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German Pages [237] Year 2020
Holger Seitz
Was heißt es, wach zu sein? Eine Theorie der Wachheit
V& R unipress
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber https://dnb.de abrufbar. Die Arbeit wurde im Jahr 2018 von der Hochschule fþr Philosophie Mþnchen als Dissertation angenommen. 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Gçttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: csp6904868, aleksask, Can Stock Photo Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-7370-1053-5
Inhalt
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Entwicklung der Fragestellung: Waches und nichtwaches Erleben . . 2.1 Das Erwachen im Traum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Grundlegende Unterscheidungen und Fragestellung: Was ist Wachheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Reduktiver Physikalismus . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Arousaltheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Zustandstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Schlafwahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Vigilanztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Das zentrale Problem: Was heißt es, wach zu sein?
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3. Nichtwachheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Nichtwachheit in der Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Fälle von Nichtwachheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Methodische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Selbstbetrug und Konzeptionalisierungen von »da sein« . 3.2.3 Falsche Erinnerungen und fiktive Wirklichkeit . . . . . . 3.2.4 Konfabulation und Metakognition . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Hypnose und Dissoziation . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.6 Dissoziative Identitätsstörung und fiktives Selbstkonzept 3.2.7 Emotionale Störungen und Konzepte . . . . . . . . . . . 3.2.8 Psychose und Kontinuitätsthese . . . . . . . . . . . . . . 3.2.9 Nichtwachheit und soziale Umwelt . . . . . . . . . . . . 3.3 Ein Modell von Nichtwachheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Methodische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Aufmerksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Die kognitive Funktion von Konzepten . . . . . . . . . .
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40 43 43 45 46 48 55 60 62 76 80 88 95 106 106 108 110
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Inhalt
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179 180 180 183 187 189 193 194 195 202 205 211
Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3.3.4 Perzeption, Vorstellung und Metakognition . . . . . 3.3.4.1 Die Kontinuität des Bewusstseins . . . . . . 3.3.4.2 Kontinuität und Konzept: Change Blindness 3.3.4.3 Unbewusstes Erleben . . . . . . . . . . . . . 3.3.4.4 Perzeption und Imagination . . . . . . . . . 3.3.4.5 Wirklichkeit als Ergebnis eines Urteils . . . 3.3.5 Die Verabsolutierung von Konzepten . . . . . . . . 3.3.5.1 Automatizität . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5.2 Immersion / Absorption . . . . . . . . . . . 3.3.5.3 Unbewusstheit . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5.4 Dissoziation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.6 Echtes und falsches Erwachen . . . . . . . . . . . . 3.3.7 Heilung als Erwachen: Achtsamkeit . . . . . . . . . 3.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Eine Theorie der Wachheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Eigenschaften von Wachheit . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Wachheit ist grundlegender als Nichtwachheit . 4.1.2 Wirklichkeitsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Freiheit, Rationalität und Einheit . . . . . . . . 4.1.4 Der Metaaspekt der Wachheit . . . . . . . . . . 4.1.5 Normative Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die Eigenschaft Wachheit . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Das Verhältnis von Wachheit und Bewusstsein . 4.2.2 Die Partizipationsthese . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Strukturlosigkeit und intransitives Bewusstsein 4.2.4 Unbewusste Wachheit? . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung
Man kann es als eine erstaunliche Tatsache empfinden, dass das Wachsein von der Forschung allgemein nicht als ein interessantes Phänomen gesehen wird. Wer Ausschau hält nach Artikeln oder Bücher, die sich explizit mit der Frage beschäftigen, was das Wachsein ist und wie es zu erklären ist, wird kaum fündig werden. Für die Philosophie lässt sich recht genau beantworten, warum dies der Fall ist. In der Philosophie des Bewusstseins wird zwischen leichten und schweren Problemen unterschieden (Chalmers 2010). Als schweres Problem gilt das Bewusstsein selbst, da sich seine Existenz einer naturwissenschaftlichen Erklärung bisher vollkommen entzieht und nicht klar ist, wie eine Beschreibung der Wirklichkeit funktionieren soll, in der die Tatsache, dass wir etwas erleben, einen legitimen Platz hat. Bei den sogenannten leichten Problemen wird dagegen angenommen, dass sie auf einen neurobiologischen Mechanismus reduziert werden können. Da das Wachsein zu den leichten Problemen gezählt wird, betrachtet man es einen philosophisch unproblematischen und uninteressanten Begriff (Chalmers 2010: 4f., Metzinger 1995: 38). In der naturwissenschaftlichen Literatur, wo das Wachsein fast genau so selten explizit thematisiert wird, finden sich jedoch implizite Theorien des Wachseins. Im wesentlichen lassen sich drei Theorien unterscheiden. Da wäre erstens die Arousaltheorie, welche davon ausgeht, dass das Wachsein identisch ist mit einer aktivierenden Funktion des Stammhirns. Die zweite Theorie, die Zustandstheorie, argumentiert, dass Wachsein identisch ist mit demjenigen Gehirnzustand, welchen der Mensch hat, wenn er nicht schläft. Die Vigilanztheorie sagt drittens, dass Wachheit als eine spezifische Form von Aufmerksamkeit identisch ist mit derjenigen Funktion des Gehirns, auf die man glaubt die Vigilanz (Tonic Alertness) reduzieren zu können. Wie ich meine lässt sich auf der Basis empirischer und theoretischer Gründe gut argumentieren, dass diese Theorien nicht funktionieren. Als zentrales Problem, und durchaus überraschend, zeigt sich, dass es ihnen nicht gelingt zu erklären, wie Wachheit identifiziert werden kann. Die Unmöglichkeit, Wachheit so simpel zu operationalisieren, wie dies die biologischen Theorien annehmen, macht Reduktion un-
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Einleitung
möglich. Denn wie soll etwas reduziert werden, wenn nicht klar ist, was reduziert werden soll? Insgesamt zeigt die kritische Untersuchung der reduktionistischen Theorien, welche die Aufgabe des ersten Teils dieser Untersuchung sein wird, dass es sich beim Wachsein nicht um ein weiches Problem des Bewusstseins handelt. Damit ist erwiesen, dass das Wachsein ein legitimes Thema der philosophischen Reflexion ist. Die Fragen, was es heißt, wach zu sein, und wie dieses Phänomen erklärt werden kann, können nicht mit einem Verweis auf die Naturwissenschaften abgewiesen werden. Das Bewusstsein ist vor allem unter der Perspektive des Leib-Seele Problems seit etwa einem halben Jahrhundert ausgiebig erforscht worden. Dabei ist, wie ich glaube, mit dem Wachsein ein wesentlicher Aspekt übersehen worden. Eine Theorie des Bewusstseins, welche das Wachsein vernachlässigt, muss unvollständig sein. Ich glaube sogar zeigen zu können, dass sich über die Thematisierung des Wachseins eine neue Perspektive auf das Bewusstsein ergeben kann. Das überraschende Ergebnis, dass nicht klar ist, um was es sich beim Wachsein handelt, führt zu der Frage, wie man die Bedeutung des Begriffs ›wach‹ klären kann. Um eine überzeugende Herangehensweise zu entwickeln wird im zweiten Teil vom Traum als dem Gegenteil eines wachen Erlebens ausgegangen. Bevor man sich näher mit dem Wachsein beschäftigt wird man annehmen, dass es sich dabei um das Gegenteil des Schlafs handelt. Diese Annahme ist jedoch falsch, da es möglich ist, während der REM- und der NREM-Phase des Schlafs wach zu sein. Durch eine ganze Reihe an Beispielen lässt sich demonstrieren, dass Schlaf und Wachsein sich nicht gegenseitig ausschließen. Eines der interessantesten Themen in diesem Zusammenhang ist die Schlafwahrnehmung. Es ist schade, dass außerhalb der Schlafforschung kaum jemand jemals von diesem Phänomen gehört hat. Dabei, so wird sich zeigen, kann vom Schlaf und vom Erleben während des Schlafs viel über das Bewusstsein gelernt werden. Während es auf der einen Seite möglich ist, während des Schlafs wach zu sein, ist es auf der anderen Seite möglich, innerhalb desjenigen Zustands, den wir alltagssprachlich als Wachzustand bezeichnen, nicht wach zu sein. Das bekannteste Beispiele hierfür ist der Tagtraum, der seit einigen Jahrzehnten ausgiebig als Mind Wandering erforscht wird. Basierend auf der Tatsache, dass man im Schlaf wach und während des Tages nicht wach sein kann, lässt sich nach dem Wachsein fragen, ohne dass dabei vorausgesetzt werden muss, dass wir schon wissen, was es heißt, wach zu sein. Die entscheidende Unterscheidung ist die zwischen einem wachen und einem nichtwachen Bewusstsein. Wer träumend etwas erlebt, ist bewusst, aber nicht wach. Wenn es dem Erleben an Wachheit mangelt, befindet man sich in einem nichtwachen Zustand. Wacht man auf erhält das Bewusstsein die Eigenschaft der Wachheit. Die Frage nach dem
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Wachsein ist also konkret die Frage, um was es sich bei der Eigenschaft Wachheit handelt. Es ist eine der ersten Erkenntnisse dieser Arbeit, dass das Gegenteil von Wachheit nicht Schlaf ist, sondern das, was ich als Nichtwachheit bezeichne. Während es sich beim Schlaf um einen physiologischen Zustand handelt, sind Wachheit und Nichtwachheit als mentale Eigenschaften ein Merkmal der Psyche. Es ist sinnvoll, Nichtwachheit zunächst formal als eine Eigenschaft zu definieren, welche ein Erwachen ermöglicht. Ein Erwachen ist ein Vorgang, durch den das Bewusstsein die Eigenschaft Wachheit erhält. Anstatt nun direkt zu fragen, um was es sich bei Wachheit handelt, scheint es mir ratsamer zunächst zu fragen, was Nichtwachheit ist. Je besser wir verstehen, um was es sich bei dieser Eigenschaft handelt, desto leichter sollte es sein, Wachheit als deren Gegenteil inhaltlich zu konkretisieren. Der dritte Teil der Arbeit wird sich daher mit nichtwachen Weisen des Erlebens beschäftigen. Da Nichtwachheit ein Erwachen ermöglicht sind alle diejenigen Modi des Erfahrens von Nichtwachheit geprägt, deren Ende die Eigenschaften eines Erwachens aufweist. Um ein Erwachen zu identifizieren werden drei Indikatoren verwendet. Das morgendliche Erwachen und das Erwachen innerhalb des Traums zeigen, dass ein Erwachen erstens zu mehr Möglichkeiten des Denkens und Handelns führt, es zweitens ein zu sich selbst kommen ist, ein mehr »da sein«, und es drittens mit einem Erkennen von Wirklichkeit einhergeht. Ich werde eine Reihe interessanter Phänomene vorstellen, bei denen begründet werden kann, dass sie mit Nichtwachheit einhergehen. Dazu gehören der Selbstbetrug, eine bestimmte Form falscher Erinnerungen, Konfabulationen, hypnotische Phänomene, die dissoziative Identitätsstörung, emotionale Störungen und die psychotische Erfahrung. Zusätzlich werde ich, zugegebenermaßen zu knapp, diese individualpsychologische Perspektive ergänzen durch verschiedene sozialpsychologische Bereiche mit der Folie / Deux als Übergangsphänomen. Das zentrale Konzept, von dem aus soziale Prozesse beschrieben werden, die mit der Bildung von Nichtwachheit einhergehen, ist der Konversionsprozess. Dieser kann einen gesünder machen, wenn er bspw. im Rahmen einer Therapie stattfindet. Oder er kann, wenn er innerhalb von geschlossenen Gruppen mit einer totalen Weltanschauung stattfindet, dazu führen, dass Individuen einen rationalen Wirklichkeitsbezug weitgehend verlieren und zu Taten bereit sind, die von anderen kaum nachvollzogen werden können. Sicherlich ließe sich zu diesem Bereich noch sehr viel mehr sagen, als das, was hier geleistet werden kann. In der Tat glaube ich, dass unser Verständnis einer Reihe verschiedener sozialer Phänomene davon profitieren kann, wenn man sie aus der Perspektive von Nichtwachheit untersuchen würde. Denn letztlich ist Nichtwachheit nichts, was auf klar abgrenzbare psychologische und soziale Phänomene begrenzt werden kann.
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Einleitung
Für die Zwecke dieser Untersuchung wird es jedoch genügen, die grundlegende Idee zu präsentieren und ihren Wert zu begründen. Unabhängig von der Frage nach Wachheit glaube ich, dass es als interessant empfunden wird, in diese verschiedenen Gebiete eingeführt zu werden. Von der Hypnosetheorie kann man wohl manches über die Funktionsweise des Bewusstseins lernen. Die Beschäftigung mit der kognitiven Verhaltenstherapie und der kognitiven Therapie der Psychose kann einen praktischen Nutzen haben, da das Wissen um bestimmte Zusammenhänge einen vor psychischen Problemen schützen kann. Die Thematisierung der Dissoziativen Identitätsstörung, die man einmal multiple Persönlichkeitsstörung genannt hat, wird zeigen, dass über dieses Problem bis heute falsche Vorstellungen verbreitet sind. Und die Erläuterung sozialpsychologischer Zusammenhänge wie des Terrorismus kann dazu beitragen, eine klarere Vorstellung seiner Ursachen zu entwickeln. Vielleicht ist der interessanteste Gedanke jedoch, dass diese Phänomene, die von der Philosophie nur selten thematisiert werden, etwas gemeinsam haben, das wichtig ist für das Verständnis des Bewusstseins. Die Untersuchung der einzelnen Phänomene ist nur der erste Schritt der Erforschung von Nichtwachheit. Ich werde in einem zweiten Schritt ein deskriptives Modell als einer allgemeinen Charakterisierung des nichtwachen Erlebens vorschlagen. Mit Hilfe verschiedener vor allem kognitionspsychologischer Konzepte werden die Gemeinsamkeiten nichtwacher Weisen des Erlebens herausgearbeitet. Dieses Modell von Nichtwachheit ist sicherlich nicht voll ausgereift und kann noch verfeinert werden, es wird jedoch seinem Zweck für diese Untersuchung gerecht. Es basiert auf der Erkenntnis, dass die Wahrnehmung und Informationsverarbeitung der Psyche grundlegend von Konzepten geprägt ist. Wichtig ist vor allem, dass Konzepte als semantische Instrumente zur Steuerung von Aufmerksamkeit verwendet werden. »Semantische Instrumente zur Steuerung von Aufmerksamkeit« heißt einfach, dass man seine Aufmerksamkeit nicht auf etwas lenken kann, von dem man keinen Begriff hat. Wenn einem etwas völlig unverständlich ist wird die Aufmerksamkeit, wenn man darauf achtet, geleitet vom Konzept »unverständlich« oder »Was ist das?«. Beim nichtwachen Erleben, so wird sich zeigen, ist die Verwendung der Aufmerksamkeit geprägt von einer relativ hohen Automatizität. Statt dass Konzepte bewusst (Top-Down) dazu verwendet werden, die Aufmerksamkeit zu lenken, lenken sie diese (Bottom-Up), ohne dass die Person sich dazu entschieden hat – oder vielleicht sogar gegen ihren Willen. Die zweite Eigenschaft des nichtwachen Erlebens besteht darin, dass es von einem hohen Maß von Absorption bzw. Immersion geprägt ist. Wenn die Aufmerksamkeit von Konzepten absorbiert ist, geht ein Mensch ganz auf in Tätigkeiten und Erfahrungen. Dies bedeutet drittens, dass Nichtwachheit mit metakognitiver Unbewusstheit einhergeht. So wie man im Traum normalerweise
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nicht weiß, dass man träumt, merkt man bei einem Mind Wandering erst nach einer Weile, dass man mit seiner Aufmerksamkeit abgeglitten ist. Ein absorbiertes Erleben ist nicht unbedingt problematisch. Schließlich wollen wir ein Buch ja absorbiert lesen oder einen Film ohne Ablenkung genießen können. Schwierig wird es, wenn Absorption relativ chronisch ist und es einer Person nicht gelingt, aus dieser Versenkung aufzutauchen. Vielleicht will sie das auch nicht, da sie aufgrund ihrer metakognitiven Unbewusstheit nicht erkennt, was mit ihr los ist. Absorption und metakognitive Unbewusstheit bedeuten, dass Konzepte für eine Weile eine relativ dominante Stellung innerhalb der Psyche erhalten. Ich werde anhand zahlreicher Beispiele demonstrieren, dass dies als Verabsolutierung, bzw. als Entkontextualisierung von Konzepten, beschrieben werden kann. Eine vierte Eigenschaft ist, dass Weisen nichtwachen Erlebens nur wenig mit dem Rest der Person verbunden sind. Besonders deutlich ist dies beim nächtlichen Traum, wo das Erleben vom alltäglichen Horizont der Person dissoziiert ist. Nichtwachheit ist eine interessante Eigenschaft und es wäre vermessen zu behaupten, dass sie mit dieser Untersuchung abschließend erfasst ist. Von ihr her scheinen viele Fragen formuliert werden zu können, wie bspw. ihr Zusammenhang zum Phänomen der Entfremdung. Auch psychische Störungen können so vielleicht besser verstanden werden, ebenso wie der Hang zu Verschwörungstheorien und dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu Gruppierungen mit einer starken Absonderungstendenz. Besonders hilfreich für diese Untersuchung ist die in den letzten Jahrzehnten ausgiebig erforschte Übung von Achtsamkeit. Es ist sicherlich nicht falsch zu argumentieren, dass sie seit jeher dazu eingesetzt wird, um mit sich selbst besser in Kontakt zu kommen. Für diese Untersuchung werde ich sie primär als ein Instrument der therapeutischen Praxis thematisieren. Mentale Störungen, so die These, scheinen von Nichtwachheit geprägt zu sein. Das Ziel von Achtsamkeit als einer therapeutischen Übung ist, die schädliche Fixierung auf dysfunktionale Konzepte zu beenden. Zu diesen kann auch ein falsches Selbstkonzept gehören. Von hier aus lässt sich recht plausibel begründen, dass die Heilung psychischer Störungen die Eigenschaften eines Erwachens aufweist. Wer sich für das Thema Achtsamkeit interessiert kann von diesem Text profitieren. Ich glaube, dass vom Gedanken der Nichtwachheit noch einmal klarer zu erkennen ist, was genau der Wert und das Ziel einer achtsamen Aufmerksamkeit sind. Dem achtsamen Leser wird nicht entgehen, dass die Analyse von Nichtwachheit nicht nur relevant ist für das Verständnis von Phänomenen, die mit unserer Lebenswirklichkeit nichts zu tun haben, sondern dass sie dazu geeignet ist uns sensibler zu machen für Erfahrungen, denen auch wir selbst immer wieder ausgesetzt sein können.
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Einleitung
Ein nicht unerheblicher Anteil der folgenden Ausführung bezieht sich auf das Thema psychischer Therapie. Ich glaube nicht nur, dass von hier aus einiges über das Bewusstsein gelernt werden kann, sondern auch, dass Menschen, die sich allgemein für Therapie interessieren, von dieser Untersuchung profitieren können. Der Gewinn wird dabei vielleicht weniger darin bestehen, etwas völlig Neues zu lernen, als vielmehr darin, bereits bekannte Annahmen und Methoden aus einer neuen Perspektive betrachten zu können. Der Entwicklung einer Theorie von Wachheit, welche die Aufgabe des vierten Teils ist, steht nach der intensiven Beschäftigung mit Nichtwachheit eine breite empirische Grundlage und eine allgemeine Beschreibung ihrer Mechanismen zur Verfügung. Ich gebe zu, dass dieser Teil im Unterschied zum vorherigen ein wenig schwerer zu verstehen ist, auch wenn ich mich weiterhin bemüht habe, mich so klar und deutlich auszudrücken, wie mir dies möglich ist. Mich selbst hat es jahrelange mühevolle Arbeit gekostet, diese Erklärung des Wachseins zu entwickeln. Ich bin jedoch überzeugt davon, dass es lohnend ist, sich mit diesen Zusammenhängen zu beschäftigen. Die Entwicklung einer Theorie der Wachheit geschieht in zwei Schritten. Erstens wird gefragt, welche Eigenschaften Wachheit hat. Der zweite Schritt besteht darin, diese Eigenschaften durch eine Theorie der Wachheit zu erklären. Die erste Eigenschaft von Wachheit besteht darin, dass sie grundlegender sein muss als Nichtwachheit. Nichtwachheit, so wird sich zeigen, sollte als eine Privation von Wachheit interpretiert werden. Zweitens demonstrieren die Phänomene, dass Wachheit das Wirklichkeitsprinzip des Bewusstseins ist. Dieser Wirklichkeitsbezug hängt mit dem Selbst zusammen, da Wachheit dazu führt, dass man »mehr da« ist. Drittens muss Wachheit die Rationalität der Person und ihre Freiheit erhöhen, da sie die Automatizität des Bewusstseins reduziert. Zusammen bedeutet dies viertens, dass Wachheit gegenüber dem Bewusstsein einen Metaaspekt hat. Was das genau bedeutet wird später deutlich werden. Die entscheidende Frage ist nun, wie Wachheit gedacht werden muss, damit sie in der Lage ist, diese Eigenschaften verständlich zu machen. Es scheint mir nur wenig sinnvoll zu sein, an dieser Stelle eine Zusammenfassung der Theorie zu bringen, da sie jetzt kaum verstanden werden kann. Es wird jedoch nicht schaden, bereits hier eine These zu nennen, die nicht nur überraschend ist, sondern von manchem als offensichtlich unplausibel eingestuft werden wird. Wie ich glaube deuten die Phänomene an, dass der Mensch auf eine gewisse Weise immer wach ist. Das hat etwas damit zu tun, dass Wachheit eng mit dem verbunden ist, was man als das grundlegende Selbstbewusstsein, bzw. als intransitives Bewusstsein, bezeichnen kann. Die These ist also, dass Wachheit eine unbewusste Eigenschaft sein kann. In etwas schwierigerer Sprache ausgedrückt ergibt sich, dass Wachheit eine intrinsische Eigenschaft des intransitiven Bewusstseins ist. Wir werden sehen, weshalb die Untersuchung an dieser Stelle eine
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Grenze des Erkennens erreicht. Ich werde jedoch am Schluss die Theorie der Wachheit in einen größeren Kontext einordnen und eine mögliche Interpretation ihrer Bedeutung anbieten. Dass sich von hier aus weitere Fragen ergeben empfinde ich nicht als Nachteil, sondern als einen Vorteil dieser Theorie. Insgesamt hat die Argumentation also vier Schritte: 1. Kapitel: Wachheit kann nicht auf Biologie reduziert werden und ist ein genuines Thema der Philosophie. 2. Kapitel: Wachheit ist als Eigenschaft des Bewusstseins das Ergebnis eines Erwachens aus einem nichtwachen Zustand. 3. Kapitel: Auf der Basis verschiedener nichtwacher Phänomene wird ein Modell von Nichtwachheit entwickelt, welches die Eigenheiten des nichtwachen Erlebens beschreibt. 4. Kapitel: Erstens werden in Abgrenzung zur Nichtwachheit Eigenschaften von Wachheit herausgearbeitet. Zweitens werden diese durch eine Theorie der Wachheit erklärt.
1.
Reduktiver Physikalismus
Der reduktive Physikalismus besagt, dass das Mentale letztlich identisch ist mit einer biologischen Funktion des Gehirns. Die Selbstverständlichkeit, mit der davon ausgegangen wird, dass es sich beim Wachsein um ein reduzierbares Phänomen handelt, scheint zu einem Mangel explizit entwickelter Theorien des Wachseins in der Philosophie geführt zu haben. Überraschenderweise gilt jedoch auch für die biologisch orientierte Forschung, dass in das Thema Wachheit insgesamt nur relativ wenig Energie investiert worden zu sein scheint. Die folgenden drei Theorien existieren eher implizit in der psychologischen und neurologischen Literatur, in der Schlaf- und der Traumforschung. Sie werden kaum als Theorien des Wachseins wahrgenommen und daher auch nicht als solche kritisiert. Dabei lässt sich, wie ich im folgenden zu zeigen versuche, ziemlich klar zeigen, dass sie nicht haltbar sind.
1.1
Arousaltheorie
Die Arousaltheorie besagt, dass Wachheit identisch ist mit der aktivierenden Funktion des Gehirns, dem sogenannten Arousal. Was das genau bedeutet kann wohl am leichtesten durch den Persistent Vegetative State demonstriert werden. Wenn bei einer Person, die sich aufgrund einer Verletzung des Gehirns im Koma befindet, sich das Gehirn ein Stück weit regeneriert, kann sich ein Zustand einstellen, der seit 2002 als Persistent Vegetative State bezeichnet wird. Dieser unterscheidet sich vom Koma dadurch, dass die Patienten den biologischen Schlaf-Wach Rhythmus durchlaufen und morgens die Augen öffnen. Sie sind jedoch weiterhin, wie im Koma, ohne Bewusstsein. Wären sie bewusst, würde man vom Locked-in Syndrom sprechen. Der Persistent Vegetative State wird in der Medizin als Wachsein ohne Bewusstsein bezeichnet (Merker 2007: 112, Zeman 2001). Diese Bezeichnung basiert auf einer physiologischen Unterscheidung, nach der das Wachsein vom Hirnstamm reguliert wird, genauer gesagt vom Arising Activation System (AAS),
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Reduktiver Physikalismus
während die Großhirnrinde, der Kortex, für das Bewusstsein zuständig sein soll1. Da aus reduktionistischer Perspektive das Wachsein identisch ist mit der Aktivierung des AAS ist nun klar, wieso der Persistent Vegetative State als Wachsein ohne Bewusstsein bezeichnet wird: In diesem Fall ist das AAS aktiv, aber der Kortex ist es nicht. Für die Arousaltheorie muss eine Person also nichts erfahren, um als wach eingestuft zu werden. Eine zweite Illustrierung der Arousaltheorie ist die Narkolepsie. Bei dieser Störung ist das Gehirn nicht in der Lage, Hypokretin (auch: Orexin) zu erzeugen, ein Neuropeptid, das für die Regulierung des Schlaf-Wach Rhythmus wichtig ist. Dieser Mangel führt zu einem instabilen Wachzustand, so dass Narkoleptiker bei einem emotionalen Ereignis schlagartig einschlafen können. Der Gedanke ist: Wenn eine Störung des Aktivierungssystems einen instabilen Wachzustand erzeugt, dann muss dieser auf das Aktivierungssystem reduzierbar sein. Ein drittes Phänomen, welches für die Arousaltheorie zu sprechen scheint, ist der sogenannte Hirnschrittmacher. Wenn im Falle des Persistent Vegetative State ein Heilungsprozess stattfindet, können Patienten einen Minimal Conscious State entwickeln und unregelmäßig Anzeichen von Bewusstsein aufweisen. Man hat solchen Patienten versuchsweise einen sogenannten Hirnschrittmacher in den Hirnstamm implantiert, welcher für ein künstliches Arousal sorgt (Deep Brain Stimulation Therapy). Dies kann dazu führen, dass sich ein stabilerer Zustand des Bewusstseins entwickelt (z. B. Yamamoto 2007). Für die folgende Argumentation ist es wichtig zu wissen, dass eine wesentliche Funktion des Arousalsystems des Hirnstamms die Regulation der drei zentralen Gehirnzustände ist. Diese drei Gehirnzustände sind erstens die beiden Zustände des Schlafs, der REM- und der Nicht-REM-Zustand (NREM-Schlaf). Der REM-Zustand ist verbunden mit narrativen Träumen mit einem emotionalen Gehalt und wird auch als paradoxer Schlaf bezeichnet, während der NREM-Zustand als Tiefschlaf bezeichnet wird. Den dritten Gehirnzustand, den 1 Das aufsteigende Aktivierungssystem hieß früher ARAS, aufsteigendes retikuläres Aktivierungssystem. Da jedoch die aktivierenden Zentren des Hirnstamms sich nicht auf den retikulären Bereich begrenzen, wurde diese Bezeichnung zugunsten von AAS aufgegeben. »The corticocentric perspective can, in roughest outline, be rendered by a formula according to which the brain’s mechanism of consciousness consists of ›a brainstembased system of wakefulness‹ (in the sense of physiological wakefulness) plus ›a cortex-based system of consciousness‹« (Merker 2007: 119). Merker (2007) widerspricht der These, dass Bewusstsein ausschließlich mit dem Kortex verbunden ist. Seine zentrale Begründung ist, dass Kinder mit Hydraencephalie, einer Krankheit, bei der das Großhirn fehlt, und Tiere, denen der Kortex entfernt worden ist, allem Anschein nach weiterhin über phänomenales Bewusstsein verfügen. Dies macht es fraglich, ob Bewusstsein und Wachsein tatsächlich völlig voneinander getrennt werden können. Die weitere Untersuchung wird zeigen, dass diese Trennung tatsächlich unmöglich ist. Genauer beschrieben wird die unterschiedliche Tätigkeit des Hirns im Schlaf und im Wachzustand in Hobson et al. 1998 und Saper et al. 2001.
Arousaltheorie
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wir während des Tages haben, wird als Wachzustand bezeichnet. Diese Bezeichnung, so wird sich zeigen, ist streng genommen nicht korrekt. Ich werde den dritten Zustand als Alltagsbewusstsein bezeichnen, dies aber erst später begründen (siehe 3.2.1). Während das Gehirn während des REM-Schlafs äußerst aktiv ist, ist es dies während des NREM-Schlafs kaum. Die physiologisch orientierte Traumforschung geht mit dem Activation-Synthesis Modell von John Allan Hobson und Robert McCarley (1977) davon aus, dass während des REM-Schlafs der Hirnstamm zufällige Signale an den Kortex sendet, so dass dieser teilweise aktiviert wird (der dorsolaterale präfrontale Kortex wird nicht aktiviert, Hobson et al. 1998, 2000: 807ff.). Während die Aktivierung das Erleben des Traums verursacht, soll die nur selektive Aktivierung die spezifischen Eigenschaften des Traumerlebens erklären, wie etwa das weitgehend inaktive biographische Gedächtnis. Obwohl die Aktivierung2 nur partiell ist, verbraucht das Gehirn im REM-Schlaf gleichviel oder noch mehr Energie, wie während des Tages (Hobson et al. 2000: 809). Die Traumtheorie des Activation-Synthesis Modell besagt also, dass der teilaktivierte Kortex das Beste aus seinen eingeschränkten Möglichkeiten macht, was im Ergebnis das ist, was wir als Traum erfahren (zur Kritik siehe Foulkes 1990). Da das Gehirn während des REM-Schlafs sehr aktiviert ist existiert in dieser Phase eine Paralyse der Muskeln. Außer den Augen und der Atmung kann während des REM-Schlafs kein Muskel bewegt werden. Wie wichtig dies ist zeigt sich daran, wenn die Paralyse nicht mehr funktioniert, wie dies bei der REMSchlaf Verhaltensstörung (RBD=REM Sleep Behavior Disorder) der Fall ist. Bei einer RBD manifestiert sich die Aktivierung des REM-Schlafs körperlich, so dass es zu heftigen Körperbewegungen kommt. Dies demonstriert eindrücklich die massive Aktivierung des Gehirns während des REM-Schlafs: »[A] strong suggestion that the functions of specific brain areas are similar between REM and wake is provided by the observable enactment of experienced dream movement in the REM sleep behavior disorder« (Hobson et al. 2000: 808). Im Grunde weiß jeder, der schon einmal mit heftigem Herzklopfen aus einem Traum aufgewacht ist, wie intensiv diese Aktivierung sein kann. 2 »the reticular formation of the anterior brain stem is a least as active in D sleep [=REM-Schlaf, HS] as it is in the waking state« (Hobson/McCarley 1977: 1337).Hobson ist sich natürlich bewusst, dass für die physiologische Erklärung von Traum und Wachzustand nicht nur die elektrisch verstandene Aktivierung des Gehirnstamms ausreicht, sondern dass zusätzlich verschiedene Neurotransmittersysteme aktiv sind. Für die Beurteilung der Arousaltheorie wird sich zeigen, dass diese Differenzierung nicht wichtig ist. Es ist heutzutage auch nicht so, dass Arousal ausschließlich elektrisch verstanden wird. Arousal ist also biologisch eine Mischung als elektrischer Aktivierung und der Tätigkeit von Neurotransmittern und anderen Stoffen.
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Reduktiver Physikalismus
Die RBD gehört in die Klasse von Schlafstörungen, die als Parasomnien bezeichnet werden. Bei diesen Schlafstörungen treten im Schlaf Phänomene auf, die dies eigentlich nicht tun sollten. Neben der RBD als REM-Parasomnie existieren NREM-Parasomnien. Bei diesen kommt es in den NREM-Schlafphasen zu einem Arousal, das verschiedene Formen annehmen kann (vgl. Schenck/Mahowald 2005). Die bekannteste dieser auch als Disorders of Arousal3 bezeichneten Störungen ist das Schlafwandeln. »Sleepwalking occurs as a result of incomplete arousal from NREM sleep, with motor activity appropriate to wakefulness occurring in conjunction with mentation of a kind that normally occurs during NREM sleep« (Vetrugno/Montagna 2011: 69). Aus Perspektive der Arousaltheorie vermischt sich bei den Parasomnien das Wachsein mit dem REM oder dem NREM-Schlaf. »The automatic behaviour (driving past the desired freeway exit, putting clothing into the refrigerator) represents an admixture of wakefulness and NREM sleep. There is enough wakefulness to perform complex behaviour but not enough for conscious awareness of the behaviours« (Mahowald/Schenck 2005: 1280).
Wenn der Körper im Schlaf aktiviert wird und auf eine bestimmte Weise agiert, wie etwa in die Küche zu marschieren und eine Mahlzeit zu bereiten, wie dies bei der Sleep Related Eating Disorder der Fall ist, ist nach der Arousaltheorie eine Person körperlich wach, während ihr Bewusstsein schläft. »Clinical evidence on patients with parasomnias (status dissociatus), e. g. sleepwalking, suggests that these individuals are awake (evidenced by their ability to negotiate around objects), and asleep (indicated by their lack of awareness of their actions) simultaneously« (Nobili et al. 2011: 612).
So, wie eine Person im Persistent Vegetative State wach sein kann, auch wenn sie ohne Bewusstsein ist, ist eine Person nach der Arousaltheorie körperlich wach, wenn sie schlafwandelnd mit dem Auto losfährt und einen Unfall verursacht. Diese Phänomene machen plausibel, wieso in der Schlafforschung nicht davon ausgegangen wird, dass es sich beim Schlaf um einen globalen Zustand handeln muss. Sämtliche Eigenschaften des Schlafes können auch außerhalb des Schlafes auftreten (Mahowald/Schenck 2005, Vetrugno/Montagna 2011). Hypnagoge Erfahrungen bspw., die visuellen Erfahrungen während des Einschlafens, die ungefähr ein Drittel aller Personen regelmäßig erfahren, gelten als »intrusions of dream mentation into wakefulness« (Vetrugno/Montagna 2011: 69, vgl. Mavromatis 1987). Bei der Narkolepsie vermischen sich Wachsein und REM-Schlaf. Bei einer Schlafattacke stellt sich bei Narkoleptikern die Muskelparalyse des REM-Schlafs ein (Kataplexie), so dass sie sofort in sich zusam3 In der International Classification of Sleep Disorders, herausgegeben von der American Academy of Sleep Medicine (2014).
Arousaltheorie
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mensinken. Im NREM-Schlaf können lokal und temporär EEG-Muster wie im Wachzustand auftreten (Delta Wellen; Nobili et al. 2011: 613). Die Arousaltheorie hat seltsame Konsequenzen. Eine ihrer Implikationen ist, dass Träume ein Wachzustand sind, bzw. dass derjenige Aspekt der Person, der den Traum erlebt, wach ist4. Da nach der Arousaltheorie das Wachsein identisch ist mit einem Arousal, ist derjenige Teil des Gehirns wach, der vom Hirnstamm aktiviert wird. Wenn eine Person schlafwandelt, ist sie nach der Arousaltheorie körperlich wach, während ihr Bewusstsein nicht wach ist. Wenn der Schlaf nicht notwendigerweise ein globaler Zustand ist, heißt dies, dass das Gehirn gleichzeitig wach und nicht wach sein kann. Ob Teile des Gehirns wach sind oder nicht hängt nach der Arousaltheorie davon ab, ob sie aktiviert sind. Die Aussage, dass der Traum ein Zustand der Wachheit ist, hat die Intuition nicht auf ihrer Seite. Jeder weiß, dass zwischen der Weise, wie wir tagsüber existieren, ein grundlegender Unterschied zum geträumten Erleben besteht. Der entscheidende Grund, weshalb das Träumen unmöglich als Wachzustand betrachtet werden kann, ist ein konzeptioneller. Es ist klar, dass zwischen der Aktivierung, die zum Traumerleben führt, und dem Erwachen am Morgen, ein entscheidender Unterschied besteht. Während man morgens aufwacht, geht dem Erleben des Traums kein Erwachen voraus. In Träumen findet man sich plötzlich wieder, ohne dass dem ein Erwachen vorausgegangen wäre. Ein Arousal kann zu einem Erleben führen, ohne dass ein Erwachen stattgefunden hat. Es ist daher nicht möglich, dass Arousal und Erwachen identisch sind. Ein Erwachen, das heißt ein kognitiver Vorgang, bei dem jemand erwacht, lässt sich auch bei den Parasomnien nicht beobachten. Es macht keinen Sinn von Wachheit zu sprechen, ohne dass ein Erwachen stattgefunden hat. Da bei einem Erwachen jemand wach werden muss, kann der Körper nicht erwachen, sondern nur physiologisch aktiviert werden. Wenn eine Person schlafwandelt ist dies das Ergebnis eines körperlichen Arousals, da es jedoch niemanden gibt, der erwacht, sollte man nicht von Wachheit sprechen. Ebenso handelt es sich um einen Kategorienfehler, wenn man den Persistent Vegetative State als Wachzustand bezeichnet. Das Konzept des Erwachens kann nicht auf unbewusste körperliche Vorgänge angewendet werden, da es einen kognitiven Vorgang bezeichnet. Man könnte ansonsten auch von einem Erwachen des Darms sprechen, wenn dieser am Morgen wieder seine Arbeit aufnimmt. Wenn bei einer Parasomnie eine körperliche Aktivierung stattfindet und man dies als teilweise Wachheit bezeichnet, wird ausgeblendet, dass es nicht nur ein gradueller Unterschied ist, ob diese Aktivierung zusätzlich zu einem Traum, 4 Diese These vertritt bspw. J.F.M Hunter (1983). Danach ist derjenige Aspekt der Person, der den Traum erlebt, wach, während die restliche Person schläft. Vermutlich kommt er zu dieser Behauptung durch die Identifikation von Bewusstsein mit Wachsein.
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Reduktiver Physikalismus
oder zusätzlich zum Alltagsbewusstsein führt. Wenn man das Wachsein mit dem Arousal identifiziert ignoriert man, dass zwischen einer körperlichen Aktivierung, dem Erleben des Traums, und dem wachen Zustand, kategoriale Unterschiede bestehen. Es ist wenig plausibel, diese durch ein einziges Konzept erklären zu wollen – was in der Schlafforschung durchaus gesehen wird: »We believe that ›arousal‹ should be used to indicate a transient change of the activation level within a sleep episode, while ›awakening‹ corresponds to a transition between sleep and wakefulness, i. e. a clear discontinuity of an ongoing sleep episode, sometimes its end« (Salzarulo et al. 2002: 29).
Um die Arousaltheorie zu retten muss man sie so qualifizieren, dass nur ein bestimmtes Arousal zu Wachheit führt, nämlich dasjenige Arousal, das mit dem Erleben des Tages einhergeht. Doch auch dies ergibt eine ungewollte Implikation. Nach dem Yerkes-Dodson Gesetz ist die Leistungsfähigkeit des Menschen optimal bei einem mittleren Arousal. Ist es zu hoch, was subjektiv als Nervosität oder Stress empfunden werden kann, sinkt die Leistungsfähigkeit vor allem bei komplexen Aufgaben rapide ab. Chronische Zustände eines zu hohen Arousal sind häufig Merkmale psychischer Störungen. So spricht man bspw. bei Angsterkrankungen, wenn ständig Ausschau nach Bedrohungen gehalten wird, von einer mit hohem Arousal einhergehenden Hypervigilanz. Diese führt zu einer hohen Ablenkbarkeit (Eysenck 1997). Auch die Agitation eines psychotischen Schubs geht mit einem hohen Arousal einher. Wenn Wachheit mit dem Arousal identifiziert wird bedeutet dies, dass eine Person zu wach für bestimmte Aufgaben sein kann. Psychisch kranke Personen mit einem hohen Arousal wären wacher als der Durchschnitt der Bevölkerung. Zusammengefasst funktioniert die Arousaltheorie erstens nicht, da das physiologische Arousal nicht hinreichend ist für den Wachzustand. Zweitens macht eine Zunahme des Arousal nicht notwendig wacher. Um den Wachzustand reduktionistisch durch ein Arousal zu erklären, muss dieses qualifiziert werden. Man muss versuchen zwischen einem Arousal zu unterscheiden, welches zu Wachheit führt, und einem solchen, bei dem dies nicht der Fall ist. Damit diese Theorie noch offenkundig reduktionistisch ist, muss es sich bei diesem Kriterium um ein physiologisches handeln. Diesen Weg beschreitet die Zustandstheorie.
1.2
Zustandstheorie
Die Zustandstheorie besagt, dass das Wachsein identisch ist mit jenem Hirnzustand, der nicht der REM oder der NREM-Schlaf ist (Mota-Rolim/Araujo 2013, Hobson 2009). Die drei zentralen Gehirnzustände werden mit dem Elektroen-
Zustandstheorie
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zephalogramm (EEG) bestimmt. Nach der Zustandstheorie ist man wach, wenn das EEG das Muster des Alltagsbewusstseins aufweist. Der Unterschied zwischen Arousal- und Zustandstheorie besteht erstens darin, dass der Gehirnzustand, der mit dem Alltagsbewusstsein verbunden ist, auf einem spezifischen Arousal basiert. Zweitens ist der Zustand des Alltagsbewusstseins mit kortikaler Aktivität verbunden, so dass wach zu sein hier auch bedeutet, bewusst zu sein. Ohne eine gewisse kortikale Aktivität stellt sich nicht das EEG-Muster ein, welches das physiologische Korrelat zum Wachsein darstellen soll. Nach der Zustandstheorie kann man also beim Persistent Vegetative State nicht von Wachheit sprechen. Das zentrale Problem der Zustandstheorie ist, dass die drei Zustände sich nicht gegenseitig ausschließen (Mahowald/Schenck 2005). Wie schon gezeigt wurde vermischen sich bei den REM- und NREM-Parasomnien die Eigenschaften des Schlafs mit denen des Alltagsbewusstseins. Konkret bedeutet dies, dass anhand des EEG manchmal nicht zu erkennen ist, ob eine Person wach ist oder nicht. »During an episode [of sleepwalking, HS], the EEG can show either the persistence of sleep, the admixture of sleep and wakefulness, or else complete wakefulness. There can be an impressive dissociation between a fully awake EEG and the ›spacey‹ appearance and confused behavior of the affected person. In most cases, however, the postarousal EEG during a SW [sleepwalking, HS] episode shows the persistence of sleep (namely, rhythmic delta activity ; delta and theta waves), which demonstrates that the ›disorders of arousal‹ are physiologic disorders of non-REM sleep« (Schenck/Mahowald 2005, kursiv HS).
Noch dramatischer ist der Fall des Status Dissociatus. Dieser kann sich aus der RBD (REM Sleep Disorder) entwickeln, die weiter oben schon als REM-Parasomnie eingeführt worden ist. Der neurogenerative Prozess, der zur RBD führt, kann sich unbehandelt zum Status Dissociatus entwickeln. Bei dieser Störung mischen sich die drei zentralen Zustände: »Status dissociatus (SD) is a condition in which brain and mind are in disarray along the boundaries of sleep and wakefulness« (Vetrugno/Montagna 2011: 68). Konkret bedeutet dies, dass nicht länger möglich ist durch eine Messung des EEG zu bestimmen, ob eine Person wach ist, oder ob sie schläft: »the basic states of existence can become admixed and interchanged, or rapidly oscillate, with striking disturbances of consciousness, brain electrophysiology, and the behavioural and polygraphic expression of sleep and wakefulness« (Vetrugno/Montagna 2011: 69).
Wenn Menschen mit Status Dissociatus schlafen können sie das EEG des Alltagsbewusstseins aufweisen. Im Schlaf verhalten sie sich ähnlich wie bei einer RBD, d. h. es finden fast ständig Körperbewegungen statt und die Person murmelt (Vetrugno et al. 2009).
22
Reduktiver Physikalismus
Der Status Dissociatus wird als eine ernste Herausforderung für das Konzept der drei zentralen Gehirnzustände empfunden, denn es stellt sich die Frage, was genau diese Zustände definiert und welche Konsequenzen sie haben (Mahowald/ Schenck 1991: 69). »These clinical observations, if confirmed in larger cohorts, also raise questions about our concepts of both consciousness and sleep: may wakefulness not be as much of an all-or-nothing phenomenon as it is usually conceived? Are the primary states of being (wake, NREM sleep, REM sleep) mutually exclusive? May sleep in the human brain be a ›local‹ process, also, at the subcortical level, as documented to date in individual cortical columns, i. e., the so called mosaic pattern of sleep? Were our patients experiencing some sort of mosaic sleep? Can sleep occur in the absence of the markers that currently define it?« (Vetrugno/Montagna 2011: 69).
Ein weiteres Beispiel dafür, wie sehr sich die Gehirnzustände gegenseitig durchdringen können, sind die Konsequenzen von Schlafentzug (Ahlheim 2013, dazu auch 3.3.5.4.). Früher glaubte man, dass dieser zu psychotischen Erfahrungen wie Halluzinationen und wahnhaften Überzeugungen führt. Heute weiß man, dass auch wache Personen nach langem Schlafentzug beginnen, das EEGMuster des Schlafs aufzuweisen. Die Halluzinationen, die eine nach gängigen Begriffen »wache« Person nach langem Schlafentzug erlebt, kommen daher, dass ihr Gehirn schläft bzw. träumt. Um dieses Phänomen »partiellen Schlafs« zu beschreiben wurde der Begriff »Mikroschlaf« erfunden. Die große Frage ist, wie dies zu verstehen ist. Kann eine Person gleichzeitig wach und nicht wach sein? Und wie sind die Zustände zu unterscheiden? Kann das Gehirn schlafen und die Person doch teilweise wach sein? Wenn man den Zustand einer solchen Person anhand des EEG bewertet, ist sie nicht wach. Dem widerspricht, dass sie sich gleichzeitig mit anderen unterhalten kann und ihre Sinne aktiv auf die Welt gerichtet sind. Das Ergebnis von Versuchen, bei denen Menschen sehr lange nicht schlafen, ist: »the boundaries between being alert, being asleep, and dreaming seemed to be dissolving and fundamental categories that had previously been used to describe the stages of the human mind were no longer applicable« (Ahlheim 2013: 130).
Wie man heute weiß kann man das Scheitern der Zustandstheorie neurobiologisch begründen. Das Arousalsystem ist höchst komplex und besteht aus einer Reihe verschiedener Mechanismen. Nach heutigem Wissen ist keiner dieser Mechanismen notwendig, damit sich das Alltagsbewusstsein manifestieren kann: »These multiple systems are partially redundant because no one system appears to be absolutely necessary for wakefulness, although each contributes in a unique way to its generation and maintenance« (Jones 2005: 578).
Schlafwahrnehmung
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Ein Beispiel hierfür ist die Narkolepsie, bei der ein wichtiger Stoff vom Gehirn nicht produziert wird. Trotzdem können Narkoleptiker wach sein. Wenn jedoch jeder einzelne Mechanismus des Aktivierungssystems für das wache Erleben unnötig ist, kann dieses nicht auf einen solchen Mechanismus reduziert werden. Wenn Wasser nur manchmal H2O wäre, dann wäre Wasser nicht H2O.
1.3
Schlafwahrnehmung
Da nach der Arousaltheorie Wachheit identisch ist mit der aktivierenden Funktion des Stammhirns, und nach der Zustandstheorie mit einem Gehirnzustand, muss objektiv bestimmbar sein können, ob ein Mensch wach ist oder nicht. Neben den bisher vorgestellten Phänomenen zeigt vor allem das faszinierende Gebiet der Schlafwahrnehmung, dass die Identität von Physiologie und Wachheit zweifelhaft ist. Wenn nicht objektiv bestimmt werden kann, ob jemand wach ist oder nicht, muss die Identitätsthese der reduktionistischen Theorien falsch sein. Die Schlafforschung hat gezeigt, dass der kognitive und der physiologische Schlafbeginn normalerweise dissoziiert sind. Während der physiologische Schlafbeginn objektiv bestimmbar ist, da dieser durch eine Reihe körperlicher Merkmale bestimmt werden kann, ist dies bei dem, was wir hier als kognitiver Schlafbeginn bezeichnen wird, nicht der Fall. Konkret heißt dies, dass eine Person, die objektiv betrachtet schläft, tatsächlich noch wach sein kann. Der Schlaf wird in verschiedene Phasen eingeteilt. In der ersten Schlafphase, der Sleep Onset Period, schläft der Mensch ein, die Atmung wird langsamer, die Körpertemperatur sinkt, die Augen bewegen sich langsamer und das Alphamuster im EEG verschwindet (vgl. Yang et al. 2010). In der zweiten Phase bewegen sich die Augen nicht mehr, die Gehirnwellen werden langsamer, und es treten sogenannte Sleep Spindles im EEG auf. Diese gelten als Kriterium für den Schlafbeginn, denn Sleep Spindles entstehen, wenn Signale vom Thalamus an den Kortex blockiert werden. Sie verweisen also auf denjenigen Mechanismus, durch den Schlafende von den Signalen der Umwelt getrennt werden (Ogilvie 2001: 263). Auch wenn in der Schlafforschung die Sleep Spindles als objektives Kriterium für den Schlafbeginn verwendet werden, ist doch bekannt, dass damit nicht sicher bestimmt werden kann, ob die Person sich selbst zu diesem Zeitpunkt bereits als schlafend wahrnimmt. Wenn man Personen im Schlaflabor weckt, nachdem das EEG anzeigt, dass sie schlafen, erklären viele, dass sie noch wach gewesen sind: »subjective awareness of sleep lags far behind behavioral and physiological evidence of the transition« (Ogilvie, Willkinson, Allison 1989: 473). Ungefähr die Hälfte aller Menschen hat erst zwei bis vier Minuten nach dem Auftreten der ersten Schlafspindel den Eindruck, geschlafen zu haben.
24
Reduktiver Physikalismus
»Probanden, die nach elektrophysiologischen Kriterien schlafen, beurteilen ihren Zustand überraschend häufig als wach« (Amrhein/Schulz5 2000: 66). Man kann versuchen, die Dissoziation von kognitivem und physiologischem Schlafbeginn mit dem Argument zu relativieren, dass sich der Schlafbeginn vielleicht noch nicht eindeutig bestimmen lässt und dies vielleicht gar nicht möglich ist, da nicht alle physiologischen Merkmale zum selben Zeitpunkt auftauchen (Ogilvie 2001). Damit wären die Sleep Spindles nur ein Hinweis und es ergibt sich die Frage, ob es ein eindeutiges Kriterium für den kognitiven Schlafbeginn überhaupt gibt. Eine reduktionistische Herangehensweise benötigt objektive Kriterien, da es ohne diese keine Reduktion geben kann. Dass die Schwierigkeit der objektiven Bestimmung des kognitiven Schlafbeginns nicht nur an der Prozesshaftigkeit des Einschlafens liegt, zeigt sich daran, dass die Schlafwahrnehmung auch während des Schlafs von Bedeutung ist. Wenn Personen mitten im Schlaf geweckt werden gibt ein beträchtlicher Anteil an, bereits wach gewesen zu sein, gleichgültig, ob es sich um den REM oder den NREM-Schlaf handelt (Sewitch 1984). Wer aus dem REM-Schlaf geweckt wird, ist sich häufiger bewusst, dass er geschlafen hat, doch 20 % geben in diesem Fall an, bereits wach gewesen zu sein (Amrhein/Schulz 2000). Auch hier, mitten im Schlaf, gibt es also eine Dissoziation zwischen »elektrophysiologisch definiertem Schlaf und der Wahrnehmung dieses Zustandes« (Amrhein/Schulz 2000: 62). »The results suggest that an appreciable amount of time asleep is not perceived as sleep but as wakefulness, even by those without a sleep complaint« (Weigand et al. 2007: 350). Es ist rätselhaft, dass eine Person sich für wach halten kann, obgleich sie objektiv betrachtet schläft. Entweder ist die objektive Bestimmung nicht korrekt, oder die Person täuscht sich. Beides wirft Fragen auf. Wenn die objektive Bestimmung des Schlafs nicht funktioniert ist der subjektive Zustand einer Person nicht deckungsgleich mit den objektiven Kriterien. Wenn jedoch eine Person glauben kann, dass sie wach ist, obwohl sie tatsächlich schläft, stellt sich die Frage, wie es sein kann, dass man sich auf eine so fundamentale Weise täuschen kann. Eine Theorie der Wachheit, das Ziel dieser Untersuchung, sollte in der Lage sein, dieses Phänomen verständlicher zu machen. 5 »Another line of sleep research clearly demonstrates the difficulty to predict subjective experience from physiological parameters. Amrhein and Schulz (2000) performed awakenings from brief periods of wakefulness, NREM 2 sleep, and REM sleep during the night. Their first question was: ›Did you sleep or have you been awake before hearing the buzzer?‹ The participants (N =22) stated in about one third of the awakenings from stage awake that they were sleeping, in about 50 % of the NREM 2 awakenings, and in over 80 % of the REM awakenings. Experiencing and remembering a dream was an important criterion for the evaluation of the state of consciousness. Overall, this study clearly implicates that the physiological measured sleep stage does not allow a very good prediction of the subjective experience of the sleeper«(Schredl 2010: 46f.).
Schlafwahrnehmung
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Man mag einwenden, dass es normal ist, fälschlicherweise zu glauben, dass man wach ist, obwohl man schläft, schließlich passiert dies ja jede Nacht während man träumt. Allerdings, so zeigen die Daten, wird gerade der REM-Traum als ein Zeichen interpretiert, dass man geschlafen hat. Mehr Personen, die aus dem NREM-Schlaf geweckt werden, der tiefer ist als der REM-Schlaf, geben an, bereits wach gewesen zu sein. Wie kann das sein? Man kann bis jetzt argumentieren, dass bei den bisher berichteten Ergebnissen keine echte Wachheit vorgelegen habe und die Probanden sich getäuscht hätten. Sie hätten geglaubt, wach zu sein, waren es aber nicht wirklich. Eine weitere Studie zeigt jedoch, dass kognitive Wachheit tatsächlich mit physiologischem Schlaf einhergehen kann. Die Behauptung, dass man wach gewesen ist, obwohl man objektiv betrachtet geschlafen hat, kann wahr sein. In diesem Experiment hatten die Teilnehmer die Aufgabe, während einer Nacht im Schlaflabor auf einen Knopf zu drücken, wenn sie aufgewacht waren (Campbell/Webb 1981). Erstaunlicherweise zeigte sich, dass 10 % dieser Signale nicht mit physiologischer Wachheit verbunden waren. Die Versuchsteilnehmer signalisierten durch das Drücken des Knopfes ihre Wachheit, während die gleichzeitig stattfindende Messung zeigte, dass sie schlafen. Dies ist ein starker Hinweis darauf, dass eine Person tatsächlich wach sein kann, ohne dass physiologisch Wachheit angezeigt wird (wie es im übrigen schon weiter oben bei der Zustandstheorie demonstriert worden ist). Die Situation wird komplizierter, da es möglich ist, physiologisch wach zu sein, ohne dass man sich dessen bewusst ist. In dem eben geschilderten Experiment, bei dem die Teilnehmer signalisieren sollten, wenn sie aufgewacht waren, zeigte sich, dass 27 % aller Perioden von Wachheit von mindestens einer Minute Länge nicht signalisiert wurden (Campbell/Webb 1981: 182, ebenso Amrhein/ Schulz 2000: 66). Es besteht also nicht nur die Möglichkeit, dass man glaubt, wach zu sein, obwohl man es nicht ist, und man wach ist, obwohl man schläft. Man kann auch physiologisch wach sein, ohne dass man sich dessen bewusst ist. Das führt zu der seltsamen Frage, ob man wirklich wach ist, wenn man sich dessen nicht bewusst ist und man sich verhält, als würde man schlafen. In der Schlafforschung ist es unbestritten, dass auch lange Wachphasen nicht erkannt werden müssen und mit dem Schlaf verwechselt werden können. Menschen können nachts stundenlang wach im Bett liegen und glauben, dass sie schlafen. Dieses Phänomen ist bis heute wenig erforscht und es hat sich noch keine Bezeichnung dafür durchgesetzt. Vorgeschlagen wurden Positive Sleep State Misperception (Trajanovic 2007), Wake State Misperception (SchneiderHelmert 2005), Asymptotic Insomnia (Schneider-Helmert 2007), Reverse Sleep State Misperception (Attarian et al. 2004) oder Perception of Wakefulness Disorder (Attarian 2007). Menschen mit diesem Symptom gehen zum Arzt, weil sie tagsüber ständig müde sind und nicht, weil sie nicht schlafen können. Sie
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Reduktiver Physikalismus
glauben, dass sie normal schlafen, obwohl sie tatsächlich überwiegend nicht schlafen. Dabei kann der nächtliche Wachzustand beträchtliche Ausmaße annehmen und die reale Schlafenszeit massiv überschätzt werden. Eine Dame glaubte, dass sie nachts 11 Stunden schlief, tatsächlich waren es nur zwei (Attarian/Duntley/Brown 2004). In einer Klinik (Schneider-Helmert 2007) zeigte sich, dass bei dieser Schlafstörung die geschätzte Schlafenszeit von 7,5 Stunden gegenüber der realen Schlafzeit durchschnittlich 2,5 Stunden zu hoch ist. Der erheblich fragmentierte Schlaf mit längeren Wachperioden wird nicht als solcher erkannt6 : »[…] not only can sleep be misperceived as wakefulness, but prolonged periods of wakefulness within the major sleep period can be misperceived as sleep as well« (Attarian/Duntley/Brown 2004: 272).
Während bei der Asymptotic Insomnia Personen wach sind und glauben, dass sie schlafen, schläft bei der Schlafwahrnehmungsstörung (paradoxe Schlafstörung oder Sleep State Misperception7) eine Person physiologisch, klagt aber darüber, dass sie wach ist. »Sleep state misperception (SSM) is the current diagnostic term reserved for the small and perplexing group of insomnia patients who appear unable to discriminate sleep from wakefulness« (McCall/Edinger 1992: 71). Personen mit einer Schlafwahrnehmungsstörung haben objektiv, das heißt gemessen mit dem Polysomnograph im Schlaflabor, einen normalen Schlaf. Tagsüber haben sie eine reduzierte Leistungsfähigkeit, die sogar größer ist als bei Personen mit einer objektiven Schlafstörung (Sugerman et al. 1985). Das Ausmaß an subjektivem Schlafmangel bei normalem objektivem Schlaf kann erheblich sein. Eine Person gibt an, dass sie seit 13 Jahren kein einziges mal geschlafen habe, eine andere berichtet von jeweils einer Stunde Schlaf in zwei von 14 Nächten (McCall/Edinger 1992). Raymond McDaniel, bei dem unklar ist, ob er an einer Schlafwahrnehmungsstörung leidet, oder ob es sich dabei um etwas anderes handelt, gibt an, niemals zu schlafen (McDaniel 2013). McDaniel verlor auch nicht das Bewusstsein bei einer Vollnarkose, obwohl er keine Schmerzen verspürte. 6 Man mag die Frage formulieren: Wenn das EEG nicht sicher das Wachsein anzeigt, warum ist man sich dann sicher, dass die Personen tatsächlich wach gewesen sind? Die Antwort ist, dass in der Schlafforschung mit einem sogenannten Polysomnographen (PSG) gearbeitet wird. Der PSG ist eine Sammlung verschiedener Messinstrumente. Eines davon ist das EEG. Zusätzlich misst der PSG auch die Körpertemperatur, die Bewegung des Körpers (Aktigraph), die Muskelspannung (Elektro-Myograph), die Augenbewegungen (Elektrookulogramm) und das Atemmuster. Für die objektive Bestimmung des Zustands einer Person können Schlafforscher also auf eine Vielfalt von Daten zugreifen. 7 Seit 2005 heißt diese Störung nun offiziell paradoxe Schlafstörung (International Classification of Sleep Disorders der American Academy of Sleep Medicine). Ich verwende noch teilweise die alte Bezeichnung, da diese in den Zitaten auftaucht.
Schlafwahrnehmung
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Nachdem man in der Schlafforschung lange daran gezweifelt hatte, ob es sich bei der Schlafwahrnehmungsstörung um ein reales Phänomen handelt, wird sie heute als eigene Schlafstörung betrachtet. Man hat sie inzwischen als ein Muster im EEG nachweisen können8 (Krystal et al. 2002, Edinger/Krystal 2003: 209). Ihre Ursache ist jedoch weiterhin unklar : »Do those with subjective insomnia/sleep state misperception have continuation of a waking form cognitive processing that persists into the sleep of these individuals or do they simply have a sleep/wake discrimination difficulty?« (Edinger/Krystal 2003: 211).
Eine kognitive Interpretation dieser Schlafstörung bietet sich an, da sich erstaunlicherweise gezeigt hat, dass eine kognitive Therapie die Schlafwahrnehmungsstörung lindern kann9. Personen mit einer paradoxen Schlafstörung können im Schlaflabor lernen, zwischen Schlaf und Wachsein zu unterscheiden (Downey/Bonnet 1992). Das Training besteht darin, dass den Teilnehmern während einer Nacht im Schlaflabor akustisch signalisiert wird, ob sie a) noch wach sind, b) gerade eingeschlafen sind, oder c) geschlafen haben. In einer Nacht mit 27 Weckungen lernen die Teilnehmer auf diese Weise, zwischen Schlaf und Wachsein zu unterscheiden. Diese Fähigkeit führt bei der paradoxen Schlafstörung zu einem besseren Schlaf – und ist in hohem Maße erklärungsbedürftig: Personen, die objektiv schlafen, schlafen subjektiv nicht. Wenn diese Personen lernen, die Erfahrung des Schlafens von derjenigen des Wachseins zu unterscheiden, gelingt es ihnen, besser zu schlafen. Aber was ist dann eine Schlafwahrnehmungsstörung? Handelt es sich dabei um eine kognitive Störung, so dass eine Person nicht zwischen Schlaf und einem wachen Zustand unterscheiden kann? Aber wie soll das möglich sein, und warum sollte das dazu führen, dass eine Person nicht einschläft? Ebenso rätselhaft ist die Möglichkeit, dass eine Person tatsächlich schläft, sich aber als wach wahrnimmt. Wie soll das möglich sein, und wieso sollte es negative Auswirkungen auf den Tag haben? Und warum führt ein Training der Unterscheidungsfähigkeit zu einem besseren Schlaf ? Und woran kann eine Person unterscheiden, ob sie schläft oder ob sie wach ist? Das Thema Schlafwahrnehmung zeigt, dass wir von der Existenz folgender Phänomene ausgehen müssen: 8 »This study provides evidence that diminished delta and greater alpha, sigma, and beta EEG relative spectral power in NREM sleep may be an objective physiologic correlate of subjective sleep complaints in individuals with chronic PPI who have sleep complaints despite conventional PSG measures that do not differ from normal subjects (subjective insomnia subjects)«(Krystal et al 2002: 631). 9 »Since subjective insomnia sufferers show such a mismatch between their sleep estimates and conventional PSG parameters, patients with this condition may benefit more from a treatment designed to improve the accuracy of their sleep perceptions than they would from interventions to improve their sleep hygiene and sleep habits« (Edinger/Krystal 2003: 210).
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Reduktiver Physikalismus
– Personen schlafen physiologisch, sind aber kognitiv wach (z. B. Paradoxe Schlafstörung, Dissoziation von kognitivem und physiologischem Schlafbeginn). – Personen schlafen physiologisch, glauben aber wach zu sein (z. B. Traum). – Personen sind physiologisch wach, glauben aber, dass sie schlafen (z. B. Positive Sleep State Misperception). – Personen sind kognitiv wach, schlafen aber zumindest teilweise nach physiologischen Kriterien (z. B. bei langem Schlafentzug). – Personen sind physiologisch wach, schlafen aber kognitiv (z. B. Schlafwandeln, Status Dissociatus). Die verschiedenen Phänomene der Schlafwahrnehmung zeigen, dass das Wachsein komplexer und interessanter ist, als gemeinhin angenommen wird. Sie demonstrieren noch einmal, dass nicht ohne weiteres möglich ist, das Wachsein mit einem physiologischen Zustand zu identifizieren.
1.4
Vigilanztheorie
Da weder Arousal noch Hirnzustand in der Lage sind, das Wachsein zu definieren, benötigt eine reduktionistische Theorie ein anderes physiologisches Merkmal zur Bestimmung des Wachseins. Manche glauben, dass die Vigilanz diesen Zweck erfüllen kann. Sie wird als eines der Aufmerksamkeitssysteme für reduzierbar gehalten und dient als Maßstab für die Höhe der Wachheit einer Person10. Vigilanz bezeichnet die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit über einen längeren Zeitraum auf etwas zu richten, wo nicht viel passiert11. Bei der Vigilanz handelt es sich also um eine bestimmte Form von Aufmerksamkeit. »Vigilance is a term with varied definitions but the most common usage is sustained attention or tonic alertness. This usage of vigilance implies both the degree of arousal on the sleep–wake axis and the level of cognitive performance« (Oken et al. 2006: 1885).
Alertness wird definiert als die Fähigkeit, auf Reize zu reagieren: »Alerting is defined as achieving and maintaining a state of high sensitivity to incoming 10 Es gibt keine ausgearbeitete Vigilanztheorie des Wachseins, es handelt sich dabei um eine implizite Theorie. Wie bereits erwähnt ist das Wachsein kein Thema der Philosophie, aber auch in Psychologie und Neurobiologie wird es nicht explizit erforscht. Man findet jedoch manchmal in Psychologielexika unter dem Begriff »Wachheit« einen Verweis auf Vigilanz, oder in Nebenbemerkungen wird die Vigilanz als Gradmesser für die Wachheit verwendet. 11 »A long established approach to tonic alertness is to use a long and usually rather boring task to measure sustained vigilance« (Petersen/Posner 2012: 75).
Vigilanztheorie
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stimuli [.]« (Posner 2008: 193). Als Synonym für Tonic Alertness wird die Vigilanz von der Phasic Alertness unterschieden. Letztere ist ein vorübergehender Zustand erhöhter Aufmerksamkeit, der bspw. durch eine Gefahr ausgelöst wird, »replacing the resting state with a new state that involves preparation for detecting and responding to an expected signal« (Petersen/Posner 2012: 75). Jemand, der müde und unaufmerksam gewesen ist, kann bei einer Gefahr schlagartig sehr Alert sein. Die Tonic Alertness dagegen ist über einen längeren Zeitraum ausgestreckt, so dass ein optimales Arousal und eine optimale Alertness bestehen. »Most would consider arousal or wakefulness an aspect of vigilance […] and in many cases the two are very closely related, e. g. with sleepdeprivation« (Oken et al. 2006: 1886). Für Michael Posner ist die Vigilanz neben der Orienting und der Executive Attention eines der Aufmerksamkeitssysteme des Gehirns (Posner 2008, Petersen/Posner 2012). Über ein entsprechendes Arousal wird das Aufmerksamkeitssystem in den Zustand optimaler Alertness versetzt, die dann identisch ist mit der Vigilanz als einer kognitiven Funktion. Dass die Vigilanz eine biologische Funktion ist zeigt sich bspw. an ihrer Verbindung mit dem Biorhythmus. Morgens ist die Reaktionszeit bei Vigilanztests am längsten, um dann nach und nach kürzer zu werden, bis sie am Abend wieder länger wird. Die Erforschung der Vigilanz hängt eng zusammen mit dem sogenannten Vigilance Decrement, also der zunehmenden Abnahme der Fähigkeit zu konzentrierter Aufmerksamkeit bei monotonen Aufgaben und den Faktoren, die diese positiv oder negativ beeinflussen. Positive Anreize wie Geld oder bestimmte Stoffe können bspw. dazu beitragen, dass die Vigilanz länger aufrecht erhalten wird. Wenn die Vigilanz als Gradmesser für die Wachheit einer Person verwendet wird bezeichnet das Vigilance Decrement die Abnahme der Wachheit. Es ist mehr als fraglich, ob Wachheit mit Vigilanz identifiziert werden kann. Offenkundig wird mit der Vigilanz ein Aspekt der kognitiven Leistungsfähigkeit gemessen, doch es ist nicht klar, wieso diese mit Wachheit identisch sein soll. Kinder, Personen mit ADHS oder manche Menschen, die einen Schlaganfall erlitten haben, verfügen über eine reduzierte Vigilanz. Es macht keinen Sinn von diesen Menschen auszusagen, dass sie weniger wach sind als der Durchschnitt. Es macht jedoch Sinn zu sagen, dass sie bei bestimmten Aufgaben eine geringere Leistungsfähigkeit haben, da ihr Vigilance Decrement höher ist. Ebenso widerspricht der Vigilanztheorie das bereits erwähnte Phänomen der Hypervigilanz. Personen mit einer generalisierten Angststörung oder mit paranoiden Tendenzen überwachen häufig chronisch ihre Umwelt, um, wie sie hoffen, nicht von einer Gefahr überrascht zu werden (Beck/Clark 1988: 30). In gewisser Weise sind sie sehr aufmerksam. Es handelt sich dabei jedoch um eine selektive Aufmerksamkeit, die von einer bestimmten Erwartung geprägt ist. Vieles, was nicht unter das Konzept »potenzielle Bedrohung« fällt, wird daher
30
Reduktiver Physikalismus
nicht oder nur verzerrt wahrgenommen. Ist eine Person, die auf Grundlage einer Störung eine höhere Vigilanz hat, wacher als der Durchschnitt? Die Frage, inwiefern die Vigilanz einer Person etwas mit dem Wachsein zu tun hat, führt zum eigentlichen Problem des Versuchs, das Wachsein physiologisch zu bestimmen.
1.5
Das zentrale Problem: Was heißt es, wach zu sein?
Da es gute Argumente dafür gibt, dass das Bewusstsein nicht mit einem Gehirnprozess identisch ist12, muss Wachheit vom Bewusstsein unterschieden werden, damit sie sicher reduziert werden kann. Dass diese Trennung von Bewusstsein und Wachheit kontraintuitiv ist zeigt sich beispielhaft an den wenigen Definitionsversuchen der Wachheit in der philosophischen Literatur13. Es kommt vor, dass das Wachsein einfach mit Bewusstsein identifiziert wird: »Wir sagen von anderen, dass sie ›bei Bewusstsein sind‹, und dann ist gemeint: Sie sind wach« (Bieri 1995: 62, ebenso Rosenthal 1993: 355). Dieser Definition widerspricht der Traum. Etwas zu erleben heißt, bewusst zu sein. Während eines Traums ist man aber nicht wach. Eine zweite Möglichkeit wird darin gesehen, das Wachsein über die bewusste Interaktion mit der Umwelt zu definieren. So heißt es bei Chalmers: »All it means for a system [to be awake, HS] is for it to be appropriately receptive to information in directing behavior in an appropriate way« (Chalmers 2010: 7). Ebenso Tye: »Denn ich bin ja wach und verarbeite kognitive Informationen aus meiner Umwelt« (1995: 109). Das Wachsein wird in diesen Bestimmungen funktionalistisch als eine Art Input-Output Verhältnis eines Lebewesens mit seiner Umwelt konzeptionalisiert, als ein integriertes Verhalten mit einem inneren Antrieb und einer inneren Steuerung (Bieri 1995: 62). Diese Definition ist problematisch, da die Möglichkeit des Handelns sicherlich keine notwendige Eigenschaft des Wachseins ist. Auch eine Person, die an einem vollständigen Locked-In Syndrom (Demertzi et al. 2009) leidet und nicht einmal die Augen bewegen kann, kann wach sein. Künstlich kann ein solcher Zustand vorüber12 Erstens kennt das Gehirn keine Subjektivität (Nagel 1974), zweitens lässt sich Semantik nicht auf Syntax reduzieren, das heißt Bedeutung ist nicht identisch mit formalen Strukturen (Searle 1980, 1997), drittens ist die naturwissenschaftliche Beschreibung der Wirklichkeit nicht vollständig (Jackson 1986), viertens könnte das Gehirn ja auch ohne Bewusstsein existieren (Chalmers 1996), und fünftens können physikalische Tatsachen die Eigenschaften der Phänomenalität nicht erklären (Levine 1983). 13 Fairerweise sollte angemerkt werden, dass es sich bei diesen Definitionen eher um Nebenbemerkungen handelt, und nicht um explizite Definitionen, die sich aus einer wirklichen Diskussion der Zusammenhänge ergeben.
Das zentrale Problem: Was heißt es, wach zu sein?
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gehend durch einen neuromuskulär blockierenden Stoff herbeigeführt werden, der jede Körperbewegung unmöglich macht. Damit bleibt als definierendes Merkmal des Wachseins die adäquate Aufnahme von Informationen aus der Umwelt. Doch auch dies ist kein notwendiges Kriterium. Auch eine Person, bei der alle Sinne zerstört sind, kann noch wach sein. Weniger konstruiert ist der Fall einer Person, die tief versunken in einen Gedankengang, vielleicht mit geschlossenen Augen, sich ganz von ihrer Umwelt abgewendet hat und von dieser zeitweise nichts mehr mitbekommt. Vielleicht hat sie sich sogar etwas in die Ohren gestopft, vielleicht liegt sie in einem sensorischen Deprivationstank, so dass kaum noch Reize vom Gehirn registriert werden können. Auch beim luziden Traum, der ein wenig später eingeführt wird, ist die Wachheit unabhängig von der Wahrnehmung der Umwelt. Die Definition des Wachseins (Chalmers 2010: 7) über eine adäquate Aufnahme von Informationen verweist auf eine wichtige Unterscheidung, die sich für eine Untersuchung des Wachseins als zentral herausstellen wird. Wenn man das Wachsein auf Physiologie reduzieren will, müssen die Faktoren, die zu einer inadäquaten Informationsaufnahme führen, physiologischer Natur sein. Ein Beispiel hierfür ist Alkohol. Ein Rausch mit dieser Droge führt aus dieser Perspektive zu einer eingeschränkten Wachheit, da Alkohol die adäquate Informationsaufnahme reduziert. Es gibt aber andere Faktoren, welche eine inadäquate Informationsaufnahme begünstigen, die nicht offenkundig reduzierbar sind. Ein Beispiel hierfür ist die Person, die meint, alles durch eine fixe Idee verstehen zu können (»alles wird von Juden kontrolliert«). Wegen der hohen Selektivität ihrer Wahrnehmung ist sie, zumindest in einem Teilbereich ihres Lebens, nicht in der Lage, Informationen adäquat aufzunehmen. Wenn dies ein definierendes Merkmal des Wachseins ist, dann ist sie in diesem Bereich entweder weniger wach, so dass ein womöglich nichtreduzierbarer Aspekt des Bewusstseins die Reduktion des Wachseins verhindert, was für eine reduktionistische Theorie nicht zu verkraften ist. Oder aber die adäquate Informationsaufnahme ist kein notwendiges Kriterium des Wachseins. Zusammengefasst ist das Argument: 1. W ist (im Gegensatz zum Bewusstsein) reduzierbar. 2. W heißt Informationen adäquat aufzunehmen. 3. Adäquate Informationsaufnahme kann durch Faktoren des Bewusstseins verhindert werden (z. B. eine fixe Idee). W genügt daher nicht für eine adäquate Informationsaufnahme. 4. Also ist adäquate Informationsaufnahme kein definierendes Kriterium für W. 5. Oder das Bewusstsein ist in der Lage, die Höhe von W einzuschränken. Eine Möglichkeit, die adäquate Informationsaufnahme reduktionistisch zu bestimmen, ist die Vigilanz. Es wurde jedoch gezeigt, dass diese nicht mit Wachheit
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Reduktiver Physikalismus
identifiziert werden kann, da Vigilanz eine bestimmte Form von Aufmerksamkeit ist. Dass Vigilanz nicht Wachheit ist zeigt sich auch daran, dass die Reduktion von Vigilanz von der Sleepiness unterschieden werden muss. Mit Sleepiness wird in der Schlafforschung bezeichnet, wie leicht eine Person einschläft, bzw. wie schwer es ihr fällt, nicht einzuschlafen14. Wenn man morgens aufwacht und man noch nicht richtig wach ist, so dass man sehr leicht wieder einschläft, ist man sehr Sleepy. Wachheit wurde in der Schlafforschung als »ability to resist sleepiness« bezeichnet (Shen et al. 2006: 68). Diese Definition macht Sinn, wenn man annimmt, dass das Gegenteil des Wachseins der Schlaf ist, denn Sleepiness ist gleichsam der beginnende Übergang in den Schlaf. Man kann jedoch das Wachsein nicht gleichzeitig über die Vigilanz und die Sleepiness bestimmen. Wenn die Vigilanz sehr niedrig ist und es einem schwer fällt, sich zu konzentrieren, spricht man von Müdigkeit. Diese ist nicht identisch mit Sleepiness. »Our definition is that fatigue is an overwhelming sense of tiredness, lack of energy and a feeling of exhaustion, associated with impaired physical and/or cognitive functioning« (Shen et al. 2006: 70). Das bedeutet, dass eine Person äußerst müde im Sinne von »wenig vigilant« sein kann, ohne dass sie sleepy ist. Ebenso ist es möglich, dass die Vigilanz hoch ist und man sehr sleepy ist. Wenn jedoch das Gegenteil des Wachseins der Schlaf ist, dann ist die Sleepiness der Gradmesser der Wachheit, und nicht die Vigilanz. Wenn wir davon ausgehen, dass die Sleepiness die Höhe der Wachheit bestimmt, dann könnte das, was ein Einschlafen verhindert, als eine Möglichkeit verwendet werden, Wachheit zu definieren. Hierzu kann, wie wir schon gesehen haben, das Arousal dienen, da dieses das Einschlafen verhindern kann. Allerdings ist das Arousal nicht das Gegenteil der Sleepiness, da man gleichzeitig sehr sleepy und doch recht aroused sein kann. Jeder hat es schon erlebt, dass er hundemüde im Bett liegt und nur noch schlafen will, man aber nicht einschläft, weil da noch ein Arousal ist. Das Arousal kann daher nicht das Gegenteil der Sleepiness sein. Sleepiness und Arousal können unmöglich zusammen als Kriterien für die Höhe der Wachheit verwendet werden: »A clinical example might be that of a patient with insomnia who describes feeling mildly sleepy, highly fatigued, yet very alert (almost in a state of hyperarousal)« (Moller et al. 2006: 259).
Eine Abnahme der Vigilanz kann einhergehen mit einem zunehmenden Arousal und dementsprechend mit einer zunehmenden Unfähigkeit, einzuschlafen. Ein
14 Gemessen wird die Sleepiness introspektiv durch Fragebögen wie bspw. die Stanford Sleepiness Scale und objektiv bspw. durch Verfahren wie den Maintenance of Wakefulness Test, bei dem konkret geschaut wird, ob eine Person einschläft (Shen et al. 2006).
Das zentrale Problem: Was heißt es, wach zu sein?
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niedriges Arousal, große Sleepiness und große Alertness können genauso koexistieren wie ein hohes Arousal, niedrige Sleepiness und niedrige Alertness. »Similarly, a narcoleptic patient treated with a stimulant will often still note persisting difficulties with sleepiness, though his daytime alertness will be markedly improved« (Moller et al. 2006: 259).
Die Sleepiness kann hoch sein, das Arousal kann hoch sein und die Vigilanz kann niedrig sein. Sleepiness, Arousal und Vigilanz können in allen Kombinationen zusammen existieren. Das führt zu der entscheidenden Frage: Wie kann Wachheit bestimmt werden, bzw. wie ist sie definiert? Es besteht kein Zweifel, dass Vigilanz, Arousal, Alertness, Müdigkeit und Sleepiness verschiedene Dimensionen des Erlebens sind. Unklar ist, was sie mit dem Wachsein zu tun haben. Es funktioniert nicht, Wachheit über eines oder mehrere dieser Konzepte zu bestimmen. Das zentrale Problem des Reduktionismus ist, wie das identifiziert werden kann, was reduziert werden soll. Der Reduktionismus geht davon aus, dass offenkundig ist, was es heißt, wach zu sein. Eine Beschäftigung mit den Phänomenen zeigt jedoch, dass dies nicht richtig ist. Es ist tatsächlich unklar, was es heißt, wach zu sein, bzw. durch welche Kriterien Wachheit bestimmt werden kann. Weder ist das Wachsein ein Gehirnzustand, noch ist es identisch mit der aktivierenden Funktion des Gehirns, es ist nicht identisch mit dem Bewusstsein und es kann nicht über die Interaktion mit der Umwelt definiert werden. Damit zeigt sich, dass die Frage nach der Wachheit weder uninteressant noch trivial ist. Es ist alles andere als offensichtlich, dass es sich beim Wachsein um etwas handelt, was ohne Probleme auf eine Gehirnfunktion reduziert werden kann. Damit ist erwiesen, dass die Frage nach der Wachheit nicht der Biologie überlassen werden kann und es sich bei ihr um ein philosophisch relevantes Thema handelt. Es stellt sich die Frage, wie man das Wachsein untersuchen kann, bzw. durch welche Fragestellung man sich diesem Phänomen nähern sollte.
2.
Entwicklung der Fragestellung: Waches und nichtwaches Erleben
Wie fragt man am besten nach dem Wachsein, wenn nicht klar ist, um was es sich dabei handelt? Ich werde im zweiten Teil einen Vorschlag entwickeln, wie man nach dem Wachsein fragen sollte. Der Ausgangspunkt wird die Erfahrung des Traums sein. Dieser Abschnitt (2.1) könnte als Ausgang für die Entwicklung der Fragestellung etwas knapper sein. Da jedoch der Traum das paradigmatische Beispiel für ein nichtwaches Erleben ist bietet es sich an, bereits hier die Kontinuitätsthese des Bewusstseins und das Thema Metakognition einzuführen, da beide für das Verständnis des nichtwachen Erlebens wichtig sind. Für die Entwicklung der zentralen Frage der Untersuchung entscheidend ist der Unterschied zwischen dem gewöhnlichen REM-Traum und dem luziden Traum. Von hier aus werden die zentralen Unterscheidungen und das forschungsleitende Interesse der Arbeit bestimmt, welche die weitere Untersuchung leiten werden.
2.1
Das Erwachen im Traum
Allan Rechtschaffen, einer der Begründer der Schlafforschung, hat die besondere Qualität des Traumerlebens als Single-Mindedness bezeichnet (Rechtschaffen 1978): Ein Traum entfalte sich auf thematisch kohärente Weise, ohne dass er von alternativen mentalen Vorgängen (Vorstellungen, Reflektionen) unterbrochen oder gestört wird, wie wir dies im Alltag erleben. Das wache Erleben könne beschrieben werden als aus zwei Strömen bestehend. Es gibt auf der einen Seite das Erleben, und auf einer Metaebene einen zweiten Strom, bestehend aus Evaluationen und Reflektionen des ersten Stroms. Rechtschaffen beschreibt mit diesem zweiten Strom das, was auch als Second-Order Awareness, Meta-Consciousness oder als Monitoring Consciousness bezeichnet wurde. In der psychologischen Literatur hat sich inzwischen der Begriff Metakognition durchgesetzt: »Metacognition refers to the knowledge, understanding, and regulation of one’s own cognitive processes« (Kahan/Sullivan 2012: 340). Recht-
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Entwicklung der Fragestellung: Waches und nichtwaches Erleben
schaffen behauptet, dass während des Traums keine Metakognition existiert. Die Single-Mindedness des Traumes ist identisch mit Non-Reflectiveness: Die Wahrnehmung wird nicht reflektiert, sie wird nicht geprüft, sondern einfach hingenommen, so seltsam sie auch sein mag. Das wache Wahrnehmen ist in dieser Terminologie Dual-Minded und Reflective. Rechtschaffens Behauptung knüpft an die bekannte Erfahrung an, dass man dem Traumgeschehen zu einem großen Teil passiv ausgeliefert ist, und Träume häufig unkritisch akzeptiert werden. Die mangelnde Metakognition des Traums zeigt sich bspw. daran, dass wir im Traum Dinge tun, die uns tagsüber niemals in den Sinn kämen (wie bspw. ein Puzzle spielen oder den Rasen zu mähen). Für die weitere Untersuchung wird es interessant sein, dass die Diskontinuitätsthese, nach der sich der Traum grundlegend von der wachen Erfahrung unterscheidet, in den letzten Jahrzehnten unter Druck geraten ist. Wie sich gezeigt hat existiert im Traum viel mehr Reflexivität, als man einmal angenommen hat. Auf der anderen Seite ist die Reflexivität des Alltagsbewusstseins nicht so hoch entwickelt, wie wir vielleicht geneigt sind anzunehmen15. Die Kontinuitätsthese besagt, dass sich das wache und das geträumte Erleben nur graduell unterscheiden und sich im wesentlichen durch dieselben kognitiven Prozesse erklären lassen (Kahan/LaBerge 1994, 2011; Kahan/Sullivan 2012; Purcell et al. 1986, 1993). Die Stärke der Metakognition des Traumes wurde in verschiedenen Studien mit derjenigen des Alltagsbewusstseins verglichen (Kahan/LaBerge 1994, 2011; Kahan/Sullivan 2012; Purcell et al. 1986, 1993). Operationalisiert wurden metakognitive Prozesse von Kahan/LaBerge als analytische Prozesse (z. B. Bewertungen, Vergleiche, logisches Denken) und exekutive Prozesse (z. B. Entscheidungen, Planung, Intentionen). Eine Möglichkeit, das wache mit dem geträumten Erleben zu vergleichen besteht darin, dass Probanden im Schlaflabor aus einer REM-Phase geweckt werden und den gerade erlebten Traum berichten. Diese Berichte können dann systematisch auf metakognitive Vorgänge untersucht werden. Für den Test der Metakognition am Tage kann geschulten Probanden elektronisch signalisiert werden, ihr mentales Leben zu diesem Zeitpunkt auf einem Fragebogen16 zu erfassen. Die Daten vom Tage können dann mit 15 »[F]indings from studies of reflective awareness during dreaming indicate that differences between waking and dreaming cognition have been exaggerated and that the quality of the cognitive activity in dreaming has been underestimated« (Kahan/LaBerge 1994: 249). 16 Dieser Fragebogen wird MACE gennant (Metacognitive, Affective, Cognitive Experience). »The version of the MACE used in the present study includes three reflective awareness questions: monitoring one’s internal experience: ›Did you think about your own thoughts or feelings?‹; monitoring one’s behavior : ›Did you think about what you were doing?‹; and monitoring the external environment: ›Did you think about what was happening around you?‹. Three reflective awareness questions were included to assess whether the incidence of
Das Erwachen im Traum
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denjenigen des Traums verglichen werden. Wie nicht anders zu erwarten zeigt sich dabei, dass innerhalb des Alltagsbewusstseins mehr Reflexivität existiert und exekutive Prozesse eine größere Rolle spielen. Dies ist natürlich der Grund dafür, dass Vertreter der Diskontinuitätsthese behaupten, dass sich das Erleben des Traums grundsätzlich vom Alltagserleben unterscheidet. Auf der anderen Seite zeigt sich jedoch, dass der Unterschied nur ein gradueller ist. Auch im Traum werden Gedanken, Gefühle und Situationen reflektiert, und beispielweise geprüft, was in einer Situation angemessen ist. Generell kann man sagen, dass Träume sehr viel weniger bizarr sind, als gerne angenommen wird (Foulkes 1985). Auch im Traum gibt es rationale und moralische Überlegungen auf einem moderaten Niveau an Reflexivität (Purcell et al. 1993: 240). »None of the high-order cognitive skills that we assessed is absent in dreaming and individuals reported the same range of cognitive activities in their dreaming and waking experiences, including the high-order cognitive activities presumed by many theorists to be suspended in sleep« (Kahan/LaBerge 2011: 508).
Dass keine Diskontinuität zwischen dem Traumerleben und dem Erleben des Tages besteht zeigt sich auch daran, dass die metakognitive Ebene im Traum durch Übung während des Tages gestärkt werden kann (Purcell et al. 1986, 1993, Stumbrys et al. 2015). Sie erweist sich als eine Fähigkeit, die sich trainieren lässt. Luzider Traum Reflexionen innerhalb eines Traumes finden normalerweise innerhalb des Horizonts der Traumerfahrung statt. Wäre die These der Single-Mindedness wahr, könnte dieser Horizont nicht transzendiert werden. Dies ist jedoch möglich, da man während eines Traums erkennen kann, dass man gerade träumt (Malamud 1986, LaBerge/Gackenbach 1986, Tholey/Utecht 1989, LaBerge 1991, siehe auch Mason/Orme-Johnson 2010). Wenn man mit dem Wissen träumt, dass man gerade träumt, hat man einen luziden Traum. Luzide zu träumen bedeutet, dass man im Traum aufgewacht ist und das phänomenale Erleben des Traums weitergeht: »while lucid dreamers are fully asleep to the external reality of the physical world, they are at the same time fully awake to the inner reality of their dream worlds« (LaBerge/Gackenbach 1986: 159). Ein Erwachen innerhalb eines Traums verändert grundsätzlich, wie ein Traum erlebt wird. Man ist nicht länger dem Traumgeschehen im wesentlichen passiv ausgeliefert, sondern kann nun bewusst entscheiden, was man tun möchte. Man kann bspw. überlegen, ob man eine Person anspricht, ob man losfliegt, oder ob man ein Experiment ausführen möchte. Für denjenigen, der dies noch nicht selbst erlebt hat, ist es nicht ganz einfach, sich dies vorzustellen. reflective awareness across states (i. e., dreaming, waking) varies with the object of reflection, notably internal experience versus external conditions« (Kahan/Sullivan 2012: 343).
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Entwicklung der Fragestellung: Waches und nichtwaches Erleben
Die Existenz luzider Träume während des REM und des NREM-Schlafs (Stumbrys, Erlacher 2012) ist jedoch bewiesen. Wie bereits erwähnt kann man während des REM-Schlafs noch die Augen bewegen (daher ja der Name: REM= Rapid Eye Movement). Luzide Träumer können nun bewusst bestimmte Bewegungsmuster mit den Augen ausführen, welche im Schlaflabor gemessen werden können (LaBerge 1991). Es ist luziden Träumern also möglich, durch Augenbewegungen bewusst Signale an die Umwelt zu senden. Durch die Erforschung luzider Träume ist heute bekannt, wie man das Erleben des Tages sicher vom Traumgeschehen unterscheiden kann. Erstens kann man im Traum, außer einzelnen Wörtern, nicht lesen, Texte können im Traum nicht reproduziert werden. Zweitens funktionieren Lichtschalter im Traum nicht. Drittens: wenn man sich im Traum schnell um 180 Grad um die eigene Achse dreht, bewegt sich das visuelle Feld weiter, als würde man in einem Karussell sitzen. Viertens: Die Traumsituation hat nur eine kurze Vergangenheit. Man kann sein Gedächtnis prüfen und sich fragen, wie man in diese Situation gelangt ist. Wenn man merkt, dass man eigentlich schon immer »in diesem Zug gesessen ist« oder man sich absolut nicht daran erinnern kann, wie man auf den Mars gelangt ist, dann träumt man mit hoher Wahrscheinlichkeit. Solange man aber seine Erfahrungen nicht prüft bzw. man nicht etwas liest, wie in diesem Augenblick, kann es jederzeit der Fall sein, dass man gerade träumt. Was sich durch die Luzidität vor allem ändert ist die metakognitive Ebene des Bewusstseins. Man kann seine Aufmerksamkeit nun bewusst verwenden und ist nicht in das Erlebnis absorbiert, wie dies bei normalen Träumen der Fall ist. Das Wissen, dass das Erlebte ein Traum ist, erweitert die Fähigkeit des kritischen Denkens und die Möglichkeiten des Entscheidens erheblich. Man kann sich mit den Personen des Traums unterhalten und sie fragen, was sie repräsentieren. Dabei zeigt sich, dass feindselige Personen für abgelehnte Persönlichkeitsanteile stehen können (»Eingekapselte Gefühle« erhielt ich einmal als Antwort auf diese Frage in einem meiner leider zu seltenen luziden Träume). Wenn es einem gelingt, mit ihnen Freundschaft zu schließen, kann dies heilsam sein und innere Konflikte abbauen (LaBerge 1991). Zwischenzustandsthese Es lohnt sich an dieser Stelle noch einmal die Reduktionismusthese aufzugreifen. In der Schlafforschung gibt es die Vorstellung, dass es sich beim luziden Traum um einen Zustand zwischen Schlaf und Wachsein handelt: »Lucid dreaming is an unusual state characterized by elements of both waking and dreaming« (Hobson 2009: 43, ebenso Mota-Rolim/Araujo 2013 und Voss et al. 2009). Die Begründung der Zwischenzustandsthese ist, dass der luzide Traum physiologisch Merkmale des Schlafes und des Wachseins aufweist. Wenn man im Traum luzide wird verändert sich das EEG, seine Struktur wird kohärenter. Der
Das Erwachen im Traum
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dorsolaterale präfrontale Kortex wird aktiviert. Physiologisch ist der Zustand nicht mehr identisch mit dem REM-Schlaf, aber er unterscheidet sich auch vom Alltagsbewusstsein. Die Zwischenzustandsthese ist also eine physiologische These. »How can the brain be in two different states at once? The answer to this question is that state dissociations are, in fact, quite commonplace as Carlos Schenck and Mark Mahowald, the discoverers of the REM Sleep Behavior Disorder, have so convincingly argued […]. One part of the brain may be asleep while another is awake. In the case of sleepwalking the gait-generator and navigational system of the brain stem may be fully functional while the cerebral cortex is still in Stage IV of NREM sleep« (Hobson 2009: 42).
Hobson geht in diesem Zitat von der Arousaltheorie aus, nach der diejenigen Teile des Gehirns wach sind, die vom Stammhirn aktiviert werden. Es ist jedoch nicht klar, was das bedeutet. Dass das gewöhnliche Träumen kein wacher Zustand ist, auch wenn es mit einer erheblichen Aktivierung einhergeht, ist unbestritten. Im Falle des luziden Traumes kommt es zu einer weiteren Aktivierung. Aber was ist der Unterschied zwischen einer Aktivierung, die zu Wachheit führt, und einer solchen, bei der dies nicht der Fall ist? Wenn Aktivierung identisch ist mit Wachheit braucht es Kriterien, mit welchen die Aktivierung, welche zu Träumen führt, unterschieden werden kann von einer Aktivierung, welche zu Wachheit führt. Die Arousaltheorie liefert jedoch weder Kriterien, mit denen das Wachsein identifiziert werden kann, noch bietet sie Kriterien an, mit denen das Träumen identifizert werden kann. Die Zwischenzustandsthese geht von der Zustandstheorie aus, nach der das Wachsein identisch ist mit einem physiologischen Hirnzustand. In der Forschung besteht Einigkeit darüber, dass es sich beim luziden Traum in kognitiver Hinsicht um einen wachen Zustand handelt. Wäre dem nicht so, wäre es unmöglich intentional durch Augenbewegungen zu signalisieren, dass man wach ist. Wie kann man dann gleichzeitig behaupten, dass der luzide Traum ein Zwischenzustand ist? Es ist nicht klar, in welcher Hinsicht luzide Träumer nicht wach sind. Was hat die Aussage zu bedeuten, dass eine Person physiologisch nicht ganz wach ist, wenn sie es in kognitiver Hinsicht ist? Hier zeigen sich deutlich die Probleme, welche entstehen, wenn man Wachheit als einen physiologischen Zustand zu beschreiben versucht. Durch die ausschließliche Fokussierung auf das Explanans verliert die reduktionistische Perspektive das Explanandum. Die Zwischenzustandsthese beruht auf der Annahme, dass der Traum als subjektive Erfahrung mit einem objektiven Zustand identisch ist. Es ist aber bekannt, wie weiter oben beim Thema Schlafwahrnehmung gezeigt wurde, dass es heute unmöglich ist, die subjektive Erfahrung des Schlafs auf objektive Fakten zu reduzieren. Dies ist der Grund dafür, dass die Aussage von Hobson, dass der
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Entwicklung der Fragestellung: Waches und nichtwaches Erleben
luzide Traum eine Mischung aus wachem Zustand und Traum sei, einen Kategorienfehler begeht (vgl. Schredl 2010). Der Unterschied von Kognition und Physiologie, der Reduktion unmöglich macht, wird besonders eindringlich demonstriert, wenn der Schlaf während eines luziden Traums endet. Wenn der Schlaf aufhört, während man luzide träumt, setzt sukzessiv die Tätigkeit der Sinne ein und man beginnt, seinen Körper zu spüren. Gleichzeitig verschwindet die Wahrnehmung der Traumwelt. Es fühlt sich an, also ob die eine Seite des Erlebens durch einen Regler runtergefahren wird, während sich gleichzeitig die Wahrnehmung der Sinne einstellt. Für den Bruchteil einer Sekunde erlebt man den Traum und gleichzeitig den im Bett liegenden Körper. Dieser Übergang vom Erleben des Traums zum Erleben der Wirklichkeit ist kein Erwachen. Man ist schon wach, wenn der luzide Traum endet und man sich im Bett wiederfindet. Der luzide Traum demonstriert noch einmal, dass es möglich ist, wach zu sein, während der Körper schläft. Damit kann der Schlaf nicht das Gegenteil des Wachseins sein. Wir haben nun die nötigen Ressourcen, um nach dem Wachsein fragen zu können.
2.2
Grundlegende Unterscheidungen und Fragestellung: Was ist Wachheit?
Die Kritik des Reduktionismus demonstriert, dass wir nicht davon ausgehen können, bereits jetzt wirklich zu wissen, um was es sich beim Wachsein handelt. Wir haben keine klaren Kriterien, durch die wir bestimmen können, ob jemand wach ist. Die Frage ist, wie man das Wachsein eindeutig identifizieren und thematisieren kann, auch wenn unbekannt ist, um was es sich genau dabei handelt. Wie ich meine bietet es sich an, das Wachsein zunächst über eine Unterscheidung zu bestimmen. Im vorigen Abschnitt wurde gezeigt, dass zwischen einem wachen und einem nichtwachen Bewusstsein unterschieden werden kann. Wenn man aus dem Traum erwacht, sei es in einen luziden Traum oder in das Alltagsbewusstsein hinein, erhält das Bewusstsein die Eigenschaft der Wachheit. Das heißt: W1: Nichtwachheit ist eine Eigenschaft, die ein Erwachen ermöglicht. W2: Ein Erwachen führt zu Wachheit. W3: Wachheit ist eine Eigenschaft des Bewusstseins.
Grundlegende Unterscheidungen und Fragestellung: Was ist Wachheit?
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Die ersten beiden Aussagen sind analytisch wahr. W1 besagt, dass Nichtwachheit die Bedingung der Möglichkeit eines Erwachens ist. Der Traum hat die Eigenschaft der Nichtwachheit, da man im Traum erwachen kann. Ein Erwachen ist ein Vorgang, bei dem ein nichtwacher Zustand die Eigenschaft der Wachheit erhält. Das Bewusstsein kann wach oder nichtwach sein, es kann die Eigenschaft der Wachheit haben oder auch nicht. Daraus ergibt sich die zentrale Frage, welche eine Theorie der Wachheit beantworten sollte: Was ist Wachheit? Als empirische Ausgangslage für die Beantwortung dieser Frage stehen bisher der Traum, der luzide Traum, und das Erleben während des Tages zur Verfügung. Von der Wachheit wissen wir bisher nur, dass sie das Ergebnis eines Erwachens ist und einen Zustand der Nichtwachheit beendet. Was bisher unbekannt ist, ist, wie sie identifiziert werden kann. Für eine unmittelbare Thematisierung von Wachheit reicht dies nicht aus. Bevor konkret nach der Wachheit gefragt wird ist es ratsam, an einer Verbreiterung und Vertiefung der empirischen und der konzeptionellen Grundlagen zu arbeiten, auf die die weitere Untersuchung aufbauen kann. Da wir bisher keine Definition der Wachheit haben und sie bisher ausschließlich in Abgrenzung zur Nichtwachheit bestimmt ist, ist es ratsam zunächst die Nichtwachheit zu untersuchen. Der Gedanke ist: Umso klarer wird, um was es sich bei Nichtwachheit handelt, desto einfacher sollte es sein zu verstehen, um was es sich bei der Wachheit handelt.
3.
Nichtwachheit
Alltagssprachlich ist das Gegenteil des Wachseins der Schlaf. Da der Schlaf ein physiologischer Zustand ist, ist es naheliegend, das Wachsein ebenso als einen solchen zu verstehen. Im ersten Teil wurde gezeigt, dass Schlaf nicht das Gegenteil des Wachseins ist, da man auch während des Schlafs wach sein kann. Wachheit ist nicht identisch mit dem Alltagsbewusstsein, und Nichtwachheit ist nicht identisch mit Schlaf. Wachheit und Nichtwachheit sind keine physiologische, sondern kognitive Eigenschaften. Man kann während jedem der drei Hirnzustände (REM und NREM-Schlaf, Alltagsbewusstsein) wach oder nichtwach sein. Diese Einsichten, die sich heute naturwissenschaftlich gut begründen lassen, müssen bis zu einem gewissen Grad auch schon in der Antike existiert haben. Insofern greift die Untersuchung ein Thema auf, welches bereits am Beginn der Philosophie wichtig gewesen ist.
3.1
Nichtwachheit in der Antike
Bereits im vorsokratischen Denken existierte der Gedanke, dass es so etwas wie ein nichtwaches Erleben gibt, auch wenn es nicht als solches bezeichnet wurde. In zwei Fragmenten des Heraklit heißt es: »Die Wachen haben eine gemeinsame Welt«. »Im Schlafe wendet sich jeder seiner eigenen Welt zu«.
Während diese beiden Aussagen rein deskriptiv verstanden werden können und in diesem Sinne unstrittig sind, gewinnen sie ihre wirkliche Bedeutung erst durch ein weiteres Fragment: »Nicht soll man wie im Schlafen Reden und Handeln«17.
17 Bei Diehls/Kranz (1903): »Die Wachenden haben eine gemeinsame Welt, doch jeder Schlummernde wendet sich nur an seine eigene« (DK 12 B 89), und »Man soll nicht handeln
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Nichtwachheit
Diese Aussage demonstriert, dass Heraklit Schlaf und Wachheit in diesen Aussagen nicht physiologisch versteht. Wenn er erklärt, dass man schlafend leben kann, heißt dies, dass man seiner Ansicht nach innerhalb des Alltagsbewusstseins nicht wach sein muss. Für Heraklit ist man innerhalb dieses Modus, des »schlafenden Lebens«, nicht mehr wirklich Teil der gemeinsamen Welt: man befindet sich in seiner eigenen Welt. Richtiges Handeln ist in diesem Fall nicht mehr möglich. Nicht nur handelt es sich nach Heraklit beim »schlafenden Leben« um einen kognitiven, und nicht um einen physiologischen Zustand. Es ist so, dass das nichtwache Erleben normativ vom wachen Bewusstsein abgegrenzt werden muss. Tabellarisch dargestellt sieht Heraklits Taxonomie folgendermaßen aus: Wachheit
Nicht-Wachheit
Epistemisch
Gemeinsame Welt
Private Welt
Normativ
Richtiges Handeln
Falsches Handeln
Ein anderer früher Denker, bei dem Wachheit eine Rolle spielt, ist Sokrates. An einer zentralen Stelle der Apologie (31a) lässt Platon den Sokrates etwas sagen, das in eine ähnliche Richtung wie Heraklits Denken geht. Sokrates spricht hier diejenigen Männer an, die ihn mit fadenscheinigen Anklagen vor das Gericht gebracht haben, welches ihn schändlicherweise zum Tode verurteilt: »[…] ihr Männer ; wenn ihr also auf mich hören wollt, dann schont ihr mich. Doch ihr seid vielleicht verärgert, wie Schlummernde, die man weckt, und ihr schlagt dann wohl, indem ihr auf Anytos hört, zurück und verurteilt mich ohne Bedenken zum Tode: dann werdet ihr gewiß den Rest eures Lebens im Schlafe verbringen – es sei denn, der Gott schickt euch in seiner Sorge um euch einen anderen« (kursiv HS).
Wie Heraklit unterstellt auch Sokrates einem Teil seiner Zeitgenossen, dass ihr Erleben mehr dem Schlafe, als dem Wachsein ähnelt. Und wie Heraklit erklärt Sokrates, dass dieser Modus zu verhängnisvollen Fehlentscheidungen führt. Für beide ist Wachsein nicht identisch mit dem Bewusstsein des Tages. Bewusst zu sein ist nicht hinreichend für Wachheit. Man kann sich relativ leicht verdeutlichen, was die nicht-reduktionistische Perspektive von Sokrates in seiner Situation bedeutet. Würde es sich bei der Wachheit um eine physiologische Eigenschaft handeln, hätte die Wachheit der Ankläger leicht erhöht werden können, indem sie eine starke Tasse Kaffee getrunken hätten (wenn es denn Kaffee in Europa damals schon gegeben hätte). Wenn es sich bei der Wachheit jedoch um eine kognitive Eigenschaft handelt, und reden wie Schlafende. Denn auch im Schlaf glauben wir zu handeln und zu reden« (DK 12 B 73).
Fälle von Nichtwachheit
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hätte dies das Leben von Sokrates nicht retten können. Denn die Erhöhung der aktivierenden Funktion des Gehirns ist nicht identisch mit Wachheit. Wir werden später sehen, durch welche Vorgehensweise Sokrates versucht hat, seinen Mitmenschen zu einer höheren Wachheit zu verhelfen (3.3.5). Das Modell nichtwachen Erlebens, welches ich später vorschlagen werden, wird verdeutlichen, wieso die sokratische Vorgehensweise den Menschen dabei helfen sollte, ein höheres Maß von Wachheit zu manifestieren. Aus reduktionistischer Perspektive ist die sokratische Verwendung von wach metaphorisch zu verstehen, ähnlich, wie man vom Erwachen des Frühlings spricht18. Wenn die Ankläger von Sokrates als nicht richtig wach bezeichnet werden könne, dies nicht die eigentliche Bedeutung von wach sein, da sich Schlaf und Wachsein als physiologische Zustände gegenseitig ausschließen. Die Kritik des Reduktionismus hat demonstriert, dass es keine funktionierende physiologische Definition der Wachheit gibt. Wenn man glaubt, dass die sokratische Verwendung nur metaphorisch sei und von einer naturwissenschaftlichen Bestimmung abgegrenzt werden müsse, übersieht man, dass es in Wahrheit keine funktionierende naturwissenschaftliche Bestimmung gibt. Tatsächlich, so wird in dieser Arbeit argumentiert, ist die sokratische Verwendung richtig, während die reduktionistische Bestimmung nicht viel mehr ist als eine ungenaue Alltagssprache. In gewisser Weise ist die folgende Diskussion nichtwacher Weisen des Erlebens eine Explikation dessen, was Heraklit und Sokrates gemeint haben könnten, wenn sie ihre Mitmenschen aufforderten, ein waches Leben zu führen.
3.2
Fälle von Nichtwachheit
Einen ersten Hinweis auf die Existenz eines nichtwachen Erlebens innerhalb des Alltagsbewusstseins ist der Tagtraum. Man gleitet ab in eine Phantasie oder Erinnerung und vergisst die Gegenwart, bis man wieder zu sich kommt, um wieder ganz anwesend zu sein. Ein wenig später werden wir sehen, dass dieses Phänomen seit einer Weile recht intensiv unter der Bezeichnung Mind Wandering untersucht wird. Die These ist, dass noch andere Phänomene existieren, welche mit Nichtwachheit einher gehen.
18 Die Idee, dass die sokratische Verwendung metaphorisch zu verstehen ist, findet sich bspw. in einem der wenigen Artikel, der sich mit diesem Thema beschäftigt, nämlich dem von Axel Hutter verfertigen Artikel über »Das Wachen« im »Historischen Wörterbuch der Philosophie«.
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3.2.1 Methodische Überlegungen Da Nichtwachheit die Bedingung der Möglichkeit eines Erwachens ist, zeigt ein Erwachen an, dass Nichtwachheit existiert haben muss. Die Suche nach nichtwachen Phänomenen bedeutet also, nach einem Erwachen zu suchen. Die erste Frage der Erforschung von Nichtwachheit ist daher, durch welche Kriterien ein Erwachen identifiziert werden kann. Bisher sind zwei Möglichkeiten eingeführt worden, nämlich das morgendliche Erwachen am Ende des Schlafs, und das Erwachen innerhalb eines Traums. Von diesen Fällen können Kriterien abgeleitet werden, durch die sich ein Erwachen identifizieren lässt. Das morgendliche Erwachen und das Erwachen im Traum führen erstens zu einer Zunahme der Möglichkeiten des Denkens und des Handelns. Beim morgendlichen Erwachen ist dies offensichtlich, doch wie ist es beim luziden Traum? Beim allnächtlichen REM-Traum ist man dem Traumgeschehen zu einem großen Teil passiv ausgeliefert. Auch wenn, wie weiter oben demonstriert wurde, durchaus Reflexions- und damit Entscheidungsmöglichkeiten existieren, sind diese im Vergleich zum Alltagsbewusstsein recht begrenzt. Wenn man den Traum als Traum erkennt führt dies zu einer massiven Zunahme an Möglichkeiten. Man kann sich nun bewusst die Frage stellen, was man tun möchte. Anstatt weiter vom Traumgeschehen mitgerissen zu werden, kann man gleichsam aus diesem aussteigen, es reflektieren, und sich für etwas ganz anderes entscheiden. Eine zweite Eigenschaft eines Erwachens hat etwas mit dem Selbstbewusstsein zu tun. Morgens zu erwachen heißt »da« zu sein und sich seiner selbst bewusst zu werden. Da das Erwachen im Traum ein echtes Erwachen ist, gilt hier ebenso: Man fühlt, dass man nun »mehr da« ist, man empfindet sich als sehr viel präsenter. Anstatt sich länger auf denjenigen Aspekt des Bewusstseins zu reduzieren, der ein Bestandteil des Traumes ist, erinnert man sich seiner tatsächlichen Person und ist sich bewusst, dass der Traum nur ein vorübergehendes Ereignis ist, welches nicht wirklich definiert, was für eine Person man ist. Wenn man nun sagt, dass durch ein Erwachen das Selbstbewusstsein zunimmt, ist das Problem an dieser Aussage, dass nicht wirklich klar ist, um was es sich beim Selbstbewusstsein handelt. Es kann kaum ein Zweifel daran bestehen, dass eine Folge eines Erwachens darin besteht, dass man sich seiner selbst bewusster ist, doch was dies bedeutet, ist weniger eindeutig. Um den unklaren Begriff des Selbstbewusstseins zu vermeiden werde ich im folgenden als definierendes Kriterium eines Erwachens zunächst von einer Zunahme desjenigen Gefühls sprechen, welches man als ein mehr »da sein« bezeichnen kann. Diese Vagheit ist dadurch gerechtfertigt, da es nicht darum geht, genau zu definieren, was ein Erwachen ist, sondern gleichsam heuristische Kriterien zur Verfügung zu haben, mit deren Hilfe nichtwache Phänomene identifiziert werden können. Ich werde
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ein wenig später drei Möglichkeiten vorstellen, wie das »da sein« psychologisch konzeptionalisiert und empirisch abgesichert werden kann (3.2.2). Das dritte Merkmal eines Erwachens ist das Erkennen von Wirklichkeit. Offenkundig geht das morgendliche Erwachen mit einem Erkennen von Wirklichkeit einher. Auch luzide zu werden bedeutet, Wirklichkeit zu erkennen, nämlich die Wirklichkeit der eigenen Erfahrung. Man wird sich bewusst, dass man bisher etwas für wirklich gehalten hat, was tatsächlich geträumt ist. »In Wirklichkeit« hat man einen Traum erfahren und nicht die Wirklichkeit. Das Erkennen von Wirklichkeit bedeutet in beiden Fällen nicht dasselbe. Morgens zu erwachen heißt konkret, die sinnliche Welt zu erkennen, während bei der Luzidität die Wirklichkeit der Situation erkannt wird. Der Begriff der Wirklichkeit ist also nicht an die Erfahrung der sinnlichen Welt gebunden. Zusammengenommen haben wir nun drei Kriterien, durch die ein Erwachen identifiziert werden kann: 1. Das Kriterium der Möglichkeit Ein Erwachen führt zu einer Zunahme von Möglichkeiten des Handelns und des Denkens. 2. Das Kriterium des Selbstbewusstseins Ein Erwachen ist subjektiv ein zu sich kommen. Nach einem Erwachen ist man »mehr da«. 3. Das epistemische Kriterium Ein Erwachen geht mit einem Erkennen von Wirklichkeit einher. Die Behauptung ist nicht, dass nun das Erwachen umfassend charakterisiert ist19. Die Behauptung ist, dass diese deskriptiven Kriterien verwendet werden können, um ein Erwachen zu identifizieren. Sie stellen ein basales Modell des Erwachens dar, das in erster Linie eine heuristische Funktion hat: Die Identifizierung eines Erwachens ermöglicht das Erkennen von Nichtwachheit. Der erste Schritt des dritten Teils besteht in der Suche nach Formen nichtwachen Erlebens innerhalb des Alltagsbewusstseins. Der zweite Schritt besteht darin, auf der Basis dieser nichtwachen Phänomene ein kognitives Modell zur Beschreibung von Nichtwachheit zu entwickeln. In diesem Modell wird zusammengefasst, was die verschiedenen nichtwachen Phänomene gemeinsam 19 Pearl (1970: 111) sieht das Erwachen durch zwei Merkmale gekennzeichnet. Erstens wird man sich seiner Umgebung gewahr und zweitens werden Überzeugungen und Erinnerungen wieder aktiv. Dass das erste Merkmal nicht richtig ist wurde schon demonstriert. Pearls zweites Kriterium, der Gedanke, dass Nichtwachheit mit einer kognitiven Verarmung gegenüber dem wachen Zustand einhergeht, wird hier durch drei Kriterien dargestellt. Tatsächlich meine ich jedoch zeigen zu können, dass eine kognitive Bereicherung seiner Einstellungen und Erinnerungen für ein Erwachen nicht entscheidend ist, auch wenn es mit diesen korrelieren kann.
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haben. Es beschreibt die Eigenschaften nichtwachen Erlebens20. Der Zweck des Modells besteht darin, dass mit seiner Hilfe die Eigenschaften von Wachheit leichter bestimmt werden können. Die Funktion des dritten Teils, die Sammlung nichtwacher Phänomene und das darauf basierende Modell von Nichtwachheit, besteht also darin, das nötige Material für die Untersuchung der Wachheit bereitzustellen, die im vierten Teil vorgenommen wird. Die Untersuchung der Nichtwachheit ist in erster Linie psychologisch orientiert. Eine ihrer Thesen ist, dass die Wahrnehmung während des Tages mehr oder weniger von Wachheit geprägt sein kann. Aus diesem Grund ist es, genau genommen, nicht richtig, das Erleben außerhalb des Schlafs als Wachzustand zu bezeichnen. Diese Bezeichnung basiert auf der Zustandstheorie und der Vorstellung, dass Wachheit und Schlaf klar unterschieden werden können. Da die Zustandstheorie nicht funktioniert, ist es nicht richtig, das Erleben des Tages als Wachzustand zu bezeichnen. Alltagssprachlich ist dies wohl unproblematisch. Eine präzise Terminologie verlangt jedoch, dass wir von dieser Bezeichnung Abstand nehmen und der Tatsache gerecht werden, dass das Erleben während des Schlafs als auch außerhalb des Schlafs mehr oder weniger wach ist. Ich verwendet daher den Begriff Alltagsbewusstsein für das, was alltagssprachlich als Wachzustand bezeichnet wird.
3.2.2 Selbstbetrug und Konzeptionalisierungen von »da sein« Das erste Phänomen des Alltagsbewusstseins, bei dem ich argumentieren werde, dass es mit Nichtwachheit einhergeht, ist der Selbstbetrug. Nachdem früher gefragt wurde, ob es überhaupt möglich ist, sich selbst zu betrügen, hat sich diese Frage inzwischen als ein Scheinproblem herausgestellt. Dieses entsteht, wenn man intrapsychischen Betrug (Selbstbetrug) anhand des Modells interpsychischen Betrugs (eine Person betrügt intentional eine andere) zu verstehen versucht (Mele 2001). Es kann heute kein Zweifel daran bestehen, dass man sich selbst betrügen kann, ohne dass man dies beabsichtigt, und ohne dass man sich dessen bewusst ist. Knapp formuliert spricht man von Selbstbetrug, wenn bei einer Person eine unbewusste Motivation die Wahrnehmung und die Urteilskraft verzerrt: »selfdeceivers have motivationally biased beliefs« (Mele 2009: 140). Bis in die 70er und 80er Jahre gab es in der Psychologie eine Diskussion, ob es ein Motivated Reasoning gibt, oder ob kognitive Verzerrungen rein durch eine kognitiv defizitäre Informationsverarbeitung ohne Motivation erklärt werden 20 Man kann sich an dieser Stelle an der Formulierung »nichtwaches Erleben« stören und meinen, dass ja der Schlaf als zentraler nichtwacher Zustand im wesentlichen frei von jeglichem Erleben sei. Auf diese Frage wird später eingegangen (4.1.1).
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können (vgl. Kunda/Sinclair 1999). Heutzutage wird kaum mehr bezweifelt, dass kognitive Verzerrungen nicht motivational bedingt sein müssen21, dass aber häufig ein verzerrtes und einseitiges Wahrnehmen und Urteilen von bewussten und unbewussten Motiven beeinflusst wird (vgl. Baumeister/Leith 1997). Seit längerem bekannt ist bspw. der Self-Serving Bias: Menschen tendieren dazu, eher die Verantwortung für ihre Erfolge, als für ihre Niederlagen zu übernehmen. Ebenso ungewöhnlich ist die Tendenz, eher diejenigen Fakten wahrzunehmen, die die eigenen Überzeugungen bestätigen, als solche, die ihnen widersprechen (Confirmation Bias22 ; vgl. Gilbert/Cooper 1985). Und wenn man nicht gerade depressiv ist, erinnert man sich eher an Angenehmes, als an Unangenehmes. Sich selbst zu betrügen bedeutet, dass man motivational bedingt selektiv wahrnimmt und Fakten nicht zur Kenntnis nimmt, die dieser Motivation widersprechen. Ohne sich dessen bewusst zu sein delegitimiert man Fakten und verzerrt sie, man rationalisiert sie konform zu seiner Motivation: »Motivation can trump cognition« (Triandis 2009: ix). Bei einem Selbstbetrug dient die Kognition nicht länger der Erkenntnis, sondern wird gerade im Gegenteil dazu verwendet, sich vor einer Erkenntnis zu verschließen. Die unbewusste Motivation strukturiert die Kognition so, dass sich ihr Wirklichkeitsbezug reduziert. Häufig hat diese Motivation etwas mit dem Selbstwert der Person zu tun. In der therapeutischen Literatur wird der Selbstbetrug als eine selbstwerterhöhende und -schützende Praxis gesehen. »Wenn Personen sich selbst beschreiben sollen, wählen sie hierfür viel mehr positive als negative Attribute. Die meisten Menschen stellen sich positiver und weniger negativ dar als den Durchschnitt. Eine weit überwiegende Mehrheit hält sich z. B. für einen überdurchschnittlich guten Autofahrer. Das ist logisch nicht möglich. Die meisten Menschen hegen also diesbezüglich Illusionen. Wenn Personen sich mit anderen vergleichen sollen, dann benutzen sie für den Vergleich ihre positiven Merkmale und nicht ihre Schwächen. Wenn sie sich selbst auf Persönlichkeitsdimensionen beurteilten und gleichzeitig von einem unabhängigen Beobachter beurteilt wurden, war die Selbstbeurteilung bei den meisten Personen viel positiver als bei der Fremdbeurteilung. […] Positive Informationen über einen selbst erinnert man darüber hinaus besser und 21 Ein Beispiel für eine nicht motivationale Verzerrung ist, wenn etwas für glaubwürdiger gehalten wird als etwas anderes, weil es intensiver erlebt wird und weil man sich seiner besser erinnert. 22 »People tend to persevere in their beliefs well beyond the point at which logical and evidential considerations can sustain them. 1. When people encounter probative evidence pertinent to prior beliefs they tend to apply asymmetric critical standards to supportive and opposing evidence and tend to become more confident of a belief in response to a set of mixed evidence which normatively should serve to lower confidence. 2. People do not observe the ›commutativity‹ rule in response to sequentially presented evidence. Instead, early-presented evidence seems to create theories which are not revised sufficiently in response to laterpresented, conflicting evidence. 3. Beliefs tend to sustain themselves even despite the total discrediting of the evidence that produced the beliefs initially« (Nisbett/Ross 1980: 192).
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verarbeitet sie schneller als negative. Erfolge werden besser erinnert als Misserfolge« (Grawe 2004: 258).
In der sozialpsychologischen Literatur wird diese Praxis als der Schutz und die Stabilisierung des Selbstkonzepts beschrieben (Gilbert/Cooper 1985). Das Selbstkonzept ist die Summe der Propositionen, die eine Person über sich selbst für wahr hält. Der Begriff des Selbstkonzepts fasst zusammen, was wir bewusst und unbewusst von uns selbst halten, bzw. wie wir uns selbst sehen. Da Menschen zunächst einmal gut von sich denken wollen, um ihr Selbstwertgefühl zu schützen, haben wir meistens die starke Motivation, unser Selbstkonzept zu schützen, auch wenn es nicht den Tatsachen entspricht. Die Bereitschaft, das Bild zu hinterfragen, das man von sich selbst entwickelt hat, ist meist weniger stark entwickelt als die Motivation, dieses Bild zu verteidigen. Allgemein wird durch einen Selbstbetrug ein Self-Enhancement angestrebt, man möchte die Selbstachtung schützen und das Selbstkonzept stabilisieren, indem man sich durch eine Motivated Selective Attention vor Stress, Scham und Angst schützt23. Interessanterweise gibt es hier größere kulturelle Unterschiede. US-Amerikaner tendieren mehr als Europäer, und diese mehr als Asiaten dazu, sich selbst in einem positiven Licht zu sehen. Die Menschen sind also nicht in jeder Kultur gleich bereit, die Fakten über sich selbst auszublenden (Nisbett 2003, Heine 2001). Dass zwischen dem Selbstkonzept und der Bereitschaft zum Selbstbetrug ein Zusammenhang besteht, wurde schon öfter demonstriert. Beispielsweise besteht zwischen einem moralischen Selbstkonzept und der Stärke des Selbstbetrugs eine Korrelation: Je perfektionistischer das moralische Selbstkonzept ist (»Ich handle immer gut«), umso höher ist der Wert, den eine Person auf einer Selbstbetrugsskala24 erreicht (Lu/Chang 2011). 23 Mele (2001, 2009: 265f.) bezeichnet Fälle, bei denen eine Person sich durch einen Selbstbetrug selbst zu schaden scheint, als twistet (im Gegensatz zu denjenigen Fällen, die straigtht sind). Bei solchen Fällen scheint kein Self-Enhancement vorzuliegen. Das Standardbeispiel ist die Gattin, die sich einbildet, dass ihr Mann eine Affäre hat. Da diese Vorstellung schmerzhaft ist, scheint sich die Gattin selbst zu schädigen. Ihre Motivation ist zu verhindern, dass sie ihren Partner fälschlicherweise für treu hält, da dieser Fehler als zu furchtbar empfunden wird. Die falsche Eifersucht ist letztlich der Versuch, sich selbst zu schützen und die Beziehung zu erhalten. Die Gattin legt sich ein schmerzhaftes Selbstkonzept zu (Betrugsopfer), um sich vor einem echten Betrug zu schützen. Dadurch, dass sie ihrem Mann zeigt, wie schmerzhaft es für sie wäre, wenn er sie betrügen würde, will sie verhindern, dass es überhaupt erst dazu kommt. Eine solche auf mangelnder Selbstachtung basierende Strategie einer motivierten Verzerrung der Wahrnehmung ist also ein Beispiel für Self-Enhancement. Die Gattin wertet ihren Mann moralisch ab und sich moralisch auf, indem sie sich als Opfer sieht, obwohl sie es ist, die ihren Gatten versucht zu manipulieren. 24 In der psychologischen Literatur werden verschiedene Skalen zur Quantifizierung der Neigung einer Person zum Selbstbetrug verwendet. In dieser Studie wurde die Self-Deception Enhancement Subscale eingesetzt (Paulhus, D. L., / Reid, D. B., 1991 »Enhancement and denial in socially desirable responding« Journal of Personality and Social Psychology, Vol. 60). Darauf
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In einer anderen Studie zeigte sich, dass Männer, die an einem Gewaltpräventionskurs teilnehmen mussten, da sie gegenüber ihren Partnerinnen Gewalt ausgeübt hatten, ein positiveres Selbstkonzept hatten als Männer, die nicht gewalttätig geworden waren. Weniger verwunderlich ist, dass diese gewalttätigen Männer auf der Selbstbetrugsskala ebenso einen höheren Wert erreichten (Vecina/Chacjn/P8rez-Viejo 2016). Nach der Methode dieser Untersuchung hat ein Selbstbetrug die Eigenschaft der Nichtwachheit, wenn er mit einem Erwachen endet. Ein Erwachen hat die drei Eigenschaften, dass erstens neue Möglichkeiten entstehen, dass zweitens das »da sein« zunimmt, und das drittens Wirklichkeit erkannt wird. Nehmen wir als Beispiel eine Ärztin mit bestimmten Krankheitssymptomen. Hätte eine andere Person dieselben Symptome, würde diese Ärztin ohne zu zögern eine klare Diagnose formulieren, doch bei sich selbst macht sie dies nicht. Sie betrügt sich und ignoriert ihre Krankheit. Wenn sie sich eingesteht, dass sie eine bestimmte Krankheit hat und der Selbstbetrug endet, ist das epistemische Kriterium erfüllt: Sie nimmt nun die Wirklichkeit ihrer Situation wahr. Sie hat jetzt die Möglichkeit, sich um die Krankheit zu kümmern. Wie ist es mit Kriterium des Selbstbewusstseins? Drei Möglichkeiten der Konzeptionalisierung von »da sein« Eine Möglichkeit, ein mehr »da sein« zu begründen, ist über das Selbstkonzept. Im Fall der Ärztin gilt das Self-Enhancement, dass sie sich lieber als eine gesunde, denn als eine kranke Person sieht. Wenn ein Selbstbetrug endet, wird das Selbstkonzept von einem Irrtum befreit, so dass es mehr den Tatsachen entspricht. Dieser Übergang von einem fiktiven hin zu einem realistischeren Selbstkonzept ist ein Ansatz, durch den das Wachstum des Gefühls, mehr »da zu sein«, begründet werden kann. Um ihn besser zu verstehen kann auf die psychologische Forschung zum Thema Authentizität, die Self-Determination Theory von Edward L. Decy und Richard M. Ryan, und den Zusammenhang von Selbstkonzept und Selbstachtung zurückgegriffen werden. Ein zentrales Element von Authentizität besteht darin, sich auf die richtige Weise auf bewusste Präferenzen, Motivationen und Überzeugungen zu beziehen (Heppner/Kernis 2004). Wenn man sich seiner zentralen Präferenzen, Motivationen und Überzeugungen nicht bewusst ist, kann man sich auch nicht adäquat auf sie beziehen. Um sich authentisch fühlen und verhalten zu können, benötigt es so etwas wie einen Zugang zu sich selbst, d. h. ein Wissen darum, was mit einem los ist. Kernis und Goldmann (2006) operationalisieren Authentizität als aus vier Konzepten bestehend: Self-Awareness, Unbiased Processing, Behavior finden sich Items wie: »I never regret my decisions«, »I always know why I like things«, »I am fully in control of my own fate«.
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und Relational Orientation. Self-Awareness drückt aus, dass ein Mensch wissen muss, was ihm wirklich wichtig ist, er muss seine Core Values kennen: »[W]e define authenticity as the unobstructed operation of one’s true – or core-self in one’s daily enterprise« (Kernis/Goldman 2006: 294). Damit die Core Values erkannt werden können, muss ein Unbiased Processing von Informationen stattfinden, frei vom Self-Serving Bias und frei von Übertreibungen und Verzerrungen. Damit ist offenkundig, dass Selbstbetrug der Authentizität entgegengerichtet ist. Sich selbst zu betrügen heißt ja gerade, Informationen zu verzerren und sich dessen nicht bewusst zu sein, es ist ja ein Self-Serving Bias. Das Ende eines Selbstbetrugs impliziert daher eine Zunahme an Authentizität. Ob es subjektiv mit einem »mehr da« sein einhergeht, wenn man authentischer wird und sich mehr an seinen Core Values orientiert, wenn das Selbstkonzept realistischer wird und man sich besser versteht, ist eine empirische Frage. Es ist zumindest plausibel, dass eine wenig authentische Person sich selbst als »weniger da« empfinden kann als eine authentischere Person, bei der das Selbstkonzept besser in der Lage ist, ihre Wirklichkeit zu repräsentieren. Denn wer sich selbst nicht versteht, der ist sich selbst fremd. Eine zweite Möglichkeit, ein »mehr da« sein verständlicher zu machen, ist die Self-Determination Theory (Decy/Ryan 1980, Decy/Ryan 2000, Ryan/Decy 2006, Decy 2004). Ein zentrales Element dieser Theorie ist die Unterscheidung von extrinsischen und intrinsischen Motivationen. Während eine intrinsische Motivation aus sich selbst heraus als motivierend empfunden wird, spielt bei extrinsischen Motivationen ein zusätzlicher Anreiz eine Rolle. Die Motivation wird in diesem Fall nicht an sich als wertvoll empfunden, sondern über ihre instrumentelle Funktion zur Erreichung von etwas anderem. Bei einer intrinsischen Motivation ist sich die Person bewusst, was und warum sie es anstrebt. Sie kann bewusst hinter dieser Motivation stehen und sie annehmen, so dass sie, wenn sie ihr nachgeht, sich als selbstbestimmt empfindet. Ein solches Verhalten fühlt sich nicht fremd an. Wenn eine Person extrinsisch motiviert ist, empfindet sie ihr Verhalten und Wollen nicht an sich als wertvoll. Extrinsisch motiviert zu sein bedeutet, nicht voll und ganz hinter einem Verhalten stehen zu können, da dieses nicht aus sich selbst heraus als bedeutsam empfunden wird, sondern nur in Abhängigkeit von etwas anderem. Ein Selbstbetrug kann nicht als selbstbestimmt empfunden werden, da er ja auf einer unbewussten Motivation basiert. Er kann nicht an sich als wertvoll empfunden werden, sondern hat eine instrumentelle Bedeutung zur Erreichung von etwas anderem. Die Überwindung eines Selbstbetrugs führt daher zu einem höheren Maß an Selbstbestimmung. Decy und Ryan beschreiben extrinsische Motive als motivationale Subsysteme. »These subsystems are sets of attitudes, beliefs, affects and programms for behavior that displays conceptual consistency and are organized by motivational processes« (Decy/Ryan 1980: 39). Subsysteme sind, da man nicht voll und
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ganz hinter ihnen steht, bis zu einem gewissen Grad dissoziiert von der Person, denn sie stimmen nicht mit ihren Core Values überein (was einem natürlich nicht bewusst sein muss). Es hat eine gewisse Plausibilität, dass eine Person sich »mehr da« fühlt, wenn ihr Verhalten nicht länger von extrinsisch motivierten Subsystemen bestimmt ist, derer sie sich nicht wirklich bewusst ist. Eine Person wird daher autonomer, wenn sie sich nicht länger betrügt. Autonomie bzw. SelfDetermination bedeutet, dass Motive bewusst bejaht werden, was bei heteronomen Akten wie einem Selbstbetrug nicht der Fall ist (Ryan/Decy 2006). Durch ein Erwachen »mehr da« zu sein bedeutet, autonomer geworden zu sein. Besonders treffend beschreibt dies den Übergang vom gewöhnlichem zum luziden Traum. Im ersteren Fall sind wir dem Traumgeschehen im wesentlichen ausgeliefert und können uns in einem hohen Maße als heteronom erfahren. Sich dem Traum als solchem bewusst zu sein hat zur Folge, dass man aus dem Traumgeschehen aussteigen und nun etwas ganz anderes tun kann. Denn nun ist der geträumte Aspekt der Person nicht länger dissoziiert vom restlichen Kontext der Person. »[T]o be autonomous there must be some relative unity underlying one’s actions; they must be congruent and endorsed by the whole self« (Ryan/Decy 2006: 1561).
Ähnlich verhält es sich beim Selbstbetrug. Wenn die Ärztin sich unbewussterweise nicht eingesteht, dass sie an einer Krankheit leidet, ist dieser Teil dissoziiert vom restlichen Kontext ihrer Person. Denn von diesem her würde sie ohne zu zögern die richtige Diagnose treffen. Anstatt weiter extrinsisch motiviert sich automatisch der Wahrheit zu verweigern, wächst ihre Autonomie, wenn sie den Selbstbetrug aufgibt, um sich den Tatsachen zu stellen. Sie kann sich nun auf eine Weise verhalten, hinter der sie tatsächlich steht, da sie zu ihren Core Values kompatibel ist. Eine dritte Möglichkeit, den Begriff des »da seins« psychologisch zu begründen, basiert auf dem Zusammenhang zwischen der Klarheit des Selbstkonzepts und der Höhe der Selbstachtung. Jennifer D. Campbell (1990) konnte zeigen, dass Personen mit einer niedrigen Selbstachtung ein unklares und unsicheres Selbstkonzept haben, das temporal wenig stabil und wenig konsistent ist. Zwischen dem Selbstkonzept und der Wahrnehmung des eigenen Verhaltens besteht eine geringe Kongruenz. Anders formuliert bedeutet dies, dass Menschen mit einer niedrigen Selbstachtung sich selbst nur wenig verstehen. Vermutlich besteht dabei zwischen Selbstachtung und Selbstkonzept eine Kausalität in beide Richtungen. Wenn dieser Zusammenhang auf den Selbstbetrug angewendet wird ist klar, dass dieser notwendig mit einem eher unklaren Selbstkonzept einhergehen muss. Sich selbst zu betrügen bedeutet ja gerade, sich nicht seiner Motive bewusst zu sein. Die Vorstellungen, die man über sich selbst hat, sind in diesem Fall
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nicht kongruent zum tatsächlichen Verhalten. Je mehr eine Person dazu tendiert, sich selbst zu betrügen, desto geringer entwickelt muss daher ihre Selbstachtung sein. Kann man sagen, dass dieser Mangel identisch ist mit einem weniger »da sein«? Wenn die Selbstachtung ausdrückt, wie gut eine Person mit sich selbst verbunden ist, bzw. sich mit sich selbst verbunden fühlt, kann zumindest plausibler weise davon ausgegangen werden, dass über die Verbindung von Selbstkonzept und Selbstachtung verständlich wird, wieso das Ende eines Selbstbetruges dazu führt, sich nun mehr »da« zu fühlen. Ich behaupte nicht, dass diese drei Möglichkeiten abschließend beantworten, was es heißt, sich durch ein Erwachen präsenter zu fühlen. Im Gegenteil meine ich, dass dies nur durch eine philosophische, und nicht durch eine psychologische Untersuchung beantwortet werden kann. Die Motivation hinter dieser Erläuterung besteht darin zu zeigen, dass es plausibel ist davon auszugehen, dass das Ende eines Selbstbetrugs zu einer Zunahme des »da seins« führt.
Abschließende Bemerkungen Ich möchte am Ende dieses Abschnitts noch einmal knapp die Vorgehensweise des dritten Teils begründen. Ist es sinnvoll den Selbstbetrug auf eine Stufe mit dem Traum zu stellen, der doch zunächst etwas ganz anderes zu sein scheint? Man kann doch nicht behaupten, so die Kritik, dass eine Person, die sich selbst betrügt, sich in einem Traum befindet. Tatsächlich wird hier nicht behauptet, dass Selbstbetrug und nächtlicher Traum identisch sind. Die Behauptung ist, dass das nächtliche Traumerleben und ein Erleben, welches erheblich von Selbstbetrug bestimmt ist, beide die Eigenschaft der Nichtwachheit aufweisen. Die meisten von uns werden in ihrem Leben schon eine Erfahrung von Selbstbetrug gemacht haben. Wer meint, dass dies bei ihr oder ihm nie der Fall gewesen ist, kann sich entweder glücklich schätzen, oder er sollte die Möglichkeit in betracht ziehen, dass diese Einschätzung auf einem Selbstbetrug basiert. Wir haben uns vielleicht schon betrogen in Bezug auf einen Partner oder eine Partnerin, den Beruf oder unser allgemeines Selbstverständnis. Wir können uns über einen längeren Zeitraum hin ziemlich getäuscht haben, bis dieser Zustand auf eine vielleicht recht schmerzliche Weise beendet worden ist. In dem Augenblick, wo wir die Wirklichkeit der Situation erkannten und tatsächlich verstanden haben, was mit uns los ist, haben wir ein Erwachen erlebt. Wir sagen dann vielleicht, dass es uns wie Schuppen von den Augen gefallen ist. Da ein Erwachen aus einem Selbstbetrug schmerzhaft ist, was einen natürlich unbewusst motiviert, ihn aufrecht zu erhalten, erinnern wir uns zunächst primär dieses Schmerzes. Erst später wird uns klar, wie gut es war, endlich aufgewacht zu sein. Vielleicht haben wir, wenn erst ein wenig Zeit vergangen ist, sogar das Gefühl, dass die Phase des Selbstbetrugs tatsächlich etwas Traumartiges hatte.
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Vermutlich wundern wir uns hinterher, wieso wir uns nicht früher die Wirklichkeit der Situation eingestanden haben. Vielleicht macht es keinen Sinn, jeden kleinen Selbstbetrug mit Nichtwachheit zu verbinden. Wenn jedoch Personen sich chronisch in bestimmten Bereichen ihres Lebens unbewussterweise der Erkenntnis der Wahrheit verweigern, erleben sie diese Aspekte ihres Lebens auf eine Weise, die den Tatsachen widerspricht. Im Extremfall kann dies zu einem Erleben führen, das mehr oder weniger fiktiv ist. Der nächste Fall wird demonstrieren, dass auf diese Weise eine Vergangenheit konstruiert werden kann, die das Erleben in der Gegenwart negativ beeinflusst.
3.2.3 Falsche Erinnerungen und fiktive Wirklichkeit 1991 wurde George Franklin in den USA für die Vergewaltigung und Ermordung eines achtjährigen Mädchens verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen, dieses Verbrechen 20 Jahre früher begangen zu haben, obwohl es dafür keinerlei Indizien gab und er die Tat bestritt. Die Verurteilung basierte einzig darauf, dass seine Tochter, die damalige Freundin des Opfers, sich nach langer Zeit meinte daran zu erinnern, ihren Vater bei der Tat gesehen zu haben – nachdem sie sich 20 Jahre nicht hatte erinnern können. Dies war das erste mal, dass eine gerichtliche Verurteilung in den USA mit dem Konzept der unterdrückten Erinnerung begründet wurde. Die Idee der unterdrückten Erinnerung besagt, dass Menschen traumatische Erfahrungen komplett vergessen können, sie sich aber später wieder sehr präzise daran erinnern können. Um diese Vorstellung entwickelte sich Anfang der 90er Jahre in den USA eine heftige Auseinandersetzung (Loftus/ Ketcham 1995). Der Hintergrund hierfür war, dass sich in den 80er Jahren eine sogenannte Incest Survivor Movement gebildet hatte. Sie basierte auf der Annahme, dass sexueller Missbrauch sehr verbreitet sei (ein Drittel aller Frauen und mehr seien betroffen). An diesen Missbrauch würde man sich aber meistens nicht erinnern. Diese Bewegung propagierte den Gedanken, dass die Ursache für die Probleme vieler Frauen sei, dass sie, ohne dies zu wissen, sexuell traumatisiert seien. Das Vergessen sei das Ergebnis einer Dissoziation und würde das Opfer schützen. Für die Heilung sei es aber notwendig, sich wieder zu erinnern. Kritiker bezeichneten dies als Recovered Memory Therapy. Für einige Jahre wurde die Vorstellung von unterdrückten Erinnerungen in vielen Büchern und Fernsehsendungen popularisiert25. Heute gelten das Kon-
25 Um das Klima der damaligen Auseinandersetzung und die Vorgehensweise der Incest Survivor Movement zu verstehen ist der kritische Artikel von Carol Tavirs »Beware the Incest
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zept der unterdrückten Erinnerung und das darauf basierende therapeutische Modell als diskreditiert. Vor US-amerikanischen Gerichten werden Argumente, die auf scheinbaren Erinnerungen basieren, nicht mehr akzeptiert. Die Vorstellung, dass Ereignisse völlig unterdrückt werden können, um trotzdem auch nach sehr langer Zeit präzise erinnert werden zu können, stimmt nicht mit dem überein, was über das Gedächtnis bekannt ist. Erinnerungen werden nicht objektiv und unveränderlich gespeichert, sondern verändern sich im Laufe der Zeit26 (Loftus/Ketcham 1995, Spanos 1996: Kap. 5). Bei Erinnerungen handelt es sich mehr um Rekonstruktionen vergangener Ereignisse, als um objektive Widergaben dessen, was tatsächlich geschehen ist. Wahr ist, dass traumatische Ereignisse zu Amnesien führen können. Diese sind jedoch nicht psychogen als das Ergebnis einer Dissoziation zu verstehen, sondern resultieren aus dem Stress des Erlebten. Amnesien, die von einer Überbelastung her rühren, können später grundsätzlich nicht mehr erinnert werden (Kihlstrom 2005: 232ff.). Für psychogene Amnesien gelten die normalen Regeln des Gedächtnisses, so dass nicht plötzlich nach Jahrzehnten etwas präzise erinnert werden kann27. Die Vorstellung der unterdrückten Erinnerung besagt nicht, dass man sich nicht erinnern möchte, das wäre eine motivierte Vermeidung. Sie besagt auch nicht, dass Aspekte eines traumatischen Ereignisses vergessen werden und nicht mehr erinnert werden können. Die Behauptung ist, dass man etwas komplett vergessen kann und es trotzdem möglich ist, sich viel später sehr detailliert Survivor Machine« in der New York Times hilfreich (www.nytimes.com/1993/01/03/books/ beware-the-incest-survivor-machine.html?pagewanted=all) (Nov. 2017). 26 In einem Versuch zeigte Loftus Probanden einen kurzen Film eines Verbrechens, und anschließend einen Bericht über dieses Verbrechen. Die Probanden behaupten später, Dinge beobachtet zu haben, die sie tatsächlich nicht beobachtet haben, die aber in dem Bericht über das Verbrechen genannt worden waren. Sie meinten sich bspw. mit großer Sicherheit daran zu erinnern, dass der Verbrecher eine Waffe trug oder eine große Scheune am Ort des Geschehens gestanden habe, was nicht den Tatsachen entsprach. Diesen Fehlinformationseffekt (Misinformation Effect) kann man sogar dann beobachten, wenn man die Probanden vorher darüber informiert, was genau man untersucht. 27 Man kann sich an etwas erinnern und glauben, dass man es vorher völlig vergessen hatte. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, dieses Phänomen zu erklären. Vielleicht hatte man es nicht vergessen, sondern einfach lange nicht daran gedacht. Vielleicht hat man es nicht vergessen, aber erkennt erst nachträglich seine Bedeutung. Vielleicht erhält das Erinnerte durch ein neues Erinnern auch eine neue Bedeutung. Das Gefühl für etwas Neues kann dann fälschlicherweise auf die Erinnerung attribuiert werden. »Rather than discovering the existence of the memory itself, these individuals may be discovering the emotionally disturbing understanding of the experience. Nevertheless, because of the profound sense of discovery, individuals may conclude that they must have just remembered a long inaccessible memory« (Schooler 2001: 113). Schooler schildert einige Fälle, in denen sich Personen sicher waren, etwas völlig vergessen zu haben. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass sie vor ihrer scheinbar neuen Erinnerung bereits mit anderen darüber gesprochen hatten.
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daran zu erinnern28. Dies ist jedoch nicht möglich. Das führt zu der Frage, wie es sein kann, dass Menschen glauben, sich an Dinge zu erinnern, die niemals geschehen sind. Elizabeth Loftus, die schon länger das Gedächtnis erforschte, wandte sich dieser Frage zu, als sich verzweifelte Eltern an sie wandten und fragten, wieso ihre Kinder sich an etwas Schreckliches erinnern, das niemals geschehen war. Loftus begann sich mit diesem Phänomen zu beschäftigen und entwickelte das heute berühmte Lost in the Mall-Experiment, das ich in Kürze vorstellen werde. Sie konnte demonstrieren, dass es sehr leicht ist, falsche Erinnerungen zu erzeugen. Damit war klar, dass es sich bei unterdrückten Erinnerungen tatsächlich um falsche Erinnerungen handelt. George Franklin wurde 1996 wieder aus dem Gefängnis entlassen. Unter anderem hatte seine Tochter gemeint, sich an zwei weitere Morde ihres Vaters zu erinnern. DNA Untersuchungen zeigten jedoch, dass dieser sie unmöglich begangen haben konnte. Um zu verstehen, wie es möglich ist, dass Menschen mit großer Sicherheit meinen, sich an etwas zu erinnern, was niemals geschehen ist, ist es hilfreich schematisch den Prozess zu beschreiben, durch den falsche Erinnerungen erzeugt werden (vgl. Loftus/Ketcham 1995, Ofshe/Watters 1993). Eine Frau geht wegen eines emotionalen Schmerzes wie einer Angst oder einer Depression zu einer Therapeutin. Diese behauptet nach sehr kurzer Zeit, dass ein sexueller Missbrauch die Ursache ihrer Probleme sei. Ihre Klientin reagiert ungläubig und ablehnend, da sie sich nicht an einen solchen erinnert. Die Therapeutin erklärt, dass dieser Mangel an Erinnerungen ein Hinweis darauf sei, dass sie tatsächlich missbraucht worden ist: Sie habe ihre Erinnerungen verdrängt. Um ihre Probleme loszuwerden müsse sie sich wieder erinnern. Die Klientin, die ja auf der Suche nach Heilung ist, kauft verschiedene Bücher zum Thema und liest sie immer wieder durch. In der Therapie wird sie ermutigt, sexuelle Missbrauchsphantasien zu entwickeln. Am Anfang spricht die Klientin klar aus, dass es sich dabei um Phantasien handelt, doch die Therapeutin erklärt, dass sie diese nur für Phantasien halte und letztlich wohl alles genau so geschehen sei. Um sich besser zu erinnern wird die Klientin hypno-
28 »The properties of robust repression are dramatically different from those of accepted memory-related mental processes such as ordinary forgetting, intentional avoidance of a subject, and traumatic amnesia« (Ofshe/Watters 1993: 6; vgl. Bremner, Shobe, Kihlstrom 2000). Ein Hinweis darauf, dass neurologisch bedingte dissoziative Amnesien nicht real sind ist, dass sie im Gegensatz zu allen anderen psychischen Auffälligkeiten in der fiktiven und nicht fiktiven Literatur vor 1800 nicht zu existieren scheinen (Pope et al. 2007).
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tisiert29. Sie praktiziert »automatisches Schreiben« und vertraut auf die Autorität ihrer Therapeutin. Zunehmend versteht sie sich als Inzestüberlebende. Sie führt ein Tagebuch und wird angehalten, ihre Gedanken unzensiert niederzuschreiben, ohne darauf zu achten, ob es sich dabei um Realität oder Phantasie handelt, denn jede Phantasie könne eine »unterdrückte Erinnerung« sein. Dieser Prozess intensiviert sich über Monate und Jahre, der Klientin geht es immer schlechter und sie benutzt nun verschiedene Psychopharmaka, sie beschäftigt sich irgendwann fast nur noch mit ihrem sexuellen Missbrauch, von dem sie noch immer nichts weiß. Eines Tages hat sie einen »Flash Back«, sie sieht eine Szene eines Missbrauchs und glaubt, nun die erste Verbindung zu ihrer Vergangenheit zu haben. Sie wird dazu angespornt, diese »Erinnerung« zu erzählen und auszuschmücken. Nun ist sich die Klientin sicher, dass sie eine »Überlebende« ist. Die Therapeutin lädt sie ein an Gruppensitzungen mit Frauen teilzunehmen, denen es wie ihr geht. Alle bestätigen sich in ihrem Opferstatus und ihrer schrecklichen Vergangenheit, sie entfremden sich von ihrem Bekanntenkreis und haben irgendwann nur noch die Gruppe und die Therapeutin, manche verlieren ihren Job und ihr Leben kreist nur noch um ein Thema, um ihr »living theater psychodrama« (Ofshe/Watters 1993: 10). Die Tragödie nimmt ihren Lauf. Unschuldige Eltern werden mit schrecklichen Vorwürfen konfrontiert, Familien zerbrechen, Unschuldige landen im Gefängnis. Wie will man wissen, dass der sexuelle Missbrauch, an den sich diese Frauen meinen zu erinnern, nicht real ist? Erstens werden traumatische Erfahrungen meistens nicht vergessen (Spanos 1996: 82ff.). Das Problem ist in solchen Fällen eher, dass etwas nicht vergessen werden kann. Zweitens können Erinnerungen an einen scheinbaren Missbrauch anderer, wie der Geschwister, auftauchen. Diese bestreiten aber vehement, dass dies den Tatsachen entspricht. Drittens kann es bei falschen Erinnerungen eines Tages zu einem Erwachen kommen. Bei einer Frau weigerte sich bspw. die Krankenkasse, die »Behandlung« weiter zu bezahlen. Sie musste die Gruppe verlassen und niemand kümmerte sich mehr um sie (vgl. Loftus/Ketcham 1995). Sie kam schließlich zu der schmerzhaften und äußerst beschämenden Erkenntnis, dass sie in eine fiktive Welt abgedriftet war und niemand sie jemals sexuell missbraucht hatte. Wenn Erinnerungen nicht echt sind, kann man sich an die furchtbarsten Dinge erinnern. Ein Beispiel ist Nadean Cool: »In the process, Cool became convinced that she had repressed memories of having been in a satanic cult, of eating babies, of being raped, of having sex with animals and of being forced to watch the murder of her eight-year-old friend« (Loftus 1997: 75). Die Thera29 In Wahrheit kann man sich im hypnotisierten Zustand nicht besser erinnern, doch man ist sehr viel leichter davon überzeugt, dass das Erlebte den Tatsachen entspricht (vgl. Lynn, Lock, Loftus, Krackow, Lilienfeld 2003).
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peutin wurde zu einem hohen Schadensersatz verurteilt, als Nadean Cool sie schließlich anzeigte. Um die Frage zu beantworten, wie es sein kann, dass geistig gesunde Menschen fest davon überzeugt sein können, sich an Schreckliches zu erinnern, was niemals geschehen ist, entwarf Loftus das berühmte Lost in the Mall-Experiment (Loftus 1994: Kap. 7; 1997). Zunächst lesen die Versuchsteilnehmer drei reale Geschichten aus ihrer Vergangenheit, und dann eine vierte erfundene Geschichte. In dieser sind sie im Alter von fünf Jahren in einem großen Einkaufszentrum verloren gegangen, sie haben geweint und wurden von einer älteren Dame getröstet, um schließlich wieder mit ihrer Familie vereint zu werden. Nachdem die Teilnehmer die vier Geschichten gelesen hatten schrieben sie auf, an was sie sich erinnern konnten. Als nun die Versuchsteilnehmer eine Weile später interviewt wurden, zeigt sich, dass bei 25 % die Lost in the Mall-Geschichte zu einer scheinbaren Erinnerung geworden war. Sie hatten vergessen, dass diese Geschichte niemals geschehen war, Loftus hatte ihnen eine falsche Erinnerung eingepflanzt30. Was haben falsche Erinnerungen mit Nichtwachheit zu tun? Die These ist nicht, dass jede falsche Erinnerung mit Nichtwachheit einhergeht. Die Behauptung ist: Wenn eine Person dazu gebracht wird, an eine falsche Vergangenheit zu glauben, die mit der Konstruktion eines spezifischen Selbstkonzepts (z. B. als Opfer oder als Täter) einhergeht, so dass ihr gegenwärtiges Erleben in einem erheblichen Ausmaß von einer fiktiven Vergangenheit und einem fiktiven Selbstkonzept geprägt ist, dann kann dieses Erleben die Eigenschaft der Nichtwachheit haben. Die Literatur ist nicht spezifisch genug um klar demonstrieren zu können, dass die bisher aufgeführten Fälle falscher Erinnerungen mit einem Erwachen beendet worden sind. Wie mir scheint ist diese Interpretation jedoch plausibel. Wenn eine Person, die ernsthaft davon überzeugt gewesen ist, missbraucht worden zu sein, diese Vorstellung fallen lässt, sind die drei Kriterien eines Erwachens erfüllt: Zu erkennen, dass man nicht missbraucht wurde, bedeutet erstens, die Wirklichkeit seiner Vergangenheit zu erkennen. Man hatte eine Phantasie für wirklich gehalten. Die falschen Erinnerungen gingen mit der Konstruktion eines Selbstkonzepts einher, das eine Täuschung über die eigene Identität darstellt. Man erinnerte sich nicht nur falsch, sondern man erklärt sich selbst, seine Vergangenheit und sein gegenwärtiges Erleben, durch das illusionäre Selbstkonzept des Missbrauchsopfers. Wenn sich das fiktive Selbstkonzept auflöst gelten die Beschreibungen, wie sie weiter vorn beim Selbstbetrug vor30 Vgl. dazu auch Johnson/Raye 1998 die weiteren Möglichkeiten zeigen, wie künstliche Erinnerungen erzeugt werden können bzw. wie es zu einem Versagen des Source Monitoring kommen kann. Wenn man bspw. Leute in einem Test dazu nötigt, eine Erklärung zu erfinden, werden sie diese mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit später als eine Erinnerung einstufen.
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gestellt worden sind: Die Auflösung eines falschen Selbstkonzepts muss authentischer machen und extrinsisch dissoziierte Subsysteme in den Gesamtkontext der Person integrieren. Es muss mit einem Wachstum der Selbstachtung einhergehen. Das zweite Kriterium ist also erfüllt, da die Überwindung eines falschen Selbstkonzept zu einem mehr »da sein« führt. Und man hat mehr Möglichkeiten, wenn man sich nicht von einer phantasierten Vergangenheit her und durch ein falsches Selbstkonzept versteht. Sich die Identität einer Inzestüberlebenden zuzulegen und sich darauf zu reduzieren, legt in starkem Maße fest, wie man die Gegenwart erlebt. Letztlich wurden diesen Frauen erheblicher Lebensmöglichkeiten beraubt. Ihr Leben wurde gleichsam auf ein Gleis gesetzt, das mit ihrer realen Persönlichkeit und ihrer wirklichen Vergangenheit nichts zu tun hat. Aufzuwachen heißt, dieses Gleis als solches zu erkennen und zu verstehen, dass die Zukunft auch in eine andere Richtung gehen kann. Es bedeutet, nicht länger von einer fiktiven Vergangenheit bestimmt zu werden. Die These ist, dass durch falsche Erinnerungen verbunden mit einem fiktiven Selbstkonzept ein mentaler Zustand mit der Eigenschaft der Nichtwachheit geschaffen wird. Der technische Begriff für das Phänomen, dass eine Person von Ereignissen berichtet, die sie für real hält, obwohl diese nicht geschehen sind, ist Konfabulation (French, Garianne, Loftus 2009).
3.2.4 Konfabulation und Metakognition Von Konfabulationen sprach man ursprünglich, wenn Menschen mit KorsakoffSyndrom meinten sich an Dinge zu erinnern, die niemals geschehen waren31. Vielleicht erzählt eine solche Person, dass sie gestern im Büro gewesen ist, obgleich sie schon länger auf einer Pflegestation lebt. Im Laufe der Zeit erfuhr das Konzept eine Erweiterung und wurde auch auf andere neurologische Störungen angewendet (Hirstein/Ramachandran 2009). Ein Beispiel hierfür ist das SplitBrain-Syndrom. Bei Klienten mit einem Split Brain ist der Corpus Callosum durchtrennt, so dass die rechte nicht mehr mit der linken Gehirnhälfte kommunizieren kann. Wenn eine solche Person etwas gefragt wird kann sich ihre verbale von ihrer schriftlichen Antwort unterscheiden. Wenn zu der einen Gehirnhälfte kommuniziert wird und diese eine Handlung erzeugt, wie etwa das 31 Hirstein (2009: 5) schlägt folgende Definition vor. – Jan beansprucht dass p. – Jan glaubt dass p. – Jans Glaube an p ist nicht fundiert. – Jan weiß nicht, dass sein Gedanke nicht fundiert ist. – Jan sollte wissen, dass sein Gedanke nicht fundiert ist. – Jan ist zuversichtlich dass p.
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Heben eines Armes, und die andere Gehirnhälfte nichts davon weiß, erfindet die Person eine Erklärung dafür, weshalb sie den Arm gehoben hat. Beim Antons Syndrom, in gewisser Weise das Gegenteil von Blind Sight, glaubt ein blinder Mensch, dass er nicht blind ist. Wenn man ihn bittet, etwas zu beschreiben, wird er seine Unfähigkeit konfabulierend rechtfertigen (»Es ist so dunkel im Zimmer«). Bei der Asomatognosie sind Patienten fest davon überzeugt, dass ein Glied ihres Körpers nicht zu ihnen gehört. Sie konfabulieren bspw., dass es ihnen angenäht worden ist: »this arm is a communist« (Hirstein/Ramachandran 2009: 126). Von Konfabulationen spricht man heute auch bei Fällen ohne eine neurologische Störung. Der Epiphänomenalist, der nicht an die Möglichkeit einer mentalen Verursachung glaubt, behauptet sogar, dass alle Menschen ihr ganzes Leben lang konfabulieren. Ein Beispiel für nicht neurologisch bedingte Konfabulationen ist der im vorigen Abschnitt vorgestellte Fall von systematisch erzeugten falschen Erinnerungen an einen scheinbaren Missbrauch. Auch wenn Menschen davon berichten, von Außerirdischen entführt worden zu sein, spricht man von Konfabulationen (Spanos 1996: Kap. 10). Manche behaupten, dass Konfabulationen bei Erinnerungen eher die Norm, als die Ausnahme sind (French, Garianne, Loftus 2009). Etwas plausibler wird diese These durch die Beobachtung, dass auch dramatische Ereignisse mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit falsch erinnert werden. Ulric Neisser und Nicole Harsch (1992) testeten, wie sich Personen an das Challenger-Unglück von 1986 erinnern. Kurz nach dem Unfall ließen sie Studenten aufschreiben, wie sie davon erfahren hatten. Zweieinhalb Jahre später luden sie diese Studenten ein und ließen sie dies noch einmal tun. Wie sich zeigte erinnerten sich die meisten beim zweiten mal anders, als beim ersten mal. Wenn man ihnen ihre ursprünglichen Texte zeigte waren die meisten überrascht und meinten, dass ihre zweite Erinnerung sich richtiger anfühlt. Ob Konfabulationen an sich als nichtwaches Phänomen betrachtet werden können, kann und muss hier nicht entschieden werden. Relativ sicher scheint mir zu sein, dass dies bei Konfabulationen wie den im vorigen Abschnitt eingeführten falschen Erinnerungen der Fall ist. Organisch bedingte Konfabulationen führen zu der Frage, ob man von Nichtwachheit sprechen kann, wenn ein Erwachen praktisch unmöglich ist. Man könnte schließlich argumentieren, dass keine Nichtwachheit vorliegt, wenn ein Erwachen nicht möglich ist. Darauf ist zu erwidern, dass nicht bekannt ist, welche Möglichkeiten die Zukunft bringen wird. Wenn in keiner möglichen Welt ein Erwachen aus einem bestimmten Zustand heraus möglich ist, handelt es sich nicht um Nichtwachheit. Wenn jedoch in einer möglichen Welt ein Erwachen möglich ist, handelt es sich auch dann um Nichtwachheit, wenn im konkreten Fall aus bestimmen Gründen das Erwachen unmöglich ist.
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Für diese Untersuchung interessant ist, wie Konfabulationen neurologisch erklärt werden. Man geht heute davon aus, dass bei Konfabulationen zwei Faktoren vorliegen müssen (Hirstein/Ramachandran 2009, Heidler 2010: 259ff.). Erstens muss bei einem System des Gehirns ein Problem vorliegen, zum Beispiel beim Gedächtnis oder in der Wahrnehmung. Zweitens muss der Teil des Gehirns gestört sein, welcher das erste System überwacht. Es benötigt also einen Fehler in einem exekutiven System und gleichzeitig einen Fehler in der Metakognition. Wenn nur in der ersten Ebene ein Fehler existiert, wird dieser von der Person bemerkt. Erst wenn dieser wegen einer metakognitiven Einschränkung nicht mehr bemerkt werden kann, kann es zu Konfabulationen kommen. »Erstaunlicherweise ist das Sprachsystem, welches die Konfabulationen produziert, selbst unfähig, die Absurditäten in den verbalen Kreationen zu entdecken. Fraglich ist, warum das Sprachsystem dies nicht leisten kann – immerhin gibt es Rückkopplungsschleifen, über die Versprecher und Syntax kontrolliert und korrigiert werden können – warum nicht auch die Plausibilität von Inhalten wie ›Mein linker Arm liegt momentan im Kühlschrank‹? Wenn das Sprachsystem selbst läsioniert ist (z. B. bei Wernicke-Aphasie), ist erklärbar, warum verbale Fehler nicht mehr erkannt werden können, aber weshalb erkennt ein intaktes Sprachsystem keine unplausiblen Behauptungen?« (Heidler 2010: 266).
Dass das Sprachsystem nicht in der Lage ist, semantisch unplausible Äußerungen zu identifizieren, macht jedenfalls eine Menge verständlicher. Für die weitere Untersuchung und vor allem für das später zu entwickelnde Modell von Nichtwachheit, ist die Differenzierung zwischen Kognition und Metakognition wichtig. Zum ersten mal eingeführt worden war sie beim Traum (2.1). Dort wurde demonstriert, dass eine metakognitive Ebene im Traum zwar existiert, dass sie aber weniger entwickelt ist als im Alltagsbewusstsein. Wir werden im folgenden sehen, dass Nichtwachheit immer mit einem metakognitiven Fehler, bzw. mit einer mangelnden Metakognition einhergeht. Das Thema Dissoziation war zum ersten mal eingeführt worden beim Selbstbetrug, denn extrinsisch motiverte Subsysteme sind bis zu einem gewissen Grad dissoziiert vom Gesamtkontext der Person. Um diesen Zusammenhang als ein Merkmal nichtwachen Erlebens weiter zu entwickeln, ist die Hypnose gut geeignet.
3.2.5 Hypnose und Dissoziation Die Hypnose ist für die Frage nach Wachheit und Nichtwachheit in verschiedener Hinsicht relevant. Bereits erwähnt wurde, dass sie zur Entstehung von falschen Erinnerungen beitragen kann. Von hier aus könnte man vermuten, dass es sich bei ihr selbst um einen nichtwachen Zustand handelt. Hinweise darauf sind, dass traditionell das hypnotische vom wachen Erleben unterschieden wird.
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Hypnotiseure beenden die Hypnose häufig mit der Aufforderung, aufzuwachen. Als James Braid 1841 den Begriff Hypnose entwickelte, bezog er sich dabei auf das altgriechische Hypnos = Schlaf. Ein zweiter Grund, weshalb die Hypnose für diese Untersuchung interessant ist, liegt daran, dass mit ihr das Konzept der Dissoziation vertieft werden kann. Und drittens kann mit der Hypnose die Kontinuitätsthese, welche einen völligen Bruch zwischen dem Erleben des Traums und demjenigen des Tages behauptet, erweitert und vertieft werden. Wer beginnt sich mit der Hypnose zu beschäftigen mag zunächst überrascht sein, dass bis heute umstritten ist, um was es sich bei ihr eigentlich handelt. Einigkeit besteht bei denjenigen, die sich wissenschaftlich mit der Hypnose beschäftigen, darüber, dass es sich bei ihr um eine bestimmte soziale Interaktion mit spezifischen Folgen handelt. »Hypnosis is a social interaction in which a person experiences anomalies of perception, memory, and action that have been suggested by the hypnotist. What unites the various phenomena of hypnosis is that all involve compelling subjective experiences that do not correspond to objective reality« (Kihlstrom/Hoyt 1988: 66).
Bei diesen hypnotischen Phänomenen handelt es sich im wesentlichen um: – Positive Halluzinationen, bei denen etwas erlebt wird, was nicht real ist. – Negative Halluzinationen, bei denen etwas nicht erlebt wird, obwohl es gegenwärtig ist (z. B. Taubheit, Schmerzunempfindlichkeit). – Ideo-motorische Phänomene, bei denen es zu Körperbewegungen kommt, die vom Subjekt als unwillkürlich erlebt werden. – Amnesien – Veränderungen der Identität (wie Regressionen, dazu gleich mehr). Bereits seit dem 19. Jh., wenn wir Franz Anton Mesmer einmal weglassen, werden Hypnosetheorien zur Erklärung dieser Phänomene entwickelt. Die State Theory (Zustandstheorie) besagt, dass es sich bei der Hypnose um einen besonderen mentalen Zustand handelt, der häufig auch als Trance bezeichnet wird. Eine hypnotisierte Person, so die Vorstellung, befinde sich in einem Zustand eines veränderten Bewusstseins, der sich signifikant vom normalen Alltagsbewusstsein unterscheide (vgl. z. B. Kirsch 2011). Innerhalb dieses Zustands, der stark von Passivität geprägt sei, seien Menschen Dinge möglich, die ihnen im normalen Zustand nicht möglich seien. Die Logik des Alltagsbewusstseins werde ersetzt durch eine Trance-Logik. Für die Zustandstheorie ist die hypnotische Induktion, das heißt der Vorgang des Hypnotisierens, von besonderer Bedeutung, da er es sei, durch den das Bewusstsein signifikant verändert werde. Vor allem leicht hypnotisierbare Personen (10–15 % der Menschen) können auf diese Weise in einen besonderen Zustand versetzt werden, in dem sie ungewöhnliche Fähigkeiten manifestieren.
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Die Zustandstheorie wird seit den 50er (T.R. Sarbin) und zunehmend seit den 70er Jahren (T.X. Barber, N. Spanos) von soziokognitiven Hypnosetheorien kritisiert. Diese bestreiten die Existenz eines eigenen hypnotischen Zustands. Die gegenwärtigen soziokognitiven Hypnosetheorien teilen drei Annahmen (Wagstaff 2004): Erstens übernehmen Personen während der Hypnose eine kulturell definierte Rolle im Rahmen einer sozialen Situation. Zweitens sind hypnotisierte Subjekte nicht passiv, sondern beeinflussen aktiv ihr Erleben. Drittens kann das veränderte Erleben durch normale psychologische Konzepte und Prozesse erklärt werden, ohne dass ein besonderer Zustand postuliert werden müsse. Die verschiedenen soziokognitiven Theorien unterscheiden sich darin, wie sie die hypnotischen Phänomene erklären. Sie verwenden dazu Konzepte wie Motivation, Entspannung, Imagination, Absorption, Erwartungen, Konzentration, Dissoziation, Suggestibilität und selektive Aufmerksamkeit (Wagstaff 1998). Eine wichtige Erkenntnis, die den Kritikern der Zustandstheorie recht gibt, ist, dass die hypnotische Induktion sich als unnötig herausgestellt hat (Spanos 1996: Kap. 2, 3). Wenn man Testsubjekten Instruktionen vorliest, um ihre Motivation zu fördern und um Erwartungen gegenüber der Hypnose zu generieren, so dass sich ihre Einstellung verbessert, fördert dies genauso ein responsives Verhalten auf Suggestionen, wie eine hypnotische Induktion (Barber 1972). Wenn man jedoch kein spezielles Verfahren benötigt, um einen bestimmten Zustand zu erzeugen, ist dies ein starker Hinweis darauf, dass es diesen Zustand nicht gibt. Dass bis heute nicht alle hypnotischen Phänomene durch einen einzigen Mechanismus erklärt werden können kommt vermutlich daher, dass verschiedene hypnotische Phänomene über verschiedene Mechanismen erklärt werden müssen. Wenn es einen spezifischen hypnotischen Zustand nicht gibt ist es ziemlich plausibel, dass diejenigen Phänomene, die heute unter der Bezeichnung Hypnose zusammengefasst werden, nicht monokausal erklärt werden können32. Dies macht verständlicher, wieso nicht jede tief hypnotisierbare Person jedes hypnotische Phänomen manifestieren kann (McConkey/Barnier 2004).
32 Kirsch/Braffman 1999 machen darauf aufmerksam, dass das, was traditionellerweise unter dem Begriff der Hypnotisierbarkeit gemessen wird, eigentlich die Suggestibilität einer Person ist, das heißt die Stärke ihres Reagierens auf Suggestionen. Hypnotisierbarkeit dagegen bezeichnet das Ausmaß, durch das die Suggestibilität einer Person durch ein hypnotisches Verfahren erhöht wird. Diese Änderung kann durch die Erwartungen und die Motivation der Person erklärt werden, ohne dass ein besonderer hypnotischer Zustand postuliert werden muss. Nachfolgend wird, ein wenig ungenau, trotzdem weiterhin der Begriff der Hypnotisierbarkeit verwendet, da sich die Differenz von Suggestibilität und Hypnotisierbarkeit in der Literatur noch nicht durchgesetzt zu haben scheint.
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»Thus, hypnosis can be a state of alertness, or relaxation and drowsiness; a state of focused concentration or a state of diffused attention; a state of decreased suggestibility or a state of increased suggestibility ; a state of uninhibited, uncritical imaginative involvement, or one of critical, analytical, convergent thought, and so on. It can be whatever is most suitable for the client« (Wagstaff 1998: 162).
Dass sich im Gehirn während der Hypnose etwas verändert (z. B. Egner et al. 2005, McGeown 2009 et al.) beweist nicht, dass es sich bei ihr um einen spezifischen mentalen Zustand handelt. Es zeigt nur, was nicht erstaunlich ist, dass während der Hypnose tatsächlich etwas passiert33. Dies wird von niemandem bestritten. Eine der zentralen Annahmen der Zustandstheorie ist, dass sich das hypnotische Erleben quasi automatisch ohne einen Beitrag der hypnotisierten Person entwickelt. Tatsächlich hat sich gezeigt, dass häufig bewusst Strategien zur Erzeugung hypnotischer Effekte eingesetzt werden. Bei der Suggestion beispielsweise, dass der Arm schwer wird, stellen sich manche konkret vor, dass der Arm schwer wird. Andere imaginieren, dass Gewichte ihn nach unten ziehen. Bei der Suggestion, dass der Arm sich von alleine hebt, lenken manche die Aufmerksamkeit davon ab, dass sie den Arm bewusst heben. Wenn ein Schmerz nicht empfunden werden soll konzentrieren sich manche auf etwas anderes oder versuchen aktiv, den Schmerz als angenehm zu empfinden. Bewusst eingesetzte Strategien, so werden wir ein wenig später noch genauer sehen, können jedoch nicht alles erklären. Gerade wenn eine hypnotische Reaktion als unwillkürlich empfunden wird, scheint dieser Ansatz nicht zu genügen. Die subjektiv empfundene Unwillkürlichkeit einer Reaktion ist sicherlich eines der zentralen Merkmale der Hypnose. Sie erklärt, weshalb für die Zustandstheorie Passivität eine wichtige Eigenschaft der Hypnose ist. Soziokognitive Ansätze beharren darauf, dass die Empfindung von Unwillkürlichkeit nicht so real sein kann, wie sie empfunden wird. Viele Versuche zeigen, dass hypnotische Phänomene durchaus von der hypnotisierten Person kontrolliert und beeinflusst werden können (Kirsch/Lynn 1999). Amnesien und sinnliche Beeinträchtigungen wie Taubheit bspw. können nicht so real sein, wie es von hypnotisierten Subjekten empfunden wird. Personen, die behaupten, nichts zu hören, reagieren in Versuchen durchaus so, als ob sie etwas hören. Sie machen genauso Fehler wie nicht hypnotisierte Personen, wenn ihnen, während sie einen Text vorlesen, gleichzeitig ein ähnlicher Text vorgespielt wird (Kihlstrom 1984).
33 »However, perhaps it might be more useful to view the results of physiological studies of hypnosis less in terms of showing a distinction between ›hypnosis‹ and ›waking consciousness‹, and more in terms of evidence for the strategies that individuals use to carry out instructions and suggestions« (Wagstaff 1998: 156).
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»After suggesting deafness to ›hypnotic trance‹ subjects, the hypnotist may ask, ›Can you hear me?‹ A few subjects reply, ›No, I can’t‹ thus admitting that they can hear. The other subjects, however, do not reply and appear to be deaf. How does the Hypnotist remove the deafness? He typically states, ›Now you can hear again,‹ and since the subjects now respond normally it is obvious that they could hear all along« (Barber 1972: 148).
Wenn Personen das Gefühl haben, keinen Schmerz zu empfinden, manifestieren sie trotzdem die körperlichen Merkmale von Schmerzempfindungen. »In other words, the body is feeling pain that the person denies experiencing« (Kihlstrom/ Hoyt 1988: 70). Eine Möglichkeit, den Eindruck von Unwillkürlichkeit zu erklären, ist das Konzept der Automatizität. Ich werde später einen eigenen Abschnitt diesem Thema widmen (3.3.4.1), da es ein zentraler Aspekt eines nichtwachen Erlebens zu sein scheint. Aus diesem Grund werde ich es jetzt nur knapp einführen. Es gilt heute in der psychologischen Literatur als selbstverständlich, dass sich automatisierte und bewusste Handlungsaspekte gegenseitig durchdringen. Das bedeutet konkret, dass sich nicht immer eindeutig unterscheiden lässt, welcher Aspekt bewusst, und welcher automatisiert ist. Wenn man bspw. auf einer Tastatur schreibt, handelt es sich dabei im wesentlichen um eine automatisierte Praxis. Sie findet jedoch nicht außerhalb des bewussten Kontexts der Person statt und kann, jedenfalls bis zu einem gewissen Grad, willentlich kontrolliert werden. Eine Erklärung der Erfahrung von Unwillkürlichkeit setzt bei der gegenseitigen Durchdringung von bewussten und automatisierten Aspekten einer Handlung an. Die These ist, dass erstens der willentliche Aspekt einer Handlung ausgeblendet oder als unwillkürlich interpretiert werden kann, und man zweitens einen Automatismus als willkürlich empfinden kann »The fact that subjective states are often ambiguous is one reason why expectancies readily shape perceptions of involuntariness« (Kirsch/Lynn 1989: 60). Sogenannte ideo-motorische Bewegungen können allein dadurch ausgelöst werden, dass man eine ähnliche Bewegung sieht oder sich vorstellt. Dieser automatische Einfluss der Wahrnehmung auf Bewegungen wird verwendet, um das Pendeln und die Wünschelrute zu erklären. Wenn einer Person suggeriert wird, dass ihr Arm sich hebt, führt dies automatisch zu kleinen Muskelbewegungen des Arms. Diese können von der Person verstärkt werden, ohne dass sie sich dessen bewusst sein muss. Die Verwechslung von bewusst ausgeführten Aspekten einer Handlung mit automatisierten Anteilen ist ein metakognitiver Fehler, bei dem eine Ursache falsch attribuiert wird. Es ist heute bekannt, dass diese Attribuierungen durch Erwartungen und die Motivation beeinflusst werden können. Hoch hypnotisierbare Personen erwarten unwillkürliche Körperbewegungen und sind motiviert, diese zu erfahren. Sie sind unbewussterweise bereit, eine teilautomatisierte Reaktion bewusst zu fördern und dabei unbe-
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wussterweise auszublenden, dass sie diesen Prozess unterstützen: »behaviors that follow ideomotor and challenge suggestions are cognitively prepared responses that are triggered by suggestions and subjective clues« (Lynn 1997: 241). Dieser Zusammenhang zeigt deutlich, weshalb soziokognitive Theorien davon Abstand nehmen, unwillkürliche Phänomene durch einen besonderen mentalen Zustand erklären. Sie verwenden statt dessen gewöhnliche Konzepte wie etwa automatisierte Prozesse und die Möglichkeit, diese falsch zu interpretieren. Dabei wird auf die Bereitschaft verwiesen, Erfahrungen innerhalb des sozialen Kontexts der Hypnose auf eine bestimmte Weise zu erklären. Wenn diese Bereitschaft, also die Erwartung und die Motivation, irgendwie gesteigert wird, hat dies wie bereits erwähnt, denselben Effekt wie eine klassische hypnotische Induktion. Eines der erstaunlichsten hypnotischen Phänomene ist wohl die sogenannte Altersregression. Eine Altersregression ist eine dramatische Veränderung, durch die sich ein erwachsener Mensch wieder als Kleinkind bis hin zum Säugling erleben kann. Konkret bedeutet dies, dass eine hypnotisierte Person sich bspw. wie ein Kleinkind verhält und subjektiv davon überzeugt sein kann, in ein früheres Stadium ihrer Entwicklung zurückgekehrt zu sein. Aber es geht noch dramatischer. Bei einer Past Life Regression können Menschen glauben, dass sie eine Identität aus einem früheren Leben erleben bzw. zu einer Person werden, die sie einmal gewesen sind. Sie können dabei ihr körperliches Erscheinen verändern und mit einer anderen Stimme sprechen, sie können spezielle Manierismen manifestieren und erstaunlich überzeugend wirken. Eine hypnotische Regression muss jedoch nicht auf die Vergangenheit begrenzt sein. Es ist sogar möglich Menschen dazu zu bringen, dass sie davon überzeugt sind die Identität einer Person zu manifestieren, die sie erst in Zukunft sein werden (Future Life Progression). Soziokognitive Theorien erklären solche Phänomene einer dramatisch veränderten Identitätserfahrung durch eine Mischung aus Absorption und Imagination. Im Rahmen der Hypnoseforschung wurde entdeckt, dass ein kleiner Teil der Bevölkerung über eine so stark entwickelte Phantasie verfügt, dass diese in ihrem Leben eine erhebliche Rolle spielt. Manche Menschen empfinden ihre Phantasien so relevant wie ihr reales Leben. Man hat diese Personen als Phantasy-Prone Personalities bezeichnet (Wilson/Barber 1983). Ein Merkmal dieser Menschen ist, dass sie sich tief von ihren Erfahrungen absorbieren lassen können. Im klassischen Artikel zur Absorption heißt es: »Absorption is interpreted as a disposition for having episodes of ›total‹ attention that fully engage one’s representational (i. e. perceptual, enactive, imaginative, and ideational) ressources« (Tellegen/Atkinson 1974: 268).
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Erfahrungen von Absorption sind nichts Ungewöhnliches. Jeder hat sie bereits erlebt, wenn er ein gutes Buch gelesen oder einen spannenden Film gesehen hat, und er auf eine schwer zu beschreibende Weise fast ein Bestandteil der Geschichte geworden zu sein schien34. Bei Personen mit ausgeprägten Imaginationsfähigkeiten und der Tendenz, sich absorbieren zu lassen, kann temporär das Wissen verloren gehen, dass das, was gerade erlebt wird, imaginiert ist35. Diese Personen sind tief hypnotisierbar (vgl. Hildgard 1970: Kap. 7). Soziokognitive Ansätze meinen durch die Fähigkeit zur Absorption und durch die Imagination einen Teil des hypnotischen Erlebens erklären zu können. Die Idee ist, dass bei Phänomenen wie einer Altersregression vorübergehend eine Rolle übernommen wird und dabei das Wissen um diesen Vorgang verloren geht. Eine ausgeprägte Fähigkeit zu absorbierten Erfahrungen begünstigt, dass Menschen das metakognitive Wissen darum verlieren, was sie gerade tun: »subjects who enact these roles convincingly become absorbed in creating a make-believe scenario« (Spanos 1996: 138). »If a subject constructs an extremely vivid mental image in response to the hypnotist’s suggestion, and then focuses his or her attention ressources on that image to the virtual exclusion of all else, the imaginary experience may well become subjectively convincing, and the object of a delusional belief in its objective reality« (Kihlstrom/Hoyt 1988: 80).
Die These ist also, dass es Menschen möglich ist ein Erleben zu generieren, welches mit einem so starken metakognitiven Defizit einhergeht, dass dieses Erleben falsch interpretiert wird. Da sich ein Teil der Person nicht länger ihres aktiven Beitrags bewusst ist, spricht man bei diesem Vorgang, wie wir gleich genauer sehen werden, von einer Dissoziation (vgl. Holmes et al. 2004: 4). Die Person ist von ihrem eigenen Handeln dissoziiert und attribuiert seine Ursache extern auf eine andere Person, in diesem Fall den Hypnotiseur. »In an important sense, then, analgesia, amnesia, and other hypnotic phenomena represent disorders of metacognition. Hypnotic subjects appear to be unaware of mental contents that influence their current cognitive and behavioral activities; and 34 Für den Laien wirken die Phantasy-Proneness, Absorption und die ein wenig später eingeführte Dissoziation sehr ähnlich. Konzeptionell bestehen hier offenkundig Überschneidungen. Die empirische Forschung meint jedoch zeigen zu können, dass es sich dabei um klar unterscheidbare Konzepte handelt. Die auf Fragebögen basierenden Skalen, durch die diese Konzepte operationalisiert werden, lassen sich nicht aufeinander reduzieren. Das genaue Verhältnis dieser Konzepte ist bis heute nicht erklärt. 35 »The person who becomes temporarily involved sets ordinary reality aside as he becomes totally absorbed in the imaginative experience« (Hildgard 1986: 160). »In brief, if a subject carries out a goal-directed fantasy when given a suggestion – that is, if he imagines a situation which, if it actually transpired, would result in the suggested effect – he tends to feel that his response to the suggestion is involuntary (reporting, for example, ›My arm rose by itself‹)« (Barber 1972: 174).
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their current cognitive and behavioral activities seem to be influenced by beliefs about themselves and the world that are false but nonetheless held with conviction« (Kihlstrom/Hoyt 1988: 77).
Wie sehr metakognitive Überzeugungen als Interpretationen des eigenen Verhaltens und Erlebens für das Verständnis der Hypnose wichtig sind kann gut demonstriert werden an der Art und Weise, wie eine Altersregression vom Hypnotiseur durch Suggestionen kontextualisiert werden kann. Wenn ein Hypnotiseur erklärt, dass es wissenschaftlich bewiesen sei, dass Regressionen in frühere Leben möglich sind, werden viel mehr Personen glauben, ein früheres Leben erlebt zu haben, als wenn ihnen erklärt wird, dass es sich dabei nur um interessante Phantasien handelt (Spanos 1996: 140). Eine Möglichkeit, die Erfahrung von Automatizität und Unwillkürlichkeit zu erklären besteht darin, dass Konzept des Selbstbetrugs auf die Hypnose anzuwenden (Sarbin 1992, Gorassini 1999). Wie bereits gezeigt wurde ist ein Selbstbetrug ein unbewusster Vorgang, bei dem aus einer Motivation heraus die Aufmerksamkeit eine spezielle Selektivität erhält und Fakten im Sinne der Motivation interpretiert oder ausgeblendet werden (3.2). Man kann die Fähigkeit einer Person, sich hypnotisieren zu lassen, dadurch steigern, dass man sie erst spielen lässt, dass sie hypnotisiert ist. Die Idee ist, dass sie auf diese Weise lernt, ihr Verhalten durch eine hypnotische Geschichte als eine Art metakognitivem Framing zu verstehen. Die Selbstbetrugstheorie der Hypnose besagt, dass Menschen erstens bei einer Hypnose eine Rolle als Teil einer Geschichte angeboten wird. Die Geschichte ist allgemein, dass man hypnotisiert wird, die Rolle ist diejenige der hypnotisierten Person. In einem zweiten Schritt wird diese Rolle angenommen und es kommt zu einer Kooperation zwischen Hypnotiseur und hypnotisierter Person im Rahmen der Geschichte der Hypnose. Hypnotisierte Personen haben nun die Motivation und die Erwartungen entwickelt, die mit dieser Annahme einhergeht. Daher verstehen sie nun drittens ihre Erfahrung durch die Geschichte und ignorieren und vergessen ihren bewussten Beitrag bei der Manifestation hypnotischer Phänomene. Ihre Motivation, etwas zu erleben oder einfach nur, hypnotisiert zu werden gemäß dessen, was sie sich darunter vorstellen, bzw. was ihnen darüber erzählt worden ist, bringt sie dazu, diejenigen Fakten auszublenden, die der hypnotischen Geschichte und ihrer Erwartungen widersprechen. Soziokognitive Ansätze behaupten nicht, dass hypnotisierte Personen nur so tun, als ob sie hypnotisiert wären (Lynn/Green 2011). Es wird nicht bestritten, dass »hypnosis involves an alteration in self-awareness, or, perhaps more precisely, in the subject’s awareness of his or her relation to the external world« (Kihlstrom/Hoyt 1988: 68). Die These ist, dass auch massive hypnotische Phänomene wie suggerierte Taubheit oder Blindheit, die subjektiv als real emp-
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funden werden, nicht durch einen besonderen Zustand erklärt werden müssen, sondern dass die Generierung eines solchen Erlebens eine Möglichkeit des normalen Repertoires der Person darstellt. Durch den Kontext der Hypnose wird sozusagen deutlich, zu was das Bewusstsein in der Lage ist. Dissoziation Bewusst eingesetzte kognitive Strategien können nicht alle hypnotischen Phänomene erklären. Die Hypnoseforschung konnte demonstrieren, dass hypnotische Effekte bei manchen Menschen geringer sind, wenn sie diese bewusst versuchen herbeizuführen (Bowers 1994, Lynn 1997). Diese Menschen werden durch ihren Beitrag abgelenkt und haben bspw. eine größere Schmerzreduktion, wenn sie nicht aktiv versuchen, ihre Schmerzempfindung zu mildern. Es wird argumentiert, dass man bei solchen Fällen von der Existenz dissoziativer Mechanismen ausgehen muss, die nicht bewusst beeinflusst werden können und direkt durch Suggestionen aktiviert werden: »Dissociated control of pain […] implies that a subsystem of pain control can be more or less directly activated by suggestion, thereby forgoing the need for fantasy-mediated pain reduction« (Bowers 1994: 33).
Diese Erklärung scheint eine Annäherung an die Zustandstheorie zu bedeuten, und tatsächlich wurde das Konzept der Dissoziation schon früh für die Erklärung der Hypnose verwendet. Ursprünglich entwickelt wurde es am Ende des 19. Jh. von Pierre Janet (1859–1947, Janet sprach von »d8sagr8gation«). Damals bezeichnete man funktionale Störungen ohne organische Ursachen als hysterische Phänomene. Bei diesen, die heute als Dissoziations- und Konversionsstörungen thematisiert werden, ist eine Person zum Beispiel blind, obwohl tatsächlich kein organisches Problem vorliegt und sie in gewisser Weise nicht wirklich blind ist. Eine Person kann jahrelang im Rollstuhl sitzen und sich als gelähmt erleben, obwohl keine organische Ursache besteht und sie biologisch betrachtet tatsächlich gehen kann – obwohl sie es de facto nicht kann. Es handelt sich bei diesen Phänomenen also nicht um einen Betrug, sondern um reale Probleme. Janet interpretierte den Verlust der Kontrolle über das eigene Verhalten und Amnesien als eine Dissoziation (Putnam 1989). Allgemein spricht man von Dissoziation, wenn Elemente des Erlebens und Handelns nicht länger miteinander verbunden sind. Man verwendet den Begriff heute in einem weiten und in einem engen Sinn (vgl. Fiedler 1999). Als weiter Begriff handelt es sich bei Dissoziationen um gewöhnliche Phänomene ohne pathologische Bedeutung. Beispiele hierfür sind der Tagtraum oder das Flow-Erleben, bei dem man ganz in einer Tätigkeit aufgeht, so dass man Zeit und Raum und sich selbst mehr oder weniger vergisst. Auch bei kulturell institutionalisierten positiven Erfahrungen von Besessenheit spricht man von dissoziativen Erfahrungen, ebenso bei der
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Schmerzunempfindlichkeit, die nicht selten bei Unfällen auftritt. Dissoziationen liegen auch bei der von der Self-Determination-Theory getroffenen Unterscheidung von extrinsischen und intrinsischen Motivationen vor (3.2.2). Während eine intrinsische Motivation von der Person bewusst bejaht wird und an sich als wertvoll beurteilt wird, erhalten extrinsisch motivierte Subsysteme der Psyche ihre Bedeutung nicht aus sich selbst heraus, sondern durch das, was durch sie erreicht werden soll. Sie werden häufig nicht bewusst bejaht, sondern können bis zu einem gewissen Grad abgespalten sein von den Core Values der Person. Weil sie nicht genügend integriert sind reduzieren sie als dissoziierte Anteile die Authentizität der Person. Bei Dissoziationen im engeren Sinn handelt es sich um Aspekte eines pathologischen Erlebens. Ein Beispiel hierfür sind Konfabulationen, bei denen das Sprachsystem von den höheren kognitiven Fähigkeiten entkoppelt ist. Ein Beispiel, bei dem die Dissoziation im Zentrum der Pathologie steht, ist die Depersonalisierungsstörung. Menschen mit dieser Störung fühlen sich längerfristig unverbunden mit sich selbst, ihren Erfahrungen und Erinnerungen, der eigene Körper kommt einem fremd und seltsam vor, sie fühlen sich emotional flach und wie in einer Blase. Eine andere pathologische Dissoziation, die Dissoziative Identitätsstörung, ist das Thema des nächsten Abschnitts. Bei der heutigen Klassifizierung psychischer Störungen geht man zwar von der Existenz einer eigenen Klasse dissoziativer Störungen aus, es gilt jedoch als sicher, dass auch andere mentale Störungen dissoziative Aspekte haben (vgl. Fiedler 1999). Dissoziationen werden heute als eine Manifestation der modularisierten Organisation des Bewusstseins oder des Gehirns interpretiert (z. B. Hildgard 1986). Bekanntlich arbeitet das Gehirn arbeitsteilig und besteht aus verschiedenen Untereinheiten bzw. Subsystemen. Eindrücklich zeigt sich dies in den Fällen des Split Brain. Interessanterweise müssen jedoch auch massive Dissoziationen nicht organisch bedingt sein (vgl. Kihlstrom/Hoyt 1988). Janet entwickelte als erster die Theorie, dass das, was damals unter dem Begriff der Hysterie diskutiert wurde, als Fälle von Dissoziationen interpretiert werden sollte. Seine Theorie war, dass durch ein traumatisches Erlebnis ein hypnoider Zustand ausgelöst werden kann, durch den das Ereignis und der mit ihm zusammenhängende Aspekt der Person abgespalten wird. Das Ereignis und der damit verbundene Aspekt der Person werden so zu eine Art Fremdkörper für die restliche Persönlichkeit. Diese Traumatheorie besagt also, dass es sich bei einer Dissoziation um eine autoregulative Schutzmaßnahme handelt, durch die psychische Komplexe entstehen, welche von nun an ein gewisses Eigenleben führen und daher nicht vollständig kontrolliert werden können. Sie können das Handeln der Person beeinflussen, ohne dass diese sich dessen bewusst ist. Die Idee der unterdrückten Erinnerung (3.3), die auf dieser Theorie basiert, ist kein Bestandteil der Traumatheorie der Dissoziation. Der funktionale Ge-
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dächtnisverlust dissoziativer Phänomene betrifft bspw. die dissoziative Fugue, bei der temporär die Identität vergessen wird. Dissoziation heißt in diesem Fall, dass vorübergehend kein Zugriff auf Aspekte der Identität und des personalen Gedächtnisses möglich ist. Dies ist etwas anderes, als die These unterdrückter Erinnerungen. Es scheint sich bestätigt zu haben, dass der Begriff der Dissoziation zwei verschiedene Dimensionen hat (vgl. Holmes et al. 2004). Die erste ist das Detachment als einer problematischen Unverbundenheit mit der Welt und mit sich selbst, wie es vor allem bei der Depersonalisierungs- und der Derealisisierungsstörung der Fall ist. Eine zweite Dimension von Dissoziation ist die Compartmentalization der Psyche, also eine mangelnde Integration des kognitiven Systems, wie es die Traumatheorie Janets beschreibt. Es hat sich empirisch bestätigt und gilt als sichere Erkenntnis, dass traumatische Erfahrungen zu dissoziativen Tendenzen36 führen (z. B. Fiedler 1999). Janet glaubte, dass es möglich sei, durch Hypnose Kontakt zu nicht integrierten Komplexen aufzunehmen, um sie so wieder integrieren zu können. Seit dieser Zeit wird ein konzeptioneller Zusammenhang gesehen zwischen dissoziativen Störungen und der Hypnose. Vielleicht ist es an dieser Stelle für das allgemeine Verständnis dieser Zusammenhänge interessant, noch ein paar zusätzliche Informationen zu erhalten, auch wenn diese für den weiteren Gang der Argumentation nicht zwingend erforderlich sind. Freud hatte anfänglich die Dissoziationsthese von Janet übernommen, lehnte sie jedoch später ab. Als Gegenkonzept entwickelte er die Repression (Spanos 1996: Kap. 17). Nach Freud handelt es sich bei dissoziativen Störungen nicht um »intrapsychische Verarbeitungsmechanismen einer nichtintentionalen Autoregulation von Belastungserfahrungen«, sondern um »Abwehrmechanismen der selektiven Verdrängung« (Fiedler 1999: 51, kursiv original). Nicht das traumatische Erleben und seine Verarbeitung stehen bei der Repression im Zentrum, sondern intrapsychische Konflikte sexuellen und aggressiven Inhalts, welche unbewusst verdrängt werden. Die Dissoziationstheorie war in Europa und den USA populär, bis sie von Psychoanalyse und Behaviorismus verdrängt wurde. Seit einigen Jahrzehnten werden psychoanalytisch belastete Konzepte aus der offiziellen Terminologie verdrängt, da sie als wissenschaftlich nicht anschlussfähig empfunden werden. Der Rang, der auch heute noch häufig Freud für die Entwicklung der Psychologie zugesprochen wird, gebührt vielleicht eher Pierre Janet. 36 Dissoziative Tendenzen werden bspw. mit der Dissociative Experience Scale gemessen (z. B. Frage drei : »Some people have the experience of finding themselves in a place and having no idea how they got there. Select a number to show what percentage of the time this happens to you«.Carlson, E.; F. W. Putnam (1993) »An update on the Dissociative Experience Scale« Dissociation 6(1) (16–27). http://traumadissociation.com/des (Dez. 2017).
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Die Forschung zur Dissoziation hat seit den 80er Jahren einen großen Aufschwung erfahren. Für diesen verantwortlich sind vor allem der Boom der Dissoziativen Identitätsstörung, die Thema des nächsten Abschnitts sein wird, und die Arbeit von Ernest Hildgard (1904–2001). Hildgard, eine wichtige Figur der Hypnoseforschung, entwickelte seit den 70er Jahren die Neodissoziationstheorie37 zur Erklärung hypnotischer Phänomene (Hildgard 1986, 1991,1992; Kihlstrom/Hoyt 1988, Bowers 1994). Ausgangspunkt seiner Überlegungen war das von ihm entdeckte Phänomen des Hidden Observer. Am besten verständlich wird dieses, wenn man es konkret durch die Versuchsanordnung beschreibt. Ein hypnotisiertes Subjekt mit einer suggerierten Analgesie hält eine Hand in Eiswasser zur Erzeugung von Schmerz. Wegen der suggerierten Analgesie berichtet das Subjekt, dass es kaum Schmerz empfindet. Man kann ihm nun erklären, dass ein Teil von ihm sich des Schmerzes durchaus bewusst sei, auch wenn es selbst diesen gerade nicht empfindet. Dieser verborgene Aspekt des Subjekts wird als Hidden Observer bezeichnet. Nur bei Subjekten, die tief hypnotisiert werden können, kann ein hohes Maß an Analgesie erreicht werden, und nur etwa die Hälfte von ihnen kann einen Hidden Observer manifestieren. Wenn dies möglich ist kann der Hypnotiseur diesen fragen, wie stark er den Schmerz empfindet. Konkret bedeutet dies, dass eine hypnotisierte Person verbal erklärt, dass sie keinen Schmerz empfindet, während sie mit der Hand als ausführendem Instrument des Hidden Observer aufschreibt, dass der Schmerz auf einer Skala von eins bis zehn sich gerade bei acht befindet. Die hypnotisierte Person ist sich also keines Schmerzes bewusst, und doch scheint gleichzeitig ein Teil von ihr sich des 37 Die Neodissoziationstheorie wird in Bezug auf die Frage, ob es sich bei der Hypnose um einen eigenen Zustand des Bewusstseins handelt, verschieden interpretiert. Manche glauben, die Neodissoziationstheorie zeige, dass in der Hypnose das Bewusstsein anders funktioniere als im Alltagsbewusstsein. Damit wäre die Zustandstheorie ein Stück weit rehabilitiert. Sarbin (1992), einer der frühen Kritiker der Special State Theory der Hypnose, kritisiert die Neodissoziationstheorie, da sie den deskriptiven Begriff der Dissoziation reifiziere und so Unbekanntes durch ein anderes Unbekanntes zu erklären versuche. Er will hypnotische Verhaltensweisen durch eine soziokognitive Rollentheorie erklären. Die Neodissoziationstheorie wird auf der einen Seite so interpretiert, dass sie zeige, dass die Hypnose kein eigener Zustand ist, weil Dissoziationen gewöhnliche Phänomene sind und diese in der Hypnose nur gezielt aktiviert und gestärkt werden. Dissoziation kann dann ein Synonym für selektive Aufmerksamkeit sein (Wagstaff 1998). Für Spanos beweist der Hidden Observer gerade, dass sich Subjekte sehr wohl bewusst sind, was in der Hypnose geschieht. Hildgard (1991: 92) selbst scheint wenig interessiert an dieser Diskussion und betont, dass es sich um ein »mehr oder weniger« im Vergleich zum normalen Bewusstsein handelt. Ebenso sieht Kihlstrom (1984), der die Theorie weiterentwickelt hat, um sie enger mit der kognitiven Psychologie zu verbinden, mehr Kontinuität von hypnotischem zum normalen Zustand. Er interpretiert die Neodissoziationstheorie als eine Beschreibung von Möglichkeiten des Bewusstseins, die auch bei anderen Phänomenen wie pathologischen Störungen erklärungsrelevant sind. Auch Lynn und Green (2011) argumentieren, dass soziokognitive Ansätze und die Neodissoziationstheorie kompatibel sind.
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Schmerzes bewusst zu sein. Es existiert eine Dissoziation zwischen einer bewussten und einer unbewussten Ebene der Informationsverarbeitung. Dabei ist jedoch paradoxerweise der bewusste Teil der Person nicht bewusst, während der für sie unbewusste Aspekt, der metaphorisch als Hidden Observer bezeichnet wird, sich der realen Situation bewusst ist. »Despite the compelling subjective experience of analgesia, the pain stimulus must be registered at some level in the perceptual-cognitive system – just as the reversibility of posthypnotic amnesia indicates that the critical memories have been encoded and remain available in storage. The hidden observer is nothing more than a technique for revealing that, despite the subject’s phenomenal experience, the ›actual stimulus state of affairs‹ is processed by the subject – albeit subconsciously. There is no more to it than that« (Kihlstrom/Barnier 2005: 149).
Die Neodissoziationstheorie erklärt, dass man aufgrund der Phänomene von der Existenz kognitiver Subsysteme (Strukturen, Schemata) mit einer gewissen Autonomie innerhalb des Gesamtsystems ausgehen muss. Durch bestimmte Vorgänge wie eine Hypnose können sie bis zu einem gewissen Grad vom Rest des Systems isoliert werden, so dass sie nicht länger von der zentralen Überwachungs- und Kontrollstruktur des kognitiven Systems kontrolliert werden können. Die Idee ist also, dass bei einer Dissoziation kognitive Subsysteme temporär aus der kognitiven Hierarchie funktional »ausgegliedert« werden und so der bewussten Kontrolle entzogen werden. Dies ist nicht ungewöhnlich. Dieser Vorgang liegt bspw. dem sogenannten automatischen Schreiben zugrunde, welches als Bestandteil des Spiritismus des 19. Jh. schon von William James untersucht worden war (vgl. Hildgard 1986: 198ff.). »These subsystems of control can be viewed as overlearned action/experience modules or schemas that do not require much attention in order to be activated. Thus dialing a familiar phone number can occur withouth much thought or attention. Indeed, a familiar phone number is occasionally dialed instead of the intended one« (Bowers 1994: 25).
Die Erfahrung von Unwillkürlichkeit in der Hypnose erklärt die Neodissoziationstheorie also dadurch, dass funktionale Subsysteme von der zentralen Kontrolleinheit dissoziiert sind (vgl. auch Wagstaff 2004: 90). »One consequence of this hierarchical control of action is that much of behavior is performed automatically. Because consciousness is required only in the initial selection of the highest level source schema, in the absence of unexpected complications, complex acts can be performed with little or no awareness, and without intentional activation of the component behaviors« (Lynn 1997: 246).
Ich möchte an dieser Stelle die Thematik um Dissoziation und Automatizität verlassen und sie erst später bei der Entwicklung des Modells von Nichtwachheit wieder aufgreifen. Statt dessen möchte ich nun die Frage aufgreifen, ob es sich
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bei der Hypnose um einen nichtwachen Zustand handelt. Wie ich meine hat die Hypnoseforschung recht deutlich demonstriert, dass es sich bei der Hypnose nicht um einen spezifischen mentalen Zustand handelt. Die Frage, ob bei der Hypnose Nichtwachheit vorliegt, ist somit nicht sinnvoll. Richtig formuliert sollte die Frage lauten, ob manche der Phänomene, die heute unter dem Begriff Hypnose zusammengefasst werden, von Nichtwachheit geprägt sind. Vermutlich lässt sich diese Frage heute nicht beantworten, da die Hypnose bis heute zu wenig verstanden ist und die notwendigen empirischen Daten nicht existieren. Kirsch (2011a) vermutet, dass hoch suggestible Personen eine zusätzliche Fähigkeit besitzen, die bisher nicht von der Wissenschaft erfasst worden ist. Was man wohl sagen kann, ist, dass Phänomene, bei denen temporär eine fiktive Identität übernommen wird, von Nichtwachheit geprägt sein können. Dies muss aber nicht der Fall sein, da manche hypnotisierte Personen durchaus noch klar differenzieren können zwischen ihrer realen Persönlichkeit, und der Identität, die sie als Teil des hypnotischen Erlebens manifestieren. Manchmal wird jedoch die im Rahmen einer Regression erfahrene Identität auch dann noch für real gehalten, wenn keine Regression mehr vorliegt. Dies scheint ein Hinweis darauf zu sein, dass vorübergehend ein Zustand von Nichtwachheit vorgelegen hat. Da diese Menschen vorübergehend ein fiktives Selbstkonzept für ihre tatsächliche Identität gehalten haben, scheinen die Bedingungen der Möglichkeit für ein Erwachen vorzuliegen. Für die weitere Untersuchung von Nichtwachheit ist wichtig, dass für die Erklärung eines ungewöhnlichen Erlebens kein besonderer Bewusstseinszustand angenommen werden muss. Die gewöhnlichen Fähigkeiten des Bewusstseins genügen, um Erfahrungen zu ermöglichen, die aus dem Rahmen dessen fallen, was wir zumeist als normal bezeichnen. Es muss keine Pathologie vorliegen, damit Menschen die Wirklichkeit und sich selbst sehr anders wahrnehmen, oder sie ganz in eine fiktive Wirklichkeit abdriften. Man muss nicht das Gehirn durch die Trennung des Corpus Callosum in zwei Teile spalten, um massive Dissoziationen zu kreieren. Allein in Reaktion auf die Worte eines Hypnotiseurs ist es manchen Menschen möglich, sich als blind oder als gelähmt zu erfahren. Man kann die Kontrolle über seinen Körper, die Sinne oder auch das Gedächtnis und Aspekte des Denkens verlieren, oder das Wirken dieser Aspekte als automatisiert und fremdgesteuert empfinden. Und es ist, zumindest manchen Menschen, nicht einmal schwierig, dies zu erreichen. Wenn die »Hypnose« kein eigener Zustand ist, kann man in gewisser Weise behaupten, dass jeder Mensch mehr oder weniger »hypnotisiert« ist. Die Phänomene, welche in einem hypnotischen Setting gezielt aktiviert und verstärkt werden, existieren auch außerhalb der hypnotischen Situation. Reaktionen auf Suggestionen können sich in verschiedenen Kontexten manifestieren und uns beeinflussen. Zwischen dem sogenannten hypnotischen Erleben mit seinen besonderen Eigenschaften,
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und unserem alltäglichen Erleben, besteht ein fließender Übergang. Diese Kontinuität hat etwas zu tun mit der Metakognition, da hypnotische Phänomene durch metakognitive Fehler oder, wie im Fall der Absorption, durch die Abwesenheit von Metakognition gekennzeichnet sind. Wieder zeigt sich, dass die verschiedenen Weisen des Erlebens, welche das Bewusstsein ermöglicht, weniger als Entweder-oder, d. h. als klar differenzierbare mentale Zustände, als vielmehr als ein mehr-oder weniger im Sinne gradueller Übergänge verstanden werden sollten. Ich möchte nun einen besonderen Fall von Dissoziation in einem eigenen Abschnitt thematisieren. In gewisser Weise handelt es sich dabei um eine Zusammenfassung dessen, was bisher eingeführt worden ist.
3.2.6 Dissoziative Identitätsstörung und fiktives Selbstkonzept Bei einer Dissoziativen Identitätsstörung38 (DIS) existieren bei einem Menschen gleichzeitig verschiedene Identitäten, die abwechselnd sein Handeln und Wahrnehmen bestimmen. Dass es dieses Phänomen tatsächlich gibt wird heute nicht mehr ernsthaft bestritten, umstritten ist jedoch die Frage seiner Entstehung. Als eine Erklärung angeboten wird die dissoziative Traumatheorie, wie sie schon weiter vorn bei der Hypnose eingeführt worden ist: Missbrauch kann als Coping-Mechanismus zu einer Dissoziation des Erlebten führen, durch den das Trauma bewältigt werden soll. Die Idee ist, dass ein Mensch, wenn während eines traumatischen Geschehens seine Aufmerksamkeit ganz von diesem absorbiert wird, diese Erfahrung isoliert wird von seinem normalen Erlebnishorizont, so dass sie nicht integriert werden könne in seinen Erfahrungshaushalt. Als entkontextualisiertes Ereignis werde es vergessen in dem Sinne, dass kein bewusster Zugriff auf es mehr möglich sei. Dissoziierte Aspekte, so die Theorie, könnten als Ausgang für die Entwicklung von Persönlichkeitsanteilen führen, die so schlecht in die eigentliche Persönlichkeit integriert sind, dass sie ein Eigenleben führen und als eigene Identität verstanden werden müssen (vgl. Hildgard 1986: Kap. 2). Dieser Vorgang wird manchmal als eine Art Selbsthypnose interpretiert (Fiedler 1999: 180f.). Diese Traumatheorie wird von den Vertretern der soziokognitiven Erklärung der DIS abgelehnt (Spanos 1996, Lilienfeld/Lynn 2003). Sie meinen zeigen zu können, dass eine DIS in einem kulturellen Kontext innerhalb einer Therapie durch Erwartungen, Suggestionen, Erinnerungsarbeit, Hypnosen, Phantasiereisen und dem Druck der Autorität des Therapeuten bei entsprechend veran38 Vor dem DSM IV (»Diagnostic and Statistic Manual of Mental Disorders« 1994) wurde sie als Multiple Persönlichkeitsstörung (MPS) bezeichnet.
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lagten Klientinnen geschaffen wird: »multiple identities are established, legitimated, maintained, and altered through social interaction« (Spanos 1996: 4). Während also die Vertreter der Traumatheorie davon ausgehen, dass eine DIS sich als Reaktion auf eine schwere Traumatisierung entwickeln kann, geht der soziokognitive Ansatz von einer iatrogenen Erklärung aus, nach der eine DIS im Rahmen einer Therapie von bereits vorgeschädigten Personen entwickelt wird. Wie kann man sich das konkret vorstellen? Wenn eine Therapeutin von der Vorstellung ausgeht, dass eine Patientin über mehrere Identitäten verfügt, die sich gegenseitig nicht bewusst sind, können diese Identitäten geschaffen werden, indem sie konkret angesprochen werden. Die Therapeutin spricht die Patientin bspw. mit der Frage an, »Mit wem spreche ich gerade?«. Die Klientin weiß, worauf diese Frage abzielt, und antwortet dementsprechend aus einer personalen Perspektive, die nicht ihrer gewöhnlichen Persönlichkeit entspricht. Die Therapeutin glaubt, dass sie neue Identitäten entdeckt, während diese tatsächlich ad hoc konstruiert werden. Bei dieser »Entdeckung« immer neuer Identitäten handelt es sich nicht um einen Betrug der Klientin. Wir kennen dies bereits von der Entwicklung falscher Erinnerungen und der Manifestation falscher Identitäten in der Hypnose. »Because individuals who engage in role playing essentially ›lose themselves‹ in the enacted part, this phenomenon should not be confused with simulation or conscious deception« (Lilienfeld/Lynn 2003: 117). Während sich neue Identitäten, die innerhalb eines hypnotischen Settings entwickelt werden, sich bei gesunden Personen wieder auflösen, bleiben sie bei einer DIS bestehen. Das hat vermutlich zwei Gründe. Erstens ist eine Hypnose zeitlich begrenzt, während eine Therapie lange gehen kann und auf anderen Vorausetzungen basiert. Zweitens sind Personen, die in eine Therapie kommen, eher anfällig für die Entwicklung einer DIS. Es sind vermutlich in erster Linie Menschen, die an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leiden und über keine besonders integrierte Persönlichkeit verfügen, die unter den entsprechenden Umständen eine DIS entwickeln können. Es gibt eine Reihe an Hinweisen darauf, dass die soziokognitive Erklärung richtig ist (Lilienfeld/Lynn 2003: 110f., Spanos 1996: Kap. 18, Kihlstrom 2004, Lynn et al. 2012): – Bis in die 70er Jahre gab es kaum Fälle von DIS (bis 1970 waren es 79 gut dokumentierte Fälle, 1986 waren es 6000, 1998 geht man von ca. 40.000 Fällen aus). Dieser Anstieg fand statt, nachdem in einem Buch (»Sybil« 1973, F.R. Schreiber) und einem darauf basierenden Film die Geschichte einer misshandelten Frau mit 16 Persönlichkeiten veröffentlicht und das Wissen um diese Krankheit populär geworden war. – Die Anzahl zusätzlicher Identitäten hat dramatisch zugenommen: Vor den 70ern waren es gewöhnlich zwei oder drei, 1979 ca. 10, 1989 ca.13 und 1990 ca. 25 Identitäten.
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– Bei den Fällen bis in die 70er behaupteten die wenigsten Personen mit DIS als Kinder misshandelt worden zu sein, nach der Veröffentlichung von »Sybil«, wo diese Traumatheorie den Leute gelehrt worden war, wurde dies zum Normalfall (90 % und mehr). – Der behauptete Missbrauch basiert immer auf »verdrängten Erinnerungen« und wird während der Therapie »entdeckt«. – Der »erinnerte« Missbrauch ist öfters im Rahmen eines satanischen Rituals geschehen (Mitte der 80er hatten ca. 25 %, 1992 ca. 50 % aller Fälle von DIS Erinnerungen an rituellen satanischen Missbrauch; Spanos 1996: 271). Es gibt aber keinen rituellen satanischen Missbrauch, es handelt sich dabei um einen modernen Mythos. Er existiert ausschließlich in den scheinbaren Erinnerungen von Missbrauchsopfern, das heißt es hat noch nie einen empirischen Beweis dafür gegeben, dass so etwas wirklich existiert (Victor 1993)39. – Die zusätzlichen Identitäten sind zunehmend bizarrer geworden. Berichtet wird inzwischen von der Identität von Mr. Spock, Hühnern, Gorillas, Einhörnern, die Braut Satans und der Musikerin Madonna (Lilienfeld/Lynn 2003: 113). – Die meisten Klienten entwickeln erst in der Therapie Anzeichen für DIS, und das erst nach einer durchschnittlichen Therapiezeit von sechs bis sieben Jahren (Lilienfeld/Lynn 2003: 122, vgl. Spanos 1996: 259ff.). Während die Traumatheorie hier von Komorbiditäten wie einer Borderline-Persönlichkeitsstörung ausgeht, vermutet der soziokognitive Ansatz, dass Personen mit Borderline anfällig sind für die Entwicklung einer DIS innerhalb einer Therapie. – 66 % aller Fälle von DIS werden von 0,09 % aller Therapeuten entdeckt. 90 % aller Therapeuten hatten auch nach mehreren Jahrzehnten noch nie einen solchen Fall (Lilienfeld/Lynn 2003: 123). – Es gibt einen starken kulturellen Einfluss auf die DIS. So gab es bis 1990 in Japan keinen einzigen Fall (Lilienfeld/Lynn 2003: 125). 39 »[T]he recent association of MPD with reports of ritual satanic abuse are much more likely to reflect-therapy-induced confabulations generated by the infusion of fundamentalist Christian ideology into the MPD movement than the existence of a massive 50-year-old secret conspiracy that has murdered thousands of people without leaving a trace of evidence« (Spanos 1996: 302f.). Mulhern (1991) beschreibt, wie es dazu gekommen ist, dass das Konzept rituellen satanischen Missbrauchs von Teilen der Psychotherapieszene als real erachtet wurde und durch welche Mechanismen und Strukturen es propagiert worden ist. Die Vorstellung eines rituellen Missbrauchs durch geheime Organisationen ähnelt dem Hexenwahn der Neuzeit und hat wie dieser viel Unheil angerichtet. Durch diese Phantasie wurden Kinder traumatisiert, Familien zerstört und unschuldige Menschen ins Gefängnis gebracht. In dieser BBC Dokumentation wird berichtet, wie das Thema aus den USA nach Großbritannien geschwappt ist und dort viel Unheil angerichtet hat: http://www.bbc.co.uk/ programmes/b05vx63j.
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Nach der soziokognitiven Erklärung ähnelt die Entstehung einer DIS der Entwicklung einer Identität als Incest Survivor ohne realen Missbrauch. Es ist Menschen möglich, innerhalb einer bestimmten sozialen Situation ein Selbstkonzept zu entwickeln, das nichts mit ihrer Vergangenheit zu tun hat, inklusive falscher Erinnerungen. Für Spanos ist die DIS als Multiple Identity Enactment ein Phänomen in einer Reihe mit dämonischer Besessenheit (vgl. Goodman 1980, 1988), spiritistischen Medien, Glossolalie (»Sprechen in Zungen«) und manchen sogenannten hysterischen Phänomenen des 19.Jh. Das bedeutet nicht, dass die DIS nicht real ist oder dass es sich dabei nur um ein Spiel handelt. Sie ist eine echte Störung und wer darunter leidet, benötigt sicherlich Hilfe. Um klar demonstrieren zu können, dass eine DIS eine nichtwache Erfahrung darstellt, liegen nicht genügend empirische Daten vor. Es gibt einen Hinweis, dass die Überwindung einer DIS die Merkmale eines Erwachens hat. Im Fall der bereits weiter oben erwähnten Nadean Cool, die im Verlaufe ihrer Therapie mehrere hundert Persönlichkeiten bei sich »entdeckte«, darunter eine Ente, wissen wir, dass sie ihre Therapeutin verklagt hat und diese eine hohe Summe Schadensersatz leisten musste (Loftus 1997). Nadean Cool war sich bewusst geworden, dass etwas falsch läuft bei ihr und erkannte, dass ihre Therapeutin dafür verantwortlich ist. Auch Patricia Burges, die zeitweise glaubte, 300 verschiedene Identitäten zu besitzen, verklagte erfolgreich ihren Psychiater. Die These ist, dass diese Frauen aufgewacht sind und ihre wirkliche Situation erkannten. Ein anderer Hinweis, dass eine DIS mit Nichtwachheit einhergeht, ergibt sich aus dem Zusammenhang von DIS und Träumen (Barrett 1994). Jede Nacht erzeugt der Mensch in Träumen teilautonome Identitäten. Traumatische Ereignisse können den Gestalten des Traums mehr Autonomie verleihen und dazu führen, dass sie sich öfter als üblich manifestieren. Es hat eine gewisse Plausibilität, anzunehmen, dass manche Gestalten der Träume nicht nur vorübergehend phantasiert werden, sondern dass es sich bei ihnen teilweise um Manifestationen von längerfristig existierenden Aspekten und Zuständen der Persönlichkeit handeln kann. Das ist es jedenfalls, was sie einem innerhalb eines luziden Traums erzählen können. Bei manchen Traumpersonen handelt es sich wohl um wenig integrierte Aspekte der Persönlichkeit. Deirdre L. Barrett hat die These formuliert, dass Persönlichkeitsanteile, die sich normalerweise als teilautonome Gestalten nur in Träumen manifestieren, sich bei einer DIS auch außerhalb des Traums im Bewusstsein instantiieren können. Ein Hinweis hierauf ist, dass 57 % aller Frauen mit DIS berichten, dass sie dissoziierten Identitäten in Träumen begegnen. »Six patients (26 %) had personalities who reported the same dream from different perspectives, and experienced each other as characters in it« (Barrett 1994: 131). Manchmal verwechseln betroffene Frauen sogar eine Erfahrung, die sie durch eine dissoziierte
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Identität erfahren, mit einem Traum (was ein Beispiel für ein fehlerhaftes Source Monitoring ist, welches ich später einführen werde). Die These von Barrett, dass derselbe Prozess, der zur Bildung von Traumgestalten innerhalb des Traums führt, zur Bildung von dissoziierten Identitätszuständen außerhalb des Traums führt, wird unterstützt von der im ersten Teil vorgestellten Erkenntnis, dass die drei zentralen Zustände von REM, NREM-Schlaf und Alltagsbewusstsein nicht immer voneinander getrennt sind. Auch wenn es sich bei einer DIS um ein in der Therapie entwickeltes Phänomen handelt darf man nicht vergessen, dass nur Menschen mit einer längeren Vorgeschichte und vermutlich einer BorderlinePersönlichkeitsstörung eine DIS entwickeln. Eine DIS wäre der Ausdruck einer fragmentierten bzw. einer nur gering integrierten Persönlichkeit, so dass ein Teil des Erlebens durchaus einen traumartigen Charakter annehmen kann.
3.2.7 Emotionale Störungen und Konzepte Kognitive Verhaltenstherapie Die Generalisierte Angststörung und die Depression sind aus mindestens zwei Gründen für die Frage nach der Wachheit interessant. Der erste ist natürlich die wie mir scheint plausible Vermutung, dass sie mit Nichtwachheit einhergehen. Dies bringt zweitens den Vorteil mit sich, dass für die spätere Modellierung von Nichtwachheit auf eine Menge theoretisches und empirisches Material zugegriffen werden kann. Beide emotionale Störungen sind gut erforscht, und mit der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) existiert eine Therapie, durch die sie relativ erfolgreich behandelt werden können. Die KVT entwickelte sich aus der Verhaltenstherapie, und diese basierte auf dem Behaviorismus. Dieser glaubte Menschen verstehen zu können anhand des Verhaltens von Tauben, die in einem Käfig auf ein Schalterchen drücken, um Futter zu bekommen. Das behavioristische Modell wurde ab den 1950er Jahren zunehmend aufgegeben, da man erkannte, dass auf die Kognition nicht verzichtet werden kann (Gardner 1989). Es kam zu dem, was man als kognitive Revolution bezeichnet hat, die Verhaltenstherapie entwickelte sich weiter zur Kognitiven Verhaltenstherapie. Die ab den 70er Jahren fest etablierte Kognitionspsychologie basiert auf der Vorstellung, dass die Kognition als informationsverarbeitendes System konzeptionalisiert werden kann, das auf der Basis von Schemata / Konzepten die Wirklichkeit verarbeitet (vgl. Lachman/Lachman 1986). Eine der frühesten kognitiven Therapien bspw., die von Albert Ellis ab Ende der 50er Jahre entwickelte »RationalEmotive Verhaltens Therapie«, basiert auf dem Grundsatz, dass Menschen entweder auf der Basis von rationalen oder von irrationalen Überzeugungen handeln. Da irrationale Überzeugungen zu Problemen führen besteht die Therapie darin, den Klienten bei der Entwicklung rationaler Überzeugungen zu
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unterstützen (vgl. David et. al 2010). Während der Behaviorismus von einer Kausalität von auslösendem Reiz auf die emotionale Reaktion ausging, ist die kausale Kette des kognitiven Ansatzes Reiz – Kognition – Reaktion. Bei Ellis wird dieser Zusammenhang durch das ABC-Modell dargestellt. A steht für ein aktivierendes Ereignis, den Trigger. B steht für Beliefs, für Überzeugungen, Gedanken und Vorstellungen. Und C steht für Consequence. Der Ansatz der KVT ist, beim B anzusetzen, um das C zu verändern. »Die These, dass die spezielle Bedeutung eines Ereignisses die emotionale Reaktion darauf bedingt, bildet den Kern des kognitiven Modells der Emotionen und der emotionale Störungen: die Bedeutung ist in eine Kognition – einen Gedanken oder ein Bild – eingeschlossen« (Beck 1979: 47, für eine Weiterentwicklung vgl. Beck 1996).
Nach Ellis war es vor allem der eben zitierte Aaron T. Beck (*1921), der die KVT seit den 60er Jahren entwickelte und sie zur heute wichtigsten Therapierichtung gemacht hat (Beck 1979). Beck, selbst als Psychoanalytiker ausgebildet, wendete sich enttäuscht von der Psychoanalyse ab als er erkannte, dass sie Depressionen nicht erklären könne. Er begann statt dessen mit der Idee zu arbeiten, dass Menschen selbst Ereignissen Bedeutung zuweisen und ihre emotionalen Reaktionen davon abhängen, wie sie das tun40. Wenn Psychologen den Begriff Bedeutung benutzen hat dieser nicht dieselbe Bedeutung wie in der Philosophie. Bedeutung im psychologischen Sinne bezieht sich auf den Umstand, dass Menschen auf ein und dasselbe Ereignis unterschiedlich reagieren und das Ereignis daher verschiedene subjektive Bedeutungen haben muss. Reaktionen können nicht ausschließlich durch den Reiz erklärt werden, sondern durch die Art und Weise, wie dieser wahrgenommen wird. Die Reaktion ist bestimmt durch ein Urteil bzw. eine Einstellung, also durch etwas, das sich als Proposition oder Bild darstellen lässt. Subjektive Bedeutung wird in diesem Ansatz also durch Konzepte erzeugt, und diese können dargestellt werden als Überzeugungen mit einer konditionalen Struktur. Das Selbstkonzept, eine Überzeugung über die eigene Person, bspw., dass man ein ängstlicher Mensch ist, kann einhergehen mit der Überzeugung: »Wenn ich mich auf andere einlasse, werde ich abgelehnt« (Beck 1996: 14). Schemata bzw. Konzepte sind die informationsverarbeitenden Strukturen oder Bausteine des kognitiven Systems, »enduring structural representations of human experience […] that direct the identification, interpretation, categorization and evaluation of experience« (Clark/Beck 2010: 419). 40 In der Literatur der KVT wird gerne auf die Stoa verwiesen (Epiktet: »Was die Menschen bewegt, sind nicht die Dinge an sich, sondern die Ansichten, die sie von ihnen haben«. Marc Aurel: »Wenn dir irgendein äußeres Faktum Schmerzen bereitet, dann ist es nicht das Faktum als solches, was dich quält, sondern dein eigenes Urteil darüber«).
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Die These der KVT ist, dass emotionale Störungen durch eine fehlerhafte bzw. dysfunktionale Informationsverarbeitung des kognitiven Systems verursacht werden. Inzwischen, so werden wir noch sehen, wird dieser Ansatz auch auf psychotische Phänomene angewendet, entwickelt wurde er jedoch vor allem zur Erklärung von Depression und Angststörungen. Depression und Angststörung Verkürzt formuliert ist die Depression eine Krankheit, bei der Betroffene über einen längeren Zeitraum niedergeschlagen sind und sich nicht länger motiviert fühlen. Bei der Generalisierten Angststörung kommt es über einen längeren Zeitraum zu Angst und Sorgen, die als kaum kontrollierbar empfunden werden. Dies geht mit einer erheblichen Beeinträchtigung des Lebens einher. Zusätzliche Symptome sind Reizbarkeit, Druck und Konzentrationsprobleme, aber auch Traurigkeit und Wut. Häufig gehen Angstpatienten nicht wegen psychischer, sondern wegen körperlicher Symptome zum Arzt. Den Unterschied zwischen Generalisierter Angststörung und Phobien lässt sich anhand der Unterscheidung von Angst und Furcht erklären. Angst ist ein Gefühl und kein Konzept. Bei einer Furcht ist Angst auf etwas gerichtet, so dass Furcht konzeptionell gebunden ist. Bei einer Phobie wird Angst durch einen Reiz ausgelöst, so dass die Möglichkeit besteht, dem Reiz auszuweichen. Ein bekanntes Beispiel ist die weit verbreitete milde Spinnenphobie. Bei der Generalisierten Angststörung ist Angst nicht an ein spezifisches Furchtkonzept gebunden. Sie kann durch vieles ausgelöst werden, was mit einem hohen Maß an Angst, Nervosität und Unsicherheit einhergehen kann (vgl. Beck 1979: Kap. 6). Niedergeschlagenheit und Angst sind normale Reaktionen auf Lebensereignisse von Verlust und Unsicherheit, doch nicht jeder Mensch entwickelt deswegen eine emotionale Störung. Die heutigen Therapiemodelle gehen alle davon aus, dass Menschen aufgrund vergangener Erfahrungen eine Vulnerabilität aufweisen können, also eine verminderte Fähigkeit, mit problematischen Erfahrungen in der Gegenwart auf eine gesunde Weise umzugehen (Grawe 2004). Ihr Coping bzw. ihre Selbstregulierungsfähigkeit ist nur eingeschränkt in der Lage, schwierige Ereignisse erfolgreich zu verarbeiten. Die wichtigsten Faktoren, die zu einer höheren Vulnerabilität führen, sind eine unsichere Bindung in der Kindheit, Traumata, und ein genetischer Faktor. Wenn ein anstrengendes Lebensereignis und eine Vulnerabilität zusammentreffen, kann sich eine emotionale Störung entwickeln. Nicht adäquate Coping-Mechanismen sind eine defizitäre Informationsverarbeitung des kognitiven Systems. Ein Ereignis, das nicht an sich zu psychischen Problemen führen muss, wird durch eine dysfunktionale mentale Verarbeitung (z. B. eine Verlusterfahrung bei der Depression oder eine Bedrohung bei Angststörungen) zum Anlass eines pathologischen Prozesses.
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»If your understanding of what is happening is accurate, your emotions will be normal. If your perception is twisted and distorted in some way, your emotional response will be abnormal« (Burns 1980: 39).
Eine leidvolle Erfahrung kann eine Störung verursachen, wenn sie dysfunktional verarbeitet wird, und es ist diese kognitive Struktur, welche die Störung aufrecht erhält und Heilung verhindert (Beck/Clark 1988, Moretti/Shaw 1989). Um diesen Zusammenhang besser zu verstehen wird es wohl nicht schaden, an dieser Stelle die Denkfehler zu nennen, die mit der Depression verbunden sind (Burns 1980). 1. Alles oder Nichts-Denken: Die Grundlage für Perfektionismus. Wenn etwas oder jemand als nur gut oder als nur schlecht eingestuft wird, kann dieses Urteil der Realität nicht gerecht werden. Depressive Menschen tendieren dazu, sich als nur schlecht zu beurteilen. 2. Generalisierung: Wenn man bspw. einmal abgelehnt worden ist bildet man sich ein, dass einen nun alle Männer oder Frauen ablehnen werden. 3. Mentale Filter : Die meisten Erfahrungen haben eine positive und eine negative Seite, manche Menschen sehen nur das Negative und filtern das Positive aus. 4. Das Positive abwerten, »one of the most destructive forms of cognitive distortion« (Burns 1980: 44). »Ich hab das nur wegen meiner Frau (oder meinen Eltern) hinbekommen, alleine kann ich nichts und bin ich nichts«. 5. Jumping to Conclusions: a) Gedankenlesen (man geht bspw. von der Phantasie aus, dass andere negativ von einem denken), b) Fortune Teller Error (man kündigt sich selbst Negatives an: »Ich werde in diesem Beruf/Beziehung/Rolle versagen«) 6. Vergrößerung und Verkleinerung: Negatives wird überbewertet (Katastrophisieren), Positives wird verkleinert. 7. Emotionales Denken (Emotional Reasoning): Gefühle werden mit der Wirklichkeit verwechselt, man denkt auf der Basis einer Stimmung und geht davon aus, dass diese adäquat die Realität widerspiegelt. 8. Sollen / Müssen – Denken: Anstatt zu denken, dass man etwas tun möchte, redet man sich ein, dass man es tun muss. Man überfordert sich selbst durch irreale Ansprüche und bringt sich so keinen Respekt entgegen. 9. Labelling: Wenn man bspw. einen Fehler gemacht hat wird das Urteil gefällt: »Ich bin ein X«. Die Komplexität der Person wird auf ein einfaches Label reduziert. 10. Personalisierung: Die Verantwortung für etwas übernehmen, für das man nicht verantwortlich ist. Denkfehler beeinflussen als Konzepte die Verwendung der Aufmerksamkeit. Sie führen dazu, dass depressive Menschen gezielt auf emotional Belastendes achten
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(McCabe/Gotlib 1993) und alltägliche Ereignisse negativ interpretieren. Bei einer Angststörung kommt es zu einer Fokussierung auf diejenigen Aspekte des Lebens, die als bedrohlich empfunden werden können. Diese kognitiven Verzerrungen (Cognitive Biases) werden nicht bewusst vorgenommen41. Denkfehler sind meistens keine bewusst entwickelten Gedanken, sondern automatisierte mentale Prozesse, die durch einen Reiz angestoßen werden und als solche die Vulnerabilität darstellen. Sie können als etwas empfunden werden, das sich einem aufdrängt, ohne dass man dies will. »Intrusive negative thoughts are among the most distressing symptoms of depression« (Moretti/Shaw 1989: 383). Automatische Gedanken sind nicht unbewusst in der Hinsicht, dass sie nicht wahrgenommen werden können, auch wenn sie häufig tatsächlich nicht bewusst registriert werden. Die KVT versucht Patienten beizubringen, sich automatischer Gedanken bewusst zu werden und ihren mangelnden Realitätsgehalt zu erkennen. Beispielsweise kann jedes Mal, wenn man an eine Prüfung denkt, der Gedanke aktiviert werden, »Ich werde durch die Prüfung fallen«. Dieser Gedanke ist falsch, da man die Zukunft nicht kennt (Fortune Teller Error). Er kann jedoch als sich-selbst-erfüllende Prophezeiung wirken, was zur Bildung von Teufelskreisläufen führen kann. Weil man sich einredet, durch eine Prüfung zu fallen, fällt man letztlich tatsächlich durch und bestätigt sich in seinem irrationalen Gedanken, so dass man Prüfungen nun noch mehr fürchtet. Prüfungsangst lässt sich reduzieren, wenn man erkennt, dass die Prophezeiung »Ich werde durch die Prüfung fallen« sich ein Wissen anmaßt, welches die Person nicht haben kann. Die Relevanz automatisierter mentaler Prozesse wird deutlich durch die Tatsache, dass Personen, die schon einmal an einer schweren Depression erkrankt sind, eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, wieder depressiv zu werden. Der Grund dafür ist, dass eine unglückliche Phase (Dysphorie) alte mentale Muster reaktivieren kann, die noch nicht wirklich überwunden worden sind. Konkret kann dies bedeuten, dass es zur Rumination kommt, einem Denken, welches sich um eine negative Sicht der eigenen Person dreht, verbunden mit einem Fokus auf depressive Symptome und der Frage, wie es dazu gekommen ist, welche Konsequenzen es hat, und wie man die Depression wieder los wird. Rumination (»grübeln«) hat das Ziel das Erleben zu verändern und ist motiviert von dem Versuch, das eigene Erleben zu vermeiden (Teasdale 2004: 272). Leider verschlimmert es die Situation und stabilisiert die Probleme. Eine Möglichkeit, 41 Bei einer Dichotic Listening Task hört das Subjekt links und rechts verschiedene Wörter, in diesem Fall Wörter mit einer emotional neutralen oder negativen Bedeutung. Die Subjekte sollten den Kanal mit den emotional negativen Wörtern ignorieren und gleichzeitig bei einem entsprechenden Signal auf einen Schalter drücken. Angstpatienten benötigen mehr Reaktionszeit für das Drücken des Schalters und berichteten gleichzeitig, keine Wörter mit einem emotional negativen Inhalt gehört zu haben. Diesen Effekt gibt es nicht bei Menschen ohne Angsterkrankung (Gotlieb/MacLeod 1997: 360f.).
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wie man aus heutiger Sicht am besten in einer solchen Situation vorgeht, werde ich später präsentieren (3.3.7). Bei einer Angststörung fühlt man sich mehr oder weniger ständig bedroht und glaubt, dass man Gefahren mehr oder weniger hilflos ausgeliefert ist. Menschen, die Probleme mit Ängsten haben, denken häufig über Gefahren nach und machen sich viele Sorgen. Sie produzieren habituell auch in Reaktion auf objektiv unproblematische Ereignisse sorgenvolle Gedanken und Angstphantasien, d. h. sie katastrophisieren. »Manche Menschen geraten derart in den Sog dieser selbstproduzierten Phantasien, dass diese schließlich ihr Verhalten und ihre Emotionen beherrschen« (Beck 1979: 68, kursiv HS). Wie bei der Depression ist die Wahrnehmung bei Angststörungen einseitig und geprägt von einem Cognitive Bias. Es werden verstärkt potenziell angstauslösende Stimuli wahrgenommen (Selective Attentional Bias), und zweideutige Stimuli werden auf eine angststimulierende Weise interpretiert (Interpretative Bias) (Eysenck 1997, 2000: 464). Dabei werden Befürchtungen nicht nur in Reaktion auf Ereignisse entwickelt, sondern es wird gezielt Ausschau gehalten nach potenziellen Gefahren. »Those high in anxiety have a pre-attentive selective bias favoring the processing of threatening rather than neutral stimuli, whereas those low in anxiety have the opposite bias. There is in consequence a difference in the content of the information to which attention is directed« (Eysenck 1991: 129).
Diese einseitig orientierte Wahrnehmung bedeutet, dass »Danger and threat related schemas« dazu verwendet werden, die Aufmerksamkeit zu steuern und den Selective Attentional Bias erzeugen. Das Konzept der Bedrohung bestimmt die Aufmerksamkeit. Wie bei der Depression können diese Tendenzen unbewusst und automatisiert sein (Beck/Clark 1988). »In general terms, it is only the products of those cognitive biases and opposite cognitive biases which normally enter conscious awareness« (Eysenck 1997: 56). Da man sich seiner Gefühle bewusst ist, aber nicht ihrer Ursachen, besteht die Tendenz, dass auslösende Ereignis als Ursache seiner Gefühle zu interpretieren, und nicht die Verarbeitung dieses Reizes. In diesem Fall besteht die Möglichkeit, dass bspw. andere Menschen für ein Gefühl verantwortlich gemacht werden, für das man tatsächlich selbst verantwortlich ist. Wir werden den emotionalen Störungen im Laufe der Untersuchung noch ein paar mal begegnen, doch an dieser Stelle sollte bereits auf die Frage eingegangen werden, ob es plausibel ist davon auszugehen, dass sie die Eigenschaft der Nichtwachheit haben. Es ist vermutlich zunächst wichtig sich klar zu machen, dass diese Störungen nichts sind, was irgendwie nebenher existiert. Sie beherrschen letztlich das ganze Leben und können tatsächlich zu einer starken
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Verfremdung der Wirklichkeit führen. So gilt für Angststörungen, dass sie mit folgenden Merkmalen einhergehen: »(a) certain sensory-perceptual symptoms such as feelings of unreality, hypervigilance and self-consciousness; (b) thinking difficulties such as poor concentration, inability to control thinking, blocking, and difficulty reasoning; and (c) conceptual symptoms like cognitive distortions, fear-related beliefs, frightening images and frequent automatic thoughts« (Beck/Clark 1996: 51).
Die Auswirkungen einer Angststörung können massiv sein, sie umfassen: »(a) autonomic arousal – preparation for enacting defensive behaviors such as flight or flight; (b) behavioral mobilization and inhibition – escape and avoidance behavior aimed at reducing risk and danger ; (c) primal thinking – a narrowing or constriction of cognitive processing onto the threat stimulus as well as the production of repetitive, involuntary automatic thoughts and images involving possible threat and danger ; (d) a feeling of fear – which motivates the individual for action; and (e) hypervigilance for threat cues« (Beck/Clark 1996: 52).
An einer Angsterkrankung zu leiden bedeutet nicht nur, das Gefühl der Angst öfters als andere zu erleben. Die Störung geht einher mit der Konstruktion einer eigenen Wirklichkeitserfahrung, die von einer gewissen Ausschließlichkeit und einem metakognitiven Defizit geprägt ist. Neurologisch drückt sich dies dadurch aus, dass die Heilung von Depression und Angststörung mit einem Rückgang der chronischen Aktivierung der Amygdala und einer zunehmende Aktivierung des präfrontalen Kortex einhergeht. Bei einer Heilung kommt es daher zu einem Wandel einer automatisierten Bottom-up Steuerung zu einer zunehmenden Topdown Steuerung der Aufmerksamkeit »It is increasingly recognized that anxiety and depression, in particular, involve selective activation of automatic (i. e. bottom-up) cognitive processes possibly emanating from sustained activation of negative representational structures (i. e. schemas) and selective impairment in elaborated cognitive control responsible for the inhibition of negative material« (Clark/Beck 2010: 421).
Emotionale Störungen gehen also mit einem Regulierungsdefizit einher. Nach der Attentional Control Theory ist die Fähigkeit der autonomen Steuerung der Aufmerksamkeit umso schwächer, je größer die Angst ist, d. h. es kommt durch Angst zu einer Schwächung der Central Executive Function der Psyche (Eysenck/ Derakshan 2011). Es ist daher verständlich, dass Angst die Flexibilität der Aufmerksamkeit reduziert. Eine eingeschränkte Fähigkeit, die Aufmerksamkeit bewusst zu lenken, kann bis zu einem gewissen Grad kompensiert werden durch eine größere Selbstkontrolle im Sinne der Strength Control Theory von Baumeister (Baumeister et al. 1998, Englert/Bertrams 2015). Diese Möglichkeit der Kontrolle der Aufmerksamkeit ist jedoch begrenzt, da dem Menschen nur eine bestimmte Menge an Energie zur Verfügung steht. Besonders in stressigen Si-
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tuationen kann es bei einem Cognitive Overload unmöglich sein, bewusst gegen automatisierte Prozesse anzuwirken (dazu später mehr, 3.3.5.1). Für die Einschätzung, ob emotionale Störungen auch nichtwache Phänomene sind, ist dies wichtig. Eine reduzierte Kontrolle der Aufmerksamkeit ist eine Möglichkeit, um ein Gefühl eines »weniger da seins« zu erklären. Wer in einem geringeren Maße als andere in der Lage ist, seine Aufmerksamkeit bewusst zu steuern, da sie von unbewussten Konzepten gelenkt wird, fühlt sich weniger autonom. Es scheint plausibel, dass eine höhere Autonomie dazu führt, dass sich Menschen präsenter fühlen. Ein starker Hinweis auf die Nichtwachheit der emotionalen Störungen scheint mir zu sein, dass Depression und Angststörungen mit einem Traum verglichen werden: »Manche Patienten vergleichen die Seltsamkeit ihrer Erlebnisse mit Eindrücken bei der Narkotisierung, mit einem ›schlechten Trip‹ unter Drogeneinfluss oder mit Alpträumen« (Beck 1979: 68).
Wie bei den bereits eingeführten nichtwachen Phänomenen haben auch die emotionalen Störungen einen Effekt auf das Selbstkonzept der Person. Wir begegnen hier wieder einer mangelnden Klarheit, die bereits beim Selbstbetrug als ein Begleitphänomen einer reduzierten Selbstachtung eingeführt worden war. »Obwohl er imstande sein kann zu identifizieren, wer er ist und wo er sich befindet, kann er hinsichtlich seiner Identität unsicher sein« (Beck 1979: 69). Dies ist nicht erstaunlich, da depressive Menschen ein negatives Selbstbild entwickeln, welches nicht den Tatsachen entspricht. Angstgestörte Menschen tendieren dazu, ihre Fähigkeiten geringer einzuschätzen, als sie es tatsächlich sind. Sie glauben vielleicht, dass sie unfähig sind mit problematischen Ereignissen umzugehen, obwohl sie das schon oft bewiesen haben. Sie bilden sich ein, sehr viel verwundbarer und inkompetenter zu sein, als sie es wirklich sind (Beck/Clark 1996: 51). Depressive und angstkranke Menschen verstehen sich nicht und haben ein falsches Selbstkonzept, das zu einem starken Gefühl von Hilflosigkeit führen kann. Das Ende einer emotionalen Störung geht sicherlich mit einem Erkennen von Wirklichkeit einher. Dies ist nicht erstaunlich, da diese Störungen ja gerade auf kognitiven Filtern und Einschränkungen basieren und häufig von dysfunktionalen Phantasien begleitet werden. Von einer emotionalen Störung geheilt zu werden heißt sich selbst und die Wirklichkeit besser zu verstehen. Da emotionale Störungen eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensmöglichkeiten mit sich bringen, führt ihre Überwindung zu einer Zunahme an Möglichkeiten. Ein Aspekt dieser Zunahme ist, dass die Aufmerksamkeit nicht mehr ständig von automatisch aktivierten Konzepten bestimmt wird. Der Mensch ist somit nicht mehr von vornherein festgelegt, wie er die Dinge zu verstehen hat.
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Da die emotionalen Störungen gut erforscht sind werden sie im weiteren Verlauf der Untersuchung noch einige male angesprochen werden. Es wird, wie ich hoffe, so zunehmend plausibler, dass sie mit Nichtwachheit einhergehen. Ein Aspekt, der sie besonders interessant macht, ist, dass an ihnen der therapeutische Nutzen der Achtsamkeit als einer spezifischen Form von Aufmerksamkeit untersucht worden ist (3.8). Dies scheint mir ein wichtiger Baustein für ein besseres Verständnis von Nichtwachheit und Wachheit zu sein. Bevor wir uns jedoch näher mit der Frage beschäftigen, welche Art von Aufmerksamkeit für die psychische Gesundheit heilsam ist, bitte ich um etwas Geduld, da zunächst eine weitere psychische Störung thematisiert werden sollte.
3.2.8 Psychose und Kontinuitätsthese Psychotische Symptome können bei psychischen Störungen wie Schizophrenie, Depression, posttraumatischer Belastungsstörung und Zwangsstörungen auftreten. Bei der Dissoziativen Identitätsstörung treten sie öfter auf, als bei der Schizophrenie. Bei einer psychotischen Erfahrung geht die Verbindung mit der Wirklichkeit verloren, es kommt zu wahnhaften Überzeugungen42 und Halluzinationen. Der häufigste Wahn ist die Paranoia und die häufigsten Halluzinationen sind auditiv, das heißt es werden Stimmen gehört (Chadwick/Birchwood/ Trower 1996). Lange Zeit wurde fast ausschließlich versucht, diese Phänomene auf der Basis des biologischen Modells zu verstehen und zu heilen. Nach diesem ist die Psychose ein Neurotransmitterungleichgewicht des Gehirns (Dopamindysregulation im präfrontalen Kortex43). Psychopharmaka sind Mittel, welche auf die Neurotransmitter wirken und so zu einer Heilung führen sollen44. 42 »Pathological delusions are anomalies of judgement or belief commonly revolving around themes of persecution, grandeur, love and jealousy, and inferiority. They are false and even implausible beliefs that are assumed to be self-evident, and they are held with intense conviction by the believer, who shows a great deal of ego-involvement and preoccupation with them« (Kihlstrom/Hoyt 1988: 77). Zu den Schwierigkeiten, eine wahnhafte Überzeugung zu definieren vgl. Bell et al. 2006 und Chadwick/Birchwood/Trower 1996: 11ff. 43 »The dopamine hypothesis of schizophrenia proposes that the psychotic symptoms of the disorder result from hyperactivity of the mesolimbic dopaminergic system, which fires and releases dopamine independent of cue and context, creating experiences of aberrant novelty and salience« (Garety 2007: 1379). 44 Natürlich wird auch die Depression auf diese Weise versucht zu erklären, und bekanntlich werden auch hier chemische Mittel eingesetzt. Irving Kirsch kam von der Hypnoseforschung und seinem Interesse am Placeboeffekt zur Erforschung der Wirksamkeit von Antidepressiva. In einer ersten Studie stellte er fest, dass die Placebowirkung von Antidepressive größer ist als ihr pharmakologischer Effekt (25 % stoffliche Wirkung, 50 % Placeboeffekt, Kirsch 1999, 2011). Antidepressiva haben Nebenwirkungen. Wenn in einer Studie ein Teilnehmer, der nicht weiß, ob er ein Placebo oder Antidepressive bekommen hat, Nebenwirkungen bei
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Der biologische Ansatz wurde seit den 90er Jahren zunehmend um eine kognitive Perspektive ergänzt (vgl. O’Connor 2009, Beck/Rector 2003). Die Grundidee ist, dass ungewöhnliche Erfahrungen zwar biologisch verursacht sein können, dass sie jedoch nicht hinreichend sind für die Entstehung einer Psychose. Hierfür müssen zusätzlich verschiedene problematische kognitive Prozesse existieren (vgl. Garety et al. 2007). Die verschiedenen Modelle der Entstehung einer Psychose sind im Vergleich zu den emotionalen Störungen noch relativ wenig entwickelt. Man konzentriert sich vor allem auf paranoide Formen des Erlebens, da diese weniger komplex zu sein scheinen. Für diese Untersuchung ist es nicht notwendig, auf die Feinheiten des derzeitigen Forschungsstandes einzugehen und die unterschiedlichen Modelle genau vorzustellen. Entscheidend ist es, die Grundidee zu verstehen. Die Erweiterung der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) auf psychotische Phänomene begann mit einem Aufsatz von Brendan Maher (1988). Maher entwickelt in diesem Aufsatz das, was heute als der »anomalous experiences account of delusions« bezeichnet wird. Die These ist, dass wahnhafte Überzeugungen auf der Basis ungewöhnlicher Erfahrungen entwickelt werden. Eine ungewöhnliche Erfahrung kann eine Halluzination sein, oder eine Erfahrung mit einer ungewöhnlichen Intensität, bei der etwas als äußerst bedeutungsvoll empfunden wird, oder auch eine starke Ahnung, von anderen verfolgt zu werden: »The argument, simply put, is that odd experiences lead to odd ideas« (Freeman 2006: 432). Während Maher noch dachte, dass eine ungewöhnliche Erfahrung eine ungewöhnliche Erklärung benötigt, damit in ihr ein Sinn erkannt werden könne, betont die spätere Forschung, dass ungewöhnliche Erfahrungen nicht zu einer psychotischen Störung führen muss. Seltsame Erfahrungen müssen nicht seltsam erklärt werden. Die kognitive Perspektive auf psychotische Phänomene ist verbunden mit einem Wandel vom kategorialen hin zum graduellen Modell der Psychose (Garety 2007: 1382, Beck/Rector 2005: 590, van Os et al. 2009). Das kategoriale Modell geht von einem kategorischen Unterschied zwischen psychischer Gesundheit und Störung aus. Gesundheit und Störung werden als grundversich beobachtet, erwartet er, dass es ihm bald besser gehen wird. In diesem Fall hat die Droge mehr Wirkung als das Placebo, weil sie als Superplacebo wirkt. Bereits diese Studie von Kirsch war umstritten. Um seine Ergebnisse zu validieren beantragte Kirsch bei der amerikanischen Arzneimittelzulassungsbehörde, der U.S. Food and Drug Administration, die Herausgabe aller Daten, die von Pharmaunternehmen eingereicht worden waren, um ihre Medikamente zugelassen zu bekommen. Nun zeigten die Daten, dass es keine signifikante Wirkung von Antidepressiva außerhalb der Placebowirkung gibt – und dass sich die FDA dessen verstörender Weise bewusst gewesen ist. Kirsch lehnt inzwischen die Neurotransmittertheorie als Ursache von Depressionen ab. Wenn Stoffe, welche den Serotoninhaushalt des Gehirns beeinflussen, keine direkte Auswirkung auf die Depression haben, ist eine Depression nicht zu erklären über einen Mangel an Serotonin.
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schiedene Zustände betrachtet. Das graduelle Modell dagegen geht von einem fließenden Übergang aus. Dies bringt den Vorteil mit sich, dass nicht jede ungewöhnliche Erfahrung pathologisiert werden muss. So kann zwischen subklinischen psychotischen Phänomenen unterschieden werden, die noch im Bereich des Gesunden liegen, und klinischen Phänomenen, die behandelt werden müssen: »Psychotic symptoms do lie on a continuum with normal experience« (O’Connor 2009: 152). Nicht wenige Menschen hören im Laufe ihres Lebens einmal Stimmen, haben temporär wahnhafte Ideen oder fühlen sich verfolgt oder dissoziiert. 10–15 % der Bevölkerung haben subklinische paranoide Überzeugungen (Freeman 2006: 430). 4–15 % der Bevölkerung erleben einmal in ihrem Leben auditive Halluzinationen. Bei Trauernden ist es nicht unüblich, dass sie die Stimme des Verstorbenen hören (Beck/Rector 2003: 20). »Surveys of college students have shown that 30 %–71 % report having had hallucinations« (Beck/Rector 2003: 20). Wichtig zu wissen, vor allem für diejenigen, die eine ungewöhnliche Erfahrung erleben, ist, dass diese in ca. 92 % aller Fälle nicht zu einer psychotischen Störung führen (van Os et al. 2009: 190). Kognitive Modelle versuchen den Übergang von der ungewöhnlichen Erfahrung zur psychotischen Störung zu erklären. Wie bei Depression und Angststörung gilt, dass kognitive Verzerrungen als Vulnerabilitäten konzeptionalisiert werden und bei den Betroffenen zu einer reduzierten Selbstregulierungsfähigkeit bzw. einem eingeschränkten Coping führen45. Problematische Faktoren sind eine unsichere Bindung in der Kindheit, eine niedrige Selbstachtung, negative Selbstkonzepte (schwach, verletzlich, inadäquat), Depression und Ängste (Freeman 2006: 435). »In the vulnerable individual, stress triggers particular emotional and cognitive changes, resulting in anomalies of conscious experience, for example hallucinatory voices. These anomalous experiences have been linked to information processing disturbances« (Garety et al 2007: 1378).
Wenn also eine Person eine halluzinierte Stimme hört oder sich auf ungewöhnlich intensive Weise verfolgt fühlt, hängt es zum Teil von ihrer Reaktion ab, was sich aus dieser Erfahrung entwickelt. Die Reaktion wiederum hängt ab von ihren Überzeugungen, allgemeinen Persönlichkeitsmerkmalen und der sozialen 45 »There is widespread agreement that psychosis occurs in people with a vulnerable predisposition (of biopsychosocial origin); that onset often follows life events, adverse environments, illicit drug use, or periods of isolation; that there are emotional changes, and disruptions in cognitive processes of attention, perception, or judgement; and that, at onset, its most prominent symptoms are delusional beliefs and hallucinations« (Garety 2001: 189). Zwei Konzepte, welche die Neigung zu subklinischen psychotischen Erfahrungen quantifizieren, sind die Psychotic Proneness und die Schizotypy. Personen, die auf Skalen zur Psychotic Proneness und zur Schizotypy einen hohen Wert erreichen, haben eine höhere Gefahr, eine Psychose zu entwickeln, sind aber psychisch gesund.
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Umwelt (Freeman et al. 2002: 336). Die Bandbreite, wie man auf halluzinierte Stimmen reagieren kann, ist breit und beeinflusst stark, wie diese erlebt werden. Allgemein kann man davon ausgehen, dass Stimmen feindselig oder wohlgesonnen sind. Man kann sie als mächtig erleben und glauben, dass man ihnen gehorchen muss. Es ist möglich sie zu fürchten und anzunehmen, dass sie einen schädigen können. Interessanterweise hängt es nicht von der Stimme selbst ab, wie sie interpretiert wird. Eine feindselige Stimme kann als hilfreich und eine unterstützende Stimme kann als die Stimme Satans interpretiert werden (Chadwick/Birchwood/Trower 1996: 19ff.). Je weniger man die Stimme akzeptiert, je mehr man gegen sie kämpft, und je stärker man sich wegen ihr pathologisiert (»Ich werde verrückt«), desto negativer sind die Aussichten auf Heilung. Dies macht deutlich, wie hilfreich ein gewisses Wissen um das Bewusstsein für die geistige Gesundheit der Bevölkerung sein kann. Vielleicht macht es auch deutlich, dass Überzeugungen, nach denen das mentale Erleben vollständig durch subpersonale Faktoren bestimmt ist und nur das biologische Modell mentale Probleme erklären kann, kontraproduktiv für die psychische Gesundheit sind. Da die kognitive Erforschung psychotischer Phänomene noch nicht sehr lange betrieben wird, ist das Wissen um dysfunktionale mentale Prozesse in diesem Fall noch nicht so weit entwickelt, wie bei den emotionalen Störungen. Bekannt ist, dass eine fehlerhafte Attribuierung der Ursache des Erlebten ein problematischer Faktor ist (Bell 2006). Bei einem externalisierenden attributiven Stil weist man die Verantwortung anderen zu. Gehörte Stimmen werden in diesem Fall nicht der eigenen Psyche zugeschrieben, sondern durch fremde Mächte erklärt. Man erklärt sein Erleben nicht durch seine gegenwärtige Situation (z. B. Stress, Schlafmangel), sondern nimmt eine Personalisierung vor : Eine böse Macht soll verantwortlich sein für die seltsame Erfahrung. Anstatt sich über die Möglichkeiten und Fähigkeiten des Bewusstseins zu wundern, entwickelt man eine wahnhafte Idee zur Erklärung der Stimmen, z. B., dass diese von Außerirdischen oder von geheimen und mächtigen Organisationen stammen, von denen man verfolgt und gequält wird. Ein kognitiver Fehler, der bei psychotischen Personen nachgewiesen wurde, ist das Jumping to Conclusions. Menschen mit wahnhaften Überzeugen tendieren zu diesem Reasoning Bias. Jumping to Conclusions bedeutet, dass auf der Basis ungenügender Informationen weitreichende Konsequenzen gezogen und mit großer Überzeugung für wahr gehalten werden (Freeman et al. 2008). Beck spricht in diesem Zusammenhang von einem Easy Solution Bias: Erklärungen werden nicht geprüft, sondern unkritisch akzeptiert, auch wenn sie noch so
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unwahrscheinlich sind (Beck/Rector 2003: 35). Es wird nicht die Möglichkeit berücksichtigt, dass eine Erfahrung auch ganz anders erklärt werden kann46. Ein Erleben durch eine rationalisierende falsche Idee zu erklären heißt, eine Geschichte mit sich selbst im Zentrum als einen sinnstiftenden Zusammenhang zu erdenken. Eine solche Geschichte hat nicht nur eine interpretative Bedeutung in Richtung der Vergangenheit, sondern strukturiert auch neue Erfahrungen. Sie ist selbst eine kognitive Verzerrung, die zu einem systematisch falschen Verstehen zukünftiger Erfahrungen führen kann. »Cognitive appraisal dimensions may interact with reasoning styles such as inferential confusion, cognitive slippage, fantasy proneness, and perceptual immersion (styles also normally distributed in the population) and together persuade the person with psychosis to live in fictional narratives as if they were real« (O’Connor 2009: 159, kursiv HS).
Wenn normale Ereignisse auf der Basis wahnhafter Überzeugungen erfahren und interpretiert werden, lebt die Person mehr in einer von ihr konstruierten Geschichte, als in der Wirklichkeit. Zufälligen Ereignissen wird eine unrealistisch große Bedeutung zugewiesen. Es wird extrem personalisiert, so dass Dinge auf einen selbst bezogen werden, die nichts mit einem zu tun haben. Die Wirklichkeit wird intentionalisiert, so dass man glaubt, in den unterschiedlichsten Ereignissen Absichten zu erkennen, die etwas mit einem selbst zu tun haben. Dies geht natürlich mit den entsprechenden emotionalen Reaktionen einher, so dass sich die Person zunehmend in ihre von der Fantasie produzierte Wirklichkeitserfahrung verstrickt (Beck/Rector 2005: 587). Die psychotische Erfahrung geht mit massiven metakognitiven Fehlern einher, bei denen die bewusstseinsunabhängigen und die bewusstseinsabhängigen Aspekte der Erfahrung von Wirklichkeit falsch beurteilt werden. Man attribuiert auf die Umwelt, was tatsächlich von einem selbst stammt, es kommt zu einem »psychotic appraisal« (Garety 2001). Es ist gerade ein Problem einer akuten psychotischen Erfahrung, dass sie so intensiv sein kann, dass kaum Metakognition manifestiert werden kann. Dies wird sehr deutlich im nächsten Zitat, in dem sich der Autor auch auf seine eigene psychotische Erfahrung bezieht. 46 »During the formation or exacerbation of organized delusions, the patients’ interpretations of their experience are controlled to a significant degree by biased information processing. The usual processing functions are preempted in these pathological states by hypersalient cognitive structures, or schemas, which distort the inputs (from the stimulus situations) and products (cognitions). These cognitions – interpretations, evaluations, and selfinstructions – are shaped by idiosyncratic beliefs that constitute the content of the cognitive schemas. Since the schemas in delusions are rigid and relatively impermeable to ordinary corrective feedback, they shape the patients’ perceptions of their personal world to the exclusion of consensually shared meanings with other people. Since the beliefs are deviant, the interpretations are deviant« (Beck/Rector 2005: 583).
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»There is next to no back-tracking; no stopping of thought; no reflection, errorchecking, inversion to sentences or attempts to check this relentless flow by criticism or by the seeking of falsifying evidence. Some patients in these acute states describe their thoughts as ›going at a hundred miles an hour‹ or use words to this effect. Again with this enhancement of the directional tendency it is difficult to instantiate metacognitive processes« (Chadwick 2001: 57; kursiv HS).
Es gibt Hinweise darauf, dass eine wenig entwickelte metakognitive Unterscheidungsfähigkeit eine Vulnerabilität für eine Psychose darstellt. »In studies looking at metacognitive performance, several have shown impaired source monitoring (the ability to distinguish internally from externally generated experiences) in patients with both chronic and first-episode delusions« (Bell et al 2006: 220).
Als einen Hinweis auf Nichtwachheit findet sich auch bei der Psychose der Vergleich mit dem Traum, bzw. wird dieser als ein Modell der psychotischen Erfahrung verwendet (z. B. Mota-Rolim/Araujo 2013). »Madness is akin to the dream state. Dreaming is sleeping insanity ; insanity is a waking dream – roughly speaking« (McGinn 2004: 113). »In our view, positive symptoms such as abnormal senso-perceptual experiences or thought processes ranging from ideas of reference to highly structured delusions, share substantial similarities with dream phenomenology« (Limosani et al. 2011: 988).
Wenn die psychotische Erfahrung ein nichtwaches Phänomen ist bedeutet dies, dass die Heilung einer Psychose Aspekte eines Erwachens hat. Hinweise auf diesen Umstand lassen sich aus persönlichen Berichten des psychotischen Erlebens gewinnen. Dorothea Buck (*1917) beschreibt in »Auf der Spur des Morgensterns«, veröffentlicht unter dem Pseudonym Sophie Zerchin (einem Anagramm von »Schizophrenie«, Zerchin 1990), die Erfahrung ihrer Krankheit. In Bucks Beschreibung wird deutlich, dass ihre Heilung begleitet war von einer zunehmenden Einsicht in die Irrealität des Erlebten und eine zunehmende interne Attribuierung. Buck erkrankte mit 19 Jahren an Schizophrenie und hatte insgesamt fünf psychotische Schübe, die sie jedes Mal für eine gewisse Zeit in eine Anstalt brachten (beim zweitenmal wurde sie von den Nazis sterilisiert). Eindringlich beschreibt sie ihre psychiatrischen Erfahrungen und das damit verbundene Leid. Weil ihre Krankheit damals ausschließlich durch das biologische Modell (Theorie der endogenen Psychose) verstanden wurde, interessierte sich kein Arzt für ihre Erfahrungen, so dass man es nicht einmal für nötig befand, sich mit ihr darüber zu unterhalten. Die Psychose wurde ausschließlich als krankhafter und defizitärer Zustand definiert, der für den Patienten keinerlei Nutzen haben könne. Für Frau Buck bedeutete das eine enorme Stigmatisierung und Pathologisierung. Sie macht sehr deutlich, dass die Art und Weise, wie mit
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ihrer Psychose umgegangen wurde, mindestens so schlimm war wie die Psychose selbst. Hier zeigt sich, dass nicht nur die metakognitive Verarbeitung einer Erfahrung durch die Person selbst wichtig ist, sondern dass auch die Umwelt einen konstruktiven oder einen negativen Einfluss auf die Verarbeitung einer Erfahrung hat. Allgemein ist eine Pathologisierung ungünstig. Das biologische Modell, welches glaubt auf die Kognition verzichten zu können, und keinerlei Sinn in diesen Erfahrungen erkennen kann, erweist sich als ein Hindernis für die Heilung. Eines der zentralen Motive von Buck ist zu zeigen, dass die Psychosetheorie, auf deren Basis sie »behandelt« wurde, falsch ist. Buck hatte ihren letzten psychotischen Schub 1959 und erachtet sich seither als geheilt. Sie konnte nie die Theorie akzeptieren, dass ihre Erfahrungen keinerlei Bedeutung hätten und die Psychose nichts anderes als ein körperliches Phänomen sei. Bucks Überzeugung, dass es sich bei ihren psychotischen Erfahrungen um einen Entwicklungsprozess handelt47, eine Reaktion auf eine Krise, die nur noch durch das psychotische Erleben lösbar gewesen sei, erachtet sie als entscheidend für ihre Heilung. Buck fiel nach ihrem letzten Schub auf, dass sie seither keine Träume mehr gehabt hatte. Sie erklärte sich dies damit, dass das psychotische Erleben an die Stelle der nächtlichen Träume getreten war. Buck wurde nun klar, dass ihre Erfahrungen von ihrem eigenen Bewusstsein resultieren und, wie sie es ausdrückt, psychotische Phänomene dieselbe Quelle haben wie Träume. Daraus zog sie die Konsequenz, dass psychotische Vorstellungen genauso wenig Anzeichen einer Geisteskrankheit sind wie Träume. »Unsere Krankheit kann nur darin liegen, dass wir unser Psychose-Erleben mit der Wirklichkeit verwechseln, was wir beim Traum nur tun, solange wir ihn träumen. Verstand ich die Vorstellungen meiner abgeklungenen Psychose auf der Traumebene, so verloren sie ihren zwingenden Wirklichkeitscharakter, konnten ihren Sinn aber behalten« (Zerchin 1990: 241).
Deutlich kommt in diesem Zitat zum Ausdruck, dass die metakognitive Einordnung eines Erlebens entscheidend ist für dessen Wirkung. Eine Rücknahme der Pathologisierung ermöglichte Buck, ihre Erfahrungen anzunehmen und sich nicht länger durch sie entwertet zu fühlen. So wie das Erwachen im Traum etwas zu tun hat mit der Erkenntnis, dass es sich um einen Traum handelt, ging bei Buck der Heilungsprozess mit der Erkenntnis einher, dass ihr Erleben nicht von 47 Buck beschreibt hier das Konzept der »spirituellen Krise« (Grof/ Grof 1990). Knapp formuliert bedeutet dies, dass es Transformationskrisen gibt, die symptomatisch betrachtet biologisch reduzierbare Krankheiten zu sein scheinen, tatsächlich aber eine tiefere Bedeutung für die Entwicklung der Person haben. Wenn dies nicht erkannt wird und die soziale Umwelt diese Bedeutung negiert, in dem sie die Phänomene biologistisch interpretiert, führt dies bei den Betroffenen zu zusätzlichen Problemen. Denn für die Heilung ist es entscheidend, eine Bedeutung im eigenen Erleben zu erkennen.
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außen kam, sondern ein bedeutungsvolles und symbolisches Ereignis ihres eigenen Unbewussten ist. Bucks Erfahrung demonstriert einen zentralen Gedanken der kognitionspsychologischen Konzeptionalisierung eines psychotischen Erlebens: Die ungewöhnliche Erfahrung muss nicht an sich pathologisch sein. Je mehr einer Person jedoch suggeriert wird, dass sie krank sei und ihr Erleben keinerlei Bedeutung habe, da es sich dabei nur um ein Neurotransmitterphänomen handle, desto schwieriger wird für sie eine konstruktive, akzeptierende und verantwortungsbewusste Herangehensweise. Vermutlich ist bei keinem der bisher thematisierten Phänomene stärker zu vermuten, als bei der Psychose, dass es die Eigenschaft der Nichtwachheit hat. Per definitionem handelt es sich bei ihr um eine Erfahrung, die von der gewöhnlichen Wirklichkeit abweicht. Während die Wachen eine gemeinsame Welt haben (Heraklit, 3.1), lebt der Psychotiker in seiner privaten Wirklichkeit. Es ist daher klar, dass die Überwindung der Psychose mit einem Erkennen von Wirklichkeit einhergehen muss. Es kann wohl nicht bezweifelt werden, dass eine Zunahme der geistigen Gesundheit zu mehr Möglichkeiten für die Person führt. Dass dies subjektiv mit einem mehr »da sein« einhergeht kann durch dieselben Argumente wie beim Selbstbetrug und den emotionalen Störungen (Autonomie) begründet werden. Zusätzliche Hinweise werden später eingeführt, wenn der Heilungsprozess aus Perspektive der Übung von Achtsamkeit vorgestellt wird (siehe 3.3.6). Die Kontinuitätsthese wird durch die Erforschung der Psychose bestätigt, da zwischen dem normalen und dem pathologischen Erleben ein fließender Übergang existiert. Subklinische psychotische Erfahrungen, die zwar mit einer erheblichen Verzerrung der Wirklichkeit einhergehen können, ohne bereits selbst pathologisch zu sein, sind weniger ungewöhnlich, als wir vielleicht geneigt sind anzunehmen. Ungewöhnliche Erfahrungen gehören in den Bereich des normalen Erlebens. Wie bei der Hypnose zeigt sich, dass zur Erklärung ungewöhnlicher Erfahrungen kein besonderer mentaler Zustand postuliert werden muss, der sich kategorial vom normalen Erleben unterscheidet.
3.2.9 Nichtwachheit und soziale Umwelt Wir haben gesehen, dass im Rahmen einer ungünstig verlaufenden Therapie fiktive Identitäten mit einer falschen Vergangenheit bei entsprechend veranlagten Menschen entstehen können. Die Hypnose ist eine soziale Interaktion, in deren Rahmen temporär ein ungewöhnliches Erleben herbeigeführt werden kann. Bei psychotischen Erfahrungen, so sahen wir im vorherigen Abschnitt, können die Reaktionen der Umwelt einen günstigen oder einen ungünstigen
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Einfluss auf das Verständnis des eigenen Erlebens ausüben. Diese Fälle demonstrieren einen Zusammenhang zwischen den subjektiven Strukturen des Bewusstseins und der sozialen Umwelt. Eine Theorie, die dezidiert behauptete, dass der soziale Kontext einen nichtwachen Zustand fördern kann, war der Marxismus. Die marxistische Sozialtheorie meinte, dass sich die Klassen einer Gesellschaft im nichtwachen Zustand eines »falschen Bewusstseins« befinden können. Bekanntlich ging der Marxismus davon aus, dass die Klassenzugehörigkeit die zentralen Denkstrukturen des Einzelnen festlegt (Basis-Überbau Modell). Parallel existiere ein ideologischer Kontext, durch den versucht werde, die reale Situation zu verschleiern. Er könne dazu führen, dass sich die Menschen ihrer realen Stellung in der Gesellschaft nicht bewusst seien. Die herrschende Klasse könne sich einreden, dass sie keine unterdrückende Klasse sei (»It is a case of the wolf believing it is a sheep« Meyerson 1991: 34). Die beherrschte Klasse könne dazu gebracht werden zu verkennen, dass sie unterdrückt werde. In diesem Zustand eines falschen Bewusstseins, einem Zustand der Entfremdung, würden die Menschen ihre wahren Interessen nicht erkennen. Die »Klasse an sich« versteht ihre reale Stellung nicht und hat noch kein Klassenbewusstsein als einem realistischen Bewusstsein der sozioökonomischen Zusammenhänge entwickelt. Wenn sie erwacht erkennt sie ihre reale Situation und ihre wahre Identität, und wird so zur »Klasse für sich« (Wood 1988). Da der Marxismus Ursachen und Folgen sozialer Nichtwachheit untersuchte und einen Weg hin zur wachen Gesellschaft wies, kann man ihn als eine soziökonomische Theorie der Nichtwachheit interpretieren. In der wachen Gesellschaft, dem Kommunismus, ende die Entfremdung der Menschen, so dass sie als autonome Individuen wahrhaft sie selbst sein können, frei von Illusionen und Selbstbetrug. Wenn man die marxistische Analyse als Sozialtheorie der Nichtwachheit interpretiert und vom Konzept der Klasse befreit, ergibt sich folgende These: Es existiert die Möglichkeit, dass Menschen von der Gesellschaft eine falsche Vorstellung ihrer Identität erhalten und sie mehr sie selbst sein können, wenn sie sich von falschen Vorstellungen über die Welt und sich selbst befreien. Die bisherigen Phänomene demonstrieren, dass an der Behauptung, dass die soziale Umwelt einen ungünstigen Einfluss auf das Bewusstsein des Einzelnen ausüben kann, etwas dran ist. Sicherlich ist es möglich, zu diesem Thema mehr als nur eine Monographie zu verfertigen. Was ich in diesem Abschnitt anbieten kann, ist eine gewisse Erweiterung des bisherigen Horizontes der Untersuchung auf die mögliche Entwicklung von Nichtwachheit im Kontext kleiner Gruppen. Ein Ziel dieser Erweiterung besteht darin dem Eindruck entgegenzuarbeiten, dass Nichtwachheit eine Eigenschaft von scheinbar klar abgrenzbaren mentalen Zuständen wie einer psychischen Störung sei. Ein Grenzfall ist die Folie / Deux, da bei ihr eine geistige Störung übertragen zu werden scheint.
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Folie à Deux Bei der Folie / Deux48 übernimmt eine gesunde Person, der Rezipient, eine psychotische Störung von einer anderen Person, dem Inducer/Inductor. Diese leidet meistens an einer Schizophrenie (Sacks 1988). Es wird also ein Wahn von einer Person an eine andere übertragen, manchmal an mehrere Personen gleichzeitig (Folie / Troi, Quatre etc.). Ein Wahn ist jedoch keine ansteckende Krankheit. Es heißt zwar, dass bei der Folie / Deux eine Person mit einer echten psychischen Störung diese an eine gesunde Person »überträgt«. Tatsächlich entwickelt diese jedoch im Kontakt mit der psychisch erkrankten Person selbst einen Wahn, der inhaltlich der ursprünglichen Störung ähnelt. Die Person, welche sich anstecken lässt, ist häufig jünger, hoch suggestibel, weniger intelligent, passiver und mit weniger Selbstachtung ausgestattet, als die Person mit dem eigentlichen Wahn. Damit es zur Übertragung kommen kann ist ein enger emotionaler Kontakt notwendig. Das Phänomen tritt daher hauptsächlich innerhalb von Familien oder Ehen auf, die häufigste Kombination ist »Zwei Partner« und »Mutter-Kind« (Mentjox, van Houten, Kooiman 1993). Häufig leben beide Personen relativ isoliert in einer rigiden symbiotischen Beziehung. Werden die Personen getrennt verschwindet der Wahn meistens, wenn ein Kind ihn erhalten hat. Auch bei der Übertragung an einen Erwachsenen löst sich der Wahn bei einer Trennung in ungefähr der Hälfte der Fälle auf (ebd.). Ob eine Trennung die beste Vorgehensweise ist, ist umstritten (Sacks 1988). Die Folie / Deux ist eine seltene Störung und wird in der Literatur hauptsächlich in Fallstudien thematisiert (Lew-Starowicz 2012). Systematisch erforscht ist sie kaum. Es ist am einfachsten ein paar Fälle zu beschreiben, um eine Vorstellung von ihr zu entwickeln. Die 61-jährige Ehefrau eines 64-jährigen emeritierten Professors überzeugt diesen, dass er seit sechs Jahren nachts das Haus verlässt, um sich mit verschiedenen Damen zu treffen. Er sei speziell von einer Dame mit Hilfe von Viagra und Drogen ausgebeutet worden und habe zu ihren Gunsten diverse Dokumente unterschrieben. Der Ehemann kann sich an nichts erinnern, glaubt aber seiner Frau und kommt zu der Überzeugung, dass er krank sei und Hilfe benötige (Lew-Starowicz 2012). »A 43-year-old housewife-writer was admitted to the hospital in a severely agitated and confused state. Her history revealed a delusional state of 10 years duration regarding a conspiracy in the literary world which prevented her poems from being published. Her husband and three adolescent children shared these beliefs and confirmed her assertion that strange sounds on the telephone indicated it was tapped. The husband was the 48 Im DSM-IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) wird die Folie / Deux als Shared Psychotic Disorder bezeichnet. In der dritten Ausgabe wurde sie noch als Inducer Psychotic Disorder bezeichnet.
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only one to state unequivocally that he heard the sounds and to elaborate on the techniques of the ›invasion of privacy‹ that the ›establishment‹ used to control artists« (Sacks 1988: 275 f).
In einem anderen Fall entwickelte ein an Schizophrenie erkrankter Mann einen religiösen Wahn. Er sperrte sich in einen Raum ein und las fast ununterbrochen im Koran. Er aß nur noch dann etwas, wenn er eine Stelle las, die er so interpretierte, dass sie ihm das essen erlaube. Seine Frau, eine 32-jährige Architektin ohne psychische Probleme, begann sich mit ihm zu isolieren. Sie übernahm schließlich seinen religiösen Wahn und begann sich wie er verfolgt zu fühlen. Schließlich schloss sie sich mit ihm und ihren drei Kindern ein (4; 2,5; 1,5). Als sie wegen der extremen Lebensumstände eine Fehlgeburt erlitt, starb sie (Yazar et al. 2011). Die Folie / Deux macht es wohl plausibler, dass eine psychotische Erfahrung nicht einfach auf Biologie reduziert werden kann. Sie zeigt, dass eine gesunde Person im Kontakt mit anderen ein Erleben entwickeln kann, welches, so die Vermutung, mit Nichtwachheit einhergeht49. Terrorismus und totale Gruppierungen Ich möchte in diesem Abschnitt den problematischen Einfluss der sozialen Umwelt am Beispiel des organisierten Terrorismus vorstellen. Dieser ist auch interessant, weil die Terrorismusforschung in den 80er Jahren glaubte, Terrorismus individualpsychologisch über die Existenz einer »terroristischen Persönlichkeit« erklären zu können. Die These war, dass bestimmte Pathologien (v. a. Narzissmus und Psychopathie) und Persönlichkeitseigenschaften (autoritäre Persönlichkeitsstruktur) erklären können, warum manche Menschen terroristisch aktiv werden (Horgan 2009, 2014). Wie sich jedoch zeigte sind Psychopathologien unter Terroristen nicht weiter verbreitet, als in der restlichen Bevölkerung50. »The psychological complexes appear to be neither necessary conditions (because other motives may lead ultimately to terrorist behavior) nor sufficient conditions (not 49 Ein anderes weniger dramatisches Beispiel sind die Mythen, durch die sich dysfunktionale Familien zu stabilisieren versuchen. Sie tabuisieren bestimmte Themen und Fragen, so dass der Einzelne zu einem Selbstbetrug animiert wird (Ferreira 1980). 50 Gestörte Personen sind für die Arbeit in einer illegal operierenden Organisation, die auf ein hohes Maß an interner Konformität, Autorität und Disziplin angewiesen ist, nicht geeignet. Terrororganisationen selektieren Personen aus, die als gefährlich für die Organisation eingestuft werden. Psychische Probleme spielen nur bei den selteneren Fällen von einsamen Terroristen ohne einen organisatorischen Hintergrund eine Rolle. Auch beim Eintritt in politische und religiöse Kulte spielen psychische Störungen kaum eine Rolle. Psychische Erkrankungen sind eher das Ergebnis einer Mitgliedschaft in einer für die Psyche ungesunden Organisation, und nicht die Bedingung für einen Beitritt (Tourist/ Wohlforts 2000: 17).
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all narcissistically wounded individuals become terrorists) for that behavior« (Smelser 2007: 93).
Es gilt heute als sicher, dass eine individualpsychologische Erklärung zum Verständnis terroristischer Handlungen nicht genügt. Man benötigt zusätzlich zu persönlichen Faktoren soziologische bzw. gruppenpsychologische Erklärungen. Das heute vorherrschende Modell besagt, dass eine Person mit bestimmten Eigenschaften zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr oder weniger zufällig in Kontakt mit einer Organisation kommt, so dass ein Prozess beginnt, durch den jemand zum Terroristen wird. Persönlichkeitsmerkmale spielen insofern eine Rolle, als nicht jeder dazu bereit ist, sich auf einen solchen Prozess einzulassen. Sie alleine sind aber weder notwendig noch hinreichend. Man geht davon aus, dass für Terrorismus empfängliche Personen Unsicherheiten und Ambivalenzen weniger gut vertragen als der Durchschnitt. Sie externalisieren häufiger, das heißt sie tendieren dazu, anderen die Schuld zuzuweisen und übernehmen selbst zu wenig Verantwortung (vgl. Hogg 2012). Die Theorie der sozialen Identität argumentiert, dass persönliche Unsicherheiten das Bedürfnis erzeugen, sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen und auf diese Weise ein Gefühl von Sicherheit zu entwickeln (vgl. Hogg 2001). Homogene Gruppen mit rigiden Grenzen, ideologischen und ethnozentrischen Überzeugungen, einer hierarchischen und autoritären Struktur werden umso attraktiver, je größer die Unsicherheit des Individuums ist (Hogg/Adelmann 2013). Durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, welche persönliche Unsicherheitsgefühle kompensieren soll, können soziale Kategorien in starkem Ausmaß Bestandteil des Selbstkonzepts einer Person werden. Gerade wenig aus sich selbst heraus stabile Personen können erheblich ihr Selbstverständnis und ihre Wahrnehmung (ihre Belief Structure) von einer Gruppe und deren weltanschaulichem Hintergrund bestimmen lassen. Jede Gruppe muss zwischen sich und ihrer Umwelt unterscheiden, doch es ist nicht notwendig, diese Unterscheidung mit massiver Bedeutung aufzuladen. Für manche Gruppen ist die Unterscheidung zwischen einer normativ überhöhten In-Group und dem Rest der Welt, der Out-Group, entscheidend. In einem solchen Fall geht die Gruppenzugehörigkeit mit einem starken Self-Enhancement einher, so dass alle anderen Menschen abgewertet werden. Je größer die Unsicherheit und je geringer die Selbstachtung, so die Theorie der sozialen Identität, desto wichtiger ist es, die personale Identität durch eine soziale Identität zu stärken und abzusichern. »Thus, when a specific social identity becomes the salient basis for self-regulation in a particular context, self perception and conduct become ingroup stereotypical and normative, perceptions of outgroup members outgroup stereotypical […].« (Hogg 2001: 3, kursiv HS). Wenn die Wahrnehmung erheblich von den Kategorien der sozialen Identität strukturiert wird und sie
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stark von Stereotypen geprägt ist, führt dies tendenziell zu einer kognitiven Depersonalisierung. Anstatt andere Menschen als Individuen wahrzunehmen werden sie stereotypisiert und als prototypische Vertreter eines fremden Milieus mit einem geringen Wert gesehen. Im Falle des Terrorismus sind diese Zusammenhänge interessant, da hier ihre Macht besonders deutlich zu erkennen ist. Da terroristische Handlungen so extrem sind neigen wir zu individualpsychologischen Erklärungen und pathologisieren Terroristen. Tatsächlich sind diese Personen jedoch nicht gestörter, als der Durchschnitt der Bevölkerung. »This combination of a strong affiliative need coupled with an incomplete personal identitiy, provides the foundation for especially powerful group dynamics. […] Belonging to the terrorist group becomes for many the most important component of their psychosocial identity. Indeed, data from terrorist memoirs and from interviews with terrorists suggest that there is a tendency to submerge the individual identity into a group identity […]« (Post 1987: 309).
Die Terrorismusforschung versteht heute Terrorismus als ein Gruppenphänomen mit einem spezifischen ideologischen und historischen Hintergrund. Man geht nicht länger davon aus, dass es eine terroristische Persönlichkeit gibt, sondern untersucht den Prozess, durch den eine Person eine bestimmte Motivation entwickelt. Im öffentlichen Diskurs wird dieser häufig als Radikalisierung bezeichnet. Dieser Begriff ist insofern irreführend, da radikale Einstellungen weder notwendig noch hinreichend sind. »Even in a movement such as Al Qaeda, true believers (in a religious oder ideological sense) are likely to be very few and far between« (Horgan 2009: 160). Radikale Einstellungen müssen nicht zu extremen Handlungen führen. Dass Terrorismus nicht rein individualpsychologisch erklärt werden kann bedeutet, dass Einstellungen nur teilweise terroristisches Handeln erklären können und der soziale Kontext mit einbezogen werden muss. Nicht jeder Terrorist hat dieselben Motive, doch bei allen spielen die Weltanschauung und die Gruppe eine zentrale Rolle. Terroristen sind ideologisch motiviert in dem Sinne, dass ihr Handeln subjektiv durch eine Ideologie eine Bedeutung und Rechtfertigung erhält. Ideologie bedeutet, dass eine Weltanschauung im Interesse einer Gruppe eingesetzt wird. Die meisten Gruppierungen und Organisationen stehen für einen Teilaspekt der Wirklichkeit (z. B. Wirtschaftsinteressen). Manche Organisationen vertreten jedoch einen mehr oder weniger totalen Anspruch in bezug auf das Verständnis der Wirklichkeit. Sie stehen für eine Weltanschauung, also eine umfassende Erklärung menschlichen Lebens, so dass sie, wenn sie für wahr gehalten werden, die Wahrnehmung und vor allem die emotionalen Reaktionen des Einzelnen erheblich beeinflussen können.
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»[…] ideologies [that accompany extremist movements, HS] contain ingredients that invite and encourage actual and potential believers to experience a wide range of emotions, anxiety, hopelessnes, despair, rage, hope, and elation, and these emotional possibilities provide the template for interpreting different experiences that affect that movement« (Smelser 2007: 37).
Der Prozess, der dazu führt, dass eine Person alles »in terms of politics« (Horgan 2014: 60) versteht und die kognitiven Schemata entwickelt, die ihre Emotionen regulieren, findet innerhalb einer Gruppe statt. Diejenigen Mitglieder einer Gruppe, die nicht primär ideologisch motiviert sind, werden durch verschiedene Prozesse sukzessive von ihrer bisherigen Wirklichkeitserfahrung entfremdet und entwickeln eine alternative Wahrnehmung der Welt vermittelt durch eine soziale Identität51. Eine Weltanschauung erhält leichter Gültigkeit für eine Person, wenn sie von einer Gruppe vertreten wird. »Thus, social psychologists agree that only knowledge that is socially shared (by individuals whose opinions one respects) is treated als reliable, valid, and generalizable […]« (Kruglanski/ Orehek 2012: 3). Dies wird vor allem dann zum Problem, wenn eine Gruppe von einer totalen und geschlossenen Weltanschauung ausgeht. »The need for closure is defined as the desire for a quick answer to a question and the aversion toward ambiguity or uncertainty« (Kruglanski/Orehek 2012: 4). Je größer die subjektiv empfundene Unsicherheit, desto größer das Bedürfnis nach einem Gruppenzentrismus mit einem geschlossenen Denksystem. Auch die absurdesten Überzeugungen und Ideen können als sinnvoll empfunden werden, wenn sie von anderen geteilt werden. »Because groups serve as epistemic reality providers, and individuals high on the need for closure crave epistemic certainty, a heightened need for closure lends appeal to groups adept at providing a firmly anchored sense of shared reality to their members. Such groups are characterized by an homogenity of opinions, a decision-making structure that affords a quick and unambiguous closure, and the rejection of anyone who could potentially disrupt the group’s shared reality and interfere with the process of forging such reality quickly and efficiently« (Kruglanski/Orehek 2012: 5).
Die Verbindung von Gruppenzentrismus im Sinne einer Selbstüberhöhung der eigenen Gruppe und einer Abwertung aller derjenigen, die nicht Teil der Gruppe sind, mit einer absolutistischen Weltanschauung, schränkt die Fähigkeit zur Empathie ein (Kruglanski/Orehek 2012: 14). Die Person ist nun bereit für einen mentalen Zustand, der als Ideological Totalism bezeichnet wurde52. 51 Bei Mitgliedern terroristischer Organisationen wird die Isolierung von der als normal empfundenen sozialen Wirklichkeit verstärkt durch ein Leben im Untergrund: »Generally living underground, such individuals slowly become divorced from reality, descending into a make-believe world where they wage Ferracutis ›fantasy war‹« (Cordes 1987: 326). 52 Arthur Koestler schrieb über seine Zeit in der kommunistischen Partei: »Gradually I learnt to distrust my mechanistic preoccupation with facts and to regard the world around me in
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»›Ideological Totalism‹ is a mood of absolute conviction, which embeds ideas so deeply in people’s heads that they grow inoculated against doubt. Ideas cease to be provisional theories about the world and instead become sacred convictions, dependent on the word of hallowed authorities for their validation rather than evidence« (Tourish/ Wohlforth 2000: 11).
Konversion Der Prozess, in dessen Verlauf eine Person ein neues Selbstkonzept entwickelt und eine neue Weltanschauung übernimmt, wird als Konversion bezeichnet (Stark/Lofland 1965). Konversionsprozesse können in sich isolierenden Gruppen mit einem geschlossenen Weltbild stattfinden, aber auch innerhalb einer Therapie oder bspw. auf einer Wahlfahrt (Smelser 2007: 99f., Spanos 1996: 51). Eine Konversion ist sinnvoll, wenn man durch sie eine integriertere Persönlichkeit und ein höheres Maß an Authentizität und Selbstachtung entwickelt. Eine Konversion, so die These dieses Abschnitts, kann aber auch dazu führen, dass sich das nichtwache Element des Erlebens verstärkt. Dies ist vermutlich vor allem dann der Fall, wenn eine Konversion in einer Organisation stattfindet, die einen Totalistic Way of Life lehrt, der keinen Platz mehr hat für alternative Lebensentwürfe. In diesem Fall sind Elemente dieses Prozesses »a social and psychological history of recruits marked by personal dissatisfaction with oneself and one’s life, often accompanied by psychic pain (not reducible to specific psychopathologies, however), and a sequence of unsuccesful experimental identityseeking efforts, followed by a step-by-step evolution of a view of oneself as a religious seeker ; second, the importance of friendships, social networks, and personal influence in the recruitment process; third, the incorporation of recruits into an extremely close, cohesive, and supporting group as the conversion proceeds, with new rounds of groupcentered activities; fourth, a process of redefining oneself a a new or reborn person, often involving a renunciation of the past; and fith, taking the new faith as a more or less totalistic way of life« (Smelser 2007: 100, nach Lofland/Stark 1965).
Eine Person, die eine Konversion durchlaufen hat, in deren Verlauf sie nichtwacher geworden ist, mag subjektiv den Eindruck haben, dass sie aufgewacht ist. Sie kann meinen, dass sie nun die Wahrheit erkennt, während der Rest der Menschheit in Unwissenheit existiere. Ich werde die Frage, wie ein echtes von einem scheinbaren Erwachen unterschieden werden kann, in einem späteren Abschnitt aufgreifen (3.3.6). Zwei Aspekte, von denen aus ein positiver Konthe light of dialectic interpretation. It was a satisfactory and blissful state; once you had assimilated the technique you were no longer disturbed by facts; they automatically took on the proper color and fell into their proper place. Both morally and logically, the Party was infallible; morally, because its aims were right, that is, in accord with the Dialectic of History, and these aims justified all means; logically, because the Party was the vanguard of the proletariat, and the proletariat the embodiment of the active principle in History« (in Tourish/Wohlforth 2000: 215).
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versionsprozess von einem problematischen unterschieden werden kann, sollten jedoch bereits hier genannt werden. Ein erster Hinweis scheint das Weltbild zu sein, welches von der Person übernommen wird. Die Weltanschauungen geschlossener Gruppierungen sind isoliert von der empirischen Wirklichkeit in dem Sinne, dass sie darauf angelegt sind, von dieser nicht widerlegt werden zu können. Sie enthalten selbstimmunisierende Mechanismen, die eine Widerlegung verhindern sollen. Diese Weltbilder haben einen mythologischen Charakter und bieten häufig eine Interpretation der Wirklichkeit an, nach der diese auf einen einzigen Zentralkonflikt mit einer bösen und einer guten Seite reduziert wird. Diese Struktur geht mit einem moralischen Absolutismus einher, der, wie wir gesehen haben (3.2.2), den Selbstbetrug begünstigt. Man sieht sich selbst als den rechtschaffenen David, der gegen Goliath kämpft (Cordes 1987). Zusätzlich wird ein utopischer Endzustand skizziert, das Paradies auf Erden. Eine solche quasi-mythologische Weltanschauung mit einer emotional zugespitzten Grundsituation scheint selbst einen traumartigen Charakter zu haben. Vielleicht macht dies plausibler, dass die Konversion zu einer solchen Weltanschauung inklusive einer neuen Identität mit einem höheren Maß an Nichtwachheit einhergehen wird. Louis Jolyon West ist durch seine Arbeit mit Entführungsopfern und ehemaligen Mitgliedern totalitärer Kulte zu dem Ergebnis gekommen, dass Menschen in extremen Situationen dazu tendieren, eine Pseudo-Identität zu entwickeln (West/Martin 1994). Ein bekanntes Beispiel hierfür ist das StockholmSyndrom, bei dem Personen eine unangemessene Solidarität mit denjenigen entwickeln, von denen sie gefangengehalten und bedroht werden. Ähnlich bedeute eine Konversion innerhalb einer problematischen Organisation, dass sich temporär eine Pseudo-Identität bilde, welche die Werte und Anschauungen der Organisation integriert habe, sich aber nach dem Austritt aus dieser Organisation wieder auflöse. Leider scheint es zu diesen Zusammenhängen nur relativ wenig brauchbare Literatur zu geben. Bei Terroristen ist bekannt, dass sie ihren Ausstieg häufig als einen Prozess der Desillusionierung beschreiben (Horgan 2009, 2014). Die These dieses Abschnitts ist, dass verschiedene soziale Mechanismen in der Lage sind, zur Bildung eines nichtwachen Erlebens beizutragen. Leider gibt es zu wenig Literatur, durch die stichhaltiger gezeigt werden kann, dass bestimmte Prozesse wie der Ausstieg aus einer totalen Organisation oder einer Terrororganisation Merkmale eines Erwachens aufweisen. Harry Triandis argumentiert, dass die Übernahme einer einfach strukturierten Weltanschauung mit einem erheblichen Maß an Selbstbetrug einhergehen muss. Die Welt durch eine ideologische Brille wahrzunehmen bedeute, dass vieles ausgeblendet werden muss, so dass die Komplexität der Wirklichkeit durch unbewusste Motive
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reduziert werden muss. Diese Unfähigkeit, die Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln wahrzunehmen, geht mit einer Verengung des Selbstkonzepts einher : »Cognitively simple people have only or at most a few identities. When the one identity is threatened the reaction is more violent as when the person has multiple identities and one of them is threatened« (Triandis 2009: 149).
Die in diesem Abschnitt vorgebrachten Überlegungen zum Einfluss der sozialen Umwelt demonstrieren noch einmal die Möglichkeit, dass durch soziale Einflüsse eine Erfahrung von Wirklichkeit möglich werden kann, welche, wie Heraklit sagte, dazu führt, dass man nicht länger in der Wirklichkeit der anderen Menschen lebt. Ob dieser Prozess allein als ein mit einer kognitiven Verarmung einhergehender Selbstbetrug analysiert werden sollte, ist unklar. Überzeugend scheint zu sein, dass: »›Cognitive simple self-deception‹ may be a more important way to account for terrorism than ›religion‹« (Triandis 2009: 146). An dieser Stelle stellt sich nun wirklich die Frage, was es heißt, auf nichtwache Weise zu erleben. Was haben die verschiedenen Phänomene gemeinsam? Können sie auf der Basis eines einzigen Modells beschrieben werden? Bevor wir nun den zweiten Schritt gehen und auf der Basis der vorgestellten Phänomene ein Modell nichtwachen Erlebens entwickeln, möchte ich diesen Abschnitt mit einem Exkurs beenden. Exkurs: Gehirnwäsche Bis heute fällt, wenn der problematische Einfluss einer Organisation auf deren Mitglieder thematisiert wird, im öffentlichen Diskurs der Begriff der Gehirnwäsche. Man könnte versucht sein, eine schädliche Konversion als eine solche zu bezeichnen. Um diese Interpretation zu verhindern wird es wohl nicht schaden, an dieser Stelle auf die Vorstellung der Gehirnwäsche einzugehen. Gehirnwäsche heißt, dass eine Person gegen ihren Willen durch verschiedene Methoden ihres freien Willens beraubt und in eine Art Marionette verwandelt wird. Diese Idee entstand, als nach dem Koreakrieg (1950–53) US-amerikanische Soldaten nach chinesischer Gefangenschaft in Umerziehungslagern die USA verschiedener Verbrechen beschuldigten, sehr zum Missfallen der amerikanischen Gesellschaft. Der Journalist Edward Hunter erklärte in einem Zeitungsartikel, dass China eine Gehirnwäsche mit diesen Soldaten vorgenommen habe. Später wurde bekannt, dass Hunter ein CIA Agent gewesen war, der diesen Begriff der Gehirnwäsche entwickelt hatte, um ihn als Propagandamittel gegen die Kommunisten einzusetzen (vgl. Melton/Introvigne 2000). Wahr ist, dass China diese Soldaten (und die eigene Bevölkerung) in Umerziehungslager sperrte und einem »thought reform process« unterwarf. Der Psychiater Robert Lifton (1961) untersuchte ehemalige Gefangene und konnte die Realität unterscheiden vom Mythos »Gehirnwäsche«. Sie schilderten ihm, wie sie massiv
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misshandelt und psychisch drangsaliert worden waren. Ständig waren sie genötigt worden, ihre »Verbrechen« zu gestehen, auch wenn, wie alle wussten, diese nur erfunden waren. Ein solcher Anschlag auf die Identität der Personen, verbunden mit massivem Schlafentzug und Folter, hatte natürlich erhebliche Konsequenzen. »This assault upon autonomy and identity even extended to the level of consciousness, so that men began to exist on a level which was neither sleep nor wakefulness, but rather an in-between hypnogogic state« (Lifton 1962: 68, Kursiv HS).
Durch Gewalt wurde die psychische und personale Integrität verletzt und das Selbstkonzept der Gefangenen zerstört. Dies konnte tatsächlich dazu führen, dass einzelne temporär das kommunistische Weltbild übernahmen. Nach ihrer Gefangenschaft lösten sich diese Überzeugungen schnell wieder auf. Niemand war in eine willenlose Marionette verwandelt worden. Im Gegenteil waren sie durch ihre drastischen Erfahrungen dazu gezwungen, sich mit deren Implikationen und sich selbst zu beschäftigen. Das Konzept der Gehirnwäsche machte noch eine weitere Karriere und wurde als Propagandainstrument gegen andere Gruppen eingesetzt. Als sich in den 60er Jahren die Gesellschaft in den USA wandelte entstanden viele neue spirituelle Gruppierungen. Diese Entwicklung, die ja auch durchaus mit Problemen verbunden war, wurde von traditioneller orientierten Personen kritisch gesehen. Manche Eltern, deren Kinder sich neuen religiösen Gruppen zuwandten, hatten das Gefühl, dass man ihnen ihre Kinder stahl. Sie konnten sich nicht so recht vorstellen, dass ihre Kinder dies freiwillig taten. Zu dieser Zeit entstand eine sogenannte Antikultbewegung, die sich vor allem im Cult Awareness Network organisierte. Man unterstellte den neuen religiösen Gruppierungen allgemein, dass sie eine Gehirnwäsche an den jungen Leuten vollzogen. Im Rahmen dieser Antikultbewegung wurden Mitglieder von »Sekten« entführt und einer zwangsweisen »Deprogrammierung« (das heißt einer »Antigehirnwäsche«) unterworfen. Vor Gericht rechtfertigen sie die Entführung und Folter als eine Befreiung und Reinigung von der »Gehirnwäsche« böser Sekten. 1987 erklärte die American Psychological Association, dass Gehirnwäsche kein wissenschaftliches Konzept sei, so dass es seither nicht länger möglich ist, eine zwangsweise »Deprogrammierung« vor Gericht als Rettungsaktion zu legitimieren. Das Cult Awareness Network, welches diese Entführungen vorgenommen hatte, wurde verklagt, ging Bankrott – und wurde von Scientology übernommen. Natürlich gibt es problematische Organisationen, welche einen schädlichen Einfluss auf ihre Mitglieder ausüben, davon handelt ja dieses Kapitel. Dieser Einfluss sollte jedoch durch anerkannte psychologische Konzepte erklärt werden, und nicht durch den Begriff der Gehirnwäsche.
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Ein Modell von Nichtwachheit
3.3.1 Methodische Überlegungen Die Untersuchung von Nichtwachheit basiert auf der Behauptung, dass das Alltagsbewusstsein nicht als Wachzustand bezeichnet werden sollte, da es, wie die Erfahrungen während des Schlafs, mehr oder weniger von Wachheit geprägt ist. Eine Antwort auf die Frage, wie das Erleben die Eigenschaft der Nichtwachheit erhalten kann, ist die Aufgabe einer Theorie der Nichtwachheit. Eine solche Theorie würde Ätiologien anbieten und beschreiben, durch welche Prozesse nichtwache Zustände sich entwickeln. Sie würde erklären, welche Faktoren ein nichtwaches Erleben stabilisieren und ein Erwachen verhindern. Eine Theorie der Nichtwachheit könnte beschreiben, welche sozialen Aspekte Menschen dazu bringen, ein waches Leben zu führen, und wie sich wache von nichtwachen Handlungen unterscheiden. Vor allem würde sie ein höheres Maß an konzeptioneller Klarheit mit sich bringen und bspw. das gegenseitige Verhältnis von Selbstbetrug, falschen Erinnerungen und Konfabulationen verständlicher machen. Die Entwicklung einer solchen Theorie kann hier nicht geleistet werden. Es ist fraglich, ob dies mit dem derzeit verfügbaren Wissen überhaupt möglich ist. Auch ist eine solche Theorie nichts, was von einer einzelnen Person geleistet werden kann. Was hier angeboten werden kann ist ein Modell nichtwachen Erlebens als einer allgemeinen und abstrakten Beschreibung der vorgestellten Phänomene. Da ein Erwachen mit einem Erkennen von Wirklichkeit, einem »mehr da« sein und einer Zunahme von Möglichkeiten einhergeht, muss das nichtwache Erleben ein Verkennen von Wirklichkeit, einen Verlust an Möglichkeiten und ein »weniger da« sein bedeuten. Das folgende Modell nichtwachen Erlebens beschreibt Prozesse und Merkmale des kognitiven Systems, durch die sich diese Aspekte von Nichtwachheit im Bewusstsein manifestieren. Als allgemeiner theoretischer Hintergrund dient dabei die Kognitionspsychologie. Eine Möglichkeit, diese Entscheidung zu begründen, ist, dass nichtwache Phänomene mit einer veränderten Informationsverarbeitung einhergehen. Die Kognitionspsychologie beschreibt die Psyche als informationsverarbeitendes System. Günstigerweise gibt es zusätzlich eine umfassende Tradition zu den emotionalen Störungen und den damit verbundenen Defiziten der Informationsverarbeitung (Beck/Clark 1988: 25). Zwei psychologische Konzepte sind für die Beschreibung von Nichtwachheit von besonderem Interesse. Ellen J. Langer (1989, 1992, 2000) beschreibt eine Form des menschlichen Lebens, das sie als Mindless bezeichnet. Nach Charles Tart (1988, 1993) gibt es einen Modus des Lebens, den er Waking Sleep genannt hat. Mindlessness und Waking Sleep ähneln bis zu einem gewissen Grad dem, was hier als Nichtwachheit bezeichnet wird.
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Langer arbeitet seit 1974 mit der Unterscheidung von Mindfulness und Mindlessness. Ihre Forschung, auf die nachfolgend wiederholt eingegangen wird, geht dem derzeitigen Boom zur Erforschung von Mindfulness voraus. Die seit einer Weile florierende Forschung zur Mindfulness, auf die zurückzukommen sein wird, geht auf Jon Kabat-Zinn und letztlich den Buddhismus zurück (3.3.7). Mit Mindfulness wird hier eine bestimmte Form von Aufmerksamkeit bezeichnet. Ellen J. Langer bezeichnet mit Mindfulness dagegen die Fähigkeit, im Moment neue Konzepte zu entwickeln, bzw. neue Unterscheidungen zu treffen. »[M]indlessness is a state of mind characterized by an overreliance on categories and distinctions drawn in the past and in which the individual is context-dependent and, as such, is oblivious to novel (or simply alternative) aspects of the situation« (Langer 1992: 289).
Mindlessness heißt sein Verhalten von Routinen, Regeln und Vorstellungen bestimmen zu lassen, ohne darauf zu achten, ob diese der gegenwärtigen Situation angemessen sind. Da das Verständnis der Person in diesem Fall weniger von dem Versuch geprägt ist, die Gegenwart zu verstehen, als von unachtsam verwendeten Konzepten der Vergangenheit, erlebt die Person in gewisser Weise die Welt weniger aus dem Moment heraus, als aus der Vergangenheit. Wenn Konzepte als rigide Designatoren verwendet werden, führt dies nachweislich zu einer geringeren Bewusstheit für Kontingenz und damit zu einer Reduktion von Kreativität und Gesundheit (Langer/Piper 1987). Charles Tart bezeichnet mit Waking Sleep einen Modus menschlichen Existierens, bei dem der Mensch von kognitiven Mechanismen bestimmt wird, die mit einem hohen Maße an Automatizität einhergehen (1988, 1993). In gewisser Weise erhält das Leben so etwas Schlafwandlerisches und Mechanisches. Um die Mechanismen zu beschreiben, die ein Waking Sleep aufrecht erhalten, verwendet Tart vor allem die klassischen Verteidigungsmechanismen der Psychoanalyse (Repression, Reaktionsbildung, Introjektion, Projektion und Rationalisierung). Ich werde für die folgende Modellentwicklung auf die Arbeit Tarts nicht explizit zurückgreifen. Sicherlich sind einzelne psychoanalytische Konzepte, befreit von ihrem bizarren Hintergrund, wissenschaftlich annehmbar (Baumeister et al. 1998). Eine Theorie von Nichtwachheit müsste sich wohl vor allem mit Projektion und Introjekten beschäftigen, vor allem im Zusammenhang mit der Dissoziation. Für den Weg dieser Untersuchung, in deren Rahmen das Modell von Nichtwachheit zusammen mit den Phänomenen ja die Grundlage für eine philosophische Reflexion von Wachheit bildet, ist dies allerdings nicht notwendig. Nichtwachheit, so demonstrieren die Phänomene, ist als Modus des Erlebens eine Eigenschaft des Bewusstseins. Um zu beschreiben, was dies genau für die Funktionsweise des Bewusstseins bedeuten kann, scheinen vor allem zwei
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Konzepte entscheidend zu sein. Da wäre erstens die Aufmerksamkeit als demjenigen Konzept, welches am deutlichsten die phänomenalen und funktionalen Aspekte des Bewusstseins verbindet. Phänomenalität und Funktionalität sind, so eine Grundannahme der Kognitionspsychologie, nicht zu verstehen ohne die Rolle von Konzepten als semantischen Strukturen zur Steuerung von Aufmerksamkeit. Da die kognitive Modellierung von Nichtwachheit wesentlich mit der Aufmerksamkeit und der Funktion von Konzepten arbeitet, ist es ratsam, mit diese beiden Themen zu beginnen.
3.3.2 Aufmerksamkeit Kognitive Modelle versuchen zu beschreiben, wie das mentale System Informationen verarbeitet. Dabei besteht Einigkeit darüber, dass diese Verarbeitung bewusst (explizit) und unbewusst (implizit) stattfindet. Anders formuliert bedeutet dies, dass die Verarbeitung von Informationen eine funktionale und eine phänomenale Seite hat (vgl. Chalmers 1996: 28ff.). Funktional bedeutet hier, dass das kognitive System auf der Basis formaler Strukturen Informationen verarbeitet, ohne dass man sich dessen bewusst ist. Der phänomenale Aspekt der Informationsverarbeitung dagegen wird erlebt und kann intentional beeinflusst werden. Phänomenalität manifestiert sich, wenn man bewusst ein Thema reflektiert und man aktiv versucht, etwas zu verstehen. Der eher unbewusste Aspekt der Informationsverarbeitung wird deutlich, wenn sich zu einem späteren Zeitpunkt, wenn gerade nicht an das Thema gedacht wird, sich unerwartet eine mit der vorherigen Reflexion zusammenhängende Einsicht einstellt. Irgendwie muss ein Prozess der Informationsverarbeitung stattgefunden haben, dessen man sich nicht bewusst gewesen ist. Denn wie genau die Lösung entwickelt worden ist, kann man nicht mitteilen. Der Begriff der Aufmerksamkeit verbindet die phänomenal-bewussten und funktional-unbewussten Aspekte des kognitiven Systems. Sich etwas bewusst zu sein heißt, dass man seine Aufmerksamkeit darauf lenken kann. Die Aufmerksamkeit hat zusätzlich eine funktionale Seite, die sich aus der dritten Personen Perspektive beschreiben lässt (z. B. Posner 1980, dazu auch 3.3.5.1). Während die subjektiv-phänomenale Seite der Aufmerksamkeit notwendig mit Bewusstsein verbunden ist, kann ihr objektiv-funktionaler Aspekt, wie wir noch genauer sehen werden, unbewusst sein. Selektivität bedeutet, dass die Aufmerksamkeit bewusst (phänomenaler Aspekt) oder unbewusst (funktionaler Aspekt) auf etwas gerichtet oder von etwas abgezogen werden kann (vgl. Prinz 2012). Man kann sagen, dass diese Bewegung der Aufmerksamkeit innerhalb eines phänomenalen Feldes mit mentalen und sinnlichen Eigenschaften stattfindet (vgl. Watzl 2011). Der Begriff des phänomenalen Feldes bezieht sich darauf, dass
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vieles nur teilweise bewusst erfahren wird und sich ein Teil des Erlebten im Vordergrund und ein anderer im Hintergrund befindet. In den letzten Jahren wird dies, wie wir noch genauer sehen werden, unter dem Begriff Inattentional Blindness bzw. Change Blindness diskutiert (3.3.4.2). Eine Person, die vor einem Bildschirm sitzt, erfährt bewusst, auf was ihre Aufmerksamkeit gerichtet ist, während alles andere in den Hintergrund rückt. Die Schreibtischlampe bspw. ist zwar noch immer da, da sich an dieser Stelle des visuellen Feldes keine Leerstelle bildet, nur weil die Aufmerksamkeit auf den Bildschirm gerichtet ist, doch sie ist nicht im Zentrum des phänomenalen Felds. Auch der eigene Körper wird nur noch wenig gespürt, bis er sich vielleicht meldet, weil sich die Knie ins Zentrum der Aufmerksamkeit drängen, weil sie unbedingt ausgestreckt werden müssen. Die Lenkung der Aufmerksamkeit geschieht teilweise durch den Körper und vor allem durch den Blick, doch sie lässt sich nicht auf körperliche Bewegungen reduzieren (wie dies heute vor allem die Inattentional Blindness demonstriert). Die Unmöglichkeit einer Reduktion der Aufmerksamkeit auf offensichtlich körperliche Vorgänge zeigt sich daran, dass man seinen Blick konzentriert auf einen Punkt auf dem Bildschirm richten, und doch gleichzeitig seine Aufmerksamkeit auf die Knie lenken kann. Wichtig ist zu diesem Zeitpunkt die Einsicht, dass durch die Aufmerksamkeit das phänomenale Feld strukturiert wird, indem sie Aspekte der Wirklichkeit in den Vorder- und andere in den Hintergrund bringt (Watzl 2011). Sie hat daher einen zentralen Einfluss auf das Erleben. Das führt zu der Frage, wie die selektierende Funktion der Aufmerksamkeit konkret funktioniert. Um diese Frage zu beantworten wird in der psychologischen Literatur mit einer Reihe an dichotomen Unterscheidungen gearbeitet, die allerdings häufig zu wenig definiert sind (vgl. Wu 2014: 29–38): Die Aufmerksamkeit kann Top-down vs. Bottom-Up, endogen vs. exogen, zielorientiert vs. Stimulus Driven, Controlled vs. Automatic und als freiwillig vs. unfreiwillig beschrieben werden. Für diese Untersuchung genügt die Unterscheidung, dass die Aufmerksamkeit bewusst oder unbewusst gesteuert sein kann. Wenn man bspw. von etwas abgelenkt ist und man erst ein wenig später merkt, dass die Aufmerksamkeit nicht mehr auf das gelenkt ist, mit dem man sich eigentlich beschäftigen möchte, ist die Aufmerksamkeit unbewusst gesteuert (Bottom-Up). Lenkt man sie zurück auf jenes Objekt, für das man sich entschieden hat, steuert man sie bewusst Top-Down. Der Stream of Consciousness kann durch die Aufmerksamkeit also bewusst strukturiert werden, oder er kann unabhängig von, oder gar gegen Intentionen, strukturiert sein. Um diese Vorgänge genauer beschreiben zu können arbeitet die Kognitionspsychologie mit dem Begriff Schema oder Konzept (da letzteres in der philosophischen Literatur geläufiger ist, wird es nachfolgend meistens verwendet).
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3.3.3 Die kognitive Funktion von Konzepten John McDowell argumentiert in »Mind and World« (1994), dass die menschliche Wahrnehmung grundlegend von Konzepten geprägt ist. Zwischen dem Konzept als formalem kognitivem Schema und seinem Inhalt zu unterschieden, sei nicht möglich. Was abgelehnt wird ist ein Dualismus von Konzept und einem vom Konzept unabhängig existierenden Gegebenen, also die Idee, dass die Wirklichkeit Konzepte mit Inhalt versorge. Er bezieht sich hierbei auf Kants Aussage, dass Gedanken ohne Inhalt leer bzw. Intuitionen ohne Konzepte leer sind (KrV B75; McDowell 1994: 3f.). Ein solcher Dualismus, nach welchem eine konzeptionell unabhängige Wirklichkeit durch kognitive Schemata erst wahrgenommen werde, führe dazu, dass das konzeptionell strukturierte Denken keinen festen Bezug zur empirischen Wirklichkeit mehr haben könne. Wäre dem der Fall, könnte sich das Denken ganz unabhängig von der Wirklichkeit entwickeln und dauerhaft keinen wahrheitsgemäßen Bezug mehr zu ihr haben. Die Vertreter der dualistischen These glauben, dass das empirisch Gegebene ein Korrektiv darstellen müsse für die Irrtümer des Denkens. Das interessante Argument McDowells ist nun, dass die Empirie diese Aufgabe nicht erfüllen kann. Das Gegebene als ein Konzepte mit Inhalten füllendes und so das Denken einschränkende ist ein Mythos: »The myth of the given«. Sein Argument ist, dass alles, was wahrgenommen wird, immer schon als etwas wahrgenommen wird, über das geurteilt werden kann. Es gibt keine Wahrnehmung, auf die erst nachträglich Konzepte bezogen werden. Wahrnehmung ist immer schon konzeptionell. Ich werde ein wenig später zeigen, wie sich diese konzeptionelle Eingebundenheit der Wirklichkeit durch empirische Überlegungen untermauern lässt (3.3.4.5). Nach McDowell schränken Wahrnehmungen das Denken nicht deshalb ein, weil sie das Denken mit Inhalt füllen, sondern weil sie immer schon konzeptionell strukturiert sind. Der Inhalt einer Wahrnehmung ist immer schon konzeptionell. Aus diesem Grund ist Rationalität auf jede Wahrnehmung beziehbar. Aber, so der Einwand des Dualisten, werden Urteile nicht über nicht-konzeptionelle Wahrnehmungen getroffen? Wahrnehmung ermöglichende Konzepte sind nicht nur notwendiger Bestandteil der passiven Rezeptivität der Wirklichkeit, sondern gehören als Instrumente des Denkens zur Spontaneität der Urteilskraft. Wenn so getan wird, als würde die passive Wahrnehmung der Wirklichkeit jenseits des kritischen Denkens geschehen, könnte sie bestenfalls dazu führen, dass wir keine Verantwortung dafür hätten, zu welchen Überzeugungen sie uns bringe. Es gäbe keine Rechtfertigung (McDowell 1994: 13). Denn Gründe gehören ausschließlich zu Konzepten, ohne Konzepte keine Begründung. Das Gegebene kann daher unmöglich Überzeugungen begründen, so dass ein scheinbar akonzeptionell
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Wahrgenommenes unmöglich das Denken korrigieren könne. Der Empirismus ist falsch. Wenn Konzepte ausschließlich auf das Denken bezogen werden entsteht das Bedürfnis, die Möglichkeiten des Denkens durch eine scheinbar konzeptionslose Welt einzuschränken. McDowells Argument ist, dass deshalb, weil es keine nicht konzeptionelle Wahrnehmung der Wirklichkeit gibt, das Denken immer schon strukturiert und damit eingeschränkt ist. Wenn davon ausgegangen wird, dass es eine nicht-konzeptionelle Wahrnehmung gibt, entsteht das Bedürfnis, das Denken durch das Gegebene einzuschränken. Das funktioniert aber nicht, da die Welt einen nicht mit Gründen versorgen kann. Denn in der Welt physikalischer Fakten gibt es keine Gründe, diese gibt es nur in der Welt des Mentalen. Eine philosophische Erkenntnistheorie, welche die notwendige Strukturierung von Wahrnehmung und Denken durch Konzepte betont, hat den Vorteil, dass sie mit der Kognitionspsychologie kompatibel ist. McDowells Argument ist, dass Konzepte auf der aktiven Seite des menschlichen Erkenntnissystems die Bausteine des Denkens sind, und auf der rezeptiven Seite Wahrnehmung ermöglichen. Die Kognitionspsychologie begreift den Wahrnehmungsapparat des Menschen als ein informationsverarbeitendes System, das auf der Grundlage von Konzepten, die häufig als Schemata bezeichnet werden, die Wirklichkeit verarbeitet und prägt. »Schemas are functional structures of relatively enduring representations of prior knowledge […]. These cognitive structures guide the screening, encoding, organizing, storing and retrieving of information […]. Stimuli consistent with existing schemas are elaborated and encoded, while inconsistent or irrelevant information is ignored or forgotten« (Beck/Clark 1988: 24).
Konzepte haben durch ihre Intentionalität eine repräsentative Funktion, sie beziehen sich als empirische Konzepte auf die Welt und ermöglichen so ein Denken über die Welt53. So sind bspw. Stereotypen als Ergebnisse von Generalisierungen soziale Alltagstheorien (Leyens/Yzerbyt/ Schadron 1994) und ermöglichen Orientierung und Entscheidungen.
53 Der Zusammenhang von Konzepten als Bedingungen der Möglichkeit von Wirklichkeitserfahrung verdeutlicht Bernard Baars in folgender Anekdote: »Die meisten meiner Kollegen in der Kognitionspsychologie, die vom Behaviorismus herkamen, haben früher immer geleugnet, dass sie sich ihrer inneren Rede bewusst waren, aber jetzt hören sie sich, glaube ich, alle mit sich selbst sprechen, so als ob plötzlich ein ganzes Stück ihrer inneren Erfahrung zurückgekehrt wäre« (Blackmore 2007: 37). Die Ablehnung des Konzepts »innere Rede« prägte die Wahrnehmung der Behavioristen, so dass ein Aspekt der Wirklichkeit kein Bestandteil ihres Bewusstseins mehr sein konnte. Diese selbstgewählte Isolierung von der Wirklichkeit wurde rückgängig gemacht durch die Akzeptanz des Konzepts, so dass es zu einer Bereicherung ihres Bewusstseins kommen konnte.
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»How an individual interprets the world logically depends upon how the world appears; however, experimental evidence suggests that perception is itself an inferential process. In attempting to understand how such processes operate, the notion of ›cognitive schema‹ has been particularly useful. Typically, schemas are described as knowledge structures – a set of rules or expectations about the nature of a stimulus – that functions primarily as an ›unconscious theory‹, preparing an individual to apprehend the stimulus in a particular way, just as scientific theories guide the scientist’s research and thus condition the ›facts‹ that he may find« (Gilbert/Cooper 1985: 77).
Für diese Untersuchung sind nicht alle Funktionen von Konzepten wichtig. Für ein Modell nichtwachen Erlebens wichtig ist, dass Konzepte die Aufmerksamkeit und das Denken über das Wahrgenommene strukturieren. »The cognitive schema is generally regarded as the structure underlying attention« (Ingram 1990: 166). Konzepte sind semantische Instrumente zur Steuerung der Aufmerksamkeit (Neisser 1979: Kap. 5). Ein klassisches Beispiel hierfür ist der Cocktailparty Effekt: Man hört mitten in einer lauten Veranstaltung seinen eigenen Namen, da dieser eine besondere Bedeutung für einen hat. Der Cocktailpartyeffekt unterstreicht McDowells Argument, dass es nicht primär rein empirische Daten sein können, die wahrgenommen werden, um erst in einem zweiten Schritt konzeptionell eingebunden zu werden. Bedeutung wird nicht erst nachträglich konstruiert, sondern durchdringt sogar die unbewussten Aspekte der Wahrnehmung. »If meaning is what captures attention, then it follows axiomatically that meaning must be analyzed before attention is captured, which is thought to occur at the end stage of the processing of sensory input. This therefore implies that even those stimuli that we are not intending to see and that do not capture our attention must be fully processed by the brain, for otherwise their meanings would be lost before they had a chance of capturing our attention and being perceived. If this is the case, then we are left with some yet-unanswered, very difficult questions. Are all the innumerable stimuli imaged on our retinas really processed for meaning and encoded into memory, and if not, which stimuli are and which are not?« (Mack 2003: 182).
Gut erforscht ist die konzeptionelle Strukturierung der Aufmerksamkeit bei Depression und Angststörungen. Es wurde, wie nachfolgend noch genauer gezeigt wird, experimentell demonstriert, dass Konzepte nicht nur prägen, was wahrgenommen wird, sondern auch, wie es begriffen wird. Emotionale Störungen gehen mit einer selektiven und verzerrenden Wahrnehmung einher und erzeugen so eine subjektive Wirklichkeit mit einem spezifischen emotionalen Gehalt. In der Depression wird Negativem bevorzugt Aufmerksamkeit geschenkt (Biased Attention; Peckham et. al 2010), und neutrale Impulse werden tendenziell auf negative Weise interpretiert. Bei Angststörungen wird die Wirklichkeit über das Konzept der Bedrohung wahrgenommen, so dass neutrale Reize als bedrohlich konzeptionalisiert werden (Gotlieb/MacLeod 1997). Wie sich zeigte
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halten Angstpatienten aktiv Ausschau nach Impulsen, die sie als bedrohlich wahrnehmen können. Ohne sich dessen bewusst zu sein strukturieren sie ihre Wahrnehmung um das Konzept der Gefahr und verwenden es für die Lenkung der Aufmerksamkeit. »Wie wir sehen werden, wird bei jeder Neurose die Realität verzerrt, um zu den Konzepten zu passen, die das Denken des Patienten beherrschen« (Beck 1979: 71). Man kann sogar versuchen, psychische Störungen anhand des Konzepts zu ordnen, welches jeweils außer Kontrolle ist54. Bei hypnotischen Erfahrungen ist es ein suggeriertes Konzept, welches im Zentrum des phänomenalen Feldes steht und das Erleben des Hypnotisierten bestimmt. Bei einer psychotischen Erfahrung, die bestimmt ist von der Vorstellung, dass man verfolgt wird, bestimmt dieses Konzept die Erfahrung. Man ist sich bewusst, dass man verfolgt wird, da man die Verfolgung ja erfährt. Dieser Eindruck entsteht jedoch nicht durch die Empirie, sondern durch das Konzept. Menschen verstehen nicht nur die Wirklichkeit durch Konzepte, sondern auch sich selbst. Jede Person entwickelt ein Selbstkonzept bzw. eine Vielzahl von Selbstkonzepten, die sich widersprechen können. Wie bereits erwähnt kann das Selbstkonzept verstanden werden als die Summe der Propositionen, die man auf sich selbst bezieht. Wie alle Konzepte kann auch das Selbstkonzept über die Lenkung der Aufmerksamkeit die Erfahrung der Wirklichkeit strukturieren. Konzepte haben immer eine selektierende Funktion und bestimmen, als was etwas wahrgenommen wird. Beim Selbstbetrug wurde gezeigt, dass Personen dazu tendieren von der unbewussten Motivation bestimmt zu sein, ein schmeichelhaftes Selbstkonzept aufrecht zu erhalten, »the schemata people possess of social traits and concepts, are shaped by motivations to retain flattering images of the self« (Dunning 1999: 1). Das heißt, dass das ignoriert oder unbewussterweise ausgeblendet wird, was für inkompatibel zur eigenen Person gehalten wird55. Wer sich einbildet, bereits die Stufe moralischer Perfektion erreicht zu haben, wird Schwierigkeiten damit haben, sich seine allzumenschlichen Schwächen und Fehler einzugestehen: »self characterizations, like social
54 »When hyperactive, they [concepts, HS] can preempt the central processing and produce interpretations (cognitions) that are congruent with their content rather than with external reality. In psychopathology certain idiosyncratic schemas become dominant and drive the cognitions typical of the disorders: depression – self-degrading; mania – self-enhancing; anxiety – danger ; phobias – specific dangers; paranoia – persecution; obsessive–compulsive disorders – warnings and preventative impulses; posttraumatic stress disorder – flashbacks« (Beck/Rector 2003: 27). 55 Ein Beispiel dafür, wie dies experimentell gemessen werden kann, ist über die Reaktionen auf präsentierte Wörter. Personen, die sich selbst als Teil ihrer Identität ein Schema zuschreiben reagieren schneller auf Wörter, die sie als Bestandteil ihrer Selbstzuschreibungen erkennen. Zum eigenen Selbstkonzept inkongruente Begriffe benötigen mehr Zeit, um verarbeitet zu werden (Markus/Smith 1981).
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characterizations, appear to be heavily influenced by preconceptions or theories about the self« (Nisbett/Ross 1980: 199). Die Aufmerksamkeit kann verwendet werden, um diejenigen Aspekte des Selbstkonzepts auszublenden, die von der Person nicht akzeptiert werden. Diese »Flucht vor dem Selbst« (Baumeister 1991) durch die Verwendung der Aufmerksamkeit kann weitreichende Folgen haben. Die Ärzte in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern konzentrierten ihre Aufmerksamkeit auf technische Details, um sich der weitreichenden Implikationen ihres Tuns inklusive der Bedeutung für ihre eigene Person nicht bewusst zu werden: »By immersing their minds in technical issues and procedural details, they could avoid the overwhelming emotional threat that would accompany taking a general view of their activities. The mental narrowing involved in escape may make a person closeminded and mentally rigid. If pushed, the person may draw on knowledge and experience, but thinking will tend to follow preset or stereotyped patterns. This ridigity particularly affects creative thought. Creativity tends to involve divergent thinking, that is, exploring new possibilities, implications, or meanings – precisely what the escapist is trying to avoid« (Baumeister 1991: 64).
Baumeister beschreibt in diesem Zitat, was eine nichtwache Wahrnehmung konkret bedeuten kann: Um ein positives Selbstbild aufrecht erhalten zu können wird die Aufmerksamkeit eingeengt, was zu einer Einschränkung der Bewusstheit führt, und damit zu rigidem Denken und reduzierter Kreativität – ein Zusammenhang, der nachfolgend noch deutlicher wird. Bereits hier zeigt sich jedoch, wie die Aufmerksamkeit dazu verwendet werden kann, ein fiktives Selbstkonzept auszublenden. Dies führt zu einer Automatisierung des kognitiven Systems: »thinking will tend to follow preset or stereotyped patterns« (ebd). Es ist dieses Vorgehen, welches Ellen Langer als Mindless bezeichnet. Eine Möglichkeit, die selektive Einschränkung der Wahrnehmung durch Konzepte zu verdeutlichen ist das Phänomen der Construct Accessibility. Nicht jede Information und Erinnerung kann zu jedem Zeitpunkt gleich gut abgerufen werden. Wenn gerade ein spezifisches Selbstkonzept aktualisiert ist, beeinflusst es das Gedächtnis in der Hinsicht, dass leichter erinnert wird, was kompatibel zu diesem Selbstkonzept ist. Erinnerungen, die eher mit einem anderen Selbstkonzept verbunden sind, werden schwieriger erinnert (Neisser 1979): »In other words, absorption in the enactment of identity A may, to a substantial degree, function to prevent the recall of memories associated with the enactment of identity B« (Spanos 1996: 6). Konzepte beeinflussen in der Gegenwart das Erinnern und Bewerten der Vergangenheit. Construct Accessibility heißt, dass diejenigen Konzepte, welche im Moment aktiviert oder instantiiert sind, das Erleben strukturieren. Wenn ein Schema kein Bestandteil des kognitiven Systems einer Person ist, schränkt dies die Möglichkeiten ihres Erlebens ein.
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»The schema provides a framework within which stimulus input can be interpreted. Without this framework, certain aspects of the stimulus may not be attended to at all unless they are very distinctive. Thus a person who is aschematic with respect to body weight may not notice the weight of another person unless the person is quite thin or quite fat, or unless the stimulus situation requires attention to body weight. In contrast, the schematic will automatically use the variety of representation that have been organized into the self-schema in responding to stimulus« (Markus/Smith 1981: 246).
Man versteht die Schematheorie falsch, wenn man meint, man könne willkürlich festlegen, in welcher Wirklichkeit man lebt. Diese Vorgänge sind größtenteils unbewusst und in einem hohen Maß automatisiert (dazu später mehr, 3.3.5.1). So ist es bspw. nicht möglich, willkürlich Selbstkonzepte abzulegen oder sich zuzulegen. Häufig müssen wir erst lernen, uns realistisch zu sehen, oder die Aktivierung von unrealistisch negativen Selbstkonzepten zu verlernen. Allerdings ist es alles andere als eindeutig, die Grenzen zwischen beeinflussbaren und nicht beeinflussbaren Konzepten zu ziehen. Hypnotische Phänomene zeigen, dass manche Personen ihr Erleben massiv verändern können. Klar ist auf jeden Fall, dass wir die Art und Weise unseres Erlebens bis zu einem gewissen Grad beeinflussen können. Eine Person, die sich eine fiktive Identität als Incest Survivor zulegt, interpretiert reale Ereignisse ihrer Vergangenheit im Lichte eines Selbstkonzepts. Sie hat sich durch die Akzeptanz dieser Vorstellung von sich selbst quasi eine neue Vergangenheit geschaffen. Vergangene Ereignisse erhalten auf diese Weise eine falsche Bedeutung oder werden verzerrt erinnert. Gegenwärtige Ereignisse werden im Sinne der Identität interpretiert und damit in einen Kontext gebracht, der zu einem systematischen Missverständnis der Wirklichkeit führt. Ein falsches Selbstkonzept kann dazu führen, dass man seine Geschichte falsch versteht, bzw., dass man sich selbst eine Geschichte erzählt, die nicht den Tatsachen entspricht. Die Übernahme eines neuen Selbstkonzepts im Rahmen einer Konversion zu einem dysfunktionalen Weltbild führt dazu, dass man sich selbst und seine Erfahrung durch ein Narrativ versteht, durch welches man glaubt nun etwas zu verstehen, obgleich es tatsächlich zu einem radikalen Missverständnis der Fakten führt. Ich möchte das Thema Konzept und Wirklichkeit an dieser Stelle mit einem wie ich finde besonders interessanten Zusammenhang aus der Intelligenzforschung abschließen (Stanovich 2002). Im wesentlichen lassen sich zwei Konzepte der Intelligenz unterscheiden. IQ 1: »Intelligenz ist statisch, ererbt und global«. IQ 2: »Intelligenz ist dynamisch, erlernt und bereichsspezifisch«.
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Die Frage ist an dieser Stelle nicht, wie Intelligenz wirklich ist, sondern wie über sie gedacht werden kann. Diese zwei Möglichkeiten sind wichtig, denn die Intelligenzforschung konnte zeigen, dass es einen massiven Einfluss hat, welches Konzept für wahr gehalten wird. Menschen, die glauben, dass ihre Intelligenz sich nicht verändert und in allen Bereichen gleich groß ist, definieren den Wert einer Person über die Höhe ihrer Intelligenz. Dies ist ein empirischer Zusammenhang und es ist nicht klar, wie dieser erklärt werden kann. Wer dagegen Intelligenz für etwas Veränderliches hält und meint, dass er nicht in allen Bereich des Lebens gleich intelligent ist, definiert seinen Wert nicht über seine Intelligenz. Von welcher Vorstellung man ausgeht hat Folgen für das weitere Leben. Wer seinen Wert über seine Intelligenz definiert, tendiert dazu, Aufgaben aus dem Weg zu gehen, die als eine Prüfung der Intelligenz empfunden werden. Dies liegt zum einen daran, dass ein Scheitern verhindert werden will, da dieses ja den eigenen Wert reduzieren würde. Der andere Grund ist die Vorstellung, dass intelligente Menschen sich nicht anstrengen müssen, da sie ja schon intelligent sind. Sich anstrengen zu müssen wird als ein Zeichen mangelnder Intelligenz empfunden und daher vermieden. Wer dagegen das variable Konzept der Intelligenz für wahr hält, ist nicht in diesem Maße eingeschränkt. Er hat die Vorstellung, dass er klüger und kompetenter wird, wenn er sich bemüht und dazu lernt. Interessanterweise konnte gezeigt werden, dass diejenigen, die das dynamische Konzept für richtig halten, im Laufe ihres Lebens einen größeren IQ Zuwachs erfahren als diejenigen, die an das statische Konzept glauben (Stanovich 2002). Kann es sein, dass ein Erleben, das geprägt ist vom statischen Konzept der Intelligenz, Nichtwachheit mit sich bringt? 1. Ein statisches Konzept der Intelligenz aufzugeben führt zu mehr Möglichkeiten. Man schränkt sich weniger ein und kann nun Dinge tun, die man vorher vermieden hat. 2. Das statische Konzept von Intelligenz aufzugeben führt dazu, dass ein falsches Selbstkonzept aufgegeben wird. Der Wert einer Person hat nichts mit der Höhe ihrer Intelligenz zu tun. Wenn dies zu einer Zunahme des Gefühls von Authentizität führt kann man argumentieren, dass man sich dementsprechend als »mehr da« fühlt. Es kann vermutlich eine große Erleichterung sein zu erkennen, dass der eigene Wert unabhängig ist von dem letztlich ziemlich vagen Konstrukt der Intelligenz. 3. Man erkennt die Wirklichkeit, wenn man erfasst, dass der eigene Wert unabhängig ist von der Intelligenz.
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3.3.4 Perzeption, Vorstellung und Metakognition Als Bedingung der Möglichkeit eines Erwachens geht Nichtwachheit mit einem Verkennen von Wirklichkeit, mit einem »weniger da« sein, und mit einer Einschränkung an Möglichkeiten des Denkens und des Handelns einher. Um zu beschreiben, was dies konkret bedeutet, wird im folgenden in zwei Schritten vorgegangen. Zunächst möchte ich klären, wie es möglich ist, dass das kognitive System Wirklichkeit in einem erheblichen Maße verkennen, bzw. eine subjektive Wirklichkeit konstruieren kann, die nicht den Tatsachen entspricht. Wir werden also in diesem Teil (3.3.4) fragen, welche Eigenschaften der Psyche ein nichtwaches Erleben möglich machen. Im zweiten Schritt (3.3.5) werden wir dann versuchen zu klären, durch welche Mechanismen sich konkret Nichtwachheit darstellen lässt. 3.3.4.1 Die Kontinuität des Bewusstseins Eine Eigenschaft der Psyche, welche die Möglichkeit nichtwachen Erlebens verständlich macht, ist ihre Kontinuität. Die Kontinuitätsthese war eingeführt worden, als zwischen der Erfahrung des Alltagsbewusstseins und dem Traum unterschieden worden war (2.1). Im konventionellen Bild des Wachseins besteht eine Diskontinuität zwischen dem Traum und dem Alltagsbewusstsein. Seinen Ausdruck findet dieses Bild in der Zustandstheorie, nach der sich REM-Schlaf und Alltagsbewusstsein grundsätzlich voneinander unterscheiden (dazu später mehr, siehe 3.3.4.3). Die Diskontinuitätsthese lässt sich jedoch nicht aufrecht erhalten, da zwischen dem Erleben des Alltagsbewusstseins und demjenigen des Traums in metakognitiver Hinsicht kein prinzipieller Unterschied besteht, sondern nur ein gradueller. »Although the assumption that dream cognition is derivative of waking cognition reflects a scientific attitude toward dreaming as unimportant relative to waking mentation, it is tied to the additional yet questionable assumption that in normal waking consciousness we are reflective, imaginative, self-aware, and have good recall of our ongoing mentation« (Purcell et al. 1986: 423).
Die Kontinuität zwischen Traum und Alltagsbewusstsein bezieht sich nicht nur darauf, wie etwas erlebt wird, sondern auch darauf, was erlebt wird. Das, was heute unter dem Begriff der Hypnose untersucht wird, zeigt, dass Phantasien von einer ganzen Reihe an Menschen leicht als objektive Wirklichkeit erfahren werden können. Die sinnliche Wahrnehmung kann in einem erstaunlichen Maße manipuliert werden, ohne dass hierfür ein besonderer Zustand notwendig wäre. Die Mechanismen, durch die das hypnotische Erleben versucht wird zu erklären, sind Mechanismen des Alltagsbewusstseins. Daher macht es Sinn zu
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sagen, dass zwischen dem gewöhnlichen und dem hypnotischen Erleben eine Kontinuität besteht. Im strengen Sinne gibt es keine Differenz zwischen einem hypnotischen und einem nicht-hypnotischen Zustand, weil es keinen hypnotischen Zustand gibt. Die Kontinuität des Bewusstseins macht verständlich, weshalb Träume nicht nur während des Schlafs existieren. Den Begriff Traum beziehen wir alltagssprachlich auf das Erleben während der REM-Schlafphase. Eine gewisse Aufweichung erfährt dies durch den Tagtraum, der, wie der REM-Traum, unabhängig von der empirischen Wirklichkeit erzeugt wird. Dies ist auch bei positiven Halluzinationen der Fall, die, wie wir noch sehen werden, als Dream Intrusions erklärt werden (Mahowald et al. 1998, siehe auch 3.3.5.4). Wenn ein Traum als eine selbsterzeugte Wahrnehmung unabhängig von der gegenwärtigen Empirie definiert wird, die auf eine bestimmte metakognitive Weise erlebt wird, dann handelt es sich bei Halluzinationen um ein in die Welt projiziertes Traumerleben. Das bedeutet, dass sich bei manchem hypnotischen und psychotischen Erleben Träume mit der empirischen Wahrnehmung vermischen. Diese Mischung von Traum und empirischer Welt wird durch Schlafentzug gefördert (1.2 und 3.3.5.4). Subklinische psychotische Erfahrungen sind normale Möglichkeiten des Bewusstseins und müssen nicht durch ein pathologisches Modell oder einen besonderen Zustand erklärt werden. Auch bei den emotionalen Störungen ist es unnötig, besondere kognitive Funktionen zu postulieren, die nicht schon Teil des Alltagsbewusstseins sind. Kognitive Einseitigkeiten und Verzerrungen sind wohl eher die Norm, als die Ausnahme. Und, so wurde gezeigt, auch dissoziative Erfahrungen sind auf einem Kontinuum vom nichtpathologischen zum pathologischen anzusiedeln. »The difference between adaptation and psychological disorders is largely quantitative. The link between normal adaptive functioning and maladaptive functioning appears to be the result of the exaggeration of biases found in normal information processing. Negative bias normally exaggerates a threat or challenge, whereas positive bias exaggerates the reward from expansive activity« (Beck/Haigh 2014: 3).
Wenn gesagt wird, dass eine Person die Verbindung zur Realität verloren hat und ihre Wirklichkeit chronisch von dem abweicht, was als normal empfunden wird, gibt es die Tendenz, dies zu pathologisieren. Dies entspricht nicht den Tatsachen. Menschen können in einem klinischen Sinn geistig gesund sein und doch in einer Welt leben, die von anderen als bizarr, unrealistisch und extrem empfunden wird. Wenn es keine klare Grenze zwischen dem Gesunden und dem Kranken gibt, ist es wohl ein Stück weit kontingent, wo eine Gesellschaft die Grenze zum Pathologischen zieht. Die Kontinuität des Bewusstseins macht die Möglichkeit eines nichtwachen Erlebens innerhalb des Alltagsbewusstseins verständlich. Das Argument, dass
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Nichtwachheit auf den Schlaf beschränkt ist, geht erstens von einer nicht haltbaren Diskontinuitätsthese aus und verwechselt zweitens den physiologischen Zustand des Schlafs mit einem kognitiven Zustand. 3.3.4.2 Kontinuität und Konzept: Change Blindness Die Kontinuität des Bewusstseins impliziert, dass die Höhe der Nichtwachheit graduell zu bestimmen ist und nicht auf einen besonderen Zustand beschränkt ist. Die entscheidende Frage ist daher nicht, ob man wach ist, sondern wie wach man im Moment ist, bzw. wie stark Nichtwachheit das gegenwärtige Erleben prägt. Wenn es jedoch nicht möglich ist, diese Höhe reduktionistisch zu erklären, muss die Erklärung von der Biologie unabhängig sein. Aus kognitionspsychologischer Perspektive ist eine Antwort auf die Frage, wie es sein kann, dass das mentale System über einen längeren Zeitraum eine subjektive Wirklichkeit erzeugt, welche in entscheidenden Punkten nicht kompatibel ist zum objektiv Wirklichen, auf der Basis von Aufmerksamkeit und Konzepten zu entwickeln. Da dieser Zusammenhang nicht ganz einfach zu verstehen ist, wird in den nächsten Abschnitten eine schrittweise Annäherung versucht. Ein Thema, welches hierfür besonders gut geeignet ist, ist die Inattentional Blindness und die dazugehörende Change Blindness. Diese Phänomene demonstrieren noch einmal die Kontinuität der Wahrnehmung und die zentrale Rolle der Aufmerksamkeit. Die Change Blindness, auf die ich mich hier konzentrieren möchte, zeigt, dass Konzepte als semantische Instrumente zur Steuerung von Aufmerksamkeit nicht nur die Wahrnehmung von Wirklichkeit ermöglichen, sondern auch verhindern können. So wird deutlicher, was die Kritiker der Diskontinuitätsthese meinen, wenn sie sagen, dass das Alltagsbewusstsein von einer geringen metakognitiven Bewusstheit geprägt sein kann. Im ursprünglichen Experiment zur Change Blindness fragte ein Teilnehmer des Experiments ein Testsubjekt auf dem Campus einer Hochschule nach dem Weg. Anschließend trugen zwei Personen eine Tür genau zwischen dem Testsubjekt und der fragenden Person vorbei, so dass sie sich für einen kurzen Moment nicht mehr sehen konnten. In diesem Moment wurde derjenige, welcher das Testsubjekt nach dem Weg gefragt hatte, durch eine andere Person ersetzt. Nachdem also die Tür vorbeigetragen worden war, stand gegenüber dem Testsubjekt plötzlich eine andere Person (Simons/Levin 1998). Das verblüffende Ergebnis dieses Versuchs ist, dass ungefähr die Hälfte aller Versuchsteilnehmer nicht bemerkte, dass sie sich nun mit jemand anderem unterhielten. In einem weiteren Experiment traf das Testsubjekt auf eine Person am Tresen einer Pforte. Als diese sich bückte, um scheinbar nach einigen Dokumenten zu greifen, wurde sie ausgetauscht, so dass nun eine andere Person vor dem Testsubjekt stand. Hier erkannten 75 % aller Teilnehmer nicht, dass ihr Ge-
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sprächspartner ausgetauscht worden war (Levin et al. 2002). Interessanterweise hatten die Teilnehmer dieses Experiments erst eine Stunde vorher in einem Kurs zufällig von der ursprünglichen Studie gehört, bei der ein Gesprächsteilnehmer hinter einer Tür ausgetauscht worden war. Wie die meisten Leute hatten sie geglaubt, dass ihnen der Austausch der Person aufgefallen wäre, doch eine Stunde später wurden sie eines besseren belehrt. Die Radikalität der Change Blindness ist ziemlich verblüffend. Levin (2002: 114) beschreibt, wie er und seine Kollegen vor jedem ihrer Versuche dachten, dass sie zu weit gehen würden und die Veränderung für jeden offensichtlich wäre. Jedes mal zeigte sich jedoch, dass auch massive Veränderungen, die sich im Zentrum der Aufmerksamkeit der Zuschauer befanden, nicht entdeckt werden. Die Erfahrung, dass sich sinnliche Objekte der Erfahrung verändern, kennen die meisten nur aus dem Traum. Hier geschieht es immer wieder, dass Figuren ihr Aussehen ändern oder zu anderen Personen werden. Manchmal ist man sich dieser Veränderung bewusst, wenn man sich morgens an den Traum erinnert. Häufig fällt es einem auch schon während des Traumes auf. Meistens nehmen wir eine solche Veränderung einfach hin, vielleicht abgefedert durch eine Rationalisierung. Vor der Entdeckung der Change Blindness hätten nur wenige vermutet, dass dieses Phänomen nicht nur im Traum existiert. Wie im Traum waren sich einige Versuchsteilnehmer bei den erwähnten Experimenten sogar bewusst, dass sich ihr Gesprächspartner verändert hatte. Trotzdem führten sie das Gespräch weiter, als ob nichts geschehen sei (Simons/Levin 1998: 646). Wie im Traum wurde akzeptiert, was als ein durchaus ungewöhnlicher Vorgang hätte eingestuft werden können. Die Frage, ob eine Veränderung registriert wird, oder ob sie völlig unbemerkt bleibt, wurde gezielt in einem weiteren Experiment untersucht. In diesem Fall ging man so vor, dass die Person, welche dem unwissenden Versuchsteilnehmer eine Frage stellte, einen Basketball mit einem unüblichen Muster bei sich trug. Auch hier bemerkten es nur wenige, wenn der Ball ausgetauscht wurde. Es zeigte sich jedoch, dass viele sich der Veränderung bewusst wurden, wenn ihnen anschließend gezielt Fragen zu der Veränderung gestellt wurden. Auch wenn sie sich also im Moment des Austauschs desselben nicht gewahr worden waren, konnten sie sich hinterher, wenn man ihnen half, durchaus bewusst werden, dass der Ball ausgetauscht worden war. Eine Veränderung kann also wahrgenommen werden, ohne dass sie bewusst registriert wird: »Not only do we appear to represent information from a changed scene, but that information is potentially accessible to awareness« (Simons et al. 2002: 89). Change Blindness demonstriert, dass Ereignisse auch dann nicht bewusst registriert werden müssen, wenn sie sich im Zentrum der Aufmerksamkeit befinden (allerdings braucht es eine kleine Unterbrechung, damit ein Austausch unbemerkt bleibt). Wie kann dies erklärt werden?
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Bei einer modifizierten Version des ursprünglichen Experiments waren die Personen, die hinter einer Tür ausgetauscht wurden, als Bauarbeiter verkleidet. Diese Kleidung führte dazu, dass der Austausch von Studenten noch seltener erkannt wurde. »When the experimenters appeared to be members of an out-group, thereby decreasing the likelihood that students would code individuating features, the ability to detect a change to the centrally attended object in a scene was dramatically reduced. One subject who failed to detect the change essentially stated our predicted hypothesis: She said that she had just seen a construction worker and had not coded the properties of the individual. That is, she quickly categorized the experimenter as a construction worker and did not retain those features that would allow individuation. Even though the experimenter was the center of attention, she did not code the visual details and compare them across views. Instead, she formed a representation of the category, trading the visual details of the scene for a more abstract understanding of its gist or meaning« (Simons/Levin 1998: 647f.).
Anders formuliert wurde von den Studenten die nach dem Weg fragende Person weniger als Individuum mit bestimmten Merkmalen wahrgenommen, denn als eine soziale Rolle. Die Versuche zur Change Blindness demonstrieren, wie sehr Konzepte als semantische Werkzeuge zur Steuerung der Aufmerksamkeit festlegen, was gesehen, und was nicht gesehen wird. Wenn ein Kommunikationspartner nicht als Individuum wahrgenommen wird, sondern bspw. nur als soziale Rolle, geht ein großer Teil seiner Eigenarten verloren, so dass er nicht eindeutig individuiert werden kann. Diejenigen Veränderungen, die nicht Bestandteil des Konzepts sind, welches die Erfahrung bestimmt, werden nicht registriert. Daher kann die konzeptionelle Strukturierung der Aufmerksamkeit erklären, weshalb Menschen in einer Wirklichkeit leben können, die sich von der objektiven empirischen Wirklichkeit unterscheidet. Dies ist bspw. der Fall, wenn eine Person durch eine soziale Identität gelernt hat, die Menschen der Out-Group zu stereotypisieren und sie zu prototypischen Vertretern eines bestimmten Milieus erklärt. Sie kann dann schlichtweg nicht mehr in der Lage sein, eine Person als Individuum wahrzunehmen. Es ist nicht schwer zu verstehen, weshalb dieser Vorgang es unmöglich machen kann, für andere Empathie zu empfinden. Change Blindness ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie wenig metakognitiv bewusst das Alltagsbewusstsein häufig ist. Dies gilt zum einen für das Erleben selbst, da man Veränderungen erleben kann, ohne sich ihrer bewusst zu sein. Dies gilt zum anderen dafür, wie wenig bewusst wir uns unserer eingeschränkten Fähigkeiten für die Entdeckung von Veränderungen sind. Die meisten glauben, dass ihnen die Veränderungen dieser Experimente auffallen würden. Diese Unbewusstheit für die Change Blindness nennen Levin und Simon Change Blindness Blindness. Wenn man bedenkt, wie wichtig die visuelle Erfahrung für
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uns ist, und wie viel Erfahrung wir mit ihr haben, ist diese Unwissenheit doch ein wenig überraschend. Wir sind es kulturell bedingt gewohnt, das Erleben des Tages vom nächtlichen Traumerleben scharf zu unterscheiden. Die Change Blindness zeigt, dass die objektive Wirklichkeit letztlich nicht wahrgenommen wird. Bewusst wahrgenommen wird nur ein konzeptionell strukturierter Ausschnitt dieser Wirklichkeit. Wenn argumentiert wird, dass Nichtwachheit eine Eigenschaft von Träumen sein könne, aber nicht des Alltagsbewusstseins, da der Traum im Gegensatz zur Wirklichkeit eine bewusstseinsimmanente Erfahrung sei, während die Wirklichkeit objektiv gegenwärtig sei, entspricht dies nicht den Tatsachen. Change Blindness beweist jedoch nur, dass das Erleben in einem hohen Maße selektiv sein kann, ohne dass man sich dessen bewusst ist. Dies zeigt noch nicht genügend deutlich, dass das Alltagsbewusstsein eine traumähnliche Qualität haben kann. Die Versuche zum Mind Wandering demonstrieren, dass ein erheblicher Anteil des Stream of Consciousness tatsächlich eine traumähnliche Qualität hat. 3.3.4.3 Unbewusstes Erleben Der Vorgang des Träumens wird alltagssprachlich mit REM-Träumen verbunden und als eine primär visuelle Erfahrung mit einem bestimmten emotionalen Gehalt gedacht. Tatsächlich gibt es noch eine andere Art des Träumens. Die Schlafforschung hat gezeigt, dass der Mensch auch während der NREM-Phase des Schlafs träumt (z. B. Foulkes 1985, Fagioli 2002). An diese Träume kann man sich morgens nicht erinnern. Weckt man jedoch Menschen im Schlaflabor während dieser Schlafphase, wird in bis zu 70 % aller Fälle von Traumerfahrungen berichtet (Wittman/Palmy/Schredl 2004, Bosinelli 1995). NREM-Träume sind anders als REM-Träume. Sie haben meistens keine narrative Struktur und keine intensive emotionale Qualität. Sie sind kürzer und einfacher strukturiert. Auch handelt es sich bei ihnen nicht primär um visuelle Erfahrungen, da sie eher eine begriffliche Natur haben. Sie ähneln eher Monologen oder Dialogen. Um die Assoziation des Begriffs Traum mit den visuellen und narrativen Träumen der REM-Phase zu verhindern, wird die kognitive Tätigkeit während des Schlafes in der Schlafforschung meistens als Dream Mentation (Fagioli 2002) bezeichnet. Das Träumen bzw. die Dream Mentation hat also eine eher visuell-narrative, oder eine eher begriffliche Qualität. Diese Differenzierung ist wichtig, da wir das Konzept einer nichtwachen Erfahrung vermutlich zunächst mit den REMTräumen der Nacht verbinden. Von dieser Perspektive her kann leicht die Frage formuliert werden, ob es tatsächlich möglich ist, dieses Konzept auf das Alltagsbewusstsein anzuwenden. Dies, so wird gleich deutlicher zu erkennen sein, ist einfacher zu verstehen, wenn man sich von der falschen Assoziation mit den
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REM-Träumen befreit. Der Begriff der Dream Mentation wirft dagegen die Frage auf, was genau eine geträumte Erfahrung definiert. Ein Kennzeichen einer Dream Mentation ist sicherlich, dass sie nicht auf die bewusstseinsunabhängige Wirklichkeit bezogen ist. Während eines Tagtraums gleitet die Aufmerksamkeit ab in eine Phantasie oder Erinnerung, so dass man im Moment nicht mehr auf die objektive Wirklichkeit bezogen ist. Dieses Phänomen wird unter der Bezeichnung Mind Wandering seit einer Weile ausgiebig erforscht. Mind Wandering wird definiert als Task-Unrelated Thought bzw. als Stimulus-Independent Thought (Fox et al. 2013). Ein Vorteil dieses Phänomens ist, dass es jeder aus eigener Erfahrung kennt. Mind Wandering bezeichnet das Phänomen, dass, während man einen Text liest, man plötzlich bemerkt, dass man tatsächlich überhaupt nicht mehr den Text liest, sondern man mit seiner Aufmerksamkeit ganz woanders gewesen ist. Anstatt weiter zu versuchen, die Bedeutung des Textes zu erfassen, hat man tatsächlich den nächsten Urlaub geplant. »[M]ind-wandering is defined precisely by its absence of a correspondence with ongoing external events« (Schooler/Schreiber 2004: 25). Für die Definition des Mind Wandering ist es entscheidend, dass man sich des Abzugs der Aufmerksamkeit von der äußeren Umwelt und der Zuwendung zu selbstgenerierten Gedanken und Gefühlen nicht bewusst ist (Smallwood/Schooler 2015). Da man sich dieser Tatsache erst hinterher bewusst wird geht Mind Wandering mit dem metakognitiven Defizit einher, dass es nicht als solches erkannt wird. Untersucht wird dieses Phänomen durch ein sogenanntes SelfCaught/Probe-Caught Paradigm: Die Teilnehmer dieser Studien lesen einen Text und signalisieren jedes Mal, wenn sie sich beim Mind Wandering ertappen (SelfCaught). Parallel werden sie immer wieder gefragt, ob gerade ein Mind Wandering stattgefunden hat (Probe-Caught). Dabei zeigt sich, dass auch dann, wenn Subjekte explizit darauf achten sollen, ob sie in Mind Wandering abgleiten, dies häufig nicht festgestellt wird. »These findings demonstrate that individuals frequently lack metaconsciousness of the fact that they are daydreaming, even when they are in a study where they are specifically instructed to be vigilant for such lapses« (Schooler 2002: 341). Man kann wohl davon ausgehen, dass 25–50 % aller mentalen Prozesse nichts mit dem gegenwärtigen Moment zu tun haben, ohne dass man dies mitbekommt. »Moreover, a general absence of metaconsciousness seems to characterize a surprisingly large proportion of our waking hours« (Schooler 2002: 341, siehe auch Smallwood/Schooler 2015, Scholler et al. 2011). Diesem metakognitiven Defizit begegnen wir nicht zum ersten mal. Auch bei der Change Blindness sind sich Personen dessen nicht bewusst, was sie erleben. Bei Depression und Angststörungen ist man sich häufig problematischer Gedanken nicht bewusst. Es gibt also einen Unterschied zwischen einem bloßen Erfahren und einem bewussten Erfahren. Man kann einen Gedanken erfahren, ohne sich seiner
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tatsächlich bewusst zu sein, oder man kann einen Gedanken als einen Gedanken erfahren. In der Literatur zum Mind Wandering wird diese Differenzierung reflektiert in der Unterscheidung zwischen dem Experiantial Consciousness (also phänomenales Bewusstsein), und der Meta-Awareness, das heißt Metakognition (z. B. Baird et al. 2013). Beim Mind Wandering existiert Experiantial Consciousness, da etwas erfahren wird, doch es existiert keine Metakognition, da man sich nicht bewusst ist, dass man etwas erfährt. So wie bei der Change Blindness etwas im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen kann, und es trotzdem nicht bewusst registriert wird, kann die Aufmerksamkeit beim Mind Wandering ganz mit einem mentalen Erleben befasst sein, ohne dass dies registriert wird. Wir müssen also unterscheiden zwischen »having an experience versus knowing that one is having it« (Schooler/Schreiber 2004: 25). Die ursprüngliche Forschung zum Mind Wandering geht von einem Dichotomiemodell aus: Entweder man ist fokussiert auf die gegenwärtige Aufgabe und frei von Stimulus-Independent Thought, oder man ist es nicht. Schad, Nuthmann und Engbert schlagen dagegen ein hierarchisches Modell vor und konnten das Verständnis des Mind Wandering damit erheblich verfeinern. »Our main goal with the present work is to propose the levels of inattention hypothesis, which assumes that different hierarchical levels of cognitive processing are decoupled from external input in a graded fashion, reflecting states of deep and weak attentional decoupling« (Schad et al 2012: 179).
Wir hatten das Beispiel, dass man beim Mind Wandering nichts mehr vom Inhalt des Textes mitbekommt. Schad et al. bezeichnen diesen Fall als ein Strong Decoupling. Wenn man Texte verwendet, die verschiedene Grade an Möglichkeiten des Verstehens und Tiefen des Erfassens aufweisen, kann gezeigt werden, dass die Stärke des Mind Wandering mit dem Verständnis des Textes korreliert. Bei einem Weak Decoupling versteht man beispielsweise noch die Handlung einer Kriminalgeschichte. Was man aber nicht mehr mitbekommt sind die subtilen Hinweise, durch die man den Mörder identifizieren kann. Je stärker das Mind Wandering, desto weniger richtig erfasst man die Wirklichkeit. Bei einem Vortrag bekommt man vielleicht noch mit, dass jemand spricht, aber man hat vielleicht keine Ahnung mehr, was gerade erzählt wird. Mind Wandering sollte also nicht als dichotomes entweder-oder, sondern als hierarchisches mehr-oderweniger Phänomen verstanden werden. Wir können mehr oder weniger stark von selbstproduzierten Kognitionen bestimmt sein, ohne uns dessen bewusst zu sein. Für diese Untersuchung ist vor allem die Existenz eines Weak Decoupling interessant. Es demonstriert, dass man traumähnliche Erfahrungen machen kann, ohne dass die Aufmerksamkeit ganz von der sinnlichen Realität abgezogen sein muss. Wie bei der Dream Mentation findet auch beim Mind Wandering ein Perceptual Decoupling statt, so dass Self-Generated Thoughts bei metakognitiver
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Unbewusstheit erfahren werden (Smallwood/Schooler 2015: 507f.). Neben dieser Gemeinsamkeit des Verhältnisses von Erleben (phänomenalem Bewusstsein), Bezug auf die Wirklichkeit, und Rolle der Metakognition, gibt es interessanterweise eine neurobiologische Gemeinsamkeit zwischen Dream Mentation und Mind Wandering. Es gibt eine Hirnregion, die immer dann aktiv wird, wenn eine Person nicht bewusst mental aktiv ist, das Default Mode Network (Mason et al. 2007). Wie sich gezeigt hat ist diese Hirnregion beim Mind Wandering und bei REM-Träumen aktiv. Dies hat zu der These geführt, dass die Träume der Nacht ein intensiviertes Mind Wandering sind56 (Fox et al. 2012). Als 1953 die REM-Schlafphase entdeckt wurde dachte man zunächst, dass das Träumen eng mit diesem Hirnzustand verbunden ist und auf diesen reduziert werden kann. Diese Idee wurde fallengelassen als David Foulkes erkannte, dass auch der NREM-Schlaf von Dream Mentation geprägt ist. Noch später wurde deutlich, dass sich bei 20–25 % aller Menschen im entspannten Zustand sehr schnell traumähnliche Erfahrungen einstellen. Diese können für manche Menschen so intensiv sein, dass sie für wirklich gehalten werden (Foulkes 1985: 72ff., Mahowald et al. 1998). »With no explicit task, subjects almost immediately engaged in spontaneous thought, including daydreaming, planning for the future, recalling memories, and so on« (Fox et al. 2012: 2). Träume sind ebenso wenig wie Wachheit auf einen Hirnzustand beschränkt. Noch einmal wird deutlich, dass die Zustandstheorie nicht haltbar ist und wir statt dessen von einer Kontinuität des Bewusstseins ausgehen müssen. »The acceptance of normal waking hallucination seems to depend on transcending rigid dichotomies about waking versus sleeping, and normal versus abnormal, thinking. These dichotomies have found much support in the rationalist tradition in Western Culture. But they don’t seem to be accurate, and they’re a definite obstacle to describing how our conscious minds really work« (Foulkes 1985: 76).
Bosinelli (1995) argumentiert, dass der Schlaf als ein Aussetzen motorischer und auf die äußere Umwelt bezogener kognitiver Prozess die Möglichkeit bereitet für das Träumen, und nicht ein besonderer Gehirnzustand. Entscheidend sei, dass das Nervensystem von den Kognitionen des Alltagsbewusstseins befreit wird und das Bewusstsein Platz für das Träumen als Stimulus-Independent Mentation erhält: 56 Interessanterweise konnte demonstriert werden, dass das Default Network während der Hypnose deaktiviert wird. Es wird vermutet, dass auf diese Weise Suggestionen leichter aufgenommen werden können (McGeown 2009 et al.). Was das aus Perspektive einer Theorie der Nichtwachheit genau bedeutet ist unklar. Sicherlich müsste man an dieser Stelle genauer definieren, welcher Aspekt des hypnotischen Erlebens mit dieser Deaktivierung einhergeht. Und man müsste wohl prüfen, ob es nicht bei anderen Aspekten vielleicht zu einer Aktivierung des Default Networks kommt.
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»it is sleep, by means of the sensory input reduction and the motor output reduction, that sets the basic conditions for dream production. It is sleep, then, not only REM sleep, that opens the way to dreaming« (Bosinelli 1995: 199, kursiv original).
Der physiologische Zustand des Schlafs ist aus dieser Perspektive nicht identisch mit dem Träumen, sondern ermöglicht durch die Unterbrechung der sinnlichen Wahrnehmung Träume. Dies macht verständlich, wieso Menschen schnell traumähnliche Erfahrungen machen, wenn ihre Aufmerksamkeit für eine Weile nicht länger mit den Sinnen verbunden ist. »But involuntary ideation is by no means foreign to our waking experience. In fact, in implicitly taking problem solving or reasoning as our model of what waking thought typically is like, we propably greatly overestimate the voluntary control that we exert over the flow of conscious waking ideation« (Foulkes 1985: 18).
Mind Wandering demonstriert, dass ein erheblicher Anteil des Erlebens des Alltagsbewusstseins eine traumähnliche Qualität hat. Traumähnlichkeit bedeutet dabei nicht, dass diese Erfahrungen REM-Träumen ähneln. Sie bedeutet die Existenz mentaler Ereignisse bei gleichzeitiger metakognitiver Unbewusstheit. Dream Mentation kann auch ganz ohne Bilder auskommen und einen rein monologischen oder dialogischen Charakter haben. Die Existenz eines begrifflichen Mind Wandering mit einem Weak Decoupling kann vermutlich Aspekte verschiedener nichtwacher Phänomene erklären. Es verdeutlicht, wieso es Menschen möglich ist, in eine Erfahrung der Wirklichkeit abzudriften, zu der, wie Heraklit festgestellt hat, andere Menschen keinen Zugang mehr haben. Die Fähigkeit des Bewusstseins, in jedem Zustand traumähnliche Erfahrungen produzieren zu können, macht die Existenz psychotischer Halluzinationen und mancher hypnotischen Erfahrungen verständlicher. Damit ist jedoch nicht beantwortet, wieso es möglich sein kann, dass diese Erfahrungen für wirklich gehalten werden können. Diese Frage wird das Thema des übernächsten Abschnitts sein, wenn es um das Source Monitoring geht (3.3.4.5). Die andere Frage, die durch das Mind Wandering nicht befriedigend beantwortet werden kann, ist, wie die empirische Wirklichkeit selbst zum Bestandteil von Nichtwachheit werden kann. Zu zeigen, dass traumähnliche Erfahrungen innerhalb des Alltagsbewusstseins existieren erklärt nicht, wie die sinnliche Erfahrung selbst, wenn also die Aufmerksamkeit nicht von der Erfahrung der Welt abgezogen ist, eine dem Traum vergleichbare Qualität haben kann. Dies ist wichtig um plausibler zu machen, dass ein Selbstbetrug oder extreme Weltanschauungen nichtwache Phänomene sein können, obwohl die Menschen hier mit ihren Sinnen ganz auf die Wirklichkeit bezogen sein können.
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3.3.4.4 Perzeption und Imagination Manche Autoren hat die Erkenntnis um die Change Blindness zu der Frage geführt, wie real die sinnlich erfahrene Wirklichkeit ist. Eine Möglichkeit ist, den Realitätsgehalt der Wahrnehmung als gering einzustufen. »Perceptual consciousness is a kind of false consciousness; a sort of confabulation. The visual world is a grand illusion« (No[ 2002: 1)57. Um die Möglichkeit eines nichtwachen Erlebens der Welt zu begründen muss die sinnliche Erfahrung nicht zur Illusion erklärt werden. Es genügt die Einsicht, dass die empirische Wirklichkeit nicht eindeutig ist. Sie kann, abhängig von der Struktur des kognitiven Systems, verschieden erfahren und interpretiert werden. Diese Abhängigkeit der erfahrenen Wirklichkeit vom Subjekt ist deutlich bei den emotionalen Störungen zu beobachten. Ob ein Ereignis angstauslösend ist oder nicht hängt davon ab, wie es beurteilt wird. Und natürlich beeinflusst ein depressiver Zustand ganz erheblich die Erfahrung von Wirklichkeit und ihre Bedeutung. Mit einem semantischen Externalismus hat das wenig zu tun, da es bei diesem mehr um die objektive Bestimmung von Gegenständen geht. Bei der Analyse McDowells und seinem Argument, dass die Wahrnehmung immer konzeptionell strukturiert ist, so dass es keine akonzeptionelle Wahrnehmung gibt, durchdringen sich die objektive und die subjektive Konzeptionalisierung von Wirklichkeit. Wenn zwischen Welt und Bewusstsein keine künstliche Grenze gezogen wird ist es plausibel, dass subjektive Konzepte die sinnliche Erfahrung bestimmen können. Physiologisch sind dieselben Hirnareale für Perzeption und Imagination zuständig. Ein Beispiel für die gegenseitige Durchdringung von Perzeption und Imagination ist die Categorical Perception. Bei dieser werden durch das kognitive System diskontinuierliche Übergänge geschaffen, wo die Übergänge tatsächlich fließend sind (Goldstone/Hendrickson 2010). Das bekannteste Beispiel hierfür ist der Regenbogen. Wir nehmen klar unterschiedene Farben wahr, obwohl es tatsächlich nur kontinuierliche Übergänge ohne Grenzen gibt. Ein anderes Beispiel für die gegenseitige Durchdringung von Imagination und Perzeption ist die bereits im Abschnitt über die Hypnose eingeführte 57 Warum trotzdem eine detaillierte Wirklichkeit erfahren wird will No[ durch die sogenannte amodale Perzeption beantworten. Ein Beispiel dafür ist, dass der blinde Fleck im visuellen Feld nicht erfahren wird – man sieht dort etwas, wo eigentlich nichts ist. »The sceptical problem then becomes: how can we enjoy experiences of the world as richly detailed when we lack internal representations of all that detail?« (No[ 2002: 8). Die Einschätzung, dass Details nicht repräsentiert werden, ist wohl falsch. Erstens kann man durch gezieltes Fragen durchaus ermitteln, dass Details, die zunächst nicht bewusst registriert worden sind, durchaus wahrgenommen worden sind (3.3.4.2). Zweitens vernachlässigt diese Einschätzung die Existenz eines unbewussten Erlebens, wie es die Besprechung des Mind Wandering gezeigt hat. Nur weil man sich etwas nicht bewusst ist, heißt dies nicht, dass man es nicht erlebt.
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Phantasy-Prone Personality (Wilson/Barber 1983). Diese Menschen haben eine außergewöhnlich intensive Vorstellungskraft. Sie können Phantasien haben, die so realistisch sind wie die sinnliche Erfahrung. Gleichzeitig erfahren diese Menschen aber auch die sinnliche Welt überdurschnittlich intensiv. Ein interessantes Phänomen in diesem Zusammenhang sind Kippbilder. Kippbilder können auf zwei verschiedene Weisen gesehen werden. Berühmte Beispiele sind der Necker-Würfel und das Ente-Kaninchen Bild. Früher glaubte man in der Psychologie, Kippbilder durch Bottom-Up Prozesse erklären zu können. Danach wäre das Kippen das Ergebnis eines neurologischen Prozesses (Neural Satiation). Inzwischen wird diese These für unhaltbar gehalten, da man die Bedeutung höherer kognitiver Faktoren (Top-Down Prozesse) bei der Identifizierung zweideutiger Bilder beweisen konnte. Wenn eine Person nicht weiß, dass sie ein Kippbild vor sich hat, hat dieses die Tendenz, nicht zu kippen. Sogar wenn eine Person beide Interpretationen des Bildes kennt, muss es nicht zum Kippeffekt kommen, da das Kippen von der Motivation beeinflusst wird (Rock et al. 1994). Wenn eine Interpretation eines Kippbildes mit etwas Positivem assoziiert ist und die andere Interpretation mit etwas Negativem, wird die Motivation bestimmen, wie das Kippbild wahrgenommen wird (Dunning/Balcetis 2013). Gerade die Tatsache, dass Kinder unter vier Jahren keinen Kippeffekt erfahren, wird als ein Hinweis auf die konzeptionelle Strukturierung der Sinne interpretiert. »Not only do we need the specific information about the alternative interpretations, we also need the general conceptual understanding that multiple interpretations of ambiguous figures are possible. This general conceptual understanding only emerges at about age 5 as part of the general development of ›theory of mind‹ understanding. The apparently immediate experience of reversal can only occur when this conceptual framework is in place« (Gopnik/Rosati 2001: 182).
Die Motivation kann die sinnliche Wahrnehmung so sehr beeinflussen, das man von einem Wishful Seeing sprechen kann. Ein Geldschein, den man gewinnen kann, wird um 13 % näher wahrgenommen als ein Geldschein, den man nicht gewinnen kann (Balcetis/Dunning 2010). Man fand dies heraus durch einen Versuchsaufbau, bei dem die Versuchsteilnehmer die Aufgabe hatten, etwas nach einem Geldschein zu werfen. Wenn man den Versuchsteilnehmern sagte, dass sie etwas bekämen, wenn sie das Geld treffen, warfen sie zu kurz. Sie trafen eher, wenn sie keinen Gewinn erwarteten. George Berkeley hatte Recht, dass die Unterscheidung zwischen primären Eigenschaften, die objektiv wahrgenommen werden, und sekundären, die subjektiv beeinflussbar sind, nicht funktioniert. »Although people assume that their visual experiences reflect the outside world as it is, emerging data converge to suggest that, at least in part, they see it the way they want it to be« (Dunning/Balcetis 2010: 36).
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Auch das Imaginative Seeing, die illusionäre Verkennung, demonstriert, dass »image and percept happily coexist« (McGinn 2004: 33). Wer abends durch den Wald spaziert mag vor einer bedrohlichen Figur erschrecken um dann festzustellen, dass es sich um einen Baum handelt. Perzeptionen sind häufig, oder vielleicht auch nie, so eindeutig, dass die Vorstellung nicht die Möglichkeit hätte, dem Perzipierten eine eigene Bedeutung zuzuweisen. Ohne diese Uneindeutigkeit der Welt hätte ein Mensch mit einer Angsterkrankung nicht die Möglichkeit, alle möglichen Ereignisse als angstauslösend wahrzunehmen. Angstkranke Personen interpretieren Wörter mit einer doppelten Bedeutung systematisch auf bedrohliche Weise. Wenn Menschen ein bekanntes Zitat vorlesen sollen, das leicht geändert wurde, so dass es inhaltlich zu einer sinnlosen Aussage geworden ist, sprechen sie das Zitat richtig und übergehen den falschen Satz. Sie sind dabei der festen Überzeugung, das Zitat richtig gelesen zu haben (Langer 1989: 67). Erwartungen bestimmen die Perzeption maßgeblich. Man nimmt weniger wahr, was tatsächlich der Fall ist, als vielmehr das, von dem man glaubt, dass es der Fall sein muss. Hoch suggestible Personen können ohne hypnotische Induktion zu negativen Halluzinationen gebracht werden. Sie können Grautöne farbig wahrnehmen und sie können farbige Flächen in Grautöne verwandeln, einfach nur indem man ihnen sagt, dass sie das tun sollen (Kirsch 2011). Wie sehr das kategorisierende Wahrnehmen die empirische Wirklichkeit bestimmen kann wird vielleicht nirgends deutlicher, als bei den psychischen Störungen. »The homogeneous image of the Enemy reflects a more general disposition to engage in categorical thinking. The patients create an imaginary category to define the persecutory agents and then apply it vigorously to ›suspicious‹ individuals. The paranoid category may be broad with loose boundaries (e. g., Philadelphia police) or narrow and well defined (e. g., coworkers or family members). Once the category is created, however, the individual characteristics of the identified persecutors are blended into the category. The same categorical thinking extends to invisible entities such as the Devil, spirits, or dead relatives. When the image of the defined entity has been created, the patients either ›see‹ them or feel their invisible influence« (Beck/Rector 2005: 587f.).
Bei paranoiden Tendenzen ist es nicht nur so, dass eine Hypervigilanz für als bedrohlich interpretierte Reize besteht. Gleichzeitig wird die Aufmerksamkeit von scheinbar bedrohlichen Aspekten der Wirklichkeit schneller wieder abgezogen, als bei Personen ohne paranoide Tendenzen. Diese Experiential Avoidance als motivierte Unbewusstheit gegenüber Erfahrungen führt dazu, dass der Kurs, auf den man sich festgelegt hat, nicht korrigiert wird (Beck/Rector 2005: 585).
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Es ist keine neue Erkenntnis, dass das kognitive System maßgeblich die Erfahrung der Wirklichkeit bestimmt. Dies erklärt, weshalb in der Geschichte der Philosophie so selten ein naiver Realismus vertreten worden ist. Dass auch die These, dass eine systematische Verzerrung der Wirklichkeit mit Nichtwachheit einhergehen kann nicht ganz neu ist, zeigen Sokrates und Heraklit. Die Frage, die nun beanwortet werden sollte, ist, wie es sein kann, dass selbst erzeugte Kognitionen für die objektive Wirklichkeit gehalten werden können. 3.3.4.5 Wirklichkeit als Ergebnis eines Urteils Der Bezug auf die Kognition, die Metakognition, kann richtig oder falsch sein. Man kann sich über sein Erleben irren. Das kann bedeuten, dass etwas als etwas wahrgenommen wird, das es nicht ist, oder dass etwas nicht wahrgenommen wird, obwohl es erlebt wird. Eine Möglichkeit, diesen Zusammenhang besser zu verstehen, ist die Source Monitoring Perspective von Marcia K. Johnson (1988, 1998). Es ist eine verbreitete Erfahrung, dass wir bewusst versuchen, zwischen bewusstseinsimmanenten und bewusstseinsunabhängigen Vorgängen zu unterscheiden. Ein bekanntes Beispiel ist, wenn wir überlegen, ob wir den Ofen tatsächlich ausgeschaltet haben, oder wir nur gedacht hatten, ihn auszuschalten. Man kann sich manchmal nicht sicher sein, ob es sich bei einer Erinnerung um ein geträumtes Ereignis handelt, oder ob man es tatsächlich erlebt hat. Und manchmal ist man sich nicht sicher, ob man jemanden sprechen gehört hat, oder ob man nur meint, dass man jemand gehört hat. Ein recht neues Phänomen einer illusionären Erfahrung ist das Phantomvibrieren des Handys. Beim ersten mal zieht man das Handy raus, weil man denkt, dass es vibriert hat, doch man stellt fest, dass niemand angerufen hat. Man hat automatisch und metakognitiv unbewusst gehandelt. Nach dieser Erfahrung weiß man um die Existenz halluzinierter Handyvibrationen, das heißt man hat sich ein neues Konzept angeeignet. Wenn man das nächste mal das Gefühl hat, dass das Handy vibriert, man sich aber nicht sicher ist, kann man sein metakognitives Wissen einsetzen und prüfen, ob es wirklich vibriert. Bei einer solchen Prüfung, die Johnson Source Monitoring genannt hat, findet ein Reality Testing statt, bei welchem zwischen bewusstseinsimmanenten und bewusstseinsexternen Ereignissen unterschieden wird. Wenn man eine optische Täuschung wahrnimmt kann man sich die Frage stellen, ob etwas wirklich ist, wie es wahrgenommen wird, oder ob es nur so zu sein scheint. Man überprüft, ob die Quelle des Eindrucks außerhalb von einem selbst ist (externe Attribuierung), oder ob sie mit einem selbst zu tun hat (interne Attribuierung). Ein fehlerhaftes Source Monitoring kann dramatische Konsequenzen haben. Phantasien können für Erinnerungen gehalten werden und die Grundlage für ein
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Selbstkonzept bilden, welches nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat. Auch bei psychotischen Erfahrungen kommt es zu einer fehlerhaften Attribuierung, so dass eigene Gedanken auf eine externe Ursache projiziert werden58. Der Traum der Nacht geht chronisch mit einer fehlerhaften Attribuierung einher und wird meistens für die bewusstseinsunabhängige Wirklichkeit gehalten. Bei Konfabulationen und hypnotischen Erfahrungen wird gerade ein metakognitives Defizit als die Bedingung der Möglichkeit der Manifestation dieser Phänomene gehalten. Besonders faszinierend und schwer zu verstehen ist die metakognitive Beurteilung beim Thema Schlafwahrnehmung. Man kann urteilen, dass man schläft, obwohl man tatsächlich wach ist. Wie gezeigt wurde verbessert bei einer paradoxen Schlafstörung die metakognitive Fähigkeit der Unterscheidung von Schlaf und Nichtschlaf die Fähigkeit des Schlafens. Johnson geht davon aus, dass ständig ein Reality Monitoring im Hintergrund der Erfahrung stattfindet. Ihrer Ansicht nach bedeutet dies, dass die Erfahrung der Wirklichkeit auf einem Urteil basiert: »Reality is not given by experience, but by a judgement process« (Johnson 1988: 57). Spätestens seit Descartes wissen wir, dass alles, was wir erfahren, angezweifelt werden kann. Solange wir nicht gerade lesen oder erfolgreich einen Lichtschalter betätigen, kann jede Erfahrung geträumt sein. Zu lernen, luzide zu träumen, bedeutet gerade, das Urteil, dass der gegenwärtige Moment wirklich und nicht geträumt ist, zu hinterfragen, und sich kritisch zu fragen, ob man nicht vielleicht doch gerade träumt. Es kann passieren, dass man sich im Traum die Frage stellt, ob man gerade träumt, und man verneint sie mit dem Argument, dass die Erfahrung zu realistisch ist. Da jede Erfahrung a priori auf einem zumindest impliziten Urteil über den ontologischen Status des Erlebten basiert, ist der Wirklichkeitsaspekt von Erfahrung das Ergebnis eines Urteils. Bei psychischen Störungen besteht ein wesentlicher Teil des Heilungsprozesses darin, eine größere metakognitive Bewusstheit zu entwickeln. Menschen mit einer Angststörung sollen lernen, kritischer gegenüber der eigenen Erfahrung zu werden und zu prüfen, ob etwas wirklich eine Bedrohung darstellt, oder ob man es nur so empfindet. Wer an einer Depression leidet und dazu tendiert, seine Erfahrungen abzuwerten, übt seine metakognitive Bewusstheit und prüft bspw., ob seine Urteile realistisch sind. Auch bei der Therapie der Psychose werden seit den 90er Jahren kognitive Methoden eingesetzt. Menschen mit auditiven Halluzinationen lernen, ihre Stimmen nicht mehr für die Wahrheit zu halten und ihnen gegenüber eine kritische Haltung einzunehmen. Patienten, die 58 »Psychosis is recognized as occurring when the individual appraises experiences as externally caused and personally significant. Such appraisals are formally identified as delusions and hallucinations: e. g. ›I am being poisoned‹ ; ›God is giving me special powers‹ ; ›my voices are coming from persecutors who want to kill me‹ ; ›a transmitter is beaming my thoughts worldwide‹« (Garety et al. 2001: 191).
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unter einem Wahn leiden, lernen ihre Überzeugungen rational zu prüfen, anstatt ihnen unkritisch zu folgen (Chadwick/Birchwood/Trower 1996). Während Johnson davon ausgeht, dass ein Reality Monitoring ständig im Hintergrund stattfindet, hat Daniel T. Gilbert ein Korrekturmodell des Source Monitoring entwickelt (Gilbert 1991, Gilbert/Gill 2000). Gilbert geht davon aus, dass der Mensch zunächst ein naiver Realist ist, und eine Erfahrung erst in einem möglicherweise stattfindenden zweiten Schritt auf ihren Wirklichkeitsgehalt geprüft wird. Erkenntnistheoretisch sieht dies Gilbert darin begründet, dass wir zunächst etwas akzeptieren müssen, um es erkennen zu können. Es sei nicht möglich, etwas zu verstehen, ohne es zuvor implizit zu akzeptieren (Gilbert bezieht sich dabei auf Spinoza59). Empirisch zeigt sich dies bspw. daran, dass verneinende Aussagen wie »A ist kein Mafiosi« so rezipiert werden, dass im Anschluss an diese Information ein gewisser Anteil an Personen A für einen Mafiosi hält. Der Grund hierfür ist, dass in einem ersten Schritt die Aussage akzeptiert werden muss, damit sie verstanden werden kann, das heißt man muss die Möglichkeit akzeptieren, dass A ein Mafiosi ist. Die Verneinung der Aussage gehört in den zweiten Schritt der Informationsverarbeitung. Dass dieser Schritt nicht immer vollzogen wird, obwohl die Information explizit vorhanden ist, zeigt sich empirisch daran, dass ein Teil der Personen, die die Information erhält, dass A kein Mafiosi ist, ihn anschließend trotzdem für einen ebensolchen halten (Gilbert 1991). Wir werden später noch weitere Versuche kennen lernen, durch die Gilbert demonstrieren konnte, dass der Mensch erst in einem zweiten Schritt ein expliziter Antirealist wird (3.3.5.1). Entwicklungspsychologisch lässt sich dieser Zusammenhang daran erkennen, dass Kinder zunächst mit großer Naivität alles als real akzeptieren und das kritische Hinterfragen als einem expliziten Urteilen erst in einem zweiten Schritt erlernen. Aus Perspektive des Korrekturmodells ist die metakognitive Ebene zwar implizit gegenwärtig, doch sie wird nicht immer realisiert. Eine wichtige Frage ist daher, welche Faktoren einen metakognitiv naiv werden lassen. Wie sich gezeigt hat ist Stress (Cognitive Load) ein zentraler Faktor. In verschiedenen Versuchen hat sich gezeigt: »people who were under cognitive load or time pressure embraced realist interpretations of a stimulus – as if they initially believed their mental representations of the stimulus to be faithful reflections of its properties, and then failed to execute a second mental operation that would correct for the fact that their representations were ›contaminated‹ by extraneous factor« (Gilbert/Gill 2000: 394).
59 »People are especially prone to accept as true the things they hear and see – but why is this so? The explanation examined here is that people are Spinozan systems, that, when faced with shortage of time, energy, or conclusive evidence, may fail to unaccept the ideas that they unvoluntarily accept during comprehension« (Gilbert 1991: 116).
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Dass die Erfahrung von Wirklichkeit auf einem Urteil basiert erklärt, wieso Menschen auch ohne Pathologie in einer massiv verzerrten Wirklichkeit leben können. Unter Stress kann es leicht geschehen, dass metakognitive Fähigkeiten nicht eingesetzt werden können und man als naiver Realist den Schein für die Wirklichkeit hält. Je gestresster wir sind und umso mehr unser Leben von Druck und Eile geprägt ist, desto wahrscheinlicher wird es, dass wir wesentliche Aspekte der Wirklichkeit nicht mitbekommen oder falsch verstehen.
3.3.5 Die Verabsolutierung von Konzepten Bis zu einem gewissen Grad ist nun erklärt, wieso das kognitive System in der Lage ist, ein nichtwaches Erleben zu entwickeln: Konzepte können als semantische Instrumente zur Steuerung von Aufmerksamkeit zu einer grundlegend falschen Wahrnehmung und zu einem falschen Verständnis der Wirklichkeit führen. Sie können die empirische Wirklichkeit systematisch verzerren und imaginativ überlagern. Erfahrungen können falsch verstanden werden. Was wirklich ist kann für unwirklich gehalten werden, was nicht wirklich ist, kann man für wirklich halten. Unter Cognitive Load kann die Manifestation von Metakognition scheitern. Die Frage dieses Abschnitts ist, wie es konkret zu einer nichtwachen Wahrnehmung kommt. Durch welche Mechanismen und Vorgänge können Konzepte das kognitive System so dominieren, dass es über einen längeren Zeitraum zu einem chronischen Verkennen von Wirklichkeit kommt? Was genau unterscheidet eine nichtwache von einer wachen Wahrnehmung? Anders formuliert ist die Frage, wie das kognitive System konkret die drei Eigenschaften des nichtwachen Erlebens produziert, wie es ein Missverstehen von Wirklichkeit erzeugt, das mit einem Nichterkennen von Möglichkeiten und einem reduzierten Selbstbewusstsein einhergeht. Um Antworten auf diese Fragen zu entwickeln ist es an dieser Stelle hilfreich, Ellen J. Langers (1989, 1992, 2000) Unterscheidung von Mindlessness und Mindfulness aufzugreifen. Wie bereits erwähnt werden bei einer von Mindfulness geprägten Wahrnehmung in der Gegenwart situativ angemessen neue Konzepte entwickelt, während bei Mindlessness unkritisch Kategorien und Unterscheidungen der Vergangenheit angewendet werden. »Just as mindlessness is the rigid reliance on old categories, mindfulness means the continual creation of new ones« (Langer 1989: 63). Mindlessness heißt, dass die Person nicht offen ist für die gegenwärtige Situation, sie ist Trapped by Categories. Es kommt zu einem »acting from a single perspective« (Langer 1989: 16 ff). Anstatt zu prüfen, wie etwas zu verstehen ist, legt man sich frühzeitig fest auf eine bestimmte Sicht, die nicht hinterfragt wird. Es kommt zu einem Premature Cognitive Commit-
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ment60, zu einer vorzeitigen Beschränkung der eigenen Möglichkeiten und einer Einschränkung der eigenen Fähigkeiten. Diese Vorgehensweise ist unbewusst. Wäre ein metakognitives Bewusstsein gegenwärtig, könnte man prüfen, ob man etwas wirklich versteht, oder ob man versucht, ein Konzept einer Situation überzustülpen. Ohne dieses Bewusstsein berücksichtigt man nicht, dass Konzepte nur in einem bestimmten Kontext Sinn machen und in anderen Kontexten dazu führen, dass man die Bedeutung der Situation grundlegend missversteht: »mindless people treat information as if they were context-free« (Langer 1989: 3). Erfahrungen dieser Art sind nicht wirklich selten. In zwischenmenschlichen Situationen oder bei politischen Problemen lässt sich häufig beobachten, dass manche Menschen immer schon genau zu wissen glauben, was gerade geschieht. Sie haben ein Urteil gefällt, bevor sie sich die Mühe gemacht haben, die Fakten zu studieren und die Komplexität der Situation zu erfassen. Sie reduzieren die Komplexität der Situation durch ihr Lieblingskonzept. Menschen, die sehr Mindless vorgehen, verlieren jegliches Bewusstsein für die Tatsache, dass man etwas auch ganz anders verstehen kann. Ohne Not wird die Komplexität der Wirklichkeit auf eine einzige Perspektive reduziert, die dann schlimmstenfalls mit großer Vehemenz vertreten wird. »The awareness that the same environmental stimulus may be processed in several ways depending on its context is the essence of mindful awareness« (Langer 1992: 302). Die Analyse Langers ist für diese Untersuchung hilfreich, da Mindlessness, wie gleich demonstriert wird, ein Element von Nichtwachheit ist. Für den Zweck dieser Untersuchung ist es jedoch notwendig, Langers Analyse etwas anders zu formulieren. Langer beschreibt zwei Möglichkeiten, wie Konzepte eingesetzt werden können. Sie können Mindless angewendet werden, unkritisch und automatisiert, rigide und unflexibel. Die Erfahrung der Wirklichkeit wird reifiziert, so dass das kognitive Element der Wirklichkeit ausgeblendet wird. Ein Beispiel hierfür ist es, wenn Metaphern wörtlich verstanden werden. Elisabeth Loftus und Ketcham (1994: 330) meinen treffend, dass durch diesen Vorgang »normale und intelligente Menschen zu Sklaven einer Metapher« werden. »Sklave einer Metapher« zu sein bringt die Folgen einer Entkontextualisierung von Konzepten treffend auf den Punkt. Der Verlust des Bewusstseins für die Bedeutung einer Metapher ist ein Vorgang, der sich bei psychischen Störungen beobachten lässt.
60 Alkoholiker bspw., die in ihrer Kindheit keine Erfahrungen mit negativem Alkoholkonsum Erwachsener hatten, haben eine bessere Heilungschance als Personen, die negative Erfahrungen mit Alkoholismus in der Kindheit machen mussten. Die negative Erfahrung hat eine Perspektive bewirkt, die zu einer sich-selbst-erfüllenden Prophezeiung wird. Sie schränkt die Möglichkeiten ein, da sie als Premature Commitment definiert, was Alkoholismus impliziert (Langer 1992: 295f.).
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»Related to their categorical thinking is the tendency of some patients to conceive of certain perceptual experiences in concrete materialistic terms. Further, their metaphorical descriptions of an experience become reified. A patient with a variety of dissociative symptoms, including a pervasive sense of unreality, initially described these in metaphorical terms as a numbness of the brain. Later when he transitioned into psychosis, he believed that his brain was literally dead« (Beck/Rector 2005: 587, kursiv HS). »For example, what can appear as a bizarre belief in isolation – People get inside my body and control my mind – could, in the context of the person’s wider narrative, be viewed as the confused product of numerous, more understandable myths and associations. One patient from our clinic justified her possession belief thus: ›Well, I saw a film where a character is possessed, people can control other’s minds . . . I often wonder who I am . . . people say they wish to be in my shoes . . . it’s normal when you feel empty that you get filled up.‹ If this narrative is coupled with low self-esteem and a vulnerability to feeling used by others, the emergence of the possession belief is less mystifying and could even owe more to an overextended use of metaphor than to an irrational mind« (O’Connor 2009: 156, kursiv HS).
Während Mindlessness mit der Illusion von Notwendigkeit einhergeht, bleibt man sich bei Mindfulness des instrumentellen Charakters von Konzepten bewusst und erhält sich so eine größere Offenheit. Man weiß, dass man sich vielleicht irrt, dass es bessere Möglichkeiten geben könnte, die man zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfasst. Mindfulness basiert auf der einfachen Tatsache, dass man nicht alles weiß und niemals alles wissen wird. Eine Möglichkeit der Erklärung von Nichtwachheit über Konzepte wäre zu sagen, dass falsche oder falsch angewendete Konzepte zu Nichtwachheit führen. Dies ist wohl möglich, wie es vor allem beim ontologischen Fehlurteil der Fall ist, bei dem das Konzept Wirklichkeit falsch verwendet wird. Nicht jeder Irrtum führt jedoch zu Nichtwachheit. Es ist vermutlich weniger die Richtigkeit eines Urteils oder die Wahrheit eines Konzepts, wodurch Nichtwachheit erklärt werden kann. Statt material auf den Inhalt eines Konzepts zu schauen, ob es in einem bestimmten Kontext oder an sich, wahr ist, ist es wichtiger nach seiner formalen Stellung im kognitiven System zu fragen. Der Unterschied zwischen Mindfulness und Mindlessness ist in gewisser Weise ein formaler : Es geht um die Frage, wie Informationen verarbeitet werden. Bei der unachtsamen Verwendung eines Konzepts wird dieses nicht im Verhältnis zu alternativen Konzepten gesehen. Es besteht kein Wissen um die Tatsache, dass Perspektiven kontingent und relativ sind. Wenn ein Konzept unachtsam angewendet wird, wird es entkontextualisiert, bzw. verabsolutiert. Es wird nicht länger in Beziehung zu anderen Konzepten und der Situation gesehen, so dass es, mehr oder weniger vorübergehend, eine absolute Stellung im kognitiven System erhält. Die Perspektive, für die man sich entscheidet, d. h. die konzeptionelle Strukturierung von einem selbst und
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der Situation, in der man sich befindet, werden nicht länger als Möglichkeit gesehen, sondern als sicheres Wissen. Eine Verabsolutierung bzw. Entkontextualisierung ist ein Vorgang, durch den ein Konzept eine unrealistisch dominante Stellung im kognitiven System erhält, so dass dieses sich nicht mehr angemessen auf die Wirklichkeit einlassen kann. Es ist Trapped by Categories. Diese Beschreibung ist sehr viel leichter zu verstehen, wenn sie mit den verschiedenen nichtwachen Phänomenen verbunden wird. Bei den emotionalen Störungen ist das Problem der Verabsolutierung seit längerem bekannt. »Die Tendenz, in absoluten Begriffen zu denken, trägt zu der kumulativen Entstehung von Traurigkeit bei. Er neigt in zunehmendem Maße dazu, über extreme Ideen nachzugrübeln wie: ›Das Leben ist sinnlos‹; ›niemand liebt mich‹; ›ich bin völlig unzulänglich‹; ›ich habe nichts mehr auf der Welt‹« (Beck 1979: 103, kursiv HS).
Extreme Urteile bedeuten, dass ein Konzept verabsolutiert wird und eine unrealistische Generalisierung stattfindet. Jeder Mensch ist bspw. unzulänglich in mancherlei Hinsicht und in einer ganzen Reihe von Situationen, doch kein Mensch ist an sich unzulänglich. Das Konzept der Unzulänglichkeit wird verabsolutiert, wenn man urteilt, dass man unzulänglich ist. Es wird entkontextualisiert, da außer acht gelassen wird, in welchem Kontext man wie sehr, und in welcher Hinsicht man unzulänglich ist. »Die Ideen sind im allgemeinen nicht irrational, sondern zu absolut, umfassend und extrem; zu stark personalisiert; und sie werden zu willkürlich angewandt, um dem Patienten in den Wechselfällen seines Lebens eine Hilfe zu sein« (Beck 1979: 206).
Die Idee, dass man an sich unzulänglich ist, wird einen niederdrücken. Zu akzeptieren, dass ich wie jeder andere Mensch in vielen Situationen unzulänglich bin, macht mich lernfähiger und befreit mich von unnötigen Belastungen. Bei einer materialen Denkweise, die primär auf den Inhalt eines Konzepts gerichtet ist, könnte man fragen, ob das Konzept der Unzulänglichkeit ein Problem ist. In formaler Hinsicht dagegen stellt sich die Frage, wann es einem nützlich ist, und wann es einem Probleme bereiten wird. Wenn es als »Ich bin unzulänglich« verabsolutiert wird, so dass man nicht mehr erkennt, in welchen Hinsichten und Situationen man nicht unzulänglich ist, ist man ein Premature Cognitive Commitment eingegangen. Wenn man jedoch seine Schwächen akzeptiert und erkennt, dass man auch starke Seiten hat, kann man sich in seiner Beschränktheit annehmen. Eine Verabsolutierung führt zu einer relativen Geschlossenheit des kognitiven Systems. Wenn man die Welt nur durch eine Perspektive sieht, ist man nur eingeschränkt in der Lage, Informationen aufzunehmen, die dem widersprechen, was als notwendig empfunden wird. Kontingenz wird ersetzt durch die Illusion von Notwendigkeit. Tatsächlich fällt es depressiven Menschen schwer,
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neue Informationen aufzunehmen (Beck 1979: 224). Es ist nicht weiter erstaunlich, dass es tendenziell zu einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit führt, wenn durch ein unflexibles kognitives System alles schon festgelegt zu sein scheint. »Er hat sich selbst verabsolutiert und kann und will sich selbst nicht mehr in Frage stellen. Daher fällt es depressiven Menschen schwer, Alternativen zu erkennen« (Beck 1979: 227).
Bei Angststörungen ist es das Konzept der Bedrohung, welches eine unangemessene Stellung erhält. Es dominiert die Informationsverarbeitung und verhindert so alternative mentale Prozesse (Beck/Clark 1996: 52). Verliert die Wahrnehmung ihre Flexibilität durch die einseitige Dominanz eines Konzepts, schränkt dies ihre Anpassungsfähigkeit und die Fähigkeit zu Selbstkritik ein. »These schemas are structurally rigid, impermeable and absolute, and their content is biased representation of experience« (Clark/Beck 2010: 419).
Bei paranoiden Tendenzen wird leicht das Gefühl aktiviert, dass andere böse Absichten haben und einem nachstellen. Konzepte wie Bedrohung und Verfolung sind überaktiviert, so dass nicht länger ein (metakognitives) Bewusstsein dafür besteht, dass etwas auch ganz anders sein könnte und mit einem selbst vielleicht nichts zu tun hat. Die Möglichkeit des Irrtums scheint nicht mehr zu existieren, wenn ein Konzept promiskuitiv und unkritisch verwendet wird, und es einseitig die Aufmerksamkeit dominiert. Im Fall der Psychose kann die Entkontextualisierung eines Konzepts so weit gehen, dass es durch eine externe Attribuierung objektiviert wird. Aus einer mentalen Kategorie wird eine materielle, das Konzept wird reifiziert und als real existierend in der Welt empfunden. Vielleicht ist es die ultimative Entkontextualisierung eines Konzepts, wenn es aus dem Bewusstsein herausgenommen und ihm eine vom Bewusstsein unabhängige Realität zugeschrieben wird: »The materialistic model simply intensifies existing problems« (Beck/Rector 2005: 588). Der Vorgang der Verabsolutierung lässt sich auch bei der hypnotischen Praxis beobachten. Es ist häufig gerade das Ziel, eine Person dazu zu bringen, ihr Erleben nur noch durch ein Konzept zu interpretieren, bzw. nur von einer Perspektive her wahrzunehmen. Damit dies möglich ist soll die normale Reality Orientation durch ein temporäres metakognitives Defizit aufgehoben werden, so dass Suggestionen unkritisch angenommen werden können und ein ungewöhnliches Erleben möglich wird (Hildgard 1986: 227). Es gilt gerade als Bedingung einer hypnotischen Erfahrung, dass die Aufmerksamkeit ganz im Geschehen aufgeht und keine Alternativen mehr erkannt werden. Der Traum unterscheidet sich von anderen nichtwachen Phänomenen dadurch, dass er ohne Kontakt zur empirischen Wirklichkeit existiert. Es handelt
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sich bei ihm um eine Erfahrung, bei der das subjektive mentale Erleben temporär den Stream of Consciousness bestimmen kann. Die Erfahrung ist entkontextualisiert von der empirischen Wirklichkeit: »While we dream, we are no longer contextually aware« (Foulkes 1985: 41). Ohne Kontext sind wir naive Realisten, Kontext ermöglicht metakognitive Bewusstheit durch die Relativierung von Konzepten. Zwar gibt es, wie weiter oben gezeigt wurde, auch im Traum metakognitives Bewusstsein. Im Traum luzide zu werden bedeutet gerade, dem Erleben gegenüber eine Metahaltung einzunehmen und es in Frage zu stellen. Dies ist jedoch nicht ganz einfach, da der Traum keinen empirischen Kontext hat. Dies macht es so schwierig, den Traum als solchen zu erkennen und aus ihm aufzuwachen. Im Falle eines scheinbaren sexuellen Missbrauchs wird die Idee des Missbrauchs verabsolutiert und dient als Basis für falsche Erinnerungen und kann als monokausales Erklärungsschema für alle weiteren Lebensprobleme verwendet werden. Was einmal als Möglichkeit gesehen wurde wird mit einem subjektiven Gefühl von Sicherheit ausgestattet, welches das Ergebnis einer Selbsttäuschung ist. Das eigene Leben wird aus einer einzigen Perspektive verstanden, es wurde ein Premature Cognitive Commitment eingegangen. Ein solches lässt sich auch in politischer Hinsicht häufig beobachten. Psychologen sprechen in diesem Fall von Overvalued Ideas: »In cognitive terms, it could be said that the person holding overvalued ideas overschematizes his experience by elaborating only a few of the schemata available to him« (Reed 1972: 138, kursiv HS).
Overvalued Ideas werden mit großer Überzeugung für wahr gehalten, es wird viel Energie in sie investiert und sie werden nicht länger hinterfragt (O’Connor 2009: 155). Sie erhalten eine unangemessene Dominanz und legen die Bedeutung von politischen oder anderen Ereignissen immer schon vorher fest. Es kommt zu einer einseitigen und oberflächlichen Wahrnehmung, die im politischen Entscheidungsprozess katastrophale Konsequenzen haben kann. Man kann dann bei politischen Entscheidungsprozessen beobachten, dass nicht eine Lösung für ein Problem gesucht wird, sondern sich eine Lösung ein Problem sucht. Da es sich beim Selbstbetrug gerade darum handelt, dass aus einer bestimmten Motivation heraus Fakten verzerrt oder ignoriert werden, ist hier besonders deutlich zu erkennen, dass sich Personen in diesem Fall unbewusst auf eine Perspektive festgelegt haben. Eine interessante Illustrierung des Zusammenhangs von Selbstbetrug und Verabsolutierung ist moralischer Absolutismus. Als solchen bezeichnet man eine Haltung, bei der man die eigene Moral für objektiv wahr hält und man glaubt, dass andere sich dieser anzupassen haben. Man konnte zeigen, dass Menschen, die zu moralischem Absolutismus
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neigen, die Tendenz haben, sich weniger moralisch als der Durchschnitt zu verhalten. »It seems that moral absolutism leads to a moral licensing effect in such a way that feelings of moral certainty satisfy a person’s need to feel moral, rendering good acts unnecessary to feed this need and allowing these individuals to indulge in moral laxity« (Vecina/Chacjn/P8rez-Viejo 2016: 5).
Mir scheint dies ein gutes Beispiel dafür zu sein, wie verabsolutierte Haltungen einen gegenüber der Wirklichkeit immunisieren und nur funktionieren, wenn man sich selbst betrügt. Wenn die weiter oben zitierte Stelle aus der Apologie stimmt, sah Sokrates es als seine Lebensaufgabe an, anderen zu einem wachen Leben zu verhelfen. Aus der Perspektive von Mindfulness ist nun vielleicht klarer zu verstehen, welche tiefere Bedeutung es hatte, dass er seine Mitmenschen kritisch zur Rede stellte. Er wollte sie durch seine Fragen dazu bringen, ihre Konzepte zu hinterfragen und ihre Verabsolutierungen aufzugeben. Eine Bedingung für ein Leben, welches von Mindfulness geprägt ist, ist es, die eigene Unwissenheit auszuhalten. Bekanntlich war es genau dieses Wissen um sein mangelndes Wissen, welches Sokrates als die einzige Eigenschaft betrachtete, die ihn von seinen Mitmenschen unterschied (Apg. 21d–22a). Wir wissen heute, dass ein Gefühl von Unsicherheit Menschen dazu bringen kann, sich Bewegungen anzuschließen, welche für Nichtwachheit stehen (3.2.9). Menschen können bereit sein, andere zu knechten, um ihre eigene Unsicherheit los zu werden. Sokrates hat sein Bemühen, seine Mitmenschen zu Offenheit, Lebendigkeit und Echtheit zu verhelfen, sein Leben gekostet. Dies demonstriert, wie sehr Menschen dazu neigen können, ihre Nichtwachheit aufrecht zu erhalten. »Aber wenn ein Individuum aufwacht und wieder zu Sinnen kommt, gerät es in Konflikt mit seiner Umwelt, es wird von Familie und Freunden isoliert, eine Gestalt, die sich vom Hintergrund der Gemeinschaft abhebt, ein Objekt der Feindseligkeit und Verfolgung« (Perls 1969: 75).
Vermutlich hat dies etwas damit zu tun, dass auch Selbstkonzepte mehr oder weniger verabsolutiert sein können. Deutlich wird dies durch den Vergleich zwischen der US-amerikanischen und der ostasiatischen Konzeptionalisierung des Selbst (Europa liegt zwischen Asien und Amerika, vgl. Nisbett 2003, Heine 2001). Das amerikanische Selbstkonzept ist geprägt von der Vorstellung, dass die zentralen Eigenschaften der Person unabhängig von ihrer Umwelt und unveränderlich sind. In Asien wird die Person eher relational verstanden, so dass sie, abhängig von der Situation und der jeweiligen soziale Rolle, verschiedene Eigenschaften aufweisen kann. Asiaten verstehen sich weniger über abstrakte Konzepte, als über Beziehungen. Sie definieren sich eher relational und kontextuell, und nicht absolut. Während man in Amerika sagt »Ich bin X«, sagen
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Asiaten eher »Bei meiner Familie bin ich X und am Arbeitsplatz Y, bei meinen Eltern Z und bei meinem Bruder W«. Die amerikanische Selbstkonzeptionalisierung ist verglichen mit der asiatischen Vorgehensweise entkontextualisiert und verabsolutiert. Es wäre in hohem Maße interessant, Nichtwachheit empirisch zu operationalisieren und international vergleichend zu untersuchen. Man könnte dann versuchen auf empirischer Grundlage kulturelle Faktoren festzustellen, welche Menschen eher dazu bringen, Mindful zu leben. Das hier vorgeschlagene Modell von Nichtwachheit basiert erstens auf der Feststellung, dass Konzepte als Instrumente der Steuerung von Aufmerksamkeit verwendet werden. Der zweite Schritt ist, dass Konzepte verabsolutiert sein können. Als Grundlage für die genauere Bestimmung von Nichtwachheit genügt dies noch nicht. Die folgenden Abschnitte werden präziser untersuchen, welche Konsequenzen eine Verabsolutierung für das kognitive System und das Erleben hat. Ein erster Punkt, der bereits bei der Beschreibung der Verabsolutierung durchgeschimmert ist, ist die damit einhergehende Zunahme der Automatizität.
3.3.5.1 Automatizität 1975 stellten Michael Posner und Charles Snyder die Frage, »To what extent are our conscious processes and strategies in control of the way information is processed in our minds?« (1975: 55). Seit dieser Zeit ist die Frage nach dem Verhältnis von bewussten Strategien und unbewussten automatischen Prozessen fest verankert in der psychologischen Forschung. Dabei hat sich gezeigt, dass es nicht ganz einfach ist, bewusste und automatische Vorgänge voneinander zu unterscheiden. Man kann dies an sich selbst beobachten: Man lege oder setze sich still hin und beginne damit, seine Atmung zu beobachten. Die meisten beginnen sogleich, willkürlich oder unwillkürlich?, die Atmung zu beeinflussen. Wann geschieht die Atmung nun von alleine, und wo fängt der bewusste Einfluss an? Und wann ist der bewusste Einfluss bewusst, und wann unbewusst? Posner und Snyder schlagen vor, dass automatische Prozesse ohne Intention stattfinden, dass sie unbewusst sind und nicht mit anderen mentalen Prozessen interagieren. Bargh (1994) schlägt vor, dass automatische Prozesse unbewusst, unkontrollierbar, nichtintentional, und effizient sind, da sie wenig Aufmerksamkeit verbrauchen61. Heute geht man davon aus, dass nur wenige Prozesse alle diese Merkmale erfüllen (ebd.). Automatische Gedanken bspw. treten auf, ohne dass man dies möchte, und häufig sind sie einem nicht bewusst. Das bedeutet 61 Es lässt sich zeigen, dass das Gehirn bei automatisierten Tätigkeiten anders arbeitet, als bei bewussten Tätigkeiten. Bei einer solchen sind sehr viel mehr Gehirnareale aktiv (siehe die graphische Darstellung in Schneider 2009).
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jedoch nicht, dass sie unbewusst sein müssen, oder dass sie unkontrollierbar sind (Logan 1989). Die automatische Anwendung eines Stereotyps findet bei einer entsprechenden Motivation nicht statt (Kunda/Sinclair 1999). Automatisch ist also nicht identisch mit unbewusst, unkontrollierbar und nichtintentional. Ein bekanntes Beispiel dafür, dass automatisierte Prozesse in einem bewussten intentionalen Kontext existieren können, sind die Steuerung eines Autos oder die Benutzung einer Tastatur. Es hat sich also gezeigt, dass es wenig sinnvoll ist, von einer klaren Dichotomie auszugehen, sondern von einer gegenseitigen Durchdringung (Bargh 1994). Die Frage ist also weniger, ob ein Prozess automatisiert ist, sondern wie automatisch und wie bewusst er ist62. Stroop und Priming Effekte Um besser zu verstehen, was genau Automatizität bedeutet, ist es hilfreich die zwei zentralen experimentellen Paradigmen aus diesem Forschungsbereich zu kennen. Es handelt sich dabei um den Stroop-Effekt und um Priming Effekte. Beim Stroop-Effekt werden Farbwörter (wie ›Grün‹) in einer anderen Farbe (blau) dargestellt. Die Aufgabe besteht darin, die Farbe (blau) zu nennen, und nicht das Wort (Grün). Die Aufgabe wird schwieriger, wenn das Wort zusätzlich eine emotionale Qualität hat (z. B. »Mord«: Emotional Stroop Task). Beim Stroop-Effekt wird die Bedeutung des Wortes automatisch verarbeitet. Dies kann dazu führen, dass Probanden nicht die Farbe nennen, in der das Wort gedruckt ist, sondern das Farbwort. Wenn zusätzlich das Wort eine emotionale Qualität hat, wird auch dies automatisch verarbeitet, was sich bspw. in der durchschnittlichen Zeit messen lässt, welche Probanden brauchen, um die richtige Farbe zu nennen.
62 Automatizität scheint kompatibler zum physikalistischen Weltbild zu sein, als die bewusste Steuerung der Aufmerksamkeit. Die Missachtung des Bewusstseins durch den Physikalismus hat als Voreingenommenheit die Forschung eingeschränkt: »Given our belief that this is useful research, one might reasonably ask why researchers have discounted visual metacognition for so long. Perhaps it is because the dominant mode for studying perception has been primarily bottom-up. In this tradition, higher-order processes have been peripheral, or been considered to fall within the intractable domain of consciousness (Dennett, 1991; see Fodor, 1983 for an argument of this type). However, if there is one thing that change blindness tells us, it is that basic, automatic perceptual processes do not operate on all of the features we encounter in the real world. We don’t track all details automatically, even for attended objects, but we definitely see some of them. So, without some systematic account of why we see the features we do, we shall find ourselves without any means of predicting behaviour in the real world. This account will inevitably require an understanding of how abstract knowledge guides perceptual processes that includes not only concepts, but also metacognitive models of perceptual processes, and the interaction between these models and perception« (Levin 2002: 128).
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»Increased delay in colornaming emotive vs. non-emotive words reflects greater interference of the emotion word’s meaning, which is considered indicative of an automatic preferential processing bias for the emotional words« (Clark/Beck 2010: 418).
Da die Erfassung der Bedeutung des Wortes eine »automatic pathway activation« (Posner/Snyder 1975) ist, können auf diese Weise viele Effekte untersucht werden. Personen mit einer Angststörung bspw. benötigen mehr Zeit bei der Verarbeitung von Wörtern mit einem negativen Gehalt, da sie diese mit einer größeren Intensität verarbeiten und ihnen mehr Aufmerksamkeit schenken (Gotlieb/MacLeod 1997: 361). Der Stroop-Effekt zeigt, dass Informationen automatisch verarbeitet werden, auch wenn man die Intention hat, dies nicht zu tun. Sie interferieren mit bewussten Prozessen und können diese teilweise außer Kraft setzen. Dies zeigt sich daran, wenn man das Wort ausspricht, statt der Farbe, in der es geschrieben ist. Während beim Stroop-Effekt automatisch ein Input verarbeitet wird, dessen man sich bewusst ist, geht es bei Priming darum, bei einer Person ein Konzept zu aktivieren und seinen Einfluss zu beobachten. Durch ein Priming, welches bewusst oder unbewusst geschehen kann, wird also die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass ein Konzept später eine Rolle spielt. Bei einem unbewussten Priming, das durch einen subliminalen Reiz erfolgt, ist sich das Subjekt nicht bewusst, dass es einen Reiz wahrgenommen hat (vgl. Bargh 1994, 1997). Dies kann beispielsweise geschehen, indem Testsubjekten ein Begriff so kurz präsentiert wird, dass er nicht bewusst verarbeitet werden kann. Bei einem bewussten Priming weiß das Subjekt, dass es etwas erfahren hat. Besser verständlich wird dies durch ein konkretes Beispiel. Viele Situationen sind uneindeutig. Wenn ein Freund zu seiner Freundin sagt, dass ihre neue Frisur unattraktiv ist, kann dies als unhöflich oder als ehrlich interpretiert werden (vgl. Srull/Wyer 1979). Die Interpretation kann beeinflusst werden, indem für Höflichkeit oder Ehrlichkeit eine höhere Construct Accessibility geschaffen wird. Srull und Wyer (1979) haben dies getestet: In einem ersten Schritt war es die Aufgabe der Teilnehmer, eine »Wortverständnisaufgabe« zu lösen, bei der Sätze aus vorgegebenen Wörtern zu bilden waren. Tatsächlich wurden die Teilnehmer durch die Wörter geprimed. Während die eine Gruppe Wörter bekam, die zu Sätzen führen, die etwas mit Freundlichkeit zu tun haben, führten die Wörter bei der zweiten Gruppe zu Sätzen mit dem Thema Feindseligkeit. Beide Gruppen hatten in einem zweiten Schritt einen Text zu lesen, in dem ein uneindeutiges Verhalten dargestellt wurde. Wie sich zeigte bewertete die Gruppe, die auf Feindseligkeit geprimed worden war, das uneindeutige Verhalten eher als feindselig, während es die zweite Gruppe eher als freundlich bewertete. Was zeigt dieser Versuch? »When activated, preconscious representations may serve to bias the meaning given to a percept, the choice among possible
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responses, and the like« (Kihlstrom 1984: 164). Konzepte, die einmal aktiviert wurden und auf die daher leichter zurückgegriffen werden kann, werden eher die Handlungen und Bewertungen einer Person beeinflussen – und zwar ganz automatisch. Attributionstheorie Eine weitere Möglichkeit neben Priming und Stroop-Effekt zur Erforschung automatischer Prozesse ergibt sich aus der Zuschreibung von Attributen. Die Attributionstheorie unterscheidet zwischen zwei Möglichkeiten, wie Personen Attribute zugeschrieben werden können. Eine Handlung kann durch persönliche Eigenschaften bzw. Dispositionen erklärt werden, oder durch die Situation, in der sich eine Person befindet. Wenn eine Person ängstlich reagiert, weil sie mit einer Waffe bedroht wird, wird Ängstlichkeit eher nicht als Merkmal ihrer Persönlichkeit gewertet. Das Verhalten in dieser Situation wird extern attribuiert. Reagiert jedoch jemand in einer Situation ängstlich, ohne dass dafür eine Umweltursache verantwortlich gemacht werden kann, wird intern attribuiert und die Person als relativ ängstlich eingestuft. Attributionstheorien beschreiben die Logik von Zuschreibungen, aber nicht wie diese tatsächlich stattfinden (Gilbert 1989: 192). Die Erforschung realer Attributionsprozesse zeigt, dass Menschen zunächst eine interne Attribution vornehmen und das Verhalten über Eigenschaften der Person zu erklären versuchen. Erst in einem zweiten Schritt wird dieser Vorgang relativiert, wenn sich zeigt, dass externe Faktoren berücksichtigt werden müssen. Beim zentralen Attributionsfehler wird dieser zweite Schritt unterlassen und der Kontext einer Handlung vernachlässigt. Gilbert und Kollegen (Doug Krull, Brett Pelham) konnten dies in einer Reihe faszinierender Experimente demonstrieren. Diese zeigen, dass der primäre Prozess der internen Attribuierung automatisch stattfindet und wenige Ressourcen (Anstrengung, Aufmerksamkeit, Energie, Bewusstsein) verbraucht, während die Korrektur dieses Urteils, also die Berücksichtigung des situationalen Kontexts, ein bewusster Prozess ist, der mehr Ressourcen benötigt. Ein Beispiel: Die Teilnehmer des Versuchs hatten die Aufgabe, sich eine Rede für oder gegen das Recht auf Abtreibung anzuhören. Ihnen wurde gesagt, dass der Redner nicht selbst gewählt hatte, ob er pro oder contra argumentiert. Als die Versuchsteilnehmer die tatsächliche Haltung des Redners einschätzen sollten, berücksichtigten sie seine Aufgabenstellung und schätzen ihn kaum als Befürworter oder als Gegner ein. In einem zweiten Durchgang des Experiments wurde den Hörern der Rede zusätzlich gesagt, dass auch ihnen später aufgetragen werden würde, eine der beiden Positionen in einer Rede zu vertreten. Obwohl man davon ausgehen könnte, dass gerade diese Teilnehmer besonders sensibel für die Tatsache sind, dass nicht sie darüber zu entscheiden haben, welche
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Position sie vertreten werden, schätzten sie die Einstellung des Redners nun sehr viel stärker als pro oder contra ein. Sie berücksichtigten nicht länger, dass die Rede nicht die persönliche Überzeugung des Redners präsentierte. Die Erklärung ist, dass sie während der Rede mental bereits mit ihrer zukünftigen Aufgabe beschäftigt waren und daher mentale Ressourcen blockiert waren, die zu einer Korrektur der primären Attribution hätten verwendet werden können. Es wurde eine Situation eines Cognitive Overload geschaffen, so dass weniger Metakognition manifestiert werden konnte. Die Automatizität des Urteilens hatte sich erhöht. Gilbert et al. zeigen, dass die Bindung von mentalen Ressourcen durch zusätzliche Aufgaben die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass eine Person den Attributionsfehler begeht und keine Korrektur der automatisierten Attribution durch die Berücksichtigung des Umweltkontexts einer Handlung vornimmt63. Dies ist ein Beispiel dafür, dass Personen zunächst naive Realisten sind und erst in einem zweiten Schritt ihre Erfahrungen reflektieren (3.3.4.5).
Die automatisierte Steuerung der Aufmerksamkeit Eine weitere interessante Möglichkeit, sich dem Phänomen der Automatizität zu nähern, ist die Frage, ob Aufmerksamkeit auch ohne Bewusstsein existieren kann. Um diese Frage zu beantworten wendeten Kentridge, Heywood und Weiskrantz (2011) einen von Michael Posner (1980) entwickelten Versuch auf eine Person mit Blindsight an. Blindsight bedeutet, dass eine Person etwas in ihrem visuellen Feld nicht erlebt, obgleich ihr die Informationen innerhalb dieses Feldes unbewusst zur Verfügung stehen. Wenn man sie fragt, ob ein Pfeil, den sie nicht gesehen hat, nach oben oder nach unten zeigt, wird sie sagen, dass sie keine Ahnung hat. Wenn sie aber raten soll, wird sie sehr viel öfter richtig liegen, als es die Statistik erlaubt. Bei dem Versuch von Kentridge et al. erhält ein Blindsight-Patient Hinweise in der Form von Pfeilen in demjenigen Teil seines visuellen Feldes, in welchem er blind ist. Diese Pfeile lenken die Aufmerksamkeit und verweisen, richtiger- oder fälschlicherweise, auf einen nachfolgenden Reiz. Kentridge et al. konnten so zeigen, dass der Blindsight-Patient schneller auf einen Reiz reagiert, wenn der vorher gezeigte Hinweis in die richtige Richtung zeigt. Da sich der BlindsightPatient nicht bewusst sein kann, dass seine Aufmerksamkeit beeinflusst worden ist, kommt Kentridge zu dem Ergebnis, dass es Aufmerksamkeit ohne Bewusstsein gibt (Kentridge/Heywood/Weiskrantz 1999: 1810). 63 Interessanterweise ist Attribution auch kulturell geprägt. Während in den USA stärker auf das Individuum und seine Einstellungen und Eigenschaften attribuiert wird, wird in Asien mehr durch den Kontext der Handlung und die Beziehungen des Individuums erklärt (Nisbett 2003: 114). Daher begehen Asiaten den fundamentalen Attributionsfehler weniger häufig.
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Dieses Ergebnis bestätigt eindrücklich, dass die Aufmerksamkeit unbewusst gelenkt sein kann. Allerdings ist die Einschätzung, dass Aufmerksamkeit auch ohne Bewusstsein existieren kann, so nicht ganz richtig. Kentridge et al. berücksichtigen nicht, dass die Aufmerksamkeit eine funktionale und eine phänomenale Seite hat (vgl. Chalmers 1996: 28f., Smithie 2011). Die Aufmerksamkeit auf etwas zu lenken ist in phänomenaler Hinsicht damit identisch, sich etwas bewusst zu sein. In dieser Hinsicht kann die Aufmerksamkeit nicht unbewusst sein. Der funktionale Aspekt der Aufmerksamkeit dagegen kann automatisiert stattfinden und unbewusst sein. Wenn eine Person unbewusst aufmerksam ist, kann die Aufmerksamkeit über ihren funktionalen Aspekt das Handeln beeinflussen, doch sie hat keinen Zugriff darauf, auf was die Aufmerksamkeit gerichtet war. Wenn man die Erkenntnisse um das Mind Wandering und die Change Blindness beachtet, so kann es sogar sein, dass eine Person – ihre Aufmerksamkeit auf etwas richtet, – sich dessen in funktionaler Hinsicht unbewusst ist, – sich dessen auch nicht phänomenal bewusst ist, – obwohl sie sich dessen irgendwie doch bewusst sein muss, da sie es ja nun einmal erlebt. Bei Angststörungen findet eine unbewusste Steuerung der Aufmerksamkeit anhand des Konzepts der Bedrohung statt. Das phänomenale Feld wird organisiert durch ein funktional relevantes Konzept, so dass ein bestimmtes Erleben, bzw. ein spezifischer Stream of Consciousness entsteht. »In fact the anxiety response pattern associated with primary threat appraisal falls into the same category with many other types of ’mindless’ automatic behaviors which individuals engage in during their everyday life (Langer, 1989)« (Beck/Clark 1996: 52).
Der depressive Mensch nimmt die Welt so wahr, dass seine die Depression erzeugenden Konzepte bestätigt werden. Eine Frau, die dazu gebracht wird sich einzubilden, sexuell missbraucht worden zu sein, interpretiert ihre Vergangenheit und ihr gegenwärtiges Erleben automatisch durch das Konzept sexuellen Missbrauchs. Verschwörungstheoretiker interpretieren politische Ereignisse automatisch anhand einer fiktiven Verschwörung und der Verliebte lenkt seine Aufmerksamkeit mit großer Hartnäckigkeit auf das Bild, das er von seiner Geliebten entwickelt hat. Die Aufmerksamkeit wird durch Konzepte ausgerichtet und strukturiert so das phänomenale Feld (vgl. Markus/Smith 1981: 246). Auch im Traum wird die Aufmerksamkeit im hohen Maße automatisch gesteuert. Es ist gerade eine verblüffende Erfahrung bei einem luziden Traum, nun die Möglichkeit zu haben, ganz bewusst hierhin oder dorthin seine Aufmerksamkeit lenken zu können, so dass man sich als sehr viel autonomer erfährt.
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Automatizität und Kontrolle: Cognitive Overload Ohne Automatizität können Menschen nicht funktionieren. Die Beherrschung des Radfahrens oder der Sprache hängen davon ab, ob eine Automatisierung stattgefunden hat. Es ist jedoch wichtig, zwischen funktionalen und dysfunktionalen Automatismen zu unterscheiden (Moretti/Shaw 1989). Automatismen können mit einer massiven Mindlessness einhergehen und zu großen Problemen führen. Süchte, Zwangsstörungen oder Intrusive Thoughts sind Beispiele hierfür. Vermutlich liegt die Schwierigkeit der Kontrolle dysfunktionaler Automatismen zum Teil daran, dass sie nicht sogleich als solche identifiziert werden. Bei einfachen manuellen Tätigkeiten können Fehler sofort identifiziert und korrigiert werden (z. B. beim Sprechen, Maschinenschreiben). Schwieriger ist es, wenn die Ursachen und Folgen von Fehlern nicht sogleich erkennbar sind (Moretti/Shaw 1989: 386f.). Zusätzlich reduzieren eine erhöhte Emotionalität und eine beanspruchte Aufmerksamkeit die Wahrscheinlichkeit einer Unterbrechung automatischer Prozesse. »A reduction in attentional ressources may result in the failure to detect dysfunction associated with automatized processing, and consequently the failure to initiate or maintain corrective controlled processing strategies« (ebd.). Kontextuelle und persönliche Faktoren können die Construct Accessibility erhöhen, so dass verstärkt auf bestimmte Konzepte zugegriffen wird. Dies kann durch eine Art Teufelskreislauf zu einer expansiven Verwendung eines Konzepts führen. Dies ist wohl einer der Gründe, weshalb der soziale Kontext einer Person so wichtig sein kann bei der Entwicklung von Nichtwachheit. Menschen kommen alleine nur selten auf die Idee, sich die Identität einer Inzestüberlebenden oder eines Terroristen zuzulegen, dies gelingt sehr viel einfacher in einer Gruppe. Mit dem Mechanismus einer chronifizierten und tendenziell expandierenden Konzeptverwendung durch eine immer leichtere Construct Accessibility in einem Teufelskreislauf könnte man versuchen zu erklären, wie ein kognitives System bei mangelnder metakognitiver Aufmerksamkeit aus sich selbst heraus in der Lage ist, Nichtwachheit zu erzeugen. »Processing is likely to be dysfunctional to the extent that chronically accessible constructs dominate the processing of information in contexts where the application of these constructs is non-normative« (Moretti/Shaw 1989: 391). Bei zunehmendem Cognitive Overload, d. h. einer Beschränkung der Fähigkeit, mentalen Prozessen und ihren Ergebnissen Aufmerksamkeit zuzuwenden, reduziert sich die Fähigkeit, falsche Urteile zu korrigieren (Gilbert 1989). Cognitive Overload erschwert Metakognition und führt zu Automatizität (Baars 1997: 102). Reality Monitoring, also die kritische Überprüfung des Wahrheitsgehalts des eigenen Erlebens, wird durch Stress reduziert (Johnson 1998: 182). Selective Attention Studies zeigen, dass je mehr Ablenkungen vorhanden sind, umso mehr Zeit und Energie dafür aufgewendet werden muss, um diese zu verarbeiten (Kahan/Simone 2005: 117). Diese Ressourcen stehen dann einer bewussten
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Verwendung der Aufmerksamkeit nicht mehr zu Verfügung. Das Erleben wird zunehmend geprägt von Unbewusstheit. Wie in einem Traum erlebt man zwar noch etwas und bleibt in dieser Hinsicht bewusst, doch was man erlebt und wie man es erlebt, unterscheidet sich grundlegend vom wachen Bewusstsein. Mentale Zustände wie Angst und Depression sind an sich stresserzeugend. »Those high in anxiety have less available working memory capacity to handle cognitive tasks than those low in anxiety« (Eysenck 1991: 129). Wer an einer Angsterkrankung leidet oder allgemein ein höheres Angstniveau hat, produziert intern chronisch Cognitive Overload, so dass sich seine Fähigkeit der metakognitiven Prüfung seines Erlebens vielleicht nicht mehr instantiieren lässt. »The hypervalent depressive or anxious mode dominates the information processing apparatus, resulting in a concomitant weakening of cognitive control over emotion via the inability to access more adaptive, alternative modes of thinking« (Clark/Beck 2010: 419).
Ohne metakognitive Bewusstheit ist man nur eingeschränkt in der Lage, kognitive Prozesse als solche zu identifizieren und zu beeinflussen. So, wie man beim Mind Wandering etwas erlebt, ohne sich dessen bewusst zu sein, ist man seinem Erleben ausgeliefert, solange man keine Metakognition manifestiert. Es findet, wie im nächsten Abschnitt ausgeführt wird, eine Immersion bzw. Absorption in das Erleben statt. In dieser Hinsicht ähneln sich Phänomene, die wie der Stroop-Effekt und das luzide Träumen (LD) zunächst eher wenig miteinander zu tun zu haben scheinen. »As in LD, where there is an attentional skill of having metacognition about the dreamer’s state of consciousness at the same time as being engaged in the dream scenario, the Stroop color naming task also involves a combination of two levels of cognition, because in the incongruent condition there is interference between the attentional demands of a relatively difficult task (color naming) and an easy one (reading)« (Zink/Pietrowsky 2015: 39).
Die Verabsolutierung von Konzepten führt notwendig zu einer Reduktion von Metakognition, da Metakognition ja gerade bedeutet, etwas als etwas zu identifizieren und es in dieser Hinsicht zu kontextualisieren. Identifizieren bedeutet immer, es von anderem abzugrenzen. Dieses Andere können Möglichkeiten sein, wie man die Welt auch noch verstehen und erleben könnte. Ohne Kontext sind die Dinge notwendigerweise so, wie sie erscheinen. Die Aufmerksamkeit ist ganz bestimmt von etwas, ohne dass noch die Ressourcen oder die Bereitschaft vorhanden sind, die Verwendung der Aufmerksamkeit zu prüfen. Man hat sich auf eine Perspektive festgelegt und hält automatisch an ihr fest. Verabsolutierung führt daher zu einer höheren Automatizität des Erlebens. Ein Konzept wird nicht mehr Mindful dazu verwendet, die Aufmerksamkeit zu lenken, sondern es lenkt automatisch die Aufmerksamkeit. Ein verabsolutiertes Konzept führt über die Aufmerksamkeit zu einer festen Strukturierung des phänomenalen Feldes in
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Zentrum und Peripherie (siehe 3.3.2). Die Dinge können nicht mehr in ihrer Vielfalt wahrgenommen werden, sondern werden a priori durch das Konzept selektiert. Auf diese Weise kann das Wahrgenommene automatisch eine Bedeutung erhalten, die vielleicht nicht ideal ist für das Subjekt. Die unbewusste Steuerung der Aufmerksamkeit ist eher ein Bottom-Up, eine autonome Verwendung der Aufmerksamkeit eher ein Top-Down Prozess. Wenn die Aufmerksamkeit von unbewussten Automatismen bestimmt wird, ist dies ein Ansatz um zu erklären, weshalb Nichtwachheit mit einem »weniger da sein« einhergeht. Wenn man Schwierigkeiten damit hat, seine Aufmerksamkeit zu kontrollieren, kann dies dazu führen, dass man sich entfremdet fühlt (Williams/ Vess 2016). Wenn die Aufmerksamkeit zu häufig von einer extrinsischen Motivation Bottom-Up gesteuert wird, die wenig zu tun hat mit den wichtigsten Überzeugungen einer Person, wird dies nicht das Gefühl der Autonomie erhöhen. Es wird ganz im Gegenteil das Gefühl für Selbstwirksamkeit reduzieren. Automatizität scheint daher in einem hohen Maße erklären zu können, weshalb Nichtwachheit mit einer Einschränkung der Möglichkeiten des Denkens und des Handelns einer Person einhergeht.
3.3.5.2 Immersion / Absorption Neben der Automatizität ist die Immersion ein weiterer wichtiger Aspekt verabsolutierter Konzepte. Als Immersion bezeichnete man ursprünglich das Eintauchen eines Gegenstandes in Flüssigkeit (Immersion lat. = eintauchen, einbetten). Etwas wird von etwas Anderem ganz aufgenommen und absorbiert (die Begriffe werden hier synonym verwendet). Für das Verständnis des Bewusstseins scheint mir dieses Konzept wichtig zu sein. Colin McGinn (2004: 103ff.) bspw. entwickelt, auf der Basis von Überlegungen Sartres, eine Erklärung des Traums durch Immersion. Er beschreibt den Traum als eine sensorisch erzählte Geschichte, »in which the dreamer becomes unusually deep immersed. […] The dreamer becomes so absorbed in the dream story that his responses mimic what he would think and feel if really witnessing the events in question« (McGinn 2004: 103). Erfahrungen tiefer Immersion sind auch innerhalb des Alltagsbewusstseins nicht unüblich. Man kann ein fesselndes Buch lesen oder einen spannenden Film sehen und temporär ganz in der Geschichte aufgehen, vermutlich, weil man sich stark mit den Protagonisten identifiziert. Auch bei Computerspielen64 kann man temporär ganz in einem Geschehen aufgehen, so 64 »Thus immersion involves being absorbed in a new reality, something different from the ›normal air‹ that we breathe in real life. Furthermore, it is implied that when one is immersed in an activity they become less aware of other things that are around them, only the new reality matters« (Jennett 2010: 28).
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dass die Real World Orientation vorübergehend fast zu verschwinden scheint. Für McGinn ist der Traum eine Steigerung dieses Phänomens. Wir mir scheint ist es plausibel, dass ein hohes Maß an Immersion bzw. Absorption ein zentrales Element aller nichtwachen Erfahrungen ist. Vermutlich ist es hilfreich, sich dem Absorptionsaspekt von Nichtwachheit zunächst über das Mind Wandering zu nähern. Mind Wandering war eingeführt worden als Mechanismus zur Erzeugung traumähnlicher Erfahrungen innerhalb des Alltagsbewusstseins, und als Ansatzpunkt zur Erklärung eines nichtwachen Erlebens außerhalb des Schlafs. »Mind-wandering in wakefulness and ordinary nonlucid dreaming share a lot of similarities including both phenomenological aspects (e. g., lack of meta-cognition and cognitive control) […]« (Stumbrys et al. 2015: 425).
Die mangelnde Kontrolle über das Erleben und die damit einhergehende metakognitive Unbewusstheit sind ein gemeinsames Merkmal der Träume der Nacht und des Mind Wandering. Während eines Mind Wandering ist ein Teil der Aufmerksamkeit von einer mentalen Erfahrung absorbiert, ähnlich wie dies beim Traum der Fall ist. Immersion und Metakognition sind Gegensätze. Man kann nicht tief von einem Erleben absorbiert und sich dieses Erlebens gleichzeitig als eines solchen bewusst sein. Man kann nicht in einen Roman vertieft sein, wenn man gleichzeitig die Motive des Autors oder den ideengeschichtlichen Hintergrund der Geschichte reflektiert. Von einer Erfahrung absorbiert zu sein bedeutet gerade, dass alles andere ausgeblendet wird und die Erfahrung selbst sich einer metakognitiven Reflexion entzieht65. Ein Mind Wandering zu identifizieren beendet die Immersion, so dass man die Aufmerksamkeit wieder anderem zuwenden kann. Immersion bedeutet also, dass die Aufmerksamkeit gleichsam aufgeht in dem, was erfahren wird. Sicherlich wäre es interessant genauer zu fragen, was diese Fähigkeit für das Bewusstsein bedeutet. Für die Ziele dieser Untersuchung genügt es, den Begriff deskriptiv zu verwenden, und zwischen Erfahrungen mit einem hohen und mit einem niedrigen Grad an Immersion zu unterscheiden. Der entscheidende Faktor zur Unterscheidung ist die Gegenwart von Metakognition. Eine Person, die wütend brüllt, dass sie nicht wütend ist, ist absorbiert von ihrer Wut, ohne sich dieser bewusst zu sein. In der Hypnoseforschung wird Absorption thematisiert, da sie mit einer hohen Hypnotisierbarkeit einhergeht. Leicht hypnotisierbare Personen tendieren dazu, von Romanen und ihren eigenen Phantasien absorbiert zu werden, sie können vorübergehend ihre Umwelt völlig vergessen und wurden daher als 65 »One feature that may contribute to an individual’s capacity to explicitly reflect on the current contents of thought is how absorbing the thought is. Accordingly, interesting, unpleasant or otherwise salient thoughts may be easier to become ›caught-up‹ in, making them more difficult to explicitly reflect upon« (Baird et al. 2013: 1010).
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Involved Readers bezeichnet (Hildgard 1970: 33). Es ist gerade ein Zeichen einer hypnotischen Erfahrung, dass sie mit einer Reduktion von Metakognition und Realitätsprüfung66 einhergeht. Es schließt sich gegenseitig aus, tief in etwas versunken zu sein und es gleichzeitig zu kritisieren. Um etwas richtig beurteilen zu können benötigt es einen gewissen Abstand, dieser fehlt bei einer Immersion. Ebenso schließt es sich aus, etwas als sehr wirklich zu erfahren, was nicht ganz wirklich ist, und es gleichzeitig in einem größeren Kontext und damit in einer gewissen Relativität zu erleben. Etwas zu kontextualisieren ist ja ein anderer Begriff dafür, etwas zu relativieren. Kontext und relativ bedeuten hier, dass etwas im Verhältnis oder im Bezug auf anderes wahrgenommen wird. Bei einer Verabsolutierung ist es genau dieser Beziehungsaspekt, den man ignoriert. Sich in einer Erfahrung zu verlieren oder in einer hypnotischen Rolle ganz aufzugehen funktioniert nur, wenn die Rolle entkontextualisiert wird (Lilienfeld/Lynn 2003: 117). »If a subject constructs an extremely vivid mental image in response to the hypnotist’s suggestion, and then focuses his or her attention ressources on that image to the virtual exclusion of all else, the imaginary experience may well become subjectively convincing, and the object of a delusional belief in its objective reality« (Kihlstrom/Hoyt 1988: 80).
Noch einmal wird hier deutlich, dass hypnotische Erfahrungen nicht durch einen besonderen mentalen Zustand erklärt werden sollten. Es genügen die gewöhnlichen Fähigkeiten des Bewusstseins, zu denen auch die Absorption gehört. »Die Wahrnehmung von Umgebungsreizen ist in absorbierten Verfassungen weitgehend eingestellt. Das Gemeinsame von alltäglicher Absorption und hypnose-induzierten Trancezuständen ist die Verengung des Aufmerksamkeitsfokus, der die Absorption als wesentliches Bestimmungsstück kennzeichnet« (Fiedler 1999: 63f., kursiv original).
Im Abschnitt über die Entstehung einer fiktiven Identität als Inzestüberlebende war versucht worden zu demonstrieren, dass dieser Prozess begleitet ist von einer intensiven Konzentration auf diese Vorstellung, unterstützt von anderen Personen. Über einen längeren Zeitraum hinweg wird bewusst versucht sich in die Vorstellung zu vertiefen, dass etwas bestimmtes mit einem passiert sein muss. Gezielt wird dabei versucht, das kritische Denken auszuschalten. »Clients who allow themselves to play the part of victim and describe an imagined rape scene set themselves up for strong feelings of distress. Allowing the release, that is, 66 »Within hypnosis, the reality distortions reported suggest that a fraction of the monitor is involved in the ongoing experiences, is uncritical of them, and gives an overt account as though the distorted or fantasied experiences were part of the real world« (Hildgard 1986: 234).
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display, of the emotions appropriate to a rape increases confidence in the reality of the imagined event. Unaware of their ability to generate these emotions, clients use the display of emotion as proof of the truth of their fantasies« (Ofshe/Watters 1993: 10).
Es ist ein Kennzeichen einer Immersion, dass sie zu einer überdurchschnittlichen Intensität des Erlebens führt. Sich ganz in eine Phantasie zu verlieren und ganz in ihr aufzugehen, so dass die Realitätsorientierung temporär verschwindet, bedeutet das Als-Ob Erleben zeitweilig für relativ wirklich zu halten. Diese Abschwächung der Realitätsorientierung scheint die Bedingung der Möglichkeit für eine tiefe Immersion und das damit einhergehende metakognitive Defizit zu sein. Die Intensität des Erlebens scheint dazu führen zu können, dass das Reality Monitoring nicht mehr funktioniert und es zu einer fehlerhaften Attribuierung kommt. Anstatt zu erkennen, dass die Erfahrung von einem selbst generiert wird, kommt es zu einer externen Attribuierung. Die Intensität des Erlebens ist gleichsam eine Art Verabsolutierung derselben. Durch die Entkontextualisierung der Erfahrung kann sie nicht länger als Imagination identifiziert werden67. In der Forschung zur Psychopathologie wird eine problematische Absorption der Aufmerksamkeit bei psychischen Störungen als Self Absorption bezeichnet. Self Absorption wird dabei als die dysfunktionale Version einer Self-Focused Attention verstanden. Self-Focused Attention, die wohl als Synonym für Introspektion verwendet werden kann, heißt »an awareness of self-referent, internally generated information that stands in contrast to an awareness of externally generated information through sensory receptors« (Ingram 1990: 156). Diese Aufmerksamkeit für ein selbstgeneriertes Erleben wird zur Self Absorption, wenn die Aufmerksamkeit exzessiv, rigide und chronisch wird. »In particular, shifts to internal, sustained, and inflexible attention are proposed to characterize psychopathological states of functioning […]. These process aspects thus suggest that self-absorption is defined by excessive, sustained, and rigid attention to information emanating from internal sources« (Ingram 1990: 169). »Eine auffallende Komponente der genannten [neurotischen, HS] Erfahrungen ist eine intensive Selbstbewusstheit: Der Patient wird seiner inneren Vorgänge überdeutlich gewahr. Seine Aufmerksamkeit ist auf seine Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühle gerichtet, mit dem Resultat, dass er diese psychischen Prozesse überaus lebhaft registriert. Außerdem reagiert er höchst empfindlich auf bestimmte Signale seiner 67 »It is always easiest […] to tell the truth. But next easiest is to believe your own lie, to become so submerged in its network of details and implications that the continuation of the lie […] becomes second nature, without further thought or deliberation« (Solomon 2009: 29). Das »submerged« in diesem Zitat kann als Synonym für Immersion verwendet werden, welche Menschen für sich selbst erzeugen können und welche zu einer zweiten Natur wird. Übersetzt in die Terminologie dieser Untersuchung heißt dies, dass durch eine tiefe Immersion sich ein falsches Selbstkonzept entwickelt, welches »without further thought«, das heißt automatisch aktiviert wird.
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Umwelt, während er andere überhaupt nicht wahrnimmt, so dass man von ›Tunneleffekt‹ spricht« (Beck 1979: 69).
Self Absorption kann im Extremfall bedeuten, dass eine Person die Verbindung zu ihrer Umwelt verliert, so dass sie eine Neigung darstellt »to enter trancelike states of consciousness, which represents being ›out of touch‹ with what is presently occuring« (Brown/Ryan 2003: 827). Erfahrungen einer tiefen Self Absorption haben damit eine dissoziative Komponente, auf die ein wenig später zurückzukommen sein wird (3.3.5.4). Es wurde schon wiederholt demonstriert, dass es bei den emotionalen Störungen und der Psychose zu einer weitgehenden Bindung der Aufmerksamkeit an bestimmte Schemata kommt. Die Aufmerksamkeit des kognitiven Systems ist bei diesen Phänomen absorbiert in Weisen des Erlebens, das heißt in Konzepte. »As previously noted, depressed individuals experience great difficulty inhibiting dysfunctional automatic processes or distracting attention away from the products of these processes« (Moretti/Shaw 1989: 393). »Wenn es einem angsterfüllten Menschen schwerfällt, sich auf eine vorliegende Aufgabe zu konzentrieren (beispielsweise eine Prüfung abzulegen oder eine Rede zu halten), könnte man zunächst vermuten, dass die Aufmerksamkeit zu stark abgelenkt wird, um sich längere Zeit mit einem spezifischen Objekt oder Thema zu befassen. […]. Das Problem des Patienten hängt nicht so sehr mit der Flüchtigkeit seiner Aufmerksamkeit als vielmehr mit deren unfreiwilliger Fixierung zusammen. Wir könnten feststellen, dass die Aufmerksamkeit des Patienten zum größten Teil durch die Vorstellung von Gefahr und die Wahrnehmung von ›Gefahrensignalen‹ absorbiert wird« (Beck 1979: 129, kursiv HS).
Bei einer unproblematischen Immersion wie der intensiven Lektüre eines Buches kann die Aufmerksamkeit ohne Probleme auch wieder anderem zugewendet werden, obwohl es nicht ganz einfach sein kann, mit der Lektüre aufzuhören. Bei einer pathologischen Immersion ist die Aufmerksamkeit relativ rigide gebunden und kann vielleicht über einen längeren Zeitraum nicht mehr abgezogen werden68. Da es eine Eigenschaft einer absorbierten Erfahrung ist, mit einer mangelnden Metakognition einherzugehen, kann es schwer sein, dies zu erkennen. Auch möglich ist, dass mentale Gehalte als Intrusive Thoughts sich ständig neu einstellen und man das Gefühl hat, dem hilflos ausgeliefert zu sein. Und manchmal ist nicht klar unterscheidbar, ob es sich bei einer Fixierung der Aufmerksamkeit um einen bewussten, oder ob es sich dabei um einen automatisierten Vorgang handelt. 68 »Mit anderen Worten, aufgrund der Fixierung des größten Teils seiner Aufmerksamkeit auf Vorstellungen oder Reize, die mit Gefahr zu tun haben, verliert der Patient weitgehend seine Fähigkeit, sich willentlich auf andere innere Prozesse oder äußere Reize zu konzentrieren« (Beck 1979: 129).
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Peter Chadwick, der sich als Psychologe mit der Schizophrenie beschäftigt, hatte selbst einmal eine psychotische Erfahrung. Er beschreibt die Enge der Aufmerksamkeit als eines ihrer zentralen Merkmale: »Attentionally one has the vigilance of a threatened beast. One’s attentional beam is narrow and darting« (Chadwick 2001: 57). In einem anderen autobiographischen Bericht einer psychotischen Erfahrung klingt es ähnlich: »The thoughts were so strong and seemed so unique, how could I ignore them? I did not know what to think of them except that, because they presented themselves, I thought I had to pay attention. I began to think of myself as being somewhat special and having a special mind to be thinking these things. I thought a lot about things – seeing in my mind’s eye how things were related to me. […] I became so preoccupied at times with these complex thoughts that they interfered with my ability to concentrate on other things« (Chapman 2002: 546).
Bei wahnhaften Überzeugungen zeigt sich die Absorption daran, dass sie nicht mehr als kontingent behandelt werden, sondern temporär als zwingend empfunden werden. Wenn ein Patient keinerlei Einsicht hat in seinen problematischen Zustand, wird dies als ein schlechtes Zeichen betrachtet. Einsicht zu manifestieren heißt, sich metakognitiv kritisch etwas zuwenden zu können, keine Einsicht ist dann ein Hinweis auf Absorption. Wie wir später (3.3.7) noch genauer sehen werden, wird bei einer kognitiven Therapie versucht zu erreichen, dass Patienten lernen sich von Überzeugungen zu distanzieren und sie als Überzeugungen erkennen. Etwas als etwas zu identifizieren bedeutet es zu kontextualisieren und zu relativieren, so dass die Absorption an Kraft verliert. Self Absorption als mangelnde Fähigkeit zur Relativierung des Erfahrenen kann konkret heißen, dass es zu einer übertriebenen Personalisierung kommt. Die Wahrnehmung wird egozentrisch, es besteht ein Egocentric Bias (Beck/ Rector 2005: 584). »Bei den psychiatrischen Störungen stellen wir fest, dass die egozentrischen Interpretationen gewöhnlich zwingend werden und die objektiven Urteile völlig verdrängen können. Die Neigung, Ereignisse im Hinblick auf ihre persönliche Bedeutung zu interpretieren, bezeichnet man mit Begriffen wie ›Personalisierung‹ oder ›Selbstbezug‹. […] Eine manische Patientin glaubte, dass jeder Passant auf der Straße in sie verliebt sei. Psychotische Patienten interpretieren Ereignisse, die keinerlei Bezug zu ihnen haben, als ob diese durch sie verursacht oder gegen sie gerichtet seien« (Beck 1979: 79).
Im Extremfall der psychotischen Erfahrung spricht man von Delusions of Reference: Alles, was erlebt wird, hat eine spezielle Bedeutung für die Person und existiert speziell für sie, z. B. das Kleid der Nachrichtensprecherin im Fernsehen oder ihre Blicke. Delusions of Reference sind das häufigste Merkmal einer Psychose, die paranoide Vorstellung, von jemandem mit bösen Absichten verfolgt
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zu werden, ist das zweithäufigste. Letztere sind jedoch auch häufig Bestandteil von Depressionen, Angststörungen und einem posttraumatischem Stresssyndrom (Freeman 2006: 427). Man kann die Fähigkeit zur Immersion entwicklungspsychologisch thematisieren. Margaret Donaldson (1978) hat argumentiert, dass ein zentrales Merkmal des Bewusstseins des Kindes darin besteht, dass es situativ eingebettet ist (Embeddedness). Kinder lernen erst, sich von Erfahrungen zu distanzieren und diese zu überdenken, d. h. sie sind metakognitiv wenig entwickelt. Kinder, so die Vermutung, können Erfahrungen noch nicht kontextualisieren, da sie noch kein persönliches Narrativ und kaum Selbstkonzepte als Kontext für Erfahrungen entwickelt haben. Ein wichtiger Aspekt zur Entfaltung metakognitiver Fähigkeiten ist das Erlernen der Sprache und damit zusammenhängend, die Entwicklung des Intellekts. Das Ende der Einbettung, d. h. der Immersion, in die gegenwärtigen Lebensumstände, und die Entwicklung von Metakognition, gehen Hand in Hand. »The disembedded child, on the other hand, has become reflectively aware of language as a system, and has become sufficiently self-aware to be able to sustain attention, resist distraction, and otherwise exhibit self-control. Donaldson concludes (1978,p. 123): ›The point to grasp is how closely the growth of consciousness is related to the growth of the intellect.‹« (Foulkes 1990: 49 f).
David Foulkes hat in einem interessanten Projekt mit Kindern über mehrere Jahre untersucht, wie sich ihre Fähigkeit des Träumens entwickelt. Es zeigte sich dabei, dass die Träume kleiner Kinder statisch und wenig komplex sind, es tauchen nur sehr wenige Figuren auf, meistens Tiere, und der Traum ist nur eine Szene. Die Träume werden mit der Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten zunehmend komplexer und narrativer. Foulkes sieht dies als einen Hinweis darauf, dass Kinder ihre Erfahrungen noch nicht genügend kontextualisieren können. Er vermutet, dass die damit einhergehende Embeddedness des Kinds als Mindlessness die Amnesie der ersten Lebensjahre erklären könnte. Ohne Kontext, so die Vermutung, fällt es Menschen schwer, Erinnerungen zu behalten. Foulkes kommt schließlich zu der interessanten These, dass die kindliche Erfahrung bis zum ca. 5. Lebensjahr mehr einem Traum ähnelt, als dem später entfalteten Alltagsbewusstsein. »In this sense, dreaming may be like the life experience of young children, and this may be why, in both, without the intrusion of other processes, autobiographically unreflected events tend to become rapidly inaccessible to deliberate, conscious recollection« (Foulkes 1990: 51).
Die These ist also, dass das, was das Erleben des Kindes in wesentlicher Hinsicht vom Erleben Erwachsener unterscheidet, darin besteht, dass das Alltagsbewusstsein Erwachsener sehr viel mehr die Eigenschaft der Wachheit hat, da diese
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nicht in dem Maße von Erfahrungen absorbiert sind, wie dies bei kleinen Kindern der Fall ist. 3.3.5.3 Unbewusstheit Wie Automatizität und Immersion andeuten gehen nichtwache Phänomene mit einer gewissen Unbewusstheit einher. Diese Unbewusstheit systematisch als Bestandteil eines Modells nichtwachen Erlebens zu entwickeln ist ein Unterfangen mit einer erheblichen Komplexität. Was ich hier anbieten kann ist eine gewisse Ordnung der Phänomene. Beim Begriff des Unbewussten werden normalerweise zwei Bereiche unterschieden. Da ist zum einen die unbewusste Verarbeitung von Informationen, die sich generell der Erfahrung entzieht. Der andere Bereich des Unbewussten bezieht sich auf Dinge, die einem bewusst sein können. Vermutlich ist es vor allem dieser Bereich, der hier relevant ist. Dass Unbewusstheit für das Verständnis von Nichtwachheit wichtig ist ergibt sich bereits aus deren Bestimmung. Da ein Erwachen zu mehr Selbstbewusstsein führt, zu einem Erkennen von Wirklichkeit und neuen Möglichkeiten, muss Nichtwachheit mit einer gewissen Unbewusstheit gegenüber einem selbst, der Wirklichkeit und der Existenz von Möglichkeit begleitet sein. Vermutlich lassen sich diese drei Aspekte durch die Verabsolutierung von Konzepten und die damit verbundene Automatizität erklären. Für die spätere Analyse ist es jedoch hilfreich, das nichtwache Erleben zusätzlich über den Aspekt mangelnder Bewusstheit zu beschreiben. Es wurde bereits gezeigt, dass der funktionale Aspekt der Aufmerksamkeit, also ihre Steuerung, weitgehend unbewusst sein kann. Depressiven Menschen bspw. ist häufig nicht bewusst, dass sie ihre Aufmerksamkeit selektiv auf negativ interpretierte Ereignisse ihrer Vergangenheit lenken, während Menschen mit Angstproblemen es nicht bewusst ist, dass sie automatisch ihre Aufmerksamkeit auf potenzielle Bedrohungen der Zukunft lenken (Gotlieb/MacLeod 1997: 363). Diese Selektivität hat Konsequenzen für die phänomenale Seite der Aufmerksamkeit, da diejenigen Aspekte der Wirklichkeit nicht wirklich erfahren werden, die nicht Bestandteil der kognitiven Struktur sind; die Person ist ihnen gegenüber aschematic. Wird ihre Existenz noch anerkannt werden sie vielleicht delegitimiert oder als als irrelevant ausgeblendet. So kann man bspw. nur bis zu einem gewissen Grad davon überzeugt sein, dass das Leben eine einzige Katastrophe ist, und gleichzeitig diejenigen Aspekte des Lebens annehmen, die nicht katastrophal sind (Confirmation Bias). Die durch Verabsolutierung ausgelöste rigide Selektivität der Wahrnehmung wird durch hypnotische Erfahrungen vielleicht besonders eindrücklich demonstriert. Bei negativen Halluzinationen können Aspekte der Wirklichkeit, wie Gegenstände oder sinnliche Empfindungen, aus dem phänomenalen Feld der
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hypnotisierten Person verschwinden. Wie bereits erwähnt konnte die Hypnoseforschung jedoch zeigen, dass dieses Verschwinden nicht so vollständig sein kann, wie es die Person selbst empfindet. Wenn hypnotisierte Subjekte schmerzunempfindlich sind, lassen sich dennoch physiologische Schmerzreaktionen nachweisen (z. B. Atmung, Schweiß, Herzschlag). Bei negativen Halluzinationen erklärt das hypnotisierte Subjekt, dass es etwas nicht erlebt, doch sein Verhalten kann nur so erklärt werden, dass es doch etwas sehen muss. Das führt zu der Frage, wie diese Unbewusstheit verstanden werden kann. Mind Wandering und Change Blindness demonstrieren, dass man etwas erleben kann, ohne sich dessen bewusst zu sein. Wie der Traum ist das Mind Wandering eine Erfahrung, derer man sich erst nachträglich als solcher bewusst wird. Man ist sich phänomenal etwas bewusst und gleichzeitig metakognitiv unbewusst. Metakognitiv unbewusst zu sein heißt, dass man etwas erfährt, ohne dass man dies kontextuell verortet, oder dass man es unbewussterweise falsch versteht. Im Traum zu erwachen und luzide zu werden bedeutet, die Erfahrung richtig zu kontextualisieren und als Traum zu erkennen. Was für objektive Wirklichkeit gehalten wurde, wird in seiner Subjektivität erkannt. Ähnlich werden die subjektiven Elemente der Wahrnehmung beim nichtwachen Erleben innerhalb des Alltagsbewusstseins für objektive Wirklichkeit gehalten (vgl. Malamud 1986). »Although it generally seems that we are aware of the contents of experience, various situations illustrate dissociations between having an experience and knowing that one is having that experience. Such dissociations are exemplified by the situation of suddenly realizing that your mind has wandered while reading. Although the contents of such mindwandering episodes are certainly experienced, the explicit awareness that your mind has wandered appears temporarily absent, as evidenced by the futility of continuing both activities« (Schooler 2002: 339).
Eine vergleichbare Unterscheidung zwischen Phänomenalität und Metakognition findet sich heute im kognitiven Modell der Psychose, wo nicht die Erfahrung an sich, sondern ihr metakognitives Verständnis als entscheidend betrachtet wird. Ob man eine Halluzination als ein interessantes Phänomen betrachtet, oder ob man annimmt, dass ein fremdes Wesen tatsächlich zu einem gesprochen hat, macht den Unterschied zwischen Normalität und einer Tendenz zur psychischen Störung aus. Weiter oben (3.3.4.5) war argumentiert worden, dass der Wirklichkeitsstatus der Erfahrung auf einem impliziten Urteil basiert, solange wir naive Realisten sind, und auf einem expliziten Urteil, wenn wir dies nicht mehr sind. Die nichtwache Erfahrung basiert auf einem falschen Urteil, da etwas für objektiv wirklich gehalten wird, obwohl es tatsächlich einen subjektiven Status hat und ein externer Attribuierungsfehler begangen wird.
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Ernest Hildgard beschreibt Formen hypnotischen Erlebens im Neodissoziationsmodell als eine Trennung von funktionalen Einheiten des Bewusstseins von einer zentralen Kontrolleinheit. Diese Dissoziation von Subsystem und zentraler Steuerung führt zu einer automatisierten Vorgehensweise des Subsystems. Dissoziation bedeutet hier, dass ein Teilsystem vom Rest des kognitiven Systems entkontextualisiert ist und so eine gewisse Autonomie erhalten hat. Diese Abkopplung ist identisch mit metakognitiver Unbewusstheit. Dies erklärt, warum in dieser Situation keine Alternativen mehr erkannt werden können, denn die Aufmerksamkeit ist absorbiert vom Subsystem69. Diese Beschreibung entspricht der Erklärung von Konfabulationen, wo ebenfalls von einer Dissoziation von exekutiven und metakognitiven Aspekten des Bewusstseins ausgegangen wird. Die Unbewusstheit nichtwachen Erlebens scheint also in erster Linie eine metakognitive zu sein – auch wenn sie durchaus durch die damit einhergehende Selektivität Konsequenzen hat für die Phänomenalität. Natürlich kann nichtwaches Erleben sehr bewusst sein in dem Sinne, dass es von einer erheblichen Intensität sein kann. Dies kann ja ein Grund dafür sein, dass wir Immersionen als positiv erleben können. Man kann nicht begeistert ein Fußballspiel erleben und gleichzeitig über die Korruption im Profifußball und die Vergänglichkeit des Lebens sinnieren. Nicht jede Immersion muss mit Nichtwachheit einhergehen. Metakognitive Unbewusstheit kann die mangelnde Erkenntnis von Alternativen erklären und hilft zu verstehen, wieso das nichtwache Erleben mit einem Verkennen von Wirklichkeit einhergeht. Wer keine Bewusstheit dafür hat, dass seine derzeitige Sicht der Dinge nur eine mögliche ist, und nicht notwendigerweise die wahre, kann leicht auf Abwege geraten, ohne dass er noch über die Fähigkeit verfügt, dies zu erkennen. Kann metakognitive Unbewusstheit erklären, wieso ein Erwachen mit dem Gefühl einhergeht, präsenter zu sein? Es ist zunächst plausibel, eine reduzierte Bewusstheit auch auf die Person selbst zu beziehen und davon auszugehen, dass sie mit einer geringeren Bewusstheit für sich selbst einhergeht. Wer sich auf wenige Selbstkonzepte reduziert und sich nicht bewusst ist, welche Möglichkeiten sonst noch bestehen, um sich selbst auszudrücken, könnte sich als verarmt und eingeschränkt erfahren. Das nichtwache Erleben ist das Erleben einer teilweise fiktiven Wirklichkeit. Es scheint plausibel zu sein davon auszugehen, 69 Es wird inzwischen beansprucht, diesen Vorgang neurobiologisch darstellen zu können: »These fMRI data suggest the possibility of a decoupling of conflict-monitoring and cognitive control function in highly susceptible subjects after hypnotic induction, corresponding to a breakdown in the functional integration of two key components of the frontal attentional control system« (vgl. Egner et al 2005: 975). »This inattention to context resulting in an inability to view information from several alternative perspectives is characteristic of a mindless state of mind« (Langer 1992: 302).
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dass die Bedingung der Möglichkeit des Erlebens einer fiktiven Wirklichkeit die Konstruktion einer fiktiven oder teilfiktiven Identität ist70. Anders kann der Mensch vermutlich nicht an dieser partizipieren. Bei jedem Phänomen nichtwachen Erlebens zeigt sich, dass es zu einer Einschränkung des Selbstkonzepts und zur Bildung einer fiktiven Identität kommt. Man kann nicht einen Traum erleben, ohne ihn als Traum zu erkennen, und gleichzeitig die Person bleiben, die man ist. Luzide zu werden bedeutet gerade, Zugang zu seinem eigentlichen Selbstkonzept und dessen Erinnerungen zu erhalten. Nicht umsonst erfährt man sich während eines Traums als regrediert, d. h. seiner üblichen Fähigkeiten und Reife beraubt. Die Bildung einer temporären fiktiven Identität muss mit metakognitiver Unbewusstheit einhergehen, ansonsten würde man sofort bemerken, was geschieht. Man würde die Verarmung des Selbstkonzepts unmittelbar erkennen und würde sich nicht damit identifizieren, ebenso wie man die private Wirklichkeit des nichtwachen Erlebens sofort erkennen würde. Die Bildung eines vorübergehenden irrtümlichen Selbstkonzepts, welches im Verhältnis zum Selbstkonzept des Alltagsbewusstseins verarmt, eingeschränkt und künstlich ist, kann bis zu einem gewissen Grad erklären, wieso ein Erwachen mit dem Gefühl einhergeht, »mehr da« zu sein. »Awakening from a waking-state Dream would be defined as establishing the experience of contact with a level of reality that seems more objective and inclusive than the waking-state Dream« (Malamud 1986: 594, kursiv original).
Diese Analyse ist kompatibel zum Konzept des »Flucht vor dem Selbst« von Roy Baumeister (1991, siehe 3.3.3). Baumeister beschreibt mit seiner Escape Theory, dass Menschen aus verschiedenen Gründen motiviert sein können, vor sich selbst zu fliehen. Um sich nur noch eingeschränkt erfahren zu müssen können Personen ihre Aufmerksamkeit einengen. Dabei werden Aspekte des Selbst als unwirklich beurteilt und ausselektiert. Der Kern von Baumeisters Argumentation ist wohl der Gedanke, dass die Flucht vor dem Selbst durch eine Reduktion von Selbstkonzepten und einer damit einhergehenden Bedeutungseinschrän70 Meine Vermutung ist, dass Heidegger dies mit seiner seltsamen Analyse in »Sein und Zeit« geahnt hat: »Es könnte sein, daß das Wer des alltäglichen Daseins gerade nicht je ich selbst bin« (Heidegger 1967: 114). »In dieser Unauffälligkeit und Nichtfeststellbarkeit entfaltet das Man seine eigentliche Diktatur. Wir genießen und vergnügen uns, wie man genießt; wir lesen, sehen und urteilen über Literatur und Kunst, wie man sieht und urteilt; wir ziehen uns aber auch vom ›großen Haufen‹ zurück, wie man sich zurückzieht; wir finden empörend, was man empörend findet. Das Man, das kein bestimmtes ist und das Alle, obzwar nicht als Summe, sind, schreibt die Seinsart der Alltäglichkeit vor« (1967: 126). Heidegger versucht hier zu beschreiben (es gab damals noch keine entwickeltere Terminologie), wie der soziale Kontext zur Entwicklung eines fiktiven Selbstkonzepts beiträgt und dessen Existenz unterstützt. Der Begriff des Man scheint es gut auf den Punkt zu bringen, dass das Leben in einer fiktiven Identität mit einer Entfremdung von sich selbst einhergeht, die Heidegger als Uneigentlichkeit bezeichnet.
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kung zu erreichen ist. De facto ist dies der Versuch, das eigene Denken verarmen zu lassen, so dass es rigide, automatisiert, irrational und begrenzt wird, damit ein spezifischer Geisteszustand möglich wird. Aus Perspektive der Self-Determination Theory besteht in diesem Fall eine Unbewusstheit gegenüber den eigenen zentralen Werten. Man weiß nicht, was einem wirklich etwas bedeutet. Man erfährt zwar weiterhin die Dinge, aber man kann sie nicht mehr im Kontext seiner wichtigsten und zentralsten Überzeugungen und Werte erfahren. Irgendwie muss das Erleben dann mit einem selbst unverbunden bleiben. Ein anderer Begriff für diese Unverbundenheit ist Dissoziation. 3.3.5.4 Dissoziation Die Dissoziation war eingeführt worden als ein möglicher Aspekt eines hypnotischen Erlebens, was vor allem die Neodissoziationstheorie demonstriert. Zusätzlich wurde gezeigt, dass sie seit langem als ein mögliches Element eines pathologischen Erlebens gedeutet wird, wie dies bspw. bei der Dissoziativen Identitätsstörung der Fall ist. Dissoziationen werden seit einer Weile zwar intensiv erforscht, sind aber bis heute relativ unverstanden geblieben. Man ist sich einig, dass bei einer Dissoziation eine Störung, bzw. Diskontinuität, des normalerweise integrierten Bewusstseins existiert, so dass Gedächtnis, Identität, Gefühle, Wahrnehmung und Körper als unverbunden erlebt werden und teilweise der bewussten Kontrolle nicht mehr zugänglich sind. Was das jedoch bedeutet und wie es zu verstehen ist, ist weitgehend unklar (Kihlstrom/Hoyt 1988, Fiedler 1999). Der Begriff wird auf mindestens drei Weisen verwendet. Er referiert erstens auf alltägliche Erfahrungen wie das Tagträumen oder auf Erfahrungen, bei denen man ganz von etwas absorbiert ist. Wie sehr eine Person zu dissoziativen Erfahrungen neigt wird durch Fragebögen wie die Dissociative Experience Scale gemessen. Zweitens gelten Dissoziationen als pathologische Phänomene und werden als Bestandteil der meisten psychischen Störungen betrachtet. Es gibt auch eine eigene Klasse dissoziativer Störungen, in welche neben der DIS nach dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders 10 die dissoziative Amnesie, die dissoziative Fugue, Depersonalisierungs- und Derealisierungsstörung gehören. Drittens werden hypnotische Phänomene als dissoziative Phänomene thematisiert. Auch wenn hier die Dissoziation erheblich sein kann, löst sich diese im Gegensatz zur pathologischen Variante ohne Probleme wieder auf. Man geht inzwischen davon aus, dass der Begriff sich auf zwei unterscheidbare Phänomene bezieht, wobei nicht klar ist, wie diese sich zueinander verhalten. Sie werden als Detachment und als Compartementalization bezeichnet (vgl. Humpston et al. 2016). Detachment bezieht sich darauf, dass Personen sich gegenüber sich selbst oder der Wirklichkeit unverbunden fühlen können. Man
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selbst oder die Wirklichkeit kommen einem fremd vor, man erlebt sich wie in einer Blase, isoliert von sich und der Welt. Als vorübergehende Erfahrung ist dies im Bereich des Normalen, doch als chronischer Zustand spricht man von einer Depersonalisierungs- oder Derealisierungsstörung. Mit Compartementalization ist die klassische von Pierre Janet entwickelte Bedeutung von Dissoziation gemeint, das heißt eine gewisse Verselbstständigung funktionaler Einheiten des Bewusstseins. Die prinzipielle Möglichkeit solcher Dissoziationen wird, wie bereits erwähnt, auf die modularisierte Struktur des kognitiven Systems zurückgeführt. Eine parallele Verarbeitung von Informationen gilt heute als selbstverständlich (vgl. Baars 1997) und macht eher die Integration des Erlebens erstaunlich, als dessen Dissoziation (Spiegel/ Li 1997). Für das Verständnis nichtwachen Erlebens scheint in erster Linie die Dissoziation als Compartementalization interessant zu sein. Aus kognitionspsychologischer Perspektive geschieht die modularisierte Verarbeitung von Informationen auf der Basis von Konzepten (Beck 1996). Nichtwache Phänomene scheinen damit einherzugehen, dass Konzepte als funktional teilautonome Einheiten des Systems von diesem dissoziiert sind und nicht mehr zentral gesteuert werden. Um zu demonstrieren, dass Nichtwachheit von Dissoziationen begleitet ist, muss wohl gezeigt werden, wie die drei zentralen Eigenschaften nichtwachen Erlebens als Dissoziationen im Sinne einer Compartementalization erklärt werden können. Bereits gezeigt wurde, dass beim nichtwachen Erleben die Kognition bei metakognitiver Unbewusstheit (3.3.5.3) automatisiert von Konzepten bestimmt wird (3.3.5.1). Wegen des metakognitiven Defizits ist man dann nicht mehr in der Lage, die Propositionen zu prüfen, auf denen das nichtwache Erleben basiert. Dissoziiert zu sein heißt, dass etwas nicht in den Gesamtkontext der Person integriert ist, oder das Persönlichkeitsanteile nicht auf harmonische Weise miteinander verbunden sind. Auf diese Weise können sich gleichsam Inseln der Irrationalität bei ansonsten durchaus vernünftigen Menschen bilden (vgl. Sternberg 2002). Von der Dissoziation her gedacht erklärt sich das »weniger da« von Nichtwachheit durch eine reduzierte Integration der Persönlichkeit. Die mangelnde Erkenntnis von alternativen Möglichkeiten kommt daher, dass das nichtwache Erleben wegen des Aspekts der Absorption mit eine Art Tunnelblick einhergeht. Die damit einhergehende Unverbundenheit ist nur ein anderer Ausdruck für das, was bisher als Entkontextualisierung beschrieben worden ist. Da einen Dissoziationen auf eine Perspektive festlegen gehen sie mit einer erheblichen Selektivität einher, so dass die Komplexität der Wirklichkeit unangemessen reduziert wird. Beim Selbstbetrug ist man von einer Motivation dissoziiert, die einem wiederum den Zugang zur Wirklichkeit blockiert. Eine extrinsische Motivation schränkt nach der Self-Determination Theory die Autonomie der Person ein.
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Daher, so wurde argumentiert, führt Selbstbetrug zu einer Minderung an Authentizität und Selbstachtung. Vermutlich ist dies bei allen nichtwachen Phänomenen der Fall. Wer konfabuliert hat keinen Bezug zu seiner Vergangenheit und vermutlich auch keine Verbindung zu seinen Core Values. Metakognitive Unbewusstheit bedeutet ja gerade, dass man etwas von sich selbst nicht versteht und man es daher auch nicht steuern kann. Im Fall des Konfabulierens scheint sich gleich das ganze Vorstellungsvermögen verselbstständigt zu haben und ad hoc zu wilden Fabrikationen zu führen, die weder verstanden noch kontrolliert werden. Psychologische Störungen sind per definitionem etwas, das die Person als fremd und als unkontrollierbar empfindet. Sie haben immer dissoziative Aspekte (Holmes et al. 2004: 4, vgl. Humpston et al. 2016). Im Extremfall hält man sich für Napoleon und ist von seiner Identität dissoziiert. Im weniger extremen Fall einer Depression glaubt man, dass man wertlos sei. In beiden Fällen ist man von der Wahrheit der eigenen Identität dissoziiert. Bei der verbreitetsten Halluzination, dem hören von Stimmen, attribuiert man die eigenen Gedanken auf eine externe Quelle, so dass man von seinem eigenen mentalen Leben dissoziiert ist. Eine Dissoziation von den eigenen Erfahrungen als Folge der Verabsolutierung von Konzepten kann wohl verständlicher machen, weshalb es depressiven Menschen schwer fällt, sich an konkrete Ereignisse zu erinnern. Wenn nichtdepressive Personen in Wortassoziierungsaufgaben gebeten werden, sich in Reaktion auf ein präsentiertes Wort an etwas zu erinnern, fällt ihnen ein konkretes Ereignis ein. Depressive Personen dagegen präsentieren nur allgemeine und generelle Erinnerungen, auch nachdem ihnen mehrere male die Aufgabe erklärt worden war (Williams 1996). Sie assoziieren zu Wörtern bspw. Aussagen wie »mein Vater«, »spazieren gehen mit der Mutter« oder »Ich war schon immer behäbig«. Dieses Phänomen ist auch nachgewiesen bei Personen, die an einem posttraumatischen Stresssyndrom leiden und bei Eltern, die sehr gestresst von ihren Kindern sind. Allgemeine Aussagen ersetzen konkrete Erinnerungen. Der Traum ist als dissoziative Erfahrung interpretiert worden, da er außerhalb des normalen Kontexts der Person stattfindet und mit einem erheblich veränderten Selbstkonzept einhergeht, das sich weitgehend der Kontrolle entzieht. Es scheint plausibel, dass man sich seiner Träume auch deshalb nicht gut erinnern kann, weil sie nicht gut in unser normales Erleben integriert sind. »The grand paradox of dreaming is that it is the same mind which constructs elaborate, creative, coherent narratives (with their metaphoric imagery and playful uses of words) and which then proceeds to interpret these narratives so literally (and stupidly)« (Foulkes 1985: 44).
Was Foulkes in diesem Zitat als das Paradox des Traums bezeichnet, könnte ein allgemeines Merkmal von Dissoziationen sein. Auch der Hidden Observer (3.2.5)
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scheint paradox, denn wie kann sich ein und dieselbe Person gleichzeitig etwas bewusst und unbewusst sein? Statt diesen Gedanken weiter zu verfolgen ist es an dieser Stelle wichtiger darauf zu verweisen, dass nicht nur der Traum selbst als dissoziative Erfahrung interpretiert werden kann, sondern dass auch die Inhalte von Träumen als dissoziierte Aspekte der Person interpretiert worden sind. Für Janet, dem Entdecker der Dissoziation, war ein Konzept (»id8e fix«) im Zentrum eines dissoziierten Komplexes. C.G. Jung übernahm diesen Begriff des Komplexes und interpretierte die Inhalte von Träumen als Manifestationen der Komplexe der Psyche. Nach Jung manifestieren sich im Traum am deutlichsten die teilautonomen Aspekte der Psyche, und zwar als Inhalte und Personen (vgl. Jung 1948). Aus dieser Perspektive ist der Traum eine dissoziierte Erfahrung von möglicherweise dissoziierten Komplexen der Psyche. Dies könnte bspw. der Fall sein, wenn einem geträumte Personen feindselig gesonnen sind oder sie einem ganz fremd vorkommen. Im 19. Jh. war der Gedanke geläufig, dissoziative Phänomene des Alltagsbewusstseins durch einen bezug auf den Traum zu erklären. Phänomene wie Absorption, Derealisierung, Depersonalisierung sowie die Dissoziative Identitätsstörung wurden damals als Somnambulismus bezeichnet und als eine Art Schlafwandeln empfunden. Heute ist bekannt, dass Personen mit solchen Problemen häufig unter Schlafstörungen leiden (van der Kloet et al. 2012: 161). Ebenso wissen wir, dass Schlafentzug zu dissoziativen Phänomenen führt (1.2). Es ist wohl möglich, dass ein labiler Schlafzyklus zu »intrusions of sleep phenomena (e. g., dreamlike experiences) into waking consciousness« führt, »which in turn foster fantasy-proneness and feelings of depersonalization and derealization« (van der Kloet et al. 2012: 166). So, wie im Traum die Komplexe der Psyche die Möglichkeit erhalten, sich außerhalb der bewussten Kontrolle der Person zu manifestieren, ist also denkbar, dass Komplexe sich im Alltagsbewusstsein manifestieren können, wenn aufgrund mangelnden Schlafes sich die metakognitive Bewusstheit reduziert: »[…] sleep-related deficiencies in cognitive control may promote an influx of imaginative, dreamlike mentation in daily life that contributes to dissociative symptoms such as depersonalization and derealization« (van der Kloet et al. 2012: 167). Eine Verbesserung der Schlafhygiene, so hat sich gezeigt, reduziert dissoziative Tendenzen (Lynn et al. 2012). Die Möglichkeit von Dream Intrusions in das Alltagsbewusstsein demonstrieren noch einmal, dass traumähnliche Erfahrungen nicht auf den Schlaf begrenzt sind. Dieser Zusammenhang macht sehr viel plausibler, dass unbewusste Komplexe nicht nur während des Traumes als scheinbar externe Wirklichkeit erfahren werden können, sondern dass dies auch während des Tages möglich ist, wenn sie auf Personen oder Situationen projiziert werden. Da das visuelle System und die Imagination sich nicht gegenseitig ausschließen kann die empirische Wirklichkeit durchmischt sein mit der psychischen Wirklichkeit
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der Person. So kann es geschehen, dass die Wirklichkeit in einem erheblichen Maße missverstanden wird, ohne dass die Person selbst noch über die Möglichkeit verfügt, ihr Erleben kritisch zu durchdenken. Ich möchte den Aspekt der Dissoziation abschließen mit einer spekulativen Überlegung. Das Schlafwandeln wird heute als ein physiologisches Phänomen ohne psychische Bedeutung interpretiert. Es gibt jedoch Hinweise, dass Schlafwandeln und Schlafterror psychische Gründe haben können, da Personen mit diesen Schlafstörungen zu Dissoziationen neigen und im Falle eines Schlafterror ein höheres Angstniveau haben als der Durchschnitt. Eine Vermutung ist: »The massive denial of feelings that such patients can exhibit may be breached when deep sleep shifts abruptly to wakefulness associated with intense distress« (Crisp et al. 1990: 362). Die These ist, dass ein vorübergehender Übergang vom NREM-Schlaf in einen wachen Zustand mit einem erheblichen emotionalen Stress einhergehen kann, so dass es zu einer massiven Dissoziation kommt: »We suggest that they are awake but in a state of major mental dissociation that can sometimes lead to socially unacceptable but meaningful behavior« (Crisp et al. 1990: 362). Falls dies richtig ist, könnte man zumindest manche Formen des Schlafwandelns nicht nur physiologisch erklären, sondern könnte sagen, dass es sich dabei um Formen nichtwachen Erlebens handelt.
3.3.6 Echtes und falsches Erwachen Die Vorgehensweise, Nichtwachheit über ein Erwachen zu identifizieren, stößt auf das Problem, dass zwischen einem echten und einem falschen Erwachen unterschieden werden muss. Die verbreitetste Form eines falschen Erwachens ist, dass man träumt, aufzuwachen. Man steht auf und beginnt den Tag, wacht jedoch ein wenig später noch einmal auf und stellt fest, dass man bisher geträumt hatte. Ein falsches Erwachen gibt es auch als Bestandteil luzider Träume. Während man sich bewusst ist, dass man träumt, kann man sich im Bett wiederfinden. Man glaubt, dass man erwacht sei und der Traum zu Ende ist. Tatsächlich träumt man, dass man sich im Bett befindet und aufgewacht sei (LaBerge 1991). Da Nichtwachheit auch innerhalb des Alltagsbewusstseins existiert, gibt es auch hier Formen eines falschen Erwachens. Wie ich meine ermöglicht das Modell nichtwachen Erlebens zwischen einem echten und einem falschen Erwachen zu unterscheiden. In gewisser Weise ist der Nachweis, dass auf der Grundlage des Modells klar zwischen einem echten und einem falschen Erwachen unterschieden werden kann, ein Test dieses Modells. Die Möglichkeit eines Erwachens innerhalb des Alltagsbewusstseins wird in verschiedenen Diskursen durchaus gesehen. Der Begriff des Erwachens kann bspw. in der Politik eine Rolle spielen. Es wurde bereits auf die marxistische
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These verwiesen, dass eine Klasse erwache, wenn sie sich von einem »falschen Bewusstsein« befreie, um echtes Klassenbewusstsein zu entwickeln (3.2.9). Auch die zweite totalitäre Denkrichtung des 20. Jh. hatte eine Theorie des Erwachens. Aus dem ersten Drittel des letzten Jahrhunderts gibt es eine Menge Literatur, die sich mit dem »rassischen Erwachen des deutschen Volkes« beschäftigt. Die Titel dieser Literatur deuten an, dass ein erwachtes Volk zu seiner »rassischen Identität« findet, was immer das auch heißen soll (ich habe mir die Lektüre erspart). Auch im Bereich der Spiritualität spielt das Erwachen eine Rolle. Im Epheserbrief (5,14) des Neuen Testaments findet sich die Stelle: »Darum spricht Er : Wache auf, du Schläfer, und stehe auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.« Buddha heißt »Der Erwachte«. Menschen können glauben, dass sie ein soziales, politisches oder spirituelles Erwachen erlebt haben. Da ein Erwachen nicht echt sein muss ist es möglich, dass sie sich täuschen. Es stellt sich daher die Frage, wie genau ein echtes von einem falschen Erwachen unterschieden werden kann. Nichtwachheit, so wurde versucht zu demonstrieren, geht immer mit einer Einschränkung der Möglichkeiten des Denkens, Verstehens und Handelns einher. Metakognitiv wenig bewusst zu sein heißt, dass man sich unbewussterweise auf eine Perspektive festgelegt hat. Im Modus der Nichtwachheit ist man ein naiver Realist und geht nicht den Schritt hin zu einer größeren reflexiven Bewusstheit. LaBerge und Gackenbach demonstrieren dies anschaulich am Beispiel des Träumens (vgl. LaBerge/Gackenbach 1986: 161). Man kann im Traum etwas sehr Seltsames bis Unmögliches beobachten, bspw. eine Frau mit vier Augen. Wenn das kritische Denken ganz abwesend ist, fallen einem diese Dinge nicht einmal als bemerkenswert auf, man nimmt sie einfach hin. Dies ist die erste Stufe: unkritische Akzeptanz. Man befindet sich in gewisser Weise auf der Stufe eines Kindes. Auf der zweiten Stufe fällt einem auf, dass etwas nicht stimmt. Man ist zwar überrascht, doch dies hat noch keine Konsequenzen. Es beginnt kein reflexiver Prozess, das heißt man stellt sich keine Fragen und versucht nicht, eine Antwort auf das ungewöhnliche Ereignis zu finden. Dieser Prozess beginnt auf der dritten Stufe, wenn man sich fragt: »Was ist hier eigentlich los, wie kann das sein?«. Die Einschränkung dieser Stufe besteht darin, dass man sich mit der ersten Antwort zufrieden gibt, die einem einfällt, das heißt man akzeptiert eine Rationalisierung (»die Frau mit den vier Augen gehört zu einem Zirkus«). Auf der vierten Stufe gelangt man zur Lösung und erkennt, dass es sich bei der momentanen Erfahrung um einen Traum handeln muss. Man ist sich nun bewusst, dass die zentrale Prämisse, auf der die bisherige Erfahrung basierte, nicht richtig ist. Da man nun erwacht ist stehen einem neue Möglichkeiten zur Verfügung, man ist nicht
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länger eingeschränkt durch eine Überzeugung, derer man sich noch nicht einmal als solcher bewusst gewesen ist. Die These ist, dass ein Aspekt der Zunahme an Möglichkeiten, die ein Erwachen mit sich bringt, eine größere Rationalität ist. Nichtwachheit ist aus dieser Perspektive auch eine eingeschränkte Rationalität. Wer aufwacht überwindet diese Einschränkungen und kann vernünftiger denken. Im Umkehrschluss heißt dies, dass ein falsches Erwachen nicht zu mehr, sondern zu weniger Rationalität führt. Ein sukzessives Wachstum rationalen Denkens lässt sich bei den verschiedenen nichtwachen Phänomenen tatsächlich beobachten. Im Falle von Depression und Angsterkrankung ist es ein Bestandteil des Heilungsprozesses, dass Patienten eine größere metakognitive Kompetenz entwickeln und lernen, Ansichten und Urteile nicht unkritisch als wirklich zu akzeptieren. Bei der »Rational-Emotiven Verhaltens Therapie« von Ellis geht es explizit darum, zu rationaleren Überzeugungen zu gelangen. »These findings are consistent with the view that CT [cognitive therapy, HS] produces symptom reduction primarily through its impact on higher-order executive functions such as problem solving, cognitive reappraisal and self-referential thinking« (Clark/ Beck 2010: 421f.).
Auch die kognitive Therapie der Psychose basiert auf dem Grundsatz einer gewissen Distanz gegenüber Erfahrungen verbunden mit einer kritischen Prüfung des Erlebten. »Because of the diminution of metacognition, insight into the bizarrity of one’s thoughts is extremely low or absent. Confirmations seem regularly to bolster and elaborate the delusional beliefs such that their veracity seems unquestionable. Attention and thought are directed to finding yet more confirmations, not to self questioning« (Chadwick 2001: 58).
Es ist gerade das Problem psychotischen Erlebens, dass es für wahr gehalten wird, so bizarr und seltsam die wahnhafte Überzeugung oder das Halluzinierte auch sein mag. Es ist ein wichtiger Schritt im Heilungsprozess, wenn der Patient Einsicht in das Seltsame seiner Erfahrungen entwickelt und schrittweise lernt, ihnen gegenüber eine prüfende Haltung einzunehmen. Wie bereits erwähnt geht es bei der kognitiven Therapie auditiver Halluzinationen nicht primär darum, die Stimmen zum Verschwinden zu bringen, sondern ihnen gegenüber eine vernünftige Haltung einzunehmen (vgl. Chadwick/Birchwood/Trower 1996: Kap. 6). Auch wenn das phänomenale Erleben sich dadurch nicht unbedingt verändert, kann eine realistischere Einschätzung der Macht, Identität und Bedeutung der Stimmen beim Patienten eine erhebliche Verbesserung seines Befindens bewirken.
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Der Zweifel ermöglicht das Erkennen von Hypothesen als Hypothesen, so dass sie nicht länger verabsolutierend für die Wahrheit gehalten werden. Das folgende Lob des Zweifels stammt von jemandem, der sich durch seine Hilfe von wahnhaften Überzeugungen befreien konnte. »Doubting is constructive; the delusion is challenged. To doubt the validity of a delusion does not mean to doubt yourself as a whole. Doubting can be the gateway to truth. Without doubt, one’s delusions are preserved. With doubt, one discovers. Embrace doubt to rethink and disperse fears. Doubt eliminates uncertainty. It is the seed of argument. The existence of ›doubt‹ surrounding a delusion allows for reality checks« (Chapman 2002: 550, kursiv HS).
Wie ich meine erlaubt der Aspekt der Rationalität ziemlich eindeutig, ein falsches von einem echten Erwachen zu unterscheiden. Ein falsches Erwachen kann vorübergehend das »mehr da« sein und das Erkennen von Wirklichkeit simulieren. Eine Person kann glauben, dass sie etwas nun besser versteht und sie mag sich vollständiger und anwesender fühlen. Wenn das Erwachen nicht echt ist, handelt es sich dabei um einen vorübergehenden emotionalen Zustand, der nicht den Tatsachen entspricht. Ein falsches Erwachen ist das Gegenteil von dem, was es zu sein scheint. Wer scheinbar ein soziales, politisches oder religiöses Erwachen erlebt kann dabei eine neue Weltanschauung und ein neues Selbstkonzept übernehmen. Für eine Weile kann man mit großer Überzeugung glauben, dass man Teil von etwas Bedeutungsvollem ist. Dies kann mit einem starken Gefühl von Sicherheit einhergehen. Genau darin liegt ja für manche Menschen der Reiz begründet, sich bestimmten Gruppierungen anzuschließen. Verschwörungstheoretiker glauben, dass sie eine Art höheres Wissen erlangt haben und nun verstehen, wie die Dinge sich wirklich verhalten. Es ist wohl so, dass man sich auf diese Weise, ähnlich wie bei der Psychose, so tief in ein problematisches Denken verstricken kann, dass es schwierig wird, alleine den Weg heraus zu finden. Was ein falsches Erwachen nicht kopieren kann, ist die Zunahme an Möglichkeiten, die ein echtes Erwachen mit sich bringt. Verabsolutierte Konzepte führen notwendigerweise zu weniger Möglichkeiten des Denkens, Erkennens und Handelns. Nichtwache Zustände erhöhen die Wahrscheinlichkeit eines automatisierten Reagierens, während im wachen Zustand mehr Optionen erkannt werden. Langer (1989) beschreibt es so, dass Mindlessness mit einem Verlust an Entscheidungsmöglichkeiten und Kontrolle einhergeht. Wenn wir nicht darauf achten, was wir tun, kann es uns ganz unbewusst sein, dass wir auch anders vorgehen könnten. »Meaningful choice involves some awareness of the other alternatives that have not been selected« (Langer 1989: 85). Praktisch bedeutet dies, dass ein Erwachen durch die Zunahme an Handlungsmöglichkeiten eine Person freier macht. Dieser Freiheitsbegriff berührt nicht die Dis-
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kussion um Determinismus, Kompatibilismus und Libertarismus. Eine Person fühlt sich nach einem Erwachen freier, da ihr nun neue Horizonte offen stehen. Der Determinist kann natürlich behaupten, dass diese Zunahme an Freiheit nicht real ist, auch wenn das Subjekt sie als real empfindet. Der hier verwendete Freiheitsbegriff ist ontologieneutral. Kreativität kann wohl als ein Aspekt von Freiheit betrachtet werden, und Mindfulness führt erwiesenermaßen zu mehr Kreativität. Eine größere Freiheit des Denkens als der Existenz neuer Möglichkeiten heißt konkret, dass ein Erwachen eine Person rationaler machen muss. Ein starker Hinweis auf mangelnde Rationalität sind Selbstimmunisierungsstrategien und der damit einhergehende Unwille, seine Ansichten in Frage zu stellen. Nichtwache Zustände reduzieren die Fähigkeit zur Einsicht und können dazu führen, dass automatisch abgewehrt wird, was einem nicht gefällt. Man akzeptiert nicht wirklich die Möglichkeit, dass man auch falsch liegen könnte. Wenn eine Person rigide und zwanghaft ihre Position verteidigt und nicht in der Lage ist, einmal den Standpunkt einer anderen Person einzunehmen, ist dies wohl ein Hinweis auf einen nichtwachen Zustand. Wenn ein sogenanntes politisches oder religiöses Erwachen oder ein psychischer Heilungsprozess nicht zu einer Verbesserung der Kritikfähigkeit und der Urteilskraft in Bezug auf die Prämissen des eigenen Handelns und Denkens führt, wenn der kognitive Apparat sich eher schließt, als öffnet, handelt es sich um ein falsches Erwachen. Wenn bspw. Terroristen behaupten, dass sie ein Erwachen erlebt haben, geschieht dies auf charakteristische Weise. »Terrorists frequently refer to answering their conscience. They refer to moral and political awakenings – seeing it as a duty to take up arms in defense of their people. What is invoked in such accounts is a sense of legitimacy many terrorists firmly ground in a sense of collective identity and collective responsibility. Legitimacy does not appear to be invoked or raised as an individual matter, but always at the level of the group, or wider victimized community« (Horgan 2014: 89, kursiv HS).
Wenn man sich auf sein Gewissen beruft, um sich dann ausschließlich auf die Perspektive einer Gruppe zu beziehen, scheint mir dies deutlich zu zeigen, dass von einer spezifischen sozialen Identität her argumentiert wird, und nicht von den eigenen Kernüberzeugungen aus. Man fühlt sich der In-Group verantwortlich und übernimmt selbst zu wenig Verantwortung. Wenn man sich mit Verweis auf eine Gruppe einer Prüfung entzieht, ist dies ein starker Hinweis auf ein falsches Erwachen. Wie sehr ein Erwachen zu einer Zunahme an Möglichkeiten und einem kritischeren Umgang mit Konzepten führt, demonstriert ein berühmtes Beispiel aus der Philosophiegeschichte. Kant hat bekanntlich (in der Vorrede seiner Prolegomena) erklärt, dass er durch Hume aus seinem »dogmatischen Schlummer« aufgeweckt worden ist. Höffe (2004: 19) meint in bezug auf eine Stelle aus dem
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nachgelassenen Nachlass, welche Kants Aussage, durch Hume aufgeweckt worden zu sein, ergänzt, dass Kant eine Art Erleuchtung gehabt haben könne. Die Stelle heißt: »Ich sahe anfenglich diesen Lehrbegriff wie in einer Dämmerung. Ich versuchte es ganz ernstlich, Satze zu beweisen und ihr Gegentheil, nicht um eine Zweifellehre zu errichten, sondern weil ich eine illusion des Verstandes vermuthete, zu entdecken, worin sie stäke. Das Jahr 69 gab mir großes Licht« (Refl. 5037, Akademie Ausgabe Bd. 18 S. 69).
Kants erklärt, dass er sich vor seinem Erwachen in einem Dämmerzustand befunden habe, den er als dogmatischen Schlummer und als eine Illusion des Verstandes bezeichnet. Als Dogmatismus bezeichnet Kant die ungeprüfte Verwendung von Begriffen, also eine Tätigkeit der Vernunft ohne eine kritische Prüfung der Vernunft (KrV B Vorrede). »Dogmatischer Schlummer« ist ein guter Begriff für einen mentalen Zustand, der durch ein unkritisches Verabsolutieren von Konzepten entsteht. Mangelnde Kritikfähigkeit ist ein Synonym für ein metakognitives Defizit. Kants Erwachen führte zu neuen Möglichkeiten und leitete seine kritische Phase ein. Deren zentrales Merkmal besteht in der erkenntnistheoretischen Prüfung der Ansprüche von Begriffen, d. h. in einer Selbstkritik des Erkenntnisapparates. Man kann wohl sagen, dass Kant durch sein Erwachen eine größere metakognitive Bewusstheit entwickelt hat. Weiter vorn (3.1, 3.3.5) wurde gezeigt, dass Sokrates es als seine Aufgabe gesehen hat, seine Mitbürger aus ihrem Schlummer zu wecken. Der Sokrates der frühen Dialoge prüft die Menschen, wie gut sie ein Konzept verstehen, und führt sie in die Aporie. Die Einsicht in die Unklarheit der Bedeutung eines Konzepts muss seine formale Stellung innerhalb des Bewusstseins verändern, d. h. es verliert seine Absolutheit. Die sokratische Methode scheint damit das Ziel zu haben, über eine kritische Distanz gegenüber Überzeugungen und Vorstellungen ein höheres Maß an Wachheit zu ermöglichen. Kant definierte bekanntlich Aufklärung als die Fähigkeit, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Diese Fähigkeit ist nicht gegeben, wenn die Nichtwachheit zu stark ist. Ein zunehmendes Erwachen geht daher einher mit einer zunehmenden Aufgeklärtheit im Sinne von Kant. Ist dies nicht weitgehend identisch mit der zentralen Intention von Sokrates? Manche halten dies für die zentrale Aufgabe von Philosophie.
3.3.7 Heilung als Erwachen: Achtsamkeit Ich möchte das Thema Nichtwachheit beenden mit einer Prüfung des bisher Entwickelten aus der Perspektive von Achtsamkeit als einem Instrument der therapeutischen Praxis. Da mentale Störungen mit Nichtwachheit einhergehen
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sollte ihre Heilung die Merkmale eines Erwachens aufweisen. Wie eine Heilung beschrieben wird hängt vom Therapiemodell ab. Der Begriff des Erwachens spielt meines Wissens nach in der therapeutischen Literatur nirgendwo eine prominente Rolle. Es gibt jedoch einen Weg, durch den zumindest plausibilisiert werden kann, dass die Heilung psychischer Störungen die Eigenschaften eines Erwachens hat. Seit ein paar Jahrzehnten wird die Übung von Mindfulness (Achtsamkeit) in der Therapie eingesetzt. Tatsächlich ist das Interesse an Achtsamkeit in der therapeutischen Praxis seit den 90er Jahren explodiert71. Es scheint kaum noch einen Sammelband zu einem therapeutischen Thema zu geben, in dem nicht mindestens ein Artikel sich mit Achtsamkeit beschäftigt. Als gesicherte Erkenntnis gilt, dass achtsamkeitsbasierte Therapien einen Nutzen bei Depressionen, Ängsten, Stress, chronischen Schmerzen und Süchten haben. Achtsamkeit führt auch zu einer Verbesserung des Immunsystems (Baer 2003, Brown/Ryan 2003, Mace 2008, Heidenreich et. al 2007). Die bisherige Verwendung des Begriffs Achtsamkeit (Mindfulness) hat sich orientiert an Ellen J. Langer. Wie bereits erwähnt verwendet sie den Begriff ein wenig anders, als es in der gegenwärtigen therapeutischen Literatur der Fall ist. Um diesem Unterschied gerecht zu werden bezieht sich in diesem Text die englische Version, ›Mindfulness‹, auf die Bedeutung von Langer, während die deutsche Fassung, ›Achtsamkeit‹, sich auf die auf Jon Kabat-Zinn zurückgehende Tradition bezieht. Kabat-Zinn richtete 1979 ein auf Achtsamkeit basierendes Programm (Mindful-Based-Stress-Reduction) für chronisch und schwer kranke Patienten am Medical Center der Universität von Massachusetts ein. Dieses Programm, das inzwischen weltweit über 250 mal angeboten wird, geht acht Wochen und umfasst bis zu 35 Teilnehmer, die sich wöchentlich zwei bis drei Stunden treffen, zusätzlich gibt es ein sechsstündiges Seminar an einem Wochenende. Jeden Tag üben die Teilnehmer daheim eine der Übungen, die sie in den Gruppensitzungen lernen (Körperscanübung, Gehmeditation, sitzende Meditation). In die kognitive Verhaltenstherapie wurde die Übung von Achtsamkeit durch John Teasdale, Mark Williams und Zindel Segal eingeführt. Als Experten für die Therapie der Depression stellten sie sich die Frage, wie ein Rückfall nach einer erfolgreichen Behandlung verhindert werden kann. Sie konnten nachweisen, dass bei Personen, die schon mehrere Depressionen hinter sich hatten, die Übung von Achtsamkeit einen weiteren Rückfall weniger wahrscheinlich macht. So entstand die Mindful Based Cognitive Therapy für depressive Menschen in Remission (MBCT) (Segal et al. 2004, Teasdale 2004). Inzwischen wurde gezeigt, 71 Im Jahre 1998 förderte das US-amerikanische National Institute of Health keine einzige Studie zum Thema Achtsamkeit, im Jahre wurden nach einer stetigen Zunahme 44 Studien gefördert (Shapiro/Carlson 2009: 46).
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dass auch Psychosen durch Achtsamkeitsübungen positiv beeinflusst werden können (Chadwick et al. 2005, Langer et al. 2012). Achtsamkeit gehört auch zur Dialektisch-behavioralen Therapie von Marsha M. Linehan (Hayes, Follette, Linehan 2004), der erfolgreichsten Therapie zur Behandlung von Borderline, und sie ist Teil der Akzeptanz- und Commitmenttherapie von Steven C. Hayes (2004). Die Übung der Achtsamkeit stammt ursprünglich aus der buddhistischen Tradition (Vipassana Meditation; zur christlichen Tradition/Meister Eckhart vgl. Manstetten 2007). Es entbehrt wohl nicht einer gewissen Ironie, dass die Verhaltenstherapie, die einmal vom Behaviorismus ausgegangen ist, über den Schritt der Kognition dazu gekommen ist, sich vom Buddhismus inspirieren zu lassen. Dabei spielt die buddhistische Metaphysik keine Rolle, und Achtsamkeit wird rein als kognitive Übung betrachtet. Die achtsame Aufmerksamkeit ist eine metakognitive Strategie, die sich dadurch auszeichnet, dass sie nichts verändern möchte, und dass sie nicht bewertet: »Knowing the state of your mind in this moment, without judging it, evaluating it, thinking about it, or trying to change it, is mindfulness« (Shapiro/Carlson 2009: 5). Ein zentraler Gedanke dabei ist, dass die gewöhnliche Aufmerksamkeit häufig geprägt ist von einem Bezug auf die Vergangenheit oder die Zukunft in der Form von Antizipationen, Hoffnungen und Erinnerungen. Die achtsame Aufmerksamkeit dagegen soll auf die Gegenwart ausgerichtet sein, so dass der Mensch im Moment versucht, ganz gegenwärtig zu sein. In einer oft zitierten Definition von Kabat-Zinn heißt es daher : »Mindfulness means paying attention in a particular way ; on purpose, in the present moment, and nonjudgementally« (1994: 4). Die These, dass die Aufmerksamkeit häufig nicht auf den gegenwärtigen Moment ausgerichtet ist, ohne dass man sich dessen bewusst ist, wird durch die Forschung zum Mind Wandering bestätigt. Die Existenz unbewussten Erlebens und des Default Mode Networks verdeutlichen die Möglichkeit, dass das Bewusstsein gleichsam auf Autopilot eingestellt sein kann. »Mindfulness captures a quality of consciousness that is characterized by clarity and vividness of current experience and functioning and thus stands in contrast to the mindless, less ›awake‹ states of habitual or automatic functioning that may be chronic for many individuals« (Brown/Ryan 2003: 823).
Um zu verstehen, wieso die Heilung psychischer Störungen aus Perspektive von Achtsamkeit als ein Prozess des Erwachens beschrieben werden kann, ist es hilfreich, noch einmal knapp auf die Geschichte der kognitiven Therapie einzugehen (siehe auch 3.2.7). Die erste Generation der Verhaltenstherapie entstand nach dem zweiten Weltkrieg auf der Basis des Behaviorismus und in Abgrenzung zur als nicht hilfreich empfundenen Psychoanalyse (vgl. Hayes 2004). In der zweiten Generation fand eine Erweiterung um die Kognition statt. Die kognitive
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Verhaltenstherapie, wie bereits weiter vorn bei den emotionalen Störungen demonstriert wurde, arbeitet mit »semantic cognitive-behavioral models« (Mellinger 2010) und prüft die Funktionalität und Rationalität von Überzeugungen und Urteilen. Die Ergänzung der kognitiven Verhaltenstherapie durch Achtsamkeit wird als ein weiterer Paradigmenwechsel des therapeutischen Modells beschrieben (Hayes 2004). Während die erste Generation eine Veränderung des Verhaltens anstrebte, und die zweite eine Veränderung der Kognition, verfolgen achtsamkeitsbasierte Ansätze einen Ansatz, durch den keine direkte Veränderung angestrebt wird. Anstatt Probleme direkt zu lösen, versucht die achtsamkeitsbasiert Praxis die Übenden dazu zu bringen, ihr Erleben anders wahrzunehmen. Während also die kognitive Verhaltenstherapie einen semantischen Ansatz verfolgt, bei dem über die Einsicht in eine problemerzeugende kognitive Struktur aktiv eine Veränderung der Kognition angestrebt wird, geht es bei der achtsamkeitsbasierten Verhaltenstherapie weniger um die Semantik von Kognition, als um ihre Struktur. Um dies zu begreifen ist es wichtig sich zu erinnern, dass es bei psychischen Störungen zu Self Absorption kommt (3.3.5.2). Wenn Menschen Stress und Leid erfahren ist es ein natürlicher Impuls, diesen Zustand zu beenden, und zwar häufig, in dem man versucht loszuwerden, was als Belastung erfahren wird. Leider führt diese Vorgehensweise häufig dazu, dass sich das Problem stabilisiert oder verschlimmert. Wenn es einem nicht gut geht wird man dazu tendieren sich die Frage zu stellen, wieso es einem nicht gut geht. Man sucht nach den Ursachen seiner Probleme und spielt bestimmte Situationen noch einmal durch, da man in Zukunft anders vorgehen möchte. Man konzentriert sich dabei auf seine Probleme, mögliche Ursachen und deren Konsequenzen. Dabei kann es leicht zu einer übertriebenen Fokussierung auf das Problem kommen, bei dem das ursprünglich schmerzhafte Ereignis wieder und wieder erlebt wird (vgl. Kross/Ayduk/Mischel 2005). Eine übertriebene Aufmerksamkeit auf das eigene Leid, geprägt von mangelnder Distanz, ist Self Absorption. Sie kann zu einer zunehmenden Immersion in ein problematisches Erleben führen, so dass das Bewusstsein zunehmend von nicht hilfreichen Konzepten und Mechanismen bestimmt sein kann. In der therapeutischen Literatur wird dieses Vorgehen häufig als Rumination bezeichnet (Teasdale 2004). Rumination, welches depressive und angstkranke Menschen als Lösung, statt als Problem verstehen, basiert auf Ablehnung, bzw. auf mangelnder Akzeptanz des eigenen Erlebens. Wir lehnen normalerweise Gefühle und Erfahrungen ab, die als schamvoll, erniedrigend und schmerzhaft empfunden werden, und wollen sie so schnell wie möglich loswerden. Man will sich wieder gut fühlen und der erste Ansatz hierfür besteht darin, dass man Lästiges und Unangenehmes, das einen sinnloserweise zu quälen scheint, zum Verschwinden bringen will. Von hier aus kann es leicht geschehen, dass sich dysfunktionale Reaktionen auf ein anstrengendes Erleben als Reaktanz bilden. Man reagiert automatisch auf ein
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negatives Erleben, um es zu verarbeiten, einzudämmen, und loszuwerden. Man versucht nicht zu erleben, was einem geschieht, man will seinem eigenen Erleben aus dem Weg gehen. Experiental Avoidance, das heißt der Versuch, Angst, Unsicherheit und Niedergeschlagenheit nicht erleben zu müssen, führt zu Self Absorption. Ein Grund dafür scheint zu sein, dass man, um sich vor etwas schützen zu können, man davor auf der Hut sein muss. Man muss ständig damit rechnen, dass es eintritt, und es scheint klug zu sein davon auszugehen, dass es jederzeit eintreten kann (z. B. Wegner 1997). So kann sich eine Hypervigilanz entwickeln, bei der man bewusst oder unbewusst häufig mit dem Eintreten von etwas Bedrohlichem rechnet und glaubt, darauf vorbereitet sein zu müssen. Dies führt zu einer höheren Construct Accessibility für das, was man eigentlich vermeiden möchte. Reaktanz als automatisierte Vermeidungsreaktion auf negative Gefühle ist eine metakognitive Strategie, die das Problem nicht lösen kann, da sie auf dem Problem basiert. Achtsamkeitsbasierte Ansätze versuchen die Person von diesen Strategien zu befreien, so dass sich die Self Absorption reduziert und die Rumination endet. Dies ist gleichsam eine Befreiung des Bewusstseins und schafft wieder mehr Raum für andere Formen des Erlebens. Achtsamkeit setzt also nicht bei den Inhalten des Wahrgenommenen an und versucht nicht, diese zu manipulieren. Konkret bedeutet dies, dass die genaue Struktur des Problems nicht entscheidend ist. Achtsamkeit ist als metakognitive Übung eine syntaktische Vorgehensweise, für die der semantische Gehalt des Problems nicht relevant ist. Die achtsame Aufmerksamkeit hat gerade keine Intention, bzw. das Ziel besteht darin, ohne Intention wahrzunehmen. Etwas als etwas wahrzunehmen, ohne es verändern zu wollen, heißt es zu akzeptieren und anzunehmen. Dies ist nicht einfach, wenn das, was man wahrnimmt, einem Schmerzen bereitet und als schamvoll empfunden wird. Die achtsamkeitsbasierte Therapie sagt also, dass eine Aufmerksamkeit, die motiviert ist von Angst, Ablehnung und dem Wunsch, etwas loszuwerden, zu einer schädlichen Fixierung und zu Rumination führt. Eine akzeptierende Aufmerksamkeit dagegen, die von einer Annäherungsmotivation geprägt ist und nicht urteilt, ist heilsam72 (Teasdale 2004). Die achtsame Wahrnehmung ist in 72 Brown und Ryan stellen zu Recht eine Verbindung her zwischen der achtsamen Aufmerksamkeit und Biofeedback. »Biofeedback research has long shown that attention can be a key component in reducing unhealthy somatic conditions or symptoms of illness« (Brown/Ryan 2003: 824). Psychische Störungen können als ein Ergebnis einer fehlerhaften Selbstregulation beschrieben werden. Eine bestimmte Form der Aufmerksamkeit kann den Selbstregulierungsprozess positiv beeinflussen, während eine defizitäre Selbstregulierung zu Einseitigkeiten und damit zu Störungen führt. Biofeedbackmethoden basieren darauf, dem Bewusstsein zusätzliche Informationen bereit zu stellen, so wie die Übung der Achtsamkeit als eine Befreiung der Wahrnehmung von Automatismen dazu führt, das, was eh schon da ist, besser verstehen zu können und auf diese Weise dem Bewusstsein neue Erkenntnisse zu ermöglichen, die wiederum konstruktive Selbstregulierungsprozesse ermöglichen können.
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gewisser Weise das Gegenteil von Experiental Avoidance. Ein Grund für ihre heilende Wirkung besteht darin, dass sie negative Vorstellungen widerlegt, die mit einem problematischen Erleben verbunden sind. Man kann bspw. glauben, dass die Angst zuviel für einen ist, oder dass man verrückt wird, wenn man sich auf etwas einlässt und es fühlt. Man kann sich einbilden, dass man stirbt, wenn das Herz aufgrund einer Angst heftig schlägt. Sich auf die Erfahrung einzulassen widerlegt diese Befürchtungen und demonstriert der Person, dass sie sehr viel stärker ist, als sie es sich vorstellt. Reaktanz, also negative Abwehrmuster, lösen sich so auf, das heißt es kommt zu einer Deautomatisierung des Erlebens und somit zu einer Entkonditionierung. Es entsteht ein Freiraum, neue Strategien zu entwickeln und Neues auszuprobieren, anstatt in nicht hilfreichen Mustern gefangen zu sein (Langer 1989, 1992, 2000). Das, was vorher als notwendig empfunden wurde, wird nun als kontingent erkannt. Man lernt die Dinge neu wahrzunehmen. »Reperceiving may also facilitate more adaptive, flexible responding to the environment in contrast to the more rigid, reflexive patterns of reactivity that result from being overly identified with one’s current experience« (Shapiro/Carlson 2009: 100).
Der Patient lernt, sich selbst anders zu verstehen und entwickelt eine Distanz zu alten Überzeugungen. Er hält nicht länger bestimmte Konzepte für die Wirklichkeit, sondern erkennt ihren hypothetischen Charakter (Beck 1976: 203). Die Self Absorption wird schwächer und es kommt zu einer Dezentrierung73. Patienten können nun ihre Gedanken und Vorstellungen wahrnehmen, ohne sich in sie zu verstricken. Anstatt von negativen Denken absorbiert zu werden können depressive Menschen lernen, negative Gedanken als negative Gedanken zu erkennen und so ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. »Instead of viewing thoughts as absolutely true or as descriptive of important selfattributes, patients are able to see negative thoughts and feelings as passing events in the mind that are not necessarily valid reflections of reality or central aspects of the self« (Segal u. a. 2004: 51).
Bei einem verstrickten Verhältnis zu bestimmten mentalen Vorgängen entsteht automatisch eine emotionale Reaktion. Diese Reaktion ist ein Hinweis darauf, dass eine Identifikation mit diesen mentalen Inhalten besteht. Diese Fusion von mentalem Gehalt und Emotion wird durch die achtsame Aufmerksamkeit aufgelöst, das heißt es kommt zu einer Defusion, bzw. zur Dezentrierung. Durch Achtsamkeit erfährt also die formale intrapsychische Struktur eine VerändeSo können beispielsweise Techniken, die auf der Herzratenvariabilität basieren, konkret demonstrieren, wie ein bestimmtes Denken und Fühlen den Herzschlag beeinflusst. Auf diese Weise kann man lernen auf eine stressminimierende Weise wahrzunehmen. 73 »Die Technik der Loslösung des Patienten von seinem Denkschema, da ihn als Mittelpunkt aller Ereignisse erscheinen läßt, wird als Dezentrierung bezeichnet« (Beck 1976: 204).
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rung. Konzepte verlieren ihre absolute Stellung und werden rekontextualisiert, es findet ein Reperceiving statt (Shapiro/Carlson 2009: 94). Man nimmt etwas neu wahr, als würde man es zum ersten mal wahrnehmen, so dass sich ein neues Verständnis entwickeln kann. Die Identifikation mit der alten Wahrnehmung löst sich auf, wenn sich ein neuer Standpunkt entwickelt. Was vorher das Subjekt war, wird nun zum Objekt. »Through reperceiving, the stories (e. g. about who we are, what we like or dislike, our opinions about others) that were previously identified with so strongly become simply ›stories‹« (Shapiro/Carlson 2009: 97).
Der Heilungsprozess psychischer Störungen aus Perspektive einer achtsamkeitsbasierten Therapie ist in gewisser Weise ein Test für das Modell nichtwachen Erlebens und das basale Modell des Erwachens. Nichtwachheit, so die These, geht mit einer Verabsolutierung von Konzepten einher. Ob diese Konzepte an sich wahr oder falsch sind scheint nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Es ist also mehr die Struktur des Bewusstseins, als die Semantik von Konzepten, welche Nichtwachheit zu erklären scheint. Entweder verfügt die Aufmerksamkeit über eine gewisse Flexibilität und kann Top-down mit einem gewissen Grad an Autonomie verwendet werden, oder sie wird Bottom-Up automatisch von bestimmten Konzepten gesteuert, ohne dass dies reflektiert werden kann. Achtsamkeit, so haben wir gesehen, ist eine formale Herangehensweise, für die der konkrete mentale Gehalt nicht entscheidend ist. Die Immersion in ein Erleben wurde versucht als ein zentrales Element von Nichtwachheit herauszuarbeiten. Die Übung von Achtsamkeit hat genau das Ziel, eine Immersion zu beenden und dem Klienten dabei zu helfen, eine gesunde Distanz als Dezentrierung zu erreichen. Dabei reduziert sich die Automatizität des Erlebens durch den Abbau von Reaktanz, so dass sich neue Möglichkeiten ergeben. Achtsamkeit ist eine metakognitive Strategie. »The recent studies of adjunctive cognitive behavioral therapy in the treatment of schizophrenia indicate that it is possible to alleviate the major symptoms by activating a number of the patients’ ›higher cognitive functions‹ such as distancing themselves from their dysfunctional interpretations, evaluating the evidence, and exploring alternative explanations, all of which are part of reality testing. The same kinds of introspective techniques are also used in identifying the underlying core dysfunctional beliefs« (Beck/Rector 2005: 600).
Eine konkrete Verbindung von Achtsamkeit und Nichtwachheit besteht über die luziden Träume. Die Übung von Achtsamkeit erhöht die Wahrscheinlichkeit luzider Träume74. 74 »The present findings corroborate the idea of a relationship between mindfulness in wakefulness and lucidity in dreams. The relationship, however, was present only in those
Zusammenfassung
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Zusammengefasst kann man sagen, dass die empirische Forschung zur Achtsamkeit die These bestätigt, dass Nichtwachheit ein zentrales Element psychischer Störungen darstellt. Sie beleuchtet durch Rumination und Self Absorption zentrale Eigenschaften von Nichtwachheit. Die These, dass es sich bei Nichtwachheit um ein Phänomen handelt, welches primär über seine formale Struktur zu verstehen ist, wird bestätigt.
3.4
Zusammenfassung
Da man in jedem Gehirnzustand wach sein kann ist das Gegenteil von Wachheit nicht Schlaf, sondern Nichtwachheit. Diese ist als Eigenschaft des Erlebens durch verschiedene Mechanismen in der Psyche verankert. Die Kontinuitätsthese besagt, dass diese mehr oder weniger stark ausgeprägt sind. Als informationsverarbeitendes System verwendet die Psyche Konzepte als semantische Instrumente zur Steuerung der Aufmerksamkeit. Diese können entweder bewusst verwendet werden, oder sie können die Aufmerksamkeit lenken, ohne dass dies von der Person beabsichtigt ist. Bei einer unbewussten Verwendung existiert eine höhere Automatizität, und damit eine geringere Autonomie der Person. Ein Mechanismus, der zu einer geringeren metakognitiven Bewusstheit führt, ist die Absorption. Mind Wandering demonstriert, dass diese so stark sein kann, dass man sich nicht einmal bewusst sein muss, dass man etwas erfährt. Es gibt also eine unbewusste Bewusstheit. Bei dieser ist die Aufmerksamkeit von einem Erleben absorbiert, welches bis zu einem gewissen Grad von der restlichen Persönlichkeit dissoziiert ist. Ein dissoziierter Komplex geht mit einer gewissen Verabsolutierung eines konzeptionellen Zusammenhangs oder auch eines einzelnen Konzepts einher. Da dieses nicht länger rational geprüft und seine relative Bedeutung daher nicht erkannt wird, kann es mehr oder weniger temporär das Bewusstsein, das heißt das Erleben und das damit zusmmenhängende Denken, bestimmen – ohne dass die Person sich der Ursachen und Konsequenzen dieses Vorgangs bewusst ist. Empirisch erforscht wird dies unter anderem als Mindlessness. Achtsamkeit, Mindfulness, hat innerhalb eines therapeutischen Kontexts die Funktion, eine dysfunktionale Absorption der Aufmerksamkeit zu überwinden, so dass die Person wieder einen realistischeren Wirklichkeitsbezug entfalten kann. Da nämlich das Erleben auf einem apriorischen Urteil seines ontologischen Status basiert, können subjektive mentale Gehalte mit der objektiven Wirklichkeit verwechselt werden. Zusammengenommen kann dies dazu führen, dass ein Mensch, wie bereits Heraklit und participants who reported some experience with meditation practice« (Stumbrys et al. 2015: 423).
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Sokrates festgestellt haben, mehr in seiner privaten Wirklichkeit lebt, als in dem, was gemeinhin als Wirklichkeit betrachtet wird. Da Nichtwachheit dazu führt, dass eine Person nicht länger mit ihren Core Values verbunden sein kann, was mit einem falschen Selbstkonzept einher geht, ist Nichtwachheit verbunden mit Entfremdung. Die Entwicklung und Stabilisierung eines solches Zustands kann durch verschiedene soziale Faktoren begünstigt werden. Insgesamt führt Nichtwachheit zu einem Gefühl, weniger »da« zu sein, bzw. zu einem relativ geringen Selbstbewusstsein. Nichtwache Phänomene zeigen, dass eine zu große Absorption in Selbstkonzepte mit einer Reduktion der Selbstachtung einhergeht. Wenn die Aufmerksamkeit zu sehr von Selbstkonzepten determiniert ist, kann die Achtsamkeit nur gering entwickelt sein: »[W]hen individuals are high in mindfulness, they are more likely to possess high self-esteem that is secure rather than fragile« (Heppner/Kernis 2004: 249). Es ist empirisch erwiesen, dass die Authentizität einer Person positiv mit der Höhe ihrer Achtsamkeit korreliert. Je unachtsamer man ist, desto niedriger ist die Authentizität (Kernis/Goldman 2006: 310ff.). Es scheint relativ klar zu sein, weshalb dem so ist. Wer Selbstkonzepte verabsolutiert, will nicht wahrnehmen, was diese relativiert. Dieser Vorgang wird ja eben deshalb dazu verwendet, sich selbst Wert zuzuschreiben (3.2.2, 3.2.9). Eine Verabsolutierung, so war argumentiert worden, bedeutet immer eine Einschränkung metakognitiver Fähigkeiten. Konkret bedeutet dies, dass sich die Achtsamkeit reduziert. Wer dagegen Selbstkonzepte nicht verabsolutiert, ist in der Lage Aspekte seiner Person miteinander zu versöhnen, die oberflächlich betrachtet einander zu widersprechen scheinen. Er kann sich als kohärent erleben, auch wenn er sich widerstreitende Eigenschaften hat. »In short, awareness involves knowledge and acceptance of one’s multifaceted and potentially contradictory self-aspects (i. e. being both introverted and extraverted), as opposed to rigid acknowledgement and acceptance only of those self-aspects deemed internally consistent with one’s overall self-concept« (Kernis/Goldman 2006: 295).
Dies zeigt sich auch durch einen kulturellen Vergleich, vor allem zwischen den USA und Asien (3.3.5). Wer sich als »Ich bin X« definiert wird sich eher als inkohärent erfahren als derjenige, der sich als »Ich bin X in dieser Situation, und Y in dieser Situation« versteht, solange diese Aspekte nicht dissoziiert sind. Sich verschiedener Persönlichkeitsanteile als solcher bewusst zu sein reduziert dissoziative Tendenzen. Wer dagegen verabsolutiert (»Ich bin X«) hat Probleme, diejenigen Seiten von sich anzunehmen, die nicht X sind. Verabsolutierte Selbstkonzepte reduzieren als übertriebene Personalisierung die Autonomie und die Authentizität. Als Self Absorption ist eine rigide Selbstfokussierung, die chronische und unflexible Lenkung der Aufmerksamkeit durch Selbstkonzepte, Bestandteil eines pathologischen Erlebens (3.3.5.2). Bei einem Erwachen wird die Auf-
Zusammenfassung
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merksamkeit von einer chronisch automatisierten Lenkung durch Selbstkonzepte befreit, so dass sich die Self Absorption reduziert und das Selbstbewusstsein im Sinne von Selbstachtung zunimmt (3.3.7). Die Quelle der Selbstachtung sind somit nicht Selbstkonzepte, d. h. die Art und Weise, wie man sich selbst versteht, sondern der Bezug auf die reale eigene Existenz: »When ego-involvement is high, people experience their feelings of self-worth as being constantly ›on the line‹« (Heppner/Kernis 2004: 248). Je absorbierter die Aufmerksamkeit von Selbstkonzepten, desto prekärer ist also die Selbstachtung75. Wenn die Aufmerksamkeit zu sehr von Selbstkonzepten bestimmt ist, kann sie nur ungenügend mit dem Selbstbewusstsein als dem vorsprachlichen Bewusstsein der eigenen Existenz verbunden sein. Sie wird in diesem Fall so sehr von Selbstkonzepten bestimmt, dass eine adäquate Selbstachtung nicht mehr möglich ist. Dies beschreiben die weiter oben eingeführten empirischen Theorien zum Selbstbewusstsein (Self Determination Theory, Authentizität, Kohärenz der Selbstkonzepte, 3.2.2). Auf ihrer Grundlage lässt sich beschreiben, wie ein Erwachen mit der Auflösung falscher Selbstkonzepte einhergeht und eine Identifikation mit Vorstellungen aufhört, die als falsch erkannt werden. Bei einer schädlichen Identifikation als einer Absorption in ein einengendes und destruktives Selbstkonzept, ist ein Bestandteil des Heilungsprozesses eine Entidentifikation (3.3.7 und Assagioli 1992). Es ist gerade eine heilsame Wirkung der Übung von Achtsamkeit, nicht mehr völlig in Erfahrungen aufzugehen, sondern sich als distanziert zu erfahren. »Alongside a broadening awareness of what is going on at any moment, a greater ease and capacity to enjoy, but not to be submerged by, individual experiences is usually reported by participants [of the MBSR program, HS]« (Mace 2008: 61, kursiv HS).
›Submerged‹ ist ein Synonym für Immersion, und diese, so wurde argumentiert, geht mit Identifikation einher (3.3.7). Das Gegenteil ist die Entpersonalisierung der Wahrnehmung, das Decentering, oder die Entidentifikation. Diesen Zusammenhang hat C.G. Jung so beschrieben, dass es bei einer Identifikation mit einem falschen Selbst zu Egoinflation komme. Auch für Jung war die unpersönliche Wahrnehmung eines solchen Komplexes ein Weg zur Heilung: »Das ist nun gerade das Gegenteil von dem Sich-gehen-lassen in einer Laune, was für die Neurose so charakteristisch ist, es ist keine Schwäche, kein haltloses Nachgeben, sondern eine schwierige Leistung, die darin besteht, dass man trotz der Verführung der 75 Niedrige Selbstachtung ist nicht nur eine Vulnerabilität für die Entwicklung von Depressionen und Psychosen. Sie ist auch eine Voraussetzung dafür ist, dass Personen in übertriebenem Maße ihre Wahrnehmung von sozialen Kategorien im Sinne der fiktiven oder realen Zugehörigkeit zu einer Gruppe dominieren lassen: je weniger Selbstachtung und je unsicherer ein Mensch, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihm die durch eine Gruppe vermittelten Kategorien auf eine rigide Weise identitätsstiftend wirken (Hogg 2001).
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Laune seine Objektivität behält und die Laune zu seinem Objekte macht, statt sie zum dominierenden Subjekt werden zu lassen. Er muss versuchen, seine Stimmung zu sich sprechen zu lassen; seine Laune muss ihm sagen, wie sie aussieht und in was für einer phantastischen Analogie sie sich ausdrücken ließe« (Jung 1933: 166).
Bei einem Erwachen verändert sich die Selbstkonzeptionalisierung als Bestandteil eines größeren Wirklichkeitsbezugs des Bewusstseins Es wird wohl nicht verkehrt sein diese Beschreibung abschließend auf ein interessantes, aber weithin unbekanntes Phänomen anzuwenden, bei welchem der starke Verdacht besteht, dass es mit Nichtwachheit einhergeht. Es handelt sich dabei um die seltene Sleep Related Dissociative Disorder (Schenck/Mahowald 2005, kursiv HS): »One patient has been reported with at least two episodes of nocturnal fugues, in which she awakened from sleep, drove her car to an airport, purchased a ticket and then flew to a distant city, where shortly upon arrival she ›came to‹ and realized she had just finished another dissociative episode«.
Aus Perspektive von Nichtwachheit ist es vermutlich richtig zu sagen, dass das Ende des Schlafes bei dieser Frau nicht zu wirklicher Wachheit geführt hat. Diese Frau hat komplexe Handlungen ausgeführt, ohne dass ihr bewusst gewesen ist, was sie tut. Aufgewacht ist sie erst in einer anderen Stadt. Ihr Handeln scheint bestimmt worden zu sein von dem Konzept »flieg in eine andere Stadt«. Dieses war aber dissoziert von ihrer restlichen Persönlichkeit, denn sonst hätte sie sich nicht auf eine solche Weise verhalten. Sie konnte ihre Intention auch nicht prüfen, da sie nicht über die hierfür nötige Metakognition verfügt hat. Völlig automatisch ist sie in eine andere Stadt geflogen. Auch wenn dies ein Beispiel für ein extremes Maß an Nichtwachheit ist, scheint es gut auf den Punkt zu bringen, um was es sich bei dieser Eigenschaft handelt.
4.
Eine Theorie der Wachheit
In den ersten drei Teilen dieser Untersuchung wird argumentiert, dass das Erleben mehr oder weniger von Wachheit geprägt ist. Auf der Basis verschiedener Phänomene wurde ein Modell nichtwachen Erlebens entwickelt. Wir können nun das wache vom nichtwachen Erleben unterscheiden und auf diese Weise die Eigenschaften von Wachheit genauer bestimmen. Die Frage des ersten Abschnitts dieses abschließenden Kapitels ist also: Welche Eigenschaften hat Wachheit (4.1)? Dieser Schritt sollte es ermöglichen, das zu erklärende Phänomen genauer zu fassen. In gewisser Weise ist auf deskriptiver Ebene Wachheit als Modus des Erlebens damit erfasst. So sollte es bspw. möglich sein Wachheit empirisch zu operationalisieren und als Konstrukt der psychologischen Forschung zu verwenden. Wie mir scheint muss dies jedoch nicht das Ende der Untersuchung sein. Um wirklich die Bedeutung von Wachheit zu ergründen kann versucht werden, die Eigenschaften von Wachheit durch eine Theorie der Wachheit zu erklären. Der Versuch, eine Theorie der Wachheit zu entwickeln, ist der zweite Schritt in diesem finalen Kapitel. Während also zunächst die Eigenschaften von Wachheit in Abgrenzung zur Nichtwachheit genauer bestimmt werden, besteht der zweite Schritt in dem Versuch, diese Eigenschaften durch eine Theorie der Wachheit zu erklären. Sicherlich können nachfolgend nicht alle Fragen beantwortet werden. Wie ich hoffe kann die Theorie der Wachheit jedoch zumindest als Ausgangspunkt für weitere Fragen verwendet werden. Ein wichtiges Phänomen, welches an dieser Stelle erwähnt werden sollte, ist die Schlafwahrnehmung und spezifisch die Möglichkeit, dass Wachheit nicht bewusst sein muss (1.3). Es wäre beim jetzigen Stand der Forschung zu viel verlangt, die verschiedenen Aspekte der Schlafwahrnehmung vollständig erklärt haben zu wollen. Eine legitime Erwartung ist jedoch, dass eine Theorie der Wachheit diesen Phänomenen nicht widerspricht und sie verständlicher macht. Ich möchte zunächst auf die drei Propositionen verweisen, welche zusammen die Grundlage der Untersuchung bilden (2.2).
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Eine Theorie der Wachheit
W 1: Nichtwachheit ist eine Eigenschaft, die ein Erwachen ermöglicht. W 2: Ein Erwachen führt zu Wachheit. W 3: Wachheit ist eine Eigenschaft des Bewusstseins. Ich werde diese Liste im folgenden durch weitere Propositionen ergänzen. Zusammen bilden sie die hier vorgeschlagene Theorie der Wachheit.
4.1
Eigenschaften von Wachheit
4.1.1 Wachheit ist grundlegender als Nichtwachheit Die erste Frage, der wir uns zuwenden sollten, betrifft das Verhältnis von Wachheit und Nichtwachheit. Eine unbedarfte Person könnte unschuldigerweise vermuten, dass sie auf derselben Ebene existieren, ähnlich dem Verhältnis von Rechts und Links oder Mann und Frau. Diesem Ansatz widerspricht, dass die nichtwachen Phänomene des Alltagsbewusstseins das Ergebnis einer Privation von Wachheit sind. Nichtwachheit existiert hier nicht gleichberechtigt mit Wachheit, sondern ist ein Verlust von dieser. Ich versuche die Prozesse, die zusammen zu einem Verlust von Wachheit führen, im Modell der Nichtwachheit zu beschreiben. Wenn man gezwungen wäre, dieses in einem Satz zu formulieren, könnten man sagen, dass die Versenkung des Bewusstseins in sich selbst, bzw. der Aufmerksamkeit in die Objekte des Bewusstseins, zu einer Reduktion an Bewusstheit im Sinne von Metakognition führt (3.3.5.3), und, damit einhergehend, zu einer Reduktion an Wachheit. Das bedeutet, dass ein Erwachen als eine Rückkehr hin zu einem ursprünglichen Zustand beschrieben werden kann. Dies ergibt die erste ergänzende Proposition zu den ursprünglichen Thesen dieser Untersuchung: W 4: Nichtwachheit ist das Ergebnis einer Privation von Wachheit. Wachheit ist grundlegender als Nichtwachheit. Für das Verhältnis von Wachheit und Nichtwachheit ist dies wichtig: Wachheit ist grundlegender als Nichtwachheit, da letztere ohne erstere nicht existieren kann. Die beiden Eigenschaften sind nicht gleichberechtigt, sondern befinden sich in einem Abhängigkeitsverhältnis: Nichtwachheit kann nur entstehen, wenn Wachheit schon vorhanden ist.
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Man könnte sich ein Wesen vorstellen, welches immer wach ist, doch es scheint nicht sinnvoll zu sein, von einem Wesen auszugehen, welches immer nichtwach ist. Es gibt einen wichtigen Einwand gegen die These, dass Wachheit grundlegender ist als Nichtwachheit. Man kann einwenden, dass dies zwar auf die nichtwachen Phänomene des Alltagsbewusstseins zutreffen möge. Die während des Schlafs erfahrene Nichtwachheit müsse jedoch anders erklärt werden, da es sich beim Schlaf um einen physiologisch ganz anderen Zustand als das Alltagsbewusstsein handelt. Zudem sei es unglaubwürdig, den Schlaf, diesen heilsamen und natürlichen Zustand, und bspw. die Psychose, hinsichtlich ihrer Nichtwachheit miteinander zu identifizieren. Darauf sollte erstens geantwortet werden, dass Schlaf und Nichtwachheit nicht identisch sind. Ich habe am Anfang dieser Untersuchung herausgearbeitet, dass Wachheit und Nichtwachheit keine physiologische, sondern kognitive Eigenschaften sind (1.1). Interessanter ist ein zweites Gegenargument: Wie kann man beim Schlaf von einem nichtwachen Erleben sprechen, wo es sich bei diesem doch um einen im wesentlichen bewusstlosen Zustand handelt? Da Nichtwachheit eine Eigenschaft des Bewusstseins ist, muss ein Erleben vorhanden sein, damit Nichtwachheit existieren kann. Die Antwort auf diesen Einwand ist, dass wir an dieser Stelle nicht von unseren persönlichen Erfahrungen ausgehen können, da sie uns in diesem Fall täuschen. Ich habe weiter oben das Ergebnis der Schlafforschung vorgestellt (3.3.4.3), dass der Mensch nicht nur in der REM-Phase des Schlafes träumt. Auch in den NREM-Phasen, also im Tiefschlaf, träumen wir. Wenn man Menschen im Schlaflabor während der NREM-Phasen weckt, berichten sie in bis zu 70 % aller Fälle, dass sie gerade etwas erlebt haben. Wenn mindestens 70 % der NREMPhasen von Dream Mentation geprägt sind bedeutet dies, dass es sich beim Schlaf überwiegend um einen bewussten Zustand handelt. Bewusster Zustand heißt, dass jemand etwas erfährt. Allerdings ist dies nicht immer der Fall. Was ist mit den 30 % der Tiefschlafphase, bei denen nicht von Erfahrungen berichtet wird? Um diesen Mangel an Bewusstsein zu erklären gibt es im wesentlichen zwei Ansätze. Der erste nimmt an, dass in dieser Zeit tatsächlich nichts erlebt wird. Der Schlaf wäre in dieser Zeit geprägt von wirklicher Bewusstslosigkeit. Die zweite Erklärung ist, dass in diesen Fällen nicht erinnert wird, was gerade erlebt wurde. Ein Hinweis auf die Plausibilität der Gedächtnisthese ist, dass während NREM-Schlafphasen geweckte Personen sich teilweise erinnern, dass sie geträumt haben, sie sich aber nicht erinnern, was sie geträumt haben (Wittman/ Palmy/Schredl 2004: 45). Auch scheint die Gedächtnisthese insofern plausibel zu sein, da es schon nicht ganz einfach ist, sich an gewöhnliche REM-Träume zu
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erinnern. Ausgehend von ihren eigenen Erfahrungen glauben manche Menschen, dass sie nur selten träumen, dabei träumen wir tatsächlich jede Nacht. Es ist bis zu einem gewissen Grad möglich, das Erinnerungsproblem von NREM-Träumen zu erklären. Ich habe bereits vorgestellt, dass mit dem Default Mode Network eine physiologische Verbindung zwischen dem Mind Wandering und dem nächtlichen Traum besteht (3.3.4.3). Dies hat manche zu der Vermutung gebracht, dass die Träume der Nacht als ein intensives Mind Wandering beschrieben werden können. Wieso hilft uns dies, das Erinnerungsproblem der NREM-Dream Mentation zu verstehen? Das zentrale Merkmal des Mind Wandering ist metakognitive Unbewusstheit. Innerhalb eines Mind Wandering ist man sich nicht bewusst, dass die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten mentalen Gehalt gerichtet ist. Diese Bewusstheit entsteht erst nach dem Mind Wandering. Die Existenz eines unbewussten Erlebens76 macht plausibler, wieso man sich an Träume nur schlecht erinnern kann. Man erinnert sich schlechter an Erfahrungen, wenn diese mit metakognitiver Unbewusstheit verbunden sind. Bereits erwähnt wurde die These, dass die Mindlessness des kindlichen Bewusstseins die Amnesie der ersten Lebensjahre erklären könnte (Foulkes 1990). Letzlich lässt sich wohl nicht beweisen, ob die 30 %, bei denen nach dem Erwachen aus dem NREM-Schlaf nicht von Erfahrungen berichtet wird, durch Bewusstlosigkeit oder durch Gedächtnislosigkeit erklärt werden muss. Wer für die Bewusstlosigkeit argumentiert muss einen unbekannten Mechanismus postulieren, durch den das Bewusstsein periodisch an- und ausgeschaltet wird. Es scheint mir sinnvoller zu sein und Ockhams Rasiermesser gerecht zu werden, das nächtliche Gedächtnisproblem durch einen bekannten Mechanismus zu erklären. So wird es jedenfalls in der Schlafforschung gesehen: »In conclusion, explaining the difference between awakenings with and without dream recall by failures of the memory process seems to be much more plausible than explaining it by unknown factors which switch the consciousness of the sleeping human on and off« (Wittman/Schredl 2004: 178).
Vielleicht ist es an dieser Stelle hilfreich daran zu erinnern, dass das Einschlafen nicht notwendig zu Nichtwachheit führen muss. Menschen mit einer paradoxen Schlafstörung haben physiologisch einen normalen Schlaf, sind aber wach (1.3). Und in der Literatur zum luziden Traum wird beschrieben, dass eine Technik zur Herbeiführung eines luziden Traums darin besteht, während des Einschlafens wach zu bleiben. In diesem Fall geht das Alltagsbewusstsein direkt über in das metakognitiv bewusste Erfahren eines Traums (Tholey 1983). Es ist schwer 76 Ich habe basierend auf dieser Erkenntnis einen Aufsatz zur Struktur des Bewusstseins verfasst, der ja vielleicht eines Tages veröffentlicht wird (»The structure of consciousness«).
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vorstellbar, wie dies möglich sein soll, wenn ein Mechanismus das Bewusstsein periodisch an- und ausschaltet. Wie genau der Prozess des Einschlafens und die Entwicklung von Nichtwachheit funktionieren wissen wir nicht. Das hat wohl etwas damit zu tun, dass es bis heute nicht gelungen ist, eine Theorie des Bewusstseins zu entwickeln. Ebensowenig wissen wir um den Zusammenhang von Gehirn und Bewusstsein. Ich kann keinen Grund erkennen, wieso die Privationsthese der Nichtwachheit nicht auf das unbewusste Erleben des REM- und des NREM-Schlafs angewendet werden kann. Basierend auf diesem Argument möchte ich eine methodische Proposition einführen: W 5: Es gibt nur eine Theorie der Wachheit und der Nichtwachheit. Es scheint mir unwahrscheinlich, dass wir eine Theorie für das Alltagsbewusstsein, und eine zweite Theorie für den Schlaf benötigen. Auch das Modell der Nichtwachheit gilt ja für das Erleben innerhalb des Alltagsbewusstseins und während des Schlafs. Natürlich muss das Erleben innerhalb und außerhalb des Schlafes neurobiologisch unterschiedlich beschrieben werden. Da jedoch, wie im ersten Kapitel argumentiert wurde, es unwahrscheinlich ist, dass Wachheit auf Biologie reduziert werden kann, sollte eine Erklärung auf der kognitiven Ebene ansetzen.
4.1.2 Wirklichkeitsbezug Die verschiedenen im zweiten Teil besprochenen Phänomene demonstrieren, dass sich das Erleben durch Irrtümer, Selbstbetrug, Illusionen, Wunschdenken und psychische Krankheiten von der Wirklichkeit entfernen kann. Besonders der Traum zeigt, dass sich das Bewusstsein so sehr in ein selbstgeneriertes Erleben verstricken kann, dass etwas fälschlicherweise für wirklich gehalten wird. Es ist wahrlich keine neue Erkenntnis, dass etwas nicht wirklich sein muss, nur weil es erlebt wird. Gerade bei Erfahrungen, die von einer hohen Absorption geprägt sind, kann die Intensität des Erlebens den Anschein erwecken, dass sie besonders wirklich ist. Bereits im klassischen Artikel zur Absorption wurde dies festgestellt: »This kind of attentional functioning [absorbed attention, HS] is believed to result in a heightened sense of the reality of the attentional object, imperviousness to distracting events, and an altered sense of the reality in general, including an emphatically altered sense of self« (Tellegen/Atkinson 1974: Abstract; kursiv HS).
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Die Möglichkeit einer absorbierten Aufmerksamkeit scheint zumindest teilweise erklären zu können, wieso ein nichtwaches Erleben für wirklich gehalten werden kann. Ein Erwachen führt durch die Überwindung jener Faktoren, durch die sich das Erleben von der Wirklichkeit entfernt (Irrtümer, Selbstbetrug, Illusionen, psychische Krankheiten), zu einer höheren Reality Orientation des Bewusstseins. Dieses Erkennen von Wirklichkeit hat zwei Seiten. In positiver Hinsicht führt ein Erwachen zum Erkennen von Wirklichkeit, wie dies vor allem das morgendliche Erwachen zeigt. In negativer Hinsicht geht es mit der Erkenntnis einher, dass ein Urteil, durch das etwas als wirklich beurteilt worden ist, falsch ist. Man erkennt, dass etwas in Wirklichkeit nicht wirklich ist. Wenn man innerhalb eines Traums erwacht und erkennt, dass es sich um einen Traum handelt, versteht man, dass man nicht die bewusstseinsexterne Wirklichkeit erfährt. Man wird sich der Wirklichkeit seiner Situation bewusst und entfaltet eine stärkere Reality Orientation. Bei jedem Erwachen wird das ontologische Urteil revidiert. Während nach dem Ende des Schlafs die empirische Welt als wirklicher beurteilt wird, als die Dream Mentation, wird beim Erwachen innerhalb des Traums die Dream Mentation als nicht wirklich beurteilt, ohne dass die Welt erfahren wird. Auch beim Erwachen innerhalb des Alltagsbewusstseins hat die damit einhergehende Verbesserung des Wirklichkeitsbezugs eine positive und eine negative Seite. Bei einem psychopathologischen Erleben impliziert ein Erwachen die Revision ontologischer Urteile bezüglich bestimmter Überzeugungen und des phänomenalen Bewusstseins. Unrealistische Einstellungen werden abgebaut und durch realistischere ersetzt. Visuelle und auditive Halluzinationen werden nicht länger als wirklich beurteilt. Wie beim Traum geht dies nicht notwendigerweise mit einer Veränderung der Phänomenalität einher. Eine auditive Halluzination muss, wie weiter oben demonstriert wurde, nicht verschwinden, wenn sie als solche identifiziert wird. Die entscheidende Veränderung findet auf der metakognitiven Ebene statt. Für die psychische Gesundheit ist die Zunahme der Reality Orientation der Metakognition, also ein höherer Wahrheitsgehalt der ontologischen Urteile, entscheidend. Ob man eine Halluzination durch den Einfluss einer fremden Entität erklärt, oder ob man sie als Halluzination erkennt, beeinflusst, wie man mit ihr umgeht und welche Bedeutung sie für einen hat. Denn, so wurde erklärt, eine Halluzination zu erleben ist nicht unbedingt Zeichen einer psychischen Störung. Wenn diese jedoch für wirklich gehalten und durch eine abwegige Theorie erklärt wird, kann es sich um eine solche handeln (3.2.8). Insgesamt gilt, dass Bewusstsein nicht hinreichend ist für den Bezug auf Wirklichkeit. Das Erleben kann, auch wenn es sich sehr real anfühlt, illusorisch sein. Es kann passieren, dass man sich im Traum die Frage stellt, ob man gerade
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träumt. Man schaut sich um und fällt mit dem Gedanken, »Nein, für einen Traum ist das viel zu realistisch«, ein falsches ontologisches Urteil. Da Bewusstsein nicht auf die Wirklichkeit bezogen sein muss und Wachheit notwendigerweise zu einer höheren Reality Orientation führt, ist Bewusstsein auf Wachheit angewiesen, um sich auf die Wirklichkeit zu beziehen. Bewusstsein ist kontingenterweise, Wachheit ist notwendigerweise auf Wirklichkeit orientiert. Da Wachheit für den Wirklichkeitsbezug des Erlebens sorgt, kann sie als das Wirklichkeitsprinzip des Bewusstseins bezeichnet werden. Wenn ein Aspekt des Erlebens nicht wach ist, ist das Bewusstsein in diesem Bereich nicht auf die Wirklichkeit bezogen. Damit besteht eine positive Korrelation zwischen der Höhe der Wachheit und dem Erkennen von Wirklichkeit: Je wacher die Person ist, desto mehr ist sie auf Wirklichkeit bezogen. Dieser zentrale Aspekt von Wachheit verdient eine eigene Proposition: W 6: Wachheit sorgt für den Wirklichkeitsbezug des Bewusstseins. Weiter oben wurde demonstriert, dass wegen des implizit immer gegenwärtigen Source Monitoring der Metakognition jede Erfahrung auf einem Urteil basiert (3.3.4.5). Nur dann, wenn etwas als wirklich beurteilt wird, kann es als wirklich erfahren werden. Die psychologische Forschung kann deutlich zeigen, dass bewusste und unbewusste Propositionen über das phänomenale Bewusstsein das Erleben beeinflussen (z. B. 3.3.4.4). Natürlich hat bereits Kant (KrV) argumentiert, dass ein Erleben ohne a priorische Grundlage nicht möglich ist. Was Kant nicht berücksichtigt hat, ist das notwendig gegenwärtige Urteil über den ontologischen Status des Erlebten. Ohne Urteil kein Erleben, ohne Urteil keine Akzeptanz des Erlebten als wirklich. Die Abhängigkeit der Erfahrung von Wirklichkeit von einem Urteil erklärt, wieso die Welt nicht gegenwärtig sein muss für die Erfahrung von Wirklichkeit. Sie macht verständlicher, wieso der Wirklichkeitsbezug von Wachheit unabhängig von den Sinnen ist. Auch im Traum, wenn die Sinne schlafen, kann man die Wirklichkeit der eigenen Situation erkennen. Ebenso verdeutlicht dies noch einmal, dass Nichtwachheit nicht bedingt ist durch Illusionen, sondern durch das Verkennen ihres mangelnden Wirklichkeitsgehaltes. Die Metakognition als Urteil über das Erleben ist entscheidend. Interessanterweise führt dies dazu, dass der Wirklichkeitsbezug des Subjekts ein bewusstseinsinternes Phänomen ist. Der Wirklichkeitsbezug des Erlebens ist unabhängig von den empirischen Tatsachen. Man mag versucht sein diesen Gedanken mit dem Argument zurückzuweisen, dass die Beurteilung von Phänomenen nicht entscheidend dafür sei, ob sie als wirklich oder als unwirklich erfahren werden. Von einem echten Wirklichkeitsbezug könne man nur sprechen, wenn das Bewusstsein auf die Welt bezogen
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sei. Darauf möchte ich noch einmal betonen: Ob ein ontologisches Urteil wahr oder falsch ist macht den Unterschied aus zwischen geistiger Gesundheit und einer psychischen Störung. Entscheidend für den Wirklichkeitscharakter des Erlebens ist nicht die empirische Orientierung auf die Welt, sondern das richtige Verständnis des Erlebens. Die Welt trägt kein Etikett mit der Aufschrift »Wirklichkeit«, das nur erkannt werden muss, um auf die Wirklichkeit bezogen sein zu können. Tatsächlich ist dieses Etikett ein Urteil, welches vom Bewusstsein gefällt wird (3.3.4.5). Die Unabhängigkeit der Wachheit von der empirischen Wirklichkeit drückt letztlich nur aus, von was die Fragestellung schon die ganze Zeit ausgeht, nämlich, dass es sich bei ihr um eine Eigenschaft des Bewusstseins handelt. Man könnte dies wohl als die Bewusstseinsimmanenz oder Bewusstseinsinternalität der Wachheit bezeichnen. Sie hat nun, wo klar ist, dass es sich bei der Wachheit um das Wirklichkeitsprinzip des Bewusstseins handelt, eine interessante Bedeutung erhalten: Wachheit ist das Wirklichkeitsprinzip des Bewusstseins, obwohl sie nicht auf die Welt bezogen sein muss. Man kann sich die Bewusstseinsinternalität der Wachheit durch ein drastisches Gedankenexperiment verdeutlichen. Man könnte bei einer Person alle Nerven durchtrennen, die für einen sinnlichen Input zuständig sind, und gleichzeitig noch diejenigen Gehirnareale zerstören, mit denen sinnliche Vorstellungen verbunden sind. Dass auch eine Person, bei der keine Phänomenalität mehr existiert, wach sein kann, zeigt, dass diese für Wachheit nicht notwendig ist. Noch einmal wird auf diese Weise deutlich, wieso es wenig plausibel ist zu versuchen, Wachheit funktionalistisch als eine Art Input-Output Beziehung mit der Umwelt zu verstehen (1.5). Die wahrhaftigere Selbstkonzeptionalisierung, zu der Wachheit notwendig führt, kann als ein Aspekt ihrer Wirklichkeitsorientierung betrachtet werden. Innerhalb eines nichtwachen Erlebens versteht man sich falsch. Daher, so wurde argumentiert, führt ein Erwachen zu einem »mehr da« sein. Auf psychologischer Ebene kann dieses Phänomen beschreiben werden als ein Wechsel von extrinsischen zu intrinsischen Motiven, als eine Zunahme der Authentizität, und als Übergang hin zu einer kohärenteren Selbstkonzeptionalisierung. Gleichzeitig verbessern sich die Selbstachtung (3.2.2), die Selbstregulierungsfähigkeit, und die Autonomie (3.3.5.1). Sich »mehr da« zu fühlen bedeutet, dass man realistischer über sich denkt und das Selbstkonzept näher an der Wirklichkeit ist. Der Wirklichkeitsbezug der Wachheit existiert also auf der Objekt- und der Subjektseite. Innerhalb eines nichtwachen Erlebens ist man sich auf falsche Weise bewusst, da es von falschen Selbstkonzepten geprägt ist. Ein Erwachen verbessert das Selbstbewusstsein der Person, da sie sich selbst durch die Überwindung falscher Selbstkonzepte tatsächlich selbst bewusster wird. Ihr Selbstverständnis
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verbessert sich. Diese Verbesserung des Selbstbewusstseins ist also nur die Anwendung des Wirklichkeitsaspekts der Wachheit auf die Subjektseite. W 7: Wachheit verbessert das Selbstbewusstsein.
4.1.3 Freiheit, Rationalität und Einheit Die Verbesserung der Wirklichkeitsorientierung des Bewusstseins, verbunden mit einem Wachstum des Selbstbewusstseins, geht mit weiteren wichtigen Aspekten eines wachen Erlebens einher. Wir haben gesehen (3.3.5), dass ein Erwachen zu mehr Möglichkeiten des Handelns und Denkens führt. Denn der Freiheitsspielraum der Person wird größer durch den Abbau kognitiver Beschränkungen. Wenn ich also meine, dass Wachheit die Freiheit der Person vergrößert, wird ein negativer Freiheitsbegriff verwendet. Konkret bezieht sich dieser darauf, dass die Aufmerksamkeit nach einem Erwachen durch die Auflösung von Automatismen und eine höhere metakognitive Bewusstheit flexibler und autonomer verwendet werden kann (3.3.5.1). Man ist nicht länger Trapped by Categories, so dass die Beschränkung auf eine einzige Perspektive, die unkritisch für die einzig mögliche gehalten wird, verschwindet (3.3.5). Anstatt eine Herangehensweise oder ein Urteil als notwendig zu empfinden, wird es nun in seiner Kontingenz erkannt. Ein Bewusstsein, welches kaum von Wachheit geprägt ist, ermöglicht nur in einem sehr begrenzten Maße rationale Entscheidungen, da man sich in diesem Fall kaum der Existenz von Alternativen bewusst ist. Wachheit führt dazu, die Dinge auch anders wahrnehmen zu können, so dass sie es ermöglicht, auch einen anderen Standpunkt einzunehmen. Wie eng der Zusammenhang von Automatizität, Nichtwachheit und Autonomie ist zeigt sich empirisch daran, wie Menschen darüber entscheiden, ob sie noch wach gewesen sind, oder ob sie schon geschlafen haben (Yang et al. 2010). Weiter oben wurde gezeigt, dass die physiologischen Kriterien des Schlafs nicht mit dem subjektiven Schlafbeginn übereinstimmen (1.3). Es ist bisher unmöglich, objektiv zu bestimmen, ob eine Person sich als schlafend wahrnimmt, oder nicht. Daher ist es möglich die Frage zu formulieren, anhand welcher Kriterien Menschen entscheiden, ob sie geschlafen haben, oder ob sie wach gewesen sind. Prinzipiell ist es möglich, dass hierfür die sinnliche Wahrnehmung (des Körpers oder auditive Signale), oder das mentale Erleben verwendet wird (Logik, Kohärenz, Kontrolle über das Denken). Dass die Sleep Spindles, welche demonstrieren, dass das Gehirn die sinnlichen Reize der Umwelt abblockt, kein sicheres Kriterium für den Schlafbeginn sind (1.3), ist ein Hinweis auf die Bedeutung bewusstseinsinterner Kriterien. Yang et al. (2010) konnten zeigen, dass der Bezug auf die Eigenschaften des mentalen Erlebens selbst entscheidend ist:
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»What seems to be required for the perception of having fallen asleep is substantial loss of control over the thought process along with deterioration of logical reasoning, phenomena that obtain after one enters a period of sustained stage 2 sleep« (Yang et al.: 2010: 1090).
Wir nehmen uns als schlafend wahr, wenn wir keine Kontrolle mehr über unser Denken haben und es nicht nicht länger als logisch empfinden. Anders formuliert: Mangelnde mentale Autonomie ist assoziert mit einem nichtwachen Erleben und wird als Kriterium für die Identifikation des Schlafzustandes verwendet. Noch einmal demonstriert dies die Falschheit der These, dass Wachheit die Bedingung der Möglichkeit eines Erlebens sei, und dass Nichtwachheit bedeute, nichts zu erleben (1.5). Zweitens demonstriert die Logik der Entscheidung, ob man schon geschlafen hat, den Zusammenhang von Freiheit und Rationalität. Die Steigerung der Rationalität, zu der ein Erwachen führt, drückt die zunehmende Freiheit auf der Ebene des Denkens aus (3.3.6). Es wurde versucht zu demonstrieren, dass eine zentrale Eigenschaft des nichtwachen Erlebens darin besteht, dass das Denken gleichsam auf einen Kurs festgelegt ist, ohne dass dieser wegen des damit einhergehenden metakognitiven Defizits noch reflektiert werden kann. Ohne die Existenz von Metakognition ist Rationalität kaum möglich, da diese es ermöglicht, die Prämissen zu hinterfragen, auf denen ein Gedankengang basiert. Und das ist es tatsächlich, was bei den verschiedenen nichtwachen Phänomenen beobachtet werden kann: Sie sind in einem erheblichen Maße von Irrationalität geprägt. Im Modell des nichtwachen Erlebens wird dies beschrieben als eine temporäre oder chronische Verabsolutierung von Konzepten. Den Extremfall bilden die wahnhaften Überzeugungen und Halluzinationen des psychotischen Erlebens (3.2.8). Es ist wohl auch möglich, mangelnde Rationalität und einen mangelnden Wirklichkeitsbezug auf das ontologische Fehlurteil zurückzuführen, welches bei einem nichtwachen Erleben präsent ist (3.3.4.5). Ein Denken, das auf einer grundlegend falschen Prämisse basiert, wird eher Probleme haben, vernünftig zu sein, als ein Denken, bei dem dieser Fehler nicht existiert. Der Freiheits- und Rationalitätsaspekt des wachen Erlebens geht mit einem weiteren wichtigen Aspekt einher. Nichtwachheit, so haben wir gesehen, geht mit einem relativ dissoziierten Bewusstsein einher (3.3.5.4). Das Erleben von Menschen kann in einem erheblichen Maße fragmentiert sein. Im Extremfall scheinen verschiedene Persönlichkeitsanteile unverbunden nebeneinander zu existieren. Durch ein Erwachen werden teilautonome Subsysteme wieder in das kognitive System integriert. Dies zeigt sich bspw. daran, dass die Selbstkonzepte der Person kohärenter werden (3.2.2). Daraus ergibt sich der Gedanke, dass die mit einem Erwachen verbundene Integration des Erlebens die Bedingung der
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Möglichkeit für eine Zunahme der Autonomie der Person ist. Da also Bewusstsein ohne Wachheit wenig integriert ist, und Wachheit zu Integration führt, kann man sie vielleicht als das Einheitsprinzip des Bewusstseins bezeichnen. Ohne Wachheit zerfällt das Erleben in subjektiv unverbundene Elemente, welche mit inkohärenten Konzeptionalisierungen auf der Subjektseite einhergehen. Ein Erwachen integriert das Erleben, was folgerichtig mit kohärenteren Selbstkonzepten einhergeht. Aus dieser Perspektive ist das mit einem Erwachen einhergehende Wachstum von Rationalität Ausdruck einer höheren Integration bzw. Einheit des Bewusstseins. Auch die mit einem Erwachen einhergehende Zunahme der Freiheit der Person wird durch die Perspektive der Einheit verständlicher. Es ist unmittelbar plausibel, dass man sich nicht frei fühlen kann, wenn das Handeln von nicht integrierten Subsystemen mit einer extrinsischen Motivation bestimmt ist. Fragmentierung ist ein Hindernis für rationale Prozesse. Ohne einen größeren Kontext der verschiedenen Subsysteme ist es nicht möglich, zwischen diesen rational zu entscheiden. Ohne diesen ist die Frage, welches Subsystem in einer Situation aktualisiert wird, in einem erheblichen Maße von Automatizität geprägt (3.3.5.1). Zusammengefasst ergibt sich, dass die Höhe der Freiheit und der Rationalität mit der Integration des Bewusstseins zusammenhängen. Wenn Aspekte des Erlebens nicht in den Gesamthorizont der Persönlichkeit integriert sind und bspw. Selbstaspekte verleugnet und abgelehnt werden, können dies nicht vernünftig reflektiert werden. Je dissoziierter das Bewusstsein, desto niedriger die Möglichkeit zu rationalem Denken, und desto geringer entwickelt ist die subjektiv erfahrene Einheit des Bewusstseins. W 8: Wachheit geht mit Freiheit, Rationalität und einem integrierten Bewusstsein einher.
4.1.4 Der Metaaspekt der Wachheit Zwischen Freiheit, Rationalität und Einheit auf der einen Seite, und dem Zusammenhang von phänomenalem Bewusstsein und Metakognition, besteht ein enger Zusammenhang. Dies liegt daran, dass Wachheit, wie in diesem Abschnitt argumentiert wird, einen Metaaspekt hat. Metakognition ist formal definiert als eine Kognition, die auf Kognition bezogen ist (2.1). Im Traum ist sie weniger manifestiert als innerhalb des Alltagsbewusstseins (2.1). Dass die Metakognition temporär auch ganz abwesend sein kann zeigt das Mind Wandering (3.3.4.3). Auch während eines psychotischen Erlebens kann sie weitgehend abwesend sein. Wenn sie innerhalb der
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Psychose instantiiert wird, ist sie geprägt von falschen Urteilen über das Erleben und die erlebende Person (3.2.8). Die Konfabulation zeigt, dass die Metakognition als Überwachungsfunktion von der Exekutivfunktion des Bewusstseins getrennt sein kann (3.2.4). Bei Dissoziationen sind exekutive Subsysteme funktional abgespalten von der Metakognition (3.2.5). »Self reflective and intentional behaviors are largely independent functions within the self-regulatory system« (Purcell et al 1993: 240). Die Attributionsforschung und die Erforschung des Source Monitoring demonstrieren, dass der Mensch zunächst ein naiver Realist ist. Denn das grundlegende ontologische Urteil über den Wirklichkeitsgehalt des Erlebten wird implizit und automatisch gefällt. Eine größere metakognitive Bewusstheit wird erst im Zweifelsfall entfaltet, wenn es zu einer bewussten Prüfung des Erlebten kommt (3.3.4.5). Einen Faktor, der vorübergehend die Höhe der Metakognition reduziert, haben wir etwas genauer kennen gelernt. Es handelt sich dabei um Immersion bzw. Absorption (3.3.5.2). Der Zweifel und die damit einhergehende Prüfung des phänomenalen Bewusstseins ist ein metakognitiver Akt, durch den eine problematische Absorption aufgelöst werden kann (3.3.6). Implizite Urteile als Prämissen der Kognition können so identifiziert und korrigiert werden. Wenn sich schließlich ein Erwachen ereignet, muss sich die Metakognition verändern, da zumindest eine Revision des ontologischen Urteils stattfindet. Was sich bei einem Erwachen nicht verändern muss, ist das phänomenale Bewusstsein. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür ist, wenn während eines luziden Traums der Schlaf endet, so dass für den Bruchteil einer Sekunde Traumbewusstsein und sinnliche Wahrnehmung parallel existieren (2.1). Obwohl sich das Erleben in diesem Fall massiv verändert, bleibt die metakognitive Perspektive, so weit dies heute beurteilt werden kann, weitgehend identisch. Auch das psychotische Erleben demonstriert, dass Wachheit und Nichtwachheit sich weniger durch das phänomenale, als durch das metakognitive Bewusstsein unterscheiden. Wenn eine Person ihre Halluzination als solche erkennt, ist dies zwar ein wichtiger Schritt in ihrem Heilungsprozess, doch das bedeutet nicht, dass deswegen die Halluzination verschwindet (3.2.8). Diese Erkenntnisse ermöglichen eine genauere Einschätzung, wie Wachheit eine Eigenschaft des Bewusstseins ist. W 9: Wachheit ist eine Eigenschaft des metakognitiven Bewusstseins. Im zweiten und dritten Teil wurde herausgearbeitet, wie sich die wache und die nichtwache Metakognition voneinander unterscheiden. Dabei hatte sich gezeigt, dass wach zu sein unter anderem bedeutet, nicht chronisch von einem Erleben
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absorbiert zu sein. Die Aufmerksamkeit kann in diesem Fall bewusst auch anderem zugewendet werden, so dass eine gewisse Distanz gegenüber Erfahrungen möglich ist. Dagegen ist die nichtwache Metakognition nicht zu einer nüchternen und wirklichkeitsbezogenen Prüfung fähig. Entweder endet die Nichtwachheit spontan, oder es muss eine gewisse Arbeit geleistet werden, damit die Aufmerksamkeit aus ihr befreit werden kann. Es kann sogar geschehen, dass die nichtwache Metakognition zu einer weiteren Verstrickung in das Erleben führt. Die Rumination der Depression kann tiefer in die Depression führen. Auch bei der Psychose sind metakognitive Theorien über das phänomenale Bewusstsein nicht Teil der Lösung, sondern das Problem. Da sich bei einem Erwachen die Absorption auflöst geht die Person gleichsam einen Schritt zurück und kann ihr Erleben nun tatsächlich verstehen. Während der Kontext einer nichtwachen Metakognition eng und begrenzt ist, kann durch die wache Metakognition im Idealfall unvoreingenommen die eigene Situation überprüft werden. Anders formuliert kann man sagen: Die Metakognition der Nichtwachheit ist Mindless, die der Wachheit Mindful (3.3.5). Die Unterscheidung zwischen einer von Mindlessness und Mindfulness geprägten Metakognition ist wichtig, da sie das Verhältnis von Wachheit, Nichtwachheit und Metakognition verdeutlicht. Die nichtwache Metakognition ist Meta in dem Sinne, dass sie auf Wahrnehmungen bezogen ist. Sie kann jedoch nicht dieselbe Metafunktion erfüllen, wie dies bei einem wachen Bewusstsein der Fall ist. Im formalen Sinn ist die nichtwache Metakognition Meta, doch in funktionaler Hinsicht ist sie es nicht. Dafür fehlt es ihr an Rationalität und Wirklichkeitsbezug. Da zwischen der wachen und der nichtwachen Metakognition differenziert werden muss, ist es nicht möglich, Wachsein allein über die Höhe der Metakognition zu bestimmen. Es ist falsch, dass man im Traum nichtwach ist, weil es dort scheinbar keine Metakognition gibt (2.1). Dies ist die zentrale Behauptung dieser Untersuchung: Es benötigt ein neues Konzept, um bestimmte Phänomene beschreiben zu können, da die bekannten Konzepte dazu nicht in der Lage sind. Wir müssen also von der Existenz verschiedener Metas ausgehen, einem formalen Meta, durch welches Metakognition definiert ist, und einem funktionalen Meta, welches Wachheit kennzeichnet. Die Frage ist nun, was dieser Unterschied über die Wachheit aussagt. Dies begrifflich auf den Punkt zu bringen, ist nicht ganz einfach. Was an dieser Stelle gesagt werden kann, ist, dass sie gegenüber dem Bewusstsein, d. h. dem Zusammenhang aus Subjektivität, Intentionalität und Phänomenalität, einen Metaaspekt, bzw. eine Metafunktion hat. Das Bewusstsein alleine, ohne Wachheit, kann in höchstem Maße absorbiert sein, so dass keine Metakognition in einem funktionalen Sinn existiert. Wachheit dagegen geht immer mit einer funktionalen Metakognition einher.
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Der Metaaspekt der Wachheit erklärt, wieso Achtsamkeit beim Abbau von Nichtwachheit hilfreich ist. Achtsamkeit heißt ja, die Dinge, also Gefühle, Gedanken, konkrete Einzeldinge und Ereignisse, als solche wahrzunehmen, ohne über sie zu urteilen, und ohne auf sie zu reagieren (3.3.7). Auf diese Weise entsteht zwischen der Metakognition und dem phänomenalen Bewusstsein so etwas wie eine Distanz, so dass sich Reaktanz auflöst und eine gewisse Nüchternheit gegenüber dem Erleben möglich wird. Dies scheint einen Freiraum zu schaffen, in dem sich Wachheit manifestieren kann. Zusammengefasst ergibt sich: W 10: Wachheit hat einen Metaaspekt gegenüber dem Bewusstsein, d. h. sie macht aus einer formalen eine funktionale Metakognition. Der Metaaspekt der Wachheit macht noch einmal plausibel, wieso ein Erwachen mit einer Erweiterung des Bewusstseins einhergeht (3.3.5.3). Aus Perspektive der Privationstheorie geht Nichtwachheit mit einer gewissen Unbewusstheit einher, da sie mit einem Verlust an Metakognition verbunden ist. Da ein Erwachen diesen rückgängig macht, kommt es gleichzeitig zu einer Erweiterung des Bewusstseins (welche Rationalität möglich macht). Diese findet auf der Ebene der Metakognition und auf der des Selbstbewusstseins statt. In beiden Fällen wird eine gewisse Enge des Verstehens und Erlebens aufgelöst, d. h. es findet die für ein Erwachen typische Zunahme von Möglichkeiten statt. Die Bewusstseinserweiterung der Wachheit heißt also, dass neue Dinge erkannt werden können und sich zusätzliche Handlungsmöglichkeiten ergeben. W 11: Der Metaaspekt der Wachheit erweitert das Bewusstsein. Eine der zentralen Botschaften des ersten Teils dieser Untersuchung ist, dass die Empirie es unwahrscheinlich macht, dass Wachheit ohne Bewusstsein gedacht werden kann. Denn Wachheit kann als kognitive Eigenschaft nicht reduziert werden auf eine Aktivität des Gehirns oder einen Gehirnzustand. Sie ist sogar so eng mit Bewusstsein verbunden, dass eine Erhöhung von Wachheit mit einer Erweiterung des Bewusstseins einhergeht. Beschreiben lässt sich dies erstens von der Privationstheorie her, die ausschließlich von einem Abbau von Beschränkungen ausgeht. Sie lässt sich zweitens beschreiben von der Wachheit her selbst, so dass ihr Metaaspekt eine ihr inhärente Eigenschaft ist. Während ich an dieser Stelle, d. h. bei der Beschreibung der Eigenschaften von Wachheit, auf der deskriptiven Ebene verbleibe, wird ein wenig später bei dem Versuch, eine Theorie der Wachheit zu entwickeln, diese Unterscheidung aufgegriffen und weiter entwickelt.
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4.1.5 Normative Aspekte Eine letzte Eigenschaft der Wachheit ist ihre normative Bedeutung. Ein Erwachen ist gut, auch wenn es, wie bspw. im Falle eines Selbstbetrugs, schmerzhaft sein kann. Mehr Möglichkeiten zu haben ist besser als weniger Möglichkeiten, Wirklichkeit zu erkennen ist besser als Wirklichkeit zu verkennen, und mehr Selbstbewusstsein ist besser als weniger Selbstbewusstsein. Da Sokrates und Heraklit ihre Mitmenschen dazu angehalten haben, ein möglichst waches Leben zu führen (3.1), sind sie sich bewusst gewesen, dass Wachheit besser ist als Nichtwachheit. Wir haben heute den Vorteil, dass wir ihre Ansicht empirisch gut begründen können. Wiederholt wurde darauf aufmerksam gemacht, dass das nichtwache Erleben mit einem relativ dissoziierten Bewusstsein einhergeht. Subjektiv kann dieser Mangel an Integration als ein reduziertes Gefühl an Kohärenz empfunden werden, bzw. als eine reduziertes Maß an Authentizität. Dies hat Auswirkungen auf das Wohlbefinden, da Kohärenz bzw. Konsistenz menschliche Grundbedürfnisse sind (Grawe 2004: 304–350). Antonovsky hat gezeigt, dass ein Gefühl für Kohärenz entscheidend ist für eine gesunde Psyche (Salutogenese; Antonovsky 1997). Eine höhere Kohärenz der Psyche erleichtert die Selbstregulation, so dass die Adaptionsfähigkeit und die Coping-Fähigkeit sich verbessern. Wird das Grundbedürfnis nach Konsistenz dauerhaft geschädigt, führt dies zu einer höheren Vulnerabilität, so dass einen leidvolle Ereignisse leichter aus der Bahn werfen können. Neben den integrierenden Folgen eines Erwachens als einer Möglichkeit, die normative Bedeutung von Wachheit zu begründen, kann auf die empirische Forschung zur Achtsamkeit zurückgegriffen werden. Brown und Ryan haben eine Skala zur Operationalisierung von Achtsamkeit entwickelt, die Mindful Attention Awareness Scale (Brown/Ryan 2003). Ich habe versucht zu zeigen, dass Wachheit mit Mindfulness, und Nichtwachheit mit Mindlessness einhergeht (z. B. 3.8). Die psychologische Forschung zeigt, dass ein hoher Wert an Achtsamkeit positiv mit dem allgemeinen Wohlbefinden, mit dem Maß subjektiv empfundener Autonomie77, und mit der Authentizität korreliert. Ebenso ist bekannt, dass eine Zunahme der Achtsamkeit die Fähigkeit verbessert, sich in die Wirklichkeit anderer Menschen zu versetzen. Achtsamkeit steigert die Empathie (Shapiro/Carlson 2009: 24ff.). Dies ist insofern verständlich, da das nichtwache Erleben ja gerade mit einer Verwechslung von subjektiven und objektiven Elementen der Welt einhergeht. Wie soll man sich angemessen auf 77 »autonomy reflects the behavior that is fully endorsed by the self. The present results indicate that when acting mindfully, individuals are acting in ways that are concordant with values and interests« (Brown/Ryan 2003: 839). Dies entspricht der Self-Determination Theory (3.2.2).
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andere Menschen einlassen können, wenn es einem nur eingeschränkt gelingt, zwischen sich und anderen zu unterscheiden? Wie soll man sich unvoreingenommen auf andere einlassen können, wenn es einem nicht gelingt, die eigenen Auffassungen beiseite zu lassen und wenigstens versuchsweise zu verstehen, wie jemand anders denkt? Überzeugungen können so verabsolutiert werden, dass jegliche Bewusstheit für ihre Begrenztheit und Kontingenz verloren geht. Der Empathie förderlich ist dies eher nicht. Ein Aspekt der mit einem Erwachen sich erweiternden Möglichkeiten ist das Wachstum der Kreativität. Problemlösungen werden durch die automatisierte Anwendung von Konzepten behindert. Diese können ein Problem so strukturieren, dass eine Lösung nicht mehr erkannt werden kann. Metakognitive Prozesse blockieren eine Restrukturierung der Kognition, wenn sie die Aufmerksamkeit automatisch in eine bestimmte Richtung lenken. Wenn die Aufmerksamkeit zu sehr von ihnen absorbiert ist blockieren sie die Empfänglichkeit für nonverbale Prozesse, die eine Lösung des Problems generieren könnten (Langer 1989: Kap. 7, Ostafin/Kassman 2012, Ryan/Decy 2006: 1564). Die Aufmerksamkeit wird empfänglicher für kreative Prozesse des Unbewussten, wenn sie bereit ist, standardisierte Vorgehensweisen aufzugeben, bzw. Konzepte loszulassen. Zusammengefasst kann man sagen, dass Wachheit gut ist, da sie mit psychischer Gesundheit, Rationalität, Kreativität und Empathie einhergeht. Je wacher eine Person ist, desto besser ist dies für sie. W 12: Wachheit ist besser als Nichtwachheit.
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Die Eigenschaft Wachheit
Mit dem ersten Abschnitt des vierten Teils ist das vielleicht zentrale Ergebnis dieser Untersuchung erzielt: Es gibt die Eigenschaft Wachheit und sie hat, so wie es aussieht, diese Eigenschaften: Sie ist grundlegender als Nichtwachheit, sie sorgt für den Wirklichkeitsbezug des Bewusstseins, sie integriert es, und sie ermöglicht Rationalität. Damit einher geht das, was als ihr Metaaspekt bezeichnet wurde. Auf dieser Basis können eine Reihe weiterer Fragen formuliert werden. Zu diesen gehören bspw.: – Was genau heißt es, dass Wachheit grundlegender ist als Nichtwachheit? – Wie ist es möglich, dass Wachheit für den Wirklichkeitsbezug des Bewusstseins sorgt? – Wie kann Wachheit das Prinzip des Selbstbewusstseins sein? – Wie kann Wachheit zu mehr Möglichkeiten und zu mehr Rationalität führen?
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– Wie erklärt sich, dass Wachheit das Bewusstsein integriert? – Was hat es zu bedeuten, dass Wachheit nicht ohne Bewusstsein, aber Bewusstsein ohne Wachheit sein kann? – Gibt es eine Erklärung dafür, dass Wachheit gut ist? Bis zu einem gewissen Grad lassen sich diese Fragen durch die Privationstheorie beantworten. Denn nach dieser ist ein Erwachen eine Rückkehr hin zu einem weniger defizitären Zustand (4.1.1). Die Eigenschaften von Wachheit aus Perspektive der Privationstheorie zu erklären heißt, sich auf den Abbau der begrenzenden Wirkungen von Nichtwachheit zu beziehen. Wie ich meine ist es möglich, über diesen Ansatz hinauszugehen und eine Theorie der Wachheit zu entwickeln. Die Frage ist, wie eine solche entwickelt werden kann. In den wenigen Definitionsversuchen des Wachseins manifestiert sich der Impuls, das Wachsein über die Interaktion mit der Umwelt zu verstehen (1.5). Dieser Versuch scheitert an der Bewusstseinsimmanenz der Wachheit (4.1.2). Ich glaube, dass diese den Ausgang bilden sollte für die folgenden Überlegungen. Mit Bewusstseinsimmanenz von Wachheit ist gemeint, dass es für sie keine Rolle spielt, ob das Erleben illusorisch ist, oder nicht. Methodisch fällt also der Ansatz weg, Wachheit über die Interaktion mit der Umwelt zu verstehen, und Reduktion ist nach aller Kenntnis der Empirie nicht plausibel. Als dritter Ansatz für eine Theorie der Wachheit bleibt damit, vom Verhältnis von Wachheit und Bewusstsein auszugehen. Der Gedanke ist, über die Klärung des Verhältnisses von Erleben und Wachheit eine Theorie der Wachheit zu entwickeln. In der Philosophie des Geistes hat sich durchgesetzt, Bewusstsein als phänomenales und intentionales Phänomen zu betrachten. Intentionalität bedeutet, dass Bewusstsein auf etwas bezogen ist und eine Erfahrung immer eine Erfahrung von etwas ist. Man kann sich eines Gefühls bewusst sein und eines Gedankens, oder man erlebt ein konkretes Einzelding. Phänomenalität bedeutet, dass Erfahrungen sich auf eine bestimmte Weise anfühlen. Sie können bspw. eher angenehm oder eher unangenehm sein, sie können von Machtlosigkeit oder von Kompetenz geprägt sein, von Würde oder von Scham. Eine Theorie der Wachheit auf der Basis des Verhältnisses von Bewusstsein und Wachheit zu entwickeln bedeutet also, nach dem Verhältnis von Wachheit zu Intentionalität und Phänomenalität zu fragen.
4.2.1 Das Verhältnis von Wachheit und Bewusstsein Um die Frage zu beantworten, auf was die Aufmerksamkeit gerichtet werden kann, wurde der Begriff des Konzepts verwendet (3.3). Nach dem kognitionspsychologischen bzw. funktionalistischen Ansatz der Untersuchung verarbeitet
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das Bewusstsein Informationen auf der Basis von abstrakten und sinnlichen Konzepten (3.3.3). Der naive Realismus wird, wie dies in der Geschichte der Philosophie überwiegend der Fall gewesen ist, damit abgelehnt. Den Zusammenhang von Aufmerksamkeit und wahrgenommenem Objekt beschreibt Chalmers (2010) durch das, was er als Isomorphieprinzip bezeichnet. Nach diesem entspricht die Struktur des Erlebten der Struktur des Erlebenden, die Aufmerksamkeit entspricht strukturell dem Wahrgenommenem. Diese isomorphe Struktur ist transitiv und intentional, da die bewusste Erfahrung nur möglich ist, wenn die Aufmerksamkeit auf etwas gerichtet ist. Da die Aufmerksamkeit durch abstrakte und sinnliche Konzepte organisiert ist, ist die Frage nach dem Verhältnis von Wachheit und Bewusstsein die Frage nach dem Verhältnis von Wachheit zu Konzepten und der damit verbundenen Aufmerksamkeit. Ich bezeichne diesen Zusammenhang von Aufmerksamkeit und ihrer intentionalen Gerichtetheit auf phänomenale und abstrakte Konzepte als Struktur des Bewusstseins. Da es sich bei der Wachheit um eine Eigenschaft des Bewusstseins handelt, ist die Frage, wie Wachheit gedacht werden sollte, um einen Platz in dieser Struktur haben zu können. Als Ansatz zur Beantwortung dieser Frage kann die Beobachtung verwendet werden, dass Wachheit das Verhältnis von Aufmerksamkeit und Konzept beeinflusst (4.1). Wie die bisherige Untersuchung gezeigt hat kann die Aufmerksamkeit im Falle eines nichtwachen Erlebens von Konzepten absorbiert sein (3.3.5.2), so dass die Metakognition weitgehend abwesend ist oder nur noch in formaler, d. h. nicht mehr in funktionaler Hinsicht, präsent ist (3.3.5.1, 4.1.4). Bei einem absorbierten Erleben sind die Aufmerksamkeit und das Erlebte eng miteinander verbunden. Dies geht häufig mit einer hohen Intensität des Erlebens einher. Ich glaube nicht, dass wir heute in der Lage sind zu erklären, wie dies möglich ist, bzw. wie dies genau funktioniert. Allerdings hat uns die Natur durch den Traum mit der Möglichkeit versorgt, das stark absorbierte nächtliche Traumerleben mit dem Alltagsbewusstsein zu vergleichen. Es ist ja gerade dieser Vergleich, der zu der These geführt hat, dass das Traumerleben Singleminded sei, da innerhalb des Traums keine Metakognition vorhanden sei (2.1). Ein Merkmal des absorbierten Erlebens ist, dass es mit dem Anschein von Notwendigkeit einhergeht. Der Grund hierfür ist, dass die weitgehende Abwesenheit von Metakognition die Schwierigkeit impliziert, sich alternative Modi des Erlebens vorzustellen (3.3.5). In diesem Fall ist die Erfahrung eng mit dem damit verknüpften Selbstkonzept verbunden. Wer träumt, dass er verfolgt wird, akzeptiert das Selbstkonzept, dass er eine fliehende Person ist und sein muss. Es erscheint als notwendig, dass die Erfahrung auf eine bestimmte Weise konzeptionalisiert wird, da keine Alternativen erkannt werden. Diese subjektiv als notwendig empfundene Verbindung von Erlebnis und Selbstkonzeptionalisie-
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rung löst sich bei einem Erwachen auf. Man erkennt nun, dass man sich in Wahrheit nicht als eine fliehende Person verstehen muss, obwohl man genau dies erlebt. Nun hat man die Möglichkeit, und damit die Freiheit, stehen zu bleiben, und seine Aufmerksamkeit dem Verfolger zuzuwenden. Man könnte ihn fragen, wieso er einen verfolgt, und vielleicht sogar eine Versöhnung mit ihm erreichen. Eine scheinbar notwendige Verknüpfung von Erfahrung und Selbstverständnis, von Subjekt und Objektseite, lässt sich auch beim psychotischen Erleben beobachten: »As my delusional system expanded and elaborated, it was as if I was not ›thinking the delusion‹, the delusion was ›thinking me!‹ I was totally enslaved by the belief system« (Chadwick 2007: 170, kursiv HS).
Absorption, so die These, führt mehr oder weniger temporär zu einer gewissen Rigidität des Bewusstseins. Wir haben weiter oben gesehen, dass diese als Mindlessness beschrieben worden ist (3.3.5). Die absorbierte Aufmerksamkeit ist Trapped by Categories. Diese ›Gefangenschaft‹ durch Kategorien bzw. Konzepte kann so massiv sein, dass Menschen gleichsam zu »Sklaven von Metaphern« werden können (Loftus/Ketcham 1994: 330). Während eines absorbierten Erfahrens ist man sich nicht länger bewusst, dass keine Situation bestimmen kann, wie man sie versteht. Es gibt keine Notwendigkeit, eine Situation auf eine Weise zu interpretieren. Da auch das erlebende Subjekt sich immer auch anders konzeptionalisieren kann, hat jede Erfahrung ein Element von Kontingenz. Absorption, bzw. die Verabsolutierung von Konzepten, führt dazu, dass die Metakognition nicht länger geprägt ist vom Wissen um diese Kontingenz. Rationalität und Kreativität sind im Falle einer als notwendig empfundenen Konzeptionalisierung einer Erfahrung nur noch begrenzt möglich. Bei einem Erwachen verschwindet die Illusion von Notwendigkeit und die Rigidität des Erlebens löst sich auf. Die Metakognition hat wieder mehr Möglichkeiten, so dass das Erlebte auch anders verstanden werden kann. Dies wurde als Metaaspekt der Wachheit beschrieben (4.1.4). Er verwandelt die Metakognition und ermöglicht der Aufmerksamkeit, Konzepte zu gebrauchen, anstatt einseitig von ihnen bestimmt zu werden (also von Bottom-up zu Top-down). Mir scheint es angemessen zu behaupten, dass Wachheit durch die von ihr verursachte Befreiung der Aufmerksamkeit eine transzendierende Wirkung auf das Bewusstsein hat. Transzendierung heißt also in diesem Kontext, dass Grenzen des Erlebens erweitert werden. Verabsolutierte Konzepte werden überwunden und rekontextualisiert, so dass die Aufmerksamkeit nicht länger Trapped by Categories ist. Während im nichtwachen Modus Konzepte als semantische Instrumente zur Steuerung der Aufmerksamkeit den Stream of Consciousness rigide strukturieren, eröffnet Wachheit Spielräume zur aktiven Gestaltung des
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Erlebens und Verstehens (was gemessen werden kann, 3.3.7 und 4.1.5). Der Schritt von einer automatisierten Steuerung der Aufmerksamkeit hin zu einer aktiven und bewussten Verwendung, von der Mindlessness zur Mindfulness, ist als Transzendierung von abstrakten Konzepten die Bedingung der Möglichkeit für eine funktionale Metakognition. Für das Verhältnis der Wachheit zu phänomenalen Konzepten hat sich gezeigt, dass ein Erwachen die Phänomenalität des Erlebens nicht ändern muss. Denn Wachheit ist eine Eigenschaft des metakognitiven, und nicht des phänomenalen Bewusstseins (4.1.4). Da Wachheit eine bewusstseinsimmanente Eigenschaft ist, ist der Bezug auf sinnliche Konzepte für die Definition von Wachheit nicht nötig. Das führt zu einer wichtigen Frage: Wie sollte Wachheit gedacht werden, damit verständlich wird, dass sie sinnliche und abstrakte Konzepte transzendiert? Was sagt es über Wachheit aus, dass sie unabhängig von sinnlichen Konzepten ist und sie die Aufmerksamkeit von der Dominanz abstrakter Konzepte befreit? Mein Vorschlag ist, dass der Metaaspekt der Wachheit möglich ist, da Wachheit nicht konzeptionell bzw. strukturlos ist. Während das Bewusstsein konzeptionell strukturiert sein muss, um Wahrnehmung zu ermöglichen, scheint Wachheit gerade nicht konzeptionell sein zu können, um die Folgen zu haben, die bei ihr beobachtet werden können. Als Eigenschaft der Metakognition ist sie zwar auf sinnliche und abstrakte Kognitionen bezogen, aber sie geht nicht in diesen auf. Die These ist also, dass der Metaaspekt besagt, dass Wachheit Konzepte transzendiert, da sie akonzeptionell ist. Da das Bewusstsein konzeptionell strukturiert ist kann man auch sagen, dass Wachheit keine Struktur hat. Der Gedanke ist: Je wacher das Bewusstsein ist, desto weniger wird es von Konzepten bestimmt, da Wachheit kein Konzept ist. Damit löst sich die rigide Struktur nichtwachen Erlebens durch Wachheit auf, da diese keine Struktur hat. W 13: Wachheit ist weder phänomenal noch intentional. Sie transzendiert Konzepte, da sie strukturlos ist. Sicherlich ist es an dieser Stelle richtig zu fragen, was genau mit Strukturlosigkeit gemeint ist. Ich möchte dieser Frage jedoch ausweichen und biete statt dessen die Vermutung an, dass der Begriff für verschiedene Interpretationen offen ist. Eine weitgehende metaphysische Interpretation des Begriffs würde den Rahmen der Untersuchung sprengen. Festzuhalten bleibt die Bedeutung, die der Begriff im begrenzten Kontext dieser Untersuchung hat, nämlich dass Wachheit nicht denselben Subjektcharakter wie das Erleben hat, dass sie nicht intentional und nicht phänomenal ist. Diesen Kontext durch die Einbettung in eine weitere
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Metaphysik zu erweitern ist sicherlich eine lohnende Aufgabe. Hier genügt die Bestimmung, dass Wachheit wohl so gedacht werden sollte, dass sie keinen Platz in der Struktur des Bewusstseins zu haben scheint. Ein Hinweis auf die Akonzeptionalität der Wachheit und die Konzeptionalität des Bewusstseins ist, dass ein Erwachen nicht bewusst herbeigeführt werden kann, während es zumindest manchen Menschen möglich ist, ohne Probleme ein nichtwaches Erleben zu erzeugen. Konzepte als semantische Instrumente zur Steuerung von Aufmerksamkeit können als Werkzeuge des Bewusstseins dazu verwendet werden, ein spezifisches Erleben herbeizuführen. Da Wachheit, so der Gedanke, nicht konzeptionell strukturiert ist, ist es auch nicht möglich, sie bewusst zu erhöhen. Man kann sich konzentrieren und man kann bis zu einem gewissen Grad sein Arousal erhöhen. Diese Eigenschaften des Erlebens sind jedoch nicht identisch mit Wachheit (Teil 1). Ein Beispiel dafür, wie Nichtwachheit Bestandteil der Intentionalität des Bewusstseins ist, liefert die Hypnoseforschung. Sie hat gezeigt, dass Menschen mit einer stark entwickelten Vorstellungskraft sich leicht in einem Erleben verlieren können (Phantasy-Prone Personalities, 3.1.5). Manche Personen können wegen ihrer hohen Absorptionsfähigkeit leicht die metakognitive Einsicht verlieren, dass sie selbst für ein bestimmtes Erleben verantwortlich sind. Vielleicht sind auch Fälle von Nichtwachheit in sozialen Kontexten dahingehend beschreibbar, dass Menschen mit einer entsprechenden Motivation sich mehr oder weniger gezielt in einen nichtwachen Zustand hineinsteigern können (3.2.9). Vermutlich braucht es mehr Forschung, um dies wirklich verstehen zu können. Klar scheint mir zu sein, dass nur dann etwas beeinflusst werden kann, wenn es konzeptionell strukturiert ist, da Konzepte die Instrumente der Informationsverarbeitung und die Bedingung der Möglichkeit eines Erlebens sind. Wir haben jedoch keinen Hinweis darauf, dass ein Erwachen bewusst herbeigeführt werden kann. Man kann im Traum nicht entscheiden, dass man aufwacht. Ebenso wenig können Menschen, die Einsicht in ihre psychische Störung entwickeln, entscheiden, dass diese nun ende und sie aufwachen aus ihrem problematischen Erleben. Es scheint eher so zu sein, dass durch Therapie die Bedingungen geschaffen werden, welche einen Prozess des Erwachens begünstigen. Das Erwachen selbst scheint jedoch ausschließlich spontan zu geschehen. Die Unfähigkeit, ein Erwachen herbeizuführen, ist ein entscheidender Grund, weshalb die achtsame Aufmerksamkeit von Wachheit unterschieden werden muss. Denn in achtsamer Aufmerksamkeit kann man sich bewusst üben. Auf der Basis der empirischen Forschung ist es plausibel zu argumentieren, dass sie ein Erwachen wahrscheinlicher macht. Wie das kritische Hinterfragen der Erfahrung von Wirklichkeit innerhalb des Alltagsbewusstseins ein Erwachen im Traum wahrscheinlicher macht, erzeugt Achtsamkeit wohl Bedingungen, welche ein späteres Erwachen ermöglichen (3.3.7).
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Ein Einwand gegen die These, dass ein Erwachen nicht bewusst herbeigeführt werden kann, ist, dass dies bei anderen Personen durchaus möglich ist. Man kann andere aus dem Schlaf wecken, und Menschen im Minimal Conscious State kann ein Hirnschrittmacher implantiert werden (1.1). Darauf ist zu antworten, dass Schlaf nicht identisch ist mit Nichtwachheit. Offenkundig ist es möglich, bei Menschen ein Erleben herbeizuführen, wenn entsprechend auf sie eingewirkt wird. Mein Argument ist, dass in diesen Fällen nicht Wachheit, sondern ein Erleben herbeigeführt wird. Da Wachheit eine Eigenschaft des Bewusstseins ist, kann sich gleichzeitig mit dem Erleben auch ein gewisses Maß an Wachheit einstellen. Ein zweiter Einwand gegen den Gedanken, dass die Unmöglichkeit, ein Erwachen bewusst herbeizuführen, die Idee der Akonzeptionalität der Wachheit unterstützt, ist, dass auch das phänomenale Bewusstsein nicht beeinflusst werden könne. Wie wir die Welt erfahren ist nichts, was wir entscheiden können, obwohl wir die Welt durch sinnliche Konzepte erleben. Darauf ist zu antworten, dass es nicht richtig ist, dass die Phänomenalität nicht beeinflusst werden kann, denn manche Menschen können ihr sinnliches Erleben ganz erheblich verändern. Die verschiedenen heute unter dem Begriff der Hypnose diskutierten Phänomene zeigen, dass das Bewusstsein über sehr viel mehr Möglichkeiten verfügt, als uns gemeinhin bewusst ist (3.2.5). Manche Menschen können willentlich Farben aus ihrem Stream of Consciousness verschwinden lassen. Andere können ohne Probleme Gegenstände wahrnehmen, wo keine sind. Oder sie nehmen Gegenstände nicht wahr, obwohl diese gegenwärtig sind. Die Idee, dass das Erleben völlig von der Welt bestimmt ist, scheint mir wenig plausibel zu sein. Ich glaube nicht, dass wir wissen, in welchem Maße die sinnliche Wahrnehmung manipuliert werden kann, und wieso dies manchen Menschen in manchen Aspekten ihrer Wahrnehmung so leicht fällt. Die These der Strukturlosigkeit impliziert, dass die Höhe der Wachheit einer Person nicht abhängt von der Summe ihrer wahren Überzeugungen. Personen einer Stammeskultur mit einem animistischen Weltbild müssen nicht weniger wach sein, als eine wissenschaftlich gebildete Person. Wenn eine Frau den Wahn entwickelt, dass ihr Mann sie betrügt, ändert es nichts an ihrem wahnhaften Erleben, wenn ihr Mann sie tatsächlich betrügt. Man könnte theoretisch alle Fakten über die Welt kennen und sich trotzdem in einem sehr nichtwachen Zustand befinden. Auch wenn es vermutlich einen empirischen Zusammenhang gibt zwischen dem Verhältnis von wahren zu falschen Überzeugungen einer Person und der Höhe ihrer Wachheit, handelt es sich dabei um einen empirischen, und nicht um einen konzeptionellen Zusammenhang. Denn eine wache Person mit einer funktionalen Metakognition wird sich eher von Irrtümern befreien als jemand, der eher Mindless lebt.
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Wenn die Höhe der Wachheit letztlich von der konzeptionellen Struktur des Bewusstseins unabhängig ist, bedeutet dies vermutlich, dass ein ontologischer Irrtum nicht hinreichend ist für Nichtwachheit. Auch Immersionen alleine sind wohl nicht hinreichend. Vermutlich macht es erst dann Sinn, von Nichtwachheit zu sprechen, wenn ein falsches ontologisches Urteil mit einer Immersion zusammentrifft. Diesen Zusammenhang genauer zu klären würde wohl erfordern, das Modell von Nichtwachheit zu verfeinern. Eine weitere offene Frage ist, ob die konzeptionelle Unabhängigkeit der Wachheit auch für Selbstkonzepte gilt. Führt eine falsche Selbstkonzeptionalisierung zu Nichtwachheit, oder gilt dies erst dann, wenn man von ihr absorbiert ist? Auch wenn man tatsächlich misshandelt oder missbraucht worden ist, kann man sich in übertriebenem Maße darauf reduzieren und sich einseitig über diese Erfahrung definieren. Jeder Mensch ist immer mehr, als er von sich selbst denkt. In der Therapie gilt es als Erfolg, wenn man sich nicht länger als Opfer sieht, sondern als jemand, die oder der etwas Schwieriges überstanden hat. Auch klingt es plausibel, dass ein falsches Selbstkonzept, welches mit einer gewissen ironischen Distanz für wahr gehalten wird, weniger mit Nichtwachheit einhergehen könnte, als wenn ein tatsächlich existierender Aspekt der Person auf unrealistische Weise verabsolutiert wird. Man kann sich bspw. auf eine soziale Rolle oder seinen Beruf reduzieren und diese Aspekte der eigenen Existenz entkontextualisieren vom Rest des Lebens. Auf der anderen Seite könnte man sich als eine reife Person sehen, ohne dass man deswegen seine weniger reifen Aspekte ausblendet. Dies würde noch einmal unterstreichen, dass eine formale Herangehensweise wichtiger ist als der Inhalt von Überzeugungen, um Nichtwachheit zu verstehen (3.3.5). Es wird vielleicht nicht schaden, wenn ich den zentralen Gedanken zusammenfasse: Ausgangspunkt des Arguments ist, dass Phänomenalität und Intentionalität und die dabei gegenwärtige Subjekt- und Objektseite der Wahrnehmung die Struktur des Bewusstseins bilden. Wachheit scheint diese Struktur zu transzendieren, da sie die Festlegung der Aufmerksamkeit auf abstrakte Konzepte auflöst und sie unabhängig ist von der Phänomenalität. Was Chalmers als die Isomorphie des Bewusstseins beschreibt gilt vor allem für das nichtwache Erleben. In diesem Fall besteht tatsächlich eine enge und rigide Kopplung von Aufmerksamkeit und wahrgenommenem Objekt, welche als Mindless beschrieben werden kann und mit einer bloß formalen Metakognition verbunden ist. Die These ist, dass Wachheit nicht auf diese Struktur reduziert werden kann, da sie unabhängig ist vom phänomenalen Bewusstsein und Intentionalität auch ohne Wachheit existiert. Sie löst die Rigidität des Erlebens auf und ermöglicht einen freieren Umgang mit Konzepten. Man kann an dieser Stelle einwenden: Da Wachheit eine Eigenschaft des metakognitiven Bewusstseins ist, ist sie doch Teil der Struktur des Bewusstseins.
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Intentionalität kann zwar ohne Wachheit existieren, aber Wachheit könne nicht ohne Metakognition vorhanden sein. Wir haben jedoch gesehen, dass Wachheit die bloß formale in eine funktionale Metakognition verwandelt. Es ist schwer einzusehen, wie dies möglich sein soll, wenn Wachheit völlig in der Struktur des Bewusstseins aufgehen würde. Die Reduktion von Wachheit auf bewusstseinsinterne Intentionalität macht es schwierig, diesen Schritt zu denken. Der Gedanke ist also, dass die formale Metakognition konzeptionell strukturiert ist, während die Eigenschaften einer funktionalen Metakognition daher kommen, dass sie mehr oder weniger von strukturloser Wachheit geprägt ist. Mir scheint ansonsten kaum denkbar, wie Rationalität und Kreativität möglich sein sollen. Strukturlosigkeit, bzw. Akonzeptionalität, ist somit die Bedingung der Möglichkeit für die Unabhängigkeit der Wachheit von Phänomenalität und ihrer transzendierenden Wirkung gegenüber abstrakten Konzepten.
4.2.2 Die Partizipationsthese Man kann die Frage, wie Wachheit eine Eigenschaft der Metakognition sein kann, obwohl die Empirie darauf verweist, dass sie als strukturlos gedacht werden sollte, auch von der Seite der Nichtwachheit angehen. Von hier aus stellt sich die Frage folgendermaßen: Wie ist es möglich, wenn Wachheit nicht intentional und nicht phänomenal ist, dass eine bestimmte konzeptionell strukturierte Wahrnehmung zur Reduktion von Wachheit führt? Da Nichtwachheit konzeptionell strukturiert ist und Wachheit unstrukturiert ist, scheint eine Reduktion von Wachheit durch Konzepte nicht möglich zu sein. Auf den ersten Blick widersprechen sich die These der Strukturlosigkeit und die Privationstheorie. Dasselbe Problem besteht von einer weiteren Perspektive aus: Wenn jede Erfahrung auf einem ontologischen Urteil basiert, dann muss dies auch für die wache Erfahrung gelten. Bedeutet dies nicht, dass die Existenz von Wachheit von einem Konzept abhängt? Alle diese Problemkreise führen zu der Frage, wie Wachheit überhaupt eine Eigenschaft des Bewusstseins sein kann, wenn sie als strukturlos gedacht wird. Ich glaube, dass diese Frage entscheidend ist. Um eine Antwort auf sie zu finden sollte von der Beobachtung ausgegangen werden, dass es sich bei der Wachheit um das Wirklichkeitsprinzip des Bewusstseins handelt. Denn Wachheit, so wurde gezeigt, ist notwendig auf Wirklichkeit bezogen, während Bewusstsein dies nur kontingenterweise ist (4.1.2: nicht-wirkliche Dinge können erlebt werden). Weshalb das Bewusstsein nicht auf Wirklichkeit bezogen sein muss, wird durch die empirischen Phänomene und ihre Erklärung relativ ver-
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ständlich (Teil 3: Konzepte ermöglichen Irrtümer). Unklar ist bisher geblieben, wieso der Wirklichkeitsbezug von Wachheit notwendig ist. Man könnte argumentieren, dass Wachheit auf einem wahren ontologischen Urteil, und Nichtwachheit auf einem ontologischen Fehlurteil basiert (3.3.4.5). Das Problem an diesem Gedanken ist, dass Wachheit, wenn sie auf einem wahren ontologischen Urteil basiert, auf einem Konzept gründen würde. Wenn die Existenz von Wachheit jedoch von einem Konzept abhängig ist, widerspricht dies der These der Strukturlosigkeit. Eine andere Möglichkeit wäre zu sagen, dass ein Erwachen durch den Abbau von Dissoziationen die Person mit Gedächtnisinhalten verbindet, so dass von hier aus ein größerer Wirklichkeitsbezug entsteht. Das Problem an dieser Idee ist, dass das Gedächtnis phänomenal und intentional ist. Auch wenn also empirisch das Gedächtnis eine Rolle spielen kann bei der Überprüfung des Erlebens auf seinen Wirklichkeitscharakter, gehört diese Prüfung in den Bereich der Metakognition, und nicht zur Wachheit. Man könnte versuchen, den Wirklichkeitsbezug der Wachheit durch einen epistemischen Ansatz zu deuten. Man könnte sagen, dass sie eine Eigenschaft einer richtigen Verarbeitung von Informationen ist. Eine epistemische Deutung würde Wachheit also reduzieren auf eine Beziehung zwischen Konzepten (3.3.3). Ein Hinweis auf diese Möglichkeit ist, dass Menschen entscheiden, nicht mehr wach gewesen zu sein, wenn sie feststellen, dass ihre Denkprozesse inkohärent und unlogisch geworden sind (4.1.3). Die epistemische (bzw. funktionalistische) Deutung stößt jedoch auf Probleme. Sie kann nicht erklären, wieso ein Erwachen zu mehr Möglichkeiten führt, und wieso Wachheit das Prinzip des Selbstbewusstseins ist. Auch erklärt sie nicht ihren Metaaspekt. Auch hier ist also unklar, wie eine Erklärung des Wirklichkeitsbezugs von Wachheit durch eine epistemische Erklärung ihrer Strukturlosigkeit gerecht werden könnte. Die zweite Möglichkeit zur Erklärung des Wirklichkeitsbezugs von Wachheit ist nach dem epistemischen ein ontologischer Ansatz. Die These hier ist, dass Wachheit notwendig auf Wirklichkeit bezogen ist, da sie wirklicher ist als Erfahrungen. Dies macht insofern Sinn, da Phänomenalität und Intentionalität ja erklären, wieso das Bewusstsein nicht auf Wirklichkeit bezogen sein muss. Es sind gerade falsche Urteile und irrige Vorstellungen, welche Illusionen und Träume ermöglichen. Wenn etwas unabhängig von Urteilen, Objekten und Vorstellungen ist, besteht hier nicht die Möglichkeit des Irrtums. Die These ist also, dass Wachheit das Wirklichkeitsprinzip des Bewusstseins ist, da sie wirklicher als das Bewusstsein ist. W 14: Wachheit ist ontologisch grundlegender als phänomenales und intentionales Erleben.
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Die Frage, was es genau heißt, dass Wachheit als ontologisch grundlegender als das Erleben gedacht werden sollte, kann hier nicht in der Ausführlichkeit diskutiert werden, die sie sicherlich verdient. Eine gewisse Präzisierung wird die These im nächsten Kapitel erhalten, wo sie mit dem Selbstbewusstsein verbunden wird. Wichtig ist an dieser Stelle zunächst nur, dass Wachheit im Verhältnis zum Bewusstsein als wirklicher gedacht werden kann, um zu beantworten, wieso Wachheit notwendig, und Bewusstsein nur kontingenterweise auf Wirklichkeit bezogen ist. Der methodische Ansatz der im vierten Teil versuchten philosophischen Deutung der empirischen Ergebnisse der Arbeit besteht darin, das Verhältnis von Wachheit und Bewusstsein zu untersuchen. Die Frage ist also, was die These der Strukturlosigkeit für das Verhältnis der Wachheit zum Bewusstsein bedeutet: Wie kann das Verhältnis von strukturloser Wachheit und strukturiertem Bewusstsein gedacht werden? Eine Antwort auf diese Frage muss gleichzeitig erklären können, wie es möglich ist, dass es durch eine spezifisch strukturierte Wahrnehmung zu Nichtwachheit kommen kann. An dieser Stelle scheint es mir entscheidend, die Kontinuitätsthese in die Argumentation mit einzubeziehen (3.3.4.1). Diese besagt, dass das Erleben mehr oder weniger wach ist. Wir haben also die Situation, dass Bewusstsein konzeptionell strukturiert ist und mehr oder weniger wach ist, ohne dass Wachheit auf diese Struktur reduziert werden kann. Wachheit kann das Erleben prägen, ohne selbst ein integraler Bestandteil des Erlebens zu sein. Mein Vorschlag ist, dass Verhältnis von Wachheit und Bewusstsein über eine Teilhabetheorie zu erklären. W 15: Bewusstsein partizipiert an Wachheit. Für das Verhältnis von Bewusstsein und Wachheit bedeutet die Teilhabethese, dass durch eine konzeptionell strukturierte Kognition nicht Wachheit an sich reduziert wird, sondern nur die Teilhabe des Erlebens an dieser. Denn es macht keinen Sinn zu argumentieren, dass eine spezifisch strukturierte Wahrnehmung in der Lage sein soll, etwas Unstrukturiertes zu beeinflussen. Nichtwachheit, so der Gedanke, ist eine epistemische Eigenschaft des Bewusstseins, welche nicht Wachheit an sich reduziert, sondern eine mangelnde Teilhabe des Bewusstseins an dieser darstellt. Der Vorteil der Teilhabethese ist, dass durch sie beantwortet werden kann, weshalb Wachheit von der Gegenwart von Metakognition und einem wahren ontologischen Urteil abhängig zu sein scheint. Diese Konzepte ermöglichen, dass Wachheit im Erleben instantiiert wird. Dies würde bedeuten, dass nicht Wachheit an sich von Konzepten abhängig ist, dass aber die Stärke ihrer Manifestation innerhalb des Erlebens von einer spezifischen konzeptionellen
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Konfiguration als ihrer Ermöglichung beeinflusst wird. Damit wäre erklärt, wieso Wachheit nur in einem begrenzten Maße möglich ist, wenn das Erleben durch das Modell von Nichtwachheit beschrieben werden sollte. Mir scheint die Partizipationsthese auf relativ elegante Weise die Kontinuitätstheorie, die Privationstheorie, die Strukturlosigkeit, die Rolle der Metakognition und den Gedanken des ontologischen Vorrangs der Wachheit gegenüber dem Erleben auf kohärente Weise miteinander verbinden zu können. In dem Wissen, dass die Erklärung des Verhältnisses von Wachheit und Erleben über eine Partizipationsthese als ungewöhnlich und zu spekulativ empfunden werden kann, möchte ich darauf verweisen, dass diese Deutung eng aus dem Kontext der Arbeit erwächst und im wesentlichen empirisch begründet ist. Mein Vorschlag basiert also auf dem Gedanken, dass durch ihn nachvollziehbar wird, wieso: a) Wachheit grundlegender als Bewusstsein gedacht werden sollte, wieso b) Nichtwachheit zu einer Verringerung von Wachheit führen kann, wieso c) Wachheit Konzepte transzendiert, und wieso d) Wachheit eine unbewusste Eigenschaft sein kann. Denn es ist wohl eine der erstaunlichsten Beobachtungen, die in dieser Arbeit vorgestellt wurden, dass, wie sich bei der Schlafwahrnehmung zeigt, Wachheit nicht bewusst sein muss (1.3). Wachheit kann gegenwärtig sein, ohne das Erleben zu beeinflussen. Die Teilhabethese ist an dieser Stelle hilfreich, da aus ihrer Perspektive verständlich ist, dass Wachheit gegenwärtig sein kann, ohne dass das Erleben an ihr partizipiert. Genau um diesen Zusammenhang verständlich zu machen sind die Möglichkeit der Dissoziation und die Kontinuitätstheorie wichtig. Ich meine, dass es ein entscheidender Test für jede Theorie der Wachheit ist, ob sie das Phänomen der unbewussten Wachheit erklären kann. Vielleicht ist es so, dass ungewöhnliche empirische Phänomene mit einer ungewohnten Deutung einhergehen müssen78.
4.2.3 Strukturlosigkeit und intransitives Bewusstsein Bevor ich nun versuche, den Zusammenhang von ontologischem Vorrang der Wachheit gegenüber dem Bewusstsein zu präzisieren, ist es vielleicht hilfreich, die Diskussion um einen methodischen Hinweis zu bereichern. Was das Verständnis der Teilhaberelation von Wachheit und Bewusstsein angeht, ist zu beachten, dass die These der Strukturlosigkeit in methodischer Hinsicht einen 78 Deshalb, so Thomas S. Kuhn, werden sie von den Vertretern der derzeit herrschenden Orthodoxie ignoriert.
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grundlegenden Unterschied zwischen einer Theorie der Wachheit und einer Theorie der Nichtwachheit impliziert. Nichtwachheit ist konzeptionell strukturiert und basiert auf einem falschen ontologischen Urteil. Ich habe versucht die verschiedenen nichtwachen Phänomene durch das Modell von Nichtwachheit zu beschreiben. Wenn es richtig ist, dass Wachheit die Strukturen des Bewusstseins transzendiert, kann es ein solches Modell der Wachheit nicht geben. Explizit gedacht werden kann nur mit Begriffen bzw. Konzepten. Damit stößt die Erklärung des Zusammenhangs von Bewusstsein und Wachheit an eine Grenze der Erkenntnis. Die Forderung nach einer klaren Konzeptionalisierung der Teilhaberelation des Bewusstseins an der Wachheit kann nicht funktionieren. Wir sprechen über das Konzept Wachheit, als würde es sich konzeptionalisieren und damit klar definieren lassen. Dies scheint mir jedoch nicht möglich zu sein, eben weil es als strukturlos gedacht werden sollte. Es handelt sich danach bei der Wachheit um ein offenes Konzept, so dass Wachheit nicht klar gedacht werden kann. Andere Personen mögen fähig sein, sich klarer auszudrücken, als es mir möglich ist, doch ich bezweifel, ob es möglich ist zu sagen, was Wachheit an sich ist. Da alle Erläuterungen konzeptionell strukturiert sind, müssen sie das verfehlen, was akonzeptionell gedacht werden kann. Teilhabe und Strukturlosigkeit können, falls die hier vorgeschlagene Theorie richtig sein sollte, niemals völlig erfasst werden. So, wie die Konzepte der klassischen Physik versagen, wenn es um die Beschreibung der ganz großen und der ganz kleinen Strukturen der Welt geht, versagen die Konzepte der Erfahrung, wenn sie das beschreiben sollen, was Erfahrung transzendiert. Man kann sich mit Hilfe der Sprache nur bis zu einer Grenze dem Wirklichen nähern. Dies gilt nicht nur für die Welt im großen und im kleinen, sondern auch für das Subjekt. Die akonzeptionelle Wirklichkeit ist die Grenze der konzeptionell strukturierten Sprache. Ich denke jedoch nicht, dass wir diese Grenze mit den bisherigen Ausführungen schon erreicht haben, und ich möchte nun eine weitergehende Präzisierung vorschlagen. Man kann wohl sagen, dass sie den Kern der hier vorgeschlagenen Theorie der Wachheit darstellt. Der Weg, um sich ihm zu nähern, soll über die Frage geschehen, wieso es sinnvoll sein soll zu argumentieren, dass Wachheit grundlegender ist als Bewusstsein, und gleichzeitig zu behaupten, dass Wachheit unbewusst und gleichzeitig ohne Bewusstsein nicht sein kann. Um zu erklären, weshalb Bewusstsein ohne Wachheit, aber Wachheit nicht ohne Bewusstsein sein kann, und trotzdem Wachheit als grundlegender gedacht werden sollte, scheint es mir entscheidend, von der Wachheit als dem Prinzip des Selbstbewusstseins auszugehen (4.1.2). Ein Erwachen, so wurde gezeigt, führt zu einem realistischeren Selbstverständnis. Falsche und inkohärente Selbstkonzepte verschwinden mit den damit verbundenen dissoziierten Aspekten des Erlebens bei zunehmender Wachheit. Ebenso wurde gezeigt, dass eine zu große Absorption in Selbstkonzepte die Achtsamkeit und damit auch die Selbstach-
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tung reduziert: »[W]hen individuals are high in mindfulness, they are more likely to possess high self-esteem that is secure rather than fragile« (Heppner/ Kernis 2004: 249). Auch wissen wir, dass Achtsamkeit positiv mit Authentizität korreliert (Kernis/Goldman 2006: 310ff.). Man kann also mehr auf sich achten, wenn die Aufmerksamkeit nicht von Selbstkonzepten absorbiert ist79. Der Gedanke, dass Selbstkonzepte nicht die Quelle des Selbstbewusstseins im Sinne von Selbstachtung sind, sondern das Denken über sich selbst repräsentieren, kann mit der Unterscheidung zwischen dem transitiven State Consciousness und dem intransitiven Creature Consciousness verbunden werden (Rosenthal80 1993). Der Begriff des intransitiven Bewusstseins bezieht sich auf den Umstand, dass Wesen auf grundlegende Weise bewusst sind, während transitives Bewusstsein besagt, dass Wesen sich etwas bewusst sind und etwas erleben. Das intransitive Creature Consciousness ist also das grundlegende Selbstbewusstsein eines Wesens, während das transitive Bewusstsein das phänomenale und intentionale Bewusstsein bezeichnet. Wie alle Konzepte gehören Selbstkonzepte zum transitiven Bewusstsein. Sicherlich kann man den Unterschied zwischen transitivem und intransitivem Bewusstsein unterschiedlich denken. Man kann bestreiten, dass intransitives Bewusstsein ohne transitives Bewusstsein möglich ist. Ich gehe im folgenden auf der Basis der bisher entwickelten Überlegungen zum Selbstbewusstsein davon aus, dass das intransitive Bewusstsein nicht konzeptionell ist. Denn man kann sich darüber irren, wer man ist, aber man kann sich nicht darüber irren, dass man ist. Die These ist, dass das intransitive Bewusstsein innerhalb des Erlebens gleichsam präsenter wird, wenn man wacher wird. Wenn man nach einem Erwachen das Gefühl hat, »mehr da« zu sein, heißt dies damit, dass die Aufmerksamkeit weniger im transitiven Bewusstsein ›aufgeht‹. Die Vermutung ist, dass Wachheit die Verbindung zum intransitiven Bewusstsein stärkt, indem sie die Aufmerksamkeit von Selbstkonzepten des transitiven Bewusstseins befreit. Ich bin mir nicht sicher, welche Terminologie am besten geeignet ist, um diesen Umstand zu beschreiben. Der zentrale Gedanke sollte jedoch ausreichend klar sein: Wachheit und Selbstbewusstsein sind eng miteinander verbunden, viel-
79 Niedrige Selbstachtung ist nicht nur eine Vulnerabilität für die Entwicklung von Depressionen und Psychosen. Sie ist auch eine Voraussetzung dafür ist, dass Personen in übertriebenem Maße ihre Wahrnehmung von sozialen Kategorien im Sinne der fiktiven oder realen Zugehörigkeit zu einer Gruppe dominieren lassen: je weniger Selbstachtung und je unsicherer ein Mensch, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihm die durch eine Gruppe vermittelten Kategorien auf eine rigide Weise identitätsstiftend wirken (Hogg 2001). 80 Zum ersten mal wohl verwendet von Armstrong/Norman (1984) »Consciousness and Causality : a debate on the nature of mind« Oxford: Blackwell.
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leicht sogar identisch. Mein Vorschlag ist, dass es sich bei Wachheit um eine Eigenschaft des Selbstbewusstseins handelt, oder anders formuliert: W 16: Wachheit ist eine intrinsische Eigenschaft des intransitiven Bewusstseins. Intrinsisch heißt, dass Wachheit an sich von keiner Relation abhängt. Das grundlegende Selbstbewusstsein des Menschen, so der Gedanke, ist notwendig wach. Der Grund, wieso Wachheit das Wirklichkeitsprinzip des Bewusstseins ist, ist, dass Selbstbewusstsein wirklicher als das Erleben ist. Denn das intransitive Bewusstsein ist notwendig wirklich, während dies beim transitiven Bewusstsein nur kontingerweiser der Fall ist. Auch wenn das Erleben einer Person völlig unwirklich ist, muss das Bewusstsein der eigenen Existenz als letzte Manifestation des Wirklichkeitsprinzips des Bewusstseins wahr sein, wie Descartes in den »Meditationen« vor langem gezeigt hat. Auch wenn eine Person sehr nichtwach erlebt und völlig von einer wahnhaften Selbstkonzeptionalisierung geprägt ist, täuscht sie sich nicht darüber, dass sie existiert (vgl. Janzen 2005, 2008). Als vorsprachliches Phänomen, welches vor allen Urteilen besteht, ist das grundlegende Selbstbewusstsein gegenüber Irrtümern immun. Dass Wachheit ontologisch grundlegender ist als das Erleben kommt damit daher, dass sie als Eigenschaft des intransitiven Bewusstseins81 grundlegender ist als das transitive Bewusstsein. W 17: Intransitives Bewusstsein ist wirklicher als transitives Bewusstsein. Die Propositionen W 14 bis W 17, d. h. die These, dass Wachheit eine intrinsische Eigenschaft des intransitiven Bewusstseins und als solches wirklicher als das transitive Bewusstsein ist, und letzteres mehr oder weniger an dieser Wachheit partizipiert, ist der Kern der hier vorgeschlagenen Theorie der Wachheit. Um sie zu testen sollte gefragt werden, ob sie in der Lage ist, die bisher aufgeworfenen Fragen zu beantworten. Die erste entscheidende Frage ist, wieso Wachheit als Eigenschaft des Bewusstseins von diesem abhängig zu sein scheint, und sie gleichzeitig als ontologisch grundlegender gedacht werden sollte. Die hier vorgeschlagene Lösung 81 Da Wachheit eng mit dem intransitiven Bewusstsein verbunden ist und ohne dieses nicht sein kann, gelten die gegen die Reduktion des Bewusstseins entwickelten Argumente auch für die Wachheit: Erstens kennt das Gehirn keine Subjektivität (Nagel 1974), zweitens lässt sich Semantik nicht auf Syntax reduzieren, das heißt Bedeutung ist nicht identisch mit formalen Strukturen (Searle 1980, 1997), drittens ist die naturwissenschaftliche Beschreibung der Wirklichkeit nicht vollständig (Jackson 1986), viertens könnte das Gehirn ja auch ohne Bewusstsein existieren (Chalmers 1996), und fünftens können physikalische Tatsachen die Eigenschaften der Phänomenalität nicht erklären (Levine 1983).
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besagt, dass Wachheit unabhängig vom transitiven Bewusstsein ist. Sie kann jedoch nicht ohne Bewusstsein sein, da sie eine Eigenschaft des intransitiven Bewusstseins ist. Damit kann eine zweite Frage noch klarer als bisher beantwortet werden: Wie kann es sein, dass die konzeptionell strukturierte Nichtwachheit die Wachheit einer Person reduzieren kann, obwohl diese als strukturlos gedacht werden sollte? Als Eigenschaft des Erlebens scheint Wachheit konzeptionell strukturiert sein zu müssen. Dies ist jedoch nicht der Fall, da das transitive Bewusstsein nur durch Teilhabe Anteil hat an der Wachheit des intransitiven Bewusstseins. Für das Verhältnis von Wachheit und Bewusstsein bedeutet dies: Nicht weil Wachheit eine Eigenschaft des Erlebens ist, kann sie nicht ohne Bewusstsein existieren, sondern weil sie eine Eigenschaft des intransitiven Bewusstseins ist. Das intransitive Bewusstsein, so die These, ist wach, aber weder intentional noch phänomenal. Die Proposition W 15, dass Bewusstsein an Wachheit partizipiert, ohne dass letztere zum Bestandteil des Erlebens wird, ist nun verständlicher. Da das intransitive Bewusstsein unabhängig ist vom transitiven Bewusstsein, und Wachheit daher ontologisch grundlegender ist als das Erleben, kann dieses auf Wachheit bezogen sein oder auch nicht. Die Teilhabe des Erlebens an Wachheit funktioniert dabei über die Metakognition (4.1.4). Je stärker das transitive Bewusstsein an der Wachheit des intransitiven Bewusstseins partizipiert, desto mehr ist es auf Wirklichkeit bezogen. Die These, dass Wachheit eine Eigenschaft des intransitiven Bewusstseins ist, macht auch verständlich, wieso sie das Prinzip der Einheit des Bewusstseins ist. Transitives Bewusstsein kann wegen seiner konzeptionellen Struktur dissoziiert sein. Beim intransitiven Bewusstsein existiert diese Möglichkeit nicht. Als intrinsische Eigenschaft des intransitiven Bewusstseins verbindet Wachheit das transitive Bewusstsein mit dem intransitiven Bewusstsein und muss daher zu einer größeren Integration der verschiedenen Möglichkeiten des Erlebens führen. Wenn Wachheit eine intrinsische Eigenschaft des intransitiven Bewusstseins ist, ist es nicht überraschend, dass ein Erwachen mit einer Erweiterung des Bewusstseins einhergeht (4.1.4). Das Selbstbewusstsein transzendiert als Bedingung der Möglichkeit des Erlebens die Struktur des transitiven Bewusstseins. Es macht daher Sinn, dass die Erweiterung des Bewusstseins vor allem auf der Ebene des Selbstbewusstseins und der Metakognition geschieht (3.3.5.3, 3.3.6, 3.3.7, 4.1.3, 4.1.4). Ich sehe keine Möglichkeit, wie diese Beobachtungen ohne die Privationstheorie der Nichtwachheit, und ohne die These der Wachheit des Selbstbewusstseins erklärt werden können. Die Teilhabetheorie der Wachheit, d. h. die Abhängigkeit des wachen Erlebens von der Wachheit des intransitiven Bewusstseins, kann erklären, wieso sich die
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Wachheit des Erlebens reduzieren kann. Eine Privation von Wachheit ist möglich, da das Erleben nicht an dieser partizipieren muss. W 18: Ein Privation von Wachheit ist möglich, da Nichtwachheit eine epistemische Eigenschaft des transitiven, und Wachheit eine ontologische Eigenschaft des intransitiven Bewusstseins ist. Die Vermutung ist also, dass der epistemische Vorrang der Wachheit gegenüber der Nichtwachheit, wie ihn die Privationstheorie beschreibt, auf ihrem ontologischen Vorrang basiert. Wachheit kann damit Konzepte transzendieren (4.2.1), weil sie wirklicher ist als diese. Die ontologische Deutung erklärt somit, wieso Wachheit einen Metaaspekt gegenüber dem Bewusstsein hat, und wieso das metakognitive Bewusstsein erst durch Wachheit zu einem mehr als bloß formalen Meta in der Lage ist: Das epistemische Meta des Bewusstseins ist abhängig vom ontologischen Meta der Wachheit. Wenn man die hier entwickelte Theorie der Wachheit aus Perspektive der Aufmerksamkeit beschreibt, ergibt sich folgendes Bild: Aufmerksamkeit ist der Aspekt des Bewusstseins, der auf etwas gelenkt werden kann, das heißt es handelt sich um die Subjektseite des Bewusstseins (die andere Seite besteht aus Konzepten). Bei der nichtwachen Wahrnehmung ist die Aufmerksamkeit absorbiert von Konzepten, worunter der Selbstbezug leidet, bzw. die (epistemische) Verbindung von transitivem und intransitivem Bewusstsein schwächer wird. Wenn die Struktur der Wahrnehmung sehr rigide und absorbiert ist, so dass keine wirkliche metakognitive Aufmerksamkeit mehr möglich ist, ist die Aufmerksamkeit gleichsam ›zu strukturiert‹. Daraus ergibt sich die These, dass die wache Aufmerksamkeit des intransitiven Bewusstseins nicht strukturiert ist. Das Bewusstsein der Wachheit könnte somit reine Aufmerksamkeit ohne ein Objekt des Gewahrseins sein. Abschließend möchte ich als Zusammenfassung nun kurz die zu Beginn der philosophischen Analyse gestellten Fragen auf eine Weise beantworten, die über die Antworten der Privationstheorie hinausgehen. Wie genau ist Wachheit grundlegender als Nichtwachheit? Dass Wachheit epistemisch grundlegender ist als Nichtwachheit kommt daher, dass sie ontologisch grundlegender ist als das transitive Bewusstsein. Nichtwachheit ist eine epistemische Eigenschaft des transitiven, Wachheit eine ontologische Eigenschaft des intransitiven Bewusstseins. Wie kann Wachheit das Prinzip des Wirklichkeitsbezugs des Bewusstseins sein? Wachheit ist wirklicher als transitives Bewusstsein. Dieses hat Anteil an der Wachheit des intransitiven Bewusstseins.
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Weshalb kann Wachheit das Prinzip des Selbstbewusstseins sein? Wachheit ist eine intrinsische Eigenschaft des intransitiven Bewusstseins. Weshalb führt Wachheit zu mehr Möglichkeiten und mehr Rationalität? Wachheit hat eine transzendierende Wirkung gegenüber den Konzepten des transitiven Bewusstseins, weil sie ontologisch grundlegender ist. Wieso ist Wachheit das Prinzip der Einheit des Bewusstseins? Während das transitive Bewusstsein dissoziiert sein kann, muss das intransitive Bewusstseins notwendigerweise eines sein. Da Wachheit eine intrinsische Eigenschaft des intransitiven Bewusstseins ist, handelt es sich bei der Wachheit um das Prinzip der Einheit des Bewusstseins. Was hat es zu bedeuten, dass Wachheit nicht ohne Bewusstsein, aber Bewusstsein ohne Wachheit sein kann? Wachheit ist immer bewusst, weil sie eine Eigenschaft des intransitiven Bewusstseins ist. Das transitive Bewusstsein kann nichtwach sein, da es nur in einem sehr geringen Maß an der Wachheit partizipieren muss. Dieser Rest ist das Wissen um unsere Existenz.
4.2.4 Unbewusste Wachheit? Die zunächst sicherlich schwer anzunehmende These von der Existenz unbewusster Wachheit, die, daran sei erinnert, nicht rein spekulativ zustande kommt, sondern im wesentlichen auf verschiedenen empirischen Phänomenen basiert, soll abschließend noch einmal mit einem Bezug auf die Fakten erhärtet werden. Der Bereich dessen, was man sich nicht bewusst sein kann, hat sich in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich erweitert. Die Blindsight wurde schon angesprochen und ich möchte nicht weiter auf sie eingehen, da die meisten Leser sie gut kennen werden (vgl. 3.3.5.1). Weniger bekannt ist vielleicht, dass auch Gefühle unbewusst sein können (Winkielman/Berridge 2004). Und die Forschung zum Mind Wandering zeigt, dass einem das eigene Erleben unbewusst sein kann. Auch wenn der Begriff zunächst selbstwidersprüchlich wirken mag, scheint es mir richtig zu sein, Mind Wandering als unbewusstes Bewusstsein zu bezeichnen. Neben den weiter oben thematisierten Phänomenen der Schlafstörung und der dabei beobachteten Unbewusstheit der Wachheit gibt es zwei weitere Beispiele, welche in diesem Kontext interessant sind. Ich möchte diese ein wenig ausführlicher darstellen, da sie weitgehend unbekannt sind. Es handelt sich dabei um die Isolated Forearme Technique und den bereits weiter oben bei der Hypnose eingeführten Hidden Observer (3.2.5).
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Die Isolated Forearme Technique ist eine vor allem in Großbritannien untersuchte Technik der Anästhesie (Pandit 2015). Wenn Menschen für eine Operation anästhesiert werden, erhalten sie zwei Stoffe. Der eine paralysiert den Körper, so dass während der Operation keine Bewegungen möglich sind. Der andere Stoff sorgt für Bewusstlosigkeit, so dass ein schmerzfreier Eingriff möglich ist. Dass führt zu der verhängnisvollen Möglichkeit, dass eine Person paralysiert sein kann, ohne ihr Bewusstsein verloren zu haben. Sie muss dann die Schmerzen der Operation ertragen, ohne dass sie dies mitteilen kann. Um eine solche Situation zu verhindern wurde die Isolated Forearme Technique entwickelt. Bei dieser erhält die Person erst den Stoff zu Blockierung einer bewussten Erfahrung. Dann wird die Blutversorgung eines Unterarms abgeschnürt und erst danach der paralysierende Stoff verabreicht. Wenn eine Person nicht das Bewusstsein verloren hat, kann sie durch Bewegungen ihres Unterarms auf ihren Zustand hinweisen. Bei Versuchen zeigte sich überraschenderweise, dass ca. ein Drittel aller Patienten mit Armbewegungen reagiert, wenn sie direkt angesprochen werden. Es kam jedoch nicht vor, dass Personen spontan durch Armbewegungen signalisierten, dass sie nicht völlig bewusstlos sind. Ein Teil derjenigen, die reagierten, ist sich dessen hinterher bewusst, doch der größere Teil kann sich nach der Operation nicht daran erinnern82. Die Isolated Forearme Technique zeigt, dass Bewusstsein vorhanden sein kann, obwohl eine Person einen intensiven Schmerz nicht erfährt. Man kann sich bewusst sein, dass man angesprochen wird, ohne sich bewusst zu sein, dass man gerade operiert wird. Man kann vermuten, dass bei einem Drittel aller Patienten bei einer Vollnarkose sich ein Gewahrsein nachweisen lässt, und das, obwohl sich nur die allerwenigsten Personen nach einer Vollnarkose bewusst sind, dass sie nicht bewusstlos gewesen sind. In gewisser Weise repliziert also die Isolated Forearme Technique die scheinbare Bewusstlosigkeit des NREM-Schlafs, die wir jede Nacht erleben, oder eben nicht erleben. Was es heißt, bewusst zu sein, scheint weniger klar zu sein, als wir gemeinhin anzunehmen geneigt sind. Noch interessanter als die Isolated Forearme Technique ist der aus der Hypnoseforschung bekannte Hidden Observer, den ich hier noch einmal kurz darstellen möchte (3.2.5). Das Phänomen des Hidden Observer, das nur bei ungefähr der Hälfte derjenigen entwickelt werden kann, die sehr tief hypnotisierbar sind, bedeutet, dass eine Person bewusst keine Schmerzen empfindet, wenn sie bspw. ihren Arm in sehr kaltes Wasser hält. Der Hypnotiseur befragt die Person, wie hoch ihr Schmerzempfinden auf einer Skala von eins bis zehn ist, und sie sagt 82 Während die Isolated Forearm Technique relativ wenig erforscht ist, gibt es recht viele Studien zu der Frage, ob es eine Wahrnehmung während der Anästhesie gibt (v. a. Merikle 1996). Diese Frage kann heute sicher bejaht werden.
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vielleicht vier. Nun erklärt der Hypnotiseur, dass es möglich ist, dass ein Teil von uns mehr weiß, als der Rest der Person, und dass dieser Teil der Person sich des realen Schmerzes bewusst ist. Er gibt der hypnotisierten Person die Möglichkeit, dass ihr Hidden Observer schriftlich kommuniziert. Nun bittet der Hypnotiseur diesen verborgenen Aspekt der Person aufzuschreiben, wie sie den Schmerz empfindet, und die Person schreibt bspw. acht auf. Die hypnotisierte Person erlebt bewusst einen Schmerz der Stärke vier und unbewusst einen Schmerz der Stärke acht. Sie erfährt etwas gleichzeitig auf zwei verschiedene Weisen, wobei die eine Erfahrung bewusst und die andere unbewusst ist. Dabei ist die bewusste Erfahrung illusorisch, während die unbewusste Erfahrung den Tatsachen entspricht. Der vielleicht interessanteste Aspekt beim Hidden Observer ist, dass die Unbewusstheit für die Wahrnehmung des Schmerzes nachträglich aufgelöst werden kann. Das bedeutet, dass die Person nachträglich wissen können kann, dass sie den Schmerz die ganze Zeit gefühlt hat, obwohl sie ihn zwischenzeitlich nicht bewusst empfunden hat. Obwohl also eine Person mit einem temporär dissoziierten Bewusstsein den Hidden Observer manifestieren kann und tatsächlich eine Analgesie erlebt, also eine starke Reduktion des Schmerzempfindens, ist es möglich diese Person dazu zu bringen, zu erkennen, dass diese Unbewusstheit nicht völlig real gewesen sein kann und sie den Schmerz eigentlich gespürt hat. Diese Erkenntnis kann relativ verstörend sein (Hildgard 1986). Das Phänomen des Hidden Observer demonstriert, dass hinter einer falschen Interpretation einer Situation ein Bewusstsein für die Wahrheit vorhanden sein kann. Eine hypnotisierte Person kann einen Schmerz nicht bewusst erfahren und sich seiner gleichzeitig doch bewusst sein. Die Aussage, dass Wachheit eine unbewusste Eigenschaft sein kann, bedeutet, dass ein Aspekt des Bewusstseins wach sein kann gegenüber dem phänomenalen Bewusstsein, ohne dass man sich dessen bewusst ist, dass man bewusst ist. Auch wenn sie nicht als Beweis gelten, lassen die Phänomene die Existenz unbewusster Wachheit zumindest plausibel erscheinen.
Schluss
Die von mir vorgeschlagene Theorie der Wachheit ist sicherlich noch nicht so ausgereift, dass sie in der Lage wäre, alle sich von ihr her ergebenden Fragen zu beantworten. Ein Aspekt, der nicht bewusst integriert wurde, ist die Feststellung, dass Wachheit besser ist als Nichtwachheit. Sicherlich kann die Privationstheorie der Nichtwachheit bis zu einem gewissen Grad die normative Bedeutung von Wachheit erklären. Von ihr her gedacht ist ein Erwachen schlicht das Ende eines defizitären Zustands. Für eine wirkliche Begründung des Wertes von Wachheit scheint mir dieses Argument nicht ausreichend zu sein. Eine primär empirisch orientierte Argumentation wird der Tatsache nicht gerecht, dass Wachheit nicht auf die Strukturen des Bewusstseins reduziert werden kann. Eine Begründung für die Gutheit von Wachheit sollte ihrer Akonzeptionalität gerecht werden und von dieser her bestimmt werden. Das transitive Bewusstsein, also das Erleben, so wurde argumentiert, partizipiert über die Metakognition an der Wachheit des intransitiven Bewusstseins, dem grundlegenden Selbstbewusstsein. Man kann daher die Frage formulieren, ob es für diese Partizipation eine Grenze gibt83. Platon hat dezidiert die These vertreten, dass dem Menschen ein Erwachen aus seinem Zustand heraus möglich ist. Im Höhlengleichnis beschreibt er die menschliche Situation als grundlegend von Nichtwachheit geprägt (Politeia Buch 7). Bekanntlich vergleicht er die menschliche Existenz mit Höhlenbewohnern, welche starr auf die Projektionen auf der Höhlenwand schauen und diese für die Wirklichkeit halten. Der realen Situation, in der sie sich befinden, sind sie sich nicht bewusst, denn die Interpretation ihres Erlebens basiert auf einem metakognitiven Fehler. Sie begehen ein ontologisches Fehlurteil und halten für wirklich, was tatsächlich nur eine Erscheinung ist. Da 83 Man könnte an dieser Stelle auf Traditionen der östlichen Philosophie verweisen, wie zum Beispiel auf diese schöne Stelle aus dem Dhammapada (Mahathera 1995: 14). »Wachheit der Pfad zum Todlosen, Schlaffheit der Pfad zum Tode ist. Die Wachen sterben nimmermehr, Die Schlaffen sind den Toten gleich«.
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Schluss
sie ihre Köpfe nicht drehen können ist ihre Aufmerksamkeit ständig auf die Höhlenwand gerichtet, so dass sie von diesem Geschehen absorbiert sind. Wie in einem Traum wird ihr Stream of Consciousness einseitig vom Erlebten bestimmt, ohne dass dies reflektiert wird. Es kommt zu einer Verabsolutierung des Erlebens, da sie nicht in der Lage sind, es zu kontextualisieren. Sie können ihre Aufmerksamkeit nicht selbst steuern und sind nicht frei. Die Höhlenbewohner verstehen nicht nur ihre Erfahrungen falsch, sie müssen auch sich selbst grundlegend falsch verstehen. Solange die Tatsache, dass es sich bei ihnen um Höhlenbewohner handelt, kein Bestandteil ihres Selbstkonzepts ist, haben sie eine der wichtigsten Tatsachen ihrer Existenz nicht erfasst. Die Wirklichkeitsorientierung der Höhlenbewohner ist also nicht nur auf der Objektseite gering, sie ist es auch auf der Subjektseite. Platon erklärt, dass es den Höhlenbewohnern möglich ist, aufzuwachen. Sie können ihre Aufmerksamkeit von den Schatten abwenden und die Wirklichkeit ihrer Situation erfassen. Mit dieser Behauptung geht Platon einen Schritt über diese Untersuchung hinaus. Schließlich kann man argumentieren, dass das Alltagsbewusstsein, ungetrübt von psychischen Störungen oder anderen Phänomenen wie einem Selbstbetrug, die normative Referenz für Wachheit darstellt. Die hier vorgeschlagene Theorie der Wachheit ist jedoch anschlussfähig für die platonische Metaphysik, da sie zeigt, dass die Wirklichkeitsorientierung von Wachheit nicht empirisch begründet werden kann (4.1.2). Zudem ist die Behauptung, dass es eine rein empirische Erfahrung gibt, höchst fragwürdig (3.3.3). Wir sind immer schon eingebunden in den Kontext von Wahrheit. Man hat im 20. Jh. wie noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit versucht, unser Erleben, welches geprägt sein kann von Sinn, Schönheit und Güte, auf physikalische Fakten zu reduzieren. Dabei hat sich gezeigt, dass es nicht möglich ist, über die Welt jenseits des transitiven Bewusstseins sinnvolle Aussagen zu formulieren. Denn für den Physikalismus gibt es keinen Sinn in der Natur. Es kann nicht einmal mehr Wesen geben, welche die Theorie des Physikalismus entwickeln, da Bewusstsein keinen Platz im Physikalismus hat. Während sich der Psychotiker immerhin noch für jemand hält, der er in Wahrheit nicht ist, ist der Physikalist letzlich gezwungen, sich für ein unbewusstes Nichts halten zu müssen (vgl. Brüntrup 2016: Kap. 6). Es ist nachvollziehbar, dass John Searle den eliminativen Materialismus als intellektuelle Pathologie bezeichnet hat (vgl. Dennett/Searle 1995). Die zweite naheliegende Implikation des Physikalismus ist die Behauptung, dass es das Bewusstsein zwar gibt, dass es aber keine kausale Rolle in der Wirklichkeit spielen könne, da die physikalische Welt geschlossen ist und geistige Ursachen für die Erklärung physischer Ereignisse überflüssig sind. Der Physikalismus hat, wenn man es sich einmal klarmacht, etwas Verrücktes an sich. Es ist sehr fragwürdig, ob man sein Leben auf den Gedanken gründen kann,
Schluss
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dass man ständig konfabuliert und man in Wahrheit nichts entscheiden kann. Man könnte argumentieren, dass dieser Ansatz gefährlich ist, da die Bestreitung der Existenz mentaler Verursachung die Erfahrung von Selbstwirksamkeit bestreitet, was die psychische Gesundheit gefährdet. Denn mangelndes Vertrauen in die eigene Wirksamkeit führt zu zahllosen Problemen (vgl. Grawe 2000, Bandura/Adams 1977, Deci/Ryan 2000). Wie der Glaube an die Überflüssigkeit des Bewusstseins erklären kann, dass depressive Denkmuster zu einem Schrumpfen der Hirnmasse führen, wenn sie lange genug kultiviert werden, ist ebenso rätselhaft wie viele hypnotische Phänomene. Ein Denken, in welchem das Bewusstsein keinen Platz hat, zieht sich selbst den Boden unter den Füßen weg. Aus platonischer Perspektive versucht sich der Physikalist über Schatten zu verstehen. Gerade seine Wirklichkeitsorientierung könnte besonders niedrig sein. Laut Platon befindet sich der Mensch in einem nichtwachen Zustand, auch wenn er die Sinne auf die Welt richtet und sein Denken von keinerlei dysfunktionalen Prozessen geprägt ist. Er geht damit weiter, als Sokrates und Heraklit es in den überlieferten Texten getan haben (3.1). Was Platon nicht erklärt, ist, wieso es dem Menschen möglich sein soll, auf eine grundlegende Weise zu erwachen. Vielleicht kann die Theorie der Wachheit hier aushelfen. Sie besagt, dass Wachheit eine intrinsische Eigenschaft des intransitiven Bewusstseins ist. Das heißt, dass das Bewusstsein an sich, also unabhängig von allen Beziehungen, nicht nur einen Selbstcharakter hat, sondern auch, dass es immer wach ist. Das führt zu einer letzten Proposition: W 19: In seinem wahren Wesen ist der Mensch immer wach. Das, was immer wach ist, könnte der Aspekt des Menschen sein, welcher, wie Platon im Phaidon argumentiert, unsterblich ist. Aus dieser Perspektive ist es eine falsche Selbstkonzeptionalisierung, sich für sterblich zu halten. Aufzuwachen heißt, von diesem Irrtum befreit zu werden. Die Menschen in Platons Höhle können aufwachen, da sie im Innern immer schon dem Licht zugewendet sind, welches die Schatten auf die Höhlenwand projiziert. Sie sind sich dessen nur nicht bewusst, weil sie ihre Aufmerksamkeit immer auf etwas anderes richten. Da ihre Aufmerksamkeit ständig vom phänomenalen und intentionalen Bewusstsein absorbiert ist, ignorieren sie ihr intransitives Bewusstsein und verwechseln es mit ihrem transitiven Bewusstsein. So ist ihr Erleben geprägt vom Vergänglichen. Nur das ständig präsente Bewusstsein der eigenen Existenz, dieses fundamentale Selbstbewusstsein, ohne das kein Wesen existieren kann, erinnert noch an die Gegenwart ihrer Unsterblichkeit. Um es jedoch als solches zu erkennen, müssen wohl erst die zahlreichen falschen Konzeptionalisierungen des transitiven Bewusstseins überwunden werden, welche eine Identifikation
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der Metakognition mit dem intransitiven Bewusstsein verhindern. Vielleicht ist es sogar nötig, einfach alle Konzepte irgendwann einmal hinter sich zu lassen. »Wie ein Wasserbecken ist die Seele; wie ein Strahl, der aufs Wasser fällt, sind die Vorstellungen. Sobald das Wasser bewegt wird, glaubt man, dass auch der Strahl sich bewege, und doch ist das nicht der Fall« (Epiktet 1984: 81, §25).
Mit diesen knappen Hinweisen kann nicht abschließend begründet werden, weshalb Wachheit gut ist. Die Theorie der Wachheit wirft wohl zahlreiche Fragen auf, die über das hinausgehen, was hier geleistet werden kann. Zumindest scheint nun ein wenig klarer zu sein, weshalb es erstaunlicherweise, wie im ersten Teil gezeigt wurde, keine Definition der Wachheit gibt (Teil 1). Da Wachheit das Denken transzendiert, kann es eine solche Definition letztlich nicht geben. Damit könnte auch ein wenig verständlicher sein, wieso ihre Gutheit aus ihren Folgen nur ungenügend begründet werden kann. Ihre normative Bedeutung kommt nicht daher, dass die Folgen eines Erwachens gut sind. Es ist eher andersrum: Weil Wachheit an sich gut ist, kann sie, wenn sie sich im Bewusstsein manifestiert, die guten Folgen haben, die sie nun einmal hat. Wenn man auf eine Weise lebt, welche die Wachheit des Erlebens sukzessive reduziert, entfernt man sich von seinem wahren Wesen. Wer dagegen dazu beiträgt, dass sich seine oder ihre Wachheit erhöht, hat den Auftrag angenommen, der ihm oder ihr vielleicht bei der Geburt übergeben worden ist.
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