114 96 25MB
German Pages 212 Year 1962
Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 13
Wandlungen der rechtsstaatlichen Verwaltung Vorträge und Diskussionsbeiträge des 30. Staatswissenschaftlichen Fortbildungskursus der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer 1962
Duncker & Humblot · Berlin
Wandlungen der rechtsstaatlichen Verwaltung
Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 13
Wandlungen der rechtsstaatlichen Verwaltung Vorträge und Diskussionsbeiträge des 30. Staatswissen schaftlich en Fortbildungskursus der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer
1962
D U N C K E R
&
H U M B L O T
/
B E R L I N
Alle Rechte vorbehalten © 1962 Duncker & Humblot, Berlin Gedruckt 1962 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin S W 6 1 Printed in Germany
Auszug aus der Begrüßung des Rektors zum Staatswissenschaftlichen Fortbildungskursus der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer vom 11. bis 13. April 1962 Es ist der 30. Kursus dieser A r t , den die Hochschule veranstaltet, und vielleicht ist diese feierliche Wiederkehr ein Grund, sich mit einigen, kurzen Gedanken des Wesens staatswissenschaftlicher Fortbildung i m allgemeinen und besonders an unserer Hochschule zu erinnern. Bis nach dem ersten Weltkrieg begnügte sich der Staat damit, für die Universitäts- und Referendarausbildung seiner höheren, w i l l sagen leitenden Beamten zu sorgen. Erst die zunehmende Durchdringung von Staat und Gesellschaft i n den zwanziger Jahren, als die industrielle Gesellschaft sich i n die heutige industriell-bürokratische zu verwandeln begann, machte die Anforderungen an die öffentliche Verwaltung so differenziert und kompliziert, daß der Staat es bei der abgeschlossenen Ausbildung nicht belassen konnte, sondern sich auch die Fortbildung angelegen sein lassen mußte. A m stärksten war dieses aus der Spezialisierung herauswachsende Bedürfnis offenbar bei den Sonderverwaltungen, von denen heute vor allem die institutionalisierten Formen der Fortbildung i n den Bundesbahn-, Post- und Finanzakademien Zeugnis ablegen. Doch auch für die allgemeine Verwaltung und die Justiz zeigte sich schon verhältnismäßig früh diese Notwendigkeit. So entstand i n den zwanziger Jahren die Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung i n Berlin, die für höhere Beamte und Richter i n jedem Jahre einen Kursus veranstaltete, der m i t Besichtigungen von fortschrittlichen Verwaltungseinrichtungen i n Staat und Wirtschaft verbunden war. Das dauerte insgesamt drei Wochen, wobei man versucht ist, angesichts unseres drei Tage dauernden Kursus von der guten alten Zeit zu sprechen. Diese Vereinigung, die 1933 aufgelöst wurde, fand nach dem letzten Krieg i n den Bundesländern mannigfaltige Nachfolge. I n Nordrhein-Westfalen dienen der staatswissenschaftlichen Fortbildung zweimal jährlich die Meinberger Hochschulwochen, die i n ähnlicher Weise von Hessen und von Niedersachsen veranstaltet werden. Hier hinein fügen sich auch die staatswissenschaftlichen Fortbildungskurse, die die Speyerer Hochschule seit ihrer Gründung i m
6
Auszug aus der Begrüßung des Rektors
Jahre 1947 veranstaltet, und zwar i n bewußter Wiederaufnahme auch des Namens der alten Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung. I n diesem Namen und der damit bezeichneten Sache liegt ein Doppeltes: er knüpft an die alte, erst u m die Jahrhundertwende durch den juristischen Normativismus abgerissene Tradition der deutschen Staatswissenschaft an, die den Staat als ein vielseitiges und keineswegs nur juristisches Sinngebilde erfaßt, als eine politische Handlungsund Entscheidungseinheit, die unter historischen, ökonomischen, sozialen und vor allem auch Verwaltungsgesichtspunkten betrachtet und begriffen werden muß, wobei das Recht dem Staate sein Gesetz gibt. Der Vielfalt dieser Blickpunkte versucht die Hochschule i n den Kursen durch den Wechsel des Rahmenthemas und der Thematik der Einzelreferate Rechnung zu tragen. So ist z.B. über die Selbstverwaltung, die Verwaltungsgerichtsbarkeit, über Jugendfragen i n Staat und Gesellschaft, über Leistungen der öffentlichen Verwaltung, den Strukturwandel des öffentlichen Dienstes, Probleme der Sozialordnung, über Staat und Wirtschaft, Europäische Organisationen, über Probleme des Verwaltungshandelns, und Grundfragen der Verwaltungsreform gesprochen worden. Dabei trat, wie die Themen anzeigen, die Verwaltung und i h r Recht gegenüber den anderen Formen staatlichen Handelns i n den Vordergrund. Das ist konsequent und zeitgerecht, w e i l der moderne Staat immer stärker seine auf innerer und äußerer Freiheit beruhende Macht zur politischen Entscheidung verliert und zum Verwaltungsstaat wird, der sich seinerseits i n überstaatliche Verwaltungsgemeinschaften einordnen muß, wenn er den Bedürfnissen der modernen Massengesellschaft gerecht werden w i l l . Insofern hat der Name unserer Kurse für Staatswissenschaften ein traditionales Moment und der Name unserer Hochschule für Verwaltungswissenschaî ten ein fortschrittliches — übrigens eine schöne Sinnverknüpfung, wenn man sich an das Wort des letzten Königs von Württemberg erinnert, daß er und sein Land dem besonnenen Fortschritt dienen wollten. Das Zweite, was i n dem Namen unserer Kurse liegt, ist die Fortbildung, also offenbar ein Begriff, der m i t der heute dominanten Kategorie des Fortschritts i n Verbindung steht. Freilich enthält dieser, die industriell-bürokratische Gesellschaft kennzeichnende Begriff des Fortschritts, wie w i r von Freyer wissen, wiederum ein doppeltes Moment: die Spannung zwischen dem Gedanken eines sachgesetzlich fortschreitendes Prozesses technisch-ökonomischer A r t und dem Gedanken eines autonomen menschlichen Handelns i m Sinne bestimmter Ziele — also der Fortschritt, der als fremdbestimmter Ablauf vonstatten geht und derjenige, der gewollt, betrieben, errungen werden muß. Die Fortbildung i m Verwalten nun steht mitten i n der Spannung zwischen
Auszug aus der Begrüßung des Rektors diesen beiden Momenten. Der Verwalter, gleich an welchem Ort und i n welchem Rang er steht, muß sich m i t den fortschreitenden Änderungen, den laufenden Neuerungen dieses sachgesetzlichen Prozesses vertraut machen. Er verwaltet ihn, insofern er i h n i m Gange hält. Z u diesem Prozeß gehören nicht zuletzt die ständig neuen Gesetze samt ihrer laufenden Novellierung, die Verordnungen, Richtlinien, Erlasse usw., w e i l sie i m heutigen gesellschaftlichen System eine immer größere instrumental-manipulative Bedeutung gewinnen. Wenn sich der Verwalter i n diesem Sinne nicht, wie man sagt, auf dem laufenden hält, so gerät der industrielle und sozialökonomische Fortschritt ins Stocken und damit die moderne Massengesellschaft i n Unordnung. Das also ist die eine Seite, die die Fortbildung der Beamten notwendig macht, insofern sie die Not dessen wendet, der die Sache zu bearbeiten hat, des Sachbearbeiters, als auch die Not der Sache selbst, indem die jeweilige Situation aus der Spannung von Stehenbleiben und Fortschreiten befreit wird. Doch ist dies nur das eine Moment der m i t dem Fortschritt verbundenen Fortbildung. Das zweite, bedeutsamere, ist der Gedanke des aktiven menschlichen Vollzugs i m Sinne bestimmter Ziele, oder wie es i n der klassischen deutschen Philosophie hieß, der Fortschritt i m Bewußtsein der Freiheit. Hierdurch w i r d der Verwalter aufgerufen, den sozial-ökonomischen Prozeß nach Recht und Gesetz zu determinieren, ihn nicht nur passiv zu verwalten, sondern i h n aktiv zu gestalten i m Sinne jener Grundsätze, nach denen ein freiheitlich-soziales Staatswesen verfaßt und geformt ist. Der Verwalter hat insofern den gesellschaftlichen Prozeß nicht laufen zu lassen, sondern er hat i h n zu formen — oder besser, (um m i t Spengler i m sportlichen Sinne zu reden — ihn i n Form zu bringen. Freilich muß er dazu selbst i n Form sein, d. h. eine freie und strenge Dienstgesinnung haben und sie ständig fortbilden. Das aber macht es für den Diener des Staates und überstaatlicher Gemeinschaften unvermeidlich, Enthaltung zu üben, eine gewisse Askese, nicht anders wie der Sportler, der Soldat, der Mönch oder der Gelehrte es t u n müssen. N u r so bleibt er i n Form, d. h. i n innerer und äußerer Unabhängigkeit allein seinem Amte verpflichtet. Inwieweit die bisherigen 30 Kurse der Hochschule i n diesem Sinne zur Fortbildung ihrer Teilnehmer beigetragen haben, vermag ich nicht zu sagen, und es entzieht sich auch i n seiner Irrationalität dem messenden Zugriff. Freilich muß ich gestehen, daß sich die Hochschule selbst dem heutigen Wettlauf u m den Wohlstand, oder u m es vornehmer und zeitgemäßer auszudrücken, der Hebung des Lebensstandards, nicht ganz enthalten konnte. A u f den ersten Tagungen i n den Jahren 1947/48 vor der Währungsreform haben w i r unsere Gäste gebeten,
8
Auszug aus der Begrüßung des Rektors
noch selbst jeder ein Pfund Kartoffel pro Tag mitzubringen. Davon sind w i r abgekommen, wenngleich w i r immer noch nicht so weit sind, Ihnen ein mehrgängiges Mittagessen zu reichen. W i r haben uns vorläufig damit begnügt, Sie i n ein neues Haus zu laden, von dem w i r hoffen, daß es die Grenze der Enthaltsamkeit, jene schmale Scheide zwischen Bedürfnis und Luxus nicht überschreitet . . . Speyer, den 11. A p r i l 1962 Professor Dr. Hartwig
Bülck
Inhall Ministerialdirektor Pfalz, Mainz:
Fritz
Duppré,
Chef der Staatskanzlei Rheinland-
Eröffnungsansprache Professor Dr. Dr. schaften Speyer:
11
Erich Becker,
Hochschule für Verwaltungswissen-
Wandlungen der öffentlichen Verwaltung i m Hinblick auf Gesetzgebung und Rechtsprechung
17
Präsident des Landessozialgerichts Dr. Harry Rohwer-Kahlmann, Bremen: Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte
37
Regierungspräsident Dr. Josef Schneeberger, Münster/Westf. : Ordnungsbehördliches Ermessen und Rechtsanspruch gegen Dritte
auf Eingriffe 77
Ministerialrat Paul Werner, Innenministerium Stuttgart: Auswirkungen der Zweistufentheorie im Subventionsrecht
97
Professor Dr. Willi Geiger (Speyer), Richter am Bundesverfassungsgericht, Senatspräsident am Bundesgerichtshof, Karlsruhe: Bindungen der Verwaltung durch verfassungsgerichtliche und verwaltungsgerichtliche Urteile 115 Oberverwaltungsgerichtsrat gerichtshof, München:
Dr.
Georg
Mörtel,
Bayer. Verwaltungs-
Auswirkungen der veränderten verwaltungsgerichtlichen klausel auf Verwaltung und Verwaltungsrechtsprechung Professor Dr. Carl Hermann schaften Speyer:
General137
Ule, Hochschule für Verwaltungswissen-
Rechtsstaatliche Forderungen an die Ausbildung der Verwaltungsbeamten 173 Regierungsrat Elmar schaften Speyer:
Breuckmann,
Hochschule für Verwaltungswissen-
Bericht über die Diskussionsbeiträge zu den Vorträgen über „Wandlungen der rechtsstaatlichen Verwaltung" 195
Eröffnungsansprache Von Fritz Duppré
I.
Bevor ich auf das Thema eingehe, das sich dieser Staatswissenschaftliche Fortbildungskursus gestellt hat, möchte ich, alter Erfahrung folgend, das Feld abstecken und einige Richtpunkte festlegen, u m damit Ihnen und m i r zugleich die Gewißheit zu verschaffen, daß w i r unter dem gleichen Terminus auch denselben Sachverhalt begreifen. Ehe daß die Wandlungen untersucht werden, bedarf es zunächst des Einverständnisses darüber, was unter Begriff und Inhalt rechtsstaatlicher Verwaltung i m ganz konkreten Bezug auf unsere Verfassungslage verstanden sein muß. Daß ich mich bei der Entfaltung des Begriffes lieber der deskriptiven als der definitorischen Methode bediene, versteht ein jeder, der — seinen Jellinek i m Kopf und die Erfahrung zur Hand — w o h l weiß, warum von jeher die Verwaltungsrechtswissenschaft um eine Definition ihres Gegenstandes verlegen ist. Beginnen w i r also getreu der grammatikalischen Regel m i t dem Substantiv „Verwaltung", dann sind w i r uns schnell darüber einig, daß dieses Hauptwort den Bereich der Exekutive beschreibt, innerhalb dessen die vollziehende Gewalt tätig ist, der die klassische Lehre von der Funktionsteilung den zweiten Platz zugemessen hat. Innerhalb dieses Bereichs der zweiten Gewalt spielt aber die eigentliche Verwaltung nur eine dienende Rolle, die i h r vom Gesetzgeber und von der obersten Staatsleitung, der Regierung, zugewiesen ist. Vollzug der Gesetze und Handeln i m Rahmen der Richtlinien der staatspolitischen Leitung, das ist die Aufgabe der Verwaltung, wobei über den Inhalt dieser Tätigkeit noch nichts ausgesagt ist. Setzen w i r nunmehr zu dem Substantiv „Verwaltung" die attributive Bestimmung „rechtsstaatlich", dann ergibt sich daraus an Hand des Grundgesetzes die notwendige Präzisierimg Rechtsstaat, das bedeutet Gewährleistung der Grundrechte, die Teilung der Staatsgewalt i n horizontaler und vertikaler Richtung, den Vorrang und Vorbehalt
12
Fritz Duppré
des Gesetzes, die Gesetz- und Rechtmäßigkeit der Verwaltung und nicht zuletzt die umfassende gerichtliche Kontrolle. A u f die Verwaltung bezogen: Das Rechtsstaatsprinzip bindet die Verwaltung an Gesetz und Recht und unterwirft alle ihre Handlungen der Nachprüfbarkeit durch die eigens dazu errichteten allgemeinen oder besonderen Verwaltungsgerichte. Die Einzelhandlungen der Verwaltung werden nach unserer von Praxis, Wissenschaft, Gesetzgebung u n d Rechtsprechung geprägten Tradition als Verwaltungsakte bezeichnet, wobei bis i n die jüngste Zeit hinein die Tendenz bestand, darunter nur jene Verwaltungshandlungen zu verstehen, die i n Ausübung hoheitlicher Funktionen und i n Ausführung öffentlicher Gewalt vorgenommen werden. So haben sich eine große Anzahl von Instituten des allgemeinen Verwaltungsrechts herausgebildet, die auch i n den verschiedensten landes- oder bundesgesetzlichen Vorschriften ihren Niederschlag gefunden haben. Nur beispielhaft möchte ich auf einige Institute hinweisen, die sich aus der praktischen Arbeit heraus dem Bewußtsein des Beamten ganz besonders eingeprägt haben. Da gibt es Verbote und Gebote, Erlaubnisse, Genehmigungen und Zulassungen. W i r arbeiten m i t Auflagen, Bedingungen und Zeitbestimmungen. Unter gewissen Voraussetzungen können Verwaltungsakte zurückgenommen und widerrufen werden. E i n ganz besonderes nicht gerade angenehmes aber bislang immer noch zu bewältigendes Kapitel stellen die nichtigen und aufhebbaren Verwaltungsakte dar. Schließlich haben sich für das Verwaltungsverfahren genaue Regeln ausgebildet, die Einleitung, Form und Begründung sowie Antragsfristen z,um Gegenstand haben, wie ebenso über die Form der Entscheidung von der Begründung bis zur Zustellung bei einem jeden Beamten genaue Vorstellungen bestehen.
II. Das alles glaubte ich i n die Erinnerung rufen zu sollen, um mich nunmehr dem eigentlichen Thema der Betrachtung zuwenden zu können, denn: es scheint m i r nicht zweifelhaft zu sein, daß sich der Typ des i m Grundgesetz verankerten Rechtsstaates an den Modellen der bürgerlich-liberalistischen Welt des 19. Jahrhunderts orientiert hat, als es den Lebens- und Gesellschaftsverhältnissen entsprechend noch genügte, dem Staate die bloße Ordnungsfunktion zuzuerkennen, wobei aber i m übrigen die persönliche Sphäre des Staatsbürgers möglichst ungeschoren lassen sein wollte. Indes haben sich die Staatsaufgaben und Staatserwartungen des Bürgers insbesondere nach der deutschen Katastrophe von 1945 we-
Eröffnungsansprache
13
sentlich verändert. Neben der rechtsstaatlich bestimmten Ordnungsfunktion ist die Gestaltungsfunktion getreten, die den Staat verpflichtet, gestaltend i n die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse der so oft beschriebenen pluralistischen Gesellschaft verteilend und ausgleichend, fördernd und subventionierend einzugreifen. So darf es nicht wundern, daß gewissermaßen neben die schon gängig gewordene Unterscheidung zwischen Eingriffsverwaltung und gewährende Verwaltung die eigentliche Leistungsverwaltung t r i t t , so daß w i r einer Trias gegenüberstehen. Diese Umschichtung zeigt schon ein flüchtiger Überblick über das Gesetzgebungsprogramm. Die traditionellen Aufgaben polizeistaatlichen Ursprungs scheinen hier zurückzutreten gegenüber den von sozialstaatlicher Verantwortung getragenen Gesetzen. Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, die Renten, Knappschafts-, Unfallund Krankenversicherung haben eine völlig neue Ausgestaltung erfahren. Hinzu kommen die Arbeitslosenhilfe, die Kriegsfolgenhilfe, die Jugendhilfe, der Lastenausgleich, die Gesetzgebung zu A r t . 131 GG, die Kriegsopferversorgung, die Kriegsfolgegesetzgebung, die Wiedergutmachung, um nur einige Materien zu nennen, die der Bundesgesetzgeber teilweise ohne jedes Vorbild zu regeln gehalten war. Resümierend kann meines Erachtens festgestellt werden, daß sich die durch Gesetz geregelten leistungsgewährenden Aufgaben der Verwaltung der Höhe des finanziellen Einsatzes und des Umfanges des Verwaltungsaufwandes nach vor die ehedem als primär erachteten Ordnungsaufgaben des Staates gestellt haben. Bei alledem handelt es sich für die Verwaltung trotz der oft sehr subtilen und auch sehr heiklen Materien, die ein großes Einfühlungsvermögen erfordern, immer noch u m den Gesetzesvollzug i n dem hergebrachten Sinne. E i n Zweites aber ist für unsere Untersuchung der Wandlungen der rechtsstaatlichen Verwaltung viel bedeutsamer: nämlich die Tatsache, daß es außerhalb des Gesetzesvollzuges für die Verwaltung gilt, eine Fülle von Aufgaben zu bewältigen, von denen eine zufällig aus dem Bundeshaushalt zusammengestellte Palette die Situation beleuchten mag: Der Gesundheitsdienst reicht vom Blutspendenwesen über die Bekämpfung von Sucht und Seuchen bis zur Förderung der Leibeserziehung. Unter der Förderung der Landwirtschaft w i r d die Landtechnik ebenso begriffen, w i e die Milchwirtschaft und das Saatgutwesen bis zur Flurbereinigung. Die wasserwirtschaftlichen Maßnahmen reichen von der Wasserversorgung über die Kanalisation bis zur Abwässerbeseitigung und -Verwertung. Innerhalb der Wirtschaftsförderung gibt es eine ganze Reihe von sogenannten Programmen, wobei ich nur an die regionalen Hilfsmaßnahmen zur Steigerung der Wirtschaftskraft zu erinnern brauche. Es geht u m Straßenbau und
14
Fritz Duppré
Verkehrssicherheit. Es geht u m Raumordnung, Wohnungsbau und Städtesanierung. Und last not least stellt die Förderung von Wissenschaft und Forschung bis zum Honnefer Modell eine erhebliche Staatsleistung dar. Das dürfte genügen, u m den Umfang und die Mannigfaltigkeit der vom Staat wahrgenommenen Aufgaben zu verdeutlichen, die ihre Entstehung keiner gesetzlichen Regelung verdanken und deren Erfüllung allenfalls an Richtlinien und Weisungen, keineswegs aber an gesetzlichen Normen auszurichten ist. Hier kommt eindeutig und für jeden erkennbar die soziale Komponente unseres Staatswesens zum Durchbruch. Denn die Grundordnung, i n der w i r leben, ist nicht nur rechtsstaatlich, sondern auch sozialstaatlich befaßt und hat sich immer kräftiger i n dieser Richtung entwickelt, obwohl die Normierungen i n A r t i k e l 20 und 28 des Grundgesetzes nicht nur dem Theoretiker zunächst ziemlich schwächlich und bläßlich erscheinen könnten. Die Frage ist nur, w i e die rechtsstaatlich ausgerichtete Verwaltung m i t diesen Aufgaben der modernen Daseinsvorsorge fertig wird, da sie doch offenkundig i n vielen Fällen der geschilderten A r t nicht auf die hergebrachten Institute des Verwaltungshandelns zurückgreifen kann. Daß die Verwaltung damit fertig wird, steht für mich nicht i n Zweifel, soll aber hier — insbesondere von den verschiedenen Teilproblemen her — beantwortet werden. Für mich bleibt jedenfalls die Ursachenfeststellung, daß Wandlungen der rechtsstaatlichen Verwaltung von der durch Gesetzgeber und Staatsleitung ausgelösten veränderten Aufgabenstellung herrühren, für die die hergebrachte berufene Ausstattung des Beamten allein nicht mehr genügt.
III. Aber nicht nur durch den Einfluß von Gesetzgebung und Staatsleitung scheinen m i r die Wandlungen der rechtsstaatlichen Verwaltung verursacht. Schließlich steht das Verwaltungshandeln auch unter dem korrigierenden und inspirierenden Einfluß der Verwaltungsgerichte, deren Entscheidung als Wegweiser anzuerkennen die Verwaltung i n ihrer Aporie gehalten ist. Gestatten Sie mir, daß ich statt langatmiger Darstellungen auf Entscheidungen zurückgreife, derer ich i n den letzten Tagen habhaft werden konnte, i n denen mich das Thema dieser Tagimg beschäftigte. Eingegangen i n die Literatur ist ein Urteil des Landessozialgerichtes Bremen vom 20. Februar 1957, das i n seinem Leitsatz feststellt, „daß rechts- und sozialstaatliche Erwägungen i m Einzelfall bei besonderen Umständen ausschließen können, daß die Versorgungsverwaltung einen Rentenbescheid aufheben darf, dessen tatsächliche und rechtliche
Eröffnungsansprache
15
Unrichtigkeit i m Zeitpunkt seines Erlasses außer Zweifel steht." Wie verträgt sich das m i t den hergebrachten Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts? Das Gericht meint hierzu: „So unterschiedlich das grundsätzliche Bekenntnis zum sozialen Rechtsstaat auch ausgedeutet wird, so besteht doch Übereinstimmung darüber, daß die staatlichen Gewalten verstärkt an die Wertideen gebunden sind, die i n den Grundrechten der Verfassimg konkretisiert sind und zum anderen, daß das Bekenntnis zur Sozialität nicht nur eine Staatszielbestimmung ausspricht, die dem Staat sozialgestaltende Funktion zuweist, sondern i h n auch zumindest auf der Ebene unter der Verfassung inhaltlich determiniert." E i n weiteres Urteil: „Der Große Senat des Bundessozialgerichts hat i n einem Beschluß vom 9. Juni 1961 entschieden, die Ausschlußfrist des § 58 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes gelte nicht, wenn die Voraussetzungen des verspätet angemeldeten Anspruchs zweifelsfrei gegeben seien." Uber die Auslegung von Ausschlußf risten gab es i n der Verwaltung bislang keinen Zweifel. Ausschlußfrist ist Ausschlußfrist! Diese Entscheidung wurde von Nipperdey dahin kommentiert, daß die Bedeutung der umstrittenen Vorschrift „ i m Rechtssystem der Kriegsopferversorgung und der Leistungsverwaltung" überhaupt gesehen und gewürdigt werden müsse, „daß die Verfolgung sachlich offensichtlich berechtigter Ansprüche wegen Fristablaufs nicht unmöglich gemacht werden solle". Schließlich sei noch als Beispiel für seine aus längerer Praxis entwickelte ständige Rechtssprechung ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29. September 1960 zitiert, wonach „auch ein gesetzw i d r i g zustande gekommener, unanfechtbar gewordener Festsetzungsbescheid (um die Festsetzung von Versorgungsbezügen geht es) unter Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben nur zurückgenommen werden darf, wenn das öffentliche Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung das schutzwürdige Vertrauen des Begünstigten auf die Beständigkeit behördlicher Entscheidung überwiegt". Der erkennende Senat hat sich auch m i t dem Einwand auseinandergesetzt, die Aufrechterhaltung rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakte sei nicht m i t dem Rechtsstaatsprinzip des A r t . 20 Abs. 3 GG i n Einklang zu bringen und dagegen angeführt, daß nicht nur das Prinzip der Gesetzmäßigkeit, sondern ebenso auch das der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips sind. Ich vermag mich bei derartigen (die Rücknahme gesetzwidriger, begünstigender Verwaltungsakte betreffenden) Entscheidungen nicht der
16
Fritz Duppré
Annahme zu verschließen, daß zumindest i n dem immer wieder herausgestellten Grundsatz der Interessenabwägung auch sozialstaatliche Motive mitschwingen. Kurz und gut: Gestützt auf diese nur beispielhaft zitierten Urteile möchte ich die Auffassung vertreten, daß auch die die Verwaltung kontrollierende Gerichtsbarkeit durch ihre von sozialstaatlichen Erwägungen getragenen Entscheidungen tief i n die hergebrachten Institute des allgemeinen Verwaltungsrechts hineinwirken und dadurch Wandlungen der rechtsstaatlichen Verwaltung m i t b e w i r k t haben.
IV. Ich fasse zusammen: I n der Verfassungswirklichkeit ist der Prozeß der Verschmelzung rechts- und sozialstaatlicher Elemente mitten i m Gange. A n diesem Prozeß sind alle drei Funktionen der Staatsgewalt beteiligt. Das zeigt die Umschichtung der Gesetzgebungsprogramme und die Verlagerung der staatlichen Betätigung von der Eingriffsverwaltung auf die gewährende und die Leistungsverwaltung ebenso wie die sozialstaatlichen Einsichten zugewandte Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte. Der Verwaltung selber i n ihrer Mittlerrolle zwischen Staat und Staatsbürger fällt i n diesem Prozeß die schwerste Aufgabe zu: über weite Strecken auf sich selber gestellt i h r Verwaltungshandeln der gewandelten Wirklichkeit anzupassen. Wie jeder von Ihnen b i n ich hierhergekommen, u m zu hören, zu wägen und zu prüfen. Zuvor habe ich mich auf das Thema gewissermaßen meditierend einzustimmen versucht. N u r als derartigen Versuch möchte ich meine Ausführungen verstanden wissen.
Wandlungen der öffentlichen Verwaltung i m Hinblick auf Gesetzgebung und Rechtsprechung Von Erich Becker Von einer rechtsstaatlichen Verwaltung kann man sprechen, seitdem rechtsstaatliche Maximen der Verfassungen für die Verwaltung verbindlich sind. Die Wandlungen der rechtsstaatlichen Verwaltung gehören aber nicht nur der Rechts-, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte an, sondern sind auch ein Gegenwartsproblem, das seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland immer neue Fragen ausgelöst hat. Eine gegenwartsbezogene Problemstellung kann freilich weder den geschichtlichen Zusammenhang noch die Änderung der Lebensverhältnisse außer acht lassen, wenn der verfassungsrechtlich begründete Wandel der rechtsstaatlichen Verwaltung unserer Zeit i n einer gekürzten Ubersicht deutlich gemacht wird. Diese Einführung i n den Problemkreis muß sich auf Grundsatzfragen beschränken, w e i l kennzeichnende Sonderthemen i m Anschluß und eine wichtige Schlußfolgerung am Ende der Vortragsreihe behandelt werden. Unter Verzicht auf eine Gegenüberstellung zur Verwaltung des vorkonstitutionellen Staates w i r d hauptsächlich auf die rechtsstaatlichen und die sozialstaatlichen Verpflichtungen der öffentlichen Verwaltung i n der Gegenwart einzugeben sein, u m die Wandlungen der Verwaltungsaufgaben zu ermitteln. Da die Wirksamkeit der Verwaltung auf Kontinuität gerichtet ist, muß beachtet werden, daß mehrere Gegenwartsprobleme schon i m 19. Jahrhundert diskutiert worden sind, während andere Fragen der zeitgenössischen Verwaltung ohne Beispiel sind. Die rechtsstaatliche Verwaltung der Gegenwart w i r d anschaulich, wenn i h r Verhältnis zur Gesetzgebung und zui Rechtsprechung dargestellt wird. Zuvor aber ist danach zu fragen, unter welchen Gesichtspunkten des öffentlichen Rechts die Verwaltung gesehen wird. I.
1. Die Wandlungen der öffentlichen Verwaltung haben unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten hauptsächlich Erörterung gefunden, soweit vorwiegend die Grenzen der Verwaltungsfunktion und der Rechts2 Speyer 13
18
Erich Becker
schütz des einzelnen i n Betracht gezogen worden sind. Man hat sich weniger m i t der Tätigkeit des Staates zur Verwirklichung seiner Zwecke unter seiner Rechtsordnung 1 befaßt als vielmehr m i t den Formen und M i t t e l n einer freiheitsbeschränkenden Staatsfunktion, zu deren Abwehr Rechtsschutz bestehen muß. I m Mittelpunkt der Untersuchungen haben die Eingriffsverwaltung, der formale Rechtsstaat und insbesondere die Gewaltengliederung gestanden. Die Problemstellung zielt hauptsächlich auf Eingrenzung der hoheitlichen Verwaltungstätigkeit zum Schutz des Individuums, nur selten auch auf Inhalt und Zweck der Verwaltungsfunktion. Nicht an den materiellen Rechtsstaat Robert v. Mohls 2 und nicht an den formalen Rechtsstaat Friedrich Julius Stahls 3 , sondern an den sozialen Rechtsstaat Hermann Hellers 4 haben i m Parlamentarischen Rat Carlo Schmid und Hermann v. Mangoldt angeknüpft, als die Staatszweckbestimmungen des sozialen Bundesstaates (Art. 20) und des sozialen Rechtsstaates (Art. 28) i n das Grundgesetz aufgenommen worden sind 5 . Den Meinungsverschiedenheiten u m das Rechtsstaatsproblem i m ganzen stehen die widerstreitenden Auffassungen über die Teilung, Trennung und Hemmung der „Gewalten" i m besonderen nicht nach. Die Gewaltengliederung w i r d gefordert, abgelehnt oder lediglich registriert; sie hat als Organisations- und Funktionsprinzip i n Geschichte und Gegenwart recht verschiedene Deutungen und Umdeutungen erfahren. Schon i m vorigen Jahrhundert hat man die Frage aufgeworfen, ob den Verfügungen i n Gesetzesform Rechtssatzqualität zukommt 6 . Die Uberschneidung von Gesetzgebung und Verwaltung w i r d schon damals ebenso deutlich hervorgehoben wie die Verflechtung von Rechtsprechung und Verwaltung. Otto Mayer 7 hat die vollziehende Gewalt als „die nicht i n Form des Gesetzes erscheinende, ihrer Natur nach rechtlich bindbare Staatsgewalt" bezeichnet. I h r 1
O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, I (1895), S. 13. R. v. Mohl, Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg, I (1829), S. 8. — Die Polizei Wissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaates, 1. Aufl. 1832 (2. Aufl. 1844, 3. Aufl. 1866). — Vgl. a. E. Lasker, Polizeigewalt und Rechtsschutz in Preußen, Deutsche Jahrbücher für Politik und Literatur 1 (1861), S. 44. 3 F. J. Stahl, Die Philosophie des Rechts, 5. Aufl. 1870, I I , S. 607 ff. — I n diesem Sinne charakteristisch: R. Thoma, Rechtsstaatsidee, JböffR I V , S. 197 f. 4 H. Heller, Rechtsstaat oder Diktatur? (1930), S. 9, 26. — Dagegen: H. Triepel, VöVDStRL 7 (1932), S. 197. 5 Vgl. E. R. Huber, Rechtsstaat und Sozialstaat in der modernen Industriegesellschaft (1962) mit Hinweisen auf das neuere Schrifttum S. 27, 28. 6 I. C. Klüber, öffentliches Recht des Teutschen Bundes, 4. Aufl. 1840, S. 558. — O. Mayer, a.a.O., S. 6, 7 mit Hinweisen auf Laband, G. Jellinek, v. Sarwey, G. Meyer. 7 O. Mayer, a.a.O., S. 79. 2
Wandlungen der öffentlichen Verwaltung
19
Kernstück ist die öffentliche Verwaltung; zur vollziehenden Gewalt werden aber außerdem die Regierungstätigkeit (einschl. ihrer sog. Organisations- und auswärtigen Gewalt) und auch die Kommandogewalt der Streitkräfte gezählt 8 , weshalb die Bindung an die Grundrechte i n A r t . 1 I I I GG auf Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung erstreckt worden ist. Während A r t . 20 I I GG die Ausübung der Staatsgewalt dem Volk und den Organen der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung zuerkennt, bindet A r t . 20 I I I GG die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht. Es fragt sich, ob die vollziehende Gewalt die Staatsgewalt ausübt, soweit eine andere Zuständigkeitsordnung nicht besteht, oder ob sie auf die Ausführung von Gesetz und Recht begrenzt ist und sich jeder anderen Tätigkeit zu enthalten hat. Die Interpretation dieser Formel von der Bindung an Gesetz und Recht hat i n Verbindung m i t der Regelung der Ausführung der Bundesgesetze (Art. 83 ff.) und der Unterwerfung des Richters nur unter das Gesetz (Art. 97 I) zu der Deutung geführt, daß „Gesetz und Recht dasselbe sei" 9 . I m Unterschied hierzu hat das Bundesverfassungsgericht 10 sogar gemeint, die Gesetze am Maßstab überpositiven Rechts prüfen zu müssen. Eine andere Auffassung geht dahin, der Richter entscheide selbst, wann er unter Berufung auf das Recht von der Gesetzgebundenheit frei sei 1 1 . Alle diese Auslegungen bedürfen der Überprüfung angesichts der Bindung der öffentlichen Verwaltung an Gesetz und Recht. Es w i r d die Meinung vertreten, die Verwaltung könne i n der juristischen Konstruktion nichts anderes sein als „Vollziehung der Gesetze" 12 . Dieser Deutung entspricht zwar die Vorstellung von der Verwaltung als Gesetzesvollziehung i n Österreich 13 und i n der Schweiz 14 ; sie w i r d auch bei uns durch eine Forderung nach intensivierter Gesetzesbindung unterstützt 1 5 . Wissenschaft und Praxis sind 8
v. Mangoldt-Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Art. 20 A n m . V I 4 b . Schräder, Recht-Staat-Wirtschaft, 1951, I I I , S. 84. — Zu diesem Problem vgl. a.: Darmstädter, Der Begriff Recht in Art. 20 Abs. 3 GG, NJW 1957, S. 760. — υ. Turegg, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1950, S. 23. — v. Mangoldt-Klein, a.a.O., Art. 20 Anm. 4 d, f. 10 BVerfGE 1, 14 ff. (Ls. 27) (Urt. v. 23.10.1951). 11 Vgl.: E. Forsthoff, Die Bedeutung von Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) D Ö V 1959, S. 40 ff. 12 H. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, entwickelt aus der Lehre vom Rechtssatze, 1911, S. 503. 13 Art. 18 Abs. 1 österr. Verf. — W. Antonioiii, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1954, S. 103. 14 W. Kägi, Die Entwicklung des Schweiz. Rechtsstaats seit 1848, Z. f. Schweiz. Recht, 1952, S. 208 ff. — Z. Giacometti, Allgemeine Lehren des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts, I (1960) S. 15, 16. 15 Mallmann, Schranken nicht-hoheitlicher Verwaltung, VöVDStRL 19, S. 207. 9
2*
20
Erich Becker
jedoch vielfach zu der Erkenntnis gelangt, daß sich die Verwaltung i n der Gesetzesvollziehung nicht «erschöpft. Der Streit u m diese Frage ist mehr als hundert Jahre alt. Schon damals wurde erklärt, daß die Verwaltung nicht darauf beschränkt werden kann, bloß die Gesetze zu vollziehen 1 6 . Es w i r d für unverständig gehalten, von einer solchen Annahme auszugehen 17 . Das Gesetz sei nicht alleinige Rechtsquelle der Verwaltung 1 8 . Es widerspreche eine formale Festlegung der Verwaltung auf Gesetzesausführung und Gesetzesanwendung ihrem vorgegebenen Funktionsinhalt 1 9 . Die Identifizierung der Verwaltung mit der Ausführung von Gesetzen werde dem Wesen der Verwaltung als Funktion nicht gerecht 20 . Die Verwaltung sei von jeher nicht auf den Gesetzesvollzug beschränkt, sondern sei i n weitem Umfange freischöpfende und gestaltende Tätigkeit zur Verwirklichung der Gemeinschaftszwecke 21 . Es erhebt sich aber die Frage nach derjenigen Verwaltungstätigkeit, die nicht gesetzlich gebunden ist. Hier h i l f t m. E. die Formel von der Bindung an Gesetz und Recht; denn auch die nichtgesetzesakzessorische Verwaltung ist rechtsgebunden 22 , soweit sie sich nicht als reine Zwecktätigkeit rechtlicher Beurteilung entzieht. Sie darf niemals w i l l k ü r l i c h verfahren, sondern m u ß 2 3 an allgemeinen und besonderen Rechtsgrundsätzen sowie verfassunggestaltenden Grundentscheidungen ausgerichtet sein, wenn gesetzliche Regelungen fehlen. Sie muß auch das Gewohnheitsrecht beachten, wenn die Gesetze schweigen. I m übrigen gilt der Vorrang und der Vorbehalt der Gesetze, und zwar für alle hoheitlichen Befugnisse; es w i r k e n auch die Freiheit und Gleichheit schützenden Schranken der Grundrechte bei nicht-hoheitlichem Handeln i m Vollzug öffentlicher V e r w a l t u n g tätigkeit. Was ist denn nun der Inhalt des Vollzugs innerhalb der Verwaltungsfunktion, wenn es nicht oder nicht allein die Gesetze sind? A u f diese Frage hat man vor einem halben Jahrhundert geantwortet: „Durch Gesetzgebung und Rechtsprechimg werden die dem Staat obliegenden Aufgaben nicht verwirklicht; der Staat kann vielmehr die durch seinen Zweck i h m gestellten Aufgaben n u r durch Handlungen erfüllen. Staatsverwaltung ist das staatliche Handeln 2 4 ." Vollziehen 16 17 18 19 20 21
J. Poetzl (Krit. Vjschr. f. Gesetz u. Rechtswiss., V) 2. Heft, S. 263. L. v. Stein, Verwaltungslehre I, 2. Aufl. 1869, S. 78. Nebinger, Verwaltungsrecht, Allgemeiner Teil, 1946, S. 13. Hans J. Wolff, Verwaltungsrecht I, 4. Aufl. 1961, S. 62. Maunz, Staatsrecht, 10. Aufl. 1961, S. 203. O. Bachof, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaats, VöVDStRL 12,
S. 55. 22 Becker, Verwaltung und Verwaltungsrechtsprechung, VöVDStRL 14 S. 98. 23 Hans J. Wolff, Verwaltungsrecht I, 2. Aufl. S. 121. 24 P. Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches (1911) I I , S. 176.
Wandlungen der öffentlichen Verwaltung
21
bedeutet Handeln, nicht Gesetze ausführen 25 . Richtig w i r d ausgef ü h r t 2 6 : „Die Exekutive hat . . . die Staatsauf gaben, nicht bloß die Gesetze, i n concreto zu realisieren." Gegenstand der vollziehenden Verwaltung sind also die öffentlichen Aufgaben; sie werden unter der Rechtsordnung erfüllt, d. h. nach den Zielen der Verfassung, i m öffentlichen Interesse, nach dem Gleichheitssatz, unter Beachtung der Freiheitsrechte, nach Treu und Glauben sowie, falls der Gesetzgeber die Vollziehung der Aufgaben geregelt hat, nach den Gesetzen. Es gehört somit zur Eigenart der Vollziehung, daß sie weitgehend gesetzlich gebunden werden kann, ohne total durch Gesetz gebunden zu sein. Dies leuchtet sogleich bei Ausübung der sog. auswärtigen Gew a l t und bei Ausübung der militärischen Kommandogewalt ein. Gerade hier bedarf es der Bindung an das Recht, wenn die Gesetze fehlen. Bei der Verwaltung kann es nicht anders sein. Besonders „die Pflege der . . . Wohlfahrt des Volkes läßt sich nicht erfüllen durch bloße Handhabung von Rechtsregeln; ihre Durchführung ist denkbar und möglich, ohne daß die Tätigkeit durch spezielle Gesetze angeordnet und normiert w i r d " , hat Paul Laband schon vor mehr als 50 Jahren festgestellt 27 . I m Rechtsstaat w i r d die Verwaltung zur Wahrung der gesetzlichen Freiheit durch die Gesetzgebung eingegrenzt, worüber die Rechtsprechung auf Anruf zu wachen berufen ist. So kommt es zu der Forderung, die Verwaltung des Rechtsstaates müsse möglichst durch Rechtssätze gebunden werden. Dazu liefere das Verfassungsrecht seine Gesetzgebungsmaschine; sie solle möglichst viel Rechtssätze für die Verwaltung erzeugen oder durch Verordnungen erzeugen lassen. Das sei zweifellos das erste Gebot des Rechtsstaates. Otto Mayer, von dem dieses Zitat stammt 2 8 , hat nicht ahnen können, wie sehr sich diese Quantitätsforderung erfüllen sollte. 2. Der wirksamste Schutz gegenüber staatlicher W i l l k ü r besonders i n der Verwaltung ergebe sich aus dem „harmonischen Dreiklang von Wissenschaft, Gesetzgebung und Rechtsprechung", hat nicht für Deutschland, sondern für die Schweiz Max Imboden 29 erklärt. Das soll nicht besagen, daß diese Auffassung nicht auch bei uns Anhänger hat, besonders dort, wo das ganze Verwaltungsdenken u m den fehlerhaften Verwaltungsakt und das Rechtsschutzproblem kulminiert und wo das rechtsgebundene, aber nicht gesetzlich geregelte Verwaltungshandeln 25 Meyer-Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 7. Aufl. 1919, S. 759. 26 H. Peters, Verwaltung ohne gesetzliche Ermächtigung?, Festschr. für H. Huber, 1961, S. 211. 27 P. Laband, a.a.O., S. 179 ff. 28 O. Mayer, a.a.O., S. 65 ff. 29 M. Imboden, Der Schutz vor staatlicher Willkür, 1945, S. 23, 27/28.
22
Erich Becker
m i t W i l l k ü r verwechselt wird. Dieser Meinung muß allerdings entgegengehalten werden, daß die Verwaltung mehr durch Zweck und Aufgaben als durch Form und M i t t t e l der Erfüllung bestimmt w i r d 3 0 . Hier liegt aber ein weites Feld, das bisher fast unbearbeitet ist. Die Verwaltung kann nicht übersehen, daß der Entwicklungsprozeß von der bürgerlichen zur industriellen Gesellschaft fortschreitet, und daß sie den Bedürfnissen beider zu entsprechen hat. Sie soll Sozialansprüche i n den Schranken des Freiheit gewährleistenden Rechtsstaates erfüllen; sie soll aber auch die freie Entfaltung der Persönlichkeit schützen, ohne die für alle gleiche soziale Sicherheit außer acht zu lassen 31 . Diese doppelte Zielsetzung der Verwaltung i m Sinne einer Leistung des Erforderlichen und einer Begrenzung des Eingriffs auf das gesetzlich Notwendige ist schon bei Robert v. Mohl 32 deutlich. Die soziale Verpflichtung w i r d ζ. B. bei Lorenz v. Stein 33 und Rosin 34 recht anschaulich herausgestellt und i n der kaiserlichen Botschaft von 1881 proklamiert. Sie ist der Verwaltungspraxis i n Deutschland immer bewußt gewesen, allerdings nicht, i m Sinne eines von der Theorie gekennzeichneten „Verteilerstaates" 3 5 und nicht unter Begrenzung auf ein „System rechtstechnischer Kunstgriffe zur Gewährleistung gesetzlicher Freih e i t " 3 6 , sondern i n Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit, wie Eduard Rosenthal 37 bereits 1913 ausgeführt hat. Die Wandlungen beziehen sich weniger auf die Verwaltungsmaximen als vielmehr auf den Umfang und die A r t und Weise der Aufgabenerfüllung. Einige Probleme unserer Zeit dienen der Veranschaulichung: Ermessen und unbestimmter Rechtsbegriff, Vertrauensschutz i n gesetzwidrige Gewährungen, Verwerfung der Bedürfnisprüfung, Rechtsanspruch des Hilfsbedürftigen auf Sozialhilfe, Zweistufentheorie i m Subventionsrecht, limitiertes Opportunitätsprinzip i m Ordnungsrecht, Veränderung des Verwalwaltungsstils i n der Versorgungisverwaltung. Wenn die Quantität der Aufgaben i n eine Veränderung ihrer Qualität umschlägt, wenn die Gesetze den Charakter von Vollzugsnormen annehmen, wenn die sozialen 30 O. Bachof, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, VöVDStRL 12 (1954), S. 63. — Vgl. a.: H. Peters, Lehrbuch der Verwaltung, 1949, S.5. — H. Peters, Die Wandlungen der öffentlichen Verwaltung in der neuesten Zeit, 1954, S. 5, 9 ff. 31 E. R. Huber, a.a.O., S. 23—26. 32 R. v. Mohl, Polizeiwissenschaft, a.a.O., S. 18, 28. 33 L. ν . Stein, Verwaltungslehre, I, S. 31, 34. 34 Rosin, Grundzüge der Allgemeinen Staatslehre nach den politischen Reden und Schriftstücken des Fürsten Bismarck, Annalen des Deutschen Reiches, 1898, S. 86. 35 E. Forsthoff, Verfassungsprobleme des Sozialstaats, 1954, S. 8 ff. 36 E. Forsthoff, Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, Festschr. für C. Schmitt, 1959, S. 61. 37 E. Rosenthal, Der Wandel der Staatsaufgaben in der letzten Geschichtsperiode, 1913, S. 27.
Wandlungen der öffentlichen Verwaltung
23
und rechtlichen Pflichten i n Individualansprüche verwandelt werden, wenn die Bindungen der öffentlichen Gewalt unabhängig von der Rechtsform des Verwaltungshandelns gelten usw., dann vollzieht sich eine Veränderung des Verwaltungsauftrags und der Verwaltungsinstitution, die weitgehend aus den Bedürfnissen der Gesellschaft nach einer allgemeinen und gleichen staatlichen Sozialordnung, Sozialgestaltung und Sozialsicherung erwächst, ohne daß die rechtsstaatliche Freiheit tangiert werden darf. Erfüllt die Verwaltung ihre Sozialaufgaben i n den Formen des Rechtsstaates, so w i r f t man ihr Schwerfälligkeit und Formalismus vor; knüpft sie den Schutz der Persönlichkeit an die Voraussetzung sozialer Sicherheit für alle, w i r d von einer Beschränkung der Rechtsstaatlichkeit gesprochen. Die Verwaltung ist dem Verfassungsgebot des sozialen Rechtsstaats verpflichtet, auch wenn Schutz und Förderung des allgemeinen Wohls durch die Summe der Einzelansprüche verdeckt werden. Für die Verwaltung des sozialen Rechtsstaates hat das formelle Verwaltungsrecht aber erst Ansätze entwickelt, die der Entfaltung bedürfen 3 8 . 3. Die Verwaltungsrechtswissenschaft unterscheidet bekanntlich einen materiellen, organisatorischen und funktionellen Verwaltungsbegriff 3 9 , worüber die Meinungen sehr auseinandergehen. Verwaltungsaufgaben, Verwaltungsorganisation und Verwaltungstätigkeiten sind die Kernprobleme, die wissenschaftlich umstritten oder noch i n der Erkenntnis entfaltungsfähig sind. Die Verwaltungstätigkeiten insbesondere sind auf Ordnung, Leistung, Verteilung und Bedarfsdeckung gerichtet, treten pflegend, eingreifend und wirtschaftend i n Erscheinung und besorgen auf diese Weise öffentliche Aufgaben, wie es dem Rechte entspricht. Die Verwaltung w i r d gewährleistend und gewährend, eingreifend und leistend tätig. 38 Hans J. Wolff , Verwaltungsrecht I, a.a.O., S.45. — W. Kägi, Rechtsstaat und Demokratie, Festgabe für Giacometti 1953, S. 107 ff. — H. Jahrreiss, Freiheit und Sozialstaat, 1957, — G. Wolany, Vom Sozialstaat zum sozialen Recht (Forum der Rechtsphilosophie, 1950) S. 141 ff. — H. P. Ipsen, Enteignung und Sozialisierung, VöVDStRL 10 (1952) S. 74 ff. — G. Dürig, Verfassung und Verwaltung im Wohlfahrtsstaat, JZ 1953, S. 193 ff. — Fechner, Freiheit und Zwang im sozialen Rechtsstaat, 1953. — C. F. Menger, Der Begriff des sozialen Rechtsstaats im Bonner Grundgesetz, 1953. — H. Huber, Niedergang des Rechts und Krise des Rechtsstaats (Festgabe für Giacometti 1953) S. 59 ff. — E. Forsthoff und O. Bachof, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, VöVDStRL 12, S.8ff., 37 ff. — E. Forsthoff, Verfassungsprobleme des Sozialstaates, 1954. — H. Gerber, Die Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes, AöR 81 (1956) S. 1 ff. — F. Werner, Sozialstaatliche Tendenzen in der Rechtsprechung, AöR 81 (1956) S. 84 ff.— W. Reuss und K. Jantz, Sozialstaatsprinzip und soziale Sicherheit, 1960. — U. Scheuner % Die neuere Entwicklung des Rechtsstaats in Deutschland (Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, 2, 1960) S. 229 ff. — E. R. Huber, Rechtsstaat und Sozialstaat in der modernen Industriegesellschaft (1962). 39 Hans J. Wolff, Verwaltungsrecht I, a.a.O., S. 8. — Abweichend: Winkler, Zum Verwaltungsbegriff, österr. ZöR 9 (1958) S. 66—86.
Erich Becker
24
Erst seit wenigen Jahren ist klar geworden, daß die Eingrenzung des Verwaltungsrechts auf die hoheitlichen Institutionen und die hoheitlichen Rechtsformen der Verwaltungstätigkeit der Verfassungsrechtslage nicht entspricht. Die Erkenntnis öffentlich-rechtlicher Bindungen bei privatrechtlicher Verwaltungstätigkeit zur Erfüllung öffentlicher Zwecke durch besondere gesetzliche Vorschriften und durch die Grundrechte hat die Bedeutung des öffentlichen Rechts auch für die Fälle deutlich gemacht, i n denen sich die Verwaltung der Formen des Privatrechts bedient, wenn sie materiell öffentliche Angelegenheiten besorgt. Schon Walter Jellinek 4{ ) hatte bereits 1927 erkannt, daß die obrigkeitliche Verwaltung nicht die einzige A r t von öffentlicher Verwaltung ist, für das Wohl und Wehe der Bevölkerung vielleicht nicht einmal die wichtigste. Heute w i r d von einem Verwaltungsrechtssystem erwartet, daß es nicht nur die Formen und M i t t e l nachweist, m i t deren Hilfe die Verwaltung tätig w i r d und kontrolliert wird, sondern daß es auch die Rechtsgebundenheit der öffentlichen Aufgaben und Zwecke behandelt, deretwegen die Verwaltung handelt, und daß es die Verwaltungsorganisation der öffentlichen Gemeinwesen darstellt, deren Organe nach der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung zu handeln befugt sind. Ein so verstandenes, umfassendes Verwaltungsrecht des sozialen Rechtsstaates w i r d aber immer noch der Ergänzung durch die Verwaltungslehre bedürfen, die die Tatsachen der Verwaltungspraxis aus der Erfahrung beschreibt; sie w i r d auch aus den Ergebnissen wertender Verwaltungspolitik Nutzen ziehen, wenn sie nicht an dem Leben des Volkes vorübergehen w i l l , dem i m Staat zu dienen die Verwaltung berufen ist. N u r so kann eine Verwaltungswissenschaft entwickelt werden, deren Vollendung noch immer aussteht 41 .
II. 1. Das Grundgesetz und die Verfassungen der deutschen Länder scheinen die Begriffe „vollziehende Gewalt" und „Verwaltung" vorauszusetzen und sich — abgesehen von Eingrenzungen — auf das Verfassungsgewohnheitsrecht zu verlassen, solange nicht die Gesetze i m Rahmen der Verfassung Regelungen vorsehen. Die formellen Vorschriften des Grundgesetzes i n den A r t . 1 I I I , 19 IV, 20 I I und I I I , 28, 30 und 83 ff. können gesetzliche Veränderungen der öffentlichen Verwaltung i n materieller Hinsicht nicht verhindern. Sie sind freilich an die elementaren Prinzipien des Grundgesetzes wie Demokratie, Bun40
S. 21. 41
W. Jellinek,
Verwaltungsrecht, 1. Aufl. 1927, 3. Aufl. (Nachdruck) 1948,
Becker, Stand und Aufgaben der Verwaltungswissenschaft, für F. Giese 1953, S. 9 ff.
Festschr.
Wandlungen der öffentlichen Verwaltung
25
desstaat, Rechtsstaat und Sozialstaat gebunden, was nicht nur i n den Gesetzen, sondern häufig erst i n der Verfassungs- und Verwaltungsrechtsprechung zum Ausdruck gelangt. Hier taucht das umstrittene verfassungsrechtliche Problem des unmittelbaren Verfassungsvollzugs 42 auf, soweit die Gesetze fehlen, was besonders die Verfassungsverpflichtung des sozialen Rechtsstaates betrifft. Es ergibt sich auch eine Problematik der Gewaltengliederung, die i n der politischen Verschränkung von Parlament und Regierung sowie i n der Funktionsverschiebung zwischen Gesetzgebung und Verwaltung begründet ist. Die Verwaltungsmaßregeln durch Vollzugsnormen des Gesetzgebers und die Vollstreckung solcher Vollzugsmaßnahmen der Gesetze durch Verwaltungsbehörden 43 deuten an, welche Auslegung die „unantastbare" Gewaltenteilung i n der Gesetzgebung erfahren hat. Das, was von ihr Übriggeblieben ist, dient heute dazu, durch eine komplizierte Verfahrenstechnik die sachgerechte Entscheidung vor Einflüssen der Interessenten zu bewahren 4 4 . Dazu kommt die Frage nach der Ausübung der Organisationsgewalt, die nur i n vier Ländern i n der Weise verfassungsrechtlich geregelt ist, daß die Errichtung der Behörden dem Gesetz, die Einrichtung der Behörden jedoch der Landesregierung vorbehalten ist 4 5 . Hier fragt sich, was dort Rechtens ist, wo eine entsprechende verfassungsrechtliche Regelung fehlt. I m übrigen hat nur A r t . 1 der Verfassung für Rheinland-Pfalz die Organe der Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung ausdrücklich verpflichtet, nicht nur (wie ähnlich i n A r t . 1 GG) die persönliche Freiheit und Selbständigkeit des Menschen zu schützen, sondern auch das Wohlergehen des einzelnen und der innerstaatlichen Gemeinschaften durch V e r w i r k lichung des Gemeinwohls zu fördern. Es ist zu prüfen, inwieweit sich hieraus allgemeine Schlüsse ziehen lassen. 2. Zum Schutz und zur Förderung des öffentlichen Wohles sind die Organe der vollziehenden Gewalt i m Rahmen der Gesetze nach der Zuständigkeitsordnung kraft Verfassungsgewohnheitsrechts auch dann verpflichtet, wenn dies gesetzlich nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist. Dies ergibt sich aus dem Staatszweck und den i h m folgenden öffent42 E. Fechner, Freiheit und Zwang im sozialen Rechtsstaat, 1953, S. 6 ff. mit weiteren Hinweisen. 43 A. Köttgen, Die gegenwärtige Lage der deutschen Verwaltung, DVB1. 1957 S. 441. — U. Scheuner, Die Aufgaben der Gesetzgebung in unserer Zeit, DÖV 1960, S. 601. 44 K. Zeidler, Maßnahmegesetz und „klassisches" Gesetz, 1961, S. 13 mit weiterem Schrifttum. 46 Art. 77 L V Bayern; Art. 77 L V Nordrhein-Westfalen; Art. 43 L V Niedersachsen; Art. 70 L V Baden-Württemberg. 4β So schon: Hänel, Deutsches Staatsrecht, 1892, S. 111. — Rehm, Allgemeine Staatslehre, 1899, S. 199. — Besonders allerdings betont in Art. 20 G G (sozialer Bundesstaat) und Art. 28 G G (sozialer Rechtsstaat).
26
Erich Becker
liehen Aufgaben. Nicht nur die Eingriffsverwaltung, sondern auch die Leistungsverwaltung ist am öffentlichen Wohl orientiert 4 6 , auch wenn dies die Verfassung ausdrücklich nicht betont. Der Perfektionismus der Gesetzgebung reicht nicht aus, u m die Verwaltung total auf die Gesetzesausführung zu beschränken. Der Perfektionismus hat aber andere Folgen, die das Wesen der Verwaltung verändern. Die Uniformierung der Lebensverhältnisse, die technische Entwicklung, der Wunsch der Interessenverbände, die Sicherung von Freiheit und Gleichheit, die Ermächtigung und Eingrenzung von Regierung und Verwaltung, Sozialhilfe, soziale Vorsorge und soziale Befriedung usw. erfordern stets zusätzliche Gesetze. Besonders den sozialstaatlichen Verpflichtungen entsprechen Gesetze, die Begünstigungen aller A r t nach der maßstäblichen Zielsetzung ordnen und rechtsstaatlichen Notwendigkeiten unterstellen. Dazu kommen die sog. Maßnahmegesetze 47 , die an Stelle der Verwaltung Maßregeln treffen, die für Einzelfälle oder eine bestimmbare Summe von Einzelfällen vorgesehen sind. Es zeigt sich, daß die Verwaltung sowohl durch die fast unübersehbare Fülle gesetzlicher Vorschriften als auch durch die große Zahl von Sonderregelungen unsicher wird, besonders dann, wenn die Eilbedürftigkeit der Gesetze auf Kosten der Genauigkeit geht und Durchführungsvorschriften auf sich warten lassen. Je größer die Zahl der Gesetze 48 wird, um so stärker vermehrt sich die Zahl der Änderungsgesetze, der Ausführungsgesetze der Länder, der Durchführungsvorschriften, der Verwaltungsrichtlinien und Einzelweisungen. Es wächst aber auch die Zahl der unbestimmten, insbesondere auch der wertausfüllungsbedürftigen Gesetzesbegriffe 49 , je weniger die Auswirkungen gesetzlicher Regelungen i n allen Konsequenzen voraussehbar und bestimmbar sind. Die Verwaltungsbehörden sind aber noch aus einem anderen Grunde unsicher geworden. Wenn für sie Normentreue Staatsnotwendigkeit ist, werden sie überfordert, die Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen. Sie sind verpflichtet, gesetzliche Vorschriften solange anzuwenden, als sie durch die Verfassungsgerichte nicht für nichtig erklärt sind. E i n solcher Vorgang t r i f f t aber nicht nur die Gesetzgebung, sondern auch die Verwaltung, w e i l das Vertrauen der Bevölkerung geschmälert wird. Diese Erfahrung hat die Verwaltung nicht nur bei der Bedürfnisfrage, der Apothekenzulassung, den Kommunalwahlen, i m Steuerrecht, 47 K. Zeidler, Maßnahmegesetz und „klassisches" Gesetz, 1961. Dort auch weiteres Schrifttum. 48 U. Scheuner, Die Aufgabe der Gesetzgebung in unserer Zeit, D Ö V 1960, S. 601. 40 C. H. Vie, Zur Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Verwaltungsrecht, Jellinek-Gedächtnisschrift 1955, S. 309 ff. — Ο. Bachof, Beurteilungsspielraum, Ermessen und unbestimmter Rechtsbegriff i m Verwaltungsrecht, JZ 1955, S. 97 ff.
Wandlungen der öffentlichen Verwaltung
27
sondern auch i n vielen anderen Fällen gemacht. Bachof** meint zwar, daß die Verwaltungsbeamten verfassungswidrige Gesetze nicht anwenden dürften; dies leuchtet ein, solange die vorgesetzte Behörde nicht anderer Meinung ist oder die beteiligten Dienststellen (etwa i n den Gemeinden, Landkreisen, Ländern) verschiedener Meinung sind. Man w i r d daher die Entscheidung den obersten Behörden des Bundes und der Länder überlassen müssen, wenn nicht Rechtsunsicherheit entstehen soll. Die große Zahl der Gesetze hat aber nicht nur die Verwaltung kompliziert, sondern auch die Individualansprüche aufgrund der Gesetze vermehrt, was beides die Tätigkeitsbereiche vergrößert und die Quantität der öffentlichen Bediensteten gesteigert hat, ohne i n der Qualität das erforderliche Niveau halten zu können. Natürlich hängt dies alles m i t dem Anwachsen der öffentlichen Aufgaben zusammen, was die Vermehrung gesetzlicher Regelungen und der Bediensteten unter allgemeinen und speziellen Gesichtspunkten zur Folge hat 5 1 . öffentliche Aufgaben werden aber nicht immer durch die Gesetze begründet; durch die Gesetze w i r d ihre Erfüllung geordnet und notfalls gesichert; die Aufgabe existiert aber bereits, bevor die Normierung erfolgt. Anders als bei den Aufgaben ist es m i t den Tätigkeiten der Verwaltungsbehörden, die nicht nur von den Aufgaben, sondern ganz besonders auch von den Gesetzen abhängen. Aufgaben werden auch nicht durch das formelle Haushaltsgesetz geschaffen, da hierdurch nur Ermächtigungen zu Einnahmen und Ausgaben entsprechend den Aufgaben ausgesprochen werden 5 2 . Die Fülle der Gesetze regelt weite Bereiche des Vollzugs und bew i r k t i m Bereich der kommunalen Selbstverwaltung, daß freie Selbstverwaltungsaufgaben, die durch die Allseitigkeit des gemeindlichen Wirkungskreises verfassungskräftig gesichert sind, hinter den Pflichtund Weisungsaufgaben zurückstehen müssen oder i n Ermangelung finanzieller M i t t e l nicht neu aufgenommen werden können. Entsprechendes gilt von dem Aufgabenbereich des Bundes und der Länder, soweit die Finanzordnung nicht der Aufgabenordnung angepaßt ist. Sollen nicht die Finanzgesetze die verfassungsmäßige Ordnung gefährden, so müssen sie der verfassungsmäßigen Ordnung der Aufgaben folgen, nicht aber umgekehrt. Der Perfektionismus der Gesetzgebung 50 O. Bachof, Die Prüfungs- und Verweisungskompetenz der Verwaltung gegenüber dem verfassungswidrigen und bundesrechtswidrigen Gesetz, AöR, Bd. 87 S. 1 ff. — Ergebnisse: S. 46 ff. 51 Vgl.: Die Entwicklung des öffentlichen Dienstes, hrsg. von C. H. Ule, 1961 (bes.: Eckart Sturm, Die Entwicklung des öffentlichen Dienstes in Deutschland, Eine Untersuchung über die Wachstumstendenzen der deutschen Verwaltung, S. 7 ff.). 52 Becker, VöVDStRL 19, S. 274.
28
Erich Becker
w i r k t sich aber nicht nur i n den Komplikationen und i n den vermehrten Tätigkeiten bei der Aufgabenerfüllung aus, sondern zeigt sich besonders gravierend i n der Regelung vieler technischer Einzelheiten, die wesentliche Merkmale des Vollzugs i n der Form des Gesetzes vorwegnimmt. Der Veränderung der Gesetze folgt eine qualitative Änderung der Verwaltung. Werden die von den Verwaltungsbehörden vorgesehenen Vollzugsmaßnahmen soweit vorgeschrieben, daß ein Handlungsermessen nicht mehr i n Frage steht, so führt dies zu einem Wandel des Verwaltungsstils 5 3 , der die Subalternisierung der Verwaltung zur Folge hat. Zwar ist das pflichtgemäße Ermessen der Verwaltungsbehörden verfassungsrechtlich nicht geschützt und daher zur Disposition der Gesetze gestellt; es sollte aber keinem Zweifel unterliegen, daß die Gesetzgeber und die Regierungen, wenn sie solche Entwürfe einbringen, Konsequenzen auslösen, die i n ihren Auswirkungen unabsehbar sind. Soweit Massenvorgänge i n der Verwaltung nach gesetzlichem Schema i n gleicher Weise zu erledigen sind, bedarf es der Verwaltungsbeamten des höheren Dienstes ebensowenig wie bei der Automation. A n ihre Stelle t r i t t dann der perfekte Techniker 5 4 , der das Funktionieren der Apparatur überwacht, da es hierbei angeblich nicht mehr auf die Lebensverhältnisse ankommt. Es ist nur merkwürdig, daß die Klagen über Entscheidungen aus den Bereichen der Sozialverwaltungen relativ häufig sind, obwohl das Ermessen sehr stark eingeschränkt oder aufgehoben ist. Solche Wandlungen i n Verwaltungen können Schule machen; den berechtigten Anliegen der Bevölkerung muß aber entsprochen werden, weshalb dieser Verwaltungsstil begrenzt sein muß. Das gesetzlich eingeräumte pflichtgemäße Ermessen der Verwaltungsbehörden dient nicht ihrer Privilegierung, sondern dem öffentlichen Wohl, wenn die Gesetze das „Ob" und das „Wie" einer Maßnahme nach der gesetzlichen Zielsetzung der Entscheidung der Verwaltungsbehörden unter Bindung an die Amtspflicht der Beamten überlassen und wegen Rechtsverletzungen durch Ermessensüberschreitung oder Ermessensmißbrauch den Widerspruch und die Klage i m Verwaltungsstreitverfahren zulassen. Nicht nur die Gegenüberstellung der allgemeinen Kann-Vorschriften m i t den bayer. MußVorschriften i m Kommunalaufsichtsrecht 55 und nicht n u r die verschiedene Rechtsauffassung i m Ordnungsrecht 56 , sondern besonders die Frage des Rechtsanspruchs eines Betroffenen, wenn das Gesetz i h n durch Verpflichtung der Behörde begünstigen w i l l , hat zu der Frage 53
H. Peters, Der Kampf um den Verwaltungsstaat, Festschr. für Laforet 1952, S. 27. — Vgl. a.: Held, AöR 80, S. 50 ff. 54 K. Zeidler, Über die Technisierung der Verwaltung, 1959, S. 32 Art. 83, 84, 93. 85 Bayer. GO Art. 83, 84, 93. 56 Bayer. PolAufG Art. 4 ff.
Wandlungen der öffentlichen Verwaltung
29
geführt, ob auch auf das Eingreifen der Ordnungsbehörden i m Ermessensfall ein Rechtsanspruch gegründet werden kann 5 7 . Hier zeigt sich, wie unter veränderten rechtsstaatlichen Maximen nicht nur das überkommene Vokabular der Gesetzgebung einem Deutungswandel unterworfen sein kann, sondern auch die Verwaltung u. U. die Sicherheit verliert, die sie gewährleisten soll. Die Flucht i n die Quantität der Gesetze führt nicht selten zu einem Qualitätsverlust, w i e die Masse der Verwaltungsaufgaben die Güte ihrer Besorgung mindert. Wenn der Gesetzgeber aber selbst Verwaltungsmaßnahmen anordnet und den Behörden nur die Vollstreckung oder die Kontrolle der Vollstreckung überläßt, kann unter dieser Voraussetzung nicht mehr von Vollziehung gesprochen werden; denn die Vollziehung der Aufgaben i m herkömmlichen Sinne kennt die Ausführung der Gesetze m i t Handlungsermessen und die gestaltende Aufgabenerfüllung unter Beachtung des Rechts. Der Massengesellschaft entspricht aber eine Massengesetzgebung, die sowohl den Raum einer schöpferischen Verwaltung verengt als auch die freie Entfaltung der Persönlichkeit beschränkt. 3. Auch die nicht-gesetzesakzessorischeVerwaltungstätigkeitist rechtsgebunden, wie die Bindung an oberste Rechtsgrundsätze und verfassunggestaltende Grundentscheidungen erkennen läßt 5 8 . Ganz abgesehen von der Geltung der Grundrechte i m Gesamtbereich der öffentlichen Verwaltung, auch der nicht-gesetzesakzessorischen, ergibt sich aus dem Rechtsprinzip — worauf H. J. Wolff hingewiesen hat — der allgemeine Rechtsgrundsatz der persönlichen Gleichheit der Menschen und der sachlichen Gleichheit der Tatsachen, von denen allein qualitative Verschiedenheit des objektiven Wertes der beteiligten Interessen sachgerechte Abweichungen gestattet. Man w i r d auch die Beachtung der guten Sitten i m Rechtsverkehr und die Schadensersatzpflicht für sittenwidrige Schädigung hierher zu zählen haben. Weitere Beispiele solcher Rechtsgrundsätze sind Treu und Glauben, Wahrung der Rechtssicherheit, das Willkürverbot, die Beachtung des Gemeinwohls u. a. m. Es handelt sich hier u m unbestimmte Rechtsgrundsätze, die allerdings aus positiv geltendem Recht gewonnen sind, nicht u m bloße Programme, Richtlinien und Ziele. Auch aus richterlichen Erkenntnissen können solche Rechtsgrundsätze hervorgehen, die dem Rechtsprinzip entsprechen. Indem aus dem Rechtsgrundsatz i n Verbindung m i t einem typischen Sachverhalt ein Rechtssatz abgeleitet wird, erfolgt eine Konkretisierung, die die Rechtsanwendung erlaubt. Dies gilt besonders eindringlich, wenn eine Rechtswidrigkeit aufgedeckt wird, w e i l eine 57 Vgl. unten: J. Schneeberger, Ordnungsbehördliches Ermessen und Rechtsanspruch auf Eingriffe gegen Dritte, S. 77 ff. 58 Hans J. Wolff , Verwaltungsrecht I, 2. Aufl., S. 123, 124. DVB1. 1960, S. 297 ff., 301.
30
Erich Becker
bestimmte Entscheidung einem allgemeinen Rechtsgrundsatz widerspricht. Eine solche subsidiäre Rechtsfindung kommt freilich nur in Betracht, wenn die Gesetze schweigen. Entsprechendes gilt für die A b leitung aus Postulaten der Verfassung wie Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat, Bundesstaat u. a. m., wofür die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genügend Beispiele bietet; es ist auch auf die normbildende Wirkung der Verwaltungsrechtsprechung hinzuweisen, die für die Verwaltung mancherlei Zweifel behebt. Unsere Gesetzgebung ist nämlich so perfekt, daß die Vielzahl der Vorschriften Lücken i n allgemeinen Gesetzesregeln zur Folge hat, da der Allgemeine Teil des Verwaltungsrechts nicht kodifiziert und über wichtige Grundsatzfragen Streit entstanden ist. Zugleich w i r d aber auch deutlich, daß es Sachverhalte i n Fülle gibt, die wegen allzu großer Besonderheiten nach Zeit, Ort und Inhalt einer Normierung nur schwer zugänglich sind und trotzdem gelöst werden müssen. Hinzu kommen täglich Aufgabenerweiterungen durch unvorhergesehene neue Sachverhalte, die als gesetzlicher Tatbestand nicht geregelt sind. Es ist nicht die Verwaltung, die solche Sachverhalte erfindet, u m ohne Norm nach dem Rechtsprinzip zu handeln, sondern die Entwicklung der Lebensverhältnisse, die sich niemals restlos i n gesetzliche Normierungen einfangen läßt. Die Verwaltungsbehörden haben aber nicht nur Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten, wofür die Gesetze zur Wahrung des Gemeinwohls Eingriffe zulassen, sondern auch Schutz und Hilfe zu gewähren, soweit sie gesetzlich verpflichtet sind; aber die Maßnahmen leistender, vorsorgender und bedarfsdeckender A r t sind nur zum Teil gesetzlich geordnet, i m übrigen an die Verwirklichung des sozialen Rechtsstaats gebunden, i n dem unter Beachtung der Schranken der Freiheit die menschliche Persönlichkeit geschützt und zugleich soziale Sicherheit realisiert wird. Vor noch schwieriger zu erfüllende Obliegenheiten ist aber die Verwaltung gestellt, wenn gesetzliche Regelungen ungenau oder widersprüchlich oder unvollständig sind, so daß die Ausführung der Gesetze zum Teil unmöglich oder unterschiedlich ist, bis Ergänzungsgesetze und Durchführungsverordnungen die korrekte Gesetzesausführung ermöglichen. Die Verwaltung, nicht das Gesetz, w i r d von der öffentlichen Meinung verantwortlich gemacht, wenn die Ausführung eines Gesetzes verspätet beginnt, wenn Unsicherheiten der Gesetzeslage Massenentscheidungen erheblich verzögern oder wenn Entscheidungen ergehen, die wegen abweichender Gesetzesauslegung aufgehoben werden. W i r d aber die Verwaltung i m gesetzesakzessorischen Bereich derart von Rechtssätzen i m Stich gelassen, daß sich der Aufgabenerfüllung unüberwindliche Schwierigkeiten entgegenstellen, dann w i r d zuweilen die Rechtsprechung zum Freund und Helfer der Verwaltung, w e i l ihre Entscheidung i n einem
Wandlungen der öffentlichen Verwaltung
31
konkreten Fall eine allgemeine Rechtsnot beim Schweigen des Gesetzgebers abzuwenden vermag. Allerdings kann auch der Perfektionismus gesetzlicher Regelungen zur Folge haben, daß die Verwaltung sich bei unbestimmten, insbesondere wertausfüllungsbedürftigen Gesetzesbegriffen einer verantwortlichen Gesetzesauslegung entzieht, w e i l ganze Verwaltungszweige bereits auf die Vollstreckung subtiler Vollzugsnormen eingestellt sind. Er führt auch beim Schweigen der Gesetze dazu, daß die schöpferische und gestaltende Verwaltungstätigkeit nicht nur eingeschränkt wird, w e i l der Masse der Gesetzesausführung der Vorrang zukommt, sondern auch, w e i l die i m Rahmen der Gesetze allein rechtsgebundene Verantwortungsbereitschaft stetig abnimmt. Trotz der Unmöglichkeit totaler gesetzlicher Normierung entwickelt sich die Verwaltungsfunktion i n Richtung einer zunehmenden Beschränkung auf die Gesetzesausführung, w e i l nicht mehr i h r „Dürfen", sondern i h r „Müssen" i m Vordergrund steht 5 9 . Sowohl i m Zusammenhang hiermit als auch i n Verbindung m i t der nicht-gesetzesakzessorischen, nicht-hoheitlichen Tätigkeit der Verwaltung ist der Verfassungs- und Verwaltungsrechtsprechung eine Bedeutung erwachsen, die zu Wandlungen der öffentlichen Verwaltung geführt hat. III. 1. Wenn i m nächsten Jahr die Hundertjahrfeier zur Erinnerung an die Einführung unabhängiger Verwaltungsgerichte i n Baden festlich begangen wird, dürfte von der Krönung des Rechtsstaates gesprochen werden und damit die gleiche Formel Verwendung finden, die man bei der Einführung der Generalklausel und der Errichtung der Verfassungsgerichte immer wiederholt hat. Allerdings ließ die enumerative Zuständigkeitsordnung i m bürgerlichen Rechtsstaat nichts von dem Ausbau der Generalklausel i m sozialen Rechtsstaat ahnen. Diese Entwicklung ist nicht nur i m Hinblick auf die Beschränkung der verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeit i m nationalsozialistischen Staat zwangsläufig gewesen, sondern auch durch die Wandlung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft bestimmt. Die Verwaltungsrechtsprechung spricht nicht nur bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nicht-verfassungsrechtlicher A r t Aufhebungen und Verpflichtungen aus und entscheidet nicht nur über Leistungsansprüche und über die Feststellung eines Rechtsverhältnisses (einschl. der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts), sondern bestätigt auch durch Klageabweisung i n einer . se c . F. Menger, Rechtssatz, Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, D Ö V 1955, S. 587 ff., 588.
32
Erich Becker
weit größeren Zahl der Fälle die Entscheidungen der Verwaltungsbehörden. Über der Rechtsschutzfunktion der Verwaltungsgerichte sollte ihre Funktion zur Sicherung der Rechtsordnung nicht übersehen werden 6 0 . Es ist der Staat, der sich als Rechtsstaat dem Recht und den Gesetzen unterstellt und die Gesetze der Verfassungskontrolle, die Verwaltungshandlungen aber der Rechtskontrolle unterwirft. Das Staatsbild des Gesetzgebers bei Einführung unabhängiger Verwaltungsgerichte i n Preußen und Sachsen sah allerdings anders aus. Damals wurde bei Beratung der Gesetze erklärt: Endlich sei der Tag gekommen, an dem der freie Bürger den Staat zum Zweikampf vor die Schranken des Gerichts fordern könne; und das Gericht sei der Unparteiische, der diesen Zweikampf entscheide 61 . Nachdem die gesellschaftlichen Kräfte i m Staat die Entscheidung über die Gesetze errungen hatten, übertrugen sie das kontradiktorische Verfahren auf die Verwaltungsgerichte und bewirkten durch die Rechtskontrolle nach dem Vorbild des Zivilprozesses die Vorstellung, den „Staat" durch die Gerichte (wenigstens enumerativ) gebändigt zu haben. Es versteht sich, daß hierbei an die Abwehr von gesetzwidrigen Eingriffen i n Freiheit und Eigentum zur Gewährleistung der persönlichen Freiheit gedacht war. Nicht den Befehlen der Bürokratie des Obrigkeitsstaates, sondern allein den für alle verbindlichen Gesetzen zu gehorchen, galt als Inbegriff „gesetzlicher Freiheit", vor deren Verletzung dem Betroffenen Rechtsschutz zustehen sollte. Diese Vorstellungswelt muß i n Erinnerung gerufen werden, u m die Wandlungen zu begreifen, die sich inzwischen vollzogen haben. Unter den Verwaltungsstreitsachen der Gegenwart überwiegen die besonders intensiv gesetzlich geregelten Rechtsgebiete bei weitem gegenüber denen, bei denen ein weites gesetzliches Ermessen eingeräumt ist. 2. Es fragt sich, ob sich durch den Wandel der Staatsform zur demokratischen Republik an der Einstellung zur „vollziehenden Gewalt" etwas geändert hat. Zwar sprechen die Gerichte nicht mehr „ i m Namen des Gesetzes", sondern „ i m Namen des Volkes" Recht; daß auch die sog. „vollziehende Gewalt" i m Namen des Volkes handelt, dürfte keineswegs allgemein angenommen werden, obwohl alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Die Begrenzung individualisierter Sozialansprüche durch die Rücksicht auf das Wohl der Allgemeinheit und die Bereitstellung von Dienstleistungen für alle ohne Sonderrechte des einzelnen sind jedem egozentrischen Denken unerwünscht; es ist die Bindung an das öffentliche Wohl, die allen mißfällt, deren Leistungsansprüche 60
Becker, VöVDStRL 14, S. 114. Verhandl. des Hauses der (pr.) Abg., Sten. Ber. Bd. 3, 1872, S. 1284; Verhandl. des ord. L T des Kgr. Sachsen, Ber. der 1. Kammer 1897/98 S. 409. 61
Wandlungen der öffentlichen Verwaltung
33
hierdurch beschränkt werden. Soweit solche Ansprüche gesetzlich begründet sind, stehen sie außerhalb der Diskussion, w e i l der Gesetzgeber sie aus Gründen des öffentlichen Interesses gewährt. Wenn aber die Gesetze schweigen, ist es höchst fragwürdig, ob die Verwaltung befugt ist, auf Kosten der Allgemeinheit einzelnen Personen Zuwendungen zu machen. Nicht-gesetzesakzessorische Begünstigungen werden heute zuweilen als rechtswidrig angesehen 62 , soweit nicht ein Notstand die Ausnahme i m öffentlichen Interesse rechtfertigt. Hieraus entspringt natürlich sofort die Gegenfrage: Ist die Verwaltung nur noch auf den Notstand begrenzt? Andererseits bedarf die Forderung nach gesetzlicher Ermächtigung der Begrenzung, da der Gesetzgeber ihr nachzukommen außerstande ist. Die Subvention 6 3 steht jedenfalls nicht zur freien Disposition der Verwaltung, weil sie den Interessen der Allgemeinheit, nicht aber Privatinteressen zu dienen hat 6 4 . Die Verpflichtung zur Gleichbehandlung 65 findet von hier aus eine wichtige Interpretation. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Subvention von der gesetzlichen Ermächtigung freigestellt, wenn sie der Vermeidung von Verlusten dient, also nicht auf Gewinn abzielt 6 6 . Die Sicherung der freien Entfaltung der Persönlichkeit steht unter der Voraussetzung sozialer Sicherheit für alle. Die Gewährleistung gesetzlicher Freiheit als Ausgangspunkt aller Verwaltungsrechtsprechung ist unumstritten. Die Gewährung gesetzlicher Leistungen sollte ebensowenig umstritten sein. Die Meinungsverschiedenheiten beginnen erst dort, wo ζ. B. aus der gesetzestreuen Anwendung der Norm der Vorw u r f der Verfassungswidrigkeit erhoben w i r d — w i e die Rechtsprechung zu A r t . 12 GG zeigt —, wo bei der Wiederherstellung der verletzten Gesetzesordnung aus dem Rechtsstaatsprinzip über Vertrauensschutz usw. ein Rechtsanspruch auf das gesetzwidrige Rechtsverhältnis anerkannt w i r d und wo aus dem Gleichheitssatz ein Übermaß dessen gefordert wird, wozu das Gemeinwesen imstande ist. Ich kritisiere dam i t nicht die Verfassungs- und Verwaltungsrechtsprechung. Selbst62
F. Meyer, Das verfassungsrechtliche Gebot der gesetzlichen Ermächtigung, Festschr. für H. Nottarp, 1961, S. 187 ff. 63 A. Röttgen, Subventionen als Mittel der Verwaltung, DVB1. 1953, S. 485 ff. — H. P. Ipsen, öffentliche Subventionierung Privater, 1956. — Dürig, Der Staat und die Vermögenswerten öffentlichrechtlichen Berechtigungen seiner Bürger, Festschr. für Apelt, 1958, S. 13 ff. — Henze % Verwaltungsrechtliche Probleme der staatlichen Finanzhilfe zu Gunsten Privater, 1958, — Stern, Rechtsfragen der öffentlichen Subventionierung Privater, JZ 1960, S. 518 ff. — Maunz, Die staatliche Verwaltung der Zuschüsse und Subventionen, BayVBl. 1962 S. 1. 64 Becker, VöVDStRL 19, S. 249/50. 65 v. Münch, Die Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz bei der Gewährung von Subventionen, AöR 85, S. 270. — Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht. Zur Bindung des Gesetzgebers an die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Erforderlichkeit, 1961. 66 EBVerwG 6, 2Ä2; bes. a.: DVB1.1959 S. 138 und 706. 3 Speyer 13
34
Erich Becker
verständlich müssen verfassungswidrige Vorschriften für nichtig erklärt werden, muß das Vertrauen i n die rechtsstaatliche Ordnung geschützt und das Grundrecht der Gleichheit gewahrt werden. Es ist aber nicht einzusehen, weshalb die Anwendung von Gesetzen, die verf assungswidrig sind, der Verwaltung zur Last gelegt wird, obwohl sie diese Gesetze anwenden muß, bis sie für nichtig erklärt werden. Es ist m i r auch schwer verständlich, warum die Rücknahme eines gewährenden, gesetzwidrigen Verwaltungsakts aufgehoben und der Vertrauensschutz nicht auf den Rückfonieriungsanspruch 67 begrenzt wird. Ist es denn ein Gebot des Rechtsstaats, gesetzwidrige Verwaltungsakte aufrechtzuerhalten? Ist es ein belastender Verwaltungsakt, d. h. ein Eingriff i n die gesetzliche Freiheit, wenn ein gesetzwidriger A k t zurückgenommen wird? Und kann es einen rechtsstaatlichen Vertrauensschutz i n die gesetzwidrige Handlung der Verwaltung geben? Kann ein Gericht ein überwiegendes öffentliches Interesse feststellen, nachdem das Gesetz vorgeschrieben hat, was dem öffentlichen Interesse entspricht? Wenn der rechtsstaatliche Vertrauensschutz auf die Versagung des Rückforderungsanspruchs beschränkt w i r d , könnte auch die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung unangetastet bleiben. Vielleicht gehört die Kodifikation einer solchen Regel zu den dringenden A n liegen an den Gesetzgeber. 3. Wegen derartiger Meinungsverschiedenheiten, die unter Juristen nicht gerade selten sind, muß nicht ein sog. Spannungsverhältnis 68 zwischen Verwaltung und Verwaltungsrechtsprechung bestehen. Es ist m. E. viel zu viel Aufhebens hiervon gemacht worden. Die Annahme seiner Existenz ist wohl zu sehr vom einzelnen Prozeß her gesehen, aus dem Verhältnis zwischen Verwaltung und Verwaltungsrechtsprechung jedoch nicht begründet. Solange menschliches Handeln rechtsfehlerhaft sein kann, muß es Rechtskontrollen geben. Dies gilt nicht nur für das Handeln der Verwaltungsbehörden, sondern i n gleicher Weise für die Urteile der Verwaltungsgerichte. Schließlich werden j a nicht nur Verwaltungsakte, sondern auch Urteile aufgehoben, wenn sie i n der Berufungs- oder i n der Revisionsinstanz oder aufgrund einer Verfassungsbeschwerde als rechtswidrig erkannt werden. Während sich aber die Rechtsprechungsfunktion der Verwaltungsgerichte i n hoheitlichen Erkenntnissen erschöpft, umfaßt die Funktion der Verwaltung eine derartige Fülle von hoheitlichen und nicht-hoheitlichen Verwaltungshandlungen zur Wahrung und Förderung des Wohles der A l l gemeinheit, daß die Verwaltungsstreitsachen n u r einen bescheidenen 67 Wirth, Ein neuer Gedanke zur Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte mit Vorbem. von Dürig D Ö V 1960 S. 173 ff. 68 Gross, I m Spannungsfeld von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVB1.1954, S. 739. — Becker, VöVDStRL 14, S. 130.
Wandlungen der öffentlichen Verwaltung
35
Anteil hieran haben. Allerdings kommt es hier nicht auf die Quantität, sondern auf die Qualität an, wenn das Urteil nicht nur Rechtsschutz gewährt, sondern zugleich der Rechtsordnung diènt, woran die Verwaltung oft ebenso interessiert ist wie der Kläger an seinem Recht, Viel mehr als zwischen Verwaltung und Verwaltungsrechtsprechung könnte man von Spannungen zwischen Gesetzgeber und Verwaltung sprechen, weil sich die Verwaltung zum Teil überfordert, zum Teil i m Stich gelassen vorkommt und w e i l der Gesetzgeber diese Masse der Rechtsmittel und Rechtsbehelfe geschaffen hat, die Otto Model i n seinem Handbuch auf 400 Seiten dargestellt h a t 6 9 . Aber auch dieses Spannungsverhältnis verblaßt, w e i l Gesetzgebung und Verwaltung aufeinander angewiesen sind und w e i l auch die Gesetzgebung der Verfassungskontrolle unterliegt. Sehen w i r von den Ausnahmefällen menschlichen und fachlichen Versagens i m Bereich der Verwaltung und i n der Verwaltungsgerichtsbarkeit ab, so ist ein Spannungsverhältnis nicht ersichtlich, w o h l aber ein Wettbewerb u m die V e r w i r k lichung des sozialen Rechtsstaates, der uns nicht gegeben, sondern aufgegeben ist. I n diesem Bemühen sprechen die Verwialtungsgerichte aus, was Rechtens ist; die Verwaltungsbehörden aber bewirken, was dem Rechte entspricht (Burkhard); d.h. sie bewirken durch Tathandlungen sowie durch Rechtshandlungen des öffentlichen und des p r i vaten Rechts die Wahrung und Förderung des öffentlichen Wohles unter dem Recht. Der Rechtsstaat w i r d abstrakt diurch die Gesetze* konkret jedoch nicht nur durch die Gerichte, sondern i m größten Umfang auch durch die Verwaltung garantiert. Eine solche umfassende Funktion muß i m Hinblick auf ihre Machtentfaltung durch das Recht begrenzt werden; es fällt aber auf den Staat zurück, wenn er seine Verwaltung nicht immer vor Autoritätsverlusten zu schützen weiß, z.B. wenn er seine Beamtenauslese nicht nach Eignung, Befähigung und Leistung trifft, wenn die Quantität der Aufgaben die Qualität mindert, wenn das öffentliche Wohl wegen der Individualansprüche notleidet, wenn Vollzugsnormen i m Wege der Gesetzgebung ergehen und vollstreckt werden müssen, wenn die Verwaltung u. U. viele Jahre warten muß, bis sie erfährt, was Rechtens ist. Die Schwerpunktverschiebung von der Eingriffsverwaltung zur Leistungsverwaltung würde Verwaltung und Verwaltungsrechtsprechung weniger Schwierigkeiten bereiten, hätte der Gesetzgeber genügend allgemeine Rechtssätze bereit, auf die man sich hierfür berufen könnte, und wäre wenigstens die Terminologie der Gesetze weniger uneinheitlich, damit nicht erst i m Wege der Rechtsfindung i h r Sinn ermittelt werden muß. ·· O. Model, Handbuch der Rechtsmittel und Rechtsbehelfe, 1961. 3*
36
Erich Becker
Die rechtsstaatliche Verwaltung des 19. Jahrhunderts hat sich unter der Verpflichtung zum sozialen Rechtsstaat beträchtlich gewandelt. Der Vermassung der Verwaltungsaulgaben müssen auch und gerade i m industriell-technischen Zeitalter Grenzen gesetzt werden, damit der einzelne seine Persönlichkeit frei entfalten kann. Die durch ständige Improvisationen komplizierten Verwaltungsorganisationen müssen so vereinfacht und verbessert werden, daß die Zuständigkeiten übersichtlicher und die Zahlen der öffentlichen Bediensteten nicht laufend vermehrt werden. Unter den Tätigkeiten der öffentlichen Verwaltung haben die Dienstleistungen für jedermann bereits einen so großen Umfang angenommen, daß die Ordnungs- und Förderun