommen, um dem neugeborenen Messiaskind zu huldigen, sind Heiden, ja sie bilden gewissermaßen die geistige Elite der Heidenwelt. Selbst die höchste der antiken Wissenschaften, die Sterndeutekunst, erkennt – durch Gottes Wunder – das weltumstürzende Ereignis und zieht dabei in der Gestalt der Magier daraus die einzig richtigen Konsequenzen: Sie folgen dem von Gott gegebenen Wunderstern und erweisen dem neuen König der Juden, der zugleich der Herr der Welt ist (Mt ,), die ihm gebührende Ehre. . Dagegen wird diese Ehre von den Führern Israels, dem König Herodes, den Hohenpriestern und Schriftgelehrten, verweigert. Letztere sind – gleichsam als unbeteiligte Statisten – dem grausamen König zu Diensten und erkennen nicht, daß Gottes Zeit erfüllt und das Heil Israels nahe ist. Der König selbst will den Gottessohn töten und mordet, um dies zu erreichen, sämtliche Kinder einer jüdischen Stadt. Die Verwerfung des Messias durch Israel ist damit bereits zeichenhaft vorweggenommen. . Dieses ganze geheimnisvolle und wunderbare Geschehen ist dabei durch die prophetische Weissagung bereits vorgezeichnet. Bis in die Details hinein wird die Geschichte des Messiaskindes als Erfüllung dieser Weissagung verstanden. Man kann darüber hinaus annehmen, daß das Erscheinen des Wundersterns und das Kommen der Magier zugleich andeutet, daß sich in diesem Kind auch die Hoffnung aller Völker erfüllt. Gerade die Gestirnwelt, der die Heiden dienen, weist diese auf den jetzt geborenen Herrn der Welt hin, der alle Weltmächte entmächtigt. . In dem dramatischen Geschehen geschieht in menschlichem Gehorsam und menschlicher Schuld, in furchtbarer Not und in wunderbarem, rettendem göttlichem Eingreifen nichts anderes als der Plan Gottes zum Heil der Menschen. Über dem confusione hominum steht souverän und siegreich das dei providentia. . Die Verfolgung des Messisaskindes durch Herodes, die die heilige Familie zwingt, nach Ägypten zu fliehen, und die Ansiedlung im fremden Galiläa deuten bereits den Niedrigkeitsweg des Messias an, an dessen Ende das Kreuz steht. Wenn in Mt noch der Engel des Herrn eingreift, um das Messiaskind zu retten, so weist Jesus | nach Mt ,
„Zu Bethlehem geboren . . . “ in Gethsemane die Möglichkeit einer wunderbaren Hilfe der Engellegionen zurück – denn die Weissagungen des Alten Bundes müssen sich gerade in seinem Leiden erfüllen (,). Er geht diesen Weg gehorsam bis in völlige Gottverlassenheit (,), um sich eben darin – in der tiefsten Erniedrigung – wieder vor den heidnischen Augenzeugen wahrhaft als Gottes Sohn zu erweisen (,).
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Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach * (Teil I) Der Beitrag erscheint in vier Teilen mit insgesamt sieben Abschnitten: I. II. III. IV. V. VI. VII.
Forschungsgeschichte und Methodenfragen Gesamtdarstellungen Die Verkündigung Jesu Der persönliche Anspruch Jesu Einzelfragen Prozeß und Kreuzestod Jesu Nachwort
Nachstehend wird zunächst die gesamte besprochene Literatur genannt; die Angaben werden dann den jeweiligen Abschnitten nochmals vorangestellt. T J. J. A, The Contemporary Jesus. SCM Press, London , XXVII + S. – M B, The Risen Lord. T&T Clark, Ltd., Edinburgh , XVII + S. – M B, The great Angel. A study of Israel’s Second God. SPCK, London , XVI + S. – J B, Jesus von Nazaret (de Gruyter Lehrbuch). Berlin/New York , S. – D L. B, Studying the historical Jesus. Baker Academic House, Grand Rapids, Michigan , S. – M-E B, Jésus un homme de Nazareth. Les Éditions du Cerf, Paris , S. – J B, Jesu Tischgemeinschaften (WUNT /). Mohr Siebeck, Tübingen , XI + S. – M J. B, Jesus – A New Vision. SPCK, London , S. – W B, Der letzte Tag des Jesus von Nazaret. Was wirklich geschah. Verlag Herder, Freiburg i. Br. , S. – J R. B, Jesus Christ. Divine Man or Son of God? University Press of America, Lanham/New York/London , S. – H B, Jesus – der Mann aus Nazareth und seine Zeit. Um Kapitel erweiterte Studienausgabe. Kreuz-Verlag, Stuttgart, , S. – I B (Hg.), Jesus und das jüdische Gesetz. W. Kohlhammer, Stuttgart/Berlin/Köln , S. – G J. B (Hg.), The Birth of Jesus. T&T Clark, Edinburgh , XIII + S. – S M. B, Jesus and Israel’s Traditions of Judgement and Restoration (SNTS.MS ). Cambridge University Press, Cambridge | , XV + S. – J H. C (Hg.), Jesus and Ar* [Ursprünglich veröffentlicht in ThR () und ().] Mit diesem Aufsatz grüßt der Vf. drei Osnabrücker Kollegen, den Kirchenhistoriker Friedhelm Krüger zum . Geburtstag, den Rechtshistoriker Wulf Eckart Voß zum . Geburtstag und den Musikhistoriker Hartmuth Kinzler zum . Geburtstag. Herzlicher Dank gilt dem Kollegen Peter Pilhofer (Erlangen) für die Durchsicht des Manuskripts, Frau Carola Eggeler für die Erstellung der Druckvorlage und meinem Sohn Thomas Merkel, M.Sc., für die Hilfe bei der Schlußredaktion.
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach
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Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach
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gung Jesu. Eine Untersuchung zur markinischen Jesusüberlieferung einschließlich der Q-Parallelen (BZNW ). Verlag W. de Gruyter, Berlin/New York , S. – W Z, Jesus und die frühchristliche Verkündigung. Historische Rückfragen nach den Anfängen. Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn , S.
Einleitung In seiner Auseinandersetzung mit Johann Kaspar Lavater wollte der große jüdische Aufklärungsphilosoph Moses Mendelssohn unter vier Bedingungen ein positives Urteil über Jesus von Nazareth fällen, nämlich: ») daß er sich nie dem Vater habe gleich setzen wollen, ) nie für eine Person der Gottheit ausgegeben, ) daß er sich folglich die Ehre der Anbetung nie angemaßt habe und ) daß er die Religion seiner Väter nicht habe umstoßen wollen, wie er offenbar das Gegentheil bey vielen Gelegenheiten zu erkennen gegeben zu haben scheine. Diese Bedingungen sind von der äussersten Nothwendigkeit; den in der That, wenn einige verdächtige Reden und Äusserungen nach dem buchstäblichen Sine genomen werden müßten, so würde das Urtheil über die moralische Güte seiner Absichten eine ganz andere Wendung nehmen«.1 | Als Mendelssohn dies schrieb, wußte er wohl noch nicht, daß der verstorbene Hamburger Orientalist Hermann Samuel Reimarus2 ein Manuskript hinterlassen hatte, das eine seinen Postulaten weithin entsprechende Jesusdarstellung enthielt – aber um welchen Preis! Als Anhänger des radikalen englischen Deismus wollte Reimarus den Offenbarungsanspruch der jüdischen und christlichen Religion widerlegen. Daher kritisiert er das gesamte Alte Testament als eine von Priesterbetrug erfüllte Schrift. Wenn er also betont, daß Jesus ganz im Judentum verblieben sei, ist das nicht positiv gemeint, sondern soll die ihm zugeschriebenen Offenbarungsansprüche desavouieren. Jesus war nichts als ein nationaler Messiasprätendent, der nach seinem Scheitern von den Jüngern vergöttlicht wurde. Das Mendelssohn bedrängende Problem der »verdächtigen Äußerungen und Reden Jesu« löste Reimarus auf elegante Weise, indem er Jesu eigenen Plan von dem »veränderten System der Apostel«3 unterschied. Insofern Jesus Reformer des Judentums sein wollte, ist »offenbar, daß Jesus sich selbst in allen äusserlichen Handlungen nach der Jüdischen Weise bequehmt, und dabey hoch betheuret habe, daß er nichts von dem gantzen Gesetze, selbst von den kleinsten Geboten, abzuschaffen willens sey«4 . Um ein gemütliches Leben als Anführer einer Sekte führen zu können, machten die Jünger 1
Moses Mendelssohn, Schriften zum Judentum I, bearb. v. S. Rawidowicz, Berlin , . H. S. Reimarus, Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes, hg. v. G. Alexander, Bde, Frankfurt/M. ; zu Jesus s. Bd. II. Zur Einführung: F. Krüger, Die Anfänge der Bibelkritik bei H. S. Reimarus, in: Die fundamentalistische Versuchung, hg. v. M. Oeming, Osnabrück , –; H. Graf Reventlow, Das Arsenal der Bibelkritik des Reimarus: Die Auslegung der Bibel, insbes. des Alten Testaments, bei den englischen Deisten, in: H. S. Reimarus (–), ein »bekannter Unbekannter« der Aufklärung in Hamburg, Göttingen , –. 3 AaO., II, . f. 4 ibid. II, . ff. 2
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Einleitung
nach seinem Tod »einen leydenden Erlöser, nicht nur Israels, sondern des gantzen menschlichen Geschlechts aus ihm, führten mit seiner Vergötterung allerley unbegreifliche Glaubens-Geheimnisse, und eine widersinnige Heils-Ordnung ein, welche auf die Umstürtzung des gantzen Judenthums, und Levitischen Gesetzes, ein neues Lehrgebäude errichtete, das allen Heyden und Völkern eine tröstliche Zuflucht der Seligkeit geben könnte«5 . Das gewaltsame Ende Jesu kann nur durch seine Absicht begründet werden, er habe »zu der Würde eines Königs der Juden steigen wollen« (II, ); bei seinen Reden war es »nicht bloß auf die Besserung der Religion und Sitten, sondern auf den Umsturz der gantzen Jüdischen Verfassung angesehen« (II, ). Der königliche Einritt in Jerusalem, die aufrührerische Rede gegen den Hohen Rat (Mt ) und der Aufruhr | im Tempel machten seine Absichten deutlich und zwangen den Hohen Rat zum Einschreiten (II, ff.). Pilatus mußte einschreiten, »wenn er auch das Unternehmen mehr für lächerlich und Mitleydswürdig gehalten: so war es doch wieder die Majestät des Kaysers« (II, ). Daher hat Jesus »nicht unschuldig, sondern um seines eigenen Verbrechens willen gelitten« (II, ). Nicht auf Jüngerbetrug, sondern auf »absichtslos dichtende Sage« führt David Friedrich Strauß das Jesusbild der Evangelien in seinem revolutionären »Leben Jesu« zurück. Das nicht in Mythologie auflösbare »einfache historische Gerüst des Lebens Jesu« bestand nach seiner Meinung darin, »daß er zu Nazareth aufgewachsen sei, von Johannes sich habe taufen lassen, Jünger gesammelt habe, im jüdischen Lande umhergezogen sei, überall dem Pharisäismus sich entgegengestellt und zum Messiasreiche eingeladen habe, daß er aber am Ende dem Haß und Neid der pharisäischen Partei erlegen und am Kreuze gestorben sei«6 . In einer ausführlichen Erörterung des Verhältnisses Jesu zum mosaischen Gesetz sieht er zwar Texte, die auf eine »Abschaffung des Mosaismus« durch Jesus zu deuten scheinen, aber Mt ,– läßt eine solche Auffassung nicht zu. Primär wendet sich Jesus gegen das »pharisäische Satzungswesen«, das »grossentheils auf Äusserlichkeiten gerichtet war, unter welchen der edle sittliche Kern des mosaischen Gesetzes sich verlor«7 . So muß Strauß die Haltung Jesu als inkonsequent beurteilen. »Consequenterweise hätte . . . Jesus wenn er einmal das auf Sittlichkeit und geistige Gottesverehrung sich Beziehende als das allein Wesentliche in der Religion erkannt hatte, alles blos Rituelle . . . verwerfen müssen, allein man weiß, wie langsam solche Consequenzen, wenn ihnen ein geheiligtes Herkommen entgegensteht, gezogen werden.«8 Exegetisch differenzierter urteilt Ferdinand Christian Baur. Er erkennt in den Antithesen der Bergpredigt »ein vom Mosaismus wesentlich verschiedenes Princip«9 ; daher kann Mt ,f. nicht ursprünglich sein. Dieser Ausspruch hat »erst in der Relation des Evangelisten eine judaistische Fassung erhalten . . . , in welcher er nicht aus dem Munde Jesu gekommen ist. Es hängt dieses mit dem judaistischen Charak5
ibid. f. D. Fr. Strauß, Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet, Bde, Tübingen /, Zitat I, . 7 ibid. . 8 ibid. 9 F. Chr. Baur, Vorlesungen über neutestamentliche Theologie, hg. v. Ferd. Fried. Baur, Leipzig , . 6
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ter des Matthäusevangeliums zusammen«10 . Im Blick auf Sabbat, kultische Reinheit und Ehescheidung sieht Baur klar bezeugt, daß Jesus »dem mosaischen Gesetz keine absolut binden- | de Auctorität zuerkannte«11 . Aber der Protagonist der Matthäuspriorität kann sich nicht ganz von der matthäischen Perspektive lösen, so daß er zu einer ähnlichen Schlußbilanz wie Strauß kommt, nämlich daß »Jesus zwar in einzelne seiner Aussprüche genug hineinlegen wollte, was einen principiellen Gegensatz nicht blos gegen die Satzungen der Pharisäer, sondern auch gegen die fortdauernde absolute Geltung des Gesetzes begründen konnte, dass er aber, statt es zu einem offenen Bruche kommen zu lassen, die weitere Entwicklung des an sich und thatsächlich schon vorhandenen Gegensatzes dem Geist seiner Lehre überliess, der von selbst dazu führen musste«12 . Der übermächtige Einfluß des Matthäus macht sich auch bei Heinrich Julius Holtzmann bemerkbar. Er hat zwar die Markuspriorität zum Sieg geführt und sein »Lebensbild Jesu«13 weithin am Markusfaden ausgerichtet, aber inhaltlich steht er näher beim Ersten Evangelium.14 Im Grunde bestimmte ein durch die matthäische Brille gelesener Markus die Leben-Jesu-Forschung. Durch die Religionsgeschichtliche Schule wurde dieser Trend noch verstärkt, sollte doch Jesus ganz im Rahmen seiner Umwelt gesehen werden. So kann Wilhelm Bousset es einerseits für möglich halten, daß Jesus Mt , gesagt habe, sieht aber andererseits in Mt ,ff., Mk ,ff., Mk , und Mk ,f. torakritische Äußerungen.15 Wenn er resümiert: »Dennoch ist Jesu Stellung zum Gesetz paradox, bei aller innerer Freiheit ein demütiges Sich-Beugen, bei Differenzen im Einzelnen das festgehaltene Bewußtsein der Übereinstimmung im Ganzen«16 , so ist das die matthäische Sicht. Auch der streng kritische Wilhelm Heitmüller kommt nicht aus diesem Dilemma heraus. Er sieht Mt ,– als »Reflexion der Gemeinde oder des Evangelisten«17 an, erkennt auch beim Ehescheidungsverbot und dem Wort über kultische Reinheit den Widerspruch zur Tora.18 Da aber Jesus nach Mk ,ff. das Gesetz als Weg zum Leben bezeichnet und gegen Gesetz und | Zeremonien »nicht unmittelbar po-
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ibid. . ibid. . 12 ibid. . 13 H. J. Holtzmann, Die synoptischen Evangelien, , –. 14 Z. B.: Jesus steht in »antipharisäischer Opposition« (), er deckt alles auf, »was in und an ihnen war, das lieblose Herz, . . . den äußeren Tugendschein, den heuchlerischen Hochmut« (). Das ist matthäische Polemik. Nur im Vorübergehen sei darauf hingewiesen, daß Holtzmann in der ., von A. Jülicher und W. Bauer herausgegebenen Auflage seines Lehrbuchs der neutestamentlichen Theologie, I, Tübingen , –, mindestens im Blick auf Mk ,; ,–, zu deutlicheren Urteilen kommt. 15 W. Bousset, Jesus, Tübingen , . 16 ibid. 17 W. Heitmüller, Jesus, Tübingen , . 18 ibid. . 11
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Einleitung
lemisiert«19 , ist »Jesu Stellung durchaus die des frommen Juden«20 . So erscheint die Haltung Jesu »undurchsichtig und doppelseitig«21 . Klarer sieht der große Einzelgänger Julius Wellhausen: »Jesus war kein Christ, sondern Jude«22 – das ist wohl das derzeit geläufigste Wellhausen-Zitat. Aber das ist nur die Hälfte seiner Auffassung. Denn so sehr Wellhausen die Differenz Jesu zur Urkirche betont, so sehr hebt er ihn im gleichen Zusammenhang auch vom Judentum ab: »Der Wille Gottes steht für ihn wie für die Juden im Gesetz und in den übrigen heiligen . . . Schriften. Doch weist er einen anderen Weg ihn zu erfüllen als den, welche die jüdischen Frommen nach Anleitung ihrer berufenen Führer für den richtigen hielten . . . er verwarf die im Gesetz dem Manne gegebene Erlaubnis, sein Weib zu entlassen. Er legte an die Statuten einen übergeordneten Maßstab an und beurteilte sie nach ihrem inneren Wert, nämlich ob sie das Leben förderten oder hemmten«23 . Dieser Abschnitt endet mit dem so gut wie nie zitierten Satz: »Man darf das Nichtjüdische an ihm, das Menschliche, für charakteristischer halten, als das Jüdische«24 . Die Forderung, das Jesus von seinen Zeitgenossen Unterscheidende zu erfragen, wurde Jahre später von Werner Georg Kümmel energisch betont. Bereits in seinem ersten Aufsatz fragt er, »worin der eigentliche Gegensatz zwischen der Botschaft Jesu und der Lehre der Führer seines Volkes bestehe, damit aber zugleich, worin das Wesentliche der Botschaft Jesu überhaupt liege«25 und »ob seine Person in diesem Zusammenhang eine Rolle spiele oder nicht«26 . Auf beide Fragen gibt Kümmel klare Antworten: »Er erklärt ausdrücklich einen Teil der Tora für ungültig«27 . Und Kümmel sieht, »daß hinter der Haltung Jesu zum Gesetz sein Bewußtsein steht, von Gott gesandt zu sein, von Gott den Auftrag erhalten zu haben, vor dem Eintreten | des Gottesreiches Gottes Willen zu verkünden, von Gott zu dem Messias des kommenden Gottesreiches bestimmt zu sein«28 . Damit weist Kümmel auf die ein Vierteljahrhundert später neu aufbrechende Diskussion um den »historischen Jesus« voraus. Vorerst war – zumindest in Deutschland – diese Frage durch das Verdikt der Dialektischen Theologie in den Hintergrund getreten. Es war ein Vortrag von Ernst Käsemann, der die Jesusforschung wieder »salonfähig« machte. Angesichts der durch die formgeschichtliche Forschung hervorgerufenen Skepsis gegenüber der historischen Rückfrage formuliert Käsemann das »Unab19
ibid. ibid. 21 ibid. . 22 J. Wellhausen, Einleitung in die drei ersten Evangelien, Berlin , . 23 ibid. Ständig übergangen wird auch Wellhausens Kommentar zu Mt ,f.: »Dies ist der einzige Fall, wo Jesus eine mosaische Verordnung geradezu aufhebt, also das stärkste Beispiel seines Widerspruchs gegen das Gesetz« (Das Evangelium Matthaei übersetzt und erklärt, Berlin , ). 24 ibid. . 25 W. G. Kümmel, Jesus und die Rabbinen (), wieder abgedr. in: Ders., Heilsgeschehen und Geschichte, Marburg , –, . 26 ibid. . 27 ibid. (ebenso in: Jesus und der jüdische Traditionsgedanke [], wieder abgedr. aaO., –, ). 28 ibid. (vgl. Jesus u. der jüd. Traditionsgedanke, ). 20
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leitbarkeitskriterium«: »Einigermaßen sicheren Boden haben wir nur in einem einzigen Fall unter den Füßen, wenn nämlich Tradition weder aus dem Judentum abgeleitet noch der Urchristenheit zugeschrieben werden kann, speziell dann, wenn die Judenchristenheit ihr überkommenes Gut als zu kühn gemildert oder umgebogen hat«29 . Man hat diese von Käsemann angestoßene Problemstellung mit einem gewissen Recht als »neue Frage nach dem historischen Jesus« bezeichnet (new quest), da sie nicht mehr auf ein Gesamtbild Jesu, sondern auf die Rekonstruktion seiner Lehre zielte, und erstmals mit einem eindeutigen Kriterium arbeitete. Durch Norman Perrin wurde es in die amerikanische Forschung eingeführt (»criterion of dissimilarity«). Das für Jesus Eigene und Charakteristische ist demnach das, was ihn von seiner jüdischen Umwelt ebenso wie von der Urkirche unterscheidet. Nie war die christliche Jesusforschung weiter von den Postulaten Mendelssohns und den Intuitionen des Reimarus entfernt. W. G. Kümmel hat als kritischer Chronist diese Forschungsepoche in dieser Zeitschrift begleitet30 , daher genügen einige Hinweise. Natürlich war das Unableitbarkeitskriterium vielen Neutestamentlern zu kritisch, zumal wenn es – gegen die ausdrückliche Intention Käsemanns – als alleiniges Kriterium angesehen wurde. Daher sind immer wieder ergänzende Kriterien genannt worden, v. a. das Kohärenzkriterium und das Kriterium der vielfachen Bezeugung31 . Innerhalb dieser sehr unterschiedliche Akzente setzenden Gruppe trat ein anderes Problem wieder in den Vordergrund. Wer war dieser Jesus? War er so etwas wie ein Prophet, wie die Religionsgeschichtler bis Bultmann meinten?32 Oder hat er einen höheren Geltungsanspruch erhoben? G. Bornkamm sprach in seinem weit verbreiteten Jesusbuch von der »erstaunlichen Souveränität Jesu«33 . E. Käsemann meinte, »die einzige Kategorie, die seinem Anspruch gerecht wird, [sei] diejenige, welche seine Jünger ihm dann auch beigemessen haben, nämlich die des Messias«34 , und E. Fuchs charakterisierte Jesu Verhalten als »das eines Menschen, der es wagt, an Gottes Stelle zu handeln«35 . Waren diese drei Forscher mit anderen Bultmannianern überzeugt, daß Jesus keinen der ihm zugeschriebenen Hoheitstitel verwendet, sondern nur einen indirek29 E. Käsemann, Das Problem des historischen Jesus (), zitiert nach dem Wiederabdruck in: Ders., Exegetische Versuche und Besinnungen I, Göttingen (–). 30 S. die Zusammenstellung: W. G. Kümmel, Jahre Jesusforschung (–), Weinheim (BBB ). 31 Vgl. die Beiträge in: Rückfrage nach Jesus, hg. v. K. Kertelge, Freiburg i. Br. (QD ). Kümmel hat schon im ersten seiner Berichte geurteilt: »Nun wird man gegen die Richtigkeit dieses Kriteriums (sc. der Unableitbarkeit) an sich sicher nichts einwen- | den können, aber wenn es von der Voraussetzung aus angewandt wird, daß „nicht mehr die Unechtheit, sondern . . . die Echtheit zu erweisen ist“, wird dieses Kriterium falsch. Denn nicht schon die Übereinstimmung mit jüdischen oder christlichen Gedanken oder Tendenzen macht die Zugehörigkeit eines Überlieferungsstückes zur ältesten Jesusüberlieferung fraglich, sondern der Gegensatz eines derartigen Überlieferungsstückes zum Gesamtcharakter der als sicher echt erwiesenen Jesustraditionen« (ThR , /, = Jahre Jesusforschung, ). 32 R. Bultmann, Jesus, .–. Tausend, Tübingen , . 33 G. Bornkamm, Jesus von Nazareth, Stuttgart / , . 34 E. Käsemann, aaO., . 35 E. Fuchs, Die Frage nach dem historischen Jesus, ZThK , , .
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Einleitung
ten christologischen Anspruch erhoben habe,36 so wollten etwa Martin Hengel und Franz Mußner den Messiastitel für Jesus reklamieren,37 und Werner Georg Kümmel kämpfte für die Selbstbezeichnung Jesu als Menschensohn38 . Die ersten drei Postulate Mendelssohns blieben damit unangetastet, aber es war eine Brücke zur urchristlichen Christologie geschlagen. Eine große Spannbreite von Urteilen bieten die Autoren der »neuen Frage« auch im Blick auf die Enderwartung Jesu. In der Bultmannschule wirkte das Erbe der Religionsgeschichtler, die konsequente Eschatologie, nach,39 während Käsemann Jesus die apokalyptische Erwartung absprach40 | und ein Mittelweg zwischen Apokalyptik und realized eschatology, wie ihn W. G. Kümmel und Rudolf Schnackenburg vertraten41 , einflußreich war. Gegen Ende der er Jahre meldeten sich vor allem im angelsächsischen Raum Stimmen, die neue Ansätze einforderten. Ben F. Meyer (The Aims of Jesus, ) und Ed P. Sanders (Jesus and Judaism, ) werden von N. T. Wright als Marksteine einer neuen Entwicklung genannt: »Both books rejected the New Quest’s methods; both offered reconstructions of Jesus which made thorough and sustained use of Jewish apocalyptic eschatology; both offered full-blown hypotheses which made a fair amount of sense within first-century Judaism, rather than the bits-and-pieces reconstruction, based on a small collection of supposedly authentic but isolated sayings, characteristic of the „New Quest“«!42 Und Wright hat auch das Schlagwort von der »Third Quest« ausgegeben. Eine derartige epochale Wende hat W. G. Kümmel in seinen Rezensionen nicht erkannt43 ; ob sie tatsächlich vorliegt, wird zu prüfen sein. Für diese neueste Runde ist die Ablehnung des Unableitbarkeitskriteriums charakteristisch, zumindest gegenüber dem Judentum, es geht um einen »Jesus within Judaism«, um den Titel eines Buches von James H. Charlesworth zu zitieren.44 Jede theologische Bevormundung wird abgelehnt, es soll »rein historisch« nach Jesus gefragt werden. Beide Aspekte wurden genauso emphatisch von der Religionsgeschichtlichen Schule betont; beide Aspekte gehörten aber auch zu den Grundprinzipien der jüdischen Jesusforschung, die seit der Judenemanzipation im beginnenden . Jahrhundert neben der christlichen einherging, wobei es immer auch um die »Heimho36
Z. B. H. Conzelmann, Art. Jesus Christus, RGG III, , . M. Hengel, Nachfolge und Charisma, Berlin (BZNW ); zitiert nach dem durchgesehenen und ergänzten Nachdruck in: Ders., Jesus und die Evangelien. Kleine Schriften V, Tübingen (WUNT ), –; M. Hengel/A. M. Schwemer, Der messianische Anspruch Jesu und die Christologie, Tübingen (WUNT ); F. Mußner, Der »historische« Jesus (), wieder abgedr. in: Ders., Jesus von Nazareth im Umfeld Israels und der Kirche, Tübingen , –. 38 W. G. Kümmel, Verheißung und Erfüllung, Zürich , ff.; Ders, Die Theologie des Neuen Testaments nach seinen Hauptzeugen, Göttingen (GNT ), –. 39 R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen , . 40 E. Käsemann, aaO. (s. S. , Anm. ). 41 W. G. Kümmel, Verheißung und Erfüllung (s. Anm. ); R. Schnackenburg, Gottes Herrschaft und Reich, Freiburg/Basel/Wien . 42 N. T. Wright, The Challenge of Jesus, , . 43 Vgl. das Nachwort zu » Jahre Jesusforschung« (s. Anm. ). 44 J. H. Charlesworth, Jesus within Judaism. New Light from Exciting Archaeological Discoveries, New York . Dieses Buch wurde der ThR nicht zur Rez. vorgelegt. 37
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lung Jesu ins jüdische Volk« ging.45 Und diese Heimholung Jesu hat schon beim »Vater« der jüdischen Jesusforschung, Abraham Geiger, sehr konkrete Abzweckungen. Susannah Heschel bespricht Geigers erschienenes Buch »Das Judentum und seine Geschichte«, »das mittels einer ganz neuen Deutung Jesus als Pharisäer definierte und das frühe Christentum als Paganisierung und letztlich als Verrat an Jesu jüdischer Botschaft verstand«.46 Unter den leitenden Moti- | ven Geigers macht Heschel auch das Folgende geltend: »Die Darstellung der Geschichte der christlichen Ursprünge aus einer jüdischen Perspektive war ein Akt jüdischer Selbststärkung. Geiger führte die Definition Jesu als einer Gestalt innerhalb des Judentums als Beweis dafür an, dass das Judentum die ursprüngliche, wahre Religion, das Christentum aber ein von ihr abweichender Abkömmling sei«.47 Die pauschale Abweisung dieser Thesen durch die seinerzeitigen evangelischen Theologen war ebenso problematisch wie es die heutige Beflissenheit evangelischer und katholischer Theologen bei ihrer Übernahme ist. Gewisse Modifikationen dieses für die jüdische Sicht typischen Jesusbildes findet man bei C. G. Montefiore und J. Klausner, der bei Jesus »etwas« findet, »aus dem sich »Un-Judentum« entwickelte«.48 Nach dem . Weltkrieg nahm die Zahl jüdischer Arbeiten über Jesus sehr zu, die aber sämtlich die von Klausner und Montefiore richtig festgestellten zum »Unjudentum« führenden Momente der Verkündigung Jesu bestritten und ein ganz und gar im zeitgenössischen Judentum aufgehendes Jesusbild zeichneten. W. G. Kümmel hat wiederholt aufgewiesen, daß das nur unter Preisgabe jeglicher anerkannter exegetischer Methodik möglich war.49 Diese jüdischen Arbeiten, vor allem zum Prozeß Jesu, sind natürlich im »post-Holocaust-context«50 zu sehen, und das dürfte auch für ihre oft etwas unkritische Rezeption gelten. Eine nicht unproblematische Begleiterscheinung dieser sicher guten Absicht ist die Tatsache, daß Forscher, die dieser Richtung kritisch gegenüberstehen, mit dem Vorwurf des Antijudaismus zum Schweigen gebracht werden. Es ist ein m. E. bedenkliches Zeichen, wenn Autoren wie N. T. Wright oder E. Rau, die ein israelkritisches Jesusbild aus den Quellen erheben, sich prophylaktisch gegen den Antijudaismusvorwurf wehren müssen.51 Die in ähnlichem Zusammenhang von Manfred Oeming geäußerte Mahnung scheint 45
S. Ben-Chorin, Bruder Jesus, . S. Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum. Abraham Geigers Herausforderung an die christliche Theologie, übers. von Chr. Wiese, Berlin (Sifria ), . 47 ibid. f. 48 C. G. Montefiore, The Synoptic Gospels, Bde, ; J. Klausner, Jesus von Nazareth. Seine Zeit, sein Leben und seine Lehre (), deutsch Berlin = Jerusalem ; . Über die Motive anderer jüdischer Forscher informiert J. Maier, Gewundene Wege der Rezeption, HerKorr , , –. 49 W. G. Kümmel, Jahre . . . , f. zu P. Lapide, ff. zu S. Ben-Chorin; ff. zu D. Flusser; – zu P. Winter; f. zu H. H. Cohn; – zu G. Vermes u. ö. 50 R. Horsley, The Death of Jesus, in: B. Chilton/C. A. Evans, Studying the Historical Jesus, Leiden usw. , f. Vgl. J. D. G. Dunn, Can the Third Quest Hope to Succeed? (–, hier ): »The repentance and penitence required by the Holocaust, though in some circumstances in danger of being overplayed, have still to be fully worked through.« 51 N. T. Wright, The Challenge . . . , ; E. Rau, Jesus, Freund der Zöllner, –. 46
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I. Forschungsgeschichte und Methodenfragen
mir wichtig. »Bisweilen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Katastrophe des Holocausts dadurch bewäl- | tigt werden soll, daß man theologisch und politisch genau das Gegenteil von dem denken und tun zu müssen meint, was zu dem furchtbaren Unheil geführt hat, um das Richtige zu treffen. Ist aber das rechte Maß immer das extreme Gegenteil eines Extrems?«52 Es muß auch darauf hingewiesen werden, daß die Arbeiten der Third Quest stark von sozialwissenschaftlichen, archäologischen und feministischen Problemstellungen bestimmt sind; das kann nützlich oder schädlich sein, je nach dem, ob man »alles prüft und das Beste behält« oder sich ins Schlepptau dieser Nachbardisziplinen begibt. Daneben läuft in den USA ein mit großer Publizität betriebenes, eher der New Quest verpflichtetes Unternehmen, das »Jesus Seminar«. Es versammelt seit einige Neutestamentler, die über Jesusüberlieferungen diskutierten und dann über die Authentizität in vier Abstufungen abstimmten. Da die Veröffentlichungen des Jesus Seminar53 der ThR nicht vorgelegt wurden, soll dieser Hinweis genügen. Einige der im folgenden anzuzeigenden Bücher gehen – meist sehr kritisch – auf diese Arbeiten ein.
I. Forschungsgeschichte und Methodenfragen B C/C E, Studying the Historical Jesus. Evaluations of the State of Current research (NTTS XIX). E. J. Brill, Leiden/New York/Köln , XVI + S. – B C/C E, Authenticating the Words of Jesus (NTTS XXVIII, ). E. J. Brill, Leiden/Boston/Köln , XVI + S. – C. J. H, Jesus Matters. Trinity Press International, Valley Forge, Pennsylvania , S. – E H, In His Name. Comparative Studies in the Quest for the Historical Jesus (EHS /). Verlag P. Lang, Frankfurt/Main , XV + S. – E H, Von der Evangelienparaphrase zum historischen Jesusroman (EHS I/). Verlag P. Lang, Frankfurt/Main , S. – E H, Der literarische Jesus. Olms Verlag, Hildesheim , S. – U H. J. K (Hg.), Jesus im . Jahrhundert. Bultmanns Jesusbuch und die heutige Jesusforschung. Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn , S. – B F. L B/L G/D H (Hgg.), The Historical Jesus Through Catholic | and Jewish Eyes. Trinity Press International, Harrisburg, Pennsylvania , XVIII + S. – D M/E N/J-M P (Hgg.), Jésus de Nazareth. Nouvelles approches d’une énigme (MDB ). Labor et Fides, Genf 52 M. Oeming, Biblische Theologie – was folgt daraus für die Auslegung des Alten Testaments?, in: Ders., Das Alte Testament als Teil des Kanons?, Zürich (–), f. 53 Die Zeitschrift „Foundations and Facet Forum“ erscheint seit . Den Ertrag der Diskussionen findet man in R. W. Funk (Hg.), The Five Gospels. The Search for the Authentic Words of Jesus, New York , und R. W. Funk (Hg.), The Acts of Jesus, San Francisco (beide Bücher wurden der ThR nicht zur Rezension vorgelegt). Vornehmlich der Auseinandersetzung mit dem Jesus Seminar dienen die von B. Chilton und C. A. Evans herausgegebenen Sammelbände (Studying the Historical Jesus / Authenticating the Words of Jesus / Authenticating the Activities of Jesus).
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach
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, S. – W P. W, The Historical Jesus in the Twentieth Century. –. Trinity Press International, Harrisburg, PA, , XIV + S. – M A P, Jesus as a Figure in History. How Modern Historians View the Man from Galilee. Westminster John Knox Press, Louisville KY, , S. – E R, Jesus – Freund von Zöllnern und Sündern. Eine methodenkritische Untersuchung. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart , S. – J S/R B (Hg.), Der historische Jesus. Tendenzen und Perspektiven der gegenwärtigen Forschung (BZNW ). Verlag Walter de Gruyter, Berlin/New York, , VIII + S. – G T/A M, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen , S. – G T/D W, Die Kriterienfrage in der Jesusforschung (NTOA ). Universitätsverlag Freiburg Schweiz/Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen , XII + S. – H W (Hg.), Jesus and the Oral Gospel Tradition. Sheffield Academic Press, Sheffield, England , S. – Albert Schweitzers monumentale, mit leidenschaftlicher Einseitigkeit geschriebene Geschichte der Leben-Jesu-Forschung von Reimarus zu Wrede ist noch nicht ersetzt worden und kann wohl auch nicht ersetzt werden; ein amerikanisches Autorentrio will sie aber bis in die Gegenwart weiterführen. Der vorliegende erste Band, verfaßt von W P. W, Prof. em. am Florida Southern College, bespricht die Literatur von bis . Die verbreitete fable convenue, A. Schweitzer habe der Leben-Jesu-Forschung ein Ende bereitet, erweist sich wieder einmal als falsch. Vor allem im angelsächsischen Raum hat es eine rege Produktion von Jesusliteratur gegeben. W. zeichnet unter kenntnisreicher Einbeziehung zeit- und geistesgeschichtlicher Zusammenhänge ein ausgezeichnetes, sehr lesbares Bild dieser Epoche. Die Darstellung bleibt objektiv; eine leichte Sympathie für Autoren, die das Jüdische an Jesus betonen, ist erkennbar. Der Rez. hat die Darstellungen von P. Wernle, C. J. Cadoux, W. Manson, C. G. Montefiore und J. Klausner als Kabinettstücke historiographischer Arbeit empfunden. Von besonderem Interesse ist die sozio-historische Schule von Chicago, die als Vorläufer von H. C. Kee, R. Horsley, J. D. Crossan und G. Theißen anzusehen ist. In dem von B C und C E hg. Sammelband »Studying the Historical Jesus« gibt William R. Telford einen außerordentlich materialreichen Überblick über die – hauptsächlich englischsprachige – Forschung von – (Major Trends and Interpretive Issues in the Study of Jesus, –). Seine von einem maßvoll konservativen Standpunkt aus geäußerte Kritik ist meist zutreffend. In demselben Band bietet Marcus J. Borg eine persönlich gehaltene Schilderung der nordamerikanischen Forschung – (Reflexions on a Discipline: A North American Per- | spective, –), die das Stimmungshafte der Entwicklung deutlich werden läßt. Eine Ergänzung des Schweitzerschen Werkes stellt die fleißige Arbeit von E H dar (In His Name, ). Hatte A. Schweitzer die Jesusforschung mit dem Reimarusschen Paukenschlag beginnen lassen, so stellt sie zu Recht mancherlei vorausgehende Ansätze fest, vor allem bei den englischen Deisten. H. skizziert die deutsche Situation bis hin zu M. Kähler. Ab Seite beginnt dann die Darstellung
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I. Forschungsgeschichte und Methodenfragen
der amerikanischen Jesusforschung, deren Wurzeln in der unitarischen Bewegung herausgestellt werden. Den Anschluß an die deutsche Exegese stellten J. S. Buckminster (in Harvard seit ) und M. Stuart (in Andover seit ) her. Zwischen und kam es zu einem starken Studentenaustausch zwischen Harvard und Göttingen, der Einflüsse von Michaelis und Eichhorn in die USA brachte. Die Bekanntschaft mit D. Fr. Strauß wirkte in Amerika nicht weniger aufwühlend als in Deutschland. E. Renan rief in Amerika namhafte Jesusbücher hervor. Elizabeth Stuart Phelps (The Story of Jesus Christ, ) schreibt sehr modern: »This book is not theology or criticism nor is it biography. It is neither history, controversy, nor a sermon . . . It is a narrative.« Insgesamt war die amerikanische Forschung immer stark an der Erkennbarkeit des irdischen Jesus interessiert, was zu vielfacher Kritik an der »New Quest« geführt hat. Insgesamt bietet H. eine zuverlässige und interessante Führung durch die Jesusliteratur der USA bis in die siebziger Jahre des . Jh.s. E H hat zwei weitere Bücher vorgelegt, die die Wirkungen der Jesusforschung auf die Literatur zeigen. Das erschienene Buch »Von der Evangelienparaphrase zum historischen Jesusroman« stellt die etwa seit auftretenden freien Literarisierungen des Lebens Jesu bis etwa dar, wobei H. sehr schön Aufnahme und Ablehnung der zeitgenössischen Forschung aufzeigt. Bahrdt und Venturini, besonders informativ E. Renan, P. Ador und W. German werden dargestellt. Gewissermaßen als Fortsetzung stellt »Der literarische Jesus« () die deutsche Romanliteratur eingehend und einfühlsam dar. Ihre Zielsetzung: »Den Voraussetzungen für diese Art der Literarisierung der Jesusgestalt gilt es hier nachzugehen – literaturästhetisch als Frage nach der grundsätzlichen Darstellbarkeit der Gestalt Jesu, literaturgeschichtlich als Bestimmung des Einflusses der Leben-Jesu-Forschung auf die deutsche Romanliteratur von bis und nicht zuletzt literaturtheologisch vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Diskussion um die Inhalte und Möglichkeiten der Literaturtheologie als einer Disziplin der Literaturwissenschaft, die Literatur auf die sie bedingende und von ihr geprägte Theologie untersucht« (). Die Frage nach Jesus war von Anfang an kein theologisches Reservat.
Eine kurzgefaßte Darstellung von Jahren Jesusforschung für weitere Kreise bietet C. J. H. Er beginnt mit einer sehr holzschnittartigen Skizze des Wirkens Jesu, der christologischen Entwicklung bis zum Chal- | cedonense und der reformatorischen Christologie. Der historische Jesus wird als Kind der Aufklärung im Gefolge des Reimarus beschrieben. A. Schweitzers Jesusbild wird eingehend und mit Sympathie beschrieben, ohne daß Joh. Weiß erwähnt würde. Das theologische Verdikt Bultmanns und Kählers wird erörtert. J. Jeremias wird eingehend gewürdigt. Die »Neue Frage« nach Jesus in der Bultmannschule durch E. Käsemann, G. Bornkamm u. a. wird eher knapp gestreift. Ein Schwerpunkt ist das Kapitel über jüdische Jesusforschung; daß den H. die »Entdeckung« des Jüdischen an Jesus äußerst wichtig ist, liest man schon im Vorwort (p. XIII). Über die Texte von Qumran und Nag Hammadi wird informiert. Ein Kapitel bespricht popularisierende Jesusdarstellungen. Schließlich wird die neueste Diskussion, vor allem die Kriterienfrage, diskutiert. Den H. schlägt zwei neue Kriterien vor: Respekt der Evangelisten vor der Tradition und das Kriterium der »different traditions«, das dem der vielfältigen Bezeugung entsprechen dürfte.
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach
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So führt die Bilanz der Jesusforschung zu einem vorsichtigen Optimismus. Den Heyer gibt am Ende des Buches eine »Mini-Biographie« Jesu: Jesus, ein galiläischer Wunderheiler und Exorzist, ein absolut toratreuer Mann, ein Charismatiker, ein Mystiker, der durch seinen Verkehr mit Sündern und Zöllnern Ärgernis erregte. Also ein Jesus, der voll im Trend liegt. Ob das wirklich das Ergebnis von Jahren Jesusforschung ist? Einen sehr informativen Überblick über die amerikanische Forschung der er und er Jahre hat M A P verfaßt. »Old Quest« und »New Quest« werden nur flüchtig skizziert. Als Impulsgeber für wichtige Aspekte werden R. A. Horsley, G. Vermes, M. Smith, B. Witherington III und F. G. Downing besprochen. Ein Kapitel befaßt sich mit dem »Jesus Seminar«. Eingehend werden J. D. Crossan, M. J. Borg, E. P. Sanders, J. P. Meier und N. T. Wright behandelt. Nach einer stets guten Darstellung der einzelnen Positionen greift P. kritische Anmerkungen aus der englischsprachigen Diskussion auf; dabei bleibt seine Kritik immer fair, selbst im Fall des von konservativer Seite oft – und nicht ohne Grund – bissig kritisierten Jesus-Seminars. So erhält man einen zuverlässigen Eindruck von Problemen und Positionen. Von kurzgefaßten Darstellungen der Forschung nenne ich nur noch den Aufsatz von Bernard B. Scott (New Options in An Old Quest, –) in dem von B F. L B u. a. herausgegebenen Sammelband »The Historical Jesus Through Catholic and Jewish Eyes«, der ebenfalls die von Powell besprochenen Autoren kritisch würdigt. Zugänge zur neueren jüdischen Jesusliteratur bieten Michael J. Cook (Jewish Reflections on Jesus: Some Abiding Trends, –) und Jonathan D. Brumberg-Kraus (Jesus as Other People’s Scripture, –). Mancherlei Ergänzungen aus der französischen und | italienischen Diskussion bieten in dem von D M u. a. herausgegebenen Band »Jésus de Nazareth« die Aufsätze von Vittorio Fusco (La quête du Jésus historique. Bilan et perspectives, –) und Elian Cuvillier (La question du Jésus historique dans l’exégèse francophone. Aperçu historique et évaluation critique, –). Natürlich enthalten auch die meisten Jesusbücher knappe Hinweise auf die Forschungsgeschichte; sie bringen aber nichts Neues und können daher übergangen werden. Ein kritisches Wort zu dem Lehrbuch von G T und A M kann ich mir nicht versagen. Reimarus wird völlig unkritisch dargestellt; daß er Wesentliches von den englischen Deisten gelernt hat, hätte gesagt werden müssen. Daß keine »historische Erkenntnis«, sondern Haß auf die christliche Religion federführend war, wird nicht gesagt. Daß die »Apologie« eine historisch-kritische Arbeit sei, ist geradezu irreführend, denn die historisch-kritische Methode ist ja erst im Laufe des . Jh.s entwickelt worden. Kann man es als historisch-kritische Leistung ansehen, daß Reimarus die Wunder Jesu auf betrügerische Absprachen mit Anhängern zurückführte, die sich krank stellten? Reimarus treibt keinerlei Quellenkritik, ganz zu schweigen von Überlieferungskritik und dergleichen. Und historisches Verständnis hat er – wie alle seine Zeitgenossen – nicht. Besonders befremdlich ist aber, daß sein glühender Haß auf das Alte Testament und das Judentum nicht erwähnt werden,
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denn seine Einordnung Jesu in den jüdischen Kontext muß auf diesem Hintergrund gesehen werden. – Eine zweite Anmerkung betrifft die jüdische Jesusforschung, die in einem Exkurs von nur einer Seite dargestellt wird. In einem Textseiten umfassenden Lehrbuch hätten schon einige Hinweise auf die Zeit vor J. Klausner Platz gehabt. Außerdem sind dreieinhalb Textzeilen für Klausner absolut unzureichend. Mehrere Arbeiten befassen sich speziell mit der Kriterienfrage, die ja in der »Third Quest« neu bewertet wird. Die Monographie von G T und D W bietet einen forschungsgeschichtlichen Überblick über das »Differenzkriterium«, das durch ein »historisches Plausibilitätskriterium« abgelöst werden soll. Das Differenzkriterium ist aus dem geistesgeschichtlichen Hintergrund des ausgehenden . und des . Jh.s abzuleiten. Es hat kirchen- und dogmenkritische Impulse, insofern es Jesus vom späteren Christentum abhebt; insofern es die Differenz Jesu zum zeitgenössischen Judentum herausstellt, ist es bestimmt vom »Antijudaismus, der sich mit konfessionalistischen und heilsgeschichtlichen Interessen verbindet« (). So kann W. Bousset, der etwas eingehender dargestellt wird, natürlich keine gute Figur machen, hat er doch die Differenz Jesu zum Judentum ebenso betont, wie die zum Christentum. W. beschreibt die Kritik der dialektischen Theologie an der Leben-Jesu-Forschung und die von der Formgeschichtlichen Forschung bewirkte methodische Skepsis zutreffend und skizziert R. Bultmanns Jesusbild. Trotz der grundsätzlichen | Einpassung ins Judentum hat Jesus alttestamentliche Positionen radikalisiert (f.). Bultmann hat das doppelte Differenzkriterium. Die These freilich, »daß R. Bultmanns gelegentliche Rede von Jesu Gegensatz zu jüdischer Moral und Frömmigkeit durch seine historische Arbeit nicht gedeckt« sei (), ist falsch. Hier zeigt sich, daß Bultmann nicht nur ein großer systematischer Denker war, sondern auch ein großer Exeget, der nicht alle Befunde seinem Konzept unterordnete. Das Aufkommen der »Neuen Frage« wird als »vorsichtige . . . Rückholung Jesu aus dem Judentum in das Christentum« bewertet (). Das weithin anerkannte, aber im einzelnen unterschiedlich angewandte Differenzkriterium zeige »eine begriffliche Unschärfe zum Begriff der „Differenz“ („Unähnlichkeit“, „Unableitbarkeit“ oder „Unvorstellbarkeit“)«, es führe »zur Verwechslung, differierendes Material sei zugleich typisch und wesentlich für das Verständnis der geschichtlichen Gestalt Jesu«, der »Mangel an Wissen über das Judentum und über die frühe Christenheit« erschwere, »das vergleichende Urteil« und schließlich konfligiere das Differenzkriterium »mit der Doppelforderung nach einer geschichtlichen Einordnung Jesu in das Judentum und nach einer wirkungsgeschichtlichen Einordnung an den Beginn des Christentums« (). Damit sind die wesentlichen Einwände gegen das Differenzkriterium vorgebracht. An dem weit verbreiteten Taschenbuch von G. Bornkamm wird der New Quest kurz veranschaulicht.
Die neue Forschungsphase »Third Quest« wird durch »vier Impulse« gekennzeichnet. Es geht () um die »(Re-)Emanzipation der historischen Frage nach Jesus vom theologisch-christologischen Feld«, so daß »weder der Legitimierung der Christologie noch ihrer Delegitimierung« gedient werden soll (), () um höhere »Anerkennung und Bedeutung der Soziologie und Sozialgeschichte, so daß das „Individuum Jesus“ an Gewicht verliert« (), () wird der jüdischen Jesusforschung Rechnung getragen und der »theologische Antijudaismus« kritisiert (f.) und () löst man sich »von dem, was zugespitzt die „Tyrannei des synoptischen Jesus“ genannt wurde« (). Das wird an einer großen Zahl von Autoren veranschaulicht. Überraschend ist allerdings die Kritiklosigkeit, mit der der Anspruch »rein historisch« zu arbeiten,
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übernommen wird, während die »protestantische« Forschung ständig dogmatischer Beweggründe verdächtigt wird. Überraschend ist auch die Kritiklosigkeit, mit der über die methodologischen Unklarheiten vieler jüdischer Forscher hinweggesehen wird. Und schließlich ist der Wink mit der Antijudaismuskeule kein Ausweis profanhistorischer Denkweise. Diese (in manchem ergänzungsbedürftige oder auch tendenziöse) Forschungsgeschichte ist freilich nur der Vorbau für das Anliegen Theißens, »das Differenzkriterium durch ein neues Kriterium zu ersetzen, daher seine berechtigten Elemente zu bewahren und seine verzerrenden Einseitigkeiten zu korrigieren« (). Das sog. »Historische Plausibilitätskriterium« hat einmal das Unterkriterium der historischen Wirkungsplausibilität. Da die christlichen Quellen Teil | der Wirkungsgeschichte Jesu sind, können sie Elemente enthalten, die auf Jesus zurückgehen; da sich diese Wirkungsgeschichte aber auch von Jesus entfernt hat, müssen Relikte des historischen Jesus gesucht werden, die sich trotz der Tendenz zur Entfernung erhalten haben, also »Überreste«, die »entweder „tendenzspröde“ oder gar ausgesprochen „tendenzwidrig“« sind (). Hier schlägt das alte Differenzkriterium zum Christentum voll durch. Daneben steht aber der Aspekt der Quellenkohärenz, der als »Querschnittsbeweis« schon früher eine Rolle spielte. Wenn sich Jesu »Wirken in einigen Zügen unabhängig voneinander in verschiedenen Traditionsbereichen, Gattungen und Überlieferungsvarianten erhalten hat«, kann man auf Echtheit schließen (f.). Die durch die Kriterien Tendenzwidrigkeit und Quellenkohärenz erzielten Ergebnisse »können weiter auf ihre Kontextplausibilität hin überprüft werden, einerseits daraufhin, ob sie historisch in den jüdischen Kontext passen, in dem der Jude Jesus von Nazareth lebte, andererseits daraufhin, ob sie auf eine individuelle Erscheinung innerhalb dieses Kontextes hinweisen: auf eine Person, die Aufsehen und Anstoß erregte und zwischen Anhängern und Gegnern polarisierte« (). D. h.: »Nach dem Kriterium der Kontextentsprechung kann . . . nur echt sein, was aus ihm [sc. dem Judentum] abgeleitet werden kann.« () Allerdings könnte das, was gut in den jüdischen Kontext paßt, auch vom frühen Judenchristentum übernommen worden sein. Daher hat auch das Kriterium der Kontextplausibilität einen zweiten Aspekt: »Was innerhalb dieses jüdischen Kontextes ein eigenständiges Profil zeigt, werden wir eher Jesus als einem seiner jüdischen Anhänger zutrauen« (). Zur Feststellung der individuellen Züge empfiehlt Th. »die Erstellung eines Vergleichsprofils, die Suche nach Besonderheitsindizien und die Feststellung individueller Komplexität« (). Diese Überlegungen spielten auch in der »New Quest« schon eine Rolle, werden aber hier nur noch in einer untergeordneten Rolle geduldet. Dann es steht ja von Anfang an fest, daß Jesus ganz und gar im jüdischen Kontext geblieben sein muß. Hatte Th. das Unableitbarkeitskriterium als »verkappte Dogmatik« betrachtet, so ist dieses Kriterium »Dogmatik pur«. Das zeigt sich schon an den oberflächlichen Abschwächungen, die sich die wichtigsten »unableitbaren« Logien gefallen lassen müssen (–; davon wird im Zusammenhang mit dem Lehrbuch von Theißen/Merz noch die Rede sein). Für das Kriterium der Kontextplausibilität gilt natürlich auch das »Argument der unvollständigen Quellenlage« (). Und schließlich ist es inkon-
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sequent, das Unableitbarkeitskriterium zu kritisieren, es sei von der »Vorstellung von der einzigartigen Persönlichkeit« belastet (), während doch wieder Überlieferungen, die ein eigenständiges Profil zeigen, eher jesuanisch | als nachjesuanisch sein sollen. Das Plausibilitätskriterium dürfte nicht als Ersatz des Unableitbarkeitskriteriums brauchbar sein. Einen scharfen Angriff auf die beiden Kriterien verbindet Tom Holmén in dem von B C und C A. E edierten Sammelband »Authenticating the words of Jesus« mit der Empfehlung, nun noch das Kriterium der Differenz zum Christentum zu verwenden (Doubts about Double Dissimilarity: Restructuring the Main Criterion of Jesus-of-history Research, –). Das war schon die These Ben F. Meyers, die aber keine Beachtung gefunden hatte. Sein Ansatz läßt sich in dem Satz zusammenfassen: »Surely many fictive things have been claimed about Jesus by his followers, things that appear unique in comparison with profound Jewish thought. Yet, such dissimilarity in no way makes these innovations genuine teachings of Jesus« (). H. geht also von einer ziemlich ungehemmten Zuschreibung urkirchlicher Belange an Jesus aus und schreibt der Urkirche eine hohe schöpferische Kraft zu. Rhetorik ersetzt dabei oft präzise Argumente: »the early church cannot be pictured as incapable of diverging from Judaism« (), oder: »Were the early Christians indeed incapable of coming up with something new?« (). Der Rückzug auf einen ausschließlich vom Christentum unterschiedenen Jesus ist nicht begründet. Bruce J. Malina (Criteria for Assessing the Authentic Words of Jesus: Some Specifications, –) schlägt im gleichen Sammelband jeglicher verfünftiger Kriteriologie ins Gesicht, wenn er fordert, echte Jesusworte müßten dem Postulat entsprechen, »that Jesus proclaimed a political religion, not kinship religion« (). »With his proclamation of the „kingdom of God“, Jesus was proclaiming a forthcoming theocracy hence any statement attributet to Jesus that deals with political religion has brightest probability of authenticity« (). Zum Zwecke der Verbreitung seiner Ziele gründete Jesus eine »Partei« (faction), und solche Gruppen pflegen eine fünfstufige Entwicklung zu nehmen (»forming, storming, norming, performing, adjourning«, –). Jetzt kommt es nurnoch darauf an, die Wortüberlieferung auf diese Stufen zu verteilen (). Hier wird nur mit Vorgaben konstruiert; die Jesusüberlieferung ist nur ein Steinbruch, mit dem ein Schema aufgefüllt wird. Wird bei Malina das gewünschte Ergebnis zum Kriterium gemacht, so wird schließlich sogar der Verzicht auf eine kriteriengeleitete Rückfrage gefordert. Das ist das Ziel der Monographie von E R. Er stellt kurz die von E. Käsemann initiierte Diskussion dar und faßt die mancherlei Vorbehalte gegen das Unableitbarkeitskriterium in der bekannten, etwas karikierenden Weise zusammen: »Es isoliert Jesus gegenüber seiner Herkunft genauso wie gegenüber seiner Wirkung, . . . es degradiert ihn zu einer abstrakten beziehungslosen Figur, es leistet dem Antijudaismus Vorschub, und es ist | einer Christologie der absoluten Einzigartigkeit Jesu verpflichtet« (). R. betont, daß »es wiederholt heißt, die Zuverlässigkeit der Überlieferung sei doch größer, als ursprünglich angenommen« () und weist pauschal die Hypothese ab, urchristliche Prophetenworte seien zu Worten des irdischen Jesus geworden (f.).
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Statt dessen stellt R. die These auf: »Sekundäre Bildungen . . . entstammen keiner Quelle außerhalb der Jesusüberlieferung, sei es aus dem Judentum, sei es aus dem Urchristentum. Ihre Entstehung ist also nicht exogen, sondern endogen zu erklären« (). »Sekundäre Bildungen« knüpfen also R.s Meinung nach »durchweg, wenn auch in sehr verschiedener Weise, an überkommene Worte« an (). Allerdings spiegeln »Rezeption und Applikation selbstverständlich auch den Lebenshorizont der TradentInnen« wider, daher »spielen auch exogene Faktoren eine wichtige Rolle« (). Statt urchristlicher Propheten sind nach R. urchristliche Exegeten für unechte Jesusworte verantwortlich (). Insbesondere sollen »sekundäre Jesusworte nicht zuletzt im Medium der Schriftlichkeit« entstehen (), was (in methodologisch unzureichender Weise) an den markinischen Leidensankündigungen und an Lk ,– exemplifiziert wird (ff.). Allerdings relativiert R. diese Überlegungen wieder: Er geht nicht nur davon aus, »daß Echtheit – zumindest mit Hilfe von Kriterien – prinzipiell nicht glaubhaft gemacht werden kann« (), und auch beim Nachweis der Unechtheit gibt es »allenfalls mehr oder weniger gut begründete Wahrscheinlichkeiten« (). Ist es also ein »Irrweg . . . , mit Hilfe von Kriterien die Authentizität von Worten Jesu unter Beweis zu stellen« (), dann gibt es nur »einige wenige, relativ offene Prinzipien«, nämlich »Historische Intuition, historische Phantasie und fortgesetztes Experimentieren« (), was R. vor allem an der Jesusforschung A. Schweitzers abliest (f.). »Jede Darstellung [Jesu] ist . . . ein Konstrukt derer, die sich mit der vorhandenen Überlieferung konfrontieren, und es gibt letztlich nur ein einziges Kriterium, an dem sie zu messen ist: Ob es ihr gelingt, nicht nur einen Teil, sondern die „Gesamtheit der überlieferten Tatsachen“ zueinander in Beziehung zu setzen« (). R. veranschaulicht sein Programm an den Überlieferungen zum Verhalten gegenüber Sünderinnen und Sündern (–). Basistexte sind Lk ,– und Lk ,–, die nach R. grundsätzlich unterschiedliche Standpunkte gegenüber den Pharisäern bezeugen. Im Gleichnis vom verlorenen Sohn geht es um die von den Pharisäern verweigerte Mahlgemeinschaft mit den bekehrten Sündern, die Jesus für »revozierbar« hält, während es im Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner um die »Absonderung von allen nichtpharisäischen Menschen« geht, die nicht revozierbar sei (). Der »Gerechte« entzieht sich der Aufforderung zur überschäumenden Freude über die Rückkehr des Verlorenen, weil er das Freudenmahl »als fundamentale Bedrohung seines eigenen Lebensentwurfes empfindet« (). R. assoziiert mindestens Texte, »die in je verschiedener Weise beleuchten, wie Jesus die Zurückhaltung Gerechter ge- | genüber der Zuwendung zu Sünderinnen und Sündern aufzubrechen versuchte« (). Dieses »Beziehungsgeflecht« soll ergeben, daß es beim gemeinsamen Mahl zur Umkehr gekommen sei, »die sich in Appellen, Bittgebeten, Sündenbekenntnissen und Exhomologesen artikuliert« (), selbst das Vaterunser habe dabei »einen festen Platz« eingenommen (). Nach der Bußliturgie kam es dann zum festlichen Mahl, bei dem »Brot, Fisch, Wein und gelegentlich wohl auch Fleisch genossen« wurden, »und Musik und Reigentanz könnten zum ausgelassenen Rahmen gehört haben« (). Warum »Jesu Praxis . . . heftige Proteste auf sich« zog (), wird allerdings nicht klar. Jesus problematisiert den Status seiner (pharisäischen) Gegner vor Gott nicht. »Wichtig ist allein, daß die Kontrahenten sich in all ihrer positiv gewürdigten Andersartigkeit der Initiative öffnen, die Jesus unter Berufung auf den Gott Israels für Sünderinnen und Sünder, Verirrte und Verlorene ergreift.« Jesus hält die Zustimmung der Pharisäer für »notwendig, weil Sünderinnen und Sünder nur zusammen mit den Gerechten, Verlorene nur zusammen mit den Nichtverlorenen das Gottesvolk bilden« ().
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Daß sich der Konflikt zuspitzte, hat nach R. den Grund: »Hier stießen der Führungsanspruch einer schon lange existierenden Gemeinschaft und der Führungsanspruch eines einzelnen aufeinander« (). In der ersten Phase suchte Jesus Verständnis für seine Anliegen, erreichte aber nichts; aus Lk , par. schließt R., »daß den Gegnern Jesu auch in der Zielgruppe seiner Sendung . . . ein Einbruch gelungen ist« (). »Je deutlicher sich dies abzeichnete, desto massiver wurde die Form der Toraobservanz, die dafür verantwortlich gemacht wurde, als falscher Weg zum Gott Israels gebrandmarkt und desto entschiedener wurde ihren Protagonisten das Gericht in Aussicht gestellt« (). In der zweiten Phase seines Wirkens hätte Jesus also den Konflikt mit den Pharisäern geschürt, um seine Klientel bei der Stange zu halten. R. fragt, »ob Jesus da nicht das Konto der Polemik erheblich überzogen« habe, »weil der Kontakt zu der Realität . . . weitgehend verlorengegangen ist« (). Er sieht aber darin keinen Anlaß, über das von ihm konstruierte »Beziehungsgeflecht« nachzudenken, sondern er fragt: »Warum sollte Realitätsverlust angesichts der bedrohlichen Perspektive für die eigene Sendung nicht auch für Jesus eine Gefahr gewesen sein?« (). Ich breche das Referat ab. Ob R. den seines Erachtens für die »Subjektivität« der Ausleger gegebenen »weiten Spielraum« angemessen genutzt hat, müssen seine Leserinnen und Leser entscheiden. Mit seiner Neubelebung der Holtzmannschen Hypothese von den zwei Phasen der Wirksamkeit Jesu gelingt es ihm, viel Spruchgut auf Jesus zurückzuführen. Aber das ist ebenso nur eine Hypothese wie die traditionelle Unterscheidung von vorösterlichen und nachösterlichen Logien. Eine Banalisierung des Gegensatzes Jesu zu den Pharisäern dürfte auch durch eine genauere Exegese der beiden Basistexte R.s ausgeschlossen werden. Schon die Auslegung von Lk ,– ist zu harmonistisch – sie hat einen Vorläufer in P. Fiedlers erschienenem | Buch »Jesus und die Sünder« –, denn der erste größere Abschnitt ,– ist nicht nur »Vorspann« zum »werbenden« zweiten Teil. Und auch die Auslegung des Gleichnisses Lk ,–, die einen Vorgänger in F. Schnider (BZ [] ff.) hat, verharmlost den Gegensatz: Es geht nicht primär darum, die »Abgrenzung« des Pharisäers anzuklagen, sondern den sicher ernst gemeinten religiösen Leistungswillen zu problematisieren. Ich sehe den Widerspruch Jesu grundsätzlicher und kann die Polemik der »Weherufe« nur für eine Vulgarisierung der Position Jesu halten. So ist der Ansatz des Buches von E. Rau m. E. kein Fortschritt. Aus Anlaß des Jahre zurückliegenden Erscheinens von R. Bultmanns Jesusbuch veranstaltete die Rudolf-Bultmann-Gesellschaft für Hermeneutische Theologie eine Tagung, die Bultmanns Jesusforschung mit der heutigen konfrontieren sollte. In dem von U H. J. K hg. Band »Jesus im . Jahrhundert« gibt Walter Schmithals (Jesus verkündigt das Evangelium. Bultmanns Jesus-Buch, –) einen sehr informativen Einblick in Entstehen und Bedeutung des Bultmannschen »Jesus«; die bei Bultmann nach Sch.s Meinung nicht beantwortete Frage, »wie sich die Verkündigung Jesu und die Botschaft, die Jesus als den Christus verkündigt, zueinander verhalten« (), wird als die entscheidende Aufgabe der Zukunft angegeben. Gerbern S. Oegema behandelt das Thema »Der historische Jesus und das Judentum« (–). Er steckt allerdings mehr das Terrain ab als daß er es bearbeitete. Aber man sollte sich von
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dem als Judaisten ausgewiesenen Verfasser daran erinnern lassen, daß die These, Jesus sei ein Rabbi gewesen, »historisch unhaltbar« ist; er bemerkt zu Recht, »daß sicherlich eine Reihe von Paralellen zwischen jesuanischem und rabbinischem Denken zu entdecken sind, aber das ist eher dem palästinischen Kontext Jesu, mehr noch dem der synoptischen Evangelien und der frührabbinischen Literatur zuzuschreiben, als daß man daraus ableiten könne, Jesus sei Rabbi gewesen« (f., Anm. ). Eine »kritische Bestandsaufnahme der Jesusforschung am Anfang des . Jahrhunderts« will David S. du Toit geben (Erneut auf der Suche nach Jesus, –). Er stellt fest, daß die dritte Phase der Jesusforschung, vulgo Third Quest genannt, sich durch die Verschiedenheit ihrer Ergebnisse auszeichnet, wodurch sie sich »erheblich von der vorangegangenen« unterscheidet, »die sich dadurch auszeichnete, daß sie sich im Rahmen klar definierter und von den meisten Forschern geteilter Voraussetzungen abspielte und folglich Ergebnisse hervorbrachte, die sich zwar im Detail, nicht aber in bezug auf die Konturen des gewonnenen Jesusbildes unterscheiden« (). Du Toit bilanziert die bekannten Besonderheiten der ». Phase« unter dem Schlagwort »Suche nach einem „kontextuellen Jesus“« (). Das ist alles richtig. Befremdlich ist aber seine Betonung der »Tendenz, Jesusforschung im strengen Sinne als historiographisches Unternehmen zu betrachten, d. h. als ein nicht durch dogmatische oder theologische Interessen geleitetes Unternehmen«; die Schwerpunktverlagerung der Jesusforschung in die USA habe zur Folge, »daß die (theologischen) Interessen der (evangelischen) theologischen Fakultäten in der Bundesrepublik Deutschland in der Jesusforschung | nicht mehr tonangebend« seien (). Soll das eine ganze Generation von Neutestamentlern diffamieren, als ob sie nur sachfremden Interessen gedient hätte? Und wo bleibt die Frage nach den erkenntnisleitenden Interessen der »Third-Quester«? Und auch die positive Hervorhebung der – selbstverständlichen – Tatsache, daß jüdische Gelehrte »nicht gebunden oder gar behindert durch typisch christlich-theologische Fragestellungen« waren (), sollte einen kritischen Beobachter nicht von der Frage dispensieren, ob da nicht andere Bindungen oder gar Behinderungen im Spiel sein könnten54 . Der beste Beitrag des Bandes ist die Einführung von A. Lindemann (Die Frage nach dem historischen Jesus als historisches und theologisches Problem, –), der einen problemorientierten Überblick über die Positionen im . Jh. gibt und einige Pauschalurteile zurechtrückt. Im Blick auf die Methodenfrage lehnt L. zu Recht die These ab, »daß Jesus zugeschriebene Aussagen in der neutestamentlichen Überlieferung als authentisch angesehen werden, sobald sie im Rahmen des zeitgenössischen Judentums verständlich sind – als habe Jesus nichts anderes als das im zeitgenössischen Judentum Übliche getan und gelehrt. Die Identität einer Person, ihre Biographie und ihre Lehre, muß doch zunächst einmal dort festgemacht werden, wo erkennbar ist, daß sich diese Person von anderen unterscheidet« (). »Insbesondere muß die Frage nach der inneren Logik des Lebensendes des irdischen Jesus gestellt und beantwortet werden. Soll Jesu Kreuzestod nicht als „historischer Betriebsunfall“ angesehen oder, gegen die Quellen, ausschließlich auf die Römer bzw. auf eine wie auch immer motivierte Entscheidung allein des Pontius Pilatus zurückgeführt werden, dann ergibt sich zwingend, daß Jesus eine Lehre und eine Praxis an den Tag gelegt haben muß, die seinen Tod auch für das Jerusalemer Synhedrium wünschbar machte« (ebd.). So fordert L. als Ergänzung zum »Plausibilitätskriterium«: »Es sind solche Überlieferungen authentisch, die Jesu gewaltsamen Tod im Kontext des palästinischen Judentums der römischen Zeit als plausibel erscheinen lassen.« (f.) Damit ist ein überzeugendes Plädoyer für die weitere Anwendung des Differenzkriteriums gegeben, »das immer auch im Kontext anderer Kriterien gesehen und angewandt wird« ().
54 Es sei nochmals auf die o. S. genannten Arbeiten von S. Heschel (in Anm. ) und J. Maier (in Anm. ) verwiesen.
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Einen bunten Methodenstrauß bietet der Sammelband von J S und R B »Der historische Jesus« (). Werner H. Kelber (Der historische Jesus. Bedenken zur gegenwärtigen Diskussion aus der Perspektive mittelalterlicher, moderner und postmoderner Hermeneutik, –) schildert die im Laufe der neuzeitlichen Entwicklung vollzogene »bewußte Abkehr von einer Hermeneutik des vielfachen Schriftsinnes und die leidenschaftliche Hinwendung zur einfachen, und zwar historisch verstandenen Wahrheit des Christentums« und sieht darin letztlich die Ursache der »Unfähigkeit, ein eindeutiges, konsensfähiges Leben Jesu zu schaffen« (). Die Ablehnung der Jesusforschung durch M. Kähler, R. Bultmann und jetzt L. T. Johnson fällt unter dieses Verdikt ebenso wie die »klassische« Forschungsarbeit, der Kelber eine »rationalistische Reduktion antiker, patristischer und mittelalterlicher polyphoner Sensibilitäten auf die nüchterne Strenge des einen, eindeutigen historischen Sinnes« vorwirft (), was vor allem an J. D. Crossan exemplifiziert wird. Leuchtet die Kritik an der Kähler-Johnson-Position ein, so | nicht die an Crossan: Nicht seine »Apotheose der Methodik« () ist der Fehler, sondern seine Willkür in der Auswahl der Quellen! Aber Kelber lehnt die Frage nach der »eindeutigen Originalität« () ab, weil Jesus als Wanderprediger sich nur des gesprochenen Wortes bedient hat, und das »was Mündlichkeit charakterisiert, ist eine Pluralität von Sprechakten und nicht das eine ursprüngliche Logion« (). Und so sei es unsinnig, die ursprüngliche Fassung oder auch nur den ursprünglichen Sinn eines Logions bestimmen zu wollen. Die frühchristliche Tradition kann »in höchst adäquater Weise als erinnernde Vergegenwärtigung, oder als produktive Erinnerung, expliziert werden« (). Angesichts der von Kelber selbst betonten, weithin anerkannten Tatsache: »Nahezu von Anfang an war das Vermächtnis Jesu bei all denen, die ihm in treuer Nachfolge ergeben waren, mehr oder weniger heftig umstritten« (), scheint mir unter historischem Aspekt eine kriteriengeleitete Rückfrage hinter die »Erinnerungen« zwingend geboten. Ähnlich wie Kelber argumentiert der Systematiker Michael Moxter (Erzählung und Ereignis. Über den Spielraum historischer Repräsentation, –). Stärker als Kelber knüpft er an erkenntnistheoretische Diskussionen an. Im Anschluß an Paul Ricœur versteht er Erzählung, auch historische Erzählung, als »schöpferische Nachahmung«: »die Erzählung als Vergegenwärtigung einer Handlung [ist] eine Repräsentation« (). Ricœur versucht eine doppelte Abgrenzung: »einerseits gegen eine positivistische Geschichtsschreibung, die den Anteil der Fiktion an der ihr eigentümlichen Referenz verkennt. Zugleich aber andererseits als Abgrenzung gegen eine Literaturwissenschaft, die ihrem Gegenstand jede Referenz abspricht« (). Damit ist ein Weg zwischen Skylla und Charybdis eröffnet. Freilich sind beide Ungetüme keine Naturgewalten, sondern eher Theoriegebilde. David S. du Toit (Der unähnliche Jesus, –) skizziert die Geschichte der Jesusforschung an Hand des Kriterienproblems. Daß das Differenzkriterium gegenüber dem Christentum als Authentizitätskriterium verwendet wurde, ist nach du Toit mit der Hinwendung zur vorliterarischen Überlieferung begründet; das Differenzkriterium gegenüber dem Judentum ist nicht nur aus dem Historismus des . Jh.s zu erklären, sondern auch aus den antijüdischen Empfindungen des Protestantismus im Deutschen Kaiserreich. Daß sich das Differenzkriterium »trotz der Krise des Historismus« gehalten hat, ist »der gewaltigen Wirkung Bultmanns zu verdanken« (); der Kritik am Differenzkriterium bezüglich des Judentums stimmt du Toit natürlich zu; die gleichzeitig beibehaltene Differenz Jesu zum frühen Christentum möchte er dagegen eher geringer veranschlagen. »Je schärfer Jesus vom Frühchristentum isoliert wird, desto größer muß die Kreativität der christlichen Gemeinden geschrieben werden« (). So fällt die dritte Phase unter das Verdikt, »noch am Ende des . Jahrhunderts in historische Voraussetzungen verstrickt« zu sein (). Du Toit kämpft besonders gegen die »Prämisse, der Zugang zum historischen Jesus erfolge am besten über den Zugriff auf historisch authentisches Jesusgut, das dementsprechend aus der
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frühchristlichen Überlieferung herauszufiltern sei« (f.). Es geht also nicht um Kritik an den bekannten Unzulänglichkeiten des Historismus, sondern um einen prinzipiellen Neuansatz. Die Möglichkeit der Rekonstruktion historischer Wirklichkeit wird geleugnet – »dem Historiker bleibt nur die Möglichkeit, in reflektierender Verantwortung angesichts der fragmentarischen Quellen Geschichte in einem kreativen Akt zu konstruieren« (). Die im Hintergrund stehenden geschichtstheo- | retischen Postulate, die in der Historikerzunft noch diskutiert werden,55 werden hier m. E. sehr eilfertig übernommen. Er behauptet forsch, »daß es in der Erforschung des historischen Jesus nicht um eine Offenlegung des einen hinter den Quellen verborgenen Jesus geht, sondern darum, durch rational verantwortete, kritisch reflektierende und kreativ-konstruktive Interpretation der Quellen ein geschichtlich plausibles Bild von Jesus zu entwerfen« (). Wie aus dieser Anhäufung von Schlagwörtern ein methodologisch klares Konzept werden soll, bleibt abzuwarten. Oder steht das Ergebnis dieser Suche vielleicht schon fest: »Es muß als sehr wahrscheinlich gelten, daß das, was dem antiken palästinischen Judentum und dem frühen Christentum gemeinsam war, auch für Jesus charakteristisch war« ()? Natürlich fragt man sich bei dieser Vorgabe, wie aus diesen Anfängen etwas Neues, Eigenes entstehen konnte. Immerhin: Ein Kriterium gibt es bei diesem alternativen Zugang zu Jesus doch noch: »Bei Traditionen, die sich gegen jegliche Einordnung in das Judentum sperren, ist auf christlichen, d. h. nachösterlichen Ursprung zu schließen« (). Unter dem Shakespear’schen Motto »All that glisters is not gold« kritisiert James D. G. Dunn (–) zunächst die seines Erachtens falschen Schlüssel zum Jesusproblem, die J. D. Crossan und N. T. Wright anbieten; dieser Kritik kann ich zustimmen. Aber Dunn will seinen eigenen Schlüssel empfehlen, der schon im Titel seiner Monograhie steckt: »Jesus remembered« (Grand Rapids ). Seine grundlegende Prämisse lautet: »We must take seriously the probability that the ultimate and primary source of the Jesus tradition is the impact made by Jesus during his mission on those who responded to him« (). Zur Stützung dieses Postulates (!) verweist D. auf H. Schürmanns Versuch, die vorösterlichen Anfänge der Logienüberlieferung im Jüngerkreis festzumachen. Das stößt sich mit der wenige Seiten vorher () von du Toit vorgebrachten Kritik an vergleichbaren skandinavischen Thesen. Dunn argumentiert auch mit Berufung auf Kähler: »to dispense with the Jesus of the (Synoptic) Gospels is to open the door to a fifth Gospel of personal prejudice and individual ideology« (f.); das stößt sich mit der energischen Kritik von W. Kelber (ff.) an der Kähler-Johnson-Position. Aber schon der nächste Satz ist im Trend: »The ideal of a „historical Jesus“ behind the Gospels who is accessible to us by historical method, a Jesus who is different from the Synoptic Jesus . . . , falls into the trap of the old historicism or historical positivism« (). Es geht darum, den Wirkungen Jesu auf seine Anhänger nachzuspüren, und natürlich hat Jesus unterschiedliche Eindrücke auf unterschiedliche Menschen gemacht, und deshalb gibt es einen gewissen Konsens darüber, aber auch unterschiedliche Rezeptionen in der Gruppe. Die Vielfalt darf daher nicht als Indiz für die Existenz konkurrierender Gruppen verstanden werden. Schließlich betont D. die unliterarische Ebene der frühen Jesusanhängerschaft und fordert »to exercise a responsible historical imagination alive to the realities of such groups and communities functioning orally. When we do so, it will become more natural to imagine the first groups of Jesus’ disciples meeting together, to recall the things Jesus had said and done which had brought them into discipleship, to retell stories of his healings, his parables, his teaching on various themes, for edification, for instruction, and to equip them to answer for their faith when questioned or challenged« (). Das ist sicher | nicht falsch, aber m. E. nicht ausreichend. Jede Erinnerung enthält deutende Elemente, und die waren nach Ausweis der Quellen manchmal unterschiedlich. Und zum Zweck der Erbau55 S. den ausgezeichneten Überblick von G. Häfner, Konstruktion und Referenz: Impulse aus der neueren geschichtstheoretischen Diskussion, in: K. Backhaus/G. Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese, BTS , , –.
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I. Forschungsgeschichte und Methodenfragen
ung sind sicherlich nicht nur unterschiedliche Ausschmückungen, sondern auch Neubildungen erfolgt, wie mindestens Mt / und Lk / belegen. Dunn formuliert auch so etwas wie ein Kriterium: »if a feature is characteristic within and relatively distinctive of the Jesus tradition (in comparison with other Jewish traditions), then the most obvious explanation of its presence in the Jesus tradition is that it reflects the abiding impression which Jesus made on at least many of his first followers« (). Ist diese Folgerung nicht nur »most obvious« unter der Prämisse, daß die Jesustradition (fast) immer an das vergangene Wirken Jesu anknüpft? Ein handfestes Kriterium scheint mir jedenfalls nicht vorzuliegen. Auch der Beitrag von Jens Schröter (Von der Historizität der Evangelien, –) geht von der Grundannahme aus, daß die kanonischen Evangelien »an einer erinnernden Bewahrung und Interpretation des Wirkens Jesu interessiert« gewesen seien ( A. ). Allerdings ist »zu prüfen, wie sich in ihnen vergangene Ereignisse und deren Darstellung zueinander verhalten« (). »Nur ein . . . kritischer Umgang mit den Evangelien kann deutlich machen, inwiefern diese als historische Quellen auswertbar sind« (ebd.). Dem ist sicher zuzustimmen, doch man wünschte sich Kriterien für den kritischen Umgang mit den Quellen, aber die bekommt man nicht. Vielmehr wendet sich Schröter der erkenntnistheoretischen Problematik zu, die schon in den Beiträgen von Moxter und du Toit angesprochen wurde. Es ist natürlich richtig, »daß die Quellen der Vergangenheit selektive, deutende Bilder vermitteln« (). Daher fordert Schröter zu Recht, »die Quellen nicht einfach mit der Wirklichkeit, auf die sie sich beziehen, zu identifizieren, sondern kritisch daraufhin zu prüfen, was sie von der Vergangenheit zu erkennen geben« (). Wieder erwartet man Hilfestellung zur kritischen Prüfung, aber sie bleibt aus. Schröter folgert daraus, daß »historische Forschung . . . niemals eine Wiederherstellung der Vergangenheit sein« könne (). Deshalb ist das »Ziel historischer Forschung . . . nicht Rekonstruktion der Vergangenheit, sondern Konstruktion von Geschichte« (). Worin dieser von Schröter im Anschluß an den Historiker H.-J. Goertz so sehr betonte Unterschied bestehen soll, ist mir nicht klar. Schiller, Shaw und Brecht haben faszinierende Konstruktionen der Heiligen Johanna vorgelegt; eine historische Rekonstruktion sieht doch anders aus, da sie in ständigem kritischen Bezug auf die Quellen zu erfolgen hat. Aber Schröters Anliegen ist ja die »Verwendbarkeit der Evangelien als historische Quellen« (). Dazu setzt er sich mit dem auf D. Fr. Strauß zurückgehenden »Diskrepanzargument« und dem auf K. L. Schmidt zurückgehenden »Argument der literarischen Fiktion« auseinander (–). Fazit: Einerseits ist es »gar nicht zu bestreiten, daß beide in der kritischen Jesusforschung entwickelten Argumente die Einsicht in die literarische und inhaltliche Eigenart der Evangelien auf maßgebliche Weise gefördert haben« (). Andererseits ist trotz »der prinzipiellen Berechtigung beider Argumente der Bezug der Evangelien zu den Ereignissen des Wirkens und Geschicks Jesu damit . . . noch nicht hinreichend beschrieben« (). Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Konkret heißt das für Schröter, »daß eine historische Auswertung der Evangelien von den hier entworfenen fiktionalen Welten auszugehen und diese mit den Mitteln historisch-kritischer Forschung zu analysieren und auf ihre historische Plausibilität zu befragen hat« (). Schröter entfaltet seine Sicht dann hinsichtlich des geographischen und sozialen Kontextes Jesu. Seinem Ergebnis, »daß Mk historisch plausibel erzählt« ( A. ) wird man weitgehend zustimmen können. Er bemüht sich z. B. auch um die geogra- | phische Plausibilität von Mk , und , mit dem zurückhaltenden Ergebnis, , spreche »nicht notwendig gegen [?] Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse« (), und , bedeute »nicht notwendig, daß es sich um eine geographische Unmöglichkeit handelt« (). Ob man den halbwegs plausiblen »Rahmen« des Mk so stark auswerten darf, daß man behauptet, Jesus habe Sepphoris und Tiberias nicht betreten (), ist mir fraglich. Kein Evangelium erzählt von einem Besuch Jesu in Chorazin, und doch taucht in einem Logion (Lk ,, vgl. Mt ,f.) die Behauptung auf, Jesus habe dort Wunder gewirkt; also muß Jesus Chorazin aufgesucht haben.
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach
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Entsteht so gelegentlich der Eindruck einer Apologia Marci, so wird doch auch von den »bleibend gültigen Einsichten in den fiktionalen Charakter der Evangelien« () gesprochen. Und letztendlich wird nur gefordert, eine gegenwärtige Jesusdarstellung habe sich an den narrativen Repräsentationen der Evangelien »zu orientieren und sie unter heutigen Erkenntnisbedingungen neu zusammenzusetzen« (). Über die Art der Orientierung an den Evangelien und der Freiheit bei der Neuzusammensetzung durch den heutigen Forscher müßte genauer nachgedacht werden. Methodologische Klarheit bleibt unersetzlich. So ist es dankenswert, daß Jörg Frey (Der historische Jesus und der Christus der Evangelien, –) darauf hinweist, die Preisgabe von Kriterien für die Herausarbeitung authentischen Jesusguts habe zur Folge, »daß das Bild Jesu mit dem seiner Umwelt oder der frühen Gemeinde verschwimmt, aber dann auch beliebig instrumentalisierbar zu werden droht« (). Frey folgert zu Recht, »daß zumindest an einzelnen Stellen – trotz aller Kritik – ein modifiziertes (d. h. auf der Basis der Kontext-Verbindung gewonnenes) „Unableitbarkeits-Argument“ unverzichtbar sein wird. Daher ist sowohl kontextuelle Individualität gegenüber den Strömungen des zeitgenössischen Judentums und [sic!] als auch die Differenz bzw. „Anstößigkeit“ oder „Tendenzwidrigkeit“ gegenüber den Entwicklungen der frühen Gemeinde zu beachten. Jedenfalls wäre es zu einseitig, im Bann des „Third Quest“ allein den jüdischen Charakter der Jesustradition herauszuarbeiten und die Frage auszuklammern, ob und inwiefern auf dem Hintergrund dieser Traditionen die Entwicklung des frühen Christentums und seiner Sicht des Wirkens und der Verkündigung Jesu plausibel erklärlich sind« ().
Als letzten Beitrag zur Methodologie nenne ich den Aufsatz von Ingo Broer in dem von L S u. a. herausgegebenen Band »Jesus von Nazareth – Spuren und Konturen« (Die Bedeutung der historischen Rückfrage nach Jesus und die Frage nach deren Methodik, –). Broer untersucht die vier hauptsächlichen Kriterien der bisherigen Forschung. Dem »Kriterium der vielfachen unabhängigen Bezeugung« spricht er zwar »eine gewisse Überzeugungskraft« zu, lehnt aber zu Recht ab, es als »Basiskriterium« zu betrachten (). Das »Kriterium der Verlegenheit oder Tendenzwidrigkeit bzw. -sprödigkeit« liefert nach Broer nicht »Traditionen, die ohne jeden Zweifel auf den historischen Jesus zurückzuführen sind« (). Im Blick auf das »Kriterium der doppelten Unähnlichkeit« stellt er einige Kritikpunkte ins rechte Licht, unterstreicht auch die Ergänzungsbedürftigkeit, »weil dieses Kriterium nur einen schmalen, aber elementaren Streifen der Wirklichkeit Jesu aufzuzeigen vermochte« (), hält aber fest: »Wenn das sich aus der Je- | susbewegung herausbildende Urchristentum eine originale Größe darstellt, so dürfte diese am ehesten eine Wirkung der Predigt Jesu sein. Es macht wenig Sinn, den gesamten Stoff der Jesustradition sozusagen auf die anonyme Masse der Urgemeinde zurückzuführen und sie der Größe, deren Namen wir kennen und für deren Originalität vieles spricht, abzusprechen. So wenig alle Entwicklungen in der Urgemeinde schon vom historischen Jesus angestoßen sein können oder müssen, so wahrscheinlich ist doch, dass die in der alten Überlieferung begegnenden, originalen Züge sich eher der uns bekannten originalen Größe des Urchristentums, dem historischen Jesus, verdanken als irgendeinem unbekannten „Propheten“ der anonymen Urgemeinde . . . « (). Im Anschluß an das Differenzkriterium erhält das »Kohärenzkriterium« seine Bedeutung: »Indem man von dem mit Hilfe des Differenzkriteriums erhobenen Jesusgut vorsichtig in die übrige Jesustradition weiterfragt, . . . lassen sich . . . eine Reihe von weiteren Jesusworten
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I. Forschungsgeschichte und Methodenfragen
mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit dem historischen Jesus zuweisen« (). Damit dürfte der nach wie vor beste modus procedendi zur Feststellung authentischer Jesustradition beschrieben sein. Das wird sich auch bei der kritischen Durchsicht der Gesamtdarstellungen Jesu zeigen. Der von H W herausgegebene Sammelband »Jesus and the Oral Gospel Tradition«, der die Referate zweier und abgehaltener Symposien enthält, gehört m. E. nur bedingt in diesen Zusammenhang; denn er bietet keine Methodologie, sondern bestenfalls Vorüberlegungen dazu. Gute Information über den (damaligen) Stand der Oralitätsforschung bringt O. Andersen (Oral Tradition, –); »Prolegomena to the Study of Oral Tradition in the Hellenistic World« liefert D. E. Aune (–); H. P. Rüger erörtert »Oral Tradition in the Old Testament« (– ). S. Talmon schreibt über »Oral Tradition and Written Transmission, or the Heard and the Seen Word in Judaism of the Second Temple Period« (–; sehr bemerkenswert der letzte Abschnitt »Rabbinism, Pharisaism and Jesus«, –). Zum NT äußern sich R. Riesner mit seiner bekannten These »Jesus as Preacher and Teacher« (–), D. E. Aune über »Oral Tradition and the Aphorisms of Jesus« (–), B. Gerhardsson zum Thema »Illuminating the Kingdom: Narrative Meshalim in the synoptic Gospels« (–), E. E. Ellis über »The Making of Narratives in the Synoptic Gospels« (–, auf höchst problematischer Basis), M. L. Soards über »Oral Tradition. Before, In and Outside the Canonical Passion Narratives« (– ); J. G. D. Dunn über »John and the Oral Gospel Tradition« (–), T. Holtz über »Paul and the Oral Gospel Tradition« (–) und W. Rordorf über »Does the Didache Contain Jesus Tradition Independently of the Synoptic Gospels?« (–, mit bejahender Antwort).
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach (Teil II) II. Gesamtdarstellungen J B, Jesus von Nazaret (de Gruyter Lehrbuch). Berlin/New York , S. – M-E B, Jésus un homme de Nazareth. Les Éditions du Cerf, Paris , S. – J D C, Der historische Jesus. Aus dem Englischen von P. Hahlbrock. C. H. Beck, München , S. – J D C/J L. R, Jesus ausgraben. Zwischen den Steinen – hinter den Texten. Aus dem Englischen übersetzt von Claudia Krülls-Hepermann. PatmosVerlag, Düsseldorf , S. – J D, Jesus – Was für ein Mensch. Aus dem Französischen übersetzt von Ute Freisinger-Hahn und Dieter Schürmann. Patmos-Verlag, Düsseldorf , S. – W F, Jesus, der nahe Unbekannte. Kösel-Verlag, München , S. – H F, Der Jude Jesus und die Ursprünge des Christentums (Topos plus Taschenbuch ). Matthias Grünewald Verlag, Mainz , S. – J G, Jesus von Nazaret. Botschaft und Geschichte (HThK Suppl. III). Herder, Freiburg , S. – P G, Jésus de Nazareth, Christ et Seigneur. Une lecture de l’Evangile Bd. (Lectio Divina ). Paris /Bd. (Lectio Divina ), Paris , S. – W H O.P., The Jesus Story. The Liturgical Press and The Columba Press, Collegeville, Minnesota , S. – R H, Der Lebensweg Jesu von Nazareth. W. Kohlhammer, Stuttgart , S. – J P. M, A Marginal Jew: Rethinking the Historical Jesus. I: The Roots of the Problem and the Person (ABRL). Doubleday, New York , X + S. – II: Mentor, Message and Miracles (ABRL). Doubleday, New York , S. – III: Companion and Competitors (ABRL). Doubleday, New York , XIV + S. – IV: Law and Love (ABRL). Doubleday, New York , S. – T O, Jesus. Geschichte und Gegenwart (BThSt ). Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn , XII + S. – G N. S, The Gospels and Jesus (OBS). Oxford University Press, Oxford , S. – G T/A M, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen , S. – B T, Jesus von Qumran. Sein Leben – neu geschrieben. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh , S. G N. S legt ein allgemein verständliches Buch über die Evangelien und Jesus vor. Im . Teil informiert er gediegen über die Einleitungsfragen der vier Evangelien, der . Teil handelt über »Jesus in Gospel Tradition« (–). Die vier gängigsten Kriterien werden kritisch beleuchtet: Dem Unähnlichkeitskriterium erkennt St. nur eingeschränkten Wert zu: | ». . . we are left with no more than a
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach
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handful of sayings, and a few character traits« (). Das Kohärenzkriterium läßt große Ermessensspielräume. Das Kriterium der vielfältigen Bezeugung kollidiert unter Umständen mit dem Unähnlichkeitskriterium (f.). Formgeschichtliche Überlegungen zum Weg der mündlichen Überlieferung erscheinen unsicher (f.). Das führt zu St.s Arbeitshypothese: »Once we have taken account of four factors, we may accept that the traditions of the actions and teachings of Jesus preserved in the synoptic gospels are authentic. These are the four important provisos: (I) the evangelists have introduced modifications to the traditions; (II) and they are largely responsible for their present contexts; (III) some traditions can be shown to stem from the postEaster period rather than the lifetime of Jesus; (IV) since certainty always eludes us, we have to concede that some traditions are more probably authentic than others« (). St. legt also keine kriteriengeleitete Rekonstruktion vor, sondern eine Nachzeichnung des synoptischen Bildes von einem gemäßigt kritischen Standpunkt aus. Einige bemerkenswerte Aspekte seien herausgegriffen: () Im Blick auf die Heilungswunder stellt St. fest: »Many of the healings and exorcisms of Jesus enabled the individuals concerned to join the „Jesus movement“ in circumstances which directly violated Jewish (and especially Pharisaic) rules of separation. Jesus performed healings on the sabbath in defiance of the ancient law against work on the seventh day . . . Jesus healed persons who were „off-limits“ by the standards of Jewish piety, by reason of their race . . . , their place of residence . . . , or their ritual impurity . . . Jesus carried on his healing activity outside the land of Israel, apparently mingling freely with non-Jews and allowing them to enjoy the benefits of his healing powers . . . The healings aroused suspicion and hostility« (f.). () Die Sabbatheilungen übertraten nach St. das Sabbatgebot nicht (). Mk , ist keine Aufhebung der Speisegebote (»Jesus is unlikely to have challenged directly an entrenched food taboo« (); möglicherweise meinte Jesus »that defilement is caused not by physical contact with „impure“ objects or people, but by man’s own impure thoughts and desires« (). Mk , lehnt die Ehescheidung ab. »This saying is undoubtedly authentic. It is dissmilar [!] both from current Jewish teaching and from several strands of very early Christian teaching« (f.). Allerdings wollte Jesus nicht das mosaische Gesetz verwerfen, sondern gab einer Schriftstelle (Gen ,) den Vorrang vor einer anderen (Dt ,–) (). Als Ablehnung von Teilen der mosaischen Gesetze bleibt die Hinterfragung der Reinheitsgebote und der Elternehrung nach Mt ,f.//Lk ,f. (). () Die markinische Darstellung dürfte den Verlauf des Prozesses gegen Jesus richtig wiedergeben. ». . . it seems likely that there was a trial before the Sanhedrin« (). Ein Wort Jesu gegen den Tempel dürfte historisch sein; aus den überlieferten Tempelworten läßt sich eine Urform nicht ermitteln (). Durch ein tempelkritisches Wort und durch die Tempelaktion hat Jesus »his fundamental opposition to the temple« ausgedrückt (). »If . . . Jesus called in question current conventions concerning purity which were deeply routed in Scripture, then it becomes more probable that his stance towards the temple was equally unconventional. Jesus expected that in the „last days“ | . . . the temple would be destroyed and replaced by some form of alternative access to God«. Manche Einzelheiten des Verhörs müssen offen bleiben; »the sayings of Jesus against the temple and his prophetic action in the temple itself were as crucial as a claim to be Messiah or Son of God. Following a formal decision against Jesus, his case was passed to the Romans« (f.).
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II. Gesamtdarstellungen
Das Bild Jesu müßte zwar manchmal deutlicher konturiert werden – das gilt auch für die sehr zögerlich interpretierten Aussagen über die Gegenwart der Basileia (–) –, aber St.s Buch ist im Ansatz zutreffend und als Einführung gut geeignet. Ein allgemeinverständliches Jesusbuch hat W F vorgelegt, das aus der Feder eines Professors für Neutestamentliche Bibeltheologie an der Hochschule für Philosophie S. J. in München verwundert. Jesus wurde im Jahr der Jupiter-Saturn-Konstellation geboren, natürlich in Bethlehem. »Wahrscheinlich ist Josef mit seiner Frau nicht nur . . . wegen einer kaiserlichen Steuererhebung . . . von Nazaret nach Betlehem gezogen. Der Hauptgrund war wohl, wie Schalom Ben-Chorin vermutet, die bewußte Wahl des Ortes Betlehem, der Heimatstadt des Ahnherrn David« (). »Die Ableitung der Kindheitsgeschichte des Lukas und des Matthäus aus der später erfragten und der Öffentlichkeit preisgegebenen Familientradition ist wahrscheinlicher als eine Ableitung aus der Legendenbildung und Mythologie . . . « (). Fast Jahre war Jesus in Nazaret beheimatet. »In Nazaret hat Jesus zuerst die Bibel auswendiggelernt und dann die Auslegung der großen Lehrer in einem kommunikativen Unterricht in Gesprächsform kennengelernt« (). Nach dieser midraschartigen Paraphrase der Kindheitsgeschichten erfahren wir, »daß Jesu Entwicklung ganz geprägt ist von seiner Herkunft aus Galiläa« (). Dort stellte sich besonders stark das Problem: »Wie können Juden und die Völker, die griechisch sprachen und dachten . . . , miteinander leben. Wie können Juden und Griechen in einem Land so zusammenleben, daß für alle die Barmherzigkeit Gottes sichtbar wird?« (). Aus der Tora »weiß Jesus, daß jeder Mensch Gottes Ebenbild ist und daß in der Offenbarung nicht nur für das jüdische Volk, sondern für alle Menschen der Heilsweg Gottes enthalten ist. . . . Durch seine Bibel war Jesus also bereits bezogen auf das Zueinander von Heiden und Juden« (). So ist Jesus ein »toratreuer, frommer Jude« (), der zwar kein Pharisäer war, »aber ihnen durch seine Erziehung und seine Anliegen unter allen jüdischen Gruppierungen am tiefsten verbunden war. So hat er sie geliebt und gehaßt. Warum hat er sie gehaßt? Das Anliegen seiner Freunde war die Absonderung, die Erhaltung der Eigenart. Sein Anliegen war die Öffnung, allerdings ohne Preisgabe der Absonderung« (). Das ist freilich eher die Position des Matthäus (Kap. !) als die des historischen Jesus. Die konkreten Streitfälle (Reinheit, Sabbat, Ehescheidung) werden ebenso wenig genannt, wie das Gleichnis Lk ,–. – Jesus hat bei der Taufe durch Johannes zwar erfahren, er sei »der Messias, d. h. der König der Welt« (), aber nach der Gefangennahme des Täufers übernimmt er »die Rolle des Propheten und des Schulgründers« (), er gründet wie Johannes »eine Bibelschule« (), eine »Jeschiwa« (). In Galiläa fällt ihm eine weitere Aufgabe zu: »er wird auch noch zum Arzt« (). Darüber hinaus wird Jesus zum »Sozialarbeiter« (), weil er sich den Randgruppen der Zöllner und Dirnen widmet. | Nach dem Petrusbekenntnis, das natürlich in seiner matthäischen Fassung besprochen wird (f.), entschließt sich Jesus zum Gang nach Jerusalem. Diese »Wendung im Leben Jesu« wird nur verständlich durch vorhergehende Erfahrungen: »Es ist der Erfolg der Aussendung, die Brotvermehrung und der Seewandel« (). Jesus zeigt sich beim Einzug in Jerusalem als Messias, indem er Sach erfüllt (). Durch die Tempelreinigung zeigt er, »daß seine Rolle als Messias darin besteht, den Tempel zu einem Gebetshaus zu machen, der so rein und heilig ist, daß er die Heiden anzieht« (). »Ausgeschlossen ist die antijudaistische, gängige Deutung gegen eine vermarktete und pervertierte Opferfrömmigkeit« (). Judas erhält eine Ehrenrettung: »Einer seiner Freunde hatte sich entschlossen, Jesus zu dem zu zwingen, was Jesus selber wollte und weswegen er nach Jerusalem gegangen war« (). Worin der Sinn des Tuns des Judas liegen soll, ist mir unklar, aber es ist sicher richtig, ihm keine unlauteren Motive zu unterstellen. Allerdings hätte F. hier (und auch sonst öfters) die Leserschaft darauf hinweisen müssen, daß es sich um eine Vermutung handelt.
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach
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Zum Vorgehen gegen Jesus wird von F. wenig gesagt. Es sind nur »einige aus dem obersten Gericht des Volkes« bei Kaiphas versammelt. »Ihr Entschluß, Jesus den Heiden zu übergeben, gründet auf Jesu Selbstbekenntnis, daß mit ihm das Kommen der Herrschaft Gottes für diese Welt untrennbar verbunden ist« (). In einem abschließenden Exkurs »Probleme der Jesusforschung« (–) heißt es: »Schriftgelehrte und Pharisäer, Hoher Rat und Judas, ähnlich auch die anderen Gruppen, hatten positive Gründe und verstehbare Motive, Jesus und sein Programm abzulehnen« (). Das gilt m. E. in weit höherem Maß, als es aus F.s Buch deutlich wird. Im gleichen Jahr , am gleichen Ort München verfaßt, erschien das Jesusbuch von J G, das auf der Höhe der historisch-kritischen Forschung steht. G. akzeptiert das »Unähnlichkeitskriterium« als »ein hilfreiches, aber scharfes Schwert«, will es aber nur als »Ausgangspunkt« () betrachten. Sodann legt er ein »Kohärenzkriterium« vor, das »die Übereinstimmung von Wort und Tat Jesu« meint (). Auch das »Kriterium der vielfachen Bezeugung« ist ihm wichtig (). Ferner führen »Überlieferungen, die wegen ihrer Härte oder Anstößigkeit korrigiert wurden oder in den Hintergrund traten«, zum ursprünglichen Jesuswort (). Auch der Zusammenhang der Verkündigung Jesu mit seinem Kreuzestod muß bedacht werden (). Schließlich ist zu fordern, man müsse sich »vorzüglich an die ältesten Schichten der synoptischen Tradition wenden« (). G. erörtert noch die Frage nach Kennzeichen der Sprache Jesu (f.) und weist das »Vorurteil der Kritik« ab, »daß die Beweislast bei jenen liegt, die sich um die Echtheit einer Überlieferung bemühen« (). Diese Grundentscheidungen lassen ein umsichtig erarbeitetes Jesusbild erwarten. Im Lauf des Buches wird nicht mehr darauf rekurriert. Ins Licht der Öffentlichkeit tritt Jesus mit seinem historisch nicht bezweifelbaren Gang zur Täufertaufe. Johannes der Täufer ist geprägt durch seine »unerbittliche Ge- | richtspredigt«, in deren Zentrum das »erwartete Ende der Geschichte« steht (). »Johannes sieht Israel an sein Ende gekommen. Die Zugehörigkeit zum Volk hat keine Bedeutung mehr. Die Abrahamskindschaft nutzt nichts« (). Die Taufe ist »das Siegel auf die bekundete Umkehrbereitschaft« (). Das Verhältnis Jesu zum Täufer sieht G. eher distanziert; er meint, »daß Jesus die Täuferbewegung akzeptierte, sich ihr anschloß, indem er sich von Johannes taufen ließ, aber nicht sein Jünger wurde« (). Die Begründung für dieses Urteil ist die Tatsache, daß sich Jesu »späteres Wirken nicht unerheblich von dem des Täufers unterschied« (). Die Herausstellung der Jesus eigenen Verkündigung beginnt G. mit einer Darstellung der Gleichnisse Mt ,–, Lk ,– und Mt ,–. Sie berichten »von einer unfaßlichen, unbeschränkten, alle Kategorien menschlichen Normalverhaltens sprengenden Güte«, und diese Güte ist »nicht bloß eine erzählte, glücklich erfundene . . . , sie war Ereignis im Wirken Jesu. In ihm ist das Heil gegenwärtig geworden, in ihm ereignete sich die Gottesherrschaft« (). Konkret zeigt sich diese Güte am Verhalten Jesu gegenüber »Zöllnern und Sündern«. Beispiele sind Joh ,–,, von G. auf »Erinnerung aus dem Wirken Jesu« zurückgeführt (), und Lk ,– (ohne den Zuspruch der Sündenvergebung V. ). In Mk ,– wird die »von Gott gewährte Vergebung . . . durch Jesus vermittelt« (). G. will aber nicht nur die Verkündigung Jesu würdigen, sondern auch sein »Helfen und Heilen« (). Angesichts der offensichtlichen Tendenz zur Vermehrung der Wundergeschichten ist es aber »nicht möglich, sich ein präzises Bild vom Umfang seiner Wunderheilungen zu machen« (). »In ihrer Allgemeinheit halten sie einen wichtigen Teil seiner Wirksamkeit fest« (). Das – meist als authentisch angesehene – Logion Mt ,//Lk , zeigt: »Für Jesus
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II. Gesamtdarstellungen
wird in seinen Machttaten die Gottesherrschaft als das endgültige Heil erfahrbar, aber noch nicht in seiner Endgültigkeit« (). Damit ist die notorisch schwierige Frage nach der zeitlichen Dimension der Gottesherrschaft angesprochen. G. meidet extreme Positionen; er stellt die »Zweidimensionalität« der Gottesherrschaft heraus: »Zukunft und Gegenwart sind auf sie gerichtet, oder auch: sie ist auf Zukunft und Gegenwart hin aus. Man wird gerade in dieser Verquickung ein Kennzeichen der Basileia-Predigt Jesu zu erblicken haben« (). Hätte G. sein in anderem Zusammenhang geäußertes richtiges Prinzip: »Es kommt darauf an, das Spezifische herauszuarbeiten« (; vgl. : »Das Jesus Eigene ist uns bedeutsam«), ernstgenommen, dann hätte er den Gegenwartscharakter der Basileia stärker hervorheben müssen. Kurz wird das Thema »Gottesherrschaft und Gericht« verhandelt (–). Das Gericht »ist die gleichsam nicht beabsichtigte Konsequenz des Heils für den Fall der Verweigerung des Menschen« (). Lk ,– und Mt ,– zeigen, daß Jesus bestrebt ist, »mit Ernst und Witz, unter Zuhilfenahme handgreiflicher Erfahrungen und Bilder, die Bedingungen der auf das Gericht zulaufenden Zeit anzuzeigen, um die Menschen zu entsprechendem Handeln zu bewegen« (). Aus Lk , folgert G., »daß die durch die Zukunft bestimmte Gegenwart als Entscheidungszeit in den Brennpunkt tritt« (). Die Verkündigung Jesu richtete sich an ganz Israel. Aber Jesus wollte auch »Menschen in seiner Nähe haben und nicht als der große Einsame seinen Weg allein gehen« (). Das wird in dem Kapitel »Jünger, Nachfolge, Lebensstil« (–) ausgeführt. Die grundlegende Monographie von M. Hengel, Nachfolge und Charisma (), steht hier deutlich im Hintergrund. Die Jünger sollen an der Verkündigung teilnehmen; deshalb plädiert G. – sehr knapp und m. E. nicht überzeugend – für die Historizität der | Jüngeraussendung (). Im Jüngerkreis »ist es nicht zu einem systematischen Unterricht gekommen und nicht zu einer gepflegten Traditionsbildung, eher zu einer ersten unsystematischen Skizzierung von Verkündigungsinhalten« (). Im Blick auf die Frauen in der Nachfolge Jesu meint G: »Wenn Jesus Jüngerinnen zuläßt, will er die Stellung der in der Gesellschaft unterdrückten Frau erleichtern und die Wiederherstellung ihrer menschlichen Würde fördern« (). Daß die gesellschaftliche Stellung von Frauen, die mit einem Wanderprediger herumziehen, gebessert würde, halte ich für unvorstellbar. Vielmehr sollte die religiöse Stellung der Frau dadurch verbessert werden, daß sie die Basileia ankündigen darf – und das bedeutete einen starken kirchenkritischen Impuls, den G. leider versäumt. – Die Gründung des Zwölferkreises geht auf Jesus zurück. »Die Zwölfe um Jesus symbolisieren die Hinwendung zum Gesamtvolk Israel, die Verheißung seiner Rekonstitution, seine Bestimmung für das Heil der kommenden Gottesherrschaft« (). Nun hatte G. aber zur Basileia-Bitte des Vaterunsers – m. E. zutreffend – festgestellt: »Die Wiederherstellung vergangener Verhältnisse . . . fehlt bei Jesus. Vor allem fehlt der national-politische Akzent« (). So bleibt hier eine Unklarheit. Damit ist die Israel-Problematik angeschnitten, der ein kurzes Kapitel (–) gewidmet ist. »Israel war . . . seine „Kirche“, war das Volk, das aufs neue und endgültig herausgerufen werden sollte in die Gottesherrschaft« (). Allerdings muß G. feststellen, »daß explizite, die Ausrichtung auf Gesamtisrael artikulierende Aussagen Gerichtsaussagen sind«, er hilft sich aber über diese Schwierigkeit mit der sibyllinisch anmutenden Erklärung hinweg, dies ergebe sich, »fast von selbst, wenn man davon ausgeht, daß die positive Hinwendung zum ganzen Volk für Jesus selbstverständlich ist« (). M. E. sollte zwischen der faktischen Beschränkung des Wirkens Jesu auf seine Volksgenossen und der von Matthäus behaupteten grundsätzlichen Beschränkung unterschieden werden. G. selbst hatte geurteilt: »Die von Jesus erwartete Basileia ist gewiß zunächst auf Israel gerichtet, doch betrifft sie letztlich die Erde, die Menschheit« (; vgl. ). Er erwägt, Jesus habe eine »Neuinterpretation der Völkerwallfahrtsidee« vorgenommen (f.). Angesichts der Tatsache, »daß Jesu Wirken, das ein ausschließlich auf Israel Gerichtetes gewesen ist, erfolglos war« (), geht G. einen bemerkenswerten Schritt. Beim
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach
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letzten Mahl mit den Jüngern habe Jesus seinem Tod »eine heilsrelevante Deutung gegeben« (), und diese Deutung habe sowohl »die Jüngerschaft als die Zurückbleibenden« als auch »die Erfahrung des Scheiterns in Israel« im Blick gehabt (). Hier bleibt noch manches zu klären. Im Zusammenhang mit den ethischen Weisungen Jesu (–) fällt der zentrale Satz: Der Mensch »beginnt, sittlich zu handeln, weil er ein Beschenkter ist und in der Basileia die Erfüllung seines Seins erblickt« (). Angesichts der zentralen Stellung der Basileia kann die Thora für Jesus nicht mehr letzte Autorität sein. »Das Heil ist an die Gottesherrschaft gebunden, nicht an das Gesetz« (). Die ., . und . Antithese der Bergpredigt wollen »die Überwindung gesetzlichen Handelns und Denkens« (). Werden hier nach G. Thoragebote nur überboten, so stellt Mk , »die Sinnhaftigkeit der kultischen Reinheit in Frage. Der Akzent aber liegt auf der Feststellung der wahren Unreinheit, der sittlichen« (). Mit seiner »Sabbatkritik« () beabsichtigt Jesus, dem Sabbat »seine gemäße Bestimmung zurückzugeben, die er schon in der Schöpfungsordnung verankert sieht« (). Wichtig sind auch die Feststellungen, »daß die Jünger nicht zum Thorastudium angehalten werden«, und daß Jesus auch Weisung gibt, »ohne sich auf das Gesetz zu berufen und unbekümmert darum, ob sie am Gesetz anstößt oder nicht« (). Hinter diese mit größter Vorsicht gezogenen Linien sollte man nicht zurückgehen! | Der Frage nach der »Sendungsautorität Jesu« ist ein kurzes Kapitel (–) gewidmet. G. gibt einen weitgehenden – je und dann auch heftig bestrittenen – Konsens wieder, wenn er die Verwendung vorgegebener christologischer Hoheitsprädikate für Jesus verneint, aber nach einer »impliziten Christologie« fragt, die »unsere Aufmerksamkeit auf das für Jesus Spezifische« lenkt (). Dazu ist schon früher manches gesagt worden. »Jesus proklamierte nicht nur die kommende Gottesherrschaft, sie wurde auch in ihm Ereignis, sein Tun, seine Person zusammenschließend« (). Nochmals betont G.: »Nicht mehr das Wort der Thora, sondern das Wort von der Gottesherrschaft, sein Wort ist heilsverbindlich und entscheidet über das Schicksal der Menschen« (). Auch dem Fazit G.s ist unbedingt zuzustimmen: »Jesu Sendungsautorität ist in ihrer Einzigartigkeit historisch unableitbar« (). Den »sich im Wirken Jesu abzeichnende[n] Konflikt« stellt G. eingehend dar (–). Gegen den damals schon herrschenden Trend betont er: »Die Einblendung einer späteren Auseinandersetzung der Kirche mit der pharisäisch geprägten Synagoge darf . . . nicht zu der Auffassung verführen, daß es zwischen Jesus und den Pharisäern überhaupt keine Auseinandersetzungen gegeben habe, oder gar die Meinung begünstigen, daß Jesus selbst der pharisäischen Richtung einzugliedern sei« (f.). Nicht nur die Thorakritik Jesu, sondern auch seine Wirkung auf die Volksscharen war konfliktträchtig. »Wenn Jesus sich entschließt, nach Jerusalem zu ziehen, kommt er nicht als Unbekannter für die maßgeblichen Kreise . . . , sondern kann er in deren Augen als vorbelastet gelten durch die Konflikte und Volksaufläufe, mit denen er in Galiläa zu tun hatte« (). Der »Tempelprotest« richtete sich nicht gegen den Tempel, sondern gegen den merkwürdigen Umgang der Menschen im Tempel mit Gott (). Daß die Sadduzäer die auf Gesetz und Tempel gegründete Staatordnung in Frage gestellt sehen mußten (), leuchtet nicht ein. G. schließt eine tiefer gehende Deutung dieser prophetischen Zeichenhandlung ohne Gründe aus (vgl. A. ). Prozeß und Hinrichtung (–) werden knapp skizziert: »Der Verhaftungsbefehl ging vom amtierenden Hohenpriester aus« (). Über die Motive des Judas »schweigen sich die Evangelien aus« (). Anmerkungsweise heißt es: »Enttäuschung über Jesus wird ein Motiv sein« ( A. ). Angesichts des den Juden entzogenen ius gladii dürfte es sich bei der Synhedrialverhandlung um eine »Voruntersuchung« gehandelt haben, »in der man todeswürdige Anklagepunkte einsammelte, die man als Anklage im römischen Prozeß gegen Jesus vorzubringen vorhatte« (). Im Pilatusprozeß waren die Hierarchen Ankläger; Pilatus hat ein förmliches Todesurteil gesprochen (). »Der Kreuzestitel überliefert uns zuverlässig die causa mortis Jesu. Man warf ihm vor, daß er sich das Königtum angemaßt habe« (). Der »Tempelprotest«
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II. Gesamtdarstellungen
dürfte den Anlaß gegeben haben, aber im Hintergrund stand der schon länger schwelende Konflikt, der durch »die Kritik der Frömmigkeits- und Gesetzespraxis und den von Jesus erhobenen Anspruch« ausgelöst worden war (). Ein »österliches Nachwort« (f.) stellt knapp den Anfang der sich neu versammelnden Jüngerschaft dar.
Es ist G. gelungen, ein weithin schlüssiges Bild vom Wirken und Verkündigen Jesu zu rekonstruieren. Drei Aspekte seines Buches erscheinen mir beachtenswert: () Die synoptische Überlieferung wird ernstgenommen, ohne daß sie unkritisch oder hyperkritisch behandelt würde. () G. macht entschlossener als viele seiner Vorgänger die Basileia-Verkündigung zum Angelpunkt des Wirkens Jesu. () Er sieht klarer als viele Vorgänger die unerhörte | »Sendungsautorität« Jesu, so daß Torakritik, Nachfolgeforderung und Gerichtsdrohung darin ihre Begründung haben. Hinter diese Einsichten sollte nicht mehr zurückgegangen werden. erschien der erste von inzwischen vier Bändern »A Marginal Jew« von J P. M. Dieses magnum opus stellt fast so etwas wie eine Summa der bisherigen Jesusforschung dar. Schon der Titel zeigt, daß M. im Ausstrahlungsbereich der Third Quest schreibt. Er nimmt das Judesein Jesu ernst, will es aber in seiner Eigentümlichkeit erfassen. Die »Randständigkeit« Jesu zeigt sich nach M. nicht nur darin, daß Jesus in der jüdischen und heidnischen Literatur so gut wie nicht bemerkt wurde, sondern auch in seiner selbstgewählten Existenz als arbeitsloser Wanderprediger, in manchen seiner von der Mehrheit – auch der Frommen – abweichenden Meinungen und Handlungsweisen, zuletzt auch in seinem Verbrechertod. Damit ist ein gewisser Rahmen für die Darstellung gegeben, die streng historisch ausgerichtet ist. Es geht M. nicht um den »wirklichen Jesus«, wie er war, sondern um den von historischer Forschung erfaßbaren Jesus; daher muß der christliche Glaube ausgeschaltet werden. »The historical Jesus is not the real Jesus, but only a fragmentary hypothetical reconstruction of him by modern means of research« (I, ). M. erörtert zuerst die Quellenfrage. Die -Quellen-Theorie erscheint ihm als die beste Lösung, im Einzelfall will er auch das Vierte Evangelium heranziehen (I, – ). Das Testimonium Flavianum wird abzüglich dreier christlicher Interpolationen als ursprünglich anerkannt (I, –). Weitere heidnische und jüdische Quellen werden kurz abgefertigt: Sie bringen nichts Neues gegenüber dem NT (I, –). Mit eingehender – und einleuchtender – Begründung werden Agrapha und Apokryphe Evangelien als Quellen abgelehnt (I, –). Zur Herausstellung des Authentischen nennt M. fünf primäre Kriterien: () das Verlegenheitskriterium (»criterion of embarrassment«), () das Kriterium der Diskontinuität oder Unähnlichkeit (»criterion of discontinuity«), () das Kriterium der vielfachen Bezeugung (»criterion of multiple attestation«), () das Kriterium der Kohärenz (»criterion of coherence or consistency«), () das Kriterium der Ablehnung und Hinrichtung Jesu (»criterion of Jesus’ rejection and execution«). Fazit: »Only a
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careful use of a number of criteria in tandem, with allowances for mutual correction, can produce convincing results« (I, )1 . | Auf dieser Grundlage handelt M. dann über die »Wurzeln der Person«. Die Namen der Familienmitglieder lassen auf eine national-jüdische und religiöse Herkunft Jesu schließen (I, ). Geburtsort ist eher Nazaret als Bethlehem; die davidische Abstammung ist zwar nicht einfach als Theologumenon zu betrachten, aber auch nicht verifizierbar (I, ). Die Behauptung, die historisch-kritische Wissenschaft könne über die Historizität der Jungfrauengeburt letztlich nicht entscheiden, dürfte angesichts der später und schmalen Bezeugung eine Konzession an das Dogma sein (I, ). Zu Recht weist M. die auf antichristliche Polemik zurückgehende These einer illegitimen Geburt Jesu zurück (I, –). Die sog. »verborgenen Jahre« Jesu vor seinem öffentlichen Auftreten versucht M. mit Hilfe zeitgeschichtlicher Kenntnisse zu erhellen: Jesus sprach aramäisch, hebräisch, wenig griechisch (»for business purposes« I, ); die hebräische Bibel konnte er wahrscheinlich lesen (I, –). Zum Familiären: Jesus hatte sehr wahrscheinlich leibliche Brüder und Schwestern. Er war unverheiratet. Er war Laie, d. h. nichtpriesterlicher Herkunft. Das ist für M. sehr wesentlich: Jesus »was a religiously committed layman who seemed to be threatening the power of an entrenched group of priests« (I, ). In chronologicis plädiert M. für ein gut -jähriges öffentliches Wirken Jesu von –; die johanneische Passionschronologie wird mit eingehender Begründung bevorzugt (I, –).
Damit ist der Grund gelegt für Band mit dem Untertitel »Mentor, Message, and Miracles«. Der Mentor Jesu war Johannes der Täufer. Nach M. kann die Bedeutung des Täufers für Jesus nicht hoch genug eingeschätzt werden: »not to understand the Baptist is not to understand Jesus« (II, ). Johannes gehörte nach M. zu einer im . vorchristlichen und . nachchristlichen Jh. verbreiteten Buß- und Taufbewegung (II, ). Er verkündigt das unmittelbar bevorstehende Gericht über das vom rechten Weg abgekommene Israel. Nur innere und äußere Umkehr verbunden mit seiner Taufe kann vor dem Zorngericht retten. Ein »Stärkerer«, dessen Identifikation vielleicht absichtlich nicht erfolgt, wird den verheißenen Heiligen Geist über die bußfertigen Israeliten ausgießen (II, ). Jesus anerkannte die charismatische Autorität des Johannes als eines eschatologischen Propheten und ließ sich von ihm taufen (II, ). Jesus könnte kurze Zeit im engeren Kreis um den »Rabbi Jochanan« (II, ) geblieben sein; denn er hat zu Beginn seiner öffentlichen Wirksamkeit eine eschatologische Botschaft über das Ende der bisherigen Geschichte Israels verkündet, hat Buße gefordert, die Dringlichkeit der Entscheidung betont, Schüler um sich geschart und sie getauft, und hat sich an Israel gewandt, nicht an die Heiden. Er hat aber auch eigene Akzente gesetzt, besonders durch die freudige Ankündigung jetzt erfahrbaren Heils und durch Konflikte über Sünder, Gesetz und Tempel (II f.). Aus Joh folgert M. sehr hypothetisch, Jesus habe den Taufritus beibehalten, vielleicht bei der Aufnahme in die Jüngerschar (II, ). | Die Darstellung der Botschaft Jesu geht von der weithin anerkannten Überzeugung aus, das Syntagma»Königsherrschaft Gottes« sei zentral. Vor Jesus bezeichnet dieses Symbol in eschato1 Eingehende Untersuchung: J. Schlosser, La méthodologie de John P. Meier dans sa quête du Jésus historique, RSR , , –.
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II. Gesamtdarstellungen
logischen und apokalyptischen Kontexten die Hoffnung auf Israels künftiges Heil. Als Lehrer mußte Jesus beim Gebrauch dieses Symbols an die Vorstellungen seiner Hörerschaft anknüpfen (II, f.). Als Jesusworte über eine künftige Gottesherrschaft stellt M. die zweite Vaterunserbitte, Mk , und Mt ,f.//Lk ,f. vor; die Seligpreisungen der Bergpredigt werden bestätigend herangezogen (II, –). Die Naherwartungslogien Mt ,; Mk ,; , werden als Gemeindebildungen erkannt (II, –). »The eschatological kingdom Jesus proclaimed, which was to be the object of intense expectation and prayer . . . would mean the reversal of all unjust oppression and suffering, the bestowal of the reward promised to faithful Israelites . . . , and the joyful participation of believers (and even of some Gentiles!) in the heavenly banquet with Israel’s patriarchs« (II, ). Die Jesustraditionen, die von der schon gegenwärtigen Basileia sprechen, werden unter der Fragestellung verhandelt: »Do his words and deeds indicate that the kingdom that he promised for the near future was paradoxically, in some strange way, already present in his work?« (II ). Die Richtung ist damit schon vorgegeben. M. untersucht die »Täuferrede« Jesu (Mt ,– par.); Lk ,; Lk ,; Lk ,f. par. und Mk ,–. Fazit: »A number of sayings and actions of Jesus argue strongly for the view that Jesus at times spoke of the kingdom as already present in some way or to some degree in his ministry« (II, ). Auf Grund ihrer größeren Zahl haben die Worte von der künftigen Basileia den Vorrang (II, ). Die Verbindung beider Aspekte bedeutet »that Jesus consciously chose to indicate that the display of miraculous power in his own ministry constituted a partial and preliminary realization of God’s kingly rule, which would soon be displayed in full force« (II, ).
Damit steht die Frage nach den Wundern Jesu an, die M. in einer gut -seitigen Untersuchung behandelt (II, –). Nach leicht apologetischen Ausführungen über philosophische und weltanschauliche Aspekte der Wunderfrage in Gegenwart und Antike (II, –) und gut begründeten Kritik an religionsgeschichtlichen »Parallelen« wie Apollonios von Tyana, Honi, dem Kreiszieher, und Hanina Ben Dosa (II, –) widmet er sich der der historischen Forschung zugänglichen Frage: »Given the fact of the many miracle stories present in the Four Gospels, are there reasons for thinking that at least the core of some of these stories goes back to the time and ministry of Jesus himself?« (II, ). Daß Jesus Exorzismen vollbracht hat, geht schon aus der vielfältigen Bezeugung hervor. Auf konkrete Vorfälle will M. aber nur Mk ,–, Lk , (Maria Magdalena) und Mk ,–* zurückführen. Die heute so beliebte Geschichte von der Syrophönizierin (Mk ,–) »is probably a Christian creation to exemplify the missionary theology of the early church« (II, ). Die Heilungserzählungen sind zwar noch breiter in der Überlieferung verankert, aber nur die Lahmenheilungen Mk ,– und Joh ,–, die Blindenheilungen Mk ,–; ,–; Joh ,–, der Taubstumme (Mk ,–) und der Knecht des königlichen Offiziers (Mt ,– par., Joh | ,–) »have a good chance of going back to some event in the life of the historical Jesus – however much they may have been reworked and expanded by Christian theology« (II, ). Unter den Totenerweckungen könnten Mk ,–; Lk ,– und Joh ,–* auf einen Vorfall im Leben Jesu zurückgehen, wobei der Charakter dieser Vorfälle offen bleibt. Der Indizienbeweis ist in diesen Fällen allerdings sehr schwach. In dem Logion Mt ,//Lk ,, für dessen Echtheit M. überlegt plädiert (II, –), hat Jesus einen derartigen Anspruch erhoben. Die
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Echtheitskriterien »impose on us the picture of a st-century Palestinian Jew who performed startling actions that both he and at least some of his audience judged to be miraculous deeds of power. To Jesus’ mind these acts – including what he claimed to be acts of raising the dead – both proclaimed and actualized, however imperfectly, „the kingdom of God promised by the prophets“« (II, ). Im Bereich der sog. Naturwunder, die M. in Geschenkwunder, Epiphaniewunder, Rettungswunder und Fluchwunder unterteilt, kommt M. zu dem nüchternen, gut begründeten Ergebnis: »With the sole exception of the feeding of the multitude, all these stories appear to have been created by the early church to serve various theological purposes« (II, ). Das Interesse M.s an der Wunderfrage wird am Ende von Bd. II explizit genannt: Jesus als Prophet und Wundertäter. »Jesus’ customary activity of miracle-working . . . did make him stand out from most of the other religious leaders in the Palestinian Judaism of his day, including John the Baptist. Regular miracle-working by an itinerant prophet active in northern Israel would naturally conjure up thoughts of Elijah and Elisha. In particular the belief that . . . Jesus raised the dead . . . would have cast him in the mould of the former two prophets« (II, ). M. meint sogar, Jesus könne sich selbst so verstanden haben; aber dafür gibt es keinerlei Belege.
Band »Companions and Competitors« stellt die Beziehungen Jesu zu seinen jüdischen Zeitgenossen dar. Zunächst werden die »Nachfolger« Jesu erörtert. Der »äußere Kreis« sind die Volksmengen, die Jesus nach allen Quellen um sich hatte. »There are sufficient grounds for asserting that Jesus regularly attracted crowds« (III, ). Auch die Kreuzigung Jesu wird durch diese Annahme verständlicher. Die besonders aus Joh erschlossene »galiläische Krise« gab es nicht (III, ). Die zeitweise Begeisterung der Menge hat aber nicht viel gebracht, wie Jesu Klagen über »diese Generation« und über die unbußfertigen galiläischen Städte zeigen (III, f.). Der mittlere Kreis sind die »Jünger«, die Jesus berufen hat. Und da die atl. Erzählung von der Berufung des Elisa durch Elia den Berufungsgeschichten der Jünger sehr ähnelt, gehörte die Berufung von Jüngern wohl zu der Selbstinszenierung Jesu als endzeitlicher Elia (III, ). Eingehend erörtet M. die Frage, ob esJüngerinnen gegeben habe (III, –). Es ist ein Paradox festzustellen: Frauen werden zwar als Jüngerinnen gezeichnet, nie aber als solche bezeichnet. Fazit: »Whatever the problems of vocabulary, the most probable conclusion is that Jesus viewed and treated these women as disciples« (III, ). | Sehr ausführlich handelt M. über Existenz und Wesen der Zwölf (III –). Er geht davon aus, daß mindestens in Mk ,–* und Mk , der Kreis der Zwölf vormarkinisch gegeben war, was mir nicht sicher erscheint. Die leicht unterschiedlichen Zwölferlisten sind für M. ein weiteres Indiz. Daß Thaddeus (Mk/Mt) bei Lk zu Judas, Sohn des Jakobus, wird, erklärt M., obwohl sonst kritisch gegenüber Harmonisierungen, durch die Vermutung, ein Jünger habe den Kreis verlassen und Jesus selbst habe eine Ersatzmann bestellt (III, ). Auch die wenigen Erwähnungen der Zwölf im . Evangelium werden als Fossilien der ursprünglichen joh. Überlieferung beurteilt, obwohl der augenblickliche Forschungsstand eher Bekanntschaft des Johannes mit den Synoptikern annimmt. Die einzige Erwähnung in Q basiert auf einer sehr unsicheren Rekonstruktion des Logions Mt ,//Lk ,. Die für M. zentrale These: »Reflecting his mission to all Israel in the end time, Jesus created the group called the Twelve, whose very number symbolized, promised, and . . . began the regathering of the twelve tribes« (III, ) steht auf schwachen Füßen. Es wäre weiterhin zu fragen, welchen Sinn eine solche Hierarchisierung des Jüngerkreises haben sollte. Und als »Symbol« waren die Zwölf doch auch nicht erkennbar, da Jesus ja häufig mit einer größeren Schar unterwegs war. Trugen sie etwa
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II. Gesamtdarstellungen
Talare oder Diademe? Auch die Jüngeraussendung ist als historisches Ereignis nach wie vor sehr umstritten (III, –), was M. nicht verschweigt, und damit ist die einzige in den Quellen erkennbare Funktion des Zwölferkreises fraglich. Die Ausführungen über die einzelnen Mitglieder dieses Kreises (III, –) können hier übergangen werden. Höchst wichtig ist dagegen der . Hauptteil »Jesus in Relation to Competing Jewish Groups« (III, ff.). Eingehend informiert M. über die Pharisäer, wobei J. Neusner, S. Cohen und E. P. Sanders seine Gewährsleute sind. Er stellt ihre religiösen Anliegen mit Sympathie dar, will sie aber aus der Geschichte Jesu möglichst heraushalten (»Pharisaism as a group phenomenon was largely restricted to Jerusalem and the larger towns of Judea« [III, ] – ein nicht unumstrittenes Urteil). Konkrete Begegnungen sind nur () ein Zusammenstoß betreffend Ehe und Ehescheidung, () Weherufe »à la Amos or Isaiah« (III, ), () die Parabel vom Pharisäer und Zöllner und () freundliche Kontakte zu einzelnen Pharisäern wie Nikodemus und Simon (nach Lk ,–!). Eine eingehendere Untersuchung wird auf Bd. IV verschoben. Dort, bei der Besprechung der Gesetzesthematik, dürfte die eigentliche Nagelprobe des ganzen Unternehmens liegen. Die Sadduzäer des priesterlichen und aristokratischen Jerusalemer Establishments werden ebenfalls kenntnisreich dargestellt. Die einzige historische Konfrontation mit ihnen ist das Streitgespräch über die Auferstehung. Es zeigt, daß die zukünftige Basileia die gegenwärtige Welt transzendiert, nicht bloß verbessert (III, ). Direkte Kontakte zwischen Jesus und den Essenern hat es nach M. nicht gegeben. Abgesehen von gewissen Ähnlichkeiten, waren die Unterschiede erheblich. Jesus interessierte sich nicht für Kalenderfragen, forderte die Feindesliebe, hatte keine hierarchische Ordnung (!) und tat Wunder. Direkte Kontakte Jesu zu Samaritanern lassen sich nicht sicher feststellen. Selbst die Parabel vom Barmherzigen Samariter hält M. nicht für sicher jesuanisch (III, ). Gründe dafür gibt es erst im IV. Band. Hoffentlich widerlegen sie die Befürchtung, es könne sich um ein Opfer auf dem Altar der christlich-jüdischen Beziehungen handeln. Die Erwähnungen der Gruppe der »Herodianer« in Mk ,; , hält M. für redaktionell, wenn es auch denkbar ist, daß Anhänger oder Diener des Herodes Antipas an Jesus herangetreten sein können (III, ). Zu den Zeloten im Sinne einer Aufstandsgruppe gegen Rom kann Jesus nach M. keine Beziehungen gehabt haben, da sie | als Gruppe erst im Winter / aufgetreten seien. Hier ist M. von der Sicht R. A. Horsleys abhängig, während M. Hengel die jüdische Widerstandsbewegung anders rekonstruiert. Im Endergebnis besteht freilich völlige Übereinstimmung darüber, daß es keinerlei Verbindung zwischen Jesus und den Widerstandskämpfern gegeben hat. M. endet mit einem Ausblick auf Bd. IV, der die großen Rätsel um Jesus behandeln soll. »The four great enigmas to be considered are the enigma of Jesus’ teaching on the Law, the enigmas or riddle-speach of Jesus’ parables, the enigmas or riddle-speach of Jesus’ self-designations . . . , and the final enigma or riddle of his death« (III, ).
»Now begins the hard part.« So eröffnet M. den vierten Band, der die Themen »Law and Love« behandelt (IV, ). Der Gesetzesproblematik sind Seiten gewidmet, die Liebesgebote Jesu kommen mit Seiten aus. M.s Stoßseufzer kann sich auf die Schwierigkeit der Materie, auf die unübersehbare Fülle der Publikationen und auf die extrem divergierenden Positionen beziehen. Er könnte aber auch noch einen anderen Hintergrund haben: M. ist ein ausgezeichneter historisch-kritischer Exeget, der sich aber der Third Quest angeschlossen hat. Also muß er im Blick auf die Gesetzesproblematik die complexio oppositorum versuchen: »The real enigma is how Jesus can at one and the same time affirm the Law as the given, as the normative expression
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of God’s will for Israel, and yet in a few individual cases or legal areas . . . teach and enjoin what is contrary to the Law, simply on his own authority?« (IV, ) An anderer Stelle formuliert er seine Lösung: ». . . it is nonsense to speak of the Jewish Jesus abrogating or annulling the Mosaic Law. The Mosaic Law is the given, the sacred canopy under which Jesus or other Palestinian Jews lived and debated the precise understanding and practice of the Law. How then are we to understand the overall position of Jesus if he embraces and affirms the Mosaic Law and yet . . . brands divorce and remarriage as the sin of adultery? How can the Law-abiding Jesus claim that a fellow Jew who dutifully follows the Law in divorcing and remarrying commits a sin against one of the commandments of the Decalogue?« (IV, f.) Zwei Sachverhalte sollen die anscheinend widersprüchliche Haltung Jesu erklären: Zum einen das Phänomen des Rewritten Pentateuch, also »the tendency of rethink and rephrase the Mosaic Torah« (IV, ), zum andern Jesu Selbstverständnis als eschatologischer Prophet: ». . . the eschatological prophet named Jesus may have incalculated as already binding certain types of behavior that pointed forward, as did his whole ministry, to the final period of Israel’s restoration as God’s holy people« (IV, ).
M. faßt dieses Urteil bereits in der Überschrift der Einleitung zusammen in dem Satz »The historical Jesus is the Halakic Jesus«. Mit diesem Neologismus »halachischer Jesus« vermeidet M. die anachronistische Bezeichnung „Rabbi“ und auch die auf einen galiläischen Wanderprediger noch weniger passende Bezeichnung „Schriftgelehrter“, auch wenn ein „Halachist“ in diese Größenordnung gehört. M. wiederholt diese Bezeichnung – er nennt sie »mantra« – des öfteren (IV, . . ). | Nun könnte man schon aufgrund bibelkundlicher Feststellungen bezweifeln, daß es Jesu Hauptanliegen war, halachische Entscheidungen zu fällen, aber Mangel an Quellenbelegen muß nicht unbedingt störend sein: »We must take seriously the possibility that early Christians, when they missionized Gentiles, simply dropped certain parts of Jesus’ halakic teaching because these parts were considered unintellegible or irrelevant to the Gentile audience« (IV, Anm. ). Oder noch etwas deutlicher: »We must allow for the possibility that a fair amount of Jesus’ h˘al¯akôt have been lost to history . . . The early Christian movement naturally selected and passed on those teachings of Jesus that it found particularly useful in spreading its message and winning converts« (IV, ). Hatte nicht schon Reimarus mit ähnlichen Unterstellungen gearbeitet? Ist die gegenteilige Vermutung, die vergleichsweise wenigen synoptischen Halachot könnten auf urchristliche »Schriftgelehrte« zurückgehen, wirklich weniger nachvollziehbar? M. greift vier Problemkreise auf: Ehescheidung, Schwurverbot, Sabbat, kultische Reinheit. Einleitend wird bei jedem Problem ein umfassender Überblick über die alttestamentlich-frühjüdischen Positionen gegeben. Dabei fällt auf, daß M. stark von E. P. Sanders bestimmt ist, der sehr stark die Uneinheitlichkeit des Gesetzesverständnisses herausstellt, so daß man – etwas salopp gesagt – den Eindruck gewinnt, in neutestamentlicher Zeit habe jeder Jude durch seine eigene Gesetzesinterpretation selig werden können. Hier hätte die fundierte Kritik an Sanders durch M. Hengel
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II. Gesamtdarstellungen
und R. Deines2 unbedingt berücksichtigt werden müssen. Daß der Eifer für das Gesetz seit den Tagen der Makkabäer ein wichtiges Moment jüdischer Einstellung war, darf nicht verschwiegen werden. Wir kennen es ja mindestens aus Gal ! Übrigens hat selbst Philo gegenüber Religionsfrevlern Lynchjustiz bejaht (SpecLeg I, –) und darauf hingewiesen, daß es Zehntausende »Eiferer für die Gesetze« gibt, die sich dafür hergeben (SpecLeg II, –).3 Zum Thema »Ehescheidung« stellt M. drei Positionen in der Zeit vor p. fest: »() first of all and predominantly, the near-absolute right of the husband to divorce his wife . . . ; () secondarily, a sectarian attack on polygyny that may also imply . . . an attack on divorce when it is followed by remarriage . . . ; and () finally and marginally, total prohibition of divorce (Jesus)« (IV, ). M. kommt zu diesem Ergebnis, weil er die hinter Mt ,//Lk , stehende Überlieferung für die ursprünglichste hält. Daß da die Vorgabe des „halakic Jesus“ eine Rolle spielt, ist evident. Denn der Rechtssatz aus Q kann nicht Ausgangspunkt der Überlieferung sein, mußte er doch jedem Zeitge- | nossen Jesu als absurd erscheinen, solange die Möglichkeit der Scheidung gegeben war. D. h. der Rechtssatz setzt eine grundsätzliche Äußerung Jesu gegen die Scheidung voraus, und die liegt in Mk , vor. Außerdem ist Q , bereits kasuistisch erweicht: Erst durch die Wiederverheiratung erfolgt Ehebruch. Insofern würde ich nicht von einem absoluten Scheidungsverbot reden, sondern von einer grundsätzlichen Ablehnung der Scheidung durch Jesus. Ein Kabinettstück historisch-kritischer Exegese ist M.s Erörterung des Schwurverbotes Jesu (Mt ,–). Gegenüber vielfachen Abschwächungs- und Umdeutungsversuchen stellt er den absoluten Charakter des Jesuswortes heraus, das trotz mancher zeitgenössischen Kritik an Eid und Schwurverhalten unableitbar ist und Toragebote wie Ex ,f.; Num ,– außer Kraft setzt. Leserinnen und Lesern, die nach diesen beiden torakritischen Stellungnahmen Jesu beunruhigt sein könnten, wird bereits auf S. angedeutet, daß es sich hierbei um seltene Ausnahmen gehandelt habe. Die im Zusammenhang mit Heilungen erzählten Sabbatkonflikte hält M. für unhistorisch, da nach den Quellen Sabbatheilungen nicht als Sabbatbruch gelten (IV, ). Daß es sich bei diesen Erzählungen nur um christliche Polemik handle, ist mir allerdings nicht nur angesichts der vielfältigen Bezeugung unwahrscheinlich, sondern auch auf Grund der Tatsache, daß der Sabbat für die heidenchristlichen Gemeinden sehr bald kein Thema mehr war. Die Logien Mt ,//Lk , und Lk , hält M. dagegen für jesuanisch: »Far from rejecting the sabbath, Jesus wished instead to make the sabbath livable for severely pressed Jewish peasants . . . Jesus’ espousal of a pragmatic, down-to-earth approach to these questions reflects his desire to shield ordinary pious Jews from the attraction of sectarian rigorism« (IV, ). Ob damit die aus ihrem Kontext herausgenommenen rhetorischen Fragen nicht überinterpretiert werden, mag man fragen. Problematischer ist wohl, daß M. auch Mk , auf dieses Niveau herabstuft.4 M. nimmt – wie viele vor ihm – einen Bezug auf Gen . an, was durch das Allerweltsverb γίνεσθαι m. E. nicht begründet werden kann. Inhaltlich spricht alles dagegen: Der Sabbat ist nach Gen ,b– ohne jeden Bezug zum Menschen eingerichtet worden, und es heißt in Ex , 2 E. P. Sanders’ »Common Judaism«, Jesus, and the Pharisees, JThSt () –; erweiterte Fassung in: M. Hengel, Judaica et Hellenistica. Kleine Schriften I, Tübingen , –. 3 Vgl. M. Hengel, Die Zeloten (), jetzt in ., durchgesehener und ergänzter Auflage hg. von R. Deines und C.-J. Thornton, WUNT , Tübingen , –. 4 Daß das »Ährenraufen« Mk ,– Gemeindebildung sei, ist unglaubhaft; diese Szene kann nur auf das Verhalten Jesu und der Jünger im Mutterland zurückweisen. Daß der Schriftbeweis Mk ,f. und die Schlußwendung , judenchristliche Bildungen sind, weist M. überzeugend nach (–. –).
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der Sabbat »ist hoher Feiertag, dem Herrn geweiht«. Dem widerspricht Jesus: Der Sabbat wird »seiner apriorischen göttlichen Qualität beraubt« (J. Becker). Die Analyse der Perikope Mk ,– ist wieder ein Kabinettstück historisch-kritischer Exegese (IV, –). Auch das aus seinem Kontext herausgelöste Logion Mk , wird zutreffend als Antithese zu der Forderung kultischer Reinheit verstanden, gegen alle besonders in der Third Quest üblichen Abschwächungen und Relativierungen. So kommt M. zu dem bestens begründeten Schluß: ». . . both discontinuity from the Judaism of Jesus’ day (which, almost without exception, inculcated the food laws of the Pentateuch) and a style coherent with those sayings of Jesus that are generally considered authentic argue for historicity« (). Aber jetzt kommt der Schwenk gemäß der Palmströmschen Logik, daß »nicht sein kann, was nicht sein darf«. Bei M. lautet das so: ». . . after all that we have seen so far in the four volumes of A Marginal Jew, it hardly seems credible that the popular Palestinian Jewish teacher named Jesus should have rejected or annulled in a single logion all the laws on prohibited foods . . . . To | have done so would have meant tearing down one of the major boundaries and barriers that defined st-century Jews over against the Gentile world . . . Are we to imagine that this stcentury Jewish prophet taught such a shocking revocation of a key element in the Mosaic Law, a revocation that could endanger the very existence of the Jewish people as a distinct religious and ethnic group? If Jesus did actually annul the food laws, how did he remain so popular and influential among the common people, to the extent that the Jerusalem authorities considered him a threat to their power?« (IV, .) Angesichts dieses Katarakts schauerlicher Konsequenzen kann Mk , kein Jesuswort sein. Das wichtigste Sachargument ist, von H. Räisänen entliehen, die fehlende Wirkungsgeschichte (IV, f. –). Normalerweise wird das argumentum e silentio zwar als problematisch angesehen, aber darüber geht man in diesem Fall einfach hinweg. Woher sollte Paulus – nur er konnte Interesse an diesem Logion haben – es kennen? Diese Fragestellung wird später im Zusammenhang mit einem M. unbekannt gebliebenen Aufsatz von I. Broer noch erörtert werden.
Zu der M. eigenen Gedankenführung gebe ich noch zwei Anmerkungen: () M. weist darauf hin, daß die Wanderexistenz Jesu und seines Jünger- und Jüngerinnenkreises sicher rituelle Reinheitsprobleme geschaffen hat, die nirgends thematisiert werden; daraus folgert er: »It would seem that Jesus was simply not interested in the purity rules that attracted great attention and debate from many quarters of intertestamental Judaism . . . for Jesus the whole system of purity does not seem to exist – at least as an object of reflection and teaching« (IV, f.). Das ist völlig richtig beobachtet; nur der Nachsatz ist fragwürdig: Kann Jesus die in der Tora und in der zeitgenössischen Diskussion so wichtige Thematik einfach stillschweigend übergangen haben? Kann er seine Nachfolgerinnen und Nachfolger zu ständigem Verstoß gegen Toragebote verleitet haben, ohne grundsätzlich darüber nachgedacht zu haben? Nein – Mk , ist Ergebnis seiner diesbezüglichen Überlegungen. () Anerkennenswerterweise überlegt M., woher das nach seiner Meinung unechte Logion Mk , stammen könnte. Da sich Paulus in Röm , mit Speisefragen ebenfalls unter dem Stichwort κοινός befaßt, postuliert er, daß das höchstwahrscheinlich für die römische Kirche geschriebene Markusevangelium wahrscheinlich in der Fluchtlinie des Römerbriefes liegt: ». . . Mark : is most likely a Christian formulation created in order to give the settled teaching and practice of the church ca. A.D. a basis in the teaching of the earthly Jesus. Perhaps, secondarily, Mark : was
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II. Gesamtdarstellungen
also aimed at pockets of resistance remaining within Jewish-Christian circles« (IV, ). Ein Logion, das der jüdische Gelehrte C. G. Montefiore einst »one of the greatest sayings in the history of religion« genannt hatte5 , soll von einem Anonymus | aus antiquarischem Interesse und vielleicht zur Bekämpfung einiger römischer Vegetarier erfunden worden sein? Das ist der salto mortale einer interessegeleiteten Wissenschaft. Die Mendelssohnschen Postulate in ihrer Vermes’schen Zuspitzung halten kritischer Exegese nicht stand. Zum Thema »Love« bietet M. nichts Sensationelles. Das Doppelgebot der Liebe Mk ,– wird auf Grund des Unähnlichkeitskriteriums für authentisch gehalten, aus dem Textstück zur Feindesliebe Lk ,– hält M. nur die Forderung »Liebet eure Feinde« für jesuanisch, was mir zu rigoristisch erscheint. Die johanneischen Versionen des Liebesgebotes (Joh ,; ,.) nehmen Lev ,b auf. Ob durch diese sehr allgemeinen Weisungen das Bild des »Halachisten« Jesus gestützt wird, erscheint mir unwahrscheinlich.
Das führt zur Grundfrage des Buches: Ist Jesus – von zwei weniger wichtigen Fällen abgesehen – wirklich ein gesetzestreuer Jude, der halachische Entscheidungen fällt? »In the last analysis I cannot see that Meier gives any clear answer to the question of Jesus’ attitude towards the Law. Was it positive or negative? His mantra that the halakic Jesus is the historical Jesus serves only to obscure the issue. We are implicitly invited to think that Jesus’ decisions regarding divorce and oaths were simply part and parcel of his teaching ministry regarding the Law. This benign view would not have been shared by first-century Jews for whom the Law was a unity. It was a question of all or nothing. It is easy to document that Jews recognized that they were not free to pick and choose those parts of the Law they would obey. It was the Law of God and every part was equally inspired.« Diesem Votum J. Murphy-O’Connor’s6 ist unbedingt zuzustimmen. Wenn M. wieder darauf verweist, daß Jesus sein Selbstverständnis – einerseits Toraausleger, andererseits eschatologischer Prophet – aus den Schlußversen des Buches Maleachi gewonnen haben könnte (f.), führt das nicht weiter. Denn für Torakritik ist bei Maleachi kein Platz – für einen torakritischen Jesus ist der Mantel des Elia zu eng. Ein halachischer Jesus aber kann sich nicht als Endzeitprophet verstanden haben; für ihn ist der Mantel des Elia zu weit. Sicher gibt es keine Jesusdarstellung, die an Materialreichtum mit der Meiers vergleichbar wäre. In vielem ist sein Urteil hilfreich. Aber die dogmatische Vorgabe, Jesus müsse einem vorgegebenem Schema entsprechen, läßt manches aus der Jesusüberlieferung undeutlich werden. Ein ganz anders Kostüm möchte J D. C dem historischen Jesus verpassen. Sein im selben Jahr wie Meiers erster Band erschienenes Buch liegt zur Besprechung vor in der veröffentlichten deutschen Übersetzung. C. sieht Jesus als Vertreter eines bäuerlichen jüdischen Kynis- | mus an, und die »Kyniker waren sozusagen Hippies in einer Welt augusteischer Yuppies« (). Dieses befremdliche Jesusbild, von B. L. Mack, einem neben C. führenden Mitglied des Jesus Seminars,
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The Synoptic Gospels I, London , . Rez. zu J. P. Meier IV, RB () –, hier: f.
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach
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schon kurz vorher skizzenhaft vorweggenommen7 , wird durch ein auf den ersten Blick imponierendes methodisches Vorgehen erzielt. C. beschreibt die drei Arbeitsschritte, die jeweils triadisch aufgebaut sind, folgendermaßen: »Die erste Triade befaßt sich mit dem Wechselspiel einer makrokosmischen, einer mesokosmischen und einer mikrokosmischen Argumentationsebene. Auf der makrokosmischen Ebene kommen kulturübergreifende und epochenüberschreitende Argumente der Sozialanthropologie zur Anwendung. Auf der mesokosmischen Ebene geht es um hellenistische und griechischrömische Geschichte und auf der mikrokosmischen um die literarische Überlieferung spezieller Sprüche und Taten, Geschichten und Anekdoten, Bekenntnisse und Deutungen, die Jesus direkt betreffen« (). Die zweite Triade des methodischen Ansatzes beginnt mit der Aufstellung eines Inventars der kanonischen und außerkanonischen Quellen und von deren historischer Stellung und literarischer Abhängigkeit. In einem zweiten Schritt erfolgt eine Stratifikation: Jeder Text wird »einer von vier zeitlichen Schichten zugeordnet, die zwischen den Jahren und , und , und oder und n. Chr. . . . angenommen werden«. Der dritte Schritt ist die »Beglaubigung«; dazu werden die Überlieferungsstücke in »Komplexe zusammengefaßt« und dann auf Unabhängigkeit der Zeugnisse untersucht. Die dritte Triade wertet das Inventar aus: Was in der ältesten Schicht zu finden ist, hat besonderes Gewicht. Zwar räumt C. ein, »theoretisch könnte ein Zeugnis aus der vierten Schicht glaubwürdiger sein als aus der ersten«, aber er erklärt: »Dennoch muß die methodische Voraussetzung gemacht werden, daß die Autorität der Zeugnisse der ältesten Schicht derjenigen der späteren überlegen ist« (). Im zweiten Element der dritten Triade geht es um die Hierarchie der Beglaubigung. Dazu macht C. »die methodische Voraussetzung, daß alles aus der ältesten Schicht Bezeugte auf Jesus selbst zurückgeht, es sei denn, es gäbe im Einzelfall spezifische Gründe, daran zu zweifeln« (). Der letzte Aspekt ist »die Nichtberücksichtigung des nur einmal Bezeugten«. Man erfährt nur, daß dieser Ausschluß »sicherheitshalber« erfolge (). Wie wirkt sich diese fast naturwissenschaftlich-exakte Methodologie aus? Der . und . Teil (–) stellt die neutestamentliche Zeitgeschichte dar. C. führt eine große Zahl von anthropologischen, ethnographischen, sozial- und kulturanthropologischen Studien an, die begründen, »daß wir eine für den ganzen Mittelmeerraum charakteristische Gesellschaftsform« postulieren können, die »zu ähnlichen politischen Institutionen und einer, wenn auch von Ort zu Ort und von Zeit zu Zeit variablen, doch so unverkennbar gemeinsamen Kultur gelangt ist«. Der Schwerpunkt von C.s Darstellung liegt auf der »Patronatsgesellschaft«, d. h. dem in Rom blühenden Klientelwesen, dem sich die Kyniker und – in gemäßigter Form – die Stoiker widersetzten. Daß das Klientelsystem auch im Galiläa des Herodes Antipas eine größere Rolle gespielt hat, ist nicht belegt, wird aber einfach vorausgesetzt. | C. schildert dann eingehend die vielfältige »Erhebung gegen die Mittler«. Der jüdische Aufstand gegen Rom wird mit R. Horsley u. a.8 als Klassenkampf verstanden, dessen sozioökonomische Realitäten Josephus verschleiert habe. Besonders beachtet C. die bäuerliche Gesellschaft, da sie »direktester, unmittelbarster und erster Hintergrund für einen Bauern oder bäuerlicher Handwerker wie Jesus von Nazaret« war (; vgl. ). C. stellt sieben Fälle von drohenden Agrarstreiks zwischen vor Chr. und n. Chr. zusammen. Zwar waren nach Josephus fünf dieser Demonstrationen religiös motiviert, aber Josephus hat nach C.s Meinung damit den antirömischen Charakter dieser Unternehmungen verschleiern wollen (). Daß in dieser unbedingten Bindung an die väterliche Religion gerade die Einzigartigkeit des Judentums bestehen könnte, kommt bei der nivellierenden soziologischen Betrachtungsweise nicht einmal von ferne in den Blick. 7 8
B. L. Mack, A Myth of Christian Origins, ; dazu unten. Dazu unten.
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II. Gesamtdarstellungen
Zum religiös-politischen Protest bei Kolonialvölkern gehört auch das Auftreten von Magiern und Propheten. Die Tätigkeit von Magiern stellt »eine äußerst radikale Herausforderung jedes etablierten religiös-politischen Systems dar« (). C. sieht Jesus in einer Linie, die von Elia/Elisa aus zu Honi dem Kreiszieher, dessen beiden Enkeln und zu Hanina ben Dosa führt. Wie geht C. mit der Jesusüberlieferung um? Hier muß das »Inventar« der Überlieferung kritisch betrachtet werden (Anhang I, –). In der ersten, ältesten und mithin wichtigsten Schicht aus den Jahren – n. Chr. finden wir nach vier Paulusbriefen (Thess, Gal, Kor, Röm) das Thomasevangelium I, d. h. den »Grundstock« des koptischen Thomasevangeliums, der schon in den fünfziger Jahren des . Jahrhunderts gelegt worden sein soll. Ihm wurde dann eine zweite Schicht hinzugefügt, vielleicht schon in den sechziger oder siebziger Jahren des gleichen Jahrhunderts (). Das sind Thesen, die außerhalb des Jesus Seminar nicht rezipiert worden sind, durch die aber das Thomasevangelium zur wichtigsten Instanz erhoben wird. Auch das »Egerton Evangelium« soll schon in den fünfziger Jahren des . Jh.s entstanden sein wie auch das Fragment Papyrus Oxyrhynchus , das sog. Fajjumfragment, eine angeblich von Markus und Johannes verarbeitete Wundersammlung, das Hebräerevangelium, eine hinter Mt ,– und Did ,– stehende apokalyptische Quelle und vor allem die Logienquelle, in angeblich drei aufeinanderfolgenden Schichten entstanden, und das von C. aus dem apokryphen Petrusevangelium herausdestillierte Kreuzevangelium (Cross Gospel), das »die einzige Quelle der Berichte der kanonischen Evangelien über die Passion« gewesen sein soll (). Hier liegt das Grundproblem des ganzen Buches! Die ältesten und damit mit der »größten Autorität« ausgestatteten Quellen sind entweder Fragmente apokrypher Evangelien oder Rekonstrukte. Das Markusevangelium kommt erst in der . Schicht zu Wort; das Sondergut des Mt und Lk wird aufgrund der vorgehenden Postulate dagegen völlig ausgeblendet. Daß auf dieser Grundlage ein anderes Jesusbild entstehen muß, ist selbstverständlich.9 | Der Jesusteil steht unter der Überschrift »Das Reich ohne Mittler«. Wie üblich beginnt auch C. mit Johannes dem Täufer und der Taufe Jesu. Jesus hat, »indem er sich von Johannes taufen ließ, auch die apokalyptische Erwartung des Johannes angenommen« (), aber aus Q , (= Lk , par.) und EvThom geht hervor, daß Jesus seine positive Einschätzung des Täufers geändert hat; C. folgert, »daß Jesus mit Johannes brach, weil er dessen apokalyptische Botschaft nicht mehr annehmen konnte« (). Jesus war »kein apokalyptischer Asket« (). Positiv gewandt: Für Jesus ist »offene Kommensalität« charakteristisch (ff.). In der »Vision einer offenen Kommensalität und egalitären Mahlgemeinschaft [liegt] eine unverkennbare Bedrohung jeder etablierten Gesellschaftsordnung« (). Mk , wie EvThom , »spricht allen Speiseverboten wie Tischritualen jeden Wert« ab (). Und dieser »Egalitarismus« wurzelt »nicht nur im bäuerlichen Judentum . . . , sondern, tiefer noch, in der bäuerlichen Gesellschaft überhaupt« (). Damit stimmt die Vorstellung des von Jesus angekündigten »Reiches« überein. Der Überlieferungskomplex »Das Reich und die Kinder« hat den Ursinn: »Ein Reich der Kinder ist ein Reich, in dem niemand was ist oder jeder ein Niemand« (). Jesus hat damit »die damalige Gesellschaftsordnung (wie weiterhin jede zukünftige mindestens bis auf den heutigen Tag) . . . angefochten« (). »Radikaler sozialer Egalitarismus« () ist also Jesu Programm. Aber, so zeigt das Kapitel »Magie und Mahl« (–), Jesus rief »das Reich« nicht aus »als ein apokalyptisches Ereignis der nahen Zukunft, sondern als Lebensweise in der unmittelbaren Gegenwart« (). Jesu Programm kann mit der Verknüpfung der Begriffe »Magie und Mahl« oder »Wunder und Tisch« umschrieben werden (). Magie versteht C. als »religiöses 9 Zur Kritik sei besonders verwiesen auf F. Neirynck, The Historical Jesus: Reflections on an Inventory, EThL () –; J. Schröter, The Historical Jesus and the Sayings Tradition, Neotest () –; C. M. Tuckett, The Historical Jesus, Crossan and Methodology, in: Text und Geschichte (FS Dieter Lührmann), hg. von S. Maser und E. Schlarb, Marburg , –.
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Banditentum«, das die Legitimation der geistlichen Macht in Frage stelle (), sie habe »die Stellung einer subversiven, nicht offiziellen, mißbilligten und oft von der Unterklasse praktizierten Religion« (). Substantielle Unterschiede zwischen Magie und Wunder lehnt C. ab (). Besessenheit als »Protest der Schwachen gegen die Starken« ist ein für kolonisierte Völker typisches Phänomen; Exorzismen sind »individualisierte symbolische Revolution« (). Auch die Heilungswunder symbolisieren ein umfassenderes sozioreligiöses Phänomen (). Jesus stellte mit seinen Heilungen »das religiöse Monopol der Priester« in Frage (). »All das war religiös-politisch subversiv« (). Für Jesus ist ferner wesentlich »die Verbindung von Magie und Mahl, Wunder und Tisch, Leidensgefährtenschaft und Tischgenossenschaft« (). Die Texte des Komplexes »Sendung und Botschaft«, vor allem EvThom ,; Lk ,–.– par. (älteste Schicht der Logienquelle) und Mk ,– »offenbaren das Herz der Jesus-Bewegung am deutlichsten« (). Den Erfolg Jesu und seiner Jünger erklärt C. mit Hilfe der »kulturübergreifenden Erforschung der Eingeborenen-Heilkunst«, die aus einer Studie über Schamanen auf Taiwan mit Patienten hervorgeht. Sie belegt »die Fähigkeit der eingeborenen Heilpraktiker zur Heilung von „Leiden“ im Sinne von sekundären psychosozialen und kultureigentümlichen Antworten auf die Herausforderung durch die Krankheit« (). Wenn Jesus seine Sendboten ohne Ranzen ausschickt, sollten sie »nicht Selbstgenügsamkeit beweisen, sondern in einer ganz eigentümlichen Weise auf die Kommensalität mit denen, die zu heilen sie auszogen, angewiesen sein« (). Die ursprüngliche Jesusbewegung hatte »ein egalitäres Teilen aller geistlichen und materiellen Ressourcen zum Prinzip« (). Die von Jesus geforderte Kommensalität war »eine Strategie zum Aufbau oder Wiederaufbau der bäuerlichen Gemeinschaft nach Prinzipien, welche die bisher gültigen von Ehre und Schande, diejenigen des Patronats und Klientenwesens, | außer Kraft setzen sollten« (). Der »Wanderradikalismus« Jesu und seiner Jünger ist dadurch begründet, daß sie »nicht in irgendeinem vermittelten sozialen Gefüge Platz . . . nehmen« wollten (). Die materialistische Sicht soll sogar die Spannungen zwischen Jesus und seiner Familie erklären: Die Familie fühlte sich durch die Wandertätigkeit Jesu um die von Heilungssuchenden zu erhebenden »Maklergebühren« betrogen (). Das Kapitel »Tod und Begräbnis« (–) beginnt mit der Feststellung, Tempel und Magier seien eine der für die Spätantike charakteristischen Antinomien. Der Wanderprediger und -heiler Jesus war also schon in Galiläa »funktionaler Gegner« und »Ersatz für den Tempel« (). Einen Beweis für die Feindschaft Jesu gegen den Tempel sieht C. in den Tempelworten, deren ursprüngliche Fassung das Logion des EvThom sein soll: »Ich werde dieses Haus so gründlich zerstören, daß der Wiederaufbau unmöglich sein wird« (). Zusammen mit der Erzählung von einer Handlung Jesu im Tempel (Mk ,–) kann man annehmen, »daß eine auf die symbolische Zerstörung des Tempels hinauslaufende Handlung und eine diesem Sinn der Handlung erklärende Rede . . . dem historischen Jesus zugeschrieben werden können« (). Bei seinem möglicherweise einzigen Besuch in Jerusalem könnte Jesus »im Tempel als dem Sitz und Symbol des sowohl in religiöser als auch in politischer Hinsicht Nicht-Egalitären, des Patronalen und sogar der Unterdrückung hingerissen« worden sein (). Eine derartige Handlung »wenn sie während des Paschafests geschah«, hätte »leicht zur Verhaftung und Hinrichtung« durch Pilatus führen können (). Auf eine mögliche Reaktion der für den Tempelbetrieb und vom Tempelbetrieb lebenden Kreise reflektiert C. überhaupt nicht. Die »fast journalistisch ausführlichen Passionsberichte« () sind nach C. »geschichtliche Einkleidung der Prophetie« oder »historische Aktualisierung konkreter Prophetie« (). Denn C. geht davon aus, »daß Jesu nächste Jünger von der Passion, bis auf die Tatsache der Kreuzigung, nichts wußten« (). Aus Prophetenworten las man einen zusammenhängenden Ablauf der Ereignisse heraus, erfand eine umfassende Form der Erzählung, und darum »war es möglich, durch die Hinzufügung historischer Einzelheiten deren Glaubwürdigkeit zu erhöhen« (). Dieses
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II. Gesamtdarstellungen
rein erfundene Cross Gospel soll in Sepphoris entstanden sein und den seit n. Chr. dort residierenden römischen Prokuratoren nach dem Mund geredet worden sein, »sei es politisch naiv oder schlau polemisierend«. Denn das Cross Gospel schiebt ja die ganze Verantwortung der jüdischen Seite zu. Markus hat das Cross Gospel umgeschrieben, er trachtete »überall nach Herstellung von Wahrscheinlichkeit« (). Die »von ihm beschriebenen Gerichtsverhandlungen sind: meisterhafte theologische Fiktionen« (). Natürlich wußten die Jünger auch nicht, ob Jesus anständig begraben wurde; Markus löste das Problem durch die Erfindung des Josef von Arimathäa ()10 . Die Ostergeschichten und einige in die vita Jesu zurückdatierte ursprüngliche Ostertexte (Speisungswunder, Seewandel, Jüngerberufung [!]) spiegeln Debatten und Kontroversen »über Leitung, Führerschaft und Autorität innerhalb der frühen Christengemeinde« (). |
Es ist ein äußerst geschicktes Vorgehen, den orts- und zeitlos redenden Jesus des Thomasevangeliums als Ausgangspunkt zu nehmen; denn ihn kann man leicht in den gewünschten Rahmen einpassen: in das römische Patronatssystem, in die Unterdrückungssituation von Kolonialvölkern . . . Nur die jüdische Frömmigkeit spielt keine Rolle. Jesus hat nicht über theologische Fragen diskutiert, er hat kein Vaterunser gelehrt und auch kein Abendmahl eingesetzt. Er hat auch nicht vom »Reich Gottes« gesprochen, sondern vom »Reich«, und das ist für C. ein Kürzel für eine klassenlose Gesellschaft. Der handelnde Jesus des Markusevangeliums wird nur herangezogen, insofern er in das Bild des Sozialrevolutionärs eingepaßt werden kann. Ich kann dieses Bild nur als falsch beurteilen. Die Annahme, die Jünger hätten vom Ende Jesu nur das Daß gewußt, ist m. E. abwegig; daß das aus dem Petrusevangelium herausdestillierte Textstück »Cross Gospel« mit all seinen historischen Unmöglichkeiten die von galiläischen Judenchristen erfundene älteste Passionsgeschichte sein soll, ist völlig unwahrscheinlich und läßt die angeblich auf dieser Grundlage erfundene Markuspassion als Rätsel erscheinen. J D C hat zusammen mit dem Archäologen J L. R ein allgemein verständliches Buch »Jesus ausgraben« veröffentlicht, das in der deutschen Übersetzung aus dem Jahr vorliegt. Der Crossansche Jesus ist hier etwas jüdischer und frömmer geworden: »Johannes und Jesus wandten sich im Namen des Bundes, des Landes, der Thora und des Gottes der Juden gegen die ungerechte Verteilung des Wohlstands, zu der es im Zuge der römisch-herodianischen Kommerzialisierung gekommen war. Daher erklärt sich auch die große Bedeutung, die Jesus der Nahrung und der Gesundheit beimisst« (). Hätte da nicht eine Landreform besser geholfen? »Im Königreich von Antipas hätte allein der Vorschlag, das Land gerecht aufzuteilen, . . . fast unweigerlich zu gewalttätigen Auseinandersetzungen geführt. Es gab nur noch die Möglichkeit, die materiellen und spirituellen Lebensgrundlagen (Ernährung und Heilung) von Grund auf neu zu verteilen. Das war das Reich Gottes. Auf Erden« (). Das ist dann doch wieder der Jesus C.s, nur ohne Hippie-Gewand. J. L. Reed steuert solide archäologische Informationen bei; die schwarz-weißen Abbildungen sind leider nicht immer gut. Die von R. genannten 10 Crossan hat diese Theorie erweitert in einer der ThR nicht vorgelegten Monographie: Wer tötete Jesus? Die Ursprünge des christlichen Antisemitismus in den Evangelien. Aus dem Englischen von P. Hahlbrock, München . Dazu die Rez. von D. Sänger, ThLZ () –.
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»zehn wichtigsten archäologischen Entdeckungen« (), angeführt vom Ossuarium des Hohenpriesters Kajaphas, der Inschrift des Präfekten Pontius Pilatus und dem Haus des Apostels Petrus in Kafarnaum, sind m. E. nur randständige Illustrationen für die Frage nach dem historischen Jesus. Das gilt auch für das Fischerboot vom See Gennezaret und das Skelett des gekreuzigten Yehohanan. Im übrigen ergänzt C. sein älteres Jesusbuch durch eine Untersuchung | der Geburtsgeschichten, die er christologisch erklärt (Mose- bzw. Augustustypologie) und eine Betrachtung über die »Bestattung eines Königs« (–), die in eine »Gott erweckte Jesus von den Toten auf« überschriebene Passage (–) mündet. Wenn ich diese – sit venia verbo – etwas verquasten Ausführungen richtig verstanden habe, könnte man sie zusamenfassen mit dem Satz: Jesus ist in die klassenlose Gesellschaft hinein auferstanden. Ein phantastisches Buch legt B T vor. Sie geht davon aus, daß die Evangelien und die Apostelgeschichte chiffrierte Texte seien, deren Dechiffrierung ihr jetzt erstmals gelungen sei. Sie nennt das die »Pescher-Methode« im Anschluß an die Bibelexegese der Qumrantexte. Das bedeutet konkret, »daß es sich bei den neutestamentlichen Texten um eine Art Puzzle handelt, das zusammengesetzt werden muß« (). Ein Beispiel: »In . Korinther , bezeichnet Paulus die Mitglieder der Gemeinde als „Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stroh“. „Silber“ steht daher an zweiter Position – ein Mann, der mit dem Silber in Verbindung gebracht wird, hat also den Rang eines „Zweiten“ in der Hierarchie. Judas, der die „dreißig Silberlinge“ bekam, bekleidete diese Position beim Letzten Abendmahl« (). Ich erspare mir die Qual eines Referates und zitiere aus der Zusammenfassung, die Th. in einem der vielen Anhänge des Buches unter der Überschrift »who’s who in neutestamentlicher Zeit« (–) gegeben hat. »Jesus. Sohn Josefs, der über Natan von König David abstammte. Jesus wurde in der Verlobungszeit seiner Eltern gezeugt, bevor ihre Ehe durch die zweite Eheschließung legalisiert war, und galt deshalb bei der Partei der Hebräer als unehelicher Sohn Josefs. Er wurde im März v. Chr. geboren. Für die Hellenisten in der asketischen Bewegung war er der legitime Davidide . . . Im Jahr n. Chr. schloß er sich mit den Zwölf Aposteln, Hellenisten, gegen Johannes den Täufer zusammen, der die Lehrauffassung der Hebräer vertrat. Jesus brachte völlig neue Ideen in die Bewegung ein . . . Jesus wurde infolge einer politischen Intrige seiner Gegner gekreuzigt . . . Am Kreuz gab man ihm Gift . . . , doch er verlor lediglich das Bewußtsein und wurde später von seinen Freunden wiederbelebt. In der Folgezeit stand er der pro-heidnischen Partei . . . bei und fungierte als Berater ihrer Führer, zunächst von Johannes Markus, dann von Petrus und schließlich von Paulus . . . « (). Nachzutragen ist noch, daß Jesus am .., Uhr, die Ehe mit Maria Magdalena einging (). Am Die., .., schenkt sie ihm eine Tochter (), die Tamar genannt wurde (), am .., ., wird der Sohn Jesus Justus geboren (), »und im März des Jahres n. Chr. bekam sie einen zweiten Sohn. Danach trennte sie sich von Jesus, was eine Krise in der Bewegung zur Folge hatte . . . « (). Im März n. Chr. ging Jesus dann eine zweite Ehe mit der »Purpurhändlerin« Lydia ein (f.).
Liest man diese Phantastereien, dann könnte man Bahrdt und Venturini, die Väter der Leben-Jesu-Romane, geradezu für seriöse Historiker halten. Zwar kam hier schon die Eheromanze mit Maria Magdalena auf, aber sie | ersparten Jesus wenigstens die
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II. Gesamtdarstellungen
. Ehe; zwar bedienten sie sich schon der Scheintod-Hypothese, aber sie »wußten« noch nicht, daß die Wiederbelebung Jesu von Simon Magus (!) mit Hilfe von Aloe durchgeführt wurde. Über die krasse Außenseiterposition T.s in Qumranicis ist hier nicht weiter zu handeln. Daß ein solcher Unfug ins Deutsche übersetzt wurde, ist unverständlich. Ganz im Trend der »Third Quest« liegt das Buch von R H (Der Lebensweg Jesu von Nazareth), das für Studierende und interessierte Laien bestimmt ist (). Zu Beginn der eigenen Darstellung zitiert H. mehrere jüdische Autoren, »die sich gegen eine „christliche Vereinnahmung“ Jesu wehren« (), und längere Zitate von S. Ben-Chorin und G. Vermes legen die Marschroute des Buches fest, nachdem bereits in den »Einleitenden Bemerkungen« das Unableitbarkeitskriterium als »verkappte christliche Dogmatik« () abgetan und statt dessen das offen dogmatische Postulat formuliert worden war: »Anspruch auf Echtheit haben Jesusüberlieferungen gerade dann, wenn sie im Rahmen des damaligen Judentums historisch möglich sind« (). So wird die Stellung Jesu zum Gesetz natürlich durch den typisch matthäischen Text Mt ,– belegt (). Bei Mk , geht es natürlich nur »um die Interpretation von Bräuchen, . . . um das Händewaschen vor den Mahlzeiten« (), und bei den Sabbatkonflikten vertritt Jesus »den Grundsatz, daß jede Heilung, sei sie groß oder klein, eine Lebensrettung darstellt« (). Dieses Problem werde »in einem frühen jüdischen Kommentar zum Buch Exodus, der Mekhilta«, »ganz im Sinne Jesu diskutiert« (). Leider wird der fachunkundigen Leserschaft verschwiegen, daß der »frühe Kommentar« frühestens aus der zweiten Hälfte des . nachchristlichen Jahrhunderts stammt, und daß alle an dieser Diskussion beteiligten Rabbinen sich explizit auf eine alttestamentliche Stelle berufen, hätte auch gesagt werden müssen. Ganz fragwürdig ist es schließlich, daß H. beim »Ährenraufen« nicht die älteste Fassung Mk ,– zugrunde legt, sondern die matthäisch-redaktionelle, überarbeitete (Mt ,–). Die Begründung, Mt sei »mit dem Milieu des palästinischen Judentums vertrauter gewesen . . . als der Heidenchrist Markus« (f.), ist schlicht irreführend. Erstens kennt Mt das Judentum der neunziger Jahre und läßt daher Schriftgelehrte und Pharisäer zu einer Gruppe verschmelzen und sogar Pharisäer und Sadduzäer Arm in Arm auftreten; zweitens geht die Aufzählung »nahezu alle[r] gängigen Vorurteile gegenüber den Pharisäern« auf S. fast wörtlich auf diesen angeblichen Kenner des palästinischen Milieus zurück, und drittens werden damit alle redaktionsgeschichtlichen Einsichten seit F. C. Baur über Bord geworfen. Interessanterweise rügt H. einen anderen Exegeten kräftig – und m. E. zu Recht –, weil er die Gütergemeinschaft der Urgemeinde aus lukanischen Summarien begründet – wo es zur eigenen Tendenz paßt, tut er dasselbe. Darf man vorsichtig an Mt erinnern? Dieselbe Willkür bei der Quellenauswahl steht auch hinter der Behauptung, Jesus würde ebenso wie die Pharisäer dem Vollkommenheitsideal huldigen (), denn der Beleg Mt , ist matthäische Redaktion. Über die Botschaft Jesu vom Reich Gottes erfährt man wenig (–), zumal H. die langen Gleichnisse Lk ,– und Mt ,– in vollem Wortlaut abdruckt. | Mehr liest man über »Die Wunder Jesu als sinnbildliches Zeichen der anbrechenden Gottesherrschaft« (–). Natürlich wird Jesus als galiläischer Charismatiker à la Vermes gezeichnet. Kritisiert wird die Auffassung von Vermes, Sündenvergebung und Heilung bei Jesus sei dasselbe wie in QNab: Der jüdische Exorzist »nimmt für sich in Anspruch, die Sünden selbst zu vergeben, während Jesus dies im Auftrag Gottes tut« (). Wenn Jesus wie »sein Lehrer Johannes der Täufer verkündigt . . . : „Das Reich ist nahe herbeigekommen“ (Lk ,)«, dann »übernimmt er aus seiner jüdi-
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schen Lebenswelt die Hoffnung auf eine baldige Veränderung der Umstände« (). Also ist das social gospel das Wesentliche. Und dazu paßt, was im Kapitel »Jesus, Anwalt der Entrechteten« (–) steht. »Nicht so sehr seine Theologie, sondern seine Lebenspraxis hob Jesus von den anderen jüdischen Erneuerungsgruppen seiner Zeit ab« (). Über die mehr journalistisch interessierende Frage »War Jesus ein Revolutionär?« informiert H. kenntnisreich und zutreffend (–). Bedenkenswert ist sein Vorschlag, das lukanische Wort von den zwei Schwestern (Lk ,–) als Gemeindebildung aus der Zeit Agrippas I. zu verstehen. Auch das von Medieninteresse gelegentlich hochgepeitschte Thema »Jesus und Qumran« (–) wird zutreffend behandelt, auf eine kurze, treffende Kritik von B. Thiering sei hingewiesen (f.). Wieso wird ein Mann, der den Pharisäern nahestand, der kaum etwas Ungewöhnliches zu sagen hatte, dessen Lebensweise höchstens »in bestimmten jüdischen Kreisen Ärgernis erregte« (), ans Kreuz geschlagen? Hier greift H. mit dem Trend zu der billigen Auskunft, die »Tempelreinigung« sei die Ursache gewesen. H. räumt zwar richtig ein: »Schwierig zu beurteilen ist das eigentliche Motiv, das Jesus zu dieser provokanten Handlung bewog« (), aber er weiß dann doch, daß »nicht der Tempel an sich« verworfen wird, »sondern der real existierende mit all seinem Treiben und aller Geschäftemacherei« (f.). H. räumt zwar richtig ein: »Eine größere Aktion kann Jesu Auftreten im Tempel nicht gewesen sein . . . « (), aber er weiß dann doch: »Wer sich so vehement [!] gegen die „Heiligkeit“ des Tempels einsetzt, stellt vielfache ökonomische Interessen der Stadtbevölkerung in Frage« (). Daher traten nach H. »Vertreter breiter Bevölkerungskreise« im Verhör vor dem Synhedrium auf, »die durch Jesu Eintreten gegen den Tempel ihre ökonomische Lebensgrundlage gefährdet sahen« (). Außerdem bedeutete die Aktion Jesu »sowohl eine Infragestellung der Legitimation der Tempelaristokratie und ihrer Macht als auch einen Angriff auf ihre Existenzgrundlage« (). Somit wäre der Tod Jesu nur auf Macht- und Profitgier zurückzuführen. Leider hat H. vergessen, was er auf S. geschrieben hat: es könne als »gesichert . . . gelten, daß das Synhedrium im Anschluß an die Verhaftung ein nächtliches Verhör durchführte, in dem die Anklage der notorischen Gesetzesübertretung und Gotteslästerung aufgrund von Zeugenaussagen erhärtet wurde . . . «. Nur so steht der Tod Jesu in einem sinnvollen Zusammenhang mit seinem Wirken und Verkündigen – auch wenn das nicht zu den Prämissen der Third Quest paßt11 .
Das Buch von M-É B gehört nur bedingt in diesen Bericht, da sein Ziel die Nachzeichnung des markinischen Jesusbildes ist. Aber ein Altmeister der historisch-kritischen Forschung läßt natürlich die Frage | nach den hinter der markinischen Darstellung liegenden Fakten nicht unbeachtet. So wird die Taufe Jesu durch Johannes als Faktum, die Himmelsstimme und die Geistbegabung als Interpretament verstanden, das das königliche und prophetische Handeln des markinischen Jesus legitimiert (). Die Frage nach den Brüdern und Schwestern Jesu wird breit erörtert und vorsichtig bejaht (–). Bemerkenswert ist die Behandlung der Wundergeschichten, deren alttestamentlichen Hintergrund B. stark – manchmal zu stark – ausleuchtet. Daher wehrt er die Frage nach der Faktizität sehr ab und bemüht sogar den Evangelisten Johannes, um die Bedeutung der Wundergeschichten einzuschränken (f.) – Überlegungen, die angesichts der Hochkonjunktur des galiläischen Wundermannes bedacht werden sollten.
11 R. Heiligenthal hat ein kleines Buch »Der verfälschte Jesus« über alte und neue Sensationsliteratur über Jesus verfaßt, auf das hier noch hingewiesen werden soll. Er informiert gut; die Kritik an ein-
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Im Trend liegt dagegen die Beurteilung des »Prozesses« gegen Jesus. B. sieht insgesamt die johanneische Darstellung als historisch an (–). Es gab keinen jüdischen Prozeß, sondern nur eine Versammlung des Synhedriums eine Woche vor dem Passa (Joh ,–), die festlegte, Jesus solle zu Tod gebracht werden. »On craint done une destruction du Temple provoqueé, indirectement, par Jésus. Finalement, les grands prêtres font arrêter Jésus, le mènent chez Caïphe, puis le livrent à l’autorité romaine« (). Seltsamerweise übernimmt B. die markinische Datierung der Tempelaktion, mit der Jesus zeigte, daß er den Hohenpriestern ihre Prärogativen und ihre Existenzberechtigung nehmen wollte. Deshalb klagen sie Jesus vor Pilatus an; die Anklage stützt sich auf den Einzug in Jerusalem, der »pouvait apparaître comme un débút de sédition« (). Damit werden beide Handlungen maßlos überschätzt, während das theologische Konfliktpotential wieder einmal ausgeblendet wird. G T hat zusammen mit seiner damaligen Mitarbeiterin A M ein Lehrbuch zur Jesusfrage verfaßt, das in hochschuldidaktisch geschickter Weise alle Problemfelder darstellt. Th./M. stehen ganz auf der Basis der Third Quest; daher lehnen sie das Unableitbarkeitskriterium ab und ersetzen es erwartungsgemäß durch das von Theißen entwickelte »historische Plausibilitätskriterium«, über das schon referiert wurde.12 Für Th./M. spitzt sich das bis zu der Aussage zu: »Jesus kann nur das gesagt und getan haben, was ein jüdischer Charismatiker im . Jh. hätte sagen und tun können« (). Und darin liegt die Besonderheit dieses Buches, daß auf einer | kenntnisreichen und exegetisch durchaus begründeten Basis auf fast jeder Seite versucht wird, die Jesusüberlieferung als ableitbar darzustellen.13 Die Schilderung des geographischen und sozialen Rahmens des Lebens Jesu stellt ethno-kulturelle Spannungen zwischen Juden und Heiden fest (f.), sozio-ökologische Spannungen zwischen Stadt und Land (f.), sozio-ökonomische Spannungen zwischen Reichen und Armen (f.; »ob es damals in Galiläa und Palästina zu einer besonders drückenden Situation gekommen ist«, bleibt offen []), und sozio-politische Spannungen zwischen Herrschern und Beherrschten (–). Hier stellen Th./M. »eine politisch instabile Situation« fest (), beurteilen die Zeit Jesu aber als »relativ friedlich« (), womit sie einen Kompromiß zwischen den sehr unterschiedlichen Auffassungen in der Literatur vorschlagen. Die religiöse Eigenart Galiläas wird dahingehend charakterisiert, »daß Galiläa zur Zeit Jesu ein jüdisch geprägtes Land war, daß seine Bewohner am Tempel hingen, an der Unterscheidung von den Völkern interessiert waren und die Vorschriften der Thora in ihrer mündlichen und schriftlichen Gestalt, vermutlich in spezifisch lokaler Ausprägung, befolgten« (f.). Zur behaupteten »ausgeprägte[n] Tempelfrömmigkeit der Galiläer« () in Spannung steht freilich die Einordnung der Tempelkritik Jesu in den strukturellen Gegensatz von Stadt und Land (). Die Behauptung einer speziellen galiläischen Halacha, für die es keinerlei Belege gibt, erscheint mir noch problematischer, da sie als Argument für die Ableitbarkeit jesuanischer Aussagen verwendet wird (). zelnen Thesen hätte m. E. energischer sein müssen, aber das liegt natürlich an dem zugrundeliegenden Jesusbild. 12 S. o. . 13 Da ich diese Grundentscheidung der Autoren für problematisch halte, verweise ich auf zwei sehr positive Rezensionen des Buches: D. Dormeyer, BZ () –; D. Zeller, Zwei neue Jesusbücher im Vergleich, ThQ () –.
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Die Abschnitte über die Eschatologie Jesu (–) und über Jesus als Dichter (– ) sind insgesamt sehr hilfreich; sie scheinen von einer gewissen Neigung zur Synthese unterschiedlicher Positionen bestimmt zu sein. Daß der Abschnitt »Jesus als Heiler« (–) höchst informativ ist, versteht sich beim Verfasser eines Standardwerkes über urchristliche Wundergeschichten von selbst. Das Kapitel »Jesus als Lehrer: die Ethik Jesu« (–), das m. E. nicht vom Gleichniskapitel hätte getrennt werden sollen, fordert natürlich wieder kritische Fragen heraus. Das beginnt mit der Behauptung, Jesus habe seine Ethik »als ein jüdischer Rabbi« vertreten (; vgl. –). Das wird durch die angeblich »früheren christlichen Quellen, die vor das Jahr zurückgehen« bezeugt () – als Belege werden Matthäus- und Johannestexte genannt! Weder vor noch nach gab es einen »Rabbi«, der eine Wanderexistenz führte, der seine Schüler selbst aussuchte und auch Frauen aufnahm, der selbst keine »formale Ausbildung bei einem bekannten Lehrer absolviert« hat () und vielleicht »als umherziehender Handwerker in den Synagogen und auf den Plätzen der größeren Städte Formen und Inhalte jüdischer und griechischer Bildung kennengelernt« hat (). Wie verzweifelt man Stützen für den »Rabbi Jesus« suchen muß, geht aus der merkwürdigen Vermutung hervor, »vielleicht« habe Johannes der Täufer »größeren Einfluß auf Jesu Bildung ausgeübt« (), was mit der logisch höchst anfechtbaren Begründung versehen ist, Johannes sei »als Priestersohn (?) sicher sorgfältig ausgebildet« gewesen (). Ob die Herkunft als | Priestersohn eine sorgfältige Bildung sichert, ist schon fraglich, aber die fragliche Herkunft sichert das doch wohl überhaupt nicht. Außerdem ist weder von Johannes noch von Jesus eine Halacha überliefert. Die Analogie zum Rabbinat ist eine erzwungene. Für die Ethik Jesu ist charakteristisch »die Verbindung von Normverschärfung und Normentschärfung« (f.) hinsichtlich der Thora. Das wird mit Jesu »Ambivalenz gegenüber der Thora« () erklärt. Belege: der (sicher echte) Stürmerspruch Mt ,//Lk , einerseits und das (streng judenchristliche) Logion von der Ewigkeit der Thora (Lk ,//Mt ,), die Th./M. mit Hilfe der Vorstellung von der »befristeten Thorageltung« () harmonisieren wollen – ein m. E. höchst problematisches Unterfangen.14 Einige weitere Beispiele für erzwungene Ableitungen: Im Blick auf Jesu Botschaft von der Gottesherrschaft schreiben Th./M. zutreffend: »Wir lernen aus den Worten über die zukünftige Gottesherrschaft nur wenig über das Leben in ihr. Auffallend ist, was fehlt. Nationale Bedürfnisse werden nicht angesprochen, keine liturgischen Träume . . . geträumt. Die Thora wird nicht . . . studiert . . . Die rituelle Trennung von Heiden und Juden spielt nun keine Rolle mehr« (). Als »nächstliegende Erklärung« dafür geben Th./M. »Jesu Herkunft aus Galiläa« an () – aber das paßt überhaupt nicht zur Schilderung der »religiösen Eigenart Galiläas«, die S. – gegeben wurde.
Th./M. erkennen, »daß Jesus Kontakt zu Menschengruppen pflegte, die als unrein galten« (). Sie nehmen erfreulicherweise das oft so erbärmlich umgedeutete und verharmloste Logion Mk , ernst: »Der vorliegende Text bestreitet . . . ganz grundsätzlich die Existenz unreiner äußerer Dinge« (). Aber sie behaupten dann doch, Jesus habe die Reinheitsgebote beachtet, aus Respekt vor der Tradition (!) oder zur Vermeidung von Ärgernis. Für diese Haltung Jesu werden Mk ,ff. und Mt ,ff. als Belege angeführt. Doch las man dazu bei G. Theißen, Urchristliche Wundergeschichten, , ff. Besseres: »Beide Geschichten lassen sich einem Judenchristentum zuordnen, das Tempel, Opfer und Gesetz respektiert . . . «. 14 Zumal ja die befristende Klausel nur bei Mt auftaucht und z. B. in der Rekonstruktion von Q durch das International Q Project fehlt.
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Sabbatkonflikte Jesu sind vielfältig bezeugt und daher glaubwürdig. Aber in Mk , fällt Jesus nicht »aus dem Rahmen des damaligen Judentums heraus« (), denn er »beruft sich auf eine allgemeine Maxime, die auch im Judentum unabhängig von ihm für R. Schim’on b. Menasja (ca. n. Chr.) belegt« ist (). Kann man eine mindestens Jahre jüngere Äußerung wirklich zur Ableitung des Jesuswortes verwenden, zumal R. Schim’on damit nur die Verdrängung des Sabbats bei Lebensgefahr rechtfertigen wollte? Und daß Mk , eine »Maxime« ist, »die mit der Thora übereinstimmt« (), ist falsch – s. Ex ,; Lev ,; Dt ,! Richtig stellen Th./M. fest: »Das Programm Jesu setzt eine innere Freiheit gegenüber der Thora voraus« (). Aber selbst diese innere Freiheit hat nichts mit Jesu Selbstverständnis als Prophet, Messias oder dgl. zu tun: »Fragt man nach der geistigen Grundlage für diese innere Freiheit, . . . so stößt man auf die weisheitlichen und eschatologischen Traditionen des Judentums« (). Wenn es dann noch heißt: »Jesus verbindet damit zwei Traditionsströme, die schon vor ihm im Judentum mannigfache | Verbindungen eingegangen waren« (), so fragt man sich, wie solche gelehrte Tätigkeit in die Lebenswelt eines Bauhandwerkers und Wanderpredigers paßt.
Ein interessantes, der Diskussion würdiges Kapitel befaßt sich mit »Jesus als Kultstifter« (–). Th./M. sehen die »Tempelreinigung als kultkritische Symbolhandlung« () und verknüpfen sie mit dem Tempellogion Mk ,, das allerdings sehr entschärft wird: »Jesus wird erwartet haben, daß Gott [den Tempel] zerstört und auf wunderbare Weise einen neuen Tempel an seine Stelle setzt – eine Erwartung, die nicht ohne Analogien ist (vgl. Jes ,; äthHen ,f.)« (). Daß eine »solche Botschaft . . . nicht nur bei der Tempelaristokratie Besorgnis hervorrufen und bei der Jerusalemer Bevölkerung Angst auslösen« und »auch bei den Jüngern tiefe Unsicherheit bewirken« mußte (), ist die in der Third Quest übliche Annahme. Durch seine »kultstiftende Symbolhandlung beim letzten Mahl« wollte Jesus »den obsolet gewordenen Tempelkult vorübergehend ersetzen« (). Dabei könnte das Brot entweder Ersatz für den Leib der Opfertiere oder sogar »Symbol seiner Lebenshingabe« sein (). Eine Unstimmigkeit dieses Ansatzes liegt m. E. darin, daß nach Th./M. Mk , als »Ausdruck intensiver Naherwartung« Jesu zu verstehen sein soll () – lohnte sich da die Einsetzung eines Ersatzkultes noch? Diese sehr stark herausgestellte Tempelkritik Jesu wird auch als »[u]nmittelbarer Anlaß des Eingreifens der Lokalaristokratie« () angesehen. Mit einem Zitat von Chr. Burchard wird konstatiert: »Jesus wurde hingerichtet, weil der Jesusalemer Magistrat oder ein Teil befürchtete, er könnte Unruhen auslösen« (). Diese Banalisierung des Todes Jesu wird später etwas zurückgenommen: »Mit der Tempelkritik geriet Jesus mit dem religiösen Zentrum in Konflikt . . . Der Konflikt mit dem Tempel aber läßt sich von anderen Aspekten seines Wirkens nicht isolieren: Seine liberale Thoraauslegung mußte jetzt erst recht verdächtig werden« (). Das ist zweifellos ein richtiger Ansatz, der überzeugender wäre, wenn das Profil Jesu nicht ständig verundeutlicht worden wäre. Die von Fr. Mußner gestellte Frage: »Fiel Jesus aus dem Rahmen des Judentums?« ist noch zu klären. Das gilt auch für den letzten Abschnitt »Der historische Jesus und die Anfänge der Christologie« (–). Über die mit den Begriffen Messias und Menschensohn verbundenen Probleme wird gut informiert. Zu Recht gehen Th./M. von der Fest-
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stellung aus: »Die Entstehung der Christologie wird erst verständlich, wenn schon vorösterlich ein (implizierter, evozierter oder expliziter) Hoheitsanspruch zur Debatte stand« (). Wie paßt das auf einen Mann, der als Rabbi wie Dutzende anderer, als Wunderheiler wie andere galiläische Charismatiker, als Umkehrprediger wie der Täufer aufgetreten sein | und kaum etwas Eigenes gesagt haben soll? Wieso er »Messiaserwartungen im Volk und bei seinen Anhängern« geweckt haben soll (), ist mir nicht klar geworden. Die in Q fehlende und bei Mk nur peripher auftretende Davidsohnschaft kann m. E. weder für Jesus selbst (gegen ) noch für die Umwelt erheblich gewesen sein; der Zwölferkreis, dessen vorösterliche Existenz mir schon aufgrund von Kor , unsicher erscheint, ebenso (gegen f.) die von Th./M. zu Recht betonte Offenheit Jesu gegenüber Heiden (; u. ö.) spricht dagegen. Daß das Logion Mt ,//Lk ,– den Jüngern »Status und Würde eines Messias« gegeben habe (), kann ich nicht sehen. Und die höchst moderne Folgerung: »Einfache Menschen aus dem Volk . . . sollten als Repräsentanten der zwölf Stämme herrschen – im Sinne einer repräsentativen Volksherrschaft« (), ist schon deswegen anfechtbar, weil κρίνειν niemals herrschen heißt.15 Die schon oben bemerkte Neigung zur Synthese zeigt sich auch bei der Menschensohnfrage. Jesus hat einen »Alltagsausdruck emphatisch gebraucht«, um »übergroße Erwartungen an ihn« zu korrigieren, damit machte er diesen Ausdruck »für seine Anhänger zum geheimnisvollen Hoheitsnamen« (). Aber er »verband den alltagssprachlichen Ausdruck „Menschensohn“ mit der visionssprachlichen Tradition von einem „menschensohnähnlichen“ Himmelswesen« – er »erwartete mit dem Einbruch der Gottesherrschaft jene Rolle einzunehmen, die er dem Menschensohn zuschrieb« (). Das ist in der Tat ein Ansatz, den es zu prüfen gilt. Zu dem Jesusbild von Th./M. paßt er allerdings nicht. Einige Stärken und manche Schwächen der Third Quest sind so an diesem Buch erkennbar. Im selben Jahr erschien die ebenfalls als Lehrbuch konzipierte Monographie von J B. Hier handelt es sich um ein »klassisches« Lehrbuch, das den Stoff zwar leserfreundlich, aber ohne didaktische Zugaben bietet. Beim Vergleich mit wichtigen Vorarbeiten B.s16 kann man zwar gewisse Akzentverschiebungen feststellen, aber insgesamt handelt es sich um eine streng historisch-kritische Arbeit, die keinem Trend anhängt. In methodologischer Hinsicht fordert B. Konsequenz. Als »Einstiegs- und Fundamentalkriterium« gilt ihm das Differenzkriterium (). »Das Kriterium bleibt . . . weit und breit konkurrenzlos, wenn die gezielt gesuchte Unverwechselbarkeit Jesu immer zugleich als kontextuelle Ausprägung des Juden- | tums und als Vorgabe mit Kontinuität zum Urchristentum verstanden wird« (). Dazu kommt das Kohärenzkriterium in Verbindung mit der Mehrfachbezeugung. »Die Kohärenz bezieht sich . . . 15 Ebenso fahrlässig geht übrigens auch R. A. Horsley mit der Philologie um; er paßt das Logion seiner Wunschvorstellung dadurch an, daß er κρίνειν mit »befreien« wiedergibt! (Jesus and the spiral of violence, –.) 16 Johannes der Täufer und Jesus von Nazareth, ; Das Gottesbild Jesu und die älteste Auslegung von Ostern, in: Jesus Christus in Historie und Theologie (FS H. Conzelmann), Tübingen , – .
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II. Gesamtdarstellungen
auf Jesu Wirken in Wort und Tat wie auch auf sein Schicksal« (). Als »Gegenprobe« ist der Rezeptionsprozeß der Jesusverkündung durchsichtig zu machen (). Auf dieser methodologisch klaren Basis erfolgt die Darstellung, die nach kurzer und undramatischer Sichtung der biographischen Angaben in einer gewissen Systematik erfolgt. Ausgangspunkt ist die »Verlorenheit Israels« (–), die im Anschluß an die Logienquelle Q als Grundthema der Gerichtsbotschaft des Täufers herausgestellt wird. »Ganz Israel in seinem gegenwärtigen Bestand steht ausnahmslos unter Gottes Zorn« (). Während »der Verweis auf die Erwählungstraditionen . . . der genuin israelitisch-frühjüdische Weg [ist], um sich nach einem Fehlverhalten erneut der göttlichen Gnade zu vergewissern« (), schneidet der Täufer diesen Weg ab: er versperrt »die Flucht zu Abraham und den damit gesetzten Verheißungen Gottes« (). Die angekündigte Richtergestalt sieht B. einleuchtend im Zusammenhang mit der Menschensohnvorstellung (–). Entscheidend ist m. E. der Hinweis, es sei »nicht der unwichtigste Vorzug der Menschensohngestalt angesichts der heilsgeschichtlichen Bankrotterklärung des Täufers über Israel, daß sein Kommen nirgends in der jüdischen Literatur als Einlösung einer heilsgeschichtlichen Erwählungstradition Israels beschrieben wird« (). Weigert sich B. somit, den Weichzeichner für das Täuferbild anzuwenden, so auch bei Jesus. Er widerspricht dem »Trend der Zeit . . . , Jesu Gerichtsbotschaft zu entschärfen oder zu verdrängen« (). B. faßt die Übereinstimmung zwischen Jesus und dem Täufer zusammen. »Auch für Jesus ist Israel als ganzes dem Gericht verfallen. Diese hoffnungslose Auswegsloigkeit hat ihre Brisanz insbesondere darin, daß im Rückgriff auf die heilsgeschichtliche Erwählung Israels nichts mehr fruchtet. Nur eine neue Zuwendung Gottes kann noch Abhilfe schaffen. Sie besteht in einer letzten Selbstbindung Gottes zur Gnade gegenüber eigentlich Verlorenen. Das drohende Gericht steht unmittelbar vor der Tür. . . . Endlich tritt Jesus wie Johannes auch bei seiner Gerichtsbotschaft wie überhaupt als Prophet auf. Er ist von seinem Selbstverständnis her kein Apokalyptiker« (). Diese Thesen werden nicht nur unter ständigem Rückbezug auf die Jesusüberlieferung, sondern auch auf das Frühjudentum entfaltet. Als großer Vorzug dieses Buches ist zu werten, daß B. als ausgewiesener Judaist nicht einfach das Bild eines irgendwie gearteten common Judaism übernimmt, sondern die jeweiligen Sachverhalte an den Quellen prüft.
Auf diesem Hintergrund wird dann auch das der Verkündigung Jesu Eigene deutlich: Aufgrund des Angebots der Gottesherrschaft gibt es eine Heilschance (–): »Welche Gerichtsfolge jemanden erwartet, hängt davon ab, wie er sich jetzt zu Jesus stellt« (). Verständlich, daß Jesus »Reserve, Widerspruch und Ablehnung« trafen (). Die Haltung der Pharisäer zeichnet B. differenziert (f.), betont aber zu Recht: »Daß Jesus . . . ein Parteigänger der Pharisäer war, wird man . . . auf alle Fälle in die Schublade der neuzeitlichen Legendenbildung legen müssen« (). | »Die nahende Gottesherrschaft als gegenwärtiger Heilsbeginn für das verlorene Israel« (–) ist das Hauptthema in B.s Sicht. »Gott und seine Herrschaft, das ist Jesu Thema. Darum war Jesus kein neuer Toralehrer, der das Gesetz mit Hilfe des Liebesgebotes auf einen gültigen Nenner brachte; er war auch kein Weiser, der das israelitische Weisheitswissen neu verstand, und er war kein charismatischer Wunderrabbi wie Choni der Kreiszieher. Er lebte nicht eine bestimmte Humanität mit sozialer Komponente« (; vgl. ). Diese Absage an alle möglichen Trends wird eingehend und textnah begründet.
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Der entscheidende Aspekt ist nach B.: »Hatte niemand vor Jesus die Erwartung kommender Gottesherrschaft anders ausgelegt, als daß die Gegenwart auf sie noch zu warten habe, so erklärt Jesus seine Zeit zur Zeit der Heilswende selbst, weil die endzeitliche Gottesherrschaft sich nach ihm in ihr beginnt durchzusetzen« (). So legt B. den »Stürmerspruch« Mt ,f.//Lk , m. E. zutreffend aus: »Johannes gehört mit „Gesetz und Propheten“ zusammen in den Vorraum der Zukunft. Mit dem Ankommen der Gottesherrschaft ist diese Wartezeit . . . abgeschlossen und abgehoben von dem Neuen« (). Ein weiteres Charakteristikum der Basileia-Verkündigung Jesu ist, daß sie nicht heilsgeschichtlich ausgerichtet ist. Jesus hat vom Täufer »den damals ungewöhnlichen Standpunkt, daß Israel seine Heilsgeschichte aufgebraucht hat«, geerbt (). Gott nimmt sich »durch das Wirken Jesu aber dennoch Israels an, weil er als Schöpfer sich seiner Geschöpfe erbarmt« (). In den Gleichnissen Jesu wird die Nähe der Gottesherrschaft vermittelt (–). »Gleichnisrede wird bei ihm zu einer formativen Redeweise, die mit den Mahlgemeinschaften und den Wundern in schöner Gemeinsamkeit und in der Einheit von Handlungen, die durch das Wort erschlossen werden, oder vom angebotenen Wort als erzählter und in sich aufnehmender Handlung die nahende Gottesherrschaft als Heilswende vollzieht« (). Die bei Crossan u. a. vorgenommene Banalisierung der Mahlgemeinschaften korrigiert B.: »Die Gastmähler sind – ganz und ungeteilt – Ereignisse der ankommenden Gottesherrschaft selbst« (). Das ist alles eindrucksvoll und weithin überzeugend dargestellt; eine etwas andere Akzentsetzung könnte sich ergeben, wenn der in Mt ,f. par. und Mk , vorausgesetzte transzendente Charakter der Basileia (B. spricht nur von »Vollendung der Gottesherrschaft« []) berücksichtigt würde. Daß die Mahlgemeinschaften die Basileia »ganz und ungeteilt« vermitteln, geht m. E. auch zu weit. Hier wäre zur Korrektur auf die ausgezeichnete Studie von H. Weder, Gegenwart und Gottesherrschaft, BThS , , zu verweisen, die leider nicht zur Rezension vorgelegt wurde. Wichtig ist | aber die gemeinsame grundsätzliche Feststellung, daß Jesus die Basileia nicht nur zeichenhaft vorwegnimmt. Insofern wird man fragen dürfen, ob B. nicht hinter diesem Ergebnis zurückbleibt, wenn er Jesus als »heilsmittlerischen Endzeitpropheten« einstuft (–). Ungeteilte Zustimmung verdienen die Ausführungen über »Lebensverständnis und Lebensgestaltung angesichts der Gottesherrschaft« (–). Auch im Blick auf das Ethos Jesu ist »sein Verständnis der Gottesherrschaft als diejenige Größe anzusehen, von der her und auf die hin seine Gesamtverkündigung durchsichtig wird« (). Jesu Ethos ist »ein der sich ab jetzt durchsetzenden Gottesherrschaft entsprechendes Verhalten« (). Damit ist natürlich auch die Stellung Jesu zur Tora angesprochen (–), ein »Problemfeld mit einer fast nicht mehr steigerbaren Vielfalt der Sichtweisen und Einschätzungen« (). Was B. über die »strukturvollen Rahmenbedingungen« der Problematik ausführt (ff.), verdient höchste Beachtung. Als Ausgangspunkt gilt: »Das mit der Gottesherrschaft gesetzte Verständnis von Welt, Geschichte und Mensch gibt die Richtung an, wie auch mit der Tora umzugehen ist« (). Das Gesetz »ist nicht mehr letzte und allein maßgebliche Instanz für die Verbindlichkeit von Normen, die dem göttlichen Willen entsprechen. Im Range vor ihm steht die Gottesherrschaft als ei-
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gener Normenspender« (). In der konkreten Durchführung stellt B. dann – ähnlich wie auch Theißen/Merz – dar, »wie Jesus durchweg und überhaupt soziale Normen zupackend verschärft, sein Interesse an kultischen Normen jedoch in die genau entgegengesetzte Richtung zielt« (). Sabbatverstöße und Mißachtung der Reinheitstora erweisen sich als historisch.17
Zeichnet B. so, im kritischen Anschluß an die Jesusüberlieferung einen Mann, der sich in mancherlei Gegensatz zu seinen frommen Zeitgenossen befand, dann ist es nur konsequent, auch sein gewaltsames Ende damit in Zusammenhang zu bringen. Dankenswerterweise erspart B. seiner Leserschaft das trübe Bild einer herabgekommenen geistlichen und weltlichen Hierarchie, die aus Angst vor einem Rückgang ihres Profits prophylaktisch einen Mord beging. Der »Tempelkonflikt« fand nach B. nämlich nicht statt und das »Tempelwort gehört nicht zum Bestand der echten Jesustradition« (). Mag man über eine irgendwie geartete Tempelaktion Jesu noch streiten können, so ist der Nachweis der nichtjesuanischen Herkunft von Mk , und , überzeugend (–). Damit »ist der Weg frei zu fragen, ob nicht Jesu Gesamtbeurteilung der tiefere Anlaß war, sich seiner zu entledigen« (). B. erwägt, die Bestimmungen über falsche Propheten (Dt ; ) könnten »als Gesamturteil« auf Jesus angewandt worden sein (f.). Somit liegt ein ernsthafter Sachverhalt dem Vorgehen des Synhedriums zugrunde. »Knechte des Hohenpriesters setzten Jesus gefangen und brachten ihn ins Haus des Kaiaphas. Dort fand eine Vorbereitung für die Anklage vor | Pilatus statt. . . . Am nächsten Morgen früh . . . klagen die Hohenpriester . . . Jesus vor Pilatus an« (). »Seiner müssen sie sich bedienen, weil sie keine Halsgerichtsbarkeit besitzen. Also müssen die jüdischen Ankläger sich eine Anklage überlegt haben, die vor Pilatus Bestand haben konnte . . . « (). Es war wohl das Stichwort »Gottesherrschaft«, dem antirömische Implikationen unterlegt wurden (f.); das läßt die Kreuzesinschrift erschließen, deren Historizität B. verteidigt (f.). Die Aufgabe, die B. dem Historiker stellt, er solle »das differenzierte korrelative Geflecht, die kontingenten Entscheide und die möglichen Motive des Handelns namhaft machen« (), hat er nicht nur für die Passionsgeschichte uneingeschränkt erfüllt. In dem mir anvertrauten Berichtszeitraum ist B.s Buch das beste. Das zweibändige Werk von P G ist wieder ein Grenzfall zwischen Information und Erbauung. Gewisse apologetische Tendenzen gegenüber der Infragestellung der Historizität Jesu, ja auch gegenüber der allzu strengen historischen Kritik sind bemerkbar. Er charakterisiert beiläufig zwei frühere Werke mit den Worten: »Le but même de ces volumes n’est pas de faire avancer la recherche critique sur les Evangiles, mais d’en utiliser les résultats pour proposer une lecture à deux niveaux conjoints, celui de l’étude historique au sens moderne du mot, et celui de la comprehension dans la foi« (II, Anm. ). Das gilt auch für diese Bände. So folgt G. zwar der synoptischen Linie, fügt aber ständig johanneische Stücke ein. Im Blick auf die Passionsgeschichte erwägt er, die Synoptiker könnten »un montage artificiel« darstellen 17 Im Blick auf Mk , stellt die Auslegung S. eine deutliche Abschwächung gegenüber der in FS Conzelmann S. gegebenen dar.
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(), während in Wirklichkeit sich die Ereignisse gemäß Johannes an mehreren Wallfahrtsfesten abgespielt haben könnten. Aber er läßt das mit der etwas boshaften Bemerkung offen: »Il est impossible d’en décider, pour faire plaisir aux esprits pointilleux qui suivent l’histoire de Jésus avec une mentalité de reporters journalistiques« (). So gibt G. oft sehr detaillierte synoptische Vergleiche, läßt aber den Eindruck entstehen, die unterschiedlichen Darstellungen paßten schon zusammen. Die unterschiedlichen Akklamationen beim Einzug in Jerusalem z. B. haben nach G. alle denselben Sinn; aber »comment reproduire la littéralité des acclamations dans le brouhaha d’une foule?« (). Da die Begründungen für seine Harmonistik – falls überhaupt solche gegeben werden – auf dieser Ebene liegen, halte ich ein weitergehendes Referat in diesem Zusammenhang für entbehrlich.18 |
H F hat schon ein Taschenbuch »Jesus – Anspruch und Deutungen« vorgelegt, das auf streng historisch-kritischer Grundlage beruhte; inzwischen hat er, »verstärkt vom jüdisch-christlichen Gespräch geprägt« (), eine veränderte Perspektive eingenommen: Das vorliegende Büchlein (Der Jude Jesus und die Ursprünge des Christentums, ) soll als »Schritt zu einem besseren Verstehen des Judentums, noch mehr des Judentums im Christentum sein. Das Judentum ist die bleibende Wurzel«. »Christen aller Konfessionen an der Basis haben dies wahrzunehmen« (). Dieser kategorische Imperativ beruht auf neueren Forschungen zum Frühjudentum, die nach F. zeigen, »dass es „das Judentum“ zur Zeit Jesu und des Paulus nicht gab, da dies faktisch aus miteinander konkurrierenden „Judentümern“ bestand« (). Alle diese Richtungen »verstanden sich und wurden innerjüdisch noch als mögliche Denkmodelle im Judentum akzeptiert« (). Wer QS, QMMT oder Gal gelesen hat, wird dieses harmonische Bild freilich nicht ganz akzeptieren können. Im Blick auf die »religionsgeschichtliche und sprachliche Offenheit sowie die Lust zum Aktualisieren im frühen Judentum, . . . dürfte Jesus kaum . . . die Vorstellungen des damaligen Judentums „sprengen“, weil er etwas absolut „Neues“ bringt. Dies gilt nicht einmal für die so genannten „Antithesen“ in Mt ,– . . . , da die Wendung „aber ich sage euch“ durchaus bei Rabbinen mehrfach belegt ist, da ebenso auch die Antithese als rhetorische Sprache im Judentum wohl bekannt war« (). Und hier beginnt die Desinformation der fachunkundigen Leserschaft: Das Stilmittel Antithese besagt natürlich gar nichts, und das rabbinische »aber ich sage« ist lediglich Einleitung eines Widerspruchs gegen die Exegese eines Kollegen, nie aber zur Tora! Ähnlich problematisch ist die Ableitung des jesuanischen »Abba« von »Choni dem Kreiszieher, der als Beter und Wundertäter ca. – ca. v. Chr in Obergaliläa gewirkt hat« (). Nach der ältesten und am wenigsten legendarisch übermalten Tradition bei Josephus gehört Choni nach Jerusalem/Judäa, in der babylonischen Gemara ist keine Gebetsanrede Gottes mit Abba überliefert. Aber: Kann man aus der in Babylonien im frühen Mittelalter kodifizierten Überlieferung wirklich auf einen Wundermann des . vorchristlichen Jh.s schließen? Drei Seiten wei-
18 Das gilt in höherem Maß von dem Buch des Journalisten J. D (Jesus – Was für ein Mensch, ). Es basiert zwar auf der frankophonen Exegese der er Jahre, ist aber durch seine sehr saloppe Darstellung oft problematisch. Dazu kommen sehr viele Schnitzer, die ein halbwegs gebildetes Lektorat nicht hätte durchgehen lassen dürfen: Da treten der »römische Kaiser Pompejus« () und der römische »Kaiser Donatian« () auf; der Täufer heißt »Johannes oder Yohanon oder Yokanaon« (), die Stelle Lk , wird mit »Johannes ,« zitiert (, Anm. ) u. a. m.
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ter verbietet F. das, sofern es der »Suche nach originalen Zügen« Jesu dient (). Wieso wird mit zweierlei Maß gemessen? Bestimmt das gewünschte Ergebnis die Methode? Diese Frage wird noch drängender bei F.s Stellung zum Unableitbarkeitskriterium: »Gemäß dem soziologischen Gesetz, wonach es Identität nur durch Abgrenzung gibt, erscheint mir dieses Kriterium zunächst durchaus als überzeugend, in der konkreten Durchführung war es allerdings eher kontraproduktiv, da „Abgrenzung“ . . . allzu leicht mit einer negativen Qualifizierung anderer religiöser Gruppen und Personen einherging« (; fast wörtlich wiederholt ). Also: abusus tollit usum? Und ist es wirklich berechtigt, den Generalverdacht gegen die urchristliche Überlieferung zu erheben: »Die Opponenten Jesu werden verzeichnet oder sogar karikiert« (). Daß die in den Evangelien überlieferten Streitgespräche »mehr die Probleme der christlichen Gemeinden am Ende des . Jh. widerspiegeln als Probleme des irdischen Jesus« (), trifft auch nicht zu. Wann wäre außer- | halb Palästinas die Tischgemeinschaft mit Zöllnern, das Ährenraufen am Sabbat oder das Fasten ein Problem gewesen? Nachdem so alle kritischen Texte aus der Überlieferung herauskatapultiert wurden, kann ein zeitgemäßer Jesus präsentiert werden. Unter der Überschrift »Jesus als galiläischer Jude« (f.) werden zunächst die galiläischen Wundermänner Choni und Co. als »wichtig« für die »religiöse Mentalität Jesu« genannt; sie hätten den Willen Gottes aktualisiert und zwar wie Jesus »aus unmittelbarer Autorität und in Souveränität« (), was nur bei völlig unkritischer Benutzung der talmudischen Überlieferung gesagt werden kann. Davon wird im Zusammenhang mit Veröffentlichungen von G. Vermes noch zu reden sein. Weiter behauptet F., aus der Kontextualität Jesu gehe hervor, Jesus sei »nicht nur prophetischer (und apokalyptischer?) Offenbarungstheologe, sondern auch argumentierender Weisheitstheologe« gewesen (), und schließlich war Jesus als galiläischer Jude »auch – was viel zu wenig beachtet wird – Toratheologe« (). Wieso dies alles aus der galiläischen Herkunft Jesu abzuleiten ist, wird nicht erklärt. Leider gehört das zum Stil des Buches, daß schwierige Sachverhalte durch derartige peremptorische Edikte beseitigt werden. So wird der Abschnitt »Jesus als prophetischer Tora-Deuter« (–) eingeleitet mit den Worten: »Zunächst ist daran zu erinnern, dass die Tora im Sinne der späteren fünf Bücher Mose die zeitliche, literarische und normative Vorrangstellung für alle jüdischen Gruppen und die gesamte jüdische Theologie inne hatte« (). Nach solcher »Erinnerung« überrascht es nicht, daß Jesus »zu einem tora- und basileia-gemäßen Verhalten« aufgefordert haben soll. »Maßstab für dieses Verhalten ist die bleibende Gültigkeit der Tora (vgl. Lk ,)« (). Aus dem Konsens der Third Quest schert F. aus durch die klare Ablehnung der apokalyptischen Jesusdeutung (–). F. beruft sich u. a. auf die schon genannte Studie von H. Weder, die ihrerseits an meinen Aufsatz anknüpft, so daß ich dem nur zustimmen kann.19 Befremdlich ist allerdings wieder, daß F. diese These nicht aus der Jesusüberlieferung gewinnt, sondern anhand der »allen jüdischen Gruppen seiner Zeit vorgegebenen theologischen Parameter, die anerkanntermaßen in der Tora (= Bücher Mose) und deren Aktualisierung durch den Propheten Jesaja und durch die Psalmen allen Gemeinden vorlagen. Daneben ist an die theologischen Konzepte in liturgischen Gebeten zu erinnern, von der die obergaliläische Lebenswelt Jesu geprägt war« (). Mithin geht Jesus nach F. von dem bereits vorexilischen Bekenntnis »Jahwe ist König« aus, das von den Propheten der exilisch-nachexilischen Zeit ins UniversalEschatologische gewendet worden war (). Zu Recht stellt F. zwar fest: »Auffällig für Jesus Leider muß ich auch über das Büchlein des irischen Dominikaners W. P. H (The Jesus Story) negativ urteilen. Er gibt die vier Evangelien als Ich-Erzählung Jesu wieder, abgesehen von den Geburts- und Grabesgeschichten. Das ist manchmal geschmacklos und immer wissenschaftlich wertlos. 19 H. Merkel, Die Gottesherrschaft in der Verkündigung Jesu, in: M. Hengel/A. M. Schwemer (Hgg.), Königsherrschaft Gottes und himmlischer Kult (WUNT ), Tübingen , –. [In diesem Band oben S. –.]
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von Nazaret ist . . . , dass der Zion und der Kult im Kontext seiner Verkündigung von der Gottesherrschaft fehlen« (), aber er zieht daraus leider keine Konsequenzen. In einer gewissen Spannung zum Biblizismus Jesu steht die von F. hervorgehobene »Offenbarungsgewißheit Jesu« (–), die aus dem sehr umstrittenen Q-Logion Lk ,f. (F. schreibt fälschlich ,–) abgeleitet wird. Aber es bleibt unklar, worin diese Offenbarung bestanden haben soll. Wenn es »die Behauptung von der präsentisch erfahrbaren Wirksamkeit und Durchsetzung der Gottesherrschaft im Hier und Jetzt« () sein sollte, dann bedurfte es nicht des Schriftstudiums. Die weisheitliche Theologie, die F. stark betont (–), kann es auch nicht gewesen sein; denn was F. da als »Verkündigung« Jesu anführt (vgl. ), ist doch recht banal. Oder sollten die | Obergaliläer noch nicht bemerkt haben, daß ein Blinder sich nicht zum Blindenführer eignet, daß man vom Dornbusch keine Trauben ernten kann und daß bei einer Bauernhochzeit nicht gefastet werden soll? Der Rekurs auf Jesu Herkunft »aus dem von solchen weisheitlichen Sentenzen geprägten Milieu der Kleinbauern und Handwerker aus Obergaliläa« () verdeckt m. E. den entscheidenden Sachverhalt, daß diese Sentenzen von Jesus polemisch oder paränetisch verwendet worden sind, sie sind nicht Inhalt der Verkündigung. Das Kapitel »Jesu Verkündigung im Tun« (–) stellt zu Recht die »implizite Christologie« der Wundergeschichten fest (), stellt verharmlosend fest, die Akzeptanz von Frauen als Nachfolgerinnen »dürfte . . . Erstaunen erregt haben« (), hebt zu Recht die Symbolhaftigkeit der Mahlgemeinschaften Jesu mit Zöllnern und anderen Sündern () hervor und unterstreicht die »prophetische Offenheit Jesu von Nazareth für Nichtjuden in Rezeption geschichtstheologischer Erzählungen von Noah und Abraham« (). Das letzte Mahl Jesu ist eher nach Johannes zu datieren (); zum Verständnis desselben äußert F.: »Jesus hat in einer doppelten symbolischen Handlung mit Brot und Wein die Gewissheit seines Sterbens mit Hilfe von biblischen und frühjüdischen Modellen deuten können, ohne dass wir wissen, in welcher Weise er es getan hat« ().
Daß ein so harmlos gezeichneter Jesus gewaltsam endet, kann natürlich nur im Zusammenhang mit der Tempelaktion und der Tempelkritik zu verstehen sein. Diese Tempelkritik erscheint allerdings zwiespältig. Die Tempelaktion verwirft den Kult »nicht rundum«, sondern soll seine »theologische und soziale Funktion gemäß seinem Gottesbild« erneuern (). Andererseits beurteilt F. Lk , Q und Mk , par. als »radikalkritische Tempelworte« () und sieht in Mk , ein »die theologische Existenz des Tempels überhaupt in Frage stellende[s]« Wort (). Die Sadduzäer und die Hohenpriester erhoben deshalb Anklage vor dem Synhedrion und faßten »einen formalen Beschluss zur Auslieferung an die römische Behörde« (); Pilatus sprach aus politischen Gründen das Todesurteil. Daß der Rez. diese Sicht nicht für ausreichend hält, ist schon oben gesagt worden. Angesichts des so wenig Eigenes bietenden Jesusbildes hält F. es für nötig, über »Innerjüdische Aspekte der Ursachen der späteren Trennung von Judentum und Christentum« nachzudenken (–). Seine These: »Die doppelte sprachliche Gestalt der heiligen Schriften Israels in Hebräisch . . . und in Griechisch waren den frühen JesusAnhängern nicht nur sprachlich und theologisch vorgegeben, sondern waren letztlich auch der wirkungsmächtigste Faktor für das Herauswachsen der Jesus-Bewegung aus dem pharisäischen Judentum bei bleibender Verwurzelung im griechischsprachigen Judentum« (). Hier wird m. E. ein Aspekt über Gebühr strapaziert – da hat Josef Klausner besser gesehen! Aber das ist hier nicht zu verhandeln.
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Das letzte Kapitel »Die Einzigkeit Gottes und der geschichtliche Jesus« (–) könnte mit seinen – sehr flüchtigen – Hinweisen auf den »inkarna- | torischen Charakter« des jüdischen Denkens, wenn diese Linien besser ausgezogen würden, zu einer Revision des . Postulates von Mendelssohn führen!20 Auch das ist hier nicht zu verhandeln. F. stellt fest: »Das christliche Bekenntnis, dass sich Gott in Jesus von Nazaret geoffenbart hat, ist somit nicht prinzipiell unjüdisch. Dennoch kann die Einbeziehung des geschichtlichen Jesus in die Selbstoffenbarung Gottes von jüdischer Seite selbstverständlich nicht akzeptiert werden« (). Wozu also die Mühe? Nicht ohne Betroffenheit kann ich die beiden letzten Sätze F.s zitieren: »Vor allem gilt es, entsprechend den Weisungen Gottes in der Deutung Jesu zu leben (nicht nur den Juden gegenüber). Das entscheidet über unser Heil bzw. Unheil« (). Das bleibt von einem Jesus übrig, dessen Gottesverkündigung ausgeblendet wird. Der Tokioter Neutestamentler T O hat ein Jesusbuch vorgelegt, das auf historisch-kritischer Grundlage beruht, der Third Quest einen gewissen Tribut zollt, interessante Einblicke in die rege japanische Jesusforschung vermittelt und ein eigenständiges Profil zeigt. Die Verbindung zur Third Quest liegt primär in der alleinigen Geltung des Differenzkriteriums zum Christentum (). Allerdings unterläuft O. dieses Kriterium gelegentlich dadurch, daß er mögliche christologische Aussagen umdeutet, z. B. bei Mt ,–. Da die Verbformen im V. entweder intransitiv oder passivisch gebraucht seien, rücke »nicht das Subjekt des Aktes, sondern das Ereignis als solches in den Brennpunkt . . . Auf diese Weise verschiebt der Sprecher dieses Wortes nur die Pointe der Frage . . . Er will sagen: Die Frage ist nicht, was und wer ich bin. Es liegt vielmehr daran, was ihr jetzt mit eigenen Augen seht« (). Daß der Abschnitt »gar kein christologisches Interesse« zeigt, überzeugt nicht; die jesuanische Herkunft ist trotzdem sicher. Ebenso deutet O. auch Lk ,f.//Mt ,f. um – überflüssigerweise. Jesus nimmt seinen Ausgang beim Täufer; dieser »hat die Eschatologie der Apokalyptik als Grundachse gewählt. Er hat dem in der Abraham- und Exodustradition gründenden Bewusstsein seiner Volksgenossen, des „Gottesvolk“ zu sein, eine radikale Ungültigkeitserklärung gegenübergestellt« (). Jesus hat sich zwar »relativ bald . . . von seinem Lehrer Johannes emanzipiert« (), aber »das Erbe des Johannes [ist] in den Worten und Taten Jesu weiter lebendig geblieben« (f.). O. sieht dieses Erbe a) im Fehlen der Exodustraditon, b) in der Betonung der Vertikalachse (Himmel-Erde-unterirdische Welt) und c) im Selbstverständis Jesu als eines »Missionspropheten« () wie Johannes. Das Neue bei Jesus ist die Verkündigung der | Gottesherrschaft. Dahinter steht eine visionäre Berufungserfahrung, die Lk , ausspricht. So »hat das Wirken des historischen Jesus als Prophet mit einer mythologisch-protologischen Vision begonnen« (). Aufgrund dieser Vision hat Jesus ein »Bildernetzwerk« geknüpft, dessen »Wurzelmetaphern« das »himmlische Festmahl« und der »Abba-Vater« sind. Zur ersten Wurzelmetapher gehört Mt ,f.//Lk ,f. »Nach der Austreibung des Satans hat die universelle Herrschaft Gottes im Himmel bereits mit einem Festmahl begonnen« (). Die 20
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Patriarchen liegen jetzt schon zu Tisch, sind also bereits auferstanden. Dasselbe ergibt Lk ,– . Lazarus ist im Schoß Abrahams beim himmlischen Festmahl, also ist seine Auferweckung vom Tod »logisch vorausgesetzt« (); ebenso soll in Mk ,f. die Auferstehung von Abraham, Isaak und Jakob vorausgesetzt sein (), was nicht einleuchtet. Auch die Behauptung, die Formulierung »Tote werden aufgeweckt« in Mt , stamme aus Jes , ist mir fraglich; denn bei Jes heißt es »wer in der Erde liegt, wird erwachen«, die synopt. Totenerweckungen fanden aber vor der Beerdigung statt. Das Resumé O.s, es ergebe sich, »dass Jesus der Ansicht war, dass die Auferweckung der Toten gerade in seiner Gegenwart im Gang ist« (), greift erheblich zu weit. Dies scheint mir ebenso eine Folge der Überbewertung von Lk , zu sein wie die weitere These: »Nach der Vision vom Satanssturz erscheinen Himmel und Erde in einem völlig neuen Licht« (). »Man könnte von einer „Aufhellung des Kosmos“ bei Jesus sprechen« (). Als Beleg wird Lk ,– par. herangezogen. Richtig ist die Folgerung: »Den Augen Jesu erscheinen die Vögel des Himmels und die Blumen auf dem Feld als Mitgeschöpfe des Menschen. Sie offenbaren die Grundrealität des Lebens als Geschenk« (). Aber problematisch ist die Fortsetzung: »Außerdem gibt es in diesem Weltbild, das Tiere, Pflanzen und Menschen als Geschöpfe Gottes sieht, das Böse nicht«. Erstens weiß Jesus, daß das Gras bald in den Ofen wandert, er weiß auch, daß Spatzen immer noch vom Himmel fallen (Mt ,), und als Dorfbewohner wird er auch gewußt haben, daß Raben vor Katzen Angst haben. Aus Mt ,f. schließt O., Jesus habe »erst mit dem Gedanken der Metamorphose der Natur „Gott als den Vater“ gefunden« (). Im Blick auf die Ableitbarkeitsproblematik ist die Feststellung zu beachten: »Auch dem Judentum zur Zeit Jesu wird wohl der Gedanke von „Gott dem Vater“ bekannt gewesen sein, aber charakteristisch waren dabei weder Liebe noch Nähe Gottes zu den „Söhnen“, sondern seine patriarchalische Autorität und Ferne« (). »Wir gehen wohl nicht in der Annahme fehl, dass auch diese Wurzelmetapher in einer realen Erfahrung Jesu verwurzelt ist, obwohl wir freilich von seinem Vatererlebnis fast nichts wissen« (). Ich weiß darüber leider gar nichts. Nach dem Absturz des Satans aus dem Himmel legt sich die Frage nahe: »Wohin mit dem Satan?« (). In Mt , spricht Jesus nach O. vom »Konflikt zwischen dem Reich Gottes und den Mächten des Satans« (). Die Heilungen und Exorzismen Jesu waren »nichts anderes als ein Kampf mit dem Satan, der auf der Erde den letzten verzweifelten Widerstand gegen das „Reich Gottes“ versucht« (). Dagegen möchte der Rez. fragen: Waren nicht die paar Wunder am Nordwestufer des Sees Genezareth ein recht verzweifelter Widerstand gegen den Satan? Für das »Weben des Bildernetzes« () ist Mk , der Ausgangspunkt. Wesentlich für O. ist, daß da καιρός »Zeitpunkt«, nicht χρόνος »Zeitdauer« steht (); er übernimmt von Theißen/Merz die Übersetzung »die Gegenwart ist erfüllte Zeit«. Ob diese aus der Lexikographie des klassischen Griechisch begründbare Aussage auch im | Aramäischen, der Sprache Jesu, darstellbar war, überlegt O. leider nicht. Daß Jesus ein besonderes »Zeitbewußtsein« hatte, soll damit nicht bestritten werden; zur Begründung würde m. E. genügen, was O. über Mt ,b (–) und Mk ,a () schreibt; Mk , ist m. E. besser als katechetisches Summarium verstehbar. Die Wurzelmetapher »Abba-Vater« bespricht O. mit Hilfe von Lk ,–, Mt ,–; ,– (–). Jesus hat zwar das Heil schöpfungstheologisch verstanden, aber seine Verkündigung »primär auf das Gebiet des traditionellen „Gottesvolkes Israel“ beschränkt (vgl. Mt ,– )« (). Die Begründung O.s ist m. E. sehr unklar, und wird auch später (–) nicht klarer; da argumentiert er – wie viele vor ihm – mit dem Zwölferkreis. Realistischer urteilt er später: »Diese Beschränkung auf Palästina scheint eine bewusste Strategie Jesu gewesen zu sein. Er war sich durchaus dessen bewusst, dass er innerhalb der kurzen Zeit, die ihm vor dem Ende verblieb, in eigener Person nur innerhalb eines sehr beschränkten Raums wandern und verkündigen können würde. Von daher betrachtet scheint uns mehr als wahrscheinlich, dass das . . . Wort Jesu: „Geht nicht zu den Heiden und betretet keine Stadt der Samariter, sondern geht
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II. Gesamtdarstellungen
zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel“ (Mt ,–) auf den historischen Jesus selbst zurückgeht. Allerdings wurde diese strategische Aussage Jesu leider innerhalb der nachösterlichen Urgemeinde dahingehend missverstanden, Jesus habe die Heiden als solche negativ bewertet« (). Unter dem Stichwort »Wanderradikalismus« (–) wird die Q-Fassung der Aussendungsrede als historisch verteidigt: »Denn die wandernden Jünger . . . sind angewiesen, nicht Jesus selbst, sondern das Gottesreich zu verkündigen« (). Das ist O.s Kriterium; ob es ausreicht, ist mir sehr fraglich. Es sei – auch im Blick auf die Wertung bei anderen Third Questers – auf die gründliche Analyse der Aussendungstraditionen durch J. Schröter21 verwiesen, der die Historizität zu Recht sehr skeptisch beurteilt. O. hebt die Motive des jesuanischen Radikalismus deutlich von der kynischen Lebensweise ab (f.). Beachtenswert ist auch die trendwidrige Feststellung, daß Jesus in seinem hauptsächlichen Wirkungsgebiet am Nordufer des Sees Genezareth nur »wenige Einzelne« als Nachfolger gewann, und insgesamt »war die Verkündigung Jesu wohl auch außerhalb seiner Heimat wenig erfolgreich« (). O. stellt »Gemeinsames Essen mit den Diskriminierten« (–) treffend als charakteristisch für Jesus heraus und deutet das – gegen Crossan – als »prophetisch-symbolische Handlung« (). Das Logion Mk , wird in seiner ganzen Tragweite wahrgenommen: »Die Erklärung Jesu ist derart radikal, dass die ganze Reinheitsordnung des Judentums, ja mehr noch: dessen Verhältnis zum Gesetz, von Grund auf umgestürzt wird« (; vgl. ).
Für das Jesusbild O.s ist der Kampf mit dem Satan wichtig: »Jedes Mal wenn Jesus einen Besessenen von seinen Dämonen befreit, verwirklicht und erweitert sich das Reich Gottes, das schon im Himmel angefangen hat, auch auf Erden. Dies bedeutet nichts anderes als Kampf mit dem Satan . . . « (). Die richtige Feststellung, »die Heilmittel Jesu« seien »mit denen der damali- | gen Volksmedizin identisch« () scheint mir zu dieser Auffassung in Spannung zu stehen. Und die starke Mythologisierung der Heilungstätigkeit Jesu steht auch in Spannung zu der an Mk ,– entwickelten »entmythologisierten« Auffassung, »dass es für den Erzähler der vorliegenden Geschichte . . . gleichgültig ist, ob die Krankheit tatsächlich geheilt worden ist. Die zentrale Botschaft . . . war vielmehr seine Erfahrung, dass Jesus einen Aussätzigen ohne jeden Vorbehalt angenommen hatte und ihm auftrug, wieder ins normale gesellschaftliche Leben zurückzukehren. Das . . . war ein Wunder!« (). Dies ist ein nachdenkenswerter Ansatz. Im »gelebten Bildernetzwerk« Jesu spielt neben der schon erwähnten Reinheitsproblematik auch die Haltung gegenüber den Sabbatgeboten eine Rolle (–). O. kommt zu dem wohl begründeten Urteil, »dass die Heilung durch Jesus am Sabbat eine Übertretung des Gebotes im doppelten Sinn bedeutet. Offensichtlich handelt es sich um eine demonstrative und symbolische Handlung. . . . Die Schöpfungstheologie Jesu geht über die vorgegebene Ordnung des mosaischen Gesetzes weit hinaus« (). Aus den »Antithesen« der Bergpredigt leitet O. eine jesuanische »Verantwortungsethik« ab (–). Das jesuanische »Ich sage euch« meint: »Ich bin gesandt, um das Reich Gottes zu verkündigen. Ich will jedoch deswegen nicht meine Worte und Taten im Namen Gottes rechtfertigen. Ich rede und handle aus eigener Überzeugung und Verantwortung« (–).
21 J. Schröter: Erinnerung an Jesu Worte. Studien zur Rezeption der Logien-Überlieferung in Markus, Q und Thomas, WMANT , Neukirchen-Vluyn . Schon J. Wellhausen bezweifelte die Hi-
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Im Abschnitt »Sexualität, Frauen und Kinder« (–) verweigert sich O. der Tendenz des Third Quest, auf Grund sehr schwacher Indizien die Position Jesu für ableitbar zu erklären, sondern betont, »wie weit Wort und Tat Jesu von den Normen des zeitgenössischen Judentums abwichen« (). Man hätte sich freilich eine explizite Auseinandersetzung mit dieser Tendenz gewünscht.
Ein relativ ausführliches Kapitel behandelt »Die letzten Tage – Steigerung und Zerreißen des Bildernetzwerkes« (–). »Die Verkündigung Jesu in Galiläa hat zwar einige Sympathisanten, aber im Großen und Ganzen keinen großen Erfolg gehabt. Das zeigt sein Gerichtswort über Chorazin, Betsaida und Kafarnaum . . . Danach wechselt der Schauplatz nach Jerusalem, wo Jesus sein Lebensende findet. Dazwischen muss Jesus die Entscheidung getroffen haben, nach Jerusalem hinaufzuziehen« (). Den Bericht darüber findet O. in Mk ,–.b–. Selbst wenn man dieses Rekonstrukt akzeptiert, fällt es schwer, die Zurechtweisung des Petrus damit zu begründen, »dass er Jesus abraten wollte, nach Jerusalem hinaufzuziehen« (). Text und Kontext lassen das nicht erkennen. S. M. n. zog Jesus »deshalb nach Jerusalem hinauf, weil das Paschafest für ihn die allerbeste Chance bot, seine eigene Botschaft vom „Reich Gottes“ . . . möglichst vielen Leuten bekannt zu machen. Wir haben es hier wohl mit einer sehr strategisch überlegten Zeitwahl zu tun« (). Zugleich wollte Jesus der Erwartung der »Völkerwallfahrt zum Zion« eine Absage erteilen. Nach O. war »Jesu Hinaufziehen nach Jerusalem eine Art Demonstrationszug« (). Der Esel war nach Sach | , »einerseits eine „Gegendemonstration“ gegen die römische Armee«, andererseits »eine Gegendemonstration gegen die politisch-messianischen Bewegungen« (). Ob damit diese Überlieferung nicht überfrachtet wird? Letztlich stellt O. zutreffend fest, daß das »Wirken Jesu in Jerusalem . . . genauso wie das Wirken in Galiläa fast keinen Erfolg gehabt zu haben« scheint (). Die sog. Tempelreinigung wird von O. zur »Tempelblasphemie« gesteigert; sie war »nicht nur gegen die Machthaber . . . , gegen den dadurch getragenen Kult und gegen den ungerechten Gewinn der Händler, sondern . . . zugleich gegen die auf den Tempel zentrierte Gesellschaftsorganisation gerichtet« (). Die Weissagung der Tempelzerstörung in Mk ,* war mit der Ansage eines Neubaus nach drei Tagen verbunden. Aber das letzte Mahl fand (nach der markinischen Chronologie!) am vierten Tag nach seiner Ankündigung statt. »Es legt sich nahe, dass in der Seelenlage Jesu eine gewisse Veränderung zustandekommt« (f.). Das »Urgestein« der Überlieferung von diesem Mahl ist Mk ,. »Offensichtlich ahnte Jesus schon beim letzten Abendmahl unmittelbar vor seiner Hinrichtung die drohende Todeskrise, glaubte dennoch . . . , dass das Reich Gottes bald „in (seiner ganzen) Macht“ kommt, obwohl sich seine öffentliche Erklärung „in drei Tagen“ nicht mehr bewahrheiten konnte. Das Bildernetzwerk Jesu über das Reich Gottes beginnt jetzt zu schwanken und bewegt sich auf das letzte Zerreißen am Kreuz hin« (). Die Gethsemane-Überlieferung zeigt dieses Schwanken noch deutlicher (–). Jesus »hat sich . . . nicht vor dem storizität und bemerkte: »In Wahrheit hat Jesus keine Übungsreisen mit seinem Seminar veranstaltet« (Das Evangelium Marci übersetzt und erklärt, Berlin , ).
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II. Gesamtdarstellungen
Tod als solchem gefürchtet, sondern davor, dass kein Sinn seines drohenden Todes ersichtlich wurde« (). Vom jüdischen Vorgehen gegen Jesus hält O. nur Mk ,–. + a für historisch. Hier wie auch vor Pilatus schweigt Jesus (). »Das tiefe Schweigen Jesu lässt sich . . . verstehen als eine noch größere Unsicherheit Jesu« (). Am Kreuz stirbt Jesus mit einem lauten Schrei. Dieser »letzte Todesschrei Jesu war . . . eine Frage an Gott unter buchstäblichem Einsatz des Lebens: „Warum muss ich auf so eine grausame Weise getötet werden, ohne das Kommen des Gottesreiches zu sehen?“, „Was war ich?“, „Wozu diente mein ganzes Wirken?“« Fazit: »Das ganze Leben Jesu . . . hat mit einer unbeantworteten Frage geendet« (). Diese psychologisierende Sicht hängt an mehreren nicht unproblematischen Vorgaben: an einer vernünftigen Rekonstruktion des Tempelwortes Mk , – die Berufung auf die »Mehrheitsansicht der Forschung«, Joh , sei die ältere Form des Wortes, genügt mir nicht (gegen ) –, an seiner Zentralstellung im Prozeß – literarkritisch könnte man durchaus dafür plädieren, in Mk ,– einen Einschub in einem ursprünglicheren Zusammenhang zu sehen –, an der Interpretation des Schweigens Jesu – wird es nicht vielleicht | deswegen eingeführt, weil man über den Inhalt der Verhöre nichts wußte? –, und schließlich an der Interpretation des wortlosen letzten Schreis. Alles, was sich nach dem Todesschrei Jesu ereignete, ist für O. »ein hermeneutisches Ereignis«, hat also mit der historia Jesu nichts mehr zu tun (–) und gehört daher nicht mehr in diesen Bericht. Das gilt auch für das letzte Kapitel (–). O. geht davon aus, daß Jesus die durch und durch mythologische Seh- und Denkweise eines antiken Menschen hatte. »Der letzte Schrei am Kreuz beweist, dass kein Mensch einen Mythos real leben kann« (). Daher fordert O., »eine neue Entmythologisierung«, worüber insbesondere die Systematik zu diskutieren hat.
Insgesamt halte ich das Buch von Onuki für einen sehr anregenden Entwurf, der sorgfältige Beachtung verdient.
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach (Teil III) III. Die Verkündigung Jesu M J. B, Jesus – A New Vision. SPCK, London , S. – I B, (Hg.), Jesus und das jüdische Gesetz. W. Kohlhammer, Stuttgart/Berlin/Köln , S. – S M. B, Jesus and Israel’s Traditions of Judgement and Restoration (SNTS.MS ). Cambridge University Press, Cambridge , XV + S. – E C, Salvation for the righteous revealed (AGAJU ). E. J. Brill, Leiden/Boston , XVII + S. – G D, Studien zur Theologie der Jesustradition (SBAB ). Katholisches Bibelwerk, Stuttgart , S. – R A. H, Jesus and the spiral of violence. Augsburg Fortress, Minneapolis , XII + S. – R. D K, Jesus the Prophet. His vision of the Kingdom on Earth. Westminster/John Knox Press, Louisville, Kentucky , XI + S. – T K, Jesus and Purity Halakah. Was Jesus Indifferent to Impurity? Almquist & Wiksell, Stockholm , S. – J L, Jesus und das Land. Das Gelobte Land in der Verkündigung Jesu. Åbo Akademis fˇorlag, Åbo , S. – E L, Jesus and ›this Generation‹. A New Testament Study (CB.NT ). Almqvist & Wiksell International, Stockholm , S. – R A. M, Studies in the Life and Ministry of the Historical Jesus. University Press of America, Lanham, Maryland , S. – W E. P, The Wisdom and Wit of Rabbi Jesus. Westminster/John Knox Press, Louisville, Kentucky , S. – J L. R, Archaeology and the Galilean Jesus. A Re-examination of the Evidence. Trinity Press International, Harrisburg, Pennsylvania , XIII + S. – M R, Die Gerichtspredigt Jesu. Eine Untersuchung zur eschatologischen Verkündigung Jesu und ihrem frühjüdischen Hintergrund (NTA N.F. ). Aschendorff, Münster , VIII + S. – C R, Die Gerichtsverkündigung Jesu (EHS XXIII, ). Verlag P. Lang, Bern usw. , S. – L S/I B/R H/P F/D Z/J N/L O/H G/H O Z, Jesus von Nazareth – Spuren und Konturen. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart , S. – W S/B J. M/G T (Hgg.), Jesus in neuen Kontexten. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart , S. – L S, Der umstrittene Jesus. War der Jude Jesus der erste Christ? Quell Verlag, Stuttgart , S. – G V, Jesus der Jude. Ein Historiker liest die Evangelien. Übersetzt von Alexander Samely, bearbeitet von Volker Hampel. Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn , XII + S. – G V, The Religion of Jesus the Jew. Fortress Press, Minneapolis , S. – N. T. W, The Challenge of Jesus. SPCK, London , X + S. – B H. Y, Je-
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sus the Jewish theologian. Hendrickson, Peabody , S. – W | Z, Gottesherrschaft und Endgericht in der Verkündigung Jesu. Eine Untersuchung zur markinischen Jesusüberlieferung einschließlich der Q-Parallelen (BZNW ). Verlag W. de Gruyter, Berlin/New York , S. Gehen wir zu den Darstellungen der Verkündigung Jesu über, so ergibt sich dasselbe uneinheitliche Bild wie bei den Gesamtdarstellungen. Zunächst sind einige dem Jesus-Seminar nahestehende Arbeiten zu nennen. R A. H will Jesus in seinem Buch »Jesus in the Spiral of Violence« () ganz auf seinem zeitgeschichtlichen Hintergrund verstehen. Dazu befaßt sich die erste Hälfte des Buches mit Galiläa. H. geht davon aus, daß Galiläa seit alters her immer von einer agrarisch-jüdischen Bevölkerung bewohnt worden war; dort lebten auch die Ideale der großen Propheten des Nordreichs weiter. Das wurde anders unter hasmonäischer und stärker noch unter römischer Herrschaft, denn jetzt wurden die galiläischen Bauern wirtschaftlich ausgebeutet. Hier setzt H. das kulturanthropologische Modell von E. J. Hobsbawm ein: In bäuerlichen Gesellschaften komme es unter politisch-ökonomischem Druck zu Freibeuterei (»social bandits«). Das ist ein vorpolitisches Phänomen, das nur die politische Ökonomie bedroht. Die wirtschaftliche Unterdrückung führt zum Protest, deshalb wird die Unterdrückung verschärft, das führt zu gewaltsamem Widerstand und schließlich zur Revolution. Das ist die im Titel genannte »Gewaltspirale«. Jesus gehört nun nach H. in die Frühphase dieses Klassenkampfes zwischen der agrarischen Bevölkerung Galiläas und den städtischen Eliten, besonders auch Jerusalems. Jesus hat im Geist der Propheten einen sozialen Umsturz befürwortet: Er hat die Armen selig gepriesen, die Reichen verdammt, von Schuldenerlaß gesprochen und Ausleihen ohne Zins gefordert. Insbesondere hat er den Tempel bedroht, »the basis of a whole political-economic-religious system headed by the priestly aristocracy« (). Insofern ist seine Verurteilung als Rebell gegen die römische Ordnung berechtigt (). Daß Jesus zur Steuerverweigerung aufgerufen habe, entnimmt H. Mt ,ff. und Mk ,ff. (– ; –). Die Worte vom Kreuztragen zeigen, daß auch Anhänger Jesu als Rebellen galten. Auch wenn Jesus nicht zum gewaltsamen Umsturz der politischen Verhältnisse aufgerufen hat, war er doch kein Pazifist (f.). Zunächst ist das Szenario kritisch zu hinterfragen, von dem H. ausgeht. Dazu verweise ich vor allem auf das Buch des Archäologen J L. R (Archaeology and the Galilean Jesus), der die Sachverhalte eingehend und anschaulich darstellt und stets Befund und Deutung(en) klar trennt. Eine durchgehende jüdische Besiedelung Galiläas ist demnach nicht nachweisbar, vielmehr scheint Galiläa nach einer längeren Pause größtenteils von Judäa aus wieder besiedelt worden zu sein. Die postulierten Spannungen zu Judäa sind also fraglich, vom postulierten Nachwirken des alten prophetischen Ethos ganz zu schweigen. Auch die Arbeiten von S. Freyne geben ein weitaus weniger dramatisches Bild der Verhältnisse. Und der marxistische Ansatz von einem rein sozial bedingten Klassenkampf ist schon im Zusammenhang mit J. D. Crossan kritisiert worden. H. hat seine Sicht verteidigt (Archaeology, History and Society), aber wenig konkrete Argumente beigebracht. Ein charakteristisches Beispiel: »The claim that the population of first century Sepphoris was „Torah true“ places a great deal of weight on | both the presence of ritual baths (miqvaôt) and burial customs . . . Perhaps we could reach greater precision in our analysis by abandoning essentialist definitions in favor of a more realistic sense of a mixed culture« ( A. ). Aber selbst wenn das unwahrscheinliche Szenario H.s in etwa richtig wäre, bleibt doch die nach wie vor entscheidende Frage, wie die Jesusüberlieferung dazu steht. M. E. paßt sie sich nicht ein: Mk ,ff. läuft nicht auf Steuerverweigerung hinaus. H.s Hauptargument, Jesus
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III. Die Verkündigung Jesu
könne keinen Kompromiß zwischen Gott und Kaiser gemacht haben, ist irreführend; denn die Steuermünze trägt nun einmal das Kaiserbild. Wenn er wiederholt bildhafte Rede als Handlungsanweisung versteht, ist das falsch. Wenn das Gebot der Feindesliebe dann gar nur der Stärkung der Gruppenidentiät dienen soll, widerspricht das dem Text. Wie schnell erwünschte Ergebnisse erzielt werden, kann man z. B. an den Zöllnertexten sehen. Ein Sozialreformer kann sich mit solchen Dienern des herrschenden Systems nicht abgegeben haben – so genügen Druckseiten, um diese in allen Überlieferungsschichten der Synoptiker belegte Tatsache wegzuschaffen (–). Die nicht so gut belegte, aber allgemein als glaubwürdig angesehene Zuwendung Jesu zu Prostituierten wird auf einer halben Druckseite beiseite geschoben (). Die Gottesherrschaft ist etwas anderes als die klassenlose Gesellschaft; die Behauptung »that the „kingdom of God“ is a political metaphor and symbol« () ist grundfalsch. H. hat den historischen Jesus verzeichnet.
Die Dissertation von M J. B (Conflict, Holiness and Politics in the Teaching of Jesus, ) wurde von W. G. Kümmel als förderlicher Beitrag zum Verständnis des historischen Jesus bezeichnet; beklagt wurde, daß »dieser Sicht der Verkündigung Jesu der theologische Hintergrund« fehlt.1 Die vorliegende Arbeit von beruht auf der Dissertation, erweitert aber den Horizont. B. geht – wie Horsley – davon aus, daß Jesus in einem krisengeschüttelten Galiläa gewirkt habe. Zum einen ist der Gegensatz zur römischen Besatzungsmacht wichtig, der zu einer strikten Absonderung Israels führt (»politics of holiness«); dadurch wird aber auch ein innerjüdischer Zwiespalt verschärft zwischen den streng und den lax Gesonnenen. In dieser Situation tritt Jesus auf als Wunderheiler, Weiser, Prophet und Begründer einer Erneuerungsbewegung („revitalization movement founder“). Grundlegend ist nach B. die Beziehung Jesu zur Welt des Geistes, die schon in der Taufvision gründet. Im Gefolge von G. Vermes wird Jesus als Heiliger Mann wie Choni oder Hanina ben Dosa gesehen (). Er gehörte zu den »channels through which healing power flowed from the world of Spirit into the visible world« (). Genaue Rekonstruktionen der hinter den Wunderheilungsgeschichten stehenden Vorgänge können nicht gegeben werden. »But the stories reflect the kinds of situations Jesus encountered and the kinds of deeds he did« (). Exorzismen widersprechen zwar unserem Weltbild, aber »possession and exorcism presuppose the reality of a world of spirits which can interact with the visible world« (). Der zweite Themenkreis des Buches »Jesus and Culture« stellt im Anschluß an die Dissertation die Entwicklung zu einer polarisierten Gesellschaft dar: Heiligkeit als Absonderung. »Holiness became the Zeitgeist« (). Verbunden mit wirtschaftlichen und | gesellschaftlichen Pressionen von seiten der Pharisäer kam es zu einer großen Gruppe von »Sündern« und »outcasts« (f.). Jesus verkündigt dagegen einen gnädigen Gott, und das spiegelt sich in der Tischgemeinschaft mit »Sündern« (). Die traditonellen Werte der konventionellen Weisheit (Familie, Reichtum, Ehre, Religion) kritisiert Jesus (–). Warum? »Anxious about securing their own well-being, whether through family, possessions, honor, or religion, people experience a narrowing of vision, become insensitive to others and blind to the glory of God all around us« (f.). Jesus fordert eine innere Umwandlung des Menschen, die durch die Stichworte »a new heart, centering in God, and the way of death« gekennzeichnet wird (). Die Gründung des Zwölferkreises zeigt, daß Jesus eine Erneuerungsbewegung ausschließlich für Israel gründen wollte (). Diese Bewegung verkörpert ein neues Ethos, das der imitatio dei: »whereas first-century Judaism spoke primarily of the holiness of God, Jesus spoke primarily of 1
ThR (, f.) = Jahre Jesusforschung, f. (Zitat ).
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the compassion of God« (). Die Jesusbewegung war die Friedenspartei (–). Jesus trat als Prophet auf und kritisierte die „politics of holiness“ und ihre Profiteure (–). Seine Kritik galt nicht der Tora, sondern nur ihrer vorherrschenden Auslegung (). Er warnte vor der Katastrophe der Tempelzerstörung (–). Noch war Zeit zur Umkehr. Der Weg nach Jerusalem sollte einen letzten Appell an sein Volk bringen (). Der Einzug war als politische Demonstration gedacht (Sach ,f.), die prophetische Tempelhandlung »an attack upon the politics of holiness and a warning of its consequences« (). Die Vertreter der konventionellen Weisheit fühlten sich – aus ihrer Sicht nicht unbegründet – zum Eingreifen gegen diesen falschen Propheten veranlaßt (f.). Auf die Frage »What killed Jesus?« antwortet B.: »To a large extent, it was the conventional wisdom of the time . . . that was responsible for the death of Jesus« (). »Ultimately, it was the conflict between a life grounded in Spirit and one grounded in culture, and Jesus’ own concern to transform his culture in the name of the Spirit, that caused his death« (). Mit dem Ansatz »politics of compassion versus politics of holiness« hat B. einen wichtigen Aspekt der Verkündigung Jesu erfaßt. Allerdings übersieht er – im Trend – die Tatsache, daß die »politics of holiness« zum guten Teil auf der Tora basieren (Lev ,!), nicht nur auf ihrer Auslegung. Insofern betont er zu Recht – gegen den Trend – die seriösen Gründe der Gegner Jesu. Auch die trendgemäße These, Jesus habe eine rein innerjüdische Reformbewegung gründen wollen, greift etwas zu kurz. Dagegen spricht das von B. – gegen den Trend – für jesuanisch gehaltene Gleichnis vom Barmherzigen Samariter ebenso wie das – von B. inkonsequenterweise für jesuanisch gehaltene – Logion Mk ,. Schließlich dürfte B. den Charismatiker Jesus überbetonen. Die Beziehungen zur Himmelswelt sind explizit ja nur in drei Versen bezeugt. Die Taufvision ist sicher eine späte Deutung2 , und das vom Trend begünstigte Logion Lk |
2 Vgl. dazu den meist geflissentlich übergangenen Aufsatz von A. Vögtle, Die sog. Taufperikope Mk ,–. Zur Problematik der Herkunft und des ursprüngl. Sinns, in: EKK Vorarbeiten IV, , –. Wer sich um die literarischen Fragen nicht kümmert, kann historisch frei schalten und walten. So will John J. Pilch in seinem Aufsatz »Ereignisse eines veränderten Bewusstseinszustandes bei den Synoptikern« in dem von W S u. a. herausgegebenen Band »Jesus in neuen Kontexten« (hier –) als das »kulturell plausible Szenario der mediterranen Welt zum Verständnis der Visionen in den synoptischen Evangelien . . . eine panhumane Erfahrung, die als veränderter Bewusstseinszustand (altered state of consciousness, abgekürzt: ASC) bekannt ist«, geltend machen (). »Besonders sozialwissenschaftliche Forschungen weisen darauf hin, dass ASC-Erfahrungen für das Leben und die Tätigkeit der Schamanen außerordentlich wichtig sind . . . weil sie den Schamanen mit der Welt der Geister in Verbindung bringen. Der Schamane erhält auch von dieser Welt die Kraft für eine seiner Haupttätigkeiten, nämlich für das Heilen« (). Die Evangelien beschreiben Jesus »als Schamanen, der ASC-Erfahrungen besaß, verbunden mit Macht zu heilen und Macht über Geister« (). Die Taufe kann als Jesu Berufung »zum Schamanen oder Heiligen Mann interpretiert werden« (). Das Wandeln auf dem Meer (Mk ,– parr.) ist »ein klassisches Beispiel von ASC-Erfahrung« (), natürlich auch die matthäisch-redaktionelle Erweiterung vom »sinkenden Petrus«. »Es ist eine wirkliche Erfahrung eines wirklichen Geschehens in einer anderen Wirklichkeit« (). Dasselbe gilt für die Verklärung Jesu (Mk ,– parr.) und die Auferstehungserscheinungen. Letztere werden durch eine Studie unterstützt, die »von fast Interviews (die meisten . . . in Britisch Kolumbien, Kanada)« berichtet, »in denen behauptet wird, dass man eine „unmittelbare visuelle Begegnung mit Jesus Christus“ hatte« (). G. Lüdemann meint dagegen – ebenfalls unter Berufung auf empirische Untersuchungen –, daß z. B. die Ostervision des Petrus nur ein Stück »Trauerarbeit« gewesen sei. R. E. DeMaris (Die Taufe Jesu im Kontext der Ritualtheorie, –) spezifiziert den Ansatz von Pilch noch dadurch, daß er die Taufe Jesu in den Kontext der Ritualtheorie stellt. Denn aus der Ethnologie weiß man schließlich, »dass Gemeinschaften und Individuen regelmäßig bestimmte Rituale anwenden, um Bewusstseinsveränderungen herbeizurufen« (), und dazu paßt die Taufgeschichte seiner Meinung nach.
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III. Die Verkündigung Jesu
, kann ich noch immer nicht für jesuanisch halten.3 Auch wenn ich mit B. der Meinung bin, daß Jesus kein Apokalyptiker war, muß ich doch mit W. G. Kümmel [aaO, ] die ausschließliche Gegenwartsdeutung der Basileia ebenso kritisieren wie die Umdeutung sämtlicher Gerichtsworte auf ein immanentes Gericht. Insofern ist B.s Jesusbuch mit kritischer Aufmerksamkeit zu lesen.
Auf ein überraschendes Schlußvotum Borgs sei noch aufmerksam gemacht. Nachdem er seinen Jesus alle Rollen hat spielen lassen, die ein guter Jude dieser Zeit spielen durfte, stellt er fest: ». . . as the Jewish scholar Martin Buber once powerfully wrote, there is something about Jesus that transcends the categories of Judaism« (). Ein merkwürdiges Buch hat Raymond A. Martin vorgelegt. Nach harmonistischen Betrachtungen über die Vor- und Frühgeschichte des Wirkens Jesu stellt er fest, Jesus habe bei der Taufe durch Johannes bemerkt, Gott habe ihm eine besondere Rolle für die vom Täufer angesagte Zukunft zugedacht; er zieht sich deshalb in die Wüste zurück, kommt zu keiner klaren Entscheidung über seine Rolle und bleibt beim Täufer. In dieser Zeit tauft er und »reinigt« den Tempel (mit Joh –), tut aber noch keine Wunder (gegen Joh ,; ,). Die Verstocktheit der Jerusalemer Hierarchen und die Gefangennahme des Täufers könnten seinen Weggang nach Galiläa veranlaßt haben. Durch seine Exorzismen kommt Jesus zur Überzeugung, die Basileia sei da, die Äonenwende erfolgt. Aber die Begleiterscheinungen der Äonenwende bleiben aus, daher verkündigt Jesus jetzt, die Basileia sei verborgen und warte auf ihre künftige | Vollendung. Also verkündigt Jesus die bevorstehende Vollendung, aber sie bleibt aus; statt dessen kommt es zum Abfall von Anhängern und zu steigender Feindschaft der Hierarchen. Da erkennt Jesus, daß er in Jerusalem leiden und sterben muß. Und er zieht in der Erwartung der Vollendung nach Jerusalem. Dieser Versuch, die unterschiedlichen Basileia-Aussagen in einen Entwicklungsroman einzupassen, überzeugt nicht, da sich die Stufen desselben nicht begründen lassen.
Ganz im Kielwasser Horsleys fährt R. D K. Auch nach seiner Meinung hat Jesus hier auf Erden schon alles Heil erwartet. Daß die Basileia-Worte das nicht hergeben, stellt K. offen fest: »The strongest indicators of Jesus’ political stance occur not in the kingdom sayings but in other material: in traditions about Jesus’ death . . . , his ethical teachings, . . . his parables . . . and in units that indicate that Jesus’ friends as well as his enemies thought of him in political terms« (). Dieser »Indizienbeweis« ist m. E. nicht gelungen. Das beginnt schon mit der Frage nach dem Grund für die Kreuzigung. Gegen den Trend erkennt K. zwar richtig, »that Jesus’ death resulted in part from religious conflicts with the Jewish community« (), aber das spielt im Verlauf der Darstellung keine Rolle. Die Durchführung seines Programms gelingt K. nur mit größten exegetischen Schwierigkeiten; ich verweise nur auf die Probleme, die die Sicht Jesu als eines Sozialreformers mit den »anstößigen« Gleichnissen Lk ,– (–) und Lk ,– (– ) hat. K.s Umdeutungskunst treibt seltsame Blüten: Das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen soll gar kein Gleichnis für das Handeln Gottes sein, sondern eine Parodie, mit der Jesus die Unfähigkeit der Domänenbesitzer verspotten wollte (f.), das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat handelt nicht von Gott, sondern ist ein Lob auf den Kleinbauern, der im Gegensatz zum Domänenbesitzer sein Land selbst bearbeitet: »We have the implied joy 3 Vgl. zuletzt D. Rusam, Sah Jesus wirklich den Satan vom Himmel fallen (Lk ,)? Auf der Suche nach einem neuen Differenzkriterium, NTS , , –.
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach
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of the farmer reaping a harvest that comes naturally as a result of his working according to God’s promises« (). Das und manches andere steht unter der Überschrift »Approaching the Parables as Social Commentary and Criticism« (). Ein Jesusbild, das so gegen die Quellen erarbeitet wird, kann nicht zutreffen.
Für weitere Kreise bestimmt ist das im Jahre erschienene Büchlein von N. T. W »The Challenge of Jesus«. Es faßt zwei größere Monographien des Autors zusammen, die in der englischsprachigen Welt große Beachtung gefunden haben, aber der ThR nicht zur Besprechung vorgelegt wurden.4 Jesus geht nach W. von zwei Grundsätzen aus: () »Israel was to be the means through which the world would be saved«; () Gott bringt die Geschichte Israels »to its moment of climax, through which justice and mercy would embrace not only Israel but the whole world« (). Eine dritte Vorgabe besteht nach W. darin, daß Israel geglaubt hatte, immer noch im Exil zu leben. In diesen Rahmen zeichnet W. sein Jesus- | bild ein. »Throughout his brief public career, Jesus spoke and acted as if God’s plan of salvation and justice for Israel and the world was being unveiled through his own presence, his own work, his own fate« (). Jesus hat sein Wirken ganz auf Israel beschränkt; aber er hat die seine Zeit beherrschende Vorstellung vom neuen Exodus neu bestimmt: Nicht Israel als Nation sollte seinen Feinden gegenüber gerächt werden, sondern über Israel sollte Gottes Gericht kommen, weil es nicht Licht der Welt war, weil es den Weg der zelotischen Gewalt und nicht den Friedensweg Jesu wählte; daher sagen Lk ,–; ,– und Mk den Fall Jerusalems an. Die »standard symbols« des Judentums () verfallen der Kritik Jesu: Sabbat, Reinheitsgebote, Familie, Land, Tempel. »I am not arguing that Jesus was opposed to the Jewish symbols because he thought them bad, not God-given, or whatever. He believed that the time had come for God’s Kingdom to dawn, and that with it a new agenda had emerged« (). Jesus ersetzt die überholten Symbole durch solche, die auf sein Werk verweisen. Die Heilungen sind symbolischer Ausdruck für die Wiederherstellung Israels (), seine Anhängerschaft ist die erneuerte Familie, Jesu Sündenvergebung und Forderung gegenseitiger Vergebung sind Teil der von ihm neu definierten Tora (), und in ihm und seinen Nachfolgern sollte Gott jetzt ebenso gegenwärtig sein wie bisher im Tempel (). Jesus muß sich über seine Rolle als Messias im Klaren gewesen sein. »Why should we be forced to regard Jesus as an unreflective, instinctive, simplistic person, who never thought through what he was doing in the way that several of his contemporaries and followers were well able to do?« (). Ein messianischer Anspruch wird im Einzug nach Jerusalem und in der Tempelaktion deutlich. Die Tempelaktion wird durch die nachfolgende Wortüberlieferung (Mk ,–,; ,–) erläutert; W. nennt diese Texte »royal riddles« (); auch in Mk hört er »clear messianic overtones« (). Wer die Verbindung von Messias und Tempel erkennt, wird die Schilderung des jüdischen Prozesses (Mk ,–) historisch plausibel finden (). Zu der von Jesus neu definierten Messianität gehört auch der Tod am Kreuz, wie W. unter Berufung auf A. Schweitzer betont (ff.). Das letzte Mahl Jesu war ein Passamahl; und damit ist der Bezug zum Exodus hergestellt (). Im Hintergrund steht der deuterojesajanische Gottesknecht; Ostern setzt Jesu Interpretation seines Todes ins Recht (). Für das Selbstverständnis Jesu hält W. für wesentlich, daß Jesus Funktionen beansprucht, die dem Tempel zustanden, vor allem Sündenvergebung; das bedeutete »that Jesus was claiming
4 N. T. Wright, Jesus and the Victory of God, London/Minneapolis ; N. T. Wright, The New Testament and the People of God, London/Minneapolis .
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III. Die Verkündigung Jesu
that he, rather than the temple, was the place where, and the means by which the living God was present with Israel« ().5 Durch seine Gesetzesauslegung hat sich Jesus nicht als neuer Mose, sondern in gewisser Weise als neuer JHWH gezeigt (). Der Einzug in Jerusalem symbolisiert die Rückkehr JHWHs zum Zion (). Das Davidssohn-Gespräch Mk ,– sowie Mk , zeigen nach W., daß Jesus seine Einsetzung zum Throngenossen Gottes er- | wartet habe (). Das soll nicht heißen, Jesus habe gewußt, er sei Gott, sondern »that Jesus of Nazareth was conscious of a vocation: a vocation, given him by the one he knew as „father“, to enact in himself what, in Israel’s scriptures, God had promised to accomplish all by himself. He would be the pillar of cloud and fire for the people of the new Exodus. He would embody in himself the returning and redeeming action of the covenant God« (f.).
Wright ist einerseits ein typischer Autor der Third Quest: Er geht von einem bestimmten Rahmen aus und zeichnet ohne ernsthafte Kriterien möglichst viel vom synoptischen Stoff ein. Dadurch entsteht ein sehr biblizistisches Gesamtbild. Aber er ist andererseits untypisch für diese Richtung, insofern er unerbittlich den in den Synoptikern sichtbar werdenden Autoritätsanspruch Jesu ins Zentrum stellt. Das ist eine – etwas überzogene – notwendige Gegenposition gegen die übliche Einebnung Jesu in seine Umwelt. Ob das der Grund dafür ist, daß W. in Deutschland kaum diskutiert wird und selbst im Forschungsbericht von D. du Toit nur eines seiner Bücher kommentarlos in einer Fußnote erwähnt wird? Aus einer langen Liste von möglichen Monita sollen nur einige genannt werden. Der Rahmen ist m. E. nicht belegt: Wo steht, daß die Zeitgenossen Jesu sich noch im Exil wähnten? Wodurch ist der Bezug Jesu auf Dt-Jes zu sichern? War das Abschiedsmahl Jesu ein Passamahl – ohne Lamm und Mazzen? Konnte auch nur ein einziger Zeitgenosse den Reiter auf einem Esel für den wiederkehrenden Jahwe halten? Alle diese Fragen stellen heißt m. E. sie verneinen. Aber dann bleibt ein immer noch scharf konturiertes Jesusbild, das zu diskutieren sich lohnte. Mit einer dem common Judaism eigenen Vorstellung möchte J L Jesus verbinden (Jesus und das Land, ): Er will nachweisen, daß die im AT wie im Frühjudentum zentrale theologische Bedeutung des Gelobten Landes auch in der Verkündigung Jesu vorhanden ist. Dieses Programm und seine Problematik kann ich nicht besser als mit den Worten L.s aus der Einleitung seines Buches wiedergeben: »Diese Untersuchung vertritt die These, daß das Land als konkretes Territorium in der Verkündigung Jesu bedeutend ist. Das Land wird von Jesus zwar selten ausdrücklich erwähnt, aber es gibt immerhin indirekte Anspielungen auf das Land in der Gottesreichspredigt Jesu. In seiner Verkündigung weist Jesus oft auf die alttestamentlichen Prophezeiungen über die endzeitliche Heilszeit im Lande Israel hin. Die von ihm verkündete Herrschaft Gottes wird die Erfüllung aller göttlichen Verheißungen sein – auch der Verheißung des Landes. Jesus schildert das Reich mit konkreten Worten und Bildern, die zu erkennen geben, daß er das Reich Gottes als ein irdisches 5 Angesichts des in der Third Quest häufigen Mißbrauchs von Mk , sei W.s einzig richtige Erklärung zitiert: »It is not that Jesus was submitting to the superior authority of the Temple. The cure had already been effected . . . what he [sc. the leper] needed, for reintegration into his social world was the official rubber stamp of the recognized authorities« ().
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach
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Phänomen sieht. Im Lichte all dieser Indizien und der Tatsache, daß die frühjü- | dischen Schriften das Reich Gottes fast ausnahmslos als irdisches Reich im Lande bezeichnet haben, liegt die Annahme nahe, daß Jesus auf ein Reich Gottes im Lande Israel gewartet hat.« L. will also die Bedeutung eines Theologumenon aufweisen, das in der synoptischen Tradition niemals auftaucht. Für Anhänger der Third Quest ist das vom Ergebnis her natürlich nachvollziehbar, ja man wundert sich fast, daß es entgegenstehende Thesen wie bei Wright gibt. Nach einer ausführlichen und gut informierten Darstellung der Landfrage im AT (–) und im Frühjudentum (–) versucht L. seinen Indizienbeweis für Jesus. Dabei stellt er immer die Echtheitsfrage, die meist mit dem Kohärenzkriterium entschieden wird und daher immer wieder Zweifel entstehen läßt. Doch das ist nicht entscheidend. Erörtert werden muß das konkrete Procedere des Autors. Er diskutiert die Texte zunächst auf einer breiten Basis und nennt auch Autoren und Argumente, die seine Meinung nicht stützen. So legt er die Verkündigung des Täufers in ihrer schärfsten Form aus: »Der Bruch mit den Heilsverheißungen der Vergangenheit ist total« (), um dann im nächsten Satz fortzufahren: »Es kann jedoch nicht behauptet werden, daß Johannes das Konzept des auserwählten Volkes abgelehnt hätte. Für ihn war das Volk Israel immer noch das Volk Gottes« (), und dafür wird nur allgemein auf die »alttestamentlich-jüdische Tradition« verwiesen. Anhand von Mt ,– und Mt ,f. (–) stellt L. fest: »Die Verkündigung Jesu enthält also eine strenge Botschaft des kommenden Gerichts an das Volk Israel. Es stellt sich . . . die Frage, ob Jesus seine Volksgenossen zur Umkehr aufgerufen hat . . . Die Umkehr galt in der Regel als eine notwendige Voraussetzung für das Erlangen des Heils. Von (!) diesem Hintergrund ist es auffällig, welche geringe Rolle die Ermahnung zur Umkehr in der synoptischen Jesustradition spielt« (f.). Aber Lk ,– hilft aus dieser Verlegenheit, auch wenn es nur mit formalen Überlegungen als jesuanisch erweisbar ist (symmetrisch aufgebautes Doppelwort, semitische Semantik, Syntax und Phraseologie). Richtig wird die Nähe dieses Überlieferungsstücks zum Täufer festgestellt (). Exegetisches Fazit: »Das Volk als Ganzes steht unter dem Zorn Gottes. Jesus rechnet hier und auch sonst nirgends mit einer nationalen Umkehr« (). Und dann kommt die überraschende Wende: »Jesus hat offensichtlich gemeint, daß das Zorngericht Gottes den untreuen und gottlosen Teil Israels ausrotten würde. Die Israeliten, die zur Buße bereit seien, würden das Gericht überleben und danach an den Segnungen der Heilszeit teilhaben. Jesus hat seine Gerichtsbotschaft im Gelobten Land verkündet. Weil er offensichtlich nicht der Auffassung war, daß die untreuen Israeliten sich außerhalb des Landes begeben müßten, um den Zorn Gottes erfahren zu müssen, muß er erwartet haben, daß sie im Lande gerichtet werden. Daraus aber folgt, daß auch die überlebenden Israeliten sich nach dem Gericht weiterhin im Lande befinden – es gibt keinen Hinweis darauf, daß Jesus mit einem Ortswechsel der Geretteten, etwa einer Entrückung, gerechnet hätte« (f.). Daß Jesus die Zerstörung Jerusalems und des Tempels angesagt hat, ist möglich (–). Hat er aber wie das Frühjudentum auch einen neuen, endzeitlichen Tempel erwartet? Dazu exegesiert L. auf Seiten das »Tempelwort« Mk ,. Nach vielen wenn und aber konstatiert er, »daß hinter Mk , eine authentische Jesusüberlieferung steht« (). Und damit kann er folgern: »Im Lichte des alttestamentlich-frühjüdischen Hintergrundes ist der neue Tempel auf dem Zion als Zentrum des erneuerten Landes zu verstehen, von dem die göttlichen Segnungen auf das ganze Land | übergehen werden« (). Mit ähnlich fragilen Argumenten wird auch das Vaterunser als Zeuge für die Theologie des Landes beansprucht (–); denn »die einzelnen Bitten spielen auf alttestamentliche Überlieferungen über die endgültige Sammlung der Versprengten unter Gottes Königtum im Lande Israel an«. »Das künftige Reich, um dessen Kommen im Vaterunser gebetet wird, wird die Wiederherstellung des Volkes Israels im Lande
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III. Die Verkündigung Jesu
bedeuten« (f.) und ebenso werden die Seligpreisungen Mt ,.. par. aufgefaßt (–); und in Mt ,f. werden »landtheologische Konnotationen« vernommen (–).
Kurz: Auch wenn im Einzelnen gute und scharfsinnige Beobachtungen gemacht werden, ist das Ganze doch ein Musterbeispiel für Eisegese. Eine gegen G. W. Buchanan gerichtete Bemerkung L.s soll – als die mildeste mir mögliche Form der Kritik – zitiert werden: »Außerdem soll man generell vorsichtig mit Kontextualitätsargumenten sein. Es ist letzten Endes unmöglich, zu wissen, ob die Ausleger den alttestamentlichen Kontext der von ihnen zitierten Bibelstellen selbst gekannt oder als bekannt vorausgesetzt haben, wenn sie nicht ausdrücklich darauf hinweisen. Man soll sich davor hüten, allzu weitgehende Schlüsse aufgrund des angeblich bekannten alttestamentlichen Kontextes zu ziehen« (). Hätte Laaksonen sich nur an diese Faustregel gehalten! In wieder anderer Weise zeichnet S M. B einen ganz und gar ins Judentum gehörenden Jesus (Jesus and Israel’s Traditions of Judgement and Restoration, ). Selbstverständlich hat er die eschatologischen Erwartungen seiner Zeitgenossen geteilt; aber da er nicht nur von der Zukunft, sondern auch von der Gegenwart des Heils sprach, muß hier etwas Eigenes liegen. Und da vor der Heilszeit eigentlich das Gericht steht, ist die Interpretation des Gerichtsgedankens das Grundproblem. B.s Gundthese lautet: »Jesus’ use of traditions of national judgement, often in terms drawn from the restorationism of his contemporaries, forced a reconception of national restoration. His revisionist understanding of Israel’s restoration will be seen in his use of traditions related to certain constitutional features of the eschaton . . . which are often merely assumed to have remained unaltered in Jesus’ eschatology« (). Die Grundvorgabe des Buches besteht in der Annahme, Jesus habe, wie im AT und Frühjudentum üblich, Traditionen aufgegriffen und interpretierend weitergegeben. B. sucht (und findet) Indizien, »that he reinterpreted the traditions at key points and brought alternative traditions to bear in ways which generated a quite different understanding of the promised restoration« (). Die Kriterienfrage ist B. nicht besonders wichtig (). Daß Jesus nicht die nationale Wiederherstellung Israels, sondern das Gericht über die Nation angekündigt hatte, schließt B. vor allem aus der Perikope vom Jona-Zeichen (Lk ,f.), da Jona als absoluter Unheilsprophet verstanden worden sei (ff.). Jesus hat also die Forderung eines heilvollen Zeichens wie beim Exodus auf den Kopf gestellt. Ebenso hat es Jesus mit den Motiven »Weinberg«, »eschatologisches Mahl« und der Rede von »diesem Geschlecht« gemacht. »Israel had failed to be the fruitful vinegard. The guests invited to the eschatological banquet refused to come. | Israel’s disdain for the privileges of election could only mean judgement, for, in Jesus’ assessment, Israel had become the corrupt and apostate „generation“ anticipated in Deuteronomy , a nation whose salvation-historical situation was one of impending judgement« (). Allerdings hellt B. diese Situation doch noch etwas auf: »paradoxically, even as the proclamation of climactic judgement brought Israel’s election to an end, it allowed Jesus to reassert the continuity of Israel’s election: pronouncement of Israel’s judgement carried with it the announcement of a new act of election. And who could question the absolute freedom of divine grace in determining the shape of the Israel constituted by this eschatological action of God?« (). Zentral für Jesu Auffassung von der Wiederherstellung Israels sind nach B. Mk ,– und Mt ,f. Jesus habe im erfolgreichen Wirken des Täufers die Wiederherstellung Israels bereits erfüllt gesehen und zwar im Sinne der Herstellung eines heiligen Restes (ff.). In diesem
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Zusammenhang erklärt B. die Berufung des Zwölferkreises: »his calling of the twelve symbolizes his conviction that Israel’s restoration was already experienced among his followers« (). Welche Rolle spielt dann Jesus? »John had brought about the end-time restoration of Israel by calling into existence a penitent and faithful remnant; Jesus’ role is thus not to call out a remnant, but to bestow on this remnant and those who join it the blessings of the inbreaking kingdom« (). Die »Parabeltheorie« Mk ,f. soll bezeugen, daß Jesus den Restgedanken vertrat (–). Da die frühjüdische Eschatologie die Wiederherstellung eines reinen Volkes in einem reinen Land erwartete, befaßt sich ein umfangreiches Kapitel (–) mit dem Thema »Jesus and the purity of Israel«. B. informiert sehr eingehend über die rabbinischen Reinheitsdiskussionen, wobei er die Thesen von E. P. Sanders und J. Neusner einbezieht. Das müßte im Einzelnen ein Judaist überprüfen. Insgesamt drängt sich mir der Eindruck auf, daß die Jesustradition von diesen Problemstellungen meilenweit entfernt ist; ob man in Unreinheit zweiten oder dritten Grades gerät, war ihm ganz offenbar gleichgültig. Für B. ist das allerdings der Schlüssel nicht nur für Mk ,, sondern auch für das Verständnis des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter. In Mk , lehnt Jesus nur das Händewaschen ab, keineswegs die Reinheitsgebote der Tora: »he very probably rejected measures designed to preserve Israel’s purity which went beyond the explicit stipulations of Torah« (). Unter unbekümmerter Berufung auf Mk , (fälschlich als Mk , zitiert) wird behauptet, Jesus habe sich an die Reinheitsgebote gehalten (). Auch das Gleichnis vom Samariter wird in diesem Licht gesehen. Priester und Levit sind um ihre kultische Reinheit besorgt, obwohl sie nicht unbedingt dazu verpflichtet gewesen wären (), und letztlich sei ihr Verhalten von Besorgnis um die Heiligkeit des Tempels und des Landes bestimmt gewesen (). Diesen Übereifer gegenüber der Reinheitsforderung anstelle des Liebesgebots kritisiert Jesus (). So antwortet das Gleichnis eigentlich auf die Frage: Wer ist rein? (). Allerdings hat Jesus die Erwartung eines reinen Volkes in einem reinen Land nicht aufgegeben: »Rather, it appears that Jesus drew on alternative sacred traditions according to which God’s people would only be constituted as a pure society through the sanctification of the whole earth by an eschatological action of God« (). Wenn B. so von »Jesus’ marginalization of Israel’s purity and corresponding territorial expectations« () sprechen kann, urteilt er ähnlich über den Tempel (–). Die Tempelaktion Jesu wird aus dem Mischzitat Mk , erklärt. Jesus verbinde hier zwei Traditionen, die jeremianische vom kommenden Gericht und die jesajanische von der Wiederherstellung nach dem Gericht; das entspricht B.s Grundthese vom »simul- | taneous national judgement and national renewal« (). Zu Recht steht B. der beliebten These kritisch gegenüber, es sei Jesus vor allem um einen Angriff auf die Korruption der Priesterschaft gegangen (), sondern »Jesus’ action in the Temple did not so much give expression to objections to specific elements of Temple praxis as symbolically call into question the efficacy of the Temple as a guarantee of the privileges of national election« (). Wäre der Tempel der eschatologische Tempel, dann müßte er die Sammlung der Heiden bewirken (). Auch die Verfluchung des Feigenbaums, die Tempelsteuerperikope und das Tempelwort (Mk ,) werden in diesem Sinn verstanden (–). Die Ankündigung eines nicht-materiellen Tempelbaus durch Jesus wird mit dem bemerkenswerten Kommentar versehen: »If what Jesus meant in setting forth such a claim remains uncertain, Israel’s sacred traditions were more than capable of supporting an expectation of an non-material eschatological Temple built by Israel’s Messiah« ().
Das Hauptziel der Arbeit B.s, »a thoroughly Jewish Jesus« (), ist m. E. mit erheblichen Hypotheken belastet. Auf den fahrlässigen Umgang mit Echtheitsfragen muß ich leider immer wieder hinweisen; denn das angeblich so positive Urteil Je-
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III. Die Verkündigung Jesu
su über den angeblich so erfolgreichen Täufer beruht vornehmlich auf zwei Texten, die nicht sicher jesuanisch sind; die diesbezüglichen Q-Texte hätten berücksichtigt werden müssen. Auch das finstere Bild des Gerichtspredigers Jesus ist mindestens einseitig zu nennen und beruht u. a. auf höchst umstrittenen Texten wie Mk ,– und Lk ,–; die Auslegung des Jona-Zeichens widerspricht dem Kontext. Aber ich will von weiterer Detailkritik absehen und ein Grundsatzproblem anschneiden. B. formuliert in der Einleitung zwei Fragen: () Jesus blieb innerhalb des Judentums, aber »how many Jews were handed over to the Romans to be crucified under the titulus „king of the Jews“?« () »The crucial question . . . is how to understand Jesus as one who operated within the „constraints“ of Judaism and yet generated a movement which soon could no longer be accomodated within Judaism« (). Das Bild eines Traditionen hin und her schiebenden Jesus, der sich mehr oder weniger innerjüdischen Querelen widmete, vermag diese entscheidenden Fragen nicht zu beantworten; dieser Jesus ist zu konturenlos. In den Arbeiten der Third Quest wird häufig die Gerichtspredigt als das Wesentliche der Verkündigung Jesu genannt, ganz im Gegensatz zur New Quest und dem damit im Zusammenhang stehenden Jesus Seminar. Hier sind noch einige deutsche Arbeiten zu besprechen, die dieses Thema aufgegriffen haben. M R hat die Gerichtspredigt Jesu erstmals im . Jh. monographisch behandelt. Er bietet eine eingehende und sehr informative Darstellung der frühjüdischen Gerichtsvorstellungen (–), untersucht die Ge- | richtsverkündigung Johannes des Täufers (–) und schließlich die jesuanische Gerichtspredigt (–). R. erkennt, »als eschatologisches Grundmuster die Erwartung eines Gerichts . . . , das zur Verdammnis der einen und zum Heil der anderen führt. Dieses Grundmuster liegt sowohl der geschichtlichen Eschatologie (mit dem Gericht am definitiven Wendepunkt der Geschichte) zugrunde als auch der Jenseitseschatologie (mit der Vergeltung nach dem Tod)« (). Einleuchtend sind auch seine weiteren Feststellungen, daß nämlich »das Heil in allen Texten grundsätzlich diesseitig-irdisch gedacht« sei (), daß »grundsätzlich Gott der Richter« ist, wobei andere Richtergestalten aber als »Gottes Stellvertreter« fungieren können (), und vor allem, daß der »Maßstab des Gerichts . . . grundsätzlich die Tora« ist (). Die Täuferpredigt wird anhand von Mt ,– par. untersucht. Johannes steht in der von der prophetischen Verkündigung (Jes ; –) ausgehenden Traditionslinie (). Seine Wassertaufe soll vor der Feuertaufe des nach ihm kommenden »Stärkeren«, d. h. Gottes selbst, bewahren (). Damit dürfte die Täufertaufe stark überfrachtet sein; daß der Täufer Gott im Verhältnis zu sich selbst nur als »den Stärkeren« angesehen habe, ist unwahrscheinlich, und schließlich trägt Gott keine Sandalen. Aber das ist hier nicht weiter zu erörtern. Die Verkündigung Jesu wird anhand ausgewählter Texte behandelt. Bemerkenswert ist die methodologische Vorentscheidung R.s: »Nachzuweisen ist nicht die Echtheit einer Urkunde, sondern die Fälschung« (). Das wird mit einem Zitat des Kardinals J. H. Newman begründet. Allerdings gibt R. zu einzelnen Texten dann doch z. T. eingehende Überlegungen an, allerdings meist mehr formaler Art, die m. E. für die Echtheitsfrage nicht erheblich sind. Aber das ist für den Verlauf der Arbeit nicht unbedingt störend. R. beginnt mit dem Doppelwort von der Südkönigin und den Niniviten (Mt ,f.//Lk ,f.) (–). Damit sagt Jesus, daß das endgültige Gericht zwar in der Zukunft liegt, aber »das eschatologische Schicksal des Volkes und jedes Einzelnen« sich »jetzt, an seiner Person, und das heißt: an der Stellung zu seiner Verkündigung« entscheidet (). Die »Ankündigung
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach
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des Schuldspruchs beim Jüngsten Gericht« dürfte nicht »als Enthüllung eines unabänderlichen Fatums verstanden werden . . . Die Ankündigung Jesu ist nicht eine Vorhersage, sondern eine bewußt provokativ formulierte Warnung« (f.). Beim Weheruf über die galiläischen Städte dagegen hat man »eher den Eindruck eines feststehenden Urteilsspruchs . . . Den galiläischen Städten war das Reich Gottes nahegekommen, aber sie blieben ihm fern. Damit haben sie sich selbst das Urteil gesprochen« (). Das Wort von den Tischgenossen der Patriarchen (Mt , f.//Lk ,) wird in der matth. Form als ursprünglich und als »Provokation« für Jesu Hörer verstanden. »Dieses Wort ist keine Verheißung Jesu für die Völker, sondern eine Warnung an die „Söhne des Reiches“; allein sie sind angeredet, ihnen gilt das gesamte Wort« (). Ähnlich legt R. die Parabel von der vergeblichen Einladung zum Festmahl (Lk ,– par.) als ein »ganz und gar an die Adresse Israels gerichtetes Drohwort« () aus; es gehört in die Zeit, als das »Unwahrscheinliche Wirklichkeit zu werden drohte« (), nämlich die Ablehnung der durch Jesus vermittelten Einladung. Die zentrale These R.s lautet: Gericht und Heil sind »zwei Seiten einer Medaille, zwei Aspekte des einen eschatologischen Geschehens . . . Das Gericht ist die Kehrseite des Heils und seine notwendige Voraussetzung« (; vgl. ). R. hebt das der Verkündigung Jesu Eigene klar hervor: »Gegenstand des Gerichts sind . . . nicht Sünden und Übertretungen der Tora im allgemeinen; Gegenstand des Gerichts ist nach den | Worten Jesu allein die verweigerte Umkehr auf seine Botschaft hin. Diese Botschaft ersetzt im Jüngsten Gericht die Tora« (). Das ist in der Tat »ein außerordentlicher Anspruch . . . den viele Zeitgenossen Jesu als ungeheuerliche Anmaßung empfanden und empfinden mußten« (). Ob man in Mt ,f. sogar »eine direkte christologische Aussage Jesu über sich selbst« () sehen soll, ist mir fraglich. Insgesamt hat R. gut gezeigt, wie Jesus mit den Sprach- und Denkmitteln seiner Zeit Eigenes gesagt hat.
Drei Anfragen sollen gestellt werden: () Läßt sich die These, die schärferen Gerichtsworte seien aus der letzten Phase des Wirkens Jesu, wirklich begründen? () Wie steht Jesus zu den Heiden, die nach R. in Mt ,f. nur aus pädagogischen Gründen erwähnt werden? Hat Jesus das gar nicht ernst gemeint? Und wie ist dann über Mt und Lk zu urteilen, die dieses Wort »als endgültiges Urteil über Israel und Verheißung für die Heiden betrachten« ()? () Wenn Gericht und Heil zwei Seiten derselben Medaille sind, entsteht für das Jesus in seiner kompakten Majorität ablehnende Israel ein Problem. R. löst es menschenfreundlich, indem er Jesus den Entschluß unterstellt, seinem Tod nicht nur bewußt entgegenzugehen, sondern ihn als »Lösegeld für viele«, d. h. für den ungläubigen Teil Israels, zu verstehen (). Ist das erweisbar? Und wäre damit nicht die eine Seite der Medaille durchgestrichen? Der Stellenwert des Gerichtsgedankens müßte doch noch einmal durchdacht werden, wozu R. auch einen Ansatz bietet (f.). Die gleichzeitig mit Reisers Arbeit entstandene, aber erst später () veröffentlichte Dissertation von C R verschärft das Bild des Gerichtspredigers Jesus auf einer breiteren Textbasis und mit teilweise eingehenderen Analysen. »Jesus ist ein Gerichtsprophet gewesen, wie seit den Tagen der alttestamentlichen Gerichtspropheten, an die Jesus sich anschließt, offenbar keiner mehr aufgestanden ist in Israel, selbst nicht der Täufer« (). R. kokettiert mit der Tatsache, daß er hier von der communis opinio erheblich abweicht, und bescheinigt »gerade der modernen protestantischen Forschung nicht nur Schwierigkeiten im Umgang mit der Gerichtsverkündigung Jesu . . . , sondern auch
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III. Die Verkündigung Jesu
Strategien zur Reduzierung oder Eliminierung durch zweifelhafte Unechtheitserklärungen, Uminterpretationen oder theologische Distanzierung vom eigenen historischen Befund« (). Er geht sogar soweit, zu meinen, »dass gegen eine die Gerichtsverkündigung verdrängende historisch-kritische Jesusforschung auch ein begründeter Ideologieverdacht erhoben werden muss« (). Ist Gerichtsbesessenheit wirklich besser als (angebliche) Gerichtsvergessenheit? Immerhin räumt R. ein, daß Heils- und Gerichtspredigt Jesu einander »spannungsvoll gegenüberstehen« | (). R. scheint der Gerichtsaspekt wichtig zu sein; wer anders urteilt, sollte nicht diskriminiert werden. Konkret gewinnt R. sein Bild aufgrund der »absoluten Gerichtsankündigungen« (Lk ,f. par.; Mt ,f. par.), der Texte, in denen das menschliche Verhalten eine Gerichtsansage begründet (Lk ,– par.; ,f.; Mk ,. par.; Lk ,– par.; ,– u. a.) aus den Parusiegleichnissen (Lk ,f. par.; ,– par.; Mk ,–; Lk ,–; Mt ,– par.; Mt ,–) und schließlich aufgrund der Texte, die das Gericht mit dem Verhalten gegenüber Jesus begründen (Lk ,– par.; ,f. par.; Mt ,– par.; Lk ,f. par.; Mt ,//Lk ,–; Lk ,– par.; ,– par.; ,f.; ,– par.; Mt ,b–). Alle diese Texte werden mit mehr oder weniger hoher Wahrscheinlichkeit für jesuanisch erklärt. Das gelingt natürlich nur deswegen, weil R. mit der üblichen und nur sehr bedingt berechtigten Kritik auf das einzige präzise Kriterium der Unableitbarkeit verzichtet (–) und stattdessen sich meist auf das Kohärenzkriterium beruft. Da er aber von Jesus als Gerichtsprediger ausgeht, findet er natürlich die meisten Gerichtsworte zueinander kohärent. Interessante Ausnahme: Die Weherufe Lk ,f. lassen sich »leider nicht als authentisches Jesusgut sichern« (). Jesus spricht mit seiner Gerichtsbotschaft ganz Israel an, besonders aber die Reichen, »vor allem aber die am Zentrum des Willens Gottes oft vorbeigehenden Frommen und [den] Gelehrtenstand« (). Die Gerichtsworte sind größtenteils Mahnungen zur Umkehr (). Aber manchmal tritt die »Aufforderung zu einer Verhaltensänderung . . . spürbar zurück«; das bedeute: »Es gibt auch ein „Zuspät“! Das Gericht, die kommende Katastrophe, steht ja für Jesus wirklich und unmittelbar bevor« (). Der Bußruf Jesu wird da besonders bestimmt, »wo zentrale Punkte seiner „ureigenen“ Sendung betroffen sind« (). Das heißt: »Das Gericht entscheidet sich letztlich an der Stellung zu Jesu Verständnis des Willens Gottes und des Gottesreiches, und damit zu seiner ganz besonderen Sendung« (). Dieses hohe »Sendungsbewußtsein« Jesu stellt R. zu Recht heraus, u. a. auch an Lk ,– par. (–). Aber den grundlegenden Unterschied zwischen dem einladenden und werbenden Wirken Jesu und dem drohenden Täufer wischt er in einer Fußnote ( A. ) weg, und andere Texte derselben Aussagerichtung werden gar nicht erst bedacht. Aufgrund dieser Selektion entsteht m. E. ein verzerrtes Bild. Natürlich hält auch R. es für notwendig, »von einer Entwicklung der Verkündigung Jesu zu sprechen« (); damit ist er der Unterscheidung von vorösterlicher und nachösterlicher Überlieferung nicht mehr fern. Bedenkt man, daß das älteste erhaltene Dokument des Christentums die zentrale Bedeutung des Gerichtsgedankens für die Mission zeigt (Thess ,f.), bleibt die Unterscheidung vorösterlich/nachösterlich eine ernsthafte Alternative. Allerdings hat auch R. seine felix inconsequentia: Ausgerechnet das so unterschiedlich überlieferte Schlußwort von Q (Mt ,//Lk ,–) will er als Beleg verstehen »für Jesu Hoffnung auf die – wenn auch gebrochene – Wiederherstellung Israels« (). Und auch der von M. Reiser schon angedachte Notausgang wird anvisiert: »Sollte das Leiden, der Tod und das Gericht wirklich Jahwes letztes Wort an Israel sein? Die Abendmahlstradition (und evtl. Lk ,f.) geben hier noch einmal eine andere Antwort« (). So würde das von A. Schweitzer inspirierte
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach
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dunkle Jesusbild »das Gericht in der Botschaft Jesu« sei »die negative Kehrseite seiner positiven Praxis und Verkündigung« () – wieder aufgehellt. |
Auch bei der Arbeit von W Z stand A. Schweitzer Pate. Z. untersucht die Gerichtstexte im Markusevangelium mit Einschluß der entsprechenden Q-Parallelen. Es handelt sich um Gleichnisse (Mk ,–; ,; ,–; ,–), Weisheitsworte (Mk ,.c.; ,.f.; ,; ,...f.; ,) prophetische und apokalyptische Worte (Mk ,; ,f.; ,; ,f.; ,–; ,b; ,; ,–). Die Analysen sind methodologisch klar durchgeführt. Z. nimmt mit gewissen Vorbehalten auch das Dissimilaritätskriterium zu Hilfe.6 Zu Recht betont er, »solche Logien« hätten im Sinne dieses Kriteriums als authentisch zu gelten, »die sich hinsichtlich der Funktion des Endgerichts oder des in diesem angewandten Maßstabs von frühjüdischen oder urchristlichen Endgerichtsaussagen deutlich abheben« (). Die Ausbeute ist karg: Mit »großer« Wahrscheinlichkeit kann nur Mk ,*, »mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit« können Mk ,*.. und , für Jesus reklamiert werden (). »Eventuell sind darüber hinaus noch folgende Worte authentisch: Mk ,c (Lk[Q] ,c); Mk , (hier ist der Bezug auf das Endgericht jedoch fraglich); Lk(Q) ,b– (Mk ,); Lk(Q) , (Mk ,b– ohne Endgerichtsbezug); Lk(Q) ,–a (Mk ,)« ( A. ). Ernsthafte Zweifel muß ich in zwei Fällen anmelden. Mit der Unechtheitserklärung von Mk , (Lk[Q] ,f.) hat Z. es sich zu leicht gemacht: »Die im Doppelspruch von Bekennen und Verleugnen implizite Anerkennung der Person Jesu als des Heilsmittlers widerspricht dem Selbstverständnis des historischen Jesus« () – als Begründung für diese weitreichende Aussage reichen ein Satz von E. Gräßer und fünf Sätze von H. Stegemann nicht. Aber auch bei der Echtheitserklärung der Selbstverstümmelungssprüche Mk ,.. hat er es sich zu leicht gemacht. Die gründliche Gegenargumentation von J. Sauer (Rückkehr und Vollendung des Heils. Eine Untersuchung zu den ethischen Radikalismen Jesu, Regensburg , –), die auf derselben methodologischen Basis erfolgte, hätte stärker bedacht werden müssen. Das Kohärenzkriterium schlägt hier m. E. überhaupt nicht durch. In der echten Jesusverkündigung werden religiöse Selbstminderungsriten nicht gefordert, und der Eingang in die Basileia ist nicht von asketischen Höchstleistungen abhängig (Mk ,; Lk ,–). Freilich sind diese beiden Texte für das Jesusbild Z.s unabdingbar. Denn ohne sie könnte seine »Ausgangsfrage, ob der historische Jesus ein künftig bevorstehendes Endgericht verkündigt hat«, nicht »eindeutig bejaht werden« (). Ja man liest sogar: »Der historische Jesus war erfüllt von einer drängenden Naherwartung vom Reich Gottes und Endgericht« (), und das ist durch MkTexte wirklich nicht zu belegen, sondern nur durch die Umweltreferenz. Und weil in der Umwelt Gott der Richter ist, hat sich Jesus keine Rolle im Gericht zugeschrieben (). Er war völlig in die Vorstellungen seiner Zeit eingebunden: »So wird er sich nicht nur die Gehenna als Feuerhölle vorgestellt haben, sondern auch das Reich Gottes, gewissermaßen ganz konkret als Israel mit seinem Zentrum Jerusalem umfassende Größe – ohne damit eine weltweite Verwirklichung der absoluten Herrschaft Gottes auszuschließen« (). Jesus zieht nach Jerusalem: »Denn an diesem Orte sollte sich ja in Kürze der macht- | volle Hereinbruch der Gottesherrschaft ereignen« () – das steht nun in keiner Jesusüberlieferung, sondern bei A. Schweitzer. Z. schreibt dem historischen Jesus die Anschauung zu, »daß das Sichdurchsetzen von Gottes Königsherrschaft durch Gottes richterliches Einschreiten ermöglicht« werde (); diese »drängende . . . Naherwartung vom Reich Gottes und Endgericht« () hat sich nicht erfüllt, und damit bleibt für den modernen Menschen wenig übrig (–). Das hatte auch A. Schweitzer schon so gesehen. 6 In dem gleichzeitig erschienenen Aufsatz: Jesus von Nazareth. Von der theologischen Notwendigkeit der Frage nach dem historischen Jesus, plädiert Z. dafür, das Dissimilaritätskriterium »recht weit« zu fassen, »dann steht es dem sog. „Historischen Plausibilitätskriterium“ nahe« ().
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III. Die Verkündigung Jesu
Bei fast allen Büchern spielte die Frage nach Jesu Stellung zum mosaischen Gesetz eine Rolle; Spezialarbeiten dazu sind dagegen selten, wobei wieder zu bedenken ist, daß der ThR nur eine eher zufällige Auswahl vorgelegt wurde. I B hat die Vorträge eines diesem Problem gewidmeten Symposiums herausgegeben (Jesus und das jüdische Gesetz, ) und in seiner Einführung auf das erkenntnisleitende Interesse, das hinter den unterschiedlichen Positionen steht, hingewiesen: »Man hat . . . gemeint, im Verhältnis Jesu gegenüber dem Gesetz einerseits einen Ansatzpunkt für die Übertragung des Messiastitels auf den historischen Jesus finden zu können. Andererseits hat die Rekonstruktion des Verhältnisses des historischen Jesus zum Gesetz aber auch Konsequenzen für die christliche Sicht des Judentums, denn wenn das Judentum zur Zeit Jesu in Gesetzesdingen gar nicht so starr war, wie es in der exegetischen Jesusliteratur vergangener Jahre häufig dargestellt wurde, und wenn . . . das Verhalten Jesu vielleicht gar nicht so exzeptionell war, wie es häufig in exegetischer Sicht erschien, dann haben wir das Judentum zur Zeit Jesu um der Profilierung Jesu und des Christentums willen auf Kosten des Judentums kleiner gemacht als es in Wahrheit gewesen ist . . . Es geht insofern bei dieser wissenschaftlichen Auseinandersetzung um mehr, als gewöhnlich bei exegetischen Streitfragen auf dem Spiele steht, ohne daß hier etwa einer Seite (besondere) Voreingenommenheit vorgeworfen werden soll« (). Das mag in etwa zutreffen; am wichtigsten erscheint mir freilich die Forderung nach Fairness, die in dem Beitrag von Gerhard Dautzenberg (Über die Eigenart des Konfliktes, der von jüdischer Seite im Prozeß Jesu ausgetragen wurde, –) grob verletzt wird. Er wirft den Forschern, die die gesetzeskritischen Jesusüberlieferungen für authentisch halten, vor, sie würden »den theologischen Antijudaismus des Johannesevangeliums, der alten Kirche und Luthers, um nicht zu sagen der Deutschen Christen, historisch zu verifizieren suchen« (f.). Angesichts einer derart massiven Drohung mit der Antijudaismuskeule ist ein wissenschaftlicher Diskurs unmöglich.7 Die Untersuchung von Jens-W. Taeger über Mk , eröffnet die Tagung (Der grundsätzliche oder ungrundsätzliche Unterschied. Anmerkungen zur gegenwärtigen Debatte um das Gesetzesverständnis Jesu, –). Taeger stellt den wichtigen Grundsatz auf, man erfasse das für Jesus Charakteristische erst, »wenn man die Gesetzesthematik im Kontext der Verkündigung Jesu, also der Basileia-Botschaft, würdigt« (). Zu Recht unterstreicht er, »daß in Jesusüberlieferungen mit Anspruch auf Authentizität die Teilhabe am Heil der Gottesherrschaft nicht von der Toraobservanz abhängig gemacht wird« (). Als einzige Grundsatzäußerung Jesu, deren Authentizität »ernsthaft zu erwägen« sei (), nennt er Lk ,a, wo Jesus nicht »Abschaffung«, aber »Neubewertung« der Tora fordere. Aus Taegers eingehender Exegese von Mk , hebe ich hervor: »Das Wort spricht nicht in erster Linie von dem, was nicht gilt, sondern von dem, was gilt: Den Menschen macht das 7 Dautzenberg hat in BZ () – die Diss. von D. Kosch, Die eschatologische Tora des Menschensohnes, , rezensiert und darin ebenfalls dieses »Argu- | ment« verwandt; diese Rez. war ihm so wichtig, daß er sie in seinen Aufsatzband Studien zur Theologischen Jesustradition , – , wieder veröffentlicht hat.
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unrein, was aus ihm hervorgeht. Andererseits darf ebensowenig V. b allein für sich betrachtet werden, als ginge es bloß um die Forderung der inneren Reinheit. Die Definition dessen, was Unreinheit verursacht, widerspricht eben einer anderen, in V. a genannten Auffassung und beansprucht alleinige Gültigkeit, setzt nicht nur neue Akzente, wie die kategorische Formulierung zeigt. Schwächt man diese ab, hält sie für rhetorisch überspitzt, . . . ist das ein Ausdruck der Verlegenheit: Die Aussage des Logions soll einer vorgefaßten exegetischen Meinung nicht zuwiderlaufen« (). Der Spruch Mk , »darf . . . als höchstwahrscheinlich authentisch gelten, zumal er sich in das erkennbare Bild des Wirkens Jesu einfügen läßt« ().8 Das ist richtig und weiterführend. Der Aufsatz von Peter Trummer (Zwischen Gesetz und Freiheit. Überlegungen zu einer Antinomie bei Jesus und Paulus, –) befaßt sich – nach allgemeinen Überlegungen zur Gesetzesproblematik – vor allem mit der Heilung der »blutflüssigen Frau« (Mk ,–) als treffendem Beispiel der befreienden Praxis Jesu im Blick auf Lev . Der Herausgeber Ingo Broer wirft einige Schlaglichter auf die Forschungsgeschichte und konzentriert sich auf die Frage nach der Sündenvergebungsvollmacht Jesu anhand von Mk ,– (–). Er will »die Perikope in den Rahmen des damaligen Judentums, soweit wir es kennen«, einzeichnen (). Schon im AT stehen Sündenvergebung durch Opfer und »Sündenvergebung als Folge allein der Umkehr« () nebeneinander. In der frühjüdischen Literatur findet Broer ebenfalls Hinweise auf die sündenvergebende Kraft der Umkehr (–). Er formuliert als »Resultat«: »Jesu Vergebungspraxis sollte nicht zu sehr mit dem Judentum kontrastiert werden. Denn auch das Judentum setzt bei Versöhnung und Sühne nicht nur oder ausschließlich auf Opfer . . . Umgekehrt aber gibt es auch im Judentum eine Reihe von ergreifenden Texten, welche vor allem auf Vergebung und Umkehr . . . setzen. Sachlich liegen also Jesus und das Judentum gar nicht so weit auseinander. Radikalisiert wird die neutestamentliche Vergebungsfrage vor allem in der Person des Verkünders, der mit seinem Evangelium „jetzt“ zur entscheidenden Umkehr ruft« (). Das ist alles bedenkenswert, aber es | bleibt die schon von E. P. Sanders getroffene Feststellung, daß es mit der Umkehrforderung bei Jesus gar nicht so weit hergewesen zu sein scheint! Und ferner ist zu fragen, warum die (angeblichen oder wirklichen) Vorbilder Jesu wie Choni oder Hanina b. Dosa ihre Heilungen nie mit Sündenvergebung verbinden. Karlheinz Müllers »Beobachtungen zum Verhältnis von Tora und Halacha in frühjüdischen Quellen« (–) zeigen in lehrreicher Weise, vor allem anhand von Texten aus Josephus, daß die Eigentum und Eigentumsverlust betreffenden Halachot sich von der Tora unterscheiden. Aber es ist doch wohl selbstverständlich, daß gerade auf diesem Gebiet die Regelungen der Tora in hellenistischer Zeit überholt werden mußten. Jesus scheint sich dezidiert derartigen Fragen verweigert zu haben (Lk ,f.). Der Ertrag für die Jesusforschung ist m. E. auch deswegen gering, weil Jesus in der Regel keine Halachot formulierte, sondern grundsätzlich urteilte. Traugott Holtz (–) vertritt die m. E. zutreffende These, »daß Jesus in tödlichen Konflikt mit führenden Kräften des Judentums geraten ist, daß dieser Konflikt religiös begriffen wurde als messianisch begründeter Angriff gegen die gültige Ordnung, und daß er nicht erst in den letzten Tagen und Stunden anhand eines besonderen, zeitlich und sachlich umgrenzten Vorfalls entstand, sondern daß er eine längere, ebenfalls im religiösen Anspruch Jesu begründete Vorgeschichte hat« (). Zur Begründung verweist H. kurz auf die Antithesen der Bergpredigt und eingehender auf das Streitgespräch über die Ehescheidung (Mk ,–).9 8
Taeger hätte den Aufsatz von U. Schnelle, Jesus, ein Jude aus Galiläa, BZ () –, mit Gewinn heranziehen können. 9 Holtz hat eine allgemeinverständliche Jesusdarstellung vorgelegt, die W. G. Kümmel (ThR () = Dreißig Jahre Jesusforschung, ) als »die z. Z. beste allgemeinverständliche Jesusdarstellung in deutscher Sprache« beurteilt hat. Von dieser Schrift ist eine leicht überarbeitete Taschen-
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Der Beitrag von Gerhard Dautzenberg (–), auf den schon kurz verwiesen wurde, befaßt sich mit dem Prozeß gegen Jesus und gehört daher nicht direkt in diesen Zusammenhang. Aber er setzt sich mit Forschern auseinander, die die gesetzeskritische Haltung Jesu zu den Voraussetzungen des Prozesses rechnen. Wer das tut, sei »zu sehr unbestimmten und fragwürdigen Konstruktionen . . . genötigt«, und »solche vagen Konstruktionen« öffneten »die Türe zu beliebigen Vermutungen und christlichen Projektionen über die Anlässe der Verurteilung Jesu« (). So wirft Dautzenberg etwa J. Becker »die Aufstellung hoher Postulate und scheinbar unausweichlicher Alternativen« vor. Nun beachte man die Begründung: »Becker weigert sich . . . , eine Demonstration Jesu am Tempel und gegen den Tempel als zureichenden Grund für | seinen Prozeß und seinen Tod anzuerkennen, obwohl es viele Fälle gegeben haben wird, bei denen nicht einmal ein solcher zureichender Grund für römisches Einschreiten genannt werden könnte« (). Wer stellt hier Postulate auf? Im Blick auf die Logien Mk ,; , und , schreibt Dautzenberg: »Sollten sie die Haltung Jesu wiedergeben, dann müssen [!] sie eine gesetzestreue Interpretation zulassen« () – ein hohes Postulat! Wenn man die Argumentation weiter verfolgt, so findet man z. B. auf einer einzigen Seite () »möglicherweise«, »eher unwahrscheinlich«, »dürfte«, »am ehesten«, »wohl kaum«. Mit so vielen puren Ermessensurteilen wird die Auseinandersetzung nicht gefördert.10
Der Beitrag von Johann Maier bietet vielfältige Informationen über die Jerusalemer Tempelanlage und ihre religiösen und politischen Implikationen (–) und untersucht dann das Konfliktpotential, das die Tempelkritik Jesu enthalten haben könnte. Zwei Feststellungen erscheinen mir für die Diskussion wichtig: () »Das Konfliktpotential auf der Basis des Vorwurfs nur äußerlicher Kultpraxis führt über das innerjüdische Übliche, Banale nicht hinaus. Eine Kritik an veräußerlichter Kultpraxis wird grundsätzlich erst zum Stein des Anstoßes, sobald es um Ablehnung der Kultpraxis überhaupt und somit um die Ablehnung eines gewichtigen Teiles der Torah-Vorschriften geht« (). () »Eine abwehrende und gegebenenfalls feindselige Reaktion der von der Kritik Getroffenen begründet sich . . . nicht bloß aus der Wahrung der Interessenlage. Man darf diese materiellen und machtpolitisch bedingten Interessen nicht im Sinne modernen politisch-sozialen Denkens interpretieren. Die soziale und politische buchausgabe erschienen (T H, Jesus aus Nazareth). In beiden Fassungen wird die Gesetzesproblematik stark verharmlost ( – = –). Mk ,– wird erst in der Neuauflage () mit einem einzigen Satz gestreift. Erst im letzten Kapitel redet H. Klartext: »Sicher hatte das Auftreten Jesu, sein Tun und sein Reden, einige Aufmerksamkeit im Volk erregt. Sie war stark genug, die Gegenmaßnahmen der offiziellen Vertreter hervorzurufen. Es wird vor allem die offene und überzeugende Freiheit dem überkommenden Gottesgesetz gegenüber gewesen sein, die Jesus verdächtig machte. Da er sie nicht nur im Wort vertrat, sondern mit der Tat gerade auch denen zuwandte, die außerhalb des Gesetzes standen oder gestellt wurden und damit zugleich sozial desintegriert waren, war er wirklich gefährlich ( f., fast wortgleich mit ). In der Neuauflage ist aber noch ein Passus zur Ehrenrettung der Pharisäer eingeschoben mit dem Spitzensatz: »Es war das Zusammenspiel von Religion und Macht, das Jesu Ende besiegelte; das aber war nicht die Sache der Pharisäer« ().« 10 Hingewiesen sei noch auf einen Diskussionsbeitrag Dautzenbergs: Gegen T. Holtz’ These, das »Scheidungsverbot« Jesu sei unableitbar, macht er geltend: »Im Frühjudentum hatte sich faktisch schon ein Ehescheidungsrecht angebahnt, wie die Belege in CD und QT ,– zeigen« (). Dieses irreführende Argument, das immer wieder auftaucht, hat der Qumranspezialist J. Maier längst beseitigt: »Im Kontext der vorliegenden Passagen in CD und TR stehen weder Eheschließung noch Ehescheidung zur Debatte« (J. Maier, Die Tempelrolle und das »Neue Jerusalem«, München/Basel , ).
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Ordnung Judäas galt als eine auf der Torah beruhende Ordnung, hatte insofern kultische und religiöse Relevanz, ihre Praktizierung galt als Ausdruck und Vollzug des Gotteswillens, letztlich der Gottesherrschaft. . . . Das Eigeninteresse der herrschenden Gruppen deckte sich in ihrem Bewußtsein weitgehend mit einem Amtsund Sendungsbewußtsein, das sich aus dieser torah-theologischen Motivation ergab. Religiös-rituelle Ordnung, politische Herrschaft und gesellschaftlich-wirtschaftliche Verhältnisse waren mit den Funktionen des Tempels derart verbunden, daß für die Herrschenden die Kritik an einem Punkt auch andere und irgendwie alles in Frage zu stellen schien« (f.). | In dem schon oben erwähnten von D M u. a. herausgegebenen Kongreßband aus der romanischen Schweiz (Jésus de Nazareth, ) wird die Gesetzesfrage nur in einem kurzen Aufsatz von E. P. Sanders (La rupture de Jésus avec le judaïsme, –) behandelt. Darin wiederholt Sanders seine zum Schibbolet der Third Quest gewordene These vom toratreuen Jesus; einen »Bruch« mit dem Judentum hat es also nicht gegeben. Die Konfliktszenen apostrophiert er als »transgressions occasionelles et fortuites« (); auf die vielfältige und m. E. gut begründete Kritik seines Ansatzes geht er nicht ein.11 Wertvolle Beiträge zum Verständnis der Verkündigung Jesu hat P H vorgelegt. Die ersten sechs seiner »Studien zur Frühgeschichte der Jesus-Bewegung« zeichnen sich aus durch einen klaren methodologischen Zugang, ihren Ansatz bei der Gotteserfahrung Jesu und umfassende Beachtung des zeitgeschichtlichen Hintergrunds. Wesentlich erscheint mir der Zugang H.s zur authentischen Jesusüberlieferung. »Wir stoßen auf das Profil Jesu gerade dort, wo die Gemeinde auch für sie Anstößiges – nicht ohne den Versuch einer Entschärfung – aufbewahrt hat oder wo Jesus mit seinen jüdischen Zeitgenossen in Konflikt gerät. Dabei ist nicht ausgeschlossen, sondern im Gegenteil vorausgesetzt, daß Jesus in der Kontinuität der Glaubensgeschichte seines Volkes steht. Anders wäre er in seinem geschichtlichen Auftreten nicht zu begreifen, hätte er kaum eine Chance gehabt, von seinen Zeitgenossen verstanden zu werden. Offenbar hatte man ihn jedoch sehr gut verstanden. So gut, daß der Konflikt mit denen unausweichlich wurde, die sich als die Hüter des wahren Glaubens und Sachwalter der rechten Frömmigkeit verstanden. Für sie wurde er zum Übertreter des Gesetzes. Als Aufrührer gegen die geltende Ordnung wurde er schließlich von den Römern hingerichtet« (). Die Gotteserfahrung Jesu geht von seiner zeitweiligen Verbindung zu Johannes dem Täufer aus. Der vom Täufer verkündigte Gott »ist ein verzehrendes Feuer. Vor seinem Gericht schwinden alle Heilsprivilegien Israels und jegliche Standesvorrechte. Bestehen kann nur der, der sich der Forderung einer radikalen Änderung seiner Lebenseinstellung unterwirft. Diese Gotteserfahrung bestimmte offenbar auch Jesus; sie blieb in ihrem Kern für ihn zeitlebens bestehen, auch als er sich vom Täufer abwandte und eigene Wege ging« (f.). Der nicht näher bestimmbare Bruch mit dem Täufer spiegelt sich schon in seinem Weg aus der Wüste weg in das blühende Galiläa, vgl. Mt ,f.//Lk ,f. Inhaltlich bedeutet das: »Auch für Jesus ist die Gegenwart die Zeit der letzten Entscheidung – doch es geht ihm um die Entscheidung für 11 Hierzu sei vor allem verwiesen auf M. Hengel/R. Deines, E. P. Sanders’ »Common Judaism«, Jesus, and the Pharisees, JThS (), –; in erweiterter deutscher Fassung in: M. Hengel, Judaica et Hellenistica. Kleine Schriften I, Tübingen , –.
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einen Gott, der menschenfreundlich ist und dessen Nähe wohltut« (). Ein wichtiger Unterschied zum Täufer besteht auch darin, daß Jesus vom Anbruch der Herrschaft Gottes in der Gegenwart spricht (f.). Lk , könnte erklären, wie Jesus zu seiner Deutung der Gegenwart kam (). »Daß der Gott Israels ein gütiger und menschenfreundlicher | Gott ist, „ein Gott der Vergebung“ (Neh ,), gehört zu den Grundüberzeugungen jüdischen Glaubens . . . Dennoch ist nicht zu übersehen, daß wegen dieser Frage Jesus in einen lebensbedrohenden Konflikt gerade mit den Frömmsten seiner Zeitgenossen geriet. Offenbar waren die Konsequenzen, die er aus diesem jüdischen Grunddogma zog, von einer Art, daß vielen jener von Jesus für sein Verhalten in Anspruch genommene Gott nun selbst in Frage gestellt schien« (f.). Von dieser Mitte her versteht H. auch zu Recht die Stellungnahme Jesu zum Gesetz des Mose: »Gegen die Vorschriften der dem Moses auf dem Sinai offenbarten ewig gültigen Tora stellt Jesus das, was er unmittelbar als Willen Gottes erkennt. Gott und Mensch stehen einander ohne Zwischeninstanzen gegenüber. In dieser Situation werden gesetzliche Festlegungen, kultische Vorschriften und Rituale zum Hindernis für die Ganzheit und Einfachheit der Beziehung zwischen Gott und Mensch, gerade weil sie Gott festlegen und dem Menschen die Möglichkeit geben, sich vor Gott (und dem Mitmenschen) zu verstecken« (). Wird in den Aufsätzen H.s Jesus authentisch von seiner Mitte her erfaßt, so wird in den Beiträgen »Das Recht der Frau oder „wider die legalisierte Willkür des Mannes“« (–) und »Der Feind als Nächster« (–) auch die Sozialgeschichte kenntnisreich herangezogen. Es ehrt P. Hoffmann, daß er nicht nur im Zusammenhang der einzelnen Aufsätze, sondern auch in einem eigenen Taschenbuch12 den prometheischen Versuch unternommen hat, Konsequenzen aus der Verkündigung Jesu bei seiner Kirche anzumahnen. Darauf soll nachdrücklich verwiesen werden.
Ingo Broer hat zwölf Jahre nach der Herausgabe des Sammelbandes »Jesus und das jüdische Gesetz« das Thema Jesus und das Gesetz in einem von L S u. a. herausgegebenen, der Erinnerung an Anton Vögtle gewidmeten Gemeinschaftswerk (Jesus von Nazareth. Spuren und Konturen, ) untersucht. Auf B.s vernünftige methodologische Untersuchung in diesem Buch ist schon oben hingewiesen worden. Leider zeigt dieser zweite Beitrag, daß ein richtiger Ansatz durch Vorentscheidungen anderer Art verunklart werden kann. Broer meint, aus Mt ,//Lk ,a könnte man einen grundsätzlichen Bruch mit dem Gesetz herauslesen. »Sehen wir davon ab, dass diese Ansicht der „Dritten Frage“ schon im Ansatz widerspricht! Gegen eine Authentizität in diesem Sinne sprechen auch [!] andere Gründe, zum einen, dass Jesus sich mit dieser Aussage völlig um seine Wirkung innerhalb des Judentums gebracht hätte, zum anderen wäre bei einem solchen grundsätzlichen Bruch mit dem Judentum durch den historischen Jesus die Entwicklung der Urgemeinde unverständlich« (). Daß das Postulat der Third Quest für B. erkenntnisleitend ist, sieht man leider an B.s Behauptung, »wir müssen für die Frage nach Jesu Verhältnis zum Gesetz zwar nach originellen, aber letztlich innerhalb des Judentums verbleibenden Worten Jesu suchen« (), und weiterhin an seinem Postulat: »eine Aussage wie Mk , kann jedenfalls nicht als grundsätzliche Abschaffung der Reinheitsvorschriften durch Jesus gelten« (). In dem von ihm herausgegebenen Sammelband hatte B. einen Dialog zwischen den gegensätzlichen Positionen | gefordert; auf den dort abgedruckten Beitrag von J.-W. Taeger geht er aber hier mit keinem Wort ein. Leider wiederholt B., mit leichter Einschränkung, das abwegige Argument, Paulus hätte Mk , 12
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P. Hoffmann, Das Erbe Jesu und die Macht der Kirche (Topos-Taschenbuch ), Mainz ,
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im antiochenischen Konflikt zitieren müssen – kannte Paulus etwa Markus? Wie die geniale Redaktion von Mk ,– durch Mt ,– zeigt, konnten Judenchristen mit Mk , auskommen, weil sie den Spruch nur auf das (pharisäische) Händewaschen bezogen. Aber der antiochenische Konflikt zeigt anderes: Petrus, der Jünger des irdischen Jesus, hält in Antiochien problemlos Tischgemeinschaft mit Heidenchristen. Er macht einen Rückzieher erst auf Druck von Abgesandten des Jakobus hin, der bekanntlich seinem Bruder zu dessen Lebzeiten ablehnend gegenübergestanden war.13 Insofern ist es irreführend, wenn B. »die gesetzeskonforme Haltung der Gruppe um Petrus und Jakobus« geltend macht (). Hinterfragbar ist auch B.s Argument, Jesus könnte sich durch Gesetzeskritik völlig um seine Wirkung gebracht haben. Wie groß war denn seine Wirkung zu Lebzeiten? Als er nach Jerusalem zog, hatte er vielleicht zwei Dutzend Anhängerinnen und Anhänger bei sich! Über seine Erfolglosigkeit in seinem Hauptgebiet Galiläa klagt Jesus selbst (Mt ,– par. Lk ,–); die Heilungswunder werden daran wohl nicht schuld gewesen sein. Auch die wiederholten Klagen des synoptischen Jesus über »dieses Geschlecht« sprechen gegen die oft behauptete Beliebtheit Jesu. Wie E L in seiner Studie »Jesus and „this generation“« gezeigt hat, steht hinter dieser Formel die atl. Kritik an der Sintflut- bzw. Wüstengeneration: »It is . . . the faithless, rejecting attitude of people to God’s act of salvation in Jesus . . . which causes the negative connotations of h¯e genea haut¯e« (). Im Zusammenhang mit der »Zeichenforderung« Mk ,–, die m. E. sicher authentisch ist, bedeutet das: »Those who have experienced his divine mission, listened to his preaching and witnessed his mighty deeds . . . but met him with doubt and contradiction, have a typological „forerunner“ in the faithless people of the first exodus« (). Weshalb musste Jesus eine solch’ weitgehende Ablehnung konstatieren? Ernsthafter Widerspruch zur Tora darf nicht a priori ausgeschlossen werden. Immerhin räumt Broer ein, »dass Jesus zumindest an einzelnen Punkten Kritik an Bestimmungen des Gesetzes vorgetragen hat« (), wofür er die . und die . Antithese der Bergpredigt, Sabbatworte (aber nicht Mk ,!), die Nachfolgeforderung Mt ,f. und das Ehescheidungsverbot anführt. So werden – wie der Titel des Sammelbandes verspricht – »Spuren und Konturen« des Nazareners hier sichtbar, wenn auch mit dem Weichzeichner.
Die umfassende Untersuchung von T K über Jesus und die Reinheitshalacha greift den vielleicht schwerstwiegenden Streitpunkt auf. K. steht in der »Dritten Frage«, auch wenn er lieber von einer »dritten Phase« spricht (). So geht er auch von den erzählenden Überlieferungen aus und stellt Mk in den Hintergrund. | Für die als New Quest bezeichnete Forschungsetappe war es relativ sicher, daß Jesus Kritik an der Reinheitstora geübt hat, konnte man doch sowohl die Wortüberlieferung (Mk ,) als auch sein vielfach geschildertes Verhalten dafür geltend machen. Daß in der Third Quest diese Auffassung nicht akzeptiert wird, ist schon wiederholt deutlich geworden; K. hat nunmehr die neue Sicht umfassend zu verteidigen gesucht. Er steht natürlich auf dem Boden der »Dritten Frage« und wiederholt daher die gängige Kritik an der »Neuen Frage« (– und –). Sein Plädoyer für das Theißen/Wintersche »Plausibilitätskriterium« (–) sieht zwar auch Probleme; K. trifft sogar die bemerkenswerte Feststellung: »Without exaggerating the discontinuous
13 Bei F. Siegert finde ich den Hinweis auf E. Nodet, James, the Brother of Jesus, was never a Christian, in: S. C. Mimouni/S. Jones (Hgg.): Le Judéo-Christianisme dans tous ses états, Paris , –. Siegert bemerkt dazu treffend: »In der Tat läuft alles, was uns an Aktivitäten von Jakobus berichtet wird, auf eine möglichst unveränderte Konservierung des Judentums hinaus« (F. Siegert: Das Evangelium des
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element, one could profitably argue that the most interesting questions in the quest for the historical Jesus do not concern the similarities and points of agreement between Jesus and his social, cultural and religious context, but rather the differences and areas of contention. Where did he differ, how did he differ and, if possible, why did he differ from his environment?« Aber schon im nächsten Satz wird diese absolut richtige Überlegung domestiziert: »Such questions can be asked without the risk of distortion, only when Jesus’ basic continuity with Judaism is given due place« (). Warum muß man grundsätzliche Übereinstimmung mit »dem Judentum« voraussetzen? Im Blick auf die »much debated conflict stories« () schließt sich K. der Auffassung von R. Booth14 an: Die ursprüngliche Überlieferung sei Mk ,.().., womit bereits entschieden ist, daß das an sich revolutionäre Logion , nur auf das »Händewaschen« zu beziehen ist (f.), obwohl Mk , eindeutig eine redaktionelle Einleitung zu einem neuen Spruch ist. K. ist, wie Booth, hier einfach der abschwächenden Mt-Redaktion auf den Leim gegangen. Immerhin geht er wenigstens nicht den Weg des geringsten Widerstands, indem er es für unecht erklärt. Daß er einen Einfall von J. D. G. Dunn auch noch für wahrscheinlich hält (), daß nämlich Mt , eine ältere Form des ursprünglichen Logions sei (weil weniger anstößig!), verkennt völlig die Umgestaltung des Streitgesprächs durch Mt; aber es paßt in den Trend.
K. zeigt, daß es im Judentum des zweiten Tempels eine Tendenz zur Verschärfung der Reinheitsvorschriften gab (ff.). In diesem Kontext war die anscheinend sorglose Haltung Jesu anstößig. Aber Jesus hat nun andere Prioritäten gesetzt – innere Reinheit ist wichtiger als äußere. Daß der klare Wortlaut von Mk , keinen Komparativ enthält, ist also wieder einmal unwichtig. Ebenso verfährt K. bei der Untersuchung der Heilungswunder (»Jesus and defilement through contact«, –). Man mag zugestehen, daß sich in diesen Erzählungen etwas von der Haltung Jesu widerspiegelt. Natürlich war das schon in der »Neuen Frage« aufgefallen und hatte als unterstützendes Argument für die torakritische Interpretation von Mk , gedient. K. schränkt das wieder charakteristisch ein: ». . . the available sources retain memories of Jesus as not conforming to, or being in tension with, the expansionist purity ideals, which were influential on the contemporary scene«. Und die Begründung für diese einschränkende, von keinem synoptischen Befund nahegelegte Auslegung lautet: »To say that Jesus was indifferent to purity . . . is | to take an interpretative leap which is not fully substantiated. Jesus’ attitude was apparently understood as seemingly indifferent in his contemporary context. It is uncertain whether anyone who lived within a society imbued with such a purity paradigm could be genuinely so. Interpretation of Jesus’ attitude must be carried out within the framework of contemporary society and culture, and using conceptions inherent in the purity paradigm itself« (). Die Umweltreferenz hat also Vorrang vor der Jesusüberlieferung. Sodann zeichnet K. Jesus in eine schon in der Zeit des ersten Tempels beginnende Entwicklungslinie ein, die moralisches Übel und soziale Ungerechtigkeit mit Unreinheit gleichsetzt, besonders in Qumran und bei Johannes dem Täufer. »The evidence shows . . . that Jesus emphasized inner purity over outer purifications to the degree that he was considered as downplaying the latter« (): Zur Unterstützung dieser Auffassung wird sogar eine ausführliche Untersuchung der unsäglich primitiven Polemik des POxy herangezogen (–)! Natürlich kommt sofort die Beschwichtigung: »This does not mean that he denied concepts of Johannes in seiner ursprünglichen Gestalt, SIJD , Göttingen , A. ). Wenn Nodet allerdings Jakobus im Gefolge R. Eisenmans nach Quumran bringt, ist das unsinnig. 14 R. Booth, Jesus and the Laws of Purity: Tradition History and Legal History in Mark , Sheffield (JSNT Suppl. ); dazu W. G. Kümmel, ThR () f. = Jahre Jesusforschung, f.
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bodily impurity altogether, or refused to take part in basic and general purification practices« (). Wenn Jesus die innere Reinheit über die äußere stellte, so ist das »in line with the old prophetic heritage, but amounts to a downplaying of outer purification rituals . . . In this Jesus seems to have gone further than many of his Jewish contemporaries . . . He carried relativization to the point of neglect« ().
Letztlich ist K. wieder beim alten liberalen Jesusbild: Jesus ist ein Reformator, der menschliche Traditionen beschneidet, aber schriftgemäß denkt und handelt. Und das war schon das Bild der matthäischen Redaktion. Zur Erklärung des Verhaltens Jesu greift K. zur Soziologie: Jesus hat die für Galiläa typische Einstellung. In Galiläa war man zwar durchaus jerusalemfreundlich, aber eher traditionalistisch fromm und daher den expansionistischen Forderungen der Pharisäer abgeneigt (–). Ob das zutrifft, müssen Judaisten genauer untersuchen. Daß Jesus in dieser brisanten Frage nur ein Vertreter des galiläischen Regionalismus gewesen sein soll, halte ich für eine grobe Verzeichnung. »Man darf wohl sagen, daß man von Jesus und dem, was er wollte, nichts begreift, wenn man sein Gottesverhältnis ausklammert.«15 Auch in dieser Frage denkt K. in die richtige Richtung, biegt aber – dem Trend folgend – in die falsche Richtung ab: »While I think that Jesus’ behaviour reveals different priorities, and that there is something to the suggestion that his understanding of God’s will differed somehow, I am convinced that Jesus’ attitude to legal issues must be interpreted within the framework of his contemporary society, with its culture and religion« (). So kann man bei K. viel über die jüdischen Reinheitsvorstellungen lernen, aber das Entscheidende über Jesus erfährt man nicht. G D ist schon oben durch seinen Aufsatz über den Prozeß Jesu als Vertreter eines streng judenchristlichen Jesusbildes vorge- | stellt worden. Da D. keine Auskunft über seine Authentizitätskriterien gibt, legt sich ein Blick in den früheren Aufsatz »Gesetzeskritik und Gesetzesgehorsam in der Jesustradition« (in: Studien zur Theologie der Jesustradition, ) nahe. Da fällt die Entscheidung bemerkenswerterweise auch nicht bei der Analyse der synoptischen Tradition, sondern beim paulinischen Befund (–). Die erste These lautet: Paulus konnte sich in den Auseinandersetzungen um Tischgemeinschaft zwischen Judenchristen und Heidenchristen oder der Sabbatbeobachtung nicht »auf eine Stellungnahme Jesu berufen, weil ihm die Traditionen von Mk ,–,; ,– nicht bekannt waren« (). Über den Wert des »argumentum e silentio«, das D. oft rügt, mag man unterschiedlich denken, aber der implizierte Schluß – weil Paulus diese Stücke nicht zitierte, kannte er sie nicht, also gab es sie noch nicht – ist problematisch. Immerhin zitiert Paulus in Kor ,f.; , Jesusworte, gegen die er sich entscheidet! Jesusworte waren für Paulus kein Parther- und Medergesetz. Auch die zweite These ist abwegig: »Paulus wußte nichts von einem Konflikt Jesu mit der Tora. Das Wissen von einem solchen Konflikt hätte sein heilsgeschichtliches Konzept . . . und sein christologisches Konzept vom Sohn Gottes, der um der Ablösung der Tora willen selber die Bindung an 15
J. Blank, Was Jesus heute will, ThQ , (–), hier .
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die Tora auf sich nahm, unmöglich gemacht« (); Zeugen D.s sind die Texte Gal , und Röm ,. Nun ist im Gal die Ablösung der Tora keinesfalls Folge der Bindung Jesu an die Tora, sondern Folge der Übernahme des Fluches. Und in Röm , ist Jesus »Diener der Beschneidung« im Unterschied zu Paulus’ Dienst an den Heiden, d. h. »Beschneidung« ist als abstractum pro concreto aufzufassen. Der Dienst Jesu an Israel bestand nicht in der Erfüllung der levitischen Gesetze, sondern in seinem sühnenden Tod. Aus Paulus lassen sich keine Schlüsse auf das konkrete Verhalten des irdischen Jesus ziehen. D. untersucht dann »Gesetzeskritik und Gesetzesgehorsam im Markusevangelium und in dessen Traditionen« (–). Hier sieht D. das hellenistische Judentum und die palästinische Weisheitstradition im Hintergrund (). Die Gesetzeskritik »muß (!) sich . . . im Zusammenhang der bewußt aufgenommenen Mission unter den Völkern aller Wahrscheinlichkeit nach (!) unter charismatischen Erfahrungen ausgebildet haben. Erst sekundär . . . kam es zu einer entsprechenden Ausgestaltung der Jesustradition« (). Schon vorher häuft D. Ermessensurteile auf, um die »Hellenisten als Zeugen für Jesu Haltung auszuschalten« (»erklärt sich am ehesten daraus . . . «, »zu einlinig«, »Ich halte es für unwahrscheinlich«, »ist . . . nicht notwendig«, »kaum«, »Es ist auch unwahrscheinlich« – alles auf S. !). Wenn man die Erbaulichkeit der »charismatischen Erfahrungen« wegläßt, ist man hier im Grunde wieder bei Reimarus. Er bezeichnete es als das fünfte Mittel, das die Apostel zur Ausbreitung des Christentums anwandten, »daß sie sich mit ihrem Evangelio an die Heyden wandten, und die Levitischen Gebräuche, nämlich die Beschneydung, die Opfer und Reinigungen etc. sämtlich abschafften . . . daß sie in dem Stück von ihres Meisters Exempel und Vor- | schrift gantz abgewichen sind« (II, ). »So klug nun die Apostel in der Aufhebung des Levitischen Gesetzes nach ihrer Absicht handelten: so bleibt doch gewiß und wahr, daß sie dadurch ihres Meisters System in dem wichtigsten Theile änderten. Denn nach dessen Idee sollte kein Tüttel vom Gesetz vergehen, sondern es sollte ewig bleiben« (II, ). Schließlich beruft sich D. noch auf die Logienquelle, in der er »kein Anzeichen für einen . . . Bruch mit dem Ritualgesetz finden« kann (). Nun ist die streng judenchristliche Ausrichtung von Q längst bekannt, aber es wäre zu begründen, daß sie auch genau der Einstellung Jesu entspricht. Warum sollte Q tendenzfrei gewesen sein? Hier genüge ein Hinweis auf den ausgezeichneten Aufsatz von Christopher M. Tuckett: Q and the Historical Jesus (in: J. S/R. B, der historische Jesus , –).
Es ist zweckmäßig, hier eine Anzeige der Arbeit von E C anzuschließen, denn sie geht letztlich auf ein gesetzlich verfaßtes Jesusbild hinaus. Wie C. in der Einleitung ausführt, war sein ursprüngliches Ziel, die Einheit der Verkündigung Jesu mit der des Paulus aufzuzeigen. Jesus mußte sich aber vor Ostern an die Erwartungen seiner Hörerschaft anpassen und konnte daher noch nicht ganz so sprechen wie Paulus (man hört von ferne die aufklärerische Akkomodationstheorie!). Um nun die Erwartungen, die an Jesus herangetragen wurden, zu bestimmen, studiert C. vor allem die Soteriologie der Qumrantexte (–), vornehmlich mit Hilfe der Sekundärliteratur. Darüber müßte ein Judaist urteilen, aber das ist in unserem Zusammenhang nicht von Wichtigkeit. Denn C. geht in seinem relativ kurzen Jesusteil (–) von völlig unhaltbaren Voraussetzungen aus. Er rekonstruiert nämlich die Verkündigung Jesu im wesentlichen aus Matthäus und besonders aus der Bergpredigt. Redaktionskritische Überlegungen lehnt er ausdrücklich ab. »Whether or not one starts from
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a Marcan priority (and Q), clearly Matthew’s Jesus emphasizes obedience and doing the will of God more than in Mark and Luke. However, this writer ist not prepared to see this emphasis as due to Matthew’s later Christian congregation . . . The premise of this study is that the Synoptic authors portrayed accurately the words and ministry of Jesus . . . « ( A. ). Dem entspricht, daß C. sich bereits zu Beginn des Buches für sein Bild »Jesus abiding the Mosaic Law« auf das Buch des jüdischen Soziologen I. M. Zeitlin beruft ( A. ), dessen methodologisches Ungenügen ich anderwärts aufgewiesen habe.16 Aber C. bietet nicht einmal das matthäische Christusbild zutreffend; denn er möchte ja eine wesentliche Übereinstimmung mit Paulus erweisen, und die gibt es nun ganz sicher nicht. Aus den Antithesen der Bergpredigt folgert C.: »Jesus’ followers will exceed the righteousness of the Pharisees and scribes because Jesus defines righteousness differently than the various Jewish groups . . . Jesus steps forward and also proceeds to define „righteousness“, but in so doing he also points to the necessity of an inner righteousness, and increasingly shows that this inner righteousness is linked to himself as the Messiah« (). Das hat weder mit der Verkündigung Jesu noch mit dem Kerygma des Matthäus etwas zu tun. |
Es erscheint sinnvoll, hier Arbeiten anzufügen, die ebenfalls die Verkündigung Jesu durch den jüdischen Hintergrund bestimmt sein lassen. Hier ist zuerst auf das Buch von G V (Jesus der Jude, ) hinzuweisen, dessen englische Originalfassung schon von W. G. Kümmel besprochen wurde.17 Sein Bild Jesu als eines wundertätigen galiläischen Heiligen ist zwar nicht unsympathisch, aber es ist ein im Prokrustesbett Mendelssohnscher Postulate zurechtgestutzter Jesus. W. G. Kümmel stellte seinerzeit fest: ». . . dieses Bild Jesu . . . ist in hohem Maße willkürlich und verdient nur in dem Vergleich Jesu mit bestimmten Berichten über jüdische Wundertäter ernste Beachtung, wobei man freilich die Überlieferung der herangezogenen jüdischen Texte kritisch prüfen muß«.18 Diese Prüfung ist inzwischen in methodologisch klarer Weise erfolgt durch die Dissertation von Michael Becker.19 Diese Arbeit, die von berufener Seite Anerkennung gefunden hat,20 wurde nicht zur Besprechung vorgelegt; so muß es hier bei einem kurzen Hinweis bleiben. Becker zeigt, daß von einer frühen galiläischen charismatischen Bewegung nicht die Rede sein kann, Jesus mithin keinem Typ des galiläischen Chasid entsprochen haben kann. Große Bedeutung gewinnen Choni und Hanina »für die Frage, wie man im zeitgenössischen Judentum einen „Wunder“-Charismatiker überhaupt erkennen und verstehen konnte. Darüber hinaus läßt sich eine primär mündliche Traditionsweitergabe auf populärer Ebene wahrscheinlich machen, womit sich weitere Gemeinsamkeiten wie Differenzen im Traditionsprozeß gegenüber der frühen Jesusüberlieferung andeuten« ().
Nun ist die deutsche Ausgabe »Jesus der Jude« noch um einen dritten Teil »Das Evangelium nach Jesus dem Juden« erweitert (–). Hier betont V. zu Recht, 16
JQR (/) –. ThR , , – = Jahre Jesusforschung, –. 18 ThR , , f. = Jahre Jesusforschung, f. 19 Wunder und Wundertäter im frührabbinischen Judentum. Studien zum Phänomen und seiner Überlieferung im Horizont von Magie und Dämonismus, Tübingen (WUNT II/). 20 Vgl. die Rezensionen von B. Ego, Jud , , –, und G. Stemberger, SNTU , , f. 17
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III. Die Verkündigung Jesu
daß »die literarischen Formen, in denen Jesu Lehre festgehalten ist: Weisheitsworte, prophetische Warnungen und vor allem Gleichnisse, . . . keine Kunstfertigkeit in der Bibelinterpretation an sich oder Kompetenz in den Feinheiten des jüdischen Gesetzes voraussetzen« (). Jesus »saß nicht im Lehrhaus und las und interpretierte die Heilige Schrift oder analysierte und rekonstruierte die von den Ältesten überkommene Tradition, sondern führte das Leben eines Wanderpredigers und Heilers« (). Angesichts der vielfältigen Rabbinisierungen Jesu kann dieses klare Votum nur ebenso nachdrücklich hervorgehoben werden wie seine »gesicherte Feststellung«: »Jesus | ist nicht den Pharisäern, Essenern, Zeloten oder Gnostikern zuzurechnen« (). Auch in dem kurzen Abschnitt über die Verkündigung Jesu (»Der Vater und sein Reich«, –) finden sich bemerkenswerte Denkanstöße. »Jesu Darstellung des Reiches Gottes enthält kaum ausgesprochen königliche Züge« (). »Im Reich, wie er es sich vorstellt, gibt es keine Throne, keine Höflinge, keine himmlischen Chöre, keine Schlachten führenden Armeen mit Streitwagen, Schwertern, Lanzen. Statt dessen finden wir die Landschaften, Werkzeuge und Bewohner des galiläischen Landes und seines vom See geprägten Lebens vor« (). Wann sollte dieses Reich Wirklichkeit werden? Jesus unterscheidet sich im Blick auf die Terminfrage sowohl von der jüdischen als auch von der frühen christlichen Apokalyptik. » Jesus und seine Anhänger sind, geleitet vom Glauben und unbeeinflußt vom Geist der Spekulation, in das eschatologische Zeitalter eingetreten und sehen jetzt den fundamentalen Unterschied zwischen ihrer eigenen Zeit und den vorangegangenen Jahrhunderten. Von dem Tag an, da Jesus vom Ruf des Täufers zur Buße bewegt wurde, ist Zeit für ihn nicht mehr Zeit in dem Sinne, wie wir sie kennen, sondern hat eine Qualität der Endgültigkeit . . . Der Moment der Umkehr, der teschuva, ist der Wendepunkt des Lebens Jesu, wie er der Wendepunkt des Lebens derer ist, die später seinem eigenen Aufruf zur teschuva . . . folgen werden. Indem sie ihre Wahl dergestalt treffen, kommt Gottes Reich, und sie treten in es ein« (). Nur der letzte Satz ist falsch, aber er ist gleich grundfalsch. Denn die Basileia kommt nicht infolge eines menschlichen Entschlusses, sondern durch Jesu Wirken und Verkündigung (Lk ,; ,f.; Mk ,)! Die Leugnung eines (messianischen) Sendungsanspruches Jesu verfälscht das Bild. Obwohl V. so viel Nachdenkenswertes über die existentielle Beziehung des Menschen zu Gott geschrieben hat, bleibt sein Jesus natürlich dem Gesetz verhaftet: Jesus »ließ . . . keine Entschuldigung gelten für irgendeine Vernachlässigung der Tora als solcher. Lukas, der sein Evangelium für Nichtjuden verfaßte und selbst Grieche war, überliefert Jesu Worte in einer Form, die keinen Zweifel zuläßt und an viele ähnlich lautende rabbinische Äußerungen erinnert: „Es ist aber leichter, daß Himmel und Erde vergehen, als daß ein Tüpfelchen vom Gesetz fällt“ (Lk ,; Mt ,)« (). Gegen Bultmanns Unechtheitserklärung beruft sich V. darauf, daß Lukas für nichtjüdische Christen geschrieben habe und somit »der ganz unpassende und peinliche Charakter dieser Version . . . für ihre Echtheit« spreche ( A. ). Leider ist das Gegenteil richtig. Der vornehme Römer Theophilos und seinesgleichen sollen nicht den fatalen Eindruck bekommen, Jesus sei ein homo | rerum novarum cupidus gewe-
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach
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sen – deshalb sind Lukas gesetzeskritische Logien wie Mk ,; , peinlich, und er läßt sie weg. Aber das sind ja nur exegetische Quisquilien, die man heute besser beseite läßt. Um Jesu Konflikt mit der Reinheitstora wegzuerklären, ernennt V. die Legende von Apg zu einem »historisch verläßlichen Bericht«, der zeige, »daß die unmittelbaren Anhänger Jesu schon die Vorstellung, unreine Speisen anzurühren, als schauderhaft und skandalös empfanden« (). Und auch der antiochenische Konflikt wird nicht richtig verstanden. Kurz, V. hat keine Argumente für sein Postulat. Aber er behauptet – wieder ohne exegetische Prüfung –, Jesus zeige »ein Jüdisch-Sein, das gelegentlich sogar zum Chauvinismus wird«, wie Mk ,; Mt ,; ,f.; , belegen (). Und es war natürlich Paulus, durch dessen Wirken »die ursprüngliche Ausrichtung des Wirkens Jesu radikal umgeformt wurde« (). Bei dem V.’schen Jesusbild muß die Jesus-Paulus-Debatte des . Jhs. wieder aufflammen. Das zeigt auch der erschienene Folgeband: G V, »The Religion of Jesus the Jew«. Zunächst versichert V. wieder, Jesus sei ein absolut gesetzestreuer charismatischer Heiler-LehrerProphet gewesen. Seine ethische Lehre hat sich am Dekalog ausgerichtet, deshalb können Mk ,; Lk ,; ,f. nicht von ihm stammen (). Die Antithesen der Bergpredigt werden als Bekräftigung des Gesetzes ausgelegt (–); dabei fällt der nachdenkenswerte Satz: »what is characteristic of Jesus is the supreme emphasis he lays on ideas which are present, but less absolutely attested, in ancient Jewish piety« (). So war das doppelte Liebesgebot schon vor Jesus vorhanden, aber er hat es erstmals durch die Verbindung von Dt , mit Lev , ausgedrückt. »In doing so, he succeeded in coining a single principle, incorporating all the theological and ethical contents of the Torah« (). Es geht nach V. bei Jesus um den »all-pervading concern with the ultimate purpose of Law which he perceived, primarily and essentially and positively, not as a juridical, but as a religious-ethical reality, revealing what he thought to be the right and divinely ordained behaviour towards men and towards God« (). Ob das die drei judenchristlich gefärbten Überlieferungsstücke Mk ,–; ,– und Mt , hergeben, ist mir mehr als zweifelhaft. Gleichwohl sieht V. Jesus nicht als Schriftgelehrten, sondern als Propheten mit charismatischer Autorität, wie Mk ,f. belegt: »Such a divine messenger had no need to verify his utterances by suitable biblical proof-texts. His personality, his presence, the power of his voice, his awe-inspiring reputation as a wonder-worker, ensured that his words were accepted« (f.). Die Logien- und Gleichnisüberlieferung sind entscheidend für das Verständnis Jesu. Sie stehen in einer vom AT zu den Rabbinen reichenden Tradition, die V. durch einige interessante, oft aber auch weit hergeholte Parallelen veranschaulicht (–). Die gerne zur Einebnung des Jesusgleichnisses Mt ,– verwendete Parallele jerBer ,c wird von V. zutreffend abgehoben: »Comparison discloses the specific bias in each version: divine generosity, in Jesus’ teaching, and whole-hearted devotion to the performance of the Torah in the talmudic account« (). Die Gleichnisse vom verlorenen Sohn, barmherzigen Samariter und Pharisäer und Zöllner werden der Un- | echtheit verdächtigt, und damit kann die Botschaft der Gleichnisse auf drei jüdisch verträgliche Punkte reduziert werden: »teshuvah (repentance/forgiveness), emunah (trust in God) and the superlative form of this trust, entailing the taking of high risks for the sake of the Kingdom. They all reflect, as may be expected, the simple and profound eschatological piety of Jesus the Jew« (). Jesu Verständnis der Basileia wird vom alttestamentlich-frühjüdischen Konzept zwar abgehoben, aber mit dem angeblich aus Jes – zu erhebenden »concept of a non-bellicose inauguration of the universal kingdom« () zusammengebracht.
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III. Die Verkündigung Jesu
V. hat ein gutes Gespür für den Gegenwartscharakter der Basileia und stellt auch feinsinnig fest »that unlike the God of the Bible and of inter-testamental and rabbinic literature, the God of Jesus is not a regal figure, but is modelled on a smaller, hence more accessible, scale. He is conceived in the form of the man of influence familiar to Jesus and his listeners« (). Nach V. sind für Jesus »the essential requirements . . . detachment from possessions, unquestioning trust in God and absolute submission to him«, ohne daß Jesu »attachment to the Law« infrage gestellt werden dürfte (). Jesus steht den Rabbinen näher als der frühjüdischen Literatur. »The cosmic view . . . is reduced to a more manageable, individual size« (); insgesamt ist Jesu Lehre aber »a substantially fresh creation bearing the stamp of individual eschatology, both quietly concealed and spectacularly climactic« (). Jesu Rede vom Vatergott wird eingehend untersucht (–). »It would be a mistake to imagine that he offered to his followers a kind of sentimentally anthropomorphic image. But what lies at the heart of his intuition and gives individuality and freshness to his vision is the conviction that the eternal, distant, dominating and tremendous Creator is also and primarily a near and approachable God« (). Daß das auch Konsequenzen für das Gottesbild haben muß, kann und will V. leider nicht sehen. Insgesamt läßt V. die individuelle Perspektive beherrschend sein. »Unlike the religious vision which takes the future for granted and envisages life in a solidly established group context, eschatological ardour demands a complete break with the past, exclusively concentrates on the present moment, and does so not from a communal but from a personal perspective« (). Hier meint man Bultmann zu hören. Das ist bei einem jüdischen Autor besonders bemerkenswert. Zusammenfassend geht V. wohl an die Grenzen dessen, was ein jüdischer Jesusforscher sagen kann: »Thus the core of Jesus’ religion is not Torah observance as such – though it is by no means excluded and prompts inner spirituality. It is not a search for purity – ritual or ethical. It is not self-sanctification in the form of a life in prayer and worship – in the temple or the synagogue. It seems not even to have been a pursuit of God for his own | sake, but by means of devotion to his brethren after the pattern of a mercifal heavenly Father. He goes so far as to assert that at the last Judgment, the divine King’s single criterion will be whether or not a person imitated him in his deeds of love« (). Dem wird man zustimmen können, aber gleichzeitig fragen müssen, warum dieser Jesus dem Gesetz absolute ewige Gültigkeit zugesprochen haben und ein jüdischer Chauvinist gewesen sein soll. Als bloßer Rufer zur Buße vor dem ganz nahe bevorstehenden Weltende hätte Jesus seinen Zeitgenossen nicht zurufen müssen: Selig wer an mir keinen Anstoß nimmt (Mt , par Lk ,). Der Vollmachtsanspruch Jesu geht weit über das hinaus, was die Mendelssohnschen Postulate zulassen, und das bleibt V. auch in diesem Buch der Leserschaft schuldig, so lehrreich es in vielem ist. Im letzten Kapitel »The Religion of Jesus and Christianity« (–) stellt V. das Christentum wieder als »revised edition of Jesus’ message« () dar: ». . . the Jewish Law, the innermost source of Jesus’ piety, was not only made optional, but had to
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach
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go, be abolished in the name of Christ« (). Immerhin räumt er – nicht organisch verbunden mit den vorhergehenden Seiten – ein: »The de-Judaization of the pristine gospel in the Graeco-Roman world was no doubt unintentionally helped by the underlying universalism of Jesus’ doctrine of imitatio Dei, a God whose providence includes all, and his primary concern for the individual, thus permitting an easier dispensation from the mostly communal and social aspects of the Law of Moses« (). Diese Überlegung hätte V. zu einem Leitgedanken seines Buches machen sollen; der historische Jesus wäre dann besser zur Geltung gekommen. Eine gründliche kritische Diskussion mit G. Vermes steht meines Wissens noch aus.21 Ebenfalls für einen weiteren Leserkreis bestimmt ist B H. Ys Buch »Jesus the Jewish Theologian«. Y. ist Schüler von David Flusser; der Buchumschlag stellt ihn vor als »the president and founder of the Gospel Research Foundation, which is committed to exploring the Jewish roots of the Christian faith«. Alle methodologischen Probleme, die W. G. Kümmel an den Arbeiten des über mal zitierten Doktorvaters Flusser festgestellt hat und auch an der Dissertation von Y., kehren hier wieder, insbesondere die abwegige Lösung der synoptischen Frage und die völlig unkontrollierte Verwendung der jüdischen Traditionsliteratur. So wird natürlich das vereinzelte Sabbatwort Simon b. Menasjas als repräsentativ für »a common stream of Jewish thought« () bezeichnet; die typisch matthäische Ergänzung des Streitgespräches Mk ,– durch die Argumentation mit dem Priesterdienst am | Sabbat (Mt ,) wird ein Beleg dafür, daß Jesus »possesses an intimate acquaintance with the Oral Torah and does not betray any interest in violating either the written Law or its traditional Jewish interpretations« (), und das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg wird wieder durch die angebliche Parallele aus dem Jerusalemer Talmud um seine Spitze gebracht. Zu Mt , liest man: »As a result of the discovery of the Dead Sea Scrolls, we have strong evidence that Jesus also designated his disciples with this term, „poor in spirit“« () – welche Logik steht dahinter? Natürlich wird die Stellung Jesu zur Ehescheidung aus dem Rechtssatz Lk , erhoben (ff.); Mk , wird nicht erwähnt, und damit steht das erwünschte Ergebnis fest: »Jesus did not abrogate the Old Testament law concerning marriage, divorce, and remarriage« (). Schon im Vorwort wurde ja »Jesus’ training and experience as a learned teacher of Torah« (p. XXXIV) behauptet. Die intendierte Leserschaft – fachlich nicht vorgebildet – muß es hinnehmen. Aufschlußreich sind übrigens die Geleitworte, die dem Buch voranstehen. Der christliche Theologe M. R. Wilson behauptet: »The theological teachings of Jesus are Jewish to the core, rooted in the Torah of Israel« (XVII–XVIII). Der jüdische Theologe Rabbi D. Wolpe sieht m. E. etwas deutlicher: »Thus this book illuminates anew how Jewish Jesus was . . . Of course I was also enlightened as to precisely where those traditions diverged. Jesus did recast some of what he was given by his own teachers« (p. XV).
W E. P will bei Jesus rabbinischen Humor finden und ihn so an die Seite großer Humoristen wie Mark Twain stellen.
21 Einen Ansatz dazu leistet B. Schaller, Jesus, ein Jude aus Galiläa. Zur Trilogie von Geza Vermes, EvTh () –.
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III. Die Verkündigung Jesu
Schon der Titel (The Wisdom and Wit of Rabbi Jesus) ist falsch – Jesus war kein Rabbi; die Einordnung Jesu als Pharisäer22 ist problematisch, zumal Ph. auch erhebliche Unterschiede Jesu zum Pharisäismus notiert (–). So urteilt Ph. unter Hinweis auf Mk ,–: »He did not believe that religious defilement came from physical conditions« () – ist das einem Pharisäer möglich? Mk , wird in dem ganzen Buch nicht erwähnt – warum? Dagegen wird die Legende vom zwölfjährigen Jesus im Tempel gleich dreimal als authentisches Jesuszeugnis angeführt, und sogar Joh ,f. gilt als Jesuswort (). So ist in diesem Buch methodologische Klarheit zu vermissen; die vielen in lockerem Plauderton verhandelten Themen werden nur trendgemäß beanwortet. Das Buch trägt zur Jesusforschung nichts bei.
Ebenso fragwürdig ist das ins Deutsche übersetzte Buch von L S »Der umstrittene Jesus«. Der Titel der amerikanischen Originalausgabe war deutlicher: »Jeshua. A Model for Moderns«. S.s Grundthese besagt, »daß Jesus, Yeshua, der Maßstab dessen ist, was es heißt, christlich zu sein« (), also »dieser Jude, die historische Person Yeshua von Nazareth, der ganz in den hebräischen und jüdischen Traditionen seiner Zeit stand und ihnen seine eigene, besondere Interpretation gab« (). Und dann wird die fachunkundige Leserschaft indoktriniert: »Man muß immer wieder daran erinnern, daß Jesus selbst kein Christ war. Er war ein Jude. Und zwar ein die jüdischen Gesetze streng befolgen- | der Jude« (). »Da er ein „Rabbi“ war, lehrte er andere, es ihm gleichzutun« (). Das wird mit Zitaten von P. Lapide, G. Vermes, Ph. Sigal, aber auch von E. P. Sanders belegt. Im Anschluß an Sigal behauptet S.: »Auf jeden Fall studierte Jesus, wie Yohanan ben Zakkai, offensichtlich in seiner Jugend mit den Rabbis in Galiläa« (). Belege braucht man nicht. Durch die völlig methodenlose Aneinanderreihung von Zitaten wird der Leserschaft nicht einmal klar gemacht, daß die zitierten jüdischen Autoritäten sich keineswegs über alle Sachverhalte einig sind. Aber S. bringt noch ein weiteres Opfer auf dem Altar des Gottes Trend: »Jesus, Feminist und androgyn: Ein integrierter Mensch« lautet die Überschrift zum . Kapitel (). Dafür bedient sich S. sogar des »Prinzips der Unähnlichkeit« ()! Wenn S. folgert, »daß sich Jesus in seiner Begegnung mit Frauen für die menschliche Würde und Gleichheit der Frauen in einer männlich beherrschten Gesellschaft eingesetzt hat: Jesus war ein Feminist, sogar ein sehr radikaler« (), ist das vielleicht etwas übertrieben, aber nicht falsch. Nur: wie paßt das zum Bild des absolut toratreuen Rabbis? Die weitergehenden Überlegungen unter der Überschrift »Jesus – ein „androgyner“ Mensch« (–) halte ich für pure Spekulation. Über das letzte Kapitel »Kann man Heil nur durch Jesus, den Christus, erlangen?« (–) muß ich hier zu meiner Erleichterung nicht referieren. Eine Förderung der historischen Jesusfrage bringt dieses Buch nicht.
22 »On the assumption that Pharisaic piety of the time when Jesus lived was for the most part faithfully transmitted in what was later recorded in the Mishnah and in the Talmud« ().
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach (Teil IV) IV. Der persönliche Anspruch Jesu J D (Hg.), Jésus aux origines de la Christologie (BEThL ). Nouvelle édition augmentée, Leuven University Press/Uitgiverij Peeters, Leuven , S. – M E, Jesus – ein Weisheitslehrer? Synoptische Weisheitslogien im Traditionsprozess (HBS ). Herder, Freiburg , XII + S. – V H, Menschensohn und historischer Jesus – Ein Rätselwort als Schlüssel zum messianischen Selbstverständnis Jesu. Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn , XIV + S. – J. C. O’N, Who Did Jesus Think He Was? (BIS ). E. J. Brill, Leiden/New York/Köln , S. – M P/R R, Das verlorene Evangelium. Was Jesus wirklich sagte (dtv ). Deutscher Taschenbuch Verlag, München , S. – J S/R B (Hg.), Der historische Jesus. Tendenzen und Perspektiven der gegenwärtigen Forschung (BZNW ). Verlag Walter de Gruyter, Berlin/New York, , VIII + S. – A V, Die »Gretchenfrage« des Menschensohnproblems. Bilanz und Perspektive. Herder, Freiburg , S. – B W III, The Christology of Jesus. Augsburg Fortress Press, Minneapolis , S. – A P. W, The Proverbs of Jesus. Issues of History and Rhetorik (JSOT S. ). Sheffield Academic Press, Sheffield, , S. Hinsichtlich des Vollmachtsanspruchs Jesu bleiben die Vertreter der Dritten Frage meist bewußt hinter der seinerzeit Neuen Frage zurück. Dennoch ist das Problem immer wieder aufgenommen worden, da die Kategorien des Rabbi, Wunderheilers und Propheten dem ntl. Befund nicht zu genügen scheinen. Der von J D herausgegebene Sammelband »Jésus aux origines de la Christologie«, den W. G. Kümmel schon angezeigt hat1 , ist in einer ergänzten . Auflage erschienen. Die meisten Beiträge haben mehr oder weniger ausführliche Literaturnachträge erhalten. Neu ist ein umfangreicher Aufsatz von Jan Lambrecht über Mk ,– (Jesus and the Law. An Investigation of Mk ,–, –.f.). Er untersucht diese Perikope nach allen Regeln der Kunst und kommt in gründlicher Auseinandersetzung mit der Literatur zu dem gut begründeten Ergebnis zu Mk ,: »In our view, Jesus’ | saying . . . possesses an anti-Torah character. This saying directly criticizes the Old Testament food laws« (). Und er betont zu Recht: »We should not isolate Jesus’ critical position over against the Law from the whole of his mission. Jesus knew that he was the messenger of God, not of the Law. God’s new saving initiative, active in Jesus, breaks through all existent commandments, which so often had been misunderstood, misinterpreted or wrongly concretized . . . Jesus acts and 1
ThR () f. = Jahre Jesusforschung, f. f.
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach
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speaks in a prophetical way, under the impact of a unique experience of God, and this cannot but imply a criticism of the Old Law« (). Die absolut richtige Schlußfolgerung Lambrechts lautet »This saying reveals a Jesus who teaches with authority, out of his Chistological consciousness, and who thus creates both freedom and a new commitment« (). In einem Nachtrag (f.) zu dem schon früher veröffentlichten Vortrag2 lehnt Lambrecht abschwächende Interpretationen von Mk , mit Hilfe der »dialektischen Negation« ab, findet aber eine eigene Variante der Abschwächung: »The earthly Jesus presumably meant his exaggeration the moment he said it and just as he said it, whithout thereby abrogating the Law and without continously acting against the Law« (). Die von V H unter dem Titel »Menschensohn und historischer Jesus« vorgelegte Untersuchung des Menschensohn-Begriffs, der den »Schlüssel zum messianischen Selbstverständnis Jesu« (so der Untertitel) liefern soll, bietet gewissermaßen ein christologisches Maximalprogramm. H.s Arbeit will nachweisen, »daß Jesus unter dem einzigartigen Anspruch, der von Gott gesandte messianische Heilbringer zu sein, seine Wirksamkeit begann, wobei er seinen Anspruch mit der Chiffre Menschensohn bewußt rätselhaft andeutete und dabei zugleich im dunkeln ließ«, ferner »daß Jesus als Menschensohn der zunächst noch verborgen wirkende Messias ist, der jedoch zuletzt von Gott als solcher legitimiert und damit vor der Welt anerkannt werden wird: Der Menschensohn wird als Messias inthronisiert . . . Wenn Jesus selbst seinen Tod als stellvertretenden Sühnetod verstand und dabei zugleich an seinem Wissen um seine schließliche ἀνάστασις (Auferstehung) durch Gott unbeirrt festhielt, ist der Nachweis erbracht, daß das urchristliche Kerygma in der Tat die aktualisierte, aufgrund der nachösterlichen Situation notwendig gewordene, jedoch sachlich legitime Weiterführung der Verkündigung Jesu darstellt. Dann ist das Kerygma der Apostel in seinen spezifischen Kernaussagen in der Person und Botschaft des Menschensohns selbst begründet durch diesen abgedeckt« (f.). | Dazu untersucht H. zunächst die atl. Menschensohn-Überlieferung mit dem Ergebnis: »Eine explizite Menschensohndogmatik als eine eigenständige Konzeption ist der jüdischen Theologie im tiefsten fremd« (). Das erlaubt H. den Anschluß an die von G. Vermes vertretene These, bar a’nascha’ sei »im palästinisch-galiläischen Aramäisch . . . als feierliche Selbstbezeichnung und als Umschreibung eines exklusiven „Ich“ in der dritten Person bezeugt« (). Die jesuanische Bezeichnung »Menschensohn« ist »kein Titel, sondern eine Chiffre, in der die Besonderheit seiner Person und seine einzigartige Vollmacht zutage treten« (). Für Außenstehende ist Menschensohn ein »Rätselwort«, für Jesu Anhänger aber »Hinweis auf die messianische Sendung Jesu, nämlich Chiffre für seine Funktion als Messias designatus« (). Damit fällt das entscheidende Stichwort, das H. der Arbeit von E. Sjöberg (Der verborgene Menschensohn in den Evangelien, ) entnommen hat. Diese Vorstellung ist allerdings erst nachchristlich belegt; der von H. angeführte Text Q Messar3 wird von der Qumranforschung als Noah-Text
2 EThL , , – = ALBO V, ; vgl. W. G. Kümmel, ThR , , = Jahre Jesusforschung, . f. 3 Ganz ähnlich schon C. G. Montefiore, The Synoptic Gospels, , I, f.: »It may . . . be argued that in verse Jesus virtually abrogates a most definite and elaborate Pentateuchal law. But he
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IV. Der persönliche Anspruch Jesu
aufgefaßt.4 Fällt somit die religionsgeschichtliche Vorgabe weg, so ist auch die exegetische Begründung problematisch. Daß z. B. die Ablehnung der Zeichenforderung (Lk ,f.) mit dem Hinweis auf »das Zeichen des Jona« bedeute, Jesus habe »seine messianische Inthronisation vor Augen« gehabt (»Das erneuerte Jonazeichen, das zur Anerkennung Jesu zwingt, ist seine messianische Inthronisation in Jerusalem, die ihn vor aller Welt als den wahren eschatologischen Davididen legitimiert«, ), ist alles andere als einleuchtend. Oder: Aus Lk , rekonstruiert H. als ursprüngliches Jesuswort: »Wie der Blitz so wird der Menschensohn sein«; dieses Logion handle »geheimnisvoll, rätselhaft von Jesu Zukunftserwartung . . . von der Inthronisation des Menschensohns« (). Besonders fraglich wird H.s These m. E. dadurch, daß Menschensohn = Messias gleichgesetzt wird; der Exkurs (–) belegt nur, daß diese Gleichung für das Urchristentum gilt. Vollends in das Reich der Spekulation führt der Versuch H.s, eine Entwicklung des Selbstverständnisses Jesu zu rekonstruieren: In einer früheren Phase habe Jesus mit einer baldigen messianischen Inthronisation gerechnet (Zeugnisse sind Lk ,. oder Lk ,f.), aufgrund zunehmender Mißerfolge sprach er von der gegenwärtigen Niedrigkeit des Menschensohns (vgl. Mt ,//Lk ,; Mt ,f.//Lk ,) und zuletzt wächst »[m]it der Erkenntnis seines letztlichen Scheiterns . . . die Einsicht Jesu, daß Gottes Heil nur über den Tod seines Messias führt« (f.). Das Menschensohn-Logion Mk , expliziert: »Der Tod Jesu ist ein stellvertretender Sühnetod zugunsten derer, die seinen Ruf zur Umkehr und sein Heilsangebot ablehnten und von daher dem Gericht Gottes bzw. des Messias verfallen wären . . . Darüber hinaus geht es in Mk , jedoch um die Ansage des universalen Heils, des Heils aller Menschen und nicht nur Israels« (). So ist der m. E. richtige Ansatz, »Menschensohn« als Selbstbezeichnis Jesu unabhängig von Dan zu verstehen, in einem biblizistischen Meer untergegangen.5
A V hat sich in seinem langen und erfolgreichen Forscherleben von seiner ungedruckt gebliebenen Habilitationsschrift an immer wieder mit der Menschensohnproblematik befaßt. Die reife Frucht liegt in dem der »Gretchenfrage« des Menschensohnproblems gewidmeten Buch vor. Der Titel – wie viele jüngere Leserinnen und Leser verstehen ihn wohl? – spielt auf Lk ,f.// Mt ,f. an, das Logion, das eine »Schlüsselrolle« () in der Diskussion einnimmt, weil es »vielen Autoren als der sicherste oder doch wahrscheinlichste Beleg gilt, daß Jesus überhaupt vom MS [sc. Menschensohn] gesprochen hat« (). V. mustert die exegetische Literatur mit souveräner Kenntnis und eherner Logik und deckt offene und kaschierte Schwachstellen der Autoren, die Lk ,f. irgendwie als authentisches Jesuswort ansehen, auf (–). Aber auch die Autoren, die eine erst nachösterliche Verwendung der Menschensohnbezeichnung vertreten, verfallen der Kritik (–). Die eigene Lösung V.s geht von der nachösterlichen Erwartung Jesu als Richter und Retter aus. Möglicher Anknüpfungspunkt seien die Bilderreden des aethiopischen Henochbuches (ff.), zu deren möglicher vorchristlicher Herkunft V. eine Vielzahl von Namen auftreten läßt. Als unanfechtbare »nachösterliche Vorgabe« () führt V. den aus der palästinischen Urgemeinde stammenden Ruf Maranatha an. »Als ältester faßbarer Ausdruck der Parusieerwartung darf das Maranatha als zuverlässige Vorgabe für den zur Verwendung der MS-Bezeichnung führenden Schritt gelten« (f.). does not . . . do this directly, and it may even be that the full consequence of the great principle laid down in was not present to his own mind.« 4 J. Maier, Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer Bd II. , : Q = QMess. aram = Q Noah = Q Elect of God. 5 Energische Kritik an H. übt auch A. Vögtle in seiner gleich anzuzeigenden Schrift »Die Gretchenfrage . . . «, –. |
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Als ältestes MS-Wort gilt V. Lk ,//Mt ,: »Der Vergleich des Erscheinens des MS mit dem auf der ganzen Erde unübersehbaren Aufleuchten des Blitzes läßt sich zweifellos von der MS-Vorstellung der Bilderreden her verständlich machen« (). Von da aus »konnten den Hörern weitere, die MS-Bezeichnung verwendende Parusieansagen zugemutet werden« (); dann werde MS in Gegenwartsaussagen und in die Worte vom leidenden MS übernommen. Diese Hypothese entlastet zwar Jesus davon, sich mit einer transzendenten himmlischen Gestalt identifiziert zu haben, ein Selbstverständnis mit pathologischen Zügen nicht nur nach V.s Auffassung, aber sie ist doch auch recht kompliziert: Welcher Anonymus soll warum die Erwartung des »Herrn« mit der bestenfalls kleinen Kreisen bekannten MS-Erwartung erklärt haben? Und warum hat diese Bezeichnung sich so schnell verbreitet, und das nur in Jesusworten, nicht aber in Bekenntnisformulierungen? So kann es nicht überraschen, daß schon ein Jahr später M. Stowasser wieder für die Ableitung des MS aus dem Danielbuch und für Mk ,f. als ältestes MS-Wort plädierte.6
Die »Gretchenfrage« im engeren Sinn ist m. E. durch Paul Hoffmann beseitigt worden, der gute Gründe geltend gemacht hat, daß Mt ,f. die ursprüngliche Form ist und »erst Lukas die in der Überlieferung singuläre Vorstellung vom Menschensohn als Advokat seiner Märtyrer entwickelt« habe.7 Wichtig ist übrigens, daß sich A. Vögtle und P. Hoffmann über den von Jesus erhobenen Anspruch einig sind. Nach Vögtle ist es auch abgesehen | von Lk ,f. par. nicht zu bezweifeln, »daß in Jesu Sicht die existentielle Entscheidung für oder gegen den von ihm proklamierten Heilswillen Gottes über das positive oder negative Schicksal des einzelnen im Endgericht entscheidet«8 ; P. Hoffmann hält die Authentizität des Spruches ohne »Menschensohn« für möglich: »Daß Jesus sich als der entscheidende Vermittler der Basileia-Botschaft verstanden und dementsprechend die Nachfolge an seine Person und Botschaft gebunden hat, ist nicht zu bestreiten.«9 Das Menschensohnproblem harrt noch einer überzeugenden Lösung. B W III. erläutert den steilen Titel seines Buches »The Christology of Jesus« so: »I am interested in evidence that Jesus thought of himself as more than an ordinary human being. I recognize that, strictly speaking, the term Christology applies only to ideas about the Messiah. I use the term to refer, however, not only to messianic self-understanding but also to any sort of transcendent selfconcept out of which may have arisen a christological view of self« (). W. meint, diese Problemstellung durch historisch-kritische Exegese meistern zu können, wobei er »Unähnlichkeit« zur Bekräftigung der Authentizität heranzieht, Ableitbarkeit aber nicht als Ausschlußkriterium akzeptiert (). W. untersucht zunächst die religionsgeschichtlichen Zusammenhänge, in denen Jesus gedeutet wird, um sie als unzureichend zu erweisen. So wird Jesu Urteil über den Täufer (Mt ,–//Lk ,–): »the last and greatest eschatological prophet« (), ausgeweitet: »Surely Jesus did not see himself in any category less than John. The idea that Jesus saw himself as a prophet is well 6
M. Stowasser, Mk ,f. und die urchristliche Rezeption des Menschensohns, BZ () –
7
P. Hoffmann, Der Menschensohn in Lukas ., NTS () –, hier: . aaO., . aaO., .
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IV. Der persönliche Anspruch Jesu
attested . . . If, however, Jesus saw John as the final great prophet, then this implies that he saw himself either as the coming one or as some sort of messianic figure that went beyond purely prophetic categories« (f.). Hier wird ein durchgehend gehandhabtes Prinzip von W. sichtbar, das er erst auf der vorletzten Seite des Buches darlegt: Öffentlicher Anspruch und Selbstverständnis Jesu müssen nicht übereinstimmen. »We have sought . . . to go beyond the so-called titles and public claims of Jesus to his self-concept. One must then ask questions like, What did Jesus imply when he left the suggestion that he should be seen as David’s Lord? I think he implied that he should be seen not merely as a greater king than David but in a higher and more transcendent category. What Jesus implied about his self-conception is as important as what he publicly claimed« (). Daher kommt es, daß W. zu viel impliziert sieht und sein – mir durchaus berechtigt erscheinendes – Beweisziel überzieht. Kann sich Jesus für die präexistente Weisheit Gottes gehalten haben (; )? Der Beleg Mt ,b ist ein Sätzchen, das ich mit U. Luz als Erzählerkommentar verstehe. Eine derart hohe Selbstbewertung Jesu ist damit sicher nicht begründbar. Daß sich Jesus auch für den transzendenten Menschensohn gehalten hat, versucht W. auf der Basis eines vorchristlichen Menschen- | sohntitels zu erweisen: »The proper matrix in which to interpret the Son of man material, that which provides the clue as to how Jesus himself viewed the material, is Dan :– and probably also the Similitudes of Enoch« (). Da die philologischen und religionsgeschichtlichen Vorfragen m. E. noch nicht geklärt sind (–), bleibe ich skeptisch.
Summa summarum: Das S. f. mit einem langen Zitat von R. E. Brown formulierte Beweisziel, Jesus habe sich für göttlich gehalten, scheint mir nicht erreicht zu sein. Daß Jesus aber einen über die gängigen Kategorien wie Rabbi, Prophet, Reformer oder Wunderheiler weit hinausgehenden Autoritätsanspruch erhoben hat, das hat W. in Aufnahme und Weiterführung der seinerzeitigen Diskussion gut gezeigt. Noch kritischer muß das Urteil über J. C. O’N ausfallen (Who Did Jesus Think He Was?, ). Sein Programm lautet: »This book is a historian’s attempt to defend the truth of the doctrines of the Trinity and the Incarnation. I shall try to show that Jesus, like a number of his fellow Jews at the time, believed God was Three in One and One in Three, and that the eternal Son of God was to be born, or had been born, in order to live a full human life and to die for the sins of the world. As a historian, I think I can show that these were Jesus’ beliefs, and that Jesus held himself to be that Son of God incarnate« (). O’N. ist sich dessen bewußt, daß er damit die neutestamentliche Forschung der letzten drei Jahrhunderte herausfordert (). Schon das erste Kapitel läßt die m. E. unhaltbare Arbeitsweise des Autors erkennen. Er will zeigen, daß die für eine adoptianische Christologie angeführten Stellen Röm ,f. und Apg , seit Wellhausen falsch verstanden werden. Wenn es heißt, Gott habe Jesus zu etwas gemacht oder in eine Funktion eingesetzt, unterscheide sich das vom normalen Sprachgebrauch: »I concede . . . that the language when applied to most human beings may indeed entail appointment to a position that the person so honoured did not previously possess but at best aspired to. But then I argue that all passages referring to Jesus refer to the enthronement by God of a king . . . ; by that model, every enthronement is the installment of the one who, in the eyes of God, always had been king« (). Damit werden die von O’N. herange-
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zogenen Texte m. E. heillos überfrachtet. Auch die These des zweiten Kapitels »that all Jewish groups were looking for one Messiah and for a Davidic Messiah« () ist stark überzogen.10 Im dritten Kapitel bemüht sich O’N. um den Nachweis, »that there was current a Jewish law which proscribed, on pain of death, the presumptious blasphemy of anyone’s taking it upon himself to say he was the Messiah until the Father had clearly spoken« (). Nun ist diese Vorstellung vom »verborgenen Messias« erstmals bei Justin bezeugt11 , hat aber im NT nirgends ein Echo; es sei denn, man folgt den verschlunge- | nen Wegen O’N.s, sie in das Verhör vor dem Synhedrium hineinzubringen. Daß damit auch das Schweigen Jesu über sein Messiastum erklärt werden soll, hat schon W. G. Kümmel anläßlich eines früheren Aufsatzes O’N.s zu Recht kritisiert.12 Das vierte Kapitel befaßt sich mit Qumran und erneuert die aus den Anfängen der Forschung stammende, heute aber aufgegebene These von der Kreuzigung des Lehrers der Gerechtigkeit; die Qumrangemeinde habe seinem Tod sühnende Bedeutung beigemessen und seine Wiederkunft als davidischer Messias erwartet. Das ist alles höchst spekulativ.
Die kombinatorische Magie des Vf.s zeigt sich besonders im sechsten Kapitel »The Trinity and the Incarnation as Jewish Doctrines« (–), in dem frühjüdische Texte unterschiedlichster Provenzienz zu einem Gesamtbild synthetisiert werden, das so nur bei O’N. zu finden ist. Das zentrale Kapitel »Who did Jesus think he was?« (–) ist eine dialektische Meisterleistung. Jesus hat sich nie als Messias bezeichnet, hat aber auch nie explizit geleugnet, der Messias zu sein. Mit Hilfe der Theorie vom »verborgenen Messias« schließt O’N. »that this absolute silence was part of the price Jesus and all those who looked for a Messiah knew had to be paid by anyone who held himself to be that Messiah . . . the silence of Jesus is part of the case for saying that he knew he was the Messiah« (). Ich breche das Referat hier ab und verweise auf die eingehende Rezension von D. Sänger. Seinem Urteil ist beizupflichten: »Auf nahezu jeder Seite präsentiert der Vf. eine Mischung aus bloßen Vermutungen, fragwürdigen Assoziationsketten und spekulativer Phantasie, angereichert durch eine Fülle willkürlicher Textkonjekturen.«13 Die Frage nach dem Selbstverständnis Jesu wird durch O’N. nicht beantwortet.
Eine teilweise förderliche Arbeit hat dagegen M K vorgelegt. Auf seine »christologische Grundlegung« ist hier nicht weiter einzugehen. Der Ansatz: »Die in Jesus Christus geschehene Offenbarung Gottes umfasst die historische Existenz Jesu von Nazareth und die im Geist gemachten Erfahrungen und Einsichten der apostolischen Zeugen« () ist zwar sympathisch, ruft aber auch Rückfragen hervor.14 10 Vgl. J. Maier, Messias oder Gesalbter? Zu einem Übersetzungs- und Deutungsproblem in den Qumrantexten, RQ () –. 11 Zu dieser Passage vgl. P. Pilhofer, Wer salbt den Messias? Zum Streit um die Christologie im ersten Jahrhundert des jüdisch-christlichen Dialogs, in: D.-A. Koch/H. Lichtenberger (Hg.): Begegnungen zwischen Christentum und Judentum in Antike und Mittelalter. FS H. Schreckenberg, SIJD , , –. 12 Vgl. ThR () f. = Jahre Jesusforschung, f. 13 ThLZ () –, hier f. 14 Ich könnte z. B. nicht so pauschal sagen, »dass sowohl der Gotteserkenntnis des historischen Jesus als auch der nachösterlichen Christologie das gleiche Gottesverständnis zugrunde liegt« ( A. ).
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IV. Der persönliche Anspruch Jesu
Im dritten Kapitel (»Quellen, Methoden und Vorgehensweise«, –) ordnet sich K. indirekt der Third Quest zu, wenn er behauptet, es sei deutlich geworden, »dass damit zu rechnen ist, dass das Wirken des Juden Jesus in Wort und Tat weithin dem Judentum konform war und dass das Urchristentum Impulse Jesu | in seine eigene Verkündigung und Praxis aufnahm« (). Das ist natürlich eine Trendbehauptung, ebenso wie die, das Differenzkriterium sei »vor allem im Hinblick auf die urchristliche Literatur anzuwenden« (ebd.). Das vierte Kapitel »Hoheitstitel und Selbstverständnis des historischen Jesus« (–) stellt die These zur Diskussion, »dass der historische Jesus sich sehr wohl mit dem Ausdruck „der Menschensohn“ bezeichnete, dass dieser Ausdruck jedoch zur Zeit Jesu kein geprägter Hoheitstitel war« (). Hauptsächlich an der Sekundärliteratur orientiert kommt K. zum Ergebnis, der apokalyptische »Menschensohn« sei »ein religionsgeschichtliches Phantom« (). Sein eigener Interpretationsansatz geht davon aus, »dass Jesus den Ausdruck „der Menschensohn“ als Name verwendete, mit dem er sich in indirekter Sprechweise in der . Person Singular selbst bezeichnete« (). Auf dieser Grundlage gelingt K. eine weithin in sich schlüssige Analyse der neutestamentlichen Menschensohn-Überlieferungen; bei Lk ,f.//Mt ,f. wird sie allerdings unklar, sodaß ich die These von P. Hoffmann15 von der Priorität der mt Version vorziehe. Hat Jesus also »keinen der bereitliegenden Hoheitstitel« verwendet (), so muß nach der »Rolle« gefragt werden, »die Jesus in seinem Wirken einnahm und in seiner Verkündigung für sich reklamierte« (). K. sucht diese Rolle zu Recht im Zusammenhang mit der Verkündigung Jesu von der »bereits nahegekommene[n] Gottesherrschaft« (–). K. zeichnet – im Anschluß an H. Merklein und H. Weder16 – ein insgesamt gutes Bild. Zur Seligpreisung der Armen (Lk ,b) heißt es, Jesus nehme »im Zusprechen dieser Seligpreisung die Rolle des Proklamators der Entschlossenheit Gottes zum Heil ein. Offenbar kann er das, weil er ein eigenes Wissen um diesen Entschluss Gottes besitzt, das ihm die Vollmacht zu dieser Proklamation verleiht« (). »Jesu Mahlzeiten mit Sündern und Zöllnern sind durch die Tat vollzogene Sündenvergebung« (). »Mit der Proklamation der bereits geschehenen Sündenvergebung in Tat und Wort beansprucht Jesus eine außerordentliche Vollmacht« (). »Jesus beansprucht . . . in der Proklamation der nahegekommenen Gottesherrschaft implizit, an Gottes Stelle zu stehen und also eschatologischer Repräsentant Gottes zu sein« (). »Wenn Jesus Heilungen und Machttaten vollzieht, dann handelt er im Namen Gottes, er versteht sein Wirken als das eschatologische Wirken Gottes, der seine Herrschaft aufblitzen lässt« ().
Schließlich stellt K. als Anspruch Jesu heraus, »dass eine Abwendung von Jesus zugleich eine Abwendung von der nahegekommenen Gottesherrschaft und damit den Verlust des eschatologischen Heils bedeutet« (). Angesichts dieser klaren Aussagen enttäuscht die Behandlung des Testfalles »Jesu | Stellung zur Tora« (–). Zwar meint er richtig, Jesus könne »den Sinai-Bund und die Tora ihrer soteriologischen Funktion entbinden« () und er läßt »Jesus einen grundsätzlichen Neuansatz in 15 P. Hoffmann, Jesus versus Menschensohn, in: Oberlinner, L./Fiedler, P. (Hg.), Salz der Erde – Licht der Welt (FS A. Vögtle), , –, vgl. A. . 16 Und in sehr verdecktem Anschluß an H. Merkel: Mein Aufsatz »Die Gottesherrschaft in der Verkündigung Jesu« (in: M. Hengel/A. M. Schwemer [Hgg.], Königsherrschaft Gottes und himmlischer Kult im Judentum, im Urchristentum und in der hellenistischen Welt, WUNT , Tübingen , – ) erscheint im Literaturverzeichnis unter dem Namen H. Merklein. Das führt K. dazu, einmal eine Positionsänderung bei Merklein zu konstatieren ( A. ). Bei gründlicher Lektüre hätte das noch öfter passieren müssen.
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der Verkündigung des Gotteswillens« vornehmen (), findet aber dann doch nur »eine Entschärfung kultischer und ritueller Vorschriften« (), wofür die üblichen Ausflüchte und Beschwichtigungen herangezogen werden. In einer Fußnote, die sich mit der von D. Flusser und G. Dautzenberg betonten »Tora-Konformität Jesu« befaßt, findet sich der Satz: »Bei der richtigen Feststellung, dass Jesu Weisungen als Tora-Auslegung verstanden werden können, entgeht diesen Autoren jedoch der soteriologische Neuansatz und darum die prinzipielle Tora-Kritik Jesu« ( A. ). Das hätte in den Text gehört! Damit wäre m. E. auch die Frage beantwortet, die K. im folgenden bespricht: Warum verzichtet Jesus auf die geprägten jüdischen Hoheitstitel, und warum verzichtete er »auch darauf, den in seinem Selbstverständnis enthaltenen Anspruch auf irgendeine der sonst bekannten Weisen zu legitimieren« ()? Die naheliegende Antwort ist die, daß dieses Selbstverständnis – wie K. richtig sieht – »einen im jüdischen Denken kaum noch zu steigernden Hoheitsanspruch« enthält (), also durch keinen Titel adäquat ausgedrückt werden konnte. Insbesondere hat keine erwartete Heilsbringergestalt die Vollmacht zu prinzipieller Torakritik. Insofern kann ich dem Vorschlag von K., Jesu Zurückhaltung hinsichtlich seiner eigenen Person »als Teildimension seiner paradigmatischen, ganz vom Nahegekommensein der Gottesherrschaft geprägter Existenz« zu verstehen (), nicht folgen. Für eine solche Selbstinszenierung Jesu fehlen mir die Belege. Andere mögen das anders sehen. Doch ist K.s Grundthese, Jesus habe sich als eschatologischer Repräsentant Gottes verstanden, ein wichtiger Beitrag zur Jesusfrage. In dem von J S und R B hg. Band »Der historische Jesus« stellt Jörg Frey die Frage, »wie Jesu Sendungs- oder Selbstanspruch, der sich in seinen Worten und Taten zeigt, angemessen beschrieben werden kann« (f.). Dazu setzt er sich mit der – übrigens nicht erst von W. Wrede, sondern schon von J. Weiß vertretenen – These eines »unmessianischen« Auftretens Jesu auseinander. Zwei Hauptargumente: () »Wäre der „Messiasglaube“ . . . lediglich eine nachösterliche Bildung der frühen Gemeinde, . . . dann bliebe es rätselhaft, wie sich der Christustitel im exklusiven Bezug auf Jesus von Nazareth dann so rapide ausbreiten konnte und wie der Glaube an Jesus als den Christus die Überlieferung so völlig durchdringen konnte, daß es keinen Text mehr gibt, in dem Jesu Auftreten wirklich als „unmessianisch“ zu bezeichnen ist« (). () »Wäre Jesus völlig unmessianisch aufgetreten, dann wäre zugleich fraglich, wie er – nach dem titulus am Kreuz – als der „König der Juden“, d. h. eben doch als (vermeintlicher) Messi- | asprätendent, hingerichtet werden konnte« (). Nun ist in beiden Fällen die messianische Bezeichnung von anderen an Jesus herangetragen, in positiver oder negativer Absicht; ebenso im »Petrusbekenntnis« und im Prozeß (). Wichtig ist, daß F. meist »messianisch« bzw. »unmessianisch« schreibt, wodurch er darauf hinweist, daß es »im Judentum zur Zeit Jesu keinen festgeprägten „Messiasbegriff“ gegeben hat« (). Auf jeden Fall stellt Frey den »Vollmachtsanspruch Jesu« zutreffend heraus (–) und zeigt, daß »sich das nachösterliche Bekenntnis, die neutestamentliche Christologie historisch und theologisch nur auf der Basis des vollmächtigen Wirkens Jesu und seines
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Sendungsanspruches verstehen« läßt (). In der Tat muß man »im Blick auf [Jesu] irdisches Wirken historisch einen Sendungsanspruch wahrnehmen . . . , der die gängigen Kategorien des Rabbi, des Propheten, des Charismatikers oder des Weisheitslehrers sprengt« (). Dieses Votum gegen den Trend muß gehört werden. Ganz im Trend liegt dagegen die große Arbeit von M E, der Jesus in die Kategorie des Weisheitslehrers einbinden möchte. E. untersucht () weisheitliche Clusters bei Markus und ihre Q-Dubletten (,– parr; ,– parr.), () Weisheitslogien in Apophthegmen (Mk ,..–; ,), () weisheitliche Doppellogien in Q-Spruchgruppen (Q ,.f.; ,; ,f.; ,f.; ,f.), () ein Cluster von Weisheitslogien in einem Apophthegma (Mk ,f.; Q , + Mk ,; Q ,f.). Mit Hilfe eingehender literar- und kompositionskritischer Analysen erarbeitet E. die ältesten Einheiten und fragt nach der jesuanischen Grundlage. Dabei sind für E. entscheidende situative Grundelemente des Wirkens Jesu »die Wanderpredigerexistenz Jesu (Theißen), sein offensichtlich unkomplizierter Umgang mit Zöllnern, der ihm Vorwürfe eingetragen hat, sowie seine „präsentische Eschatologie“ (Weder)« (). Die Analysen E.s sind methodologisch klar, philologisch sauber und form- und traditionsgeschichtlich durchdacht. Seine Kenntnis der Weisheitstraditionen der Umwelt ist hervorragend. Jeder künftige Synoptikerkommentar kann davon profitieren. Aber in dieser Rezension geht es um den historischen Jesus, den E., wie ich meine, verzeichnet. Schon die o. g. situativen Grundelemente stellen eine erhebliche Einengung dar: Dieser Jesus hat nur mit Nachfolgewilligen oder mit Opponenten aus dem spießbürgerlichen Lager gesprochen, die seine Lebensweise anstößig fanden. Ansonsten aber war Jesus ein Jude nach dem Herzen Mendelssohns und Geigers. Und so werden denn kritische Texte verharmlost und verniedlicht, insbesondere natürlich Mk ,: »Wanderprediger müssen essen, was man ihnen vorsetzt, und froh sein, wenn sie überhaupt etwas bekommen. Und wenn Jesus sich im Haus eines Zöllners hat bewirten lassen, dann werden er und seine Begleiter sich hier auch nicht geziert haben« (). Jesus hätte also aus purem Opportunismus die Tora gebrochen. Und dieser Bruch ist natürlich nicht von pharisäischen Kritikern kritisiert worden (), sondern im eigenen Jüngerkreis. Mit Mk , habe Jesus diesen Bruch »zu rechtfertigen versucht, indem er neue Kriterien verordnet und damit umgekehrt seinen „Ankläger“ für unrein erklärt« | (). Das ist apologetische Phantasie, die mit dem klaren Wortlaut des Spruches nichts zu tun hat. Im Blick auf das Sabbatlogion Mk , wird natürlich wieder durch die »Parallele« des Rabbi Simeon ben Menasja entschärft; daß es dort nur um den Ausnahmefall gehe, wird als parteiische Bewertung abgewiesen: »Denn in MekhY , hat das jüdische Logion mit der Lebensrettung am Sabbat nichts zu tun. Es erscheint hier völlig isoliert als Auslegung von Ex ,. In MekhY , und bYom b ist es lediglich der Kontext [!], durch den der gleiche Spruch als Begründung für die Pflicht zur Lebensrettung am Sabbat ins Spiel gebracht wird« (). Nun dürfte jeder Leser und jede Leserin der Mekhilta wohl zuerst , gelesen haben und das nochmalige Zitat in , damit im Sinne der vorherigen Stelle verstehen, und bYom b zeigt das ja auch. Wer bewertet hier parteiisch? Und unter der Überschrift »Plädoyer für einen liberalen Umgang mit der Sabbatobervanz« () kann E. nur einige Diskussionen über Selbstverteidigung am Sabbat, also in höchster Lebensgefahr, anführen. Eine insgesamt »liberalere Haltung« geht daraus mitnichten hervor. Eine interessante Neudeutung erhalten die Bildworte vom neuen Flicken und jungen Wein (Mk ,f.). E. verankert sie in der Situation des Aufbruches in das Wanderradikalendasein (–). Aber war wirklich die Wanderlust das einzig Radikale an Jesus? Und wozu das Ganze, wenn doch gelten soll: »Jesus zieht zwar . . . als Wanderprediger aus dem System aus, aber er behält . . . die alten Denkmuster bei« ()?
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Daß Jesus nie grundsätzliche Kritik an gesetzlichen Vorgaben geübt habe, ist nur durch scharfsinnige, aber fragwürdige Umdeutungen wichtiger Überlieferungen zu begründen. Natürlich ist nur das Tempellogion Mk , Ursache seines Todes (f.), aber nicht einmal daraus darf »auf grundsätzliche Kultkritik zurückgeschlossen werden« ( A. ).17 Also führt die Kritik Jesu über das innerjüdisch Übliche, Banale nicht hinaus (um die Wertung von J. Maier [s. o. Anm. ] zu übernehmen) und konnte daher kaum ein Stein des Anstoßes werden. Ich verweise auf die eingehende Rez. von J. Schlosser (BZ [] –), der weitere gute und problematische Aspekte dieses Buches nennt. Auf die Arbeit von A P. W, The Proverbs of Jesus, kann ich kurz hinweisen; denn sie ist gewissermaßen nur ein Vorläufer der Untersuchung von Ebner. W. hat die Fragestellung in einer mehr impressionistischen Weise angestoßen und bleibt an der Oberfläche, wie Ebner in einer eindringenden Rezension gezeigt hat (BZ [] f.).
V. Einzelfragen T J. J. A, The Contemporary Jesus. SCM Press, London , XXVII + S. – M B, The great Angel. A study of Israel’s Second God. SPCK, London , XVI + S. – M B, The Risen Lord. T&T Clark, Edinburgh , XVII + S. – D L. B, Studying the historical Jesus. Baker Academic House, Grand Rapids, Michigan , S. – J B, Jesu Tischgemeinschaften (WUNT II/). Mohr Siebeck, Tübingen , XI + S. | – J R. B, Jesus Christ. Divine Man or Son of God? University Press of America, Lanham/New York/London , S. – H B, Jesus – der Mann aus Nazareth und seine Zeit. Um Kapitel erweiterte Studienausgabe. Kreuz-Verlag, Stuttgart, , S. – G J. B (Hg.), The Birth of Jesus. T&T Clark, Edinburgh , XIII + S. – J H. C (Hg.), Jesus and Archaeology. Wm. B. Eerdmans, Grand Rapids, Michigan/Cambridge, U.K. , S. – C C, Jésus et le disciple (CEtBN, S. ). Editions J. Gabalda, Paris , S. – D S. T, Theios Anthropos (WUNT II/). Mohr Siebeck, Tübingen , XVIII + S. – J E. F, The Image of the Invisible God. Essays on the Influence of Jewish Mysticism on Early Christianity (NTOA ). Universitätsverlag Freiburg/Schweiz und Vandenhoeck & Ruprecht, Freiburg/Schweiz und Göttingen , S. – G F. H, The presence and the power: the significance of the Holy Spirit in the life of Jesus. Word Publishing, Dallas, Texas , S. – F H, Jesus und die Zöllner. Historische und neutestamentlich-exegetische Untersuchungen (WUNT II/). Mohr Siebeck, Tübingen , XII + S. – E K, Apollonios von Tyana in der neutestamentlichen Exegese (WUNT II/). Mohr Siebeck, Tübingen , IX + S. – A L, Kindheitsgeschichte Jesu. Katholische Akademie Schwerte , S. – R L, The Miracles of Jesus and the Theology of Miracles, translated by M. J. O’Connell. Paulist Press, Mahwah, N.J. , VI + S. – W L, Jesus and the Fundamentalism of His Day. Wm. B. Eerdmans Grand Rapids, Michigan , VI + S. – G L17
Als Begründung dient ein Verweis auf den oben in Teil III (S. –) besprochenen Aufsatz von G. Dautzenberg.
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V. Einzelfragen
, Die Auferstehung Jesu. Historie – Erfahrung – Theologie. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen , S. – G L, Jungfrauengeburt? Die wirkliche Geschichte von Maria und ihrem Sohn Jesus. Radius-Verlag, Stuttgart , S. – F M, Jesus von Nazareth im Umfeld Israels und der Urkirche (WUNT ). Mohr Siebeck, Tübingen , VIII + S. – K H N, Fundamentaltheologie I: Jesus – Grund christlichen Glaubens (Kohlhammer Studienbücher Theologie /). Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart/Berlin/Köln , S. – J N, Historischer Jesus und Altes Testament. Johannes Neumann Verlag, Radebeul , S. – H K. N, Heilung und Verkündigung. Das Verständnis der Heilung und ihres Verhältnisses zur Verkündigung bei Jesus und in der ältesten Kirche (AThD ). E. J. Brill, Leiden/New York/København/Köln , XI + S. – P R, Herod – King of the Jews and Friend of the Romans. University of South Carolina Press, Columbia , S. – R S, Die Person Jesu Christi im Spiegel der vier Evangelien (HThK Suppl IV). Verlag Herder, Freiburg/Basel/Wien , S. – H S, Christology. Wm. B. Eerdmans, Grand Rapids , XII + S. – T S, Der Gottessohn aus Nazareth. Das Menschsein Jesu im Neuen Testament. Verlag Herder, Freiburg/Basel/Wien , S. – W S/B J. M/G T (Hgg.), Jesus in neuen Kontexten. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart , S. – C-H S, Vergebung der Sünden. Jesu Praxis der Sündenvergebung nach den Synoptikern und ihre Voraussetzungen im Alten Testament und frühen Judentum (WUNT II/). Mohr Siebeck, Tübingen , XII + S. – G H. T, Jesus the Exorcist (WUNT II/). Mohr Siebeck, Tübingen , VIII + S. – I G. W, The faith of Jesus Christ in early Christian traditions (SNTS.MS ). Cambridge University Press, Cambridge , XIX + S. Die Literatur zu einzelnen Texten und Themen der Verkündigung Jesu ist – dem Trend gemäß – zurückgegangen. Abgesehen von R. A. Horsley sind sich | alle Jesusforscher darin einig, daß Jesus den »Zöllnern« besondere Zuwendung gezeigt hat. »Mit nicht ermüdendem Fleiß und Abschreibeeifer, in Einfallslosigkeit und Scharfsinn suchte die Forschung herauszufinden, wer die τελῶναι waren, mit denen Jesus Umgang hatte.« So beginnt die bemerkenswert selbstsichere Untersuchung von F H. Unter Berufung auf die Althistoriker U. Wilcken und M. J. Rostovtzeff und den Papyrologen H. C. Youtie will er die soziale und berufliche Stellung der »Zöllner« klarstellen. Der neutestamentliche τελώνης = »Abgabenpächter« gehört nicht in das römische Steuerpachtsystem, sondern in das hellenistische Kleinpachtsystem, wie es besonders aus ägyptischen Papyri bekannt ist. H. dürfte die Analogie zu Ägypten zu Recht herangezogen haben. Der Abgabenpächter konnte direkte und indirekte Steuern einnehmen; da er die Versteigerungssumme für seinen Posten zu Beginn des Pachtjahres bezahlen mußte, muß er wohlhabend gewesen sein; daraus kann auf eine »gehobene soziale Stellung des τελώνης geschlossen werden« (). Vorwürfe gegen die τελῶναι gelten nach H. und seinen Gewährsleuten nicht so sehr den Individuen, sondern dem »zugrundeliegenden Finanzsystem« (). Auch die offensichtlich in allen
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Kreisen beliebte Steuerhinterziehung oder Steuerflucht kann am schlechten Image der τελῶναι schuld sein (). In Palästina gab es seit v. Chr. (wieder ausschließlich) hellenistische Kleinpächter (ff.). Insgesamt ergibt sich »das Bild eines wirtschaftlich schwer belasteten Landes« (). Die Klagen über »Zöllner« führt H. wieder auf die »Rahmenbedingungen« des hellenistischen Kleinpächters zurück: »Der unnachgiebig durchgesetzte Fiskalismus . . . dürfte auch für die Herrschaft Herodes des Großen sowie für Herodes Antipas anzunehmen sein« (). Warum werden die »Zöllner« in neutestamentlicher Zeit religiös und sozial diffamiert? Diese Frage beantwortet H. mit Hilfe der soziologischen Theorie von M. N. Ebertz: »Somit ist als Ursache für die Marginalitätserfahrung des τελώνης und für die Vorwürfe an sie von dem schriftgelehrt-pharisäischen Legitimationsbestreben auszugehen, das in Palästina seit der „Zeitenwende“ verbunden ist mit heftigen innerjüdischen Kämpfen um religiöse Kompetenz. Infolge der nicht mehr sachorientierten, sondern religiösen Bewertung von Person und Beruf wird der τελώνης zum ’am ha-ares.. Er wird damit aber nicht nur moralisch verurteilt, sondern zugleich als gottlos verachtet und sozial marginalisiert« ().
Nach diesen umfangreichen Vorarbeiten wird das Thema des Buches »Jesus und die Zöllner« relativ knapp abgehandelt (–) und vieles bleibt unklar und widersprüchlich. Beispiel Mk ,–: Einerseits erkennt H. den »konstruierten Aufbau« der Perikope (. ), andererseits wird sie als wahre Geschichte ausgewertet (f.); daß die Pharisäer sich an die Jünger wandten, sei »Aufforderung . . . zum Bruch bzw. Abfall von Jesus« (). Wenn es nur um religiöse Diffamierung der »Zöllner« gegangen wäre, wieso betont dann Jesus, sein Auftrag sei die »Rettung« der »Zöllner« ()? | Beispiel Lk ,–: H. hält die Erklärung, man könne das Pharisäer-Gebet kaum hochmütig nennen, was der Pharisäer sagt, treffe ja zu, für »sehr unwahrscheinlich« (); er erklärt aber drei Seiten später das Dankgebet des Pharisäers »als sachlich angemessen« (). Beispiel Lk ,: »Menschensohn« sei »mit „ich“« zu erklären (). »An einen Titel und somit an sekundäre Gestaltung zu denken bietet sich keine Veranlassung« (ebd.). Hier purzeln die Ebenen durcheinander. Im Lukasevangelium muß an einen Titel gedacht werden (Lk ,; ,)! Auch der »vornehme Römer Theophilos« (M. Hengel) konnte nicht ahnen, daß »Menschensohn« nach einer (erwägenswerten) These von G. Vermes das Personalpronomen der . Person Sing. im Aramäischen ersetzen konnte; also gilt das nur für die vorlukanische aramäische Urform der Geschichte (falls es eine solche gegeben hat). Die heutige Fassung ist christologisch überformt.
Kurz: Man wird davon ausgehen dürfen, daß die ntl. »Zöllner« als wohlhabende, vielleicht sogar reiche Abgabenpächter anzusehen sind. Ob sie allerdings nur pharisäischer Diskriminierung unterlagen oder nicht doch auch aus der Sicht Jesu heilungsbedürftig waren (ich denke z. B. an Mt ,) muß noch einmal geprüft werden. Es genügt wohl nicht, zwei bedeutende Althistoriker und einen interessanten Religionssoziologen auszuschreiben. Das Thema Nachfolge und Jüngerschaft ist in der Straßburger Dissertation von C C in Weiterführung der grundlegenden Arbeit von M. Hengel18 18 M. Hengel, Nachfolge und Charisma, Berlin ; in leicht überarbeiteter Form jetzt in: M. Hengel, Jesus und die Evangelien. Kleine Schriften V, Tübingen , –.
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V. Einzelfragen
umsichtig und umfassend behandelt worden. Schon der Untertitel des Buches »Etude sur l’autorité messianique de Jésus« zeigt, daß C. in der Linie von Hengel bleibt; im Text vermeidet er allerdings den Messiasbegriff und ersetzt ihn durch »l’agent du Règne de Dieu« () o. ä. Zwei für die heutige Diskussion wichtige Feststellungen sollen festgehalten werden: () Die Stilisierung der Jüngerberufungen Mk ,– und ,– nach dem Vorbild Elia/Elisa dürfte auf Markus zurückgehen (–; –). () »Jésus s’est encore montré libre par rapport à la Loi; il a pu l’édulcorer on en renforcer les exigences. D’ailleurs les dits sur la suite qui énoncent les exigences du maître pour ses disciples ne font aucune allusion à la Loi. En effet, Jésus ne convie pas ses interlocuteurs à sa suite dans le but de leur faire observer la Loi et afin de leur faire respecter fidèlement les traditions et les contumes. Jésus est libre par rapport à la Torah et par rapport aux traditions . . . parce que son autorité n’a de garant qu’elle même« (). Ein weiterer Schwerpunkt des Buches ist die redaktionstheologische Auswertung der Jüngertexte, die ich für hilfreich halte, aber hier nur anmerken kann. C. hat leider nicht die Beachtung gefunden, die er verdient. Die Mahlgemeinschaft Jesu mit »Zöllnern und Sündern« wird erstmals monographisch behandelt von J B, dem Neutestamentler an der | Theologischen Fakultät der Reformierten Universität Károli Gáspár in Budapest.19 Man wird dieses Buch als erfreuliches Zeichen für die Überwindung der im Vowort beklagten »geschichtlich und kulturell bedingten Isolation der ungarischen Theologie« begrüßen dürfen. B. untersucht alle in Frage kommenden Texte der vier Evangelien in einem Dreischritt: synchron, diachron und funktional. In diesem Zusammenhang muß ich mich auf die »diachrone, historische Annäherungsweise« beschränken. Auf die Besprechung von Redestoffen (Mt ,f. par.; Mt ,f. par.), Gleichnissen (Lk ,–; Mt ,– par.; Lk ,–; ,–) und Streit- oder Lehrreden (Mk ,–; ,–; Lk ,–) folgt der große Komplex der Erzählstoffe (Mk ,– parr.; ,– par.; Joh ,–, Joh ,–; Mk ,– parr; Lk ,–; ,–; ,–; Mk ,– parr; Lk ,–; Joh ,–; ,c–; Mk ,– parr.; Lk ,–. –; Joh ,b. f.). Dem, was B. zusammenfassend über »die Funktion der Tischgemeinschaften Jesu und über ihre heutigen Folgen« () schreibt, wird man weitgehend gerne zustimmen. Er hebt hervor (a) die Inklusivität der Tischgemeinschaften Jesu: »Jesus hat jedermanns Einladung angenommen und hat jedermann an seinen eigenen Tisch angenommen« (); (b) die Freude »über das Gefunden- und Wiederaufgenommenwerden von sich selbst und anderen« (); (c) die durch die Tischgemeinschaften hervorgerufene Entscheidung und Veränderung der Teilnehmer ().
In einzelnen sind freilich Fragen anzumelden. Die oben angeführte Textbasis ist m. E. mit sehr vielen Unsicherheiten belastet. Schon die Authentizität des ersten Logions (Mt ,f. par.) ist sehr umstritten, erst recht sein ursprünglicher Wortlaut – das 19 Die bis dahin einzige deutsche Spezialuntersuchung war die kleine Broschüre von O. Hofius, Jesu Tischgemeinschaft mit den Sündern, CwH , Stuttgart , jetzt überarbeitet in: O. Hofius, Neutestamentliche Studien, WUNT , Tübingen , –. Ich merke an, daß Hofius die in der selben Reihe erschienenen Arbeiten von Herrenbrück und Bolyki nur jeweils in einer Anmerkung erwähnt.
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wird bei B. nicht recht deutlich. Beim Gleichnis vom großen Abendmahl purzeln die Ebenen auch durcheinander. Einerseits erkennt B. die »Hauptelemente« des ursprünglichen Gleichnisses (), spricht dann aber von einem »Gleichnis-Paar« () und bringt auch noch den matthäischen Anhang mit ins Spiel (). Noch problematischer erscheint die Auswertung der Hochzeit zu Kana für den historischen Jesus. Der Evangelist »dürfte . . . zweifellos irgendeine vorhandene mündliche Tradition in sein Evangelium aufgenommen und diese mit nur wenigen redaktionellen Ergänzungen versehen haben« (). »Was die vom Evangelisten übernommene mündliche Tradition angeht, ist es nicht schwer, hinter ihr ein tatsächliches Geschehnis zu vermuten« (). Mit ähnlich luftigen Überlegungen werden die beiden markinischen Speisungsgeschichten und sogar die Emmauslegende für historisch erklärt. Daß das Abschiedsmahl Jesu ein Passamahl gewe-| sen sei, müßte ebenfalls gründlicher nachgewiesen werden. Ein streng historisch verantwortetes Bild der Tischgemeinschaften Jesu sähe zwar nicht wesentlich anders aus, müßte aber vieler Farbtupfer entbehren, die B. etwas unkritisch gesetzt hat. Daß er zu manchem Einzeltext feinsinnige und nachdenkenswerte Beobachtungen gemacht hat, sei anerkannt. Zu den sehr umstrittenen Fragen der Jesusforschung gehört auch, ob Jesus Sündenvergebung zugesprochen hat. Die Tübinger Dissertation des Koreaners CH S will das klären. S. stellt kurz »Sündenvergebung im AT« (–), etwas weitschweifig »Sündenvergebung im frühen Judentum« (–) und dann »Jesu Sündenvergebung nach den synoptischen Evangelien« (–) dar. Wer, wie der Rezensent, mit der Grundtendenz des Buches einverstanden ist, ein besonderes Sendungsbewußtsein bei Jesus zu sehen (, u. ö.), wird von der Durchführung enttäuscht sein. Nach dem Untertitel des Buches soll zwar »Jesu Praxis der Sündenvergebung nach den Synoptikern« untersucht werden, aber von Anfang an wird das Thema in m. E. problematischer Weise aufgeweitet durch die nicht dazugehörige Frage »In welchem Verhältnis stehen die Praxis und Botschaft der Sündenvergebung Jesu zu seinem Tod?« (, vgl. u. ö.). Für die Themenstellung sind insbesondere Mk ,– und Lk ,– wesentlich. Bei Mk , – ist bekanntlich ein erhebliches literarkritisches Problem vorhanden. S. führt Gründe für die Trennung von Wunder und Streitgespräch an (f.), hält sie sogar für »zum Teil literarkritisch berechtigt und theologisch begründet« (), geht aber nicht darauf ein, sondern begnügt sich mit luftigen Gegenargumenten wie dem, mit einer Teilung nehme »man der ganzen Erzählung die Pointe bzw. den „Lebensgeist“« (). Völlig willkürlich erscheint mir die These: »Mk ,– ist vor allem von Ps her zu verstehen« (), auch wenn O. Betz diesen Psalm zum »Lieblingspsalm Jesu« ernannt hat, obgleich er im NT nur zweimal erkennbar zitiert wird (Lk ,, Jak ,). »Den Gott, der im Ps als vergebender und sich erbarmender Vater gepriesen wird, bringt Jesus zu den Menschen . . . , die in ihrer Sündennot zu Gott um Hilfe schreien und auf ihre Rettung warten« (). Was hat das mit Mk ,– zu tun? In der Behandlung von Lk ,– ist ebenfalls manches zu monieren. Handelt es sich hier um eine eigenständige Überlieferung oder nicht doch um eine lukanische Bearbeitung der Passionssalbung Mk ,–, die Lukas bekanntlich ausläßt? Daß der Stil »insgesamt etwas rauh und unlukanisch« ist (), ist kaum ein zwingendes Argument, zumal S. gewisse Parallelen zwischen Mk ,– und Lk ,– aufzeigt. Der Satz: »Es ist aber unwahrscheinlich, daß Lukas hier die markinische Erzählung . . . derart stark erweiternd umgestaltet hätte« (), ist absolut unzureichend. Wer der Kritik nicht Raum gibt, muß präzise Antikritik leisten. Enttäuschend ist auch, daß S. die theologische Problematik des »Gleichnisses« Lk ,f. nicht erkannt
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V. Einzelfragen
hat.20 Das »vollmächtige Vergebungshandeln des Menschensohns Jesus« () sieht S. auch in der Mahlgemeinschaft mit Zöllnern und Sündern (Mk ,–) bezeugt, m. E. mit Recht. | Aber er hätte sich hier (und auch bei der sehr knappen Besprechung von Lk ,//Mt , [f.] mit der Tübinger Disseration von F. Herrenbrück auseinandersetzen müssen; wenn die Zöllner wirklich nur von den Pharisäern diffamiert worden wären, wäre die Zuwendung Jesu zu ihnen nicht besonders bemerkenswert. Ich muß wohl nicht bemerken, daß ich auch bei der Behandlung von Lk ,– (– ) und Lk ,– (–) die präzise Auseinandersetzung mit den Vertretern der Unechtheitshypothesen vermisse. Die fünfte Vaterunserbitte (–) und das Gleichnis vom Schalksknecht (–) haben für das Handeln Jesu m. E. ebenso wenig zu sagen wie das Logion Mk ,– (–) und der zu Recht höchst umstrittene Lösegeldspruch (–).
Fazit: Daß es eine »Praxis der Sündenvergebung« bei Jesus gegeben habe, ist durch diese Arbeit nicht hinreichend gesichert worden. Auf ihrer Grundlage müßte das Thema mit einer rigorosen Methodik noch einmal bearbeitet werden. Hier kann ein Blick auf Aufsätze von F M anschließen, die in dem Band »Jesus von Nazareth im Umfeld Israels und der Urkirche« () enthalten sind. Bereits in dem für den christlich-jüdischen Dialog bahnbrechenden »Traktat über die Juden« (München ) hatte M. einen Abschnitt »Der „Jude“ Jesus« (–). Dort stellt er Jesus als einen ganz und gar gesetzestreuen Juden dar. »Unjudentum«, wie er in Anlehnung an eine Formulierung J. Klausners sagt, findet er allerdings auch bei Jesus (–). Hatte Klausner u. a. auch Jesu Torakritik im Sinn, so lehnt M. diesen Aspekt ab und sieht »Unjudentum« vielmehr »in dem unerhörten Anspruch, den Jesus in Israel erhoben hat« (), und dieser Anspruch hängt mit Jesu »Sohnesgeheimnis« () zusammen. Die hier nur kurz ausgeführten Sachverhalte (–) hat M. in dem Aufsatz »Fiel Jesus aus dem Rahmen des Judentums?« näher beleuchtet, nämlich den Anspruch Jesu auf die Vollmacht zur Sündenvergebung, das Logion Mt , und das Bekenntnis Jesu vor dem Hohen Rat. Zu Mk ,– führt M. zum mindesten erwägenswerte Gründe für die Einheitlichkeit an (f.). Und dann kommt ein merkwürdiger Rückzieher: Hier tritt uns »der unerhörte Anspruch Jesu von Nazareth entgegen, der sich zwar nicht gegen das Judentum als solches gerichtet hat, mit dem er aber eindeutig nach der Meinung seiner schriftgelehrten Gegner, aber gewiß nicht nach seiner eigenen Meinung, aus dem Rahmen des Judentums gefallen ist« (f.; im Original gesperrt). Auf Lk ,– geht M. nicht ein. Mt , kann »wegen seiner indirekten Christologie kein Produkt der nachösterlichen Gemeinde sein« (). »Unjudentum« zeigt sich, »weil ein Jude niemals den Anspruch erhoben haben könnte, „Größeres“ im Vergleich mit dem Tempel zu sein« (, im Original gesperrt). Das leuchtet ein, nicht aber M.s Schlußsatz: »Mit diesem Anspruch aber fiel Jesus, jedenfalls für jüdisches Bewußtsein, aus dem Rahmen des Judentums« (). Zum Bekenntnis vor dem Hohen Rat macht M. es sich etwas leicht: »Bis heute konnte niemand einen überzeugenden Beweis erbringen, daß das todbringende Frage-Antwort-Spiel 20 C. G. Montefiore, The Synoptic Gospels, II, London , , hat das besser bemerkt als viele christliche Kommentatoren: ». . . we may notice that there is a sort of arithmetical touch about the „parable“ . . . If it occurred in the Talmud, how theologions like J. Weiss would have been down on it. Is gratitude to be reckoned by the mere size of the service? How Jewish! So much service, so much gratitude. How Rabbinical!«
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zwischen Hohenpriester und Jesus „unhistorisch“ sei« (). Das Lehren | Jesu im Tempel, die »Tempelreinigung« (von M. als »Kampf für die Heiligkeit des Tempels« verstanden, ), und das »Tempelwort« könnten »Konfliktpotential« () enthalten haben. Der Anspruch Jesu, er sei der Messias und sogar der himmlische Menschensohn, war für die Synhedristen »eine eklatante Gotteslästerung« (). Am Schluß wird deutlich, warum M. immer wieder einschränkt, Jesus sei nur »für jüdisches Empfinden« aus dem Rahmen des Judentums gefallen: Jesu Selbstbewußtsein »besaß . . . innovierenden Charakter, was Konsequenzen für die Semantik von Jesus übernommener Begriffe wie „Messias“, „Menschensohn“, „Sohn Gottes“, „Reich Gottes“ usw. mit sich brachte« (). »Ontologisch gesehen, lag die Möglichkeit zu solcher Innovation in seinem Sein. Vere homo et vere Deus« (; im Original gesperrt). In einem früheren Aufsatz »Der „Jude“ Jesus« hat M. das Chalcedonense sogar für »ergänzungsbedürftig« erklärt; es müsse lauten »Jesus Christus „vere deus – vere homo judaeus“« (, Sperrung im Original). M. faßt diesen kurzen Aufsatz so zusammen: »Das Jude-Sein Jesu habe ich zu zeigen versucht, indem ich folgende zehn Sätze aufstellte: Der Gott Jesu ist der Gott Israels; die Bibel Israels ist auch die Bibel Jesu; Jesus ruft den Menschen radikal unter den Willen Gottes; Jesus vertritt den atl. Schöpfungsgedanken; Jesus vertritt die atl. Stellvertretungsund Sühneidee; Jesus vertritt den Bundesgedanken; Jesus ist entschiedener Vertreter der „Armenfrömmigkeit“; Jesus tritt für eine bessere Gerechtigkeit ein; Jesus ist Ansager der Zukunft Gottes; Jesus ist Vertreter der Emuna . . . Jesus kennt nicht bloß das große atl. Erbe Israels, sondern vertritt es auch selbst in seiner Lehre« ().
Nun kann kein Zweifel daran bestehen, daß sich Jesus durch seine Aufnahme des atl. Monotheismus und des Schöpfungsgedankens als jüdischer Theologe erweist. Aber die anderen von M. genannten Sachverhalte bedürfen m. E. gewisser Einschränkungen. Vertritt Jesus »die atl. Sühneidee«? Ist diese Sühneidee im AT nicht eher randständig? Ist die Forderung einer besseren sozialen Gerechtigkeit nicht bei Jesus randständig? Wie steht es mit dem Gebrauch der Bibel Israels? Sie wird doch auffällig selten zitiert; die Kritik an den Reinheitsgeboten blendet M. völlig aus. Daß Jesus den Menschen radikal unter den Willen Gottes ruft, ist natürlich richtig, aber Jesus sieht den Willen Gottes nicht im Gesetz. Ganz fragwürdig ist die Behauptung, Jesus vertrete den Bundesgedanken. Selbst wenn man alle Bedenken im Blick auf die Abendmahlsüberlieferung beiseite schiebt, bleibt die Tatsache, daß Jesus von einem Bund spricht, der mit seinem Tod zusammenhängt, und das ist nicht der jüdische Bundesgedanke. Ob Jesus als »Ansager der Zukunft Gottes« gelten kann, ist mir sehr fraglich; aber von »Jesu Lehre über die Eschata« () kann man sicher nicht sprechen. Kurz: Die Einpassung Jesu ins Judentum gelingt nicht so weitgehend, wie M. es vorschlägt. Der erste in diesem Band abgedruckte Aufsatz M.s »Methodologie der Frage nach dem historischen Jesus« (–) mit immer noch bedenkenswerten Anregungen bringt u. a. eine knappe Überlegung zum Kriterium der Unähnlichkeit (). Dort hat M. zwar – m. W. als einer der ersten – die Gefahr »eines bewußt-unbewußten christlichen Antisemitismus« signalisiert, aber | immerhin eingeräumt: »Die Beachtung der Differenzen, um die es im Aussonderungsprinzip geht, vermag zunächst das Sonderprofil Jesu gewiß in aller Deutlichkeit herauszustellen. Doch ist zu beachten, daß ein Mensch sein Profil nicht bloß durch Abhebung von der ihn umgebenden Welt, sondern auch durch Identifizierung mit ihr gewinnt. Damit ist auch ein Kontinuum
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V. Einzelfragen
sowohl nach rückwärts (Tradition) wie auch nach vorne (Wirkungsgeschichte) gegeben. Mit dem Aussonderungsprinzip ist also nicht der ganze Jesus erreichbar«. Genau diese Grundfrage nach dem »Sonderprofil« Jesu ist – sicher aus lauteren Motiven – seither unterdrückt worden.21 Drei Untersuchungen zu den Wundergeschichten sind anzuzeigen. R L, Fundamentaltheologe an der Gregoriana in Rom, behandelt die Wunder Jesu im Rahmen eines »program aimed at treating correctly the problem of the credibility of Christianity«. Das soll die Frage beantworten: »Is Jesus identifiable as God-among-us?« (). Diese dogmatische Aufgabenstellung kommt vor allem im ersten Teil (»Problems of Approach and Pre-Understanding«, –) und im dritten Teil (»Theological Perspectives«, –) zum Tragen, auf die ich nicht eingehe. Die historische Untersuchung beginnt mit den Logien Mt ,//Lk ,; Mt ,–//Lk ,– und Mt ,–//Lk ,– (–): Hier gibt L. in etwa den Konsens der Forschung um wieder. Vor der Einzelexegese werden die Authentizitätskriterien erörtert (–), wobei er auch dem »Criterion of Discontinuity« (–) eine Rolle zuweist, allerdings auch als abgeleitetes Kriterium »The Style of Jesus« (ff.) und »Internal Intelligibility« (–) anführt, was mir nicht recht einleuchtet. Der Hauptteil des Buches prüft dann »The Historicity of the Individual Stories« (–), wobei Wundergeschichten geordnet nach der Zahl der Bezeugung auftreten. Natürlich kann die Arbeit an den einzelnen Texten nicht wiedergegeben werden. Sie erfolgt in sehr selektivem Bezug vor allem auf frankophone Literatur älterer katholischer Forscher (im Blick auf R. Pesch wird einmal »the stubburn radicalism« gerügt, ). Wen wundert es, daß alle Geschichten einen historischen Hintergrund haben sollen? L. macht Abstufungen: Die Auferweckung des Lazarus »poses a difficult task for historians«, aber schließlich »one is led for a favorable conclusion regarding the historicity of the event« (). Für die Heilung des Ohres des Malchus gibt es, wenn ich recht sehe, den geringsten Grad an Sicherheit: »I think simply that it is not impossible« (). | Insgesamt stellt das Buch trotz einiger guter Textbeobachtungen und mancher bedenkenswerter »Kritik an der Kritik« aber keinen Fortschritt für die historische Jesusfrage dar.
Eine streng historisch-kritische Untersuchung, die sich der wissenschaftlichen Diskussion in ihrer ganzen Breite stellt, hat H K. N vorgelegt. Auch er beginnt mit der Frage nach der Jesus eigenen Sicht seiner Heilungen und exegesiert dazu eingehend Mt ,//Lk ,. Er zeigt, daß »das für Jesu Verständnis Charakteristische war, daß er die Dämonenaustreibungen als Ausdruck für das „Schon“ des Heils, für das Anbrechen des Reiches Gottes sah« (). Daß er Lk , ebenfalls für jesuanisch hält, ist m. E. problematisch (s. o.). Die These, Lk , zeuge »von der grundlegenden Voraussetzung« für die Exorzismen, ist unbegründet; lukanische Herkunft ist wahrscheinlich. Daß Mt ,f.//Lk ,f. von N. in diesen Kontext gestellt wird, ist richtig; der Aspekt, den er herausarbeitet, ist wichtig: »Die erwartete Heilszeit ist sowohl zu sehen als auch zu hören« (). Nach eingehender Erörterung der Probleme von Mt ,–//Lk ,– schlägt er vor, Authentizität in einem 21 Es sei noch darauf hingewiesen, daß der Aufsatzband sich vor vielen anderen vergleichbaren dadurch auszeichnet, daß der Herausgeber M. Theobald, ein Schüler M.s, einen Essay »Die Entdeckung des Juden Jesus von Nazareth und die Christologie. Die theologische Herausforderung im Werk von Franz Mußner« (–) beigesteuert hat, und der Verf. selbst eine »Autobiographische Nachschrift« (– ). Auf Mußners Aufsätze zur Ökumene (–) und zur Gottesfrage (–) ist hier nicht einzugehen.
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weiter gefaßten Sinn anzunehmen, »denn die Auffassung . . . , daß die eschatologische Heilszeit angebrochen war und sich in Jesu Heilungstaten und in seiner Verkündigung manifestierte, rührt unter allen Umständen von Jesus selbst her« () – eine mindestens sehr bedenkenswerte Erklärung. Zu Mt ,–//Lk ,– kommt N. »nicht zu einem völlig eindeutigen Ergebnis« (). Die mühevolle Analyse der Überlieferungen der Jüngeraussendung (–) hat mich allerdings nicht überzeugt. Schließlich fragt N. nach »Jesu Verständnis des Verhältnisses von Heilung und Verkündigung« (–). Ergebnis: »Sowohl durch Heilung als auch durch Sündenvergebung, sowohl in der Tat als auch im Wort wird das Reich Gottes proleptisch verwirklicht, und diese vorausgreifende Verwirklichung wird als Güte und Liebe erlebt« (). Auf die ebenfalls grundsoliden Ausführungen über das Verständnis der Heilung in den Evangelien, der Apostelgeschichte, bei Paulus und Jakobus sowie in nachneutestamentlicher Zeit ist hier nicht einzugehen.
In ihren hauptsächlichen Ergebnissen bleibt die Arbeit von G H. T (Jesus the Exorcist, ) in dem von Nielsen abgesteckten Bereich. Auch T. betont die Wichtigkeit der Exorzismen für ein Bild des historischen Jesus, hebt hervor, daß nur Jesus die Exorzismen eschatologisch versteht als Überwindung Satans, der allerdings erst im Eschaton endgültig vernichtet werden wird. Was dieses Buch wichtig erscheinen läßt, ist ein materialreiches Kapitel »Exorcism and Exorcists in First Century Palestine« (–) und eine Untersuchung aller synoptischer Exorzismustexte (–). Hier ist allerdings eine höchst problematische Apologetik am Werk; so soll sogar die Schweinegeschichte Mk ,– historisch sein (). In einer gewissen Spannung dazu scheint mir die nüchterne Feststellung zu stehen, »not that as an exorcist Jesus „transcended“ the categories of the first century« (). Beachtenswert ist auch der Nachweis, daß die Exorzismen keinen Zeichencharakter besaßen und auch nicht zur Erkenntnis der Messia- | nität Jesu führen konnten (–). Die Auseinandersetzung mit M. Smith, der Jesus zum Magier hatte machen wollen, bringt wichtige Gesichtspunkte zu dessen Kritik (–). Die neueren Arbeiten haben das Bild Jesu als eines »Wundermannes« bekräftigt, das vom Testimonium Flavianum bis zum hyperkritischen Herbert Braun22 im Prinzip anerkannt, aber in seiner Bedeutung sehr unterschiedlich gewichtet worden war. Ein die historische Auswertung problematisch erscheinen lassendes Moment war dabei die in der Bultmannschule aufgegriffene Hypothese, das hellenistische Christentum habe das in der Umwelt vorgegebene Konzept vom θεῖος ἀνήρ auf Jesus übertragen. Seit dem großen ThWNT-Artikel υἱὸς τοῦ θεοῦ des Altphilologen P. Wülfing von Martitz23 haben sich die Stimmen der Kritik daran massiv vermehrt. Eine erste Monographie, die diese Kritik zusammenfaßt, ist die von J R. B. B. stellt mit zahlreichen und teilweise ausführlichen Zitaten die in der englischsprachigen oder ins Englische übersetzten Literatur vorgebrachten Gegenargumente zusammen, führt aber nicht darüber hinaus. 22
Brauns Jesusbüchlein von wurde in einer erweiterten »Studienausgabe« nochmals aufgelegt. Der Text ist unverändert; angefügt wurden allgemeinverständliche Aufsätze, etwa über Mk ,– (–); Mk ,– (–); Mt ,– (–) und Lk ,– (–), die B.s Jesusbild konkretisieren. 23 ThWNT VIII (), S. –.
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V. Einzelfragen
Weiterführend ist die Untersuchung von E K über Apollonios von Tyana, der ein Zeitgenosse Jesu gewesen sein soll und als Wanderlehrer und Wundermann geschildert wird. Die Hauptquelle über ihn ist eine Vita des Philostrat, die aus dem Anfang des . Jh.s n. Chr. stammt. K. zeichnet die mit F. C. Baur beginnende Forschungsgeschichte kenntnisreich nach.24 Insbesondere durch R. Bultmann wurden die Wundergeschichten der Vita Apollonii als Hintergrund für die ntl. Wundergeschichten angesehen. Auch in der weiterführenden Arbeit G. Theißens sind die Belege aus der Vita Apollonii in der Überzahl. Das Alter des Vergleichsmaterials beachtet er aber zu Unrecht nicht. »Die Frage, inwieweit Philostratos der Tradition des . Jahrhunderts treu blieb, stellten die Formgeschichtler meistens nicht, weil sie meinten, daß die antiken Texte aus ein und demselben kulturellen Raum stammten. Die Datierung . . . ist jedoch für die Forschung von großer Bedeutung« (). Zudem ist auch die Rolle des Apollonios als eines großen göttlichen Menschen zu überprüfen (). Auch dafür bietet K. eine gründliche | Forschungsgeschichte (– ). Ausgehend von R. Reitzenstein über H. Windisch und L. Bieler bis hin zu M. Smith, H. D. Betz und H. Köster werden die Vertreter der θεῖος ἀνήρ-Christologie kräftig und größtenteils auch zu Recht kritisiert. Die »Weiterführung der Diskussion« (–) kann hier nicht nachgezeichnet werden. K. macht wahrscheinlich »daß das Apolloniosbild des Philostratos und Einzelheiten der [Vita Apollonii] etwa erst in das Jahr eingeordnet werden können, obgleich Philostratos ohne Zweifel ältere Traditionen benutzt hat. Wer aber irgendeine Einzelheit für vorphilostrateisch halten will . . . dem obliegt auch das onus probandi« (). Dem ist zuzustimmen. Den Todesstoß dürfte die θεῖος ἀνήρ-Hypothese durch D S. T erhalten haben. Er faßt die bisher geübte Kritik geschickt zusammen und untersucht die Quellen mit einer extrem hochstilisierten linguistischen Methodik. Einzelheiten gehören nicht in diesen Bericht; dazu sei auf die gelehrten und gründlichen Rezensionen von M. Ebner und D. Zeller verwiesen.25 Dem Fazit des Autors ist zuzustimmen: »In jedem Falle wird man künftig nicht mehr auf die θεῖος ἄνθρωπος-Terminologie zurückgreifen dürfen, um die Existenz eines Konzeptes des göttlichen Menschen nachzuweisen, das den religionsgeschichtlichen Horizont für die Anfänge der Christologie und für den Glauben an Jesus als göttliches Wesen im Urchristentum bilden sollte« (). Aber es ist auch dem Rezensenten D. Zeller zuzustimmen: »Fazit für den Neutestamentler: Er wird weiterhin nach einem Modell Ausschau halten, das es ermöglicht, Gottesaussagen auf einen Menschen zu übertragen. Das muß nicht implizieren, daß dieser Mensch als Gott betrachtet wird oder als „Sohn eines Gottes“ . . . , von der erst christlichen Kategorie des „Gottmenschen“ ganz zu schweigen«.26 Auf ein merkwürdiges Buch muß ich hinweisen. G F. H (The Presence and the Power, ) will zwar – dem Untertitel seines Buches gemäß –
24 Sehr lehrreich ist der Streit zwischen E. Norden und A. v. Harnack über Apg . Die größten Philologen wie R. Reitzenstein und W. Jaeger traten gegen Harnack an – aber er behielt recht. 25 M. Ebner, ThRev () f.; D. Zeller, ThLZ () –. 26 Zeller aaO., f.
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»The significance of the Holy Spirit in the life and ministry of Jesus« darstellen, aber er bietet nur eine biblizistisch harmonisierende Nachzeichnung der vier Evangelien. Bereits in der Einleitung betont H.: »I intend to make no attempt from a critical point of view to determine the historicity of the New Testament texts used as a basis for this study, nor will I endeavor to arrange them in chronological order to show a possible progression of Christological thought . . . I will accept these documents for what they are, documents of the Christian Church, and treat them accordingly. I will not be asking of them in this study where history ends and interpretation begins« (; ähnliche Versicherungen auch und ). So werden die matthäische und lukanische | Vorgeschichte nacherzählt, für die Kindheit und Jugend wird der Geist bemüht, selbstverständlich werden Taufe und Versuchung ausführlich besprochen, aber auch bei der Auferweckung Jesu war der Geist am Werk. Für die historische Jesusfrage hat das Buch jedenfalls keinen Wert.
Wenig Interesse haben die »Vorgeschichten« des Mt und Lk gefunden. Eine Vortragsreihe der Universität Manchester, herausgegeben von dem namhaften Qumranforscher G J. B, befaßt sich zwar im weiteren Sinn mit der Geburt Jesu, aber über die im engeren Sinn damit verbundenen historischen Fragen erfährt man nichts, es sei denn man betrachtet die Versicherung des Biochemikers und Theologen A. Peacocke, Jesus habe »DNA of Our DNA« besessen (–), als eine solche. »Die wirkliche Geschichte von Maria und ihrem Sohn Jesus« – so der Untertitel – will dagegen G L in seinem erschienen Buch »Jungfrauengeburt?« enthüllen. Und das ist natürlich eine Skandalgeschichte: Jesus wurde »vorehelich, wahrscheinlich durch eine Vergewaltigung Marias, gezeugt« (). Diese These übernimmt L. von der feministischen Theologin J. Schaberg. Ausgangspunkt dafür ist die jüdische Polemik, die schon beim jüdischen Gewährsmann des Celsus zu lesen ist und dann in den Toledot Jeschu ausgebaut wird. Daß es sich hierbei um historische Erinnerung handelt, soll durch Mk , belegt werden; diese formgeschichtlich »nicht mehr sicher zu bestimmende« Erzählung soll auf »allgemeines Wissen . . . , das Markus zur Verfügung stand« () zurückgehen. Warum das jüdische »Hohnwort« (; ) überhaupt zitiert wird, bleibt unerklärt; d. h. die von J. Schaberg übernommene Konstruktion beruht auf einer höchst unsicheren Grundlage. Auf L.s damit verbundene, nicht immer unberechtigte, aber sehr rüpelhafte Kritik an theologischen und kirchlichen Äußerungen zum Thema gehe ich nicht ein.
Höchst bemerkenswert erscheint mir die Tatsache, daß auch zwei sehr konservative Vertreter der Third Quest die angeblich illegitime Geburt Jesu für ihr Programm brauchen können. In dem von J H. C herausgegebenen Sammelband »Jesus and Archaeology«, der ein buntes Sammelsurium von archäologischen Berichten und Aufsätzen über Jesus ohne Bezug zur Archäologie enthält, schreibt Bruce D. Chilton über die »mamzerut Jesu«. Chiltons Anliegen in vielen der ThR nicht vorgelegten Büchern ist die Umstilisierung Jesu zu einem galiläischen Rabbi.27 27 Etwa B. D. Chilton, Profiles of a Rabbi: Synoptic Opportunities in Reading about Jesus, Atlanta (BJS ). Ders., Rabbi Jesus: An Intimate Biography, New York .
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V. Einzelfragen
Chilton stellt die den mamzer (oft mit »bastard« oder »mongrel« übersetzt, besser mit »changeling« oder »mixling«, ) betreffenden Aussagen der Mischna, Tosefta und des Talmud dar. Nach seinem Urteil genügt der in Mt , genannte Sachverhalt, um Jesus in diese Kategorie einzureihen (). Warum wird diese Beschuldigung erhoben? »What emerges from both the rabbinic literature . . . and the New Testament is that | Jesus’ mother was clearly known, and that the identity of his father was contested« (). Nächste Hypothese: Jesu Geburtsort war Bethlehem – und zwar ein km von Nazareth entferntes Bethlehem (). »Had Joseph been domiciled there, that would explain both why Mary’s pregnancy in Nazareth was a scandal and why Joseph took her away from Nazareth to Bethlehem for Jesus’ birth« (). Nächste Hypothese: Die Zwei-Quellen-Hypothese ist falsch (f.). Ch. kommt – etwas unmotiviert – auf »the occupation of the Temple«, vulgo Tempelreinigung genannt, zu sprechen (–). »A brief review of the contents of the earliest Gospels including Thomas as they concern Jesus’ occupation of the Temple, makes it evident that none of them (as it stands) is what could be called historical« (). Also kann der Historiker sich aussuchen, was ihm paßt. Joh. , läßt die Sorge Jesu um die Reinheit des Tempels erkennen, das Mischzitat der Synoptiker ein dauerndes Interesse Jesu am Tempel, nicht etwa an seiner baldigen Zerstörung. Nächste Hypothese: Johannes der Täufer wurde nicht erst oder n. Chr. hingerichtet, sondern schon n. Chr (). D. h. aber, daß Jesus schon als ganz junger Mensch unter seinen Einfluß geraten sein muß, und da der Täufer ein »Reinheitsfan« war (purifier), hat er Jesus in diesem Sinne geprägt (). In der Umgebung des Täufers war die mamzerut wahrscheinlich kein Thema mehr.
Ich habe diese Konstruktion ausführlich referiert, um das auch sonst bei Ch. zu findende procedere deutlich zu machen. Die Markuspriorität wird natürlich sehr bewußt abgelehnt, weil dort weder der Täufer noch gar Jesus als »purifier« dargestellt werden. J. H. Charlesworth hat in demselben Band seinem umfangreichen Aufsatz »Jesus Research and Archaeology: A New Perspective« (–), einen Appendix angefügt: »Jesus, the Mamzer, and the Dead Sea Scrolls« (–). Nach Q Florilegium und Q MMT ist es dem mamzer verboten, den Tempel zu betreten. Und dann wird eine Kette von Fragen aufgereiht, die natürlich als die Lösung angesehen werden sollen: »Did some of Jesus’ fellow Jews consider that he could not prove that Joseph and Mary were each full-blooded Jews and were his legitimate biological parents? If not, some priestly authorities could claim he was a mamzer, and . . . he could be banned from entering the Temple Mount« (). Und das wäre dann die Ursache für den Wutausbruch Jesu (»his explosive rage«, ) im Tempel gewesen, also keinerlei Tempelkritik. Der Charlesworth’sche »Jesus within Judaism« wäre wieder einmal gerettet. In dem Sammelband »Jesus in neuen Kontexten«, hg. von W S, B J. M und G T, wird Jesus u. a. »aus dem Blickwinkel der kulturübergreifenden Sozialpsychologie« betrachtet (): A. van Aardes Aufsatz »Jesus als vaterloses Kind« ist ein typisches Beispiel für die gewalttätige Einpassung Jesu in ein vorgegebenes Konzept. Die Vaterlosigkeit Jesu folgt für van Aarde aus der (unbestreitbaren) Tatsache, »dass kein Text aus den Jahren – n. Chr. irgendwas von Josephs Verbindung mit Jesus weiß« (). Eigentlich hätte der gelehrte Autor bemerken | müssen, daß dasselbe auch von Maria gilt. Die einzige solide Folgerung aus diesem Befund ist die, daß man nichts über die Familie Jesu weiß.
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Die heute wieder beliebt werdenden Genrebilder von der »heiligen Familie«, in der Jesus zum mustergültigen Juden erzogen worden sein soll, sind ebenso abwegig wie das von van Aarde entworfene »Bild des historischen Jesus als vaterloser Zimmermann, unverheirateter Sohn der Maria, der in einem angespannten Verhältnis mit den Dorfbewohnern in Nazareth lebte, vermutlich aufgrund des Stigmas der Vaterlosigkeit und der von daher als Sünder galt«. »Obwohl unschuldig als Kind, das nicht um die Sünde weiß, verweigerte man dem historischen Jesus den Status als Kind Gottes, verdammte ihn dazu, nicht in den Status echter Bundeszugehörigkeit hinüberschreiten zu dürfen und erlaubte ihm daher nicht, in die Gemeinde des Herrn einzutreten« (). So erklärt sich auch seine »Theologie«: »Seine erstrebte Identität (der Status, den er sich wünscht, aus dem er aber ausgeschlossen ist) schließlich schien zu beinhalten, ein Kind Abrahams zu sein, Kind Gottes – was der Grund dafür sein konnte, warum der vaterlose Jesus Gott als seinen Vater bezeichnete« (). Dazu paßt, daß ein anderer Beitrag dieses Bandes (John J. Pilch, Ereignisse eines veränderten Bewußtseinszustandes bei den Synoptikern, –) mit Hilfe der kulturvergleichenden Psychologie die Visionserzählungen wie Taufe und Versuchung Jesu, den Seewandel, die Verklärung und die Auferstehungserscheinungen als panhumane Erfahrungen eines veränderten Bewußtseinszustandes (ASC = altered states of consciousness) erklären will. Jesus war ein Schamane. Pilch nennt Adressen, wo man eine Ausbildung zum Schamanen bekommen kann (). Alles ist machbar und verrechenbar – so lautet die Botschaft »made in USA«. Weitere Berichte erspare ich mir und meiner Leserschaft, da die neuen Kontexte m. E. die alten Texte vergewaltigen.
Abschließend sollen noch Hinweise auf einige Bücher erfolgen, die eher am Rande mit der Jesusforschung zu tun haben. Ausgehend von einer Diskussion zwischen G. Ebeling und R. Bultmann will I G. W die Rede von der πίστις ᾽Ιησοῦ nicht mehr als »Glaube an Jesus«, sondern »Glaube Jesu« verstehen. Er beginnt mit Mk ,– parr. »Alles ist möglich dem, der glaubt« (Mk ,) ist aber sowohl im Blick auf das Wort des Vaters (Mk ,) als auch – wie W. selbst einräumt () – im Blick auf V. doch nicht auf Jesu Glauben zu beziehen. Ganz abwegig ist die Erklärung der Jüngerschelte in Mk ,: »Jesus admonishes the disciples because they fail to demonstrate that kind of miracle-working faith which has power over the natural elements« (). Und wenn in Mt ,– den Jüngern Glauben und Beten als Voraussetzung für Wundertätigkeit genannt werden (), bezieht sich das nicht auf Jesus. Ob Jesus vorsynoptisch als Mann des Glaubens wie Abraham, David oder Elia und Elisa gezeichnet wurde (–; ) bleibt m. E. unsicher. Das gilt m. E. auch für die Untersuchung der paulinischen Texte, worüber hier nicht zu handeln ist. Nur im Hintergrund der Jesusgeschichte tritt Herodes d. Gr. auf. Die ihm gewidmete instruktive Monographie von P R ist so etwas wie eine »Rettung« des Herodes im Lessingschen Sinn. R. stellt Herodes als | engagierten Förderer jüdischer Belange dar und hellt so das Bild des Tyrannen etwas auf. Im Blick auf die matth. Vorgeschichte bleibt R. beim Jahr als Todesjahr des Herodes und damit bei v. Chr. als Geburtsjahr Jesu (); zur Erzählung vom Kindermord erklärt er zutreffend: »plausibility does not guarantee accuracy« (). Der ehemalige Salzburger Religionspädagoge A L kämpft in einer kleinen Schrift gegen die Einstufung der Kindheitsgeschichten als Legenden, plädiert
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V. Einzelfragen
aber seinerseits dafür, die apokryphen Legenden in der kirchlichen Verkündigung mehr zu beachten. Aus meiner Sicht ein wertloses Heft. M P und R R haben eine eigene Rekonstruktion von Q vorgelegt, die aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt wurde. Schon der Titel »Das verlorene Evangelium« ist irreführend, ebenso der Untertitel »Was Jesus wirklicht sagte.« Q wollte kein Evangelium sein, und es bietet die Worte Jesu in einer gelegentlich judenchristlich bearbeiteten Form. Schon der Umfang von Q ist hier – ohne Begründung – durch mancherlei Texte aus dem Sondergut des Lk bzw. des Mt vergrößert. Von den gelegentlichen Problemen bei der Rekonstruktion des Wortlauts erfährt die Leserschaft nichts. Oft ist die Übersetzung eher eine glättende Paraphrase; manchmal führt sie in die Irre. Nur zwei Beispiele: Mt ,//Lk , steht – gut judenchristlich – man solle dies (die Verzehntung) tun, aber jenes (Barmherzigkeit etc.) nicht lassen. Daraus wird hier: »Dabei solltet ihr diese an erster Stelle üben« (). Lk ,//Mt , wird unter Ausschaltung des Gerichtshorizontes »übersetzt« mit: »Jeder, der sich vor den Menschen zu mir bekennt, wird von den Engeln gepriesen« (). Auch dieses Buch hat m. E. keinen Wert. Dasselbe gilt schließlich auch für die im Selbstverlag des Verfassers erschienene Broschüre von J N, die entgegen dem Titel »Historischer Jesus und Altes Testament« eine grobschlächtige Schelte der atl. Wissenschaft darstellt. Ob die Auferstehung noch ein Thema historischer Jesusforschung ist, mag man fragen. Ich weise auf zwei mir dazu übergebene Bücher hin. G Ls Monographie »Die Auferstehung Jesu« ist im Jahr mit großem publizistischen Getöse an die Welt gelangt, obwohl sie doch im Endeffekt nur die Auffassung von E. Hirsch erneuert. Eigentlich muß man die von L. heraufbeschworene Debatte als »überflüssig« bezeichnen28 , denn | die herkömmliche These, Jesu Grab sei leer gewesen, ist historisch ebenso wenig verifizierbar wie L.’s Gegenthese, der Leichnam Jesu sei verwest (). Ich übergehe andere Argumente gegen L.’s Konstruktion29 und bemerke zweierlei. (a) L. schließt sich Bultmanns Urteil an, Mk ,– sei eine späte Legende. Damit folgt er dem m. E. größten Fehlurteil dieses großen Exegeten; denn die Urgemeinde hat mit Sicherheit nie vom Tod Jesu gesprochen, ohne wenigstens einen Hinweis auf die Auferstehung zu geben. (b) Während er theologisch im Schlepptau Hirschs fährt, hätte er doch auch dessen »Frühgeschichte des Evangeliums« () einsehen sollen. Dort rekonstruiert Hirsch – nicht als erster – eine ältere vormarkinische Fassung des Textes ohne die Engelszene. H. Merklein30 hat diese These mit methodologischer Klarheit neu begründet. So dürfte die vormarkinische Passionsgeschichte mit einem andeutenden Hinweis auf eine Besonderheit am Grabe Jesu geendet haben. Zusammen mit den galiläischen Erscheinungserzählungen hat sich dann die Vorstellung vom leeren Grab gebildet und zum Einschub von Mk ,–a geführt. Exegetisch ist L.s Buch absolut unbefriedigend. 28
P. Pilhofer, Die Auferstehung Jesu. Bemerkungen zu einer überflüssigen Debatte, in: Ders., Die frühen Christen und ihre Welt. Greifswalder Aufsätze –, Tübingen , –. 29 Dazu P. Pilhofer, aaO.; ferner die Rez. von A. Lindemann, WzM () –. 30 H. Merklein, Mk ,– als Epilog des Markusevangeliums, in: Ders., Studien zu Jesus und Paulus II, Tübingen , –; erstmals erschienen.
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach
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Noch abenteuerlicher ist M Bs Buch »The Risen Lord« (). Ihre These lautet: »Auferstehung« ist die mystische Erfahrung Jesu bei seiner Taufe. Begründung: »The remarkable early testimony in Romans : Jesus having „become“ son of God, Lord and Christ after the resurrection must imply that if Jesus was aware of his being Son of God, Lord and Christ, he must himself have experienced the event which was described as his resurrection« (). Dazu zitiert B. das koptisch-gnostische Philippus-Evangelium Logion und folgert: »This could be a gnostic fantasy but I think not. This extraordinary statement is the key to a whole new way of reading the New Testament« (). Ist das eine Basis, um den vier kanonisch gewordenen Evangelien und der alten Bekenntnistradition Kor ,– frontal zu widersprechen? Ich halte das für phantastisch. Leider muß ich auch so über das vorhergehende Buch von M B urteilen (The Great Angel, ). Sie faßt dieses Buch folgendermaßen zusammen: Es habe gezeigt, »that the religion of the first temple had not been monotheism. Yahweh, the LORD, had been the second God, the guardian angel and patron deity of Israel, the Son of El Elyon. Once the Deuteronomists had introduced monotheism into the life, and more importantly, into the records of the people of Judah, Yahweh and El Elyon were no longer distinct. The older belief, however, did not disappear, and the evidence of Philo confirms that the second deity was still known in the period of Christian origins. Many of his titles were taken over by the early Church to | describe Jesus. The earliest Christian beliefs must have been rooted in those of the first temple« (Barker, The Risen Lord, p. IX.). Ob das auf einzelnen Spuren (z. B. in den Psalmen) beruhende Konstrukt der vorexilischen Theologie haltbar ist, möchte ich nicht beurteilen. Aber es ist völlig unwahrscheinlich, daß Philo und die Urchristen daran anknüpfen konnten, statt vom Denken ihrer Zeit beeinflußt zu werden. Große Gelehrsamkeit der Verfasserin wird für eine postulatorische Geschichtswissenschaft vertan. Zwei Lehrbücher aus dem Bereich der Systematischen Theologie müssen erwähnt werden, weil sie der Jesusthematik Raum geben. Der lutherische Dogmatiker H S veröffentlichte eine Christologie mit dem Ziel »to ascertain, as far as this is still possible, whether the confession of Jesus as Christ rests on the proclamation, person and destiny of Jesus of Nazareth« (). Zu diesem Zweck bietet S. einen relativ ausführlichen Forschungsbericht (–), der natürlich vor allem amerikanische Literatur berücksichtigt (Borg, Crossan); aber er informiert etwa auch über jüdische Arbeiten (–). Daß dabei ein eher konservatives, an J. Jeremias/L. Goppelt orientiertes Jesusbild herauskommt, verwundert nicht. Die Jungfrauengeburt (–) mitsamt dem Geburtsort Bethlehem und dem Stern (–) werden ebenso für historisch erklärt wie das leere Grab (f.). Im Blick auf das Sabbatgebot befindet S.: »Jesus did not just question the interpretation of the commandment but the validity of the commandment itself« (), er beteuert aber auf derselben Seite unter Berufung auf Mt ,: »Jesus makes it clear that he does not abolish the Law.« So bleibt trotz des mutigen Ansatzes letztlich alles beim Alten.
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V. Einzelfragen
Einen ungewöhnlichen Ansatz für seine Fundamentaltheologie wählt der katholische Systematiker K H N. Er will das »Defizit an Erinnerungs- und Erzählsprache in der christlichen Theologie« () überwinden. Er will den vorlegen, »der Christentum in sich zusammenfaßt: Jesus von Nazareth« (). Unter der bezeichnenden Überschrift »Der Anspruch« werden Botschaft und Geschichte Jesu dargestellt, wobei die beste damals vorhandene Literatur (Bornkamm, Schweizer, Jeremias, Merklein) verarbeitet ist. Es ist wohltuend, daß N. die »Kindheitsgeschichten« übergeht, weil sie nach seiner Meinung »eher Teil der Deutung Jesu und der Begegnung mit ihm, nicht aber Element der ursprünglichen Entdeckung selbst« sind (). Grundlegend ist die Botschaft von der Gottesherrschaft (–), »die eine Hoffnung mächtig werden ließ« (). Jesus »spricht von dem, was die Menschen seiner Tage in ihren Interessen trifft. Frage ist nur, ob er sie lediglich bestätigen will, ob er sich ihrer Erwartungen bedienen möchte oder ob es ihm um Tieferes geht« (). So wird von Anfang an das Eigenprofil Jesu herausgestellt: »Bereits in seinem Auftreten beginnt Gottes Herrschaft, d. h. mit ihm erschließt sich die Gemeinschaft mit Gott« (). Sodann hebt N. zu Recht hervor, daß »sich dieser Jesus in einer Gemeinsamkeit | mit Gott zu sehen [scheint], die das herkömmliche Gottesbild in Frage stellt. Ist das noch der große Herr, die weltüberlegene Majestät des Schöpfers und Retters, der Souveräne und Heilige?« (). Das führt zum kritischsten Punkt: »Schließlich muß auch die Vertrautheit stören, die hier einfach vorausgesetzt wird. Sie nämlich stellt die Institutionen und Einrichtungen aufs Spiel, an denen die Existenz des Volkes hängt: Bund, Gesetz, Kult . . . Gerade wenn sich Gottes Macht im Wort eines Mannes äußert, der keinerlei offizielle Stellung bekleidet, wenn einfach jeder auftritt und Sündenvergebung zuspricht, dann ist das Volk selbst in Gefahr« (). N. hat eine das Wesentliche erfassende Skizze Jesu vorgelegt, die ich als hilfreich empfehlen kann.
Ein merkwürdiges Buch legt W L vor (Jesus and the Fundamentalism of His Day, ). Nach dem einleitenden Teil ist seine Absicht, heutigen Fundamentalisten am Beispiel Jesu und der Evangelisten zu zeigen, daß man die Schrift ganz heilig halten und doch da und dort von ihr abweichen kann. Die Aussätzigenheilung Mk ,–, die »Frauengeschichten« Mk ,– und ,– sowie der Hauptmann von Kapernaum (Lk ,–//Mt ,–) sind sein Ausgangspunkt: »Behind these stories is an image of Jesus as a fairly conservative Jew concerned to keep the biblical commandments relating to purity and boundaries, yet prepared to cross the boundaries in emergencies« (). Ebenso legt L. das Zöllnergastmahl (Mk ,–) und die Sabbatkonflikte (Mk ,–,) aus: »What ultimately mattered was people and responding to their need« (). Jesus hatte ein anderes Schriftverständnis als seine Antagonisten: »He understood it as teaching that God was concerned first and foremost for people . . . Behind it is a different understanding of God from theirs. Their understanding of God pictured God as someone primarily concerned with his commandments and rules; Jesus’ understanding of God was that God was primarily concerned with the good of people, and that commandments and laws were subordinate to that« (). Das ist alles richtig, aber es ist mir unverständlich, daß L. leugnet, daß Jesus damit dem Buchstaben und dem Geist des Buches Levitikus widerspricht. Seine Verharmlosung von Mk , gehört zu diesem Programm. Er übersetzt zwar korrekt »It is not what enters a person that makes them unclean, but what comes out of them«, aber er erklärt dreist: »This clever quip was doubtless not an attack on the biblical food laws; it was an attempt to change the focus of attention« (). Der Komparativ, der nicht im Text steht, wird einfach hineingelesen. Nach L. ist es erst Markus, der einen Torakonflikt daraus macht: »Mark’s Jesus Rejects Bible Teaching on Food and Purity« (); denn Mk geht es um die Integration der Heiden in die Gemeinde.
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach
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Auch im Blick auf den Tempel hat Mk die Kritik Jesu, die nur der Korruption des Betriebes galt, dadurch vergrundsätzlicht, daß er das Wertsystem von Mk auf den Tempel anwendet (). So findet man eine harte Anklage gegen Mk (f.) mit einer halbherzigen Verteidigung (f.). M. E. gilt die Anklage aber Jesus selbst. L. bietet trendgemäß wieder einmal den matthäischen Christus als den historischen Jesus an.
Ein Lehrbuch für College-Studenten von D L. B kann kurz angezeigt werden. Es werden alle Methodenfragen angeschnitten, aber in evangelikale Watte gehüllt. | Die einleitungswissenschaftlichen Vorgaben beispielsweise sind einigermaßen naiv: Mk soll in den späten er Jahren, Mt in den er Jahren, Lukas ebenfalls in den er Jahren geschrieben worden sein, während Joh. vom Jünger Jesu stammt und in die er oder er Jahre gehört (–). Auf den Seiten über Formgeschichte erfährt man fast nur Negatives (»problematic«, »misdirected use«, »limited value«, »suspect and speculative«, »not reliable« [–]). Daß Formkritik »as a literary tool« () gewisse Verstehenshilfen bietet, wird allerdings eingeräumt (f.). Anstelle von Bultmann und Dibelius sollte man aber besser Riesenfeld, Gerhardsson u. dgl. lesen (). Auch die relativ wohlwollend beschriebene Redaktionskritik darf nicht zu kritisch betrieben werden: »One evangelist could write to supplement what another evangelist says by opening up fresh perspectives that the event raised« ( A. ). Und es gehört zu den Schwächen der Redaktionskritik, daß sie »efforts at harmonization« ablehnt (). Die Methode muß gehandhabt werden »with apporpriate restraint« (). Die Kriterienfrage wird kurz erörtert (–). Das Unähnlichkeitskriterium wird als »decidedly minimalist« () bewertet, was es ja auch sein soll. Am wichtigsten ist B. die »vielfältige Bezeugung« (). Zustimmend zitiert B. die Formulierung von N. T. Wright »double similarity and double dissimilarity«, die m. E. in die Richtung des Theißenschen Plausibilitätskriteriums geht (). Auch diese Debatte wird entschärft: »These criteria serve better as a supplemental argument for authenticity than as criteria that can establish authenticity« (). Wer dann immer noch durch die Rückfrage nach Jesus beunruhigt ist, erhält ein großes Trostpflaster durch ein Zitat von E. E. Ellis auf der letzten Seite: »If a proper historical method is followed, proper presuppositions observed and the practises of first-century Palestinian Judaism considered, the Gospels of the New Testament will be found to be a reliable presentation and faithful portrait of the teachings and acts of the pre-resurrection mission of Jesus« (). Hoffentlich wird das nicht das Lehrbuch der Zukunft.
Die Aufsatzsammlung von J E. F will den Einfluß jüdischer Mystik auf die frühe Christologie aufzeigen, gehört also ganz in die Nachgeschichte Jesu. Nach einem instruktiven Überblick über die Forschungsgeschichte (–) werden der Kolosserhymnus (–), Jud – (–), die Verklärung Jesu (–), die Verklärungsszene in den Johannesakten (–), die joh. Logoschristologie (–) und Joh , (–) behandelt. Auch wenn einige Fäden allzu fein gesponnen erscheinen, ist die Übertragung der Metatron-Vorstellung auf Jesus in den untersuchten Texten sehr wahrscheinlich. Nur einen mittelbaren Bezug zum historischen Jesus hat die große Monographie »Die Person Jesu Christi im Spiegel der vier Evangelien« () von R S. Sie basiert auf »einem neuen Ansatz, der von der Unerkennbarkeit und Unerforschlichkeit des „historischen“ Jesus ausgeht und sich der Sicht der Evangelisten zuwendet, die ja ein besonderes Bild von Jesus Christus entworfen haben« (f.).
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V. Einzelfragen
Begründung: »Der wirkliche historische Jesus entzieht sich unseren Blicken und wird auch durch die kritische historische Forschung nicht greifbarer. Was bei der mit einem großen Methodeninstrumentarium entworfenen Forschung herauskommt, ist ein Konstrukt nach Verfahrens- | weisen, die allgemein in der historischen Wissenschaft angewendet werden, aber für eine so außergewöhnliche Gestalt wie Jesus von Nazareth, eine nur im Glauben begreifbare Gestalt, völlig unzulänglich bleiben. Jesus ist eben nicht eine Person wie Cäsar, Napoleon oder andere Größen der Weltgeschichte . . . ; er durchbricht und überragt die Geschichte« (). Diesen Rückzug auf die Kähler-Johnson-Linie muß man respektieren, auch wenn man ihn für sachlich unangemessen hält. Daß dadurch manche Fragen offen bleiben, räumt S. in einem letzten Abschnitt selbst ein (–). Daß die Evangelisten »keine Photographie des geschichtlichen Jesus, sondern ein Gemälde« bieten, ist richtig. Die Behauptung: »Es enthüllt mehr von dem Wollen, den Motiven und den innerlich treibenden Kräften, die Jesus bewegten« () ist m. E. falsch. Die »Gemälde« der Evangelisten enthüllen viel über die die Evangelisten treibenden Kräfte. Aber es soll doch betont werden, daß S. eine solide Darstellung eben dieser Kräfte geboten hat. Ein sehr persönlich gehaltenes Buch hat der amerikanische Systematiker T J. J. A geschrieben. Sein Ausgangspunkt ist der hochapokalyptische Jesus A. Schweitzers, dessen Andenken das Buch gewidmet ist. »We know that apocalypticism . . . could truly know God only by way of the advent of a total historical transformation. This transformation becomes cosmic transformation in full apocalypticism, and hence a transformation truly and finally ending everything which we can know or name as „kingdom“ or „reign“« (). A. wehrt jede Enteschatologisierung oder Entmythologisierung ab: ». . . flights from the apocalyptic Jesus are also thereby flights from the revolutionary Jesus, or flights from any kind of historical revolution . . . « (). Wer allerdings Jesu Basileia-Verständnis nicht einfach in einen apokalyptischen Rahmen preßt, sondern aus der Jesusüberlieferung ableitet, wird diese Voraussetzungen nicht teilen. Daß die Überlegungen A.s zum Jesus des Jesus Seminar (–), D. Crossans (–) oder der Gnostiker (–) des Interesses wert sind, sei ausdrücklich gesagt. Die weiteren Überlegungen zu John Milton und William Blake, zu Dante und James Joyce, Dostojewski und Nietzsche liegen dann völlig außerhalb der historischen Jesusthematik.
Die z. T. schon früher veröffentlichten exegetischen Miniaturen in dem Buch »Der Gottessohn aus Nazareth« von T S wollen nach dem Untertitel »Das Menschsein Jesu im Neuen Testament« erhellen. Er will dem Verdacht entgegentreten, »der ganze christologische Aufwand, den die Kirche zu Ehren des Gottessohnes treibe, sei ein riesiger Betrug, dem der Mensch Jesus von Nazareth zum Opfer falle« (). S.s Ausgangspunkt ist das Nicaenum: »Das Bekenntnis zum wahren Menschsein des Gottessohnes ist ebenso ein Prüfstein, ein Antrieb, ein Kernstück des Glaubens wie das Bekenntnis zum wahren Gottsein des Menschen Jesus« (). In den praktisch | das ganze Neue Testament einbeziehenden Exegesen geht es also um die »Frage, wie jesuanisch die neutestamentliche Christologie ist« (). Dazu findet die Leserschaft immer wieder Nachdenkenswertes, z. B.: »Eph ist . . . eine Ekklesiologie der Verkündigung Jesu« () oder die Auffassung von Petr ,– als »Kurzgeschich-
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach
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te der Passion« (f.), aber auch Überzogenes. Daß die »Geburt Jesu im Stall . . . nicht nur auf seinen Tod am Kreuz, sondern auch auf sein Leben an der Seite der Armen« verweise (), wird der gebildete Römer Theophilos, der S. zu Timotheus wurde, so nicht unbedingt verstehen. Oder: In der hellenistisch-römischen Literatur sind Hirten als besonders tranzendenzoffene Menschen bekannt. Und daß »Jesus nach Mk ,– seine Christologie erkärt« () kann S. auch nur behaupten, weil er diese spitzfindig-schriftgelehrte Argumentation mit dem urchristlichen Lieblingstext Ps einfach für jesuanisch erklärt. So bin ich zwar grundsätzlich mit der Fragestellung S.s einig, finde aber die Antworten manchmal etwas zu direkt. Auffällig ist eine Neigung zur judenchristlichen Christologie.
VI. Prozeß und Kreuzestod Jesu W B, Der letzte Tag des Jesus von Nazaret. Was wirklich geschah. Verlag Herder, Freiburg i. Br. , S. – J H. C (Hg.), Jesus and Archaeology. Wm. B. Eerdmans, Grand Rapids, Michigan/Cambridge, U.K. , S. – B C/C E, Authenticating the Words of Jesus (NTTS XXVIII, ). E. J. Brill, Leiden/Boston/Köln , XVI + S. – C C, Der Prozeß und Tod Jesu aus jüdischer Sicht. Jüdischer Verlag, Frankfurt/M. , S. – C A. E, Jesus and His Contemporaries. Comparative Studies (AGAJU ). E. J. Brill, Leiden/New York/Köln , S. – D M/E N/J-M P (Hgg.), Jésus de Nazareth. Nouvelles approches d’une énigme (MDB ). Labor et Fides, Genf , S. – M M, Die letzten Tage Jesu. Markus, Johannes, ihre Traditionen und die historische Frage. The Finnish Academy of Science and Letters. Bd. (AASF B ), Helsinki , S./Bd. (AASF B ), Helsinki , S. – L S/I B/R H/P F/D Z/J N/L O/H G/H O Z, Jesus von Nazareth – Spuren und Konturen. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart , S. – H S, Jesus – Gestalt und Geheimnis, hg. von K. Scholtissek. Bonifatius Verlag, Paderborn , S. – G S. S, The Crucifixion of Jesus. Augsburg Fortress Press, Minneapolis , X + S. – P J. T, Presumed Guilty: How the Jews were Blamed for the Death of Jesus. Fortress Press, Minneapolis , XIV + S. – G V, Die Passion. Die wahre Geschichte der letzten Tage im Leben Jesu. Aus dem Englischen von Th. Ganschour. Primus Verlag, Darmstadt , S. – A W, Josephus on Jesus. The Testimonium Flavianum Controversy from Late Antiquity to Modern Times (Studies in Biblical Literature ). Verlag P. Lang, New York usw. , XVIII + S. – »Die geschichtliche Frage nach den Vorgängen beim Prozeß und bei der Kreuzigung Jesu ist seit jeher über die allgemeinen methodischen und theologischen Probleme bei der Rückfrage nach dem Jesus der Geschichte hinaus mit der | häufig polemisch oder apologetisch gestellten Frage nach der „Schuld“ an diesem Geschehen belastet gewesen, und diese Belastung hat oftmals die Objektivität der Fragestellung und Urteilsfindung getrübt. Das zeigt sich auch in der neuesten Forschung über diesen Fragenkreis immer wieder, und es ist darum bei der Beurteilung dieser Forschung be-
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VI. Prozeß und Kreuzestod Jesu
sonders darauf zu achten, daß theologische oder konfessionelle Vorurteile so weit wie möglich ausgeschaltet bleiben«. So hat W. G. Kümmel vor Jahren seinen Bericht über die Prozeßforschung eingeleitet31 ; das ist heute immer noch gültig. Der israelische Jurist und Rechtshistoriker C C hat im Jahre einen umfangreichen Aufsatz über Prozeß und Tod Jesu veröffentlicht32 , über dessen Thesen W. G. Kümmel kritisch referiert hat.33 Darauf beruhte eine auf hebräisch erschienene Monographie, die in erweiterter Fassung auf Englisch erschien, und diese englische Übersetzung wurde von Chr. Wiese und H. Liron ins Deutsche übersetzt. C. geht davon aus, daß das Markusevangelium als Apologie für die verfolgten Christen Roms geschrieben worden sei (f.); daher »mußte – aus Rücksicht auf die Heidenchristen, aber auch im Blick auf offizielle Stellen und eine weitere Öffentlichkeit – einerseits der römische Statthalter vollständig reingewaschen werden, andererseits aber der Glaube an Christus, seine Unschuld und seine Integrität als völlig vereinbar mit der Loyalität gegenüber Rom und mit dem Vertrauen in die römische Justiz hingestellt werden. In diesem Licht erhalten alle „Phantasien“ und „historischen Unachtsamkeiten“ der Evangelisten eine neue Bedeutung. Sie hätten in der gegebenen Situation ihrem Glauben einen ausgesprochen schlechten Dienst erwiesen, wenn sie die Wahrheit berichtet hätten, daß Jesus eines todeswürdigen crimen maiestatis für schuldig befunden und ordnungsgemäß nach römischem Recht abgeurteilt und gekreuzigt worden sei . . . Es war nicht das erste und leider auch nicht das einzige Mal in der Geschichte der Religionen, daß für die Herrlichkeit Gottes und den Sieg des wahren Glaubens alle sonst selbstverständlichen Hemmungen über Bord geworfen wurden, daß man das Recht unterdrückte und die Wahrheit mit Füßen trat« (f.). Dies die auf S. G. F. Brandon zurückgehende Basis.34 Wenn Mk nur einen verkleideten Jesus darstellt, muß er demaskiert werden. C. schreibt also im Sinne Geigers eine Gegengeschichte, freilich nicht gegen irgendwelche Forscher, sondern gegen die Quellen. Dabei vertritt er eine jüdische Maximalposition: Jüdische Instanzen haben mit Prozeß und Tod Jesu überhaupt nichts zu tun. Nach Joh wurde Jesus von einer »Kohorte« verhaftet, womit römisches Militär bezeichnet sein muß (). Die dort genannten »Knechte der Hohenpriester« müssen Beamte der Tempelpolizei gewesen sein (f.). Wenn Mk von einer »Menge« spricht, ist das unglaubhaft; denn nach Mt ,– war die »Menge« des einfachen Volkes von | Jesus begeistert, »höchstwahrscheinlich hätten die empörten Sympathisanten die Polizei abgefertigt und Jesus im Triumph in Sicherheit gebracht« (). C. folgert weiter, »daß die römischen und jüdischen Befehlshaber in Übereinstimmung miteinander und aufgrund vorheriger Absprachen handelten« (). Die Anwesenheit von Römern ist Beweis einer römischen Initiative (). »Die Anwesenheit der jüdischen Tempelpolizei . . . kann man durch keine römische Anweisung oder Forderung erklären. Es bleibt nur eine mögliche Erklärung, nämlich daß ihr auf ihr eigenes Ersuchen hin gestattet wurde, dabeizusein« (). Die Absicht dabei war, »den mit der Befehlsgewalt betrauten römischen Offizier zu dem Einverständnis zu bewegen, daß sie Jesus in jüdischen Gewahrsam nehmen durften« (). Deshalb wurde Jesus in die Villa des Hohenpriesters gebracht. Dort hatte sich der Große Sanhedrin versammelt (). Das kann nicht zum Zweck eines Prozesses geschehen sein, denn das wäre 31
ThR () = Vierzig Jahre Jesusforschung, . Reflections on the Trial and Death of Jesus, Israel Law Review () –. 33 ThR () f. = Jahre Jesusforschung, f. 34 Zu Brandon vgl. W. G. Kümmel, ThR () – = Vierzig Jahre Jesusforschung, – ; M. Hengel, Jesus and the Zealots, JSS () – = Ders., Jesus und die Evangelien. Kleine Schriften V, Tübingen , –. 32
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach
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zu mehreren Bestimmungen des jüdischen Rechts in Widerspruch gestanden (). Auch um eine »Voruntersuchung« kann es sich nicht gehandelt haben; denn eine solche war bei einem römischen Strafprozeß nicht vorgesehen (). Warum also kam der Sanhedrin in der Nacht vor dem Passafest oder sogar in der Passanacht selbst zusammen? »Nur an einem . . . kann die gesamte jüdische Führung damals tatsächlich ein vitales Interesse gehabt haben – nämlich daran, die Kreuzigung eines Juden durch die Römer zu verhindern, insbesondere aber die eines Juden, der sich der Liebe und Zuneigung des Volkes erfreute« (). Dieser Rettungsversuch war nicht ethisch-religiös motiviert (), sondern sollte das öffentliche Ansehen des Hohenpriesters steigern ().
Ich breche das Referat ab. Die Lektüre des Buches ist geradezu spannend und irgendwie einleuchtend, nur steht das alles nicht in den Quellen. Schon der Ausgangspunkt ist fraglich, die Beteiligung der römischen Kohorte, also von mindestens Soldaten. Woher sollte das jüngste Evangelium diese Nachricht haben? Eher wollte der Evangelist doch mit der Einfügung der Römer zeigen, »daß Jesus dem Kosmos konfrontiert ist«.35 Daß die »Knechte der Hohenpriester« die Tempelpolizei sind, ist bloße Behauptung. Bloße Behauptung ist die daraus abgeleitete grundlegende Folgerung, es habe sich um ein rein römisches Verfahren gehandelt. Ich will die Kritik von W. G. Kümmel nicht im einzelnen wiederholen, muß aber darauf hinweisen, daß der Übersetzer Chr. Wiese in seinem Nachwort (–) diese methodologischen Probleme überhaupt nicht anspricht. Er erwähnt zwar, daß der jüdische Neutestamentler D. Flusser C.s »allzu skeptische Beurteilung der Quellen« kritisiere (), aber das ist weniger als die halbe Wahrheit. Flusser sieht die Problematik des Buches sehr genau: »Infolge der tendenziösen Darstellung der Quellen läuft . . . der jüdische Forscher Gefahr: Es entsteht bei ihm eine Neigung, das schwarzweiße Bild durch ein konträres weiß-schwarzes Bild zu ersetzen«. Konkret stellt er fest: »Chaim Cohens Annahme, nach der alle Vorgänge in jener Nacht nicht | auf eine Auslieferung an die Römer zielten, sondern auf Jesu Rettung, leuchtet . . . zum einen aus methodischen Gründen und zum anderen aus historischen Gründen nicht ein.« Oder: »Der Ausgangspunkt Chaim Cohens ist demnach mit Schwächen behaftet, die fast notwendig zu sensationellen Hypothesen führen müssen. Cohen stützt sich auf sekundäre und unwahrscheinliche Nachrichten . . . Er wird mit den überwiegend sekundären Nachrichten dadurch fertig, daß er ihren Sinn ins Gegenteil verkehrt«.36 Auch der evangelische Neutestamentler Wolfgang Stegemann möchte jegliche jüdische Beteiligung am Prozeß gegen Jesus ausschalten, wobei er sich u. a. auf den oben erwähnten Band des (ehedem) katholischen Neutestamentlers J. D. Crossan stützt.37 Stegemann argumentiert einmal mit der den Evangelien angelasteten antijüdischen Tendenz und dem polemischen und apologetischen Charakter der Passionsgeschichte. Diese ist ein fiktionaler Text, der letztlich nur eine literarische Retrojektion späterer Ablehnungs- und Feindschaftserfahrungen in die Geschichte Jesu darstellt, soweit 35
J. Becker, Das Evangelium nach Johannes, Kap. –, ÖTK /, Gütersloh/Würzburg , . D. Flusser, Jesu Prozeß und Tod, in: Ders., Entdeckungen im Neuen Testament I, hg. v. M. Majer, Neukirchen-Vluyn , –; Zitate ; ; . 37 W. Stegemann, Gab es eine jüdische Beteiligung an der Kreuzigung Jesu?, KuI () –. 36
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VI. Prozeß und Kreuzestod Jesu
es die jüdische Beteiligung am Prozeß betrifft. Zum anderen behauptet Stegemann, »das einzig relevante außerchristliche Zeugnis über den Tod Jesu« sei das berühmte Christenkapitel des Tacitus, ann. ,,f., das keine jüdische Beteiligung erwähnt (). Gegen diese pauschale Abwertung der Markuspassion ist in zwei ausgezeichneten Aufsätzen Einspruch erhoben worden. Anna Maria Schwemer hat vor allem in einem exegetischen Durchgang durch Mk / gezeigt, daß die Darstellung zeit- und rechtsgeschichtlich plausibel ist und daß man »von einer grundsätzlichen „antijüdischen Tendenz“ bei Markus . . . keinesfalls sprechen« könne.38 Dieter Sänger prüft eingehend das methodische Vorgehen Stegemanns und zeigt überzeugend, daß dieser zu Unrecht versucht, »mit Hilfe eines argumentum e silentio aus dem Schweigen der Quelle ein beredtes historisches Urteil abzuleiten und der Tacitus-Notiz zugleich das Gütesiegel eines objektiven geschichtlichen Zeugnisses zu verleihen«, und daß es ebenso verfehlt ist, das sogenannte Testimonium Flavianum, Josephus, ant. , f. als »christliche Sekundärquelle« beiseitezuschieben. Denn der entscheidende Satz, Jesus sei auf Anzeige der führenden jüdischen Männer von Pilatus gekreuzigt worden, »läßt sich nicht als Interpolation ausscheiden. Den . . . ausschlaggebenden Grund hat P. Winter genannt: seine den kanonischen Evangelien entgegenlaufende Tendenz«. D. h., »daß Josephus die Mitwirkung jüdischer Instanzen ausdrücklich bestätigt«.39
An dieser Stelle kann ein Hinweis auf die vorzügliche Forschungsgeschichte zum Testimonium Flavianum erfolgen, die wir Alice Whealey verdanken (Josephus on Jesus, ); sie zeigt – und das ist in diesem Zusammenhang allein wichtig – den in der zweiten Hälfte des . Jh.s. zunehmenden Konsens darüber, daß ein Grundbestand des Testimonium authentisch ist. Ich kehre zur chronologischen Berichterstattung zurück. M M hat in seinem entsprechend betitelten Buch die »letzten Tage Jesu« mit Hilfe einer eindringenden literarkritischen Analyse zu erhellen gesucht. Ausgehend von der durch R. Bultmann begründeten Auffassung, Mk habe einen älteren Passionsbericht verarbeitet, und der von J. Jeremias vertretenen Hypothese, diese vormarkinische Passionsgeschichte sei auch im Vierten Evangelium verarbeitet worden, sucht er diese frühe Quelle zu rekonstruieren. In einer subtilen, alle wesentlichen Vorgänger berücksichtigenden Argumentation, die hier natürlich nicht nachgezeichnet werden kann, rekonstruiert M. als ältesten Passionsbericht: Mk ,.a.c.a; ,; ,–.–. .......a.b.a. ca; ,...b.a.a.a.. Die weitere Hypothese, es habe vor Mk eine »erweiterte Passionsgeschichte« gegeben, die dann auch noch von Mk redaktionell bearbeitet, von Joh. dagegen frei, eigenständig und schöpferisch verwendet worden sei, ist mir zwar in vielem einleuchtend, aber hier nicht zu besprechen. Da M. von dem Grundsatz ausgeht: »Der Erzählfaden selbst soll das Kriterium für die Analyse bilden« (), kommt ein erhebliches subjektives Moment in die Arbeit hinein. M.s Analyse ist ohne Zweifel scharfsinnig und kenntnisreich, aber nicht alle erzählerischen Schwierigkeiten, die er empfindet, sind mir nachvollziehbar. So würde mir bei der Synhedriumsverhandlung die Ausscheidung von Mk ,– genügen. Daß der alte Bericht mit dem Kreuzestitulus geendet 38
A. M. Schwemer, Antijudaismus in der Markuspassion?, ThBei () –; Zitat f. D. Sänger, »Auf Betreiben der Vornehmsten unseres Volkes« (Josephus, Ant. ,). Zur Frage einer jüdischen Beteiligung an der Kreuzigung Jesu (), | wieder abgedruckt in: Ders., Von der Bestimmtheit des Anfangs. Studien zu Jesus, Paulus und zum frühchristlichen Schriftverständnis, Neukirchen-Vluyn , –; Zitate ; ). 39
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach
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haben soll, ist m. E. völlig unwahrscheinlich. Daß in diesem Kurzbericht dagegen der Judaskuß und sogar das abgehauene Ohr des Knechts erzählt worden sein sollen, leuchtet mir ebenfalls nicht ein. Aber diese Details sind nicht entscheidend. Ausgezeichnet ist m. E. die Rekonstruktion der hinter dem alten Passionsbericht stehenden Ereignisse durch M. Historisch ist die »Tempelprovokation«: »Der Tempel und die durch ihn repräsentierte Ordnung bilden einen Gegensatz zur Gottesherrschaft, die bald eintreten soll« (). M. sieht aber zu Recht, daß die Tempelprovokation und ein Wort über dessen Zerstörung allein das Geschehen nicht erklären können (). Vielmehr muß »das politisch Gefährliche an Jesu Auftreten in Jerusalem in seiner Verkündigung gelegen« haben (). Die Botschaft von der hereinbrechenden Gottesherrschaft kann im zelotischen Sinn mißverstanden worden sein (). Auf die Überlegungen zum Judas-Problem sei wenigstens hingewiesen. »Judas ist als ein dem Tempel treu gebliebener, konservativer Jude vorstellbar, der an der Tempelprovokation Jesu Anstoß nahm« (). Für wahrscheinlicher hält M. jedoch, daß Judas von den Hohenpriestern dingfest gemacht wurde, die ihn »dahingehend erpreßt haben, daß er | sie zu Jesu Aufenthaltsort führte« (). Die Verurteilung Jesu durch Pilatus war Ergebnis der gut funktionierenden Kooperation zwischen Kaiphas und Pilatus ().
Diese methodisch und in ihren Ergebnissen nicht zum Trend passende gelehrte Untersuchung Myllykoskis hat bisher nicht die Beachtung gefunden, die sie verdiente. Die umfangreiche Untersuchung von W B über den letzten Tag des Jesus von Nazareth ist zwar für den »Nichtfachmann« () bestimmt und daher mit vielen Zeichnungen, veranschaulichenden Übersichten und Graphiken versehen, stellt aber eine durchaus beachtenswerte wissenschaftliche Leistung dar. Durch eingehende exegetische Untersuchung stellt B. fest: Die Initiative zum Vorgehen gegen Jesus geht von den jüdischen Autoritäten aus. Jüdische Milizionäre verhaften ihn und überstellen ihn den jüdischen Autoritäten, »die durch Jesu Tempelprotest an einer ihrer empfindlichsten Stellen getroffen werden« (). Vor Kaiphas erfolgt noch in der Nacht ein Vorverhör, bei dem wahrscheinlich das »Konsistorium« (f.), eine »kleine Clique aus zehn bis zwölf maßgeblichen Synedristen« () anwesend war. Am Morgen kommt das Synedrium zusammen, um eine »Voruntersuchung« vorzunehmen, aber »kein regelrechtes Gerichtsverfahren« (). Der Tempelprotest Jesu dürfte aber nicht der entscheidende Grund für den Todesbeschluß gewesen sein (f.). Im Mittelpunkt des Verhörs stand vielmehr die Messiasfrage, auch wenn »sich Jesu Antwort nicht mehr in ihrem genauen Wortlaut rekonstruieren läßt« (). Das bedeutet: »Jesus erhebt vor dem Synedrium in welchen Formulierungen auch immer einen einzigartigen hoheitlichen Anspruch« (). B. unterstreicht zu Recht: »Der in Mk ,b.c erkennbare hoheitliche Anspruch läßt sich durch die gesamte evangelische Überlieferung hindurch verfolgen . . . Jesus läßt sich mit den Kategorien des Judentums nicht ganz „einfangen“. Jesus geht im Judentum nicht auf, Jesus ist nicht nur einfach eine Spielart des Judentums« (). B. nennt drei Pentateuchtexte, die als Rechtsgrundlage für eine Verurteilung wegen Blasphemie dienen konnten: Lev ,, Num ,f., Dt ,. Daß man Jesus für einen gefährlichen Rebellen halten konnte, dessen Beseitigung bona fide gefordert werden konnte, stellt B. zu Recht fest (). Ein formelles Todesurteil dürfte das Synedrium nicht gefällt haben (). Vor Pilatus, dem obersten Gerichtsherrn, wird der religiöse Messiasanspruch Jesu politisch gedeutet. Während dies meist – und m. E. zu Recht – als bewußte Verfälschung des Anspruchs Jesu aufgefaßt wird, möchte B. »eher von einer gezielten Akzentuierung als von einer böswilligen Verdrehung sprechen« (). Dazu paßt m. E. nicht ganz die Meinung B.s, Pilatus habe erkannt, »daß hier ein „schmutziges Spiel“ gespielt wird«; deshalb geht er »auf „Gegenkurs“«, nicht aus Mitleid oder Sympathie für Jesus (), wird aber – nach Joh , – durch die Synedristen unter Druck gesetzt. Deshalb stellt er »Jesus und den Zeloten Barabbas im Rahmen
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VI. Prozeß und Kreuzestod Jesu
eines Begnadigungsangebotes . . . zur Wahl . . . Die Synedristen und die anwesende Menge, unter ihnen vermutlich zahlreiche Sympathisanten des Barabbas, . . . entscheiden sich . . . per acclamationem für Barabbas und gegen Jesus. Nach diesem öffentlichen Votum bleibt dem römischen Präfekten nichts anderes mehr übrig, als das Urteil zu verkünden« (). |
Insgesamt kann dieses Buch als eine konservative Darstellung im guten Sinn dieses Wortes beurteilt werden. Im Pilatusprozeß ist B. wohl zu konservativ. Das bedeutet aber keineswegs, daß er sich im Einzelfall vor eindeutig kritischen Äußerungen scheute. Das Antijudaismusproblem wird deutlich angesprochen (–). Auch die problematische Frage nach der »Schuld« an Jesu Tod wird umsichtig erörtert (– ). Dieses Buch hätte sorgfältige Beachtung verdient. Jean-Pierre Lémonon, durch eine Monographie über Pilatus40 als Kenner der ntl. Zeitgeschichte ausgewiesen, hat in dem schon erwähnten frankophonen Sammelband »Jésus de Nazareth« (hg. von D M u. a.) über die Ursachen des Todes Jesu geschrieben (Les causes de la mort de Jésus, –). Er betont zu Recht: »Sans aucun doute les causes de la mort de Jésus sont diverses: il y a des motifs immédiats, mais aussi des raisons plus lointaines« (). Unter Berufung auf Joh ,; ,; , und Lk ,f.//Mt , geht er davon aus, daß Jesus den Jerusalemer Behörden bekannt war (). Dann ergibt sich die einleuchtende Feststellung: »Jésus a été condamné parce qu’il a prononcé des paroles contre le Temple, mais de plus, en raison de ses paroles et de son comportement, les grands-prêtres estimèrent que Jésus était un faux prophète . . . Déjà le critère de Dt ,– était en filigrane de la controverse sur Béelzeboul en Mc ,–; Dt apparaît comme la référence commune entre Jésus et ses adversaires« (). Die Verlagerung der Anklage vor Pilatus auf den Königsanspruch sollte die Verurteilung sicherstellen (). Lémonon hat so eine der Überlieferung insgesamt gerecht werdende Darstellung geleistet. Einen interessanten Beitrag zu dem Schimpfwort »Fresser und Weinsäufer« (Mt ,//Lk ,) hat Howard C. Kee in dem von B. C und C. A. E hg. Band »Authenticating the Words of Jesus« vorgelegt (A Glutton and Drunkard, – ). Es enthält eine Anspielung auf Dt ,, und der Kontext handelt vom »widerspenstigen Sohn«, der eine Gefahr für die ganze Dorfgemeinschaft darstellt und daher gesteinigt werden muß (Dt ,–). »In the setting of the ministry of Jesus, his aggressive practice of welcoming aliens and the excluded into the community which he is shaping can only be regarded as rebellion and sedition by strict adherents to ritual, cultic and ethnic limits for participation in those who see themselves as the people of God« (). »It is Jesus’ radical redefinition of the people of God which arouses the hostility toward him and his enterprise (Q :–)« (). So wird durch diesen – in seiner Authentizität nicht anzweifelbaren – | Spruch die Vorgeschichte des Prozesses Jesu erhellt, die durch die »Dritte Frage« so vehement geleugnet wird. Ganz im Trend liegt das für ein weiteres Publikum geschriebene Buch von G S. S (The Crucifixion of Jesus, ). Es bietet eine vom NT ausgehende Darstellung der theologischen und frömmigkeitsgeschichtlichen Sicht der Passion dar, die von den Apologeten zu K. Rahner und Teilhard de Chardin führt, aber auch 40
Pilate et le gouvernement de la Judée, Paris (EB).
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach
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ausführlich muslimische, hinduistische, buddhistische und konfuzianische Urteile referiert. Der Ausgangspunkt ist der stromlinienförmige Jesus: »none of the interpretations of the law attributed to him in the Gospels falls outside the range of acceptable rabbinic opinions from whatever we can know of them in his time« (). Wieso kam es dann zu Jesu schmachvollem Tod? »The answer can only lie in the fear of Pilate that Jesus was spearheading a movement of the liberation of Jews from Roman rule. He was perfectly justified in such suspicions. He may [!] have witnessed mass demonstrations in Jesus’ favor . . . Something, someone convinced Pilate that Jesus was so dangerous . . . «. Und diese Gruppe war »[a] temple priesthood fearful that a Jew was acting against the empire« (). Die Evangelien, die ca. Jahre [!] später in der Diaspora geschrieben wurden, kannten die Umstände natürlich nicht mehr und schoben daher die Verurteilung Jesu auf theologische Gründe (). Schon von Anfang an gilt, »that Jesus’ crucifixion – an event in history – was mythicized whithin fifty years. It did not stop being an event in history, but was mythicized history from the first we hear of« (). Die Evangelisten »flushed out the original myth of faith with historical reminiscences, fulfillments of biblical prophecy, and theological convictions« (). Auch die Retrojektion späterer Animositäten ist zu erwägen (). Damit war der Grund gelegt für die häßliche Geschichte des christlichen Antisemitismus. Daß diese Darstellung in sicher guter Absicht viele Sachverhalte bedenklos umbiegt, gibt zu denken.
Einen Zusammenhang der Passion mit dem vorangehenden Wirken Jesu in Galiläa will C A. E (Jesus and His Contemporaries, ) zu Recht herstellen. »The evidence suggests that the Marcan narrative . . . provides a plausible link between Jesus’ Galilean activities and his subsequent execution in Jerusalem. In short, Jesus made statements about the Kingdom of God and came to be understood as the Anointed King of his Kingdom. . . . The seizure and execution of Jesus constituted . . . an inevitable result of and reaction to his proclamation and activities« (). Denn Jesus hat messianische und damit implizit königliche Ansprüche erhoben (–). »Besides the possible identification of Jesus with David, there are indications that Jesus anticipated (and promoted) significant social as well as political changes« (). Und dafür werden R. A. Horsley und J. D. Crossan als Hauptzeugen angeführt (– ). Wer das Bild Jesu als eines Sozialreformers für mindestens unzureichend hält, wird diese Brücke nicht begehen. Im Zusammenhang damit steht natürlich die Bewertung der »Tempelaktion«; nach Evans galt sie der im Tempelbetrieb herrschenden Korruption (–), die aller- | dings hauptsächlich aus späteren Quellen belegt wird. Damit bleibt Evans ganz im Trend. Im Epilog seines Aufsatzbandes erfahren wir: »Very little, perhaps nothing, of Jesus’ teachings and activities, when viewed individually, are truly unique« (). Also ist alles politisch erklärbar. Jesus war zwar kein aktiver Revolutionär wie bei Reimarus, aber seine Verkündigung implizierte gefährliche Folgen für die Herrschenden. »Jesus’ words and actions provoked the religious leaders and led them to seek his destruction« (). Ich halte dieses Bild für eine Verzeichnung.
Im Berichtszeitraum ist natürlich auch darüber nachgedacht worden, ob der Tod als sinnvoll und im herkömmlichen christlichen Verständnis als heilvoll angesehen werden kann. Dafür ist mir allerdings nur der Aufsatzband von H S
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VI. Prozeß und Kreuzestod Jesu
(Jesus – Gestalt und Geheimnis, hg. v. K. Scholtissek) vorgelegt worden. Er enthält früher publizierte Aufsätze Sch.s »erneut durchgesehen, teils (ohne substantielle Eingriffe) leicht korrigiert, manchmal . . . etwas gekürzt« (, A. ). Gegen eine verbreitete Meinung stellt Sch. zutreffend fest: »Jesus setzte die gescheiterte Predigt des Täufers nicht fort . . . , verließ die Wüste und ließ (zunächst) ab von der Bußpredigt . . . Er stiftete der Erfolglosigkeit der Täufersendung ein „Trotzdem“ ein: Der, den Jesus als den Abba erkannt hatte, wird – so weiß er – trotz der Unbußfertigkeit Israels seine heilbringende Basileia aufrichten . . . Damit wurde Jesu Botschaft vom innersten Ansatz her Heilsbotschaft, so sehr auch Jesus das Gericht über die Ablehnung des Heilsangebotes . . . kannte. Führte doch Jesu Heilsbotschaft von dem radikal zuvorkommenden Heilsangebot Gottes zu den hohen und tiefen und verinnerlichten Forderungen Jesu, die die Tora sprengten, was fast notwendig zu Widerstand führen mußte« (f.). Jesus dürfte zwar dem apokalyptischen Weltbild verhaftet gewesen sein, aber er spricht nicht vom kommenden Äon, »vielmehr personalisiert und theologisiert er das erwartete Heil mit Hilfe des Symbol-Wortes „Basileia Gottes“. Jesus entwirft weder eine utopische Zielvorstellung noch gar gesellschaftliche Programme für die gesellschaftlich-politische Ordnung Israels und der Welt. Er gibt sich auch nicht als Reformator der israelitischen Gemeinde als ganzer; außer in Gerichtsworten spricht er sie schwerlich als solche unmittelbar irgendwo an, von eschatologischen Zeichenhandlungen abgesehen. Jesus hat kein theokratisches Programm, wie Israel als Qehal Jahwes hier auf Erden institutionell als Ganzheit aussehen und reformiert werden müsse . . . Sein Basileia-Geschick verlangte von ihm eine totale Offenheit für jedermann, gewiß zunächst in Israel, weil Gott dereinst ganz Israel, aber dann auch den Heidenvölkern herrscherlich sein Reich schenken will« ().
Dies ist alles richtig gesehen und verdient sorgfältige Beachtung. Es sei nicht verschwiegen, daß einiges auch in ein »konfessionelles« Licht gerückt wird, so etwa in dem Aufsatz »Der Jüngerkreis Jesu als Zeichen für Israel (und als Urbild des kirchlichen Rätestandes)« (–). Der Aufsatz »Die Symbolhandlungen Jesu als eschatologisches Erfüllungszeichen« (–) soll ausdrücklich der Frage dienen, »ob unser kerygmatisches Verständnis von (sakramentaler) Kirche, die als eschatologisches Zeichen in der Welt steht, sachlich in dem „eschatologischen Erfüllungszeichen“ Jesus von Naza- | reth wurzelt« (). Doch das soll in diesem Zusammenhang auf sich beruhen; daß Sch. eine gewisse Neigung zur Dogmatik hat, zeigen die relativ häufigen Zitate von Dogmatikern (W. Kasper, K. Lehmann, E. Schillebeeckx). Der Herausgeber Scholtissek sieht Sch.s Arbeiten als »Erweis«, »wie fruchtbar exegetische Wissenschaft, theologische Reflexion und spirituelle Wahrheit zueinanderfinden können« (). Sechs Beiträge Sch.s befassen sich mit dem Todesgeschick Jesu und der Frage nach dem »ureigenen Todesverständnis« Jesu (–). Auf diesem auch von anderen namhaften Exegeten wie H. Merklein, M. Hengel und P. Stuhlmacher engagiert erörterten Problemkreis liegt ein Schwerpunkt. Nun kann man nicht bezweifeln, daß das »Mißgeschick des Basileia-Engagements Jesu« () von Jesus bedacht worden sein muß. Seine Proklamation der Basileia als gegenwärtiger Gegebenheit stieß sich mit ihrer Verborgenheit, Unscheinbarkeit, »Niedrigkeitsgestalt« (f.). Die Basileia-Botschaft brachte Jesus »gewissermaßen von innen her in Gegensatz zu allen Richtungen des damaligen Judentums« (); sie löste auch »eine „Bewegung“ aus und wurde dadurch auch von außen her ein gefährliches Unternehmen« (). So muß Jesus »schon
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach
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recht früh« () mit einem gewaltsamen Tod gerechnet haben (). »Je mehr es dem Ende entgegenging, desto deutlicher drängten die geschichtlichen Erfahrungen ihm diese Möglichkeit auf, die mehr und mehr zur Wahrscheinlichkeit und am Ende sich zur moralischen Gewißheit verdichtete« (). Das ist alles einleuchtend, aber es wird in der Jesusüberlieferung nicht gesagt. Sch. spitzt diese zunehmende Todesgewißheit Jesu zu in dem Aufsatz »Jesu Tod als Heilstod im Kontext seiner Basileia-Verkündigung« (–). Da die Ablehnung des Heilsangebots auch durch die Gerichtsandrohung nicht behoben wurde, so »werden die Androhungen Jesu am Ende zur Ankündigung« (). In dieser Situation erwägt Sch. »die Möglichkeit eines existentiellen Engagements« Jesu () »unter den folgenden beiden Voraussetzungen: () Er wußte Gott und seine Sendung größer als jene Ablehnung; und weiter: () Er war bereit, das verkündete Gericht – aus seiner (prä- und) proexistenten Tiefe heraus – selbst auf sich zu nehmen« (). Es geht Sch. um die »Possibilität«, und er betont wiederholt, daß er (nur) einen »Konvergenzbeweis« liefern könne.
Das ist ungeheuer sympathisch an den Arbeiten Sch.s, daß die historisch-kritisch zu erhebenden Sachverhalte nie überspielt, sondern anerkannt werden, auch wenn Sch. dann darüber hinausgeht. So stützt sich Sch. für seine These, Jesus habe seinem Tod Heilsbedeutsamkeit zugesprochen, nicht auf die verba testamenti, weil sie »der Forschung . . . in ihrer konkreten (unterschiedlich überlieferten!) Fassung weithin als schwer wortwörtlich zu sichern« gelten () und räumt unumwunden ein: »Es gibt somit für ein heilsmittlerisches Todesverständnis Jesu keinen kritisch genügend gesicherten verbalen Nachweis« (). Daher will er »Jesu Wissen um die Heilsbedeutung seines Todes« nur »approximativ« aufweisen. »(.) aus seiner einmaligen Bedeutung als „eschatologischer Repräsentant“ der Basileia, (.) aus | seinem Verhalten, (.) aus Mk , und (.) aus den (verbaliter gedeuteten) Gesten Jesu beim Abschiedsmahl« (). Hier bleiben mancherlei Zweifel.41 Schürmann führt in seinen Aufsätzen ein durch Noblesse gekennzeichnetes Streitgespräch mit A. Vögtle, z. T. auch mit dessen Schüler Lorenz Oberlinner, der in seiner Habilitationsschrift42 die Auffassung Schürmanns gründlich kritisiert hatte. So ist es naheliegend, daß Oberlinner in dem schon mehrfach genannten Gedenkband der Vögtle-Schüler (L S u. a. [Hg.], Jesus von Nazareth – Spuren und Konturen) das Problem nochmals aufgenommen hat (Der Weg Jesu zum Leiden, –). Es bleibt dabei: Einen Tod als sühnendes Heilsgeschehen dürfte Jesus nicht ins Auge gefaßt haben. Aber Oberlinner scheint mir die Verkündigung Jesu zu harmlos zu sehen. Daß die Haltung Jesu gegenüber dem Gesetz »nicht immer der konventionellen Norm« entspricht () genügt für die in Mk , ausgesprochene Relativierung des Sabbats nicht; daß die »kultischen Reinheitsvorschriften . . . von Jesus nicht in ihrer absoluten Verbindlichkeit festgeschrieben« werden, ist unzureichend (). Oberlinner räumt ein: »Es ist sicher zu Auseinandersetzungen zwischen Jesus und gläubigen Juden gekommen, die sein Verhalten kritisierten« (). Genügt 41 Vgl. W. G. Kümmel, ThR () f. = Jahre Jesusforschung, f.; ThR () f. = Jahre Jesusforschung, f. 42 Todeserwartung und Todesgewißheit Jesu. Zum Problem einer historischen Begründung, Stuttgart (SBB ), vgl. W. G. Kümmel, ThR () = Jahre Jesusforschung, .
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VI. Prozeß und Kreuzestod Jesu
das? Wir wissen z. B. daß ein Pharisäer namens Saulus schon im Jahre oder die nach Damaskus und Antiochien geflohenen Jesusanhänger höchst gewalttätig verfolgte; er versuchte sie zu vernichten (Gal ,)43 , hat aber dann nach seinem Eintritt in die Jesusbewegung auch Gefahren für Leib und Leben erdulden müssen (Kor ); nicht umsonst sollen die römischen Christen vor seiner Jerusalemreise für ihn beten (Röm )! Daß Zeloten und Sikarier Abweichler nicht nur mit dem erhobenen Zeigefinger bedroht haben, ist auch bekannt. Nun setzt Oberlinner zu Recht voraus, »dass Jesus nicht als völlig Unbekannter nach Jerusalem gekommen ist« (); dann hatte er ein erhebliches »Sündenregister« im Gepäck! Insofern dürfte nicht »der Grund für die Verhaftung und Verurteilung Jesu im Rahmen des (letzten) Jerusalemaufenthaltes zu sehen« sein (), sondern eher der Anlaß (so richtig ). Daß der »Einzug« und die Tempelreinigung sehr relativiert werden (–), ist m. E. gut begründet; daß das Tempellogion Mk ,, von dem er eingesteht, »dass sich weder der genaue Wortlaut noch der historische Ort . . . eindeutig bestimmen | lässt« () entscheidend gewesen sein soll, leuchtet mir nicht ein; wieso dieses kaum zu rekonstruierende Wort sich »gut in den Rahmen des Wirkens und der Verkündigung Jesu einpasst« (), ist mir ebenfalls nicht klar. Klar wäre es mir als urchristliche Bildung, die die Gemeinde im Sinne von Kor , als neuen, nicht mit Händen gemachten Tempel versteht. Wichtig ist jedenfalls Oberlinners Feststellung: »Der von Jesus ausgelöste Konflikt war fundamental theologisch bedingt« (). Insofern ist diese Untersuchung ein wirklich förderlicher Beitrag zur Jesusfrage. Das kann leider von der kleinen allgemeinverständlichen Schrift von P J. T (Presumed Guilty. How the Jews were Blamed for the Death of Jesus, ) nicht gesagt werden. Er zeichnet, ohne auf gegenteilige Aspekte einzugehen, einen ganz und gar orthodoxen Jesus (–), der sogar im Verhältnis zu seinen Jüngern sich wie ein Rabbi verhalten haben soll (). Auch die Mär von der ungeheueren Beliebtheit Jesu feiert fröhliche Urständ (). »Jesus showed affinity to the Pharisees and shared their insights on many points. In other respects, he thought much more radically than most of them did . . . Jesus had a radical attitude on social issues such as money and possessions« (). Die Hauptgegner Jesu waren die Hohenpriester und Schriftgelehrten (). Die Tempelreinigung galt tatsächlich der Heiligkeit des Tempels; Mk , gibt »Jesus’ deepest intention« an (). Man erführe allerdings gerne, warum Mt und Lk diesen Satz weggelassen haben. »Jesus was deeply concerned about the desecration of the temple. What took place there was intolerable . . . The only action that could be undertaken against this was to protest, as the biblical prophets had done, even though this meant risking one’s life« (f.). Ein Prozeß am Sabbat war unmöglich, aber die johanneische Chronologie löst dieses Problem (f.). Dann wäre Jesu letztes Mahl kein Passamahl gewesen, aber Jesus wird wohl, ähnlich wie die Qumranleute, einem anderen Kalender gefolgt sein (). Der jüdische Prozeß wurde hauptsächlich von den Hohenpriestern und ihren sadduzäischen Gefolgsleuten betrieben. »They succeeded in capturing Jesus unseen, trying him according to their tradition, and condemning him according to their convictions. His unarticulated pretension to be the heavenly Son of Man and Son of God they considered a blasphemous crime« (). 43 Paulus verwendet das Verb πορθέω, das nach Liddell-Scott-Jones »destroy, ravage, ruin« entspricht!
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach
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Diese relativ konservative Sicht erlaubt sich T. nur, weil er eine von den Quellen nicht gedeckte Voraussetzung macht: »The Pharisees were not present. Many would have rejected both the legal proceedings and the final verdict« (). Der Pilatusprozeß wird ebenfalls nach Mk geschildert; die nur bei Lk geschilderte Szene mit Herodes Antipas wird als historisch angesehen. Das ist eine Neufassung der Evangelienüberlieferung ad usum Delphini.
Auch das Büchlein »Die Passion« von G V, der die »wahre Geschichte der letzten Tage im Leben Jesu« (so der Untertitel) beschreiben will, gehört in diese Gattung. Da wir aus zwei seiner Bücher sein Bild Jesu als eines ganz frommen galiläischen Wunderheilers kennen, überrascht das nicht. | Der einzige Konfliktfall ist die »Tempelreinigung«, die natürlich keine Tempelkritik war. »Der Heilige aus Nazareth . . . fand es unerträglich, was für die Menschen in Jerusalem und die Beamten reine Routine war, die der tägliche Betrieb des Tempels von Fest zu Fest mit sich brachte . . . in seinem Ärger ließ der Prophet aus der Provinz seinem heißblütigen galiläischen Temperament freien Lauf. Natürlich folgte ein lautstarker heftiger Krawall, sodass die priesterlichen Wächter über Recht und Ordnung davon Notiz nehmen mussten. Sie nahmen es nicht nur übel, ihre Autorität von einem Emporkömmling aus der Provinz mit Füßen getreten zu sehen, sie befürchteten auch, der entstandene Aufruhr im Tempel . . . könnte zu einem gewaltsamen Vorgehen der Römer führen. Jesus war eine potenzielle Gefahr für den Frieden . . . « (). Das ist die im Stil von Oberammergau ausgemalte markinische Tempelreinigung, unterlegt mit Joh , aber kein Quellentext. Das Gespräch über die Vollmacht Jesu (Mk ,–) macht »die zunehmende Sorge der Autoritäten über Jesus deutlich« (). V. weiß: »Die Evangelien lassen Jesus daher sehr drohend aussehen« (). Als »die natürliche Folge von Jesu Provokation« schmieden die »priesterlichen Ordnungshüter« ein Komplott gegen Jesus (). Der »überraschende Verrat des Judas« () setzte die Aktion in Gang. Die Oberpriester lassen Jesus zu Pilatus bringen und »treten . . . als Kläger gegen einen verdächtigen jüdischen Unruhestifter auf, der ihrer Meinung nach eine Bedrohung für den Frieden und das Wohlergehen der Gemeinschaft darstellt« (). Mit der totalen Streichung des Verfahrens vor dem Synhedrium folgt V. dem Vierten Evangelium. Begründung: »Sein Zeitplan gibt einen Sinn, der der Synoptiker nicht« (). Der Prozeß vor Pilatus »beinhaltet keine wirklichen Probleme, wenn wir einmal von der Entschlossenheit absehen, mit der die Evangelisten den Statthalter rechtfertigen« (). V. plädiert »mit Vorsicht« für die Echtheit der Barabbas-Episode (). So hat V. durch geschickte Auswahl aus den Quellen mit Hilfe des gesunden Menschenverstandes (vgl. ) ein zu seinem Jesusbild passendes Prozeßgeschehen konstruiert.
Eine eigenständige Variante schlägt der Jurist John W. Welch in dem schon erwähnten Sammelsurium »Jesus and Archaeology« (ed. J. H. C) vor. Der Titel des Aufsatzes »Miracles, Maleficium, and Maiestas in the Trial of Jesus« (–) zeigt die entscheidenden Punkte: Die Wunder Jesu wurden als Zauberei interpretiert und das machte Jesus nach jüdischem wie römischem Recht strafbar. Welch belegt das mit reichem Quellenmaterial. Der Schwachpunkt ist wieder einmal die Jesusüberlieferung. Daß »Magie« als Anklage gegen Jesus vorgebracht worden sein könnte, ist höchstens aus Joh , zu erschließen, wenn man κακὸν ποιῶν = maleficus oder malefactor setzt. Aber es fehlt jede methodische Sicherheit, ob man diesen Satz, der in ein typisch johanneisches Gespräch eingebettet ist, als juristische Formulierung ansehen darf, zumal die weitere johanneische Passionsgeschichte (von der synoptischen
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VI. Prozeß und Kreuzestod Jesu
ganz zu schweigen) nichts davon erkennen läßt. So ist diese | schon von O. Betz und A. Strobel angedachte Linie ohne ausreichend gesicherte Grundlage.44 In diesem Zusammenhang sei noch auf den in demselben Band enthaltenen informativen Artikel von Craig A. Evans hingewiesen (Excavating Caiaphas, Pilate and Simon of Cyrene: Assessing the Literary and Archaeological Evidence, –). M. E. zeigt sich hier, wie wenig die diesbezüglichen Funde für unser Verständnis der historischen Abläufe beitragen. Es ist nicht zu bezweifeln, daß wir heute vieles besser wissen, was die Umwelt Jesu und der frühen Christen betrifft: Galiläa war jüdisch besiedelt, die Galiläer waren dem common Judaism verpflichtet, die sozialen Verhältnisse dürften relativ erträglich gewesen sein. Aber was wissen wir damit über das Individuum Jesus von Nazareth? Ich verweise auf die im gleichen Sammelband von J. H. Charlesworth genannten sieben wichtigsten archäologischen Entdeckungen: () »archaeological evidence that Jesus was crucified on the rock now seen in the Church of the Holy Sepulchre« (); einige Zeilen später spricht er vom »consensus among archaeologists that Jesus was possibly, and perhaps probably, crucified on this white stone« (). () Der gekreuzigte Jehohanan, () des Prätorium in der Oberstadt, () Bethesda (Bethzatha), () Ausgrabungen am Tempelberg, () Mauern und Tore von Jerusalem, () Ausgrabung von Synagogen vor n. Chr. (Gamla, Masada, Herodium). Wissen wir durch () bis () irgendetwas über den Tod Jesu? Wird durch () die Jesusgeschichte erhellt oder doch nur eine Ortskenntnis der johanneischen Vorlage? Können die Ausgabungen () die »Tempelreinigung« erhellen? Besonders pikant ist (): Es ist zwar nicht der geringste archäologische Hinweis auf eine Synagoge in Nazareth gefunden worden, aber Charlesworth ist überzeugt, »that the New Testament witness to Jesus’ reading from the Torah on Shabbat in a synagogue (and not just a meeting house) is trustworthy (cf. Lk :–)« ().
Einen ebenso souveränen Umgang mit der Archäologie zeigt James D. G. Dunn in demselben Band (Did Jesus Attend the Synagogue?, –). Er weiß folgendes: »The son of an artisan brought up in Nazareth in Lower Galilee . . . is properly described as a „Jew“. That description would have included education in Torah at the local village (Nazareth) assembly/synagogue. Second Temple Judaism put a great emphasis on the Study of Torah . . . So the picture painted in Lk :– is in essence quite credible« (). Hatte Charlesworth die nicht vorzeigbare Synagoge von Nazareth erst ca. n. Chr. postuliert, so muß sie nach Dunn schon Jahre vorher da gewesen sein. Evans’ vorsichtige Revision des Pilatusbildes von Philo zugunsten der Evangeliendarstellung () hat mich nicht überzeugt. Wichtig dagegen ist der Hinweis auf die offensichtlich gute Zusammenarbeit zwischen Hochpriester und Präfekt (); das er- | klärt hinreichend, warum der Römer der möglicherweise nicht durchschlagend begründeten Anklage wegen Umsturzes stattgegeben hat.
Zwei Bemerkungen erscheinen mir nötig: () Da der trendgemäße Jesus keinerlei ernsthafte Probleme auf dem religiösen Sektor geschaffen haben darf, greift man zur Erklärung seines frühen und gewaltsamen 44 Vgl. O. Betz, Probleme des Prozesses Jesu, ANRW II/,, , ff. ff; A. Strobel, Die Stunde der Wahrheit, Tübingen , –.
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach
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Todes – wie schon Reimarus – auf die Tempelaktion Jesu zurück. Weder die Zielsetzung dieser Handlung noch ihre Tragweite sind aus der Überlieferung ersichtlich – also kann man sie dem jeweiligen Jesusbild anpassen. Und dazu stellt sie höchstens einen Konflikt mit den längst untergegangenen Sadduzäern dar, die als herrschende Gruppierung sowieso eher negativ gesehen werden. Die Abkoppelung des Todes Jesu von seinem vorhergehenden Wirken führt in erhebliche Spekulationen. Sollte wirklich ein Zornesausbruch Jesu dazu geführt haben, daß das jüdische Establishment und sogar der römische Präfekt Angst bekamen? Auch das Tempellogion, dessen ursprünglichen Wortlaut niemand rekonstruieren kann, ist eine absolut unsichere Grundlage für ein Todesurteil. Die Feststellung L. Oberlinners,»dass Jesus nicht als völlig Unbekannter nach Jerusalem gekommen ist«, muß Ausgangspunkt aller Fragen nach dem Prozeß gegen Jesus sein. () Niemand wird bezweifeln, daß die Überlieferung eine Tendenz zur Entlastung des Pilatus besitzt und daß bei Mt und Joh eine Tendenz zur Belastung »der Juden« zu beklagen ist. Aber wenn die Überlieferung wirklich als durchweg fiktional und in der Wurzel antijüdisch angesehen werden müßte, »wären die Verfasser der Evangelien als ideologische Brandstifter entlarvt . . . ihr narratologisches Konzept der „literarischen Retrojektion“ (J. D. Crossan) trüge die Verantwortung dafür, daß Juden wahrheitswidrig der Kriminalisierung Jesu beschuldigt und zu römischen Komplizen im Strafverfahren gegen ihn erklärt werden«. Diese Feststellung D. Sängers45 sollte dem Exegeten auch eine gewisse Pflicht zur Gerechtigkeit gegenüber den Evangelien auferlegen.
VII. Nachwort Einige Bemerkungen zur Lage der Jesusforschung sollen an diesen Überblick über Literatur aus Jahren angeschlossen werden. | Es ist ein deutlicher Zug zur Vereinheitlichung des Jesusbildes zu erkennen: Jesus, der gute Jude, der keine ernsthaften Probleme mit seinen frommen Zeitgenossen hatte, wird die Grundgestalt. Das steht nicht nur im Widerspruch zum ältesten Evangelium, sondern auch zu den großen Jesusbüchern, die Autoren aus der Zeit der New Quest geschrieben haben, J. Gnilka, J. Becker und – nicht mehr in meinem Berichtszeitraum erschienen – M. Hengel und A. M. Schwemer. Als Moses Mendelssohn seine Postulate gegenüber Lavater äußerte und Abraham Geiger seine Gegengeschichte gegen die protestantische Forschung schrieb, konnten sie nicht ahnen, daß ihre Sicht in der christlichen Jesusforschung die vorherrschende werden würde. Auch H. S. Reimarus konnte nicht ahnen, daß sich gut Jahre nach seinem Tod die theologische Forschung seiner Sicht so sehr annähern würde. Denn wir erleben tatsächlich so etwas wie die Wiederbelebung des Reimarus. Er hatte ohne jede Quellenkritik das Matthäusevangelium als Grundlage genommen und die Tempelaktion als Schlüsselereignis für den Tod Jesu. Daß heute die Jesusbilder stark von Matthäus bestimmt sind, v. a. sein Sondergut (Mt ,f.; ,!) spielt 45
Sänger, in: Von der Bestimmtheit des Anfangs (s. S. , Anm. ), .
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VII. Nachwort
eine Rolle, habe ich öfters moniert; daß mangels eines religiösen Grundes die Tempelaktion den einzigen oder wenigstens hauptsächlichen Grund für seinen Tod liefert, habe ich ebenfalls mit Unverständnis anmerken müssen. Denn einerseits wird ja zumindest in Mitteleuropa die Markuspriorität noch pro forma anerkannt, und andererseits kann niemand schlüssig sagen, was die Tempelaktion bedeuten sollte, so sie denn überhaupt ein historisches Geschehen spiegelt. Einige der z. T. abstrusen Erklärungsversuche sind oben registriert. Natürlich wird die Reimarussche These vom gewaltsamen »Staatsstreich« nicht mehr wiederholt; ihre Wiederbelebungsversuche durch R. Eisler und S. G. F. Brandon sind ja durch M. Hengel gründlich abgewiesen worden.46 Aber häufig wird das politische Thema wieder eingeschleust mit der Behauptung, das Verhalten Jesu könne als Gefahr für die Machthaber aufgefaßt worden sein, so daß diese einen prophylaktischen Mord eingefädelt hätten. Damit wird den Synhedristen ein höchst unanständiges Verhalten unterstellt – nur um jeden Konflikt Jesu mit dem »common Judaism« auszublenden. Aber ein solcher Konflikt gehört nach der ältesten Überlieferung zur Vorgeschichte des Prozesses gegen Jesus. Das Geschehen ergibt nur einen Sinn, wenn man zugibt, daß hier Glaubensüberzeugung gegen Glaubensüberzeu- | gung standen.47 Dieser Ansatz läßt auch die so verhängnisvolle Schuldfrage verstummen. Damit ist das Grundproblem der Third Quest angeschnitten: die Frage nach dem Sonderprofil Jesu. Auf dem Höhepunkt der New Quest mahnte Franz Mußner, »daß ein Mensch sein Profil nicht bloß durch Abhebung von der ihn umgebenden Welt, sondern auch durch Identifizierung mit ihr gewinnt«.48 Heute muß die Umkehrung dieses Satzes gelten: Nicht nur durch Identifizierung mit der Umwelt gewinnt der Mensch sein Profil, sondern durch Abhebung von ihr. Selbst ein energischer Verfechter eines judenchristlichen Jesusbildes wie H. Frankemölle hat ja das »soziologische . . . Gesetz, wonach es Identität nur durch Abgrenzung gibt«, anerkannt.49 Warum verweigert man Jesus das Recht auf ein Sonderprofil? Etwa gar im Namen einer streng historisch betriebenen Forschung? Und man sollte diese Frage nicht mit der Antijudaismuskeule vertreiben, denn sie wird uns durch die urchristliche Jesusüberlieferung nahegelegt. Sicher gehört Jesus in den Kontext des Frühjudentums. Aber dieser richtige Ansatz wird in der Third Quest oft entstellt: »Jesus wird nicht nur im Kontext seiner Zeit verstanden, sondern darüber hinaus in diesen Kontext gebannt.«50 Damit wird letzlich – unter Preisgabe aller historisch-kritischen Erkenntnisse – das matthäische Christusbild als das des historischen Jesus ausgegeben. Die46 M. Hengel, War Jesus Revolutionär? CwH , = Ders., Jesus und die Evangelien. Kleine Schriften V, Tübingen , –. 47 Vgl. F. Mußner, Glaubensüberzeugung gegen Glaubensüberzeugung. Bemerkungen zum Prozeß Jesu, in: Ders., Die Kraft der Wurzel. Judentum-Jesus-Kirche, Freiburg/Basel/Wien , –. 48 S. o. S. –. 49 H. Frankemölle, Der Jude Jesus und die Ursprünge des Christentums, , . Vgl. Teil II (ThR [] ), oben S. . 50 H. Weder, Gegenwart und Gottesherrschaft. Überlegungen zum Zeitverständnis bei Jesus und im frühen Christentum, Neukirchen-Vluyn , .
Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach
[]
sem Trend muß ich energisch widersprechen. Wieso hat sich aus dem Wirken und Verkündigen dieses Mannes eine schnell die Grenzen Israels überschreitende Bewegung entwickelt? Und schließlich ist die Entwicklung der Christologie nur erklärlich, »wenn man nicht . . . von einem völlig „unmessianischen“ Auftreten Jesu ausgehen kann, sondern bereits im Blick auf sein irdisches Wirken historisch einen Sendungsanspruch wahrnehmen muß, der die gängigen Kategorien des Rabbi, des Propheten, des Charismatikers oder des Weisheitslehrers sprengt«.51 J. D. G. Dunn hat vor einiger Zeit einen Aufsatz geschrieben, in dem er für die Eigenständigkeit des Johannesevangeliums plädierte. Er überschrieb ihn mit der griffigen Formulierung »Let John be John!« Ich möchte der nächsten Generation von Jesusforschern die dringende Aufforderung mitgeben: Let Jesus be Jesus.
51
J. Frey, Der historische Jesus und der Christus der Evangelien, .
Markus ,f. Tempelreinigung oder Tempelblasphemie? * Peter Pilhofer zum . Geburtstag
I Die kanonischen Evangelien erzählen – wie immer mit Unterschieden im Detail – von einem mehr oder weniger gewalttätigen Vorfall kurz vor einem Passafest, bei dem Jesus im Jerusalemer Tempel dort tätige Geldwechsler und Opfertierverkäufer vertrieben hat.1 Die Bedeutung dieser oft mit dem neutralen Term „Tempelaktion“ (abgekürzt TA) bezeichneten Handlung wird bis heute höchst unterschiedlich beurteilt. In der Alten Kirche wurde die TA – ad litteram ausgelegt – als messianische Machtdemonstration verstanden, mit der Jesus die durch den Geschäftsbetrieb profanierte Heiligkeit des Tempels habe wiederherstellen wollen.2 Dieses Verständnis der TA als „Tempelreinigung“ war auch noch für die LebenJesu-Forschung der liberalen Theologie und bei konservativen Exegeten weit darüber hinaus gültig.3 Die Probleme, die Origenes4 mit der Historizität des Vorfalls hatte (wie konnte ein Einzelner den gesamten Tempel überwachen? Wieso ließen sich Geldwechsler und Händler widerstandslos vertreiben? Konnte Jesus sich so anmaßend verhalten?), wurden erst in der historisch-kritischen Exegese gelegentlich aufgenommen und führten zur Bestreitung der Historizität. Ohne große Nachwirkung blieb der Versuch des Deisten H. S. Reimarus, die TA als bewaffnete Inbesitznahme des Tempels durch Jesus und seine Jünger zu deuten, gewissermaßen als Staatsstreich zur Erlangung der Königswürde.5 Völlig übergangen wurde die These von D. Fr. Strauß in seinem Spätwerk „Das Leben Jesu für das deutsche Volk bearbeitet“ (): Er bemerkt, „daß in unsern evangelischen Erzählungen Jesus selbst, mit Ausnahme des Passahlamms, bei dem jü* Der vorliegende Aufsatz stellt die stark erweiterte und um Anmerkungen ergänzte Fassung einer Gastvorlesung am . Juni in Erlangen dar. Ich danke dem Kollegen und Freund Peter Pilhofer für die Einladung und mancherlei Hilfe. Seine Mitarbeiterin Frau Carola Eggeler verdient Dank für die Bearbeitung des höchst unübersichtlichen Manuskripts. 1 Mk ,–//Mt ,f.//Lk ,. 2 Die Gedanken der Kirchenväter zeichnet hingebungsvoll nach Chr. Metzdorf, Die Tempelaktion Jesu, Tübingen (WUNT II/); für die historisch-kritische Exegese hat sie kein Verständnis. 3 Z. B. W. Heitmüller, Jesus, Tübingen , ; J. Weiß/W. Bousset, Die drei älteren Evangelien, SNT I, , ; Fr. Hauck, Das Evangelium des Markus (ThHK II), Leipzig , ; J. Schniewind, Das Evangelium nach Markus, Göttingen , . 4 Origenes, In Ioannem X, –. 5 H. S. Reimarus (–) hat ein umfangreiches Manuskript hinterlassen, aus dem G. E. Lessing mehrere Teilstücke, „Fragmente“ ohne Nennung des Verfassers herausgegeben hat. Wichtig ist für
Markus ,f.
dischen Opferwesen sich nirgends betheiligt“ hat und hält es für Jesu „Überzeugung, daß zur Versöhnung mit Gott nur auf rein innerlichem Wege zu gelangen sei“6 . Er nimmt an, daß im Tempelwort Mt , „dieselbe Gesinnung nur in ein kühnes Wort gefaßt wäre, die in jener Austreibung als kühne Tat erscheint“ und kommt letztendlich zu der Folgerung, „daß die Juden die Aeußerung Jesu über seine reformatorische Endabsicht nur gar zu wohl verstanden, und daß eben hierin der Grund seiner Anklage und Verurtheilung gelegen hätte.“7 Ein derart antikultischer Jesus konnte und wollte von der Theologie der Kaiserzeit nicht rezipiert werden. Der große Einzelgänger J. Wellhausen hat kein ganz klares Bild hinterlassen. Zwar ist sein Jesus tempelkritisch eingestellt; das Drohwort Mk , ist „darum sicher authentisch, weil es den Grund zu seiner Anklage auf Tempellästerung abgegeben hat, die zu seiner Verurteilung vor dem Synedrium führte.“8 Aber sein „stürmisches Auftreten bei der Reinigung des Tempels . . . ist zunächst ein Ausbruch seines Temperaments, ein Überwallen seines heiligen Zornes, und wenn er dabei eine göttliche Vollmacht in Anspruch nimmt, so ist sie doch nicht grade messianisch charakterisirt.“9 In der . Auflage des Markuskommentars lesen wir dann die Raunung, Jesu Auftreten bei der TA habe „in Wahrheit noch mehr bedeutet, als daraus gemacht wird.“10 In der . Auflage der Einleitung wird er deutlicher. Er meint jetzt, Jesus habe doch Anlaß zur Anklage als Messias gegeben. „Einen Aufstand gegen die Römer hat er freilich nicht geplant, von der Fremdherrschaft wollte er sein Volk nicht befreien. Wohl aber von dem Joch der Hierokratie und der Nomokratie. Zu diesem Zweck ist er vielleicht nicht bloß als Lehrer, sondern auch als Agitator aufgetreten und hat nach innen die messianische Herrschbefugnis für sich in Anspruch genommen oder wenigstens den Schein erweckt, daß er es täte. Er schreckte bei der Tempelreinigung vor Gewaltsamkeit nicht zurück; seine Jünger hatten Waffen und versuchten zu kämpfen, als sie überrascht wurden. Diese Spuren sind in der evangelischen Berichterstattung noch erhalten, andere mögen verwischt sein. Bis zu einem gewissen Grade könnte Reimarus Recht haben.“11 Die Spuren für bewaffuns das . Fragment: „Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger. Noch ein Fragment des Wolfenbüttelschen Ungenannten“, hg. von G. E. Lessing, Braunschweig . Auszüge daraus bietet M. Baumotte (Hg.), Die Frage nach dem historischen Jesus. Texte aus drei Jahrhunderten, Gütersloh . Der vollständige Text wurde erst viel später veröffentlicht: H. S. Reimarus, Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes, hg. von G. Alexander, Bde, . Einen Nachfolger fand Reimarus erst spät in dem zweibändigen Werk von R. Eisler, ᾽Ιησοῦς βασιλεὺς οὐ βασίλευσας. Die messianische Unabhängigkeitsbewegung vom Auftreten Johannes des Täufers bis zum Untergang Jakobs des Gerechten nach der neuerschlossenen Eroberung von Jerusalem des Flavius Josephus und den christlichen Quellen. Heidelberg /. Ähnlich urteilte dann S. G. F. Brandon, Jesus and the Zealots, Manchester . Dazu und zu weiteren Nachwirkungen des Reimarus: M. Hengel, War Jesus Revolutionär? Stuttgart (CH ), wieder abgedruckt in: Ders., Jesus und die Evangelien. Kleine Schriften V, Tübingen (WUNT ), –. 6 D. Fr. Strauß, Das Leben Jesu für das deutsche Volk bearbeitet, Stuttgart, o. J., . Aufl., I, . 7 Ibid. S. . 8 Julius Wellhausen, Einleitung in die ersten drei Evangelien, , = , . 9 Einleitung , . 10 Das Evangelium Marci, Berlin , . 11 Einleitung , .
Tempelreinigung oder Tempelblasphemie?
neten Widerstand sind freilich sehr dürftig: Der Schwertschlag in Gethsemane wird erst in den drei jüngeren Evangelien aus deutlich apologetischer Absicht zu einer Jüngeraktion gemacht (vgl. Mk , mit Mt ,, Lk , und Joh ,!), und das Vorhandensein von zwei (!) Schwertern wird nur Lk , behauptet: Wieso aber eine gewaltsame Tempelbesetzung der Befreiung vom Joch der Hierokratie hätte dienlich sein können, bleibt Wellhausens Geheimnis. Daß sein Reimarus semiredivivus keinen Anklang fand, ist nicht unbegründet. Eine neue Sicht brachte die durch den grundlegenden Impuls von E. Käsemann12 ausgelöste „neue Frage“ nach dem historischen Jesus. Interkonfessionell und international wollte man das für Jesus Charakteristische, Eigene, „Unableitbare“ erkennen. G. Bornkamm hat in seinem diese Epoche einleitenden Jesusbuch in der TA nur andeutend eine „mehr als reformatorische Tat, die nur dem Gottesdienst im Tempel seine Reinheit wiedergeben soll“13 gesehen und gefolgert, „Jesus reinigt das Heiligtum für den Anbruch der Gottesherrschaft.“14 Bornkamms Schüler F. Hahn hat dann – auch unter Berufung auf Wellhausen – die neue Sicht klar dargetan: Durch die Aktion Jesu „wird der traditionelle Opferkult unmöglich gemacht. Nach jüdischer Auffassung handelt es sich um ein Sakrileg.“15 Mit seiner „Gleichnishandlung“ zeige Jesus, „[d]aß der Tempel Jerusalems Teil des alten, vergehenden Äons ist und daß der Opferkult der anbrechenden Gottesherrschaft weichen muß.“16 Etwa zur gleichen Zeit sprach sich J. Roloff in seiner für die historische Jesusfrage wichtigen Hamburger Habilitationsschrift zwar für die konventionelle Auffassung der „Tempelreinigung“17 aus, fügte aber die weiterführende Erklärung an, „daß Jesus in seiner Stellungnahme zum bestehenden Tempel von der Voraussetzung bestimmt war, in seinem Handeln ein neues Gottesverhältnis zu ermöglichen, das nunmehr an die Stelle des im Tempel begründeten treten sollte.“18 Infolge solcher Überlegungen wurde die TA nur noch selten als Tempelreinigung bezeichnet, und sie wurde meist als Kultkritik verstanden. Allerdings blieben Funktion und Tragweite dieser Kritik umstritten. 12 E. Käsemann, Das Problem des historischen Jesus (), in: Ders., Exegetische Versuche und Besinnungen I, Göttingen = , –. 13 G. Bornkamm, Jesus von Nazareth, UB , Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz , ./. Aufl. , . 14 Ibid. 15 F. Hahn, Der urchristliche Gottesdienst, Stuttgart (SBS ), (ursprünglich in: JLH , , –, veröffentlicht). 16 Ibid. – Hahn hat seine These wiederholt in den Aufsätzen: Methodologische Überlegungen zur Rückfrage nach Jesus, in: K. Kertelge (Hg.), Rückfrage nach Jesus, Freiburg/Basel/Wien (QD ), – (bes. ), und: Das Verständnis des Opfers im Neuen Testament, in: Ders., Exegetische Beiträge zum ökumenischen Gespräch, Göttingen , –, bes. f. sowie in: Ders., Theologie des Neuen Testaments I, Tübingen , f. Jesus hat „mit seiner Zeichenhandlung der Tempelaustreibung . . . das Ende des Opferkultes signalisiert, da dieser im Eschaton keine Funktion mehr hat (vgl. Offb. ,). Das betraf aber die gesamte religiöse Praxis des Judentums“. 17 J. Roloff, Das Kerygma und der irdische Jesus. Historische Motive in den Jesus-Erzählungen der Evangelien, Göttingen , f. 18 Ibid. .
Markus ,f.
Einen grundsätzlichen Angriff auf den Kult entnehmen z. B. Schnider/Stenger, M. Trautmann, M. Limbeck, J. Sauer, M. Gielen und J. Ådna dem Text.19 Viele Exegeten schrecken allerdings vor dieser Konsequenz zurück. Paradigmatisch sei das Urteil von H. Merklein angeführt: „Nicht der Kult als gottgesetzte Ordnung dürfte für ihn [sc. Jesus] das Problem gewesen sein, sondern die Art und Weise, wie Israel diesen Kult für sich beanspruchte.“ Israel durfte „den Kult als Möglichkeit der Sühne nicht gegen Gottes sündentilgendes Erwählungshandeln in Anspruch nehmen oder unter Berufung auf eine kultische Heilsmöglichkeit sich vor der Entscheidung für das jetzt zu ergreifende Erwählungshandeln drücken.“20 Die TA „wird dann zum leidenschaftlichen Aufruf zur Sinnesänderung, zum Umkehrruf.“21 Welche Bedeutung der Opferkult für Jesus noch haben sollte, wird nicht deutlich. Zur Klärung dieser Grundsatzfrage kam es nicht. In den er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde in Amerika ein Paradigmenwechsel ausgerufen: „Jesus within Judaism“ – so der Titel einer Monographie von J. H. Charlesworth () – war das Mantra. Es sollte nicht mehr nach dem Eigenen Jesu gefragt werden, sondern höchstens nach gewissen individuellen Akzenten, die Jesus innerhalb seiner Umwelt setzte. Im Hintergrund dieses Trends stand ebenso der Wunsch amerikanischer Neutestamentler, sich von der damals dominierenden deutschen Wissenschaft abzukoppeln, wie der Versuch, der „post Holocaust situation“22 gerecht zu werden. Wenn Jesus als guter Durchschnittsjude angesehen werden mußte, war natürlich ein Angriff auf den Opferkult undenkbar. So hat E. P. Sanders23 , einer der Protagonisten dieser Sicht, gewissermaßen den Stier bei den Hörnern gepackt und in seinem Buch „Jesus and Judaism“ das umfangreiche . Kapitel einer Neuauslegung der TA gewidmet. Er geht – kurz zusammengefaßt24 – von zwei Prämissen aus: () Durch das Umstoßen einiger Tische von Wechslern und Händlern kündigt Jesus symbolisch die Zerstörung des Tempels an. () Ein guter Jude, der von 19 F. Schnider/W. Stenger, Johannes und die Synoptiker, München , ; M. Trautmann, Zeichenhafte Handlungen Jesu. Ein Beitrag zur Frage nach dem geschichtlichen Jesus, Würzburg (fzb ), ; M. Limbeck, Das Gesetz im Alten und Neuen Testament, Darmstadt , ; J. Sauer, Rückkehr und Vollendung des Heils. Eine Untersuchung zu den ethischen Radikalismen Jesu, Regensburg (Theorie und Forschung, Bd. ), –; M. Gielen, a. Anm. a.O., ; J. Ådna, Jesu Stellung zum Tempel. Die Tempelaktion und das Tempelwort als Ausdruck seiner messianischen Sendung, Tübingen (WUNT II/), –. 20 H. Merklein, Jesu Botschaft von der Gottesherrschaft, Stuttgart , . Daneben findet sich auch der weiterführende Satz: „Die Aktion Jesu mußte . . . zumindest von der sadduzäischen Tempelbehörde nicht nur als »Tempelreinigung«, sondern als Affront gegen die Sinnhaftigkeit des Kultbetriebes überhaupt gewertet werden, und wahrscheinlich war sie von Jesus selbst auch so gemeint“ (). 21 J. Gnilka, Jesus von Nazaret. Botschaft und Geschichte, Freiburg/Basel/Wien , . Ähnlich z. B. Th. Söding, Die Tempelaktion Jesu. Redaktionskritik – Überlieferungsgeschichte – historische Rückfrage, TThZ , , –. 22 Vgl. M. J. Borg, Reflections on a Discipline: A North American Perspective, in: B. Chilton/C. A. Evans (Hgg.), Studying the Historical Jesus. Evaluations of the State of Current Research, Leiden/New York/Köln (NTTS XIX), –. 23 E. P. Sanders, Jesus and Judaism, London . 24 Eine gründliche Kritik des Buches bietet die Besprechung von M. Hengel und R. Deines, E. P. Sander’s „Common Judaism“, Jesus und die Pharisäer, in: M. Hengel, Judaica et Hellenistica, Kleine Schriften I, Tübingen (WUNT ), –.
Tempelreinigung oder Tempelblasphemie?
der Tempelzerstörung spricht, denkt selbstverständlich an dessen herrlichen Wiederaufbau durch Gott im Eschaton. Damit enthält die TA nicht die geringste Kultkritik, sondern verbildlicht nur die Aussage des „Tempelwortes“ Mk , parr. Nicht allen Vertretern und Sympathisanten der Third Quest leuchten diese Postulate ein. So findet man andere harmlose Erklärungen der TA. Der kanadische Neutestamentler P. Richardson stellt gleich drei nebeneinander vor: () Jesus sei erzürnt gewesen über die im Tempelbetrieb übliche Verwendung der tyrischen Münzen, da sie das Bild des tyrischen Stadtgottes Melkart zeigten. () Oder: Jesus sei über die durch die Tempelerweiterung des Herodes den Heiden gegebene Möglichkeit, näher an den heiligen Bereich heranzukommen, empört gewesen. () Es könnte aber auch sein, daß Jesus seinem Ärger darüber Luft machte, daß die Heiden nur in einen Vorhof durften, aber keinen Zugang zum Temenos hatten.25 Welche dieser Erklärungen zur Verkündigung Jesu paßt, bleibt ungefragt. Den Gipfel der Verharmlosung der TA erklimmt der schon erwähnte J. H. Charlesworth. In einem neueren Aufsatz26 erfindet er eine kleine Geschichte: Nach zwei Qumrantexten (QFlor, QMMT) ist es Juden illegitimer Abstammung verboten, den Tempel zu betreten. Jesus konnte möglicherweise seine legitime Abstammung nicht nachweisen. Also könnte ihn ein Priester am Betreten des Tempels gehindert und damit einen Wutausbruch Jesu provoziert haben. Also hat die TA nicht das geringste mit Kultkritik zu tun. Allerdings ist die Bandbreite der Auffassungen innerhalb der Third Quest erheblich. „Rechts außen“ könnte man die Autoren nennen, die die TA kurzerhand für unhistorisch oder historisch zweifelhaft erklären.27 Nahe bei ihnen stehen Exegeten, die den Text im Sinne der guten alten Tempelreinigung auslegen und Jesus um die Heiligkeit des Tempels besorgt sein lassen.28 In der Mitte stehen Neutestamentler, die die TA wieder als Kritik an der „Praxis des bestehenden Tempels“ deuten und damit Jesu Position auf das „allen innerjüdischen Gruppen Gemeinsame“ reduzieren.29 Nur die Kultteilnehmer und deren falsches Denken und Tun sind nach anderen im 25 P. Richardson, Jewish Galilee. Its Hellenization, Romanization and Commercialization, in: F. E. Udoh u. a. (Hgg.), Redefining First-Century Jewish and Christian Identities. Essays in Honor of E. P. Sanders, Notre Dame, Indiana, , –. 26 J. H. Charlesworth, Jesus Research and Archeology: A New Perspective, in: Ders. (Hg.), Jesus and Archeology, Grand Rapids/Michigan-Cambridge UK (–), –. 27 P. Fredriksen, Gospel Chronologies, the Scene in the Temple, and the Crucifixion of Jesus, in: F. E. Udoh u. a. (Hgg.), Redefining First-Century Jewish and Christian Identities (s. Anm. ), –. L. Oberlinner, Todeserwartung und Todesgewißheit Jesu, Stuttgart (SBB ), ff.; Ders., Der Weg Jesu zum Leiden, in: L. Schenke u. a., Jesus von Nazaret – Spuren und Konturen, Stuttgart (–), –. M. Ebner, a. Anm. a. O, f. u. a. 28 A. Yarbro Collins, Mark. A Commentary, Augsburg Minneapolis, MN , f. P. Fiedler, „. . . gekreuzigt durch Pontius Pilatus“. Erwägungen zum Problem der Verantwortung für den Tod Jesu, in: K. Märker/Ch. Otto (Hgg.), FS für W. Fricke, Freiburg , –. D. Zeller, Die Beseitigung des Handels im Tempel, in: Variationen des Christseins – Wege durch die Kirchengeschichte, hg. von R. Wunderlich u. B. Feininger, Frankfurt am Main usw. , –. 29 R. Kampling, „Und er ging nach seiner Gewohnheit am Sabbat in die Synagoge“, in: Ders. (Hg.), „Nun steht aber diese Sache im Evangelium . . . “. Zur Frage nach den Anfängen des christlichen Antijudaismus, Paderborn usw. , –.
Markus ,f.
Visier.30 Links steht S. Schreiber mit der klaren Feststellung: „In Jesu offener Kritik am Machtzentrum »Tempel« wird sein Anspruch deutlich: Wenn Gott in Jesu Wirken selbst Heil schenkt, wird die Funktion des Tempels, von Verfehlungen zu reinigen, letztlich überflüssig“.31 Links außen steht allein der Japaner T. Onuki, ein Schüler F. Hahns, der in seinem vielfach eigene Wege gehenden Jesusbuch von der „Tempelblasphemie“32 spricht. Schon dieser skizzenhafte Überblick dürfte gezeigt haben, daß die Bemühungen um das Verständnis der TA Jesu weitergeführt werden müssen.
II Die Quellenfrage ist schnell geklärt. Es besteht ein überwältigender Konsens darüber, daß Mk die älteste Erzählung bietet; J. Ådna hat das in einer detailgenauen Untersuchung bestätigt.33 Die johanneische Datierung auf ein Passa in der Anfangszeit des Wirkens Jesu wird allgemein und mit guten Gründen zugunsten der synoptischen Datierung auf das Todespassa abgelehnt.34 Zum Passa, dem wichtigsten der drei von der Tora (Ex ,) gebotenen Wallfahrtsfeste,35 kamen Juden aus aller Welt nach Jerusalem. J. Jeremias schätzte die Zahl der Pilger auf – .36 Die Szene spielt im Tempel zu Jerusalem, der den Israeliten als Wohnsitz Gottes (Kön ,; Kön ,; Jes ,) oder doch wenigstens als der „Ort, da Gott seinen Namen wohnen läßt“ (Dt ,..; ,; ,; ,) galt. Seit der Kultreform des Königs Josia war der Tempel der einzige Ort, an dem Israel die von der Tora gebotenen Opfer darbringen durfte. Drei Schlaglichter mögen die Bedeutung des Tempels erhellen: () Der Aufstand der Makkabäer war ein Kampf für „Volk und Heiligtum“ (Makk ,). Daher sorgte Judas Makkabäus sofort nach dem militärischen Sieg dafür, daß der Tempel kultisch gereinigt und neu geweiht wurde, und setzte das Tempelweihfest ein, das bis heute im jüdischen Festkalender eine Rolle spielt (Makk ,–). () Der . Spruch im Mischnatraktat Abot („Sprüche der Väter“) lautet: „Auf drei Dingen beruht die Welt: auf der Tora, dem Opferkult und den Liebeswerken“.37 30 T. Holmén, Jesus and Jewish Covenant Thinking, Leiden/Boston/Köln (bis ), ff. – Chr. Niemand, Jesus und sein Weg zum Kreuz. Ein historisch-rekonstruktives und theologisches Modellbild, Stuttgart . 31 S. Schreiber, Die Anfänge der Christologie. Deutungen im NT, Neukirchen-Vluyn , f. 32 T. Onuki, Jesus: Geschichte und Gegenwart, Neukirchen-Vluyn (BTS ), . Siehe meine Besprechung in: ThR () –, in diesem Band oben S. –. 33 J. Ådna, a. Anm. a. O., –. 34 In neuerer Zeit übernimmt J. Murphy-O’Connor, Jesus and the Money Changers (Mark :– ; John :–), RB () –, die johanneische Datierung. Seine Begründung, Jesus habe sich als Täuferjünger für die kultische Reinheit des Tempels engagiert, ist falsch; der Täufer selbst war – wie unten gezeigt wird – tempelkritisch. 35 Dazu bes. S. Safrai, Die Wallfahrt im Zeitalter des zweiten Tempels, Neukirchen-Vluyn . 36 J. Jeremias, Jerusalem zur Zeit Jesu, Göttingen , –. 37 Zu diesem Dictum und seiner Nachgeschichte siehe S. Schreiber, Wo man Tora lernt, braucht man keinen Tempel. Einige Anmerkungen zum Problem der Tempelsubstitution im rabbinischen Ju-
Tempelreinigung oder Tempelblasphemie?
() Der bedeutende jüdische Gelehrte Jacob Neusner schreibt: „The Torah made the Temple the pivot and focus . . . The life of Israel flowed from the altar; what made Israel Israel, was the center, the altar“.38 Daß Jesus bei seinem zweiten Besuch im Tempel auf Geldwechsler und Opfertierverkäufer trifft, zeigt, daß die TA in der „königlichen Säulenhalle (στοὰ βασίλειος) spielte, einer im Süden des Tempelareals von Herodes d. Gr. errichteten dreischiffigen Halle im Basilikastil, die nach Ausweis der archäologischen Funde offenbar die Funktion einer Agora oder eines Marktplatzes hatte.“39 Später wurde dieser Bereich „Vorhof der Heiden“ genannt; der eigentliche sakrale Bereich begann erst hinter einer m hohen Mauer, die den sog. Vorhof der Frauen vom Vorhof der Heiden trennte. Daß Jesus in der königlichen Halle Geldwechsler antraf, ist durchaus situationsgemäß. Denn die hochpriesterliche Tempelverwaltung40 ließ zur Zahlung von Opfergaben, Steuern und Spenden nur tyrische Didrachmen zu. Der Grund dafür war wohl nicht – wie man früher meinte – die Bildlosigkeit dieser Münzen, denn sie trugen das Bildnis des Stadtgottes von Tyrus, sondern ihr relativ stabiler Silbergehalt.41 In der Zeit vor dem Passa hatten die Wechsler aber noch eine zusätzliche Aufgabe: Sie sollten von allen Israeliten die seit Nehemia von jedem volljährigen Israeliten geforderte, auf die Mosezeit zurückgeführte (Ex ,) Tempelsteuer42 einfordern. Diese Abgabe diente v. a. der Finanzierung des täglich zweimal darzubringenden Tamidopfers. Diese Ganzopfer „dienen allen Israeliten – dem Einzelnen und der Gesamtheit – zur Sühne für die Sünde. Und um diesen heiligen Zweck zu erfüllen, waren die Geldwechsler eben tatsächlich unentbehrlich. Sie bildeten einen integrierenden Bestandteil in dem System der Sühne und Tilgung der Sünde.“43 J. Neusner betont zu Recht, „dass die Leute im allgemeinen begriffen, warum die Geldwechsler da waren. Sie erleichterten ja offensichtlich einfach die Ausführung eines lebenswichtigen Ritus des ganzen Israel. In der Tat ermöglichte ihre Gegenwart die Teilnahme jedes Israeliten am Kult, und sie war nicht nur kein Makel für den Kult, sondern ein Teil seiner perfekten Durchführung.“44 Ähnliches gilt für die Taubenhändler und die wahrscheinlich dort auch tätigen Verkäufer von vegetabiler Opfermaterie (Mehl, Öl, Wein, Weihrauch).45 Sie erleichterten die Teilnahme am Kult und garantierten zugleich die Tauglichkeit dieser Materie für das Opfer. Es ist allerdings unwahrscheinlich, daß Rinder und Schafe im
dentum, in: B. Ego/A. Lange/P. Pilhofer (Hgg.), Gemeinde ohne Tempel/Community without temple, Tübingen (WUNT ), –. 38 J. Neusner, Judaism in the Beginning of Christianity, London , . 39 J. Ådna, Jerusalemer Tempel und Tempelmarkt im . Jahrhundert n. Chr., Wiesbaden (ADPV ). Ebenso schon G. Dalmann, Orte und Wege Jesu, Gütersloh , f. 40 Dazu J. Ådna, a. Anm. a. O., –. 41 J. Ådna, a. a. O., –. 42 J. Ådna, a. a. O., –. 43 J. Neusner, Geldwechsler im Tempel – von der Mischna her erklärt, ThZ , (–), . 44 Ebd. 45 J. Ådna, a. Anm. a. O., –.
Markus ,f.
Tempelvorhof verkauft wurden; hier hat die johanneische Überlieferung die Erzählung dramatisierend ausgestaltet.46
III Was bedeutet die TA Jesu auf diesem kurz skizzierten Hintergrund? „() Und als er in den Tempel hineingegangen war, fing er an, die, welche im Tempel verkauften und kauften, hinauszutreiben, und stieß die Tische der Wechsler und die Sitze der Taubenverkäufer um, () und ließ es nicht zu, daß jemand ein Gefäß durch den Tempel trug.“ Die TA besteht also aus drei Einzelaktionen: Vertreibung von Verkäufern und Käufern von Opfermaterie, Aktion gegen Geldwechsler und Verhinderung von Gefäßtransport im Tempel. Wenn Verkäufer von Opfermaterie und ihre Kunden gewaltsam vertrieben werden – „ἐκβάλλειν suggests force“47 – und die Geldwechsler daran gehindert werden, die erforderliche Währung bereitzustellen, dann läuft das notwendigerweise auf eine kurzzeitige Störung des Kultbetriebs hinaus. In der klassischen Formulierung von F. Hahn: „Wo Opfertiere weggejagt und das Wechseln des für die Opfergaben benötigten Geldes unmöglich gemacht werden, kann kein ordnungsgemäßer Kult mehr stattfinden.“48 Angesichts der zusätzlichen Aufgabe der Wechsler in der Zeit vor Passa, auch die für das tägliche Tamidopfer verwendete Tempelsteuer einzunehmen, kann die Handlung Jesu auch als symbolische Aussetzung dieser Kulthandlung verstanden werden. Insofern stellte die TA „zeichenhaft eine Relativierung des zeitgenössischen Tempelkults, wenn nicht gar eine Aufhebung desselben dar.“49
IV Diesem Verständnis scheint allerdings V. zu widersprechen. Der große britische Judaist John Lightfoot hatte nämlich in seinen erschienenen Horae hebraicae et talmudicae auf eine Äußerung im Mischnatraktat Berachot , verwiesen, die untersagte, den Tempelberg zu einem „Richtweg“ zu machen, d. h. ihn als Abkürzung zu nehmen, wenn man von der Nordstadt in die Südstadt wollte. Das wurde und wird bis heute als Argument dafür angesehen, daß Jesu „Verbot“ in diesem Sinn gemeint gewesen und deshalb als Schutz für die Heiligkeit des Tempelbereichs zu verstehen
46
S. J. Ådna, a. Anm. a. O., f. T. Holmén, a. Anm. a. O., , A. . 48 F. Hahn, Methodologische Überlegungen zur Rückfrage nach Jesus, in: K. Kertelge (Hg.), Rückfrage nach Jesus, Freiburg i. Br. , A. . Vgl. die verschärfte Fassung im Aufsatz: Das Verständnis des Opfers im Neuen Testament (), abgedruckt in F. Hahn, Exegetische Beiträge zum ökumenischen Gespräch, Göttingen , : „. . . wo Opfertiere verjagt und das Wechseln des für die Opfergaben benötigten Geldes unmöglich gemacht wird, da wird der Opferkult selbst aufgehoben und für beendet erklärt“. 49 M. Trautmann, Zeichenhafte Handlungen, a. Anm. a. O., . 47
Tempelreinigung oder Tempelblasphemie?
sei.50 – Zu Unrecht, wie schon E. P. Sanders51 kurz mit Blick auf die örtlichen Gegebenheiten feststellte. Inzwischen ist dieser Sachverhalt eingehend untersucht worden von M. Limbeck52 , J. Ådna53 und Chr. Niemand54 ; dennoch wird die Lightfootsche Erklärung (natürlich ohne Nennung des Urhebers) auch in neuen Kommentaren ohne Hinweis auf ihre Schwierigkeiten weitergegeben.55 Daher soll dieser Sachverhalt ausführlich dargestellt werden. „Wer den Tempelplatz von West nach Ost durchquerte, fand in der ganzen ca. m langen Mauer nur ein einziges Tor. Aber auch dieses eine Tor im Osten war für den normalen Juden verschlossen, da es den Priestern vorbehalten war. . . . Wer aber von Norden nach Süden irgendwelche Lasten zu tragen hatte, fand in der großen gepflasterten Tyropoionstraße, die eine direkte Verbindung zwischen dem Ober- und Untermarkt darstellte, einen viel einfacheren und bequemeren Weg als den Tempelvorhof, den er ja nur über eine Vielzahl von Treppen verlassen oder erreichen konnte. Das heißt, nimmt man die Lage des Tempelvorhofs ernst, erscheint es überaus unwahrscheinlich, daß Jesus Anlaß hatte, gegen Menschen vorzugehen, die mit ihren Lasten den Tempelplatz als Abkürzungsweg benutzten.“56 Ferner weist M. Limbeck darauf hin, daß der einzige oben genannte Beleg schon aus sprachlichen Gründen nicht aus der Zeit Jesu stammen kann; daher vermutet Chr. Niemand57 einleuchtend, daß hier eine für Synagogen bestimmte Regelung nachträglich auf den Tempel zurückgeführt werden sollte. So ist es die nächstliegende Erklärung, daß Jesus den Transport von Kultgefäßen habe unterbinden wollen, etwa auch von Behältnissen, in denen die in der königlichen Säulenhalle gekaufte Opfermaterie zum Altar im Priestervorhof gebracht wurde.58 Damit läßt sich V. verstehen als Angriff auf „eine Tätigkeit . . . , die den Tempelmarkt in den ganzen Tempelbetrieb einbindet.“59 Exkurs: Die Auslassung von Mk , durch Mt und Lk Die hier vorgenommene Deutung von V. könnte gestützt werden durch die Frage nach Gründen für die Streichung dieses Verses bei Mt und Lk. Normalerweise wird dieser Sachverhalt in den Kommentaren übergangen; manchmal wird als Begründung die Unverständlichkeit des Verses angegeben.60 D. Zeller erklärt forsch, „die gemeinsame Auslassung durch Matthäus und Lukas“ wolle „nicht viel besagen“.61 M. E. ist das Gegenteil richtig. 50
So unter Berufung auf Strack-Billerbeck II . A. Anm. a. O., A. . 52 M. Limbeck, Markus-Evangelium, Stuttgart , f. (SKK.NT ). Ders., Das Gesetz im Alten und Neuen Testament, Darmstadt , . 53 J. Ådna, a. Anm. a. O., f. 54 Chr. Niemand, a. Anm. a. O., f. 55 A. Y. Collins, a. Anm. a. O., f. u. a. 56 M. Limbeck, Das Gesetz . . . (s. Anm. ), . 57 Chr. Niemand, a. Anm. a. O., –. 58 Vgl. J. Ådna, a. Anm. a. O., –. 59 Ibid. . 60 Z. B. T. Holmén, a. Anm. a. O., . 61 D. Zeller, a. Anm. a. O., . 51
Markus ,f.
(a) Wie zeichnet Mt die Stellung Jesu zum Tempel? () Mt läßt die TA in unmittelbarem Anschluß an den zu einem Triumphzug ausgestalteten Einzug des Messias in Jerusalem folgen.62 Dadurch wird die TA zu einer hoheitlichen Inbesitznahme des Tempels durch den Messias, der dort messianische Wunder (vgl. Mt ,–) vollbringt. () Mt läßt das Jesuswort Mk , unmittelbar an die Kaufleute und Geldwechsler gerichtet sein, d. h. die Kritik Jesu richtet sich gegen den Geschäftsbetrieb im Tempel. () Durch den mt. Zusatz, Kinder hätten Jesus als „Sohn Davids“ gehuldigt (Mt ,), wird der messianische Charakter der Szene unterstrichen. () Daß der Tempel für Matthäus eine positive Größe ist, geht auch aus seiner Wiedergabe des „Tempellogions“ Mk ,63 hervor. Nach Mt , kündigt Jesus nicht die Zerstörung an, sondern betont nur seine Macht zur Zerstörung. Außerdem wird der Tempel nicht abgewertet wie bei Mk („mit Händen gemacht“) und es wird auch kein neuer, besserer Tempel angekündigt. „Das Logion ist also ganz auf Jesu Vollmacht fokussiert.“ 64 () Auch der Spruch „Hier ist Größeres als der Tempel“, den Mt in die Perikope vom Ährenraufen am Sabbat eingefügt hat (Mt ,) macht nur Sinn, wenn der Tempel etwas Positives ist. () Infolge der unter () besprochenen Änderung fällt die für Mk so typische „Sandwich“Rahmung der TA durch die Verfluchung des Feigenbaumes (Mk ,–.f.) weg. Im Kontext des Mk wollte schon E. Lohmeyer diese Geschichte symbolisch verstehen, „sei es nun in dem allgemeinen Sinn: So straft der Herr alles, was nicht seiner göttlichen Bestimmung dient, oder auch in dem konkreteren: So straft Er das Volk, das Seiner Forderung nicht gehorcht“65 . Am plausibelsten erscheint die z. B. schon von C. H. Dodd vorgeschlagene und von W. R. Telford erneuerte Deutung, der unfruchtbare Feigenbaum symbolisiere den Tempel.66 Durch die Lösung der TA aus der Umklammerung durch die Feigenbaumepisode und mit Hilfe kleinerer Retuschen tilgt Mt jeden Gedanken an derartige Symbolik. „Die Feigenbaumepisode fungiert bei Matthäus also allein als Paradigma für die Kraft des Glaubens.“67 Dieser Überblick über die aussagekräftigsten Texte legt die Folgerung nahe: Angesichts seiner positiven Stellung zum Tempel hätte Mt das Durchtrageverbot Mk , sicher nicht gestrichen, wenn es der Heiligkeit des Tempels hätte dienen sollen. Daß er es wegläßt, zeigt, daß er es tempelkritisch verstanden haben muß. b) Das Thema „Der Tempel bei Lukas“ ist zwar umstritten, aber einige Grundzüge sind deutlich. () Lk hat die TA stark gekürzt; sie spielt sich nur zwischen den „Verkäufern“ und Jesus ab. Ihnen ruft Jesus das (gekürzte) Mischzitat Mk , zu; sie sind es, die das „Haus des Gebets“ zu einer „Räuberhöhle“ gemacht haben. Lk stellt die TA also „so dar, als ob es Jesus lediglich um eine Befreiung des Tempels von kommerziellen Randerscheinungen gegangen sei, die nichts mit dem eigentlichen Kultbetrieb zu tun hatten.“68 Damit ist klar: „Nach Lk macht Jesus nicht zeichenhaft den Opferkult unmöglich.“69 62
Vgl. D. Catchpole, The „triumphal“ entry, in: E. Bammel/C. F. D. Moule (Hgg.), Jesus and the Politics of His Day, Cambridge , –. 63 D. Catchpole, The Answer of Jesus to Caiaphas (Matt. XXVI. ), NTS , (–), f. 64 M. Konradt, Das Evangelium nach Matthäus, Göttingen , (NTD ). 65 E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, Göttingen , (KEK I ). 66 C. H. Dodd, The Parabels of the Kingdon, rev. ed. London , A. ; W. R. Telford, The Barren Temple and the Withered Tree, Sheffield (JSNT S.S. ), f. 67 M. Konradt, a. Anm. a. O., . 68 M. Wolter, Das Lukasevangelium, Tübingen (HNT ), . 69 H. Klein, Das Lukasevangelium, Göttingen (KEK I/), .
Tempelreinigung oder Tempelblasphemie?
() Das paßt zu den sonstigen Bezugnahmen des Lk auf den Tempel. Bereits die „Vorgeschichte“ Lk – ist in ein vollkommen tempel- und torafrommes Milieu eingezeichnet. Schon der jährige Jesus nennt den Tempel „Haus meines Vaters“ (Lk ,). Die Ansage der Tempelzerstörung Mk , fehlt, sie wird erst im Verfahren gegen Stephanus als eindeutiges Falschzeugnis zitiert (Apg ,). Nach der Himmelfahrt waren die Jünger „allezeit im Tempel und priesen Gott“ (Lk ,). Die Geistverheißung erfüllt sich im Tempel (Apg ), in dem die Jünger „täglich verharrten“ (Apg ,) und lehrten (Apg ,). Selbst die Beauftragung des Paulus zur Heidenmission erfolgte im Tempel (Apg ,–), und der lukanische Paulus betont bis zuletzt seine Tempel- und Toratreue (Apg ,). Die anscheinend diesen Rahmen sprengende Kritik am Tempel in der Stephanusrede Apg ,–, die nach E. Haenchen „für Juden lästerlich geklungen“70 hätte . . . , interpretiert richtig J. Jeska: „Primär wird nicht der Tempel kritisiert, sondern das Fehlverhalten derjenigen, die in ihm den Ort der besonderen Anwesenheit Gottes erkennen.“71 „Der Tempel wird also stark depotenziert, aber nicht insgesamt abgelehnt.“72 Das Gesamtbild der lukanischen Sicht ist klar: Für Jesus und die Judenchristen ist der Tempel eine positive Gegebenheit. Wäre das Durchtrageverbot als Schutz der Reinheit oder Heiligkeit des Tempels zu verstehen, hätte Lukas keinen Grund gehabt, es zu streichen. Somit ergibt sich: Die Auslassung von Mk , bei den Großevangelien spricht eindeutig gegen die Lightfootsche Deutung dieses Verses.
V Muß man die in Mk ,f. erzählte Handlung als kurzzeitigen Versuch einer Störung des Kultbetriebs im Tempel ansehen, dann muß nach der damit verbundenen Absicht Jesu gefragt werden. Jeder Leser und jede Leserin des Markusevangeliums kennt diese Absicht; denn Jesus erklärt sie in dem abschließenden V. : „Steht nicht geschrieben: Mein Haus soll ein Bethaus heißen für alle Völker? Ihr aber habt es zu einer Räuberhöhle gemacht.“ Gibt dieses Logion aber wirklich die Deutung der TA wieder, die Jesus gegeben hat? Ein erstes Indiz dagegen ist die allseits anerkannte markinische Formulierung der Einleitung zu diesem Spruch.73 Es könnte sein, daß erst der Evangelist diesen Spruch zur Deutung der TA verwendet hat. Ein zweites, stärkeres Indiz gegen die Ursprünglichkeit von V. ist die Tatsache, daß dieses Jesuswort gar kein Jesuswort ist, sondern eine Verknüpfung zweier alttestamentlicher Stellen: Die Frage zitiert wörtlich Jes , wie in der griechischen Bibel, darauf folgt eine Anspielung auf Jer ,. Wie die synoptische Tradition in ihrer überwältigenden Mehrheit zeigt, war es nicht die Art Jesu, mit Zitaten sein Tun zu begründen; er pflegte in eigener Autorität zu sprechen. „Eine neue Lehre in Vollmacht“ (Mk ,) – so urteilt die älteste Überlieferung über Jesu Rede! Ein dritter Einwand gegen die Ursprünglichkeit des Mischzitates ist die Tatsache, daß es nicht zur vorausgesetzten Situation paßt. Jesus soll gesagt haben: „Ihr habt 70 71 72 73
E. Haenchen, Die Apostelgeschichte, Göttingen (KEK III), S. . J. Jeska, Die Geschichte Israels in der Sicht des Lukas, Göttingen (FRLANT ), . Ebd. . Vgl. M. Trautmann, a. Anm. a. O., .
Markus ,f.
das Haus Gottes zu einer Räuberhöhle gemacht.“ E. Lohmeyer fragt: „. . . wer sind diese »Ihr«? Doch nicht die, welche jetzt der Lehre Jesu lauschen, Tempelbesucher aus Jerusalem oder anderen Orten, sondern allein die priesterlichen Behörden oder die vertriebenen Wechsler und Krämer. Die Anklage ist gegen das ganze jüdische Volk vom Standpunkt einer Gemeinde erhoben, die sich in der Nachfolge ihres Meisters, vielleicht auch in Vertretung der Rechte »aller Völker«, als die wahre Hüterin des heiligen Bethauses weiß.“74 M. Gielen bringt die Bedenken auf den Punkt: Es „stimmen die Stoßrichtung der überlieferten Zeichenhandlung Adna(gegen Tempel und Tempelkult) und die Stoßrichtung des überlieferten Deutewortes (Depravierung des Tempelbetriebes aufgrund des moralischen Versagens der Verantwortlichen) nicht überein. Denn dieses Wort [sc. Mk ,] impliziert eine grundsätzlich positive Bewertung des Tempels und kann damit seinen angestammten Ort nicht im Zusammenhang der Tempelaktion Jesu haben.“75 Angesichts der von M. Trautmann76 herausgestellten Bezüge zwischen V. und der markinischen Redaktion des Kontextes könnte die Anfügung von V. auf Mk zurückgehen; ob man Mk selbst diese schriftgelehrte Arbeit zutrauen soll, ist eine andere Frage. M. Hengel hatte einst „rein hypothetisch“ die Frage gestellt, „ob dieses Wort [sc. Mk ,] nicht aus der Polemik der Hellenisten in Jerusalem gegen den Tempel stammt, wobei diese vielleicht an Jesu Wort und Verhalten anknüpfen.“77 Mir erscheint das plausibel, zumal da Mk auch in ,–.– judenchristliche Polemik aufgenommen hat. Natürlich gibt es Versuche, V. doch als situationsgemäß auszulegen.78 Dazu sind jeweils seitenlange subtile Exegesen der beiden Prophetenstellen nötig, die dem Wanderprediger aus Nazareth kaum, seinem aus aller Welt zusammengeströmten Publikum überhaupt nicht zuzutrauen sind. Wenn V. sekundär zu der Erzählung hinzugetreten ist, dann fehlt der Handlung Jesu ein deutendes Wort. Vielfach wurde daher postuliert, das situationslos überlieferte Tempellogion Mk , gehöre ursprünglich zur TA.79 Das kann zwar durch die johanneische Überlieferung etwas gestützt werden (Joh ,), aber die jesuanische
74
E. Lohmeyer, a. Anm. a. O., . – Vgl. das Votum von A. Yarbro Collins, a. Anm. a. O., : „. . . the saying of V. does not fit Jesus’ actions very well. The narrative description of Jesus’ actions does not emphasize the Gentiles or their relation to the temple.“ 75 M. Gielen, Die Passionserzählung in den vier Evangelien. Literarische Gestaltung – theologische Schwerpunkte, Stuttgart , . 76 A. Anm. a. O., –. 77 M. Hengel, War Jesus Revolutionär (s. Anm. ), S. , A. . (In M. Hengel/A.M. Schwemer, Jesus und das Judentum, Tübingen , , ist diese Hypothese nicht mehr zu lesen.) Schon F. Hahn hatte bemerkt: „In der polemischen Zitierung von Jes , . . . verschafft sich das spezifisch christliche Verständnis des Tempels Ausdruck“ (a. Anm. a. O., ). 78 J. Ådna, a. Anm. a. O., –. T. Holmén, a. Anm. a. O., –. Chr. Niemand, a. Anm. a. O., –. 79 Z. B. M. Trautmann, a. Anm. a. O., –; E. P. Sanders, a. Anm. a. O., –; J. Gnilka, Jesus von Nazaret, Freiburg/Basel/Wien , f.
Tempelreinigung oder Tempelblasphemie?
Herkunft dieses Wortes ist sehr unsicher. K. Paesler hat in seiner Erlanger Dissertation80 die Argumente gegen die Authentizität sorgfältig vorgebracht. Problematisch ist auch der Versuch, Sach ,f. als Hintergrund der TA einzuführen.81 Die breite Front der Gegner dieser Auffassung82 weist zu Recht darauf hin, daß diese Stelle bei Mk (und seinen Seitenreferenten) nicht im geringsten anklingt und daß das ganze eschatologische Szenarium von Sach im Neuen Testament überhaupt keine Rolle spielt. Angesichts gewisser augenblicklicher Tendenzen sollte man sich öfter an die von dem Alttestamentler H. Schweitzer in anderem Zusammenhang formulierte „Hauptfrage“ erinnern: „gibt es von den NT-Texten her überhaupt Indizien, daß sie explizit vom AT her gelesen werden sollen?“ „Wenn . . . Textsignale fehlen, dann sollte man mit einem atl. Aufladen der NT-Texte zurückhaltend sein.“83
VI Sollte also Mk ,f. eine Aktion Jesu ohne irgendein deutendes Wort überliefert worden sein, dann wäre das ein Unikum in der synoptischen Tradition. Nun hat aber schon längst J. Wellhausen beobachtet, daß die Vollmachtsfrage (Mk ,–) unmittelbar an die TA anschließt: „Die Frage nach der Befugnis ist veranlaßt durch die Tempelreinigung, das ταῦτα (ποιεῖς oder ποιῶ) weist darauf als auf etwas unmittelbar Vorliegendes hin“.84 Es ist das Verdienst von J. Roloff, dies zu einer konkreten Hypothese ausgearbeitet zu haben. Er rekonstruiert als älteste Form des Berichts Mk ,f.a.–, wodurch „eine völlig in sich abgerundete Streitgespräch-Szene entstehen würde.“85 Dann erklärt sich auch die äußerste Knappheit des Berichts über die TA; denn sie ist wie bei Streitgesprächen üblich nur der anstößige Anlaß zur Frage an Jesus. Die Roloffsche Hypothese hat zwar verdiente Zustimmung gefunden86 , ist aber inhaltlich noch weiterzuführen. Denn auf die Frage, warum Jesus den Tempelautoritäten gegenüber sein Tun mit der „Taufe des Johannes“ parallelisiert (,), erhält man 80 K. Paesler, Das Tempelwort Jesu. Die Traditionen von Tempelzerstörung und Tempelerneuerung im Neuen Testament, Göttingen (FRLANT ). Ein neueres Votum gegen die Authentizität von Mk , par. gibt P. Fredriksen, a. Anm. a. O., –, allerdings nur mit sehr allgemeinen Erwägungen. 81 So z. B. J. Roloff, a. Anm. a. O., ; K. Paesler, a. Anm. a. O., –; A. Yarbro Collins, a. Anm. a. O.; J. D. G. Dunn, a. Anm. a. O., f. 82 Z. B. J. Gnilka, a. Anm. a. O., A. ; T. Holmén, a. Anm. a. O., ; Chr. Niemand, a. Anm. a. O., –; J. Ådna, a. Anm. a. O., . 83 ThRev , , . 84 J. Wellhausen, Das Evangelium Marci, Berlin , . Sehr gut auch W. Schmithals, Das Evangelium nach Markus, Kap. ,– (ÖTK /) , . 85 J. Roloff, a. Anm. a. O., . 86 Z. B. bei M. Trautmann, a. Anm. a. O., –; J. Ådna, a. Anm. a. O., –. Mit der Einschränkung, der Zusammenhang sei aber in traditionsgeschichtlicher Hinsicht nicht originär: J. Sauer, a. Anm. a. O., f.; ihre Begründungen sind nicht hinreichend. K. Paesler, a. Anm. a. O., , sieht den Zusammenhang „in traditionsgeschichtlicher – oder gar historischer Hinsicht – “ nicht „als originär“ an.
Markus ,f.
nur sehr allgemeine Antworten. So erklärt J. Roloff, die Johannestaufe sei „Zeichen der von Gott gesetzten eschatologischen Buße und Umkehr“ und bereite „die Erneuerung des Gottesvolkes“ vor, in Jesus ergehe „der gleiche überführende Anspruch Gottes.“87 Noch allgemeiner urteilt E. Schweizer: „Die Frage nach der Johannestaufe zeigt, daß es Situationen gibt, in denen man sich nicht um das Ja oder Nein drücken kann.“88 Wenn man aber den Text beim Wort nimmt, geht es nicht um das prophetische Auftreten des Johannes, sondern um seine Taufe – und jeder Leser und jede Leserin des Mk weiß, daß sie eine „Bußtaufe zur Vergebung der Sünden“ war (Mk ,). Es gibt keinen Grund, das für eine christliche Erfindung zu halten. Die Bedeutung der Johannestaufe hat jüngst M. Ebner richtig herausgestellt.89 Er zeigt, daß der täuferische Ritenkomplex ähnlich strukturiert ist wie das atl. Ritual des großen Versöhnungstages (Lev ) und der Opfer zur Vergebung der Sünden (Lev f.). Das bedeutet, „dass der Täufer in einer analogen Ritenkomposition genau das gleiche Ergebnis beansprucht, wie es gemäß der priesterlichen Konzeption allein den kultischen Ritualen am Tempel vorbehalten ist.“90 Der Täufer setzt also die Grundordnung der Tora, daß Sündenvergebung nur durch den Opferkult im Tempel zu Jerusalem erhalten werden könne, außer Kraft. Genau dasselbe tut Jesus in seiner Tempelaktion. Neben F. Hahn hatte das besonders J. Neusner im Blick auf die zeitgenössische Auffassung vom Tempelkult herausgestellt: Die TA „wird die ganz einfache Tatsache in Frage gestellt haben, dass das tägliche Ganzopfer Sühne schuf und Tilgung der Sünde bewirkte und dass Gott Mose in der Tora in diesem Sinne unterwiesen hatte. Demgemäß konnte nur jemand, der die ausdrückliche Lehre der Tora über das Ganzopfer ablehnte, die Tische umgestoßen haben . . . “91 Wenn zwei das Gleiche tun, muß es nicht immer das Gleiche sein. Der Täufer hat mit seiner Taufe einen Ersatzritus zum Sühnopferkult geschaffen; J. Neusner meinte in dem letzten, nur unvollständig wiedergegebenen Zitat, daß Jesus die Wechslertische umgestoßen habe, um seinen eigenen Tisch, nämlich den Abendmahlstisch, aufzustellen. Der Kontext der Aktion Jesu „war die Einsetzung der Eucharistie, des Ritus der Sühne und Tilgung der Sünde, den Jesus dann innerhalb derselben Passionser87
J. Roloff, a. Anm. a. O., . E. Schweizer, Das Evangelium nach Markus, Göttingen , (NTD ). 89 M. Ebner, Jesus von Nazaret in seiner Zeit. Sozialgeschichtliche Zugänge, Stuttgart , – (SBS ). 90 Ebd. . – Die „Orthodoxie“ des Täufers versucht zu retten F. Avemarie, Die Johannestaufe – Ausdruck der Tempelkritik?, in: B. Ego/A. Lange/P. Pilhofer (Hgg.), Gemeinde ohne Tempel, Tübingen , – (WUNT ). Er hält zwar die „qumranische Sühnewaschung“ für einen „Ausdruck der Kritik und Produkt einer Transformation des Jerusalemer Opferkultes“ (), sieht, daß „die qumranischen Reinigungsriten die weitest-reichende zeitgenössische Analogie zur Johannestaufe bieten“ (), meint, der Täufer übernehme „[m]it dem auf Vergebung zielenden Wasserritus . . . ein sehr charakteristisches Element qumranischer Praxis . . . , macht es aber . . . einem breiten Publikum zugänglich und erteilt so dem Separatismus des Jachad eine Absage“ (). Wenn der Täufer einen tempelkritischen Ritus publik macht, kann „[v]on einer Tempelkritik . . . kaum die Rede sein“ ()? Wo bleibt da die Logik? 91 J. Neusner, a. Anm. a. O., . 88
Tempelreinigung oder Tempelblasphemie?
zählung einsetzte, zu der die Tempelaktion einen Prolog – aber auch ein Gegenstück – bildet.“92 Diese These ist in modifizierter Form in dem Lehrbuch von G. Theißen und A. Merz aufgenommen worden, die ein „Herrenmahl“ ohne Bezug auf den Sühnetod Jesu rekonstruieren.93 Schließlich hat J. Ådna wieder das traditionelle Herrenmahl als Ersatzritus behauptet.94 Nun ist die Herrenmahlsüberlieferung ein höchst komplexes Gebilde, „religionsgeschichtlich betrachtet eine »Legierung« aus vielen Komponenten; jedes einzelne »Modell« für sich hätte nicht die hohe Qualität an Stabilität und Vielseitigkeit der Verwendung; die lange Lebensdauer der Legierung.“95 Dieses treffliche Bild des Alttestamentlers M. Oeming läßt erkennen, wie schwierig es ist, die einzelnen Bestandteile der Überlieferung zu sondern und gar jesuanische Elemente herauszufinden. Aber darüber hinaus muß die m. E. noch wichtigere Frage bedacht werden: Wollte Jesus überhaupt einen Ersatz für die kultische Ordnung? Wie stand Jesus zum Tempel?
VII „Jesus’ criticism of the temple is not directed against the temple itself, as a great number of positive Jesus traditions linked to the temple clearly show.“96 Mit diesem vollmundigen Statement gibt M. Tiwald wohl so etwas wie einen Konsens unter den Adepten der Third Quest wieder. Blickt man aber in die dazugehörige Anmerkung, so muß man über die Dürftigkeit der Quellenbelege überrascht sein: Mk ,–, Mk ,– und „Jesus’ repeated visits in the temple as reported in the Gospel of John.“97 Um mit der Berufung auf das Vierte Evangelium zu beginnen: Dessen historischer Wert wird zwar neuerdings in chronologicis immer wieder behauptet, ist aber angesichts der erheblichen Transformation des Jesusbildes nach wie vor unsicher. Man mag ja aus allgemeinen Erwägungen heraus mit einer –jährigen Wirksamkeit Jesu rechnen können98 , aber dadurch wird die johanneische Darstellung in ihren Einzelheiten noch längst nicht als richtig erwiesen. Aber selbst wenn man sich über diesen Einwand hinwegsetzte, sollte man doch den Text beim Wort nehmen: Nirgends im Vierten Evangelium wird gesagt, Jesus habe bei seinen Tempelbesuchen dort gebetet oder gar geopfert! Der Tempel ist nur die Bühne für seine Selbstdarstellung, die aus 92
Ebd. . G. Theißen/A. Merz, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen , f. 94 J. Ådna, a. Anm. a. O., –. 95 M. Oeming, „Fürwahr, er trug unsere Schuld.“ Die Bedeutung der alttestamentlichen Vorstellungen von Sünde und Sündenvergebung für das Verständnis der neutestamentlichen Abendmahlstraditionen, in: Sühne – Opfer – Abendmahl: Vier Zugänge zum Verständnis des Abendmahls, hg. von A. Wagner, Neukirchen-Vluyn (–), f. 96 M. Tiwald, Jewish-Christian Trajectories in Torah and Temple Theology, in: T. Holmén (Hg.), Jesus in Continuum, Tübingen , (–) (WUNT ). 97 Ebd. A. ; Tiwald beruft sich auf J. Ådna (s. Anm. ), f. und –. 98 J. P. Meier, A Marginal Jew, I: The Roots of the Problem and the Person, New York usw. , –; M. Hengel/A. M. Schwemer, Jesus und das Judentum, Tübingen , –. 93
Markus ,f.
dem naheliegenden Grund gewählt wird, weil dort eine große Zahl religiös aufgeschlossener Menschen zu erwarten ist. Für eine irgendwie geartete Tempelfrömmigkeit Jesu ist das Vierte Evangelium kein Zeuge – man denke nur an Joh ,–. Das kleine Apophthegma vom Scherflein der Witwe (Mk ,–) ist immer noch am besten als ideale Szene zu verstehen.99 Angesichts rabbinischer und außerjüdisch-religionsgeschichtlicher Parallelen besteht – gegen R. Pesch – doch „Anlaß . . . von der urchristlichen Veranschaulichung eines weitverbreiteten Grundsatzes (Wert des geringen Opfers von Armen) zu reden.“100 Mehr muß zu Mk ,– gesagt werden, da dieser Text ständig als „Beweis“ für Jesu Tora- und Tempeltreue mißbraucht wird. Dazu zitiere ich T. Holmén, der von der Third Quest ausging und jetzt eine Variante dazu geschaffen hat, den Continuum approach. „When encountering lepers in Mark :– and Luke :–, Jesus sends them to the priests and in Mark even orders to sacrifice περὶ τοῦ καθαρισµοῦ σου. The stories are not easily verified as authentic (cf. Meier :–). However, even if they would relate genuine information, they do not uphold the functions of the Temple, but rather the opposite is true. In both stories the lepers become both cured and cleansed already before they get to the priests and to sacrificing. But in the law it is said: »Thus [referring to various purification rites and sacrifices] the priest shall make atonement on his behalf and he shall be clean.« (Lev :). The stories actually render the priestly purification and the sacrifices offered to God futile making a show of it all. Merely pragmatical reasons require that the procedure is undertaken (the procedure was needed for the reintegration of the lepers into the ordinary social and religious life of the community). This well accords with the picture that Jesus did not much base on the Temple and its institutions.“101 Zu Unrecht wird auch Mt ,f. als – vielleicht etwas eingeschränkte – positive Wertung des Kultes gesehen.102 Ich könnte es mir leicht machen und das Urteil F. Hahns zitieren: „. . . die offene Kampfansage an den Kult darf auch hier nicht übersehen werden“103 , oder die Ablehnung der jesuanischen Herkunft durch T. Holmén104 übernehmen. Aber ich schlage wieder vor, den Text beim Wort zu nehmen. Da Jesus 99 R. Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition, FRLANT , Göttingen , f.; E. Lohmeyer, a. Anm. a. O., f.; E. Klostermann, Das Markusevangelium, Tübingen , (HNT ). 100 R. Pesch, Das Markusevangelium II. Teil, Freiburg/Basel/Wien , . – Die neueste Bearbeitung des Textes möchte die Geschichte als Warnung vor der Tempelbank verstehen: M. Lau, Die Witwe, das γαζοφυλάκιον und der Tempel. Beobachtungen zur mk Erzählung vom „Scherflein der Witwe“ (Mk ,–), ZNW (), –. Also jedenfalls kein Zeugnis für Tempelfrömmigkeit. 101 T. Holmén, a. Anm. a. O., A. . Die Parenthese verweist auf J. P. Meier, A Marginal Jew, Bd. II, . Kurz und prägnant hat schon F. C. Baur das Richtige gesehen: Die Geschichte bekundet keine besondere Toratreue, sondern „im Grunde nur die Beobachtung einer polizeilichen Vorschrift“ (F. C. Baur, Vorlesungen über neutestamentliche Theologie, hg. v. F. F. Baur, , zitiert nach dem Neudruck Darmstadt mit einer Einleitung von W. G. Kümmel, ). 102 Z. B. J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie, I, Die Verkündigung Jesu, Gütersloh , f. f. 103 F. Hahn, Der urchristliche Gottesdienst (s. Anm. ), . 104 T. Holmén, a. A. a. O., .
Tempelreinigung oder Tempelblasphemie?
überwiegend in Galiläa verkündigt hat, versetzen wir uns in die Situation eines galiläischen Bauern, der Grund hat, ein Zicklein oder auch einen Jungstier zu opfern. Sein Weg nach Jerusalem dürfte etwa drei Tage gedauert haben. Bis die Kultfähigkeit eines Tieres festgestellt wurde, verging wohl nochmals ein halber Tag. Er steht vor dem Opferaltar – da fällt ihm ein unerledigter Streit mit seinem Nachbarn ein. Und nun rät ihm Jesus: Laß’ alles liegen und stehen, geh’ heim und versöhne dich mit deinem Bruder. Also bricht er die Opferhandlung ab, geht drei Tage nach Galiläa, braucht mindestens einen halben Tag für die Aussprache, und geht dann wieder drei Tage zurück in den Tempel. Hätte er vor gut sechs Tagen einen Sack Kartoffeln als seine Gabe mitgebracht und stehengelassen, dann könnte er wohl hoffen, daß er noch da wäre. Aber ein Zicklein oder ein Jungstier . . . Wenn Jesus abschließend sagt: „dann komm’ und bring deine Opfergabe dar“ (V. b), kann er das gar nicht ernst gemeint haben, und auch seine Hörer und Hörerinnen dürften über diese „Handlungsanweisung“ gelacht haben. Somit wird hier das Kultgesetz nicht abrogiert105 , sondern es hat sich sozusagen von selbst erledigt. Auch die von Jesus gelegentlich ausgesprochene Sündenvergebung106 setzt die Kulttora stillschweigend außer Kraft. Das hat im Blick auf Mk ,– schon längst J. D. G. Dunn herausgearbeitet, dem hier das Wort erteilt werden soll. Warum hat Jesu Zuspruch der Sündenvergebung Anstoß erregt? „The answer seems to be . . . that he pronounced the man’s sins forgiven outside the cult and without any reference (even by implication) to the cult. It was not so much that he usurped the role of God in announcing sins forgiven. It was rather that he usurped the role of God which God had assigned to priest and cult. God could forgive sins no doubt when and as he chose. But man could only promise and pronounce the forgiveness of sin when he operated within the terms and structures provided by God – the Temple, priesthood and sacrifice. In that sense, as usurping a prerogative of God in disregard for the terms laid down by God, what Jesus said and did could be counted a kind of blasphemy.“107 Das Fazit dieses kurzen Durchgangs durch die Jesusüberlieferung kann nur lauten: Der Tempel und sein Kult spielen für Jesus grundsätzlich keine Rolle; es ist unbegründet, diese Tempelkritik Jesu auf die verbreitete Unzufriedenheit mit dem Kultpersonal oder der Einstellung der Kultteilnehmer abzulenken. Die Kulttora des Buches Levitikus gilt für ihn nicht. Der Vorwurf der Blasphemie ist begründet. Nur in dieser scharfen Fassung ist die neuerdings öfters zu lesende These plausibel, die TA sei Anlaß für die Verhaftung Jesu und letztlich sogar für seine Kreuzigung gewesen.108 Denn man muß sich im Blick auf die historische Plausibilität immer die von J. Maier herausgestellten Sachverhalte klar machen: 105 Wie U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus, . Teilband: Mt –, , (EKK I/), betonen zu müssen glaubt. 106 Hart aber erfolglos bestritten von P. Fiedler, Jesus und die Sünder, (BET ). 107 J. D. G. Dunn, The partings of the ways between Christianity and Judaism and their significance for the character of Christianity, London , . 108 So z. B. J. Schröter, Jesus von Nazareth: Jude aus Galiläa – Retter der Welt, Leipzig , f. So schon D. Fr. Strauß, a. Anm. a. O.!
Markus ,f.
() „Das Konfliktpotential [der Tempelkritik] auf der Basis des Vorwurfs nur äußerlicher Kultpraxis führt über das innerjüdisch Übliche, Banale nicht hinaus. Eine Kritik an veräußerlichter Kultpraxis wird grundsätzlich erst zum Stein des Anstoßes, sobald es um Ablehnung der Kultpraxis überhaupt und somit um die Ablehnung eines gewichtigen Teiles der Torah-Vorschriften geht.“109 () „Eine abwehrende und gegebenenfalls feindselige Reaktion der von der Kritik Getroffenen begründet sich . . . nicht bloß aus der Wahrung der Interessenlage. Man darf diese materiellen und machtpolitisch bedingten Interessen nicht im Sinne modernen politisch-sozialen Denkens interpretieren. Die soziale und politische Ordnung Judäas galt als eine auf der Torah beruhende Ordnung, hatte insofern kultische und religiöse Relevanz, ihre Praktizierung galt als Ausdruck und Vollzug des Gotteswillens, letztlich der Gottesherrschaft. . . . Das Eigeninteresse der herrschenden Gruppen deckte sich in ihrem Bewußtsein weitgehend mit einem Amtsund Sendungsbewußtsein, das sich aus dieser torah-theologischen Motivation ergab. Religiös-rituale Ordnung, politische Herrschaft und gesellschaftlich-wirtschaftliche Verhältnisse waren mit den Funktionen des Tempels derart verbunden, daß für die Herrschenden die Kritik an einem Punkt auch andere und irgendwie alles in Frage zu stellen schien.“110 Es greift somit sicher zu kurz, wenn man die Tempelautoritäten bloß um ihres bedrohten Profits willen gegen Jesus vorgehen läßt. Eine „Tempelaktion light“ genügt nicht.111 Die Gegner Jesu im Synhedrium wußten: Es geht um die Tora. Worin ist die Ablehnung der Opfertora durch Jesus begründet?
VIII Die Grundlagen für den Kultbetrieb im Zweiten Tempel sind () im Deuteronomium und () in der priesterlichen Schicht des Pentateuch gelegt. () Das Deuteronomium hängt irgendwie (man verzeihe dem Neutestamentler diese bewußt allgemeine Angabe) mit den Reformen unter König Josia zusammen, die Antwort auf die Bedrohung durch die neuassyrische Großmacht waren: So wurde die Gattung des Loyalitätseides „in Gestalt des Loyalitätseides Asarhaddons (VTE) in Dtn ,–* und Dtn ,– als literarische Vorlage genutzt. . . . Mithilfe eines den Herrschaftsanspruch des neuassyrischen Großkönigs proklamierenden Textes wurde diesem die Loyalität zugunsten JHWHs, dem allein ungeteilte Loyalität zukomme, aufgekündigt, indem ein weiteres neuassyrisch gut belegtes Motiv, die adê des assyrischen Königs mit dem Gott Assur, genutzt wurde, um die Loyalität auf JHWH umzulenken.“112 Der Begriff adê bedeutet „Bund, Vertrag“, er wird von der
109 J. Maier, Beobachtungen zum Konfliktpotential in neutestamentlichen Aussagen über den Tempel, in: I. Broer (Hg.), Jesus und das jüdische Gesetz, Stuttgart/Berlin/Köln (–), . 110 Ebd. f. – Es sei übrigens darauf hingewiesen, daß der Judaist J. Maier – ohne ernsthafte Begründung – für eine „TA light“ votiert (f.). 111 Das gilt für Th. Söding a. Anm. a. O. ebenso wie für R. Kampling, a. Anm. a. O., . 112 E. Otto, Programm der sozialen Gerechtigkeit, ZAR , , (–) .
Tempelreinigung oder Tempelblasphemie?
politischen Ebene auf die religiöse gehoben. Als Besonderheit von Dtn ,–* stellt E. Otto heraus: „Wird nicht nur die Gattung des neuassyrischen Loyalitätseides genutzt, um die Loyalität JHWH, dem judäischen Gott, gegenüber auszudrücken, sondern geschieht dies durch direkte Übertragung des neuassyrischen Textes, so wird damit dem assyrischen Großkönig der Anspruch auf Loyalität ab-, JHWH aber zugesprochen.“113 Auch wenn der Gott Israels nur beiläufig als König bezeichnet wird (Dtn ,), wird er doch im Dtn als König gezeichnet, der v. a. als Gesetzgeber auftritt: Nicht umsonst wird wiederholt gefordert, das „ganze Gesetz“ zu erfüllen (Dtn ,; ,; ,.; ,.) oder „alle Worte dieses Gesetzes“ zu erfüllen (,; .). Eine Juridifizierung des Gottesverhältnisses ist nicht zu übersehen, besonders auch in Dtn , wo Segen für die getreuliche Erfüllung aller Gebote verheißen (,) und Flüche angedroht werden, falls nicht „alle Gebote und Satzungen“ getreulich erfüllt werden (,). Im Deuteronomium „ist die Bundestheologie schon beinahe Gesetzestheologie“114 , wie z. B. Dtn ,– zeigt. () Diese Juridifizierung des Gottesverhältnisses ist in der priesterlichen Schicht des Pentateuch in einer bestimmten Weise weitergeführt worden. Ging es dem Dtn vor allem um eine rechte soziale Ordnung, so den Priesterkreisen nach dem Exil um den Kult. „Die in der Regel als Priesterschrift angesprochene priesterliche Pentateuchschicht gibt sich . . . vor allem durch ihr Verständnis der Weltgeschichte als einer in der kultischen Sinaigesetzgebung ihr Ziel erreichenden Heils- und Kultstiftungsgeschichte . . . zu erkennen.“115 Bund und Gesetz werden durch die priesterschriftliche Redaktion sogar in der Person Abrahams verknüpft: Abraham wird als exemplarischer Gesetzesfrommer (Gen ,) und sogar als Gesetzeslehrer (Gen ,) vorgestellt.116 Für die priesterschriftlichen Autoren galt als Grundforderung des Bundesgottes an sein Bundesvolk: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der Herr, euer Gott“ (Lev ,; vgl. Lev ,). Grundgebote der priesterschriftlichen Überlieferung sind das Beschneidungsgebot (Gen ,–) und das Sabbatgebot (Ex ,–). Die geforderte Heiligkeit wird nun aber durch zahllose Verstöße gegen rituelle Reinheitstabus gefährdet, die nicht nur den Einzelnen, sondern das ganze Bundesvolk belasten. Niemand kann solche versehentlichen oder unbemerkten Verletzungen von Gottes Geboten vermeiden: Keine Frau kann das Bluttabu vermeiden, kein Bauer oder Fischer kann immer die Berührung eines unreinen Tieres oder eines Tierkadavers verhüten, körperliche Ausflüsse und Hautkrankheiten waren eine ständige Bedrohung (Lev –). Viele dieser Ge113
E. Otto, Treueid und Gesetz, ZAR , (–), . R. Smend/U. Luz, Gesetz, Stuttgart usw. (Bibl. Konfrontationen) . 115 O. Kaiser, Grundriß der Einleitung in die kanonischen und deuterokanonischen Schriften des Alten Testaments I, Gütersloh , . 116 S. B. Ego, Abraham als Urbild der Toratreue Israels. Traditionsgeschichtliche Überlegungen zu einem Aspekt des biblischen Abrahambildes, in: F. Avemarie/H. Lichtenberger (Hgg.), Bund und Tora. Zur theologischen Begriffsgeschichte in alttestamentlicher, frühjüdischer und urchristlicher Tradition, Tübingen (WUNT ). 114
Markus ,f.
botsverletzungen können durch Waschungen oder Reinigung beseitigt werden. Für andere ist der Opferkult im Jerusalemer Tempel als Sühneort eingerichtet. Natürlich kennt die priesterliche Überlieferung auch ethische Forderungen (Lev ), aber die Opfergesetzgebung steht im Vordergrund.117 Das Gottesbild der priesterlichen Autoren wird in Lev , erkennbar: „Mein sind die Israeliten als Knechte, meine Knechte sind sie, die ich aus dem Lande Ägypten herausgeführt habe, ich, JHWH, euer Gott“ (vgl. auch Lev ,). Zu Recht stellt M. Limbeck fest, daß hier „das Exodusgeschehen nicht als Befreiung, sondern als Herrschaftswechsel gedeutet“ wird, und spricht von einem „herrscherlichen“ Gottesbild.118 Und auch gegen Ende des Buches Levitikus findet sich – wie im Deuteronomium – für die, die in den Satzungen Gottes des Herrn wandeln und seine Gebote halten und darnach tun, eine Liste von Segensverheißungen (Lev ,–) und eine viel längere Liste von Fluchandrohungen gegen die, die Gott nicht gehorchen und nicht alle diese Gebote halten, seine Satzungen mißachten und gegen seine Vorschriften Widerwillen hegen (Lev ,–). Erst wenn die (wenigen) Überlebenden ihre und ihrer Väter Schuld bekennen und sie ihre Schuld abtragen, wird Gott des Bundes mit Jakob, Isaak und Abraham gedenken (Lev ,f.)119 . Kurz: auch in der priesterschriftlichen Sicht agiert und reagiert Gott wie ein Großkönig. Wie steht Jesus zu diesem Gottesbild?
IX Das Syntagma „Königsherrschaft Gottes“ (βασιλεία τοῦ θεοῦ) gehört nach allgemeiner Überzeugung zur ipsissima vox Jesu. Aber G. Vermes hat zu Recht auf eine Besonderheit hingewiesen: „Jesu Darstellung des Reiches Gottes enthält kaum ausgesprochen königliche Züge.“120 „Im Reich, wie er es sich vorstellt, gibt es keine Throne, keine Höflinge, keine himmlischen Chöre, keine Schlachten führenden Armeen mit Streitwagen, Schwertern, Lanzen. Statt dessen finden wir die Landschaften, Werkzeuge und Bewohner des galiläischen Landes und seines vom See geprägten Lebens vor. Das Reich ist wie ein Acker. Das Reich ist wie ein Weinberg, in dem die Tagelöhner von dem Besitzer gut und sogar großzügig behandelt werden. Das Reich 117
Eine gute Zusammenfassung der Priesterschrift bietet M. Limbeck, Das Gesetz (s. Anm. ), –
. 118 M. Limbeck, a. Anm. a. O., A. . – Wo Gott primär als Gesetzgeber gesehen wird, wird der Mensch zum Knecht. Es ist doch kein Zufall, daß der Beter des Psalms B (Ps ,–) sich zweimal Knecht seines Gottes nennt, und daß der Beter des großen Torapsalms sich dreizehnmal als Knecht seines Gottes bezeichnet. „Mit der Selbstbezeichnung »dein Knecht« . . . appelliert der Beter an die Schutzpflicht JHWHs als seines »Herrn« bzw. Patrons, für den der (gesellschaftliche) Tod seines Knechtes doch ein Verlust wäre . . . “. Vgl. weiter zu Ps ,: „Mit der Selbstbezeichnung »ein Fremder, ein Gast bin ich« appelliert er an das Privileg der Gastfreundschaft . . . und an die Schutzpflicht des »Herrn« seines Gastlandes . . . “. Beide Zitate aus: F.-L. Hossfeld/E. Zenger, Psalmen –, Freiburg/Basel/Wien (HThKAT), . 119 Dazu D. Betz, Gott als Erzieher im Alten Testament, Diss. Phil. Osnabrück, , –. 120 G. Vermes, Jesus der Jude. Ein Historiker liest die Evangelien, Neukirchen-Vluyn , .
Tempelreinigung oder Tempelblasphemie?
ist wie ein winziges Senfkorn, das zu einer Pflanze heranwächst, die derart groß ist, daß Vögel in ihren Zweigen brüten können . . . “121 Ein ähnliches Paradoxon finden wir im Gebet, das Jesus seine Jünger gelehrt hat. Sie sollen um das Kommen einer königlichen Herrschaft bitten, aber die Bitte richtet sich nicht an eine herrscherliche Gestalt, sondern an den Vater (Lk ,). Damit ist, wie P. Hoffmann formuliert hat, die „religiöse Mitte des Glaubens Jesu“122 angesprochen oder – mit T. Onuki modern formuliert – „abba-Vater“ ist eine Wurzelmetapher im Bildernetzwerk der Verkündigung Jesu.123 Natürlich ist die Vaterbezeichnung für den Gott Israels schon im AT bekannt. Wie A. Böckler aufgewiesen hat, entstand sie am Hof Salomos, um der davidischen Dynastie ewigen Bestand zu verheißen: „Der König sollte sich als Sohn Gottes erweisen, doch auch wenn ihm dies misslingt, wird sich Gott als sein Vater erweisen und ihn lediglich strafen, aber ihm seine Gunst nicht entziehen.“124 Nach dem Scheitern dieser „Nathanverheißung“ durch den Sieg der Neubabylonier übertrugen Theologen der Exilszeit sie auf das ganze Volk Israel. Dabei wird der dem Vater geschuldete Gehorsam öfter in den Vordergrund gestellt und Gottes Vergebungsbereitschaft „konditioniert“. Sie gilt denen, »die ihn fürchten«, d. h. »denen, die seinen Bund halten und sich an seine Satzungen erinnern, um sie zu tun«.125 Auch das jüdische Schrifttum aus hellenistisch-römischer Zeit spricht von Gott als Vater.126 Die Vaterschaft Gottes wird mit den unterschiedlichsten Konnotationen verbunden: „Erziehung, Erbarmen, Vergebung, Treue, Verläßlichkeit, Fürsorge, Verantwortung, Liebe, Güte, Freude, Zuwendung, Nähe, Schutz, Hilfe, Rettung, machtvolles Eingreifen zugunsten der Menschen, absolute Schöpfermacht, Anteilgabe an Gottes Macht, Herrlichkeit und Erkenntnis.“127 Oft ist das väterliche Verhalten Gottes konditioniert, sei es durch die Heilsgeschichte, die Gerechtigkeit des Einzelnen oder die Buße Israels. Oft ist die Vateranrede mit anderen Prädikationen (κύριος, θεός, παντοκράτωρ) verknüpft. Die Anrede Gottes als Vater ist also nichts völlig Neues. Aber schon G. Dalman128 hat festgestellt, daß Jesu Gottesanrede mit dem familiärumgangssprachlichen aramäischen abba eine Besonderheit der Sprache Jesu war, und J. Jeremias hat das abba zu einem Kennzeichen der ipsissima vox Jesu gemacht.129 121
Ebd. P. Hoffmann, Der „einfache Glaube“ des Jesus von Nazaret, in: Ders., Jesus von Nazaret und die Kirche, Stuttgart (–) . 123 T. Onuki, a. Anm. a. O., . 124 A. Böckler, Gott als Vater im Alten Testament. Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zur Entstehung und Entwicklung eines Gottesbildes, Gütersloh , . 125 ebd. unter Hinweis auf Mal , und Ps ,. 126 A. Strotmann „Mein Vater bist du“ (Sir ,). Zur Bedeutung der Vaterschaft Gottes in kanonischen und nichtkanonischen frühjüdischen Schriften, Frankfurt am Main (FTS ). 127 a. O. . 128 G. Dalman, Die Worte Jesu. Mit Berücksichtigung des nachkanonischen jüdischen Schrifttums und der aramäischen Sprache, Bd , Leipzig , . 129 J. Jeremias, Kennzeichen der ipsissima vox Jesu, in: Synoptische Studien A. Wikenhauser zum . Geburtstag dargebracht, München , –; Ders., Abba, in: Ders., Studien zur neutestamentlichen 122
Markus ,f.
Er hat viel Zustimmung, aber inzwischen auch heftige Kritik erfahren durch die Vertreter der Third Quest. Diese Debatte ist hier nicht nachzuzeichnen; sie läßt sich sehr gut mit den Worten J. A. Fitzmyers zusammenfassen: „As in every debate there has been the tendency either to make the evidence say too little or too much.“130 Aber der ausgewiesene Aramaist Fitzmyer hat grundsätzlich die Dalman-Jeremias-Position bekräftigt: „There is no evidence in the literature of Pre-Christian or first-century Palestinian Judaism that »abb¯a« was used in any sense as a personal address for God by an individual – and for Jesus to address God as »abb¯a« or »Father« is therefore something new.“131 Die vertrauensvolle Vateranrede war für Jesus allein wichtig, es fehlen die für seine Zeitgenossen stets damit verbundenen Distanz anzeigenden Gottesprädikationen „unser König“, „Herr“, „König der Welt“. Die abba-Anrede „paßt zu Jesu Verkündigung des mit seiner Liebe zu den Armen, Sündern und Deklassierten nahen Gottes; sie paßt auch zu den bei Jesus wichtigen Vatergleichnissen (Lk ,–; ,–) und zur auffällig in den Vordergrund tretenden Erwählungsgewißheit (Mt , f [Vater!]; Lk ,– [Vater!]; ,–).“132 Die Parabel vom „verlorenen Sohn“ (Lk ,–) ist das schönste Paradigma für die Radikalität und Einseitigkeit der Botschaft Jesu vom Vatergott. Der heruntergekommene Sohn weiß, daß er sein Sohnesrecht verspielt hat und bestenfalls auf eine minderwertige Position hoffen darf, für die er den Vater durch ein Bußbekenntnis geneigt machen will. Aber der Vater nimmt ihn vor jeder Bußlitanei in die Arme und damit wieder als Sohn an. „Dieser Vater ist ein Liebender, einer, der bis in die letzte Tiefe seines Herzens hinein ergriffen ist. Er denkt nicht in Kategorien des Rechts und der Gerechtigkeit, es geht ihm nicht um das Durchsetzen einer Ordnung, nicht um Strafe, nicht um Wiedergutmachtung. All das liegt ihm völlig fern. Was sein Handeln bestimmt, ist unendliche Ergriffenheit und alles vergessende Liebe.“133 Es dürfte selbstverständlich sein, daß der Gott, den Jesus verkündigt hat, nichts gemein hat mit einem König, der mit seinem Volk einen Vertrag mit vielen „Verordnungen, Satzungen und Rechten“ (Dt ,) schließt und die Einhaltung dieser Vertragsbedingungen mit drakonischen Strafen durchsetzen will. Daher fehlt der Bundesgedanke in der Verkündigung Jesu. Während sich seine frommen Zeitgenossen, die Pharisäer und die Qumranmönche, um immer genauere Einhaltung der Bundesvorschriften bemühen – T. Holmén nennt das treffend covenant path searching134 –, hat sich Jesus nicht um kultische Reinheit, Sabbat, Verzehntung oder Eidfragen Theologie und Zeitgeschichte, Göttingen , –; Ders., Neutestamentliche Theologie I, a. Anm. a. O., –. 130 J. A. Fitzmyer, Abba and Jesus’ relation to God, in: À cause de l’Évangile. Études sur les Synoptiques et les Actes (FS J. Dupont, LD , (–), ). Dieser Aufsatz wird häufig übergangen. 131 A. a. O., . 132 U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus (Mt –), EKK I , , . 133 G. Lohfink, Gott in der Verkündigung Jesu, in: M. Hengel u. a. (Hgg.), Heute von Gott reden, München – Mainz (–), . Gegen Versuche, dieses Überlieferungsstück Lukas zuzuschreiben, stellt W. Pöhlmann, Der verlorene Sohn und das Haus, Tübingen (WUNT ), – einen traditionellen Kern heraus. 134 T. Holmén, a. Anm. a. O., –.
Tempelreinigung oder Tempelblasphemie?
gekümmert. Das ist jedenfalls das Ergebnis der Untersuchung von T. Holmén, hinter das man nicht mehr zurückgehen kann. Wenn man die Ecken und Kanten der Verkündigung Jesu weniger abschleift als Holmén, wird man die Haltung Jesu zu diesen Grundforderungen der Bundestheologie sogar als kritisch-ablehnend bezeichnen müssen.135 Besonders wichtig ist, daß Holmén nun auch Jesu Stellung zum Tempel als distanziert beurteilt; auf Grund unserer Beobachtungen müssen wir schärfer urteilen: Jesus hat den Tempelkult abgelehnt.136 Die Grundüberzeugung Israels, daß Gott „ein Gott der Vergebung, gnädig und barmherzig, langmütig und reich an Huld“ ist (Neh ,), hat ihn zu ganz anderen Konsequenzen geführt als die priesterlichen Bearbeiter der Tora. Die Forderung des Bundesgottes „Ihr sollt heilig sein“ (Lev ,) fehlt sicher nicht zufällig in der Jesusüberlieferung. Im Herrengebet wird deutlich, warum das so ist: „Indem Jesus seine Jünger lehrt, um die Vergebung der Sünden zu beten, wird deutlich, dass Jesus seine Jünger als Menschen in den Blick nimmt, die auch in die Nachfolge (fortwährend) der Vergebung bedürfen – und auf das Erbarmen Gottes vertrauen dürfen.“137 Und das dürfen sie ohne Kult und ohne die bei ihren frommen Zeitgenossen beliebten Bußliturgien und Bußlitaneien.138 Der Jünger und die Jüngerin Jesu sollen nicht heilig, sondern barmherzig wie der Vatergott 135
Auf diese Sachverhalte habe ich schon früher hingewiesen: H. Merkel, The opposition between Jesus and Judaism, in: E. Bammel/C. F. D. Moule (Hgg.), Jesus and the Politics of his Day, Cambridge , – (in diesem Band –); s. auch J. Becker, Jesus von Nazaret, Berlin/New York , – . 136 In meinem eben genannten Aufsatz habe ich die TA nicht angeführt, da ich sie im Gefolge der von Origenes benannten Probleme für unhistorisch hielt. Leider findet sich dieses Fehlurteil noch in meinem Forschungsbericht ThR () f. (in diesem Band S. –). Die Lektüre von D. Fr. Strauß, Das Leben Jesu I, , –, hat zum Umdenken geführt: Zwar referiert Strauß die Bedenken des Origenes mit sichtlicher Zustimmung, da ein im Tempel randalierender Jesus nicht zu seinem hegelianischen Ansatz paßt, Jesus als eine Verkörperung der Idee der Gottmenschheit zu sehen. Aber Strauß bleibt seinem methodischen Ansatz treu, nur das als Gemeindebildung anzusehen, wofür es im AT oder sonst literarische Vorbilder gibt. Da er keine findet, hält er mißmutig an der Historizität der TA fest. – Der Verweis auf prophetische Zeichenhandlungen, den schon F. Schnider/W. Stenger, a. Anm. a. O., –, und eingehend M. Trautmann, a. Anm. a. O., gegeben haben, hat die Bedenken weitestgehend als unnötig erwiesen. Scharfsinnige Kritik daran äußert G. Häfner, Nach dem Tod Jesu fragen. Brennpunkte der Diskussion aus neutestamentlicher Sicht, in: Ders./H. Schmid (Hg.), Wie heute vom Tod Jesu sprechen? Neutestamentliche, systematisch-theologische und liturgiewissenschaftliche Perspektiven, Freiburg i. Br. , –. Er erhebt den Vorwurf, die Befürworter der Historizität der TA würden „die Aktion so lange harmloser . . . machen, bis man sie sich historisch vorstellen kann“ (, Anm. ). Dagegen setze ich die Überlegung von C. G. Montefiore, der auch seine Schwierigkeiten mit der TA hatte: „A possible view is that what Jesus did was something much smaller than is here represented. Everything tends to be magnified in the Gospel report – the miracles, the opposition, the attention excited, the renown, the doings, and all“ (The Synoptic Gospels, I., London , ). 137 M. Konradt, a. Anm. a. O., . 138 Das hat schon E. P. Sanders herausgestellt: Jesus and the Sinners, JSNT , , –; ders., Jesus and Judaism, s. Anm. a. O., –; eingehend: T. Hägerland, Jesus and the Rites of Repentance, NTS , , –; M. Konradt, Stellt der Vollmachtsanspruch des historischen Jesus eine Gestalt „vorösterlicher Christologie“ dar?, ZThK () (–), –. – Ein groteskes Bild vom Wirken Jesu zeichnet E. Rau, Jesus – Freund von Zöllnern und Sündern, Stuttgart , : „. . . Im Kontext seines Wirkens kommt es zur Umkehr, die sich in Appellen, Bittgebeten, Sündenbekenntnissen und Exhomologesen artikuliert“. Welche Quelle gibt dafür auch nur den geringsten Anhalt?
Markus ,f.
werden (Lk ,). Auch damit greift Jesus eine Grundüberzeugung alttestamentlicher Frömmigkeit auf (Ex , u. ö.), gewichtet sie aber von seinem Gottesbild her neu: Nur die Barmherzigkeit ist Ziel der imitatio Dei.139
X So hat sich gezeigt, daß die (wenigen) Forscher der „Neuen Frage“, die die TA als eine kultkritische Handlung Jesu erkannten, Recht hatten. Es muß noch eine doppelte Gegenprobe gemacht werden. a) Läßt sich diese Deutung im Sinne des continuum approach vertreten? Häufig wird das Gegenteil behauptet, weil Lukas die Urgemeinde sehr tempeltreu darstellt.140 Der Sachverhalt ist oben im Exkurs schon erörtert worden. Aber es muß bedacht werden, daß diese Darstellung lukanischer Tendenz entspringt, das Christentum in altehrwürdiger Tradition zu verankern.141 Außerdem fällt auf, daß nie von einer Teilnahme am Opferkult gesprochen wird. Auch die Episode in Apg ,– kann nicht in diesem Sinn verstanden werden. Die vier Christen, um die es hier geht, haben ein privates Gelübde auf sich genommen (Num ), das nicht zum regulären Tempelkult gehört. Warum diese anscheinend armen Männer diese aufwendige Unternehmung tätigten, wird nicht gesagt; sie war möglicherweise von vorneherein als Test für den der Apostasie verdächtigten Apostel Paulus gedacht. – Der Herrenbruder Jakobus,142 mindestens seit dem Apostelkonvent Leiter der Jerusalemer Urgemeinde (Gal ), hat nach den späten, legendarisch übermalten Pseudoklementinen täglich im Tempel um Sündenvergebung für sein Volk gebetet, aber es wird nirgends von seiner Teilnahme am Opferkult gesprochen. Warum wurde Jakobus auf Betreiben des Hochpriesters Hannas II. gesteinigt (Josephus ant XX )? Wenn man bedenkt, daß „alles was uns an Aktivitäten von Jakobus berichtet wird, auf eine möglichst unver139 J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie I (s. Anm. ), , A. , behauptet: „Lk , ist Zitat eines jüdischen Satzes: »Wie euer Vater barmherzig (rah.man) ist im Himmel, so sollt ihr auf Erden barmherzig sein« (Targ. Jeruš., I Lev , . . . )“. Bei (Strack-)Billerbeck II, , erfahren wir, daß der Targum mit diesem Spruch das Verbot begründet, ein Rind oder Schaf am gleichen Tag wie sein Junges zu schlachten! Außerdem erfahren wir, daß ein Rabbi Jose b. Bun (um n. Chr.) diese Begründung kritisiert hat. „Die handeln nicht recht, die Gottes Eigenschaften zu lauter Erbarmen machen . . . denn sie machen die Gebote Gottes zu lauter Erbarmen“. Eine näherliegende Parallele nennt J. Bonsirven, Textes rabbiniques des deux premiers siècles chrétiens pour servir à l’intelligence du Nouveau Testament, Rom , : „Der Heilige, gepriesen sei Er, wird barmherzig genannt; sei gleichermaßen barmherzig; er wird auch mitleidsvoll genannt; sei gleichermaßen mitleidsvoll. Der Ort [Ersatz für das Tetragramm] wird gerecht genannt: sei auch gerecht; er wird voll von Güte genannt: sei auch voll von Güte“ (Sifre Dtn § , p. ). Schon aufgrund der Datierungsprobleme wird man in keinem Fall an Abhängigkeit denken. Höchst bemerkenswert ist übrigens das Kapitel „Der Gottesbegriff“ in J. Klausners: Jesus von Nazareth. Seine Zeit, sein Leben und seine Lehre, Berlin , S. –. 140 Z. B. J. D. G. Dunn, a. Anm. a. O., S. . 141 Hier sei hingewiesen auf den ausgezeichneten Aufsatz von K. Backhaus, Mose und der Mos Maiorum. Das Alter des Judentums als Argument für die Attraktivität des Christentums in der Apostelgeschichte, in: Chr. Böttrich/J. Herzer (Hgg.), Josephus und das Neue Testament, Tübingen , –. 142 M. Hengel, Jakobus der Herrenbruder – der erste Papst?, in: Ders., Paulus und Jakobus, Kl. Schriften III (WUNT ) Tübingen , –.
Tempelreinigung oder Tempelblasphemie?
änderte Konservierung des Judentums“ hinausläuft,143 dann kann es sich eigentlich nur um seine Kritik am Opferkult gehandelt haben, wenn man ihm Gesetzesbruch vorwirft. Das judenchristliche Ebionitenevangelium enthielt nach Epiphanius, pan. XXX, das Jesuswort: „Ich bin gekommen, die Opfer aufzulösen, und wenn ihr nicht mit dem Opfern aufhört, wird der Zorn (Gottes) über euch nicht aufhören.“144 So spricht also manches dafür, daß die Kultkritik Jesu im Judenchristentum nachgewirkt hat. b) Welchen Wert haben die alternativen Deutungen der TA, die von Sympathisanten der Third Quest angeboten werden?145 P. Richardsons erste Deutung, Jesu Zorn habe sich auf die Verwendung des heidnische Symbole zeigenden tyrischen Geldes bezogen, ist äußerst unwahrscheinlich. () Die in ihrer Authentizität nicht anzufechtende Perikope vom Zinsgroschen (Mk ,–) zeigt, daß Jesus keinerlei Allergie gegen den römischen Denar besaß. Bei Ausgrabungen in Jerusalem sind viele Münzen mit Kaiserbildern und heidnischen Symbolen gefunden worden146 – wie das Schweigen des Josephus zeigt, hat sich darüber niemand aufgeregt. Der Denar war als Zahlungsmittel unentbehrlich; mit dem von Pilatus und Herodes Antipas geprägten Kupfergeld wäre kein Geschäftsleben möglich gewesen. Wenn das der Grund für die TA gewesen wäre, wäre Jesus wirklich singulär gewesen, was er doch für die Third Quest nicht gewesen sein darf! Darüber hinaus wäre aber bei dieser Hypothese unerklärlich, warum Jesus die Taubenverkäufer vertrieben haben sollte. () Daß Jesus über die Möglichkeit der Heiden, infolge der herodianischen Tempelerweiterung näher an das eigentliche Tempelareal heranzukommen, erzürnt gewesen sei, ist eine völlig aus der Luft gegriffene These; denn Jesus war nicht paganophob. Es ist eine gesicherte Erkenntnis der redaktionsgeschichtlichen Mt-Forschung, daß Mt ,b– und , der matthäischen Feder entstammen, der damit seine heilsgeschichtliche Sicht dokumentierte.147 Der irdische Jesus ist der Messias Judaeorum, der Auferstandene ist der redemptor gentium. Drei alte Überlieferungen (Mt ,–//Lk ,–; Mk ,–//Mt ,–//Lk ,–; Mk ,–//Mt , –) zeigen ein anderes Bild vom historischen Jesus: „Though the genuineness of some features in the individual stories may be doubted, they multiply attest to Jesus’ unreserved attitude towards being in contact with Gentiles.“148 Außerdem: Hätte Jesus etwas gegen die Nähe von Heiden zum Tempel gehabt, müßte man ihm ein sehr gesteigertes kultisches Heiligkeitsdenken zuschreiben – dafür gibt es in der Überlieferung keinen Anhalt. 143 F. Siegert, Das Evangelium des Johannes in seiner ursprünglichen Gestalt (SIJD ), Göttingen , A. . 144 Weitere ebionitische Kritik am Opferdienst: Ps-Clem Rec I, ff.: Mose hat den Opferkult nur wegen der Verderbtheit des Volkes geduldet; der wahre Prophet Jesus hat stattdessen die Wassertaufe zur Vergebung der Sünden eingeführt. 145 S. oben S. –. 146 So z. B.: H. K. Bond, The Coins of Pontius Pilate, JSJ , , –. 147 S. H. Frankemölle, Jahwebund und Kirche Christi, Münster (NT N.F. ), –, – . 148 T. Holmén, a. Anm. a. O., A. .
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() Richardsons dritte Erklärung, in hartem Widerspruch zur zweiten stehend, hält einen Zornesausbruch Jesu für möglich, weil sich die Heiden nur im Vorhof, aber nicht im eigentlichen Temenos aufhalten dürfen. Das setzt voraus, daß der Tempel für Jesus etwas besonders Wichtiges ist, woran die Heiden unbedingt Anteil bekommen müssen – das ist mit der Überlieferung wieder nicht zu belegen. Auch die Aktion gegen Geldwechsler und Taubenverkäufer paßt zu Richardsons . und . Hypothese überhaupt nicht. E. Regev149 versucht, die TA als Protest Jesu gegen das Geschäftsgebaren der Tempelbank, insbesondere die Arbeit mit kultisch unreinem Geld von Sündern zu deuten. Setzt diese These wieder einmal ein nicht belegbares Interesse Jesu an kultischer Reinheit voraus, so paßt sie auch sonst nicht zum Berichteten. Kritik an der Tempelbank hätte ihren Ort im Vorhof der Israeliten gehabt, ihre Adressaten hätten die priesterlichen Bankiers sein müssen, nicht deren kleinste Handlanger, die Geldwechsler, und die Taubenverkäufer hätten völlig unbehelligt bleiben müssen. Irreführend ist die Argumentation von P. Fiedler, der sich D. Zeller anschließt. Sie gehen davon aus, daß Jesus mit den Jüngern das Passamahl gefeiert hat. „Ein Jesus, der mit einer »Tempelaktion« den heilsmittlerischen Anspruch des dort vollzogenen Kults bekämpft und wenige Tage später die Geltung eben dieses Kultes durch seine Teilnahme daran bekräftigt . . . , vereint doch wohl entschieden zu viel Widersprüchliches in sich, als dass er der Wirklichkeit entsprechen könnte.“150 Nun wird schon längst mit guten Gründen bezweifelt, daß das Abschiedsmahl Jesu mit seinen Jüngern ein Passamahl gewesen ist. Ich nenne nur die Hauptgründe, die dagegen sprechen. () Den ältesten Mahlberichten Kor ,– und Mk ,– fehlt jeder Hinweis auf für das Passamahl typische Elemente: Mazzen, Bitterkräuter, Fruchtmus und vor allem das Lamm. () Die johanneische Datierung des Todes auf den Rüsttag ist wahrscheinlicher als die synoptische, v. a. wegen der am Feiertag problematischen Aktionen des Synhedriums und der bei Markus verbliebenen Spuren einer der johanneischen gleichen Chronologie (,f.; ,..). So hat es gute Gründe, wenn sich viele Jesusforscher gegen ein Passamahl aussprechen.151 So dürfte es sich bei diesen Thesen letztlich nur um Versuche handeln, den eigentlichen Konfliktpunkt zu verharmlosen und zu verschleiern. Dasselbe gilt m. E. auch für drei neuere Markuskommentare. Sie kehren alle zur guten alten Tempelreinigung zurück. Während P. Dschulnigg152 wenigstens anmer149 E. Regev, Moral Impurity and the Temple in Early Christianity in Light of Qumranic Ideology and Ancient Greek Practice, HTR (), –. 150 P. Fiedler, a. Anm. a. O., ; D. Zeller, a. Anm. a. O., f. 151 So J. Becker, Jesus von Nazaret, Berlin/New York , . G. Theißen/A. Merz, a. Anm. a. O., f.; J. P. Meier, A Marginal Jew, I, New York usw. , –; M. Gielen, a. Anm. a. O., ; J. Roloff, Jesus, München , ; R. Hoppe, Jesus von Nazaret, Zwischen Macht und Ohnmacht, Stuttgart , f. 152 P. Dschulnigg, Das Markusevangelium, Stuttgart (Theologischer Kommentar zum Neuen Testament ), A. u. .
Tempelreinigung oder Tempelblasphemie?
kungsweise andeutet, daß diese Auffassung nicht ganz unbestritten ist, übergeht F. Lentzen-Deis153 die seit Jahren gegen diese Deutung vorgebrachten Zweifel völlig und schwelgt in einem tempeltreuen Jesus. Ein Höchstmaß an Desinformation bietet der Kommentar von A. Yarbro Collins: Das „Durchtrageverbot“ V. wird gegenüber der Lightfootschen Erklärung noch verschärft: „() the whole temple mount, including the outer court, is sacred and only sacred vessels and implements are allowed there; () it is improper to take a shortcut through the temple precinct while carrying a profane vessel or tool.“154 Von der Problematik dieser Interpretation erfährt die Leserschaft nichts. Vielmehr wird noch draufgesattelt: „it is likely that his action against those buying and selling doves indicates his advocacy of an ideal temple along the lines of those described by Ezekiel and the Temple Scroll“, ohne daß die geringsten Berührungen dieser Texte mit der Jesustradition aufgewiesen würden, geschweige denn, daß der in der Jesusüberlieferung deutlich erkennbaren kritischen Distanz zum Tempel die geringste Beachtung geschenkt würde. Natürlich wird auch die angebliche Allergie Jesu gegen die tyrische Didrachme ins Feld geführt.155 Eine Sonderstellung innerhalb der Third Quest nimmt das Lehrbuch von G. Theißen und A. Merz ein. Sie erkennen die TA uneingeschränkt als „kultkritische Symbolhandlung“.156 Die damit verbundene Botschaft vom Untergang des Tempels mußte „bei den Jüngern tiefe Unsicherheit bewirken. Aus der bisherigen Verkündigung Jesu konnten sie diese tempelkritische Zuspitzung nicht vorhersehen“.157 Das konnte ja einen (vorübergehenden) Ausschluß vom Heil bedeuten – daher wollte Jesus beim letzten Mahl einen Ersatz schaffen. Aber diese Überlegungen setzen wieder voraus, daß Jesus und seine Jünger streng im common Judaism standen. Nach dem oben Dargelegten konnte die Tempelkritik Jesu die Jünger nicht überraschen, und aus der Verkündigung Jesu gibt es nicht die geringste Nötigung für einen Ersatzkult. Auch diese Konstruktion dient nur einem vorgefaßten Jesusbild. Wenn J. Ådna in seiner durch die kritische Aufarbeitung der Literatur bis zum Jahr sehr hilfreichen Arbeit die Tempelkritik Jesu mit der Stiftung des Abendmahls verbindet, allerdings als einer auf seinen Sühnetod bezogenen Kulthandlung158 – dann sieht er Jesus viel zu stark in das kultische Denken eingebunden und verkennt, daß es für die Sühnetodvorstellung in der Botschaft Jesu keine belastbaren Zeugnisse gibt.159
153 F. Lentzen-Deis, Das Markus-Evangelium. Ein Kommentar für die Praxis, bearb. v. M. Grilli und C. Langner, Stuttgart , –. 154 A. Yarbro Collins, a. Anm. a. O., , unter Verweis auf Ez – und Q :–. 155 ebd. 156 A. Anm. a. O., . 157 ebd. . 158 A. Anm. a. O., –. 159 S. J. Roloff, Anfänge der soteriologischen Deutung des Todes Jesu, NTS , , –; G. Häfner, a. Anm. a. O., –.
Markus ,f.
Das Verständnis der Tempelaktion Jesu als einer prophetischen Zeichenhandlung, die den Kult kurzzeitig unterbrechen sollte, wird allein allen Sachverhalten von Mk ,f.– gerecht. Die Frage nach der Motivation der Kultkritik muß aber schärfer als bisher gefaßt werden. Sie sollte kein Aufruf zur Buße, keine Kritik am falschen Verhalten des Kultpersonals oder der Kultteilnehmer o. ä. sein. Sie entsprang der Eigenart seiner Gottesverkündigung in Wort und Tat. Der Gott Jesu ist kein Großkönig, der einen Vertrag mit seinen Vasallen schließt und dann die Einhaltung der Vertragsbedingungen mit drakonischen Maßnahmen einfordert. Der Gott Jesu ist ein bedingungslos gütiger Vater. Damit stand Jesus im Widerspruch zur priesterlichen Theologie der Tora, die für die Mehrheit seiner Zeitgenossen in Israel verbindlich war. Ein Konflikt war unausweichlich: „Letztlich geht es in der Konfrontation Jesu mit seinen Gegnern um das richtige Gottesbild beziehungsweise um die rechte Interpretation Gottes in der Praxis.“160 Wer auf dem Boden der Tora stand, mußte Jesu Aktion als Tempelblasphemie beurteilen und verurteilen.
160
H. Merklein, a. Anm. a. O., .
Jesus und die Tora Eine forschungsgeschichtliche Skizze von Reimarus zu Wellhausen * Otto Merk in piam memoriam
Das Problemfeld »Jesus und die Tora« ist jedem Leser und jeder Leserin der synoptischen Evangelien bekannt. Einerseits finden wir Texte, die Jesus als gesetzestreuen Juden erscheinen lassen, so vor allem in der Präambel zu den sogenannten Antithesen der Bergpredigt: „Meint nicht, daß ich gekommen bin, Gesetz und Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen . . . “ (Mt ,). Andererseits lesen wir im Matthäusevangelium – und noch deutlicher bei Markus – von Konflikten Jesu etwa mit dem Sabbatgebot, den Reinheitsgeboten oder der Ehescheidungsgesetzgebung. So kamen schon die Theologen der Alten Kirche zu sehr unterschiedlichen Auffassungen über die Bedeutung von Mt ,, wie Adolf Harnack1 in einer Akademieabhandlung gezeigt hat: „das Gesetz erfüllen“ kann heißen, „es durch Gehorsam erfüllen“; es kann meinen, das Gesetz auf die Liebe und innere Wahrhaftigkeit zurückzuführen und damit vertiefen; solche Vertiefung kann sogar gewissen Zulassungen des Gesetzes entgegentreten; schließlich hat es »Ketzer« gegeben, die dieses Wort für eine Fälschung hielten. Seit dem Aufkommen der historisch-kritischen Forschung ist die Frage schwieriger geworden; denn es gilt nun nicht mehr nur die Evangelien zu einem Bild zu harmonisieren, sondern hinter dem biblischen Christus den Jesus der Geschichte zu entdecken. Mit den ersten Jahren dieses Problems befaßt sich unsere Untersuchung, die eine anspruchslose auslegungsgeschichtliche Untersuchung eines Detailthemas der Jesusforschung ist. Literatur nenne ich nur, wo sie mir zum Thema nötig erscheint. Die Autoren sollen so oft wie möglich selbst zu Wort kommen; denn im Original kommen immer wieder Obertöne zu Gehör, die möglicherweise die Sicherheit eines Urteils etwas einschränken oder aber hervorheben.
* Dieser Aufsatz ist die stark erweiterte Fassung eines Vortrages bei einem Festkolloquium zu Ehren des . Geburtstages von Otto Merk am . . , dem ich für Jahre währende Verbundenheit dankbar bin. Dem Kollegen Peter Pilhofer danke ich wieder für Rat und Hilfe und Jutta Kemper, Osnabrück, für Hilfe bei der Literaturbeschaffung. 1 A. Harnack: Geschichte eines programmatischen Worts Jesu (Matth. ,) in der ältesten Kirche, SPAW , – = Geschichte eines programmatischen Worts Jesu (Matth. ,) in der ältesten Kirche, in: Adolf von Harnack: Kleine Schriften zur Alten Kirche. Berliner Akademieschriften – . Mit einem Vorwort von Jürgen Dummer. Opuscula Band IX, Leipzig , S. –.
Jesus und die Tora
I Das Vorspiel 2 Hermann Samuel Reimarus, seit Lehrer für orientalische Sprachen am Akademischen Gymnasium in Hamburg, hat die Frage nach dem historischen Jesus in Deutschland eingeführt.3 Er war Anhänger und Propagandist des Deismus, jener in England entstandenen Vernunftreligion, die zwar noch die Existenz eines „höchsten Wesens“ annahm, ihm aber keine Rolle in der Welt mehr zubilligte. Gott hat dem Menschen die Vernunft gegeben – das ist genug. Eine Offenbarung, wie sie Judentum und Christentum behaupten, gibt es nicht, sie ist Priesterbetrug. Dies zu beweisen war die Absicht einer Schrift, an der er etwa Jahre lang im Verborgenen gearbeitet hat. „Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes“ sollte ihr Titel sein. Bei seinem Tod umfaßte das Manuskript handgeschriebene Seiten. Er hatte es nicht gewagt, seinen Frontalangriff auf Judentum und Christentum an die Öffentlichkeit zu bringen; seine Erben übergaben das opus der Herzoglichen Bibliothek in Wolfenbüttel, deren Direktor Gotthold Ephraim Lessing, ein Freund der Familie, war. Er gab ab mehrere Auszüge, „Fragmente“ aus dem Nachlaß heraus; um die Familie zu schützen, verschwieg er den Verfasser und gab den sieben Veröffentlichungen den Titel „Fragmente eines Ungenannten die Offenbarung betreffend“. Das siebte „Fragment“ mit der Überschrift „Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger“ hat seinerzeit den größten Wirbel ausgelöst, behauptete der Verfasser doch, Jesus habe ganz andere Absichten gehabt als ihm nach seinem Tod von seinen Jüngern beigelegt wurden. Zum Verständnis des Reimarusschen Jesusbildes ist zunächst wichtig, daß er Jesus in den Rahmen der Zeitgeschichte stellt. Das . Kapitel des zweiten, neutestamentlichen Teils, handelt „vom Zustande des Judenthums und praktischer Religion Jesu.“4 Seine negative Sicht faßt der Satz zusammen: „Mit einem Worte, die Jüdische Religion war im Grunde verdorben, und brauchte eine große Reformation.“5 Als zweiten bedeutsamen Sachverhalt macht er geltend: „Je verworrener es nun zu den Zeiten Jesu schon aussahe, je lebhafter wurde die Erwartung des verheissenen Messias: indem sie meynten, daß es nun aufs äusserste kommen wäre, da Gott seine Weissagungen von einem künftigen Erlöser seines Volks erfüllen müste.“6 Nach Dan , und ,f. erwarteten die Juden eine irdische Theokratie, und unter Verweis auf 2 Unter etwas anderer Fragestellung sind Quellen dieses und des folgenden Abschnitts behandelt von M. Myllikoski: Jesus, der Jude, in der Tübinger Schule. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des liberalen Jesus-Bildes, in: P. v. Gemünden/D. G. Horrell/M. Küchler (Hgg.), Jesus. Gestalt und Gestaltungen. Rezeptionen des Galiläers in Wissenschaft, Kirche und Gesellschaft, FS für G. Theißen, NTOA/SUNT , Göttingen , –. 3 Seine Abhängigkeit von englischen Deisten ist bekannt; dazu Genaueres bei J. C. P. Birch, The Road to Reimarus: Origins of the Quest for the Historical Jesus, in: Holy Land as Homeland? Models for Constructing the Historic Landscapes of Jesus, hg. v. K. W. Whitelam, Sheffield , –. 4 Wir zitieren nach der ersten Gesamtausgabe des Werkes durch G. Alexander: H. S. Reimarus, Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes, Frankfurt , Bde.; das NT ist im Bd. behandelt, das Zitat dort S. . 5 Ibid., . 6 Ibid., .
Eine forschungsgeschichtliche Skizze von Reimarus zu Wellhausen
Mt ,ff. stellt Reimarus fest: „Selbst die Jünger Jesu machten sich sehr weltliche Gedanken von diesem Reiche der Herrlichkeit.“7 Allerdings gab es auch Männer, die versuchten, „die damalige starke Erwartung eines verheissenen Erretters der Israeliten in ihre falschen Absichten mit einzuflechten, und sich durch trügerische Wunder den Weg zu einer weltlichen Macht zu bahnen, dergleichen sich die Juden zu der Zeit von ihrem Messias versprachen.“8 Reimarus fügt aber sofort an: „Ferne sey es von uns, daß wir aus solcher Leute falsche Absichten auf eine Ähnlichkeit mit Jesu schließen sollten, da seine Lehre und Vorschrifften lauter große, praktische und heilsame Wahrheiten enthalten, welche nicht allein die Jüdische Religion von ihren Schlacken reinigen, sondern auch dem gantzen menschlichen Geschlechte den rechten Weg zur zeitlichen und ewigen Glückseligkeit weisen sollten.“9 Damit hat Reimarus die Rollen benannt, die Jesus spielen sollte. Jesus war ein großartiger Ethiker; dabei denkt Reimarus an das Doppelgebot der Liebe, das Gebot der Feindesliebe und an andere weisheitliche Texte, die zur deistischen Weltanschauung passen.10 Aber: „in der Lehre Jesu ist nicht alles von einem Schlage.“11 Denn ein Teil seiner Lehre „ist bloß auf die Juden und deren väterliche Religion, Gebräuche und eingeführte Meynungen gerichtet. Denn es ist offenbar, daß Jesus sich selbst in allen äusserlichen Handlungen nach der Jüdischen Weise bequehmt, und dabey hoch betheuret habe, daß er nichts von dem gantzen Gesetze, selbst von den kleinsten Geboten, abzuschaffen willens sey.“12 Und so widmet er das . Capitel dem Thema: „Jesus, als der Messias, wollte die Levitischen Gebräuche nicht ändern.“13 Zwar ging Jesu reformatorische Absicht darauf aus, das „Sittengesetz“ einzuschärfen; es sollte im Konfliktfall den Vorrang vor dem Zeremonialgesetz haben, dieses aber nicht ausschließen. Mit einer Anspielung auf Mt , sagt er: „Es hieße: das eine thun, und das andere nicht lassen.“14 Zum Erweis der Observanz Jesu geht Reimarus die Evangelien durch und findet bei Lukas ein tora- und tempeltreues Elternhaus: „Warum sollte denn Jesus nicht in die Fußstapfen getreten seyn?“15 Die mehrfachen Festreisen nach Jerusalem im . Evangelium werden mit der nicht belegten Behauptung verbunden „und verrichtet daselbst was Gesetz und Gewohnheit mit sich brachte.“16 Daß Jesus das Passamahl feierte, „wird zwar nur ein mal, nämlich an seinem letzten Osterfeste erwehnt; aber es ist kein Zweiffel, daß er es allemal ordentlich so gehalten habe, und daß die Evangelisten das Gewöhnliche, in seiner Geschichte, wo keine besondere Gelegenheit und 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Ibid. . Ibid. . Ibid. Ibid. –. Ibid. . Ibid. Ibid. –. Ibid. . Ibid. . Ibid.
Jesus und die Tora
Ursache der Erwehnung vorkam, vorbeygegangen sind. Daher auch zu schliessen ist, daß Jesus ausser dem Opfer des Osterlams, andere Opfer gebracht habe . . . “17 Aus der legendarisch anmutenden Geschichte vom Stater im Fischmaul (Mt ,–) schließt er gar, Jesus habe seine jährliche Tempelsteuer bezahlt.18 Erzählungen des . Evangeliums, daß Jesus sogar nicht von Mose, sondern nur von der jüdischen Tradition gebotene Feste mitgefeiert habe (Joh ,; ,)19 zeigen schließlich, daß Jesus „dem Judenthum überhaupt keinen Stoß geben, und um so weniger das geschriebene Gesetz aufheben“ wollte.20 „Die Lehre Jesu stimmt mit seinem Betragen überein“21 . So überschreibt Reimarus seine weiteren Ausführungen. Hier zitiert er natürlich das matth. Sondergut Mt ,–; ,.., aber auch die Anweisungen an vom Aussatz Geheilte, das vorgeschriebene Opfer darzubringen (Mt ,; Mk ,; Lk ,). Selbst die „Verzichterklärung“ Jesu beim Passamahl (Mt ,) gilt als „Lehre“: „Das verstehe ich so: die Oster-Maalzeit, und also das Fest und Fest-Opfer solle nach fortdauren und gehalten werden, wenn er, als der Messias, das Himmelreich, oder das Reich seines Vaters anfangen, und zu dem Ende wiederkommen würde. Also hat Jesus solchen Begriff von dem Messias-Amte gehabt und gegeben, daß es die Juden besonders angehe, und daß dadurch ihr Levitisches Gesetz . . . noch besser und genauer als jemals in Erfüllung gebracht werden müsse.“22 So ist das Bild des gesetzestreuen Jesus ein Mosaik aus drei Evangelien – Mk spielt keine Rolle –, wobei das matthäische Sondergut stark hervortritt. Man erinnert sich daran, daß Reimarus im Blick auf den nur bei Mt zu findenden Taufbefehl geäußert hatte, es müsse „einem nothwendig einfallen, daß in diesem Evangelisten, so wie wir ihn jetzt haben, viele eingeschobene, unglaubliche, und falsche Dinge vorkommen.“23 Hätte er solche Vorsicht nicht nur bei einem ihm unangenehmen Sachverhalt walten lassen! Wie kommt es nun, daß dieses Jesusbild nicht klar in den Evangelien erscheint? Jesus hatte mit Hilfe sehr fragwürdiger Betrügereien gehofft, ein weltliches Königreich zu errichten und seinen Jüngern enorme Belohnungen in Aussicht gestellt (Mt ,– ).24 Durch seinen schmählichen Tod am Kreuz wurden diese Hoffnungen zunichte gemacht; aber die Herren waren der Arbeit entwöhnt und wollten ein gutes Leben als Sektenführer haben. Daher stahlen sie den Leichnam Jesu und behaupteten, er sei auferstanden und käme bald in Herrlickeit. Da sie aber unter den Juden nur wenig Erfolg hatten, sollten auch die Heiden einbezogen werden. „Weil aber die Heyden für sich an das Levitische Gesetz Mosis, als bloßes unterscheydendes National-Gesetz der Juden, nicht gebunden waren, und doch auch einen grossen Wiederwillen dagegen hatten: so konnten die Apostel, ihrem System ungeschadet, den Heyden solche uner17 18 19 20 21 22 23 24
Ibid. Ibid. . Ibid. . Ibid. Ibid. Ibid. f. Ibid. . Ibid. f. Die »Ehrenerklärung« von S. ist vergessen!
Eine forschungsgeschichtliche Skizze von Reimarus zu Wellhausen
trägliche Last schenken.“25 Allerdings bleibt das Urteil: „So klug nun die Apostel in der Aufhebung des levitischen Gesetzes nach ihrer Absicht handelten, so bleibt doch gewiß und wahr, daß sie dadurch ihres Meisters System in dem wichtigsten Theile änderten.“26 Warum aber überlieferten „die Apostel“ dann die gesetzteskonformen Worte und Handlungen Jesu – diese Grundfrage bleibt unerörtert. Johann Salomo Semler, ein Wegbereiter der historisch-kritischen Forschung, hat eine „Beantwortung der Fragmente eines Ungenannten“ versucht. Wie bei allen seinen Arbeiten ist auch hier zu kritisieren, daß er keine „gut aufgebaute und logisch fortschreitende Darstellung eines Sachverhalts zu geben vermochte.“27 Gegen die These von der rein jüdischen Verkündigung Jesu setzt er die These von der doppelten Lehrart Jesu:28 Gegenüber den Einfältigen unter seinen Hörern mußte er ihre Sprache und Denkweise gebrauchen, er mußte sich „accomodieren“, während er Fortgeschrittenen eine geistliche Lehre vermittelte. So kann Semler Mt ,ff. festhalten, aber nur deswegen, weil Jesus den „Hauptinhalt“ von Gesetz und Propheten „viel größer, volkommener und ausgedehnter“ lehren wollte.29 Dieser Versuch, mit den unterschiedlichen Aussagen zurechtzukommen, ist nicht besser, aber auch nicht schlechter als die plumpe Fälschungstheorie des Gegners. Wichtig ist allerdings die Feststellung Semlers, daß Jesus die Vorstellung seiner Zeitgenossen vom Reich Gottes durchaus neu interpretiert hat, wenn er das Reich Gottes etwa den geistlich Armen, Demütigen (Mt ,ff.) und sogar Heiden (Mt ,f.) zuspricht.30 So kann er behaupten, „daß Jesus ganz andere, ganz unbekante, sehr anstößige, neue, ungewöhnliche Vorstellungen ausgebreitet hat.“31 Auch der Hinweis auf gesetzeskritische Jesusworte wie Mt , und Mt ,, die Reimarus stillschweigend übergangen hatte, ist von Belang.32 Schließlich soll aus dem Sammelsurium der Semlerschen Gegenargumente noch sein Hinweis auf mehrere Texte aus Talmud und Midrasch genannt werden, die dem Messias Gesetzesänderungen zuschreiben.33 Auch diese hätte Reimarus aus denselben Quellensammlungen wie Semler kennen und bedenken müssen. Das Problem des historischen Jesus war gestellt und damit auch die Frage nach der Stellung Jesu zur Tora.
25
Ibid. . Ibid. . 27 W. G. Kümmel, Das Neue Testament. Geschichte der Erforschung seiner Probleme, Freiburg/ München , . 28 J. S. Semlers Beantwortung der Fragmente eines Ungenannten, insbesondere vom Zweck Jesu und seiner Jünger, Halle , ff. 29 Ibid. . 30 Ibid. f., . 31 Ibid. . 32 Ibid. . 33 Ibid. ff. 26
Jesus und die Tora
II Jesus in Tübingen Die Jesusforschung im wissenschaftlichen Sinn beginnt mit David Friedrich Straußens „Das Leben Jesu kritisch bearbeitet“ (/). Er hat – wie Reimarus – ein erkenntnisleitendes Interesse, aber er arbeitet nicht mit der Hermeneutik des Verdachts, sondern mit den Quellen. Hierbei ist sein erstes großes Verdienst die durch Vergleich der synoptisch-johanneischen Parallelperikopen begründete Einsicht, daß die johanneischen Fassungen stets jünger sind und daher als historische Quelle wegfallen.34 Sowohl Reimarus als auch Semler hatten sich natürlich auch auf Johannes berufen. Ein zweites Verdienst ist in Straußens Versuch zu sehen, die Frage nach der „Echtheit“ von Überlieferungsstücken nicht bloß nach „Gefühl und Wellenschlag“ zu entscheiden, sondern mit Hilfe eines nachprüfbaren Kriteriums.35 Dieses Kriterium fand Strauß in der Mythenforschung des Göttinger Klassischen Philologen Christian Gottlob Heyne († ), der den Mythos als Sprach- und Denkform der Frühzeit der Menschheit zu verstehen gelehrt hatte. Der Ausleger muss also die mythische Einkleidung abstreifen, um der dahinter stehenden Fakten oder Ideen ansichtig zu werden. Der Göttinger Exeget Johann Gottfried Eichhorn und die Altdorfer Exegeten Johann Philipp Gabler und Georg Lorenz Bauer hatten dieses Konzept schon für das Alte Testament und gelegentlich auch für das Neue Testament fruchtbar gemacht.36 Strauß hat erstmals umfassend den gesamten Evangelienstoff unter diese Fragestellung gebracht. Als historisch lässt er nur solche Erzählungen gelten, für die es weder aus dem Alten Testament noch aus der Literatur der Umwelt Vorbilder gibt. Für die Wortüberlieferung hat Strauß aber kein diakritisches Prinzip. So stellt er deutlich die Aporie heraus zwischen einem als gesetzestreu dargestellten Jesus und gewissen Handlungen und Aussprüchen Jesu, die die Absicht vermuten lassen, er wolle „die Abschaffung des Mosaismus“37 . Wenn Jesus im Gespräch mit einem Schriftgelehrten (Mt ,ff.) „Gottes- und Nächstenliebe für das Wesentliche im Gesetz erklärt“, dann „kann nicht verborgen bleiben, daß ebendamit dasjenige im Gesetz, was auf diese beiden Punkte sich nicht bezieht, als Unwesentliches bestimmt ist“38 . Doch nennt Strauß auch Belegstellen, „welche zu beweisen scheinen, daß er an einen Umsturz der alten Religionsverfassung seines Volkes nicht gedacht habe“39 , nämlich seine Teilnahme am Synagogengottesdienst und an den Wallfahrten nach Jerusalem und die Teilnahme am Passamahl. Die Heilungen am Sabbat und der Verzicht auf kulti34
D. Fr. Strauß: Das Leben Jesu kritisch bearbeitet, . Bd., Tübingen , passim. Mit der Mehrheit der Zunft hält er die Matthäuspriorität für richtig ( A. ), hat sie aber durch seine Sicht der Wunderüberlieferung noch zusätzlich bekräftigt (–). 35 Explizit gibt erst die „Dritte mit Rücksicht auf die Gegenschriften verbesserten Auflage“, Tübingen , –, „Kriterien des Unhistorischen in der evangelischen Erzählung“; in der . Auflage erklärt er es für besser, seine Kriterien „dem Verlauf der Untersuchung einzuflechten“ (D. Fr. Strauß, Das Leben Jesu kritisch bearbeitet I, Tübingen , ). 36 S. O. Merk, Biblische Theologie des Neuen Testaments in ihrer Anfangszeit, MTS , , ff.; ff. 37 A. Anm. a. O., . 38 Ibid. . 39 Ibid.
Eine forschungsgeschichtliche Skizze von Reimarus zu Wellhausen
sche Waschungen vor Tische waren nicht gegen das mosaische Gesetz, sondern nur gegen den „späteren Kleinigkeitsgeist“40 gerichtet. Natürlich kommt auch Mt ,– zur Geltung und das in der Apostelgeschichte geschilderte tempel- und toratreue Verhalten der Apostel.41 Er diskutiert einige Lösungsversuche dieses Widerspruchs, wobei er v. a. die Akkomodationstheorie scharf ablehnt ohne Semler zu nennen.42 Er hält „die Untersuchung zwischen wirklich mosaischen Vorschriften und den traditionellen Zusätzen zu denselben“ für „glücklicher“ und beruft sich dafür auf den großen Rationalisten H. E. G. Paulus, den er sonst oft belächelt.43 Belege dafür sind Mt ,ff.; ,; ,. Unter dem pharisäischen Satzungswesen verlor sich „der edle sittliche Kern des mosaischen Gesetzes“44 , aber die Bergpredigt zeigt, daß Jesus „das blos Rituelle nicht aufzuheben beabsichtigte.“45 Das führt zu einer leisen Kritik: „Consequenterweise hätte . . . Jesus, wenn er einmal das auf Sittlichkeit und geistige Gottesverehrung sich Beziehende als das allein Wesentliche in der Religion erkannt hatte, alles blos Rituelle, sofern es sich religiöse Bedeutung anmaßte, dergleichen sich schon eine große Masse im mosaischen Gesetze selber fand, verwerfen müssen: allein man weiß, wie langsam solche Consequenzen, wenn ihnen ein geheiligtes Herkommen entgegensteht, gezogen werden.“46 Wie gering er die Bedeutung der Tora für Jesus einschätzt, geht aus einer Überlegung zu Mt ,f. hervor: Die Konzession der Ehescheidung war „dem alten Hebräervolk“ gegeben, ist aber „jetzt, bei fortgeschrittener Bildung“ nicht mehr gültig. Hier sieht Strauß den paulinischen Gedanken des νόµος παιδαγωγός von Gal , schon „im Keime“ vorliegen.47 Durch seine Erklärung der Wunder als Ergebnisse der „absichtslos dichtenden Sage“48 hat Strauß zwar den häßlichen Vorwurf beseitigt, Jesus habe Wunder vorgetäuscht, aber es war kein Wunder, daß der Wegfall aller Wunder die Zeitgenossen empörte; die Wogen schlugen bis nach Amerika.49 Für Strauß selbst war dieses kritische Ergebnis durchaus erwünscht. Er war nämlich Anhänger der Hegelschen Philosophie, für die Gott Mensch und der Mensch göttlichen Geschlechts ist; es geht um die Einheit von göttlicher und menschlicher Natur in der Menschheit allgemein, nicht in einem Individuum.50 Im Blick auf unser Thema hat er gewissermaßen eine Mittelposition zwischen Reimarus und Semler eingenommen. Er hat sich zwar als sensibler Exeget gezeigt, der torakritische Elemente bei Jesus spürt, konnte aber der Matthäuspriorität nicht trotzen. Auffällig ist, daß er sein Ergebnis nicht in Bezug zu 40
Ibid. . Ibid. 42 Ibid. . 43 Ibid. . 44 Ibid. . 45 Ibid. 46 Ibid. 47 Ibid. . 48 Ibid. . 49 S. E. Hurth, In His Name. Comparative Studies in the Quest for the Historical Jesus, EHS /, Frankfurt/Main . 50 D. Fr. Strauß, Das Leben Jesu kritisch bearbeitet, Bd. , , –. 41
Jesus und die Tora
dem damals im Entstehen begriffenen Bild der Geschichte des Urchristentums seines Lehrers Ferdinand Christian Baur setzt. Baur war ebenfalls Hegelianer geworden und ließ sich von Hegels Auffassung vom Dreitakt der Geschichte, der von einer Thesis und ihrer Antithesis zu einer Synthesis führt, leiten. Baur las aus den großen Paulusbriefen heraus, daß der Gegensatz zwischen Judenchristentum und Heidenchristentum das große Movens der urchristlichen Geschichte gewesen sei, die zum Altkatholizismus führte.51 Über die Stellung Jesu äußerte sich Baur nicht. In seinem Spätwerk wird er das gründlich nachholen.52 Hier setzt Karl Christian Planck, ein Schüler Baurs, an. In seinem Aufsatz geht er aus von der Baurschen Anregung „durch die Hindeutungen auf die Wichtigkeit des Gegensatzes zwischen Judenchristenthum und Paulinismus für die Entwicklungsgeschichte der zwei ersten christlichen Jahrhunderte“53 und macht „das Recht der Entwicklung geltend, für welches die Gegensätze nicht blos ein von aussen kommendes, sondern das innerlich bewegende Moment sind, durch welches sich das kirchliche Bewusstsein seinen Fortschritt vermittelte.“54 Es „drängt sich auch die Frage nach dem letzten Grunde der ganzen Erscheinung auf, die Frage nach der Ursache des so lange dauernden Übergewichtes des Ebionitismus über den Paulinismus, oder . . . die Frage nach dem Ursprunge des Ebionitismus überhaupt“.55 Die Ursache könnte „entweder in der christlichen Gemeinde oder in dem Stifter derselben“ gesucht werden.56 Im ersten Fall läge der Grund im „Zusammenhang zwischen Judenthum und Christenthum, . . . es wäre also ein äusserer Einfluss, nicht ein in der Erscheinung des christlichen Princips selbst liegender Grund“57 . Im zweiten Fall aber entstünde das Problem, „wie in der Gemeinde eine dem ursprünglichen Princip so widersprechende Richtung die herrschende werden konnte. Hätte sich Jesus entschieden gegen die fortdauernde Gültigkeit des mosaischen Gesetzes ausgesprochen, so würde das eigenthümliche Verhältniss der Gemeinde zu ihrem Stifter ganz aufgehoben. Es musste also nothwendig auch in der Art und Weise des Auftretens Jesu die Möglichkeit liegen, dass die neue Wahrheit zuerst noch in jener unvollkommenen Gestalt festgehalten wurde. Andererseits dagegen muss das Bewusstsein Jesu doch ein Princip enthalten haben, welches in seiner Reinheit gefasst, die Schranken des Gesetzes durchbrach.“58 Sonst wäre ja Paulus der Stifter des Christentums! „Das christliche Princip war also in dem judenchristlichen Bewusstsein erst als einzelne unmittelbare Anschauung, noch nicht als allgemeiner
51 F. C. Baur, Die Christuspartei in der korinthischen Gemeinde, Der Gegensatz des petrinischen und paulinischen Christenthums in der ältesten Kirche, Der Apostel Petrus in Rom, Tübinger Zeitschrift für Theologie /, ff. = K. Scholder (Hg.), Historisch-kritische Untersuchungen zum Neuen Testament, F. C. Baurs Ausgewählte Werke in Einzelausgaben I, , ff. Dieser grundlegende Aufsatz zeigt, daß Baur schon früh die Bedeutung des Gegensatzes von petrinischem = judenchristlichem und paulinischem = heidenchristlichem Denken gesehen hat. 52 Siehe dazu die Ausführungen unten S. –. 53 Dr. Planck, Das Princip des Ebionitismus, Theologische Jahrbücher , , (–) . 54 Ibid. 55 Ibid. . 56 Ibid. 57 Ibid. 58 Ibid. .
Eine forschungsgeschichtliche Skizze von Reimarus zu Wellhausen
Gedanke vorhanden“59 . Deshalb konnte sich der Ebionismus „auf die Thatsache berufen, dass Jesus durch sein Princip keineswegs das Gesetz aufgehoben habe“60 .
So hat Planck aus seinen Prämissen die Frage nach Jesu Gesetzesverständnis beantwortet, bevor er die Jesusüberlieferung befragt: Jesus muß Gesetzeskritisches geäußert haben, weil sonst die Entwicklung zum gesetzesfreien Christentum ein Bruch wäre, aber er darf nicht zu sehr gesetzeskritisch eingestellt gewesen sein, weil sonst die judenchristliche (= ebionitische) Gesetzesobservanz ein Bruch mit seiner Haltung gewesen wäre. Aber Planck geht dann doch noch auf das Matthäusevangelium ein. „Als Ausgangspunkt des Bewusstseins Jesu“ sieht er „die Aufhebung der nationalen Schranken und die Erweiterung des religiösen Gesichtspunktes zum rein menschlichen“ an61 und belegt dies mit Mt ,ff. Mit der Forderung der Feindesliebe geht Jesus „über den alttestamentlichen Standpunkt überhaupt hinaus.“62 Sehr bemerkenswert ist die Feststellung: „Durch den Ausspruch, mit welchem Jesus Matth ,fg., .fg. das Fasten und das Waschen der Hände zurückweist, wird in Wahrheit das ganze Ceremonialgesetz aufgehoben, und nur noch das geistige bleibt übrig.“63 Auch Jesu Tischgemeinschaft mit Zöllnern und Sündern ist „ein untrügliches Zeichen des in ihm erwachten höheren Princips.“64 Aber „die Form, in welcher Jesus sein Princip darstellt“, war „nur die der Anschauung, die des unmittelbaren Lebens . . . , d. h. er hatte das Princip noch nicht in seiner Allgemeinheit“65 . Auch die Gesetzesobservanz des Ebionitismus beweist, daß Jesus sein Prinzip „nicht in seinem Gegensatze gegen das mosaische Gesetz ausgesprochen habe.“66 Die Ungrundsätzlichkeit der Gesetzeskritik Jesu sucht Planck an Mt ,ff. zu erweisen.67 Er stellt heraus, daß dieser Spruch nicht „eine rein geistige Erfüllung des Gesetzes“68 meine; Jesus will vielmehr „das Cerimonialgesetz fortbestehen lassen und nur die andere geistige Seite des Gesetzes in höherer Weise erfüllt wissen“69 . Mt , schließlich wird von einem Aufhören des Gesetzes „in Verbindung mit der Entwicklung des göttlichen Weltplanes“70 gesprochen – damit kann natürlich nur das alttestamentliche Gesetz gemeint sein, nicht das geistige, das gültig bleibt. Der reformerische Wille Jesu sieht also so aus: „Die positive äussere Seite des Gesetzes schien sich eben als positive, rein geschichtliche Offenbarung jener geistigen Entwicklung zu entziehen, und so blieb sie in dieser ihrer starren Objektivität für das 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70
Ibid. Ibid. Ibid. . Ibid. . Ibid. Ibid. . Ibid. Ibid. . Ibid. ff. Ibid. . Ibid. Ibid. .
Jesus und die Tora
Bewusstsein Jesu eine fortwährend gültige, wenn er auch gleich an sich über diese Seite des Gesetzes sich erhoben hatte.“71 Nur so kann der für Planck grundlegende Entwicklungsgedanke greifen: „Jenes Bewusstsein, das Jesus aussprach, musste darum bereits als Grundlage vorhanden sein, wenn der weitere Fortschritt, der durch den Paulinismus geschah, möglich sein sollte.“72 So erzeugt der Systemzwang ein unklares Bild von der Position Jeus: Jesus achtete „ebensosehr das Gegebene, Geschichtliche noch . . . , als er andrerseits ein Neues, Höheres hinzubringen wollte.“73 So antwortet Planck auf die Frage, wie Jesus den antiochenischen Zwischenfall Gal ,ff. beurteilt hätte, „mit Sicherheit“ so: „Wenn für Jesus selbst die Verbreitung des Evangeliums unter den Heiden mit dem Untergange der Theokratie verknüpft war, und wenn ihm überhaupt das Ceremonialgesetz nur als geschichtliches und unter Voraussetzung seiner bishrigen geschichtlichen Grundlage (des Fortbestehens der beschränkt jüdischen Nationalität) Gültigkeit hatte, so ergibt sich daraus unmittelbar, dass er von denen, welche ausserhalb dieses geschichtlichen Kreises standen, auch keine Beachtung des Cerimonialgesetzes verlangt haben würde.“74 Der Plancksche Christus rüttelt an den matthäischen Käfigstäben! Drei Jahre später stellte Albert Schwegler das nachapostolische Zeitalter ganz im Sinne seines Lehrers Baur dar als ständige Auseinandersetzung zwischen Judenchristentum und Heidenchristentum.75 Um den Hegelschen Dreitakt der Geschichte finden zu können, braucht Schwegler ein monolithisch gesetzestreues Urchristentum als Ausgangspunkt. „Es ist ganz unzweifelhaft und im Angesicht der paulinischen Briefe unläugbar: das Judenchristenthum selbst, wie es sich in der ersten Zeit der apostolischen Periode aussprach, wollte nur Fortsetzung, Vervollkommnun des Judenthums, das wahre und ächte Judenthum sein. Das ganze Problem des Christenthums drehte sich um die Frage, ob dieser Jesus von Nazareth der Messias sey. Der messiasgläubige Jude war Christ . . . So war das Christenthum zunächst nur eine innerjüdische Frage, . . . eine Entwicklungsphase des Judenthums“76 . Ein irgendwie gesetzeskritischer Jesus hätte dieses System gestört. Daher verzichtet Schwegler auf die Rückfrage nach Jesus. Die – teilweise modern klingende – Begründung dafür gibt er in einer umfangreichen Fußnote, die hier ganz wiedergegeben werden soll: „Wir haben es vermieden, über die Person Christi, namentlich über dasjenige, was man seinen »Plan« zu nennen pflegt, genauere Bestimmungen aufzustellen, da die Geschichtsquellen, wie 71
Ibid. . Ibid. 73 Ibid. . 74 Ibid. f. Dazu A. Wechsler, Geschichtsbild und Apostelstreit. Eine forschungsgeschichtliche und exegetische Studie über den antiochenischen Zwischenfall (Gal ,–), Berlin (BZNW ), –. 75 A. Schwegler, Das nachapostolische Zeitalter in den Hauptmomenten seiner Entwicklung, Bde., Tübingen . H. Harris, The Tübingen School. Historical and Theological Investigation of the School of F. C. Baur, Oxford , , bemerkt dazu: „Schwegler’s work marked the highest point of the Tübingen School; it was the crowning achievement, the summit, from which the path could only lead downwards.“ 76 A. Schwegler, a. a. O., Bd. , ; ebenso ; f.; ; . 72
Eine forschungsgeschichtliche Skizze von Reimarus zu Wellhausen
sich später zeigen wird, keine völlig sicheren Aussagen hierüber zulassen. In unsern Evangelien liegt grossentheils nur der Reflex vor, den die Persönlichkeit Jesu bei der Gemeinde hervorbrachte, daher ihre widersprechenden Bestandtheile. So ist das Matthäusevangelium in demjenigen, was es Christo in den Mund legt, bald entschieden particularistisch, bald entschieden universalistisch, bald jüdisch, bald antijüdisch (vgl. den Abschnitt über das Matthäusevangelium). Alles zusammengenommen kann jedoch mit grösster geschichtlicher Wahrscheinlichkeit behauptet werden, dass ein directer Rückschluss von der Denkweise der Apostel auf die Person Christi nicht begründet ist. Aus dem Benehmen der Apostel und der Haltung der Urgemeinde lässt sich nur so viel folgern, dass Christus keine doctrinellen Formeln über das Verhältniss des Chistenthums zur Heidenwelt, zum mosaischen Gesetz u. s. w. aufgestellt hat, nicht aber, dass er selbst hierüber noch jüdisch dachte. Die Vergeistigung und Verklärung des Judenthums, namentlich des Messiasbegriffs, muss in allen Fällen auf Christus selbst zurückgeführt werden, wenn es gleich, beim jetzigen Stande der Untersuchung wenigstens, fast unmöglich seyn dürfte, ein ganz sicheres und vollständiges Characterbild seiner Persönlichkeit zu entwerfen.“77
Immerhin: Eine gewisse exegetische Sensibilität mag man bei Schwegler erkennen, wenn er offen läßt, ob Jesus gesetzestreu war; denn damit wird eine gewisse Störung des Systems in Kauf genommen. Innerhalb der streng judenchristlichen Urgemeinde wäre Jesus dann geradezu eine fremde Monade gewesen, da die „Anschauungen, die das innere geistige Leben Jesu selbst erfüllten . . . seinen persönlichen Schülern verborgen blieben.“78 Hier setzt die ein Jahr später erschienene umfassende Kritik der Schweglerschen Bände durch K. Planck an.79 Er gibt Schwegler zunächst Recht, daß die judenchristlichen Worte Mt ,f. u. a. jesuanisch sein müssen, da – unter der stillschweigenden Baur’schen Voraussetzung der Urgemeinde als eines monolithischen Blocks – das Judenchristentum „eine historische Grundlage haben“ muß.80 Aber als „Hauptpunkt“ der Diskussion bezeichnet Planck „das spezifisch neue Princip, das Jesus zugeschrieben werden und das auch schon dem ältesten Judenchristenthum eigenthümlich gewesen sein muss“81 . Dieser Hauptpunkt ist nach Mt , „die vollendete Gesetzeserfüllung“. „Die christliche Offenbarung soll zunächst wenigstens, so wie sie geschichtlich auftritt, durchaus nicht die Aufhebung, sondern nur die volle Erfüllung des mosaischen Gesetzes und somit überhaupt nur die vollendete Durchführung des Gesetzes sein.“82 Wie die Antithesen der Bergpredigt zeigen, geht es um „die Gerechtigkeit des bisherigen alttestamentlichen Standpunktes überhaupt, die zu ihrer Vollendung geführt werden muss“83 . Seine nähere Bestimmung dieser These führt weit über das Palästina des . Jhdts. hinaus: „Das Werden des vollendeten Gesetzes ist die reine vollkommene Entäusserung des selbstischen besonderen Willens, wie er in dem nationalen Charakter des A[lten] Bundes auch seinen Grund hatte, an 77
Ibid. , Anm. . Ibid. . 79 K. Planck, Judenthum und Urchristenthum, , Theologisches Jahrbuch , , –. (Teil , ibid. –, und Teil , ibid. –, befassen sich mit der späteren Zeit.) 80 Ibid. . 81 Ibid. . 82 Ibid. 83 Ibid. . 78
Jesus und die Tora
den göttlichen Willen; es ist das eine ungetheilte Leben in Gott, in welchem das Streben nach der wahren δικαιοσύνη das schlechthin Erfüllende ist“84 . Daraus ergibt sich „von selbst die Polemik Jesu gegen eine blos äusserliche Gesetzeserfüllung“, wie Planck sie in Mt ,ff.; ,ff.; ff. sieht, wobei die Stelle Mt „in ihrer allgemeinen Konsequenz einen Theil des mosaischen Ritualgesetzes geradezu aufzuheben scheint“, eine Konsequenz, die Planck aber ausschließt, weil es sich hier „nur um eine spätere παράδοσις, nicht um einen wirklichen Bestandtheil des mosaischen Gesetzes handelt (ebenso wie in cap. ).“85 Auch Mt , belegt, daß Jesus eine geschichtliche Fortdauer des ganzen Gesetzes gefordert habe; konsequent erwägt Planck, Mt , Jesus abzusprechen und darin den Hinweis „auf einen Gegensatz in der christlichen Gemeinde selbst“ zu sehen, „so dass . . . die Annahme eines polemischen Seitenblicks auf den Paulinismus die passendste Erklärung giebt.“86 Auch sonst findet er Kritik an Matthäus, aber sein Jesusbild bleibt stark an Matthäus orientiert. Letztlich ging es Planck ja auch nicht um den »historischen Jesus«, sondern um die Frage, „was denn ursprünglich das Neue unterscheidend Christliche war, das den Keim der ganzen folgenden, das Judenthum völlig durchbrechenden Entwicklung in sich trug.“87 Es war das Verdienst von Albrecht Ritschl, in seiner erschienenen „Geschichte der altkatholischen Kirche“ die Frage nach dem Gesetzesverständnis Jesu vom Kopf auf die Füße gestellt zu haben. Er beginnt den . Abschnitt „Christus und das Gesetz“ mit dem Satz: „Ueber den Gegensätzen des Paulinismus und des Judenchristenthums erhaben ist das Verhältniß Jesu zu dem mosaischen Gesetze, welches sich aus dem Evangelium des Matthäus entwickeln läßt“88 . Nicht allgemeine Erwägungen und Mutmaßungen, sondern die Überlieferung soll das Wort haben! Da Ritschl im weiteren Sinne ein Schüler Baurs war, geht er natürlich von der Matthäuspriorität aus; daher wird man kein ganz anderes Jesusbild als bei Planck oder (implizit) bei Schwegler erwarten dürfen. Aber seine Exegese bringt interessante Beobachtungen. Natürlich beginnt er mit der Grundsatzerklärung der Bergpredigt Mt ,–, um sie dann an den sogenannten Antithesen Mt ,– zu verifizieren. Er spürt die Uneinheitlichkeit von ,– und postuliert, daß „die auf die Erhaltung des ganzen Gesetzes gerichtete Absicht Jesu“ in V. die „Grundaussage“ ist. V. enthält eine „beiläufige Folgerung“ aus V. ;89 wenn Jesus in V. von einer „Vervollkommnung des Gesetzes“ spricht90 , dann muß sich diese gegen die pharisäische Gesetzesauffassung richten, und V. ist als Erläuterung des Gedankens der πλήρωσις τοῦ νόµου angesehen und deshalb „logisch an V. “ angebunden.91 84
Ibid. Ibid. . 86 Ibid. . 87 Ibid. . 88 A. Ritschl, Die Entstehung der altkatholischen Kirche. Eine kirchen- und dogmengeschichtliche Monographie, Bonn , . Dazu C. Marsh, Albrecht Ritschl and the Problem of the Historical Jesus, San Francisco . 89 Ibid. . 90 Ibid. 91 Ibid. 85
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In diesem Sinn schließt Ritschl aus der . Antithese, Jesus wolle nicht „dem alten Gesetzgeber entgegentreten“, sondern nur die pharisäische Beschränkung des Tötungsverbotes auf die mörderische Tat kritisieren; er „erklärt die Strafbarkeit des Zornes für ebenso groß als nach pharisäischer Satzung die des Todtschages selbst sein sollte“, kurz: „Jesus lehrt, daß das Gesetz auf die Normirung der Gesinnung ausgedehnt wird“92 . Im Zusammenhang mit der . Antithese (,f.) kommt Ritschl auf die Perikope Mt ,– zu sprechen93 und findet dort einen Gegensatz zu Moses. „Allerdings erscheint unserer Anschauung die Auflösung mancher Gebote als nothwendige Consequenz der πλήρωσις νόµου im Sinne Christi. Allein wenn es auch keinem Zweifel unterworfen ist, daß Jesus diese Folgerung geahnt hat, so scheint er doch nach der Bergrede mit Bewusstsein das Eintreten solcher Consequenzen auf eine spätere Zeit verschoben zu haben“94 . Das zwingt zu der Folgerung: „Wir müssen also entweder die Authentie des Ausspruches im ten Cap. bezweifeln, oder eine momentane Abweichung Jesu von seinem sonst streng festgehaltenen Grundsatze zugeben“95 . Auf eine ähnliche Spannung stößt Ritschl auch in der . Antithese. Die Auslegung auf Zerstörung der pharisäischen Kasuistik kann sich zwar auf den Kontext berufen, aber Jesu apodiktisches „Schwört überhaupt nicht“ scheint in eine andere Richtung zu gehen. „Ob er damit auch den bei dem Namen Gottes zu leistenden Eid habe abschaffen wollen, ist die vielbesprochene Streitfrage, bei deren Entscheidung man neben dem exegetischen Thatbestande wohl auch darauf achten muß, daß Jesus, wenn er den Gebrauch des Eides überhaupt verbot, dadurch mit dem Gesetze in Widerspruch getreten wäre.“96 Ritschl geht in seiner Hörigkeit gegenüber Matthäus sogar so weit, daß er Jesus zwar gegen pharisäische „Übertreibungen“ und „Zumuthungen“ kämpfen läßt, aber – unter Berufung auf Mt ,–. – „die pharisäische Tradition nicht als absoluten Trennungsgrund zwischen sich und seinen Gegnern ansah.“97 So bekommt auch für Ritschl das matthäische Bild vom gesetzestreuen Jesus einige Risse und Sprünge. Aus heutiger Sicht wird man sagen können, daß Ritschl der Gesetzesauffassung der Bergpredigt sehr nahe gekommen ist. Ritschl selbst scheint gespürt zu haben, daß damit nicht unbedingt das Gesetzesverständnis Jesu getroffen ist. Noch kritischer werden die beiden größten Tübinger, Ferdinand Christian Baur und David Friedrich Strauß, in ihren Alterswerken.98
92 93 94 95 96 97 98
Ibid. . Ibid. f. Ibid. . Ibid. . Ibid. . Ibid. . Zu Baur vgl. oben S. .
Jesus und die Tora
Obwohl F. C. Baur unbeirrt an der Matthäuspriorität festhielt, gab er doch den Hegelschen Schematismus auf. In seiner späten „Kirchengeschichte der ersten drei Jahrhunderte“ und in seinen posthum veröffentlichten „Vorlesungen über neutestamentliche Theologie“ stellt er die „Lehre Jesu“ an den Anfang: „Kann man überhaupt von dem Wesen und Inhalt des Christenthums reden, ohne zum Hauptgegenstand der Betrachtung vor allem die Person seines Stifters zu machen, und den eigenthümlichen Charakter des Christenthums eben darin zu erkennen, dass es alles, was es ist, einzig nur durch die Person seines Stifters ist . . . ?“99 Er macht eine weitere für historische Erkenntnis wichtige Feststellung: „Bei jeder neuen Religion kommt vor allem das Verhältniss in Betracht, in welches sie sich zu den bisher bestehenden Religionsformen setzt; sie wäre keine neue Religion, wenn sie sich nicht auch principiell von ihnen unterschiede. Diess schliesst jedoch keineswegs aus, dass sie nicht in ihrem Ursprung noch in engstem Zusammenhang mit einer der ihr zunächst vorangehenden steht und an ihr erst ihr eigentliches Princip zum bestimmteren Bewusstsein sich entwickelt.“100 Nun scheint nach der Bergpredigt „der oberste Grundsatz der Lehre Jesu in ihrem Unterschied zum Mosaismus nur so bestimmt werden zu können, dass allein die Sittlichkeit der Gesinnung es ist, was dem Menschen seinen absoluten sittlichen Werth vor Gott gibt. Der Mosaismus und die Lehre Jesu verhalten sich daher zu einander, wie Äusseres und Inneres, wie Werkthätigkeit und Gesinnung . . . “101 Das paßt nicht zu Mt ,–. „Stellt sich Jesus sosehr auf den Boden des alten Testaments, dass seine Lehre nicht die Aufhebung, sondern die Erfüllung des Gesetzes ist, wie kann er der gesetzlichen Gerechtigkeit des alten Testaments ein ganz anderes, nur auf der Sittlichkeit beruhendes Princip gegenüberstellen?“102 Baur setzt sich scharfsinnig mit der Theorie Ritschls auseinander103 und folgert, man könne „nicht sagen, der Fortschritt bestehe blos in der Erweiterung des Gesetzes auf die Normirung der Gesinnung, die Natur der Sache bringt es von selbst mit sich, dass die quantitative Erweiterung ein qualitativer Gegensatz wird, es wird dem Äussern das Innere, der That die Gesinnung, dem Buchstaben der Geist entgegengesetzt.“104 Außerdem läßt sich die Ritschlsche Auffassung „auch mit mehreren Erklärungen, welche Jesus über die Gebote des Mosaismus gibt, nicht vereinigen.“105 Baur verweist auf die Aufhebung der Rechtsgrundlage der Wiedervergeltung (Mt ,) und das schlechthinnige Verbot des Eides (Mt ,) – das ist doch „keine quantitative Erweiterung, sondern das gerade Gegentheil“106 ! Auch die Erklärung, Mt , meine nicht die Erfüllung des Buchstabens des Gesetzes, sondern des Geistes, 99
F. Chr. Baur, Das Christenthum und die christliche Kirche der ersten drei Jahrhunderte, Tübingen , f. 100 F. Chr. Baur, Vorlesungen über neutestamentliche Theologie, hg. v. F. F. Baur, Leipzig , zitiert nach dem Neudruck Darmstadt , mit einer Einführung von W. G. Kümmel, . 101 A. Anm. a. O., . 102 Ibid. . 103 Ibid. ff. 104 Ibid. . 105 Ibid. . 106 Ibid.
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ist falsch, denn in , besteht er ja gerade auf den allerkleinsten Buchstaben. Also „bleibt nur die Annahme übrig, dass der ihm beigelegte Ausspruch erst in der Relation des Evangelisten eine judaistische Fassung erhalten hat, in welcher er nicht aus dem Munde Jesu gekommen ist. Es hängt diess mit dem judaistischen Charakter des Matthäusvevangelium zusammen.“107 „Hätte Jesus wirklich die Absicht gehabt, sich über sein Verhältniss zum alten Testament so principiell auszusprechen, wie er bei Matthäus thut, so hätte er unmöglich ein für die Zukunft so wichtiges Gebot, wie das der Bescheidung, so völlig unberücksichtigt lassen können.“108 Zur exegetischen Probe geht Baur alle das »Gesetz« betreffenden Texte durch. Bei der Heilung des Aussätzigen (Mt ,–), die bis heute häufig als Beleg für die tempelund toratreue Haltung Jesu mißbraucht wird109 , sieht er in der Weisung „im Grunde nur die Beobachtung einer polizeilichen Vorschrift“110 . Aus den Sabbatkonflikten Mt ,–.– erhellt, „dass er [sc. Jesus] nicht nur das Sabbathsgebot für kein schlechthin verbindliches hielt, sondern überhaupt die Beobachtung solcher Gebote von der höhern Frage abhängig machte, ob sie der Idee des sittlich Guten und Zweckmässigen entsprechen“, und fügt kommentarlos einen Hinweis auf Mk , an.111 Das bis heute viel gequälte Logion Mt , (vgl. Mk ,) versteht Baur eindeutig: „Hiermit erklärte er überhaupt die Beobachtung der mosaischen Reinigkeitsgesetze für etwas sittlich Indifferentes“112 . Und auch Mt , zeigt, „dass das Gesetz in seinen Augen nur eine sehr relative Geltung habe.“113 Damit ist der matthäische Bann über der Gesetzesfrage grundsätzlich gebrochen. Allerdings fällt der lange Schatten des Ersten Evangelisten immer noch auf das Bild des Baurschen Jeus. „Wenn er es auch mit einzelnen Bestimmungen [sc. der Tora] nicht sehr genau nahm und sich freier über sie äusserte, so ist man doch nicht berechtigt, daraus eine auf das Gesetz im Ganzen sich beziehende Folgerung zu ziehen, da bei solchen Bestimmungen immer auch wieder die so Vieles zum Gesetz hinzusetzende pharisäische Praxis in Betracht kam, mit welcher er in keinem Fall sich einverstanden erklären konnte. Aber auch selbst gegen diese hat er sich nicht so schlechthin verneinend ausgesprochen, wie man erwarten sollte.“114 Und dann kommt das matthäische Sondergut Mt ,; ,ff. zur Geltung, das wiederum mit Kritik am Pharisäismus konfrontiert wird (Mt ,; ,). So überrascht die Schlußfolgerung nicht: „Nimmt man alle diese zum Theil sehr verschieden lautenden Erklärungen zusammen, so kann man aus ihnen nur den Schluß ziehen, dass er [sc. Jesus] zwar in einzelne seiner Aussprüche genug hineinlegen wollte, was einen principiellen Gegensatz nicht blos gegen die Satzungen der Pharisäer, sondern auch gegen die fortdauernde absolute Geltung des Gesetzes begründen konnte, dass er aber, statt es zu einem offenen Bruche kommen 107 108 109 110 111 112 113 114
Ibid. . Ibid. Vgl. meinen Aufsatz Mk ,f.: Tempelreinigung oder Tempelblasphemie?, oben Seite –. A. Anm. a. O., . Ibid. Ibid. f. Ibid. . Ibid.
Jesus und die Tora
zu lassen, die weitere Entwicklung des an sich und thatsächlich schon vorhandenen Gegensatzes dem Geist seiner Lehre überliess, der von selbst dazu führen musste.“115 So ähnlich hatte sich Ritschl geäußert. Baur versucht schließlich noch, diese zwiespältige Haltung Jesu durch eine gekünstelte Auslegung der Schneider- und Küferregel (Mt ,f.) nachzuweisen. Er sieht klar: Diese Bildworte können „nur von der Unverträglichkeit des Geistes der neuen Lehre mit dem der alten verstanden werden.“116 Wenn Jesus also „den neuen Wein noch in die alten Schläuche legte, sofern er mit dem gesetzlichen und traditionellen Judenthum nicht principiell brach“, so tat er „diess doch nur mit dem bestimmten Bewusstsein . . . , dass der neue Inhalt bald genug die alte Form zerbrechen werde.“117 Baur hätte Jesus diese unklare Haltung ersparen können, wenn er seine wegweisenden Überlegungen zu Mt ,f. auch für das übrige Sondergut des Ersten Evangelisten geltend gemacht hätte.118 Noch weiter aus dem Schatten des Matthäus trat David Friedrich Strauß heraus. Nachdem die Empörung der Frommen ihm den Weg in ein theologisches Lehramt verbaut hatte, wandte er sich von der Theologie ab. Aber zu Beginn der er Jahre kehrte er zu seinen Anfängen zurück. In einem Brief vom . November schreibt er, er habe in der letzten Zeit „nichts als Theologisches getrieben und alles was seit der Zeit, daß ich der Sache nicht mehr genau gefolgt war, über evangelische Kritik geschrieben worden, gelesen und excerpirt“119 . Und hier kündigt er u. a. auch seine neue Sicht des Themas „Jesus und das Gesetz“ an: „In Betreff des jüdischen Gesetz- und Opferwesens komme ich immer mehr auf die Ueberzeugung, daß ihn die Evangelisten und schon die Judenapostel nach seiner Hinrichtung, zahmer darstellen, als er war. Um geduldet zu werden, sagten sie, er habe es nicht so bös gemeint, und traten, zumal sie ihn selbst nicht ganz verstanden hatten, hinter seinen Standpunkt um mehrere Schritte zurück. Sein Auftreten bei der sogenannten Tempelreinigung hatte (vide Reimarus) keinen Sinn, wenn er nicht dem ganzen Opferwesen zu Leibe wollte.“120
veröffentlichte er dann „Das Leben Jesu für das deutsche Volk bearbeitet“. Dieses Buch wurde und wird in der Diskussion meist übergangen – wichtigste Ausnahme H. J. Holtzmann in seinem später zu besprechenden Forschungsbericht –; einer der Gründe dafür dürfte die – freundlich ausgedrückt – sehr unfreundliche Besprechung Albert Schweitzers sein.121 Nun kann man sicher über das biedermeierliche Gewand lächeln, in das Strauß seinen Jesus gesteckt hat – E. Renan läßt grüßen –, und man 115
Ibid. . Ibid. . 117 Ibid. 118 Man vergleiche auch die zu Mt , angestellte Überlegung: „. . . welche Bürgschaft haben wir dafür, dass Jesus diesen Ausspruch wirklich schon damals gethan hat, da es bekanntlich sehr zweifelhaft ist, ob Jesus die Bergrede als diese zusammenhändende Rede, wie sie Matthäus gibt, gehalten hat, ob alle Ausprüche Jesu, die sie enthält, schon in eine so frühe Zeit gesetzt werden können, und ob nicht Manches erst von dem spätern Standpunkt des Evangelisten aus diese bestimmte Form erhalten hat“ (ibid. ). Diese Frage hätte auch die Rede Mt verdient! 119 E. Zeller (Hg.), Ausgewählte Briefe von David Friedrich Strauß, Bonn , . 120 Ibid. . 121 A. Schweitzer, Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, Tübingen , –. 116
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mag sich über die Sturheit ärgern, mit der er bei der Ablehnung der Markuspriorität und bei seiner einseitigen Sicht der Wunderüberlieferung geblieben ist, sollte aber doch die ernsthafte Weiterarbeit nicht übersehen. Wie füllt Strauß die im Brief angedeutete neue Sicht der Toraproblematik exegetisch aus? Jesus hatte eine „heitere, mit Gott einige, alle Menschen als Brüder umfassende Gemüthsstimmung in sich“ ausgebildet, dadurch „hatte er das prophetische Ideal eines neuen Bundes mit dem in’s Herz geschriebenen Gesetz (Jerem. ,fg.) in sich verwirklicht“122 . Deshalb trat er in Abstand zu den „äußerlichen Mitteln“, mit denen sein Volk Frieden mit Gott zu erreichen suchte, nämlich Opfer und Sabbatobservanz.123 Strauß hält es allerdings für nicht „ganz deutlich“, wie weit die Kritik Jesu ging; denn Jesu Polemik galt größtenteils der Halacha.124 Nach Erörterung einiger matthäischer Texte (,ff.; ,; ,.) faßt er die Meinung Jesu dahingehend zusammen, er habe das „rabbinische Satzungswesen als eine lästige und bedenkliche . . . Sache betrachtet, die man sich wohl noch eine Zeitlang gefallen lassen möge, deren Tage aber doch gezählt seien.“125 Für die Frage, ob Jesus darüber hinaus „auch das mosaische Gesetz selbst seinem rituellen Theile nach habe antasten wollen“, verweist er auf Mt ,; ,f.; ,ff.126 Bei dem Wort von der inneren Reinheit war Jesus „sich entweder der Tragweite seiner eigenen Rede nicht bewußt, oder er hatte da ein Wort gesprochen, das auch den so hoch gehaltenen mosaischen Speiseverboten ihre Bedeutung aberkannte.“127 Die Ablehnung der Ehescheidung durch Jesus kollidiert mit Dtn ,, auch wenn Jesus „jene Gesetzesbestimmung auf die Herzenshärtigkeit des alten Judenvolks ableitete . . . , so hatte er das mosaische Gesetz auch über seinen rituellen Theil hinaus in seinen das sittliche Zusammenleben der Menschen betreffenden Bestimmungen für perfectibel, mithin für unvollkommen erklärt.“128 Das scheint im Widerspruch zu Mt ,– zu stehen. Doch kann Jesus nach den angeführten Texten die absolute Geltung des Zeremonialgesetzes nicht behauptet haben; daher hält Strauß die Annahme für richtiger, daß „Andere hier eine nachträgliche Verschärfung der Worte Jesu vom Standpunkte des spätern Judenchristenthums vermuthet“ haben.129 Diese Auffassung wird bestärkt durch die Beobachtung, daß die VV. + den Zusammenhang von Mt , und stören. In V. erläutert Jesus „den Sinn der Erfüllung oder Vervollständigung des Gesetzes, welche der Zweck seiner Sendung sei, nicht wie in der jetzigen Darstellung des Matthäus durch die unerwartete Wendung nach dem Buchstaben hin“, sondern „voll machen“ meint, „mit der pharisäischen Gesetzeserfüllung . . . , mit bloser Legalität ohne Moralität, ist es hinfort nicht gethan.“130 Als Paulus aber das Zeremonialgesetz angriff, wollten die 122 123 124 125 126 127 128 129 130
D. Fr. Strauß, Das Leben Jesu für das deutsche Volk bearbeitet, Stuttgart . Aufl. o. J., . Ibid. . Ibid. f. Ibid. . Ibid. f. Ibid. . Ibid. Ibid. . Ibid.
Jesus und die Tora
Judenchristen eine ausdrückliche Bestätigung für dessen Weitergeltung und fügten V. / in die Rede Jesu ein. Das entsprach allerdings nicht der Absicht Jesu. „Wie klar sich Jesus der Neuheit seines Princips und der Unverträglichkeit desselben mit dem alten jüdischen Wesen bewußt war, erhellt auch aus der Art, wie er sich aus Anlaß des Fastens aussprach (Matth. ,–).“131 Mit diesen Bildworten vom alten und neuen Flicken und vom alten und jungen Wein „scheint er das Bewußtsein auszusprechen, daß überhaupt zwischen dem von ihm aufgestellten Princip der Gesinnung und dem alten Ceremonienwesen keine Vermittlung möglich, oder daß, falls man einstweilen versuche, eins mit dem anderen zu verbinden, sich doch bald genug die Unvereinbarkeit beider herausstellen würde“132 . Damit hat Strauß alle Texte, die bisher für einen torakritischen Jesus ausgewertet wurden, herangezugen; ja er hat sogar ausdrücklich den markinischen Sondergutstücken Mk , und ,– Zeugniswert zugesprochen.133 Aber Strauß hat noch einen Trumpf in der Hinterhand: die sogenannte Tempelreinigung, die er erstmals als eine Handlung Jesu versteht, „die positiv auf eine dem Opferwesen wenig günstige Stimmung hinweist“134 . Weder Jesus noch seine Jünger haben sich – abgesehen vom Passa – am Opferkult beteiligt. Daß Jesus Jes , zitiert, „wo der Tempel ein Bethaus genannt wird, deutet darauf hin, daß ihm, solchem geistigem Opferdienste gegenüber, dieses ganze materielle Opferwesen zuwider war“135 . Dazu paßt das „Tempelwort“ Mt ,, in dem „dieselbe Gesinnung nur in ein kühnes Wort gefaßt wäre, die in jener Austreibung als kühne That erscheint.“136 Beachtenswert ist, daß Strauß auch Apg in die Überlegungen aufnimmt. „Stephanus, seinem Namen nach ohne Zweifel ein in griechischen Landen geborener Jude, scheint die wahre Meinung Jesu besser als die palästinischen Apostel begriffen, und in seinem Geiste auf die bevorstehende Beseitigung des mosaischen Tempel- und Ceremoniendienstes hingewiesen zu haben: weßwegen ihn aber auch dasselbe Schicksal wie seinen Meister traf.“137
So ist Strauß, indem er den Baurschen Ansatz zur Matthäuskritik weiterführte, dem historischen Jesus recht nahegekommen.
131 132 133 134 135 136 137
Ibid. Ibid. . Ibid. . Ibid. . Ibid. . Ibid. . Ibid.
Eine forschungsgeschichtliche Skizze von Reimarus zu Wellhausen
III Der Jesus der Markuslöwen Als Albrecht Ritschl eine „zweite durchgängig neu ausgearbeitete Auflage“ seiner „Entstehtung der altkatholischen Kirche“ erscheinen ließ, hatte er das einleitende Kapitel über Jesus und das Gesetz völlig neu geschrieben. Er war nämlich schon zur Markuspriorität übergegangen und hatte in einem umfangreichen Aufsatz auch eigene Überlegungen dazu beigesteuert, deren wichtigste das später so genannte Messiasgeheimnis betraf. Er zeigte nämlich, daß dieser Motivkomplex bei Mk viel stimmiger als bei Mt verwendet wird, wodurch sich Mt als abhängig von Mk erweist.138 Gleichzeitig stellt er ein Postulat auf, das die gesammte Jesusforschung bestimmen sollte, bis Wellhausens Evangelienanalyse es falsifizierte: Mk ist tendenzfrei und daher historisch zuverlässig. „Freilich entbehrt das Evangelium [sc. des Markus] eines solchen dogmatischen Typus, wie ihn Matthäus und Lukas unverkennbar tragen, aber wenn man bedenkt, wie in diesen Schriften gerade die dogmatischen Tendenzen zur Verdunkelung oder Verkürzung des geschichtlichen Bildes Christi beitragen; so kann die vorgebliche dogmatische Indifferenz des Markus durchaus nicht als Merkmal sekundären Charakters, sondern nur als Kennzeichen höheren geschichtlichen Werthes erscheinen.“139
Ritschl beginnt in der . Auflage die Untersuchung des Gesetzesverständnisses Jesu natürlich mit einem Durchgang durch die diesbezüglichen Mk-Texte. Zwar bietet Mk keine mit Mt , vergleichbare Grundsatzerklärung Jesu, „jedoch macht die Reihenfolge der von ihm dargebotenen Aussprüche Jesu . . . den Eindruck eines stetigen Fortschrittes von der Oberfläche bis in den Kern der Sache.“140 Den ersten Gesetzeskonflikt sieht Ritschl in Mk ,–, dem „Ährenraufen am Sabbat“. Aus dem Logion Mk ,f. folgert Ritschl, „daß Jesus das mosaische Gebot der Sabbathsruhe für seine Anhänger nicht mehr als verbindlich ansieht. Aber auch nur auf seine Jünger, als die Genossen des Gottesreiches bezieht sich diese und die folgenden Erklärungen über gesetzliche Verordnungen. Diejenigen, welche wie jener Aussätzige [sc. in Mk ,–] nicht seine Jünger sind, verweist Jesus einfach an das Gesetz, und für die Volksmassen erkennt er sogar die Fortdauer der Auktorität der Schriftgelehrten und Pharsäer als der Nachfolger des Moses an (Matth. ,).“141 Also immer noch der lange Schatten des Matthäus neben der Scheu, die Kritik Jesu in ihrer vollen Tragweite zu sehen. „Jesus hat nicht die Absicht der Aufhebung des ganzen mosaischen Gesetzes“, sondern fordert „Recht und Herrschaft über die Bestimmungen, welche blos den Menschen zum Zwecke haben und nicht den höchsten Zweck des Menschen ausdrücken.“142 Ebenso bewertet Ritschl die Stellungnahme Jesu zur kultischen Reinheit in Mk ,: „Die Auslegung dieser Rede [sc. Mk ,–], 138 A. Ritschl, Ueber den gegenwärtigen Stand der Kritik der synoptischen Evangelien, ThJb(T) , , –. 139 A. Anm. a. O., . 140 A. Ritschl, Die Entstehung der altkatholischen Kirche, Bonn , . 141 Ibid. . 142 Ibid. .
Jesus und die Tora
welche nachher die Jünger empfangen, verneint ganz ausdrücklich das Princip, auf welchem die mosaischen Speiseverbote beruhen, und indirect die ganze Anschauung der äußeren Reinigkeit, auf welche das mosaische Gesetz hinwirkt“143 . Auch damit hat „Jesus einen wesentlichen Theil des mosaischen Gesetzes für das Gebiet des Gottesreiches als ungültig angesehen.“144 Und wieder kommt die Sorge vor allzu weiter Auswirkung: Natürlich war Jesus „auf eine Losreißung der Masse von der mosaischen Reinigkeitssitte nicht bedacht“145 , weil er dem Volk „die Belehrung nur in der Form des Gleichnisses und Räthsels“146 gegeben hat. Auch beim Verbot der Ehescheidung (Mk ,–) hat Ritschl Torakritik erkannt. „Wenn er [sc. Jesus] erklärt, daß Moses der Herzenshärtigkeit der Israeliten nachgegeben habe, so fällt die Verordnung des Moses unter den Gesichtspunkt dessen, was um des Menschen willen gemacht ist.“147 Solche Bestimmungen aufzuheben hat der Messias das Recht. Den Schlüssel zur Haltung Jesu findet Ritschl im Gespräch über das höchste Gebot (Mk ,–). „Die Bezeichnung der Gebote der Liebe zu Gott und zum Nächsten, als derer, welche alle anderen Gebote überragen, können wir nicht anders verstehen, als daß Jesus in ihnen den Ausdruck des höchsten Zweckes findet, der dem Menschen gesetzt ist. Sie bilden das Kriterium, welches Jesus bei der Aeußerung über den Sabbath indirekt angedeutet hat, und sie sind deßhalb der Kern des Gesetzes, welchen er für das Gottesreich nur bestätigen konnte.“148 Aus dem Lob Jesu für den Schriftgelehrten folgert Ritschl, daß Jesus „die Verbindlichkeit des Opferinstitutes für die Genossen des Gottesreiches ausschließt“149 , und sieht dies durch Mt ,– bestätigt. Allerdings lehnt Ritschl es ab, die Position Jesu auf die Formel zu bringen, „daß er das mosaische Sittengesetz bestätigt, das Ceremonialgesetz abgeschafft habe“150 ; denn „den Werth der Beschneidung . . . lässt er unangetastet“151 . Das beweist Joh , (!) und die Beschränkung seines Wirkens auf Israel (Mk ,; Mt ,f.). Diesen vorsichtigen Gesetzeskritiker möchte Ritschl nun auch in der Bergpredigt finden. Dazu bringt er zunächst eine neue Auslegung von Mt ,–. Angesichts des markinischen Befundes kann Jesus nicht die ewige Dauer des Ritualgesetzes ankündigen, aber auch nicht seine völlige Abschaffung. Ritschl findet einen Ausweg darin, daß er Jesu Bekenntnis zur Erfüllung von „Gesetz oder Propheten“ in V. zu „Gesetz und Propheten“ macht, was philologisch möglich ist.152 Aber unter der Hand werden „Gesetz und Propheten“ dann zu einer neuen einheitlichen Größe synthetisiert, die 143
Ibid. Ibid. f. 145 Ibid. . 146 Ibid. 147 Ibid. 148 Ibid. . 149 Ibid. 150 Ibid. 151 Ibid. . 152 Blass/Debrunner/Rehkopf, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, Göttingen § , b; Ritschl beruft sich auf die damals normative Grammatik von B. Winer. 144
,
Eine forschungsgeschichtliche Skizze von Reimarus zu Wellhausen
man vielleicht als „Prophetengesetz“ bezeichnen könnte. „Denn es handelt sich bei dem Nichtauflösen, sondern Vollständigmachen nicht um das Gesetz allein, sondern um die Einheit von Gesetz und Propheten. Es handelt sich auch nicht um das Gesetz sofern es gebietet, und um die Propheten, sofern sie die Zukunft des Gottesreiches weissagen . . . Sondern beide Glieder sind in dem Sinn zusammengefaßt, daß die Propheten etwas gebieten wie das Gesetz, daß sie die Gesetzgebung fortsetzen.“153 Dieses Konstrukt ermöglicht ein unbefangenes Verständnis der . und . Antithese: „Das Verbot aller Eide schließt die Geltung der mosaischen Verordnung des gerichtlichen Eides aus. Das Gebot der vollsten Nachgiebigkeit und Verzichtleistung auf das Recht macht die mosaische Rechtsregel der Vergeltung zu nichte.“154 Ritschl hat die kritische Haltung Jesu zur Tora ähnlich klar wie Baur und Strauß erkannt, ihnen allen fehlte freilich ein diakritisches Prinzip zur Beurteilung von MtSondergut. So bleibt ein gewisser Ermessensspielraum. Die etwas kompromißhafte Haltung Jesu hat Ritschl wie schon in der . Auflage bewertet: Jesus hat weder die Volksmenge „noch seine Jünger . . . faktisch von der Beobachtung der mosaischen Kultussitte losgerissen. Sondern, wie die vollständige Durchbildung des christlichen Gesetzes, so hat er die Entwöhnung seiner Anhänger vom väterlichen Gottesdienste der zukünftigen Entwickelung unter der Leitung des heiligen Geistes anheim gestellt.“155 Daß die Gesetzesfrage damit noch etwas offen bleibt, ist für Ritschl kein Problem, ist er doch der Überzeugung, „daß überhaupt nicht die Gesetzgebung und die Auseinandersetzung mit dem mosaischen Gesetze, sondern die Gründung des Gottesreiches durch Darstellung seiner persönlichen Würde als Menschensohn durch seine Erweckung des Glaubens an sich die erste und höchste Aufgabe Jesu war.“156 Zu breiter Anerkennung kam die Markuspriorität durch das veröffentlichte Buch von Heinrich Julius Holtzmann, „Die synoptischen Evangelien“, der auch die Existenz einer von Matthäus und Lukas aufgenommenen Redenquelle wahrscheinlich machte. Jahre lang wurde der Verlauf der vita Christi in mehr oder weniger engem Anschluß an Markus dargestellt. Unter dem Vorzeichen der Markuspriorität kam es, angeregt durch den liberalen und individualistischen Zeitgeist, zu einer regen Beschäftigung mit dem historischen Jesus, und natürlich spielte die Gesetzesthematik eine große Rolle. Als H. J. Holtzmann im Jahr einen langen Forschungsbericht über „Jesus und das Gesetz“ veröffentlichte,157 konnte er sein Plädoyer für einen gesetzeskritischen Jesus durch viele Mitforscher unterstützen, deren namhafteste sein Straßburger Kollege Eduard Reuß, Carl Weizsäcker in Tübingen, Willibald Beyschlag in Halle, Theodor Keim in Zürich, Albrecht Ritschl in Bonn und der Außenseiter David Friedrich Strauß waren; 153
A. Anm. a. O., . Ibid. . 155 Ibid. . 156 Ibid. . 157 H. J. Holtzmann, Zur synoptischen Frage. II Die Stellung Jesu zum Gesetz, Jahrbuch für protestantische Theologie IV, , – und –. 154
Jesus und die Tora
auf der Gegenseite stand v. a. Bernhard Weiß in Berlin158 , und der Rabbiner Elias Grünebaum. Hier soll die Position Holtzmanns etwas nachgezeichnet werden, da er „als der führende Vertreter historisch-kritischer Forschung . . . im zumindest süddeutschen Raum für eine ganze Epoche ausstrahlend gewesen ist.“159 Wir legen den genannten Forschungsbericht zugrunde. Ausgangspunkt für Holtzmann ist das – von Ritschl ererbte – absolute Zutrauen zur biographischen Zuverlässigkeit des Mk; daher geht er davon aus, daß „die Lebensführung Jesu dem durch das Gesetz festgestellten Umfang der nationalen und religiösen Sitte seines Volkes treu“ geblieben ist.160 Und die Geschichte des Urchristentums zeigt, „dass sich die Entwöhnung seiner Anhänger vom väterlichen Gottes- und Gesetzesdienst schwer genug auf dem Wege und mit der Allmähligkeit eines harte Gegensätze verarbeitenden Prozesses verwirklicht hat. Selbst für den Fall, dass eine förmliche Abrogation des mosaischen Gesetzes sich mit gedankenmässiger Folgerichtigkeit aus dem religiösen Princip des Christenthums ergibt, gehört es daher immer zu den irdischen Schranken der individuellen Leistung Jesu, eine solche Consequenz wenigstens nicht als Programm aufgestellt und vertheidigt zu haben.“161 Das führt Holtzmann zu entscheidenden Fragen: „Hat er darum auch kein Bewusstsein von dieser Consequenz selbst gehabt? Führt blos die Logik der Thatsachen weiter als er selbst beabsichtigte?“162 Dieses Dilemma zeigt sich schon beim ersten Problem, der Fastenfrage Mk ,– . Nach quälenden Erörterungen, wie die „Gleichnisse“ vom neuen Flicken und vom alten Wein zur Fastenthematik passen könnten, filtert Holtzmann als Ergebnis heraus: „Nicht Verbessern ist Jesu Sache – so sagt das erste [sc. Gleichnis], aber erneuern – so sagt das zweite.“163 Wenn man diesen Grundsatz verallgemeinert, so ergibt sich – wie Holtzmann mit einem Zitat von W. Beyschlag formuliert –, „dass in dieser Behandlung des Fastens ein neues in Israel unerhörtes Princip liegt, ein Princip evangelischer Freiheit gegenüber der Gebundenheit des gesetzlichen Wesens.“164 Trotz ganz ähnlicher Urteile von A. Ritschl, C. Weizsäcker und E. Reuss fügt Holtzmann aber hinzu, „dass derselbe Jesus in demselben Worte auch dem altehrwürdigen Kleid des Mosaismus sein Recht widerfahren lässt und es vor den täppischen Experimenten derer bewahrt wissen will, die gekommen sind, es neu auszuflicken und mit mehr Farbe der verdienstlichen Askese aufzumuntern.“165 158
Er äußerte in seinem „Das Leben Jesu“, . Bd., , es sei undenkbar, daß Jesus „in irgend einem Sinn seinem Volk auf religiösem oder sittlichem Gebiet neue Erkenntnisse“ bringen wollte. Vgl. auch seine Verharmlosung von Mk ,, besprochen in meinem Aufsatz: Markus ,. Das Jesuswort über die innere Verunreinigung, ZRGG , , S. – (in diesem Band S. –; hier S. ). 159 O. Merk, Art. Holtzmann, Heinrich Julius, TRE (), –: . 160 A. Anm. a. O., . 161 Ibid. 162 Ibid. 163 Ibid. . 164 Ibid. 165 Ibid. .
Eine forschungsgeschichtliche Skizze von Reimarus zu Wellhausen
In den vier Sabbatkonflikten Mk ,–; Mk ,–; Lk ,–; Lk ,– liegt konkrete Torakritik vor. Mk , und , verläßt Jesus den gesetzlichen Standpunkt; im zweiten Spruch wird „positiv das »Gutesthun« als das dem Wesen des Sabbaths Entsprechende dargestellt, im ersten dagegen negativ das Werk der Noth vom Bann der Sabbathruhe freigesprochen.“166 Dem entsprechen auch die beiden lukanischen Texte. Mit einem Zitat von C. Weizsäcker resümiert Holtzmann, „dass das Gesetz des Sabbaths keinen unnatürlichen Zwang über den Menschen gegenüber von seinen gerechten Bedürfnissen ausüben darf.“167 Mit dem Schulgespräch über das hauptsächlichste Gebot Mk ,– „hat Jesus alles lediglich und ausschließlich religiöse, alles ethisch leere Thun verworfen und mit jener kultischen Praxis, deren alle antike Religion und das gesammte katholische Heidenthum der Folgezeit eine Wirkung in der Richtung auf Gott zu üben versuchte, der gesammten vorchistlichen, der auch innerhalb des Christenthums nachlebenden heidnischen Religion das Concept verrückt.“168 In diesem Sinne gewinnt „selbst die kühnste Deutung der Tempelreinigung an Berechtigung, wonach Jesus wie ein zweiter Jesaja sich den Tempel Gottes nicht als den Ort eines sinnlichen Opfercultus, sondern als Ausgangsstätte einer universalen Gottesverehrung, d. h. eben als »Bethaus für alle Völker« gedacht habe.“169 Holtzmann sieht, daß Jesus bei seiner Kultkritik „offenbar in Spuren einhergeht, wie sie nicht der Pentateuch, sondern der zweite, prophetische Kanon darbieten. Und selbst mit Bezug auf diesen ist von einer eigentlichen Nachfolge überhaupt keine Rede. Denn auch wo der Prophetismus bestrebt ist, Ethik und Cultus zu sondern, geschieht dies doch nur in der Weise, dass theils die Befolgung des Sittengesetzes als Bedingung eines erfolgreichen Cultus aufgestellt . . . , mithin jener Grundzug antiker Religiosität doch nicht im Princip überwunden wird, theils aber auch die Rückfälle in den Ritualismus nie ausbleiben . . . “.170
Kurz: Es genügt „schon jenes eine, die Barmherzigkeit dem Opfer entgegenstellende, Wort Jesu mit der bestätigenden Erläuterung, welche es durch sein sonstiges Thun und Reden empfängt, um mit aller Religiosität des Alterthums auch den mosaischen Gottesdienst aus den Angeln zu heben.“171 Sicher entsprach ein kultkritischer Jesus dem Denken liberaler Theologen, aber das schränkt ihr klares Urteil nicht ein. Zum Problemfeld „levitische Reinheit“ stellt Holtzmann fest: Durch Mk , ist „[d]er Begriff der Reinigkeit . . . aus der levitischen Sphäre in die sittliche umgesetzt und damit die ganze Anschauung der äusseren Reinheit, auf welche das Gesetz hinwirkt, überwunden“.172 Prophetenworte geben dazu Anleitung. Etwas schwerer fällt die Beurteilung von Mk ,: Vom Kontext her geht es ja nur um das von Pharisäern geforderte „Händewaschen“, daher will Holtzmann „nicht sagen, dass Jesus die
166 167 168 169 170 171 172
Ibid. . Ibid. . Ibid. . Ibid. . Ibid. . Ibid. Ibid. .
Jesus und die Tora
Speisegesetzgebung hier direct angreife und entwerthe.“173 Aber die ganze Argumentation Jesu setze voraus, „dass die Speisegesetzgebung für ihn nur diätetischen, aber keinerlei religiösen Werth hat.“174 Somit ergibt sich: „Der alle antike Religion kennzeichnende Begriff der rituellen Unreinheit ist im Princip negiert.“175 Das Verhalten Jesu bestätigt dies: seine Tischgemeinschaft mit „Zöllnern und Sündern“, seine Begegnung mit der blutflüssigen Frau und das Betreten eines heidnischen Hauses. Exegetisch klar werden weitere Torakonflikte beurteilt: „Das Verbot der Ehescheidung ist auf eine ebenso absolute Höhe gestellt wie dasjenige des Eides [Mt] ,f. oder der Wiedervergeltung [Mt] ,f.“176 Aufschlußreich ist Holtzmanns Behandlung der apokryphen Perikope Joh ,– , „Jesus und die Ehebrecherin“. Er kämpft eingehend für ihre Authentizität, um dann „seinen“ Jesus darin zu finden. Dieser Text „zeigt die polaren Gegensätze in dem Verhalten Jesu zur Gesetzesautorität in ihrem weitesten Auseinander, in ihrer schroffsten Spannung und in ihrer klarsten Symmetrie. Formell ist das Gesetz nicht angetastet; es bleibt ihm sein göttliches Recht um so mehr, je fraglicher die Competenz eines sündhaften Menschen erscheint, es aus sich heraus zu produciren. Und so ist jenes »Du sollst des Todes sterben« heilig und unangreifbar, wenn man nur den Gegensatz zwischen dem absoluten Rechte des heiligen Gesetzgebers und der . . . vernichtungswürdigen Creatur in’s Auge fasst. Sobald aber die Sache von der anderen Seite betrachtet und der göttliche Wille als ein Ideal aufgefasst wird, welches nicht blos unter Menschen, sondern auch von Menschen realisirt werden soll, sobald das »Königthum Gottes« aus der Sphäre einer als Rechtsverhältniss gefassten Religion umgesetzt wird in die sittliche Sphäre, sobald mit einem Worte an die Stelle der mosaischen Theokratie Jesu Gottesreich Platz gewinnt, so wird auch das Interesse am Vollzug eines Blutgesetzes, damit nur dem Sünder sein Recht und dem Gesetz seine Ehre werde, zurückgedrängt hinter jener, schon auf der prophetischen Stufe der alttestamentlichen Religion (Ez ,f.) zuweilen erreichten Tendenz auf Rettung des Sünders, auf Scheidung seiner Person von der Sache.“177
Eingehend erörtert Holtzmann Jesu Stellungnahme zum Doppelgebot der Liebe. Er findet auch da „wieder die eigenthümliche Amphibolie der Stellung, welche Jesus zum Gesetze einnimmt. Den höchsten Zweck des Menschen findet er buchstäblich ausgedrückt in dem mosaischen Gebot der intensivsten . . . Gottesliebe, aber indem er damit ein anderes, local entlegenes Gebot verknüpft und als gleichwerthige Kehrseite der Gottesliebe die liebeathmendste Aufgeschlossenheit für alles Wohl und Wehe des Nächsten proclamirt, geht er nicht mehr blos reproducirend oder auslegend zu Werke, sondern offenbart auf dem Gebiet des Sittlichen und des Religiösen eine Schöpferkraft, welcher es auch nur vollkommen angemessen und entsprechend erscheint, wenn sie das »Grosse« im Gesetz kühn zum Maasstabe macht, daran andere Theile des Gesetzes in ihrer vollen Kleinheit, ja Nichtigkeit erscheinen.“178
Nach dieser an Ritschl erinnernden Sicht setzt sich Holtzmann aber von Ritschl ab, der in Mt ,– in unterschiedlicher und sehr gezwungener Weise Jesuanisches 173 174 175 176 177 178
Ibid. . Ibid. Ibid. . Ibid. . Ibid. . Ibid. .
Eine forschungsgeschichtliche Skizze von Reimarus zu Wellhausen
gefunden hatte. Gegen Ritschls These, in Mt , sei von „Gesetz und Propheten“ im Sinne einer Einheit die Rede, ist Holtzmann überzeugt, „dass Jesus selbst mehr auf der Spur der Propheten als auf derjenigen des Moses wandelte.“179 Gegen die Authentizität von Mt , wendet er ein: „Wodurch anders characterisiert sich denn Mt , als durch auffälligste Betonung eben des Buchstabens, und wodurch characterisirt sich die ,– vorliegende Auslegung des Gesetzes, als dadurch, dass sie überall über den Buchstaben hinausgeht und denselben vielmehr als zu beseitigende Schranke der richtigen Erfüllung bezeichnet?“180 Allen schon von Ritschl festgestellten, aber in ihrer Tragweite von Holtzmann noch schärfer erfaßten Torakonflikten stellt dieser jedoch eine Reihe von argumenta e silentio gegenüber, nämlich „dass Jesus niemals den Abgang des Mosaismus ausgesprochen, dass er weder die Beschneidung angegriffen, noch seine Jünger, die zum theokratischen Volke gehörten, principiell von der Beobachtung der mosaischen Cultussitte losgerissen oder gar als Revolutionair den antimosaischen Zündstoff in die Massen geworfen hat . . . , dass er überhaupt niemals von dem vollen Glauben an die Heiligkeit und Unumstösslichkeit der Offenbarung Gottes im alten Bunde so weit zurückgetreten ist, dass es zu einem offenen Bruche mit dem Gesetz und mit der, zugleich religiösen wie bürgerlichen, Volksgemeinde Israels gekommen wäre.“181
Für die „Erfüllung des Gesetzes“ nach Mt , ergibt sich, „dass [Jesus] an eine wirkliche Entwickelung dachte, in welcher verbrauchte Stoffe durch neue ersetzt werden.“182 Soll man eine solche Haltung „Amphibolie“ nennen? Mir scheint sie die gespaltene Haltung Holtzmanns selbst zu spiegeln: Im Schlußwort des Forschungsberichts kommt Holtzmann auf den „Heilandsruf“ Mt ,– zu sprechen. Und da ist „nicht blos der echteste Ton aller Jesusrede angeschlagen, der Ton der Makarismen der Bergpredigt . . . , sondern zugleich an die Stelle des äusserlich zu copirenden Gesetzes die innere Aneignung des sittlichen Productes eines persönlichen Lebens gesetzt. Denn nicht von seinen Worten, sondern von seiner Person zu lernen sind die Mühseligen und Beladenen eingeladen, und von seiner Person können sie lernen, weil er wiederum nicht blos sagt: »Selig sind die Sanftmüthigen« . . . , sondern selbst »sanftmüthig und von Herzen demüthig« ist. Das aber ist bekanntlich der Kern des Evangeliums, und sein krystallhelles Hervortreten bedeutet an sich schon die definitive Zersprengung der ganzen Schale, die Ueberwindung der Gesetzesreligion.“183
Damit ist ein Resumé erreicht, das hinter den oft „krystallhellen“ exegetischen Einsichten etwas zurückbleibt. M. E. hat das fünf Gründe: a) Holtzmann hält Mk zu sehr für ein historisches Protokoll. b) Holtzmann gibt dem mt Sondergut noch zu viel Bedeutung. c) Holtzmann kennt keine Kriterien für die Authentizität; Widersprüchliches versucht er durch psychologisierende Überlegungen auszugleichen.184 179 180 181 182 183 184
Ibid. . Ibid. . Ibid. f. Ibid. . Ibid. . Ibid. f.
Jesus und die Tora
d) Spiegelt sich in der Scheu vor einem „revolutionären Jesus“ nicht auch die Haltung eines liberalen lutherischen Theologieprofessors, der – auf Schrift und Bekenntnis ordiniert – seine Kritik in Watte packt? e) Der Heidelberger Praktische Theologe Heinrich Bassermann hatte als Student ein Kolleg Holtzmanns über Katechetik (!) gehört und hervorgehoben „die durch die ganze Vorlesung hindurchgehende Vereinigung eines freien, subjektiv-modernen Zuges mit einer kirchlich-historischen Pietät. Nirgends ein geräuschvolles Anstürmen gegen die Überlieferungen und Institutionen der Kirche, aber auch nirgends einfache Beugung unter sie bloß deshalb, weil es eben kirchliche sind; nirgends eine Unterdrückung oder Verleugnung der Grundanschauungen und Einzelergebnisse . . . , aber auch nirgends eine geflissentliche Mißachtung und Ignorierung der kirchlichen Instanzen . . . “185 Hat nicht Holtzmann diesen seinen professoralen Stil auf Jesus übertragen? In seiner „Theologie des Neuen Testaments“, die „den Höhepunkt liberaler theologischer Forschung darstellt“186 , behandelt Holtzmann die Verkündigung Jesu eingehend. Er bleibt bei den früher festgestellten Konfliktthemen, „die grundsätzliche Verdammung des Eides“ Mt , gibt er allerdings preis.187 Aufschlußreich ist auch sein Insistieren auf Mk ,– = Mt ,–, „weil hier ganz in der Weise der in der protest[antischen] Dogmatik üblichen Entgegenstellung von Schrift und Tradition das geschriebene Gesetz als Wort Gottes gegen das es entwertende, verkürzende, ja aufhebende mündliche, das doch nur von Menschen herrührt, geschützt und verwahrt wird.“188 Das wird durch das matth. Sondergut , kräftig gestützt. Mk ,, wenngleich „direct nur zur Remedur des pharisäischen Reinigkeitsfiebers“ bestimmt, dient indirekt weiterhin „auch zur Kritik der levitischen Reinigkeitsvorschriften.“189 Auch der „principielle[n] Erklärung der Bergpredigt“ widmet Holtzmann eine lange Untersuchung und kommt zu dem klaren Ergebnis: „Der Stelle Mt ,– = Lc , ist . . . nicht aufzuhelfen, solange man sich damit abmüht, sie innerhalb des geschichtlichen Lebens Jesu begreiflich zu machen. Dagegen werden wir ihrer als eines wohl orientierenden Wegweisers zum Verständnis der Theologie beider Evangelisten froh werden.“190 Das Resumé bleibt auch hier etwas hinter den exegetischen Einzelerkenntnissen zurück: „Richtig denkt man sich die Stellung Jesu zum Gesetz wohl als eine Verbindung von unbedingter Verehrung und bedingungsloser Beurteilung, vermöge welcher es ihm so hoch und hehr erscheinen mochte, daß alles »Kleine« von der darin fortwirkenden Größe des Ganzen gedeckt wurde. Die Unvollkommenheit wäre in solchem
185 Zitat nach W. Bauer, Heinrich Julius Holtzmann (geb. . Mai ). Ein Lebensbild, in: Ders., Aufsätze und kleine Schriften, hg. v. G. Strecker, Tübingen , –, . 186 O. Merk, a. Anm. a. O., S. . 187 H. J. Holtzmann, Lehrbuch der neutestamentlichen Theologie, Bd. , Leipzig , f. 188 Ibid. . 189 Ibid. . 190 Ibid. .
Eine forschungsgeschichtliche Skizze von Reimarus zu Wellhausen
Falle Jesus unter dem Gesichtspunkt des noch nicht zur vollkommenen Erfüllung Gediehenen, nicht aber des Widerspruchs zur Vollkommenheit erschienen.“191 Kein liberaler Theologe hat das Alte Testament stärker abgelehnt als Adolf Harnack. Dennoch zeichnet er die Stellung Jesu zum Gesetz sehr vorsichtig. Die Behauptung, daß Jesus „für sich und seine Schüler die verpflichtende Kraft des Gesetzes aufgehoben habe“, könne „leicht durch die Evangelien widerlegt werden.“192 Als Beleg führt er Mt ,. an, und verweist pauschal auf die synoptischen Streit- und Schulgespräche. Richtig ausgelegt, „wird man finden, daß sie nicht der Autorität Moses’, sondern nur den Traditionen der Pharisäer widersprechen.“193 Aber dieser der matthäischen Redaktion entsprechende Jesus wird dann mit dem aus Markus erhobenen konterkariert; denn Harnack erkennt vorbehaltlos alle seit Ritschl diskutierten Torakonflikte an.194 So folgert Harnack: „Nach diesem allen scheint es, als nähme Jesus eine widerspruchsvolle Stellung zum Gesetz ein. Dieser Widerspruch besteht in der Tat und kann auch nicht durch die Annahme fortgeschafft werden, daß Jesus das Gesetz in seinen Grundzügen aufrecht erhalten und nur gewisse Teile abgeschafft habe. Das Gesetz ist eine Einheit; wer es teilweise übertritt oder auch nur an einem einzigen kleinen Punkt, der zerstört dadurch das Ganze.“195
Harnack sieht hier Jesus in der Nachfolge der Propheten: „Schon seit der Zeit der Propheten hat man die relative Wichtigkeit der Gebote diskutiert und Unterschiede gemacht zwischen wichtigeren und weniger wichtigen.“196 So scheint es „durchaus wahrscheinlich, daß Jesus gleich den Propheten vor ihm, in der Regel den Gegensatz zwischen dem Gesetz und seiner eigenen Lehre gar nicht empfand.“197 Und schließlich war sich Jesus „nicht nur bewußt, ein Prophet, sondern zugleich der Sohn Gottes zu sein, der den Vater kennt und der als solcher das Gesetz nicht braucht, um Gottes Willen zu erkennen und zu lehren.“198 Jesus hat zwar „Sünde, Selbstsucht, Mammonsdienst, Selbsgerechtigkeit, religiöse Heuchelei“ abgeschafft, „aber nicht das Gesetz. Das ließ er in dem Zustande, in dem es war, aber er begann eine kraftvolle innere Umwälzung, die schließlich zu seiner Vernichtung führen mußte.“199 Die „wahren Schüler Jesu“ waren daher nicht „diejenigen, die ihn sklavisch nachahmten und nicht willens waren, einen Schritt vorwärts zu tun, den er nicht ausdrücklich gelehrt hatte, sondern nur die, die in der Liebe und Freiheit des Geistes lebten, der von seiner Persönlichkeit ausging“, also v. a. Paulus.200
191
Ibid. A. Harnack, Hat Jesus das alttestamentliche Gesetz abgeschafft?, in: Ders., Aus Wissenschaft und Leben, Bd. II, Giessen , –; . 193 Ibid. . 194 Ibid. . 195 Ibid. f. 196 Ibid. . 197 Ibid. . 198 Ibid. . 199 Ibid. . 200 Ibid. . 192
Jesus und die Tora
Als die großen Liberalen Harnack und Holtzmann ihre abschließenden Voten zu unserem Thema abgaben, war schon längst eine neue Richtung in der exegetischen Zunft in Vormarsch, die – erst später – sogenannte „Religionsgeschichtliche Schule“. Wilhelm Bousset erklärt, der „neue Weg“ bestehe „in der Forderung einer konsequent – nicht nur vereinzelt – angewandten Heranziehung der religiösen Gedanken- und Stimmungs-Welt des Spätjudentums zum Verständnis der geschichtlichen Erscheinung Jesu. Es wird die Aufgabe gestellt, die Persönlichkeit Jesu – soweit dies möglich – von dem Boden aus zu begreifen, auf dem sie erwachsen ist, vom Boden des Spätjudentums.“201
Gegen einige Arbeiten dieser Richtung, v. a. gegen Johannes Weißens kurz vorher erschienene Schrift über die Predigt Jesu vom Reiche Gottes, richtet sich die methodologische Forderung: „Die Arbeit, die hier begonnen wird, muss auf eine religionsgeschichtliche Vergleichung Jesu im grossen Stil hinausgeführt werden, eine Vergleichung, in der ebenso sehr auf die gemeinsamen Züge wie auf den Gegensatz zwischen Jesus und dem Judentum geachtet wird, in der die grundlegende Frage erst entschieden werden kann, ob man Jesus von vornherein mehr im Rahmen des Judentums oder mehr im Gegensatz zu ihm verstehen soll, ob man auf Grund der gemeinsamen Basis erst die originalen Züge verstehen, oder von diesen den Ausgangspunkt nehmen und dann erst auf die wunderbaren Verknüpfungen und Verschlingungen achten soll, in denen das Neue mit dem Alten in der Gestalt Jesu verbunden erscheint.“202
Da Bousset sich weithin der kritischen Sicht des Spätjudentums (das wir heute mit guten Gründen Frühjudentum nennen) Wellhausens anschließt,203 kann sein Urteil nur lauten, daß „die Predigt Jesu vor allem und in erster Linie in ihrem Gegensatz zum Judentum verstanden werden muß.“204 Allerdings hat Bousset etwa Jahre später diese Position geändert. Schon in einer Rezension der . Auflage von J. Weiß äußerte er diesen Wandel,205 und in einem seiner Hauptwerke, der erstmals erschienenen „Religion des Judentums im neutestamentlichen Zeitalter“ liest man die bemerkenswerte Retractatio: „Eine Charakterisierung der Gesamtfrömmigkeit des Spätjudentums habe ich in der »Predigt Jesu in ihrem Gegensatz zum Judentum« . . . versucht, bin aber dabei in den entgegengesetzten Fehler einer zu einseitigen Hervorhebung des Gegensatzes der jüdischen gegen die evangelische Frömmigkeit verfallen.“206
In seinem allgemeinverständlichen Jesusbüchlein sieht Bousset daher in Mt ,ff.; Mk ,ff.; ,; ,f. torakritische Worte, hält aber auch Mt , für möglicherweise authentisch und beurteilt Jesu Stellung zum Gesetz daher als „paradox, bei aller inneren Freiheit ein demütiges Sich-Beugen, bei Differenzen im Einzelnen das
201 W. Bousset, Jesu Predigt in ihrem Gegensatz zum Judentum. Ein religionsgeschichtlicher Vergleich, Göttingen , . 202 Ibid. . 203 Ibid. , Anm. ; ; ; u. ö. 204 Ibid. . 205 W. Bousset, Das Reich Gottes in der Predigt Jesu II, ThR , , , Anm. . 206 W. Bousset, Die Religion des Judentums im neutestamentlichen Zeitalter, Berlin , .
Eine forschungsgeschichtliche Skizze von Reimarus zu Wellhausen
festgehaltene Bewußtsein der Übereinstimmung im Ganzen.“207 Diese unklare Positionsbestimmung verdankt sich natürlich den Prämissen des Religionsgeschichtlers. Zu dieser Richtung gehört auch Wilhelm Heitmüller. Sein allgemeinverständliches Jesusbuch zeichnet sich v. a. dadurch aus, daß er die zaghaft in die Diskussion gekommene Problematik eines methodischen Zugangs zur gesicherten Jesusüberlieferung aufgreift.208 Er sieht – Einsichten der formgeschichtlichen Forschung vorwegnehmend – nicht nur die Evangelienliteratur, sondern auch deren mündliche Vorstufen stark vom Glauben der Gemeinde geprägt. Als authentisch anzusehen ist daher in erster Linie „das Material, das etwa dem Glauben, der Theologie, der Sitte, dem Kultus der Urgemeinde zuwiderläuft oder wenigstens nicht völlig entspricht. Zu ihm dürfen wir unbedingtes Zutrauen haben. Das dürfen wir ausdehnen auf alles, was mit solchen Stoffen in organischer Verbindung steht.“209 So beurteilt Heitmüller Mt ,– als „Reflexion der Gemeinde oder des Evangelisten“210 , erkennt beim Ehescheidungsverbot Mk , und beim Wort über kultische Reinheit Mk , den Widerspruch zur Tora.211 Da Jesus aber das Gesetz nach Mk ,ff. als Weg zum Leben bezeichnet und gegen Gesetz und Zeremonien „nicht unmittelbar polemisiert“212 , bewertet er Jesu Haltung gegenüber der Gesetz als „undurchsichtig und doppelseitig“, und damit ist „Jesu Stellung durchaus die des frommen Juden“213 . Das ist im Klartext genau dasselbe Ergebnis wie bei Bousset. Zuletzt sollen noch zwei Einzelgänger zu Wort kommen. Der Schweizer Paul Wernle hatte zwar als Göttinger Student „Anschluß an Johannes Weiß und Wilhelm Bousset und überhaupt an die späteren Begründer der religionsgeschichtlichen Schule“214 , betont aber, er habe ihr nie angehört, „sofern diese unter Verkennung der Eigenart des Evangeliums eine Erklärung des Christentums von außen versuchte.“215 Die für unsere Fragestellung entscheidende Direktive gibt Wernle ziemlich am Anfang seines Jesusbuches: „Wer Jesus recht verstehen will, muß ihn als Juden, als bibelgläubigen Juden zu verstehen suchen.“216 Natürlich gibt es auch Gegensätze zum zeitgenössischen Judentum; deren letzter und entscheidender ist „Jesu runde Ablehnung der pharisäischen Schriftgelehrsamkeit und pharisäischen Gesetzlichkeit“217 .
207
W. Bousset, Jesus, Tübingen , . W. Heitmüller, Jesus, Tübingen , –. Zu dieser Diskussion s. D. du Toit, Der unähnliche Jesus. Eine kritische Evaluierung der Entstehung des Differenzkriteriums und dessen geschichts- und erkenntnistheoretischen Voraussetzungen, in: J. Schröter/R. Brucker (Hg.), Der historische Jesus. Tendenzen und Perspektiven der gegenwärtigen Forschung (BZNW ), Berlin/New York , –. 209 W. Heitmüller, ibid. . 210 Ibid. . 211 Ibid. . 212 Ibid. 213 Ibid, . 214 P. Wernle, Autobiographie, RWGS , , . 215 Ibid. . 216 P. Wernle, Jesus, Tübingen , . 217 Ibid. . 208
Jesus und die Tora
So behauptet Wernle: „durch unsre ganze evangelische Überlieferung geht als fester Zug die positive Stellung Jesu zum jüdischen Gesetz“218 und dekretiert, „ein eigentliches Problem der Stellung Jesu zum jüdischen Gesetz“ sei „nicht vorhanden, infolge seiner grundkonservativen Stellung zur jüdischen Bibel“219 ; vielmehr habe Jesus „einen großen und leidenschaftlichen Kampf nicht um das Gesetz, aber um das Verständnis des Gesetzes, um den wahren Sinn des Gotteswillens gegenüber Verfälschung und Künstelei“ geführt.220
Allerdings hat der so konservative Jesus in dieser Auseinandersetzung in Wort und Tat „die volle Freiheit des selbständigen Gotteskindes, das der Lehrmeister und Gewissensräte nicht bedarf“, gezeigt,221 ja er hat „sogar einzelnen Partien des Gesetzes gegenüber sich seine Freiheit bewahrt“222 ; Wernle verweist auf Mk ,– und Mt ,–.223 Jesus scheint sich der Tatsache nicht bewußt gewesen zu sein, daß er damit wichtige Partien des Gesetzes kritisierte, „konnten ihm doch seine Jünger das Wort in den Mund legen, »es solle kein Jota noch Häcklein vom Gesetz vergehen«, d. h. die Sanktion des mosaischen Gesetzes auch in seinen wertlosen und vergänglichen Bestandteilen. Man hat allen Grund, an der Echtheit eines solchen Jesuswortes zu zweifeln, das durch die Praxis Jesu widerlegt wird und mit allen Aussprüchen Jesu über das Zentrale, auf das alles ankommt, nicht zusammenstimmt. Aber daß es auch nur möglich war, Jesu konservative Stellung zum Gesetz auf eine solche Formel des Pedantismus und der Kleinlichkeitskrämerei zu bringen, verbietet uns für immer, aus Jesus einen Kritiker des Gesetzes zu machen.“224
Mit dieser jeglicher Logik spottenden Argumentation findet Wernle seine Prämisse bestätigt, die der liberalen wie der religionsgeschichtlichen Richtung ebenso zu eigen war. Der innerste Beweggrund war wohl das pietistische Erbe Wernles225 – er suchte das Urbild des bibeltreuen Pietisten in Jesus und fand es. Als Julius Wellhausen seine bahnbrechenden alttestamentlichen Forschungen mit seiner „Israelitische[n] und jüdische[n] Geschichte“ krönte,226 galt das vorletzte – in späteren Auflagen das letzte – Kapitel dem „Evangelium“. Hier zeichnet er v. a. sein Jesusbild. Zunächst ist Jesus Bußprediger für Israel wie Johannes der Täufer. Beide erwarten den Untergang der Theokratie. Jesus nennt Bedingungen, die Hoffnung angesichts des Gerichts machen: „Sein Gegensatz war von Anfang an gegen die Schriftgelehrten und die Pharisäer gerichtet. Ihren opera operanda setzt er die Gesinnung entgegen, ihrer vielgeschäftigen Gesetzlichkeit die 218
Ibid. f. Ibid. . 220 Ibid. . 221 Ibid. . 222 Ibid. . 223 Ibid. . 224 Ibid. 225 Er nennt sich selbst einen geborenen Pietisten (a. Anm. a. O., ; vgl. auch Äußerungen wie ; ). 226 J. Wellhausen, Israelitische und jüdische Geschichte, Berlin . Neueste mir bekannte Spezialuntersuchung: H. D. Betz, Wellhausen’s Dictum »Jesus was not a Christian, but a Jew« in Light of Present Scholarship, StTh , , –. 219
Eine forschungsgeschichtliche Skizze von Reimarus zu Wellhausen
höchste sittliche Autorität.“ Er weist den Gedanken des Lohns zurück. „Er atmet in der Furcht des Richters, der Treue im Geringsten verlangt und Rechenschaft fordert von einem jeglichen nichtsnutzigen Worte. »Niemand kann Knecht zweier Herren sein . . . « Dieser Monotheismus lässt sich mit keinen ausbedungenen Leistungen abfinden, seien sie auch noch so viel und gross, er fordert das Herz und den ganzen Menschen . . . Die Gerechtigkeit vor Gott ist ein Ziel, zu hoch für die Methode der Schule. Wir straucheln alle auf dem Wege, der Pharisäer hat vor dem frommen Zöllner nichts voraus . . . Jesus hat einen heiligen Zorn auf die Anmaassung der Separatisten, auf ihre Neigung zu richten, auf ihre Scheu vor Berührung mit den Sündern. Kein Gebot schärft er nachdrücklicher ein als das, Andern die Schuld zu vergeben, so wie man für sich selber Vergebung im Himmel erhofft. Er schämt sich der Sünder nicht, sondern wendet sich ihnen zu, wenn sie seiner bedürfen.“227 Und hier kann sich der Göttinger Ordinarius einer leisen Kritik nicht enthalten: „Seine Vorliebe für sie scheint manchmal etwas weit zu gehen, man muss aber dabei stets seinen Gegensatz gegen die Pharisäer in Anschlag bringen. Von schwächlicher Philanthropie gegen Verbrecher ist er entfernt, er setzt die bürgerliche Gerechtigkeit voraus, die menschliche Ordnung und die Obrigkeit erkennt er in ihrem Bereich vollkommen an.“ In der . Auflage ist der Tadel und auch das „vollkommen“ gestrichen. Noch bürgerlicher geht Wellhausen – nicht als erster – mit dem Schwurverbot Mt , um. In einer Anmerkung liest man: „Er verbietet nicht den geforderten Eid vor Gericht, sondern das beständige freiwillige Schwören, das den Orientalen so geläufig ist, namentlich das promissorische. Das ist für jeden klar, der einige Kenntnis der Verhältnisse besitzt und ein Körnchen Salz mitbringt.“228 Da ist das Salz wohl dumm geworden – diese Anmerkung ist in der . Auflage ersatzlos gestrichen.
Dieser Jesus steht in ständiger Auseinandersetzung mit Schriftgelehrten und Pharisäern. „Jesus spottet über ihre vorgeschriebenen und mit Ostentation verrichteten Werke der Heiligkeit, über ihre Art Almosen zu geben, zu fasten und zu beten, ihr ewiges Waschen von Händen und Geräten, ihr Verzehnten von Dill und Kümmel, ihre Ängstlichkeit im Halten des Sabbats, ihr Mückenseihen und Kamelverschlucken. Er weiss einen besseren Gottesdienst als die unfruchtbare Selbstheiligung: den Dienst des Nächsten . . . Die Ascese verbietet er zwar nicht, macht aber kein Gebot daraus und schreibt ihr kein Verdienst zu; im Unterschiede zu Johannes dem Täufer isst und trinkt er und ist fröhlich mit den Fröhlichen. Er bezeichnet als das Schwerste im Gesetz die gemeine Moral, Billigkeit und Treue und Güte. Eben diese natürliche Moral nennt er das Gebot Gottes; jene übernatürliche, welche sie überbieten will, ist ihm willkürliche Satzung. Um des Menschen willen sind die Gebote gegeben; was dem Nächsten angetan wird, sieht Gott an, als sei es ihm getan.“229 Damit ist die Grundlage für die kurze Behandlung unseres Themas gelegt. „Jesus wollte nicht auflösen, sondern erfüllen, d. h. den Intentionen zum vollen Ausdruck verhelfen. In Wahrheit hat er damit sowol das Gesetz als auch die Hoffnung der Juden aufgehoben und die Theokratie selber innerlich überwunden. Aber er war kein wollender Umstürzer und Gründer. Er liess dem Sauerteige Zeit zu wirken.“230 In der . Auflage wird das „Erfüllen“ des Gesetzes deutlicher artikuliert: „In Wahrheit hat er damit sowol das Gesetz als auch die Hoffnung der Juden aufgehoben . . . Nach 227 228 229 230
J. Wellhausen, a. a. O., f. Ibid. , A. . Ibid. f. Ibid. .
Jesus und die Tora
einigen Spuren ist er wol auch äusserlich schroffer und rücksichtsloser gegen den jüdischen Cultus, gegen den Tempel und gegen das Gesetz selber aufgetreten, als es nach den Evangelien im Ganzen scheint. Aber er war doch kein Woller, kein Umstürzer und Gründer . . . “231 Insbesondere hat er „nicht daran gedacht, die jüdische Kirche zu zerstören und die christliche an die Stelle zu setzen. Auch sein Ideal war zwar die Gemeinschaft, wie sie immer und überall das menschliche Ideal ist; aber es war eine Gemeinschaft der Geister in der göttlichen Gesinnung. Jesus organisirte nicht, sondern nachdem er seine eigene Seele gewonnen hatte, gewann er andere; auf diese Weise ward er das erste Glied einer neuen Geisterreihe.“232 Daß Wellhausen der Gesetzeskritik Jesu in der . Auflage etwas mehr Bedeutung gab, hängt sicher damit zusammen, daß er ab sich gewissermaßen hauptamtlich mit den Evangelien befaßte.233 In kürzester Zeit schrieb er seine Beobachtungen in kurzen kommentarartigen Büchern nieder und faßte seine Sicht in einer Einleitung in die ersten drei Evangelien zusammen.234 Beim Durchgang durch die Synoptiker wird die Gesetzesproblematik nur beim Verbot der Ehescheidung durch Jesus berührt;235 in der Einleitung wird sie m. E. etwas verwässert. „Jesus war kein Christ, sondern Jude. Er verkündete keinen neuen Glauben, sondern er lehrte den Willen Gottes tun. Der Wille Gottes stand für ihn wie für den Juden im Gesetz und in den übrigen heiligen Schriften, die dazu gerechnet wurden. Doch wies er einen anderen Weg ihn zu erfüllen als den, welchen die jüdischen Frommen nach Anleitung ihrer berufenen Führer für den richtigen hielten und peinlich befolgten.“236 Wenn Gesetzeskritik bei Jesus sich zeigt, stand der Wille Gottes doch wohl nicht so absolut in der Schrift! Und wie sollte Jesus den im Gesetz gegebenen Willen Gottes anders als seine frommen Zeitgenossen erfüllen, wenn nicht durch genaues Befolgen? Das Bild des Juden Jesus wird noch unklarer: „Man wird durchaus an die alten Propheten erinnert, aber für diese gab es das schriftliche Gesetz noch nicht . . . Eigentümlich ist, daß auch Jesus durch das Gesetz sich nicht eigentlich beengt und bedrückt fühlt; die Stellungnahme dazu ist für ihn keine peinliche Frage wie für die Urgemeinde, und er setzt sich bei Markus nicht prinzipiell damit aus einander . . . In der Tat steht er überall, wo es darauf ankommt, dem Gesetz, ohne dagegen zu rebellieren, doch ganz unbefangen und frei gegenüber . . . Man kann sich nicht wundern, daß es den Juden so vorkam, als wollte er die Grundlagen ihrer Religion zerstören. Seine Absicht war das freilich nicht, er war nur zu den Juden gesandt und wollte innerhalb des Judentums bleiben – vielleicht auch deshalb, weil er das Ende der Welt für nahe bevorstehend hielt. Der Schnitt erfolgte erst durch die 231
J. Wellhausen, Israelitische und jüdische Geschichte, Berlin , . Ibid. 233 S. R. Smend, Beziehungen zwischen alttestamentlicher und neutestamentlicher Wissenschaft, ZThK , , –, f. = Ders., Bibel – Theologie – Universität, Göttingen (KVR ), –, f. 234 J. Wellhausen, Das Evangelium Marci, Berlin ; Ders., Das Evangelium Matthaei, Berlin ; Ders., Das Evangelium Lucae, Berlin ; Ders., Einleitung in die drei ersten Evangelien, Berlin . 235 S. Das Evangelium Marci zu Mk ,; Das Evangelium Matthaei zu Mt ,. 236 J. Wellhausen, Einleitung, a. Anm. a. O., f. Ähnlich in Einleitung , f. 232
Eine forschungsgeschichtliche Skizze von Reimarus zu Wellhausen
Kreuzigung, und praktisch erst durch Paulus. Es lag aber in der Konsequenz von Jesu eigener Lehre und seinem eigenen Verhalten. Man darf das Nichtjüdische in ihm, das Menschliche, für charakteristischer halten, als das Jüdische.“237 Daß Wellhausen den „Schnitt“ in der Consequenz der Lehre Jesu sieht, ist für unser Thema wichtig: Die zunehmend von ihm eingeräumten Torakonflikte dürften damit angesprochen sein. Ob das seit den er Jahren des vorigen Jahrhunderts so oft zitierte Wort „Jesus war kein Christ, sondern Jude“ zu Recht als Beleg für Jesu Angehörigkeit zum mainstream Judaism oder common Judaism verwendet wird, ist zu bezweifeln. Der „gute Jude“ im ausgehenden „Zeitalter des zweiten Tempels“ stand fest auf dem Boden der Tora, mögen auch Einzelheiten unterschiedlich ausgelegt worden sein. Für Wellhausen war Jesus eine idealtypische Gestalt, der Typ des liberalen Theologen. Diese Gestalt hat im Laufe der intensiven Arbeit am Neuen Testament Risse und Sprünge bekommen, deren schlimmster gewesen sein dürfte, daß Wellhausen irgendwelche messianischen Ambitionen bei Jesus vermutete.238 Das führte zu der Raunung: „Bis zu einem gewissen Grade könnte Reimarus Recht haben.“239 So hat er in der letzten zu seinen Lebzeiten erschienenen Auflage der „Israelitischen und jüdischen Geschichte“ dem letzten Kapitel „Das Evangelium“ die resigniert klingende Anmerkung hinzugefügt: „Ich habe dies Kapitel stehn lassen, obgleich ich nur noch teilweise damit einverstanden bin.“240
IV. Ausblick Schon David Friedrich Strauß, der Vater der wissenschaftlichen Jesusforschung, stand vor einem Dilemma. Einerseits gibt es Aussprüche und Handlungen Jesu, die vermuten lassen, daß „in der Absicht des Stifters die Abschaffung des Mosaismus gelegen habe“241 , aber es finden sich „ebenso Data, welche zu beweisen scheinen, daß er an einen Umsturz der alten Religionsverfassung seines Volkes nicht gedacht habe.“242 Er erklärt dieses Dilemma als Folge der Inkonsequenz Jesu, der aus „tiefgewurzeltem Respect vor dem heiligen Gesetzbuch“243 vieles Unwesentliche nicht ablehnte. Bei dieser etwas zwiespältigen Sicht ist es im Wesentlichen geblieben. Zwar haben alle historisch-kritischen Exegeten dieselben Texte wie schon Ritschl in der zweiten Auflage seiner „Entstehung der altkatholischen Kirche“ bearbeitet und auch – mit Nuancierungen – deren torakritischen Sinn erkannt. Was bringt einen Holtzmann oder einen Heitmüller dazu, klare exegetische Einsichten zu verwässern?
237
Ibid. f. J. Wellhausen, Einleitung , f. 239 Ibid. : „Einen Aufstand gegen die Römer hat er freilich nicht geplant, von der Fremdherrschaft wollte er sein Volk nicht befreien. Wohl aber von dem Joch der Hierokratie und der Nomokratie.“ 240 J. Wellhausen, Israelitische und jüdische Geschichte, . Ausgabe, Berlin ; seither in allen Auflagen bis zu den Nachdrucken der jetzt gebräuchlichen neunten (Berlin ), S. . 241 D. Fr. Strauß, Das Leben Jesu, Bd. , Tübingen , f. 242 Ibid. . 243 Ibid. . 238
Jesus und die Tora
War es die lutherische Grundstimmung vieler Gelehrter, die einen gegen menschliche Traditionen aber für die Schrift kämpfenden Jesus gerne als Vorbild für den Reformator annahm, weil das lutherischer Eitelkeit schmeichelte? Oder war es der gut bürgerliche Hintergrund der Professorenschaft, der einen Konflikt Jesu mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch seines Volkes nicht gerne zugeben ließ? Hätte ein „königlicher Professor“ oder ein „großherzoglicher Professor“ einen Revolutionär lehren dürfen? Der epochale Umbruch, den der . Weltkrieg für die Evangelische Theologie brachte, ließ Ansätze zu neuer Sicht der Jesusforschung wirksam werden. Vor allem ging das Vertrauen in die biographische Zuverlässigkeit des Markusevangeliums verloren. Schon Wellhausens Analysen hatten da entscheidend vorgearbeitet; K. L. Schmidts Berliner Habilitationsschrift führte das bis ins kleinste Detail aus: Der „Rahmen der Geschichte Jesu“ ist weitgehend Werk des Redaktors Markus.244 Die These von W. Wrede, Markus sei ein dogmatisches Buch,245 war ff. allgemein abgelehnt worden; ihre Rezeption durch R. Bultmann half ihr zu größerer Beachtung. Wichtig ist auch die Tatsache, daß Bultmann schon in der . Auflage seiner Geschichte der synoptischen Tradition die u. a. von seinem Doktorvater Heitmüller angestoßene Kriterienfrage aufnahm. Worte wie Mk ,; ,; ,; Lk ,a; Mk ,b.; Lk ,; Mk ,; ;; Lk ,; ,; Mt ,b–.– „enthalten etwas Charakteristisches, Neues, was über Volksweisheit und Volksfrömmigkeit hinausgeht und doch ebensowenig spezifisch schriftgelehrt-rabbinisch oder jüdischapokalyptisch ist. Also wenn irgendwo, so muß hier das Charakteristische der Verkündigung Jesu zu finden sein.“246 Zum Thema „Gesetzesworte“ erklärt Bultmann: „Das älteste Gut . . . liegt offenbar in den kurzen Kampfworten vor, die maschalartig Jesu Stellung zur jüdischen Frömmigkeit zum Ausdruck bringen wie Mk ,; ,; Mt ,–. f. f. Hier hat man m. E. am ersten das Recht, in Form und Inhalt ursprüngliche Jesusworte zu finden.“247 In einer allgemeinverständlichen Schrift hat Bultmann Jahre später über „Worte über das Gesetz“ gehandelt. Er hebt hier Mk ,; ,–; Mt ,–.–.–; ,– hervor. Es handelt „sich hier um Worte, die ihre eigentlichen Parallelen in der Predigt der alten Propheten gegen die äußerliche Frömmigkeit haben. Sie können in ihrer reinen Gegensätzlichkeit zur Gesetzesfrömmigkeit weder aus dem zeitgenössischen Judentum stammen, wenn auch hier bei diesem und jenem Lehrer der Geist einer freieren Frömmigkeit aufleuchtet, noch aus der Gemeinde; denn bei dieser beobachten wir, wie eine Neigung zur Gesetzlichkeit allmählich eindringt. Mag sie die Formulierung dieses und jenes Wortes gestaltet haben, im ganzen weisen die Worte des Kampfes gegen die Gesetzlichkeit und für einen geistigen Gehorsam unter Got244 K. L. Schmidt, Der Rahmen der Geschichte Jesu. Literarkritische Untersuchungen zur ältesten Jesusüberlieferung, Berlin ; unveränderter Nachdruck Darmstadt . 245 W. Wrede, Das Messisasgeheimnis in den Evangelien. Zugleich ein Beitrag zum Verständnis des Markusevangeliums, Göttingen ( ; ; ). 246 R. Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen , . 247 Ibid. .
Eine forschungsgeschichtliche Skizze von Reimarus zu Wellhausen
tes Willen auf die prophetische Persönlichkeit dessen zurück, dem die Gemeinde ihre Existenz verdankt, auf die Persönlichkeit Jesu.“248 Von einem ähnlichen Ausgangspunkt aus urteilte der Dibelius-Schüler Werner Georg Kümmel einige Jahre später über unser Thema. In seinem ersten Aufsatz wendet sich Kümmel besonders der Frage zu, „worin denn historisch die Eigenart des Christentums gegenüber den andern antiken Religionen bestehe, und wie es kommt, daß das Christentum diesen andern Religionen als etwas anderes und als der Sieger gegenübertritt.“249 Das spitzt sich zu zu der Frage, „worin der eigentliche Gegensatz zwischen der Botschaft Jesu und der Lehre der Führer seines Volkes bestehe, damit aber zugleich, worin das Wesentliche der Botschaft Jesu überhaupt liege.“250 Ungeachtet einzelner materieller Ähnlichkeiten und Unterschiede zu den Rabbinen ist die Erkenntnis entscheidend, „daß Jesus formal sich von den Rabbinen radikal unterscheidet, weil er ohne Rücksicht auf rechte oder falsche Auslegung von Torageboten Gottes Willen verkündete.“251 Das Ergebnis: „Er erklärt ausdrücklich einen Teil der Tora für ungültig.“252 Zwar „leugnet Jesus durchaus nicht, daß in Tora und Tradition Gottes Willen zu finden sei. . . . Aber Jesus nimmt sich heraus, von sich aus zu bestimmen, was im Gesetz und in der Tradition Gottes Wille ist. . . . Jesus behauptet, von sich aus und unmittelbar Gottes Willen zu wissen. Damit aber wird deutlich, daß hinter der Haltung Jesu zum Gesetz sein Bewußtsein steht, von Gott gesandt zu sein, von Gott den Auftrag erhalten zu haben, vor dem Eintreten des Gottesreiches Gottes Willen zu verkünden, von Gott zu dem Messias des kommenden Gottesreiches bestimmt zu sein.“253 Kümmel beschließt diesen Abschnitt mit dem Spitzensatz: „Mit Jesus war etwas Neues, Vollkommenes gekommen, das Gesetz war bedeutungslos geworden, so daß Jesus sagen konnte, was man ihm so ungern zutraut: »Das Gesetz und die Propheten waren bis Johannes!«“254 Dieser Hinweis auf Lk ,//Mt , ist bemerkenswert, denn dieses Logien wurde und wird meistens übergangen. In diesem Logion gipfelt auch ein zweiter, ein Jahr später veröffentlichter Aufsatz Kümmels255 , der dieselbe Position mit Hilfe umfassender Nachweise darstellt. Überraschend ist allerdings das Votum: „Jesus wollte das Gesetz nicht beseitigen, vielmehr wollte er durch seine Botschaft vom Willen Gottes den wahren Sinn des Gesetzes auf-
248 R. Bultmann, Die Erforschung der synoptischen Evangelien, Aus der Welt der Religion, N. F. , ; zitiert nach dem Nachdruck der . Auflage, , in: R. Bultmann, Glauben und Verstehen, IV. Band, , . Hier liegt schon das durch die griffigere Formulierung „Unableitbarkeitsprinzip“ bekannt gewordene Kriterium Ernst Käsemanns vor! 249 W. G. Kümmel, Jesus und die Rabbinen, Kirchenblatt für die Reformierte Schweiz , , –; –; zitiert nach dem Nachdruck in: W. G. Kümmel, Heilsgeschehen und Geschichte. Gesammelte Aufsätze –, hg. v. E. Grässer, O. Merk und A. Fritz, Marburg , –; Zitat S. . 250 Ibid. . 251 Ibid. . 252 Ibid. . 253 Ibid. . 254 Ibid. 255 W. G. Kümmel, Jesus und der jüdische Traditionsgedanke, ZNW , , –, zitiert nach dem Nachdruck in W. G. Kümmel, Heilsgeschehen und Geschichte (s. Anm. ), .
Jesus und die Tora
zeigen.“256 Dazu soll Mt , dienen, ein schon lange umstrittenes Wort, dem Kümmel entnimmt, Jesus wolle „die Tora nicht beseitigen, wohl aber ohne Rücksicht auf den menschlichen Buchstaben als Gottes Willen richtig erklären und ihr damit ihren wahren Sinn geben“257 ! Das erinnert doch stark an die von den Liberalen und den Religionsgeschichtlern behauptete Zwiespältigkeit der Position Jesu. Der bei Bultmann und Kümmel richtige Ansatz, nach dem für Jesus Charakteristischem, Eigenem zu fragen, führte zunächst im Bereich der streng wissenschaftlichen Theologie nicht weiter. In Deutschland wurde die Frage nach dem historischen Jesus als theologisch illegitim abgetan258 , im europäischen und amerikanischen Umfeld kam es kaum zu Neuansätzen.259 Martin Dibelius geht in seinem allgemeinverständlichen Jesusbüchlein die Gesetzesfrage sehr vorsichtig an. „Die Mitte der Botschaft Jesu, die Verkündigung des Reiches Gottes, ließ sich mit jüdischer Hoffnung wohl verbinden. Der Radikalismus dieser Verkündigung freilich, das ausschließliche »Eins ist not«, entwertete den Anspruch aller andern Pflichten, auch der kultischen, auch der gesetzlichen und der jüdisch-nationalen.“260 Welches war der Grund für die tödliche Feindschaft, die Jesus aus dem Judentum erwuchs? „Die strenge jüdische Frömmigkeit der Zeit Jesu beruht auf der Auslegung der Bibel. Alles muß aus der Schrift abgeleitet, alles muß aus der Schrift bewiesen werden. Jesus hat gelegentlich Schriftgelehrte mit einer Schriftstelle widerlegt (Mark ,), aber er hat seine Botschaft nicht aus der Bibel abgeleitet. Das Gesetz könnte mit seinen Vorschriften den Menschen zum Anlaß werden, den absoluten Gotteswillen zu erkennen. Aber die Menschen haben sich um diese Möglichkeit betrogen durch ihren Ausbau der Vorschriften zum gesetzlichen System. Darum stellt er in der Bergpredigt sein »ich aber sage euch« neben das, was »den Alten gesagt ist«; aber er tut es als der, der Gottes Willen weiß, ohne Ableitung und Begründung. Er redet als einer, der Recht und Macht besitzt, und nicht wie ihre Schriftgelehrten (Matth ,) – dies aber muß aber in den Augen der Juden als Ketzerei erscheinen. Denn die Stimme der Propheten ist verklungen, und niemand hat das Recht, den Willen Gottes von sich aus zu verkünden. So muß die Autorität, – ganz gleich, mit welchem Titel man sie bezeichnet – als Lästerung erscheinen. Jesus ist der Erzketzer – was brauchen sie weiteres Zeugnis!“261
Damit ist Wichtiges gesagt; aber der Konflikt mit gesetzlichen Vorschriften ist ausgeblendet. Einen überaus deutlichen Ton gab die Posaune Ernst Käsemanns in seinem Vortrag über das Problem des historischen Jesus, der dieses Thema nun auch wieder „salonfähig“ machte.262 Er hat das schon bei Bultmann zu findende Echtheitskriteri256
Ibid. . Ibid. 258 Vgl. R. Bultmanns These, das „Daß des Gekommenseins“ Jesu genüge für das Kerygma. NB! Auf Autoren, die den Deutschen Christen nahestanden, gehe ich nicht ein, da ihre Ergebnisse immer etwas im Zwielicht stehen. 259 Vgl. W. P. Weaver, The Historical Jesus in the Twentieth Century, –, Harrisburg, PA, , –. 260 M. Dibelius, Jesus, Slg. Göschen , Berlin , zitiert nach der dritten Auflage mit einem Nachwort von W. G. Kümmel, Berlin , . 261 Ibid. f. 262 E. Käsemann, Das Problem des historischen Jesus, ZThK , , –; zitiert nach dem Wiederabdruck in E. Käsemann, Exegetische Versuche und Besinnungen I, Göttingen , –. 257
Eine forschungsgeschichtliche Skizze von Reimarus zu Wellhausen
um zugespitzt: „Einigermaßen sicheren Boden haben wir nur in einem einzigen Fall unter den Füßen, wenn nämlich Tradition aus irgendwelchen Gründen weder aus dem Judentum abgeleitet noch der Urchristenheit zugeschrieben werden kann.“263 Mit der strengen Anwendung dieses später sog. Unableitbarkeitskriteriums stellt er fest, daß Jesus „eine Autorität beansprucht . . . , welche neben und gegen diejenige des Moses tritt“264 . Zu Jesu »ich aber sage« „gibt es keine Parallelen auf jüdischem Boden und kann es sie nicht geben. Denn der Jude, der tut, was hier geschieht, hat sich aus dem Verband des Judentums gelöst oder – er bringt die messianische Thora und ist der Messias.“265 Besonders scharf legt Käsemann das Logion Mk , aus. „. . . wer bestreitet, daß die Unreinheit von außen auf den Menschen eindringt, trifft die Voraussetzungen und den Wortlaut der Thora und die Autorität des Moses selbst . . . Er hebt die für die gesamte Antike grundlegende Unterscheidung zwischen dem Temenos, dem heiligen Bezirk, und der Profanität auf und kann sich deshalb den Sündern zugesellen.“266 Hier meint man, ein Echo des Forschungsberichtes von Holtzmann zu hören! In dem weltweit verbreiteten Taschenbuch Günter Bornkamms – auch er ein Schüler Bultmanns – erklingt die Posaune nur mezzoforte.267 Schrill tönte sie im Taschenbuch des Außenseiters Ethelbert Stauffer.268 Er stellt fest: „Jesus stand völlig allein in seiner Zeit, sterbenseinsam in seinem Volk . . . die führenden Männer seines Volkes haben ihn bekämpft und vernichtet, seine Anhänger haben ihn mißverstanden, seinen Jüngern war er ein Ärgernis . . . Die kritische Konsequenz liegt auf der Hand: Nicht die jüdischen Herrenworte der Evangelien sind die echtesten, sondern die unjüdischen und antijüdischen . . . Von »antisemitischen« Worten kann keine Rede sein, wohl aber von antiqumranischen, antipharisäischen, antirabbinischen, antimosaischen Worten. Um dieser Kampfworte willen ist Jesus monatelang verfolgt und schließlich gekreuzigt worden . . . Schon darum gehören jene Kampfworte zum Zuverlässigsten, was wir über seine Botschaft erfahren.“269 Ähnlich schroff hat sich m. W. nur noch Ferdinand Hahn geäußert.
263
Ibid. . Ibid. . 265 Ibid. 266 Ibid. . 267 G. Bornkamm, Jesus von Nazareth, Stuttgart usw. (Urban Tb. ) –. Er zitiert zwar Käsemanns Votum zu Mk ,, aber er macht ohne Begründung einen Rückzieher: „Ob dieses erste Wort schon als ein Angriff auf den Buchstaben der Tora von Jesus gemeint war, mag man . . . fragen“ (). Offene Torakritik sieht B. beim Thema Ehescheidung (Mk ,ff.) und im „ich aber sage euch“ der Bergpredigt (f.). Aber auch da kommt ein Rückzieher: „Bei dem Gesagten darf selbstverständlich keinen Augenblick vergessen werden, daß Jesus nicht daran denkt, Schrift und Gesetz aufzuheben und durch seine eigene Botschaft zu ersetzen. Sie sind und bleiben die Bekundung des Gotteswillens. Aber dieser Wille Gottes ist für ihn so unmittelbar da, daß an ihm auch der Buchstabe des Gesetzes . . . gemessen werden kann“ (). Damit wird die Haltung Jesu widersprüchlich und unklar. In der ., neu bearbeiteten und ergänzten Auflage von fehlt zwar der „Rückzieher“ bei Mk ,, aber man liest wieder von „Jesu Bindung an das Gesetz“ (). 268 E. Stauffer, Die Botschaft Jesu damals und heute, Bern/München , Dalp-Taschenbuch , –. 269 Ibid. . 264
Jesus und die Tora
Er geht aus von der Feststellung, „daß Jesus mit den verschiedensten Gruppen in Konflikte geraten ist. Sein Wirken rief Widerspruch auf breitester Front unter den damaligen Repräsentanten des Judentums hervor. Und hier liegt zweifellos eins der zentralen Probleme für das Verständnis des irdischen Jesus. Es kann auch nicht gut bestritten werden, daß dieser Konflikt eine grundsätzliche Bedeutung hatte und die Fundamente des jüdischen Glaubens, vor allem das Gesetzesverständnis, betraf. Nicht ohne Grund zieht sich durch die Jesusüberlieferung wie ein roter Faden hindurch, daß der Vorwurf der Gotteslästerung ihm gegenüber erhoben wurde . . . »Gotteslästerer« ist nach jüdischem Verständnis derjenige, der sich der Norm des Gesetzes nicht fügt, genauer noch: der sogar todeswürdige Grundverordnungen der Tora mit Absicht übertritt. An Jesu provokatorischem Verhalten am Sabbat, an seiner Ignorierung der rituellen Reinheitsforderungen, an seinem Verhalten gegenüber der aufgrund von Gesetzesbestimmungen aus der Gemeinschaft ausgeschlossenen Kranken, an seiner Gemeinschaft mit denen, die das Gesetz nicht beachteten, zeigt sich, daß er nicht bereit war, als Jude jüdisch zu leben im Sinne des damaligen jüdischen Selbstverständnisses, gleich welcher Schattierung. Daß er außerhalb der geregelten Kultpraxis Menschen die Vergebung der Sünden zugesprochen hat und im Streitfalle ausdrücklich gegen Gesetz und Gesetzestraditionen Stellung nehmen konnte, ließ an seinem nonkonformistischen Verhalten keinen Zweifel mehr aufkommen.“270
Damit sind alle entscheidenden Sachverhalte aufgezeigt. In der lebhaften Diskussion der Sechziger- und Siebzigerjahre des . Jahrhunderts geht es dann meist nur um die Frage nach der Tragweite dieser Kritik. Dieses Feld ist anderwärts vermessen worden, ebenso die in den er Jahren einsetzende generelle Wende zu einem toratreuen Jesus im Sinne des Reimarus.271 Jahre ernsthafter Bemühungen um die Probleme, die endlich zu einem relativen Konsens zu führen schienen, wurden par ordre du Mufti ausgelöscht.272
270 F. Hahn, Methodologische Überlegungen zur Rückfrage nach Jesus, in: K. Kertelge (Hg.), Rückfrage nach Jesus. Zur Methodik und Bedeutung der Frage nach dem historsichen Jesus (QD ), Freiburg usw. , (–), f. 271 Hierfür verweise ich auf W. G. Kümmel, Jahre Jesusforschung, –, Weinheim (BBB ), und H. Merkel, Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach , in diesem Band S. bis . 272 Ein Beispiel aus dem Buch von J. Schröter, Jesus von Nazareth, Jude aus Galiläa – Retter der Welt, Leipzig : „Jesus teilte selbstverständlich die grundlegenden Überzeugungen des Judentums. Im Zentrum steht der Glaube an den einen Gott, der Israel erwählt, mit ihm seinen Bund geschlossen und ihm das Gesetz als Inhalt dieses Bundes gegeben hat . . . Das Milieu, in dem Jesus aufwuchs und das ihn prägte, war von diesen jüdischen Traditionen bestimmt. Angesichts der in christlicher Theologie lange Zeit gängigen Auffassung einer angeblich ablehnenden Haltung Jesu gegenüber dem jüdischen Gesetz ist deutlich herauszustellen, dass das Gesetz im Judentum Anleitung für ein Leben nach dem Willen Gottes, also der positive Kern der Religion, war und keineswegs ein bedrückendes System von Vorschriften. Es geht deshalb in den Auseinandersetzung in der Jesusüberlieferung auch stets um das richtige Verständnis des Gesetzes, seine grundsätzliche Geltung steht dagegen nicht in Frage.“ (f.; vgl. ). Dazu nur zwei Anmerkungen: (a) W. G. Kümmel hat schon Jahre vor Schröter von der gleichen Voraussetzung aus eine klügere Frage gestellt: „Jesus ist ohne Zweifel als frommer Jude in diesem Glauben an die eine Tradition vom Sinai her aufgewachsen. Die Frage ist nur, wie er sich zu diesem ihm überlieferten Traditionsglauben stellte, als er als selbständiger Lehrer auftrat“ (a. Anm. a. O., ). (b) Schon die Konkordanz zeigt, daß weder Erwählung Israels noch der Bund für die Verkündigung Jesu eine Rolle spielen. Für den Bundesgedanken hat dies T. Holmén, Jesus and Jewish Covenant Thinking, Leiden (bis ), nachgewiesen.
Eine forschungsgeschichtliche Skizze von Reimarus zu Wellhausen
Manche Vertreter dieser oft als „Third Quest“ bezeichneten Richtung gehen inzwischen wieder zu einer streng historisch-kritischen Sicht der Synoptiker über.273 Damit wird dann hoffentlich die Forderung erfüllt, „daß wir Grundanstöße vergangener Forschung aufgreifen und deren bleibende Fragestellungen bedenken müssen im eigenen Wissen des dauernden Weitergehens jeder wissenschaftlichen Arbeit.“274
Dazu einige Hinweise in meinem Aufsatz Markus ,f.: Tempelreinigung oder Tempelblasphemie? (in diesem Band S. bis ; hier S. mit Anm. und ). Eine Darstellung der neueren Forschungsgeschichte unseres Themas von der überlegenen Warte der Third Quest aus bietet Karlheinz Müller, Forschungsgeschichtliche Anmerkungen zum Thema »Jesus und das Gesetz«. Versuch einer Zwischenbilanz, in: M. Karrer/W. Kraus/O. Merk (Hgg.): Kirche und Volk Gottes, Festschrift für J. Roloff zum . Geburtstag, Neukirchen-Vluyn , –. 274 O. Merk, Werner Georg Kümmel –: Ein Neutestamentler im . Jahrhundert, in: SangWon (Aaron) Son (Hg.): History and Exegesis. New Testament Essays in Honor of Dr. E. Earle Ellis for His th Birthday, New York–London , –, . 273
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. Exegesen zu Joh ,–; ,–.–; ,–; ,–, in: Gottesdienstpraxis V. Perikopenreihe, Erg. bd. Exegesen, hg. v. E. Domay u. H. Nitschke, Gütersloh , S. –; –; –; –; –. . Christologische Traditionen in den Pastoralbriefen, Beitrag zu einer ungedruckten Festgabe von Mitarbeitern des Instituts für NT in Erlangen für O. Merk zum .., Mskr. S. . Art. Feste und Feiertage IV. TRE Bd. , , S. –. . Art. τελώνης, in: EWNT Bd. , , Sp. –. . Evangelisch-Katholischer Kommentar zum NT (Sammelrezension), MD , , S. –. . Art. Gerechtigkeit IV. (Alte Kirche), TRE Bd. , , S. –. . Art. Gericht Gottes IV. (Alte Kirche bis Reformationszeit), TRE Bd. , , S. –. . Art. Gesetz IV. (Alte Kirche), TRE Bd. , , S. –. . Exegesen zu Mt , –; Lk ,–; Joh ,–; ,–, in: Gottesdienstpraxis A I , hg. v. H. Nitschke, Gütersloh , S. –; –; –; S. –. . Clemens Alexandrinus über die Reihenfolge der Evangelien, ETL , , S. – . . The opposition between Jesus and Judaism, in: Jesus and the Politics of His Day, hg. v. E. Bammel u. C. F. D. Moule, Cambridge , S. –. . Exegesen zu Joh ,–; ,–; ,–; ,–; ,–, in: Gottesdienstpraxis A III , , S. f.; –; –; –; –. . Rezension von W. Simonis, Jesus von Nazareth – Seine Botschaft vom Reich Gottes und der Glaube der Urgemeinde, Theolog. Literaturdienst , , S. f. . Art. Charisma I, EKL I, , Sp. f. . Art. Ebjoniten, EKL I, , Sp. –. . Der Epheserbrief in der neueren exegetischen Diskussion, ANRW II. ., , S. –. . Das „geheime Evangelium“ nach Markus, in: W. Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen, . Aufl., Bd. , Tübingen , S. –. . Exegesen zu . Kor ,–; ,–.–; ,–, in: Gottesdienstpraxis A IV , , S. –; f.; –. . Art. Herodes, RAC Bd. , , Sp. –. . Bibelkunde des Neuen Testaments. Ein Arbeitsbuch, ., erneut durchgesehene und ergänzte Auflage, Gütersloh , S. . Art. Hellenismus EKL II, , Sp. –. . Art. Judasbrief, EKL II, Sp. f. . Art. Judenchristen , EKL II, Sp. f. . Exegesen zu Joh ,–; ,–; ,–, in: Gottesdienstpraxis A V , , S. f.; –; –. . Predigt über Lk ,–, in: Lebenswort. Erlanger Universitätspredigten, Manfred Seitz zum . Geburtstag, hg. v. W. Bub u. a., Erlangen , S. –.
Bibliographie Helmut Merkel
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Indices von Rebecca Weidinger
Hier finden sich drei Indices, ein Register der Begriffe, Personen und Sachen, ein Stellenregister und ein Register moderner Autoren. Für alle drei Register gilt: Verzeichnet wird nicht jedes Vorkommen des jeweiligen Begriffs, beziehungsweise der jeweiligen Stelle oder des jeweiligen modernen Namens; gebucht werden vielmehr nur solche Passagen, an denen auch etwas Substantielles darüber gesagt wird. Diese Rubrizierung hat zur Folge, daß moderne Autoren gegebenenfalls in zwei Indices nachzuschlagen sind: Ins erste Register sind sie aufgenommen, wenn sie selbst Gegenstand der Darstellung sind, ins dritte, wenn aus ihren Werken zitiert wird.
Begriffe, Personen und Sachen Abba , , f. Abendmahl, letztes , , , , , , Passamahl Abraham Absonderung Agrarstreik Akkomodationstheorie Allergie Alte Kirche Altes Testament , , , , , Sündenvergebung ἀναθεµατίζειν – Antiochenischer Konflikt Antipharisäismus bei Matthäus – Apokalyptik f., , , , , , , , Apollonios von Tyana , Vita Apollonii Apostel , , , Apostelkonvent Argument der literarischen Fiktion Aristeasbrief
Asarhaddon ASC (altered state of consciousness) , Askese Assur (Gott) Auferstehung Auferstehung Jesu , , f. Auferweckung des Lazarus Aufhebung des Gesetzes Augstein, Rudolf – Augustin Aussendungsrede Bacon, Benjamin W. , Bann Bar Kochba-Aufstand Barabbas , Barmherziger Samariter , , , , , Basileia f., f., , , –, , , , –, , , –, , , , , , f., Basileia-Predigt Bauer, Georg Lorenz
Baur, Ferdinand Christian , , , – Bergpredigt f., , , , , , f., Berufungsgeschichten Beschneidungsgebot Bethlehem , , , , Betz, H. D. Beyschlag, Willibald Bieler, L. Bilderreden Bilderverbot Blindenheilungen Blutflüssige Frau Bonnard, Pierre Bornkamm, Günther Botschaft Jesu , , –, f., , , , , , , Bousset, Wilhelm –, , , , f. Brandt, A. v. Brandt, Wilhelm Branscomb, B. Harvie Braun, Herbert Buße Bultmann, Rudolf f., , , , , , –, f., , , , , , , f., , f. Bultmannschule , , Bund , , f., Bundestheologie Bundesvorschriften Sinai-Bund Celsus Census , Chalcedonense Charisma Charismatiker , , , , Charismatische Bewegung Charismatische Erfahrungen
Indices Chasid Christologie , , , –, , , , – Adoptianische Christologie Implizite Christologie , Continuum approach , f. Conzelmann, Hans Craig, Clarence T. Cross Gospel – Dalman, Gustaf David , , David und die Schaubrote Davidische Abstammung , , , , Davidischer Messias Dechiffrierung Deismus Dekalog Denar Dibelius, Martin Didache Diskrepanzargument Ebeling, H. J. f. Ebionitenevangelium Egalitarismus f. Egerton Evangelium Ehe Ehe Jesu Ehebruch Ehescheidung , , , , f., , , , , , Ehescheidungsverbot , , , , , , Eichhorn, Johann Gottfried Eid , , Einzug nach Jerusalem , f., Elia , , , Elisa , , Eltern Jesu , , – Elternehrung Emmausgeschichte
Begriffe, Personen und Sachen Epiktet Erkenntnistheoretische Probleme – Erneuerungsbewegung Erwählung Israels , , f., Eschatologie , , –, –, f., , , Apokalyptik , Enderwartung Jesu Eschatologisches Prophetentum Geschichtliche Eschatologie Jenseitseschatologie Konsequente Eschatologie Naherwartung , f., Präsentische Eschatologie Realized Eschatology Essener , Ethik Jesu , , , Ethos Jesu Euseb von Caesarea Exorzismen , , , , , , f. Fajjumfragment Familie Jesu , , Fasten f., –, Feindesliebe , , Flavius Josephus , Testimonium Flavianum , , Flicken Fluch – Fluchandrohungen Formkritik Frauen , , , , , Fresser und Weinsäufer Fritzsche, Carl F. A. Frühjudentum , –, f., , f., , Sündenvergebung Gabler, Johann Philipp
Galiläa , , f., , Galiläische Krise Gebet Vaterunser , Gebote Fünftes Gebot Liebesgebot , , , Geburt Jesu , , , , –, , Geburtsgeschichten –, Harmonisierungen f. Hirtenszene – Kindermord – Lukas – Magier aus dem Morgenland , f. Matthäus – Gegenwart , , , , , Geiger, Abraham Geldwechsler Geographische Plausibilität Gerechtigkeit Innere Gerechtigkeit Gericht , , , –, , , Frühjüdische Gerichtsvorstellungen Gericht Gottes Gericht über Israel , Gerichtsankündigung –, Gerichtspredigt des Täufers , Gerichtspredigt Jesu – Gerichtsverkündigung des Täufers Gerichtsverkündigung Jesu Gerichtswort , Zorngericht Gottes Gesetz f., f., , , , , , f., ,
Gesetzesgehorsam , –, , , , Gesetzeskritik , , , f., , , , f., Gesetzesverständnis Jesu Gesetzesworte Jesu Gottesverhältnis Levitisches Gesetz Mosaisches Gesetz –, , , , , , Ritualgesetz Glaube Jesu Gleichnisse , , , Parusiegleichnisse Goertz, H.-J. Gott Vater Gottesherrschaft , f., f., , , –, , , , –, , , –, , , , , , f., Abendmahl (Mk ,) f. Bousset, Wilhelm –, Bultmann, Rudolf – Exorzismus – Gericht und Gnade – Heitmüller, Wilhelm – Hochzeitsgäste (Mk ,f.) Käsemann, Ernst – Makarismus (Lk ,f.) Religionsgeschichtliche Schule – Schalksknecht f. Schatz und Perle Stürmerspruch f. Terminworte (Mk ,; ,; Mt ,) – Tora(konflikt) – Vaterunser (. Bitte) Verlorener Sohn f. Weiß, Johannes , Wellhausen, Julius Wrede, William f.,
Indices Zukünftige Gottesherrschaft – Gottesvolk Gould, Ezra P. Grotius, Hugo Grundmann, Walter , Güte Haenchen, Ernst Halachischer Jesus f. Halakhah Händewaschen , Hanina ben Dosa , , , , Hannas II. (Hohepriester) Harder, G. Harnack, Adolf von , f. Hauck, Fr. Hauptmann von Kapernaum Hebräerevangelium Hegel , Heiden , , Heil –, , f., , f., f., , f., Durch Jesu Tod Für Israel f., f., Für Juden und Nicht-Juden , , , Für Nicht-Juden Heilsmittler Heilswille Gottes Heiliger Geist Heiligkeitsgesetz , Heilungen , , , , , , f. Aussätzigenheilung Blindenheilungen Exorzismen , , , , , f. Lahmenheilungen Maklergebühren Sabbatheilungen , Sabbatkonflikte Totenerweckungen
Begriffe, Personen und Sachen Heitmüller, Wilhelm –, , Herodes Antipas , , , Herodes der Große , , Kindermord – Tempelausbau Herodianer Heuchelei Heyne, Christian Gottlob Hillel Hinrichtung Jesu Hiob Historisch-kritische Exegese Historische Wirkungsplausibilität Hochzeit zu Kana Hochzeitsgäste Hoheitsanspruch Hoheitstitel –, , Menschensohn f., –, , Messias , , f., , –, f., , Holtzmann, Heinrich Julius , – Honi der Kreiszieher , , , f., , , Imitatio Dei , , Implizite Christologie , Inthronisation Israel (Land) f., Israel (Volk) , f., , , –, , Wiederherstellung Israels , –, Israel-Problematik Jackson, Frederik J. F. Jaeger, W. Jakobus (Herrenbruder) , , , Janustempel Jehohanan
Jeremia Jeremias, Joachim , , , , Jerusalem Jesaja , , Jesus Aus jüdischer Sicht – Revolutionär –, – Zelot –, , Jesus Seminar , , , –, Jesus within Judaism JHWH Jochanan ben Zakkai , Johannes der Täufer , , , , f., , , , f., , , Fasten Scheltrede am Jordan Täuferkreis Johannesakten Johnson, L. T. Kähler-Johnson-Position f., Jona , , Josef von Arimathäa Josephus, Flavius , , , Testimonium Flavianum , , Josia (König) Jubiläenbuch Judäa Judas , , , Judas der Galiläer Judentum , , , , , –, , , , Sündenvergebung , Jüdische Jesusforschung – Jüdische Mystik Jüdischer Aufstand Jüdischer Krieg Jülicher, Adolf Jünger ,
Jüngeraussendung , , Jüngerberufung Jüngerinnen , Jüngerschaft f. Jüngerschelte Jungfrauengeburt , , Justin , Kähler, M. f., f. Kähler-Johnson-Position f., Käsemann, Ernst , , –, , f. Kafarnaum Kaiphas , , καιρός Kampfwort Jesu , , Katechismus Keil, Carl F. Keim, Theodor Kinder , Kindheitsgeschichten , , , Kindheitsgeschichten des Mt und Lk Klassenlose Gesellschaft Klausner, Joseph , Klientelwesen , Klostermann, Erich κοινοῦν , Kolosserhymnus Kommensalität Kontextentsprechung Kontextplausibilität Köster, H. Kreuzevangelium/Cross Gospel – Kreuzigung Jesu κρίνειν Krippe Kriterien der Jesusforschung , –, Argument der literarischen Fiktion
Indices Authentizitätskriterium Differenzkriterium , , , f., Diskontinuitätskriterium Diskrepanzargument Formkritik Geographische Plausibilität Historische Wirkungsplausibilität Historisches Plausibilitätskriterium – Kohärenzkriterium , , Kontextentsprechung Kontextplausibilität Kriterium der Ablehnung und Hinrichtung Jesu , Kriterium der doppelten Unähnlichkeit Kriterium der vielfachen Bezeugung , , Plausibilitätskriterium Quellenkohärenz/Querschnittsbeweis Tendenzkritik Tendenzwidrigkeit , Unableitbarkeitskriterium , , , f., –, f., , , Unähnlichkeitskriterium f., Verlegenheitskriterium , , Kult , , f. Kultische Reinheit , , , Kultkritik , , Kultpraxis Kultstiftung Kümmel, Werner Georg f. Kynismus Lahmenheilungen Lake, Kirsopp
Begriffe, Personen und Sachen Lapide, Pinchas f. Lasterkatalog Lavater, Johann Kaspar Lazarus Letztes Abendmahl , , , , , Liberale Theologie Liebesgebot , , , Limbeck, Meinrad Loewenich, Walther von Logienquelle , , , , Lohse, Eduard Loyalitätseid Lukas Geburtsgeschichte – Gesetz Sondergut Tempel- und Toratreue Lydia (Purpurhändlerin) Magie , Magier Mahlgemeinschaft , , Inklusivität Mit Zöllnern und Sündern – Makkabäus, Judas Makkabäer Maklergebühren Mamzer Maranatha Maria Magdalena Markus Antinomismus des Markus f. Kritik an Markus als Quelle Leidensankündigungen Markinischer Sprachgebrauch Markuspriorität , , , Matthäus , Geburtsgeschichte – Konvertierter Rabbi Matthäische Polemik Matthäuspriorität , , ,
Pharisäer – Sinnenfreund (Augstein) Sondergut , Mendelssohn, Moses , , , Menschensohn , –, –, , , Messias , , , , , f., , f., –, f., , , Davidischer Messias Messias Judaeorum Messiasgeheimnis Messiasprätendent , Verborgener Messias Michaelis, Wilhelm Mischna Mission Unter den Völkern Montefiore, Claude G. , , Mose Nachfolge , f. Nachfolgeforderung Nachfolger Jesu Nächstenliebe , Naherwartung , , f., Nathanverheißung Nazareth , , Synagoge Neuassyrer Neubabylonier Neuer Exodus f. New Quest , , , Nicaenum Nikodemus Ochs und Esel Offenbarungsgewißheit Jesu Opfer Jüdisches Opferwesen Opferkult Opfertierverkäufer Oralitätsforschung
Origenes , , Ostergeschichten Ostervision des Petrus Pachtsystem Hellenistisches Kleinpachtsystem f. Römisches Steuerpachtsystem Paganophobie Palästina Palmströmsche Logik , Papyrus Oxyrhynchus Parusie Parusieerwartung Passa , , , , , Passion Jesu , , , Passionschronologie Passionsgeschichte , Patronat , Paulus , f., , , , f., Paulusbriefe Pentateuch Pescher-Methode Petrus , –, , Petrusbekenntnis Petrusevangelium Verleugnung des Petrus – Im »Gospel of the Nazarenes« Im Markusevangelium Im Matthäusevangelium Selbstverfluchung f. Verfluchung der Mägde und Knechte Verfluchung Jesu f. Pharisäer –, , f., , , , , , , Ehescheidung f. Fasten Gegner Jesu Gemeindebildung f., f. Gesetzeserfüllung f. Halacha ,
Indices Heuchelei Im Matthäusevangelium – Pharisäischer Jesus Reinheitsfrage f. Sabbat Struktur und Organisation f. Pharisäer und Schriftgelehrte Pharisäer und Zöllner , , , Philippus-Evangelium Philo , , Philostrat Pinehas Planck, Karl Christian – Platon Plausibilitätskriterium –, Plinius Christenbrief Politics of Holiness f. Pompejus Pontius Pilatus , , , –, , , Pilatusprozeß Post Holocaust situation Präsentische Eschatologie Priesterbetrug Propheten , , , , , , , , , f., , , Prophetie , Proverbien Prozeß Jesu , , , , , , , , , f., , – Psalter Pseudoklementinen Q , , , , , Quellenkohärenz/Querschnittsbeweis Quirinius Qumran , , , , , , ,
Begriffe, Personen und Sachen Rabbi , , , , , , , Rabbi Jochanan Rabbinische Bannformel Rabbinisierung Rabbinismus , Redemptor Gentium Reimarus, Hermann Samuel , , f., , , , , f., – Reinheit –, f., –, , , , , , , –, , , , , Der Speisen , , – Händewaschen , , , Herzensreinheit Rein und Unrein , , f., Reinheitsgebote , , , , f., , Reinheitstora , –, Rituelle Reinheit , Spiritualisierung der Reinheitsgebote , –, Reitzenstein, R. Religionsgeschichtliche Schule –, , f. Rest Israel Rewritten Pentateuch Ricœur, Paul Ritschl, Albrecht f., – Rom f. Römische Justiz Sabbat , –, , , , , , , Lebensrettung am Sabbat Sabbatbruch , , , –, Sabbatgebote , –, Sabbatgespräche – Sabbatheilungen Sabbatkonflikte f., , , , , , , Sabbatkritik , ,
Sabbatworte Streitgespräche Sadduzäer , Salomo Samaritaner Samariter Sandalen Sanders, Ed P. f., Satan –, Schalksknecht f. Schamanismus , , Schammai , , Scheintod-Hypothese Scherflein der Witwe Schlatter, Adolf Schmid, Josef , Schmidt, K. L. Schniewind, Julius Schoeps, H.-J. Schriftbeweis Schulz, Siegfried Schwegler, Albert f. Schweitzer, Albert f., , , f., Schwert Schwertschlag in Gethsemane Zwei Schwerter (Lk ,) Schwur Schwurverbot Jesu Segensverheißungen Selbstoffenbarung Gottes Selbstverständnis Jesu , –, , –, – Selbstverstümmelungssprüche Selbstwachsende Saat , Seleukidische Fremdherrschaft Seligpreisung Semler, Johann Salomo Sendung Jesu , , , , , f., Sendungsanspruch
Sendungsautorität Senfkorn Sepphoris Sigal, Ph. Sikarier Simon (Jünger und Zelot) Simon (Pharisäer) Simon bar Kochba Simon ben Menasja , , , , Simon Magus Sirachbuch Smith, M. Social Gospel Sohnesgeheimnis Sol invictus Sonderprofil Jesu Soteriologie Speisegebote , , , , Spiegel (Zeitschrift) Stauffer, Ethelbert Steuer , , Steuererhebung Steuerfrage , Strauß, David Friedrich , , f., –, Stuhlmacher, Peter Sünde Sündenvergebung , , f., , Sündenvergebungsvollmacht , , , Sünder Synhedrium , , , , , , f., Synoptische Frage Syrophönizierin Talmud Jerusalemer Taufe (allgemein) Taufe Jesu , f., , , , , Täuferbewegung
Indices Täuferrede Jesu Taufritus Jesu Taylor, Vincent Tempel , , , , , , , , , f., , f., Geldwechsler und Händler f. Heiligkeit des Tempels Jesu Verhältnis zum Tempel – Im Johannesevangelium Im Markusevangelium Im Matthäusevangelium Jesu Sündenvergebung Kultbetrieb im Zweiten Tempel – Deuteronomium Neuassyrischer Loyalitätseid Priesterschrift f. Sühneort Tempelaktion f., , , , f., , , , , , , , , , , , –, – Abkürzung über Tempelbezirk –, Alternative Deutungen f. Bewaffnete TA , f. Deutung Mk , – Gefäß tragen (Mk ,) –, Herrenmahl f., Hinrichtung Jesu Jesu Verhältnis zum Tempel – Johannestaufe Legitime Abstammung Jesu Literarkritik –, f. Lokalisation im Tempelbezirk Lukanische TA f.
Begriffe, Personen und Sachen Markinische TA Matthäische TA Messianische TA Passamahl Prophetische Zeichenhandlung Quellenfrage Reinigung durch Makkabäus Sorge um Heiligkeit des Tempels , Störung des Kultbetriebs – Streichung von Mk , in Mt und Lk – Streitgespräch-Form der TA Sühnetod Jesu f., Symbolhafte TA Symbolisch: Zerstörung und Wiederaufbau Tempelbank Tempelblasphemie , Tempelwort Mk , f. Tyrische Münzen , , Unhistorisch Vollmachtsfrage Tempelkritik f., , , , , Tempelpolizei f. Tempelreinigung Tempelsteuer , Tempeltreue der Urgemeinde Tempelverwaltung Tempelweihfest Tempelwort , , , , , f., , , , , , , , , , , Vorhof der Frauen Vorhof der Heiden Tendenzwidrigkeit ,
Tertullian Testimonium Flavianum , , θεῖος ἀνήρ f. Theophilos , Third Quest , , , f., –, , , , Thomas Thomasevangelium – Tischgemeinschaft , , , Inklusivität Mit Heiden Mit Zöllnern und Sündern , , – Tod Jesu , , f., , , , –, Sühnetod f., Todesgewißheit Jesu f. Todesverständnis Jesu Toledot Jeschu Tora , –, , , , , , , –, f., , , , , , , , , , – Reinheitstora , –, Torabruch , , , , , – Torakritik , f., , , –, f., , , , , f., Torastudium Toratreue Jesu f. Tosefta Totenerweckung Trilling, Wolfgang , Trinität Unableitbarkeitskriterium , , –, f., , Unähnlichkeitskriterium Unitarische Bewegung Unreinheit Innere Verunreinigung
Physische Unreinheit Verunreinigung des inneren Menschen Verunreinigung von außen Urchristentum , , , Urgemeinde , , , , Opferkult Vater (Gott als Vater) , – Vaterunser Veränderter Bewußtseinszustand , Verheißung f., Verhör Jesu , , f., Verklärung Jesu Verkündigung Jesu , f., –, , f., , , –, , f. Verlegenheitskriterium , Verlorener Sohn f., , Völkerwallfahrt Vollmacht Jesu , , , , Vollmachtsanspruch Jesu , Wanderprediger , , , Wanderradikalismus , , Weherufe , f. Weiß, Johannes , , f., , Weisheit Weisheitslehrer Weisheitslogien Weisheitsworte Weiß, Bernhard Weizsäcker, Carl
Indices Wellhausen, Julius , –, , , – Wernle, Paul f. Windisch, H. Wirkungsplausibilität Wolpe, D. (Rabbi) Wolzogen, Ludwig Wrede, William f., Wunder f., f., , , Bei Reimarus Echtheitskriterien Magie und Wunder , Naturwunder Wundergeschichten , Wundertäter , , Wurzelmetapher f. Wüstengeneration Yehohanan Zöllner Zaddok Zeichenforderung , Zeloten , f., –, , , Zerstörung Jerusalems Zinsgroschen , , Zion Zöllner , , – Zöllnergastmahl Zorn Gottes , Zwei-Quellen-Hypothese , Zweiter jüdischer Aufstand Zwölferkreis , , Zwölferlisten Zwölfertestamente
Stellen
Stellen Ägypterevangelium F Preuschen , Altes Testament Genesis . , , ,b– , ,– , , Exodus , ,f. ,– , Levitikus , , , , , ,b , , , ,– ,– ,f. Numeri ,– ,f. Deuteronomium , , , , , ,.
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Indices
– , f., , – Jeremia , Daniel , ,f. , , Sacharja , ,f. ,f. Didache , ,– Epiphanius Panarion XXX
Henoch, äthiopischer ,f. Josephus Antiquitates Judaicae f. Justin Apologie I , Makkabäer , ,– Midrasch Mekhilta Y , ,
Nazarenerevangelium s. Ägypterevangelium Neues Testament Matthäus , ,–, f. , ,– , , ,– ,– ,– , ,.. ,ff. , , , f., , ,– ,– , f., , , , ,f. ,ff. , , , , , ,f. ,– ,– , , ,f. ,f. , , , , , ,– ,ff. , , , ,ff. , , , , , ,ff. , , , ,f. ,
Stellen ,– , ,– ,– , , ,ff. ,f. , , , , , ,f. ,f. , , , , ,– ,– ,f. , ,– , ,f. , ,f. , , f. ,ff. , , , , ,f. f., , ,– ,– ,– , , , ,f. f., , ,– , , ,b , , , , ,f. f., , , ,f. , , , , , ,b ,– f. ,ff. ,– , ,f.
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Indices
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Indices
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Indices
Römerbrief ,f. , , , , . Korintherbrief , , ,f. , ,– , ,– , Galaterbrief , , . Thessalonicher ,f. . Timotheus ,ff. Titus , Jakobusbrief , . Petrusbrief ,– Judasbrief – Papyrus Oxyrhynchus , Philippus-Evangelium
Logion
Philo De Specialibus Legibus I, – II, – Qumran CD ,–, Q S I, – Q S II, – Q Florilegium , Q MMT , Q Messar Q Nab Tacitus Annalen ,,f. Talmud Mischna Traktat Abot Traktat Berachot , Traktat Erubin , bYom b jBerachot ,c Testamente der Zwölf Patriarchen TestAsser TestDan Thomasevangelium , ,
Moderne Autoren
Moderne Autoren Aarde, Andries van f. Ådna, Jostein , , , Altizer, Thomas J. J.
Dschulnigg, Peter Dunn, James D. G. , f., , ,
Barker, Margaret f. Baur, Ferdinand Christian , Becker, Jürgen , – Becker, Michael Ben-Chorin, Schalom , , Betz, Otto Bock, Darrell L. Böckler, Annette Boismard, Marie-Émile f. Bolyki, János f. Borg, Marcus J. , – Bornkamm, Günther , Bösen, Willibald f. Brady, James R. Brandon, Samuel G. F. Braun, Herbert Broer, Ingo , f., f. Brooke, George J. Bryan, Steven M. – Bultmann, Rudolf ,
Ebner, Martin f., Eisler, R. Evans, Craig A. ,
Carmichael, Joel , Charlesworth, James H. , , f. Chilton, Bruce D. f. Cohn, Chaim f. Collins, A. Yarbro Condra, Ed f. Coulot, Claude f. Crossan, John Dominic –, Crossan/Reed Cullmann, Oscar Daube, David f. Dautzenberg, Gerhard , , f. Dobschütz, Ernst von Dodd, Charles H. ,
Feneberg, Wolfgang f. Fiedler, Peter Fitzmyer, Joseph A. Fossum, Jarl E. Frankemölle, Hubert – Freudenberger, R. Frey, Jörg , Fuller, R. H. Gielen, Marlis , Gnilka, Joachim – Grelot, Pierre f. Grotius, Hugo Grundmann, Walter Haenchen, Ernst , , Hahn, Ferdinand , , , , , Hampel, Volker f. Hauck, Friedrich Hawthorne, Gerald F. f. Heiligenthal, Roman f. Heitmüller, Wilhelm Hengel, Martin , Herford, R. Travers Herrenbrück, Fritz f. Heyer, C. J. den f. Hoffmann, Paul f., , , Hofius, Otfried Holmén, Tom , , Holtz, Traugott Holtzmann, Heinrich Julius Horsley, Richard A. f. Hurth, Elisabeth f. Jeremias, Joachim Jülicher, Adolf ,
Käsemann, Ernst , , , , , Kaylor, R. David f. Kazen, Thomas – Kee, Howard Kelber, Werner H. Klausner, Joseph Klemm, Hans G. Koskenniemi, Erkki Kreplin, Matthias – Lémonon, Jean-Pierre Laaksonen, Jari – Lambrecht, Jan Lapide, Pinchas , – Läpple, Alfred Latourelle, René Lehmann, Johannes , , Lentzen-Deis, Fritzleo Lightfoot, John Limbeck, Meinrad , , Lindemann, Andreas Loader, William f. Lohmeyer, Ernst , Lüdemann, Gerd , Maier, Johann f., Malina, Bruce J. Martitz, P. Wülfing von Meier, John P. – Merkel, Helmut Merklein, Helmut , Merz, Annette Theißen/Merz –, , Metzdorf, Christina Meyer, Ben F. Moxter, Michael Müller, Karlheinz Mußner, Franz – Myllykoski, Matti f. Neufeld, Karl Heinz Neumann, Johannes Neusner, Jacob , Nielsen, Helge K. f.
Indices Niemand, Christoph O’Neill, J. C. f. Oberlinner, Lorenz Oegema, Gerbern S. Oeming, Manfred Onuki, Takashi –, , Paesler, Kurt Perrin, Norman Pesch, Rudolf Phipps, William E. f. Pilch, John J. Pilhofer, Peter , Powell, Marc Allan Powelson, Mark Powelson/Riegert Pzillas, F. Rau, Eckard – Reed, Jonathan L. Crossan/Reed Regev, Eyal Reimarus, Hermann Samuel , Reiser, Marius – Richardson, Peter , , f. Riegert, Ray Powelson/Riegert Roloff, Jürgen , Sanders, Ed P. , , , Sänger, Dieter Sauer, Jürgen Schaberg, Jane Schmidt, Karl L. Schmithals, Walter Schnackenburg, Rudolf Schnider, Franz Schnider/Stenger Schniewind, Julius Schreiber, Stefan Schröter, Jens f. Schürmann, Heinz , – Schwarz, Hans Schweizer, Eduard
Moderne Autoren Schwemer, Anna Maria Simonis, Walter Sloyan, Gerard S. f. Söding, Thomas f. Stauffer, Ethelbert Stegemann, Wolfgang Stenger, Werner Schnider/Stenger Strauß, David Friedrich , , Strobel, August Sung, Chong-Hyon f. Swidler, Leonard Taeger, Jens-W. f. Telford, William R. Theißen, Gerd Theißen/Merz –, –, , Thiering, Barbara f. Tiwald, Markus Toit, David S. du –, Tomson, Peter J. f. Trautmann, Maria , Trummer, Peter Twelftree, Graham H.
Vermes, Geza , –, , Vögtle, Anton f. Wallis, Ian G. Wansbrough, Henry Weaver, Walter P. Weder, Hans Weiß, Hans-Friedrich Welch, John W. Wellhausen, Julius , , f. Whealey, Alice Winter, Paul f. Winton, Alan P. Witherington, Ben III f. Wolzogen, Ludwig Wrede, William Wright, N.T. , f. Young, Brad H. Zager, Werner Zeitlin, Solomon Zeller, Dieter
Die Liste der Erstveröffentlichungen . Jesus und die Pharisäer, in: NTS , /, S. –. . Markus , – das Jesuswort über die innere Verunreinigung, in: ZRGG , , S. –. . Peter’s Curse, in: The Trial of Jesus. Cambridge Studies in Honour of C. F. D. Moule, Cambridge , S. –. . War Jesus ein Revolutionär? in: Bibel und Kirche , , S. – (wieder abgedruckt in: themen, . Jahrg., , S. –). . Ein melancholischer Bankrott. Zu Rudolf Augsteins Buch „Jesus Menschensohn“, in: Orientierung , , S. –. . Jesus im Widerstreit, in: Glaube und Gesellschaft. Festschrift für W. F. Kasch, hg. v. K. D. Wolff, Bayreuth , S. –. . The opposition between Jesus and Judaism, in: Jesus and the Politics of His Day, hg. v. E. Bammel u. C. F. D. Moule, Cambridge , S. –. . Die Gottesherrschaft in der Verkündigung Jesu, in: Königsherrschaft Gottes und himmlischer Kult, hg. v. M. Hengel u. A. M. Schwemer (WUNT ), Tübingen , S. –. . „Zu Bethlehem geboren“, in: Die fundamentalistische Versuchung, hg. v. M. Oeming, Osnabrück , S. –. . Zwei Jahrzehnte Jesusforschung nach ,Teil I, ThR (), S. –; Teil II, ThR (), S. –; Teil III, ThR (), S. –; Teil IV, ThR (), S. –. . Mk ,f.: Tempelreinigung oder Tempelblasphemie?: bisher unveröffentlicht. . Jesus und die Tora. Eine forschungsgeschichtliche Skizze von Reimarus zu Wellhausen: bisher unveröffentlicht.