Wampum und Biber: Fetischgeld im kolonialen Nordamerika: Eine mausssche Kritik des Gabeparadigmas [1. Aufl.] 9783839425268

In a critical re-reading of Marcel Mauss' Essai sur le don, Mario Schmidt develops an ethnological concept of money

200 25 2MB

German Pages 300 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
EINLEITUNG
Wampum, Küstenalgonkin und das östliche Waldland Nordamerikas im 17. Jahrhundert
Paradoxien in der Beschreibung der Wirtschaftslogik der Küstenalgonkin und deren bisherige akademische Rezeption – Wampum als Geld und/oder Gabe?
WAMPUM ZWISCHEN GELD UND GABE – ÜBERLEGUNGEN ZUR REZEPTIONSGESCHICHTE
Die ökonomistisch-fetischistische Interpretation – Geld, Monetarisierung und Fetischismus
William Weedens Interpretation des Wampumkomplexes und der Biberfetisch der Europäer
Der ‚Fetisch‘ – Versuch der Wiederbelebung eines wirtschaftsethnologischen Konzeptes
‚Money is what Money can do‘ – Eine Reinterpretation der Tauschsphären der Tiv
Die Materialität des Geldes und die Ambivalenz des modernen Geldbegriffs – Geld als ‚essentially contested concept‘
‚Monnaie française‘ und die soziale Basis der Wirkungsmacht des Geldes – Überlegungen zu einer vergessenen Tradition
Über zirkulierende Fetische und die Dingvergessenheit der Gabentheorie
‚Totale soziale Tatsachen‘, ‚totale soziale Phänomene‘ und ‚totale soziale Objekte‘ – Georges Balandiers Präzision der mausschen Kategorien
Geld und Gabe als zirkulierende sozialintegrative Fetische
Die kulturalistische Interpretation – Gabe und Reziprozität
Muschelgeld: Über die besondere Eignung der Perle als Geld
‚PRE-CONTACT AMERICAN DREAM‘ – DIE LEBENSWELT DER KÜSTENALGONKIN UND IHR MONOMEDIALES GELDSYSTEM
Autonomie und Einzigartigkeit durch Transformation als Hypergut der Kultur der Küstenalgonkin
Das Hypergut im alltäglichen Umgang – Eine Kultur des Exzesses
Analyse des Mythos von Chahnameed und die dichotome Gottesvorstellung der Küstenalgonkin
Namensgebung, Visionssuche und Schamanismus – Aktivierung des Hypergutes in außeralltäglichen, religiösen Handlungen
Von Reichtum zu Vermögen – Indianische Feste und Glückspiele als wertgenerierende Translokationsmechanismen
Produktion von Wampum als Dekonstruktion von Wert: Die einzelne Perle als geronnenes Potential
Indianische Austauschprozesse – Nanówwe und Anaqúshento als komplementäre Transaktionsmodi
Die Bedeutung der Gräber und der Grabbeigaben für die Legitimation der herrschenden Ideologie
Wampum als ‚objet social total‘ und seine vermittelnde Rolle in der Aufrechterhaltung der hierarchischen Gesellschaftsstruktur der Küstenalgonkin
Disbalancen im indigenen Wertsystem – Über die inhärente Instabilität der indigenen Fiskalpolitik
Martha’s Vineyard Wampanoag: Individualismus statt Individualität. Eine alternative Lösung des Werteproblems
KOLONIALE GELDPOLITIK DER NEU-NIEDERLANDE UND INDIGENES WIRTSCHAFTEN
Über Prozesse verschränkter Monetarisierung, bimediale und multimediale Geldsysteme
Überblick über die ökonomische Geschichte der Neu-Niederlande
Die Monetarisierten monetarisieren: Die Einführung von Wampum als Geld in den Neu-Niederlanden
Die Etablierung monetärer Souveränität – Skizze des bimedialen Geldsystems der Neu-Niederlande
Der Kampf um eine Lösung des Problems monetärer Instabilität
Der Biber als Fetisch oder die heterologe Konstitution der Kolonialökonomie
Indianer als geldpolitische Akteure – Über die Existenz einer Fiskalpolitik bei den Irokesen
GELEUGNETE SYMMETRIEN: GABE UND GELD ALS ‚OBJETS SOCIAUX TOTAUX‘
LITERATUR
Primärquellen
Sekundärquellen
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Wampum und Biber: Fetischgeld im kolonialen Nordamerika: Eine mausssche Kritik des Gabeparadigmas [1. Aufl.]
 9783839425268

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Mario Schmidt Wampum und Biber: Fetischgeld im kolonialen Nordamerika

Kultur und soziale Praxis

Oma Olpe und Oma Kierspe, Johanna und Nadine

Mario Schmidt (Dr. phil.) forscht am Käte Hamburger Kolleg/Centre for Global Cooperation Research, Duisburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind Ethnologie des Geldes, ethnologische Demokratieforschung, Ethnographie Kenias und Nordamerikas sowie kulinarische Ethnologie.

Mario Schmidt

Wampum und Biber: Fetischgeld im kolonialen Nordamerika Eine mausssche Kritik des Gabeparadigmas

Die vorliegende Arbeit wurde 2013 vom Fachbereich 8 der Johann Wolfgang Goethe-Universität als Dissertation angenommen. Verfasst und gedruckt mit Unterstützung des DFG-Graduiertenkollegs »Wert und Äquivalent – Über Entstehung und Umwandlung von Werten aus archäologischer und ethnologischer Sicht«. Der DFG sei an dieser Stelle für ein dreijähriges Stipendium sowie die Übernahme der Druckkosten gedankt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Mario Schmidt Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2526-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

E INLEITUNG _  Wampum, Küstenalgonkin und das östliche Waldland Nordamerikas im 17. Jahrhundert | 18 Paradoxien in der Beschreibung der Wirtschaftslogik der Küstenalgonkin und deren bisherige akademische Rezeption – Wampum als Geld und/oder Gabe? | 31

W AMPUM ZWISCHEN GELD UND G ABE ZUR R EZEPTIONSGESCHICHTE _

– ÜBERLEGUNGEN

Die ökonomistisch-fetischistische Interpretation – Geld, Monetarisierung und Fetischismus _

William Weedens Interpretation des Wampumkomplexes und der Biberfetisch der Europäer | 39 Der ‚Fetisch‘ – Versuch der Wiederbelebung eines wirtschaftsethnologischen Konzeptes | 50 ‚Money is what Money can do‘ – Eine Reinterpretation der Tauschsphären der Tiv | 58 Die Materialität des Geldes und die Ambivalenz des modernen Geldbegriffs – Geld als ‚essentially contested concept‘ | 63 ‚Monnaie française‘ und die soziale Basis der Wirkungsmacht des Geldes – Überlegungen zu einer vergessenen Tradition | 77 Über zirkulierende Fetische und die Dingvergessenheit der Gabentheorie | 89 ‚Totale soziale Tatsachen‘, ‚totale soziale Phänomene‘ und ‚totale soziale Objekte‘ – Georges Balandiers Präzision der mausschen Kategorien | 96 Geld und Gabe als zirkulierende sozialintegrative Fetische | 112 Die kulturalistische Interpretation – Gabe und Reziprozität _

Muschelgeld: Über die besondere Eignung der Perle als Geld | 128

‚P RE -CONTACT AMERICAN DREAM ‘ – DIE LEBENSWELT DER KÜSTENALGONKIN UND IHR MONOMEDIALES GELDSYSTEM |   Autonomie und Einzigartigkeit durch Transformation als Hypergut der Kultur der Küstenalgonkin | 139 Das Hypergut im alltäglichen Umgang – Eine Kultur des Exzesses | 141 Analyse des Mythos von Chahnameed und die dichotome Gottesvorstellung der Küstenalgonkin | 145 Namensgebung, Visionssuche und Schamanismus – Aktivierung des Hypergutes in außeralltäglichen, religiösen Handlungen | 149 Von Reichtum zu Vermögen – Indianische Feste und Glückspiele als wertgenerierende Translokationsmechanismen | 156 Produktion von Wampum als Dekonstruktion von Wert: Die einzelne Perle als geronnenes Potential | 159 Indianische Austauschprozesse – Nanówwe und Anaqúshento als komplementäre Transaktionsmodi | 162 Die Bedeutung der Gräber und der Grabbeigaben für die Legitimation der herrschenden Ideologie | 174 Wampum als ‚objet social total‘ und seine vermittelnde Rolle in der Aufrechterhaltung der hierarchischen Gesellschaftsstruktur der Küstenalgonkin | 179 Disbalancen im indigenen Wertsystem – Über die inhärente Instabilität der indigenen Fiskalpolitik | 187 Martha’s Vineyard Wampanoag: Individualismus statt Individualität. Eine alternative Lösung des Werteproblems | 192

KOLONIALE GELDPOLITIK DER NEU-NIEDERLANDE UND INDIGENES W IRTSCHAFTEN _  Über Prozesse verschränkter Monetarisierung, bimediale und multimediale Geldsysteme | 199 Überblick über die ökonomische Geschichte der Neu-Niederlande | 206 Die Monetarisierten monetarisieren: Die Einführung von Wampum als Geld in den Neu-Niederlanden | 211 Die Etablierung monetärer Souveränität – Skizze des bimedialen Geldsystems der Neu-Niederlande | 214 Der Kampf um eine Lösung des Problems monetärer Instabilität | 218

Der Biber als Fetisch oder die heterologe Konstitution der Kolonialökonomie | 226 Indianer als geldpolitische Akteure – Über die Existenz einer Fiskalpolitik bei den Irokesen | 234

G ELEUGNETE S YMMETRIEN: G ABE UND GELD ALS ‚ OBJETS SOCIAUX TOTAUX ‘ |   LITERATUR

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Primärquellen | 255 Sekundärquellen | 263

Einleitung La monnaie existe dans toute l’Amérique du nord: chez le Iroquois, le wampum est un travail de perles qu’on prête, mais qu’il faut rendre augmenté d’un rang, car le fait de l’échange augmente sa valeur1 MARCEL MAUSS

Ich staunte nicht schlecht, als im April 2009 nach einer Beerdigungsmesse im westkenianischen Dorf Kadongo der Priester plötzlich damit begann, die Gäste um eine kleine Spende als Aufwandsentschädigung für die Gestaltung der äußerst opulenten und monatelang geplanten Zeremonie zu bitten. Als dieser dann nach Erfragen meines Namens eben diesen plötzlich lauthals mit Angabe der Höhe meiner geleisteten Zahlung in die Menge schrie, erst im Nachhinein wurde mir bewusst wie gering sie war, wurde aus bloßem Staunen Verwunderung. Während ich aus meiner Beschäftigung mit afrikanischen Kulturen und den Klassikern der Wirtschaftsethnologie von zahlreichen Beispielen für Aneignungsprozesse (oder gar – wie es im Anschluss an Klute heißen könnte: Zähmungsprozesse2) modernen, staatlichen Geldes in indigene Lebenswelten wuss-

1

Mauss, Marcel (1947): Manuel D’Ethnographie, Paris: Payot, hier S. 108; [„Geld existiert im ganzen Nordamerika: bei den Irokesen ist es Wampum, ein Schmuckstück aus Perlen, das man gibt, wobei man den Tausch mit einem höherwertigen Exemplar erwidern muss, denn der Tausch erhöht den Wert.“] Die Übersetzung der französischsprachigen Zitate erfolgt im Folgenden sinngemäß.

2

Vgl. Klute, Georg (2003): Lässt sich Geld zähmen? Ethnologische Perspektiven auf die Monetarisierung. In: Zeitschrift für Ethnologie 128, S. 99-117. In der englischen Diskussion wird vor allem auf Appadurais Begriff des „enclavement“ Bezug genommen. Siehe Appadurai, Arjun (1988): Introduction: commodities and the politics of value. In: Appadurai, Arjun (Hg.): The social life of things. Commodities in cultural

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te,3 war mir eine derart offen zur Schau gestellte Präsentation wirtschaftlichen Erfolges innerhalb einer religiösen Zeremonie doch fremd.4 Nach Rückkehr von meiner Feldforschung im September 2009 und Abschluss meiner Magisterarbeit zu Transformations- und Stabilitätsprozessen innerhalb der Luo-Küche wurde ich von meinem Magisterarbeitsbetreuer Prof. Dr. Marin Trenk im Sommer 2010 auf ein ausgeschriebenes Stipendium zum Thema Muschelgeld und Monetarisierung aufmerksam gemacht. Erfahrend, dass der Hauptgegenstand der Arbeit ein mir bis zu diesem Zeitpunkt unbekanntes Muschelgeld namens ‚Wampum‘ 5 zu perspective, Cambridge: Cambridge University Press. Beide Begriffe sind dem der Einbettung insofern vorzuziehen als sie Assoziationen zu Machtprozessen auslösen. 3

Vgl. zur Illustration der weltweiten Verbreitung dieses Phänomens u.a. Znoj, Heinzpeter (1995): Tausch und Geld in Zentralsumatra. Zur Kritik des Schuldbegriffes in der Wirtschaftsethnologie, Berlin: Reimer; Taussig, Michael T. (1986): The Devil and Commodity Fetishism in South America, Chapel Hill: University of North Carolina Press; McIntosh, Janet (2009): The edge of Islam. Power, personhood, and ethnoreligious boundaries on the Kenya Coast, Durham: Duke University Press; Shipton, Parker (1989): Bitter Money. Cultural Economy and some African Meanings of Forbidden Commodities, Washington: American Anthropological Association; Hutchinson, Sharon Elaine (1996): Nuer dilemmas. Coping with money, war, and the state, Berkeley: University of California Press; Parkin, David J. (1972): Palms, Wine and Witnesses. Public Spirit and Private Gain in an African Farming Community, San Francisco: Chandler Publishing; White, Luise (2000): Speaking with vampires. Rumor and history in colonial Africa, Berkely: University of California Press; Taylor, Christopher Charles (1992): Milk, honey, and money. Changing concepts in Rwandan healing, Washington: Smithsonian Institution Press und Snodgrass, Jeffrey G. (2002): A Tale of Goddesses, Money, and other Terribly Wonderful Things: Spirit Possession, Commodity Fetishism, and the Narrative of Capitalism in Rajasthan, India. In: American Ethnologist 29, S. 602-636.

4

Vgl. den Titel des folgenden Artikels: Trenk, Marin (2001b): Die sind ja noch kapitalistischer als wir!? Notiz zu einer vergleichenden Anthropologie des Geldes in Afrika. In: Cornelssen, Inse/Wippel, Steffen (Hg.): Entwicklungspolitische Perspektiven im Kontext wachsender Komplexität. Festschrift für Prof. Dr. Dieter Weiss, Bonn: Weltforum-Verlagsgesellschaft mbH für Politik und Auslandskunde, S. 487-506.

5

Die Bezeichnung Wampum hat sich innerhalb des wissenschaftlichen wie populären Diskurses durchgesetzt. In der zeitgenössischen Literatur gibt es jedoch verschiedene weitere häufig verwendete Begriffe. Während die neu-niederländischen Quellen nahezu einheitlich von ‚zeewan‘, ‚seawan‘, ‚seewan‘ oder ‚zeawan‘ sprechen, wird im Französischen zumeist der Begriff ‚porcelain‘ verwendet. Der in den englischen Quellen häufig anzutreffende Begriff ‚Wampumpeag‘ zerfällt in drei morphologische Teile

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sein habe und der geographische Schwerpunkt im nordöstlichen Nordamerika liege – für einen ausgebildeten Afrikanisten nicht gerade das Wunschgebiet seiner Dissertation – vereinbarte ich mit meinem Betreuer, dass ich mir einige Quellen ansehen würde, um ihm dann meine Entscheidung mitzuteilen. Schon nach kurzem Überblick der Primär- als auch der Sekundärliteratur zum Thema wurde mir die theoretische Sprengkraft des Gegenstandes bewusst und trotz der eher Alpträume hervorrufenden Vorstellung, einsame Winterabende in Archiven statt in tropischer Sonne zu verbringen, entschied ich mich für die Bewerbung. Während in nahezu allen Studien zum Thema Geld der impact staatlichen Geldes auf nicht-monetarisierte Gesellschaften untersucht wird – meistens unter Einfluss der stillschweigend akzeptierten simmelschen Konstatierung einer Unterhöhlung dieser ‚moral economies‘ durch den Katalysator Geld: Götter und Gattinnen werden plötzlich verschachert wie zuvor Getreide; allgemeine Venalität löst kulturelle Einbettung schlagartig ab6 –, zwingen die Quellen zum nordöstlichen Nordamerika den Forscher zur Einnahme einer konträren Perspektive. Man (wamp-omp-eag), wobei ‚wamp‘ ‚weiß‘, ‚omp‘ ‚Schnur‘ bezeichnet und ‚-eag‘ das Suffix für den animierten Plural darstellt, vgl. dazu Hewitt, John Napoleon Brinton (1910): Wampum. In: Hodge, Frederick Webb (Hg.): Handbook of American Indians North of Mexico. 2 Bände, Washington: Government Printing Office, S. 904-909, hier Band II, S. 904. Häufig finden sich auch ‚peak‘ oder ‚peag‘ als Abbreviationen. Die Maßeinheit des ‚fathom‘ wird häufig ohne weitere Spezifizierung verwendet. Auch wenn innerhalb der wissenschaftlichen Debatte Unklarheit über die Verwendung des Begriffes besteht, verstehe ich in dieser Arbeit darunter lediglich die circa 0,55 cm langen und 0,4 cm breiten, zylindrischen und gelöcherten Perlen aus den Muscheln Quahog und den Blitz- und Wellhornschnecken, nicht aber Perlen aus anderen Muscheln, Stein oder Glas. 6

Vgl. zu diesem Thema u.a. Dalton, George (1978): The Impact of Colonization on Aboriginal Economies in Stateless Societies. In: Research in Economic Anthropology 1, S. 131-184; Bohannan, Paul (1959): The Impact of Money on an African Subsistence Economy. In: The Journal of Economic History 19, S. 491-503; Lewis, Oscar (1970): The Effects of White Contact upon Blackfoot Culture. In: Lewis, Oscar (Hg.): Anthropological Essays, New York: Random House, S. 137-212 sowie Calvin, Martin (1974): The European Impact on the Culture of a Northeastern Algonquian Tribe: An Ecological Interpretation. In: William and Mary Quarterly 31, S. 3-26. Die Konnotation der gewählten Worte ‚impact‘ und ‚effect‘ ist bereits bezeichnend; suggerieren sie doch einen einseitigen, zum Teil brachialen und revolutionären Einfluss. Vgl. auch Bloch, Maurice/Parry, Jonathan (Hg.) (1989): Money and the morality of exchange, Cambridge: Cambridge University Press für eine kritische Ideengeschichte dieses Paradigmas.

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könnte aufgrund der historischen Tatsache, dass Wampum sowohl in der neuniederländischen Kolonie als auch in den verschiedenen neuenglischen für mehrere Jahrzehnte als Zahlungsmittel auch zwischen den Kolonisten verwendet wurde, gar von einer Monetarisierung der Europäer sprechen beziehungsweise, in Anbetracht der Unsicherheit über die präkoloniale Verwendung von Wampum, zumindest von einer gleichzeitig stattfindenden, ‚verschränkten‘ Monetarisierung. Wampum stellt ein Negativ der Fälle dar, die im Allgemeinen das Objekt der Monetarisierungstheorie ausmachen. Eine Stelle in William Bradfords Of Plymouth Plantation 1620-1647 suggeriert beispielsweise, dass zu Beginn der Austausch mit anderen Perlen durchaus üblich war und diese erst später durch Wampum ersetzt wurden.7 Zieht man zusätzlich die enormen Inflationsprobleme in den Kolonien in Betracht, liegt die Vermutung nahe, dass Wampum primär durch die Indianer in Austauschprozesse eingeführt wurde und sich dadurch als Hauptzirkulationsmedium etablieren konnte. Eine faszinierende Konstellation, die im Bereich der Wirtschaftsethnologie und in Anbetracht grassierender (Welt)Wirtschaftskrisen zur Schärfung des ethnologischen Blickes auf die eigene Gesellschaft mahnt und dazu dienen könnte, eine Verfeinerung des terminologischen Arsenals der Beschäftigung mit wirtschaftlichen Prozessen und im Zuge dessen die Etablierung einer symmetrischen Anthropologie voranzutreiben.8 Dass Wampum in rezenter Literatur und im kollektiven Gedächtnis der Ethnologen bei weitem nicht die Relevanz zu besitzen scheint wie der Kularingtausch oder Potlatsch, liegt – so die Ausgangsthese dieser Arbeit – an der Unfassbarkeit und potentiellen Störfähigkeit des Gegenstandes: Das Phänomen Wampum fügt sich der innerhalb der Ethnologie vorherrschenden Terminologie nicht und zu seinem Verständnis müssen neue theoretische Ansätze entwickelt werden. Während sich die Auseinandersetzungen im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zunächst von unergiebigen Ursprungsfragen leiten ließen,9 schien das Feuilleton der US-amerikanischen Ta7

Die Stelle, um die es hier geht, steht in starkem Kontrast zu späteren Anmerkungen, die nicht müde werden, die Bedeutung und Notwendigkeit von Wampum für den Biberhandel herauszustellen. So berichtet Bradford über ein Schiff, das einige „English beads“ geladen hatte, die „were then good trade“, siehe Bradford, William (1981): Of Plymouth Plantation 1620-1647, New York: Random House, hier S. 124. Bradford war Gouverneur der Plymouth Colony von 1621-1630.

8

Vgl. Latour, Bruno (2008): Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetri-

9

Vgl. zum Beispiel Bushnell, D.I. (1906): The Origin of Wampum. In: The Journal of

schen Anthropologie, Frankfurt am Main: Suhrkamp. the Anthropological Institute of Great Britain and Ireland 36, S. 172-177 und Tylor, E.B. (1897): The Hale Series of Huron Wampum Belts. In: The Journal of the An-

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geszeitungen schon damals um die explanativ-moralische Kraft des Wampum zu wissen: Am 24. Oktober 1857 veröffentlichte der Chicago Daily Tribune im Zuge der US-Wirtschaftskrise 1857 den Artikel The Currency of our Forefathers mit explizit nostalgischem Rückbezug auf Wampum.10 Ich habe mich dazu entschieden, die bisherigen Ansätze zur Analyse des Wampum-Komplexes in zwei verschiedene Gruppen einzuteilen, deren Diskussion als Gerüst des gleichermaßen theoretischen wie forschungsgeschichtlichen ersten Teiles der Arbeit dienen soll. Es wird sich zeigen, dass sich die beiden Herangehensweisen mit verschiedenen Strängen der Wirtschaftsethnologie parallelisieren lassen. Während die stark ökonomistisch-universalistisch interpretierende Variante Ähnlichkeiten zu dem besitzt, was in der Ethnologie als Formalismus bezeichnet wurde, ähnelt der kulturalistisch-relativistische Blick der substantivistischen Position; in seiner geschichtswissenschaftlichen Form der Dependenztheorie.11 Eingestreut in die jeweilige Auseinandersetzung werden thropological Insitute of Great Britain and Ireland 26, S. 248-254. Auch Speck, Frank G. (1925): The Penn Wampum Belts, New York: Museum of the American Indian stellt sich die Frage nach dem Ursprung und vermutet die formale Gestaltung sei algonkischen, die politische Nutzung irokesischen Ursprungs. Er erkennt somit, wie häufig ist sein Blick auf Probleme der Ethnographie des nordöstlichen Nordamerikas präziser und analytischer als der des Großteils rezenter Ethnographen, einen zentralen Unterschied. Er übersieht dabei jedoch, dass, so die These der vorliegenden Arbeit, die formale Gestaltung auch im algonkischen Bereich politische Gründe besitzt. Eine angenehme Ausnahme mit starkem Interesse an empirischer Datenerhebung stellt Welles, Edwin Stanley (1924): Some Notes On Wampum. A Paper Read Before The Connecticut Historical Society, February 5, 1924, Newington dar. 10 Ohne Verfasser (1857): The Currency of our Forefathers. In: Chicago Daily Tribune vom 24. Oktober 1857. Die von der New York Daily Times drei Tage diskutierte neue Mode, indianisches Wampum als Schmuck zu tragen, mag als zufällig betrachtet oder aber als Zeichen einer Rebellion gegen die herrschenden wirtschaftlichen Zustände, der nun modisch Ausdruck verliehen wird, bewertet werden, siehe Ohne Verfasser (1857): Ohne Titel. In: New York Daily Times vom 27. Oktober 1857. 11 Siehe u.a. Wallerstein, Immanuel (1974): The Modern World-System: Capitalist Agriculture and the Origins of the European World-Economy in the Sixteenth Century, New York: Academic Press. Die bekannteste ethnologische Anwendung der Ideen Wallersteins stellt Wolf, Eric R. (1986): Die Völker ohne Geschichte. Europa und die andere Welt seit 1400, Frankfurt am Main: Campus dar. Siehe Ceci, Lynn (1990a): Native Wampum as a Peripheral Resource in the Seventeenth-Century World-System. In: Hauptman, Laurence M./Wherry, James D. (Hg.): The Pequots in southern New England. The fall and rise of an American Indian nation, Norman: University of

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Reflexionen über unterschiedliche Begriffe der Wirtschaftsethnologie wie ‚Geld‘, ‚Monetarisierung‘, ‚Fetisch‘, ‚Wert‘, ‚Äquivalenz‘ oder auch ‚Ökonomie‘, deren universelle Verwendbarkeit ich zu begründen versuche. So kann die folgende Arbeit auch als ein Plädoyer für die Etablierung universeller Begriffe verstanden werden, die aus der Konfrontation mit Alterität geschärft hervorgehen. Die These der vorliegenden Arbeit steht demnach in antagonistischer Position zu den Prämissen einer Ethnologie, die sich als Wissenschaft der Begriffsrelativierung versteht. Gerade innerhalb der Geschichte der Wirtschaftsethnologie lässt sich jedoch ein zunehmender Drang zur Relativierung beobachten: Nach einem ‚naiven‘ Beginn der ethnologischen Beschäftigung mit dem Phänomen des Geldes, in dem der Begriff scheinbar reflexionslos auf ‚archaische‘ Kulturen übertragen wird, formiert sich recht schnell eine intensive Kritik an diesem Unternehmen, die auf die Einzigartigkeit kapitalistischen Geldes verweist: Auf die Verwendung des Begriffes sei, so die konsequente Forderung, zu verzichten. In der Diskussion über das Eindringen staatlichen Geldes in nicht-kapitalistische Gesellschaften – zu Anfang recht deutlich von dem antikolonialen Gestus der 1950er getragen – wiederholt sich die gleiche Argumentation auf einem höheren Abstraktionslevel. Man beschäftigt sich nun mit der Frage, ob es überhaupt so etwas wie objektive Eigenschaften des Geldes gibt; die Monetarisierungsanalysen also nicht zu Unrecht die Kraft des Geldes essentialisierten. Erst in den letzten beiden Jahrzehnten findet eine stille, in Deutschland noch weitgehend unreflektierte, Rückbesinnung auf die Frage nach der Materialität des Geldes statt. In dieser Arbeit soll es auch darum gehen, die explanative Kraft der ersten, nur scheinbar ‚naiven‘ Bewegung zu bergen, um der Forderung nach Berücksichtigung der Materialität des Geldes argumentativ von unerwarteter Seite unter die Arme zu greifen und so einen stark universalistischen12 und ‚körperlichen‘, das heißt in gewisser Weise a-semiotischen Geldbegriff zu entwickeln.13 Im Zentrum der vorliegenden Arbeit werden dabei vor allem die Analysen Marcel Mauss’ und Maurice Leenhardts stehen.14 Zentrale, jedoch hier pointierter herauszuarOklahoma Press, S. 48-64 für eine Übertragung des Konzepts auf das hier untersuchte Beispiel. 12 Codere, Helen (1968): Money-Exchange Systems and a Theory of Money. In: Man 3, S. 557-577 ist ein forschungsgeschichtlich weitgehend ignorierter Versuch, einen universalistischen Geldbegriff aufgrund ethnographischer Daten zu entwickeln. 13 Diese Abgrenzung ist nur unter der Voraussetzung eines stark idealistischen Zeichenbegriffs sinnvoll. 14 Ein Nebenziel der Arbeit besteht also darin, die Aufmerksamkeit auf einen Interpretationsstrang von Marcel Mauss’ Gabentheorie zu lenken, dessen Rezeption im anglound deutschsprachigen Raum bisher eher vernachlässigt wurde. Es wurde und wird

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beitende Einsicht dieses Theorienstranges ist die Betonung der Annahme, dass sowohl Geld als auch Gabe ‚totale soziale Phänomene‘ darstellen, die als Fundamente der Reproduktion einer widersprüchlichen Gesellschaftsstruktur dienen und diese für ihre Mitglieder ertragbar machen.15 Mit Rückgriff auf den Theorieansatz Georges Balandiers wird angenommen, dass koloniale Situationen besonders anfällig für die Genese ‚totaler sozialer Phänomene‘ sind. Der Fokus wird dabei jedoch auf die Materialität der Objekte gelenkt, um der ‚Dingvergessenheit‘ innerhalb der Gabendebatte entgegenzuwirken, die – geblendet von Malinowskis Interpretation der Gabe als „Principle of give and take pervading tribal life“16 – nie versucht hat, Mauss’ Gabentheorie als eine Theorie fetischistischer Objekte zu lesen. Ziel dieser Arbeit ist es demnach, die These zu untermauern, dass sowohl Geld als auch Gabe Formen des a-rechtlichen Vertrages darstellen und sozialintegrative Funktionen erfüllen, indem sie gesamtgesellschaftliche Widersprüche verdecken und durch ihre Zirkulation und ihren Fetischcharakter beruhigende Ganzheiten etablieren17 – sie also als im Kern politische Phänomene übersehen, dass der Ökonom Aglietta und der Ethnologe Breton, in enger Wechselbeziehung arbeitend, eine Theorie des Geldes entwickelt haben, mit deren Rezeption außerhalb Frankreichs noch nicht begonnen wurde. Siehe exemplarisch Aglietta, Michel/Orléan, André (Hg.) (1998): La monnaie souveraine. Paris: Jacob und Breton, Stéphane (2002): Présentation. Monnaie et économie des personnes. In: L’Homme 162, Questions de Monnaie, S. 13-26. Eine löbliche Ausnahme stellt Paul, Axel T. (2004): Die Gesellschaft des Geldes. Entwurf einer monetären Theorie der Moderne, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, dar. Überhaupt lässt sich das Buch Pauls uneingeschränkt empfehlen. Es arbeitet einerseits den gesellschaftsintegrierenden Charakter von Geld heraus, andererseits stellt es eine gute Einführung in zeitgenössische ökonomische Geldtheorien dar. Ebenso Paul, Axel T. (2002): Die Legitimität des Geldes. In: Deutschmann, Christoph/Baecker, Dirk (Hg.): Die gesellschaftliche Macht des Geldes, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 109-129. Siehe auch seine Arbeit zur Gabe: Paul, Axel T. (2005): Die Rache und das Rätsel der Gabe. In: Leviathan – Berliner Zeitschrift für Sozialwissenschaft, S. 240-256. 15 In der Terminologie Agliettas ‚regulieren‘ sie diese Widersprüche. Vgl. zur Einführung in die Regulationstheorie Aglietta, Michel (1998): Towards a New Regime of Growth. In: New Left Review 232, S. 41-90. 16 Malinowski, Bronislaw (1976): Crime and Custom in Savage Society, Totowa: Littlefield, Adams, hier Kapitel 4. 17 Dass der Fetisch sozialintegrative Funktionen besitzt, erkennt auch Graeber, David (2005): Fetishism as social creativity, or, Fetishes are gods in the process of construction. In: Anthropological Theory 5, S. 407-438. Seine „unresolvable oscillations“, so die hier vertretende These, sind die Grundlage seiner Fähigkeit zur Integration, siehe

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betrachtet werden müssen. Die Arbeit versteht sich folgerichtig als Beitrag zu einer dezidiert Politischen Ökonomie. Ein moralisches Anliegen der Arbeit ist daneben jedoch auch das Niederreißen künstlich aufrechtgehaltener Dichotomien, die letzten Endes auch eine moralisch folgenreiche Trennung zwischen Uns und Ihnen, dem Westen und dem Rest perpetuieren. Seine Ambiguität prädestiniert den Begriff der Werte/des Wertes für die Einnahme einer zentralen Position in der folgenden Argumentation.18 Im Gegensatz zu anderen normativen Handlungsmaximen scheinen Werte zugleich internalisiert und externalisiert, im Interesse der nach ihr handelnden Person zu sein sowie potentiell im Widerspruch mit ihren Intentionen zu stehen. Vor allem jedoch binden sie aus einer (scheinbar) selbst gewählten Verpflichtung heraus. Werte sind, ebenso wie – glaubt man Marx, der bekanntermaßen vom „Rätsel der Wertform“ spricht – ökonomischer Wert, demnach undurchsichtig und offenbar zweideutig. So fragt der Philosoph Hans Joas, aus „[…] welchen Erfahrungen […] dieses scheinbar paradoxe Gefühl einer nicht wählbaren und doch freiwilligen Bindung an Werte?“19 resultiert und kommt damit der vielfach diskutierten Aussage Mauss’ bestechend nah, Gaben seien „volontairesobligatoires“20. Die vorliegende Arbeit versucht, eben diesen Widerspruch aufzulösen, indem sie aufzeigt, dass die Freiwilligkeit Teil einer den Widerspruchscharakter der Realität verschleiernden Ganzheit darstellt. Es ist dem Gegenstand geschuldet, dass es dabei zu einem Verschwimmen der Unterschiede zwischen Gabe und Geld kommt.21 Spyer, Patricia (1998): Introduction. In: Spyer, Patricia (Hg.): Border fetishisms. Material objects in unstable spaces, New York: Routledge, S. 1-12, hier S. 1, siehe auch Pels, Peter (1998): The Spirit of Matter: On Fetish, Rarity, Fact, and Fancy. In: Spyer, Patricia (Hg.): Border fetishisms. Material objects in unstable spaces, New York: Routledge, S. 91-121, hier S. 102: „[…] fetishization is both ‚false‘ and functional […].“ 18 Siehe zur Bedeutung des Wertbegriffs in der Ethnologie die Beiträge in Da Col, Giovanni (2013): Hau. Journal of Ethnographic Theory 3/1. 19 Joas, Hans (1999): Die Entstehung der Werte, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 16. 20 Mauss, Marcel (2007): Essai sur le don, Paris: PUF, hier S. 102. Vgl. Mauss, Marcel (1990): Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 50, „freiwillig-obligatorischen Austausch“. Im Folgenden wird zumeist lediglich auf die entsprechende Seitenzahl der deutschen Ausgabe verwiesen. 21 Siehe hierzu bahnbrechend Gell, Alfred (1999): Inter-Tribal Commodity Barter and Reproductive Gift Exchange in Old Melanesia. In: Ders.: The Art of Anthropology. Essays and Diagrams, London: Athlone, S. 76-106 sowie Laidlaw, James (2000): A

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Im Anschluss an diese theoretischen Überlegungen soll sowohl anhand einer Rekonstruktion der Lebenswelt der Küstenalgonkin mit besonderem Blick auf deren Wirtschaftslogik als auch im Zuge einer Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen der irokesischen und der kolonialen Geldpolitik der NeuNiederlande, die sich aufgrund in naher Vergangenheit zunehmend hervorragend aufgearbeiteten Quellenlage besonders gut eignet, die neu erarbeitete Terminologie auf ihre Anwendbarkeit getestet werden. Es wird sich zeigen, dass in den bisherigen Analysen beider ethnographischer Fallbeispiele, das heißt sowohl in denen des algonkischen als auch in denen des irokesischen Materials, die Verwendung der Begriffe ‚Gabe‘, ‚Reziprozität‘, ‚sakral‘ und ‚symbolisch‘ ein angemessenes Verständnis der Quellen eher verhindert denn ermöglicht hat. So sollen beide Fälle vor der Annahme, es handele sich bei Wampum um ein ‚totales soziales Objekt‘, das mehr Ähnlichkeit zu unserem Geld besitzt als bisher angenommen, neu analysiert und besprochen werden. Eine derartige Herangehensweise erhellt die Situation eher, als dass es sie verdunkelt. Wie Jane Guyer bezüglich prä-kolonialer afrikanischer Zahlungsmittel anmerkt, ist es an der Zeit, anzuerkennen, dass sie, und – so könnte man ergänzen – auch die Zahlungsmittel, um die es hier geht, „[…] had more modern ‚purposes‘ and characteristics than was thought in the past, and that twentieth century monies clearly have fewer“22. Eine derartige Analyse ist im vorliegenden Fall als eine Form rekursiver Quellenkritik23 zu verstehen: Der zeitgenössische common sense, Wampum sei eine Form des Geldes, ist zunächst und mit akademischer Humorlosigkeit ernst zu nehmen. Hierzu gilt es, die Argumentationsstrategie, es handele sich bei Wampum eigentlich nicht um Geld, aber der biographische Hintergrund, die kulturelle Vorprägung etc. hätten den Blick des Missionars/Ethnologens verstellt, hinter sich zu lassen und innerhalb der Ethnologie das einzuführen, was der Philosoph Donald Davidson als „principle of charity“ 24 bezeichnet: Zunächst hat der ‚Andere‘ recht. Verschärft formuliert besteht die Aufgabe des Ethnologen also Free Gift makes no Friends. In: The Journal of the Royal Anthropological Institute 6, S. 617-634. 22 Guyer, Jane I. (1995): Introduction: The Currency Interface and Its Dynamics. In: Dies. (Hg.): Money matters. Instability, values, and social payments in the modern history of West African communities. Portsmouth/London: Heinemann/Currey, S. 134, hier S. 1. 23 Siehe Holbraad, Martin (2012): Truth in motion. The recursive anthropology of Cuban divination, Chicago/London: University of Chicago Press. 24 Davidson, Donald (1991): Three Varieties of Knowledge. In A. Phillips Griffiths (Hg.): A.J.Ayer Memorial Essays: Royal Institute of Philosophy Supplement 30, Cambridge: Cambridge University Press, S. 205-220.

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nicht in einer analytischen Entfernung von indigenen Aussagen, sondern in ihrer ‚Umarmung‘. Eine gelingende Rekonzeption des infrage stehenden Begriffs führt als eine Form der Verstellung dann im besten Falle zu einem neuen Blick auf Geld in unserer eigenen Gesellschaft. Doch zuvor muss kurz geklärt werden, wovon, wo und über wen eigentlich im Folgenden geredet wird.25

W AMPUM , K ÜSTENALGONKIN UND DAS ÖSTLICHE W ALDLAND N ORDAMERIKAS IM 17. J AHRHUNDERT Fährt man heute über die Verrazano-Narrows Bridge von Brooklyn nach Staten Island, könnte sich die Aussicht, die man genießt, kaum mehr von derjenigen unterscheiden, die sich dem Namensgeber der Brücke Giovanni di Verrazano 1524 bot, als er als erster Europäer den New York Harbor und die Narragansett Bay erblickte. Wo heute Hafenindustrie- und Skyscraperlandschaften mit unzähligen Brücken, Kränen und kreuzenden Segel- oder Containerschiffen auszumachen sind, wuchten sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts noch vierzig Meter hohe Eichen, Kastanien, Hickory und bis zu siebzig Meter hohe Hemlocktannen und Weymouthskiefern in den Himmel, deren Nüsse und Holz von den Küstenalgonkin26 ebenso wie zahlreiche Beeren gesammelt und vielseitig genutzt wurden.

25 Ausführlich zur Geschichte der neu-englischen Kolonien siehe Russell, Howard S. (1980): Indian New England before the Mayflower, Hanover: University Press of New England; Salisbury, Neal (1982): Manitou and Providence. Indians, Europeans, and the Making of New England, 1500-1643, New York/Oxford: Oxford University Press; Vaughan, Alden T. (1995): New England frontier. Puritans and Indians, 16201675, Norman: University of Oklahoma Press; Kupperman, Karen Ordahl (2000): Indians and English. Facing off in early America, Ithaca: Cornell University Press und Jennings, Francis (1976): The Invasion of America. Indians, Colonialism, and the Cant of Conquest, Chapel Hill: University of North Carolina Press. Die meist zitierte der zahlreichen Historiographien des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts stellt sicherlich De Forest, John W. (1964/1851): History of the Indians of Connecticut. From the earliest known Period to 1850, Hamden: Shoe String Press dar. Zur Einführung in die Geschichte der Neu-Niederlande sei hier auf Rink, Oliver A. (1986): Holland on the Hudson. An Economic and Social History of Dutch New York, Ithaca: Cornell University Press sowie Jacobs, Jaap (2005): New Netherland. A Dutch colony in seventeenth-century America, Leiden: Brill verwiesen. 26 Im Folgenden werden die einzelnen indianischen Gruppen (Narragansett, Pequot, Mohegan, Niantic, Massachusetts, Montaukett, Shinnecock usw.) mit dem General-

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Weiter in Richtung des Inlandes wuchsen, in ihren Ausmaßen nicht weniger beeindruckend, zunehmend Birken, Ahorne, Buchen und Fichten. Einige der zeitgenössischen Beschreibungen können sicherlich als übertrieben betrachtet werden.27 Waren doch gerade die ersten, von Hakluyts 1584 veröffentlichtem Discourse Concerning Western Planting28 angetriebenen Reisen in den nördlichen Teil des amerikanischen Kontinents – die von Bartholomeus Gosnold 1602, Martin Pring 1603, Samuel de Champlain 1604-05, Henry Hudson 1609 sowie von Adriaen Block 1614 – darauf angewiesen, ihren Geldgebern die Fruchtbarkeit und Rentabilität weiterer Expeditionen plausibel zu machen.29 So sind die terminus ‚Küstenalgonkin‘ bezeichnet. An einigen Stellen werden zusätzlich Quellen über die Delaware und die Mahicans zur Kenntnis genommen. Dass die einzelnen Ethnien nicht nur eine hohe soziale und kulturelle Homogenität aufgewiesen haben, sondern auch über ein Bewusstsein darüber verfügten, legt eine Stelle in Williams’ Key nahe, der den emisch verwendeten Generalterminus „Ninnimissinnuwock“ von den Bezeichnungen einzelner Ethnien wie „Nanhigganeuck“ oder „Pequuttoog“ abgrenzt, siehe Williams, Roger (1936/1643): A Key into the Language of America, Providence: The Roger Williams Press, S. A3. Darauf greift auch Bragdon in ihrer Ethnographie Bragdon, Kathleen J. (1996): Native people of southern New England, 1500-1650, Norman: University of Oklahoma Press zurück. Der Begriff ‚Küstenalgonkin‘ wurde von Flannery geprägt, siehe Flannery, Regina (1939): An Analysis of Coastal Algonquian Culture, Washington: The Catholic University of America Press. 27 Siehe Cronon, William (1983): Changes in the Land. Indians, Colonists, and the Ecology of New England, New York: Hill and Wang. Jedoch scheint sich in der Erlebbarkeit der neu-englischen Landschaft ein qualitativer Sprung vollzogen haben, der es erschwert, von den heutigen auf die damaligen Wälder zu schließen. Ein Unterschied, über den auch Thoreau am 23. März 1856 in seinem Journal reflektiert. Dass er in seinen Kontemplationen über die Veränderungen der neuenglischen Landschaft schreibt, er könne nicht anders als „[…] feel as if I lived in a tamed, and, as it were, emasculated country […]“, „[…] a maimed and imperfect nature […]“, verweist auf eine Kontrastierung, auf deren Zusammenhang mit der Beurteilung der indianischen Gruppierungen bereits hier hingewiesen werden soll: Liegt es nicht nahe, eine „untamed and masculated wilderness“ als eine solche zu verstehen, mit der man besser in einem reziproken Austauschverhältnis steht? Doch zu den Implikationen derartiger Verfremdungsprozesse später mehr. Siehe für das Zitat Cronon (1983), S. 3 ff. 28 Hakluyt, Richard (1977/1584): A Discourse Concerning Western Planting. Written in the Year 1584, Cambridge: John Wilson and Son. 29 Im Verlauf des 16. Jahrhunderts reisen baskische Fischer regelmäßig an die Ostküste Nordamerikas. Die Analyse der schriftlichen Quellen hat jedoch noch kaum begonnen, siehe Turgeon, Laurier (1998): French Fishers, Fur Traders, and Amerindians

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ersten zwanzig Jahre des 17. Jahrhunderts noch von lediglich sporadischen, jährlichen Besuchen geprägt, während derer die Reisenden zunehmend das Profitpotential verschiedener Güter einzuordnen lernen. Zunächst hochgeschätzte Produkte wie der Sassafrasbaum verlieren an Bedeutung und bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts kristallisiert sich heraus, dass das Fell des nordamerikanischen Bibers eine besonders lukrative Einnahmequelle darstellt.30 Die dauerhafte Besiedlung des Gebietes beginnt durch die Engländer schließlich 1620 in Plymouth und durch die Niederländer 1624 in Fort Orange. Während das Unternehmen in Plymouth von Anfang an als Siedlerkolonie geplant ist, versteht sich die Kolonie Neu-Niederlande zunächst primär als wirtschaftliches Projekt, das durch die 1621 gegründete Geoctroyeerde West-Indische Compagnie zentral gesteuert und reguliert wird. Dieser Unterschied hat Einfluss auf die jeweilige Legitimationstrategie: Das puritanische Projekt kann sich durch den Glauben an eine göttliche Vorhersehung, der sich schnell in die Gewissheit des american exceptionalism wandeln wird, rechtfertigen; die niederländische Kolonie hingegen primär durch faktische Gewinnabschöpfung. Dabei stoßen beide Siedlungen auf indianische Gruppierungen, die schon einige Jahrzehnte in indirektem Kontakt mit europäischen Gütern, die sie gegen begehrte Biberfelle tauschten, sowie Krankheitserregern standen.31 1629 ändert sich dann die geopoduring the Sixteenth Century: History and Archaeology. In: The William and Mary Quarterly 55, S. 585-610. Deutlich wird jedoch bereits der wirtschaftliche Wert des Bibers. 30 Durch die Angewohnheit der Indianer, ihre Mäntel im Winter mit dem Fell auf der Haut zu tragen, war bereits ein Großteil der bei der Biberfellverarbeitung anfallenden Arbeit durch den Schweiß der Indianer übernommen worden, was den Verkauf der Biberfelle auf europäischen Märkten noch ertragreicher machte. 31 Vgl. zur Einordnung der Rolle der Epidemien Stearn, E. Wagner/Stearn, Allen E. (1945): The Effects of Smallpox on the Destiny of the American Indian, Boston: Humphries und Duffy, John (1951): Smallpox and the Indians in the American Colonies. In: Bulletin of the History of Medicine 25, S. 324-341. Vgl. die zeitgenössische Beschreibung vollkommen entvölkerter Landstriche in Dermer, Thomas (1905/1619): To his Worshipfull Friend M. Samuel Purchas, Preacher of the Word, at the Church a little within Ludgate, London. In: Winship, George Parker (Hg.): Sailor’s Narratives of Voyages along the New England Coast 1524-1624, Boston: Houghton, Mifflin & Co , S. 249-258. Die Epidemien wurden nicht selten als von Gott gesandtes Zeichen der Auserwähltheit und Überlegenheit der Pilgerväter betrachtet, siehe u.a. Johnson, Edward (1910/1654): Johnson’s Wonder-Working Providence 1628-1651, New York: Charles Scribner’s Sons, hier S. 79. Ebenso häufig findet man die Erklärung, es handele sich um eine Bestrafung Gottes aufgrund der heidnischen Praktiken der „tawny

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litische Lage in Nordamerika erneut. Die Massachusetts Bay Colony wird mit Charta Karls 1. gegründet und von John Winthrop Senior als Gouverneur bis 1649 geleitet. 1636 gründet Roger Williams, aus religiösen Gründen aus Massachusetts verbannt, Providence, 1638 Anne Hutchinson unter Genehmigung des Vaterlandes Portsmouth. Rhode Island and Providence Plantation bleibt zunächst jedoch, ebenso wie Plymouth, ohne königliche Charta. Anders die von John Winthrop Junior seit 1636 geleitete Connecticut Colony und die im Jahre 1638 gegründete New Haven Colony; beide sicherlich auch als Bollwerk gegen sich im pelz-, das heißt geldreichen Connecticut Valley seit der Gründung Fort Hoops 1632 ausbreitende Niederländer geplant. Ein Konflikt, der erst durch den zweiten Hartford Treaty 1650 wirklich gelöst wird: Die Neuniederlande treten Gebiete im Connecticut Valley an Neu-England ab und stimmen der Festlegung einer Grenze auf Long Island zu. Diese Konflikte sind exemplarisch für das Problem einer zunehmenden Verknappung des beackerbaren Landes: In der als ‚great migration‘ bezeichneten Immigrationswelle sind bis zum Jahre 1640 mehr als 20.000 Engländer nach Nordamerika gesegelt. Auch wenn die indianische Population nach verheerenden Pockenepidemien 1617-1618 und 1633 bereits stark dezimiert wurde,32 reicht das unbewohnte Land keinesfalls für die im Zuge der ‚great migration‘ eingetroffenen Siedler. Einen weiteren Expansionsschritt unternimmt Thomas Mayhew Senior, indem er 1642 die Insel Martha’s Vineyard besiedelte. Es finden sich erstaunlicherweise weder in den Schriften der Mayhews – neben Thomas Mayhew Senior dessen Sohn Thomas Mayhew Junior und sein Enkel Experience Mayhew, allesamt auch als missionierende Pfarrer tätig –, noch in archäologischen Quellen Verweise auf Produktion oder Konsumption von Wampum auf Martha’s Vineyard.33 Aus diesem Grund werden uns die Wampanoag von Martha’s Vineyard als illustratives Gegenbeispiel zur regelrechten Wampummanie des restlichen Gebietes dienen. pagans“, siehe Mather, Cotton (1855/1696): Magnalia Christi Americana, or, The Ecclesiastical History of New-England, Hartford: Silas Andrus and Son, S. 51. 32 Eine besonders drastische Beschreibung der Epidemie von 1633 findet sich in Bradford (1981), S. 302 f.: „For usually they that have this disease have them in abundance, and for want of bedding and linen and other helps they fall into a lamentable condition as they lie on their hard mats, the pox breaking and mattering and running one into another, their skin cleaving by reason thereof to the mats they lie on. When they turn them, a whole side will flay off at once as it were, and they will be all of a gore blood, most fearful to behold. And then […], they die like rotten sheep.“ 33 Silverman, David J. (2007): Faith and Boundaries: Colonists, Christianity, and Community among the Wampanoag Indians of Martha’s Vineyard, 1600-1871, Cambridge: Cambridge University Press, S. 40, Fußnote 94.

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Einen der bedeutendsten Einschnitte des 17. Jahrhunderts stellt der 1637 im Pequot-Massaker gipfelnde Pequot-Krieg (1634-1638) zwischen Massachusetts Bay Colony, Plymouth, den Narragansett und Mohegan Indianer einerseits und den im oberen Connecticut Valley siedelnden Pequot andererseits dar. Im Anschluss an diesen Krieg regelt der erste Hartford Treaty die Verteilung der Kriegsgefangenen; die überlebenden Pequot werden fortan als Narragansett oder Mohegan bezeichnet.34 Da beide Parteien unzufrieden mit der Redistribution der Gefangenen sind und durch die zunehmenden Tributforderungen der englischen Kolonien zusätzlich unter Druck geraten, treten in den Jahren nach dem PequotKrieg immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Narragansett und Mohegan über das ehemalige Gebiet der Pequot und die in ihm vorhandenen Möglichkeiten zur Wampumgewinnung auf. Die mit der 1643 neu gegründeten Föderation United Colonies of New England, bestehend aus den Kolonien Massachusetts, Plymouth, Connecticut und New Haven, verbündeten Mohegan können schließlich unter der Führung ihres Sachems Uncas Miantonomo, Sachem der Narragansett, gefangen nehmen und exekutieren, woraufhin eine Periode folgt, die sich durch relative Friedfertigkeit zwischen Kolonialmächten und Indianern auszeichnet. Dieser interkulturellen Stabilität steht jedoch eine Erhöhung der Anzahl interindianischer Konflikte gegenüber. Sie müssen als Preis für die Akzeptanz der Tributzahlungen und den so erkauften Frieden mit den Europäern betrachtet werden. Wie später näher ausgeführt, geraten einige der auf Long Island siedelnden Gruppen zunehmend in den Fokus von Raubzügen der Narragansett und Niantic. Die Konflikte zwischen Europäern und Indigenen flammen schließlich in den Jahren 1675-1676 erneut auf. Im ‚King Phillip’s War‘ zwischen den United Colonies of New England und deren Verbündeten, den Mohegan, und den restlichen indianischen Gruppen unter der Führung von Metacomet, King Phillip, Sachem der Wampanoag, werden mehr als 500 Kolonisten und 3000 Indianer getötet, zahlreiche weitere verletzt und vertrieben.35

34 Siehe u.a. Cave, Alfred A. (1996): The Pequot War, Amherst: University of Massachussetts Press. Die zeitgenössischen Beschreibungen finden sich in Orr, Charles (Hg.) (1897): History of The Pequot War. The Contemporary Accounts of Mason, Underhill, Vincent and Gardener, Cleveland: The Helman-Taylor Company. 35 Siehe hierzu: Lepore, Jill (1999): The name of war. King Philip's War and the origins of American identity, New York: Vintage Books.

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Abbildung 1: Ethno-linguistische Karte des Gebietes. Die schwarz umrandeten Gebiete sind für die Gewinnung der zur Wampumproduktion notwendigen Rohmaterialien geeignet.

Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/Wampanoag_people

Nachdem nun ein grober Überblick über die in dieser Arbeit behandelte Zeitspanne gegeben wurde, soll auf einige der grundlegenden Merkmale der Kulturen der Küstenalgonkin aufmerksam gemacht werden, um dem Leser eine erste ethnographische Orientierung zu ermöglichen.36 Die Deszendenzregel scheint bi-

36 Siehe weiterführend Bragdon (1996); Salwen, Bert (1978): Indians of Southern New England and Long Island: Early Period. In: Trigger, Bruce G. (Hg.): Northeast. Vol. 15 of Handbook of North American Indians, Washington: Smithsonian Institution Press, S. 160-176 sowie Bragdon, Kathleen J. (2009): Native people of southern New England, 1650-1775, Norman: University of Oklahoma Press. Für die Narragansett im speziellen vgl. Simmons, William S. (1978): Narragansett. In: Trigger, Bruce G. (Hg.): Northeast. Vol. 15 of Handbook of North American Indians, Washington: Smithsonian Institution Press, S. 190-197 und Simmons, William S. (1986): Spirit of the New England Tribes. Indian History and Folklore, 1620-1984, Hanover: University Press of New England.

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lateral gewesen zu sein, jedoch mit starker Betonung der Patrilinearität.37 Die Küstenalgonkin benutzten relativ eng miteinander verwandte Sprachen des südöstlichen Zweiges der Algonkinsprachfamilie. Ihren alltäglichen Nahrungsbedarf deckten sie durch die von Männern betriebene Fischerei, die mit mehreren hundert Teilnehmern durchgeführten Jagdzügen (vor allem Hirsche, bei individueller Jagd auch kleinere Säugetiere und verschiedene Vogelarten) und das vorwiegend von Frauen organisierte Sammeln von Beeren, Nüssen und anderen Nahrungsmitteln. Obwohl die archäologische Datierung des Beginns des Anbaus von Mais schwierig scheint, kann man aufgrund der schriftlichen Quellen davon ausgehen, dass ein Großteil der Küstenalgonkin in der Kontaktzeit auf Feldern Mais, Kürbis und Bohnen anbaute, deren Saat und Ernte den Frauen oblag, während die Männer die Äcker brandrodeten und sich auf speziellen Feldern um die Kultivierung von Tabak kümmerten. Die Analyse archäologischer Quellen legt zudem eine Organisation in dorfähnlichen Strukturen nahe, wobei während des Sommers ein Großteil der einzelnen Familien ihre Zeit auf um das Dorf herum angelegten Feldern verbrachte, um sich im anschließenden Winters zurück ins Dorf oder in kleineren Gruppen auf Jagdexkursionen zu begeben.38 Ermöglicht wurde diese auf der Fähigkeit zu schnellen Ortswechseln gründende saisonale Morphologie durch die Form der Behausung: Die als wigwam bekannt gewordenen Kuppelbehausungen erlaubten einen schnellen Auf- und Abbau und waren somit für eine derartige Lebensweise besonders geeignet. Aufgrund der geographischen Situation ebenfalls zweckmäßig waren tragbare Kanus, die dazu genutzt wurden, auf den zahllosen Wasserwegen Neu-Englands und des nordöstlichen Waldlandes zügig voranzukommen. Dass sich an archäologischen Fundstellen der Nachkontaktzeit zunehmend mit Wällen geschützte Forts nachweisen lassen,39 die eine Zunahme der Konzentration der Bevölkerung nahelegen, deutet 37 Siehe Simmons, William S./Aubin, George F. (1975): Narragansett Kinship. In: Man in the Northeast 9, S. 21-32 und Bragdon, Kathleen J. (1997): Massachusett Kinship Terminology and Social Organization, 1620-1750. In: Northeast Anthropology 54, S. 1-14. 38 Josselyn (1865), S. 98 f. Nachvollziehbar und klar wird in Hasenstab, Robert J. (1999): Fishing, Farming, and Finding the Village Sites: Centering Late Woodland New England Algonquians. In: Levine, Mary Ann/Nassaney, Michael S./Sassaman, Kenneth E. (Hg.): The Archaeological Northeast, Westport/London: Bergin & Garvey, S. 139-153 für die Existenz von Dörfern auch in der Präkontaktzeit argumentiert. 39 McBride, Kevin (1990): The Historical Archaeology of the Mashantucket Pequots, 1637-1900: A Preliminary Analysis. In: Hauptman, Laurence M./Wherry, James D. (Hg.): The Pequots in southern New England. The fall and rise of an American Indian nation, Norman: University of Oklahoma Press, S. 96-116 und McBride, Kevin

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zum einen auf einen Anstieg intertribaler und interkultureller kriegerischer Angriffe hin; kann jedoch auch als eine Reaktion auf die Gefahren zunehmender Individualisierung gesehen werden, die durch die Sachem so einfacher kontrolliert werden konnte. Wann Europäer hingegen zum ersten Mal in Kontakt mit Wampum kommen, ist unklar.40 Es finden sich in den ersten Beschreibungen allerdings durchaus einige Passagen, die auf Wampum hinweisen könnten.41 Verrazano berichtet von einer „[…] langen mit verschieden farbigen Steinen geschmückten Kette“42 und Pring erwähnt „[…] fein gearbeitete und mit roten und anderen Diamanten ver-

(2007): Fort Island: Conflict and Trade in Long Island Sound. In: Stone, Gaynell (Hg.): Native Forts of the Long Island Sound Area, Readings in Archaeology and Ethnohistory, Band III, Stony Brook, N.Y.: Suffolk County Archaeological Association, S. 255-266, hier S. 261: „The only known palisades in the region date to the contact period.“ 40 Eine Zusammenstellung der zeitgenössischen Erwähnungen findet sich in Slotkin, J.S./Schmitt, Karl (1949): Studies of Wampum. In: American Anthropologist 51, S. 223-236. 41 Die von Cartier als ‚Esurgny‘ bezeichneten Muscheln können eindeutiger mit Wampum in Verbindung gebracht werden; nicht zuletzt da hier bereits auf die Funktion des Wampum als Medium der Rekreation sozialer Beziehungen wie sie im irokesischen Raum eine große Rolle spielt, angesprochen wird. Siehe vor allem den Ursprungsmythos der Muscheln in Cartier, Jacques (1959/1535): A short and briefe Narration (Cartier’s Second Voyage). In: Burrage, Henry S. (Hg.): Early English and French Voyages. Chiefly from Hakluyt 1534-1608, New York: Charles Scribner’s Sons, S. 3388, hier S. 60. Lescarbot, Marc (2005/1606): Nova Francia. A Description of Acadia, 1606, London/New York: Routledge enthält mehrere Stellen, in denen der Oberbegriff für Perlen ‚matachias‘ verwendet wird, vor allem S. 212, könnte jedoch einen Hinweis auf Wampum enthalten: „But they more esteem the matachias which come unto them from the Armouchiquois country [Kulturen südlich des Micmacgebiets, eventuell Küstenalgonkin, z.B. Massachusetts, Anm. M.S.], and they buy them very dear; and that because they can get no great quantity of them […].“ 42 Verrazano, Giovanni da (1905/1524): Voyages. In: Winship, George Parker (Hg.): Sailor’s Narratives of Voyages along the New England Coast 1524-1624, Boston: Houghton, Mifflin & Co, S. 1-24, hier S. 14; [„(…) large chain ornamented with many stones of different colours.“] Ich habe mich zugunsten der Lesbarkeit dazu entschieden, zeitgenössische Zitate, sofern sie im Fließtext auftreten, frei ins Deutsche zu übertragen.

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zierte Köcher“43, Brereton stellt fest, dass „ihre Ketten aus vielen gelöcherten Steinen bestehen, […] je einen Finger lang, zehn oder zwölf auf einen Strang gezogen“44, Rosier beobachtet, wenngleich weiter nördlich, „[…] Juwelen in ihren Ohren, Armbänder aus kleinen runden weißen Knochen, zusammengebunden auf einem Lederband“45 und Champlain „[…] neben anderen Dingen ein Mädchen mit roter Haut und fein geschmücktem Haar, am oberen Ende mit kleinen Muschelperlen dekoriert“46. Auch durch einen Blick in die archäologischen Quellen gelingt es für den nicht-irokesischen Bereich nicht, eindeutig nachzuweisen, dass Wampum in der Zeit vor Ankunft der Europäer ähnlich umfassend verwendet wurde wie in der Nachkontakt-Zeit.47 Dies beweist jedoch – darauf

43 Pring, Martin (1905/1603): A Voyage set out from the Citie of Bristoll at the charge of the chiefest Merchants and Inhabitants of the said Citie with a small Ship and a Barke for the discoverie of the North part of Virginia. In: Winship, George Parker (Hg.): Sailor’s Narratives of Voyages along the New England Coast 1524-1624, Boston: Houghton, Mifflin & Co, S. 51-64, hier S. 57; [„Quivers (…) with prettie workes and compartiments, Diamant wise of red and other colours.“] 44 Brereton, John (1905/1602): A Briefe and true Relation of the Discoverie of the North Part of Virginia. In: Winship, George Parker (Hg.): Sailor’s Narratives of Voyages along the New England Coast 1524-1624, Boston: Houghton, Mifflin & Co, S. 31-50, hier S. 44; [„Their chaines are many hollow pieces semented together, (…) a finger in length, ten or twelve of them together on a string (…).“] 45 Rosier, James (1905/1605): A True Relation of the most prosperous Voyage, made this present yeere 1605, by Captaine George Waymouth. In: Winship, George Parker (Hg.): Sailor’s Narratives of Voyages along the New England Coast 1524-1624, Boston: Houghton, Mifflin & Co S. 99-152, hier S. 132; [„(…) jewels in their ears, bracelets of little white round bone, fastned together upon a leather string.“] 46 Otis, Charles Pomeroy (1878): Voyages of Samuel de Champlain, Band II, Boston: Prince Society, hier S. 85; [„(…) among other things, a girl with her hair very neatly dressed, with a skin colored red, and bordered on the upper part with little shell beads (…).“] 47 Ceci, Lynn (1988): Tracing Wampum’s Origins: Shell Bead Evidence from Archaelogical Sites in Western and Coastal New York. In: Hayes III, Charles F./Ceci, Lynn (Hg.): Proceedings of the 1986 Shell Bead Conference, Rochester: Rochester Museum and Science Center Research Record, S. 63-80. Ähnlich Burggraf, James D. (1938): Some Notes on the Manufacture of Wampum Prior to 1654. In: American Antiquity 4, S. 53-58. Siehe zur Archäologie der Irokesen Snow, Dean R. (1994): The Iroquois, Oxford/Cambridge: Blackwell.

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macht Bradley in einem Artikel aufmerksam48 – aufgrund der stärkeren Stratifizierung der Küstenalgonkingesellschaften nicht, dass es nicht in kleineren Mengen, die dem archäologischen Radar zu entgehen vermögen,49 als Statusanzeiger verwendet wurde. In Juets Reisebericht zu Hudsons dritter Expedition findet sich schließlich ein recht eindeutiger Hinweis auf Perlenschnüre, die konträr der allgemeinen Vorstellung nicht von Europäer an Indianer, sondern in entgegensetzte Richtung getauscht werden: „Er brachte einen anderen alten Mann, der weitere Perlenschnüre brachte und sie unseren Kapitän übergab […].“50 Ob die mit einem „X“ markierten Stellen auf Adriaen Blocks Karte von 1614 tatsächlich Orte mit enormem Vorkommen an Wampumrohmaterial kennzeichnen sollen, ist hingegen, wenn auch plausibel, so doch schwierig nachzuweisen.51 Unmissverständlich und zunehmend begegnet uns Wampum dann in den Quellen der 1620er Jahre. So findet sich im Amsterdamer Stadtarchiv ein Wampum erwähnendes Dokument vom 14. August 1620 und als Jacob Eelkins 1622 einen Sachem der Pequot entführt, werden ihm Wampumperlen als Lösegeld gezahlt.52 Zunächst noch unbekannt im Gebiet der Plymouth Colony, findet sich in Bradfords retrospektiver Betrachtung seines eigenen Unternehmens ein Hinweis auf die Verbreitung von Wampum über die Grenzen der Neu-Niederlande hinaus nach Plymouth. Isaack de Rasiere, Sekretär der neuniederländischen Kolonie, bringt während eines diplomatischen Besuches im Jahre 1628 Wampum im Wert von fünfzig Pfund nach Plymouth. Bradford berichtet in einer interessanten Passage weiter:

48 Bradley, James W. (1987): Native Exchange and European Trade: Cross-Cultural Dynamics in the Sixteenth Century. In: Man in the Northeast 33, S. 31-46. 49 Siehe zu den Problemen einer archäologischen Beschäftigung mit den Kulturen der Küstenalgonkin Hasenstab (1999), der darauf aufmerksam macht, dass u.a. die Bodenbeschaffenheit wie die heutige Besiedlungsdichte die Erhebung archäologischer Daten erschwert. 50 Juet, Robert (1909/1609): The Third Voyage of Master Henry Hudson. In: Jameson, John Franklin (Hg.): Narratives of New Netherland, 1609-1664, New York: Charles Scribner’s Sons, S. 16-28, hier S. 24; [„He brought another old man with him, which brought more stropes of Beades, and gave them to our Master (…).“] 51 Siehe für diese Annahme Ceci (1990). 52 Van Wassenaer, Nicolaes (1909/1624-1630): From the ‚Historisch Verhael‘. In: Jameson, John Franklin (Hg.): Narratives of New Netherland, 1609-1664, New York: Charles Scribner’s Sons, S. 67-96, hier S. 86. Siehe für den Hinweis auf die Quelle im Stadtarchiv Amsterdams: Otto, Paul (2006): The Dutch-Munsee encounter in America. The struggle for sovereignty in the Hudson Valley, New York: Berghahn, S. 59.

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„Und so kam es, dass Wampum als Zahlungsmittel akzeptiert wurde, auch wenn dies zunächst nur zögerlich geschah; es dauerte zwei Jahre bis sie diese doch kleine Menge loswurden, bis also die inländischen Indianer davon erfuhren; danach jedoch konnten sie nicht mehr genug davon bekommen […]. Es war sonderbar, diese große Wahrnehmungsveränderung mitzuerleben; denn alle Indianer hier und in Massachusetts hatten, bis auf die Sachem und herausragende Person, die es als Ornament trugen, kein oder nur sehr wenig Wampum. Es wurde zunächst nur von den Narragansett und Pequot produziert, die auf diese Weise reich und mächtig wurden, wohingegen die Indianer hier bettelarm verblieben und den Nutzen des Wampum, ebenso wie die Engländer Plymouths und die Einwohner anderer Kolonien, nicht erkannten […]. Als es jedoch hier zum begehrten Objekt wurde, lernten auch die Massachusetts Indianer, es anzufertigen […]. Nun ist es seit zwanzig Jahren Zirkulationsmedium, und nach einiger Zeit wird man es mit Fug und Recht als Droge bezeichnen.“53

Wampum scheint demnach von einem interkulturell ausgetauschten Statusanzeiger für Sachem und andere bedeutende Personen54 innerhalb weniger Jahrzehnte zu einem universell zirkulierenden Gut geworden zu sein. Die Beantwortung der Frage nach der Ursache dieses Wandels sollen die folgenden Ausführungen liefern. Was durch diese kurze, historisch-geographische und ethnographische Skizze zunächst jedoch vor allem deutlich geworden sein sollte, ist Folgendes: Wir können davon ausgehen, dass Epidemien und der Kontakt mit Europäern politische und ideologische Neuverortungen (‚relocations‘55) in einem politi-

53 Bradford (1981), S. 224 f.; [„And so it came to pass in time, though at first it stuck, and it was two years before they could put off this small quantity, till the inland people knew of it; and afterwards they could scarce ever get enough for them (…). And strange it was to see the great alteration it made in a few years among the Indians themselves; for all the Indians of these parts and the Massachusetts had none or very little of it, but the sachems and some special persons that wore a little of it for ornament. Only it was made and kept among the Narragansetts and Pequots, which grew rich and potent by it, and these people were poor and beggarly and had no use of it. Neither did the English of this Plantation or any other in the land (…). But after it grew thus to be a commodity in these parts, these Indians fell into it also, and to learn how to make it (…). And it hath now continued a current commodity about this 20 years, and it may prove a drug in time.“] 54 Siehe auch Bragdon (1996), S. 98. 55 Zur Bedeutung des Begriffes der ‚location‘ siehe Gupta, Akhil/Ferguson, James (1997): Discipline and Practice: ‚The Field‘ as Site, Method, and Location in Anthropology. In: Gupta, Akhil/Ferguson, James (Hg.): Anthropological Locations. Bounda-

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schen und kulturellen Vakuum ermöglicht haben,56 die mit einer Steigerung der Wampumproduktion und einer intensiven wie extensiven Vergrößerung seiner Konsumption einhergingen. Peter A. Thomas geht von einem ähnlichen Prozess aus: „It seems possible, at least, that its [Wampum, Anm. M.S.] mass adoption reflects the tremendous social upheaval caused by periodic epidemics. As individuals holding positions of rank died off, no clear successors emerged in turn, traditional positions were exposed to a competition which had not previously existed. The mass adoption of wampum – a traditional status symbol – may thus reflect efforts by individuals to either substantiate or initiate new social positions in communities undergoing rapid change."57

Auch wenn ich die Hypothese eines „tremendous social upheaval“ teile, nehme ich an, dass die Verbreitung von Wampum zur Aufrechterhaltung des politischen Systems beitrug.58 Die unterschiedlichen Verwendungen von Wampum, die bereits innerhalb der ersten Beschreibungen sichtbar werden, einmal in die Etablierung von reziproken und egalitären Austauschverhältnissen verwoben (Juet), das andere Mal als Zeichen politischer und kultureller Außerordentlichkeit (Eelkins),59 müssen demnach als komplementäre Formen der kreativen Reaktion auf ries and Bounds of a Field Science, Berkeley/London: University of California Press, S. 1-46. 56 Siehe prägnant Starna, William A. (1992): The Biological Encounter: Disease and the Ideological Domain. In: American Indian Quarterly 16, S. 511-519, hier S. 513: „The socialization process along with political organization became disordered as high rates of death led to the loss of important community leaders and knowledgable and influential people.“ 57 Thomas, Peter A. (1979): In the Maelstrom of Change: The Indian Trade and Cultural Process in the Middle Connecticut River Valley, 1635-1665, Amherst: PhD Dissertation, hier S. 181. 58 Dabei ist es zunächst irrelevant, ob die Sachem ihre traditionelle Position neu sichern mussten oder ihre neu erworbene Autorität rechtfertigten. Ich neige jedoch, ebenso wie Bragdon (1996), zur ersten Interpretation. 59 In Mourt, G. (1963/1622): Mourt's Relation or Journal of the Pilgrims at Plymouth, Bedford: Applewood, S. 57 findet sich die folgende Beschreibung des ‚king‘: „In his attire little or nothing differing from the rest of his followers, only in a great chain of white bone beads about his neck […].“ Siehe auch die Beschreibung des Wampanoag sachem Massasoit in Altham, Emmanuel (1997/1623): „Emmanuel Altham to Sir Edward Altham, September, 1623“. In: James Jr., Sydney (Hg.): Three Visitors to Plymouth, Bedford: Applewood, S. 23-35, hier S. 30.

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den Kontakt gedeutet werden. Beide Prozesse müssen zusammengedacht werden und sollen im Folgenden als Ausdruck der kulturellen Revitalisierung beziehungsweise Stabilisierung der hierarchischen politischen Struktur der Küstenalgonkinkulturen interpretiert werden.60 Unklar ist jedoch, aus welchen Gründen innerhalb der Kulturen der Küstenalgonkin gerade Wampum in der kolonialen Phase an Zirkulationsfähigkeit gewinnt; wäre es doch hervorragend geeignet, als Zeichen europäischer Expansion und Unterdrückung zu fungieren.61 Überhaupt strotzen die zeitgenössischen Quellen, sobald sie auf Wampum oder allgemeiner auf die Wirtschaft der Küstenalgonkin zu sprechen kommen, nur so vor ambivalenten Überlegungen und mehrdeutigen Anspielungen. Dieses Phänomen – im Folgenden als Wampumparadox bezeichnet – aufzulösen, ist ethnographisches Primärziel der folgenden Ausführungen.62

60 Ähnlich interpretiert Strathern, Andrew (1979): Gender, Ideology and Money in Mount Hagen. In: Man 14, S. 530-548 die Auswirkungen der Einführung von Geld in Mount Hagen. Der Grad der gesellschaftlichen Stratifizierung differiert zwischen den verschiedenen Kulturen der Küstenalgonkin enorm. Während die hierarchische Struktur bei den Narragansett Rhode Islands und den Wampanoag auf Martha’s Vineyard außerordentlich ausgeprägt gewesen zu sein scheint, nimmt der Grad der Hierarchie von dort in alle Richtungen zunehmend ab. Vor allem die von Van der Donck beschriebenen algonkinsprachigen Gruppierungen des Hudson Valley scheinen weitaus weniger stratifiziert gewesen zu sein als zum Beispiel die Narragansett. Vgl. dazu Van der Donck, Adriaen (2008/1655): A Description of New Netherland, Lincoln: University of Nebraska Press, S. 100; siehe Van der Donck, Adriaen (1655): Beschrijvinge van Nieu Nederlant, t‘Aemsteldam: Evert Nieuwenhof. 61 Ceci, Lynn (1982): The Value of Wampum among the New York Iroquois: A Case Study in Artifact Analysis. In: Journal of Anthropological Research 38, S. 97-107, hier S. 105: „[…] for the coastal Algonquians it marks new bead production, a brief period of entrepreneurial trade, and finally, subjection.“ Eine derartige Bemerkung verschließt die Augen vor der kontinuierlichen Verwendung von Wampum im gesamten 17. Jahrhundert. 62 Das irokesische Material wird dabei eher ergänzend kontrastierend verwendet, da es diesbezüglich schon einige aufschlussreiche Arbeiten gibt. Siehe u.a. Beauchamp, William Martin (1901): Wampum and shell articels used by the New York Indians. In: Bulletin of the New York State Museum 8, S. 321-477 und das vierte Kapitel in Graeber, David (2001): Toward an anthropological theory of value. The false coin of our own dreams, New York: Palgrave. Zur Bedeutung des Wampum bei den Algonkin der Wabanaki-Konföderation siehe Speck, Frank G. (1964): The Functions of Wampum

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P ARADOXIEN IN DER B ESCHREIBUNG DER W IRTSCHAFTSLOGIK DER K ÜSTENALGONKIN UND DEREN BISHERIGE AKADEMISCHE R EZEPTION – W AMPUM ALS G ELD UND / ODER G ABE ? Ein kleiner Schlüssel mag eine Schachtel öffnen, in der ein ganzer Haufen liegt63 ROGER WILLIAMS Je plongerai ma tête amoureuse d’ivresse Dans ce noir océan où l’autre est enfermé64 CHARLES BAUDELAIRE

Die zeitgenössischen Versuche einer Beschreibung der Wirtschaftslogik der Küstenalgonkin zerfallen in zwei sich scheinbar widersprechende Blöcke. In Roger Williams’ A Key into the Language of America und seinen Briefen,65 Quellen, die aufzeigen, dass er nicht nur als Gründer Rhode Islands in die Geschichte Nordamerikas, sondern ebenso als Ethnograph avant la lettre in die Theoriegeschichte der Ethnologie hätte eingehen sollen, finden sich einerseits Stellen, welche die Narragansett als berechnende, ja fast pathologisch chrematistische Protokapitalisten porträtieren: „Sie sind sonderbar gerissen in ihrem Handel und versuchen jeden Pfennig einzusparen. Zudem wittern sie überall Versuche der Engländer, sie übers Ohr zu hauen: Sie versuchen also verschiedenste Märkte, rennen zwanzig, dreißig, ja vierzig Meilen, in den Wäldern übernachtend, nur um einige Pfennige herauszuschlagen.“66

among the Eastern Algonkian. In: Memoirs of the Amercian Anthropological Association 6, New York: Kraus Reprint. 63 Williams (1936/1643), S. A2; [„A little Key may open a Box, where lies a bunch of Keyes.“] 64 Baudelaire, Charles (1917): Les Fleurs du mal, Paris: Librairie des Bibliophiles Parisiens, hier S. 44. In der Übersetzung Stefan Georges wie folgt: „Ich tauche meine stirn im höchsten rausche trunken/In diesen ozean der andre in sich reiht.“ 65 Bartlett, John (1874): The Letters of Roger Williams 1632-1682, Providence: Printed for the Narragansett Club. 66 Williams (1936/1643), S. 163; [„They are so marvailous subtle in their Bargaines to save a penny: And very suspicious that English men labour to deceive them: There-

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Andererseits lassen sich jedoch ebenso solche ausmachen, die beim Leser Vorstellungen paradiesischer Reziprozität und Brüderlichkeit evozieren: „Mit Geld hätte niemand Rhode Island erwerben können. Es wurde mir Liebe gekauft […]“67 und – so könnte man ergänzen – „durch Geschenke“, wie Williams selbst in seinem autobiographischen Rückblick auf das Verhältnis zu den Narragansett aus dem Jahre 1682 schreibt.68 In anderen zeitgenössischen Quellen lässt sich eine ähnlich widersprüchliche Beurteilung der kleinen Muschelperlen ausmachen, was auf eine Verzahnung der Wahrnehmung von Wampum und der des indianischen Wirtschaftens insgesamt hinweist.69 Während zum Beispiel der in der puritanischen Geschichtsschreibung zum saufenden und herumhurenden Indianerfreund degradierte Thomas Morton, der 1626 nahe des heutigen Quincy, Massachusetts die Leitung einer Siedlung übernahm, deren Bewohner allesamt der streng reglementierten Lebensführung der Puritaner überdrüssige Separatisten waren, die monetäre Funktion des Wampum herausstellt, indem er schreibt, dass die Küstenalgonkin „[…] eine Art Perle anstelle von Geld […]“70 benutzen, fore they will beate all markets and try all places, and runne twenty thirty, yea forty mile, and more, and lodge in the Woods, to save six pence.“] 67 Bartlett (1874), S. 305; [„It was not price nor money that could have purchased Rhode Island. Rhode Island was purchased by love (…).“] 68 Ebd. S. 407. 69 Paradoxe Formulierungen finden sich auch bei anderen zeitgenössischen Beobachtern weiterer Indianergruppen. Vgl. zum Beispiel Penns Beschreibung des ökonomischen Verhaltens der Delaware: „Wealth circulateth like the Blood, all parts partake; and though none shall want what another hath, yet exact Observers of Property", in Penn, William (1964/1683): Letter from William Penn to the Commitee of the Free Society of Traders. In: Pearce, Roy Harvey (Hg.): Colonial American writing, New York: Holt, Rinehart and Winston, S. 467-483, hier S. 474. Siehe auch Lederer, John (1958/1672): The Discoveries of John Lederer. With unpublished Letters by and about Lederer to Governor John Winthrop Jr., Charlottesville: University of Virginia Press, S. 41 ff. Weitaus weniger zweideutig hingegen John Lawson: „This is the Money with which you may buy Skins, Furs, Slaves, or any thing the Indians have; it being the Mammon (as our Money is to us) that entices and persuades them to do any thing, and part with every thing they possess, except their children for slaves. As for their wives, they are often sold, and their daughters violated for it. With this they buy off murders; and whatsoever a man can do that is ill, this Wampum will quit him of, and make him, in their opinion, good and virtuous […].“ Siehe Lawson, John (1967): A New Voyage to Carolina, Chapel Hill: University of North Carolina Press, S. 194. 70 Morton, Thomas (2000/1637): New English Canaan, Stoneham: Digital Scanning, S. 157; [„(…) a kind of beads instead of money (…)“], siehe ähnlich das Kapitel „Of

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ergibt sich bei der Lektüre weiterer Quellen ein differenzierteres Bild und Wampum erscheint sowohl als omnipräsentes Zirkulationsmedium zwischen Braut und Bräutigam, Sachem und dessen Gefolgsleuten, dem Dies- und Jenseits; Menschen und Gegenstände schmückend; als auch als Wetteinsatz und Kriegsschmuck. Zudem diente es der Bezahlung religiöser Spezialisten. Hier eine Zusammenstellung aus verschiedenen zeitgenössischen Werken: Brautpreis

Grabbeilage Religiöse Zahlungen

„Tahanawatu? Ta shincommaugemus. – Wieviel hast du für sie gegeben? Napannetashom paugatash – Fünf fathoms ihres Geldes.“71 „Falls es sich um ein Kind handelt, legt der Vater seine wertvollsten Juwelen und Schmuckstücke mit in das Grab […].“72 „[…] sie bestätigten mir, dass man sie [die Schamanen, Anm. M.S.], wird der Kranke von ihnen nicht geheilt (was sehr oft vorkommt), beschimpft und verschmäht, manchmal tötet sogar einer der Verwandten des Verstorbenen sie, vor allem wenn sie von ihnen ihr zuvor gezahltes Geld nicht zurückbekommen […].“73

their Coyne“ bei Williams (1936/1643), S. 152-158. Derartige Bemerkungen finden sich jedoch in nahezu jedem Werk der Zeit. 71 Williams (1936/1643), S. 147; [„Tahanawatu? Ta shincommaugemus. – How much gave you for her? Napannetashom paugatash – Five fathome of their money.“] 72 Winslow, Edward (1996/1624): Good Newes from New England. A true Relation of Things very remarkable at the Plantation of Plimouth in New England, Bedford: Applewood, hier S. 63; [„If it be a child, the father will also put his own most special jewels and ornaments in the earth with it (…).“] Dass es sich hier höchstwahrscheinlich um Wampum handelt, wird deutlich, wenn man die bekannten Grabfunde zur Kenntnis nimmt. Vgl. Simmons, William S. (1970): Cautantowwit’s House: An Indian Burial Ground on the Island of Conanicut in Narragansett Bay, Providence: Brown University Press; Turnbaugh, William A. (1984): The Material Culture of RI-1000. A Mid-17th-Century Narragansett Indian Burial Site in North Kingstown, Rhode Island, Kingston: University of Rhode Island, Department of Sociology and Anthropology; Gibson, Susan G. (Hg.) (1980): Burr’s Hill: A 17th Century Wampanoag Burial Ground in Warren, Rhode Island, Bristol: Haffenreffer Museum of Anthropology. 73 [Wilson, John] (1865/1648): The Day-Breaking, if not the Sun-Rising of the Gospell with the Indians in New-England, New York: Reprint for Joseph Sabin, hier S. 27; [„(…) they affirmed also that if they did not cure the sick party (as very often they did not) that then they were reviled, and sometimes killed by some of the dead mans

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Ornament

Wetteinsatz

Wergeld Redistribution

„Auch wenn sie auf ihre Art ärmlich leben, existiert in ihnen der Funke natürlichen Stolzes, der sich in ihrem drängenden Verlangen nach aller Art von Schmuck zeigt. Sie tragen aus Knochen, Muscheln oder Stein geschnitzte Anhänger in der Form von Fischen, Vögeln und anderen Tieren in ihren Ohren, dazu lange, eigenartig gewobene Ketten aus Wampum […].“74 „Sie sind so verrückt nach diesen beiden Glückspielen, dass sie nicht selten alles das, was sie besitzen, verlieren – Biberund Elchpelze, Töpfe, weißes und schwarzes Wampum, Äxte sowie Messer – alles wird von diesen Spielen eingezogen.“75 „Der Sachem hat eine bestimmte Anzahl an Wampumperlen als Strafe für Schlägereien und Blutvergießen festgelegt.“76 „Derjenige, der das Nickommo Fest oder diesen Tanz veranstaltet, gibt neben der Verköstigung von zwanzig, fünfzig, hundert, ja ich sah fast tausend Menschen bei einem dieser Feste also auch eine große Menge Geld und andere von ihnen geschätzte Güter (gemäß und manchmal über seine Möglichkeiten hinaus).“77

friends, especially if they could not get their mony againe out of their hands, which they receive aforehand for their cure (…).“] 74 Wood, William (1977/1635): New England’s Prospect, Amherst: University of Massachussetts Press, hier S. 85; [„Although they be thus poor, yet is there in them the sparks of natural pride which appears in their longing desire after many kind[s] of ornaments, wearing pendants in their ears, as forms of birds, beasts, and fishes, carved out of bone, shells, and stone, with long bracelets of their curious wrought wampompeag (…).“] 75 Ebd. S. 104; [„They are so bewitched with these two games that they will lose sometimes all they have – beaver, moose skins, kettles, wampompeag, mowhacheis, hatchets, knives – all is confiscate by these two games.“] Wood unterscheidet weißes und schwarzes Wampum terminologisch: ‚Wampompeag‘ bezeichnet weißes, ‚mowhacheis‘ violettes Wampum. 76 Rasiere, Isaack de (1909/1628): Letter of Isaack De Rasiere to Samuel Blommaert, 1628. In: Jameson, John Franklin (Hg.): Narratives of New Netherland, 1609-1664, New York: Charles Scribner’s Sons, S. 97-116, hier S. 109; [„The Sackima has his fixed fine of sewan for fighting and causing blood to flow.“] 77 Williams (1936/1643), S. 128; [„He or she that makes this Nickommo Feast or Dance, besides the Feasting of sometimes twenty, fifty, and hundredth, yea I have seene neere

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Statusanzeiger

„Aber ein Sachem mit einem Kolibri als Ohrring, einem schwarzen Falken als Schmuck seines Hinterkopfes, sowie Wampum um seinen Hüften […] glaubt sich selbst als dem großen Dschingis Khan keinesfalls unterlegen. Er wird kaum zögern, zu behaupten, er sei König Charles ebenbürtig.“78

Während sich diese Widersprüche – man könnte sagen, zwischen Geld und Gabe, wirtschaftlichem Tauschgut und sakralem Objekt – an einigen Stellen durchaus mit Rückgriff auf traditionell betriebene Quellenkritik, die Ort, Zeit, handelnde Personen, Textgattung und ähnliches mit in den hermeneutischen Prozess einbezieht, auflösen lassen79 – handelt es sich beim Key doch im Selbstverständnis Williams’ um eine Art Anleitung für Reisende, Händler und Missionare; beim Rückblick eher um eine narrative Konstruktion der eigenen historischen Rolle –, stößt eine derartige Methode jedoch an ihre Grenzen, wenn innerhalb einer Passage derartige Widersprüche auftauchen. Betrachtet man beispielsweise eine zur Rekonstruktion des politischen Systems der Narragansett häufig herangezogene Stelle aus dem Key, wird nachvollziehbar, dass auch eine solide Quellenkritik nicht immer in der Lage ist, dem Text in seiner Gänze gerecht zu werden: „Die Sachem, auch wenn sie absolut monarchisch herrschen, werden keinesfalls auf eigene Faust Beschlüsse treffen, die das Wohl aller betreffen […].“80 Da Williams also sicherlich die Hoffnung hegte, mit den Schlüsseln, die sich in

a thousand persons at one of these Feasts) they give I say a great quantity of money, and all sort of their goods (according to and sometimes beyond their Estate).“] 78 Wood (1977/1635), S. 85; [„But a sagamore with a humbird in his ear for a pendant, a black hawk on his occiput for his plume, mowhacheis for his gold chain, good store of wampompeag begirting his loins, (…) thinks himself little inferior to the great Cham. He will not stick to say he is all one with King Charles.“] 79 Vgl. u.a. Simmons, William S. (1981): Cultural Bias in the New England Puritans‘ Perception of Indians. In: The William and Mary Quarterly 38, S. 56-72. 80 Williams (1936/1643), S. 142; [„The Sachims, although they have an absolute Monarchie over the people; yet they will not conclude of ought that concernes all (…).“] Vergleicht man diese Passage mit einer aus Higginson, Francis (1908/1629): New Englands Plantation with The Sea Journal and other Writings, Salem: The Essex Book and Print Club, hier S. 34, wird die Genauigkeit der Beobachtung Williams’ deutlich: „For their Governors they have Kings, which they call Saggamores, some greater, and some lesser, according to the number of their Subjects. The greatest Saggamores about us can not make above three hundred Men, and other lesse Saggamores have not about fifteene Subjects, and others neere about us but two.“

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der mit Hilfe des Key geöffneten Schachtel befanden, nicht nur weitere Schachteln – das Zitat ließe sich nämlich auch pessimistisch poststrukturalistisch im Sinne eines Verweises auf immer neue Glieder einer unendlichen Signifikantenkette deuten81 –, sondern Türen zu öffnen, müssen, um dem Anspruch Williams gerecht zu werden, diese Widersprüche als auflösbare Paradoxien verstanden werden. Beide Urteile treffen einen Punkt der Wirklichkeit: Wampum ist Geld und ist es nicht; die Sachem der Küstenalgonkin sind Monarchen und sind es nicht. Diese Aussagen scheinen nur widersprüchlich, weil sie auf einer dem Autor unzugänglichen Metaebene verknüpft werden müssen. Williams gelingt es zwar, einen Widerspruch in der Realität spürbar zu machen, ihm fehlen nur die notwendigen Mittel zu dessen Vermittlung. Nichtsdestotrotz steht er damit einer adäquaten Interpretation der Realität näher als ein Großteil seiner ethnologischen und geschichtswissenschaftlichen Interpreten, die sich damit zufrieden geben, das ihnen jeweils passende Urteil zur Untermauerung ihrer These zu zitieren, die Gegenthese dabei aber geflissentlich ignorieren. Insofern lässt sich Canups These, Williams etabliere mit der Gegenüberstellung der englischen und algonkinsprachigen Phrasen und Wörter im Key eine „[…] linguistic neutral zone in which meanings can converge and blend […]“82 durchaus auf die beschriebenen Paradoxien übertragen, wobei ‚neutral‘ dann in seinem lateinischen Ursprungssinne von ‚ne uter‘, ‚keiner von beiden‘ verstanden werden muss – jedoch mit der dialektischen Ergänzung: ‚da beide‘.83 Bevor ich jedoch mit Hilfe einer detaillierten Rekonstruktion der Lebensund Wertewelt der Küstenalgonkin versuche, die erwähnten Widersprüche aufzulösen, möchte ich anhand jeweils eines exemplarischen Beispiels die Rezeptionsgeschichte der Interpretation indianischen Wirtschaftens rekonstruieren, die sich grob in zwei Stränge einteilen lässt. Während bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine stark ökonomistische Position vorherrscht, wird diese im Laufe der Zeit von einer kulturalistischen Beschreibung, die vor allem durch Ethnologen und Archäologen propagiert wird und in ihrer explanativen Kraft hinter den öko81 Man beachte die Ähnlichkeit der Formulierung bei Lacan, wenn er die Signifikantenkette beschreibt als „Ringe, die in einer Kette sich in den Ring einer anderen Kette einfügen, die wieder aus Ringen besteht“, Lacan, Jacques (1975): Das Drängen des Buchstaben im Unbewussten oder die Vernunft seit Freud. In: Ders.: Schriften II, Olten und Freiburg im Breisgau: Walter, S. 15-55, hier S. 26. 82 Canup, John (1990): Out of the wilderness. The emergence of an American identity in colonial New England, Middletown: Wesleyan University Press, hier S. 144. 83 Vgl. zur Interpretation des Key auch Rubertone, Patricia E. (2001): Grave Undertakings: An Archaeology of Roger Williams and the Narragansett Indians, Washington: Smithsonian Institution Press, vor allem Kapitel 5 Unlocking a Key’s Silences.

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nomischen Betrachtungen zurückbleibt, abgelöst. Die kulturalistische Interpretation wird von einigen Historikern als Ausgangspunkt genommen, um einen chronologischen Übergang von einer eingebetteten hin zu einer entfesselten Marktökonomie, wie er zum Beispiel in der Annahme eines Wechsels von einem „community-oriented“ zu einem „commodity-oriented exchange“84 zum Ausdruck kommt, zu verkünden. Allen gemeinsam ist erstens ihr Eurozentrismus und zweitens ihr Zurückfallen hinter Williams: Es fällt ihnen aufgrund ihrer jeweiligen Vorurteilsstruktur schwer, den bei Williams geöffneten, doch verdunkelten Raum – Baudelaires „noir océan où l’autre est enfermé“85 – überhaupt anzuerkennen, geschweige denn zu erleuchten. Doch eins nach dem anderen, jeweils an einem besonders lehrreichen Beispiel.

84 Turnbaugh, William A. (1993a): Assessing the Significance of European Goods in Seventeenth-Century Narragansett Society. In: Rogers, J. Daniel/Wilson, Samuel M. (Hg.): Ethnohistory and Archaeology. Approaches to Postcontact Change in the Americas, New York/London: Springer, S. 133-162, hier S. 137. Siehe auch Turnbaugh, William A. (1993b): Community, Commodities, and the Concept of Property in Seventeenth Century Narragansett Society. In: Stoltman, James B. (Hg.): Archaeology of Eastern North America, Papers in Honor of Stephen Williams, Mississippi: Department of Archives and History, S. 285-295. 85 Baudelaire (1917), S. 44.

Wampum zwischen Geld und Gabe – Überlegungen zur Rezeptionsgeschichte

D IE ÖKONOMISTISCH - FETISCHISTISCHE I NTERPRETATION – G ELD , M ONETARISIERUNG UND F ETISCHISMUS William Weedens Interpretation des Wampumkomplexes und der Biberfetisch der Europäer Ach, wie vieles begann hier im Namen des Bibers. Dies fleißige Tier trägt, nicht wahr, an allem die Schuld. Lang vor der Schrift hat sein Zahn die Bäume beschrieben. Sein Fell entfachte das Fieber, die sündhafte Ungeduld, Die den Christen erfasste hier drüben1 DURS GRÜNBEIN

William Weeden, zumindest Ende des 19. Jahrhunderts bedeutendster Ökonom und Historiker Neu-Englands, stellt sich in seinen stark vom evolutionistischen Zeitgeist des ausgehenden 19. Jahrhunderts geprägten Überlegungen 2 zum The-

1

Grünbein, Durs (2007): Strophen für übermorgen, Frankfurt am Main: Suhrkamp, hier S. 56.

2

Man beachte seine Kenntnis der evolutionistischen Literatur Morgans und Maines. Weeden, William (1884): Indian Money as a Factor in New England Civilization. In: Johns Hopkins University Studies in Historical and Political Sciences, 2nd series, viiiix, S. 5-51 und Weeden, William (1890): Economic and Social History of New England 1620-1789, Boston: Houghton, Mifflin and Company. Hier sei nur angemerkt,

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ma indianischer Ökonomie die Frage, woher Wampum seinen Wert erhielt und gerät dabei aufgrund seiner eurozentrischen Vorurteile in ein Begründungsdilemma: Wie kam es dazu, dass eine „nation possessing the best elements of continental races“3 auf das ‚Geld‘ einer Ethnie angewiesen war, deren Mitglieder kaum mehr als die „simple instincts of humanity“ besaßen, deren politisches System durch nichts mehr als einem „rope of sand“ zusammen gehalten wurde und deren geschichtsphilosophisch vorprogrammierter Untergang – gottseidank, hört man Weeden tönen – durch einen „fortunate coincidence“4, die verheerenden Pockenepidemien von 1618-1620 und 1633, bereits vorangetrieben worden war? Weeden löst dieses Problem, das sich als eines der Mimesis und Alterität beschreiben lässt5 und sich jedem, vor allem jedoch dem Siedlerkolonialismus und dessen späterer Rechtfertigung stellt, mit einem Taschenspielertrick. Während sich sowohl das politische System, die religiösen Vorstellungen, das moralische Empfinden und das Rechtssystem auf der untersten Entwicklungsstufe befänden, beobachtet er „complicated commercial transactions“6 bei den Indianern, die er dementsprechend als „cautious and astute trader“7 bezeichnet. Es gelingt ihm so, zunächst eine Äquivalenzbeziehung zwischen den beiden Wirtschaftsformen zu etablieren, die die europäische Aneignung des Wampum weniger primitiv erscheinen lässt. Er konstatiert jedoch zugleich die Notwendigkeit der Existenz einer „currency“ für das Fortschreiten einer jeglichen „civilization“, sodass sich diese Stellen dann in der paradoxen Feststellung kondensieren lassen, letzten Endes hätten die Indianer das Wampum aufgrund ihrer außerökonomischen Rückständigkeit nicht verdient. Es besitzt offenbar genug Ähnlichkeit mit einem Zahlungsmittel, um von den Europäern als solches in ihr Wirtschaftssystem inkorporiert zu werden, nicht jedoch genug, um als die kulturelle Entwicklung vorantreibendes Geld innerhalb der indianischen Wirtschaft zu fungieren.8 Letztlich bleiben die Küstenalgonkin für Weeden ein Beispiel jener dass der Teil aus Weeden (1890), der sich mit Wampum beschäftigt, zu einem Großteil eine Kopie aus Weeden (1884) darstellt. 3

Weeden (1890), S. 2.

4

Ebd. S. 24.

5

Siehe hierzu Taussig, Michael T. (1997): Mimesis und Alterität. Eine eigenwillige

6

Weeden (1890), S. 32.

7

Ebd. S. 42.

8

Vgl. zu diesem Komplex auch folgende Zitate aus Woodward, Ashbel (1878): Wam-

Geschichte der Sinne, Hamburg: Europäische Verlagsanstalt.

pum. A Paper presented to The Numismatic and Antiquarian Society of Philadelphia, Albany: J. Munsell, die auf ähnlich anschauliche Weise die Paradoxien illustrieren. Man vergleiche „[…] while the Indian declined in power his simple coinage passed

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Kulturen, die, so könnte man – anspielend auf eine Bemerkung de Gândavos zu den Tupi-Indianern Brasiliens – behaupten, „ni roi, ni loi, ni foi, ni monnaie“9 besitzen. Aus welchen Gründen jedoch gelingt es den Indianern laut Weeden nicht, ihren ökonomischen und infolgedessen kulturellen Niedergang zu verhindern und warum ist Wampum nicht ‚genug‘ Zahlungsmittel? Mit anderen Worten: Warum ist die Ökonomie der Küstenalgonkin und infolgedessen ihre gesamte Kultur dem Untergang geweiht? Diese Frage führt uns zu Weedens interessanter Definition des Begriffs ‚currency‘, die Murray, der ebenfalls eine Interpretation dieser Stelle anbietet, als „confusing and confused“10 bezeichnet: „Value in use, and value in exchange, both enter into the foundation of a currency. The Long Island, Pequot and Narragansett tribes, had an article [Wampum, Anm. M.S.] which was desirable in itself and which enforced a barter with those inland tribes rendering an equivalent to obtain it. Barter began, but this did not constitute a currency. The article useful and desirable in itself, must have an essence of exchange, a force within itself which could compel not only that particular exchange, but any exchange at the will of the owner. This exchangeable quality was contributed by furs and especially by beaver.“11 from hand to hand, among his conquerors, in the haunts where unnumbered generations of his ancestors had trafficked it in rude barter […]“ mit „[…] this, however, was in the way of barter, and we cannot hence infer that the idea of a medium or money crept into the limited circle of the redman’s wants and satisfactions.“ (S. 59 und S. 19 f., Herv. M.S.) Ähnlich siehe Holmes, William H. (1883): Art in shell of the ancient Americans. In: Second Annual Report of the Bureau of Ethnology, 1880-81, Washington: Government Printing Office, S. 179-305, passim. 9

[„weder einen König, noch Gesetze, einen Glauben oder Geld“]. Siehe im portugiesischen Original: „Carece de tres letras, convem a saber, nam se acha nella F, nem L, nem R, couza digna despanto, porque assi nam tem Fe, nem Lei, nem Rei, e desta maneira vivem desordenadamente sem terem alem disto conta, nem pezo, nem medida.“ Siehe De Gandavo, Pero de Magalháes (1858/1576): Historia da Provincia Santa Cruz a que Vulgarmente Chamamos Brasil, Lissabon: Na Typographia da Academia Real das Sciencias, hier S. 44. Der zumeist nicht zitierte Zusatz „nem pezo, nem medida“, „ohne Gewicht und Maß“, lässt sich bereits als Anspielung auf das Fehlen von Geld lesen.

10 Murray, David (2000): Indian giving. Economies of power in Indian-White exchanges, Amherst: University of Massachussetts Press, hier S. 136. 11 Weeden (1884), S. 15, Herv. M.S. Auf die Widersprüche, die in diesem Zitat aufblitzen und sich mit der mausschen Analyse, die Gabe sei freiwillig und obligatorisch, analogisieren lassen, sei hier nur hingewiesen.

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Was hieraus in letzter Konsequenz folgt, ist die Konstatierung einer logischen Unmöglichkeit des Fortschreitens der indianischen Wirtschaft hin zu einer ‚entwickelten‘ Wirtschaft. Zum Erlangen von Geld wird die Existenz eines ausgeprägten Marktes und zur Etablierung eines Marktes das Vorhandensein von Geld vorausgesetzt. Wir stoßen auf paradoxe Formulierungen: Während Wampum zunächst ein intrinsischer Wert (‚desirable in itself‘) zugeschrieben wird, der dafür sorgt, dass es in einigen Transaktionen (‚particular‘) als Äquivalent fungieren kann, fehle ihm doch die ‚essence of exchange‘, die durch die Nachfrage nach Biberpelzen auf dem europäischen Markt generiert werde. Biber sind also für Weeden die eigentlichen Wertträger, Wampum vom Wert des Biberpelzes abhängig, reines Wertzeichen. Die Beantwortung der Frage, worin der Unterschied zwischen der Wertschätzung von Wampum und Bibern wirklich liegt, umgeht Weeden, indem er den Wert von Biberpelzen universalisiert (‚but all the world desired beaver‘) und so die Forderungen nach einer kontextbezogenen und somit stichhaltigeren Begründung des Biberprimates implizit als ungerechtfertigt zurückweist. Er bleibt aus diesem Grund hinter Williams Etablierung einer „linguistic neutral zone“ zurück und übersieht infolgedessen den kolonialen Machtkontext vollkommen.12 Dass eine solche Überbewertung eines ökonomischen Gutes häufig mit einer Anthropomorphisierung desselben einhergeht, lässt sich in unserem Fall anhand des magischen Nimbus, der den Biber in der zeitgenössischen Literatur umgibt,13 nachzeichnen. So findet sich zum Beispiel in Van der Doncks A Description of New Netherland ein dem Biber gewidmetes Kapitel, Of the Nature, amazing Ways, and Properties of the Beavers, in dem Van der Donck dem

12 Vgl. hierzu treffend, wenn auch – wie ich bei der Rekonstruktion der Lebenswelt der Küstenalgonkin nachweisen werde – überspitzt; Murray (2000), S. 137: „[…] the escalation of trade and the use of wampum exclusively as a medium of exchange […] is an effect of bringing Indians into European markets and economic networks.“ 13 Sayre, Gordon M. (1997): Les sauvages américains. Representations of Native Americans in French and English colonial literature, Chapel Hill: University of North Carolina Press behandelt die Rolle des Bibers in der französischsprachigen Literatur. Gisi, Luca Marco (2009): Von der Selbsterhaltung zur Selbstorganisation. Der Biber als politisches Tier des 18. Jahrhunderts. In: Gisi, Luca Marco/Horn, Eva (Hg.): Schwärme – Kollektive ohne Zentrum. Eine Wissensgeschichte zwischen Leben und Information, Bielefeld: Transcript, S. 225-253 parallelisiert den Wandel der Wahrnehmung des Bibers zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert mit der Entstehung politischer Ökonomie. Der Unterschied zwischen den Beobachtungen Gisis und meinen eigenen liegt in der zeitlichen Verortung. Gisis Betrachtungen beginnen mit Nicolas Denys Beschreibungen, während die meinigen dort enden.

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Biber wiederholt intentionale Zustände wie den der Überraschung zuerkennt14, ihn gar mit dem Mensch vergleicht: „Sobald ein junger Biber das Licht der Welt erblickt, schreit er wie ein Neugeborenes, sodass man, nähert man sich dem jungen Biber […], vermeint, es handele sich dabei um ein kleines Baby.“15 Williams spricht, ähnlich fasziniert, von einem „Tier voller Wunder“16 und John Josselyn, ein auch in seinen von Hyperbeln und Überspitzungen übersprudelnden Berichten dem Ideal puritanischer Genauigkeit nur selten entsprechender und lediglich temporär in den Jahren 1638-1639 und 1663-1671 in der neuen Welt verweilender Hobbynaturwissenschaftler, berichtet gar von einem domestizierten Biber, der autonom durch die Straßen Bostons schlendert.17 Thomas Morton spekuliert, dass englische Frauen die Ankunft frischer Biberschwänze aufgrund deren aphrodisierender Wirkung freudig begrüßten,18 während der große Ethnologe Lewis Henry Morgan ihm ebenfalls wie Horace Martin noch Ende des 19. Jahrhunderts eine jeweils knapp 400 Seiten lange Monographie widmet.19 Analog zu den Textstellen findet man auf verschiedenen Karten immer wieder stark 14 Van der Donck (2008/1655), S. 115-126. Van der Donck schließt seine Betrachtungen nach der Feststellung, dass alle Biber braunrotes Fell besitzen, mit der Bemerkung: „Once only have I seen a snow white beaver, and as far as can be ascertained, the same is true of all who have ever handled beavers“, ebd., S. 126. Man vergleiche diese Aussage mit Williams’ Beobachtung, Indianer glaubten an „black Foxes“, die sie zwar „have often seene, but never could take any of them“, Williams (1936/1643), S. 103. 15 Van der Donck (2008/1655), S. 123; [„As soon as the young beavers come into the world, they cry like newborn children, so that a person coming to where there is a young beaver (…) may think that a small child is near.“] 16 Williams (1936/1643), S. 103; [„This is a Beast of wonder; for cutting and drawing of great pieces of trees with his teeth, with which, and sticks and earth I have often seen, faire streames and rivers damm’d and stopt up by them: upon these streames thus damm’d up, he builds his house with stories, wherin he sits drie in his chambers, or goes into the water at his pleasure.“] 17 Josselyn, John (1865/1675): An Account of two Voyages to New-England. Made during the years 1638, 1663, Boston: William Veazie, S. 74: „They will be tame, witness the Beaver that not long since was kept at Boston in the Massachusets-Bay, and would run up and down the streets, returning home without a call.“ 18 So schreibt Morton (2000/1637), S. 38, dass der Schwanz des Bibers „of such masculine virtue“ sei, dass „[…] if some of our Ladies knew the benefit thereof, they would desire to have ships sent of purpose to trade for the tail alone“. 19 Martin, Horace T. (1892): Castorologia or the History and traditions of the Canadian Beaver, London/Montreal: Edward Stanford/WM. Drysdale und Morgan, Lewis Henry (1868): The American beaver and his Works, Philadelphia: J.B. Lippincott.

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anthropomorphisierende Darstellungen des Bibers. Die berühmteste ist sicherlich diejenige auf Nicolas de Fers L’Amérique, divisée selon l’étendu de ses principales parties, die auf Herman Molls als ‚Beaver Map‘ bekannt gewordener A New and Exact Map of the Dominions of the King of Great Britain on ye Continent of North America wieder aufgegriffen wird.20 Liest man schließlich bei William Wood, ein vermutlich Ende der 1620er nach Amerika gesegelter, humanistisch gebildeter Siedler und Kenner sowohl der Kultur der Massachussetts-Indianer wie auch – davon zeugt eine Vokabelliste am Ende seines Hauptwerkes New England’s Prospect – deren Sprache, dass „die Weisheit und der Verstand dieses Tieres einen dazu führt, es als vernunftbegabtes Wesen anzusehen“21, kommt man nicht umhin, Parallelen zu der häufig als ‚animistisch‘ beschriebenen Religion der Küstenalgonkin zu ziehen. Bezüglich dieses ‚Biberfetisches‘ der Europäer ist es besonders aufschlussreich, verschiedene Reaktionen der Indianer auf das Verhalten der Europäer näher zu betrachten. Obwohl das vom Jesuitenpater Le Jeune aufgezeichnete Zitat eines Sachem der Montagnais, „Missi picoutan amiscou“ („Der Biber macht alles“), in der Literatur häufiger aufgegriffen wurde,22 sei es an dieser Stelle noch einmal in seinem Kontext wiedergegeben, da in 20 Auf diese Karte verweist auch Lahontan, Baron de (1905/1703): New Voyages to North America, 2 Bände, Chicago: A.C. McClurg & Co., hier Band I, S. 8. Im gesamten Werk finden sich Anthropomorphisierungen des Bibers und Lobpreisungen seiner außerordentlichen Fähigkeiten. Unter dem Bild der arbeitenden Biber findet sich auf der Karte de Fers eine Einteilung der Biber in verschiedene Berufsstände. Sie weist eindeutig anthropomorphisierende Züge auf. So spricht de Fer u.a. von „Chaussées“, einem „Architecte“ und einem „Inspecteur des Invalides“. Die Abbildung wird erneut in Chatelain, Henri Abraham; Gueudeville, Nicolas [Hg.] (1732): Atlas Historique, Ou Nouvelle Introduction A l’Histoire, à la Chronologie & à la Géographie Ancienne & Moderne: Représentée dans de Nouvelles Cartes, [Band VI] Qui comprend l’Afrique & l’Amerique Septentrionale & Meridionale, tant en général qu’en particulier; l’Egypte, la Barbarie, la Nigritie, la Guinée, l’Ethiopie, le Congo, la Cafrerie & le Cap de Bonne Esperance; la Canada ou la Nouvelle France, la Louisiane ou le Mississipi, la Virginie, la Floride, le Mexique, le Perou, le Chili & le Bresil; avec les Iles de Madagascar, les Philippines, les Moluques, les Antilles & l’Ile de Ceylan, Amsterdam: Chez François L’Honoré & Compagnie zitiert. 21 Wood (1977/1635), S. 47; [„The wisdom and understanding of this beast will almost conclude him a reasonable creature.“] 22 Siehe auch den Titel des Sammelbandes zur fünften North American Fur Trade Conference: Trigger, Bruce G. (Hg.) (1987): Le Castor Fait Tout: Selected Papers of the Fifth North American Fur Trade Conference, St. Paul: North American Fur Trade Conference. Der Pelzhändler John Long, sicherlich teils aufgrund seiner Biberobses-

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dem Zitat der Spott, den die Anthropomorphisierung des Bibers durch die Europäer bei den Indianern verursachte, prägnant zum Ausdruck kommt: Abbildung 2: Detail aus Molls Beaver Map

Quelle: Moll, Herman (1726): The World Described; or a new and correct sett of maps. London: J. & T. Bowles. „Die Wilden sagen, dass dieses Tier bei den Franzosen, Engländern und Basken, mit ande ren Worten: bei den Europäern, äußerst beliebt sei. Ich habe eines Tages meinen Gastgeber spöttisch sagen hören, Missi picoutau amiscou, ‚Der Biber macht alles, er macht Töpfe, Äxte, Schwerter, Messer, Brot; kurz gesagt: er macht alles‘. Er verhöhnte uns Europäer, die solch ein Verlangen für das Fell dieses Tieres haben und die miteinander kämpfen, wer den Wilden das meiste geben kann, um es zu bekommen. Sie treiben diesen Spott so weit, dass mein Gastgeber eines Tages, während er mir ein sehr schönes Messer zeigte, zu

sion, wurde von seinen indianischen Partnern schlicht „Biber“ genannt, siehe Long, John (1791): Voyages and Travels of an Indian Interpreter and Trader, London: Robson, hier S. 86 f.

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mir sagte: ‚Die Engländer sind verrückt, sie geben uns zwanzig dieser Messer für ein Biberfell‘.“23

Eine noch interessantere Stelle – bündeln sich in ihr doch verschiedenste Elemente des atlantischen Kulturkontaktes: der Biberfetisch der Europäer, die Problematik der Mimesis/Alterität innerhalb der kolonialen Begegnung, Fragen nach der Totalität des Austausches zwischen den Kulturen: zielt sie also auch ins Herz ethnologischer Theorienbildung – findet sich in De Vries’ Korte Historiael. In der folgenden Passage wird die Begegnung mit neun Sachem der UnamiDelaware, die sich am 8. Januar 1633 in Fort Nassau – dessen Bewohner einige Wochen nachdem Nanticoke die Kolonie Swaanendael im Dezember 1632 zerstört hatten noch immer unter Schock standen – versammelt hatten, folgendermaßen geschildert: „So sah ich unter allen auch jene, welche versucht hatten, uns zu vernichten; sie hatten ihre englische Kleidung aus- und ihre Felle wieder angezogen, was ich sofort meinem Übersetzer mitteilte; die neun setzten sich in einen Kreis und riefen uns zu sich; als sie sahen, dass wir Angst vor ihnen hatten, sagten sie, sie seien gekommen, um Frieden mit uns zu schließen, woraufhin uns zehn Biberfelle geschenkt wurden; jedes dieser Felle überreichte einer von ihnen uns mit einer Zeremonie, und im Namen dessen, der es geschenkt hatte, und dass es für den ewigen Frieden sei, und dass wir das eben Gedachte von uns werfen müssen, so wie sie es getan hatten. Ich wollte ihnen durch den Übersetzer Geschenke zukommen lassen, jedem ein Beil, Kleider und zwei Messer, aber sie weigerten sich, sie anzunehmen, anmerkend, dass sie uns die Geschenke nicht gegeben hätten, um

23 Le Jeune, Paul (1635): Relation de ce qui s’est passé en la Nouvelle France, en l’Année 1634, Paris: Sebastien Cramoisy, hier S. 150; [„Les Sauvages disent que c’est l’animal bien aymé des François, des Anglois, & des Basques, en un mot des Europeans; i’entendois un iour mon hoste qui disoit en se gaussant, Missi picoutau amiscou, le Castor fait toutes choses parfaictement bien, il nous faict des chaudières, des haches, des espées, des couteaux, du pain, bref il fait tout; il se mocquoit des nos Europeans qui se passionnent pour la peau de cest animal, & qui le battent à qui dónerale plus à ces Barbares, pour en auoir iusques là qué mon hoste me dit un iour me monstrant un fort beau coureau, les Anglois n’ont point d’esprit, ils nouns donnent vingts couteaux comme celuy là pour une peau de Castor.“] Vgl. dazu die englische Übersetzung bei Thwaites, Reuben G. (Hg.) (1896-1901): The Jesuit Relations and Allied Documents, Cleveland/Ohio: Burrows Brothers; hier Band VI, S. 297.

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welche zurückzubekommen, sondern um des guten Frieden willens, was wir ihnen glaubten […].“24

De Vries, ein an der Gründung der Kolonie Swaanendael beteiligter Seefahrer, der erst einige Monate zuvor erstmalig nordamerikanischen Boden betreten hat, stellt mit Erstaunen fest, dass die ‚Wilden‘ ihre Felle wieder an- und jene europäische Kleidung ausgezogen hatten, die er zwei Tage zuvor – beinahe ohne Lebensmittelvorräte – mit äußerstem Misstrauen, ja beinahe Angst (‚suspitie‘) an ihnen wahrgenommen hat: „Das waren Wilde vom Roode Hoeck, auch Mantes genannt, und sie hatten zum Teil englische Jacken an, was mein Misstrauen noch verstärkte, da diese weder Kleidung noch Handelsgüter für sie sind.“25 Parallelisiert man die beiden Beobachtungen De Vries’ offenbart sich in kristallisierter Form das Problem der Mimikry und Mimesis im Kontext der Kulturbegegnung, das theoriegeschichtlich vor allem in Abarbeitung an Jean Rouchs Film Les Maitres Fous und durch Beobachtungen verschiedener Afrikanisten vorangetrieben wurde. James Ferguson unterscheidet in seinem Artikel Of Mimicry and Membership: Africans and the ÄNew World Society¶26 zwei analytische Herangehensweisen an das Phänomen der Mimikry. Während üblicherweise der Fokus auf die Bedrohung des kolonialen Status quo durch Prozesse der Aneignung und 24 De Vries, David Pietersz (1911/1655): Korte Historiael ende Journaels aenteyckeninge van verscheyden Voyagiens in de vier Deelen des Wereldts-Ronde, als Europa, Africa, Asia, ende Amerika gedaen, Den Haag: M. Nijhoff; hier S. 160, Herv. M.S.; [„Soo sag hick onder allen oock die geen die het feyt meende aen te rechten, hadde de Engelsche Kleedinge uyt getrocken ende weder een Velletjen om gedaen, waer van ick mijn Tolck datelijck waerschouden; soo zijn sy met haer negenen in ’t tont gaen sitten en hebben ons by haer geroepen, seggende alsoo sy saghen dat wy voor haer anghstvalligh waren, datse quamen om een goede Vrede met ons te maecken, waer op hy ons een present dede can thien Bevers-Vellen, die welcke een van haer ons gaf met ceremnoie by yder Vel, ende in wiens naem dat hyse gaf, ende tot een eeuwighe Vrede met ons, ende dat wy al quade gedachte mosten van ons werpen, want sy hadde nu alle quaet wegh ghesmeten, soo wilde ick haer weder doort de Tolck laten presenten doen, elck een Bijl, een Duffel, met elck een paer Mesjens, maer sy en begeerden ’t niet, seghende datse daer om de presenten niet en gaven im yets weder te hebben, maer om een goede Vrede, ’t welck wy voor goedt namen (…).“] 25 Ebd. S. 159, Herv. M.S.; [„Dit waren Wilden van de Roode Hoeck ofte Mantes anders ghenaemt, ende hadden een parthye Engelse Kaesjacken aen dat my meerder suspitie gaf, want dat geen Kledingh voor haer was, noch geen Kargosoens goet.“] 26 In: Ferguson, James (2006): Global shadows. Africa in the neoliberal world order, Durham: Duke University Press, S. 155-175.

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Parodie europäischer Kleidung und Verhaltensformen durch die Kolonialisierten und Subalternen liegt, liest Ferguson Formen der Mimikry in einer postkolonialen Welt vor allem als Forderungen nach Mitgliedschaft und Partizipation und kritisiert so den ethnologischen Blick auf Phänomene der Mimikry als eingeschränkt kulturalistisch – letzten Endes gar als rassistische Vorurteile reproduzierend: Er erkenne die durch rassistische Einstellungen etablierten Schranken nicht an und verharmlose sie so. Trifft Fergusons Kritik sicherlich auf die Auseinandersetzung mit Prozessen im Afrika des 20. Jh. zu, kann sie nicht auf die Zustände im kolonialen Nordamerika des beginnenden 17. Jahrhunderts übertragen werden. Hier fehlen einerseits die rassistischen Grundlagen vollkommen: Unterschiede zwischen Europäern und Indigenen werden gemäß der hippokratischen Humoralpathologie vielmehr den unterschiedlichen Umwelteinflüssen zugeschrieben.27 Andererseits herrscht – vom kollektiven Gedächtnis häufig durch Heroisierungsprozesse verdeckt – ein mehr oder weniger ausgeglichenes Mächteverhältnis vor. In europäischer Kleidung, die weder dem Indianer angemessen (‚Kledingh voor haer‘) noch übliche Handelsware (‚noch geen Kargosoens‘) sei, können diese ‚Fremden‘ in Anlehnung an Worte Paul Stollers als ‚electroshocking appearances‘28 bezeichnet und ihr Auftreten weder als parodistische Anerkennungs- noch als Gleichberechtigungsforderung, sondern als spöttische Überlegenheitsdemonstration gelesen werden, die eine Atmosphäre von Angst und Misstrauen und somit zugleich einen idealen Nährboden für fetischistische Konstruktionen schafft. Doch vorerst zurück zur zitierten Passage und dem eigentlich an ihr Bemerkenswertem. Nach der Feststellung De Vries’, dass die Delaware ihre Felle wieder angezogen haben, berichtet er, wie sie anschließend verständnisvoll, ja in beinahe entschuldigender Manier zehn Biberfelle an ihn und seine Mannschaft überreichen, um einen „ewigen Frieden“ (‚eeuwighe Vrede‘) zu schaffen. Dies geschieht in Form einer erstaunlichen Zeremonie: Jedes Fell wird einzeln überreicht und der Name des Gebers dabei feierlich proklamiert. Diese Individualisierung eines relativ stark kommerzialisierten und generalisierten Objekts zur Herstellung eines diplomatischen Paktes erinnert strukturell doch sehr an die für den irokesischen Bereich wohlbekannte Nutzung der Wampumgürtel zu ähnlichen Zwecken. Beiden Handlungen gemein ist die Anthropomorphisierung des Gegenstandes. So finden wir in dem seinen komparati27 Vgl. hierzu Chaplin, Joyce E. (1997): Natural Philosophy and an Early Racial Idiom in North America: Comparing English and Indian Bodies. In: The William and Mary Quarterly 54, S. 229-252. 28 Stoller spricht von „electro-shocking appropriation“, vgl. Stoller, Paul (1995): Embodying Colonial Memories: Spirit Possession, Power and the Hauka in West Africa, New York: Routledge, hier S. 133.

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ven Anspruch bereits im Titel Moeurs des Sauvages Amériquains,Comparées aux Moeurs des Premiers Temps ankündigenden Werk des Paters und Irokesenkenners Joseph-François Lafitau die Analogisierung von Wampumgürteln und Worten29 und der französische Jesuit Jean de Brébeuf beschreibt in seiner Relation de ce qui s'est passé en le Pays des Hurons en l’année 1636 ein „Versöhnungsritual“ der Huronen, während dem die Leiche eines zuvor durch unnatürliche Umstände Umgekommenen zerteilt wird und junge Männer, denen Wampumperlen in ihre Münder gelegt werden, die einzelnen Leichenteile ins Feuer werfen.30 Die häufig bei der Beschreibung nicht europäischer Gesellschaften angeführte Vermischung von Objekten und Subjekten scheint also auch im Wirtschaftssystem der Europäer von zentraler Bedeutung. Wie lässt sich diese Anthropomorphisierung ökonomisch oder gesellschaftlich zentraler Gegenstände nun jedoch theoretisch einholen? Worin besteht die Funktion derartiger Prozesse und warum lassen sie sich so häufig und kulturübergreifend beobachten? Sind die Anthropomorphisierung des Bibers und die des Wampum sowie die sich an sie knüpfenden Diskurse gleichursprüngliche Phänomene der kolonialen Situation? Es scheint hier ein Exkurs zum Begriff des Fetischs angebracht, der so für die Wirtschaftsethnologie wieder fruchtbar gemacht werden soll.

29 Lafitau, Joseph-François (1987/1724): Die Sitten der amerikanischen Wilden. Im Vergleich zu den Sitten der Frühzeit, Weinheim: VCH Verlagsgesellschaft, hier S. 231. Siehe Lafitau, Joseph-François (1724): Mœurs des sauvages américains comparées aux mœurs des premiers temps, Paris: Saugrain l’aîné/Hochereau. Die Beispiele könnten, gerade betreffs des irokesisch-huronischen Gebietes, nahezu endlos vermehrt werden. 30 Brebeuf, Jean de (1637): Relation de ce qui s’est passé en le Pays des Hurons en l’année 1636. In: Le Jeune, Paul: Relation de ce qui s’est passé en la Nouvelle France, en l’année 1636, Paris: Sebastien Cramoisy, hier S. 112: „[…] en fin ils luy ouurent le corps, & en tirent les entrailles, qu’ils iettent au feu avec toutes ces pieces de chair qu’ils ont couppées, & mettent dans la fosse la carcasse toute décharnée, l’ay remarqué que pendant cette boucherie les femmes tournent tout autour à diverses fois, & encouragent ces ieunes hommes qui decouppent ce corps à rendre ce bon office à tout le Païs, leur mettant des grains de Pourcelaine dans la bouche.“ Siehe die Übersetzung in Thwaites (1896-1901), hier Band X, S. 163 ff.

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Der ‚Fetisch‘ – Versuch der Wiederbelebung eines wirtschaftsethnologischen Konzeptes Ein einfacher logischer Widerspruch ist noch lange kein Zeichen für eine reale Unvereinbarkeit der Tatsachen31 MARCEL MAUSS

Bei der Lektüre der zentralen sich mit dem Fetischkonzept auseinandersetzenden Texte begegnet man immer wieder der Annahme, dass Marx und Freud – sicherlich die beiden wichtigsten Interpreten des Fetischbegriffs – gleichermaßen von einer Anthropomorphisierung des Fetischobjektes ausgehen und der Unterschied lediglich in ihrer jeweiligen Abstraktionsebene liege: Freud setze sich mit dem Individuum auseinander, Marx beschäftige sich mit der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit.32 Eine derartige Analyse übersieht jedoch eine weitere, grundlegendere Gemeinsamkeit, die es nun herauszuarbeiten gilt. Freud versteht unter einem Fetisch ein Objekt, das zur Aufrechterhaltung des Glaubens an die Existenz des weiblichen Penis unbewusst an dessen Stelle gesetzt wird und dem betreffenden Individuum so die Erinnerung an den „Kastrationsschreck beim Anblick des weiblichen Genitales“33 erspart. Dass das Leugnen der Möglichkeit der eigenen Kastration von Freud nicht als ein Leugnen im Sinne eines vollständigen, passiven Vergessens beschrieben wird, ist der bemerkenswerte Teil seiner Überlegungen. Der Fetisch erlaubt dem Fetischisten, den Glauben an den weiblichen Phallus, das heißt den an die eigene Omnipotenz und die Unmöglichkeit der Kastration, simultan aufzugeben und zu bewahren, indem er Wunsch und Realität in sich vereint. Die Frau hat ihren Phallus nie verloren, da sie nie einen ‚wirklichen‘ besessen hat. Folgerichtig ist Freuds exemplarisches Beispiel für einen Fetisch ein „Schamgürtel“, der den Unterschied der weiblichen und männlichen Genitalien verschleiert und so die Anerkennung der Kastrationsgefahr wie deren Verneinung zugleich ermöglicht.

31 Mauss, Marcel (2012a): Das Gebet. In: Mauss, Marcel: Schriften zur Religionssoziologie, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 468-600, hier S. 502. 32 Vgl. Kohl, Karl-Heinz (2003): Die Macht der Dinge. Geschichte und Theorie sakraler Objekte, Darmstadt: Beck, hier S. 107 ff. 33 Freud, Sigmund (1927): Fetischismus. In: A.J. Storfer: Almanach der Psychoanalyse 1928, Wien: Internationaler Psychoanalytischer Verlag, S. 17-24, hier S. 20.

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Für Marx hingegen besteht der Fetischismus der Ware in der systemisch produzierten Annahme, der durch gesamtgesellschaftliche Produktions- und Reproduktionsverhältnisse generierte Wert der Ware sei eine ihr unabhängig von der kapitalistischen Produktionsweise zukommende, intrinsische Eigenschaft.34 Die Parallelität zum freudschen Fetischismusbegriff liegt nun nicht allein in der Anthropomorphisierung wie sie in Marx’ blumigem Vergleich der Ware mit tanzenden Tischen zutage tritt, sondern vor allem in der Annahme, dass die Fetischisierung zugleich eine notwendige Folge der kapitalistischen Produktionsweise als auch eine Verschleierung dieser darstellt. Die fetischisierte Ware leugnet die sozialen Grundlagen kapitalistischer Produktionsweise und ermöglicht so ihr Fortbestehen (Es ist nicht das soziale System unabhängig voneinander produzierender Kapitalisten, sondern der intrinsische Wert der Dinge, der ihnen einen Tauschwert verleiht) auf strukturell gleiche Art und Weise wie der sexuelle Fetisch das Vergessen und die Akzeptanz der Kastrationsmöglichkeit. Er ist ebenso wie dieser aus „Gegensätzen doppelt geknüpft“35. Die formale Äquivalenz zwischen sexuellem und kapitalistischem Fetisch liegt demnach in der Simultanität und Untrennbarkeit von etisch attestierbarer, das heißt systemisch geschaffener Durchdrungenheit mit kulturellen und sozialen Werten und emisch wahrgenommener Individualität, das heißt semiotischer Entleerung, Körperlichkeit und Notwendigkeit.36 In beiden Fällen ist die Erschaffung eines Fetischs außerdem an die Verschleierung einer widersprüchlichen Krisensituation gekoppelt, das meint, je nach Grad des vorherrschenden Optimismus, eine Krise oder ein Aufschieben des Begehrens beziehungsweise dessen Kontrapunkts: der Angst.37 Durch die Unauflösbarkeit der Krise wird der Fetisch Symptom der Erfüllung des Begehrens und Verursacher desselben.

34 Marx, Karl (2008): Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band, Berlin: Dietz. 35 Freud (1927), S. 23. 36 Böhme spricht in seiner auch ansonsten für einen Überblick zu empfehlenden Studie zum Fetisch von Immanenz/Transzendenz, vgl. Böhme, Hartmut (2006): Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne, Reinbek bei Hamburg: RowohltTaschenbuch-Verlag, hier S. 286. Dies spiegelt sich auch in der Etymologie des Fetischbegriffes wider, einem Bedeutungshybrid, abgeleitet von port. feitico (‚zauberisch‘) und lat. factitius (‚künstlich hergestellt‘). 37 Darauf verweist Pietz in Auseinandersetzung mit Leirisʼ poetologischen Fetischbegriff. Der, ganz in der Tradition des Surrealismus, den Zufall zum Rettungsanker in einem Meer von gesellschaftlichen und individuellen Abhängigkeiten macht. Vgl. Pietz, William (1985): The Problem of the Fetish. In: Res 9, S. 5-18.

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Es lässt sich die Hypothese formulieren, dass alle Theorien den Fetisch als Versuch einer entäußerten Letztbegründung der angstmindernden Aufrechterhaltung/Etablierung und/oder Verschleierung individueller oder gesellschaftlicher Widersprüche verstehen. Jeder Fetisch etabliert beruhigende Ganzheit.38 Dass so häufig die Anthropomorphisierung als gemeinsame Grundlage bemüht wird, darf dann getrost – will es mehr sein als Beobachtung – als Auswuchs des idealistischen Subjektbegriff verstanden werden, der den Menschen (alternativ: den Geist, Gott etc.) als Verursacher und Letztbegründung jeglicher Signifikation beschreibt und doch gerade durch den Fetischismusbegriff selbst attackiert wird. Wenn man wie Kohl und ein Gros der Ethnologie das Konzept als veraltet versteht oder aufgrund politischer Korrektheit aus dem Diskurs verbannt, übersieht man, dass der Fetischbegriff die Trennung von Subjekt und Objekt aufhebt und somit gerade für einen Fortschritt gegenüber der idealistischen, wenn nicht gar der okzidentalen Philosophie insgesamt, steht. Den Fetisch als philosophisches Konzept zu verwerfen, hieße also, einen noch größeren Rückschritt zu machen. Es gilt vielmehr, die realitätsbegründende Wirkung des Fetisch selbst in den Vordergrund zu stellen: er ist nicht nur Effekt einer falschen, menschengemachten Ideologie, sondern etabliert diese zugleich. Er wird nicht nur zum Menschen gemacht, sondern wirkt als Mensch.39 Da in unserem Falle eine kulturelle Vermischung unerwünscht, eine vollkommene Abgrenzung aufgrund einer ökonomischen Abhängigkeit von der anderen Kultur jedoch nicht möglich ist – Wampum kann sein Status als Wertgegenstand nicht abgesprochen werden, da man auf Wampum als interkulturelles Zirkulations- und Kommunikationsmedium angewiesen ist –, wird ein im weitesten Sinne des Wortes erreichbares Objekt fetischisiert, das dann den durch die Leugnung des ebenfalls begehrten Objektes geschaffenen Anerkennungshohlraum besetzt. Mit anderen Worten: Die Beziehung zwischen Biber und Wampum „as the locus of a sort of primary and carnal rhetoric of identification and

38 Hier liegt eine Parallele zu verschiedenen poststrukturalistischen Konzepten. Während Derridas „transzendentaler Signifikat“ analog zur Setzung eines Dogmas im Sinne des Agrippa-Dilemmas ist; kann Baudrillards Ansatz, im fetischisierten Objekt ein unendlich auf sich selbst verweisendes Zeichensystem (zum Beispiel Caduvéo Tattoos und kontemporäre Warenästhetik), welches seine symbolische Funktion verloren hat, zu sehen, als Zirkelschluss verstanden werden – beide schließen und öffnen jedoch Totalitäten. Siehe Baudrillard, Jean (1981): For a Critique of the Political Economy of the Sign, St. Louis: Telos Press, S. 95. 39 Siehe hierzu Latour, Bruno (2010): On the modern cult of the factish gods. Durham: Duke University Press.

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disavowal“40 wird als eine Relation hierarchischer Abhängigkeit konzeptualisiert. Auf diese Weise gelingt es nicht nur, eine Hierarchie zwischen zwei Objekten – und folgerichtig, mit fatalen Konsequenzen, zwischen den beiden Transaktionspartnern – zu etablieren, sondern gleichzeitig die faktische Äquivalenzbeziehung zwischen beiden zu leugnen, indem einer der beiden aus der semiologischen Praxis herausgelöst und universalisiert, ökonomisch gesprochen: überbewertet wird. Weeden geht somit in seiner Argumentation dʼaccord mit den Ansichten der meisten politischen Ökonomen – natürlich, ist es doch ein strukturelles Begründungsproblem ökonomistischer Geldtheorie allgemein: der soziale, das heißt konstruierte Charakter des Geldes kann nicht wahrgenommen werden, ohne dass das System selbst auseinanderfällt, also muss ein die Widersprüche zugleich konstituierendes und leugnendes Ersatzobjekt geschaffen werden. Dementsprechend finden wir bei Locke die Unterscheidung von Geld als ‚counter‘ und als ‚pledge‘, wobei ‚counter‘ mit der Funktion als Wertmaßstab, ‚pledge‘ mit derjenigen der Wertaufbewahrung analogisiert werden kann. Während Locke davon ausgeht, dass die ‚counter‘-Funktion durchaus von einer Art Papiergeld, Wechseln oder Ähnlichem erfüllt werden kann, sieht er die Gefahr, dass „[…] writing cannot supply the place of [Gold oder Silber, Anm. M.S.]: since the bill, bond, or other note of debt, I receive from one man, will not be accepted as security by another […]“ und, noch schärfer formuliert: „[…] a law cannot give to bills that intrinsic value which the universal consent of mankind has annexed to silver and gold […].“41 Gold und Silber nehmen also die gleiche Rolle in der Argumentation Lockes ein wie der Biber in Weedens, sind universal gültig aufgrund ihres ‚intrinsischen‘ Wertes. Ihr Glanz strahlt auch aus ‚wertlosem‘ Papier und beseelt dabei noch anderen belanglosen Tand wie Muschelperlen.42 Es liegt demnach nahe, von verschränkten, sich gegenseitig stär-

40 Pietz (1985), S. 14, Herv. M.S. 41 Locke, John (1823): Some Considerations of the Consequences of lowering the Interest and raising the Value of Money. In a Letter sent to a Member of Parliament in the year 1691. In: John Locke (Hg.): The Works of John Locke, London: Printed for Thomas Tegg, Band V, S. 1-117, hier S. 22. 42 Vgl. zur Universalisierung der Wertschätzung von Silber und Gold bei Locke (1823), S. 22: „For mankind, having consented to put an imaginary value upon gold and silver […].“ Interessant ist die Entlarvung des Wampumfetischismuses der Indigenen durch Woodward (1878), S. 20: „Wampum was the gold of the aborigine. But he had yet to learn that the value of gold resides not alone in its glitter.“ Wo denn dann, könnte der Indigene subversiv zurückfragen.

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kenden Fetischisierungsprozessen auszugehen: Der Wert des Wampum vermehrt den Wert des Bibers43 und der Wert des Bibers den Wert des Wampum.44 Zunächst jedoch zurück zu der Frage, wie Weeden nun den Wert von Wampum innerhalb der indigenen Kultur rekonstruiert. Erstaunlicherweise gelingt ihm bei seiner Analyse des Wertes von Wampum etwas, was ihm in der Selbstreflektion nicht gelingt. Während Weeden bezüglich des indigenen Wampumgebrauches die kulturelle Eingebettetheit von Wert und die Rolle der materiellen Wertträger in Bezug auf soziale Integrationsprozesse anerkennt, sieht er den Gebrauchswert des Wampum für die Kolonisten lediglich darin, Tauschwerte zu repräsentieren.45 Dass Weeden sich bei seinen Ausführungen in Wiederholungen und paradoxen Formulierungen verliert, zeugt – sind sie doch dem Untersu-

43 Thomas Morton beobachtet beispielsweise, dass der Biber als Speise ausschließlich den Sachem serviert wurde, siehe Morton (2000/1637), S. 73: „The flesh of this beast […] is preserved for a dish for the Sachems, or Sagamores, who are the princes of the people but not Kings (as is fondly supposed).“ 44 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, aus welchem Grund jede Begegnung mit einem Fetisch einer anderen Kultur Potenzial zur Selbsterkenntnis birgt und somit eben jener andere, ‚falsche‘ Fetischismus, der im eigenen Denken systematisch geleugnet wird, degradiert werden muss. Emblematisch für das Problem einer Anerkennung des Fetischcharakters des Kapitals ist wohl die Verstörung, die durch eine Fetischisierung einzelner Geldformen in ‚nicht-kapitalistischen‘ oder in Subkulturen der kapitalistischen Gesellschaft wie in der bling-bling-Kultur des HipHop ausgelöst wird. Genau das kommt zum Ausdruck, wenn Marx vom Schatzbildner als „verrücktem Kapitalisten“ spricht; ver-rückt im Sinne eines die kapitalistische Produktionsweise nicht reproduzierenden, außer ihr stehenden Akteurs. Vgl. Marx (2008), hier S. 168: „Dieser absolute Bereicherungstrieb, diese leidenschaftliche Jagd auf den Wert ist dem Kapitalisten mit dem Schatzbildner gemein, aber während der Schatzbildner nur der verrückte Kapitalist, ist der Kapitalist der rationelle Schatzbildner.“ 45 Häufig wird der Gebrauchswert verschiedener Geldformen vor allem in ihrer Kraft gesehen, den Tauschwert zu repräsentieren. Dabei wird diese Kraft häufig fetischisiert: Geld selbst mache die Dinge vergleichbar und seine Einführung – je nach wissenschaftlich und politischer Grundeinstellung – zerstöre prä-monetäre Moralordnungen oder ermögliche die Befreiung von ihnen. Siehe zur Kritik an diesem Paradigma u.a. Keane, Webb (2008): Market, materiality and moral metalanguage. In: Anthropological Theory 8, S. 27-42; Bloch/Parry (1989); Turner, Terence (2008): Marxian Value Theory: An Anthropological Perspective. In: Anthropological Theory 8, S. 4356.

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chungsgegenstand geschuldet – demnach mehr von seiner Beobachtungskraft, als dass es sie infrage stellt46: „This curious article, half natural, half artificial, getting its value from labor on the one hand and the desires formented by the rude civilization of the barbarians on the other, played back and forth between the greedy Indian and the poor colonist for a long period.“47

Während Murray die beiden Oppositionen natural/artifical und labor/desire in den folgenden Zusammenhang bringt: natural:labor und artificial:desire, um damit behaupten zu können, dass es sich bei der Erzeugung von „desire“ um einen durch das Eindringen marktwirtschaftlichen Denkens indizierten Prozesses handelt,48 möchte ich eine alternative Interpretation vorschlagen. Hierzu ist es jedoch zunächst nötig, Weedens von ihm an anderer Stelle skizzierte wirtschaftstheoretische Grundposition nachzuzeichnen. In seinem Werk The Social Law of Labor entwickelt er eine erstaunlich differenzierte Theorie der Erzeugung von Wert: „There is a stronger force at work, a force of forces, which moves the whole economy in the highest sense […]. I shall call this principle the social need, – not to replace the economic formulas, but to complete their chain, […] to indicate briefly that region where human will and human circumstance combine and issue in a new force.“49

Weeden gelingt es hier, die Grundlagen einer Werttheorie darzulegen, die die beiden Momente der Freiheit und des Zwangs und ihre jeweilige Rolle in der Reproduktion des sozialen Systems anerkennt und sie in dem Konzept des „social need“ zusammenlaufen lässt. Der „social need“ ist dabei jene Kraft, die die Ökonomie in ihrer Gesamtheit in Bewegung erhält: In ihm konvergieren individuelles Streben und kollektive Sozialität, Freiheit und Obligation, indem das von den Einzelnen Gewollte, ihre freiwillig unternommenen Handlungen, das soziale Ganze reproduzieren.50 Das ‚Problem‘ Weedens ist nun jedoch, dass er aufgrund

46 So schreibt Murray (2000), S. 136, treffend, dies sei eine „intriguing description“. 47 Weeden (1884), S. 6. 48 Murray (2000), S. 137. 49 Weeden, William B. (1882): The Social Law of Labor, Boston: Robert Brothers, hier S. 10. 50 Ähnliche Ansätze finden sich, jeder mit der Ökonomiegeschichte vertraute Leser wird das bereits bemerkt haben, in Adam Smiths Metapher der „invisible hand“, siehe

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seiner unilinear-evolutionistischen Grundeinstellung in der Auseinandersetzung mit der „rude civilization“ nicht von mehreren gleichwertigen social needs ausgehen kann und somit im Endeffekt seine ökonomistische Position reproduziert: „The law of the market is founded in the social need […].“51 Wenn nun in „rude civilizations“ nicht bereits der von Mandeville und Smith gepriesene und die Gesellschaft zusammenhaltende „love of gain“ Grund für Austauschprozesse gewesen ist,52 muss Weeden von einem wie auch immer gearteten, jedoch differierenden „social need“ ausgehen, der aufgrund seiner ihm essentiell attestierbaren Unterlegenheit dem „law of the market“ den Vortritt lassen muss. In seinem Fazit offenbart sich dann auch schonungslos der janusköpfige Charakter jeder kolonialen Etablierung interkultureller Ökonomie: „Not for gain merely, do men strive so hard and endure so much in the intercourse of trade. Common desires draw men together in a commerce of love; gold or wampum is a symbol of that love […]. This kind of intercourse can serve only between man and man. When communities meet, systems clash. Land settlement, the foundation of property; civil law, the instrument of social order; religion, the outward form of the soul's being; all combine to weave the complicated and involved tissues of national or race life. […]. It meets another and inferior system. The barbarian reels under the shock and his system crumbles into dust, which feeds the growth of a new and stronger race.“53

Zurück also zu Weedens Versuch einer Fundierung des Wertes von Wampum. Er beginnt zunächst mit einer Anerkennung der handwerklichen Brillanz und des ästhetischen Wertes.54 Daraufhin erwähnt er den ornamentalen Charakter des Wampum sowie dessen Bedeutung als Statusmarker. Wampum sei „highly prized“ gewesen und „[…] became so dignified by use in adorning the highest Indian personages […]“55. Außerdem sei Wampum dazu verwendet worden, „soldiers“ zu bezahlen,56 und, natürlich, habe es im Austausch mit Europäern als primäres Tauschmedium fungiert. Nach dieser Vermischung von Gebrauchsund Tauschwert fügt Weeden mit der Erwähnung des „symbolic part“ dem WerSmith, Adam (2008): An inquiry into the nature and causes of the wealth of nations, Oxford: Oxford University Press. Siehe aber ebenso Bloch/Parry (1989). 51 Weeden (1882), S. 193. 52 Ebd. S. 9. 53 Weeden (1884), S. 51. 54 Ebd. S. 10: „[…] all accounts agree that the finished product had a certain elegance of its own.“ 55 Ebd. S. 10, Herv. M.S. 56 Ebd. S. 10, „The beads were often used to pay the warriors for their services.“

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tebegriff eine dritte Dimension hinzu: „[…] each member of the tribe felt himself exalted by the emblems of dignity which his chieftain proudly bore in the rude assemblies of the aboriginal time.“57 Wampum habe also innerhalb der indigenen Kultur vor allem auch sozialintegrativen Wert besessen: Den Wampumgürteln und -ornamenten der Sachem gelänge es, bei den Mitgliedern Gefühle des Zusammenhalts und der Zugehörigkeit zu evozieren. Auch wenn Weeden hier sicherlich noch die stark homogenisierende Annahme relativer Konfliktlosigkeit indigener Gesellschaften reproduziert und es ihm nicht gelingt, die Anerkennung der Notwendigkeit sozialintegrativer Mechanismen jenseits des Marktes reflexiv auf die eigene Gesellschaft zu übertragen – er bleibt auf dem einen Auge blind und der Biberfetisch der Europäer entgeht seinem Blick –, erkennt er auf eine zugegebenermaßen diffus verbleibende Art sowohl den Fetischcharakter des Wampum, dessen Verbindungen mit der Funktion als Tauschmedium und Ornament als auch seine sozialintegrative Funktion innerhalb einer durch den Kontakt erschütterten indianischen Kultur – analytische Ansatzpunkte, an die die vorliegenden Ausführungen anknüpfen und die es gilt, im Folgenden näher zu explizieren. Um den theoretischen Vorteil von Weedens Ansatz gegenüber den vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelten kulturalistischen Interpretationen aufzuzeigen, soll nun eine Relektüre der Tauschsphären der Tiv durchgeführt und auf diese Weise nachgewiesen werden, dass es sich bei diesen ebenfalls um einen gesellschaftlichen Integrationsmechanismus handelt. Es wird sich zeigen, dass die Bohannans ebenso wie Weeden die Reproduktion eines gesellschaftlichen Systems in den Vordergrund ihrer Analyse stellen. Die Neuinterpretation dieser für die Wirtschaftsethnologie so zentralen Texte wird uns jedoch erlauben, der Analyse Weedens ein entscheidendes Moment hinzuzufügen: Die Fähigkeit des Tauschsphärenphänomens, den widerspruchsvollen Charakter des gesellschaftlichen Systems der Tiv zu verdecken. Wir werden zudem in der Lage sein, unseren Fokus auf die Rolle der Materialität des Geldes bei der Transformation der Tivökonomie zu lenken. Es wird sich zeigen, dass die Materialität des Geldes in engem Zusammenhang mit der systemischen Konstitution zur Zeit seiner Entstehung steht. Aus diesem Grund ist jedem wirtschaftlichen System eine Transformation seiner materiellen Träger förmlich ein- und vorgeschrieben; 57 Ebd., S. 12, Herv. M.S. An dieser Stelle bemüht Weeden einen Vergleich, welcher jedem Ethnologen aus Malinowskis Studie zum Kularingtausch bekannt sein dürfte: „They also played the same symbolic part which survives in the crown jewels and other regalia of civilized nations“, vgl. Malinowski, Bronislaw (1966): Argonauts of the Western Pacific. An Account of Native Enterprise and Adventure in the Archipelagoes of Melanesian New Guinea, London: Routledge, hier S. 89.

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schließlich gründet es in geschichtlichen Machtverhältnissen. Der sich an die Diskussion der Tauschsphären anschließende und scheinbar vom ethnographischen Schwerpunkt wegführende Diskurs über kapitalistisches Geld und dessen Nähe zur Gabe ist notwendig, um die Rolle Wampums in der indianischen Ökonomie auf terminologisch angemessene Weise zu verstehen.

‚Money is what Money can do‘ – Eine Neuinterpretation der Tauschsphären der Tiv Die Tiv (oder besser gesagt: die Bohannans) unterscheiden drei verschiedenen Tauschsphären.58 Während in der untersten Sphäre vor allem Gebrauchsgegenstände und Nahrungsmittel zirkulieren, tauscht man in der Prestigesphäre Eisenstäbe, religiöse Ämter und Rinder. Die Regeln der höchsten Sphäre organisieren schließlich den Austausch von Frauen. Die Standardinterpretation geht nun zum einen davon aus, dass intrasphärische Austauschprozesse (‚conveyances‘) moralisch gebilligt, intersphärische (‚conversions‘) hingegen moralisch hinterfragt werden. Zum anderen wird angenommen, dass ‚conversions‘ innerhalb der Menge der Tauschhandlungen eine Ausnahme darstellen. Sicherlich finden sich in den Texten der Bohannans für diese Lesarten Anhaltspunkte. Nichtsdestotrotz stoßen wir auch auf einige Stellen, die eine konträre Interpretation nahelegen: „Tiv say that it is good (do kwagh) to trade food for brass rods, but that it is bad (vihi kwagh) to trade brass rods for food; that it is good to trade your cows or brass rods for a wife, but very bad to trade your marriage ward for cows or brass rods.“59

58 Bohannan, Paul (1955): Some Principles of Exchange and Investment among the Tiv. In: American Anthropologist 57, S. 60-70; Bohannan, Laura und Paul (1968): Tiv Economy, London: Longmans. Das Problem der Tauschsphären wurde jedoch mehr oder weniger unabhängig von verschiedenen Ethnologen beschrieben. Siehe für einen Überblick Röschenthaler, Ute (2010): Tauschsphären. Geschichte und Bedeutung eines wirtschaftsethnologischen Konzepts. In: Anthropos 105, S. 157-177. In Keynes’ Analyse der Tauschsphären des vorhomerischen Griechenlands findet sich der interessantere Begriff „types of monetary or quasi-monetary practice“, siehe Moggridge, Donald (Hg.) (1982): The Collected Writings of John Maynard Keynes. Band XXVIII. Social, Political and Literary Writings, Cambridge: Cambridge University Press, S. 259. 59 Bohannan (1955), S. 64.

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„Not only is conversion possible, but upward conversion is encouraged.“60

Scheinbar gleichartige ‚conversions‘ werden also bei den Tiv je nach sozialer Situation und Position im Tausch positiv oder negativ bewertet. Müssen Transaktionen zwischen und innerhalb der Tauschsphären und die mit ihnen verbundenen Evaluierungen also nicht vielmehr als eingebettet in sie überspannende Rechtfertigungsnarrative verstanden werden? Im Folgenden soll durch eine Gegenüberstellung einzelner Textstellen die Bandbreite möglicher Austausch- und/oder Akkumulationsprozesse aufgezeigt und so ein Verständnis ihrer Einbettung ermöglicht werden. Dabei wird sich zeigen, dass Diskurse, die auf ‚conversions‘ Bezug nehmen, im Endeffekt das Ungleichgewicht zweier Wertsysteme verschleiern, deren Zusammenhang in jeder Gesellschaft notwendig ist und doch prekär bleibt: Jenes zwischen kollektiver Reproduktion und individuellem Erneuerungsstreben, welches durch die Einführung von Geld, so unsere These, nur erlebbar wird, da es als Medium der Erfahrbarkeit des Ungleichgewichts eben dieses in kristallisierter Form verkörpert. Die vor Etablierung des Tauschsphärenmodells entwickelte Vorstellung einer dualen Ökonomie, also die Annahme einer Trennung von Subsistenz- und Prestigeökonomie mit einer jeweiligen Eigenlogik, die Röschenthaler in der Tradition Veblens sieht, verschleiert hingegen den internen Zusammenhang dieser Sphären, denn die Annahme einer derartigen ökonomischen Struktur legt die Existenz einer ideologiefreien Gesellschaft nahe, in der es lediglich offene Unterdrückungsmechanismen und gesellschaftliche Unterschiede geben kann.61 Bloch und Parrys Unterscheidung zwischen ‚long-‘ und ‚short-term exchange transactional orders‘62 – wenn auch ihr Versuch erstere an gesamtgesellschaftliche Reproduktion, letztere an individuelles Gewinnstreben zu koppeln, fragwürdig bleibt – ermöglicht hingegen eine Anerkennung und eine Analyse des Widerspruches zwischen individuellem Veränderungsstreben und gesamtgesell-

60 Bohannan (1968), S. 236. 61 DuBois schreibt zum Beispiel über das Dentaliumgeld der Tolowa-Tututni: „The significant point in the economic life of these tribes is that their monies served as a medium of exchange primarily in the realm of prestige economy rather than subsistence economy" und „[T]he individualism and scheming parsimony of prestige economy did not extend to subsistence", siehe Du Bois, Cora A. (1936): The Wealth Concept as an Integrative Factor in Tolowa-Tututni Culture. In: Steward, Julian/Lowie, Robert H. (Hg.): Essays in Anthropology Presented to A. L. Kroeber, Berkeley: University of California Press, S. 49-65, hier S. 50 f. 62 Bloch/Parry (1989).

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schaftlicher Reproduktion beziehungsweise kann die feinen ideologischen Dispositive, die zwischen beiden wuchern, überhaupt erst sichtbar werden lassen. Um die Daten der Bohannans im Folgenden produktiv zu verfremden, soll auf die Analysekonzepte eines Wissenschaftlers zurückgegriffen werden, dem die Autoren laut eigener Aussage viel zu verdanken haben63: Franz Steiner, ein Akteur der wirtschaftsethnologischen Theoriegeschichte, der bislang zu Unrecht vollkommen vernachlässigt wurde. Steiner unterscheidet im Gegensatz zu den Bohannans nicht zwischen ‚conveyances‘ und ‚conversions‘, sondern zwischen „negativen und positiven Übersetzungen“. 64 Negative Übersetzungen sind solche, in denen durch Tausch „empirische Werteinheiten“ aufgegeben und so „rituelle Werteinheiten“ freigesetzt werden. Steiners Paradebeispiel ist der Potlatsch. Positive Übersetzungen können unter anderem zu solchen Transaktionen führen, in denen durch Tausch „empirische“ Werteinheiten angehäuft werden, was wiederum rituelle Werteinheiten („Ansammlungswerte“) schafft. Steiner nennt hier als Beispiel die Praxis der Trobriander, Yams in ihren Speichern verrotten zu lassen. Der große Vorteil einer derartigen begrifflichen Kopplung von empirischen und rituellen Werten, die ineinander auf verschiedene Weise überführt werden können, ermöglicht eine Erweiterung des klassischen Wirtschaftsverständnisses auf nicht-objekthafte Güter wie Ansehen und Prestige.65 Lesen wir vor diesem Hintergrund die Texte der Bohannans erneut, wird deutlich, dass es sich bei der Ökonomie der Tiv um eine solche zu handeln scheint, in der vorrangig negative Übersetzungen hochgeschätzt und Ansammlungswerte moralisch missbilligt werden. Während nun die Missachtung des Versuchs, durch Akkumulation Ansammlungswert zu schaffen, das soziokulturelle System der Tiv egalitarisiert, hierarchisiert die Hochschätzung negativer Übersetzungen es zur gleichen Zeit. Sowohl die Interpretation, die Tauschsphären als einen Hierarchien untermauernden als auch diejenige, die sie als einen egalitäre Strukturen aufrechterhaltenden Mechanismus versteht, laufen demnach an der Komplexität der realen Austauschprozesse vorbei, in denen das System der Tauschsphären, beziehungsweise genauer: das System kontrollierter ‚conversions‘, das Fundament eines sensiblen Rechtfertigungsnarrativ für sich eigentlich ausschließende Handlungsintentionen – Machterhalt der älteren, Machtstreben 63 Bohannans (1968), S. vii. 64 Vgl. Steiner, Franz (1978): Notiz zur vergleichenden Ökonomie. In: Kramer, Fritz/Sigrist, Christian (Hg.): Gesellschaften ohne Staat, Band I. Gleichheit und Gegenseitigkeit, Frankfurt am Main: Syndikat, S. 85-100. 65 Es ist durchaus angebracht, zu behaupten, dass Steiner hier die bourdieusche Kapitaltheorie vorwegnimmt. Dies jedoch ohne in den gleichen ökonomischen Jargon zu verfallen.

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der jüngeren Tiv – innerhalb der Gesellschaft legt. In den Worten der Bohannans: „The valuational aspect of the man-thing unit is diffused in many institutions and subject to many moralities. So long as these values are held and their institutionalization is adequate to maintain them, any single institution such as the market is held in check.“66 Die Missachtung positiver Übersetzungen findet ihren Niederschlag nun zum Beispiel im Verbot der Akkumulation von Subsistenz- oder auch Prestigegütern: „Tiv are very scornful of a man who is merely rich in subsistence goods (or, today, in money); they say that if he has not converted his goods the reasons must be personal inadequacy. Tiv also say that jealous kinsmen of a rich man will bewitch him and his people by means of certain fetishes in order to make him expend his wealth in sacrifices to ‚repair’ the fetishes.“67

Negative Übersetzungen sind hingegen durchweg positiv besetzt: „The man who exchanges lower category goods for higher category goods does not brag about his market luck, but about his ‚strong heart‘ and his success in life. The man who exchanges high category goods for lower rationalizes his action in terms of high-valued motivation (most often the subsistence or ritual needs of his kinsmen).“68

Was sich hier durch die Anwendung der Terminologie Steiners offenbart, ist Folgendes: Beide Teilnehmer einer ‚conversion‘ sind in der Lage, ihren Tauschprozess zu rechtfertigen. Während der nach oben Tauschende bei seiner Transaktion empirische Güter gegen Prestige eintauscht, tauscht sein Partner Prestigegüter gegen die moralische Anerkennung seiner Familie, das heißt Prestige. Was das Tauschsphärensystem leistet, ist eine Vermittlung zwischen unterschiedlichen Positionen innerhalb der gerontokratischen Gesellschaft der Tiv. Junge Männer akzeptieren, dass sie nur durch langsam sich vollziehende ‚conversions‘ an Ansehen gewinnen können, da das gleiche kulturelle Bewertungsmuster ältere Tiv daran hindert, Prestigegüter anzusammeln. Ältere Männer hingegen nehmen die ‚conversions‘ jüngerer hin, weil die bei ihnen angewandten Bewertungsmuster im Falle eigener Schwächen die Möglichkeit zum Prestigegewinn (-erhalt) bieten. Die rituellen Werteinheiten, die bei einem intersphärischen Tausch freigesetzt werden, fallen nur bei Transaktionen zwischen der höchsten und der niedrigsten Stufe einem Transaktionspartner zur Gänze zu; bei einem Tausch 66 Bohannans (1968), S. 239. 67 Bohannan (1955), S. 66. 68 Bohannan (1968), S. 234.

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zwischen erster und zweiter und bedingt zweiter und dritter Stufe werden sie hingegen zwischen den beiden Akteuren geteilt. Durch die Einführung staatlichen Geldes in Münz- und Notenform wird nun eine Invisibilisierung positiver Übersetzungen in großem Ausmaß ermöglicht. Das institutionelle Gefüge ändert einen seiner Parameter. Das Problem ist in diesem Falle demnach nicht, dass Geld nicht in eine der Tauschsphären hätte integriert werden können, sondern, dass es nicht in das System der die Hortung von empirischen Werten kontrollierenden conversions eingebettet werden konnte. Der Versuch einiger Tiv, das neu eingeführte Geld durch semantische Differenzierungen zu zähmen,69 musste aufgrund der widerspenstigen Materialität der Geldscheine und Münzen scheitern, nicht aufgrund ihrer inhärent nivellierenden Kraft wie die Bohannans annehmen. Im Jargon der Ökonomie: Es waren die materiellen Eigenschaften des Geldgutes, nicht die Geldfunktionen, die den entscheidenden Unterschied ausmachten.70 Es hat sich also gezeigt, dass die häufig als a-normale Störungen des Tauschsphärensystems wahrgenommenen ‚conversions‘ für das System konstitutiv sind und vor der Einführung von Geld Widersprüche haben verschleiern können. Die positive Bewertung von negativen Übersetzungen suggerierte und gestattete die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg; die negative Bewertung der Akkumulation von Gütern verhinderte und ermöglichte nachfolgende ‚conversions‘. Dieser Widerspruch offenbart sich im folgenden Zitat und darin besonders in den kontradiktorischen Evaluationen, die mit Hilfe des Wortes tsav ausgedrückt werden können: „A man who persists in a policy of converting his wealth into higher categories instead of letting it be dispersed by his dependents and kinsmen is said to have a ‚strong heart‘ (taver shima). He is both feared and respected: because he is strong enough to resist the excessive demands of his kinsmen, but still fulfills his kinship obligations generously, he is feared as a man of special, potentially evil, talents (tsav).“ 71

Anhand der Auseinandersetzung mit dem Problem der Tauschsphären sollte deutlich geworden sein, dass es eine Möglichkeit gibt, zwischen Skylla und Charybdis, sprich Bohannans Versuch, „dem modernen Geld eine kontextunabhän69 Vgl. ebd., S. 238 f. 70 Einen ähnlichen Prozess, nämlich eine Invisibilisierung positiver Übersetzungen, stellen Tauschhandlungen nach außen dar, die von Guyer beschrieben wurde. Vgl. Guyer, Jane I. (2004): Marginal gains. Monetary transactions in Atlantic Africa, Chicago: University of Chicago Press, hier Kapitel 2. 71 Bohannan (1955), S. 66.

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gige Kausalwirkung“ zu attestieren und Parry und Blochs kasuistischem Ansatz, es als Teil „jenes […] symbolischen Systems, für das sich der Forscher gerade interessiert“72 zu interpretieren, hindurch zu manövrieren, ohne wie Znoj die Entstehung des Staates zur Grundlage der Semiose des Geldes zu machen. Diese Möglichkeit besteht in der Anerkennung des Unterschieds zwischen Geldform und Geldfunktion bei gleichzeitiger Formalisierung des Geldbegriffes als solchem. Die ökonomistische Verlegenheitsformel „Money is what money does“ trifft also nicht zu, ist allzu relativierend und könnte bestenfalls ersetzt werden durch „Money is what money can do“. An dieser Stelle sei jedoch zunächst eine Reflexion über den inneren Zusammenhang der einzelnen Geldfunktionen, wie ihn Marx in den Grundrissen skizziert, erlaubt, um die Historizität des funktional definierten Geldbegriffes zu illustrieren und zugleich die internen Zusammenhänge zwischen Geldform und Geldfunktion zu plausibilisieren.73 Damit soll die Bedeutung der Materialität der Geldform hervorgehoben werden, um einem Geldnominalismus wie Znoj ihn vertritt, wenn er schreibt, „Geld […] [sei] in keiner Weise ein ikonisches Zeichen, das aufgrund seiner Natur etwas ‚Geldhaftes‘ bezeichne[t]“74, entgegenzutreten, ohne sich dabei jedoch in den metaphysischen Fängen eines Geldrealismus zu verlieren.75

Die Materialität des Geldes und die Ambivalenz des modernen Geldbegriffs – Geld als ‚essentially contested concept‘ The economy, then, is not pure, because its very foundation, the monetary standard, is an extraneous factor76 MICHEL AGLIETTA

Geld hat im System kapitalistischer Produktionsweise für Marx die Rolle eines universalen Äquivalentes und sein Gebrauchswert besteht in der Fähigkeit, kom-

72 Znoj (1995), S. 101. 73 Meine Analyse Marx’ ist stark beeinflusst von Harvey, David (2006): The limits to capital, London: Verso. 74 Znoj (1995), S. 99. 75 Siehe hierzu auch Hart, Keith (2009): The Persuasive Power of Money. In: Gudeman, Stephen (Hg.): Economic Persuasions, New York: Berghahn, S. 136-158. 76 Aglietta (1999), S. 47.

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plexe Tauschbeziehungen zu ermöglichen und zu beschleunigen. Wäre dies jedoch seine einzige Funktion, könnte das Geld eine beliebige Form annehmen, das heißt sich auf beliebige Weise materialisieren: „Es folgt daraus, daß das Geld als Gold und Silber, soweit es nur als ZirkulationsTauschmittel ist, durch jedes andre Zeichen, das ein bestimmtes Quantum seiner Einheit ausdrückt, ersetzt werden kann und so symbolisches Geld das reelle ersetzen kann, weil das materielle Geld als bloßes Tauschmittel selbst symbolisch ist.“77

In seiner Kraft als zirkulierendes Zeichen der Universalisierung der Wertäquivalenz werde es jedoch zugleich primäre Form sozialer Macht und könne so die kapitalistische Produktionsweise, aus der es selbst entspringt, angreifen, indem es als externalisierter Tauschwert dem Zirkulationssystem entzogen und gehortet wird. Der Versuch, ein aus den neuen Produktionsverhältnissen entspringendes und die sich herausbildenden Tauschverhältnisse angemessen vermittelndes Objekt zu finden, zerschlage also Geld notwendigerweise bereits in reines Wertzeichen und kristallisierten, hortbaren Wertgegenstand.78 Die Probleme des einfachen Tauschhandels würden so lediglich aufgehoben, um auf einer abstrakteren Ebene wieder aufzutreten: „Im unmittelbaren Tauschhandel kann nicht jeder Artikel gegen jeden Artikel und eine bestimmte Tätigkeit kann nur gegen bestimmte Produkte ausgetauscht werden. Die Schwierigkeiten, die im Tauschhandel liegen, kann das Geld nur aufheben, indem es sie verallgemeinert, universell macht.“79

Während das Problem des einfachen Tauschhandels darin liege, zu einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte Ware im Austausch gegen eine andere bestimmte Ware zu erhalten, das heißt, den Austauschprozess zeitnah zum Abschluss zu bringen,80 stehe der Kapitalist vor dem Problem, dass die Entwicklung 77 Marx, Karl (1983): Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie. In: Marx-EngelsWerke Band 42, Berlin: Dietz, hier S. 142 f. 78 Ebd. S. 133: „Aber es zeigt sich hier, daß es noch etwas andres ist außer diesem Zirkulationsinstrument, daß [es] auch eine selbständige Existenz außer der Zirkulation besitzt und in dieser neuen Bestimmung ihr ebensowohl entzogen werden kann.“ 79 Ebd. S. 85. 80 Dieses von Jevons, William Stanley (1876): Money and the Mechanism of Exchange, New York: D. Appleton and Co. als „double coincidence of wants“ bezeichnete Problem soll hier nicht als faktische Beschreibung vor-kapitalistischer Austauschprozesse gelesen werden, siehe auch Menger, Carl (1892b): On the Origins of Money. In: Eco-

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des Systems dazu geführt hat, dass Geld gegen alle Waren getauscht werden kann und somit auch gegen keine: Es kann nun auch gehortet werden. Es tritt gegen die durch es vermittelte und systemisch notwendige Zirkulation in eine „negative Beziehung“81. Genesis von Geld ist demnach für Marx eng gebunden an die Externalisierung in ein materiales, hortbares Medium, das die Reproduktionsmechanismen des kapitalistischen Systems behindern kann.82 Geld wird in Marx’ Theorie nicht als ‚neutraler‘ Vereinfacher der potentiell auch ohne ein Medium sich vollziehenden Tauschvorgänge, die teleologisch in einer optimalen Güterverteilung enden, verstanden, wie es zum Beispiel das volkswirtschaftliche Arrow-Debreu-Modell annimmt,83 sondern als notwendiger, jedoch ebenso notwendig störender Teil innerhalb systemischer Allokationsmechanismen. Während also in klassischen Einführungen der Volkswirtschaftslehre in ganz unschuldiger Manier häufig die Funktionen (1) Tauschmittel, (2) Zahlungsmittel, (3) Wertaufbewahrungsmittel, (4) Wertmaßstab und (5) Recheneinheit nebenei-

nomic Journal 2, S. 239-255 für eine Beschreibung dieses Problem. Eine rezente Kritik an einer derartigen Lesart findet sich in Graeber, David (2011): Debt. The first 5,000 years, New York: Melville House, passim. Nichtsdestotrotz ändert das nichts an dem Faktum, das eine abrupte Rückkehr zum einfachen Tauschhandel genau diese Probleme mit sich bringen würde. 81 Marx (1983), S. 146; Herv. M.S. 82 Die keynesianische Hervorhebung des „money of account“ gegenüber „money proper“ ist somit nur scheinbar wohlbegründet. Es muss hier ein Unterschied gemacht werden zwischen dem reinen Ausdrücken von Preisen in diesem „money of account“ und im „money of account“ verrechneten Schulden und Geschäftsbüchern. Letztere stellen bereits eine Form des „money proper“ dar. Vgl. Keynes, John Maynard (1930): A Treatise on Money. In two Volumes, New York: Harcourt, Brace & Co, hier Band I, S. 1 f. Marx (1983), S. 99 schreibt treffend: „Das Geld, die gemeinsame Form, worein sich alle Waren als Tauschwerte verwandeln, die allgemeine Ware, muß selbst als eine besondre Ware neben den andren existieren, da sie nicht nur im Kopf an ihm gemessen, sondern im wirklichen Austausch gegen es ausgetauscht und eingewechselt werden müssen. Der Widerspruch, der dadurch hereinkommt, an einer andren Stelle zu entwickeln.“ 83 Dieses Modell wurde zuerst entwickelt in Arrow, K. J./Debreu, G. (1954): Existence of an equilibrium for a competitive economy. In: Econometrica 22, S. 265-290. Siehe zur Kritik an der Neutralität des Geldes prägnant auch Hahn, Frank (1982): Money and Inflation, Oxford: Blackwell, S. 1: „The most serious challenge that the existence of money poses to the theorist is this: the best developed model of the economy cannot find room for it.“

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nander aufgereiht werden,84 zeigt Marx vor allem in den nun bereits mehrfach zitierten Grundrissen plausibel, dass sich im Kapitalismus aufgrund dessen intertemporaler Struktur ein inhärenter Widerspruch zwischen (1) beziehungsweise (2) und (3) entwickelt.85 Einerseits ist das kapitalistische System auf eine ständige Verfügbarkeit von Kapital, das heißt angespartem Geld, angewiesen, um seinen Produktions- und Absatzmarkt stetig vergrößern zu können,86 andererseits ist die Sicherung der Funktion des Tausch- und Zahlungsmittels an die rasche Zirkulationsfähigkeit des Geldes gebunden. Während sich die Wertsicherstellung am besten durch solche Objekte vollziehen kann, die vollkommen außerhalb der 84 Siehe beispielhaft Gerdesmeier, Dieter (2011): Geldttheorie und Geldpolitik. Eine praxisorientierte Einführung, Frankfurt am Main: Frankfurt School Verlag, S. 1. 85 Harvey (2006), Kapitel 9. Auch in der keynesianischen und post-keynesianischen Wirtschaftstheorie wird der Kapitalismus dezidiert und primär als Geldwirtschaft mit intertemporalem Charakter verstanden. Siehe dazu u.a. Minsky, Hyman P. (2011): Instabilität und Kapitalismus, Zürich: Diophanes und Sewell, William H. (2008): The temporalities of capitalism. In: Socio-Economic Review 6, S. 517-537. Der Widerspruch zwischen den beiden Geldfunktionen schimmert auch in der sprachlichen Dichotomie von ‚Währung‘ und ‚currency‘ auf. Während ‚Währung‘ die Funktion des Wertaufbewahrungsmittels in den Vordergrund stellt, betont ‚currency‘ die Zirkulationsfunktion. 86 Dieser Zwang zur Reinvestition wird auch von Boltanski, Luc/Chiapello, Ève (2007): The new spirit of capitalism, London: Verso als zentrales Definitionsmerkmal angeführt. Der Kapitalismus zeichne sich durch einen „imperativ to unlimited accumulation of capital by formally peaceful means“ aus, hier S. 4. Interessanterweise scheint Geld innerhalb der Theorie der beiden französischen Soziologen nur bedingt eine Rolle zu spielen. Es ist jedoch durch seinen inhärent widersprüchlichen Charakter in der Lage, die Ambivalenz von Kritik und Reproduktion des kapitalistischen Systems hervorragend zu galvanisieren. Es symbolisiert im bourgeoisen Kapitalismus Verwobenheit mit und Möglichkeit der produktiv artistischen Übersteigung des kapitalistischen Systems. Dies wird deutlich in der Figur des Dandys wie sie exemplarisch von Charles Baudelaire verkörpert wird. Der Zusammenhang von Integration in das und systemischer Behinderung des Wertschöpfungsprozesses findet sein Pendant in dem die für die Reproduktion des kapitalistischen Produktionsprozess notwendigen Neuinvestitionen durch Geldhortung verhindernden Dagobert Duck. Für den Netzwerkkapitalismus scheinen hingegen die Figur des Soziopathen Patrick Bateman und sein Umgang mit Geld exemplarisch. Die Nutzung des Geldes zur Zerstörung von menschlichen Beziehungen spiegelt sich ebenso in den von terroristischen Netzwerken eingeschlagenen Weg der Vernichtung von Kapital zur Zerstörung menschlicher Netzwerkbeziehungen.

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Zirkulation stehen, stören derartige Objekte oder die Anbindung des Zirkulationsmediums an sie den stetigen Zufluss von zirkulierenden Zahlungsmitteln. Hier liegt die Grundlage der Entstehung von zirkulierenden Schuldscheinen beziehungsweise Kreditgeld im Allgemeinen. Schuldscheine wie Kredite sind jedoch exemplarische Beispiele für die Verschiebung der Erfüllung der Wertfunktion in eine qua Definition unvorhersehbare Zukunft und somit der temporal widersprüchlichen Struktur des Kapitalismus entsprungen: Während Geld zwangsläufig zirkuliert und zwangsläufig nicht zirkuliert, zirkulieren Kredite zwangsläufig irgendwann nicht mehr. An diese Reflexion anschließend bietet sich nun die Möglichkeit, den Streit zwischen im weitesten Sinne chartalistischen Theorien, das heißt solchen, die die Entstehung des Geldes als einen Akt der Festsetzung interpretieren, sei dieser nun durch eine staatliche, religiöse87 oder anderweitig geartete Autorität vollzogen worden, und rationalistischen, sei es in Form einer Kredittheorie 88 oder Tauschtheorie der Geldentstehung,89 als im Kern unauflösbaren, das heißt unnö87 Vgl. Knapp, Georg Friedrich (1905): Staatliche Theorie des Geldes, Leipzig: Duncker & Humblot und Grierson, Philip (1978): The Origins of Money. In: Research in Economic Anthropology 1, S. 1-35 beziehungsweise Laum, Bernhard (2006): Heiliges Geld. Eine historische Untersuchung über den sakralen Ursprung des Geldes, Berlin: Semele. Der Zusammenhang zwischen den chartalen und religiösen Entstehungstheorien liegt in ihrer Annahme, es bedürfe für das Geltendmachen des Geldes einer Autorität; der Prozess könne sich nicht – wie das zum Beispiel Marx noch annimmt – autonom vollziehen. 88 Innes, A. Mitchell (2004b): What is Money?. In: Wray, Larry Randall (Hg.): Credit and state theories of money, Cheltenham: Elgar, S. 14-49 und Innes, A. Mitchell. (2004a): The Credit theory of money. In: Wray, Larry Randall (Hg.): Credit and state theories of money, Cheltenham: Elgar, S. 50-78. 89 Exemplarisch ist sicherlich Menger (1892b) und Menger, Carl (1892a): Geld. In: Conrad, J./Elster, Ludwig/Lexis, Wilhelm (Hg.): Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Band III, Jena: Fischer, S. 730-757. Geldentstehungstheorien, die den Ursprung des Geldes im Tausch suchen, gehen auf Aristoteles zurück, siehe vor allem das erste Buch in Aristoteles (2003): Politik, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Dass aus Aristoteles’ Argumentation jedoch die paradoxe Feststellung folgt, dass die chrematistike eine zugleich natürliche (da notwendiger Schritt zur Entfaltung des Staatswesens) und widernatürliche (da konträr zur tugendhaften Entfaltung des Menschen) Art des Umgangs mit Geld darstellt, wird in der Rezeption zumeist übersehen. Dieser Widerspruch treibt nicht nur Marx, sondern auch Thomas von Aquin, mittelalterliche Wucherer und islamische Bankiers zur Verzweiflung und dürfte somit einen der Gründe für die ambivalente Bewertung des Geldes darstellen. Vgl. Von Aquin, Thomas

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tigen, darzustellen, indem aufgezeigt wird, dass er in der Ambivalenz des Geldes selbst wurzelt.90 Während sich staatliche Theorien primär an der Frage nach dem Fundament der Sicherstellung des ökonomischen Wertes abarbeiten, sind rationalistische aufgrund ihrer Prämisse, dass der Geldursprung in der utilitaristischteleologisch notwendigen Beschleunigung von Transaktionen gründet, vorwiegend an der Rolle des Geldes als Zirkulationsmedium interessiert.91 Auf der einen Seite steht nun die goldene Münze, die ihren Wert vermeintlich durch ihren Warencharakter sicherstellt, auf der anderen Seite Banknoten oder andere For(1953), Summa theologica, Band XVIII, Recht und Gerechtigkeit, Heidelberg/München: Gemeinschaftsverlag Kerle-Pustet, II-II, qu. 78 und Maurer, Bill (2005): Mutual life, limited. Islamic banking, alternative currencies, lateral reason, Princeton: Princeton University Press. Zur grundsätzlichen Fehlinterpretation der Theorie Aristoteles als Wirtschaftstheorie, siehe Polanyi, Karl (1968): Aristotle Discovers the Economy. In: Dalton, George (Hg.): Primitive, Archaic and Modern Economies. Essays of Karl Polanyi, Boston: Beacon, S. 78-115. Zur mittelalterlischen Zinsverdammung siehe vor allem Le Goff, Jacques (1988): Wucherzins und Höllenqualen. Ökonomie und Religion im Mittelalter, Stuttgart: Klett-Cotta. 90 Vgl. dazu Graeber (2011), S. 73 ff. und Hart, Keith (1986): Heads or Tails? Two Sides of the Coin. In: Man 21, S. 637-656. Dass wir mit der Einführung des Euro nicht mehr die Abbilder politischer Führungskräfte auf unseren Banknoten haben, sondern Brücken und Tore ließe sich durchaus als Zeichen einer Verschiebung in Richtung zunehmender Beschleunigung der Zirkulationsfähigkeit zulasten der Stabilität lesen. 91 Die innerhalb der vor allem durch die Ökonomen Wray und Bell angeführten Debatte über die Entstehung des Geldes und ihre Reaktivierung chartalistischer Ansätze misskonstruiert jedoch den Zusammenhang zwischen metallistischen (von ihnen in Anlehnung an Goodharts Arbeiten ‚M team‘ genannt) und chartalististischen (‚C team‘) Theorien, indem sie beide antipodisch gegenüberstellt. Während sich metallistische Theorien jedoch primär an der Frage nach der Sicherstellung des Geldwertes orientieren und sich in der Beantwortung dieser Frage einigen chartalistischen Positionen annähern, jedoch der Kredittheorie diametral widersprechen, stehen sie den chartalistischen Theorien in Bezug auf die Entstehungsfrage weniger nahe als den Kredittheorien im Anschluss an Innis. Diese Verwechselung der Ebenen ist jedoch im Wesen des Geldes selbst begründet. Siehe zu dieser Debatte den Ausgangstext Goodhard, Charles A.E. (1998): The two concepts of money: implications for the analysis of optimal currency areas. In: European Journal of Political Economy 14, S. 407-432 und den Sammelband Bell, Stephanie A./Nell, Edward J. (Hg.) (2003): The state, the market, and the Euro. Chartalism versus metallism in the theory of money, Cheltenham: Elgar.

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men des Fiatgeldes, die ihren Wert mit Verweis auf die staatliche Macht begründen und solche Zirkulationsmedien wie Schuldscheine, Wertpapiere oder Kreditgeld, denen eine materielle Versicherung ebenfalls fehlt. Sie sind jedoch durch ihre nahezu nicht vorhandene Materialität in der Lage, ihre Zirkulationsgeschwindigkeit enorm zu erhöhen. Turner trifft diesen Punkt, das meint den Zusammenhang von Materialität und Funktion des Geldes, von Objekt und System, wenn er sie mithilfe der peircschen Begriffe des ‚icon‘ und ‚index‘92 aneinanderbindet: „For the medium to play this role, […] it had to take on the structural properties of the system of social relations it mediated, both in its aspect as collective representation and as medium of exchange, in both cases with the requisite properties of generality and abstraction. The semiotic medium, in other words, could become effective only by itself becoming an iconic as well as an indexical symbol of the material activity it mediates.“93

Genau diese ikonische und indexikalische Anbindung des zirkulierenden Symbols an die von ihm vermittelten Aktivitäten misslingt im „valuational system“ der Tiv: Während sperrige Gegenstände wie Kühe, Menschen und Ämter aufgrund ihrer Sichtbarkeit; Nahrungsmittel aufgrund ihrer Verderblichkeit kaum eine Anhäufung erlaubten, konnte Geld in Banknotenform unbemerkt aufgehoben werden. Etwas plakativer: „Den toten Seehund konnte man nicht in die Tasche stecken […].“94 An dieser Stelle lässt sich bereits mit Vorsicht anmerken, dass innerhalb der Monetarisierungsdebatte der Ethnologie nicht ausreichend zwischen Monetarisierungstheorien, die die Übernahme und Verbreitung von Geld aus kulturintrin92 Peirce, Charles Sanders/Hoopes, James (1991): Peirce on signs. Writings on semiotic, Chapel Hill: University of North Carolina Press. 93 Turner (2008), S. 50. Turner verkennt hier jedoch, dass Geld notwendigerweise zwischen Abstraktion und Materialität schwankt. Wilhelm Gerloff schreibt treffend: „Wir sehen das Geld – wie jedes Kulturgut – als ein gesellschaftliches Symbol an, das als solches eine Sinnaussage über die Gesellschaft selbst enthält.“ Siehe Gerloff, Wilhelm (1944): Ursprung und Sinn des Geldes. In: Weltwirtschaftliches Archiv 60, S. 240255. Weiterhin bezeichnet er Geld als „Ausdrucksmittel“ gesellschaftlicher Beziehungen, siehe Gerloff, Wilhelm (1950): Gesellschaftliche Theorie des Geldes, Innsbruck: Universitätsverlag Wagner, S. 13 und Gerloff, Wilhelm (1952): Geld und Gesellschaft. Versuch einer gesellschaftlichen Theorie des Geldes, Frankfurt am Main: Klostermann, passim. 94 Zitiert in Laum, Bernhard (1960): Schenkende Wirtschaft, Frankfurt am Main: Klotermann, hier S. 330.

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sischen und solchen, die sie aus kulturextrinsischen Gründen herzuleiten versuchen, unterschieden wird. Theorien, die den Fokus auf transaktionale Modi legen – zu nennen sind hier sowohl die Analysen Znojs als auch Bloch und Parrys – zählen zur ersten; solche, die den Ursprung eher in externen Kräften verorten – hier ist an Bohannans Ansatz zu denken – zur zweiten Gruppe. Außerdem ist eine in ihrer Stringenz bemerkenswerte Korrelation zwischen der innerhalb dieses Diskurses eingenommenen Position und der sie jeweils begleitenden Theorie des Geldes festzustellen. Während Bloch und Parry einen semiotischen, zugleich stark relativistischen Geldbegriff vertreten, fetischisieren Simmel und die Bohannans die Kraft des Geldes und versuchen nachzuweisen, dass Banknoten und Münzen universelle Fähigkeiten innewohnen. Beide Richtungen übersehen dabei die Bedeutung der Dialektik zwischen Erscheinungsform und Funktion des Geldes. Durch seine Materialität ist es befähigt, bestimmte Funktionen zu erfüllen und während sich bei internen Umwälzungen des gesamtgesellschaftlichen Systems seine Materialität ändern kann (siehe die Entstehung des Kreditgeldes), ist seine Materialität bei einem Transfer in ein anderes System in der Lage, auf dieses selbst transformierend zu wirken (siehe das Beispiel der Tiv). Eine ähnliche Verwirrung findet statt, wenn die Geschichte des Kapitalismus im Sinne der Luhmannschen Systemtheorie als eine zunehmende Abkehr von einem durch Gold als externem Symbol gerechtfertigten hin zu einem sich autopoietisch entwickelnden System gelesen wird.95 Eine derartige Analyse übersieht die periodisch wiederkehrenden Forderungen nach außerhalb des Systems stehenden Absicherungsmechanismen. Wenn Baudrillard schreibt, dass es „the abstraction, the total artificiality of the sign that one ‚adores‘ in money“, das eigentliche Objekt der Begierde also die „closed perfection“ des monetären Systems selbst sei, so verkennt auch er den im Kern ambivalenten Charakter des Geldes. Die „pathology of the miser who is attached to the fecal materiality of gold“96 verbleibt die andere und ebenso zu berücksichtigende Seite der Medaille. Man könnte demnach behaupten, dass nicht nur der Benutzer des Geldes, sondern auch derjenige, der darüber reflektiert, dazu neigt, eine der beiden extremen Positionen einzunehmen und Geld somit unter jene Konzepte einordnen, die der Philosoph Walter Bryce Gallie als „essentially contested“ charakterisiert hat.97 Ähnlich konstatiert Bill Maurer in seinem Überblicksartikel in der Annual Review of Anthropology: „The continual ‚discovery‘ and then subsequent de95 Luhmann, Niklas (2008): Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp. 96 Baudrillard (1981), S. 93. 97 Siehe Gallie, W.B. (1956): Essentially Contested Concepts. In: Proceedings of the Aristotelian Society 56, S. 167-198.

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composition of money’s supposedly unique attributes are themselves integral to money, to its own analytical abstractions, and to those social scientists trying to catch up behind it.“98 Auch die verschiedenen, zumeist in Krisenzeiten kursierenden Lösungsvorschläge entspringen der Überbewertung je einer der beiden skizzierten Flügel der Geldtheorie. Während die Forderung nach Bindung an ‚reale‘ Werte sich als die Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes in den Vordergrund rückender Objektfetischismus offenbart,99 stellen Theorien im Anschluss an Silvio Gesell einseitige Überbetonungen der Zirkulationsfunktion des Geldes dar.100 Gehen wir an dieser Stelle jedoch noch einmal zurück zu Marx’ Theorie und deren Geldbegriff. Demnach erübrigt sich vor dem Hintergrund dieser Diskussion die brisant diskutierte Frage, ob Marx unter Geld allein Warengeld versteht.101 Es handelt sich bei dieser Frage nicht um eine deskriptive, sondern im Gegenteil streng normative. Die kapitalistische Produktionsweise bedarf für Marx eines Warengeldes, da Vertrauen per Definition nicht zur Wertaufbewahrung dient. Jedes Warengeld hindert das System jedoch an seiner Entwicklung, da die Möglichkeit besteht, dass die zu einer bestimmten Zeit verfügbare Menge an Geldkapital zur systemnotwendigen Investition nicht ausreicht und nur durch Schaffung eines Repräsentanten momentan noch nicht vorhandener Werte ermöglicht werden kann: Kreditgeld entsteht.102 Keynes greift genau dies auf, wenn er erkennt, dass Geld im finanzkapitalistischen System außerhalb der durch es vermittelten Ganzheit, das meint: außerhalb der Mechanismen der Wertregulierung durch Angebot und Nachfrage, liegen muss. Geld kann nicht neutral sein. Es wird nicht produziert, es wird geschaffen und das innerhalb der durch nur noch lose an die eigenen Reserven der Privatbanken bei der Zentralbank gebundene und durch diese Privatbanken selbst gesteuerte Geldkreierung 98 Maurer, Bill (2006): The Anthropology of Money. In: Annual Review of Anthropology, S. 15-36, hier S. 29. 99 Siehe für einen derartigen Versuch u.a. Heinsohn, Gunnar/Steiger, Otto (2004): Eigentum, Zins und Geld. Ungelöste Rätsel der Wirtschaftswissenschaft, Marburg: Metropolis-Verlag. 100 Siehe u.a. Preissing, Sigrun (2009): Tauschen – Schenken – Geld? Ökonomische und gesellschaftliche Gegenentwürfe, Berlin: Reimer sowie Gesell, Silvio (1949): Die natürliche Wirtschaftsordnung, Lauf bei Nürnberg: Rudolf Zitzmann Verlag. 101 Germer, Claus M. (2003): The commodity nature of money in Marx’s theory. Paper der Konferenz „Marx’s Theory of Money: Modern Appraisals“, Mount Holyoke College, South Hadley, Massachusetts, 4.-8. August, 2003. 102 Siehe hierzu vor allem Marx, Karl (1968): Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Dritter Band, Hamburg: Europäische Verlagsanstalt.

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jede Sekunde. Dieses System ermöglicht rasche und investitionsnahe Geldschöpfung. Nichtsdestotrotz besteht auch für Keynes aufgrund der erhöhten Liquiditätsprämie des Geldes noch immer die Gefahr der Hortung. Durch aus systemischen Gründen entspringender, mangelhafter Ausnutzung profitgenerierender Investitionen entsteht Sockelarbeitslosigkeit. Die Möglichkeit einer systemisch irrational hohen Geldhortung führt zudem dazu, dass in einer Geldwirtschaft die Senkung des Zinssatzes nicht zwangsläufig zu mehr Investition führen muss, wie es dann innerhalb des Monetarismus angenommen werden sollte.103 An dieser Stelle möchte ich auf die inhärente Doppelstruktur des Geldes aufmerksam machen, auf die ich bereits im Kontext der Zersplitterung in seine Funktion als Zirkulationsmedium und Wertaufbewahrungsmittel hinwies. Ich gehe davon aus, dass Geld seine Funktion nur erfüllen kann, wenn es sowohl homogenisierende als auch fragmentierende Prozesse mediatisieren kann, beziehungsweise in der Lage ist, das Verhältnis beider auszubalancieren.104 Seine systemische Homogenisierung durch Zentralisierung der Geldschöpfung im Staat oder der Zentralbank schafft Transparenz und erhöht so aufgrund gesteigerter Planbarkeit das Vertrauen in den Wert des Geldes. Dies fördert jedoch zugleich aufgrund einer räumlichen, institutionellen und/oder zeitlichen Entkoppelung von der wirtschaftlichen Sphäre eine Trägheit unternehmerischer Entscheidungs103 Keynes, John Maynard (1964): The General Theory of Employment, Interest, and Money, New York: Harbinger, vor allem Kapitel 17. Was bei Keynes und in verschiedenen Interpretationen dann propagiert wird, ist das Tätigen staatlicher Investitionen, die der Sicherstellung beziehungsweise Wiedergewinnung der Erwartung systemischer Stabilität dienen sollen. 104 Vgl. auch Aglietta, Michel/Orléan, André (1984): La Violence de la Monnaie, Paris: PUF, vor allem Kapitel 2 centralisation et fractionnement. Sie sprechen auch von „une vibration entre les deux formes polaires que constituent le système homogène et le système fractionne“; [„einer Vibration zwischen den beiden entgegengesetzten Formen, die das homogene und fragmentierte System konstituieren“], S. 125. Einführend in englischer Sprache dazu Grahl, J. (2000): Money as sovereignty: the economics of Michel Aglietta. In: New Political Economy 5, S. 291-316. Vgl. auch den deutschen Artikel Aglietta, Michel (1993): Die Ambivalenz des Geldes. In: Kintzelé, Jeff/Schneider, Peter (Hg.): Georg Simmels Philosophie des Geldes, Frankfurt am Main: Hain, S. 175-221. Eine ähnliche, wenn auch scheinbar moralisch eingefärbte Aussage trifft Tillich, Paul (1963): Das Dämonische. Ein Beitrag zur Sinndeutung der Geschichte. In: Ders.: Der Widerstreit von Raum und Zeit. Gesammelte Werke, Band VI, Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, S. 42-71, hier vor allem S. 70, wenn er dem Geld einen „dämonischen“ Charakter zuspricht. Damit ist jedoch vor allem seine Ambiguität bezeichnet.

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findung. Bezüglich der Objekte droht bei einer Homogenisierung zudem die Gefahr einer Fetischisierung (siehe Gold, Biberpelze, Immobilien), die wiederum in einer auf die Spitze getriebenen Wertaufbewahrung105 münden kann. Die Fragmentierung der Geldschöpfung ermöglicht konträr dazu ein nahezu ungehindertes Wabern und Fließen über kulturelle und gesellschaftliche Grenzen ebenso wie zwischen Gegenwart und Zukunft. Systemisch besteht die Gefahr einer Fehlallokation von Risiken sowie von Informationsasymmetrien. Bezüglich der Objekte droht ein Verlust des Überblicks, ein Rauschen unzähliger Geldansprüche, die sich verklumpen, um dann plötzlich und überraschend in Form platzender Blasen für die Gesamtwirtschaft erfahrbar zu werden. Beiden Prozessen gemein ist, dass sie, werden sie nicht vom jeweils komplementären Prozess begleitet, negieren sie also die Ambivalenz der Realität, Räume der Phantasie und des Okkulten106 – nichts anderes als imaginäre Verlängerungen der Fiktion eines gegen jegliche Zufälligkeiten der Empirie abgesicherten Wertschöpfungsprozesses107 – öffnen. Während sich an das fetischistische Objekt phantastische Diskursnetze knüpfen, die de facto an dessen realer Konstitution vorbeischießen, etablieren sich im Raum monetären Rauschens okkulte Figuren, die dieses autopoietische System scheinbar steuern, weil jemand es steuern muss: Gierige Bankiers und geldschaffende Hexen.108 Die Spekulation ist demnach keineswegs nur

105 Das Französische trifft diesen Punkt besser, wenn es schlicht von ‚moyen de reserve‘ spricht. 106 Siehe u.a. Comaroff, Jean/Comaroff, John L. (1999): Occult Economies and the Violence of Abstraction: Notes from the South African Postcolony. In: American Ethnologist 26, S. 279-303. 107 Die Betonung der essentiellen Unsicherheit finanzieller Entscheidungen rückt momentan in das Zentrum wirtschaftsethnologischer Theorienbildung. Dabei wird häufig auf Keynes (1964) ebenso wie Knight, Frank H. (1921): Risk, Uncertainty, and Profit, Boston: Hart, Schaffner & Marx/Houghton Mifflin Co. verwiesen, vgl. Appadurai, Arjun (2011): The Spirit of Calculation. In: Cambridge Anthropology 30, S. 3-17. Knight selbst zeigte erhebliches Interesse an wirtschaftsethnologischen Analysen wie seine Rezension des Standardeinführungswerkes Herskovitz’ zeigt, siehe Knight, Frank H. (1941): Anthropology and Economics. In: Journal of Political Economy 49, S. 247-268. 108 Geschiere, Peter (1997): The modernity of witchcraft. Politics and the occult in postcolonial Africa, Charlottesville: University Press of Virginia. Siehe u.a. auch McIntosh (2009) und Taussig (1986) sowie Hadjer, Kerstin (2009): Geschlecht, Magie und Geld. Sozial eingebettete und okkulte Ökonomien im Benin, Westafrika, Berlin: LIT Verlag.

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Beiprodukt des sich recht rezent etablierenden Finanzkapitalismus 109 oder jeglicher Kreditbeziehung,110 sondern dem Geld essentiell.111 Geld scheint für den Einzelnen nicht nur eine Versicherung darzustellen, sondern ebenso zu benötigen, die jedoch, systemisch betrachtet, riskiert werden muss, das heißt latent und dauerhaft gefährdet ist112: Geld ist Zeichen existierenden und zugleich Versprechen zukünftigen Wertes. Die Frage nach der Notwendigkeit einer außerhalb des Geldes verortbaren Quelle der Legitimität schießt also an seiner Verfassung vorbei. Geld fordert von seinem Benutzer, Fragen der heterotop hergestellten Legitimität zu ignorieren bis es diese in besonderer Dramatik während und nach ökonomischen Krisen, vielleicht lediglich aus individuell-psychologischen Gründen wie dem Verlangen nach Sicherheit, aufwirft – nur um sie anschließend wieder als unnötig deklarieren zu können.113 Der Kapitalismus, darauf verweist zum Beispiel immer wieder auch Joseph Schumpeter, beruht auf dem Willen einzelner Unternehmer, ihre Ersparnisse ri109 Siehe Aglietta, Michel/Orléan, André (1984), S. 105: „L’économie marchande est une èconomie de speculation“; [„Die Marktwirtschaft ist eine Spekulationswirtschaft“]. Diese dem Geld inhärente Verzahnung mit spekulativen Prozessen stellt sicherlich die Grundlage für die weitverbreitete Assoziation von Geld und Nervosität dar. 110 Parker Shipton spricht treffend von der Trias „credit, usury and fantasy“. Vgl. Shipton, Parker (2010): Credit between cultures. Farmers, financiers, and misunderstanding in Africa, New Haven: Yale University Press, vor allem Kapitel 2 Three Faces of the Loan: Charity, Usury, … and Fantasy, S. 36 ff. Vgl. auch Langenohl, Andreas (2008): „In the long run we are all dead“. Imaginary time in financial market narratives. In: Cultural Critique 70, S. 3-31. 111 Vgl. Marx (1983), S. 153: „Es liegt aber in der Bestimmung […], daß die Illusion über seine Natur, das heißt das Festhalten einer seiner Bestimmungen in ihrer Abstraktion, und mit Hinwegsehn der in derselben enthaltnen Widersprüche ihm diese wirklich magische Bedeutung gibt, hinter dem Rücken der Individuen. Es wird in der Tat durch diese sich selbst widersprechende und daher illusorische Bestimmung, durch diese seine Abstraktion, ein so enormes Instrument in der wirklichen Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte.“ 112 Siehe dazu u.a. Schumpeter, Joseph (1928): The Instability of Capitalism. In: Economic Journal 38, S. 361-386. Man könnte sagen, das Vertrauen in das Geld sei zugleich freiwillig und obligatorisch. Doch sollen die Parallelen zu Mauss nicht übertrieben werden. 113 Zum gleichen Ergebnis kommt Steiner im Anschluss an seinen oben bereits näher besprochenen Versuch der Etablierung einer komparativ verfahrenden Wirtschaftswissenschaft.

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sikoreich einzusetzen, um neue, die wirtschaftliche Entwicklung vorantreibende „Produktionskombinationen“ zu schaffen.114 Aus einer Ablehnung negativer Übersetzungen im Kapitalismus beziehungsweise ihrer schubweisen Einbettung in positive Übersetzungen entspringe nun jedoch das Dilemma, dass derartige risikoreiche Investitionen nicht mehr getätigt werden. Nicht der aktive, um Gunst und Ansehen („ritueller Wert“) buhlende Einsatz von Ressourcen („empirischer Wert x“ Æ „ritueller Wert y“), sondern die kühl kalkulierte Investition („empirischer Wert x“ Æ „empirischer Wert x+1“) tritt in das Zentrum kapitalistischer Produktivität.115 Mir geht es in diesem Kontext jedoch weder darum, eine chron(olog)ische Oszillation zwischen Abstraktion und Materialisierung innerhalb der Geschichte des Geldes zu diagnostizieren,116 noch darum, der allgemein mit Kulturpessimismus einhergehenden Annahme einer fortschreitenden Entkoppelung und Digitalisierung des Geldes (‚virtual money‘117) neuen Antrieb zu geben. Ich möchte vielmehr darauf aufmerksam machen, dass die Ambivalenz von Körperlichkeit und Abstraktion, von Objekt- und Systemfetisch, ein permanentes Problem darstellt, dass sich bei Nicht-Anerkennung imaginär äußert. So fragmentiert sich Gold in phantastischen Diskursen, greift auf diese Weise immer über die rein ökonomische Sphäre hinaus und wird zum Zeichen von Auserwähltheit und poli-

114 Schumpeter, Joseph (1964): Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Eine Untersuchung über Unternehmergewinn, Kapital, Kredit, Zins und den Konjunkturzyklus, Berlin: Duncker und Humblot. 115 Ein ähnlicher Wandel wird von Max Weber beschrieben. Die beiden Epochen nennt er „Abenteurerkapitalismus“ beziehungsweise „vorrationalen Kapitalismus“ und „modernen“ beziehungsweise „rationalen Kapitalismus“, siehe Weber, Max (2005): Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Frankfurt am Main: Zweitausendeins, S. 1048 f. Trotz allem enthält die auf zukünftige Erträge spekulierende Investition natürlich ein systemimmanentes Risiko, siehe dazu u.a. Schumpeter (1928), der einige Argumente seines späteren Interpreten und Schülers Hyman Minsky (2011) vorwegnimmt. 116 Graeber (2011). 117 Braun, Christina von (2012): Der Preis des Geldes. Eine Kulturgeschichte, Berlin: Aufbau. Vgl. ebenso die Arbeiten von Aldo Haesler und einige im Umfeld von Carrier und Daniel Miller diskutierte Ideen zu ‚virtual money‘. Siehe u.a. Haesler, Aldo (2002): Irreflexive Moderne. Die Folgen der Dematerialisierung des Geldes aus der Sicht einer tauschtheoretischen Soziologie. In: Deutschmann, Christoph/Baecker, Dirk (Hg.): Die gesellschaftliche Macht des Geldes, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 177-202.

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tischer Kraft.118 Kreditgeld und Derivate hingegen homogenisieren und zentralisieren sich in der Imagination okkulter Figuren. Die vermeintlichen Paradoxien der Geldtheorie, -form und -funktion entspringen demnach der hier analytisch herausgearbeiteten Widersprüchlichkeit des kapitalistischen Systems. Vor dem Hintergrund dieser Ambivalenz des modernen Geldbegriffs dürfte die Übertragung seines inhärent widersprüchlichen und zutiefst historischen Merkmalskataloges auf nicht-kapitalistische Gesellschaften, die dann gleichsam eine bestimmte Punktzahl erreichen, sprich: einige der Funktionen besitzen müssen, um in den Genuss des Prädikates einer Geldwirtschaft oder zumindest einer Wirtschaft mit „primitive money“119 oder „special-purpose money“120 zu kommen, als eines der zynischsten Unternehmen in der Geschichte der Wirtschaftsethnologie bezeichnet werden.121 Um Abhilfe zu schaffen und den Geldbegriff trotz allem nicht den Ökonomen oder Kritikern des Kapitalismus zu überlassen – böte doch ein an nicht-kapitalistischen Gesellschaften geschulter Blick auf das Phänomen des Geldes ein mögliches Korrektiv –, soll im Folgenden an eine innerhalb der Wirtschaftsethnologie komplett vernachlässigte Bestimmung des Geldes angeknüpft werden,122 die Mauss in Kritik an Malinowskis Verabschiedung des Geldbegriffes formuliert hat.123

118 Marx zitiert an der Stelle, wo er über Geld als „absolut gesellschaftliche[n] Form des Reichtums“ spricht, nicht umsonst Kolumbus: „Wer dasselbe besitzt, ist Herr von allem, was er wünscht.“ Siehe Marx (2008), S. 145. 119 Vgl. u.a. Dalton, George (1965): Primitive Money. In: American Anthropologist 67, S. 44-65. Das Problem Daltons scheint mir verkürzt gesagt zu sein, dass er weder einen ausreichend umfassenden noch einen ausreichend spezifischen Zugang zum Problem Geld findet. 120 Vgl. u.a. Polanyi, Karl (1968): The Semantics of Money-Uses. In: Dalton, George (Hg.): Primitive, Archaic and Modern Economies. Essays of Karl Polanyi, Boston: Beacon, S. 175-203, hier passim. Eine Anwendung dieses Katalogs auf Wampum versucht Smith, Timothy J. (1983): Wampum as Primitive Valuables. In: Research in Economic Anthropology 5, S. 225-246. 121 Dass auch Znoj (1995) diesem Problem nicht ausweichen kann, zeigt sein Beharren an der Begriffsdichotomie „primitives“ und „staatliches Geld“. 122 Hart, Keith (2005): Money: One Anthropologist’s View. In: Carrier, James (Hg.): Handbook of Economic Anthropology, Cheltenham: Elgar, S. 160-175, hier S. 160: „Mauss’s line was generally not taken up and, thereafter, economic anthropologists used concepts drawn from Western folk wisdom rather than from economics.“ 123 Vgl. Malinowski, Bronislaw (1921): Primitive Economics of the Trobriand Islanders. In: The Economic Journal 31, S. 1-16, hier S. 13: „The tokens of wealth

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‚Monnaie française‘ und die soziale Basis der Wirkungsmacht des Geldes – Überlegungen zu einer vergessenen Tradition The danger in thinking is not so much fetishism as it is the illusion that one has escaped it124 JAMES FERGUSON

Mauss unterscheidet in seinem Essay über die Gabe in einer Fußnote mit essayistischem Umfang und eigenem Titel (Note de principe sur l’emploi de la notion de monnaie) zwischen den Termini Geld und Wert im „sens étroit“ und einer weiteren und umfassenderen Konzeption des Geldes, in die er auch solche Geldformen inkludiert, deren Wert noch „instables“, „subjective et personelle“ sei und eine – Mauss lässt seine Leser im Unklaren darüber, was das nun bedeuten mag – „nature magique“125 besitze. In diese Kategorie fallen unter anderem die ‚vaygu’a‘ der Trobriander, Matten auf Samoa und das Wampum der Irokesen. Allerdings kann Mauss aufgrund seines evolutionistischen Grundverständnisses den Charakter dieses ‚anderen‘ Geldes immer nur in Hinblick auf die spätere Ausprägung ‚unseres‘ Geldes verstehen, was zur Mutmaßung eines zunehmenden Abstraktionsprozesses führt, der in ‚unserem‘ Geld gipfele.126 Nichtsdesto-

have often been called ‚money’. It is at first sight evident that ‚money’ in our sense cannot exist among the Trobrianders.“ Siehe auch Malinowski (1966), S. 499. 124 Ferguson, James (1988): Cultural Exchange: New Developments in the Anthropology of Commodities. In: Cultural Anthropology 3, S. 488-513, hier S. 492. 125 Mauss (2007), S. 109 f., Fußnote 2; Mauss (1990), S. 57, Fußnote 29. 126 Analogen Schwierigkeiten begegnet Gerloff immer wieder. Auch er versucht zwanghaft, eine inhärente Entwicklung zwischen „Hortgeld“ und kapitalistischem Geld herzustellen, anstatt es bei einer Beobachtung und Analyse der formalen Ähnlichkeiten zu belassen. Siehe die bereits erwähnten Arbeiten sowie Gerloff, Wilhelm (1947): Die Kaufmacht des Geldes, Frankfurt am Main: Maindruck. Mit ganz ähnlichen Problemen sind, überblickt man zunächst deren Titel, die Arbeiten von Christoph Deutschmann konfrontiert. Sie scheinen eine übernatürliche, irrationale, letzten Endes unverständliche Natur des Geldes andeuten zu wollen. Im Kern geht es ihm jedoch darum, nachzuweisen, dass Geld in der Moderne eine formal-strukturell ähnliche Rolle einnimmt wie Religion. Solche Titel wie Deutschmann, Christoph (1999): Die Verheißung des absoluten Reichtums. Zur religiösen Natur des Kapitalismus, Frankfurt am Main: Campus lassen zunächst anderes erwarten. In Deutschmann, Christoph (2012): Capitalism, Religion and the Idea of the Demonic. Work-

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trotz finden sich auch in späteren Schriften immer wieder Anmerkungen, die eine Relektüre der mausschen Beschäftigung mit Geld nahelegen. So lesen wir im Manuel d’Ethnographie: „La monnaie est un phénomène plus fréquent qu’on ne le croit.“127 Auch in den bisher recht wenig beachteten Artikeln Debat sur les fonctions sociales de la monnaie und Les origines de la notion de monnaie128 wird kein Zweifel an der Verbreitung des Phänomens gelassen: „Contrairement a l’idée reçue, vous verrez en effet qu’il n’est pas certain qu’il y ait eu, parmi les sociétés que nous connaissons […], aucune qui fut complètement démunie de notions au moins analogues a celle que nous désignons pratiquement maintenant sous le nom de monnaie.“129

Wo sieht Mauss nun jedoch trotz ihrer Differenzen die Gemeinsamkeiten zwischen ‚archaischen‘ und ‚modernen‘ Geldformen? Beiden werde durch die Gesamtgesellschaft eine Kraft verliehen (sei diese nun als ‚mana‘, ‚orenda‘, ‚manitou‘, ‚dzo‘ oder ‚force d’achat‘ bezeichnet)130, die dem jeweiligen Besitzer als ing Paper der DFG-KollegforscherInnengruppe Postwachstumsgesellschaft, Nr. 02/2012, Jena, hier S. 12 korrigiert sich der Autor jedoch selbst: „These analogies between religion and the capital form of money have led some authors (including myself) to characterise capitalism as a religion or at least to discuss such a characterisation […]. Nevertheless, the analogies should not be overdrawn, since there also striking differences in the way both, capital and religion, are mirroring the collective identity of society.“ 127 Mauss (1947), S. 132; [„Das Geld ist ein weitaus häufigeres Phänomen als man denkt.“] 128 Mauss, Marcel (1969a): Debat sur les fonctions sociales de la monnaie (1934). In: Karady,Victor (Hg.): Œuvres II, Paris: Minuit, S. 116-120, Mauss, Marcel (1969d): Les origines de la notion de monnaie. In: Karady,Victor (Hg.): Œuvres II, Paris: Minuit, S. 106-112. 129 Ebd. S. 106; [„Im Gegensatz zum verbreiteten Vorurteil werden sie sehen, dass es nicht sicher ist, ob es unter den Gesellschaften, die uns bekannt sind (…), überhaupt eine gibt, die ohne ein Konzept auskommt, das mehr oder weniger dem analog ist, welches wir heute mit dem Begriff Geld bezeichnen.“] Vgl. auch Simiand, François (2006): La monnaie, réalité sociale. In: Marcel, Jean-Christophe/Steiner, Philippe (Hg.): Critique sociologique de l’économie, Paris: PUF, S. 215-259, der ebensowenig an der Universalität des Geldes zweifelt. 130 Mauss veröffentliche in den 1920er Jahren einige Artikel in der sozialistischen Zeitschrift Le Populaire, in denen er wiederholt die Unbeständigkeit und Anfälligkeit des modernen Geldsystems anprangert und auf den sozialen Kern der Probleme

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ihre eigene oder die des Geldmediums selbst erscheint. Die Tragweite dieser Gleichsetzung von Kaufkraft und ‚mana‘ wird einem erst bewusst, wenn man einige Passagen aus dem zusammen mit Henri Hubert verfassten Artikel über Magie mit in die Analyse einbezieht. Sie erheben dort den Begriff des ‚mana‘ zum soziologischen Konzept: „Les deux notions de vertu magique [das ist das ‚mana‘ und auch die Kaufmacht, Anm. M.S.] et de position sociale coïncident dans la mesure où c’est l’une qui fait l’autre. Il s’agit toujours au fond, en magie, de valeurs respectives reconnues par la société. Ces valeurs ne tiennent pas, en réalité, aux qualités intrinsèques des choses et des personnes, mais à la place et au rang qui leur sont attribués par l’opinion publique souveraine, par ses préjugés. Elles sont sociales et non pas expérimentales.“131

‚Mana‘ ist also nichts anderes als eine indigene Konzeptualisierung zur Bezeichnung jener sozialen Mechanismen, welche die Wertzuschreibungen durch Personen ebenso wie die Wertordnung von Personen und Gegenständen innerhalb einer Gesellschaft strukturieren. ‚Mana‘ fungiert dabei durch seine Ambiguität als ein Mittel zur Reduktion verschiedenster scheinbar unüberbrückbarer Widersprüche. Da es zugleich Eigenschaft wie Fähigkeit, Subjekt wie Objekt, vor allem: wertschaffend wie werthaft ist, kann es ontologische, epistemologische wie normative Brüche vermitteln.132 Wann lässt sich nun jedoch von ‚Geld‘ sprechen aufmerksam macht. Diese Schriften wurden wieder abgedruckt in: Mauss, Marcel/Fournier, Marcel (Hg.) (1997): Écrits politiques, Paris: Fayard. Vgl. vor allem die Ausgabe vom 29. Februar 1924. Ihre zeitliche Veortung ermöglicht ein Verständnis für Mauss’ sicherlich verkürzende Wahl des Begriffes ‚Kaufmacht‘. Die Kaufkraft des Geldes war während der stetig über Frankreich schwebenden Gefahr weiterer inflationärer Prozesse sicherlich von größerer Bedeutung als heute. Aus diesem Grund wird im Folgenden der allgemeinere Begriff ‚Wirkungsmacht‘ des Geldes präferiert. 131 Hubert, Henri/Mauss, Marcel (1902-03): Esquisse d’une théorie générale de la magie. In: L’Année Sociologique 1902-03, S. 1-146, hier S. 121; Hubert, Henri/Mauss, Marcel (2012): Entwurf einer allgemeinen Theorie der Magie. In: Mauss, Marcel: Schriften zur Religionssoziologie, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 243-404, hier S. 370. 132 Siehe für eine reflexive Anwendung dieses Potentials auf die Ding-Konzept Dichotomie Holbraad, Martin (2007): The power of powder: multiplicity and motion in the divinatory cosmology of Cuban Ifá (or mana again). In: Henare, Amiria J. M./Holbraad, Martin/Wastell, Sari (Hg.): Thinking through things. Theorising artefacts ethnographically, London/New York: Routledge, S. 189-225. Es erscheint mir

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und was zeichnet Geld als Träger von ‚mana‘ vor anderen Objekten oder Personen aus, die ebenfalls ‚mana‘ besitzen? Einen möglichen Hinweis gibt das folgende Zitat: „La force d’achat de la monnaie n’est-elle pas naturelle [d.h. sie ist sozial, Anm. M.S.], quand elle est attachée au talisman qui, à la rigueur, peut contraindre les subordonnés des chefs, les clients des magiciens aux prestations qu’ils leur demandent? Et, inversement, n’y a-t-il pas nécessité, dès que la notion de richesse intervient, sous une forme si vague que ce soit, que la richesse du chef et du magicien réside avant tout dans les emblémes qui incarnent leurs pouvoirs magiques, leur autorité en un mot, ou qui symbolisent la force du clan?“133

In diesem Zitat werden zwei Dinge angesprochen: Zum einen sieht Mauss in der Naturalisierung der Wirkungsmacht des Geldes, das heißt der Konstruktion seiner Nichthinterfragbarkeit, zugleich eine Naturalisierung der Zentralisierung der politischen Macht in den Händen des Häuptlings begründet.134 Das heißt: die Bündelung des ‚mana‘ in einer Objektklasse geht einher mit der Konzentration fast überflüssig an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass der Begriff des ‚Wertes‘ in seiner schillernden Semantik (‚Wert‘, ‚Würde‘, Werte‘) bei uns die Rolle des ‚mana‘ eingenommen zu haben scheint. Zugespitzt kann man behaupten, dass Lévi-Strauss an den epistemologischen und Holbraad an den ontologogischen Überbrückungen, die der Manabegriff ermöglicht, interessiert sind. Ich hingegen stelle die normativen in den Fokus der Analyse. 133 Mauss (1969d), S. 111; [„Ist die Kaufkraft des Geldes denn wirklich als natürlich zu verstehen, wenn sie verbunden ist mit dem Talisman, der, streng genommen, die Untergeordneten des Häuptlings wie die Kunden des Magiers zwingen kann, wann immer sie es von jenen verlangen? Ist es umgekehrt nicht notwendig, sobald das Konzept des Reichtums eingreift, in welch vager Form auch immer, dass der Reichtum des Häuptlings und des Magiers all die Embleme bewohnt, die die Verkörperungen seiner magischen Kräfte, seiner Autorität sind, die, in einem Wort, die Kraft des Klans symbolisieren?“] 134 Es gibt für Mauss demnach, wie es bereits in dem Aufsatz über Klassifikationsmechanismen, den er zusammen mit seinem Onkel Emilé Durkheim verfasste, angedeutet wird, einen inhärenten Zusammenhang zwischen der Klassifikation von Objekten oder Tieren und der Wertanordnung der Gesellschaftsmitglieder, der sozialen Struktur, siehe Mauss, Marcel/Durkheim, Émile (1993): Über einige primitive Formen von Klassifikation. Ein Beitrag zur Erforschung der kollektiven Vorstellungen. In: Durkheim, Emile: Schriften zur Soziologie der Erkenntnis, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 169-256.

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des ‚mana‘ in einer Person. Was also alle Beispiele Mauss’ eint, ist die starke Konzentration der Wertrepräsentation (‚mana‘) auf eine Art von Gegenständen und deren Bewegungen,135 die wiederum soziale Beziehungen und ihnen entsprechende kollektive Repräsentationen legitimieren.136 Geldobjekte sind demnach immer „richesses condensées“137 – verdichtetes und zugleich geronnenes, ‚kondensiertes mana‘, das seine reale Herkunft, seine soziale Legitimation verschleiert: Geld ist aus dem Himmel auf die Erde geholtes ‚mana‘ mit Ausschließlichkeitsanspruch. Zum anderen, und hier macht sich die bereits erwähnte Ambivalenz des Geldes bemerkbar, wurzele die Kraft jeden Geldes allein in der „confiance qu’on a en elle“138, dessen Sicherstellung Aufgabe der Gesellschaft sei. Aus der doppelten Notwendigkeit, zugleich Vertrauen stiften zu müssen als auch auf Mechanismen der Vertrauensstiftung angewiesen zu sein, die außerhalb seiner selbst stehen,139 also zugleich bezogen auf die Zukunft140 und Vergangenheit zu sein, 135 ‚Gegenstände‘ ist hier ein unpräziser Begriff. Auch Handlungen, Tänze oder bestimmte Spruchformeln können diese Rolle einnehmen. Vgl. dazu den durchaus nicht metaphorisch zu verstehenden Begriff der „cultural currency“ in Arno, Andrew (2005): Cobo and tabua in Fiki: Two forms of cultural currency in an economy of sentiment. In: American Ethnologist 32, S. 46-62. Siehe Scheelhaas, Sebastian/Schmidt, Mario (2012): „Without kuon it is no food!“ Zur Aktualität des CoreFringe-Leguminosen Models anhand von Veränderung und Stabilität in der LuoKüche. In: Paideuma 58, S. 115-134 für die Argumentation, dass sich auch und gerade in kulinarischen Speisen Wert konzentrieren kann. 136 Die deutsche Übersetzung des Gabetexts zeigt, dass es äußerst schwierig ist, diesem Wechselverhältnis sprachlich Ausdruck zu verleihen. So wird aus „mana, que confère la richesse“; [„mana, das Reichtum verleiht“]; „mana, welches der Reichtum verleiht“ (S. 28). Es ist jedoch ein wechselseitiger Prozess, der letztlich in der Struktur sozialer Beziehungen gründet. 137 Mauss (2007), hier S. 109, Fußnote 2; Mauss (1990), S. 57, Fußnote 29. 138 Mauss (1969d), S. 106, Herv. M.S.; [„das Vertrauen, das man in es hat“]. 139 Siehe für eine Besprechung des heterologen oder auch heterotopen Charakters der Wirtschaft: Stäheli, Urs (2007a): Poststrukturalismus und Ökonomie: Eine programmatische Skizze der Affektivität ökonomischer Prozesse. In: Arni, Caroline/Honegger, Claudia (Hg.): Der Eigensinn des Materials. Erkundungen sozialer Wirklichkeit; Festschrift für Claudia Honegger zum 60. Geburtstag, Frankfurt am Main: Stroemfeld, S. 503-520. 140 Mauss (1969a), S. 117 spricht in Bezug auf ein Verständnis des Geldes treffend von „ l’importance de la notion d’attente, d’escompte de l’avenir“; [„der Bedeutung des Konzeptes der Erwartung, dem Diskont der Zukunft“].

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entspringt der oben bereits skizzierte widersprüchliche Charakter des Geldes. Mauss fasst das elegant in einer seiner zahlreichen Fußnoten zusammen: „[…] le signe qu’est la monnaie, le signe qu’elle porte et le gage qu’elle est sont une seule et même chose.“141 Die Kraft (‚le signe qu’elle porte‘) dem Objekt selbst (‚le signe qu’est la monnaie‘) zuzuschreiben, um es und seinen Besitzer so mit einer Autorität (‚le gage qu’elle est sont‘) auszustatten, stellt sicherlich eine der elegantesten Lösungen dieses Problems dar. Anschließend an unsere obige Auseinandersetzung mit dem Fetisch könnte man in diesem Fall auch von ‚Fetischgeld‘ sprechen, das seine sozialen Wurzeln, seine „réalité sociale“ 142, vollständig verneint, indem es zur Verbürgung des eigenen Wertes stetig auf sich selbst verweist.143 Die Kraft außerhalb des Objektes selbst zu verorten, zum Beispiel in dem Wert eines an einem fernen Ort gehorteten Goldes, des Bibers, in einer staatlichen oder religiös-kultischen Autorität (zum Beispiel dem Häuptling oder Magier) oder soliden Finanzpolitik, ist eine weitere Alternative. Mauss’ These, dass Geld entweder fetischisiert werden oder in fetischisierte Räume hinein diffundieren muss, damit die soziale Basis seiner als zeitlos konzeptualisierten und asymmetrisch innerhalb der Gesellschaft verteilten Wirkungsmacht seinen Nutzern nicht bewusst wird, wird dadurch jedoch keineswegs geschwächt. Eine Aufdeckung des sozialen Fundamentes des Geldwertes144 führe demnach zwangsläufig zu einer Umwälzung gesellschaftlicher Verhältnisse: „Il suffira ensuite de les gérer avec les plus prudentes règles d'économie pour les faire fructifier par les nouveaux ayants droit. Et cela est une révolution.“145 Mitglieder einer Gesellschaft seien durch Veränderung des Geldes in der Lage, „[…] sans se servir de mots, de formules et mythes […] agir sur eux-mêmes“146, mit anderen 141 Mauss (2007), S. 234, Fußnote 1; Mauss (1990), S. 169, Fußnote 27. 142 Simiand (2006). 143 Hier mag der nicht leugbare Zusammenhang zwischen Schmuck und Geld begründet sein. 144 Man könnte sagen, dass die Kraft des Geldes auf „sozialem Einvernehmen“ beruhe. Siehe Mauss, Marcel (1904): L’origine des pouvoirs magiques dans les sociétés australiennes, Paris: Imprimerie Nationale, hier S. 55: „[…] ces pouvoirs, n’ont d’existence que par le consensus social.“ 145 Mauss, Marcel (N.N.): Deuxieme conclusion générale. Un moyen de refonte sociale: la manipulation des monnaie. In: Fonds Hubert-Mauss, Archive des Collége de France, hier S. 9; [„Es genügt, die Regeln der Ökonomie mit Behutsamkeit zu verwalten, um neue Begünstigte entstehen zu lassen. Und schon hat man eine Revolution.“] 146 Ebd.; [„(…) für sich selbst zu handeln – ohne sich Worten, Formeln oder Mythen zu bedienen.“]

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Worten: Eine Manipulation der Geldformen oder ihrer Zirkulation stellt für Mauss eine Form des revolutionären Eingriffs dar, ist politische Aktion.147 Die Kraft und Form des Geldes sowie seine Funktionen und Zirkulation, das ist die wichtigste Einsicht sowohl Marx’ als auch Mauss’, besitzen demnach ein soziales Fundament. Sie sind analytisch ableitbar aus der Konfiguration sozialer Beziehungen, stehen in engem und wechselseitigem Wirkungszusammenhang mit sozialen Verhältnissen. Soziale Widersprüche, vor allem solche der ungerechten Distribution von Wert, manifestieren sich zwangsläufig im Geld und seine Oszillation zwischen verschiedenen materiellen Manifestationen – verschiedenen Geldformen – entspringt dem Versuch, diese Widersprüche zu verdecken: Geld ist im Kern politisch. Dass Geld also nicht nur häufig selbst einen widersprüchlichen Charakter besitzt, sondern auch – aufgrund der Tatsache, dass in ihm die Gesamtgesellschaft wirkt – sozialintegrative Funktionen übernimmt, macht Maurice Leenhardt in seinem bisher zu Unrecht innerhalb der Wirtschaftsethnologie vollkommen vernachlässigten La Monnaie Néo-Calédonienne aufmerksam.148 Nach einer Aufzählung der verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten des „monnaie“ der NeoKaledonier149 kommt Leenhardt zu folgendem Schluss: „La monnaie apparaît ici comme un objet symbolique et propitiatoire, auquel le travail d’exécution a con147 Zu ganz ähnlichen Schlüssen kommt Wilhelm Gerloff (1947), wenn er die Kaufmacht des Geldes in die Kaufbreite und Kaufweite aufsplittet, um anschließend zu untersuchen, inwiefern staatliche Justierung an diesen Stellen dazu führen können, dass Geld seine Eigenschaft Spiegelbild sozialer Beziehungen zu sein auf eine moralischere Art erfüllen kann. 148 Leenhardt,

Maurice

(1922):

La

Monnaie

Néo-Calédonienne.

In:

Revue

d’Ethnographie et des Traditions Populaires 12, S. 326-333. Siehe auch die entsprechenden Kapitel in Leenhardt, Maurice (1930): Notes d’Ethnologie NéoCalédonienne, Paris: Institut d’Ethnologie sowie Leenhardt, Maurice (1937): Gens de la Grande Terre, Paris: Gallimard. Das Leenhardt selbst die Grenzen zwischen Gaben und Geld, im Übrigen wie Gerloff, vollkommen verwischt, wird in seiner arbritären Verwendung der Begriffe deutlich. In seiner Biographie Leenhardts setzt Clifford durchgängig den Begriff ‚Geld‘ in Anführungsstriche und übersieht so, dass es Leenhardt um eine Analogisierung der beiden Geldformen ging, siehe Clifford, James (1992): Person and myth. Maurice Leenhardt in the Melanesian world, Durham: Duke University Press, passim. 149 Der Terminus „mie“ bezeichnet das Muschelgeld, das Pidginwort „mone“ hingegen das von Europäern eingeführte Geld. Siehe Leenhardt, Maurice (1935): Vocabulaire et Grammaire de Langue Houailou, Paris: Institut D’Ethnologie, hier S. 184 und S. 188.

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féré une valeur propre, et qui sert […] à assurer dans les rapports familiaux et sociaux le rythme de la vie.“150 Die Andeutung einer naiven Arbeitswerttheorie beiseitegelassen, lässt sich hier zweierlei feststellen: (1) Die Anerkennung des symbolischen und versöhnenden Charakters des Geldes, das (2) den „rythme de la vie“ in dem familiären und sozialen Bereich sicherstellt. Lässt man die positiven Konnotationen des Wortes „propitiatoire“ außen vor und versteht die Einführung des Begriffs ‚versöhnend‘ als Versuch einer näheren Charakterisierung eines Prozesses, der gesellschaftliche Widersprüche verdeckt, also sozialintegrativ zu wirken vermag, gelangt die Feststellung Leenhardts sehr nah an Mauss’ Analogisierung des sozialen Totalphänomens der Gabe mit dem modernen Vertrag. Die sozialintegrative Funktion, die Leenhardt dem Geld zuspricht, wird von ihm im folgenden Zitat ausdrücklich hervorgehoben: „[…] la monnaie intervient de même facon pour rétablir les équilibres, et assurer ainsi les dénouements aux situations difficiles.“151 Genau deshalb ist Geld, wie auch Mauss feststellt, nicht nur zentrales Reproduktions-, sondern auch zentrales Dekonstruktionsmedium derjenigen Gesellschaft, die es hervorgebracht hat. Leenhardts Vergleich des Geldes mit einem „sceau“, einem Siegel, legt dies ebenfalls nahe.152 Ein Siegel schützt einen potentiell zersetzenden Inhalt eines Briefes vor den Augen jener, die ihn nicht sehen sollen, und versichert, dass wertvolle und deswegen sicher verpackte Waren vor nicht legitimierter Nutzung geschützt werden ebenso wie es zugleich allererst auf den jeweiligen Inhalt aufmerksam macht. Geld schützt ungerechte und/oder widersprüchliche Gesellschaftskonstellationen vor ihrer Entdeckung und gerade aus diesem Grund ist es die bedeutendste Angriffsfläche zur Artikulation von Unzufriedenheit und primäres Vehikel gesellschaftlicher Umwälzungen. Es ist Spiegel der Gesellschaft und Fenster zu ihrer Veränderung zugleich. Leenhardts Text bietet jedoch eine weitere terminologische Besonderheit, an die wir hier anknüpfen möchten. Leenhardt unterscheidet, wenn auch nur implizit, zwischen ‚la monnaie‘ und ‚l’argent‘, wobei er mit letzterem staatliches Geld, mit ersterem das Geld der Neokaledonier bezeichnet. Mit ähnlichen Bemerkungen üben Robbins und Akin Kritik an Bloch und Parry, indem sie mo150 Ebd. S. 332, Herv. M.S.; [„Das Geld erscheint hier als ein symbolisches und versöhnendes Objekt, dessen eigener Wert durch eine Arbeitsleistung geschaffen wurde, es dient dazu (…) in den familiären und sozialen Beziehungen den Rhythmus des Lebens abzusichern.“] 151 Leenhardt (1937), S. 127, Herv. M.S.; [„ (…) das Geld greift auf diese Weise ein, um die Gleichgewichte wiederherzustellen und den Ausweg aus schwierigen Situationen zu ermöglichen.“] 152 Ebd., passim, vor allem jedoch Kapitel 5 La monnaie Calédonienne: Un Sceau.

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dernes Geld und das, was Anthropologen tendenziell eher als ‚valuables‘ oder ‚primitive money‘ bezeichnet haben, unter den Sammelbegriff ‚currency‘ subsumieren.153 Auf andere Weise nutzt Herskovits den Unterschied zwischen ‚money‘ und ‚currency‘. Er versteht unter ‚Geld‘ jene Objekte, die in einer Vielzahl von Transaktionen innerhalb der Gesellschaft als Tauschmedium verwendet werden. Mit dem Begriff ‚currency‘ sind für ihn lediglich jene Geldformen zu bezeichnen, die einer politischen Kontrolle unterliegen.154 Dupuy unterscheidet hingegen zwischen ‚kostbaren Gütern‘ (‚biens de précieux‘) und ‚primitiven Geldformen‘ (‚monnaies primitives‘).155 Während erstere nur innerhalb einer bestimmten Gesellschaftssphäre kursieren, seien letztere in der Lage, zwischen verschiedenen Sphären hin und her zu zirkulieren. Wie wir später sehen werden, ist seine Einteilung jedoch problematisch. Sowohl die ‚heiligen‘ Güter des Potlatsch als auch die ‚vaygu’a‘ beim Kularingtausch, also diejenigen Objekte, die laut Dupuy in einer Sphäre verbleiben (‚bien de précieux‘), zirkulieren zwischen den verschiedenen Sphären wie ‚monnaies primitives‘ – es gehört jedoch gerade zu ihrem Wesen, dies zu verschleiern. Auch Peebles versucht in einem knappen Kommentar die terminologische Differenz zwischen ‚money‘ und ‚currency‘

153 Akin, David/Robbins, Joel (1999): An Introduction to Melanesian Currencies. Agency, Identity and Social Reproduction. In: Dies. (Hg.): Money and modernity. State and local currencies in Melanesia, Pittsburgh: University of Pittsburgh Press, S. 1-40; vgl. auch Liep, John (1999): Pecuniary Schismogenesis in the Massim. In: Akin, David/Robbins, Joel (Hg.): Money and modernity. State and local currencies in Melanesia, Pittsburgh: University of Pittsburgh Press, S. 131-150. Ähnlich verfahren im Grunde die Comaroffs, wenn sie in ihrer Diskussion zum cattle complex bewusst die Grenzen zwischen Gaben und Waren auflösen: Comaroff, Jean/Comaroff, John L. (1990): Goodly Beasts, Beastly Goods: Cattle and Commodities in a South African Context. In: American Ethnologist 17, S. 195-216. 154 Herskovits, Melville J. (1952): Economic anthropology. The economic life of primitive peoples, New York: W.W. Norton, siehe vor allem Kapitel XI. 155 Dupuy, Francis (2009): Les ‚monnaies primitives‘. Nouvelles considérations. In: L’Homme 190, S. 129-152. Siehe auch Dupuy, Francis (2008): Anthropologie économique, Paris: Armand Colin. Dupuy orientiert sich dabei klar an Godeliers Annahme, primitives Geld besitze eine „Doppelnatur“ und zirkuliere innerhalb von Gesellschaften als „soziales Tauschmittel“, zwischen Gesellschaften hingegen als „Ware“, siehe Godelier, Maurice (1973): ‚Salzgeld‘ und Warenzirkulation bei den Baruya von Neuguinea. In: Ders.: Ökonomische Anthropologie. Untersuchungen zum Begriff der sozialen Struktur primitiver Gesellschaften, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, S. 207-240.

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nutzbar zu machen.156 Er versteht unter ‚money‘ dasjenige Konzept, das sich in einzelnen ‚currencies‘, ‚Geldformen oder –medien‘, manifestiert. Er geht demnach einen Schritt weiter als die anderen Autoren und nutzt den Unterschied zur wissenschaftlichen Durchdringung einzelner Wirtschaftssysteme und nicht lediglich zur Erleichterung komparativer Studien. Allerdings verliert er so die Möglichkeit einer Übertragung des Geldbegriffs auf Gesellschaften, in denen liquidierende Transaktionen keine zentrale Rolle einnehmen und riskiert so zugleich, das analytische Potential zu verschenken, welches er durch die heuristische Trennung der Begriffe überhaupt erst birgt: Geld nicht überhistorisch inhaltlich, sondern formal als aus einem Widerspruch entspringendes und die Zirkulation verschiedener Hauptreproduktionsmedien einer Gesellschaft (‚currencies‘) organisierendes System zu verstehen, welches jedoch in engem Zusammenhang zur materiellen Beschaffenheit der Geldobjekte selbst steht und durch diese auch rückwirkend verändert, infrage gestellt, kurzum: transformiert werden kann.157 Worin, so ließe sich nun jedoch fragen, liegt dann noch der Unterschied zwischen Geld und Gabe? Überraschenderweise muss die Antwort hierauf lauten: Es gibt keinen grundsätzlichen. Jeglicher konstatierter Unterschied zwischen Geld und Gabe hat seine argumentative Quelle entweder (1) in einer Verwechselung von Gabe und Geschenk, beziehungsweise, damit zusammenhängend, in einer Idealisierung sogenannter Gabengesellschaften und einer Fehlinterpretation Mauss’, die als Spiegelbild einer innerhalb der Wirtschaftsethnologie noch immer weit verbreiteten Reziprozitätsaffinität gesehen werden kann oder (2) in einer Überbetonung der ökonomischen Funktionen des Geldes zu Lasten seiner Funktion als Vergewisserungs- und Reproduktionsmedium der kapitalistischen Gesellschaft. Doch um diese Unstimmigkeiten auflösen zu können und ein neues Verständnis des Gabebegriffes zu erlangen, müssen wir Mauss’ Text selbst einer genauen Lektüre unterziehen und schauen, was für ihn die Gabe (= das Geld) auszeichnet. Zunächst scheint es ihr ambivalenter Charakter zu sein, sich einerseits freiwillig zu vollziehen, andererseits den Regeln des Gebens, Nehmens und Erwiderns unterworfen, das heißt obligatorisch zu sein. Diese doppelte Charakterisierung ist Grundlage für die Zweiteilung der Rezeptionsgeschichte. Knüpfen Lévi-Strauss und Funktionalisten jeglicher Couleur in ihrer Lektüre primär an die Frage der Aufrechterhaltung von Normativität an (‚Obligation‘),158 interes156 Peebles, Gustav (2002): Money vs. Currency: A Response to W. Wolters. In: Anthropology Today 18, S. 21-22. 157 Demnach betont Mauss (1969a) zu Recht die „fonctions sociale de la monnaie“. 158 Siehe u.a. Evans-Pritchard, E.E. (1990): Vorwort. In: Mauss, Marcel: Die Gabe. Form und Funktion des Austausches in archaischen Gesellschaften, Frankfurt am Main: Suhrkamp, hier S. 12, Herv. M.S.: „Nirgendwo kommt dies deutlicher zum

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sieren sich Autoren en lieu mit Batailles verschwenderischer Ökonomie eher für Fragen der Überschreitung von Normativität und sozialer Kontrolle (‚Freiwilligkeit‘).159 Die Lösung dieser Frage ist auch Anliegen des Mouvement antiutilitariste en sciences socials (M.A.U.S.S.). Es wurde zeitgleich mit der Erstausgabe der interdisziplinären Zeitschrift Revue du Mauss 1981 gegründet. Das selbsterklärte Ziel ist es, ein drittes Paradigma zwischen methodischem Individualismus und Holismus zu etablieren. Alain Caillé, einer der Gründer, wird nicht müde, die Entdeckung einer angemessenen Lösung der scheinbar kontradiktorischen Aussage Mauss’, die Gabe sei zugleich obligatorisch und freiwillig, zu verkünden. Eine recht rezente Aussage zeigt jedoch, dass er nicht in der Lage ist, einer nicht-dialektischen Lösung zu entkommen. So schreibt er, dass „[…] the anti-utilitarian gift simply subordinated the moment of utility, calculation and self-interest to the imperatives of a primal disinterestedness and unconditionality.“160 Doch bevor wir analysieren können, inwiefern man die aus dieser Dichotomie entspringenden Paradoxien – die ja in Mauss selbst zu wurzeln scheinen – auflösen kann, muss kurz auf eine der meist diskutierten Fragen der Wirtschaftsethnologie („Was liegt in der gegebenen Sache für eine Kraft, die bewirkt, dass der Empfänger sie erwidert?“) und Mauss’ Antwort, es sei das ‚hau‘, die ‚Seele‘, welche die Rückkehr zum Geber bewirke,161 zurückgekehrt werden. Dabei gilt es jedoch, nicht zu vergessen, was Mauss zu dieser Frage allererst motivierte. Sein Theoriegebäude lässt sich nicht losgelöst von seinem Interesse an Formen der Möglichkeit gesamtgesellschaftlicher Reproduktion betrachten und der analytiAusdruck als dort, wo Mauss uns sehr ausdrücklich sagt, wieviel wir […] dadurch verloren haben, daß wir ein rationales ökonomisches System an die Stelle eines Systems setzten, in welchem der Austausch von Gütern keine mechanische, sondern eine moralische Transaktion war, die menschliche, persönliche Beziehungen zwischen Individuen und zwischen Gruppen herstellte und aufrecht erhielt.“ 159 Bataille, Georges (2001): Die Aufhebung der Ökonomie, München: Matthes & Seitz. 160 Siehe Caillé, Alain (2010): Gift. In: Hart, Keith/Laville, Jean-Loius/Cattani, Antonio David (Hg.): The Human Economy. A Citizen’s Guide, Cambridge: Polity Press, S. 180-186, hier S. 181, Herv. M.S. Das Hauptproblem des gesamten Unternehmens M.A.U.S.S. scheint die eigene Unsicherheit darüber zu sein, ob man die Grundlagen einer moralischen Kritik der eigenen Gesellschaft oder einer neuen Handlungstheorie bereitstellen möchte. Was jedoch definitiv nicht geschieht, ist eine genaue Analyse der Texte Mauss’ oder auch seiner Beispiele. Siehe vor allem: Caillé, Alain (1996): Ni Holisme Ni Individualisme Méthodologiques: Marcel Mauss et le Paradigme du Don. In: Revue européenne des sciences sociales 105, S. 181-224. 161 Mauss (1990), S. 18 und S. 31 ff.

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sche Ertrag des Essay über die Gabe steht und fällt mit seiner Analyse der Gabensysteme als „formes archaïques du contrat“162, die durch die Zirkulation spezifischer Gegenstände aktualisiert werden. Es gilt also, innerhalb der Gabendebatte den Fokus zurück auf die jeweils primär getauschten Objekte und ihre Materialität zu lenken anstatt – wie es spätestens seit Gregorys Gift and Commodities geschieht – zu versuchen, zwei verschiedene Transaktionsmodi voneinander zu unterscheiden.163 Mauss ist also ernst zu nehmen, wenn er von der „obligation par les choses, qui jouent“164 spricht.

162 Mauss (2007), S. 69; Mauss (1990), S. 20. Siehe zum Problem des Vertrages Davy, Georges (1922): La Foi Jurée, Paris: Libraire Félix Alcan. 163 Gregory, C. A. (1982): Gifts and Commodities, New York: Academic Press. Vgl. recht ähnlich Carrier, James G. (1995): Gifts and commodities. Exchange and Western capitalism since 1700, London: Routledge. Zur einseitigen Interpretation des Gabeessays siehe Sigaud, Lygia (2002): The vicissitudes of The Gift. In: Social Anthropology 10, S. 335-358. 164 Mauss (2007), S. 109, Herv. M.S.; Mauss (1990), S. 57. ‚jouent‘ wird in der deutschen Übersetzung weggelassen, obwohl Mauss hier bewusst mit dem Begriff spielt und darauf verweist, dass die Dinge tatsächlich ‚spielen‘, ‚etwas vorführen‘ oder gar ‚jmdn. Narren‘. Man beachte die Kontrastierung von ‚obligation‘ und ‚jouent‘.

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Über zirkulierende Fetische und die Dingvergessenheit der Gabentheorie Par la, on entrevoit que l’idée de valeur économique et celle de valeur religieuse ne doivent pas être sans rapports. Mais la question de savoir quelle est la nature de ces rapports n’a pas encore été étudiée165 ÉMILE DURKHEIM

Neben einigen ethnographischen Fehlern, die Mauss unter anderem vom Maoriexperten Firth vorgeworfen wurden,166 jedoch an seiner grundsätzlicheren theoretischen Konzeption nicht zu rütteln vermögen, finden sich in der Rezeptionsgeschichte des Gabenessays auch substantiellere Vorwürfe. Sahlins versucht zu zeigen, dass das ‚hau‘ vielmehr als ‚Profit‘ denn als ‚Seele‘ verstanden werden müsse. Ginge es lediglich um die Seele, die gezwungen ist, zum Geber zurückzukehren, würde die Annahme eines dyadischen Austauschs genügen: A gibt B x und B gibt A ein Äquivalent y oder x selbst zurück. Der Maoriinformant konstruiert jedoch ein triadisches System in dem A B x gibt und B C ein Äquivalent y, woraufhin C B etwas zurück gibt und B dann A. Die Notwendigkeit der Einführung einer dritten Person in der Rede des Maoriinformanten sei argumentativ nur einzuholen, wenn man annähme, dass der durch den Gegenstand erwirtschaftete ‚Profit‘ von B an A zurückgegeben werden müsse: „[…] the hau of the forest is its fecundity, as the hau of a gift is its material yield.“167 Ein derart ökonomisiertes Verständnis der Gabe übersieht jedoch Folgendes: Ginge es lediglich um den wirtschaftlichen Profit, so würde die dyadische Beziehung ausreichen, da der Nehmer vom Geber mehr erhält als die Ware: nämlich die ‚Zeit‘ mit ihr zu handeln und zu wirtschaften.168 Znoj sieht das und macht auf die Existenz ei-

165 Durkheim, Émile (1968): Les Formes Elémentaires de la Vie Religieuse. Le système totémique en Australie, Paris: PUF, hier S. 598, Fußnote 2; Durkheim, Émile (2007): Die elementaren Formen des religiösen Lebens, Frankfurt am Main: Verlag der Weltreligionen, S. 613, Fußnote 4. 166 Firth, Raymond (1959): Economies of the New Zealand Maori, Wellington: Government Printer. 167 Sahlins, Marshall (1972): Stone Age Economics, New York: De Gruyter, S. 168: 168 Vgl. auch den Untertitel von Derrida, Jacques (1993): Falschgeld. Zeit geben I, München: Fink. Ähnlich ebenso Bourdieu, Pierre (1993): Sozialer Sinn. Kritik der

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ner vierten, bisher vernachlässigten Pflicht aufmerksam: die des Weitergebens. Nur so könne die Annahme einer gesellschaftskonstituierenden Rolle der Gabe, die Mauss in seinem Begriff der totalen sozialen Tatsache implizit voraussetzt, argumentativ begründet werden. Er übersetzt ‚hau‘ dann einfach mit der Fähigkeit zu Bewegung oder mit Bewegung überhaupt und lenkt den Blick richtigerweise auf Fragen der gesellschaftlichen Reproduktion.169 Einen anderen, für die Ethnologie- und Wissenschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts in seiner Bedeutung kaum zu überschätzenden Weg, schlägt hingegen Lévi-Strauss ein.170 Er behauptet kühn, dass Mauss dem Maoriinformanten auf den Leim gegangen sei. Mauss sei bei seinen Analysen zu empiristisch vorgegangen, indem er die Interpretation des Informanten als Erklärung des Phänomens missverstanden habe. Der korrekte Weg zum Verständnis der Gabe bestünde vielmehr darin, zu erkennen, dass die realiter auseinandertretenden Momente des Gebens, Nehmens und Erwiderns zusammenzudenken seien. Der Austausch als solcher sei dann nicht mehr erklärungsbedürftig, da er das logische Fundament der Entstehung symbolischer Strukturen, somit menschlicher Kultur überhaupt darstelle und aus diesem Grund den unbewussten Strukturen menschlichen Denkens entspringe. Diese, von Kants transzendentaler Analytik inspirierte Erklärung bleibt jedoch – versucht man sich realen Tauschprozessen zu nähern – eigenartig leer. Nichtsdestotrotz hat sie gegenüber den ökonomistischen Theorien den Vorteil, dass sie Solidarität – oder, allgemeiner gesprochen: Sozialität – erklärt und damit dem von Mauss an sich selbst gestellten Anspruch, eine Theorie des archaischen Vertrages zu konzipieren, gerechter wird als ein dezidiert ökonomischer Ansatz. Dieser ‚holistische‘ Grundimpetus Mauss’ zeigt sich auch in seinem Hadern mit den zahlreichen Phänomenen des Austausches und seinem Versuch, diese miteinander in Beziehung zu setzen. Stellenweise kann man sich dem Eindruck nicht widersetzen, Derrida habe Recht mit seinem Urteil, Mauss experimentiere eher mit der semantischen Vieldeutigkeit des Begriffsfeldes ‚donner‘, ohne das ‚don‘ selbst zu treffen.171 Fakt ist jedoch auch, dass dieser Eindruck vor allem der evolutionistischen Perspektive Mauss geschuldet ist. theoretischen Vernunft, Frankfurt am Main: Suhrkamp, hier S. 193. Siehe zur Kritik Bourdieus vor allem Honneth, Axel (1984): Die zerrissene Welt der symbolischen Formen. Zum kultursoziologischen Werk Pierre Bourdieus. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 36, S. 146-164. 169 Znoj (1995), S. 50. 170 Lévi-Strauss, Claude (1974): Einleitung in das Werk von Marcel Mauss. In: Mauss, Marcel: Soziologie und Anthropologie I. Theorien der Magie. Soziale Morphologie, München/Wien: Hanser, S. 7-41. 171 Derrida (1993), passim.

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Entkleidet man seine Ausführungen dieser Einstellung und sieht sie lediglich als feinfühlige Annäherung an verschiedene vorkapitalistische Austauschsysteme, erkennt man, dass Mauss’ Beispiele allesamt zwei Kernelemente enthalten: (1) die Vermischung von Personen und bestimmten Gegenständen und (2) deren unaufhörliche, obligatorische Zirkulation. (1) Sowohl bei den Potlatsch-Festen der Kwakiutl, deren Ziel es ist, den Empfänger mit der Gabe zu ‚vernichten‘, ihm und seiner Gruppe die Ehre zu nehmen; beim Kularingtausch, bei dem die Teilnehmer bestrebt sind, durch das Erlangen der Muschelarmreifen und -halsketten ihr Ansehen zu steigern sowie beim Geschenkaustausch werden die im modernen Recht auseinandergetretenen Bereiche der Personen und der Dinge miteinander vermischt: Die Dinge erscheinen als Verlängerung der Personen oder gar als Träger der Kräfte, die einer Person zugeschrieben werden. Diesen zentralen Gedanken aufgreifend kommt Godelier zu dem Schluss, die getauschten Dinge verblieben im Eigentum des Gebers, der lediglich die Nutzungsrechte abtrete.172 Weiner und im Anschluss an sie auch Gregory sprechen jeweils vom unveräußerlichen (inalienable) Charakter der Gabe,173 der die Personen dauerhaft an sie bindet und Znoj schlussfolgert, es handele sich beim Gabentausch um nicht-liquidierende Transaktionen, das heißt, die Schuld, die im Gabentausch entsteht, sei gewollt dauerhaft, Verpflichtung.174 Alle diese Autoren sehen in den Anthropomorphisierungsprozessen jedoch gleichsam prä-moderne Formen moderner Integrationsmechanismen und verbleiben so in dem von ihnen selbst kritisierten evolutionistischen Argumentationsmodus. Meiner Meinung nach ließen sich diese Ansätze Mauss’ weitaus fruchtbarer mit dem bereits oben angesprochenen Problem des Fetischs verbinden.175 Mauss verwendet in der bereits erwähnten Fußnote über den Begriff des 172 Godelier, Maurice (1999): Das Rätsel der Gabe. Geld, Geschenke, heilige Objekte, München: Beck, hier S. 65. 173 Weiner, Annette B. (1992): Inalienable possessions. The paradox of keeping-whilegiving, Berkeley: University of California Press. 174 Znoj (1995), passim. 175 Mauss eigenen Einwand gegen den Fetisch dürfte als dezidiert religionswissenschaftlicher zu verstehen sein, der ihm eine Übertragung des Begriffes auf andere Bereite wenn nicht verbietet, so doch zumindest weniger in Erwägung ziehen lässt. Siehe zu seinen Bedenken: Mauss, Marcel (1969e): Resume de cours (1906-1907). In: Karady,Victor (Hg.): Œuvres II, Paris: Minuit, S. 244-245. Siehe hierzu auch die folgende Stelle: „De ce fait, nous concluons déjà qu’il est nécessaire de remplacer, pour toute l’Afrique, la notion de fétiche par celle de mana“, in Hubert, Henri/Mauss, Marcel (1929): Préface. In: Hubert/Mauss: Mélanges d’Histoire des Reli-

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Geldes nicht zufällig den Begriff „richesses condensées“176, „verdichtete Reichtümer“, und kommt damit unserer konzeptuellen Bestimmung des Fetischs als semiotisch überdeterminiertem Objekt („condensées“), dessen Besonderheit und Singularität zugleich betont wird („richesses“), recht nah. Auch bei der Analyse seiner Beispiele verwendet Mauss immer wieder Kennzeichnungen und Begriffe, die eine derartige Lesart nahelegen. Zum Beispiel spricht er im französischen Original von „ces vaygu’a sont animes d’une sorte de mouvement circulaire“ 177, „vaygu’a ne sont pas choses indifférentes […]“178 und über das „monnaie de Fiji“ schreibt er: „[…] elle est complétée par des pierres (mères des dents) et des ornaments, sortes de ‚mascottes‘, talismans et ‚porte-bonheur‘ de la tribu. Les sentiments nourris par les Fijiens a l’égard de leurs tambua sont exactement les mêmes que ceux nous venons de décrire: On les traite comme des poupées; on les sort du panier, les admire et parle de leur beauté; on huile et polit leur mère.“179

Es ist unnötig, Mauss’ eigene Ausführungen zum Geld, in denen sich wiederholt die Nähe zum Fetischbegriff andeutet, erneut zu wiederholen, da die Häufigkeit, ja Redundanz, derartiger Stellen es nahelegt, in Mauss’ Gabentheorie eine implizite Theorie fetischistischer Objekte auszumachen 180 und den Fokus der Interpre-

gions, Paris: Félix Alcan, S. I-XLII, hier S. XX; [„Daraus schließen wir, dass es für ganz Afrika notwendig ist, den Begriff des Fetisch durch den des mana zu ersetzen.“] Victor Turners Leugnung der Nähe seines Konzepts des „dominant symbols“, das er als „unification of disparate signification“ bezeichnet, zum Fetischbegriff dürfte ebenfalls einer übertriebenen ‚political correctness‘ entspringen, siehe Turner, Victor (1967): Forest of Symbols, Ithaca: Cornell University Press, hier S. 28. 176 Mauss (2007), hier S. 109, Fußnote 2; Mauss (1990), S. 57, Fußnote 29. 177 Mauss (2007), S. 111. In der deutschen Übersetzung wird „sont animes“ mit „wandern“ übersetzt, siehe Mauss (1990), S. 59. 178 Mauss (2007), S. 113; Mauss (1990), S. 60. 179 Mauss (2007), S. 128; Mauss (1990), S. 73 f. 180 Lojkine, Jean (1989): Mauss et l’Essai sur le don. Portée contemporaine d’une étude anthropologique sur une économie non marchande. In: Cahiers Internationaux de Sociologie 86, S. 141-158 und Taussig, Michael T. (1993): Maleficium: State Fetishism. In: Apter, Emily/Pietz, William (Hg.): Fetishism as Cultural Discourse, Ithaca: Cornell University Press, S. 217-250 stellen löbliche Ausnahmen in der Rezeptionsgeschichte des Gabeessays dar. Lojkine versucht sich an einer ökonomischen

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tation des Essays von einer theoretischen Auseinandersetzung mit verschiedenen Transaktionsformen auf die Analyse derartiger Objekte zu verschieben, die prägnant beschrieben solche sind, die man besitzen möchte, weil sie das Gefühl von Stärke, Macht, Schönheit und Kraft vermitteln – mit anderen Worten: Kristallisationen von sozialer Macht sind. Ob die Objekte selbst nun als Gaben oder Geld bezeichnet werden, scheint Mauss dabei kaum zu interessieren. (2) Zweitens besteht in allen ethnographischen und historischen Beispielen – außer desjenigen des Geschenkeaustausches in der Moderne – der Zwang, bestimmte Güter unendlich zirkulieren zu lassen.181 Liest man Mauss’ Text vor diesem Hintergrund, fällt auf, dass er an vielen Stellen nicht von Tausch, Reziprozität oder der Gabe spricht,182 sondern von Zurschaustellung und vor allem immer wieder von Zirkulation: „Le pari est encore de nos jours un reste de ces droits et de cette morale. Il n’engage que l’honneur et le crédit, et cependant fait circuler de richesses“183, „[…] circulation obligatoire des richesses, tributs et dons […]“184 und „[…] la circulation de ces signes de richesse est incessante et infaillible“185. Mauss berichtet zudem wie Männer ihre Frauen schmücken, um ihre „objets de parade“ auszustellen und ähnliches.186

Fetischismustheorie außerhalb der Tradition des marxschen Warenfetischismus und Taussig betont die konstitutive Rolle des Fetischbegriffs in Durkheims Theorie. 181 Sicherlich zirkuliert beim modernen Geschenkeaustausch jedoch Anerkennung, die durch den Akt des Schenkens vermittelt wird. 182 Der Begriff der Reziprozität kommt nur an einer einzigen Stelle vor. Er verkennt im Grunde gar die Einheit von Gabe, Annahme und Weitergabe als unterschiedliche Manifestationen eines zugrundeliegenden Zwangs zur unendlichen Zirkulation. 183 Mauss (2007), Fußnote 1, Herv. M.S.; Mauss (1990), S. 86, Fußnote 131. 184 Mauss (2007), S. 86, Herv. M.S.; Mauss (1990), S. 35. 185 Mauss (2007), S. 112, Herv. M.S.; Mauss (1990), S. 59. 186 Mauss (2007), Fußnote 1; Mauss (1990), S. 59, Fußnote 30. Dieser Ideenstrang wird lediglich in einem recht unbeachteten Artikel von Foster aufgegriffen, der den bezeichnenden Titel Dangerous Circulation and Revelatory Display: Exchange Practices in a New Ireland Society trägt. Er schreibt: „I propose that the answer to this question first requires thinking of exchange transactions as specific instances of revelatory display. Through the display of objects, agents constitute and communicate knowledge about themselves to others“, siehe Foster, Robert J. (1993): Dangerous Circulation and Revelatory Display: Exchange Practices in a New Ireland Society. In: Fajans, Jane (Hg.): Exchanging Products: Producing Exchange, Sydney: Sydney University Press, S. 15-31, hier S. 23. Die Zirkulation wird auch von Akin und Rob-

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Zunächst scheint es, dass der nordwestamerikanische Potlatsch eine Ausnahme dieses Zirkulationszwangs darstellt. Liegt der Fokus hier nicht ausschließlich auf Zerstörung und Aufbewahrung sakraler Objekte? Bei Relektüre der Texte Boas’ wird jedoch recht schnell deutlich, dass auch und gerade innerhalb der durch kolonialen Kontakt durch Krisen destabilisierten Gesellschaften der Nordwestküstenindianer, Objekte dem Zwang unterliegen, zu zirkulieren.187 Nicht nur sei die Zerstörung von wertvollen Kupferplatten ein eher selten zu beobachtendes Phänomen, sie geschähe auch mit dem Zweck, die einzelnen Teile zu einem späteren Zeitpunkt wieder zusammenzusetzen.188 Auch die so prestigeträchtigen Namen und Ränge werden in der postkolonialen Phase – gekennzeichnet durch ein durch Epidemien und kriegerische Auseinandersetzungen entstandenes Überangebot an diesen ‚Prestigeobjekten‘189 – anstatt, wie traditionell, während des Heiratsfestes zwischen Mann und Frau, zunehmend auch während konstruierter Hochzeiten zwischen einzelnen Körperteilen ‚weitergegeben‘. Dies geschieht aus einem einfachen Grund: Sie müssen weitergegeben werden. Geschieht dies nicht, drohen sie für immer verloren zu gehen.190 Zudem macht Christopher F. Roth in seiner hervorragenden Analyse des Tsimshian Potlatsch darauf aufmerksam, dass die Weitergabe von Namen und Rängen, die sich in den von Mauss mit dem Begriff „sacra“191 bezeichneten Objekten materialisieren, von der Zirkulation nicht-sakraler Objekte abhängig ist.192 bins (1999) in den Vordergrund gestellt. Folgerichtig nutzen sie anstelle des Begriffes ‚Geld‘ den Begriff ‚currency‘. 187 Siehe u.a. Boas, Franz (1897): The Social Organization and the Secret Societies of the Kwakiutl Indians. In: Report of the U.S. National Museum for 1895, Washington: Government Printing Office, S. 311-738 sowie Boas, Franz (1966): Kwakiutl Ethnography, Chicago/London: University of Chicago Press. Zur Rolle des Kolonialismus vgl. Masco, Joseph (1995): „It is a strict Law that bids us dance“: Cosmologies, Colonialism, Death, and Ritual Authority in the Kwakwaka’wakw Potlatch, 1849 to 1922. In: Comparitive Studies in Society and History 37, S. 41-75. 188 Boas (1966), S. 94: „In by far the greater number of cases where coppers are broken the copper is preserved.“ 189 Siehe Codere, Helen (1961): Kwakiutl. In: Sapir, Edward S. (Hg.): Perspectives in American Indian culture change, Chicago: University of Chicago Press, S. 431-516 und Codere, Helen (1950): Fighting with Property. A Study of Kwakiutl Potlatching and Warfare, 1792-1930, New York: J.J. Augustin. 190 Masco (1995), S. 47. 191 Mauss (2007), S. 161; Mauss (1990), S. 105. 192 Roth, Christopher F. (2002): Goods, Names, and Selves: Rethinking the Tsimshian Potlatch. In: American Ethnologist 29, S. 123-150.

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Die bei den Festen vollzogene Übergabe von Objekten, zumeist besonders nutzlose Waren, an Angehörige anderer ‚numayma‘ (lineages) etabliere eine Überlegenheitsbeziehung des ‚Hauses‘ des Gastgebers gegenüber desjenigen der Gäste. Dies könne jedoch nur gelingen, wenn sie eine Äquivalenzbeziehung mit den sakralen Gütern eingehen, die diese ‚numayma‘ verkörpern. Nicht nur kann das Herbeiführen einer derartigen Äquivalenz zum Verkauf identitätsstiftender Namen, Gesänge und Gegenstände führen. Es zeigt auch, dass die Zirkulation der banalen Alltagsobjekte es allererst ermöglicht, dass die sakralen Gegenstände nicht außerhalb des ‚Hauses‘ zirkulieren müssen und ihre identitätsstiftende Bedeutung weiterhin ausüben können. Die identitätsstiftenden Namen werden demnach weder neu ‚erworben‘ noch formal ‚bestätigt‘,193 sondern gleichsam, nachdem man sie feilgeboten hat, wieder erworben. Wir sehen hier jene Mechanismen am Werk, die wir bereits bei der Analyse des kapitalistischen Geldsystems beobachten konnten: Prozesse der Homogenisierung und Fragmentierung. Es ist notwendig für die sakralen Objekte, sich den nicht-sakralen Objekten anzupassen, entäußerbar zu werden, um wieder in sich zusammen fallen zu können und unveräußerlich zu bleiben. Die beiden Kreisläufe empirischer und ritueller Werte müssen sich vorübergehend kreuzen, um anschließend wieder auseinanderdriften zu können. Was allen Beispielobjekten Mauss’ gemein ist, sind demnach: (1)

(2)

Die Unhintergehbarkeit ihrer Notwendigkeit, die Tatsache, dass ihre Existenz und der Zwang ihrer Zirkulation nicht hinterfragt, ihnen gar magische Eigenschaften zugeschrieben werden, kurz: ihr fetischistischer Charakter. Ihre ambivalente und repetitive Bewegungsstruktur. Sie unterliegen dem Verdikt, sich simultan homogenisieren, konzentrieren, verdichten sowie die gesamte Gesellschaft durchdringen, sich fragmentieren zu müssen.

Selbst der „aristokratische Handel“194 der Trobriander besitzt, konträr zur allgemeinen Lesart, jene beiden Eigenschaften. Malinowski beschreibt „customary payments“195, bei denen zwischen Brüdern kostbare ‚vaygu’a‘ ausgetauscht werden und beobachtet, dass die auf einer Überseeexpedition erworbenen Wertgegenstände direkt an Verwandte weitergegeben werden – mit anderen Worten:

193 Siehe zu einer derartigen Kritik an Boas Kammler, Henry (2009): Der Nordwestküsten-Potlatsch aus wissenskultureller Perspektive. In: Paideuma 55, S. 201-219. Boas habe es verpasst, sinnvollerweise von „bestätigen“ statt „erwerben“ zu sprechen. 194 Mauss (1990), S. 55. 195 Malinowski (1966), S. 180.

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zirkulieren müssen.196 Außerdem werden die ‚vaygu’a‘ auch bei zahlreichen alltäglichen Transaktionen getauscht. Sie sind Zahlungsmittel für bestimmte Dienstleistungen, die selbst wieder den Status des Häuptlings unterstreichen: „He [der Häuptling, M.S.] enjoys many personal services, such as being carried about on his journeys, sending people on errands, having all forms of magic performed for him. For such services, rendered by retainers and picked specialists, a chief must pay immediately, sometimes in Vaygua, sometimes in food, more especially in pigs, coconuts and betel nuts.“197

Nachdem ich gezeigt habe, dass sowohl Geld als auch Gabe, ebenso modernes wie primitives Geld sich durch den Widerspruch auszeichnen, als Fetische zirkulieren und nicht zirkulieren zu müssen, scheint es dem Untersuchungsgegenstand angemessen, die Grenze zwischen den beiden Objektklassen ‚modernes‘ und ‚primitives‘ Geld, Geld und Gabe, wenn nicht aufzulösen, so doch zumindest aufzuweichen: Die Gabe ist schon immer Geld gewesen.

‚Totale soziale Tatsachen‘, ‚totale soziale Phänomene‘ und ‚totale soziale Objekte‘ – Georges Balandiers Präzision der mausschen Kategorien Im Anschluss an unsere Analyse, die die Bedeutung zirkulierender Fetische für die Reproduktion der Gesellschaft in den Vordergrund der Gabendebatte rückt, sehe ich eine bisher unbeachtete Möglichkeit der Lektüre des Konzepts der ‚faits sociaux totaux‘, das von Gofman treffend als „vague but suggestive“ 198 beschrieben wurde und nun einer genauen Interpretation unterzogen werden soll, um so die gemeinsame Natur von Geld und Gabe als ‚totale soziale Objekte‘ herausstellen zu können. In der Rezeptionsgeschichte des Essays über die Gabe lassen sich verschiedene Interpretationsansätze ausmachen, die zum Verständnis des Begriffes ‚total‘ entwickelt wurden.199 Zunächst, und das ist sicherlich die

196 Ebd. S. 472 ff. 197 Malinowski (1921), S. 10, Herv. M.S. 198 Gofman, Alexander (1998): A vague but suggestive concept. The ‚total social fact‘. In: James, Wendy/Allen, N.J. (Hg.): Marcel Mauss: A centenary tribute, New York: Berghahn, S. 63-70. 199 Die Annahme, dass es sich allein um ein methodisches Konzept handelt, schließe ich an dieser Stelle aus. Gofman (1998), hier S. 67 f., Herv. M.S., schreibt mit Bezug

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weitverbreitetste, mithin wissenschaftlich anerkannte Interpretation, handelt es sich bei ‚faits sociaux totaux‘ um jene gesellschaftlichen Phänomene, die verschiedene ‚Subsysteme‘ einer Gesellschaft betreffen. Sie seien also gleichermaßen von ökonomischer, juristischer, ästhetischer, moralischer und morphologischer Bedeutung. Eine derartige Lesart ist besonders verführerisch, da sie eine breite Anwendung des Konzepts auf moderne gesellschaftliche Phänomene ermöglicht. Dass Mauss mehr im Sinne hat als dies, wird jedoch deutlich, wenn man seine ablehnende Haltung gegenüber dem Begriff ‚generaux‘ mit in die Interpretation einbezieht,200 der jenen Sinn, den die verbreitete und allgemein akzeptierte Interpretation annimmt, weitaus präziser gefasst hätte. Während ‚generaux‘ ein extensives Ganzes beschreibt, bezieht sich ‚totaux‘ auf ein intensives. Elemente in einem allgemeinen besitzen zufällige, Elemente in einem totalen Ganzen hingegen notwendige Beziehungen zueinander. Aufgrund des wohlbegründeten Verdachts gegenüber jedem Holismus innerhalb der Ethnologie bevorzugen die meisten Interpretationen den extensiven Begriff.201 Dies geschieht unter anderem, um Mauss’ Theorie nicht unnötigerweise einen veralteten Kulturbegriff zu unterstellen.202 Dennoch: Interpretiert man die ‚totalen sozialen

auf Gurvitch treffend über die Konsequenzen einer methodologischen Interpretation des Begriffs: „This ambiguity is seen especially in the demand that one consider all aspects of social phenomena at once, simultaneously, as in the conception of total phenomena proposed by Georges Gurvitch. Here, the ‚totalising‘ approach to objects of study can only be realised by means of a purely emotional or quasi-mystical process […].“ 200 Vgl. Mauss (2007), S. 241; Mauss (1990), S. 176: „Les faits que nous avons étudies sont tous, qu’on nous permette l’expression, des faits sociaux totaux ou, si l’on veut – mais nous aimons moins le mot – généraux: c’est-a-dire qu’ils mettent en branle dans certain cas la totalité de la société et de ses institutions […].“ 201 Diese Interpretation wird vor allem von der folgenden Passage gestützt: „Dans ces phénomènes sociaux ‚totaux’, comme nous proposons de les appeler, s’expriment à la fois et d’un coup toutes sortes d'institutions: religieuses, juridiques et morales – et celles-ci politiques et familiales en même temps; économiques – et celles-ci supposent des formes particulières de la production et de la consommation, ou plutôt de la prestation et de la distribution; sans compter les phénomènes esthétiques auxquels aboutissent ces faits et les phénomènes morphologiques que manifestent ces institutions.“ Siehe Mauss (2007), S. 66; Mauss (1990), S. 17 f. 202 Im Gegenteil stilisieren Vertreter eines relationalen Kulturbegriffs Mauss gar zu ihrem Ahnen. Siehe Haesler, Aldo (2006): Relation – Zur Einübung in einen Begriff eines künftigen kritischen Interaktionismus. In: Moebius, Stephan/Papilloud, Chris-

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Phänomene‘ im üblichen Sinne, gerät das Problem, das Mauss an zentralen Stellen seines Essays umtreibt, in Vergessenheit: Wie kann eine Austauschbeziehung zwischen zwei Parteien eine Gesellschaft reproduzieren, wie kann hier die „Gesellschaft selbst in actu“203 sein und wie eine „Fixierung“ der „hiérarchie des familles et des clans“204 gelingen? Mauss gibt in der folgenden Passage eine vage Andeutung: „Il y a prestation totale en ce sens que c’est bien tout le clan qui contracte pour tous, pour tout ce qu’il possède et pour tout ce qu’il fait, par l’intermédiaire de son chef.“205 Diese, sich auf den Potlatsch beziehende, Passage suggeriert, dass die Reproduktion sich durch eine Implosion des ganzen Clans im Häuptling vollzieht. Unklar bleibt jedoch, wie diese Kontraktion erreicht und legitimiert wird. Bei Lévi-Strauss findet sich eine der geistreichsten Lösungen dieses zentralen Problems in der Debatte um die totale soziale Tatsache. Er hypostasiert diese, ein Taschenspielertrick unken Widersacher, zum die Kontraktion eigenständig organisierenden Akteur: „Sie [die totale soziale Tatsache, Anm. M.S.] muß die eigentlich soziologische Dimension mit ihren vielfältigen synchronischen Aspekten, die historische oder diachronische Dimension und die physio-psychologische Dimension zur Koinzidenz bringen. Diese dreifache Annäherung kann sich nun allein in Individuen vollziehen.“206

tian (Hg.): Gift – Marcel Mauss’ Kulturtheorie der Gabe, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 313-344. 203 Merlau-Ponty, Maurice (1986): Von Mauss zu Claude Lévi-Strauss. In: Métraux, Alfred/Waldenfels, Bernhard (Hg.): Leibhaftige Vernunft. Spuren von MerleauPontys Denken, München: Fink, S. 13-28, hier S. 16. 204 Mauss, Marcel (1921): Une forme ancienne de contrat chez les Thraces. In: Revue des études grecques 34, S. 388-397. 205 Mauss (2007), S. 73; Mauss (1990), S. 24. 206 Lévi-Strauss (1974), S. 20, Herv. M.S. Mauss selbst spricht von einer die Grenzen der Moral überschreitenden „morale publique“, die „[…] règne en effet dans toutes sortes de faits que nous avons contribué à identifier, et que nous avons l’habitude de nommer ‚totaux’, car ils assemblent tous les hommes d’une société et même les choses de la société à tous points de vue et pour toujours.“ Siehe Mauss, Marcel (1934): Fragment d’un plan de sociologie générale descriptive – classification et méthode d’observation des phénomènes généraux de la vie sociale dans les sociétés de types archaïques (phénomènes généraux spécifiques de la vie intérieure de la société), Annales sociologiques, série A, fascicule I, Première partie: Phénomènes généraux de la vie intrasociale, Paris, S. 1-56; [„öffentliche Moral“; „(…) herrscht tatsächlich in allen Fällen von Tatsachen, die wir identifiziert haben und die wir der Gewohnheit

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Die totale soziale Tatsache wird also für Lévi-Strauss zu einem das Individuum überschreitenden, verschiedene, mitunter widersprüchliche Teilmomente der Gesellschaft zusammenführenden Akteur, jenen universellen, im menschlichen Gehirn verortbaren Denkmustern. An verschiedenen Stellen des Essai sur le don wird deutlich, dass auch Mauss methodisch wie theoretisch den Vorrang des Ganzen vor seinen Teilen propagiert. Dies zeigt sich unter anderem in der hegelianisch geprägten Verwendung des Begriffs des Konkreten.207 Das Konkrete ist die Gesamtheit des gesellschaftlichen Systems und die von ihr hervorgebrachten Phänomene und Objekte, die wiederum die ‚Totalität‘ reproduzieren („mettent en branle dans certain cas la totalité de la société et de ses institutions“208) und nicht das empirisch zersplitterte Abstrakte oder dessen Relationen untereinander. Die im folgenden Zitat geschaffene Analogie verdeutlicht Mauss’ eigentliche Idee: „Tout, dans une société, même les choses les plus spéciales, tout est, et est avant tout, fonction et fonctionnement; rien ne se comprend si ce n’est par rapport au tout, à la collectivité tout entière et non par rapport à des parties séparées. Il n’est aucun phénomène social qui ne soit partie intégrante du tout social. Il l’est non seulement à la façon dont notre pied ou notre main ou même un viscère plus ou moins essentiel sont partie de nousmêmes, mais - quoique cette comparaison avec les fonctions physiologiques soit encore insuffisante et quoique l'unité des phénomènes sociologiques soit encore supérieure - à la façon dont un état de conscience ou une partie de notre caractère sont non pas une partie halber ‚total‘ nennen, denn sie versammeln alle Mitglieder ebenso wie die Dinge einer Gesellschaft aus allen Perspektiven und für immer.“] 207 Mauss (2007), S. 244, Herv. M.S.: „L’étude du concret, qui est du complet […].“ Mauss (1990), S. 179. Ganz deutlich wird dies ex negativo in einem Brief Maurice Halbwachs’ an Mauss: „Parmi ces pages, il y en a beaucoup qui m’ont paru de premier ordre et l’ensemble m’a vraiment secoué, moi qui ai l’esprit un peu trop tourné aux abstractions […] et a qui vous rendez vraiment service en me rappelant qu’il y a des touts concrets […]“, zitiert in Fournier (1994), S. 538, Herv. M.S.; [„Auf diesen Seiten gibt es viel, was mir als wichtige Anordnung erscheint und zusammen genommen erschütterte dies mich wahrlich, denn mein Geist scheint ein bisschen zu sehr zu Abstraktionen geneigt (…) und Sie erweisen mir wahrlich den Gefallen, mich daran zu erinnern, dass es konkrete Ganzheiten gibt (…).“] Siehe auch Mauss/Hubert (1902-03), S. 86; Mauss/Hubert (2012), S. 331: „Ses parties forment bien un tout. Mais l’unité du tout est encore plus réelle que chacune des parties. Car ces èlèments, que nous avons considèrès succesivement, nous sont donnès simultanement.“ 208 Mauss (2007), S. 241; Mauss (1990), S. 176.

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séparable de notre moi, mais nous même à un moment donné. Tout état social, toute activité sociale, même fugitive, doivent être rapportés à cette unité, à ce total intégré, d’un genre extraordinaire: total des corps distraits des hommes et total des consciences, séparées et cependant unies: unies à la fois par contrainte et volition, par fatalité et liberté.“209

Ein bestimmtes soziales Phänomen steht mit dem sozialen Ganzen nicht in einer Beziehung wie ein Fuß zum restlichen Körper. Ihre Relation ähnelt vielmehr derjenigen zwischen einem meiner Charakterzüge, der kein von mir abzuspaltendes Moment darstellt, und mir selbst in einer bestimmten Situation: sie sind identisch. Wenn nun eine soziologische Tatsache „[…] consistent en des manières d’agir, de penser et de sentir, extérieures à l’individu qui sont douées d’un pouvoir de coercition en vertu duquel ils s’imposent à lui“210, handelt es sich bei einer ‚totalen sozialen Tatsache‘ um eine solche, die „constitue la vie proprement sociale“211, das soziale Leben selbst schafft und in seiner Gesamtheit durchdringt. Während ein soziales Phänomen das soziale Ganze in einem seiner Momente aktualisiert, aktualisiert ein totales soziales Phänomen die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit.

209 Mauss, Marcel (1927b): Divisions et proportions des divisions de la sociologie. In: L’Année sociologique, S. 98-176, hier S. 139, Herv. M.S.; [„Alles in einer Gesellschaft, selbst spezifische Dinge, alles ist vor allem Funktion und alles funktioniert; nichts ist verständlich, wenn es nicht in Bezug auf das Ganze, auf die Kollektivität in ihrer Gesamtheit gesetzt wird, nicht einzig in Bezug auf getrennte Teile. Es gibt kein soziales Phänomen, das nicht Teil des sozialen Ganzen ist. Dies ist es jedoch nicht wie der Fuß oder die Hand oder sogar die Eingeweide mehr oder weniger essentielle Teile unserer selbst sind, sondern – obwohl dieser Vergleich mit den physiologischen Funktionen unzureichend und die Einheit der soziologischen Phänomene noch größer ist – in der Weise wie ein Bewusstseinszustand oder ein Teil unseres Charakters keine getrennte Teile unseres Selbst sind, sondern in einem gegebenen Moment wir selbst. Jeder soziale Zustand, jede soziale Aktivität, obgleich flüchtig, müssen zu dieser Einheit in Verbindung stehen, zu dieser integrierten Ganzheit außergewöhnlicher Art: eine Ganzheit zerstreuter Menschenkörper und eine Ganzheit der Bewusstseine, die obgleich getrennt, doch vereint sind: gleichwohl zwangsweise und freiwillig, aus Fatalität und Freiheit vereint.“] 210 Durkheim, Émile (1988): Les règles de la méthode sociologique, Paris: Flammarion, hier S. 97, im Original kursiv; Durkheim, Émile (1980): Die Regeln der soziologischen Methode, Darmstadt: Luchterhand, S. 107. 211 Mauss (2007), S. 66; Mauss (1990), S. 17 übersetzt „constitue“ fälschlicherweise mit „ausmacht“.

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Will man Mauss jedoch nicht missverstehen, ist es notwendig, zwischen den zugrundeliegenden ‚totalen sozialen Tatsachen‘ und ihren real erfahrbaren Äußerungen, den ‚totalen sozialen Phänomenen‘, zu unterscheiden. Dass der Begriff der sozialen Tatsachen keine sichtbaren Entitäten bezeichnet, wird in einem Kommentar von Henri Hubert deutlich: „[…] faits sociaux, qui sont, eux, difficiles à observer, puisqu’ils se passent en bonne partie dans l’inconscient ou qu’ils se traduisent dans la conscience en des termes qui la dénaturent pour les rendre intelligibles a la raison individuelle.“212 Für Mauss ist die ‚totale soziale Tatsache‘ das universelle und überzeitlich wie transkulturell gültige Ethos der Gabe, jenes „vaste système de prestations et de contre-prestations qui, en vérité, semble englober la totalité de la vie économique et civile“213, das sich in verschiedenen sozialen Phänomenen des Gebens und Nehmens, der Zirkulation und der Zurschaustellung offenbart. Wie wir im Folgenden sehen werden, begeht Mauss an dieser Stelle den folgenreichsten Fehler seiner Analyse. Das Ethos der Gabe gehört nicht der analytischen Ebene der Tatsache, sondern der des Phänomens an. Mauss gelingt es aufgrund dieser Verwirrung nicht, die jeweiligen Grundlagen, die je Kultur spezifische ‚totale soziale Tatsache‘ herauszuarbeiten – es scheint ihm schlichtweg nicht nötig.214 Der Autor, der den Begriff des ‚totalen sozialen Phänomens‘ am geistreichsten weiterentwickelte, ist Georges Balandier. In seinem nahezu komplett igno-

212 Hubert, Henri (1904): Introduction. In: Chantepie de La Saussaye, P.D.: Manuel d’histoire des religions, Paris: Armand Colin, S. XIII. Siehe zum Begriff der Institution bei Mauss den Artikel Fauconnet, Paul/Mauss, Marcel (1901): Sociologie. In: Grande Encyclopédie, Band XXX, Paris: Société anonyme de la Grande Encyclopédie, S. 165-175; [„(…) soziale Tatsachen sind schwierig zu beobachten, denn sie spielen sich zu einem großen Teil im Unbewussten ab oder sie kommen in Formen zum Vorschein, die sie bereits zu sehr verändert haben, um für den individuellen Verstand greifbar zu sein.“] Siehe auch Mauss eigene Bemerkungen zur unbewussten Wirkung ‚totaler sozialer Tatsachen‘ in: Mauss, Marcel (2012c): Über den Unterricht in der Religionsgeschichte der nichtzivilisierten Völker. In: Mauss, Marcel: Schriften zur Religionssoziologie, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 225238. 213 Mauss (2007), S. 119; Mauss (1990), S. 66. 214 Dies erklärt auch die ihm häufig vorgeworfene Vernachlässigung des geschichtlichen Kontexts. Reziprozität ist eben keine „generalized moral norm“ wie es auch in Gouldners Analyse heißt. Siehe Gouldner, Alvin W. (1960): The Norm of Reciprocity: A Preliminary Statement. In: American Sociological Review 25, S. 161178, hier S. 161.

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rierten Artikel Phénomènes sociaux totaux et dynamique sociale 215 und einigen weiteren, ebenfalls weitestgehend übersehenen Arbeiten nimmt er an, dass koloniale Situationen als ‚totale soziale Tatsachen‘216 eine mögliche Grundlage für die Entstehung ‚totaler sozialer Phänomene‘ sein können, historisiert so Mauss’ Begriff und wird damit dessen von Durkheim übernommener Forderung, Soziales nur mit Sozialem zu erklären, gerecht. Balandier geht davon aus, dass der Einfluss moderner Ökonomien nicht in eine Auflösung oder Destabilisierung traditioneller Gesellschaften mündet, jedoch häufig dazu führt, dass systemimmanente Instabilitäten realiter erfahrbar werden.217 Er analysiert zur empirischen Untermauerung seiner These die Institutionen des ‚bilaba‘ bei den zentralafrikanischen Fang und die des ‚malaki‘ bei den Bakongo. An dieser Stelle soll es genügen, ausführlicher den Ablauf, die Funktion und den Ursprung des ‚bilaba‘ der Fang zu skizzieren. Beim ‚bilaba‘ treffen zwei einflussreiche Personen zu einem umfassenden Austausch von Gütern und Worten („échange de cadeaux“218) aufeinander. Einer der beiden Teilnehmer nimmt als Begünstigter, der andere als spendabler Geber an diesem teil. Sie werden entlang folgender binärer Gegensatzpaare eingeteilt: Norden Süden

Rechts Links

Männlich Weiblich

Außen Innen

Handelsgüter Traditionelle Güter

Ganz ähnlich wie bei einem Potlatsch wird nun ein antagonistisches Spiel von Gaben und Gegengaben eröffnet, das nicht nur von einem verschwenderischen

215 Balandier, Georges (1961): Phénomènes sociaux totaux et dynamique sociale. In: Cahiers internationaux de sociologie 30, S. 23-34. Eine löbliche Ausnahme bildet Farrugia, Francis (2006): Das ‚soziale Totalphänomen’. Ein totemistischer Begriff – Marcel Mauss als Legitimationsfigur der französischen Universitäten nach dem Zweiten Weltkrieg. In: Moebius, Stephan/Papilloud, Christian (Hg.): Gift – Marcel Mauss’ Kulturtheorie der Gabe, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 215-245. 216 Balandier, George (1963a): Sociologie Actuelle de L’Afrique Noire. Dynamique Sociale en Afrique Centrale, Paris: PUF, hier S. 35. 217 Balandier, George (1973): Traditional Social Structure and Economic Change. In: Alexandre, Pierre (Hg.): French perspectives in African studies. A collection of translated essays, London: Oxford University Press for the International African Institute, S. 121-134. 218 Balandier (1961), S. 25; [„Geschenkeaustausch“].

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Konsum verschiedener Nahrungsmittel und Palmwein, sondern auch von wüsten Beschimpfungen und Beleidigungen („lutte d’injures“219) sowie Tänzen begleitet wird. Die beiden Kontrahenten versuchen, sich in diesem „economodrame“220 gegenseitig durch Erhöhung ihrer Einsätze auszustechen. Während der mit dem „Inneren“ assoziierte Teilnehmer vor allem Subsistenz- und unbearbeitete Handelsgüter einsetzt, kontert der andere, mit dem „Außen“ identifizierte, mit industriell angefertigten Gütern und traditionell als Brautgeld verwendeten Eisenstäben. Balandier nützt in seinem, von ihm selbst als „monströs“ bezeichneten, Neologismus „economodrame“ den doppelten Sinn des Wortes Drama. Beim ‚bilaba‘ steht nicht nur das Wohlbefinden der beiden Hauptkontrahenten und ihrer jeweiligen Lineage auf dem Spiel, sondern es wird auch in einer Art therapeutisch-kathartischen Aufführung versucht, neu entstandene Widersprüche von traditioneller und monetärer Ökonomie innerhalb der Kultur zeremoniell miteinander in Einklang zu bringen; sie miteinander zu „vermählen“ 221. Die Teilnehmer führen ihr soziales System als Theaterspiel auf und versuchen so, reale Widersprüche akzeptierbar zu machen: „Ces manifestations totales servent non seulement à ‚exposer‘ le système social – en le jouant en quelque sorte sur la place publique –, elles ont aussi une efficacité thérapeutique. Elles tentent de maîtriser les antagonismes à mesure qu'ils paraissent […].“222 Interessant ist nun für unse219 Ebd. S. 25; [„Spiel der Beleidigungen“]. 220 Ebd. S. 31. 221 Ebd. S. 34: „‚mariage‘ des contradictions“. Die Fähigkeit von Krisensituationen, neue gesellschaftliche Institutionen hervorzubringen, wird auch von Mauss selbst betont: „Que ce soit dans les moments de vie en collectivité que les nouvelles institutions naissent, que ce soit dans les états de crise que plus particulièrement elles se forment […], qui est désormais incontestable.“ Siehe Mauss, Marcel (1969c): La cohésion sociale dans les sociétés polysegmentaires. In: Karady,Victor (Hg.): Œuvres III. Cohésion sociale et division de la sociologie, Paris: Minuit, S. 11-27; [„Dass eben in denjenigen Situationen des Lebens, die sich durch Kollektivität auszeichnen, neue Institutionen geboren werden, dass sie sich eben vor allem in Situationen der Krise bilden (…), das ist von jetzt an nicht anzuzweifeln.“] 222 Ebd. S. 34; [„Diese totalen Manifestationen dienen nicht allein der Offenlegung des sozialen Systems – dadurch dass sie in der Öffentlichkeit stattfinden –, sie haben auch einen therapeutischen Effekt. Sie versuchen die Widersprüche, so wie sie hervorgebracht werden, angemessen zu zähmen (…).“] Mauss spricht an einigen Stellen davon, dass man diese „Zähmung“ (bei Mauss dann: „paix“) „kaufen“, das heißt auch: „Bezahlen“, im Sinne des Verzichts, muss, siehe Mauss (2007), S. 97; Mauss (1990), S. 45.

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re Zwecke, zu welcher Zeit und in welchem Kontext ‚bilaba‘ entstand. Es entwickelt sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert als durch zunehmendes Bevölkerungswachstum und Handel aggressive Konflikte über die Verteilung der durch den florierenden Sklavenhandel in das Gebiet gepumpten Güter um sich greifen. Der ‚bilaba‘ wird folgerichtig von Balandier als „une réponse positive à une situation dangereuse“223 bezeichnet, da er die Zirkulation und Verteilung von Gütern regelt und so destabilisierende Thesaurierungen verhindert und aufflammende Antagonismen in Harmonie miteinander bringt: „Elles [‚bilaba‘ und ‚malaki‘, Anm. M.S.] sont établies, nous l’avons montré, sur des antagonismes contenus grâce à elles, en raison même de leur fonctionnement qui transforme ceux-ci en antagonismes organisateurs. Elles sont sensibles à toute conjoncture qui menace les équilibres établis et elles permettent aux ajustements nouveaux de se réaliser.“224

Balandier interessiert sich demnach weniger für die Relationen zwischen einzelnen sozialen Phänomenen, sondern für diejenigen zwischen diesen und ihrer Ursache, in diesem Fall die neue ökonomische und politische Situation des 18. Jahrhunderts („la relation entre phénomènes sociaux totaux et dynamique sociale totale“225), und die Missverhältnissen, die durch Übersetzungen zwischen beiden immer wieder neu entstehen und kommt so einer den Widerspruchscharakter betonenden Bestimmung der totalen sozialen Tatsache am nächsten.226 Balandier hebt in einem kurzen Artikel zu Mauss und mit Bezug auf Gurvitchs Verständnis des ‚totalen sozialen Phänomens‘ hervor, dass eine derartige Lesart Mauss’ „les explications causales simplistes“ ausschließe und eine treffende Analyse dieser

223 Ebd. S. 28; [„eine positive Reaktion auf eine gefährliche Situation“]. Es scheint müßig, hier auf die Ähnlichkeit zu der von uns analysierten ebenso wie zu der Situation bei den Tiv hinzuweisen. 224 Ebd.; [„Sie werden von, wie wir es gezeigt haben, in ihnen enthaltenen Antagonismen gestützt, dank ihnen, aufgrund ihres Betriebs, der sie in AntagonismenOrganisatoren transformiert. Sie sind anfällig für jede Situation, die die etablierten Gleichgewichte bedroht und sie ermöglichen neue Anpassungen.“] 225 Balandier (1963a), S. 503; [„das Verhältnis zwischen sozialen Totalphänomenen und der sozialen Totaldynamik“]. In unserem Fall ist die „soziale Totaldynamik“ die Kontaktsituation und das Infragestellen überlieferter Rechtfertigungsordnungen. 226 Natürlich gilt es an dieser Stelle zu betonen, dass die Ursache selbst sozialen Charakter besitzt. In diesem Falle handelt es sich um die Verschränkung von traditioneller und monetärer Ökonomie. Diese Triebfeder muss jedoch als solche den Beteiligten nicht bewusst sein.

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„‚paliers en profondeur‘ du social“227 ermögliche. Es lohnt sich, kurz bei dieser Metapher des ‚Dekompressionsstopps‘ zu verweilen. Während ein Taucher bei der Rückkehr aus den Tiefen des Ozeans notwendigerweise einige Stopps einlegen muss, in denen das im Organismus angesammelte Gas langsam abgeatmet wird, um ein gefahrloses Wiederauftauchen zu ermöglichen, kontrahieren Gesellschaften unter dem Druck destabilisierender Situationen in bestimmten Institutionen und versuchen so, ‚Dampf abzulassen‘. Mit anderen Worten: Eine ‚totale soziale Tatsache‘ ist für Balandier eine widersprüchliche Konstellation der Gesellschaft, die sich in ‚totalen sozialen Phänomenen‘, die mit eben jener Widersprüchlichkeit ringen, niederschlägt und verdichtet: „Ils ont aussi une efficacité que l’on pourrait qualifier de thérapeutique, car ils visent à contrôler ou corriger des antagonismes graves, des conflits potentiels ou actuels.“228 Eine ähnliche, wenn auch stark agitatorische Auslegung des Gabeessays entzündete sich innerhalb des College de Sociologie.229 Die Mitglieder dieser von Bataille gegründeten Vereinigung verstehen Mauss’ Analyse als Ausgangspunkt einer Kritik der in der westlichen Gesellschaft vorherrschenden Individualisierung und Vereinzelung und vermeinen, aus Mauss’ Bemerkungen die politische Notwendigkeit, den Zusammenhalt der Gesellschaft in kollektiv geteilten Erfahrungen explizit zu aktualisieren, ableiten zu können.230 Mauss jedoch teilt die positive Grundstimmung gegenüber derartigen Prozessen der originären Vergesellschaftung – wie sie vor allem von den Mitgliedern des College de Sociologie gelehrt und von der durch Bataille gegründeten Acéphale-Gruppe gelebt wurden – nicht.

227 Balandier, Georges (1996): Marcel Mauss, un itinéraire scientifique paradoxal. In: Revue européene des sciences sociales 34, S. 21-25, hier S. 23; [„einfache Kausalerklärungen“; „soziale Dekompressionsstops“]. 228 Balandier (1961), S. 30; [„Sie besitzen ebenfalls eine Wirkung, die man als therapeutisch bezeichnen könnte, denn sie zielen darauf ab, ernste Widersprüche, sowie potentielle oder aktuelle Konflikte zu kontrollieren oder zu korrigieren.“] 229 Vgl. zur Geschichte des College de Sociologie Moebius, Stephan (2006): Die Zauberlehrlinge. Soziologiegeschichte des Collège de Sociologie (1937-1939), Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft. 230 Der Bezug zu Durkheims Begriff der „kollektiven Efferveszenz“ liegt auf der Hand. Vgl. dazu Moebius, Stephan (2006): Über die kollektive Repräsentation des Lebens und des Sakralen: die Verknüpfung von Durkheim und Nietzsche in Geschichte und Gegenwart der Soziologie und Kulturanthropologie. In: Rehberg, Karl-Siegbert (Hg.): Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel, Frankfurt am Main: Campus.

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Er bewertet sie vielmehr als irrationalistisch und gefährlich.231 Dass seine Überlegungen zum Thema vielmehr ideologiekritisch gelesen werden sollten, verdeutlicht einerseits die bereits angedeutete, im Kern politisch motivierte Ablehnung des innerhalb des College de Sociologie ausgearbeiteten Begriffs des ‚Sakralen‘ sowie andererseits seine Bemerkungen zum Thema des Zusammenhangs von Individuum und Gesellschaft.232 So versteht er unter einem „totalen Menschen“ einen solchen, der „nicht Herr seiner selbst“ sei und „instinkthaft“ „in seinem ganzen Wesen von der geringsten seiner Wahrnehmungen oder durch den geringsten mentalen Schock affiziert“ 233 werde. Mit welchem Recht solche Anmerkungen einer positiven Evaluierung eines ‚l’homme total‘234 außerhalb rein methodischer Überlegungen zugrunde liegen können, ist demnach zunächst unklar. Eine Parallelisierung ermöglicht jedoch folgende vorläufige Definition: Ein ‚totales soziales Phänomen‘ wäre dann ein solches, das (1) in besonderem Maße dazu fähig ist, einen derartig prägenden Einfluss auf das Individuum auszuüben und (2) durch diese Beeinflussung des Individuums eine Stabilisierung – oder im Sinne des College de Sociologie eine die repressiven Gesellschaftsformen der

231 Vgl. dazu ebenfalls Moebius, Stephan (2006): Die sozialen Funktionen des Sakralen – Marcel Mauss und das College de Sociologie. In: Moebius, Stephan/Papilloud, Christian (Hg.): Gift – Marcel Mauss’ Kulturtheorie der Gabe, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 57-80. 232 Dass Mauss jedoch in dem totalen Charakter der Gabe trotz allem nicht allein ein zu kritisierendes Problem sieht, dem ganzen Projekt des Collège de Sociologie also gespalten gegenübersteht, wird verständlich, wenn man seine zeitdiagnostischen Überlegungen zum „dissoziativen“ Menschen mit einbezieht. Eine derartige wissenschaftshistorische Einbettung lässt die Differenzen zum Collège de Sociologie nuancierter werden: Während Bataille und Callois im Verlangen nach Einheit ein Grundbedürfnis sehen, das sich in den faschistischen Bewegungen entlädt, ist Mauss unsicher, ob man den Problemen mit einer strukturell ähnlichen Antwort begegnen sollte. Siehe zum „dissoziativen Menschen“: Mauss, Marcel (1975b): Über die physische Wirkung der von der Gemeinschaft suggerierten Todesvorstellung auf das Individuum (Australien und Neuseeland). In: Ders.: Soziologie und Anthropologie, Band II, München/Wien: Hanser, S. 176-195, hier S. 195. 233 Mauss, Marcel (1975c): Wirkliche und praktische Beziehungen zwischen Soziologie und Psychologie. In: Ders.: Soziologie und Anthropologie, Band II, München/Wien: Hanser, S. 145-173, hier S. 169. 234 Vgl. zu diesem Begriff auch Karsenti, Bruno (2011): L’homme total: Sociologie, anthropologie et philosophie chez Marcel Mauss, Paris: PUF.

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Gegenwart auflösende Destabilisierung235 – der Gesellschaft erreicht. Caillois schreibt über den „total character“ verschiedener Feste analog: „The affirmations of excessive vitality, intoxication, violence, ecstasy, feasts and orgies, prodigality, and games of chance – severely repressed during the static period because they distract men’s arms from collective labor and their minds from communal pursuits and the accumulation of wealth in the public interest – become, on the contrary, during periods of crisis, a means of exalting communion.“236

Überträgt man nun diese Anmerkung auf die von Mauss aufgezählten Objekte, die in Situationen gesamtgesellschaftlicher Krise die Gesellschaft restabilisieren, verbindet man also seine oben skizzierte Theorie fetischistischer Objekte mit dem hier ausgearbeiteten Verständnis der ‚totalen sozialen Tatsache‘, könnte man von ‚totalen sozialen Objekten‘ sprechen, die die Ganzheit – hier im Sinne von umgreifend und unversehrt – der Gesellschaft durch Gefühle der Intensivität und Notwendigkeit reproduzieren. Sie etablieren diese Ganzheit, indem sie sie in bestimmten Objekten, Kunstwerken oder Personen kontrahieren lassen und mediatisieren so suprapersonalen Beziehungen (die widersprüchliche Gesellschaftsstruktur selbst) durch individual-emotionale Reaktionen und Erfahrungen; bringen sie „à la fois et d’un coup“237 zum Ausdruck und sind sie zugleich.238 Mit 235 Wobei es hier naheliegen würde, von einem ‚totalen anti-sozialen Phänomen‘ zu sprechen. 236 Caillois, Roger (2001): Man and the sacred, Urbana: University of Illinois Press, S. 131, Herv. M.S. 237 Mauss (2007), S. 66; Mauss (1990), S. 17. 238 Vgl. mit Hubert, Henri/Mauss, Marcel (1902-03), S. 121; Hubert/Mauss (2012), S. 371: „[…] ces états ne sont pas individuels, mais qu’ils résultent du mélange des sentiments propres de l’individu aux sentiments de toute la société.“ Diese Vermischung von Subjekt und Objekt birgt somit für Mauss auch eine Möglichkeit über den Zusammenhang von psychologischer Verfassung und gesamtgesellschaftlicher Reproduktion zu reflektieren. Dass eine derartige Auseinandersetzung bereits bei Mauss angelegt scheint, jedoch bisher kaum durch Textexegese erarbeitet wurde, verblüfft in Anbetracht der Diagnose, die Robbins noch 2003 geben kann, kaum: Es mangele innerhalb der Gabendebatte an „psychological approaches“, siehe Robbins, Joel (2003): Given to Anger, Given to Shame: The Psychology of the Gift among the Urapmin of Papua New Guinea. In: Paideuma 49, S. 249-261, hier S. 251: „Given this lack of attention to motives and personal meanings in typical accounts of exchange, there is clearly room for psychological approaches to enrich our understandings of this aspect of social life.“

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dem Begriff ‚totales soziales Objekt‘ sind dann diejenigen Objekte treffend beschrieben, in deren materieller Verfassung und in deren zirkulären Bewegungen sich das zentrale, strukturelle Problem der Gesellschaft „[…] par contrainte et volition, par fatalité et liberté“239 niederschlägt und reproduziert. Diese Objekte sind „[…] véritables préceptes impératifs, qui impliquent une croyance positive á l’objectivité des enchain[t]ements d’idées qu’ils constituent“240. Man ist, mit Recht, versucht, in der obigen Analyse dieser Objekte einen Widerhall der durkheimschen Religionssoziologie zu sehen. Nicht in der Vorstellung von Gott, sondern durch diese ‚dichten Objekte‘, ihre Zirkulation und die mit ihnen verschraubten kollektiven Vorstellungen reproduziert sich die Gesellschaft in ihrem Widerspruchscharakter selbst: „Elles ne sont, en effet, que des forces collectives hypostasiées, c’est-a-dire des forces morales; elles sont faites des idées et des sentiments qu’éveille en nous le spectacle de la société, non des sensations qui nous viennent du monde physique.“241 Einer der wenigen Autoren, die eine ähnliche Perspektive auf Mauss’ Gabeessay eingenommen haben, ist Maurice Godelier. Die von ihm als ‚heilig‘ bezeichneten Objekte reproduzieren die Gesellschaft der Baruya jedoch, indem sie außerhalb ihrer liegen und so suggerieren, dass die von ihnen legitimierten Herrschaftsverhältnisse keiner menschlichen Intention entspringen.242 Es seien gerade nicht jene Objekte, die innerhalb der Gesellschaft zirkulieren, sondern diejenigen, die außerhalb ihrer stehen, welche die Reproduktion der gesellschaftlichen Machtverhältnisse durch deren sakral fundamentierte Naturalisierung ermöglichten. Im Unterschied zu Godelier geht es mir jedoch weniger um das Heilige oder das Profane, sondern um die Notwendigkeit ihrer gegenseitigen Bedingtheit, um den hierophanischen Charakter der Gabe, die durch ihre prosaisch anmutende, umfassende Verbreitung und Zirkulation die widerspruchsvolle Gesellschaft reproduziert, während sie zugleich deren Existenz negiert. Kula-Objekte diffundieren in die Hände politisch unbedeutender Personen, die einen Abglanz ihrer Heiligkeit erfahren, indem sie an ihrer „exhilarating, comforting, soothing“243 Wirkung teilhaben; zugleich müssen sie sich der Profanität jedoch wieder entziehen. Der Widerspruchscharakter derartiger Gaben entspringt also ebenso wie der Wider239 Mauss (1927b), S. 139. 240 Hubert/Mauss (1902-03), S. 126, meine Ergänzung; Hubert/Mauss (2012), S. 375. 241 Durkheim (1968), S. 461; Durkheim (2007), S. 474. 242 Siehe Godelier (1996), S. 246: „Weil das heilige Objekt die sichtbare Synthese alles dessen ist, was eine Gesellschaft von sich selbst vorzeigen und verhüllen will, vereint es in sich den – imaginären, symbolischen und ‚wirklichen‘ – Inhalt der sozialen Beziehungen.“ 243 Malinowski (1966), S. 512.

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spruchscharakter des Geldes aus den Widersprüchen der Gesellschaften, in die sie eingebettet sind und von denen sie hervorgebracht wurden. Das macht sie in den Augen Balandiers, der sie als „Zusammenfassungen des sozialen Ganzen“ bezeichnet, zu hervorragenden Ansatzpunkten ethnologischer Analysen: „Ces manifestations collectives assurent une véritable ‚mise en scène‘ des relations fondamentales. Elles offrent au regard de l’enquêteur une sorte de ‚résumé‘ du tout social: les principaux biens, les principaux partenaires, les symboles et les valeurs y ont leur place.“244 Es sind also in gleichem Maße ‚objets sociaux totaux‘ wie ‚objets sociaux totalitaires‘. Sie entspringen aus, ermöglichen und verdecken die Widersprüche der Gesellschaft, unter anderem indem sie zwischen zwei verschiedenen Wertregistern zirkulieren und so die Grenze zwischen ihnen verwischen. Darin liegt auch der wesentliche Unterschied zu den heiligen Objekten Godeliers. Diese ermöglichen die Aufrechterhaltung der Widersprüche, werden aber systematisch dem Alltagsgeschehen entzogen und der Zugang zu ihnen beschränkt. Im Gegensatz zu Weiners ‚inalienable possessions‘ und Godeliers ‚sakralen Objekten‘ haben jene Gegenstände also einen dreifach relationalen Charakter245: Sie sichern die Reproduktion des Systems indem sie stetig in Bewegung bleiben und so überhaupt erst ein geschlossenes Ganzes etablieren. Ihre intersphärischen Bewegungen (zum Beispiel die zwischen wirtschaftlicher und politischer Sphäre zirkulierenden Steuern) stellen das Fundament des Systems dar, während durch Überbetonung intrasphärischer Transaktionsmechanismen (zum Beispiel der üblichen Austauschtransaktionen) der konstitutive Charakter der intersphärischen Bewegungen, der conveyances im Jargon der Bohannans, negiert wird. Das wird von Godelier ganz deutlich in einer Fußnote erkannt, die er leider nicht erneut aufgreift: „In gewisser Weise ist das Geld Ersatz zugleich für die heiligen Objekte und für die kostbaren Objekte, wobei ursprünglich erstere Ersatz für die Götter, letztere Ersatz für die Menschen sind.“246 Godelier verpasst es, an diese Gedanken anzuknüpfen und die Widersprüchlichkeit des Geldes genau in dieser Vermischung begründet zu sehen. Während Geld als ‚heili244 Balandier, Georges (1963b): Sociologie dynamique et histoire à partir de faits africains. In: Cahiers internationaux de sociologie 34, S. 3-11, hier S. 9 f., Herv. M.S.; [„Diese kollektiven Manifestationen stellen wahrhaftig eine ‚mise en scéne‘ der fundamentalen gesellschaftlichen Relationen dar. Sie bieten dem Wissenschaftler eine Art ‚Zusammenfassung‘ des sozialen Ganzen: die wichtigen Güter, die wichtigen Teilnehmer, die Symbole und Werte haben hier ihren Platz.“] 245 Vgl. ganz ähnlich Moebius, Stephan/Quadflieg, Dirk (2009): Negativität und Selbsttransendenz. Hegel und Mauss als Denker einer dreirelationalen Anerkennung. In: Journal Phänomenologie 31, S. 44-57. 246 Godelier (1999), S. 105.

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ges Objekt‘ die widersprüchlichen Reproduktionsmechanismen der Gesellschaft insgesamt verschleiert, rechtfertigt es als ‚kostbares Objekt‘ zugleich die hervorgehobene Stellung seines Besitzers. Es muss sogleich Symbol der versprochenen oder angenommenen Gerechtigkeit wie Zeichen der Hervorgehobenheit des Einzelnen sein.247 Genau diese Lücke kann bei der Erfahrung von Ungerechtigkeit zu einer unüberbrückbaren Kluft werden, die eine reibungslose Reproduktion der Gesellschaft und ihrer Wirtschaft verunmöglicht und in Krisen mündet. Wie wir später sehen werden, ist die Existenz eines Geldes in diesem Sinne nur möglich, wenn in der jeweiligen Gesellschaft eine seiner Wirkungsmacht korrespondierende Konzeption des ‚mana‘ – dann als Wirkungsmacht einzelner Subjekte konzeptualisiert – als zugleich in bestimmten Personen kondensiert wie für alle verfügbar vorherrscht. Im Kapitalismus ist das sicherlich das der Wirkungsmacht des Geldes entsprechende Arbeitsvermögen. In dieser notwendig zu treffenden Voraussetzung gründet der Ausschluss und die Stigmatisierung des NichtArbeitenden oder desjenigen, der sich der Arbeit entzieht. Strukturelle Arbeitslosigkeit ist in der Kosmologie des Kapitalismus nicht vorgesehen. Der durch die temporale Struktur des kapitalistischen Systems oder durch die real vorhandenen gesellschaftlichen Hierarchien der Trobriandergesellschaft entstehende Riss zwischen Gegenwart und Zukunft beziehungsweise Realität und Wunsch, mit anderen Worten: der unsichere und inhärent krisenanfällige Charakter des jeweiligen Austauschsystems muss demnach innersystemisch regelmäßig, das heißt nicht allein in Zeiten wiederholt auftretender Krisen, geleugnet und zu einem prophetischen „Je m’attends“248 umgekehrt werden. Das Funda247 Wie wir später sehen werden, ist die Existenz eines Geldes in diesem Sinne nur möglich, wenn in der jeweiligen Gesellschaft eine korrespondierende Konzeption des ‚mana‘ als zugleich in bestimmten Personen kondensiert wie für alle verfügbar vorherrscht. Im Kapitalismus ist das sicherlich das der Wirkungsmacht des Geldes entsprechende Arbeitsvermögen. In dieser notwendig zu machenden Voraussetzung gründet der Ausschluss und die Stigmatisierung des Nicht-Arbeitenden oder desjenigen, der sich der Arbeit entzieht. Strukturelle Arbeitslosigkeit ist in der Kosmologie des Kapitalismus nicht vorgesehen. 248 Mauss (1969a), S. 117; [„Ich erwarte“]. Er schreibt weiter: „[…] c’est la définition même de tout acte de nature collective“; [„(…) das ist die Definition aller Handlungen kollektiver Natur“], und verweist damit auf den universellen Charakter dieser Erwartung. Die Beruhigung dieser zukunftsgerichteten Sorge ist es, die auch Benjamin dazu brachte, den Kapitalismus mit der Religion zu vergleichen, siehe Benjamin, Walter (1991): Kapitalismus als Religion [Fragment]. In: Tiedemann, Rolf/Schweppenhäuser, Hermann (Hg.): Gesammelte Schriften, 7 Bände, Frankfurt am Main: Suhrkamp, hier Band VI, S. 100-102. Er spricht vom „Aushalten bis ans

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ment der Ermöglichung dieser Selbst- und Fremdüber- wie -verschätzung bildet entweder das fetischistische Objekt, das die Absicherung verdinglicht, oder das fetischistische System, das die Absicherung immer wieder verschiebt.249 Vor diesem Hintergrund lässt sich der vermeintliche Vorwurf einer Gleichmacherei von Gabe und Geld, der sich vor allem an der mangelnden Berücksichtigung der Funktionen als Wertmaßstab und Recheneinheit entzünden könnte, parieren. Die durch die Funktion der Recheneinheit ermöglichte Erwartbarkeit und Planbarkeit zukünftiger Einkäufe stellt nur eine mögliche Antwort auf das Problem der Sicherstellung der Zukunft dar, mit anderen Worten: Eine mögliche Antwort auf Prozesse der gesellschaftlichen Desintegration. Ebenso sollten feste ‚rates of exchange‘ nicht nur als Zeichen einer gesellschaftlichen Stabilität gesehen werden,250 sondern eher als Versuch einer Herbeiführung derselben. Sie stellen eine Möglichkeit der Homogenisierung des monetären Systems dar und erfüllen so die sedative Funktion eines jeden Geldes.

Ende“. Ganz aktuell wird eine derartige Argumentationsfigur von Streeck, Wolfgang (2013): Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus, Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2012, Berlin: Suhrkamp auf das Verhältnis von Kapitalist und Arbeiter angewendet, in welches der Staat regulierend eingreift. Der Begriff des Geldes spielt jedoch eine untergeordnete Rolle. Es gelte an Streeck anknüpfend zu untersuchen, wie Geld sich an den von ihm analysierten Transformationspunkten je neu materialisiert. Auch hier dürften simultan Prozesse der Ausfransung und Verwebung zu beobachten sein. 249 Balandier (1961), hier S. 30, geht einen ähnlichen Weg, wenn er die „therapeutische“ Rolle des totalen sozialen Phänomens betont: „Ils ont aussi une efficacité que l’on pourrait qualifier de thérapeutique, car ils visent à contrôler ou corriger des antagonismes graves, des conflits potentiels ou actuels“; [„Sie besitzen ebenso eine Wirkung, die man als therapeutisch beschreiben kann, denn sie zielen darauf ab, schwerwiegende Widersprüche, potentielle und akute Konflikte, zu kontrollieren oder zu korrigieren.“] 250 Siehe u.a. Dumont, Louis (1986): On Value, Modern and Nonmodern. In: Ders.: Essays on Individualism, Chicago: University of Chicago Press, S. 234-268, hier S. 259 f., Barraud, Cécile/Coppet, Daniel de/Iteanu, André/Jamous, Raymond (1994): Of relations and the dead. Four societies viewed from the angle of their exchanges, Oxford: Berg, hier S. 109 und Gregory, C. A. (1997): Savage money. The anthropology and politics of commodity exchange, Amsterdam: Harwood Academic, passim.

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Geld und Gabe als zirkulierende sozialintegrative Fetische Es selbst ist das Gemeinwesen und kann kein andres über ihm stehendes dulden251 KARL MARX ÜBER DAS GELD

Vollkommen losgelöst von einer rein ökonomischen Bestimmung des Geldes lässt sich im Anschluss an die bisherigen Ausführungen eine Eigenschaft des Geldes in den Vordergrund rücken, die den Blick weg von bestimmten Funktionen des kapitalistischen Geldes hin zu einer fundamentaleren Grundbestimmung lenkt, die Geld und Gabe teilen. Es ging in den bisherigen Kapiteln dieser Arbeit also weniger darum, nachzuweisen, dass bestimmte Objekte zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Rollen (Geld, Ware, Gabe usw.) einnehmen können, sondern darum, dafür zu argumentieren, dass Geld und Gabe die gleichen Funktionen in der Aufrechterhaltung der Gesellschaft, in der sie zirkulieren, erfüllen.252 Die Geldformen, die sich im Kapitalismus entwickelten, stellen demnach nur einen Sonderfall eines universal anzutreffenden Musters dar. Es gilt also an dieser Stelle festzuhalten, dass die Begriffe ‚Geld‘ und ‚Gabe‘ Systeme von die Gesellschaft durchziehenden und sich ihr entziehenden Hauptzirkulations- und Hortungsmedien bezeichnen, die zugleich ikonische und indexikale Zeichen der durch sie vermittelten und verschleierten gesellschaftlichen Widersprüche sind und als solche eben selbst widersprüchliche ‚totale soziale Objekte/Phänomene‘ darstellen.253 Geld/Gaben lösen die Widersprüche und stellen sie dar, verschieben und verstärken sie ähnlich wie der Fetisch aus einer Krisensituation entspringt, diese leugnet und zugleich verstärkt. Man könnte sagen, dass 251 Marx (1983), S. 149. 252 Vgl. zur Einordnung verschiedener Objekte in verschiedene Rollen im kolonialen Kontext vor allem Thomas, Nicholas (1991): Entangled Objects. Exchange, Material Culture, and Colonialism in the Pacific, Cambridge: Harvard University Press und allgemein Kopytoff, Igor (1988): The cultural biography of things: commoditization as process. In: Appadurai, Arjun (Hg.): The social life of things. Commodities in cultural perspective, Cambridge: Cambridge University Press, S. 64-91. 253 Der Nationalökonom Heinrich Schurtz spricht ganz treffend davon, dass Geld sich aufgrund „gesellschaftlicher Notwendigkeit“ herausbilde. Siehe Schurtz, Heinrich (1898): Grundriss einer Entstehungsgeschichte des Geldes, Weimar: Felber, S. 170. Siehe hierzu auch Orléan, André/Bourdarias, Françoise (2002): La monnaie, opérateur de totalisation. Entretien avec André Orléan réalisé par Françoise Bourdarias. In: Journal des anthropologues 90-91, S. 331-352.

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maussche ‚hau‘ sei demnach weder der Geist der Dinge (Mauss), noch mit Profit (Sahlins) oder Bewegung allgemein (Znoj) zu übersetzen, sondern der gesellschaftliche Widerspruch auf der Flucht vor seiner Entdeckung.254 Der inhärente Widerspruch jeden Geldes, zugleich sedativ und stimulierend wirken zu müssen, an ein vertrauenserweckendes Zentrum gebunden und sich ständig von ihm lösen zu müssen, führt zu einer Pendelbewegung zwischen Homogenisierung und Fragmentierung. Diese Widersprüche werden in der Materialität des Geldes wie der Gabe offenbar. Der Versuch, dieses Problem zu lösen, indem zwei verschiedene Objekte die beiden Seiten des Problems abdecken, wird im Folgenden als ‚bimediales‘ Geldsystem bezeichnet.255 Wie jedoch bereits dargelegt, tendiert ein solches dazu, sich entweder zu homogenisieren oder zu fragmentieren. Systeme, die das nicht tun und beide in einem Objekt zu vereinen suchen, nenne ich ‚monomedial‘.256 Letztere neigen zu Fetischisierungsprozessen. In einem bimedialen System leugnen beide Objekte die Notwendigkeit und Abhängigkeit von dem jeweils anderen zyklisch und ermöglichen so die Aufrechterhaltung der Pendelbewegungen zwischen beiden. In einem monomedialen System ermöglicht und leugnet die Zirkulation eines Objektes die Notwendigkeit seiner Hortung, sowie die Hortung die Notwendigkeit seiner Zirkulation. Die hier vorgeschlagene Universalisierung des Geldbegriffes kann nicht allen Spezifika des modernen Geldes gerecht werden, rückt jedoch die Gemein254 In diesem Sinne ist der „paix“, von dem Mauss am Ende seiner Ausführungen spricht, ein erzwungener, Mauss (2007), S. 248, „paix imposée“; Mauss (1990), S. 182. 255 Der Potlatsch und die von Godelier analysierten Beispiele wären nach dieser Terminologie als bimedial zu bezeichen. 256 An dieser Stelle seien auf Ähnlichkeiten zu Wilhelm Gerloffs Gelddefinition hingewiesen. Vgl. Gerloff, Wilhelm (1943): Die Entstehung des Geldes und die Anfänge des Geldwesens, Frankfurt am Main: Klostermann, S. 140: „Geld ist […] dasjenige bewegliche Gut, dessen Besitz und Gebrauch in einem bestimmten gesellschaftlichen Bereich als Ausdruck und Mittel sozialer und insbesondere ökonomischer Macht und Machtausübung gilt und das eben deshalb – allgemein begehrt – zum Mittel eines gewissen Wertverkehrs wird.“ Die Anknüpfung des Geldbegriffes an den der Geltung kann durchaus als ein Zirkelschluss verstanden werden. Ähnlich verfahren jegliche chartalistischen Geldtheorien. Hier wird jedoch davon ausgegangen, dass der Zirkelschluss lediglich dann problematisch wird, wenn man von einer Genealogie des Geldes ausgeht. Eine andere Möglichkeit liegt darin, die Entstehung des Geldes analog zur Enstehung der Sprache oder anderer symbolischer Systeme als notwendigerweise abrupt zu verstehen. Der etymologische Zusammenhang von ‚Geld‘ und ‚Geltung‘ scheint dies nahezulegen.

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samkeiten zwischen ‚primitivem‘ und ‚modernem‘ Geld in den Vordergrund und wird damit der Forderung Paul Einzigs gerecht, den „[…] common denominator – in so far as it exists – in terms of which both the well-established rules of modern money and the apparently conflicting conclusions on primitive money can be explained“257 aufzufinden und zu benennen. Es ist demnach nicht allein die Tatsache, dass Rinder und Muscheln vor allem als Zahlungs-, Tausch- oder Wertaufbewahrungsmittel verwendet werden, die es nahelegt, sie als Geld zu bezeichnen, sondern auch und vor allem, dass sie in den besonders fragilen Momenten gesellschaftlicher Reproduktion (beispielsweise Heirat und Tod) zirkulieren. Sie sind, indem sie Widersprüche im doppelten Sinne des Wortes vermitteln, die zentralen Medien gesellschaftlicher Reproduktion und nehmen damit die gleiche Rolle ein, die Geld in der kapitalistischen Gesellschaft ausfüllt. Während ‚kritische‘ Betrachter des Kapitalismus nicht müde werden, zu betonen, es handele sich bei Geld um den universellen Leveller, den großen Gleichmacher, wenn sie also den Begriff der Zahlung ausschließlich auf den Begriff des Kaufs reduzieren, scheint es angebrachter, den umgekehrten Weg zu gehen und anzunehmen, dass jeder Akt des Kaufens zugleich einen Akt der Anerkennung darstellt: Ich anerkenne mit meinen täglichen Einkäufen meine Mitgliedschaft am kapitalistischen System, meine absolute Schuld gegenüber demselben.258 Die Übergabe eines Tauschmediums wäre vor dem Hintergrund einer solchen Theorie keine bilaterale Handlung, sondern eine dreirelationale. Die Denker der Monetary Circuit Theory259 erkennen ebenso wie die französischen Wissenschaftler, die mit dem Begriff der ‚primordialen Schuld‘ arbeiten,260 dass die Partizipanten des kapitalistischen Systems ihr Geld ausgeben müssen und wollen – die Zirkulation des Geldes ebenso wie Mauss’ Gabe dem Verdikt unterliegt, sich obligatorisch und freiwillig zu vollziehen. Wenn Mauss von dem Opfer schreibt: „Elle le

257 Einzig, Paul (1951): Primitive Money in its Ethnological, Historical and Economic Aspects, London: Eyre & Spottiswoode, hier S. 19. 258 Vgl. zu der doppelten Anerkennungsstruktur auch Théret, Bruno (1998): De la dualité des dettes et de la monnaie dans les sociétés salariales. In: Aglietta, Michel/Orléan, André (Hg.): La Monnaie souveraine, Paris: Jacob, S. 253-287. 259 Der führende Vertreter dieses Modells ist der Italiener Augosto Graziani. Vgl. exemplarisch Graziani, Augosto (2009): The Monetary Theory of Production, Cambridge: Cambridge University Press. 260 Rospabé, Phillippe (1995): La Dette de Vie: aux origines de la monnaie, Paris: Editions la Découverte/MAUSS.

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rachète“261 (‚Man kauft sich unfreiwillig frei‘), so muss es von der Gabe und vom Geld heißen, dass man sich selbst mit ihrer Übergabe opfert, da man die gesellschaftliche Ordnung und ihre Widersprüche stützt (‚Man kauft sich freiwillig unfrei‘): „Les hommes ont su engager leur honneur et leur nom bien avant de savoir signer.“262 Der eigene Suizid als Selbstopferung wird von Mauss dann folgerichtig als „contre prestation suprême“ bezeichnet: Sich selbst opfern, heißt sich selbst unwiderruflich übereignen: Doch wen bezahlen, wenn Verkauftes und Gekauftes identisch und tot sind? (‚Man verkauft sich freiwillig frei‘)263 Eine derartige Neuverortung des Geldbegriffs ermöglicht zudem eine Schärfung des Konzepts der Monetarisierung, das innerhalb der Wirtschaftsethnologie bisher bezeichnenderweise nicht wirklich präzise ausgearbeitet wurde.264 Im Anschluss an unsere Gelddefinition lässt sich ein analytischer Unterschied zwischen Monetarisierung als primär semiotisch-diskursivem/politischem und Zunahme der Venalität als ökonomisch-deskriptivem Prozess ausmachen.265 Eine derartige Trennung lässt begrifflich fassen, aus welchem Grund eine ‚vollständige‘ Monetarisierung des kapitalistischen Systems nicht einhergehen kann mit einer ‚vollständigen‘ Venalität. Ein im Verhältnis zum Kapitalismus verschobener oder differierender Grad an Venalität wie er von Ethnologen vielfach in nichtkapitalistischen Gesellschaften beobachtet wurde, muss demnach häufig vielmehr als kontra- oder prä-monetarisiert denn ‚durch-monetarisiert‘ verstanden werden.266 Der von Elwert als „zweite Monetarisierung“267 bezeichnete Prozess 261 Hubert, Henri/Mauss, Marcel (1968): Essai sur la nature et la fonction du sacrifice. In: Karady,Victor (Hg.): Œuvres I. Les fonctions sociales du sacré, Paris: Minuit, S. 193-307. 262 Mauss (2007), S. 145; Mauss (1990), S. 89. 263 Mauss, Marcel (1925): Sur un texte de Posidonius. Le suicide, contre prestation suprême. In: Revue celtique 42, S. 324-329. 264 Siehe Shipton, Parker (1997): Money and Monetization. In: Middleton, John (Hg.): Encyclopedia of Africa south of the Sahara, Band III, New York: Charles Scribner’s Sons, S. 179-183. 265 Vgl. Elwert, Georg (1987): Ausdehnung der Käuflichkeit und Einbettung der Wirtschaft. Markt und Moralökonomie. In: Heinemann, Klaus (Hg.): Soziologie wirtschaftlichen Handelns, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft 28, S. 300-321. 266 Siehe die Analyse Hirschmans, der die Entstehung des Kapitalismus an eine Zügelung der Leidenschaften bindet. Siehe Hirschman, Albert O. (1987): Leidenschaften und Interessen. Politische Begründung des Kapitalismus vor seinem Sieg, Frankfurt am Main: Suhrkamp. Die Zügelung der Leidenschaften bedingt bei ihm jedoch keineswegs die Annahme eines Primats rational abgewägten Kalküls. Dieses muss ste-

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einer Entkoppelung moralischer von monetären Werten ist nur eine Form mit den systemimmanenten Widersprüchen umzugehen, die sich durch die von Polanyi attestierte Auflösung verwandtschaftlicher, religiöser und sozio-kultureller Einbettung der Wirtschaft ergeben.268 Die Analyse des Unterschiedes zwischen kapitalistischem und primitivem Geld ist demnach gegenüber der Frage nach der je nach Kultur spezifischen systemischen Verfassung zweitrangig. Vor deren Bestimmung muss jegliche Frage nach verschiedenen Transaktionsmodi abstrakt bleiben. Jede Wirtschaftsform, versteht man darunter die jeweilige Verfassung der institutionell organisierten Allokationsmechanismen, fürchtet Homogenisierung (‚intensiv-interne Monetarisierungsprozesse‘), der durch Etablierung nichtmonetärer Werte oder durch multiple Geldformen entgegengewirkt wird, und Fragmentierung (‚extensiv-interne Monetarisierungsprozesse‘), welche die gesamtgesellschaftlichen Machtverhältnisse zu verschieben oder zu verschleiern droht. Treffen nun zwei verschiedene Geldsysteme aufeinander, ist die Frage nach dem Ausgang der gegenseitigen Monetarisierung primär eine der politischen Machtverhältnisse: Welches der beiden Systeme kann zunächst zu einer Infiltrierung des anderen ansetzen und so externe Monetarisierungsprozesse in Gang setzen? Geldobjekte fungieren dabei nicht selten als trojanische Pferde, denen man ihr potentiell umwälzendes Potential nur selten ansieht. Wir haben es dabei immer mit ‚verschränkten‘ Monetarisierungen zu tun, die als praxeologische Geschehen betrachtet werden müssen, die in machtdurchzogene Diskurse mit und über außerökonomische Zeichen, die durch die Materialität von Objekten beschränkt, erweitert und gestört werden, eingebettet sind. Prozesse verschränkter Monetarisierung gehen demnach einher mit der reziproken Enthüllung von gesellschaftlichen Widersprüchen. Balandier schreibt treffend: „Cette totalité [in unserem Falle das Zusammentreffen zweier Geldsysteme, M.S.] met en cause les ‚groupements’ composant la ‚société globale’ (la colonie) comme les représentatig durch Rückgriff auf nicht-ökonomische Normen reaktualisiert, gerechtfertigt und angetrieben werden. 267 Elwert (1987), S. 309. 268 In einer Kritik derartiger Prozesse liegt die Grundlage eines Zusammendenkens von ökonomischem Wert und moralischen Werten wie es von Hadas Weiss vorangetrieben wird. Weiss bindet die Entstehung und Durchsetzung von „moral values“ an die Entwicklung kapitalistischer Produktionsweise. So gelingt es ihr, der Reziprozitätsaffinität der Ethnologie den Spiegel vorzuhalten: Prozesse des gift-giving und der charity sind die Rückseite neo-liberaler Umverteilungsprozesse. Siehe Weiss, Hadas (2011): Gift and Value in Jerusalem’s Third Sector. In: American Anthropologist 113, S. 594-605.

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tions collectives propres à chacun de ceux-ci; elle se saisit à tous les niveaux de la réalité sociale.“269

Eben dies erklärt zum einen die Häufung fetischisierender Prozesse sowie die Zunahme inter- und intrakultureller Gewalt in Kontexten des Kulturkontaktes, zum anderen jedoch auch die Verkürzungen und moralischen Zweideutigkeiten, die sich ergeben, wenn man sich dem Problem rein ökonomisch nähert und einen monokausalen Prozess zwischen Einführung von Geld und Verfall moralischer Werte propagiert. Vor dem Hintergrund dieser Analysen verwundert es kaum, dass vor allem in Kontexten des Siedlerkolonialismus die ‚Macht des Geldes‘ scheinbar versagt und gerade in Situationen nur peripheren Kontaktes häufig eine einfache Durchdringung der ‚nicht-monetarisierten‘ Gesellschaft möglich ist. Während letzterer wird Geld als lediglich besonders gut aufheb- und versteckbares Wertobjekt eingeführt und seine materiellen Eigenschaften stehen im Zentrum, bei ersterem wird es von aus dem abendländischen Diskurs entstammenden Handlungsvorschriften begleitet, deren Durchsetzung auf größeren Widerstand stößt.270 Unsere Analyse der Parallelen zwischen Geld und Gabe nahmen ihren Ausgangspunkt in Weedens Nachzeichnung des ökonomischen Systems der Küstenalgonkin und seiner Annahme, die erfolgreiche Reproduktion jeder Gesellschaft sei an die Existenz einer Währung gebunden. Aufgrund des oberflächlich so differierenden Erscheinungsbildes des indianischen beziehungsweise europäischen Geldsystems verbleibt er jedoch auf einer präanalytischen Ebene und ‚spürt‘ lediglich Gemeinsamkeiten, deren weitere Interpretation er durch seinen evolutionistisch eingeschränkten Blick zugunsten der Betonung von Kontrasten jedoch unterlässt. Es gelingt ihm infolgedessen nicht, der angemessenen Intuition, es gäbe mehr Gemeinsamkeiten zwischen modernem Geld und Wampum, diskursiv gerecht zu werden. Die im folgenden Kapitel besprochenen Autoren erkennen 269 Balandier, Georges (1951): La situation coloniale: approche théorique. In: Cahiers internationaux de sociologie 11, S. 44-79, hier S. 76; [„Diese Totalität umgreift alle ‚Gruppen‘ aus denen sich die ‚umfassende Gesellschaft‘ (die Kolonie) zusammensetzt wie die ihnen jeweils eigenen kollektiven Repräsentationen. Sie bemächtigt sich allen Bereichen der sozialen Realität.“] 270 Faugere, Elsa (2002): La triple existence de l’argent dans les îles Loyauté (NouvelleCalédonie). In: Journal des anthropologues 90-91, S. 145-169 unterscheidet dementsprechend zwischen einer ‚kontextuellen‘, einer ‚ideologischen‘ und ‚materiellen‘ Bedeutung des Geldes. Ich würde jedoch ergänzen, dass die ‚kontextuelle‘ Bedeutung des Geldes sich in Monetarisierungsprozessen gerade aus dem Spannungsverhältnis zwischen Ideologie und Materialität ergibt.

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die Andersartigkeit der Wirtschaftslogik der Küstenalgonkin hingegen noch weitaus radikaler an. In der Tradition der reziprozitätsaffinen Wirtschaftsethnologie stehend, verkennen sie jedoch dessen Spezifizität und betreiben das, was in den letzten Jahrzehnten mit dem modisch klingenden Terminus ‚othering‘ bezeichnet wurde. Sie ordnen die Küstenalgonkin in die Kategorie von Gesellschaften ein, die innerhalb der Wirtschaftsethnologie nicht selten mit dem die Spezifika einzelner Kulturen übersehenden und damit unzulänglichen Überbegriff ‚Gabengesellschaften‘ bezeichnet werden; nicht mehr als ein Negativ der kapitalistischen Gesellschaft. Sie werfen damit zugleich das über Bord, was Weeden, Mauss und Marx ihnen voraushaben: Die Einsicht in den universell heterologen und widersprüchlichen Charakter wirtschaftlichen Handelns und wirtschaftlicher Allokationsprozesse, deren Reproduktion stark von der Fähigkeit der Mitglieder einer Gesellschaft abhängt, Mittel und Wege zu finden, diese Widersprüche, wenn nicht aufzulösen, so doch zumindest zu verdecken. Die im folgenden Kapitel nachgezeichnete, stark kulturalistische Interpretation des wirtschaftlichen Systems der Küstenalgonkin verkennt, dass Wampum nicht aufgrund seines symbolischen Gehaltes zirkulierte, sondern aufgrund seiner Zirkulation symbolischen Gehalt erhielt. Die Kritik an den kulturalistischen Interpretationen wird uns einen angemessenen Ausgangspunkt zur Rekonstruktion der Wertewelt der Küstenalgonkin liefern, um anschließend sowohl erklären zu können, warum zeitgenössische Beobachter Wampum mit Geld gleichsetzen als auch zu plausibilisieren, dass sie damit Recht haben; aus anderer Perspektive gesprochen: Uns ermöglichen, nachzuweisen, dass Kulturwissenschaftler, die vermeinen, das Konzept des Geldes sei den Indianern unbekannt gewesen,271 einer falschen Fährte folgen.

271 Ganz ausdrücklich betont dies George Snyderman: „The very concept of money was foreign to Indian ideology“, siehe Snyderman, George S. (1954): The Functions of Wampum. In: Proceedings of the American Philosophical Society 98, S. 469-494, hier S. 471. Sein Gegenentwurf findet sich in Snyderman, George S. (1961): The Function of Wampum in Iroquois Religion. In: Proceedings of the American Philosophical Society 105, S. 571-608.

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D IE KULTURALISTISCHE I NTERPRETATION – G ABE UND R EZIPROZITÄT Da diese Szenen sich an allen Orten […] wiederholten, begriff ich, welche Tantusqualen Europa den afrikanischen Massen durch Erregung ihrer Begierde auf die Güter der Zivilisation auferlegt hat. Alle gelehrten und scharfsinnigen Erklärungen, jene eingeschlossen, die das Geschenk zur Quelle gegenseitiger Herzensbindungen macht, ändern nichts an diesem Stand der Dinge272 GEORGES BALANDIER

Ein Großteil der kulturalistischen Interpretationen nimmt ihren Ausgangspunkt in George Hamells Arbeiten zur Farbsymbolik und Kosmologie der Ethnien des nordöstlichen Waldlandes Nordamerikas,273 die sich wiederum stark an Hallo-

272 Balandier, Georges (1959): Zwielichtiges Afrika, Stuttgart: Curt E. Schwab, hier S. 25. 273 Vgl. Hamell, George R. (1987): Mythical Realities and European Contact in the Northeast during the Sixteenth and Seventeenth Centuries. In: Man in the Northeast 33, S. 63-87; Hamell, George R. (1992): The Iroquois and the World's Rim: Speculations on Color, Culture, and Contact. In: American Indian Quarterly 16, S. 451469; Hamell, George R./Miller, Christopher L. (1986): A New Perspective on Indian-White Contact: Cultural Symbols and Colonial Trade. In: The Journal of American History 73, S. 311-328; Hamell, George R. (1996): Wampum: goed is het te denken, wat wit is, helder, licht. Wampum: Light, White and Bright Things are Good to Think. In: Van Dongen, Alexandra et al. (Hg.): One Man's Trash is Another Man's Treasure, Rotterdam: Museum Boijmans van Beuningen, S. 41-51. Vgl. zur Farbsymbolik Saunders, Nicholas J. (2002): The Colours of Light: Materiality and Chromatic Cultures of the Americas. In: Jones, Andrew/MacGregor, Gavin (Hg.): Colouring the Past: The Significance of Colour in archaeological research, New York: Berg, S. 209-226 und Saunders, Nicholas J. (1999): Biographies of Brilliance: Pearls, Transformations of Matter and being, c. AD 1492. In: World Archaeology 31, S. 243-257.

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wells Auseinandersetzung mit der Personenkonzeption der Ojibwa orientieren.274 Obwohl uns schon an dieser Stelle eine Übertragung eines im Ojibwagebiet gewonnenen Analyseapparates auf das ‚Seelenleben‘ der Küstenalgonkin methodologisch skeptisch stimmen könnte, soll die Auseinandersetzung mit diesem Problem auf die Rekonstruktion der Lebenswelt der Küstenalgonkin verschoben werden. Jetzt müssen zunächst die theoretischen Grundannahmen Hamells und der auf seinen Hypothesen aufbauenden Analysen kritisch hinterfragt werden. Selbsterklärtes Ziel dieser Analysen ist ein Verständnis der Tauschbeziehungen, die ihre Einbettung in die kulturellen Sinnhorizonte der indianischen Gesellschaften mitberücksichtigt. Dies entspringt zunächst dem hehren Ziel, den Indianer weder als primitiven Irrationalen, der sich kindisch an farbigen Perlen erfreut,275 noch als dessen Negativ, einen utilitaristisch handelnden Protokapitalisten darzustellen;276 in Triggers Terminologie: Zwischen Romantik und Rationalität einen dritten Weg zu finden.277 Hamell geht dabei in Anlehnung an Hallowells Thesen davon aus, dass die Indianer des nordöstlichen Waldlandes nicht in einer „natural world“, sondern in einer „social world inhabited by human kinds of people, real men (man-beings), and by other-than-human kinds of people“278 lebten. Seine weitergehende Hypothese ist nun, dass die europäischen Güter, die in die Kultur der Küstenalgonkin integriert wurden und dort unter anderem auf-

274 Hallowell, Alfred Irving (1976): Contributions to anthropology. Selected papers of A. Irving Hallowell, Chicago: University of Chicago Press. Siehe ähnlich auch Cave (1996), S. 62: „Indians believed that European metal and glass, like native wampum, were supernatural in origin. They found vivid colors evocative of certain heightened spiritual states.“ Siehe auch Turgeon, Laurier (2004): Beads, bodies and regimes of value: from France to North America, c.1500-c.1650. In: Murray, Tim (Hg.): The archaeology of contact in settler societies, Cambridge: Cambridge University Press, S. 19-47. 275 Das kollektive Gedächtnis Amerikas ist noch immer vom Mythos fasziniert, Peter Minuit hätte Manhattan mit ein paar Perlen erworben. 276 Vgl. hierzu Jennings, Francis P. (1975): The Invasion of America: Indians, Colonialism, and the Cant of Conquest, Chapel Hill: University of North Carolina Press. 277 Trigger, Bruce (1991): Early Native North American Responses to European Contact: Romantic versus Rationalistic Interpretations. In: The Journal of American History 77, S. 1195-1215. Trigger selbst hingegen unterstellt den Indigenen, die meisten Objekte aus utilitaristischen Überlegungen angeeignet zu haben und stützt sich demnach primär auf die Annahme eines universellen Primats zweckrationalistischer Motive. 278 Hamell (1992), S. 453.

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grund ihrer Farbe indexikale Zeichen persönlichen „well-beings“279 gewesen seien, zu Beginn nicht primär aufgrund ihrer Nützlichkeit, sondern aufgrund ihrer symbolischen Bedeutung angeeignet worden seien. Doch wohinein integriert? Als Objekte mit „great ritual significance“ in „traditional native ideological systems“280. Mit anderen Worten: Die Küstenalgonkin lebten in einer „richly spiritual world“281, in der scheinbar Allem (und – so möchte man ergänzen – nicht den wichtigen Dingen; man sieht, wie nahe eine derartige Interpretation einem kolonialen Denken steht) Bedeutung zugemessen wird. Nicht nur, dass so diachrone und synchrone Differenzen verschiedener Mitglieder der Kultur der Küstenalgonkin negiert werden; einer ganzen Kultur wird ihre Handlungsfähigkeit abgesprochen: Sie reagiert lediglich auf äußere Einflüsse. Eine allein auf den symbolischen Gehalt der Farben reduzierte Interpretation lässt zudem weitere Betrachtungsmöglichkeiten unbeachtet. Es geht mir an dieser Stelle jedoch weniger darum, Hamells Analysen zur Gänze zu diskreditieren als vielmehr darauf aufmerksam zu machen, dass sie das Phänomen unterkomplex angreifen. Seine Interpretationen kranken, kurz gesagt, an einer Verwechselung notwendiger und hinreichender Bedingungen. Selbst wenn, und daran scheint kein Zweifel zu bestehen, die Farbe Weiß symbolischen Gehalt besaß, ist dies kein hinreichender Grund für die Aneignung weißer Perlen. Das Sammeln anderer weißer Gegenstände würde ebenso genügen. Es gilt also umfassender zu fragen: Könnten es nicht auch die mit den Wampumperlen vollzogenen Handlungen gewesen sein, die die Grundlage für den Wert der Perlen selbst darstellten?282 Wird eine derartige Hypothese innerhalb der Forschungsliteratur getrof279 Hamell (1987), passim. 280 Hamell, George R./Miller, Christopher L. (1986), S. 315. Es sei hier nur angemerkt, dass dieser Strang der Interpretation aus einer kritischen Beschäftigung mit ideologischen Prozessen ein ideo-logisches Programm macht und Pena zum Beispiel von „ideological value“ sprechen kann; siehe Peña, Elizabeth Shapiro (1990): Wampum Production in New Netherland and Colonial New York: The Historical and Archaeological Context, Boston: PhD Dissertation, hier S. 31. Erfrischend kritisch verfährt Becker, Marshall Joseph (2010): Wampum Use in Southern New England: The Paradox of Bead Production without the Use of Political Belts. In: Chilton, Elizabeth S. (Hg.): Nantucket and other native places. The legacy of Elizabeth Alden Little, Albany: State University of New York Press, S. 137-158, indem er, leider ohne eine Alternativinterpretation anzubieten, nachweist, dass innerhalb des neu-englischen Raumes Wampum keine religiöse oder spirituelle Bedeutung besaß. 281 Vgl. Bragdon (1996), hier S. 184. 282 Äußerst bedeutsam für die Entwicklung einer Werttheorie, die den Ursprung von Wert in Handlungen sieht ist Munn, Nancy D. (1986): The Fame of Gawa. A sym-

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fen, so jedoch häufig unter der Annahme einer Gaben- oder Geschenkkultur, deren Ethos den Lebensalltag der Küstenalgonkin nahezu vollständig bestimmt habe.283 Wir stoßen zum Beispiel häufig auf die Annahme, dass einige der kriegerischen Auseinandersetzungen wie zum Beispiel Kiefts War 1643-1645 oder auch die beiden Esopuskriege 1659-1663 zwischen Niederländern und den Esopusindianern durch mangelndes Verständnis der diplomatischen Rolle von Gaben in indigener Friedens-/Kriegspolitik seitens der Europäer ausgelöst worden seien. Ein sehr plakatives Beispiel dieser Herangehensweise findet sich in Paul Ottos Analyse der Beziehungen zwischen Munsee Indianern und Neu-Niederländern: „Just as the Northeastern trade network, driven by social reciprocity and a high ceremonial value placed upon wampum, made little sense to the Dutch, the increasingly urban, capitalistic, and materialist world of the Europeans remained a mystery to the Indians.“284 Eine derartige Interpretation mystifiziert nicht nur die Lebenswelt der Indianer, sie postuliert auch einen ebenso an der Wirklichkeit des ‚gouden eeuw‘ (‚Goldenes Zeitalter‘) vorbeischießenden Materialismus und die Vorherrschaft eines Rationalitätsprimats im gerade erst modern werdenden Europa. Oliver A. Rink weist in seiner hervorragenden Studie Holland on the Hudson. An Economic and Social History of Dutch New York vermehrt auf die Einbettung ökonomischer Prozesse in verwandtschaftliche und freundschaftliche Beziehungen, und auch der Historiker Jaap Jacobs konstatiert recht eindeutig: „Trust was the basis of economic transaction in the seventeenth century, in the Dutch Republic as much as in New Netherland.“285 bolic study of value transformation in a Massim (Papua New Guinea) society, Cambridge: Cambridge University Press. 283 Die Vermutung liegt nahe, dass hier Interpretationen zum irokesischen System der Wampumgürtel auf die Küstenalgonkin übertragen wurden. Dieses Problem erkennt u.a. Feest, Christian F. (2003): Wampum, Wert und Wissen. Zur Wissenskultur der Irokesen. In: Fried, Johannes/Kailer, Thomas (Hg.): Wissenskulturen. Beiträge zu einem forschungsstrategischen Konzept, Berlin: Akademie, S. 87-103; hier vor allem Fußnote 9. Siehe Price, George R. (1966): Wampumpeag: The Impact of the 17th Century Wampum Trade on Native Culture in Southern New England and New Netherlands, Montana: Master Thesis für eine ähnliche Argumentation. 284 Otto (2006), hier S. 59. Vgl. für den Bereich Neu-England: Rubertone, Patricia E. (1989): Archaeology, Colonialism and 17th-century Native America: Towards an Alternative Interpretation. In: Layton, Robert (Hg.): Conflict in the Archaeology of Living Traditions, London: Routledge, S. 32-45, hier S. 36. 285 Rink (1986); Jacobs (2005), S. 192. Vgl. auch Zell, Michael (2002): The Gift Between Friends: Rembrandt’s Art in the Network of his Patronal and Social Relations. In: Chong, Alan/Zell, Michael (Hg.): Rethinking Rembrandt, Zwolle: Isabella

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Mit einem leicht verlagerten Schwerpunkt versuchen im Fahrwasser nach dem Ruf indigener Selbstbestimmung mittreibende, wissenschaftlich durch politische Querelen mit vermeintlichen Nachfahren indigener Gruppen aufgeriebene, ‚kritische‘ Ethnologen und Archäologen den Handlungs- und Gestaltungsspielraum der indianischen Gruppen zu betonen.286 Rubertone kommt etwa zu dem Schluss, die Verwendung von Wampum in nicht-ökonomischen Transaktionen – sie interessiert sich vor allem für Grabbeigaben – sei als konterkoloniale Aktion zu verstehen.287 Die Menge der in Gräbern niedergelegten Wampumperlen entspricht jedoch nur einem äußerst geringen Bruchteil der sich im Umlauf befindlichen Wampumperlen, sodass die wirtschaftliche Bedeutung derartiger Aktionen als unbedeutend bewertet werden muss. Analog dazu finden häufig unzulängliche Ökonomisierungen statt. Wenn etwa Robinson beobachtet, dass „[…] shell beads or wampum may have been symbols of status, particularly bead color, or perhaps other morphological attributes […]. The high ration of purple to white (805:658) thus suggests the presence of high status individuals at RI1000“288, verkennt er, dass der quantitative Unterschied des ökonomischen Wertes von 805 schwarzen und 658 weißen Perlen als zu gering eingeschätzt werden darf, um daraus derartige Schlüsse zu ziehen. Einem ähnlichen Fehler unterliegt Simmel in seinem Kommentar zu Wampum. Auch er übersieht, dass der ökonomische Wert eines Schmuckstückes relativ gering war und der Zusammenhang zwischen Tauschgegenstand und Ornament an anderer Stelle zu suchen ist: „Wenn der Wampum der Indianer aus Muschelschalen bestand, die als Geld dienten, aber auch als Gürtel zum Schmuck getragen wurden, so finden sich diese Funktionen offenbar in reiner Wechselwirkung: auch die Bedeutung der Muscheln als Schmuck hat ganz sicher Stewart Gardner Museum, S. 173-93. Für einen allgemeinen Überblick über das Goldene Zeitalter der Niederlande, siehe auch Schama, Simon (1997): The Embarrassment of Riches. An Interpretation of Dutch Culture in the Golden Age, New York: Vintage. 286 Vgl. Nassaney, Michael S. (2004): Native American gender politics and material culture in seventeenth-century southeastern New England. In: Journal of Social Archaelogy 4, S. 334-367. 287 Siehe Rubertone (1989), S. 43: „[…] the ritual consumption of wampum in these burials is interpreted as an unwritten statement of political resistance: it symbolically upheld Narragansett tribal authority, and at the same time took quantities of Wampum demanded as tribute by the colonial government out of circulation.“ 288 Robinson, Paul Alden/Gustafson, G. (1982): A Partially Disturbed 17th Century Indian Burial Ground in Rhode Island: Recovery, Preliminary Analysis. In: Archaeological Society of Connecticut Bulletin 45, S. 41-50, hier S. 44.

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einen besonderen Oberton von Vornehmheit dadurch erhalten, daß man um ihretwillen auf die unmittelbar mögliche Verwendung als Geld verzichtete.“289

Während also Hamell dazu neigt, die Bedeutung performativer Aushandlungsprozesse zu unterschätzen, maßen sich die an einer Analyse des Wampum als Gabe interessierten Studien sowie diejenigen der kolonialkritischen Perspektive theoretische Schlüsse an, die durch das empirische Material nicht gedeckt sind. Beiden Perspektiven ist gemein, dass sie nicht in der Lage sind, das was ich in der Einleitung als Wampumparadox bezeichnet habe, aufzulösen: Wie kann es sein, dass ein dezidiert im Anschluss an kulturell einschneidende und zerstörerische Ereignisse entstandener Objektkomplex, wenn nicht sakralisiert, so doch zumindest einer stark positiven Evaluierung unterworfen wird? Die Hauptanalogie zwischen kulturalistischen Interpretationen und reziprozitätsaffinen Analysen liegt dabei in der von beiden geteilten Annahme einer homogenen Grundstruktur der Gesellschaft der Küstenalgonkin.290 Es darf demnach als besonders bemerkenswert bezeichnet werden, dass in Bezug auf die Küstenalgonkin keine Arbeiten existieren, die auf intragesellschaftliche Machtverhältnisse beziehungsweise im weiteren Sinn auf das Verhältnis von Individuum und Gesamtgesellschaft Bezug nehmen, in dem Wampum eine mediale Rolle eingenommen haben könnte. Im Gegensatz dazu werde ich im Folgenden von einer originär hybriden Verfassung menschlicher Kulturen ausgehen, ohne jedoch in die Fallstricke eines postmodernen Kulturrelativismus zu fallen. Dies geschieht durch die Annahmen, dass a) jegliche Handlung sich potentiell durch Bezug auf Rechtfertigungsnarrative legitimieren können muss, wobei sich die Rechtfertigungsnarrative wiederum auf überindividuelle Rechtfertigungsordnungen beziehen müssen, um innerhalb der Gemeinschaft allgemein akzeptiert zu werden, und b) dass es eine kulturübergreifende formale Ähnlichkeit solcher Rechtfertigungsordnungen gibt. In Rückgriff auf Nancy Frasers Polanyilektüre werden zwei kulturübergreifende Rechtfertigungsordnungen angenommen, die beständig durch sie vermittelnde Handlungsinzentive und kulturelle Ordnungen miteinander in Balance gebracht werden müssen. Fraser akzeptiert die Analyse Polanyis insofern als sie anerkennt, dass sein Versuch, die analytisch häufig voneinander getrennte Entstehung von Märkten und die Ausweitung des staatlichen Handlungsraumes zusammenzudenken, den realen Prozes289 Vgl. Simmel, Georg (1989): Philosophie des Geldes, Frankfurt am Main: Suhrkamp, hier S. 177 f. 290 Siehe Turgeon, Laurier (2006): Crossing boundaries. Regimes of value in intercultural colonial contexts. Reflections on Jean and John Comaroff’s „Beasts, banknotes and the colour of money“. In: Archaeological Dialogues 12, S. 135-142.

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sen gerechter wird als die ökonomistische Annahme ihrer Polarität. Polanyi spricht diesbezüglich vom „double movement“ 291, welches sich aus Prozessen des a) „economic liberalism“ und der b) „social protection“ zusammensetzt. Prozesse der Liberalisierung lassen sich unter dem Begriff der a) ‚Individualisierung‘ verallgemeinern; Prozesse der „social protection“ unter den der b) ‚Vergesellschaftung‘.292 Auch Balandier verweist fortwährend auf die Diskrepanzen zwischen diesen beiden Mechanismen: „Jede menschliche Gesellschaft bietet […] den Gegensatz zweier Prinzipien dar: Desjenigen der Heterogenität, bekundet durch die sozialen Differenzierungen und die mit ihnen verbundenen Antagonismen, und desjenigen der Homogenität, das in den Faktoren der Einheit, seien es solche des Glaubens oder der gemeinsamen Verhaltensweisen und Interessen, zum Ausdruck kommt.“293

Der Skizzierung der Gabe als freiwillig und obligatorisch liegt ebenfalls diese Dichotomie zugrunde, die von ihr jedoch gelöst wird. Wir haben oben nachgewiesen, dass die Gabe selbst widersprüchlich werden muss, weil sie Widersprüche zu verschleiern in der Lage ist.294 Es wird also im Folgenden angenommen, dass die Verknüpfung beider Momente nicht notwendigerweise in einen Prozess evolutionistisch fortschreitender Verbesserung münden muss,295 sondern dass 291 Polanyi, Karl (1971): The Great Transformation, Boston: Beacon, hier S. 132. 292 Es sei hier nur angemerkt, dass der Begriff ‚Individualisierung‘ mangels Alternative und zwecks Lesbarkeit gewählt wird und keineswegs die Naturalisierung westlicher Personenkonzepte perpetuieren möchte. Es geht hier jeweils um Elemente von Relationen, deren Eigenständigkeit den Fliehkräften der Relation ein Gegengewicht bietet. Passender wären solche Begriffe wie ‚Konzentration‘ und ‚Relativierung‘. 293 Balandier (1959), S. 164. 294 In der Analyse dieser Widersprüche liegt die Parallele zwischen Polanyis und Mauss’ ökonomischer Theorie und ihr gemeinsamer kritischer Kern. Weniger in ihrer Annahme, eine Wirtschaft sei durch die institutionelle Einbettung unterschiedlicher Allokationsmechanismen gekennzeichnet, die bei Mauss eben Gaben- und Warentausch, bei Polanyi Reziprozität, Redistribution und Marktaustausch heißen. Siehe für eine komparative Analyse, die dies in den Vordergrund stellt Steiner, Philippe (2009): The critique of the economic point of view: Karl Polanyi and the Durkheimians. In: Hann, Chris/Hart, Keith (Hg.): Market and Society: The Great Transformation Today, Cambridge: Cambridge University Press, S. 56-71. 295 Nancy Fraser nennt diesen Prozess optimistisch „emancipation“, siehe Fraser, Nancy (2010): The Crisis of Capitalism. Lecture I: Marketization, Social Protection, Emancipation, Vortrag am 19. April 2010, Goethe Universität Frankfurt am Main.

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der Mediatisierungsprozess zwischen ihnen ideologischen Verzerrungen unterliegen kann. Es geht in solchen Fällen also, wie Boltanski und Chiapello in ihrer Analyse des ‚neuen Geist des Kapitalismus‘ argumentieren, um die Diagnose der Einverleibung von kritischen Reform- und Revolutionsbewegungen in die reproduktiven Mechanismen eines oppressiven Systems.296 Das ist auch Polanyis kritischer Kern: Die sowohl außerhalb einer im wörtlichen Sinne politischen Ökonomie wissenschaftlich vollzogene als auch praktisch gelebte Gegenüberstellung von sozialer Sicherung und Markt, die durch den Staat in ein ausgeglichenes Mächteverhältnis gebracht werden sollen, ist als solche immer schon zugleich Triebfeder und dient der Verschleierung der realen Wertschöpfungsmechanismen. Eine derartige Dichotomie verklärt Prozesse kapitalistischer Reproduktion wie zum Beispiel Spenden, gift-giving und ähnliches zu anti-kapitalistischen und/oder kritischen Gegenbewegungen zum kapitalistischen Reproduktionsmechanismus.297 In Bezug auf die Situation der Küstenalgonkin wird nun angenommen, dass der Kontakt zu einer Legitimationskrise, genauer: einer Erschütterung der Einheit der beiden Rechtfertigungsordnungen geführt hat. Während Verrazzano, wie der Bericht seiner Reise zeigt, keinen Zweifel an der stark hierarchisierten Struktur der Gesellschaft der Narragansett hegte, häufen sich in den Quellen der Nachkontaktphase Bemerkungen, die eine zunehmend ambivalente Rolle der Sachem und eine verstärkte Ermöglichung des raschen Erlangens von Reichtum für gewöhnliche Mitglieder der Küstenalgonkingesellschaft andeuten, Prozesse, die mit einer zunehmenden Verbreitung von Wampum in alle Sphären der Gesellschaft einhergehen. Die heuristische Grundannahme der folgenden Ausführungen ist, dass ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Prozessen besteht, dessen Ursache und Natur es näher herauszuschälen gilt. Es soll hernach im Folgenden mit Hilfe des im ersten Teil erarbeiteten analytischen Arsenals, sprich: dem neuen Geldbegriff und dem Konzept der totalen sozialen Tatsache, die Theorie am empirischen Gegenstand getestet werden. Um die Situation der gleichzeitigen Erschütterung und Relegitimation der vor-kolonialen Rechtfertigungsordnungen begrifflich zu fassen, möchte ich an dieser Stelle den Begriff ‚parakoloniale Situation‘ (‚para‘, altg. sowohl ‚nebeneinander‘, ‚zeitgleich‘ als auch ‚gegen‘) zur Kennzeichnung einer derartigen „dynamique sociale totale“ einfüh296 Boltanski, Luc/Chiapello, Ève (2007) 297 Das Verkennen dieser Prozesse stellt ein Grundproblem vermeintlich kritischer Auseinandersetzungen mit dem emanzipatorischen Potential von advertising-Prozessen oder Gebrauchswert dar. Siehe exemplarisch: Foster, Robert J. (2007): The Work of the New Economy: Consumers, Brands, and Value Creation. In: Cultural Anthropology 22, S. 707-731.

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ren.298 Er soll die Aufmerksamkeit auf die gegenseitige, jedoch phasenhaft und räumlich begrenzt verbleibende Beeinflussung zweier Kulturen in einer Situation lenken, die lediglich Samen der kolonialen Herrschaft in sich trägt.299 Der koloniale Apparat gewaltvoller und durchdringender Kontroll- und Disziplinierungsmechanismen, die versuchen, die Gesellschaft der Kolonisierten zu zähmen und zu dominieren, wartet jedoch noch auf seine volle Ausbildung und die Wirkungsmacht der Kolonisatoren verbleibt zunächst noch punktuell, lateral und beschränkt. Nichtsdestotrotz ermöglichen para-koloniale Begegnungen gerade durch ihre Unscheinbarkeit und Randposition das indigene Anfechten präkolonialer normativer Rechtfertigungsordnungen. Dies konfrontiert die parakolonisierte Gesellschaft mit der Notwendigkeit, die infrage gestellte Rechtfertigungsordnung entweder zu re-legitimieren oder die kulturellen Brüche, die durch die para-koloniale Situation entstanden sind, zu akzeptieren. Durch die Betonung des Glaubens an die Möglichkeit des autonomen Erlangens des Status eines respektierten und wertvollen Mitglieds der Gesellschaft ungeachtet der politischen Beziehungen und Verwandtschaftsverhältnisse bei gleichzeitiger Präservierung des hereditären politischen Systems optieren die Gesellschaften der Küstenalgonkin jedoch für eine hybride Reaktion: Sie versuchen, Alt und Neu miteinander zu vereinen, indem sie die neuen Möglichkeiten zugleich anfechten als auch begeistert empfangen. Es wird sich zeigen, dass Wampum hierbei als fetischisierter Vermittler fungiert, wobei seine Funktion auf der ‚offensichtlichen‘ Ebene jene Machtverhältnisse innerhalb der Gesellschaft der Küstenalgonkin verdeckt, die durch die Kontaktsituationen und Möglichkeiten individuellen Gewinnstrebens infrage gestellt worden sind. Dass Wampum dies gelingt, liegt nicht allein an seiner Farbe, jedoch spielt seine Materialität als perforierte Perle 298 Der Begriff ‚para-kolonial‘ ist in mehrfacher Hinsicht treffender als ‚kolonial‘ oder ‚prä-kolonial‘: Während ‚prä-kolonial‘ die bereits seit einem Jahrhundert vorhandene Beeinflussung der indigenen Gesellschaft negiert, suggeriert der Begriff ‚kolonial‘ eine bereits etablierte Machthierarchie zugunsten der Kolonialmacht. Die ‚parakoloniale Situation‘ entwickelt sich jedoch in einem zeitgleichen mit und gegen und ist ebenso inhärent widersprüchlich wie die ‚post-koloniale‘ Situation. Siehe zum Begriff der „post-colony“ vor allem Mbembe, Achille (2001): On the postcolony, Berkeley: University of California Press. Die Ermöglichung einer Restrukturierung der indigenen Gesellschaft kann die Entstehung eines suppressiven Kolonialsystems verhindern oder erschweren. Wir werden in Kapitel 4 sehen, dass genau dies auf den Fall der Neu-Niederlande zutrifft. 299 Die ‚para-koloniale‘ Phase erstreckt sich für den neu-englischen Fall von den ersten Kontakten im frühen 16. Jahrhundert bis zum Pequot War 1637, für den neuniederländischen bis weit in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts.

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eine Rolle.300 Aus diesem Grund sollen zunächst anhand eines kurzen Exkurses die performativen Möglichkeiten der Nutzung von Muschelperlen zur Etablierung von repressiv-ideologischen Gesellschaftssystemen allgemein untersucht werden, um im anschließenden Kapitel die Rolle Wampums innerhalb der Kultur der Küstenalgonkin näher bestimmen zu können.

M USCHELGELD : Ü BER DER P ERLE ALS G ELD

DIE BESONDERE

E IGNUNG

Ein Blick auf die illustrative Zusammenstellung primitiver Geldformen in Einzigs Standardwerk Primitive Money offenbart, dass Muscheln und muschelähnliche Objekte in einer überdurchschnittlichen Häufigkeit als Geldform Verwendung gefunden haben.301 Neben den Standardbeispielen der Kauri-302 und Wampummuscheln finden wir Muschelgeld bei den Wodani,303 an der Nordwestküste Nordamerikas,304 als Tambu bei den Tolai,305 als Ndap und Kö-Geld auf Rossel Island,306 bei den südkalifornischen Chumash307 oder als Bonang bei den

300 Die strukturellen Ähnlichkeiten zum Geld erklären auch den zeitgenössischen Konsens, es handele sich bei Wampum um ‚indian money‘. 301 Einzig (1951). Ganz ähnlich Quiggin, A. Hingston (1949): A Survey of Primitive Money. The Beginnings of Currency, London: Methuen. Vgl. Stearns, Robert E.C. (1877): Aboriginal Shell Money. In: The American Naturalist 11, S. 344-350. 302 Vgl. hierzu Saul, Mahir (2004): Money in Colonial Transition: Cowries and Francs in West Africa. In: American Anthropologist 106, S. 71-84 und Hogendorn, Jan/Johnson, Marion (1986): The Shell Money of the Slave Trade, Cambridge: Cambridge University Press. 303 Breton, Stéphane (1999): Social Body and Icon of the Person: A Symbolic Analysis of Shell Money among the Wodani, Western Highlands of Irian Jaya. In: American Ethnologist 26, S. 558-582. 304 Du Bois (1936). 305 Solyga, Alexander (2013): Tabu. Das Muschelgeld der Tolai: Eine Ethnologie des Geldes in Papua-Neuguinea, Berlin: Reimer. 306 Armstrong, W.E. (1924): Rossel Island Money: A Unique Monetary System. In: The Economic Journal 34, S. 423-429. 307 Gamble, Lynn H. (2008): The Chumash world at European contact. Power, trade and feasting among complex hunter-gatherers, Berkeley: University of California Press.

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Urapmin.308 Obwohl Muscheln also eine der am weitesten verbreiteteten Geldformen darstellen, beschäftigen sich innerhalb der ethnologischen Forschungsliteratur wenige theoretische Auseinandersetzungen mit der Frage, welche Eigenschaften Muscheln denn zu einer besonders geeigneten Form des Geldes machen. Einer der wenigen Ethnologen, die sich mit dieser Frage beschäftigten, ist David Graeber. In seinem Artikel Beads and Money: Notes toward a Theory of Wealth and Power309 beschreibt er Perlen als perfektes Zirkulationsmedium zwischen Ökonomien, die er mit dem Begriff „full-blown commercial“ bezeichnet, und solchen, die er als „full-blown ceremonial“ hätte bezeichnen können. Was sie dafür besonders geeignet mache, sei ihre Fähigkeit, sowohl als generische (in der Form einzelner, kaum unterscheidbarer Perlen, die auf nahezu paradigmatische Weise jene Eigenschaften aufweisen, die häufig als elementaren Charakteristika des Geldes betrachtet werden, nämlich gut teilbar, transportierbar, haltbar und zumeist schwierig zu kopieren zu sein) als auch als konkrete, individuelle Objekte (in der Form auf verschiedenster Art zusammengesetzter Ornamente) zu zirkulieren. Graeber verbleibt jedoch auf einer Ebene, welche die bereits kritisierten Dichotomien zwischen Gebrauchs- und Tauschwert, Gabe und Ware/Geld nicht kritisch genug hinterfragt. Zudem essentialisiert er die beiden jeweils am Tausch beteiligten Gruppen zu homogenen Blöcken und reproduziert dabei den bereits oben kritisierten Mythos des farbenfrohen Indigenen ebenso wie den des profitorientierten Europäers: Die indianische Freude am Ornament werde vom gierigen Kolonisten ausgenutzt. Im Folgenden soll vielmehr danach gefragt werden, warum Perlen so besonders geeignet sind, innerhalb verschiedenster Kulturen die Rolle des primären Zirkulationsmediums zu erlangen. Eine Beantwortung dieser Frage – die Graeber elegant umschifft – ist notwendig, um die Gewährleistung der Wertbeständigkeit der Muscheln im interkulturellen Tausch, die einen so reibungslosen Ablauf der Wertakkumulation ermöglicht, zu erklären. Warum also finden sich Muscheln und Perlen so häufig als primäre Zirkulationsmedien (man könnte ergänzen: besonders in Situationen para-kolonial forcierter Desintegrationsprozesse)? Die Antwort scheint in ihrer Fähigkeit zur Materialisierung des Zusammenhangs von Individualität und Kollektivität, Teilen und Ganzem zu liegen, der ihnen durch die Eigenschaft der Multiplizität verliehen wird. Muschelperlen las308 Robbins, Joel (1999): This is Our Money. Modernism, Regionalism, and Dual Currencies in Urapmin. In: Akin, David/Robbins, Joel (Hg.): Money and Modernity. State and Local Currencies in Melanesia, Pittsburgh: University of Pittsburgh Press, S. 82-102. 309 Graeber, David (1996): Beads and Money: Notes toward a Theory of Wealth and Power. In: American Ethnologist 23, S. 4-24.

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sen sich wie kaum eine andere Objektklasse ohne größeren Aufwand auf Schnüre ziehen, zu Gürteln oder anderen Ornamenten verarbeiten und anschließend wieder in einzelne Perlen zerlegen. Weiss’ Diskussion über Kauribündel und die Bedeutung ihrer materiellen Verfasstheit folgend,310 möchte ich demnach die These äußern, dass sich die politisch bedeutende Beziehung zwischen Ganzem und Teilen, zwischen Gesellschaft und Individuum im Knüpfen, Entknüpfen und Wiederknüpfen von singulären Perlen zu generischen oder konkreten Formen materialisiert und sich die Reorganisation und Restrukturierung gesellschaftlicher Struktur in diesen Handlungen spiegelt. Jeder Akt des Aufreihens singulärer Perlen und jedes Auseinanderreißen komplexer Ketten stellen demnach ikonische Symbole der Konstruktion und Dekonstruktion gesellschaftlicher und/oder individueller Ganzheit dar ebenso wie konkrete und generische Formen Markierungen der Grenze zwischen und Einheit von Individuum und/oder Gesellschaft.311 Diese Grenzen werden dabei als aushandelbar erfahren und können neu justiert werden.312 Auf die Fähigkeit von Muschelperlen, ikonisch den Zusam310 Weiss, Brad (2003): Sacred Trees, Bitter Harvests. Globalizing Coffee in Northwest Tanzania, Portsmouth: Heinemann, hier S. 53-59. Bezüglich der Kaurimuscheln findet sich schon in Johnson, Samuel (1960): History of the Yoruba. From the Earliest Times to the Beginning of the British Protectorate, Lagos: CMS Bookshops, S. 139 folgende interessante Bemerkung: „He accepts presents from all the relatives, who are the mourners – of stringed cowries from the men, and unstringed from the women.“ 311 So gelingt es Graeber trotz der starken Orientierung an Hamells Thesen die Bedeutung der Muschelperlen für die Reproduktion der durch Krisen erschütterten Gesellschaft der Irokesen herauszustellen. Zurückgehend auf seine zuvor entwickelte Werttheorie, die den Wert eines Objektes als entweder aus vergangenen Leistungen entstammend oder zukünftigen Möglichkeiten entspringend konzeptualisiert, nimmt er plausibel an, dass das Knüpfen einzelner Wampumperlen zu konkreten Gürteln den Prozess der Inkorporation neuer Mitglieder durch Adoptionen sowie den erfolgreichen Abschluss von Friedenverhandlungen nicht nur ikonisch symbolisiert, sondern ebenso überhaupt erst ermöglicht hat; siehe Graeber (2001), Kapitel 5, vor allem S. 145: „[…] the process of weaving them together – was itself a model of the process it was meant to mediate, […] of converting the potential for destruction into harmony by integrating it into a larger social whole.“ 312 Ganz ähnlich argumentiert Holbraad, wenn er schreibt, dass sein „[…] central point will be that quantity has more advantages than just abstraction and serves to distinguish money from other objects of exchange when the possibility of abstraction is effectively suppressed.“ Siehe Holbraad, Martin (2005): Expending Multiplicity: Money in Cuban Ifá Cults. In: Journal of the Royal Anthropological Institute 11, S.

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menhang von Individualität und Kollektivität zu symbolisieren, verweist auch Akin in seinem Beitrag im Sammelband Money and Modernity: „Although a large valuable [ein Ensemble verschiedener kleinerer Muschelstränge, Anm. M.S.] retains all of its monetary content, this additional value makes it ‚worth‘ more than the mere monetary sum of its parts.“313 In Kontexten sozialer Krisen können Muscheln demnach eine vermittelnde Rolle einnehmen und brüchig gewordene Machtordnungen erneut legitimieren. Ihr häufiges Auftreten ist zumindest ebenso dieser Eigenschaft wie ihrer jeweiligen Farbe oder anderen Charakteristika geschuldet.314 Zudem sind sie durch ihre Materialität in der Lage, die aus der Perspektive Agliettas und Orléans notwendige Rebalancierung homogenisierender und fragmentierender Prozesse innerhalb eines sozioökonomischen Systems in einem Medium zu vermitteln. Die küstenalgonkische Verwendung des Wampum wird demnach im Folgenden als ein Beispiel eines monomedialen Geldsystems diskutiert.

231-254, hier S. 232. Das Problem seiner Analyse scheint aber der Versuch zu sein, einen graduellen Unterschied zwischen verschiedenen Objekten (die Quantität des Geldes vs. die Qualität der Formen des Nicht-Geldes) zu einem grundlegenden Unterschied zu machen. 313 Akin, David (1999): Cash and Shell Money in Kwaio, Solomon Islands. In: Akin, David/Robbins, Joel (Hg.): Money and Modernity. State and Local Currencies in Melanesia, Pittsburgh: University of Pittsburgh Press, S. 103-130, hier S. 111. 314 Siehe auch die hervorragende Arbeit Parmentier, Richard (2002): Money Walks, People Talk. Systemic and Transactional Dimensions of Paluan Exchange. In: L’Homme 162, S. 49-80.

‚Pre-contact american dream‘ – Die Lebenswelt der Küstenalgonkin und ihr monomediales Geldsystem Sachem: ein kleiner Vogel, nicht größer als eine Schwalbe, dem die Indianer diesen Namen aufgrund seines dem Sachem ebenbürtigen Mutes und seiner Befehlsgewalt über größere Vögel gaben. So sieht man diesen kleinen Vogel häufig Krähen und andere, im Vergleich zu ihm sehr viel größere Vögel jagen und verscheuchen1 ROGER WILLIAMS

Auch wenn ethnographische Beschreibungen nordamerikanischer Kulturen noch immer auffallend häufig anhand der innerhalb der Ethnologie etablierten Diskursregeln organisiert werden, das heißt einzelne Teilbereiche einer Kultur nacheinander abgearbeitet werden (Verwandtschaft, Wirtschaft, Religion usw.),2 soll an dieser Stelle versucht werden, ein diese vermeintlich trennbaren Bereiche überspannendes Wertesystem zu skizzieren, um in der Lage zu sein, den bereits angedeuteten Paradoxien in der Beschreibung der Küstenalgonkin gerecht zu

1

Williams (1936/1643), S. 92; [„Sachim: a little Bird about the bignesse of a swallow, or lesse, to which the Indians give that name, because of its Sachim or Princelike courage and Command over greater Bird, that a man shall often see this small Bird pursue and vanquish and put to flight the Crow, and other Birds farre bigger then it selfe.“]

2

Siehe das Inhaltsverzeichnis bei Bragdon (1996), das die alten Kategorien zwar modisch aufpeppt – aus der Beschreibung der alltäglichen Aktivitäten wird ‚The Quotidian World‘, aus ‚Politischer Struktur‘ ‚The Sachemship and its Defenders‘, aus ‚Religion‘ ‚Cosmology‘ usw. –; jedoch im Grunde das Muster nicht verlässt.

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werden. Eine äußerst aufschlussreiche und illustrative Passage findet sich bei Matthew Mayhew. Sie soll hier ausführlich zitiert werden, da sie noch einmal die widersprüchliche Beschreibung der politischen Organisation der Küstenalgonkin vor Augen führt: „Ihre Regierung war durch und durch monarchisch. In den Fällen, in denen die Größe des Herrschaftsgebiets es nicht erlaubte, dass der Prinz es persönlich regierte, legte er die Verantwortung in die Hände eines Leutnants, dessen Herrschaft ebenso absolut war. Nichtsdestotrotz: Betreffs schwieriger Fragen konsultierte der Prinz von ihm aufgrund ihrer Weisheit geschätzte ebenso wie adlige Personen, wobei es bewundernswert war, das majestätische Verhalten des Prinzen während seiner Reden mit seinem Rat zu beobachten, freiheitliche Diskussionen jedes vom Rat angesprochenen Problems, nach denen all dem, wofür er sich entschieden hat, ohne Zögern und, zumindest scheinbar, freudig zugestimmt wurde und man seine Lösungsvorschläge eifrig in die Tat umsetzte.“3

Diese Passage sprudelt über vor ungerechtfertigten Folgerungen und sich einschleichenden Paradoxien. Während die „Regierung“ im ersten Satz als „durch und durch monarchisch“ charakterisiert wird, diskutiert Mayhew einige Zeilen später deliberative Entscheidungsfindungsprozesse, die jedoch so oder so letzten Endes durch den Sachem entschieden würden und anschließend ohne jedes „Zögern“, jedoch lediglich scheinbar mit Eifer, in Handlungen mündeten. Die bisherigen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit diesen Widersprüchen ten3

Mayhew, Matthew (1695): The Conquests and Triumphs of Grace: Being a Brief Narrative of the Success which the Gospel hath had among the Indians of Martha’s Vineyard (and the Places adjacent) in New-England. London: Printed for Nath. Hiller, hier S. 13 ff.; [„Their Government was pureley Monarchical; and as for such whose dominions extended further than would well admit the Princes personal guidance, it was commited into the hands of Lieutenants, who Governed with no less absoluteness, than the Prince himself: notwithstanding in matters of difficulty, the Prince consulted with his Nobles, and such whom he esteemed for Wisdom; in which it was admirable to see the Majestick deportment of the Prince, his Speech to his Council, with the most deliberate discussion of any matter proposed for their advise, after which what was by him resolved, without the least hesitation was applauded, and with at lest a seeming Alacrity attended. The Crown (if I may so term it) alwayes descended to the Eldest Son (though Subject to usurpation) not to the Female, unless in defect of a Male of the Blood; the Blood Royal, being in such Veneration among this People, that if a Prince had issue by divers Wives, such Suceeded as Heir who was Royally descended, by the Mother, although the Youngest; esteeming his issue by a Venter of less quality than a Princess, not otherwise than Sachims or Noblemen.“]

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dieren dazu, sie zugunsten einer Seite aufzulösen. So liegt der Schwerpunkt bei Bragdon und Speck eher auf den hierarchischen und autoritativen Strukturen. Speck, sicherlich eine der maßgeblichen Autoritäten auf dem Gebiet des nordöstlichen Nordamerikas, in diesem Fall jedoch von den auf ihn folgenden Wissenschaftlern nahezu ignoriert, spricht dementsprechend gar von einem „feudal regime“4. Die Alternative wird von Johnson und Thomas vertreten. Letzterer betont ausdrücklich den individuellen Charakter der Gesellschaft der Küstenalgonkin: „One fact stands out clearly in the ethnohistorical record of seventeenthcentury New England. Indian societies were highly individualistic.“5 Paul Alden Robinson scheint hingegen in seiner recht unbeachteten Doktorarbeit The Struggle within: The Indian Debate in Seventeenth-Century Narragansett Country6 dem Problem zunächst gerecht zu werden, indem er davon ausgeht, dass durch den Kontakt und vor allem durch die wütenden Epidemien die vormals nicht voneinander abgrenzbaren Werte der Autonomie und der Einheit zerfallen sind und das politische System so einer Legitimationskrise unterworfen wurde. Er versäumt jedoch, zwischen diesen beiden kulturellen Wertvorstellungen und realen politischen Machtverhältnissen präzise zu unterscheiden und fällt so letzten Endes auf die Seite jener Wissenschaftler zurück, die die politische Autonomie der Mitglieder der Kultur der Küstenalgonkin betonen, die dann lediglich durch die zunehmende Verflechtung in kolonialpolitische Machtkämpfe, die eine starke politische Zentralisierung in Gang setzen, infrage gestellt worden sei.7 Dass ich mich von meinem Sachem lossagen kann, um bei einem 4

Bragdon (1996) und Speck, Frank G. (1928): Territorial Subdivisions and Boundaries of the Wampanoag, Massachusett, and Nauset Indians, New York: Museum of the American Indian, hier S. 16.

5

Thomas (1979), S. 399. Siehe auch Johnson, Eric S. (1993): „Some by Flatteries and others by Threatenings“: Political Strategies among Native Americans of SeventeenthCentury Southern New England, Amherst: PhD Dissertation, Johnson, Eric S. (1998): Released from Thraldom by the Stroke of War: Coercion and Warfare in Native Politics of Seventeenth-Century Southern New England. In: Northeast Anthropology 55, S. 1-13 und Johnson, Eric S. (1999): Community and Confederation: A Political Geography of Contact Period Southern New England. In: Levine, Mary Ann/Nassaney, Michael S./Sassaman, Kenneth E. (Hg.): The Archaeological Northeast, Westport/London: Bergin & Garvey, S. 155-168.

6

Robinson, Paul Alden (1990): The Struggle within: The Indian Debate in Seventeenth Century Narragansett Country, Binghampton: PhD Dissertation.

7

In einem späteren Aufsatz scheint er den Widerspruch gerechtfertigterweise zu dehistorisieren, wenn er von einer „[…] contradiction between an essential structural principle, that the sachem’s power and authority was based in persuasion and consensus-

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anderen Schutz zu suchen, ist jedoch keineswegs Zeichen politischer Autonomie, sondern beweist lediglich, dass ich mir unter verschiedenen Sachem denjenigen aussuchen kann, unter welchen ich mich unterordnen möchte.8 Im Folgenden soll es vielmehr darum gehen, anhand einer Explikation der zentralen Wertvorstellungen der Kultur der Küstenalgonkin näher zu erläutern, inwieweit und auf welche Art faktische politische Hierarchien und kulturell angenommene Egalität nebeneinander existieren konnten, um so die Paradoxien und Ambivalenzen innerhalb der zeitgenössischen Beschreibungen anerkennend auflösen zu können. Es wird sich zeigen, dass das indigene politische System ebenso wie die Verteilung von Wert innerhalb der Gesellschaft de jure, das meint diskursiv, als höchst egalitär präsentiert werden, de facto jedoch als höchst ungleich beschrieben werden müssen. Während die Position eines Sachem hereditär an einen männlichen Nachfolger weitergegeben wird,9 politische Einflussnahme demnach verwandtschaftliche Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe voraussetzt und außerhalb der Erreichbarkeit einzelner Individuen liegt, suggeriert das kulturelle Ideal der Autonomie und Individualität die Möglichkeit eines autarken Erlangens gesellschaftlicher Anerkennung für jedes Mitglied. Die Öffnung der Grenze zwischen den beiden wertgenerierenden Sphären wird nun durch die verstärkte Zirkulation von Wampum geschlossen.10 Es soll demnach nachgewiesen werden, building, and acts of officially sanctioned coercion against individuals and families“ spricht, siehe Robinson, Paul A. (1996): Lost Opportunities: Miantonomi and the English in Seventeenth-Century Narragansett Country. In: Grumet, Robert S. (Hg.): Northeastern Indian Lives, 1632-1816, Amherst: University of Massachusetts Press, hier S. 25. 8

Siehe Gookin, Daniel (1806/1674): Historical Collections of the Indians of New England, in Collections of the Massachusetts Historical Society 3, S. 141-229, S. 154: „Their sachems have not their men in such subjection, but that very frequently their men will leave them upon distaste or harsh dealing, and go and live among other sachems that can protect them […].“

9

Goddard, Ives/Bragdon, Kathleen J. (1988): Native writings in Massachusett, Philadelphia: American Philosophical Society, S. 135, stellt zum einen eine der wenigen emischen Aussagen zum Thema dar, zum anderen zeigt die folgende Stelle, dass noch im Jahre 1701 die Weitergabe des Sachemamtes hereditär erfolgte: „[…] in the same manner becomes our sachem by straight succession.“

10 Die hohe Zirkulationsreichweite Wampums sei hier anhand eines Zitats aus Gookin (1806/1674), hier S. 152 noch einmal illustriert: „With this wompompeague they pay tribute, redeem captives, satisfy for murders and other wrongs, purchase peace with their potent neighbours, as occasion requires; in a word, it answers all occasions with them, as gold and silver doth with us. They delight much in having and using knives,

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dass die universelle Zirkulation von Wampum durch jeden Teil der Gesellschaft die Widersprüche innerhalb der Gesellschaft verdeckt und so den Glauben an eine gleichmäßige Verteilung von Wert reproduziert. Wampum schließt die Lücke zwischen traditioneller Hierarchie und individuellen Aufstiegsmöglichkeiten, die durch die Kontaktsituation und wiederkehrende Epidemien geschaffen wurde, ähnlich wie der freudsche Fetisch den zwischen Wunsch und Realität: Das politisch repressive System wird nicht passiv vergessen, sondern aktiv geleugnet. Man kann sich demnach vorstellen, dass Roger Williams und andere Beobachter sich von den Erzählungen einzelner Personen haben blenden lassen, die aus emischer Perspektive an die Möglichkeit eines „voting with their feet“11 und an die Erreichbarkeit politischer Einflussnahme glauben, obwohl Williams in seinen Beschreibungen des politischen Systems kein Zweifel daran lässt, dass dem Sachem nahezu omnipotente Mittel zur Verfügung stehen. Er ist für die Verteilung des beackerbaren Landes zuständig,12 repräsentiert die Gruppe sowohl nach innen als auch nach außen, ordnet Bestrafungen einzelner Untergebener an und führt die sich anschließenden Bestrafungen zumeist selbst aus.13 Levitt beobachtet gar, dass die Sachem nur selten mit den „gewöhnlichen Männern“ (sanops) kommunizierten: „Die Sachem sprechen sehr wenig mit dem gewöhnlichen Manne. Sie sagen, dass Sanops mit Sanops und Sachem mit Sachem verkehren.“14 Das politische System steht demnach aus etischer Perspektive betrachtet in deutlichem Gegensatz zum kulturellen Ideal, für das ich im Folgenden den von combs, scissors, hatchtes, hoes, guns, needles awls, looking-glasses, and such like necessaries, which they purchase of the English and Dutch with their peague, and then sell them their peltry for their wompompeague." Siehe ebenso den eindrucksvollen Katalog verschiedener Funktionen des Wampum in Smith (1983). 11 Axtell, James (1986): The invasion within. The contest of cultures in Colonial North America, New York: Oxford University Press, S. 143. 12 Siehe u.a. Brinley, Francis (1900/1696): Briefe Narrative of the Nanhiganset Countrey. In: Rhode Island Historical Society, Publications 8, S. 69-96, hier S. 73. 13 Vgl. dazu Williams (1936/1643), S. 144: „The most usuall Custome amongst them in executing punishments, is for the Sachim either to beat, or whip, or put to death with his owne hand […].“ Siehe auch Wood (1977/1635), S. 97ff. 14 Levitt, Christopher (1905/1624): My Discovery of diverse Rivers and Harbours, with their names, and which are fit for Plantations, and which not. In: Winship, George Parker (Hg.): Sailor’s Narratives of Voyages along the New England Coast 15241624, Boston: Houghton, Mifflin & Co., S. 259-292, hier S. 284; [„The Sagamores will scarce speake to an ordinary man, but will point to their men, and say Sanops, must speake to Sanops, and Sagamors to Sagamors.“]

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Charles Taylor geprägte Terminus ‚Hypergut‘ verwenden möchte, der sich auf unhintergehbare Konzepte mit ethischen und moralischen Konsequenzen bezieht und so die überindividuelle Wirkungskraft dieser unterstreicht.15 Alle Handlungen, Objekte – Taylor würde den hegelschen Begriff des objektiven Geistes bevorzugen – und Mitglieder der Kultur, die in irgendeiner Form an diesem Hypergut partizipieren, werden als wertvoll wahrgenommen. Wir können demnach von der Existenz zweier Wertregister ausgehen, die durch den Kontakt zunehmend in Konflikt miteinander geraten. Während das Register des Hypergutes die Möglichkeit des autarken Erlangens von Wert suggeriert (es organisiert die Anerkennung von Einzigartigkeit), regelt das politische Register die Verteilung von politischer Einflussnahme durch hereditäre Weitergabe (es organisiert die Anerkennung von politischer Macht).16 Die Annahme zweier Wertregister bietet die Möglichkeit, den gesamten Raum ‚sozialer Imagination‘ – Durkheimianer würden den Begriff der ‚kollektiven Repräsentation‘ bevorzugen – und somit auch den objektiven Niederschlag des Widerspruches zwischen den beiden Wertregistern zu untersuchen. Wir werden im Folgenden sehen, dass die meisten der ‚kollektiven Repräsentationen‘ den Glauben an das 15 Taylor, Charles (1996): Quellen des Selbst. Die Entstehung der neuzeitlichen Identität, Frankfurt am Main: Suhrkamp. Besonders prägnant S. 124: „Höherstufige Güter dieser Art möchte ich ‚Hypergüter‘ nennen, also Güter, die nicht nur unvergleichlich viel wichtiger sind als andere, sondern die auch den Standpunkt abgeben, von dem aus diese anderen abgewägt, begutachtet und beurteilt werden müssen.“ Der Begriff ‚Güter‘ suggeriert zunächst, es handele sich hierbei um transferierbare Objekte. Eine derartige Analyse übersieht den aristotelischen Ursprung des Begriffs. So ist das höchste Gut eines ästhetisch interessierten Menschen die Schönheit. Ganz ähnlich verwendet Albert, Ethel (1956): The Classification of Values: A Method and Illustration. In: American Anthropologist 58, S. 221-48 den Begriff „focal value“, Ortner, Sherry B. (1973): On Key Symbols. In: American Anthropologist 75, S. 1338-1346 hingegen spricht von „key symbols“ und Dumont von „idées-valuers“, siehe Dumont, Louis (1970): Homo Hierarchicus. The Caste System and its Implications, London: Weidenfeld and Nicolson, passim. 16 Eine rigide konzeptuelle Trennung wird der real zu beobachtenden Interpenetration der beiden Register nicht immer gerecht. Sicherlich ermöglichte die Betonung des Hypergutes in einigen Fällen die Freischälung aus den oppressiven Herrschaftsstrukturen und führte so zu einer Etablierung egalitärerer Strukturen im politischen Bereich. Siehe hierzu auch Kapitel 3.10 sowie bahnbrechend Leach, Edmund R. (2004): Political Systems of Highland Burma. A Study of Kachin Social Structure, London: Berg. Nichtsdestotrotz scheint die konzeptuelle Anbindung egalitärer Individualismus: Hypergut und hereditäre Hierarchie: Politik dem Material angemessen.

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Hypergut reproduzieren. In einigen wenigen jedoch lässt sich zusätzlich der Widerspruch zwischen den beiden Registern gleichsam ablesen.17

AUTONOMIE UND E INZIGARTIGKEIT DURCH T RANSFORMATION ALS H YPERGUT DER K ULTUR DER K ÜSTENALGONKIN […] es ist die Gesellschaft als Ganzes, die ihre Mitglieder lehrt, daß es für sie im Rahmen der sozialen Ordnung keine andere Chance gibt als den ebenso absurden wie verzweifelten Versuch, ihr zu entrinnen18 LÉVI-STRAUSS ÜBER DIE GESELLSCHAFTEN DER INDIANER NORDAMERIKAS

Liest man zeitgenössische Beschreibungen der Kultur der Küstenalgonkin, stößt man immer wieder auf Passagen, die auf eine beinahe obsessive Beschäftigung mit transformativen Prozessen hinweisen, welche als notwendiger Schritt zum Erreichen des Status eines kompletten, einzigartigen und wertvollen Charakters19 dargestellt werden. In den Augen der Küstenalgonkin erlangt man Wert durch das Überstehen oder Ausagieren körperlicher und mentaler Alterationen und Transformationen, durch die Überschreitung von gesellschaftlicher Normalität und die Zurschaustellung individueller Einzigartigkeit.20 Die Realisierung

17 Ganz ähnlich setzt Turner, Terence (1984): Dual Opposition, Hierarchy, and Value. Moiety Structure and Symbolic Polarity in Central Brazil and Elsewhere. In: Galey, J.C. (Hg.): Différences, valeurs, hiérarchie: Textes offerts à Louis Dumont, Paris: Editions de l’Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales, S. 335-370 die Existenz zweier Wertregister bei den Kayapo Zentralbrasiliens voraus. 18 Lévi-Strauss, Claude (1978): Traurige Tropen, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 34. 19 Der Begriff Charakter ist hier bewusst und in Anschluss an das altgriechische kharaktēr, das die Bedeutung von ‚eingebrannt‘, ‚eingeprägt‘ trägt, gewählt (vgl. mit altgriechisch kharassō, ‚Ich graviere ein‘). 20 Ganz ähnlich schreibt Romero, R. Todd (2006): ‚Ranging Foresters‘ and ‚WomenLike Men‘: Physical Accomplishment, Spiritual Power, and Indian Masculinity in Early-Seventeenth-Century New England. In: Ethnohistory 53, S. 281-330, hier S. 282: „[…] manhood was something to be accomplished through exemplary deeds,

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derartiger Handlungen liegt in den Händen eines jeden einzelnen, und die Gesellschaft selbst stellt sich ihren Mitgliedern bei deren autonom und autark ausagierten Versuchen, sich auszuzeichnen, scheinbar nicht in den Weg.21 Im Gegenteil wird innerhalb der Kultur der Küstenalgonkin angenommen, dass Individualität die Grundlage der gesellschaftlichen Reproduktion darstellt 22: Sich von anderen abzusetzen heißt also, das klingt zunächst widersprüchlich, sich ihnen auf einer anderen Ebene anzunähern. Während die sich zur Kontrastierung anbietende Personenkonzeption der von Leenhardt untersuchten Neo-Kaledonier,23 die innerhalb der Ethnologiegeschichte vor allem durch Cliffords Interpretation zu einer universell gültigen Vorstellung menschlicher Identität als multipel und wandelbar ausgearbeitet werden sollte, auf einer Vielzahl relationaler Verhältnisse mit anderen Mitgliedern der Gesellschaft fußt, wird ein Küstenalgonkin also vor allem durch die Kappung relationaler Verhältnisse zu einem respektierten Mitglied der Gesellschaft. Sein Personenstatus beruht auf Unabhängigkeit von und Auszeichnung gegenüber anderen Küstenalgonkin. Im Folgenden soll es nun darum gehen, anhand einer Diskussion verschiedenster Bereiche des alltäglichen und außeralltäglichen Lebens die Existenz und Wirksamkeit dieses hier zunächst hypothetisch angenommenen Hypergutes zu plausibilisieren. Dazu werde ich zunächst die ethnographische Beschreibung durch eine Analyse alltäglicher Aktivitäten wie Körperschmuck, Nahrungsaufnahme und Formen des miteinander Redens vervollständigen und nachweisen, dass und inwiefern selbst derart alltägliche Handlungen dazu genutzt wurden, sich von Anderen abzugrenzen. Folgen wird die Analyse eines Mythos, in dem physical distinction, and spiritual preeminence.“ Siehe auch Romero, R Todd (2011): Making war and minting Christians. Masculinity, religion, and colonialism in early New England, Amherst: University of Massachusetts Press. 21 Man könnte durchaus, in Kontrast zu ‚Reichtum‘, von ‚Vermögen‘ sprechen, das hier erlangt wird. 22 Ganz ähnlich argumentiert Barber, Karin (1995): Money, Self-Realization and the Person in Yoruba Texts. In: Guyer, Jane I. (Hg.): Money matters. Instability, values, and social payments in the modern history of West African communities, Portsmouth/London: Heinemann/Currey, S. 205-224. Bei den Küstenalgonkin wäre es jedoch, aufgrund des Mangels an einer Schicksalsphilosophie, treffender von ‚selfmaking‘ zu sprechen. 23 Leenhardt, Maurice (2005): Do Kamo. La personne et le mythe dans le monde Mélanésien, Paris: Gallimard. Siehe zu Mauss’ eigener Archäologie des Personenbegriffes Mauss, Marcel (1975a): Eine Kategorie des menschlichen Geistes. Der Begriff der Person und des ‚Ich‘. In: Ders.: Soziologie und Anthropologie II, München/Wien: Hanser, S. 223-252.

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das Hypergut und dessen Gegensatz zur politischen Realität in übersteigerter Form zum Ausdruck kommen. Anschließend wird dann sukzessiv in verschiedenen weiteren Bereichen der Gesellschaft wie Kriegstaktiken, Begräbnisriten, weiteren religiösen und auch ökonomischen Praktiken die Bedeutung des Hypergutes aufgezeigt.

D AS H YPERGUT IM ALLTÄGLICHEN U MGANG – E INE K ULTUR DES E XZESSES Die meisten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Körperschmuck der Küstenalgonkin arbeiten mit der Hypothese, dass differierende Kleidung, Frisuren, Bemalungen und Schmuck primär das Zugehörigkeitsgefühl zu einer spezifischen sozialen Gruppe – sei es entlang geschlechtlicher, altersspezifischer oder ethnischer Linien – angezeigt haben. Ohne dies grundsätzlich infrage stellen zu wollen, sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass die Betonung innerhalb der zeitgenössischen Literatur jedoch deutlich auf der Individualität und Arbitrarität der verschiedenen Stile liegt.24 Beobachter wie Williams beschreiben die äußere Erscheinung der Indianer mit Umschreibungen wie „seltsame Formenund Farbvielfalt“25, während Wood ihnen ein „sehnsüchtiges Verlangen nach verschiedensten Ornamenten“26 unterstellt. Thomas Morton betont gar den Wettbewerbscharakter der Zurschaustellung verschiedenartig hergestellter „Mäntel“ der Indianer, mit deren „vielfältigen und interessanten“ Stilen sich die „Handwerker versuchten, gegenseitig auszustechen“27 und Edward Winslow, ein ebenso wie William Bradford an Bord der Mayflower eingereister Pilgrim und

24 Siehe u.a. Willoughby, Charles C. (1905): Dress and Ornaments of the New England Indians. In: American Anthropologist 7, S. 499-508, ebenso Bragdon (1996). Für eine ähnliche zeitgenössische Beobachtung sei auf Lechford, Thomas (1857/1642): Plain Dealing or News from New England, Boston: J.K. Wiggin & WM. Parsons Lunt, S. 116 aufmerksam gemacht: „They cut their haire of divers formes, according to their Nation or people […]“. Im Gegensatz dazu Wood (1977/1635), S. 83, Herv. M.S.: „Other cuts they have as their fancy befools them, which would torture the wits of a curious barber to imitate.“ 25 Williams (1936/1643), S. 121, S. 157; [„varietie of formes and colours“; „curiously“]. 26 Wood (1977/1635), S. 85; [„longing desire after many kind[s] of ornament“]. 27 Morton (2000/1637), S. 25, Herv. M.S.; [„(…) they stripe with size in works of several fashions very curious, according to the several fantasies of the workmen, wherein they strive to excel one another.“]

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persönlicher Freund des Wampanoag-Sachem Massasoit, bemerkt bezüglich indianischer Gesichtsbemalungen: „Einige hatten ihr Gesicht schwarz bemalt […], andere nach anderer Mode, so wie es ihnen gefiel.“28 Im Zuge des Kontaktes hat ebenfalls die stilistische Vielseitigkeit der Dekoration von Keramik enorm zugenommen. Keramikanalysen zeigen „significant diversity in stylistic attributes both within and among sites […]“ 29 und Johnson schlussfolgert: „During the Late Woodland and Contact periods, the Native peoples of southern New England began to decorate their ceramics more intensively. More pots were decorated and these pots contained more decorative treatment.“30 Auf ähnliche Weise werden die geflochtenen Körbe der Indianer von Wood als „[…] interessante Körber mit vielfarbigen und antiken Mustern“31 beschrieben. Uns überlieferte Muster sind jedoch weitaus aufschlussreicher als jede schriftliche Umschreibung und veranschaulichen den Zusammenhang zwischen Entgrenzung, Überschreitung, Einschreibung und Transformation, der für die Kultur der Küstenalgonkin so zentral ist, in materialisierter Form.32 Sowohl die Dekoration der Körbe als auch der Versuch, sich von anderen Mitgliedern durch besonders einzigartige und kunstvolle Kleidung, Schmuck, Körperbemalungen 28 Mourt (1963/1622), S. 53; [„Some of them had their faces painted black (…), others after other fashions, as they liked.“] Die Vereinheitlichung der Gesichtsbemalung in der Trauerphase der Beerdigung stellt meines Erachtens ebenso wie Masken, für die man jedoch bezeichnenderweise weder schriftliche noch archäologische Quellen findet, eine Leugnung der individuellen Persönlichkeit dar, die doch von so großer Bedeutung für die Kultur der Küstenalgonkin ist, siehe Williams (1936/1643), S. 201. 29 Johnson, Eric S. (2000): The Politics of Pottery. Material Culture and Political Process among Algonquians of Seventeenth-Century Southern New England. In: Nassaney, Michael S./Johnson, Eric S. (Hg.): Interpretations of Native North American Life. Material Contributions to Ethnohistory, Gainesville: University Press of Florida, S. 118-145, hier S. 137. Siehe dazu auch Goodby, Robert G. (1998): Technological Patterning and Social Boundaries: Ceramic Variability in Southern New England, A.D. 1000-1675. In: Stark, Miriam T. (Hg.): The Archaeology of Social Boundaries, Washington: Smithsonian Institution Scholarly Press, S. 161-182. 30 Johnson (2000), S. 139. Gerade Mörser und Pfeifen, die beiden zentralen Werkzeuge alimentärer und ritueller Transformation, sind häufig in Tierform angefertigt worden. Dies unterstreicht ihre Rolle als Medium transformativer Prozesse. 31 Wood (1977/1635), S. 114; [„(…) curious baskets with intermixed colors and protractures of antic imagery.“] Siehe hierzu auch die Studie Speck, Frank G. (1915): Decorative Art of Indian Tribes of Connecticut, Ottawa: Government Printing Bureau. 32 Photographien der Körber finden sich in Willoughby, Charles C. (1973): Antiquities of the New England Indians, New York: AMS Press, hier S. 251 und S. 253.

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und Frisur abzusetzen, illustrieren die Bedeutung von Individualität innerhalb der Gesellschaft der Küstenalgonkin. Die weit verbreiteten Tattoos und Skarifikationen33 können hingegen als materialisierte Marker transformativer Handlungen und somit ebenso als Objektivierungen des Hypergutes gelesen werden wie die in Woods Beobachtungen geschilderte Art der Nahrungsaufnahme: „[…] zu Hause angekommen werden sie so viel essen bis ihre Bäuche herausstehen, kurz davor zu platzen, denn es ist ihre Art, manchmal alles auf einmal, manchmal zwei oder drei Tage nichts zu essen […].“34 Vergleichbar exzessive Verhaltensmuster finden sich in der Art des Konsums von „starkem Alkohol, den sie über alles lieben“35 und für den sie „bis auf ihr letztes Hemd alles geben“36. Hier haben wir es mit einer doppelten Ingangsetzung des Hypergutes zu tun: Die Entkleidung und anschließende Aufgabe des als Mantel dienenden Biberpelzes ist ebenso eine transformative Handlung wie das sich daran anschließende Besäufnis. Daniel Denton fasst die Gnadenlosigkeit indianischer Trinkgelage prägnant zusammen: „Sie sind große Liebhaber von Schnaps und Alkohol. Solange sie nicht so viel davon ihr Eigen nennen, dass sie sich wirklich betrinken können, kümmern sie sich nicht darum. Falls es nicht genug Schnaps für alle gibt, wählen sie, im Verhältnis zur Menge des verfügbaren Alkohols, vielmehr einige aus und der Rest muss sich mit dem Zuschauen begnügen.“37 33 Wood (1977/1635), S. 85. 34 Ebd. S. 87, Herv. M.S.; [„ (…) at home they will eat till their bellies stand fouth, ready to split with fullness, it being their fashion to eat all at some times and sometimes nothing at all in two or three days (…).“] Zugegebenermaßen lässt sich derartig maßloses Essen in den meisten Jäger- und Sammlergesellschaften antreffen. Nichtsdestotrotz kann vermutet werden, dass sich das Hypergut auch in ihnen zeigte. Die Annahme wäre, dass es den Mitgliedern auch beim Essen daran lag, sich durch eine besondere Maßlosigkeit gegenüber anderen auszuzeichnen. Vgl. zur Bedeutung des exzessiven Essens einen Mythos über einen Esswettbewerb in: Speck, Frank G. (1904): Some Mohegan-Pequot Legends. In: The Journal of American Folklore 17, S. 183-184. Über die Verzierung von Schüsseln mit Wampum berichtet Willoughby, Charles C. (1908): Wooden Bowls of the Algonquian Indians. In: American Anthropologist 10, S. 423-434. 35 Wood (1977/1635), S. 79; [„strong liquors, which they so much love“]. 36 Josselyn (1865/1675), hier S. 108; [„will part with all they have to their bare skins for it“]. 37 Denton, Daniel (1845/1670): A Brief Description of New York, New York: William Gowans, S. 7; [„They are great lovers of strong drink, yet do not care for drinking, un-

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Einer ähnlichen Ausschließlichkeit begegnet man bei der Bewertung und Beschreibung indigener Sprechakte38. Diese schwanken zwischen Bewunderung über die stoische Einsilbigkeit, Anerkennung emphatischer, lyrischer Rezitationen und Entsetzen über den rituellen Austausch von Beleidigungen.39 Wood behauptet, dass die Massachussett-Indianer nicht „multa sed multum“40 (‚nicht viel, aber bedeutsam‘) sprächen und Josselyn hebt ihre Qualitäten als Dichter hervor, die ihre Poesie in formvollendeten Reimen wiederzugeben in der Lage seien.41 Dass das Beherrschen des Englischen bei nicht-englischsprachigen Küstenalgonkin große Bewunderung hervorrief, zeigt, dass die Transformation von Gedanken in eine fremde Sprache als eine bemerkenswerte Leistung angesehen wurde und verdeutlicht den Stellenwert transformativer Prozesse erneut.42 Auch das von den Küstenalgonkin praktizierte berühmt wie berüchtigte Skalpieren43 sowie andere Kriegstaktiken, wie die von Williams beschriebene militärische Mimikry, das Tarnen und Einschleichen in gegnerische Gebiete44 arbeiten stark mit den produktiven Momenten von transformativen Prozessen und Alterität. All diese Phänomene reproduzieren den Glauben an die Möglichkeit, den Status eines besonderen und somit wertvollen Mitglieds der Gesellschaft autonom zu erreichen, indem sie das Hypergut in den Körper oder andere Materialien regelrecht einschreiben. Sie sind zugleich Vehikel zum Erreichen von Wert und Repräsentationen des Hypergutes.

less they have enough to make themselves drunk; and if there be so many in their Company, that there is not sufficient to make them all drunk, they usually select so many out of their Company, proportionable to the quantity of drink, and the rest must be spectators.“] Vgl. zur Beschreibung indianischer Trinkgewohnheiten allgemein Trenk, Marin (2001a): Die Milch des weißen Mannes. Die Indianer Nordamerikas und der Alkohol, Berlin: Reimer. 38 Siehe den Titel des Aufsatzes Bragdon, Kathleen J. (1987): „Emphatical Speech and Great Action“: An Analysis of Seventeenth-Century Native Speech Events described in Early Sourced. In: Man in the Northeast 33, S. 101-111. 39 Williams (1936/1643), S. 186. 40 Wood (1977/1635), S. 110. 41 Josselyn (1865/1675), S. 105. 42 Siehe hierzu Wood (1977/1635), S. 110. 43 Siehe hierzu vor allem Friederici, Georg (1906): Skalpieren und ähnliche Kriegstaktiken in Amerika, Braunschweig: Friedrich Vieweg und Sohn. 44 Williams (1936/1643), S. 51, siehe hierzu auch Malone, Patrick M. (2000): The skulking way of war. Technology and tactics among the New England Indians, Lanham: Madison Books.

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ANALYSE

DES M YTHOS VON C HAHNAMEED UND DIE DICHOTOME G OTTESVORSTELLUNG DER K ÜSTENALGONKIN Der hohe Stellenwert transformativer Prozesse und der ihnen inhärenten Kraft innerhalb der Kultur der Küstenalgonkin ist ebenso in dem von Frank Speck 1903 aufgezeichneten Pequot-Mohegan Witchcraft Mythos The Tale of Chahnameed45 nachzuvollziehen. Die Analyse des Mythos wird das Verständnis für den Gegensatz zwischen dem Druck zur individuellen Selbstverwirklichung und der Notwendigkeit der Reproduktion des gesamtgesellschaftlich und normativ wirksamen Ordnungsgeflechts einer hierarchisch organisierten Gesellschaft vertiefen, was sich in der darauf folgenden Beschreibung weiterer Bereiche der Lebenswelt als äußerst hilfreich erweisen wird. Ich gehe dabei von zwei Beobachtungen Lévi-Strauss’ aus: Erstens, dass der Mythos der politischen Ideologie nahesteht und zweitens, dass in ihm realiter unauflösbare Momente miteinander in Einklang gebracht werden.46 Doch zunächst der Mythos selbst: „Long ago there lived a man upon an island some distance from the mainland. His name was Chahnameed, the great eater, the glutton. On the island he had a house, and in a cove near by he kept two canoes. One day, as he stood on the beach looking toward the mainland, he saw something moving, but he could not make out what it was. He looked for some time, and then saw that it was a beautiful young girl walking along the beach. He said to himself: ‚She is looking for shells to put on her dress‘; for her garment was of buckskin covered with colored beads, shells, and fringe. She was very beautiful, and Chahnameed thought so. So he put his hands about his mouth, and called to her. When she looked up, he called to her, and asked her to come over and live with him. The girl hesitated, but Chahnameed urged her, and at last she consented. Then he got into one of the canoes, and paddled to the mainland. When he got there, the girl said: ‚I will come back, but first I must go and get my mortar and pestle.‘ So she went away to her village, and Chahnameed waited for her. When she came back, she had a mortar, a pestle, and some eggs. Then he took her in the canoe, and paddled to the island, and after that they lived to-

45 Speck, Frank G. (1903): A Pequot-Mohegan Witchcraft Tale. In: The Journal of American Folklore 16, S. 104-106. 46 Lévi-Strauss, Claude (1981): Die Struktur der Mythen. In: Ders.: Strukturale Anthropologie I, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 226-254, hier S. 230: „Nichts ähnelt dem mythischen Denken mehr als die politische Ideologie“ und S. 247: „[…] das mythische Denken ausgeht von der Bewusstmachung bestimmter Gegensätze und hinführt zu ihrer allmählichen Ausgleichung.“

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gether for a long time. Now Chahnameed was accustomed to stay away from home for long periods, during which his wife did not know what he did, or where he went. She did not like this, but said nothing to him about it. After a while, however, she made up her mind that she would leave him, for she did not like to be left alone so long. Quietly she set about making some dolls. She made a great many, decorating them with paint and shells, but one doll was made larger than the rest. These she put away, so that her husband should not find them. Waiting until he had departed as usual one day, she took her mortar and pestle and some eggs down to the canoe. This canoe Chahnameed had left at home. Then she went back to the house, and got the dolls, which she put against the walls in different places, all facing the centre. The large one she put in the bed, and covered it up with robes. Before she left, she put a little dried dung about each doll, and then crawled into the bed, and voided her excrement where the large doll lay. She then left her handiwork, went down to the canoe, and paddled away towards the mainland. In the canoe were the mortar, pestle, and eggs. By and by Chahnameed came home. When he got to the house he looked for his wife, but did not find her. Then he went in and looked around. He saw the dolls, and went over towards one. Immediately the one against the wall behind him began to scream. When he turned around to look at it, the first one began to scream. Every time he turned to look at one doll, the one that was behind him would begin to scream. He did not know what they were. Soon he saw that something was in the bed, and, taking a big stick, he went over to it. He struck the large doll that was under the robes, thinking that it might be his wife. The large doll then screamed louder than the others. He pulled down the robes, and saw that it was only a doll. Then he threw down his stick, and ran down to his canoe. He knew that his wife had departed, for he saw that the mortar and pestle were gone. When he got to the shore, he put his hands to his eyes, and looked for a long time toward the mainland. Soon he saw her paddling very hard for the land. He leaped into his canoe, and went after her. He soon began to gain, and before long he was almost up to her, and would have caught her, had she not suddenly crept to the stern of her canoe, and, lifting up the mortar, thrown it out into the water. Immediately the water where the mortar fell became mortars. When Chahnameed got there, he could go no farther. But he jumped out of his canoe and dragged it over the mortars, then pushed it into the water and jumped into it again. He paddled very hard to catch her up. His wife paddled very hard, too. But again he began to gain, and soon almost caught her. As before, however, she crept back to the stern, and raising the pestle, threw it over. Where it fell, the water became pestles. Then she paddled on again, very hard. Chahnameed could not pass these pestles either, so he jumped out and dragged the canoe over them; then jumped in and paddled as hard as he could to catch up. Again he began to gain, and almost caught her. But his wife crept to the stern of her canoe, and threw out all the eggs. Where the eggs fell, the water turned to eggs. Chahnameed could not get through -these either. So he jumped out and dragged the canoe over them as before. This time he had to work very hard to get through the eggs, but

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at last succeeded. He paddled harder than ever, and soon began to catch up again. Now he would have caught her, for she had nothing more to throw out. But she stopped paddling, and stood up. Quickly she raised her hand to her head, and from the top pulled out a long hair. Then she drew it through her fingers, and immediately it became stiff like a spear. Chahnameed thought he was going to catch her now; he did not see what she was doing. When he got quite near, she balanced the hair-spear in her hand, and hurled it at him. She threw it straight; it hit him in the forehead, and he fell out of the canoe, and sank. He was dead. This all happened a very long time ago, back in the beginning of the world. The woman went back to her people. She was a Mohegan.“

Es lässt sich nun – neben der Schilderung einer Vielzahl an Verwandlungen und transformierenden Handlungen – beobachten, dass diejenigen Eigenschaften, die dem Hypergut der Küstenalgonkinkultur entsprechen, nach und nach von der männlichen Tricksterfigur auf die weibliche Hauptfigur übertragen werden. Indem der Mythos also eine weibliche Figur einsetzt, die im Verlauf der Erzählung zunehmend gemäß des männlichen kulturellen Ideals handelt, ohne die reproduktiven Kräfte der Frau zu verlieren,47 löst er das für die Kultur der Küstenalgonkin zentrale Paradox zwischen geschlechtlich sowie verwandtschaftlich restringiertem Wertzugang und gleichzeitiger Annahme eines für alle erreichbaren Wertes auf. Die Hauptfigur vereint die ‚Antisozialität‘ des Hypergutes mit der Einsicht in die Reproduktionsnotwendigkeit interpersonaler Beziehungen. Die spätere Heldin wird zu Beginn der Geschichte noch als passiv reagierend dargestellt und entspricht somit dem kulturellen Ideal der indianischen Frau.48 47 Williams (1936/1643), A 6, erwähnt die mythische, jedoch männliche Figur Wétucks, der „[…] wrought great Miracles amongst them, and walking upon the waters, &c with some kind of broken Resemblance to the Sonne of God.“ Es liegt zweifelsfrei näher, die Gemeinsamkeiten zu Jesus in der Fähigkeit zu transformativen Handlungen zu sehen anstatt von einer universellen Neigung zum Christentum auszugehen. 48 Bragdon, Kathleen J. (1996a): Gender as a Social Category in Native Southern New England. In: Ethnohistory 43, S. 573-592. Bereits Verrazano beobachtet, dass die Frauen von ihren Männern zurückgehalten werden. Siehe Verrazano (1905/1524), S. 16 f.: „[…] bringing with them their wives, of whom they were very careful; for, although they came on board themselves, and remained a long while, they made their wives stay in the boats, nor could we ever get them on board by any entreaties or any presents we could make them.“ Für eine Perspektive, die die Unabhängigkeit von Frauen hervorhebt, siehe Grumet, Robert Steven (1980): Sunksquaws, Shamans, and Tradeswomen: Middle Atlantic Coastal Algonquian Women during the 17th and 18th Centuries. In: Etienne, Mona/Leacock, Eleanor (Hg.): Women and Colonization. Anthropological Perspectives, New York: Praeger, S. 43-62.

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Sie schmückt sich an einem Strand in einiger Entfernung zur Insel, die Chahnamed bewohnt, der die beachtliche Entfernung zum Strand überwinden kann, indem er sie zu sich ruft. Sie geht jedoch zurück in ihr Dorf, kehrt mit einem Mörser sowie Eiern zurück und heiratet Chahnamed. Während der Mörser das paradigmatische Symbol kultureller Reproduktionsfähigkeit darstellt, wird er doch vor allem zur Bearbeitung des Mais verwendet, ist das Ei als sich selbst transformierender Organismus treffendes Zeichen einer autonomen Reproduktionsfähigkeit. Entgegen der kulturellen Erwartungshaltung gebiert unsere Heldin zunächst jedoch keine Kinder. Sie fertigt vielmehr einige Puppen an, die sie durch Einsatz ihrer Exkremente zum Leben erweckt; handelt weiblichreproduktiv und autonom, das heißt, ohne die sexuelle Reproduktionsfähigkeit ihres Mannes zu nutzen. Chahnamed ist nicht in der Lage, die jeweilig schreiende Figur anzublicken, der Blickkontakt misslingt. Schließlich verwandelt sie auf ihrer Flucht durch Einsatz der Eier und des Mörsers das Wasser derart, dass es Chahnamed nur schwerlich gelingt, ihr auf ihrer Flucht zu folgen. Sie tötet Chahnamed schließlich mit einem Speer, den sie aus ihren Haaren formt.49 Indem der Mythos so Transformation und Reproduktion in der Figur der Frau aneinander bindet, löst er den realen Gegensatz zwischen den verwandtschaftlichpolitischen Verhältnissen und der Suggestion des Hypergutes, Wert sei, wenn nicht gleichmäßig verteilt, so doch zumindest für alle erreichbar, auf und propagiert die Möglichkeit ihrer Versöhnung auch in der Realität. Diese Gegensätze spiegeln sich exemplarisch auch in der Gegenüberstellung der kosmologischen Entitäten ‚Cautantouwit‘ und ‚Abbomocho‘ wider. Während ‚Cautantouwit‘, auch ‚Kiehtan‘ genannt, nahezu als deus otiosus, zumindest jedoch als äußerst zurückgezogen lebender Schöpfer der Welt porträtiert wird,50 der ein eigenes Feld im Südwesten besitze,51 von wo er den Küstenalgonkin den Mais und die Bohnen gebracht habe,52 zeigt sich ‚Abbomocho‘, auch als ‚Hobbomok‘ oder ‚Chepi‘ bezeichnet, vorwiegend als Schlange, Aal oder ähnlich 49 Dass sie die tödliche Waffe aus einem Haar fertigt, verweist auf die Tatsache, dass Haare bei den Küstenalgonkin eine ähnlich bedeutende Rolle besessen haben dürften wie sie Friederici und Axtell für die Irokesen und weitere indianische Gruppen konstatieren, mithin Träger der individuellen Kräfte gewesen zu sein. Siehe Friederici (1906) und Axtell, James L. (1982): The European and the Indian. Essays in the ethnohistory of colonial North America, Oxford: Oxford University Press, S. 214. Nicht zuletzt aus dieser Annahme entspringt das Skalpieren als Form der Wertaneignung. 50 Winslow (1996/1624), S. 58. 51 Der Südwesten galt den Küstenalgonkin als heilige Himmelsrichtung. Leichen wurden, zum Beispiel, mit dem Kopf nach Südwesten ausgerichtet. 52 Williams (1936/1643), S. 90.

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ambivalentes Lebewesen im Hier und Jetzt. ‚Hobbomok‘ wird aufgrund seiner Heilkräfte häufig in alltäglichen Situationen von Individuen um Hilfe gebeten und in Pubertätsritualen von jungen Männern als zukünftiger Schutzgeist aufgesucht. Die Dichotomie von ‚Kiehtan‘ und ‚Chepi‘, die von den zeitgenössischen Beobachtern häufig mit der puritanischen von Gott und Satan analogisiert wurde,53 kann also vielmehr als ideologischer Niederschlag des Konfliktes zwischen individuellem Streben nach Anerkennung und der Notwendigkeit gesamtgesellschaftlicher Reproduktion interpretiert werden. ‚Kiehtan‘ wurde vor allem in den den Gemeinschaftscharakter betonenden Zusammenkünften gedacht; die Beziehung zu ‚Hobbomok‘ stellte hingegen eine zwischen zwei autonomen Individuen dar. Eine derartige Zweiteilung ist nun für den in der Religionsethnologie bewanderten Wissenschaftler zweifelsfrei kein selten zu beobachtendes Phänomen. Dass in einer Zeit, in der die Bedeutung gesellschaftlicher Reproduktion zunehmend mit den Relokalisierungsmöglichkeiten einzelner Individuen in Konflikt gerät,54 jedoch eine verstärkte Orientierung an ‚Hobbomok‘ zu beobachten ist, dem vermehrt Opfer dargebracht werden, während die Küstenalgonkin hingegen „[…] in ihrer Verehrung Kiehtans immer kälter und gleichgültiger werden, betonend, dass sie sich an eine Zeit erinnern, in der sie in weitaus öfter angerufen haben“55, verdeutlicht nur noch einmal die fundamentalen Verschiebungen, die durch die Kontaktsituation ausgelöst worden sind. Im folgenden Kapitel soll nun der Zusammenhang zwischen religiösen Praktiken und dem Hypergut näher dargestellt werden.

N AMENSGEBUNG , V ISIONSSUCHE UND S CHAMANISMUS – AKTIVIERUNG DES H YPERGUTES IN AUSSER ALLTÄGLICHEN , RELIGIÖSEN H ANDLUNGEN Im Gegensatz zu irokesischen Namensgebungen, bei denen zumindest die Namen der fünfzig Sachem im Gegensatz zu den Amtsträgern nicht auswechselbar

53 Siehe zum Beispiel Wood (1977/1635), S. 95. 54 Es darf nicht als Zufall betrachtet werden, dass gerade ein in interkulturelle Übersetzungshandlungen verwobener Küstenalgonkin wie der Wampanoag ‚Hobbamock‘ eben jenen, sicherlich Assoziationen der Ambivalenz von Notwendigkeit und potentieller Zerstörung gesellschaftlicher Ganzheit hervorrufenden Namen trägt. 55 Winslow (1996/1624), S. 60; [„(…) grow more and more cold in their worship to Kiehtan; saying, in their memory he was much more called upon.“]

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waren,56 wurden Namen in der Kultur der Küstenalgonkin „gemäß bestimmter Taten oder Dispositionen“ gegeben und waren aus diesem Grund „bedeutsam und vielfältig“57. Sie können als akustische Erinnerungen an die Individualität ihrer Träger verstanden werden und wurden dementsprechend im Verlauf eines Lebens mehrmals gewechselt.58 Charakterlose Personen verblieben folgerichtig ohne Namen.59 Die Vorstellung, Individualität und Wert (einen ‚Namen‘) durch transformative Prozesse zu erreichen, liegt auch den Initiationsriten junger Männer zugrunde, die mit dem Ziel, eine Vision zu erlangen, für mehrere Tage in die Wälder geschickt wurden. Dort versuchten sie durch andauernde, rabiate und sich wiederholende physische Transformation des eigenen Körpers und dessen Verbindung zur Wirklichkeit die Visionssuche zum erfolgreichen Abschluss zu bringen. Weit verbreitete Mittel zum Erreichen dieses Zweckes stellten Schlafentzug, wiederholtes Erbrechen durch Einnahme verschiedener, den Magen reinigenden Kräuter60 und ernsthafte Selbstverletzungen dar. Der Körper wurde dadurch gleichsam geöffnet, von innen nach außen gekehrt, im wahrsten Sinne des Wortes geleert, um ihn daraufhin mit spiritueller Kraft zu füllen.61 Ein ähnlicher Prozess findet während der Benutzung des ‚pésoponck‘, der Schwitzhütte, statt. Wie ein Fox-Indianer William Jones mitteilte: „Often one will cut one’s self over the arms and legs, sliting one’s self only through the skin. It is done to 56 Morgan, Lewis Henry (1993): League of the Iroquois, New York: Carol Publishing, hier S. 89 f., Graeber (2001), S. 120-121. 57 Winslow (1996/1624), S. 64; [„according to (…) deeds or dispositions“; „significant and variable“]. 58 Occom, Samson (2006/1761): Account of the Montauk Indians, on Long Island. In: Brooks, Joanna (Hg.): The Collected Writings of Samson Occom, Mohegan. Leadership and Literature in Eigthteenth-Century Native America, Oxford: Oxford University Press, S. 47-51, hier S. 49. 59 Vgl. Williams (1936/1643), S. 5: „[…] meane persons amongst them have no Names“ sowie Denton (1845/1670), S. 9: „Any Indian being dead, his name dies with him, no person daring ever after to mention his Name […].“ 60 Winslow (1996/1624), S. 61: „[…] the juice of sentry and other bitter herbs, till they cast, which they must disgorge into the platter, and drink again and again, till […] it will seem to be all blood […].“ Die Wörter für Blut, Rot und Aggression, d.h. potentielle Transformation, sind phonologisch voneinander ableitbar. So führt Trumbull ‚musquiantam‘ als ‚blood-minded‘, ‚musquantam‘ als ‚he is angry‘ und leitet beides von ‚musqui‘ ‚red‘ beziehungsweise ‚musqueheonk‘ ‚blood‘ ab, siehe Trumbull, James Hammond (1903): Natick Dictionary, Washington: Government Printing Office, hier S. 70 f. 61 Vgl. dazu Mayhew (1695), S. 17ff.

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open up many passages for the Manitou to pass into the body. […] It comes out in the steam, and in the steam it enters the body wherever it finds entrance.“62 Die Beobachtung Williams’, dass die Narragansett nach Benutzung der Schwitzhütte in naheliegende Bäche springen, illustriert den transformativen Charakter des Saunierens ebenso wie das innerhalb der Hütte stattfindende Tabakrauchen.63 Während also junge Pubertierende und Erwachsene physische und psychische Entbehrungen und Anstrengungen durchstehen mussten, um eine Vision zu erlangen, wurden ‚powwows‘ von einer solchen überrascht. Durch transformative Handlungen wie ekstatisches Tanzen, Trommeln, Tabakrauchen,64 in etischer Perspektive als „schreckliches Geschrei, leeres Blöken, schmerzhafte Krämpfe und Peinigungen ihres eigenen Körpers“ 65 beschrieben, waren Schamanen jedoch in der Lage, Heilungskräfte freizusetzen sowie die Zukunft, zum Beispiel den Ausgang möglicher Überfälle auf feindliche Gruppen, vorauszusagen. Mit anderen Worten: Die Reproduktion individueller als auch des kollektiven Körpers durch die physische und psychische Transformation des eigenen Körpers zu gewährleisten. Ihnen wurde die Fähigkeit zugesprochen, „das Wasser brennen, die Felsen und Bäume tanzen zu lassen und sich selbst in einen brennenden Menschen“66 sowie „in der Hitze des Sommers“67 Wasser in Eis verwandeln zu 62 Jones (1905), S. 184. 63 Williams (1936/1643), S. 197 f. 64 Der von den Küstenalgonkin primär verwendete nicotiana rustica besitzt einen circa zehnfach höheren Nikotingehalt als der heutzutage übliche nicotiana tabacum und führte aus diesen Gründen zu ‚intensiveren‘, ja halluzinogenen Wahrnehmungsepisoden. Dass in der Kontaktzeit zunehmend mehr Mitglieder der Küstenalgonkinkulturen Tabak rauchten, unterstreicht meine Vermutung einer zunehmenden Individualisierung, vgl. dazu Turnbaugh, William A. (1975): Tobacco, Pipes, Smoking, and Rituals among the Indians of the Northeast. In: Quarterly Bulletin of the Archaeological Society of Virginia 30, S. 59-71 und Nassaney, Michael S. (2004): Men and Women, Pipes and Power in Native New England. In: Mann, Rob/Rafferty, Sean (Hg.): Smoking and Culture. The Archaeology of Tobacco Pipes in Eastern North America, Knoxville: The University of Tennessee Press, S. 125-142. 65 Eliot, John/Mayhew, Thomas (1653): Tears of Repentance: Or, a further Narrative of The Progress of the Gospel amongst the Indians in New-England, London: Peter Cole, hier S. B5; [„horrible outcries, hollow bleatings, painful wrestlings, and smiting their own bodies (…)“]. Siehe auch Lechford (1857/1642), hier S. 117: „The Powahe labours himself in his incantations, to extreame sweating and wearinesse, even to extasie.“ 66 Wood (1977/1635), S. 100 f.; [„(…) make the water burn, the rocks move, the trees dance, metamorphose himself into a flaming man.“]

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können. Schamanen lassen sich also als Personifikationen des Hypergutes bezeichnen, das sich in sie selbst einschrieb, sie förmlich heimsuchte.68 Wertzuschreibungen religiöser wie nicht-religiöser Art wurden häufig im Begriff des ‚manitou‘ artikuliert, der hier im Anschluss an Williams als eine allgemeine Bezeichnung für Gegenstände, Personen69 oder Handlungen außerordentlicher Individualität verstanden wird70: „Es gibt unter ihnen die Angewohnheit bei jeder Wahrnehmung von Vortrefflichkeit eines Mannes, einer Frau, von Vögeln, Tieren, Fischen und so weiter, Manitóo, das heißt: ‚es ist ein Gott‘, zu rufen. Wenn sie also einen Mann sehen, der die anderen in Weisheit, Kraft, Agilität oder ähnliches übertrifft, schreien sie laut Manitóo, ein Gott […].“71

Als ‚manitou‘ wurden demnach all jene Dinge bezeichnet, die sowohl im faktischen und kulinarischen Sinne von ‚verrottet‘,72 als auch im metaphysischen Sinne von ‚transzendent‘ und im positiv wie negativ wertenden Sinne von ‚aus67 Morton (2000/1637), S. 29; [„in the heat of all summer“]. 68 Vgl. hierzu Ward, Edward (1905): A Trip to New-England. In: Winship, George Parker (Hg.): Boston in 1692 and 1699, Providence: Club for colonial reprints, S. 29-70, vor allem S. 67 und Basset, Benjamin (1806): Fabolous Traditions and Customs of the Indians of Martha’s Vineyard. In: Collections of the Massachusetts Historical Society for the Year 1792 1, S. 139-140. 69 Siehe hierzu Van der Donck (2008/1655), S. 72. 70 Siehe hierzu Haefeli, Evan (2007): On First Contact and Apotheosis: Manitou and Men in North America. In: Ethnohistory 54, S. 407-443. Siehe auch Hubert/Mauss (1902-03), passim, vor allem jedoch Mauss/Hubert (1902/1903), S. 109; Mauss/Hubert (2012), S. 357: „Le mana [für Mauss und Hubert ist ‚manitou‘ ein Beispiel eines indigenen Ausdrucks für ihr religionssoziologisches Konzept des ‚mana‘, Anm. M.S.] est proprement ce qui fait la valeur des choses et des gens, valeur magique, valeur religieuse et même valeur sociale. La position sociale des individus est en raison directe de l’importance de leur mana […], dans certaines îles, le mot de mana désigne même l’argent.“ 71 Williams (1936/1643), S. 126; [„Besides there is a generall Custome amongst them, at the apprehension of any Excellency in Men, Women, Birds Beasts, Fish, &c. to cry out Manitóo, that is, it is a God, as thus if they see one man excel others in Wisdome, Valour, strength, Activity &c. they cry out Manitóo, A God (…).“] 72 Insgesamt schätzt die Küche der gesamten Region des nordöstlichen Waldlandes eher intensiv säuerliche, u.a. durch Fermentierungsprozesse in Gang gesetzte Geschmäcker, vgl. Trenk, Marin (2010): „Der Apfel ist die Banane des Indianers“. Zur Gastroethnografie des nordöstlichen Nordamerika. In: Anthropos 105, S. 355-367.

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zeichnend‘ als ‚über-‘ oder ‚supernatürlich‘ wahrgenommen wurden. Die folgenden Aufzeichnungen Trumbulls zur Semantik der Wurzel ‚-anin‘ zeigen, wie sehr die Konzepte des Übersteigens, der Übertretung, der Auszeichnung und der andauernden Steigerung zum Zentrum des kulturellen Ideals der Küstenalgonkin gehörten: „anin, anun, v. i. (1) it exceeds, goes beyond, is more than. (2) it rots, corrupts. From ánue, more, beyond, with the formative of verbs of growth: it goes beyond, exceeds (the good or normal); with an. subj. aninnu, anunno, he rots (‚stinketh‘, John 11, 39), pl. aninuoy, ‚they are corrupt‘, Ps. 14, 1; Is. 50, 2; wuskannem anit ut agwe puhquohkit, ‚the seed is rotten under the clods‘ ‚ Joel 1, 17; suppos. inan. ne aneük, ‚a corrupt thing‘, Mal. 1, 14; ‚rottenness‘, Prov 12, 4; suppos. an. noh anit, he who is rotten or is corrupt; corrupted or putrefied flesh or an. being (sometimes used by Eliot for aneük, after an inan. substantive, as Prov. 10, 7). Vbl. n. annoonk, decay, rottenness, Prov. 14, 30; annanoonk, rottenness (of flesh, or an. obj.), putrefaction, Lev. 22, 25; Job 17, 14; suppos. pass. (inan. subj.) anunnamuk, when it is rotted, rottenness, Hos. 5, 12. The primary signification, it will be observed, is to exceed, to pass beyond; hence noh anit, he who exceeds or goes beyond (the natural, the common, or the normal I designates any an. being of supernatural, uncommon, or abnormal qualities or powers; and with the indef. prefix instead of the demonstrative, m’anit (somebody or something that exceeds), became the name of supernatural being or agency, which is usually translated ‚God‘. […] aninnuhkoo, it is a help or support (-uhk marking continuance or permanence; as n. a support, ‚a stay‘, 1 K. 10, 19. aninnum, v. t. he gives (with the hand), he hands (it), presents (it). From annúnaü (q. v.), with the characteristic (num) of action of the hand. Imperat. 2d pl. aninnumook metsounk, give ye (them) food, Matt. 14, 16. With an. 2d obj. aninnumau, he gives (it) to (him); imperat. 2d + 1st sing, aninnumeh, give thou (it) to me, Matt. 14, 8 (aninnunmeh, help thou me, Ps. 22, 19; 38, 22; ken ununumah, give thou me […].“73

Diese Anmerkungen legen es gar nahe, anzunehmen, dass das Hypergut als Fundament reziproker Austauschbeziehungen konzeptualisiert wurde, während und obwohl es diese jedoch zugleich bedrohte. Während ‚manit‘ zumeist als positives Werturteil gebraucht wurde, schlingert die Bedeutung semantisch abhängiger Wortformen von ‚korrupt‘ bis zu ‚helfen‘, ‚geben‘ und ‚schenken‘, ‚Verfall‘ und ‚Gestank‘. Der Begriff des ‚manitou‘ inkorporiert so den gesellschaftlichen Widerspruch zwischen ideologischem und politisch-verwandtschaftlichem Wertregister.

73 Trumbull (1903), S. 9.

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Wie der durch seine analytische Durchdringung religionsethnographischer Daten des nordöstlichen Nordamerikas auch heutige Leser noch beeindruckende Werner Müller demnach – verbleibt er auch in einem rein religiösen Verständnis des Konzepts – korrekt anmerkt, zeichnet sich der Begriff durch ein „Schillern des Wortes“ aus. Das ‚manitou‘ ziehe sich häufig zu einer „sakralen Verdichtung zusammen“, nur um sich wieder in „unbegrenzte Räume“ zu verteilen.74 Diese Doppelung korreliert mit der Annahme einer autarken Erreichbarkeit von Wert, der sich dann in bestimmten Personen und/oder Gegenständen, die diesen Wert ergriffen haben (im Falle von außerordentlich angesehen Personen) oder von ihm ergriffen wurden (im Falle der ‚powwows‘), auf besondere Weise zeigt. So löst sich der Streit zwischen Vertretern der Annahme einer allgemeinen Beseeltheit der Wirklichkeit durch eine Art Urkraft und solchen, die ur-monotheistische Züge und sich zentralisierende Religiosität in diesem Konzept zu verorten versuchen, auf.75 Die ontologischen wie epistemologischen Grundannahmen der Küstenalgonkinkulturen scheinen demnach von einer Notwendigkeit der Vereinigung von polynesischer homogener Innerlichkeit und nordwestamerikanischer heterogener Äußerlichkeit auszugehen, die Sahlins und Graeber kontrastieren.76 Die Frage ist demnach in diesem Falle nicht, wie ich trotz Gleichheit anders (Polynesien), oder trotz Andersartigkeit gleich werden (Nordwestküste), sondern wie ich zugleich anders und gleich sein kann.

74 Müller, Werner (1956): Die Religionen der Waldlandindianer Nordamerikas, Berlin: Reimer, hier S. 241. Als eine der bekanntesten „sakralen Verdichtung[en]“ kann die sich in der von Heckewelder aufgezeichneten Erinnerung an die Erstbegegnung der Delaware mit Europäern zu findende Gleichsetzung dieser mit ‚manitou‘ bezeichnet werden, siehe Heckewelder, John (1881/1818): History, Manners and Customs of the Indians Nations who once inhabited Pennsylvania and the Neighbouring States, Philadelphia: Historical Society of Philadelphia. 75 Vgl. zu ersterem Jones, William (1905): The Algonkin Manitou. In: Journal of American Folklore 18, S. 183-190; Hewitt, J.N.B. (1902): Orenda and a Definition of Religion. In: American Anthropologist 4, S. 33-46, und zu zweiterem vor allem zeitgenössische Missionare. Radin, Paul (1914): Religion of the North American Indians. In: The Journal of American Folklore 27, S. 335-373 nimmt eine Zwischenposition ein, indem er davon ausgeht, dass ‚manitou‘ immer spezifische, beseelte Objekte bezeichnet. 76 Graeber (2001) und Sahlins, Marshall (1988): Cosmologies of capitalism: The transPacific sector of ‚The World System‘. Radcliffe-Brown Lecture in Social Anthropology. In: Proceedings of the British Academy 74, S. 1-51.

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Auch die Vorstellung, dass sich das Reich der Personen außerdem auf Lebewesen mit anderen Exteriotitäten erstreckt,77 legt die Vermutung nahe, dass das Muster der Transformation bis tief in die ontologischen Vorstellungen hineinreichte.78 Während die innere Seele, wahrscheinlich bezeichnet mit dem Begriff „Cowwéwonck, die Seele, abgleitet von Cowwene, schlafen, da, wie sie sagen, die Seele auch arbeitet und tätig ist, wenn der Körper schläft“79, die von allen Personen geteilte Lebenskraft verkörpert haben dürfte, bezog der Begriff „Michachunck, die Seele in einem entfernteren Sinne, abgeleitet von dem Wort für Spiegel oder deutliche Ähnlichkeit, sodass ihr Name abgeleitet ist von dem Wort für klare Sicht oder Scharfsichtigkeit […]“80, sich auf die jeweilige Sichtweise, in der sich für die Person die Welt offenbarte und für die der jeweilige Körper (‚wuhóck‘), die sichtbare, gespiegelte Hülle der Perspektive, grundlegend war.81 Alle Lebewesen teilten eine gemeinsame Grundlage (‚cowwéwonck‘), ohne die es den Schamanen und jungen visionssuchenden Küstenalgonkin nicht möglich gewesen wäre, Kontakt mit nicht-menschlichen Personen aufzunehmen. Diese grundlegende Gemeinsamkeit splittert sich jedoch zwangsläufig in eine Vielzahl verschiedener, körpergebundener Perspektiven (‚michachunck‘) auf. Das eigentliche Selbst ist demnach notwendigerweise dazu verpflichtet, sich in einer spezifischen Form darzustellen, sich zu transformieren. Schamanistische Camouflage ebenso wie Trinkgelage und Visionssuchen sind vor diesem Kontext gleichsam als ausgezeichnete Versuche zu betrachten, durch Perspektivenwechsel, das heißt Körperveränderung,82 und die so ermöglichte Kommunikation mit nichtmenschlichen Personen Wertformen auszumachen, deren Zugang ansonsten 77 Hallowell (1976). 78 Vgl. ganz hervorragend, wenn auch nicht spezifisch zu den Küstenalgonkin, zu diesem Thema Descola, Philippe (2011): Jenseits von Natur und Kultur, Berlin: Suhrkamp. Er bezeichnet dieses ontologische Modell mit dem Begriff ‚Animismus‘. 79 Williams (1936/1643), S. 130; [„Cowwéwonck. The Soule, Derived from Cowwene to sleep, because say they, it works and operates when the body sleepes.“] 80 Ebd.; [„(…) the soule, in a higher notion which is of affinity, with a word signifying a looking glasse, or cleere resemblance, so that it hath its name from a cleere sight or discerning, which indeed seemes very well to suit with the nature of it.“] 81 Siehe zum Begriff des ‚Perspektivismus‘ Viveiros de Castro, Eduardo (1998): Cosmological deixis and Amerindian perspectivism. In: Journal of the Royal Anthropological Institute 4, S. 469-488. 82 Siehe einführend zu den Wechselbeziehungen zwischen Körper und Seele bei Amerindianern Vilaça, Aparecida (2005): Bodies in Perspective: A Critique of the Embodiment Paradigm from the Point of View of Amazonian Ethnography. In: Lambert, Helen/McDonald, Maryon (Hg.): Social Bodies, New York: Berghahn, S. 129-147.

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durch die eigene ‚michachunck‘ verhindert wird. Während jedoch die formale Struktur von einzelnen Lebewesen – alle müssen sich zwangsläufig in bestimmte ‚wuhóck‘ mit je eigenen ‚michachunck‘ transformieren – geteilt wird, ist der Grad der Fähigkeit zu derartigen Transformation je unterschiedlich ausgebildet. Auch hier offenbart sich der doppelte Charakter des ‚manitou‘-Konzeptes in einer transformierten Form: Zugang zu ‚manitou‘ bedarf einerseits einer Anschmiegung an nicht-menschliche ‚michachunck‘, auf der anderen Seite einer stetigen Verfeinerung und Singularisierung der eigenen menschlichen Hülle, die, ist ein bestimmtes Niveau an Einzigartigkeit erreicht, eine genuine und nicht anzueignende Perspektive bereitstellt. Dass Veränderungen, Transformationen und deren theatralisches Zurschaustellung auch in Bezug auf den Umgang mit Besitz von Bedeutung sind, soll im folgenden Kapitel dargestellt werden. Es bildet gleichsam den Übergang zur Untersuchung der Funktion von Wampum als Repräsentation des Hypergutes wie auch seiner Bedeutung für die Versöhnung der beiden oben skizzierten parallel stattfindenden Prozesse kultureller Relegitimierung und kultureller Neuverortung.

V ON R EICHTUM ZU V ERMÖGEN – I NDIANISCHE F ESTE G LÜCKSPIELE ALS WERTGENERIERENDE T RANSLOKATIONSMECHANISMEN

UND

Fuck rich, let’s get wealthy, who else gon’ feed me JAY-Z – NO HOOK

Das Zitieren zweier längerer Passagen aus Roger Williams’ Key, in denen er zwei Feste beschreibt, die er an anderer Stelle mit dem christlichen Weihnachtsfest vergleicht,83 sei hier erlaubt. Das erste findet während der Ernte statt: „Aber das, was ihnen an Sport und Spielen am allermeisten bedeutet, findet (falls Frieden herrscht) im Herbst statt, wenn sie auf offener Fläche ein Langhaus […], manchmal hundert, manchmal zweihundert Fuß lang, aufbauen, wo sich viele tausende Männer und Frauen treffen, und derjenige, der vor allen anderen, mit Geld, Mänteln, Messern, kurz:

83 LaFantasie, Glenn W. (1988): The Correspondence of Roger Williams, Providence: Brown University Press, S. 110: „[…] that is keeping a kind of Christmas […]“.

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mit allem, woran er Besitz zu erlangen imstande war, tanzt und diese Dinge an die Armen verteilt, die jedoch darum betteln müssen, indem sie Cowequetummous sagen, das heißt, Ich flehe dich an: ein Wort (auch wenn es eigentlich keine Bettler unter ihnen gibt), das sie jedoch trotzdem oft verwenden, wenn die Reichsten unter ihnen Gehorsam mit Geschenken erkaufen möchten.“84

Das zweite Fest, ‚Nickommo‘ genannt, ähnelt einer von einem Individuum zu einem besonderen Anlass veranstalteten Feier: „Derjenige, der das Nickommo Fest oder diesen Tanz veranstaltet, neben der Verköstigung von zwanzig, fünfzig, hundert, ja ich sah fast tausend Menschen bei einem dieser Feste, derjenige gibt also auch eine große Menge Geld und andere von ihnen geschätzte Güter (gemäß und manchmal über seine Möglichkeiten hinaus), in kleinen Mengen an Geld oder Gütern zu je achtzehn Pence, zwei Shilling oder um den Dreh an je eine Person […].“85

Beide Feste werden von enormen physischen Transformationen und exzessivem Tanzen – vom strenggläubigen Puritaner und seit 1656 bis zu seinem Tode Super-intendent of the Indians of Massachusetts Bay Daniel Gookin als „pietätslos“86 bezeichnet – sowie korrespondierenden materiellen Translokationen begleitet. Sowohl die Auf- und Übergabe enormen materiellen Wohlstandes als

84 Williams (1936/1643), S. 180; [„But their chiefest Idoll of all for sport and game, is (if their land be at peace) toward Harvest, when they set up a long house […], sometimes an hundred, sometimes two hundred foot long, upon a plaine neer the Court […] where many thousands, men and women meet, where he that goes in danceth in the sight of all the rest; and is prepared with money, coats, small breeches, knifes, or what hee is able to reach to, and gives these things away to the poore, who yet must particularly beg and say, Cowequetummous, that is, I beseech you: which word (although there is not one common beggar amongst them) yet they will often use when their richest amongst them would fain obtain ought by gift.“] 85 Ebd. S. 128 f.; [„He or she that makes this Nickommo Feast or Dance, besides the Feasting of sometimes twenty, fifty, and hundredth, yea I have seene neere a thousand persons at one of these Feasts) they give I say a great quantity of money, and all sort of their goods (according to and sometimes beyond their Estate) In severall small parcells of goods, or money, to the value of eighteen pence, two Shillings, or thereabouts to one person (…).“] 86 Gookin (1806/1674), S. 153; [„impiety“]. Siehe auch ebd.: „They use great vehemency in the motion of their bodies […].“

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auch das exzessive Tanzen ermöglichen den jeweiligen Akteuren, dem Hypergut entsprechend zu agieren und Wert zu erlangen. Dasselbe Muster begegnet uns in den indigenen Glücksspielen, mit denen die Küstenalgonkin „die Hälfte ihres Tages“ verbrachten, obwohl sie dabei häufig einen Großteil ihres Reichtums – Wampum war einer der üblichsten Einsätze in diesen Wettspielen – verloren.87 Diese Glücksspiele, vor allem ‚hubhub‘, ein würfelähnliches Spiel, können als Versuche einer Übersetzung materiellen Reichtums in symbolisches Vermögen verstanden werden. Zurückgehend auf die weiter oben diskutierte Werttheorie Franz Steiners könnte man hier von einer Loslösung des rituellen vom empirischen Wert sprechen. Der empirische Wert wandelt sich bereits beim Einsatz in den rituellen, der dann gleichsam zwischen Verlierer und Gewinner aufgeteilt wird. Sowohl Wood als auch Williams missverstehen somit den Kern und Sinn dieser Spiele, der eben genau darin liegt, so viel wie irgendwie möglich zu gewinnen oder zu verlieren.88 Es ist die Ingangsetzung massiver materieller Wertübertragungen, sei es, dass die Güter zu mir oder von mir weg fließen, die es ermöglichen, dem Charakterideal durch transformative Übereignungsprozesse näher zu kommen. Der stark performative Charakter der Handlung lässt jedoch ein Faktum in den Hintergrund treten: Um viel setzen zu können, muss man viel besitzen. Wood scheint dies jedoch bewusst zu sein und er bemerkt nach einem Vergleich eines Sachem mit King Charles, dass dessen „[…] Pomp solang keinesgleichen findet bis eines Tages bei einem ihrer Glücksspiele (puim genannt) das Unglück ihn in Codrus verwandelt, ihm seinen ergaunerten Reichtum wegschnappt und so seinen Geist und Reichtum dem seiner nackten Gefolgsleute gleichstellt bis eine neuerliche Besteuerung ihn wieder mit Mitteln ausstattet.“89 87 Wood (1977/1635), S. 103 ff.: „They are so bewitched with these two games that they will lose sometimes all they have […]“; [„half their days“]. 88 Winslow (1996/1624), S. 60, beschreibt eine dem Potlatsch ähnliche Zerstörung von Objekten, die ebenfalls die Übersetzung empirischen in rituellen Wert ermöglicht haben dürfte: „Thither, at certain known times, resort all their people, and offer almost all the riches they have to their gods, as kettles, skins, hatchets, beads, knives, &c., all which are cast by the priests into a great fire that they make in the midst of the house, and there be consumed to ashes. To this offering every man bringeth freely; and the more is known to bring, hath the better esteem of all men.“ 89 Wood (1977/1635), S. 85, Herv. M.S.; [„This Pompey can endure no equal till one day’s adverse lottery at their game (called puim) metamorphose him into a Codrus, robbing him of his conceited wealth, leaving him in mind and riches equal with his naked attendants, till a new taxation furnish him with a fresh supply.“]

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Da bisher jedoch noch kein genauerer Blick auf den Ursprung der Wampumperlen geworfen wurde, soll nun deren Produktionsprozess veranschaulicht werden. Dabei soll es auch darum gehen, den Zusammenhang zwischen diesem und dem Hypergut näher zu analysieren.

P RODUKTION VON W AMPUM ALS D EKONSTRUKTION W ERT : D IE EINZELNE P ERLE ALS GERONNENES P OTENTIAL

VON

Während einzelne Kaurimuscheln und Münzen in den verschiedensten Kulturen häufig mit besonderen Bedeutungen und Wert versehen werden,90 wurden einzelne Wampumperlen in der Kultur der Küstenalgonkin als wertlos betrachtet.91

90 Siehe Weiss (2003) für Kaurimuscheln in Tanzania sowie Weiss, Brad (1997): Northwestern Tanzania on a Single Shilling: Sociality, Embodiment, Valuation. In: Cultural Anthropology 12, S. 335-361 für einzelne Shilling-Münzen und Ciric, Gordana (2013): A secondary use of Roman coins? Possibilities and limitations of object biography. In: Hahn, Hans Peter/Weiss, Hadas (Hg.): Mobility, Meaning and Transformation of Things: shifting contexts of material culture through time and space, Oxford: Oxbow, S. 107-119 für singuläre römische Münzen in mittelalterlichen serbischen Gräbern sowie Ritzenthaler, Robert E. (1978) Southwestern Chippewa. In: Trigger, Bruce G. (Hg.): Northeast. Vol. 15 of Handbook of North American Indians, Washington: Smithsonian Institution Press, S. 743-759 bezüglich der Bedeutung der Kauri für die Chippewa. 91 Ebenso wie einzelne Münzen, siehe die folgende Beobachtung von Megapolensis: „I once showed one of their chiefs a rix-dollar; he asked how much it was worth among the Christians; and when I told him, he laughed exceedingly at us, saying we were fools to value a piece of iron so highly; and if he had such money, he would throw it into the river." Siehe Megapolensis, Johannes (1909): A short account of the Mohawk Indians. In: Jameson, John Franklin (Hg.): Narratives of New Netherland, 1609-1664, New York: Charles Scribner’s Sons, S. 163-180, hier S. 176. Vgl. auch die Einbindung von neu-englischen Münzen in dieses Muster, die Mary Rowlandson während ihrer elfwöchigen Gefangenschaft bei den Narragansett im Jahre 1676 beobachtet: „He was dressed in his Holland shirt, with great stockings, his garters hung round with shillings, and had girdles of wampum upon his head and shoulders. She had a kersey coat, covered with girdles of wampum from the loines upward.“ Siehe Rowlandson, Mary (1856/1682): A Narrative of the Captivity, Sufferings and Re-

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Jedoch scheint die Annahme berechtigt, dass beide Rohstoffe, sowohl die Venusmuschel (mercenaria mercenaria) als auch die Wellhornschnecke (busycotypus canaliculatus), aufgrund ihres transformativen Charakters hochgeschätzt wurden. Als Gastropoden leben sie zwischen Wasser und Land, scheinen Fisch und Säugetier zugleich zu sein und jede Muschel besticht durch einzigartige Form und besonderes Muster. Um die weißen Perlen herzustellen, war es nötig, die äußere Schale der Wellhornschnecke zu zerstören, um auf diese Weise den inneren Strang freizulegen, der dann in kleine Teile zerschnitten werden konnte. Für die schwarzen Perlen musste hingegen ein ausreichend dicker Teil der Schale der Venusmuschel herausgeschlagen werden, den man anschließend, ebenso wie die weißen Perlen, mit Hilfe von Stein- beziehungsweise in der Nachkontaktzeit Eisenwerkzeugen perforierte. Abschließend wurden die Perlen auf Steinen poliert, um ein möglichst einheitliches Erscheinungsbild zu garantieren.92 In anderen, abstrakteren Worten: Die Produktion von Wampumperlen entspricht einer Destruktion von Einzigartigkeit zugunsten von Generalität und könnte demzufolge als Inversion des Hypergutes bezeichnet werden. Es liegt demnach nahe, zu vermuten, dass die Produktion gesellschaftlich keinerlei geschlechtlicher oder Statusrestriktion unterworfen war.93 Die Inversion des Wertschöpfungsprozesses wurde durch das Knüpfen von generischen Perlen (‚sawhóog‘) zu einzigartigen Ornamenten und Gürteln (‚máchequoce‘),94 die als sichtbare Manifestation von Komplettheit und Charakter betrachtet werden können, erneut umgekehrt. Es darf also keineswegs verwundern, dass die Küstenalgonkin „[…] was das Sortieren und Knüpfen angeht so penibel waren wie wir bei der Beurteilung von Perlen“95, mit anderen Worten: auf das Äußerste bemüht, die Gleichheit singulärer Perlen ebenso wie die Einzigartigkeit ihrer Perlenornamente sicherzustellen. Josselyn verweist zum Beispiel darauf, dass der Produktionspro-

moves of Mrs. Mary Rowlandson, Boston: Massachusetts Sabbath School Society, hier S. 97. 92 Siehe zum Produktionsprozess Williams (1936/1643), S. 156 ff. 93 Siehe Van der Donck (2008/1655), S. 68, „Anyone is free to make and acquire it […].“ Williams (1936/1643), S. 156 führt jedoch „Nnanatouwómpiteem./I cannot coyne“ an. Dies könnte darauf hindeuten, dass es – besonders vor der Einführung von den Arbeitsprozess erleichternden Eisenwerkzeugen – einer gewissen Expertise bedurfte, die Wampumperlen herzustellen. 94 Siehe zu diesen indigenen Termini Williams (1936/1643), S. 157. 95 De Rasiere (1909/1628), S. 106; [„(…) as particular about the stringing and sorting as we can be here about pearls.“]

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zess „so vertrackt“ gewesen sei, dass die im hohen Grade gleichförmigen Perlen weder vom „Juden noch vom Teufel“96 hätten gefälscht werden können. Abbildung 3: Konstruktion individueller Wampumperlen aus busycotypus canaliculatus (a) und mercenaria mercenaria (b) sowie angefertigte Wampumschnur (c).

Zeichnung: Nadine Junge

Einzelne Perlen stellen durch ihre Gleichförmigkeit und die daraus folgende Unsicherheit über ihre zukünftige Verwendung jedoch auch Zeichen unbegrenzter Potentialität dar. Sie sind vielseitig verwendbar und fungieren somit, ähnlich wie Geld, als primäres Zeichen noch unbestimmter sozialer Macht, sind zum Zeitpunkt ihrer Produktion noch Symbole unspezifizierter Einflussnahme. Sie treten als Indexe geronnener Möglichkeit auf und können, bei ausreichender Anzahl, zu Trägern revolutionärer politischer Kraft werden. Es gilt nun jedoch zunächst, ihre Rolle in wirtschaftlichen Austauschprozessen näher zu beschreiben.

96 Josselyn (1865/1675), S. 110; [„so cunningly“; „[…] neither Jew nor Devil can counterfeit“].

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I NDIANISCHE AUSTAUSCHPROZESSE – N ANÓWWE A NAQÚSHENTO ALS KOMPLEMENTÄRE T RANSAKTIONSMODI

UND

Be slow in choosing a friend, but slower in changing him when thou hast chosen. Manunussish ut pepenauonat ketomp; qut anue manunussish osoowunnonat noh-hannoo mahche pepenauonche97 JOSIAH COTTON

Die zeitgenössische Schilderung ökonomischer Verhaltensweisen der Küstenalgonkin kann – wie bereits angedeutet – als äußerst ambivalent beschrieben werden. Während die Küstenalgonkin vielfach als großzügig und spendabel dargestellt werden, heben Beobachter ebenso häufig Berechnung und Kalkül als handlungsleitende Motive hervor.98 Schreibt also Van der Donck misstrauisch: „Gier und Bettelei liegen in ihrer Natur, man sollte ihnen nicht viel anvertrauen, denn dann werden sie zu Dieben“99, so vergleicht Thomas Morton das Zusammenleben der Indianer mit den Zuständen in einem platonischen Idealstaat: „Gibt man jemandem ein Biskuit, wird jener es in so viele Teile zerbrechen wie Personen anwesend sind und an diese verteilen. Platons Gemeinwesen ist für sie Realität.“100

97 Cotton, Josiah (1830): Vocabulary of the Massachusetts (or Natick) Indian Language. In: Collections of the Massachusetts Historical Society 3, 2, S. 147-257, hier S. 235. 98 So beobachtet zum Beispiel Winslow in Winslow, Edward (1916/1646): Hypocrisie Unmasked. A true Relation of the Proceedings of the Governor and Company of the Massachusetts against Samuel Gorton of Rhode Island, Providence: The Club for Colonial Reprints, S. 2, dass es „Indians manner“ sei, „not to account any thing sold, till the party have received the thing it is sold for“ und Williams (1936/1643), S. 36, bemerkt: „They are as full of businesse, and as impatient of hinderance (in their kind) as any Merchant in Europe.“ 99 Van der Donck (2008/1655), S. 96; [„Avarice and begging are in their nature, and they must not be entrusted with too much or they tend to become thievish.“] 100 Morton (2000/1637), S. 49; [„A bisket cake given to one, that one breaks it equally into so many parts as there be persons in his company, and distributes it. Plato’s Commonwealth is so much practiced by these people.“]

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Den folgenden Ausführungen liegt dabei die Hypothese zugrunde, dass die Gegensätze zwischen indianischen und europäischen Transaktionsmodi ein hohes Maß an Missverständnispotential zu enthalten schienen, das sich in pejorativen Anschuldigungen einerseits (‚begging‘) und unbegründeter Annahme freundschaftlicher Gefühle andererseits äußerte. Dieser Unterschied in der Bewertung des indianischen Wirtschaftshandelns scheint einer mangelhaften Einsicht in seine auch in der bisherigen Forschung nicht anerkannte doppelte Struktur zu entspringen. Dieses Unverständnis wurde seinerseits durch die Erschütterung der indigenen Konzeptualisierung der beiden Transaktionsformen noch verstärkt. Die Tatsache, dass sich das Hypergut in der jeweiligen Transaktionsform konträr offenbarte, erschwert zudem das Verständnis. Doch zunächst eine kurze Rekapitulation der Begriffsgeschichte des wirtschaftsethnologischen Konzepts der Transaktionsmodi. Die Annahme, dass Transaktionen zwischen zwei Teilnehmern der inhärenten Schwierigkeit unterliegen, sowohl das sozio-ökonomische System, in dem sie stattfinden, reproduzieren, als auch den Profitmotiven und Strebungen der Individuen gerecht werden zu müssen, ist ein innerhalb der Ökonomiegeschichte wiederholt diskutiertes Problem. Adam Smiths Metapher der ‚unsichtbaren Hand‘ kann dabei lediglich als die erfolgversprechendste, berühmt wie berüchtigtste Lösung betrachtet werden.101 Wissenschaftsgeschichtlich sind es erneut Bloch und Parry, die in ihrer einflussreichen Einleitung zu ihrem Buch Money and the Morality of Exchange den Anstoß zur Diskussion geben. Sie unterscheiden zwischen „short“ und „long term transactional order“. Während erstere die Bestrebungen einzelner Individuen berücksichtige und strukturiere, also „concerned with the arena of individual competition“ sei, stelle die „long term transactional order“ die Reproduktion der Gesamtgesellschaft in ihrer Totalität, die stetige Reaffirmation ihrer „cosmic order“ sicher.102 Jede Gesellschaft steht nun vor der notwendigen Aufgabe, diese beiden sich potentiell widersprechenden Ordnungen zu integrieren. Diese Ideen wurden von Znoj, der, wie bereits erwähnt, zwischen „liquidierendem“ und „nicht-liquidierendem Transaktionsmodi“ unterscheidet, aufgegriffen und weiterentwickelt. Teilnehmer in liquidierenden Transaktionen haben kein Interesse an einer Fortführung der Austauschbeziehung über den Moment des utilitaristischen Güteraustausches hinaus. Im Gegensatz dazu gründen nicht-liquidierende Transaktionen in der reziprok geteilten Überzeugung, dass die Beziehung andauernden („ewigen“) Charakter be101 Gefolgt von Mandevilles Floskel „Private Vices, Publick Benefits“, siehe Mandeville, Bernard (1732): The Fable of the Bees: or, Private Vices, Publick Benefits, Oxford: Clarendon Press. 102 Bloch/Parry (1989), S. 24.

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sitzt und im Sinne beider Teilnehmer weitergeführt werden sollte. Znoj nimmt, wie Bloch und Parry, an, dass dieser Gegensatz in allen Gesellschaften existiert. Der Unterschied zwischen ihnen bestehe jedoch in der jeweils an die Transaktion herangetragenen, räumlich-temporalen Konzeption von Schuld. Während liquidierende Beziehungen eine räumlich-temporal beschränkte Erwartung der Schuldeinlösung besitzen und sich durch Referenzen auf spezifische Orte und Zeiten, auf das Wo und Wann der Schuldeinlösung auszeichnen, wird Schuld in nicht-liquidierenden Beziehungen als ewig, zeit- und ortlos entworfen. Durch diese Formalisierung der kulturell geprägten Transaktionsordnungen zu Transaktionsmodi kann Znoj die Reproduktionsnotwendigkeit des gesellschaftlichen Ganzen herunterspielen.103 Hierdurch ist er in der Lage, die Schwierigkeiten, die sich durch Interpenetration der beiden Transaktionsordnungen ergeben, zu leugnen: Teilnehmer können mehr oder weniger frei entscheiden, in welchen Modus sie wann wechseln. Während Bloch und Parry als Schüler Durkheims die Notwendigkeit sozialer Kohäsion überschätzen, wird sie von Znoj unterschätzt. Die Diskussion des empirischen Beispiels wird es ermöglichen, die Stränge gewinnbringend miteinander zu vereinen. Hierzu werde ich die beiden Transaktionsmodi als ausagierte Idealtypen konzipieren, die diskursiv als bindend konzeptualisiert, in realen Handlungen jedoch häufig dramatisiert, verwischt, angefochten, ausgenutzt, ja sogar offen und gewaltvoll ignoriert wurden. Dabei gehe ich davon aus, dass ein reibungsloses Funktionieren ihrer Divergenz ein hohes Maß an sozialer Kohäsion und kultureller Kohärenz voraussetzt, die das notwendige Maß an Vertrauen in die Erfüllung der jeweiligen Einlösung der Schuld liefern. Das Vorherrschen einer Situation, die diese soziale und kulturelle Kohärenz nicht bereitstellt, resultiert in einem Verlust des Vertrauens in die Erfüllungsmöglichkeit der Schulden an beiden Enden des von Znoj ausgearbeiteten räumlich-temporalen Spektrums. Wenn die geteilte Lebenswelt auseinanderbricht, fällt es schwer, Schuldbeziehungen als ewig bindend zu imaginieren. Die in kürzeren Abständen fluktuierenden intra- wie interkulturellen Bewegungen von Menschen und Dingen verhindern die Entstehung von Vertrauen selbst bei den elementarsten und einfachsten alltäglichen Tauschbeziehungen: Man verliert das Verständnis dafür, in welchem Modi man sich tatsächlich befindet. Da ich bereits oben deutlich gemacht habe, dass die Gesellschaft der Küstenalgonkin durch ein Auseinanderfallen und eine Infragestellung der normativen Ordnung geprägt war, soll nun untersucht werden, inwieweit dies Auswirkungen auf das Ausagieren der beiden Transaktionsmodi besaß. Hierzu ist es jedoch zunächst

103 Znoj verhehlt hierbei seine Nähe zum methodologischen Individualismus Frederik Barths nicht.

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notwendig, in den zeitgenössischen Quellen nach Hinweisen für Transaktionsmodi zu suchen. Und in der Tat wird bei Prüfung dieser deutlich, dass sich die duale Struktur des ökonomischen Systems der Küstenalgonkin sprachlich in der Dichotomie zwischen ‚Nanówwe‘ – von Williams als „freiwillige Herausgabe ihrer Waren“ übersetzt – und ‚Anaqúshento‘, übersetzt als „Handel“104, manifestierte. Während ‚Nanówwe‘ Transaktionen bezeichnet, die in ein langandauerndes und im Interesse beider Partner aufrechtzuerhaltendes, reziprokes Austauschverhältnis eingebettet sind, bezieht sich ‚Anaqúshento‘ auf liquidierende Transaktionen, an deren dauerhafter Existenz kein Interesse besteht.105 Während man sich, um dem Hypergut zu entsprechen, innerhalb von ‚Nanówwe‘-Beziehungen möglichst freigiebig und spendabel erweisen sollte – man gibt einander sein letztes Hemd, um sich so von anderen Individuen abzusetzen –, können hartes Gewinnstreben und Kalkulation, ja Betrug,106 als Ziel einer ‚Anaqúshento‘-Beziehung bestimmt werden. Die von dem Pfarrer Michaëlius beobachtete Strategie der Indianer, sich während wirtschaftlicher Verhandlungen mit Europäern in einer Art Pidginsprache, untereinander jedoch in der Standardsprache zu unterhalten, dürfte dabei ein Mittel zur Nutzung asymmetrisch verteilter Informationen dargestellt haben. Das folgende Zitat suggeriert zwar, dass das Pidgin innerhalb ökonomischer Austauschprozesse gerade nicht dafür instrumentalisiert wurde, wirtschaftlichen Profit zu erlangen: „Es scheint uns zudem, dass sie versuchen, ihre Sprache vor uns zu verbergen anstatt anständig mit uns in ihr zu kommunizieren. Sie nutzen ihre Sprache nur im alltäglichen Handel und auch hier verwenden sie nur halbe Sätze, kürzen ihre Wörter […] und bezeichnen mit ein und demselben Wort Dinge, die kaum Ähnlichkeit miteinander besitzen. 104 Williams, Roger (1652): The Bloody Tenent Yet More Bloody: by Mr. Cotton’s Endevour to Wash it White in the Blood of the Lamb, London: J. Haddon, S. 217; [„Giving their Commodities freely“; „Trading“], vgl. zu ‚Anaqushento’ Trumbull (1903), S. 8 f. Williams (1936/1643), S. 159 führt auch „Anaqushaog, or Anaqushanchick/Traders“ auf. Wood (1977/1635), S. 121 übersetzt aus dem Massachussetts ‚unkesheto’ mit „will you truck“. In Specks Mohegan Wörterbuch findet sich „UNKSHOH he sells (u‘nksha) = Abn. onkohlbmuk one sells“, siehe Prince, J. Dyneley/Speck, Frank G. (1904): Glossary of the Mohegan-Pequot Language. In: American Anthropologist 6, S. 18-45, hier S. 41. 105 Die beiden Wörter scheinen auf folgende Wurzeln zurückzugehen: ‚Nanowwe‘ wird von Trumbull auch mit ‚freely‘, ‚safely‘, ‚voluntary‘ und ‚of free will‘ übersetzt; ‚qushkeu‘ mit ‚he goes back, returns‘. Siehe Trumbull (1903), S. 76 und 142. 106 Ebd., S. 169: „Machàge wattammauntammoock./They take no care about paying.“

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In Wahrheit ist es eine kindliche Sprache, die sie schufen um selbst diejenigen, die am allerbesten mit ihnen zwecks Handels kommunizieren können, im Dunkeln tappen und in Verwunderung zu lassen sobald sie die Wilden in ihrer eigenen Sprache sprechen hören.“107

Diese Einschätzung scheint jedoch eher einer arroganten Form der Selbstüberschätzung zu entspringen. Williams, im Umgang mit den Küstenalgonkin sicherlich besser geschult, wird nicht müde, dem Leser des Key Phrasen an die Hand zu geben, die es ihm ermöglichen sollen, aus hart geführten geschäftlichen Auseinandersetzungen mit den Küstenalgonkin als Sieger hervorzugehen: „Cosaúmawem./Du verlangst zu viel.“ „Wuttunnaútu./Es ist so viel wert.“ „Cosaúmakese./Dein Preis ist zu hoch veranschlagt.“ „Mamattissuog kuteaúquock./Deine Perlen sind von schlechter Qualität.“108

Beide Beziehungstypen reproduzieren sich so durch ihre Anbindung an das Hypergut idealerweise selbst: Während großzügige Handlungen die Beziehung verlängern, verunmöglicht hartes Kalkulieren eine Fortführung der Beziehung außerhalb rein geschäftlicher Interessen.

107 Michaëlius, Jonas (1909/1628): Letter of Reverend Jonas Michaëlius. In: Jameson, John Franklin (Hg.): Narratives of New Netherland, 1609-1664, New York: Charles Scribner’s Sons, S. 117-133, hier S. 128; [„It also seems to us that they rather design to conceal their language from us than to properly communicate it, except in things which happen in daily trade; saying that it is sufficient for us to understand them in that; and then they speak only half sentences, shortened words, (…) and all things which have only a rude resemblance to each other, they frequently call by the same name. In truth it is a made-up, childish language; so that even those who can best of all speak with the savages, and get along well in trade, are nevertheless wholly in the dark and bewildered when they hear the savages talking among themselves.“] Siehe zu Pidginsprachen in Neu-England Goddard, Ives (1977): Some Early Examples of American Indian Pidgin English from New England. In: International Journal of American Linguistics 43, S. 37-41. 108 [„Cosaúmawem./You aske too much. Wuttunnaútu./It is worth it.Cosaúmakese./You have told too much. Mamattissuog kuteaúquock./Your Beads are naught.“] Vgl. bei Williams (1936/1643), S. 162 ff. den ganzen Komplex an Fragen und Bemerkungen, der auf die Verbreitung und Bedeutung intensiven Feilschens hinweist. Die obigen Beispiele entstammen dieser Passage.

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Obwohl in ‚Nanówee‘-Beziehungen Schuldverhältnisse demnach als gewollt, durch gesellschaftliche Hierarchieverhältnisse gesteuert und somit vorhersehbar erscheinen, verdeutlicht die etymologische Verwandtschaft zum Nomen ‚Nanowetea‘, das Trumbull mit „keeper or nurse, an overseer and orderer (of their worship)“109 übersetzt, den klientelistischen Charakter einiger dieser Beziehungen. Sie sind als Aktualisierungen vorhandener Machtverhältnisse realiter keineswegs als notwendigerweise reziprok zu verstehen – gerade hier liegt das Missverständnis Williams’ und seiner Zeitgenossen.110 Der von Williams in einer Passage erwähnte Indianer „mit sehr viel Geld“111, der einen armen Engländer um ein Messer anbettelt, kann so als ein sich seiner Überlegenheit lediglich bewusster Partner einer ‚Nanówee‘-Beziehung angesehen werden. Er erwartet in selbstsicherer Manier durch die Übergabe von Geschenken Anerkennung. In seinem Key benutzt Williams dementsprechend eine Übersetzung ‚Nanówees‘, die diese Transaktionsform weitaus weniger positiv als die obige darstellt: „[…] sie fügen Nanoue hinzu, gib mir dies, gib mir das, eine Krankheit, mit der sie scheinbar allesamt infiziert sind […].“112 Die Spannung zwischen den beiden Übersetzungen entspringt, wie die bereits erwähnten und ambivalent anmutenden Wahrnehmungen der Austauschbeziehungen durch die Europäer, einem kulturellen Fehlschluss. Zudem ist das Eingehen einer ‚Nanówee‘-Beziehung sowohl mit positiven wie negativen Konsequenzen verknüpft. Während man sich in einer auf gegenseitiger Verpflichtung beruhenden Beziehung der Rückzahlung von Schulden sicher sein kann, steigt die Wahrscheinlichkeit, mit Forderungen konfrontiert zu werden, deren Erfüllung man sich nur schwerlich entziehen kann. ‚Nanówee‘ scheint also als semantischer Umschlag die Einforderung von Verbindlichkeiten innerhalb von dauerhaften Verpflichtungsbeziehungen anzuzeigen, deren Evaluierung aufgrund ihrer Eigenschaft, sowohl persönliche als auch Beziehungen zwischen Vergangenheit und Zukunft zu mediatisieren, jedoch hochgradig der Gefahr unterliegt, von „sanctioned“ zu „unsanctioned“ und wie-

109 Trumbull (1903), S. 76. 110 Hier liegt auch ein Problem der oben bereits erwähnten reziprozitätsaffinen Herangehensweise an indigene Austauschprozesse. So legen semantische Analogien nahe, dass Tributzahlungen durchaus eher im Sinne liquidierender Beziehungen aufgefasst worden sind. Es gibt etymologische Zusammenhänge zwischen „Ompehteaonk, ompwet – tribute“ und „Ompenat – to be loose“, vgl. Trumbull (1903), S. 105. 111 Williams (1936/1643), S. 164; [„with great quanties of money about him“]. 112 Ebd.; [„(…) they adde Nanoue, give me this or that, a disease which they are generally infected with (…).“]

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der zurück zu schwingen113 – mit anderen Worten: Es besteht die Gefahr, vor allem bei Missinterpretation sowie Veränderung des Nähegrades des persönlichen Verhältnisses oder bewusster Vortäuschung einer freundschaftlichen Beziehung, missverstanden und ausgenutzt zu werden. Aus diesem Grund schreibt Williams von einem doppelten Verlust: Dem der ‚Freundschaft‘ und dem des übereigneten Gutes.114 Das Eingehen von vermeintlich auf freundschaftlichen Gefühlen basierenden Kreditbeziehungen dient demnach nicht immer der „multiplication of social ties“115, sondern vor allem auch der kaltschnäuzigen Akkumulation von Reichtum. Gerade in einer von Unsicherheit, wütenden Epidemien, sich wiederholenden Raubzügen und ähnlich destabilisierenden Vorfällen geprägten Lebenswelt besteht zudem die Gefahr eines durch Nachahmungsprozesse in Gang gesetzten gesamtgesellschaftlichen Umschwungs zu Transaktionen der Form ‚Anaqúshento‘, was wiederum interkulturelles Misstrauen erhöht.116 Es sollte an dieser Stelle deutlich geworden sein, dass es sich bei den beiden Transaktionstypen um ausagierte Idealtypen handelt, deren reale Ausprägung sich aufgrund der Vielfalt an intersubjektiven Beziehungsarten durch eine Vielzahl von intra- wie interkulturellen strategischen Interventionen – im bourdieuschen Jargon ‚Spielen‘ – auszeichnete. Es darf dabei angenommen werden, dass die Veränderungen der Konzeption räumlich-temporaler Wertakkumulation durch die Infra113 Roitman, Janet (2003): Unsanctioned Wealth; or: The Productivity of Debt in Northern Cameroon. In: Public Culture 15, S. 211-237, vgl. allgemein zu Schuld und Kredit Peebles, Gustav (2010): The Anthropology of Credit and Debt. In: Annual Review of Anthropology 39, S. 225-240. 114 Williams (1936/1643), S. 168: „They are very desirous to come into debt, but then he that trusts them, must sustaine a twofold losse.“ 115 Caplan, Lionel (1972): The Multiplication of Social Ties: The Strategy of Credit Transactions in East Nepal. In: Economic Development and Cultural Change 20, S. 691-702. 116 Dass es einen Unterschied zwischen indigener und europäischer Kreditkonzeption gegeben hat, wird auch deutlich, wenn man sich die von Wendell übersetzen Geschäftsbücher ansieht, die verdeutlichen, dass die meisten der an Indianer vergebenen Kredite nicht zurückgezahlt wurden. Siehe Waterman, Kees-Jan (Hg.) (2008): „To do justice to him & myself“. Evert Wendell’s account book of the fur trade with Indians in Albany, New York, 1695-1726. Philadelphia: American Philosophical Society sowie Waterman, Kees-Jan (2011): Practicalities and Motivations in the Intercultural Fur Trade in Colonial New York: Evidence from Two Trade Ledgers in Dutch, 1695-1732. Paper beim ‚International Colloquium on Merchant Practices in the Age of Commerce, 1650-1850’, 10. Juni 2011, Paris. Seine statistischen Erhebungen ergeben gar, dass über 40 % der Schulden nicht zurückgezahlt wurden.

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gestellung der prä-kolonialen normativen Ordnung und Anfechtung traditioneller Patron-Klienten-Verhältnisse die Deutung der räumlich-temporalen Konstitution der jeweilig angebrachten Schuldbeziehung in der para-kolonialen Situation erschwert haben. Die Kontaktsituation führte also zu einer systemischen Unsicherheit über die Frage, in welchem Transaktionsmodus man sich denn nun befinde. In einem derartig institutionell undifferenzierten Schuldsystem ist es das Ergebnis des – unter Umständen gewalttätig verlaufenden – Kampfes um Interpretationshoheit, welches letztlich darüber entscheidet, wer wem auf welche Art etwas schuldet.117 Wie Parry elegant herausarbeitet, ist es erst die Entstehung der Weltreligionen, die eine systemische Ausdifferenzierung moralischer und wirtschaftlicher Schuld hervorbringt.118 Während ich in einem solchen System meinem Gegenüber in einer moralischen Schuldbeziehung als ganze Person begegne, so in einer wirtschaftlichen Schuldbeziehung lediglich als Rechtssubjekt, dem gegenüber lediglich der Staat einen Anspruch auf Gewaltanwendung geltend machen kann. Es verwundert aufgrund der Alternativlosigkeit – die Einklagung vor Gericht ist schlicht nicht möglich und die Evokation übergeordneter kultureller ‚Regeln‘ 117 Siehe Strathern, Marilyn (2006): Transactions: an Analytical Foray. In: Hirsch, Eric/Strathern, Marilyn (Hg.): Transactions and creations. Property debates and the stimulus of Melanesia, New York: Berghahn Books, S. 85-109, besonders S. 109, Herv. M.S.: „What has to be endlessly, infinitely, specified are the conditions of relationship […].“ 118 Parry, Jonathan (1986): The Gift, the Indian Gift and the ‚Indian Gift‘. In: Man 21, S. 453-473. Graeber scheint Parry vor allem aufgrund der eigenen politischen Einstellung zu ignorieren. Es scheint ihm ein wenig unpassend, zugeben zu müssen, dass der Schuldner einzig rechtlich dazu verpflichtet ist, dem Gläubiger die Schulden zurückzuzahlen. Dass die moralische Dimension in diesem Falle lediglich den Schuldner und den Staat umgreift, wird durch die Analyse des Zusammenhangs der Genese der ‚laissez-faire‘-Mentalität und der Entstehung staatlicher Gefängnissysteme überzeugend von Harcourt, Bernard E. (2011): The illusion of free markets. Punishment and the myth of natural order, Cambridge: Harvard University Press herausgearbeitet. Siehe zum Problem der Vermischung von moralischer und wirtschaftlicher Schuld Graeber (2011) und James, Deborah (2012): Money-go-round: personal economies of wealth, aspiration and indebtedness. In: Africa 82, S. 20-40. Siehe zu dem Problem wie sich diese Ambivalenzen in der Semantik im interkulturellen Austausch benutzter Wörter widerspiegeln Black-Rogers, Mary (1986): Varieties of ‚Starving‘: Semantics and Survival in the Subarctic Fur Trade, 1750-1850. In: Ethnohistory 33, S. 353-383.

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durch die einschneidenden Veränderungen der Lebenswelt zumindest weniger zwangsläufig bindend – daher nicht, dass Williams es für angebracht hält, dem Thema „Schulden und Vertrauen“119 ein ganzes Kapitel seines Key zu widmen, in dem er dann unter anderem von permanenten Vertrauensbrüchen berichtet: „Einige von ihnen sind unschuldig, einfachen Herzens und ehrlich, die meisten aber bezahlen dich nie, es sei denn man verfolgt sie bis zu ihren Dörfern und Häusern, wozu ich selbst oft gezwungen war […].“120 Die große Anzahl an Phrasen, die es dem Händler erleichtern sollen, Verbindlichkeiten mit der nötigen Hartnäckigkeit einzufordern, wird vor dem Hintergrund dieser Analyse ebenfalls verständlicher: „Keéskwhim teaug mésin./Gib mir mein Geld.“ „Nnádgecom./Ich komme wegen der Schulden.“ „Kunnampatowin keénowwin./Du musst sie bezahlen.“121

Dass sich Williams dieser Interpretationsambivalenzen durchaus bewusst, ja, sie sich gar zunutze zu machen befähigt war, wird deutlich, wenn er in einem Brief an John Winthrop den Erwerb von Aquidneck Island beschreibt und erklärt, es habe sich dabei eigentlich nicht um einen rechtmäßig getätigten ‚Kauf‘ gehandelt, jedoch habe er sich, um potentiellen Problemen zu entgehen, dazu entschieden, ihn so zu nennen: „Sir, seien sie betreffs der Inseln Prudence und […] Aquidneck über einen großen Fehler ihrerseits informiert, keine der beiden wurde im üblichen Sinne gekauft, denn tausende fathoms eines Fremden hätten das nicht vermocht. Die Wahrheit ist, dass man nicht einen Pfennig verlangte, und das was schließlich bezahlt wurde, nichts als ein symbolischer Betrag war; ich entschloss mich jedoch, letztlich zur Sicherheit und der Form halber, es als Verkauf zu bezeichnen.“122 119 Williams (1936/1643), S. 167-170; [„Of Debts and Trusting“]. 120 Ebd., S. 168, Herv. M.S.; [„Some are ingenuous, plaine hearted and honest; but the most never pay, unlesse a man follow them to their severall abodes, townes and houses, as I my selfe have been forc’d to doe (…).“] 121 Ebd., S. 168 f.; [„Keéskwhim teaug mésin./Pay me my money.Nnádgecom./I come for debt. Kunnampatowin keénowwin./You must pay it.“] 122 Bartlett (1874), S. 104; [„Sir, concerning the islands Prudence and (Patmos, if some had not hindered) Aquednick, be pleased to understand your great mistake: neither of them were sold properly, for a thousand fathom would not have bought either, by strangers. The truth is, not a penny was demanded for either, and what was paid was only gratuity, though I choose, for better assurance and form, to call it sale.“]

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Der Unterschied zwischen diesen beiden Transaktionsmodi spiegelte sich außerdem in der Form des Haupttransaktionsmediums, den Wampumperlen und schnüren.123 Transaktionspartner mit dem nötigen kulturellen Wissen konnten so anhand der Form des Tauschobjektes die vorausgesetzte oder erwartete Art der Beziehung gleichsam ablesen. Wampum fungiert hier gewissermaßen als Pfand und seine Form stellt eine Materialisierung des erwarteten Transaktionsmodus dar. Die damit erlangte Erhöhung der intersubjektiven Sicht- und Erfahrbarkeit der Erwartung vergrößerte die Chance ihrer Erfüllung.124 Während Wampum innerhalb von ‚Anaqúshento‘-Beziehungen vor allem in Form von Schnüren (‚enomphósachick‘125) verwendet wurde, zirkulierten in ‚Nanówee‘-Beziehungen vor allem lose Perlen, die in Körben oder mit den Händen übergeben wurden.126 Die räumliche Begrenzung von Schnüren lässt sich dabei als ikonische Markierung des Versuchs, die Beziehung nach der ökonomischen Transaktion zugleich wieder zu beenden, verstehen. Bezeichnenderweise wurden jedoch auch beim Brautpreis und Wer- oder Blutgeld Schnüre mit exakt festgelegtem Wert überreicht.127 Diese innerhalb der Ethnologiegeschichte häufig diskutierten Austauschformen stellen aufgrund ihres eigentümlich zwittrigen Charakters ohne Zweifel eines der größten Rätsel der Wirtschaftsethnologie dar.128 Während Kri123 Die bedeutsame Rolle Wampums in Transaktionen wird auch deutlich im Wort „kodtauwompasu (?), v. i. act, he sells or barters“, siehe Trumbull (1903), S. 38. Das Wort setzt sich aus dem Morphem ‚kod‘, das ein Verlangen anzeigt sowie ‚wompasu‘ (Wampum) zusammen. Auszutauschen heißt, Wampum erlangen zu wollen. 124 Siehe zur Bedeutung der Materialität von Verträgen Alexander, Catherine M. (2001): Legal and Binding: time, change and long term transactions. In: Journal of the Royal Anthropological Institute 7, S. 467-485. 125 Williams (1936/1643), S. 157. 126 Eine andere Interpretation legt eine Beobachtung Lindeströms nahe, in der unterschieden wird zwischen Transaktionen mit Wampum und solchen ohne. Erstere sind durch hartes Feilschen, letztere durch Großzügigkeit gekennzeichnet. Siehe Lindeström, Peter (1925/1656): Geographia Americae, Philadelphia: The Swedish Colonial Society, hier S. 223 f.: „If one should buy the aforesaid articles from the savages with the cash money of the savages they are expensive enough, but when one pays for them with the merchandise of the Christians, one can make an excessively large gain and profit in trading with the savages.“ 127 Siehe u.a. Williams (1936/1643), S. 147 f. und de Rasiere (1909/1628), S. 109. 128 Siehe u.a. Goody, Jack/Tambiah, Stanley Jeyaraja (Hg.) (1973): Bridewealth and dowry, London: Cambridge University Press und Comaroff, John L. (Hg.) (1980): The meaning of marriage payments, London: Academic Press. Siehe auch EvansPritchard, E.E. (1931): An alternative term for ‚bride-price‘. In: Man 31, S. 36-39

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tiker der Praxis gerne die Moralkeule schwingen und von Brautkauf sprechen, um so die Gleichsetzung von Frau und Ware kritisieren zu können, rücken Verteidiger der Praxis die sich anschließende und dauerhafte Verbindung zwischen den beiden Familien in den Vordergrund. Meiner Ansicht nach gibt es jedoch die Möglichkeit einer konstruktiven Verbindung beider Thesen. Demnach sollten festgesetzte Preise, die wir nicht nur bei dem Tausch von Frauen, sondern auch bei der Sühne vergangener Morde wiederfinden, als performative Konstruktionen einer Äquivalenz angesehen werden, die realiter nicht existiert. Während in vielen Gesellschaften Frauen gegen Frauen, tote Männer gegen tote Männer getauscht werden, suggeriert ein festgesetzter Preis die Endlichkeit der Transaktion, blendet die Gefühle der beteiligten Personen bewusst aus und ermöglicht so den Austausch von Ungleichem. Man hat nicht seinen Sohn verloren, sondern ein Mitglied der Gesellschaft.129 Die exakte Bezifferung ist also der Gegensatz zu einer Praktik, die jeder Ethnologe und Archäologe auf Feldforschung schon einmal erlebt haben dürfte: Auf dem Markt erwirbt man bei einer einem selbst vollkommen unbekannten Verkäuferin eine bestimmte Menge Maismehl. Im Anschluss an die genaue Messung fügt sie noch ein beträchtliches Maß an Maismehl hinzu und suggeriert so eine Offenheit des Tauschgegenstandes, der indexikalisch die Offenheit der Handelsbeziehung nahezu magisch heraufbeschwört ebenso wie die exakte Bezifferung des ‚Preises‘ einer Frau allen Beteiligten die Möglichkeit gibt, die Beziehung zwischen den Partnern als endlich zu sehen. Es ist nicht mehr ‚meine‘ Tochter; ‚mein‘ Sohn wird nicht in Form eines adoptierten Ersatzes oder getöteten Sühneopfers wiederkehren. Das harte Feilschen, das von Williams und anderen mit Bezug auf ‚Anaqúshento‘Beziehungen beschrieben wird, kann analog dazu als Versuch gedeutet werden, durch performative Festsetzung von genauen Preisverhältnissen den Charakter der Transaktion als liquidierend zu unterstreichen. Lose Wampumperlen hingegen stellten ikonische Zeichen einer fortdauernden Beziehung dar oder solche eines Versuches, eine auf gegenseitiger Verpflichtung beruhende ‚Nanówwe‘-Beziehung zwischen einander bisher nicht beund, die Debatte vor den 1970er Jahren prägnand zusammenfassend Dalton, Georg (1966): ‚Bridewealth‘ vs. ‚Brideprice‘. In: American Anthropologist 68, S. 732-738. 129 Siehe auch Mauss, Marcel (2012b): Die Religion und die Ursprünge des Strafrechts nach einem kürzlich erschienen Buch [Besprechung von Ethnologische Studien zur ersten Entwicklung der Strafe, Bd. I und II (1892/1894) von Sebald Rudolf Steinmetz. In: Ders.: Schriften zur Religionssoziologie, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 36-92, hier S. 76: „Denn die Familie und nicht der Tod muß gerecht werden, von einigen Fällen abgesehen; die Formel für den Aufruf zur Rache lautet nicht: ‚Das Blut von diesem oder jenem wurde vergossen‘, sondern ‚Unser Blut wurde vergossen‘.“

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kannten Personen zu eröffnen. So legen einige Quellen nahe, dass während der bereits beschriebenen Feste Wampum nicht in Form von Schnüren, sondern in Form einzelner Perlen redistribuiert wurde. Auch in Williams’ Briefen finden wir zahlreiche Stellen, in denen er vom Austausch von Körben mit Wampumperlen als Geschenken spricht.130 Was hier eigentlich verteilt beziehungsweise verschenkt wird, ist jedoch die Anerkennung der Fähigkeit des Empfängers, durch Aktualisierung des Hypergutes Wert zu erlangen. Einzelne, lose Wampumperlen dienen als ikonische Zeichen autonom erreichbaren Wertes. Sie suggerieren auf diese Weise, dass jedes Mitglied der Gesellschaft, insbesondere ihr Empfänger innerhalb der festlichen Redistribution oder in ‚Nanówee‘-Beziehungen, in der Lage ist, durch Transformation generischer Perlen zu Ornamenten Individualität (‚Vermögen‘) und durch Verarbeitung einzelner Perlen zu Schnüren ökonomischen Reichtum und somit Wert zu erlangen.

130 Bartlett (1874), S. 385: „[…] Aawaysewaukit is their Sachem; and twelve days ago, he sent his son, Wunnawmeneeskat to Uncas, with a present of a basket or two of wampum.“ Für weitere Beispiele siehe S. 68, S. 80, S. 382, Winthrop (1996), S. 74 und Winslow (1996/1624), S. 60. Für ähnliche Beobachtungen betreffs der Powhatan siehe Spelman, Henry (1872/1609): Relation of Virginia, London: Chiswick Press, S. 49. Siehe auch die Übergabe einer Tasche (‚nootas’) wahrscheinlich loser Wampumperlen von einem Mohawk an einen Küstenalgonkin wie sie Van Laer, A.J.F. (Hg.) (1922): Minutes of the Court of Rensselaerwyck 1648-1652, Albany: University of Albany, hier S. 127 beschreibt: „Rem Jansz, residing in Fort Orange, declares that on the 20th of September 1650, it happened that a certain Tapaen savage, at the house of Arent Andriesz, unasked and unexpectedly said to him: ‚You Dutchmen have now been selling guns long enough to the Maquas, for they came to us last summer and made presents in order that we should help them to kill you when the ice was on the water. They also went to the savages to the south and offered them a large nootas of seawan, whereupon they promised to lend them the helping hand‘.“ Die Tatsache, dass im irokesischen Gebiet genau die umgekehrte Markierung stattgefunden zu haben scheint, dürfte interkulturelle Verständigungsprobleme noch erhöht haben. So zirkulierten auf diplomatischer Ebene bekannterweise vor allem Gürtel, während in den frühen Quellen häufig von ‚hands of seawan‘ die Rede ist, die bei kommerziellen Transaktionen getauscht wurden. So u.a. in Van den Bogaert, Harmen Meyndertsz (1991/1635): A Journey into Mohawk and Oneida Country, 1634-1635: The Journal of Harmen Meyndertsz van den Bogaert, Syracuse: Syracuse University Press, hier S. 6: „They sold each salmon for one guilder or two hands of sewant. “

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Im folgenden Kapitel soll anhand einer Diskussion der Begräbnisriten der Küstenalgonkin illustriert werden, dass die Einbeziehung der spezifischen Erscheinungsform des Wampum in eine Analyse der Küstenalgonkinkultur nicht nur bei der Betrachtung der ökonomischen Handlungen eine Möglichkeit bietet, über bisherige Interpretationen der Wampumverwendung hinauszugelangen.

D IE B EDEUTUNG DER G RÄBER UND DER G RABBEIGABEN FÜR DIE L EGITIMATION DER HERRSCHENDEN I DEOLOGIE Während innerhalb der archäologischen Beschäftigung mit den Nekropolen der Küstenalgonkin bisher auf verschiedene Besonderheiten wie die auffallend häufige Beigabe von reich verzierten Wampumornamenten in Kindergräber sowie den Unterschied zwischen Sachem- und gewöhnlichen Gräbern hingewiesen wurde,131 rückte die Materialität der einzelnen Wampumobjekte bisher nicht in den Fokus der ethno- oder archäologischen Untersuchungen. Differenzieren schriftliche Quellen nur ungenügend zwischen auf Schnüren gezogenen und einzelnen Perlen, Gürteln sowie anderen Ornamenten, konservieren archäologische Quellen diese Unterschiede und ermöglichen dem Forscher eine Verbindung der Vorteile beider Quellengattungen. Die schriftlichen Quellen versetzen ihn in die Lage, sich über den sprachlich kommunizierten symbolischen Gehalt der niedergelegten Objekte zu informieren, während der archäologische Befund potentiell dazu in Widerspruch stehen kann.132 Da Begräbnisriten auf besonders intensive Weise mit dem Problem des Aufrechterhaltens einer sozialen Struktur im An-

131 Siehe hierzu Brenner, Elise M. (1988): Sociopolitical Implications of Mortuary Ritual Remains in 17th-Century Native Southern New England. In: Leone, Mark P./Potter, Parker B. (Hg.): The Recovery of Meaning. Historical Archaeology in the Eastern United States, Washington: Smithsonian Institution Press, S. 147-181, Rubertone (2001) und Crosby, Constance A. (1988): From Myth to History, or Why King Philip's Ghost walks abroad. In: Leone, Mark P./Potter, Parker B. (Hg.): The Recovery of Meaning. Historical Archaeology in the Eastern United States, Washington: Smithsonian Institution Press, S. 183-209. 132 Siehe hierzu Hodder, Ian (1982): Theoretical Archaeology: A Reactionary View. In: Ders.: Symbolic and Structural Archaeology, Cambridge: Cambridge University Press, S. 1-16 und Turner, Terence (2006): Kayapo Values: An Application of Marxian Value Theory to a non-commoditiy based system of production. Paper contributed to the panel ‚Values of Value’, 100th Annual Meeting of the American Anthropological Association, New Orleans.

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schluss an die Infragestellung desselben konfrontiert sind, stellt dies sogar keine Seltenheit dar. Hertz’ Grundthese der Universalität einer doppelten Begräbnisstruktur133 aufgreifend, gehen auch Bloch und Parry davon aus, dass Begräbnisriten legitimierende Rechtfertigungsnarrative der jeweiligen „social order and its authority structure“134 bereitstellen müssen. Der Tod eines Mitglieds stellt die innerhalb der Kultur gültigen Bedingungen der sozialen Reproduktion notwendig und radikal infrage. Die überzeitlichen und überindividuellen kulturellen Bedeutungen, mit denen der Tote während seines Lebens noch stark verwoben war, die sich in ihm und seinen Handlungen objektiviert hatten, werden durch den Tod negiert. Aus diesem Grund muss der Tote zunächst von seiner Kultur losgelöst werden (‚erstes Begräbnis‘), um diese anschließend als dem Tod überlegen präsentieren zu können (‚zweites Begräbnis‘). Wir werden sehen, dass es den Küstenalgonkin in ihren Begräbnisriten gelingt, den für die Reproduktion der Gesellschaft notwendigen Widerspruch zwischen propagierter Individualität jedes Individuums und verwandtschaftlich organisierter Wertübertragung zugleich zu markieren und zu verdecken. Doch zunächst müssen einige Beobachtungen, die in der bisherigen Literatur zu den Nekropolen nicht zur Kenntnis genommen worden sind, kurz gebündelt zusammengefasst werden. Die wichtigsten Grabanlagen sind West Ferry, in der Nähe des heutigen Jamestown, Rhode Island, und RI-1000, nahe des heutigen North Kingstown, Rhode Island, gelegen.135 Beide haben folgende Charakteristika gemeinsam: (1) Generisches Wampum wird selten in Gräbern von Frauen gefunden. (2) Ornamentales Wampum findet sich nur gelegentlich in Gräbern erwachsener Männer. Stattdessen werden häufig individuelle Perlen deponiert. (3) Kinder werden äußerst häufig mit Ornamenten oder Wampumschnüren begraben.136 133 Hertz, Robert (2007): Beitrag zur Untersuchung der kollektiven Repräsentation des Todes. In: Ders.: Das Sakrale, die Sünde und der Tod. Religions-, kultur- und wissenssoziologische Untersuchungen, Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft, S. 65-180. 134 Bloch, Maurice/Parry, Jonathan (1982): Death and the Regeneration of Life, Cambridge: Cambridge University Press, hier S. 41. 135 Vgl. Simmons (1970) und Turnbaugh (1984). Weitere bedeutende, wenn auch weniger gut dokumentierte, Grabanlagen sind Burrs Hill (vgl. Gibson (1980)) und Pantigo (vgl. Saville, Foster H. (1920): A Montauk Cemetery at Easthampton, Long Island, New York: Museum of the American Indian, Heye Foundation). 136 Persönliche Kommunikation mit Kevin McBride, wissenschaftlicher Direktor des Mashantucket Pequot Museum in Connecticut. Siehe hierzu auch Mourt

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Ich möchte an dieser Stelle die folgende Beobachtung Edward Winslows hinzufügen, da sie ein weiteres Merkmal küstenalgonkischer Begräbnisriten veranschaulicht: „Wenn sie ihre Verstorbenen begraben, wickeln sie den Leichnam in eine Matte und legen ihn so in die Erde. Falls es sich um einen Sachem handelt, bedecken sie ihn mit interessanten Matten, begraben mit ihm all seine Reichtümer und verschließen das Grab mit einem Pfahl. Bei einem Kind wird der Vater die wertvollsten seiner eigenen Juwelen und Ornamente mit begraben […].“137

Winslows Bemerkungen lassen vermuten, dass es einen beträchtlichen Unterschied zwischen dem Begräbnis eines Sachem und dem eines gewöhnlichen Mannes gegeben hat. Der Leichnam eines gewöhnlichen Mitglieds der Gesellschaft wurde offenbar durch das Einwickeln in eine Matte begrenzt,138 um den Auflösungsprozess des Körpers, den Verlust zuvor erreichter Autonomie, kurz: den Charakterzerfall verstärkt zu markieren. Indem man Zeichen der übergeordneten Sozialeinheit, der Familie, um den Körper platzierte,139 wurde der Tote in die Reihe seiner Ahnen integriert. Während eines sich anschließenden „zweiten großen Wehklagens“ wurde die Individualität der Person wieder hergestellt, indem Verwandte die Matte, auf der der Tote gestorben ist, sowie die Schüssel, aus der er als letztes gegessen hat, auf das Grab legten.140 Dass primär wertlose, singuläre Wampumperlen sowie Werkzeuge zur Produktion von Wampumperlen und keine Ornamente in Gräbern gewöhnlicher Männer deponiert wurden, stellt ebenfalls ein Moment der Markierung der Un(1963/1622), S. 28: „[…] and the bones and head of a little child. About the legs and other parts of it was bound strings and bracelets of fine white beads […].“ 137 Winslow (1996/1624), S. 63; [„When they bury the dead, they sow up the corpse in a mat, and so put it in the earth. If the party be a sachim, they cover him with many curious mats, and bury all his riches with him, and enclose the grave with a pale. If it be a child, the father will also put his own most special jewels and ornaments in the earth with it (…).]“ Eine ähnliche Passage findet sich in Mourt (1963/1622), S. 21, Herv. M.S.: „[…] we found a little path to certain heaps of sand, one whereof was covered with old mats, and had a wooden thing like a mortar whelmed on the top of it.“ Es liegt nahe, anzunehmen, dass es sich bei diesem Grab um dasjenige eines Sachem gehandelt hat. 138 Siehe auch Saville (1920), S. 75. 139 Es dürfte sich bei den Matten um die von Williams als „mats of the house“ bezeichneten gehandelt haben, siehe Williams (1936/1643), S. 32. 140 Ebd., S. 203; [„second great lamentation“].

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vollständigkeit und des Verlustes an Individualität dar. Ein Verlust, der beim unvorhergesehenen Tod einer Frau oder eines Kindes durchaus auf andere Weise gekennzeichnet wurde. Es scheint zunächst ein Widerspruch zum oben Ausgeführten darzustellen, dass in Gräbern von Frauen und Kindern häufig Ornamente wie Hals- oder Armbänder aus Wampum zu finden sind. Betrachtet man diese Depositionen jedoch als Opfer von unversehrten Wampumornamenten, deren Eigentumsrechte der Mann besitzt, löst sich dieser Widerspruch auf. Williams beobachtet scharfsinnig, dass es Männer sind, die ihre Frauen mit ihren Wampumornamenten schmücken: „Sie hängen ihr Geld um ihre Hälse und Handgelenke und um die Hälse und Handgelenke ihrer Frauen und Kinder.“141 Das Opfer eigener Ornamente kann als eine Art des Umgangs mit dem emotionalen Bruch gesehen werden, der sicherlich kulturübergreifend beim Verlust einer geliebten Person empfunden wird. Besonders in den Fällen der Kindergräber könnte die Niederlegung intakter Ornamente jedoch auch als Versuch interpretiert werden, die Autonomie und Einzigartigkeit des Ornaments, die ein ikonisches Zeichen der eigenen Besonderheit darstellt, auf das verletzte Kind zu übertragen. Neben dem obigen Zitat Winslows und dem archäologischen Befund 142 zeigt auch eine Bemerkung von Thomas Morton, dass die Bestattung von Sachem anderen Regeln folgte. Er stellt bezüglich der Bestattungsriten einen „[…] großen Unterschied zwischen Personen aristokratischer und nicht-aristokratischer bezie-

141 Ebd., S. 157; [„They hang these strings of money about their necks and wrists; as also upon (…) the necks and wrists of their wives and children.“] Vergleiche eine Passage bei Mauss (2007), S. 111, Fußnote 1; Mauss (1990), S. 59, Fußnote 30: „Il semble que la femme aux Trobriand, comme les ‚princesses‘ ou nord-ouest américain, et quelques autres personnes, servent en quelque sorte de moyen d’exposer les objets de parade […] sans compter qu’on les ‚charme‘ ainsi.“ Vgl. auch die Rückforderungen geleisteter Brautpreise wie sie Van der Donck, Adriaen (1856/1650): Remonstrance of New Netherland, and the Occurences there. Addressed to the High and Mighty Lords States General of the United Netherlands, Albany: Weed, Parsons and Company, hier S. 14, beobachtet: „The man and woman unite together without any special ceremony, except that the former, by agreement previously made with the latter, presents her with some wampum or cloth, which he frequently takes back on separating […].“ 142 Vgl. zu Sachem-Gräbern auch Latham, Roy (1978): Seventeenth Century Graves at Montauk, Long Island. In: The Coastal Archaeological Reader: Selections from the New York State Archaeological Bulletin, 1954-1977. Readings in Long Island Archaeology and Ethnic History, Band II, Stony Brook: Suffolk County. Archeological Association, hier S. 6.

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hungsweise obskurer oder minderwertiger Herkunft“143 fest. Ein Sachem wird mit Matten bedeckt, mit seinen Gütern („his riches“) begraben und der auf dem Grab aufgestellte Pfahl signalisiert die fortdauernde Wirkkraft des Verstorbenen in der Gesellschaft, während die mit ihm begrabenen, intakten Wampumgürtel und -ornamente seine andauernde Autorität spiegeln. Als Ahne wird er das politische Amt des Sachem an seine biologischen Nachfahren übertragen. Es scheint, dass im Gegensatz zu dem Begräbnisritus gemeiner Mitglieder der Gesellschaft, im Anschluss an die erste Beerdigung keine zweite folgt. Es schließt sich jedoch ein Ereignis an, das die Reproduktionsfähigkeit der Gesellschaft ohne den verstorbenen Sachem leugnet: Die selbst in Gang gesetzte Zerstörung der individuellen Güter der des Toten nahestehenden Personen. Ein prominentes Beispiel stellt die Beerdigung des Narragansett-Sachem Miantomino dar, bei der dessen Vater Canonicus „seinen eigenen Palast und alle die darin sich befindlichen Güter (darunter solche hohen Wertes) in Erinnerung an seinen Sohn“144 niederbrannte. Das Sachem-Begräbnis folgt im Vergleich zur Beerdigung des einfachen Mannes demnach einer umgekehrten Logik: Während die Individualität des Sachem zunächst markiert wird und anschließend die Reproduktionsfähigkeit einer Gesellschaft ohne ihn negiert wird, wird beim Begräbnis des gewöhnlichen Mitglieds zunächst die gesellschaftliche Reproduktionsfähigkeit markiert und anschließend die Bedeutung der Individualität des Individuums herausgestellt. Der Sachem wird während des ersten Begräbnisses als jemand porträtiert, der durch seine Individualität in der Lage ist, die Gesellschaft zu repräsentieren, in ihm bündelt und konzentriert sich die Gemeinschaft. Im Gegensatz dazu kann das gemeine Mitglied der Gesellschaft nur durch diese selbst, ebenso wie Frauen und Kinder nur durch ihre Männer/Väter, individuellen Wert und Anerkennung erlangen. Der gewöhnliche Tote, könnte er denn weiterhin über seine Rolle reflektieren, wäre dazu geneigt, sich darüber zu wundern, wie er denn ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft gewesen sein kann, obwohl sie doch ohne ihn weiterexistiert. Im Falle des Sachem läge hingegen die Frage näher, wie die Existenz der Gesellschaft ohne ihn denn überhaupt möglich sei. Die während des zweiten Begräbnisses als individuelle Güter in das Grab gelegten Opfer fungieren lediglich als Vehikel der Vertiefung des Glaubens an das Hypergut und nicht als Markierungen der Individualität des Verstorbenen, sie sind nicht Symbole der Individualität eines bestimmten Individuums, sondern der abstrakten Möglich143 Morton (2000/1637), S. 43; [„(…) great difference between persons of noble and of ignoble, or obscure, or inferior descent.“] 144 Williams (1936/1643), S. 203; [„(…) his owne Palace, and all his goods in it, (amongst them to a great value) in a sollemne remembrance of his sonne (…).“]

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keit des Erreichens von Individualität. Demgegenüber stellt die Zerstörung des Besitzes einer dem Sachem nahestehenden Person eine Anerkennung der Ausstrahlung seiner Individualität auf die Güter anderer dar: Es ist nicht nur er selbst, sondern mit ihm die gesamte Gesellschaft und der Glaube an die Individualität als Wert, die verstorben sind. Letzten Endes muss jedoch jemand seine Stelle einnehmen, der seinem Wert, gemessen am Hypergut, eventuell nicht entspricht, jedoch aufgrund faktischer Umstände – er ist direkter Nachfahre – einen legitimen Anspruch auf das Amt besitzt. Das Begräbnis des gewöhnlichen Mitgliedes leugnet in der ersten Phase zunächst das Hypergut, um es dann in der zweiten hervorzuheben, während die Bestattung eines Sachem das Hypergut in der ersten Phase betont, nur um dies in der zweiten zu revidieren. Der gesellschaftliche Widerspruch der Wertallokation wird also durch eine, mit Hilfe einer Überkreuzung der chronologischen Abläufe (erstes und zweites Begräbnis) der Sachem-Beerdigung beziehungsweise der Bestattung eines gewöhnlichen Gesellschaftsmitglieds hervorgerufenen, Verblendung zugleich erfahr- und leugbar. Die Begräbnisriten der Küstenalgonkin spiegeln in ihrer Ambiguität demnach die Widersprüche der para-kolonialen Situation. Sie sind neben Wampum, das Beispiel des folgenden Kapitels, zentrales Motiv der Narration einer potentiellen Vereinbarkeit der widerspruchsvollen Wirklichkeit.

W AMPUM ALS ‚ OBJET SOCIAL TOTAL ‘ UND SEINE VERMITTELNDE R OLLE IN DER AUFRECHTERHALTUNG DER HIERARCHISCHEN G ESELLSCHAFTSSTRUKTUR DER K ÜSTENALGONKIN Et ceux qui portent ou donnent en présent de fausses perles s’imaginent qu’on les prendra pour des vraies145 MARCEL PROUST

Wie bereits erwähnt, beginnt Wampum während der Kontaktzeit in enormen Mengen in all den erwähnten Sphären und zwischen ihnen zu zirkulieren. Es

145 Proust, Marcel (1988): À l’ombre des jeunes filles en fleur, Paris: Gallimard, S. 311; [„Und die, die falsche Perlen tragen oder verschenken, machen sich vor, dass man sie für wahre hält.“]

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wurde zu Ornamenten verarbeitet, man bezahlte ‚powwows‘ mit Wampum,146 legte es in Gräbern nieder und Sachem trugen es in Form kunstvoller Gürtel (‚máchequoce‘) als Zeichen ihrer Position als politische Führer.147 Außerdem zirkulierte das gleiche Wampum in Form einzelner Perlen (‚sawhóog‘) oder auf Schnüre gezogen (‚enomphósachick‘) in alltäglichen Transaktionen zwischen Indianern und Europäern als Äquivalent europäischer Waren sowie zwischen Indigenen als Substitut für zukünftige Ehefrauen und getötete Verwandte. An dieser Stelle gilt es nun, zusammenzufassen, in welcher Form sich das Hypergut durch die Bearbeitung und Zirkulation von Wampum aktualisierte. Dies geschah auf zumindest vier verschiedene Arten: (1) Erstens kann der Produktionsprozess einzelner Wampumperlen als Inversion des Hyperguts interpretiert werden. (2) Zweitens signalisieren zu generischen Schnüren verwobene Wampumperlen in Transaktionen deren liquidierenden Charakter (nanówwe), während der Austausch von einzelnen Perlen in Körben oder händeweise den nichtliquidierenden Charakter der Transaktion (anaqúshento) markiert. Wampumschnüre, die sowohl als Äquivalente für europäische Güter als auch als Substitute für zukünftige Bräute und getötete Verwandte fungieren, ermöglichen so – inmitten der para-kolonialen Krisensituation – die Imagination der Reproduktionsfähigkeit der Gesellschaft durch die konzeptuelle Verschmelzung der Mittel, die zur Kreation und Rekreation von Verwandtschaftsbeziehungen genutzt werden, mit jenen, die innerhalb der zum Überleben notwendig 146 Vgl. beispielhaft Wilson (1865/1648), S. 27, Williams (1936/1643), S. 169. Siehe hierzu auch Denton (1845/1670), S. 8: „For their worship which is diabolical, it is performed usually but once or twice a year, unless upon some extraordinary occasion, as upon making of War or the like; their usual time is about Michaelmass, when their corn is first ripe, the day being appointed by their chief Priest or pawaw; most of them go a hunting for venison: When they are all congregated, their priest tells them if he want money, there God will accept of no other offering, which the people beleeving, every one gives money according to their ability. The priest takes the money, and putting it into some dishes, sets them upon the top of their low flatroofed houses, and falls to invocating their God to come and receive it, which with a many loud hallows and outcries, knocking the ground with sticks, and beating themselves, is performed by the priest, and seconded by the people.“ 147 Siehe auch Lechford (1857/1642), hier S. 116: „[…] beads of wampompeag about their necks, and a girdle of the same, wrought with blew and white wampom, after the manner of chequer work, two fingers broad, about their loynes: Some of their chiefe men goe so, and pendants of wampom, and such toyes in their ears.“

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gewordenen Austauschbeziehungen mit den Europäern zirkulieren, aufrechtzuerhalten. (3) Drittens versinnbildlichen zu individuellen Ornamenten verarbeitete Wampumperlen als ikonische Zeichen eine auf autonomem Wege erreichte Außerordentlichtkeit (Charakter). Einzelne Perlen hingegen können sowohl auf die Auflösung dieses Charakters hinweisen (zum Beispiel bei der Zerlegung von Ornamenten während eines Begräbnisritus) als auch die Erreichbarkeit des Hypergutes für alle nahelegen. Sie sind Marker der Bedeutungslosigkeit von Generalität und symbolisieren zugleich die Fähigkeit jedes einzelnen Küstenalgonkin, das Hypergut realisieren zu können. (4) Viertens signalisieren Wampumgürtel den außergewöhnlichen Charakter der Sachem. Sie sind Insignien ihrer politischen Macht. Ich nehme demnach an, dass die Produktion und Zirkulation sowie das Knüpfen von Ornamenten als spezifische Art und Weise des Erlangens von ausgezeichneter Individualität durch Transformation das Hypergut in den einzelnen Objekten gleichsam verdinglicht und so den Glauben an es reproduziert. Die Widersprüche zwischen den verschiedenen Wegen Wert zu erlangen (auf der einen Seite durch individuelles Streben; auf der anderen Seite durch familiäre und geschlechtliche Zugehörigkeit) werden durch die umgreifende und einverleibende Zirkulation des Wampum zwischen Männern und Frauen, Sachem und gewöhnlichen Küstenalgonkin, den Lebenden und den Toten, letztlich zwischen den beiden Wertregistern von erworbenem (Hypergut) und zuerkanntem Status (politisches System), zusätzlich verwischt.148 Obwohl man den Status eines wertvollen Mannes und wertvollen Sachem durch eigene Anstrengung erlangt, wird man nur durch familiäre und geschlechtliche Zugehörigkeit – das heißt durch den Zufall der Geburt – Mann beziehungsweise Sachem. Die Omnipräsenz des Wampum hingegen ist Fundament der Aufrechterhaltung des ‚native american dreams‘, jenes Vertrauens in die universelle Erreichbarkeit und gerechte Verteilung von Wert. Sachem sind gewöhnlichen Männern aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Herrschaftsfamilie unwiderruflich überlegen; Männer Frauen hingegen aufgrund ihres Geschlechts. Die realiter vorhandene dreistufige Verteilung gesellschaftlicher Anerkennung lässt sich schematisch folgendermaßen darstellen: 148 Vgl. Marx (1983), S. 38: „Die Zirkulation, weil eine Totalität des gesellschaftlichen Prozesses, ist auch die erste Form, worin nicht nur wie etwa in einem Geldstück oder im Tauschwert das gesellschaftliche Verhältnis als etwas von den Individuen Unabhängiges erscheint, sondern das Ganze der gesellschaftlichen Bewegung selbst.“

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Abbildung 4: realiter vorhandene dreistufige Verteilung gesellschaftlicher Anerkennung

Die Zirkulation von Wampum dreht nun die beiden Teilbeziehungen der Hierarchie jeweils, zumindest teilweise, um. Sie öffnet Grenzen einer faktisch geschlossenen Gesellschaftshierarchie: Abbildung 5: Aufhebung der Grenzen durch die Zirkulation von Wampum

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Sachem sind gewöhnlichen Männern aufgrund ihres Charakters überlegen, was sich in der Sedimentierung ihrer Außerordentlichkeit in meisterhaft geknüpften Gürteln zeigt. Gewöhnliche Männer haben ebenso, schließlich zirkuliert Wampum in der Form einzelner Perlen als Zeichen reinster Potentialität auch in ihren Händen, die Möglichkeit, eine derartig bedeutsame Rolle zu erhalten. Frauen hingegen tragen in der Form kunstvoller Ornamente Zeichen ihrer Außergewöhnlichkeit, ihres Charakters, der jedoch an der Wirklichkeit bricht: Es sind eigentlich die Fähigkeiten des Mannes, die sie zur Schau stellen. Wampum konzentriert sich demzufolge an jenen Stellen, an denen die reale Basis der gesellschaftlichen Stellung einzelner Personengruppen verdeckt wird. Es wundert demnach kaum, dass Josselyn anmerkt, dass lediglich Sachem und Frauen Wampumornamente tragen: „Wampumornamente schmücken die Sachem und andere einflussreiche Männer sowie junge Frauen, in der Form von Gürteln, Blättchen und Haarschmuck. Ketten, Halsbändern und Ohrringen. Prinz Phillip besuchte, kurz bevor ich nach England zurückkehrte, Boston. Er trug einen Mantel und Stiefel, ebenso wie ein breiter Gürtel reich mit diesen Perlen verziert, alles zusammengenommen sicher zwanzig Pfund wert.“149

Sachem wie Frauen suggerieren sich auf diese Weise, ihr Wert entstamme einer erfolgreichen Partizipation am Register des Hypergutes der Individualität durch Transformation, obwohl ihre Macht (Sachem), beziehungsweise Ohnmacht (Frauen) durch das politisch-verwandtschaftliche Wertregister bereits vollständig determiniert ist. An dieser Stelle bietet sich nun die Möglichkeit die Ambivalenz der mausschen Charakterisierung der Gabe als „volontaires-obligatoires“ aufzulösen. Wampumperlen zirkulieren obligatorisch, um die Illusion der Selbstbestimmung systemisch aufrechtzuerhalten; sie zirkulieren freiwillig, da sie auf eben diese Weise den Individuen die Möglichkeit und Erreichbarkeit von Selbstbestimmung signalisieren. Wampum ist demnach nicht anerkennende, sondern anerkennend-verkennende Gabe.150 Wampum besitzt die Fähigkeit, derart zu 149 Josselyn (1865/1675), S. 111; [„(…) adorn the persons of their Sagamours and principal men and young women, as Belts, Girdles, Tablets, Borders for their womens hair. Bracelets, Necklaces, and links to hang in their ears. Prince Phillip a little before I came for England coming to Boston had a Coat on and Buskins set thick with these Beads in pleasant wild works and a broad Belt of the same, his Accoutrements were valued at Twenty pounds.“] 150 Es erscheint vor diesem Hintergrund als äußerst ertragreich und erfolgsversprechend, Mauss’ Theorie der Gabe im Sinne einer explizit an Verkennungs- denn Anerkennungsmechanismen interessierten Gesellschaftsanalyse zu lesen. Siehe für eine

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agieren, weil die einzelnen Wampumobjekte „richesses condensées“151 sind, Verdinglichungen der realiter nicht existierenden widerspruchsfreien gesamtgesellschaftlichen Einheit, die in den ausgetauschten Schnüren, Perlen, Gürteln und Ornamenten lediglich evoziert, nicht re-präsentiert wird. Es gelingt so, die Entstehung von Gefühlen hervorzurufen, die eine klare Sicht auf vorherrschende Machtverhältnisse und Widersprüche blockieren, indem die Ornamente und Wampumperlen ihrem Träger wie Besitzer suggerieren, er sei ein wertvoller Teil der Gruppe. Das Knüpfen, Lösen ebenso wie die Produktion, der Austausch und die Zurschaustellung von Wampum verkettet jedes Individuum der Gesellschaft mit dem Gefühl, in der Lage zu sein, sich auf autonome Weise in eine wertvolle Person, einen Charakter zu transformieren, obwohl es realiter nur einen bloßen Abglanz dessen besitzt: Wampum.152 Auf eine Phrase des Philosophen Žižeks re-

rezente Zusammenfassung der Interpretation der Gabe als Vehikel der Anerkennung Kämpf, Heike (2012): Gabe, Dankbarkeit und Anerkennung. Überlegungen zu Paul Ricoeurs Begriff der Gabe. In: Paideuma 58, S. 135-152. Der Ansatz die maussche Theorie als einer der Anerkennung zu lesen, ist bereits bei einem bislang zumindest innerhalb der Ethnologiedebatte geleugneten Autor zu finden. So schreibt Claude Lefort in seinem Artikel Lefort, Claude (1951): L’échange ou la lutte des hommes. In: Les Temps modernes 64, S. 1401-1417, hier S. 1406: „[…] il faudrait dire que l’echange suppose des êtres séparés: si je donne á l’autre c’est que je pose l’autre comme autre et cette chose comme mienne pour l’autre“; [ „(…) es ist nötig anzunehmen, dass der Austausch zwei verschiedene Wesen vorraussetzt: wenn ich dem anderen gebe, dann etabliere ich mich gegenüber dem anderen als ein anderer und dieses Ding als meines für den anderen.“] Siehe ausführlich hierzu Schmidt, Mario (2013): Wampum as Maussian ‚Objet social totalitaire‘. In: Hahn, H. P./Weiss, H. (Hg.): Mobility, Meaning and Transformation of Things: shifting contexts of material culture through time and space, Oxford:Oxbow, S. 133-146. 151 Mauss (2007), hier S. 109, Fußnote 2; Mauss (1990), S. 57, Fußnote 29. 152 Wampum ‚verdunkelt‘ (‚eclipse‘) den Ursprung seines eigentlichen Wertes. Siehe zum Begriff des ‚ecplipsing‘ Snodgrass (2002) und Strathern, Marilyn (1988): The gender of the gift. Problems with women and problems with society in Melanesia, Berkeley: University of California Press. In den Worten Žižeks ist die Leistung Wampums die Reproduktion einer sozialen Totalität durch das „Ausradieren der Spuren ihrer eigenen Unmöglichkeit“; [„effacing the traces of its own impossibility“], siehe Žižek, Slavoj (2008): How did Marx invent the Symptom? In: Žižek, Slavoj: The sublime object of ideology, London: Verso, S. 3-55, hier S. 50.

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ferierend, könnte man sagen: Nicht die Akteure nehmen teil am Hypergut, sondern Wampum selbst an ihrer statt.153 Es findet also eine Vermischung der bei den in folgender Grafik skizzierten Wertordnungen statt: Abbildung 6: die in der individuellen Wahrnehmung miteinander verschmelzenden Wertordnungen

Wampum ermöglicht und negiert durch seine schrankenlose Zirkulation als Fetisch, als ‚objet social total‘, die Aufrechterhaltung der hierarchischen Struktur der Küstenalgonkingesellschaft, deren Vorherrschaft durch die Kontaktsituation herausgefordert wurde. Wampum lässt nicht-adelige und weibliche Küstenalgonkin an die Existenz einer besseren Welt glauben, ist ideologisch aufgeladen in dem Sinne, den Althusser dem Begriff zugewiesen hat. Der Besitz und das Verarbeiten von Wampum drückt „une volonté […] voire une espérance ou une nostalgie, qu’il ne decrit une réalité“ 154 aus. Genau hierin, und weniger in seiner akzidentellen Funktion als interkulturelles Tauschmedium, ähnelt es dem ‚modernen‘ Geld.155 Realer Wert wird an anderer Stelle zwischen Männern, den Fa-

153 Vergleiche Žižeks Diskussion des marxschen Warenfetischismus in Žižek (2008), hier S. 34: „They no longer believe, but the things themselves believe for them.“ Vgl. auch Pfaller, Robert (2000): Interpassivität. Studien über delegiertes Genießen, Wien: Springer. 154 Althusser, Louis (1966): Pour Marx, Paris: Libraire François Maspero, hier S. 240; [„einen Willen (…) ja sogar eine Hoffnung, eine Nostalgie aus, die keinesfalls die Realität beschreibt.“] 155 Insofern ist Bradford recht zu geben, der es in einer bereits zitierten Passage mit einer Droge vergleicht. Siehe Bradford (1981), S. 225: „[…] it [Wampum, Anm. M.S.] may prove a drug in time.“

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milien der Sachem und einflussreichen Schamanen verteilt. Die Männer bleiben den Frauen, die adeligen den gemeinen Mitgliedern der Küstenalgonkingesellschaft realiter jedoch überlegen. Man könnte demnach zusammenfassend festhalten, dass sich durch die am treffendsten als para-koloniale Situation bezeichnete ‚dynamique sociale totale‘ der ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts eine Form emisch als äußerst sprunghaft wahrgenommene Zeitlichkeit herausgebildet hat. Plötzlich ist es einigen Leuten, nicht zuletzt durch den Kontakt mit Europäern, möglich, rasch und unvorhergesehen politischen Einfluss zu erlangen. Dieser Prozess und die durch ihn in Gang gesetzten Versuche der Reetablierung der prä-kolonialen Gesellschaft spiegeln sich in der Auseinanderklüftung von solchen Zeichen, die diese Zeitlichkeit indexikalisch symbolisieren (einzelne Wampumperlen; der flüchtende, intelligente, autonome Biber; letztlich das finanzkapitalistische Kreditgeld) und solchen, die diese Zeitlichkeit entschleunigen, bändigen, im Falle des Bibers wortwörtlich töten, im Falle der Wampumornamente ‚verknoten‘. Sowohl einzelne Wampumperlen als auch die Ornamente stellen so Indexe einer mithilfe ihrer selbst beherrschten Temporalität dar. Wampum besaß demnach die Fähigkeit, die spezifischen „social needs“ der Kultur der Küstenalgonkin zu mediatisieren und stellt eine verdichtete Antwort auf die durch die Kontaktsituation entstandenen Risse innerhalb der Gesellschaft der Küstenalgonkin dar. Während die am treffendsten als ‚kondensierte Reichtümer‘ bezeichneten Wampumornamente den gesellschaftlichen Status seines Trägers präservieren, zum Stillstand bringen, enttemporalisieren, stellen einzelne Wampumperlen (‚sublimierte Reichtümer‘) die Zeitlichkeit durch die durch sie symbolisierte, noch nicht spezifizierte, das heißt ‚unendliche‘ Potentialität infrage. Sie sind zeitlos, da sie – wie das simmelsche Geld – zu jeder Zeit zu einer Vielzahl von Zwecken genutzt werden können.156 Einzelne Wampumperlen stellen immer den Anfang und die Bejahung einer unendlichen Kette von Möglichkeiten dar, Wampumornamente und –gürtel verweisen auf ihr Ende und ihre Verneinung; jene sind Symbole des Hypergutes, diese Herrschaftsinsignien der Sachem.

156 Simmel spricht treffend vom „Supperadditum des Reichtums“, siehe Simmel (1989), S. 274 ff.

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D ISBALANCEN IM INDIGENEN W ERTSYSTEM – Ü BER DIE INHÄRENTE I NSTABILITÄT DER INDIGENEN F ISKALPOLITIK Il me semble que, […], il y a toujours quelque chose qui échappe á la totalité de la prestation157 HENRI HUBERT IN EINEM BRIEF AN MARCEL MAUSS

Dass diese Lösung des Werteproblems jedoch eine inhärente Instabilität beinhaltet, soll nun anhand einer Analyse des Einflusses der zunehmend geforderten Tributzahlungen auf die Verteilung von Wert illustriert werden. Auf die beiden komplementären geldpolitischen Probleme, die Aglietta und Orléans beschreiben, zurückkommend, soll so noch einmal die Fruchtbarkeit einer Erweiterung des Geldbegriffes anhand eines konkreten Beispiels illustriert werden. Wir werden dabei zeigen, dass die politischen Führungskräfte, die Repräsentation ihres eigenen Ansehens mit denen des innerhalb der Kultur vorherrschenden Hypergutes in einer materiellen Form zusammenfließen ließen, um die hierarchische Struktur der Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Damit schränkten sie jedoch ihre außenpolitische Flexibilität ein und waren zur Wampumgewinnung infolgedessen zunehmend gezwungen, andere indianische Gruppen zu attackieren. Eine Tendenz, die schließlich in den kulturellen Niedergang der Küstenalgonkin mündet. So birgt das skizzierte ‚monetäre‘ System der Küstenalgonkin zwei Gefahren, die sich mit denen der Inflation und Deflation aufgrund übertriebener Fragmentierung beziehungsweise Zentralisierung vergleichen lassen. Die oben skizzierte sedative Wirkung des Wampum wird für das System in dem Moment gefährlich, in dem die Anzahl zirkulierenden Wampums eine bestimmte kritische Summe überschreitet und der ökonomische Wert des von ihnen angesammelten Wampums einigen reichen Küstenalgonkin ermöglicht, die Autorität des Sachem infrage zu stellen. Die Aktualisierung dieser systemischen Gefahr dürfte Grundlage für das Phänomen der revoltierenden ‚petty sachems‘ gewesen sein, die sich im Verlauf des 17. Jahrhunderts zunehmend in politische Verhandlungen mit den Europäern begeben.158 Wird die zirkulierende Menge auf der ande-

157 Zitiert in Fournier (1994), S. 524; [„Mir scheint (…), es gibt immer irgendein Ding, das der Totalität der Leistung entwischt.“] 158 Diesen ‚petty sachems‘ wurde traditionell durch den Sachem die Kontrolle über ein Teilstück seines Territoriums übertragen, siehe Banks, C.E. (1911): The History of

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ren Seite zu klein und staut sich bei der Sachem-Familie, droht die ungleiche Verteilung politischer Macht innerhalb des Systems offen zutage zu treten. Die Schwierigkeit, mit diesen systemimmanenten Gefahren umzugehen, wurde nach dem Pequot-Krieg im Jahre 1636 verschärft. Von den meisten ‚sachemships‘ wurden nun jährlich Tributzahlungen gefordert, im Jahre 1645 beispielsweise 2000 fathoms Wampum von den Narragansett.159 Vertraut man den Ausführungen des schwedischen Entdeckers Peter Lindeström und nimmt an, dass „[…] eine Person kaum mehr als 6 oder 8 stuiver je Tag mit der Herstellung von Wampumperlen verdienen kann“160, was circa 24 schwarzen oder 48 weißen Perlen entspräche und berücksichtigt die Länge eines fathoms weißer Perlen (360 Perlen), lässt sich ein Arbeitsaufwand von circa 23.400 Tagen für die Herstellung der 2000 fathoms berechnen. Auch wenn dies zunächst nach einer utopischen Forderung klingen mag, muss bedacht werden, dass nach Schätzungen Gookins die Narragansett im Jahre 1674 in der Lage waren, eintausend kampffähige Männer zu mobilisieren.161 Kalkuliert man, recht bescheiden, mit einer Ratio von 5:1, ergibt sich eine Gesamtpopulation von 5000. Diese wäre in der Lage gewesen, die verlangten Perlen innerhalb von knapp viereinhalb Tagen zu produzieren. Dass die kolonialen Autoritäten auf die Beschwerde des Sachem Ninigret, die verlangte Menge an Wampum sei zu groß und man besäße sie

Martha’s Vineyard: Dukes County, Massachusetts, Vol. 1, Boston: G. H. Dean, hier S. 39. 159 Pulsifier, David (1859): Records of the Colony of New Plymouth in New England. Acts of the Commissioners of the United Colonies of New England, Boston: William White, hier Band I, S. 45 f.: „It was agreed betwixt the Comission's of the united Colonies and the foremenconed Sagamores and Nyantick Deputie That the said Narrohigganset and Nyantick Sagamores should pay or cause to be payd at Boston to the Massachusets Comission's the full sum of two thousand fathome of good white wampom or a third part of good black wampem peage in foure payments namely five hundred fathome within twenty dayes, five hundred fathome within foure months, five hundred fathome at or before next planting tyme, and five hundred within two yeares next after the date of these presents wch two thousand fathome the Comission's accept for satisfaccon of former charges expended.“ Siehe für einen Überblick Ceci (1977), S. 217. 160 Lindeström (1925/1656), S. 230; [„(…) one person is not able to make more than about 6 to 8 styvers a day.“] 161 Gookin (1806/1674), S. 148.

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schlicht und ergreifend nicht,162 ungehalten und wenig verständnisvoll reagierten, da es ihnen wohl bekannt sei, „[…] dass die Narragansett ein großartiges Volk sind und eine große Menge Wampum in kürzester Zeit aufbringen können, falls sie dies denn wollen […]“163, illustriert ebenfalls, dass die englischen Autoritäten davon überzeugt waren, dass die Narragansett prinzipiell fähig seien, innerhalb kürzester Zeit genug, das heißt in diesem Falle 2000 fathoms, Wampum zu produzieren. Inmitten zunehmend zirkulierender und hochgradig beunruhigender Spekulationen über eine politische Allianz zwischen Mohawk und Narragansett beziehungsweise über die Formierung einer pan-indianischen Bewegung,164 dürfte die Annahme der Neu-Engländer räuberische Überfälle auf englische Verbündete nicht als probates Mittel der Wampumgewinnung mit einkalkuliert haben. Nichtsdestotrotz schließen sich diese an die Forderungen nahezu nahtlos an.165 Dies zeigt, dass es innerhalb der Narragansettkultur den Sachem nicht möglich gewesen ist, den gesamtgesellschaftlichen Arbeitsaufwand von fünf Tagen von ihren Untergegebenen einzufordern. Wenn man sich die Zusammensetzung der Güterverteilung zwischen der Sachem-Familie und den gewöhnlichen Küstenalgonkin näher anschaut, wird deutlich, dass dies tatsächlich der systemischen Struktur des indigenen Geldsystems widerspricht. Wie bereits 162 Pulsifier (1859), hier Band I, S. 88: „[…] that the some [die verlangte Summe von 2000 fathoms, Anm. M.S.] was soe great, that the Narragensetts had not wampam enough to pay it […].“ 163 Ebd.; [„(…) that the Narragensetts are a greate people, & can raise a greater quantity of wampam upon a shorte warninge when they please (…)“.] 164 Siehe hierzu exemplarisch die berüchtigte Ansprache Miantonomis vor einigen Block Island Küstenalgonkin: „[…] for so are we all Indians as the English are, and say brother to one another; so must we be one as they are, otherwise we shall be gone shortly […]“, siehe Gardener, Lion (1897/1660): Relation of the Pequot War. In: Orr, Charles (Hg.) (1897): History of The Pequot War. The Contemporary Accounts of Mason, Underhill, Vincent and Gardener, Cleveland: Helman-Taylor Company, S. 113-149, hier S. 142 und auch Pulsifier (1859), Band I, S. 116: „[…] it appeareth that the Naragansetts and Nianticke Indians in Steed of paying the wampom longe dew to the Colonyes by theire Covenants made at Boston in Ano 1645 they have by wampom hired the Mowhackes the Pocontock Indians and others to cut of Unqas and his people […].“ 165 Eine Beschreibung dieses speziellen Überfalls auf die Montauk-Indianer findet sich in Pulsifier (1859), Band II, S. 88: „[…] an hostile assault made by the Narragansett Indians upon some of the Longe Island Indians whoe are Tributaries and frinds to the English Collonies In the Night in which it is affeirmed that two Sachems and about thirty other Indians are slayne and divers wemen taken captives.“

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in mehreren Zitaten veranschaulicht, verteilt der Sachem im Verlauf von verschiedenen regelmäßig abgehaltenen Festen große Mengen Wampum an weitere Teilnehmer. Auch Mary Rowlandson beschreibt prägnant den redistributiven Charakter dieser Feste, von denen sie eines während ihrer elfwöchigen Gefangenschaft beobachtete: „Mr. Hoar rief sie des Abends zum Dinner, aber sie aßen wenig, da sie so beschäftigt mit ihrer Kleidung und damit waren, sich auf den Tanz vorzubereiten, an dem acht von ihnen teilnahmen, vier Männer und vier Frauen, mein Herr und seine Frau unter ihnen. Er war in seinem Hollandhemd und Strümpfen gekleidet, seine Strumpfbänder voller Münzen und an seinen Schultern hingen Gürtel an Wampum herab. […] Sie hatte rote Socken und weiße Schuhe, ihr Haar gepudert und ihr zuvor noch schwarzes Gesicht rot bemalt. Und all die Tänzer ergingen sich in ähnlicher Art. […] Sie hüpften wild umher, einer nach dem anderen, in ihrer Mitte ein mit Wasser gefüllter Topf, von Glut warmgehalten und für ihren Durst. Wampum an die Zuschauer verteilend, fuhren sie damit bis in die Nacht fort.“166

Aufgrund der Tatsache, dass der Sachem den Glauben an eine gleichmäßige Verteilung von Wert, das heißt Wampum, innerhalb der Narragansettgesellschaft aufrechterhalten muss, ist er dazu angehalten, nicht Wampum, sondern eine andere Form des Mehrwerts von seinen Untergebenen einzufordern.167 Es verwun166 Vgl. Rowlandson (1856/1682), hier S. 97 f., Herv. M.S.; [„Mr. Hoar called them betime to dinner, but they eat but little, they being so busy in dressing themselves and getting ready for their dance; which was carried on by eight of them, four men and four Squaws; my master and mistress being two. He was dressed in his holland shirt, with great stockings, his garters hung round with shillings, and had girdles of wampum upon his head and shoulders. (…) She had fine red stockings, and white shoes, her hair powdered, and her face painted red, that was always before black. And all the dancers were after the same manner. (…) They kept hopping up and down one after another, with a kettle of water in the midst, standing warm upon some embers, to drink of when they were dry. They held on till almost night, throwing out wampum to the standers-by.“] 167 Dass die Besteuerung in Wampum einen besonders empfindlichen Punkt der Vorstellung individueller Autonomie angreift, wird deutlich in einer Brandrede eines Konvertiten gegen das Sachem-System, in dem er Wampum hervorhebt: „[…] all the time you have lived after the Indian fashion under the power and protection of higher Indian Sachems, what did they care for you? they onely sought their owne ends out of you, and therefore exact upon you, and take away your skins and your Kettle & your Wampam from you at their own pleasure […]“, siehe Shepard,

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dert daher nur bedingt, dass die indigene ‚Steuerpolitik‘ vor allem die Ableistung von Frondiensten sowie die Übergabe von Nahrungsmitteln, allen voran Mais, an den Sachem vorschrieb. Dass Mais vor allem von Frauen bearbeitet und gepflanzt wurde, sei hier nur am Rande erwähnt. So dürfte das Sachem-Privileg auf Polygynie ebenfalls der Erzeugung von ‚Maismehrwert‘ gedient haben. Außerdem wurde weiter oben bereits auf die symbolische Bedeutung des Maises verwiesen, der mit dem Schöpfergott Kietan assoziiert wurde. Diese Verknüpfung von Mais und gesamtgesellschaftlicher Reproduktion steht somit im Kontrast zur Bedeutung von Wampum als Anzeiger individueller Besonderheit. Von einer Übereignung des geernteten Mais an den Sachem berichtet unter anderem Winslow: „Einmal im Jahr überzeugten die Pnieses die Leute Mais an den Sachem zu geben. Um dies zu erreichen legten sie eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Ort, ganz in der Nähe des Hauses des Sachem, fest, wo die Leute dann eine große Menge an Körben voller Mais stapelten.“168

Auch die folgende Aufzählung illustriert die Zusammensetzung intrakultureller Tributzahlungen: „Einmal gaben sie ihm [dem Sachem, M.S.] zwanzig Scheffel Mais, das andere Mal mehr als sechs; nach zwei Jagausflügen erbeuteten sie ihm fünfzehn Hirsche; rodeten ihm zwei Acker Land, bauten ihm ein großes Haus oder Wigwam, machten ihm zwanzig Zaunpfähle […].“169

Thomas (1865/1648): The Clear Sunshine of the Gospel breaking forth upon the Indians in New-England, New York: Reprinted for Joseph Sabin, hier S. 3. 168 Winslow (1996/1624), S. 62; [„Once a year the pnieses use to provoke the people to bestow much corn on the sachim. To that end, they appoint a certain time and place, near the sachim’s dwelling, where the people bring many baskets of corn, and make a great stack thereof.“] Der Begriff ‚pnieses‘ bezeichnet politische Berater des Sachem. 169 N.N. (1802): The Historical Account of John Eliot, the First Minister of the Church in Roxbury. Collected from Manuscripts, and Books Published the Last Century. By one of the Members of the Historical Society. In: Collections of the Massachusetts Historical Society, Band VIII, S. 5-35, hier S. 18; [„At one time they gave him twenty bushels of corne, at another time more than sixe bushels; two hunting dayes they killed him fifteen deeres; they brake up for him two acres of land, they made for him a great house or wigwam, they made twenty rods of fence for him (…).“]

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Auf dieses Weise konnte es dem Sachem bei intelligenter Besteuerungspolitik gelingen, die Gefahren zwischen Homogenisierung und Fragmentierung auszubalancieren. Dass dies jedoch bei enormen Tributforderungen nur selten gelang, zeigt die Intensivierung intertribaler Konflikte und Überfälle im Anschluss an die Zunahme der Tributforderungen während der 1640er und 1650er Jahre. Die Sachem waren kaum in der Lage, die außenpolitischen Anforderungen mit den innenpolitischen Beschränkungen in Einklang zu bringen und mussten zwischen außenpolitischer und innenpolitischer Disbalance dasjenige Übel wählen, das ihnen ‚erstrebenswerter‘ beziehungsweise weniger folgenreich für ihre eigene Machtfülle erschien.170 Eine bisher nicht diskutierte Alternative scheint die radikale Loslösung vom alten kulturellen Hypergut gewesen zu sein. Da diese sich häufig in Form der Bekennung zum Calvinismus vollzog, soll diese nun als eine alternative Lösung des Werteproblems skizziert werden.

M ARTHA ’ S V INEYARD W AMPANOAG : I NDIVIDUALISMUS STATT I NDIVIDUALITÄT . E INE ALTERNATIVE L ÖSUNG DES W ERTEPROBLEMS Dass auch die Wampanoag Indianer auf Martha’s Vineyard in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts einen abrupten Bruch ihrer traditionellen Lebenswelt erlebt haben, wird deutlich, wenn man sich Thomas Mayhews Zusammenfassung einer Rede des Sachem Towanquattick näher anschaut, der „den Verlust ihres kulturellen Wissens bedauernd“ betont habe, „dass es vor einer langen Zeit weise Männer gegeben habe, die ihre Mitmenschen auf gewichtige Weise lehrten, aber sie seien nun tot und ihre Weisheit mit ihnen begraben. Nun würden die Menschen ein leichtfertiges, ignorantes Leben [„giddy life“] führen bis sie weiß-köpfig [„white-headed“] sein werden […]“171. Auch wenn die Wendung „white-headed“

170 Beobachtungen wie die von Lechford, bei jeder Hochzeit erhalte der Sachem einen ‚fathom‘ Wampum, könnten vor diesem Hintergrund als Residuen vorkolonialer Praktiken verstanden werden. Siehe Lechford (1857/1642), S. 118: „But for every marriage, the Saggamore hath a fadome of wampom, which is about seven or eight shillings value.“ 171 Winslow, Edward (1649): The Glorious Progress of the Gospel amongst the Indians in New England, London: Printed for Hannah Allen, S. B4; [„(…) lamenting the losse of their knowledge said unto me, That a long time agon, they had wise men, which in a grave manner taught the people knowlege, but they are dead, and their

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wahrscheinlich auf graues Haar rekurriert, ist es verführerisch, diese Bezeichnung als doppeldeutig zu verstehen.172 Towanquattick, einer der ‚praying Indians‘ auf Martha’s Vineyard, scheint hier auf eine Alternative anzuspielen, die Elise Brenner griffig mit den Worten ‚to pray or to be prey‘173 beschrieben hat: Verbleiben die nicht-konvertierten Wampanoag auf ihrem Irrweg, werden sie ihr „giddy life“ noch mit bereits ergrautem Haar führen, schließen sie sich dem Glauben der ‚Weißen‘ an, verlassen sie den Pfad der Sünde. Dass Wampum auf Martha’s Vineyard eine geringere bis gar keine Rolle spielte, liegt nun daran, dass mit dem Erfolg des Christentums eine alternative Form der ‚re-location‘ stattgefunden hat, die einer Aufgabe des oben beschriebenen Hypergutes nahekommt. Der Erfolg des Calvinismus ist also dezidiert nicht mit Rekurs auf dessen Nähe zu vergangenen religiösen Vorstellungen zu erklären,174 sondern dadurch, dass er einen starken Kontrast zu diesen aufweist. Es ist nicht überraschend, dass ein Indianer wie Hiacoomes, der von „den Sachem und anderen ihrer bedeutenden Männer“ als „ärmliche Person, kaum wert registriert zu werden“175 betrachtet wurde, der „erste christliche Indianer und Priester auf wisedome is buried with them: and now men live a giddy life in ignorance till they are white headed (…).“] 172 So war die Unterscheidung zwischen ‚weißer‘ und ‚roter‘ Hautfarbe damals ungebräuchlich. Nichtsdestotrotz wurden Indianer als dunkler wahrgenommen, siehe Vaughan, Alden T. (1982): From White Man to Redskin: Changing AngloAmerican Perceptions of the American Indian. In: The Historical Review 87, S. 917953. 173 Brenner, Elise M. (1980): To Pray or to be Prey: That is the Question. Strategies for Cultural Autonomy of Massachusetts Praying Town Indians. In: Ethnohistory 27, S. 135-152. 174 Vgl. u.a. Simmons, William (1979): The Great Awakening and Indian Conversion in Southern New England. In: Cowan, William (Hg.): Papers of the Tenth Algonquian Conference, Ottawa: Carleton University, S. 25-36. Der Versuch, die Konversion als primär durch koloniale Gewalt sich vollziehende darzustellen, ist ebenso verkürzend, siehe exemplarisch für diesen Ideenstrang Jennings, Francis (1971): Goals and Functions of Puritan Missions to the Indians. In: Ethnohistory 18, S. 197-212. Für eine stark hermeneutische Interpretation siehe: Silverman, David J. (2005): Indians, Missionaries, and Religious Translation: Creating Wampanoag Christianity in Seventeenth-Century Martha’s Vineyard. In: The William and Mary Quarterly 62, S. 141-174. 175 Mayhew, Experience/Leibman, Laura Arnold (2008): Experience Mayhew's Indian converts. A cultural edition, Amherst: University of Massachusetts Press, hier S. 96; [„ (…) the first Christian Indian, and Minister on the Island of Martha’s Vineyard“;

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Martha’s Vineyard“ war. Ebenfalls verwundert es kaum, dass in den von Thomas Shepard, seit 1635 einflussreicher Pfarrer in Cambridge, dokumentierten Conclusions and Orders made and agreed upon by divers Sachims and other principall men among the Indians at Concord genau diejenigen Handlungen und Objekte verboten werden, die weiter oben als zentral für das kulturelle Selbstverständnis herausgestellt wurden: Alkohol, Powwows, Glücksspiele und intensive körperliche Transformationen. Auch die gemachten Vorschriften zielen auf eine Zurückweisung der alten kulturellen Ideale. Die Indianer sollen nun aus Demut und ohne Stolz arbeiten, ihre Schulden abgleichen und, man staune, ihre Haare vernünftig schneiden.176 Die interessante Frage eines Konvertiten, ob denn lediglich gedachte Gebete überhaupt von Gott gehört werden,177 zeigt ebenfalls, dass das neue Ideal dem oben skizzierten Hypergut kaum noch entsprach. Das Konzept einer sich nicht notwendigerweise veräußerlichenden Interiorität ist der traditionellen Ontologie der Küstenalgonkin fremd. Andere Stellen, die weitere Aspekte verdeutlichen, in denen sich das neue Wertesystem von dem vorherigen fundamental unterscheidet, finden sich in den von John Eliot aufgezeichneten Konfessionsberichten. Eliot versuchte seit seiner Ankunft in Massachusetts 1646 mit Hilfe von intensiven Gruppen- und Einzelgesprächen möglichst erfolg-, das heißt auch, nicht jedoch allein zahlreich Küstenalgonkin zum Puritanismus zu bekehren. Durchgeführt wurden diese Konvertierungsversuche in sogenannten ‚praying towns‘, eingezäunte, an englischen Lebenswelten orientierte und den Indigenen als Alternative zu ihren „heidnischen“ Lebensentwürfen präsentierte Dörfer. In dem folgenden Zitat des Konvertiten Nishohkou wird deutlich, dass die zunehmende Vermeidung äußerlich dargestellter Individualität einhergeht mit der Betonung einer innerlichen Reinheit. Mit anderen Worten: Es findet ein Übergang von externalisierter Individualität zu internalisierter und permanenter Selbstüberprüfung statt, wie er für die Frühformen des Calvinismus prägend ist: „Ich ging unter anderem zum Pawwauing, und ich liebte diese Dinge wirklich, und sie wuchsen in meinem Herzen, nährten sich dort, vor allem das körperliche Verlangen; wenn „the Indian Sachims, and others of their principal Men“; „a mean Person, scarce worthy of their Notice or Regard“]. 176 Shepard (1865/1648), hier S. 5ff. listet als verboten „wine or strong liquors“, „Pawwowing“, „their former games“, „their mournings, as formerly, nor shall they keep a great noyse by howling“ und empfiehlt, dass sie „may labout after humility and not be proud“, „pay their debts“ und „will weare their haire comely.“ 177 „If a man think a prayer, doth God know it, and will he blesse him?“, vgl. Winslow (1649), hier S. 12.

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ich mir die Haare schnitt, geschah es aus Lust, geschah es aus dem Verlangen, Frauen zu gefallen; hatte ich die Haare lang, so nur aus diesem Verlangen, alles was ich tat, tat ich aus diesem Grund, tat ich für die Frauen; hielten wir Treffen ab, bei Gelagen, Sport war ich von Lust getrieben, und ich liebte diese Dinge abgöttisch.“178

Wie diese Selbstaussage zeigt, wechselt die individuelle äußere Erscheinung von einem eindeutigen Zeichen des mühsam erarbeiteten Charakters zu einem vernachlässigbaren Anzeiger der zunehmend bedeutenderen inneren Reinheit. Letzten Endes ist es nun irrelevant, auf welche Art und Weise ich mir die Haare schneide, solange es nicht aus den falschen Motiven geschieht. Der Konformismus entspringt eher der Vorstellung der Prädestinationslehre, die Max Weber als Schmiermittel entstehender Kapitalakkumulationen im 17. Jahrhundert interpretiert hat, und die sich konträr zur verbreiteten Interpretation seiner Thesen immer an die jeweilig vorherrschende Wertideologie gleichsam andocken kann. So kann durchaus auch materieller Totalverzicht Zeichen der Auserwähltheit sein; die Berufung kann nur mit dem Beruf zusammenfallen, wenn es diesen bereits gibt.179 Der zentrale Punkt ist demnach vielmehr die Durchdringung der Alltäglichkeit mit dem Ethos der Selbstkontrolle – Weber spricht von der „[…] in alle Sphären des häuslichen und öffentlichen Lebens eindringende, unendlich lästige und ernstgemeinte Reglementierung der ganzen Lebensführung“180 –, das die vorherrschende Ideologie der Selbstdarstellung ersetzt. Dass es sich dabei um eine radikale Umwälzung der Wertevorstellungen gehandelt haben muss, zeigt sich auch in der durch den Übergang zum Christentum 178 Eliot, John (1660): A further Account of the Progress of the Gospel amongst the Indians in New England: Being a Relation of the Confessions made by several Indians (in the presence of the Elders and Members of several Churches) in order to their admission into Church-fellowship, London: John Macock, S. 4; [„And I went to Pawwauing among others, and these things I loved throughly, and they grew in my heart, and had nourishment there, and especially lust; if I cut my hair, it was with respect to lust, to please women; if I had long hair, it was with respect to lust, and all I did was with respect to lust and women; when there was meetings, drinkings, sports, they respected lust, and these things I perfectly loved.“] 179 Weber, Max (2010): Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, München: Beck. Der Versuch Laura Leibmans, die weberschen Ausführungen mit der Situation der Wampanoag zu analogisieren, ist daher von vornherein zum Scheitern verurteilt, siehe Leibman, Laura Arnold (2008): Introduction. In: Mayhew, Experience/Leibman, Laura Arnold (2008): Experience Mayhew's Indian converts. A cultural edition, Amherst: University of Massachusetts Press, S. 1-76. 180 Weber (2010), S. 66.

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zwangsweise vollzogenen Negation des sprachlich noch fassbaren Zusammenhangs zwischen Armut und moralischer Verdorbenheit, der sich in dem Gleichklang der Begriffe ‚matchit‘ (‚naught, or evil‘) und ‚matchéku‘ (‚he is poor‘) manifestiert.181 So lässt ein Konvertit Thomas Mayhew wissen, dass selbst wenn man ihm „[…] die ganze Welt, alle Reichtümer und Vergnügen ohne Gott“ anbiete, er dem doch „Gott alleine“182 vorziehe. Es scheint da nur nachvollziehbar, dass die Sachem zumeist gegen eine derartige Neuorientierung optierten. Ein Bericht Eliots soll hier ausführlich zitiert werden, um noch einmal den Unterschied zwischen beiden Wertregistern zu illustrieren und darzustellen, inwiefern die Konversion einen Ausweg aus den an Selbstverwirklichung und Charakterherausbildung orientierten Wertvorstellungen der Küstenalgonkin bot: „Das Geschäft mit dem Beten zu Gott (so nennen sie die Religion) hatte bisher nur Gegenwehr von den Powwows und gottlosen Dämonen zu fürchten; nun aber hat uns Gott vor eine andere, noch größere Prüfung gestellt, denn die Sachem des Landes beziehen Stellung gegen uns und arbeiten gegen Gott indem sie ihre Untertanen so gut als möglich vom Beten abhalten. Der Grund hierfür ist, dass sie ganz einfach verstanden haben, dass die Religion eine große Veränderung für ihr Leben bedeuten und ihre tyrannische Herrschaft beenden wird, denn sie hielten ihre Mitmenschen in absoluter Sklaverei, alle ihre Besitztümer lagen in der Hand des Sachem; auch über sie selbst besitzt er die Befehlsgewalt; seine Sprache war, wie einer sagte: ‚Alles gehört mir‘, jetzt sehen sie jedoch, dass die Religion anderes lehrt und derartige Exzesse im Zaum hält. Zudem war es zuvor üblich, dass sie, wollten sie Geld oder irgendetwas anderem von einem Manne, in Wut und großen Zorn verfielen, was dazu führte, dass dieser ihnen alles gab was nötig war, um sie zu beruhigen, denn falls dies nicht geschah, konnten sie einen Schurken (davon haben sie genug) anstiften, der dann eine Gelegenheit fand, den Mann zu töten. Dies lässt sie in großer Ehrfurcht gegenüber ihren Sachem und ist einer der Gründe warum keiner von ihnen Reichtum anstrebt und sie lieber von der Hand in den Mund leben, denn sie sind Diener und erarbeiten nichts für sich selbst; nun aber, wenn ihre Sachem wüten, und sie beschimpfen, werden sie ihn, anstatt seine Gefälligkeit durch Geschenke zu suchen, aufgrund seiner Sünde ermahnen, ihm sagen, dass dies nicht der rechte Weg sei, Geld zu erlangen, sondern dass er dafür arbeiten müsse, und dann mag er Geld haben, denn das ist

181 Trumbull (1903), S. 51. 182 Whitfield, Henry (1651): The Light appearing more and more towards the perfect Day. Or, A farther Discovery of the present state of the Indians in New-England, concerning the Progresse of the Gospel amongst them, London: Printed by T.R. & E.M., hier S. 11f.; [„(…) all the world, the riches, plenty, and pleasures of it were presented without God, or God without all these, I would take God (…).“]

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Gottes Befehl, und was die Tribute angeht, so sind nur einige dazu bereit zu bezahlen, nicht so wie es zuvor war.“183

Der Text zeigt, welche radikalen Veränderungen die Aufgabe des oben skizzierten Hypergutes auch für die Anerkennung und Legitimation des politischen Systems mit sich brachte. Die gesellschaftlich unhinterfragte Stellung des Sachem wurde durch die Einführung calvinistischer Berufsethik (‚he must labour‘) brüchig und hinterfragbar. Während in der Vorkontaktzeit der autonomen Ansammlung von Gütern keine Grenzen gesetzt waren, ist die Rechtfertigung jeglichen Besitzes nun an den Nachweis eines vorher geleisteten Pensums an Arbeit gebunden. ‚Ungedeckte‘, das heißt durch Arbeit nicht verdiente, Geschenke an den Sachem können nun als aus einem ‚tyrannischen‘ politischen System entspringende Forderungen interpretiert werden und mit Rekurs auf das Wertregister der calvinistischen Missionare als amoralisch dargestellt werden. Dem weltlichen Versuch, materielle Reichtümer anzusammeln, wird das „businesse of praying to God“ als wertgenerierende Alternative entgegengestellt. Der Rückgriff auf Wampum, immer auch Zeichen weltlichen Reichtums, als materielles Sedativ fällt im Kontext von gepredigtem Weltlichkeitsverzicht als 183 Ebd. S. 37, Herv. M.S.; [„This businesse of praying to God (for that is their general name of Religion) hath hitherto found opposition only from the Pawwawes and profane spirits; but now the Lord hath exercised us with another and a greater opposition; for the Sachems of the Country are generally set against us, and counter-work the Lord by keeping off their men from praying to God as much as they can; And the reason of it is this. They plainly see that Religion will make a great change among them, and cut them off from their former tyranny; for they used to hold their people in an absolute servitude, insomuch as what ever they had, and themselves too were at his command; his language was, as one said (omne meum) now they see that Religion teaches otherwise, and puts a bridle upon such usurpations; Besides their former manner was, that if they wanted money, or if they desire any thing from a man, they would take occasion to rage and be in great anger; which when they did perceive, they would give him all they had to pacifie him; for else their way was to suborne some villain (of which they have no lack) to finde some opportunity to kill him; This keeps them in great awe of their Sachems and is one reason why none of them desire any wealth, only from hand to mouth, because they are but servants, and they get it not for themselves; but now if their Sachem so rage, and give (harp and cruell language, instead of seeking his favour with gifts as formerly) they will admonish him of his sinne; tell him that is not the right way to get money; but he must labour, and then he may have money, that is Gods command, &c. And as for Tribute, some they are willing to pay, but not as Formerly.“]

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Option hingegen aus. Es bleibt lediglich die Unterordnung unter das Gesetz Gottes und den frisch Konvertierten somit die Unterordnung unter die Leitung erfahrener Missionare wie John Eliot, Thomas Mayhew Sr., Jr. und Experience Mayhew. Die „former tyranny“ der Sachem wird lediglich durch die der Puritaner ersetzt.

Koloniale Geldpolitik der Neu-Niederlande und indigenes Wirtschaften But whatever were the honey in the mouth of that beast of trade, there was a deadly sting in the tail1 WILLIAM

HUBBARD,

HISTORIKER

NEU-

ENGLANDS

Ü BER P ROZESSE VERSCHRÄNKTER M ONETARISIERUNG , BIMEDIALE UND MULTIMEDIALE G ELDSYSTEME In den letzten Jahren stieg das Interesse am Studium der neu-niederländischen Kolonie zunehmend. Angestoßen durch die Übersetzung zahlreicher Dokumente, die bisher fernab vom akademischen Diskurs im New York State Archive, Albany, verstaubten oder lediglich in Übersetzungen dubioser Qualität vorlagen, untersuchen Wissenschaftler verschiedenster Provenienz interkulturelle Beziehungen, das Gerichts- und Wirtschaftssystem, die niederländische Einbindung in den Sklavenhandel sowie das Geschlechterverhältnis in den Neu-Niederlanden.2 1

Hubbard, William (1848): A General History of New England, Boston: Charles C. Little and James Brown, hier S. 100.

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Einen Überblick bietet Voorhees, David William (2005): Tying the Loose Ends Together: Putting New Netherland studies on a par with the study of other regions. In: Goodfriend, Joyce D. (Hg.): Revisiting New Netherland: Perspectives on Early Dutch America, Leiden: Brill, S. 309-328. Siehe zur Geschichte der Neu-Niederlanden allgemein Jacobs (2005) und Merwick, Donna (2006): The shame and the sorrow. Dutch-Amerindian encounters in New Netherland, Philadelphia: University of Pennsylvania Press, Goodfriend, Joyce D./Schmidt, Benjamin/Stott, Annette (2008): Holland in America. In: Dies. (Hg.): Going Dutch. The Dutch presence in America, 16092009, Leiden: Brill und Irvings humoristische Geschichte New Yorks, siehe Irving,

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Trotz seines hohen Grades an Innovation wurde das monetäre System der Kolonie jedoch bisher nicht oder nur ungenügend analysiert. Nachdem wir einerseits die terminologischen Grundlagen für die Beschäftigung mit dem Phänomen des Geldes bereitgestellt haben und andererseits das Wertesystem der Küstenalgonkin rekonstruiert und den in ihm inhärent angelegten Widerspruch haben aufzeigen können, ist es uns nun möglich, die Zusammenhänge zwischen kolonialer Geldpolitik und indigenem Wirtschaften in den Neu-Niederlanden näher zu betrachten und dabei über das in akademischen Kreisen weit verbreitete, jedoch simplifizierende Handelsdreieckmodell hinauszugelangen. Dieses Modell, das in der Literatur häufig explizit diskutiert oder implizit vorausgesetzt wird, geht davon aus, dass Europäer zunächst verschiedene Güter (Kleidung, Stoffe, Waffen, Alkohol etc.) gegen das von den Küstenalgonkin produzierte Wampum ausgetauscht hätten. Das so durch die Europäer erworbene Wampum sei dann ins Landesinnere transportiert worden, wo es gegen Pelze getauscht und von Irokesen und Huronen zu ‚zeremoniellen‘ oder ‚rituellen‘ Zwecken verwendet worden sei. Anschließend habe man die Pelze, nun bereits zu den seit Beginn des 17. Jh. zunehmend populärer werdenden breitkrempigen Hüten aus gefilztem Biberhaar nach schwedischem Vorbild verarbeitet, auf europäischen Märkten mit exorbitantem Gewinn verkauft.3 Im Groben sicherlich korrekt, verwischt es jedoch innerparteiliche Differenzen und heterogene Handlungsintentionen wie -ziele, die es an dieser Stelle näher herauszuarbeiten gilt. So bestimmt sich die von uns betrachtete Situation viel eher durch verwickelte Netze inter- und intrakultureller Beziehungsgeflechte als durch klar abgrenzbare Akteursblöcke mit je eindeutigen Zielen. Während auf der europäischen Seite zwischen der Westindischen Kompanie (Geoctroyeerde West-Indische Compagnie), deren politischen Stellvertretern in den Neu-Niederlanden, den Händlern vor Ort und den zunächst außerhalb des Biberhandels stehenden Siedlerkolonisten unterschieden werden muss, so auf der Seite der Indianer zwischen politischen Führungskräften und Untergebenen sowie tributeintreibenden und tributzahlenden indigenen Gruppierungen. Zudem verdeutlicht bereits die gleichzeitige Annahme einer zunehmenden Flutung der Neu-Niederlande mit Wampum in den 1650er Jahren infolge der ersten Münzprägungen und infolgedessen legislativen Abkehr vom Wampum als Washington (2007): Knickerbocker’s History of New York, Complete, Teddington: Echo Library. 3

Dieses Modell findet sich u.a. bei Ceci (1990), Nassaney (2004) und McBride, Kevin A. (1994): The Source and Mother of the Fur Trade: Native-Dutch Relations in Eastern New Netherland. In: Weinstein, Laurie (Hg.): Enduring traditions. The native peoples of New England,Westport/London: Bergin & Garvey, S. 31-51.

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Zahlungsmittel in den neu-englischen Kolonien einerseits und eines Handelsdreiecks, durch das unaufhaltsam Wampumperlen in das irokesische Gebiet gepumpt werden andererseits, die Inkohärenz dieser Begründungslinie. Beide Prozesse würden keine negative Inflation nach sich ziehen, da der monetäre Zufluss durch erhöhte Güterproduktion gedeckt wäre. Es liegt gar die Vermutung nahe, dass die Bedeutung von Wampum im Pelzhandel in den letzten Jahrzehnten der Existenz der neu-niederländischen Ökonomie enorm überschätzt wurde und wird. Wären auch nur die im Jahre 1657 erworbenen Biberfelle mit Wampum bezahlt worden, läge – ginge man gerechtfertigterweise von einer niedrigen Umlaufgeschwindigkeit aus – die Anzahl der zirkulierenden Wampumperlen bei circa dreißig Millionen.4 Es gilt vielmehr im Folgenden nachzuweisen, dass die Fetischisierung des Bibers auch zu einer ökonomischen wie akademischen Überschätzung der Bedeutung von Wampum im interkulturellen Pelzhandel geführt hat, die unter anderem auch übersehen lässt, dass das Wampumangebot erheblichen geographischen wie jahreszeitlichen Schwankungen unterlag. Nicht die indianische Vorliebe für Wampum, sondern der europäischen Irrglaube an einen ‚natürlichen‘ Wert des Bibers muss in das Zentrum der Analyse rücken. Der Versuch, den ‚eigenen‘, europäischen Fetischismus auch akademisch zu leugnen,5 führt zu einer Überbetonung des Fremden, zur Exotisierung und zur Leugnung der geldpolitischen Kompetenz der Indianer. So soll im Folgenden argumentiert werden, dass sowohl die Einführung des Wampum als Währung als auch die Destabilisierung seines Wertes, in anderen Worten: die Monetarisierung der neu-niederländischen Ökonomie und ihre misslingende Geldpolitik primär von derjenigen Personengruppe initiiert und gesteuert wurden, deren Interesse an den bunten Perlen im akademischen wie populären Diskurs als Vorliebe für Farben und reziproke Austauschverhältnisse missinterpretiert wurde und wird. Die Einführung des Wampum als Haupttauschmedium zwischen Indianern und NeuNiederländern wird demnach nicht als Form der ökonomischen Ausbeutung der Indigenen verstanden, sondern als durch das indianische Verlangen danach motiviert, im Kontext einschneidender geopolitischer Veränderungen in der Lage zu bleiben, die politische Stabilität der Neu-Niederlande dauerhaft beeinflussen zu können. Wampum muss demnach als indigenes Medium des kolonialen Wider-

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Man vergleiche diese Zahl mit der mickrigen Menge von drei Millionen zirkulierenden Perlen, die Richter kalkuliert, siehe Richter, Daniel K. (2002): Facing East from Indian country. A native history of early America, Cambridge: Harvard University Press, S. 42 f.

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Dies geschieht vor allem in den Historiographien des 19. Jahrhunderts und frühen 20. Jahrhunderts.

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standes verstanden werden.6 Man könnte also von einer Situation sprechen, in der politisch motivierte Akteure, bisher allzu häufig als geldlose Primitive rezipiert, Europäer monetarisierten. Das Versäumnis anzuerkennen, dass auch die Indianer in der Lage waren, zwischen Wertmaßstab und Tauschmedium zu unterscheiden, verstärkte die wissenschaftliche wie damalig vorherrschende Überschätzung der Rolle Wampums. Die Probleme entstammen demnach zumindest teilweise der Ignoranz gegenüber der Möglichkeit, dass der Unterschied zwischen „Ware“ und „Geld“7 in beiden ökonomischen Systemen eine Rolle spielte. Die folgenden Ausführungen stehen demnach in der Tradition solcher Arbeiten, die nachweisen, dass der politisch-ökonomische Verlauf des 17. Jahrhunderts in Nordamerika mindestens ebenso von indigenen wie europäischen Interessen geprägt wurde.8 Weiterhin unterschätzt das Handelsdreieckmodell die Bedeutung Wampums innerhalb des kolonialen monetären Systems. Für den neu-niederländischen Raum lässt sich ein multiples Währungssystem mit bimedialer Grundstruktur rekonstruieren, in dem Wampum eine tragende Rolle spielte.9 Während die meisten Transaktionen – wie im gesamten Europa des 17. Jahrhunderts – auf Kreditverhältnissen beruhten, die man in den jeweiligen Handelszeiten durch die Reallokation von Biberfellen abglich, zirkulierte Wampum in der Sphäre alltäglicher Transaktionen als äußerst krisenanfälliges Geldmedium, das jedoch durch eben jene Krisenaffinität in der Lage war, Schwankungen innerhalb der Kreditvergabe von kurzfristigen Erwartungen abzukoppeln. Wir werden jedoch sehen, dass ein derartiges bimediales Währungssystem nichtsdestotrotz politischer Maßnahmen bedarf, die sein Funktionieren garantieren. In den neu-englischen Kolonien hingegen – dieses Faktum stellt sicherlich einen der wichtigsten Unterschiede in der wirtschaftlichen Konstitution im Vergleich zu den Neu-Niederlanden dar – lässt sich eine zunehmende Öffnung des monetären Systems sowie eine Vermehrung der sich im Umlauf befindlichen 6

Siehe zu ähnlichen Überlegungen in West Afrika und Indien Saul (2004) und Gregory, C.A. (1996): Cowries and Conquest: Towards a Subalternate Quality Theory of Money. In: Comparative Studies in Society and History 38, S. 195-217.

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Siehe De Deckere, Johan (1658): Manuskript vom 11. November 1658. In: New York State Archive, New York Colonial Manuscripts 8, S. 1027-1033, hier S. 1027; [„absolute commoditeyt“, „gelt“].

8

Siehe zum Beispiel Richter (2002) und White, Richard (2011): The middle ground. Indians, empires, and republics in the Great Lakes region, 1650-1815, Cambridge: Cambridge University Press.

9

Siehe für einen allgemeinen Überblick der neu-niederländischen Ökonomie das entsprechende Kapitel in Jacobs (2005).

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Zahlungsmittel beobachten. Daten aus Connecticut und anderen Kolonien legen die Vermutung nahe, dass im Laufe der Zeit verstärkt auf eine Vielfältigkeit der Währungsformen geachtet wurde. Während, zum Beispiel, eine Gerichtsanordnung vom 9. Februar 1637 in Hartford die Bezahlung „in Geld, Wampum zu geringerem Wert, oder auch handelbarem Biberpelz zu neun Shilling je Pfund“10 vorschreibt, wird einem Schuldner am 5. Februar 1644 am selben Ort bereits gerichtlich zugesagt, seinen Gläubiger sowohl mit „Biber, Wampum, Weizen Gerste oder Erbsen, zur je üblichen Rate“11 zufriedenstellen zu können. Der Kolonist Robert Child stellt schließlich in einem Brief an John Winthrop Jr. vom 14. Mai 1647 fest, dass er „[…] dazu bereit sei, alles zu akzeptieren, Wampum, falls es gut ist, und andere Waren zum momentan üblichen Preis, sie sind für mich wie Geld“12. Wir gehen bei diesen Beobachtungen von Gregorys Grundgedanke aus, dass die Kontrolle über das oder die Hauptzirkulationsmedien einer Wirtschaft (oder wie durch die Erweiterung des Geldbegriffes ermöglicht: einer Kultur13)

10 Trumbull, James Hammond (Hg.) (1850): The Public Records of the Colony of Connecticut Prior to the Union with New Haven Colony, Band III, Hartford: Brown and Parsons, S. 12; [„in monney, in Wampum at fower a penny, or in good and marchantable beaver at 9s. per pounde“]. 11 Ebd. S. 121; [„Bever, wampum, wheat, barly or pease, at the most comon and indifferent rates“]. 12 The Massachusetts Historical Society (Hg.) (1929-1992): The Winthrop Papers. 6 Bände. Boston, hier Band V, S. 160; [„(…) shall be willing to accept what you can returne hither, as peage, if it be good, and other kinds of provisions at price currant, though the Commoditys to me were as money.“] Ähnliche Entwicklungen lassen sich in Rhode Island beobachten. Vgl. Bartlett (1856), S. 400: „[…] payd in peage at eight per penny white, or in other pay equivalent thereto.“ Little, Frank H. (Hg.) (1865/1704): The Private Journal of a Journey from Boston to New York in the Year 1704. Kept by Madam Knight, Albany: Munsell, S. 56: „They give the title of merchant to every trader; who Rate their Goods according to the time and spetia they pay in: viz. Pay, mony, Pay as mony, and trusting. Pay is Grain, Pork, Beef, &c. at the prices sett by the General Court that Year; mony is pieces of Eight, Ryalls, or Boston or Bay shillings (as they call them) or Good hard money, as sometimes silver coin is termed by them; also Wampom, viz Indian beads wch serves for change. Pay as mony is provisions, as afores one Third cheaper then as the Assembly or Gene Court setts it; and Trust as they and the merch’ agree for time […]“, veranschaulicht noch einmal die Vielfältigkeit des Währungssystems. 13 Siehe auch den treffenden Kommentar in Peebles, Gustav (2011): The euro and its rivals. Currency and the construction of a transnational city, Bloomington: Indiana Uni-

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ein Indiz für die politische Handlungsfähigkeit der politischen Autorität darstellt.14 Guyer kommt analog zu dem Schluss, dass monomediale und demnach einfacher zu kontrollierende Währungssysteme in Afrika häufig im Zuge politischer Zentralisationsprozesse entstanden seien: „One conclusion, however, is that the maintenance of a single type of currency for a breadth of transactions seems to have been achieved in pre-colonial only under very limited conditions, one of which was political centralization.“15 Multiple oder multimediale, ‚undichte‘ Geldsysteme sind hingegen häufig Index einer politischen Vielfältigkeit, in Roitmans Worten einer „pluralization of regulatory authority“ 16. Entstehen sie in zentralisierten politischen Ordnungen, sind sie in der Lage, das übergeordnete politische System infrage zu stellen. Eine strikte Analogisierung von politischer und Währungsmultiplizität ist jedoch irreführend. Multimediale Geldsysteme können bei politischer ‚Überwachung‘ auch vor schematischer Verengung, Fetischisierungsprozessen und daraus folgender Starrheit und Handlungsunfähigkeit der politischen Autorität schützen. Sie ermöglichen eine feiner justierte Vermittlung gesellschaftlicher Ungerechtigkeiten und können folgerichtig Wertkonzentrationsprozesse innerhalb einer Gesellschaft eher verdecken als dies monomedialen Geldsystemen gelingt.

versity Press, hier S. 156: „The domination by one particular currency indexes domination that prevails in other spheres as well.“ 14 Gregory (1997). Vgl. auch die interessante Bemerkung Weedens (1884), S. 5: „All communities suffer for a currency.“ Siehe auch Bell, Stephanie (2001): The role of the state and the hierarchy of money. In: Cambridge Journal of Economics 25, S. 149163. 15 Vgl. Guyer, Jane I. (1995): Introduction: The Currency Interface and Its Dynamics. In: Dies. (Hg.): Money matters. Instability, values, and social payments in the modern history of West African communities, Portsmouth/London: Heinemann/Currey, S. 134, hier S. 23. Vgl. ganz ähnlich die Analysen Janet Roitmans zur Durchsetzung von französischen Franc in Kamerun, in Roitman, Janet L. (2005): Fiscal disobedience. An anthropology of economic regulation in Central Africa, Princeton: Princeton University Press und Pallaver, Karin (2012): Colonial currencies and the local use of money: the case of Kenya in 1910s and 1920s. Paper beim 16ten World Economic History Congress in Stellenbosch/Südafrika. Die Zersplitterung der Geldformen in Kamerun und Kenia ist konträr der Prozess, den wir bei den Küstenalgonkin festgestellt haben. Hier beobachten wir eine starke Zentralisierung auf ein Medium: Wampum. 16 Siehe Roitman, Janet (2004): Productivity in the Margins: The Reconstitution of State Power in the Chad Basin. In: Das, Veena/Poole, Deborah (Hg.): Anthropology in the Margins of the State, Santa Fe: School of American Research Press, S. 191-224.

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Zusätzlich muss zwischen ‚externalisierter‘ und ‚internalisierter‘ Vielfältigkeit unterschieden werden. Prozesse des „earmarking“ 17 sowie solche der semantischen Markierung wie sie bei den Luo, Nuer 18 oder den Tiv vorkommen, bezeichne ich als Prozesse internalisierter Vielfältigkeit. Das Problem dieser ist ihre geringfügige Wirksamkeit, wenn sie nicht durch Externalisierungs-, das heißt Materialisierungsprozesse begleitet werden. So habe ich während eigener Feldforschungen in den Jahren 2009, 2012 und 2013 bei den Luo selbst nach wiederholtem Nachfragen keinerlei Spuren der von Shipton in den achtziger Jahren beobachteten semantischen Markierung ‚pesa makech‘ (‚bitteres Geld‘)19 finden können – der Begriff war schlicht unbekannt. Es liegt nahe anzunehmen, dass eine rein semantische Markierung den gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozessen, hier ist vor allem an die Einbindung in überregionale Güter- und infolgedessen auch Finanzmärkte zu denken, nicht genug Gegengewicht bieten kann.20 Dass die semantische Markierung bei den Nuer, die begrifflich zwischen ‚cattle of money‘, ‚cattle of girls‘, ‚money of work‘, ‚money of shit‘ und ‚money of cattle‘ unterscheiden, feingliedriger ist, dürfte auf eine höhere Durchdringung des ökonomischen Handelns hindeuten und eine stärkere Widerstandsfähigkeit des vorkolonialen Wirtschaftssystems anzeigen.21 Bevor wir jedoch die Veränderungen des monetären Systems der NeuNiederlande diskutieren können, ist es nötig, kurz einen Überblick über die ökonomische Geschichte der Neu-Niederlande, die durch fortschreitende Privatisierung und Liberalisierung gekennzeichnet ist, zu geben. Dabei werden zunächst die inhärenten Widersprüche desselben und die Lösungsversuche, die im Zentrum kolonialpolitischer Entscheidungsfindung erwägt wurden, dargestellt. Darin eingewoben sind Überlegungen über Veränderungen der Lebenswelt in den nördlicher gelegenen Gebieten um Fort Orange – der eigentlichen Wertakkumulationssphäre; wurden hier doch primär die Biberpelze erworben –, die

17 Zelizer, Viviana A. (1997): The Social Meaning of Money. Pin Money, Paychecks, Poor Relief, and Other Currencies, Princeton: Princeton University Press. 18 Hutchinson, Sharon Elaine (1992): The Cattle of Money and the Cattle of Girls among the Nuer, 1930-83. In: American Ethnologist 19, S. 294-316. 19 Shipton (1989). 20 Dafür spricht auch Shiptons Aussage in einem persönlichen Gespräch, pesa makech sei eher zwischen ethnologischer Abstraktion und emischer Artikulation zu verorten. 21 Dies zeigen die bereits mehrfach zitierten re-studies Hutchinsons, siehe Hutchinson (1992) und (1996). Man könnte hier von einem ‚multievaluativen‘ Geldsystem sprechen, während das Beispiel von pesa makech (‚bitteres Geld‘) bei den Luo ein ‚bievaluatives‘ darstellt.

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noch einmal die für viele Bewohner dramatischen Auswirkungen der fortschreitenden Liberalisierungspolitik illustrieren.

Ü BERBLICK ÜBER DIE N EU -N IEDERLANDE

ÖKONOMISCHE

G ESCHICHTE DER

Wie bereits erwähnt, kann der Verlauf der politisch-ökonomischen Entwicklung der Neu-Niederlande als eine progressiv verlaufende Liberalisierung des Handels beschrieben werden. Zu Beginn besitzt die 1621 gegründete WestindischeKompanie das Handelsmonopol.22 Bereits 1629 wird in den Fryheden ende Exemptien voor de Patroonen jedoch wohlhabenden Bürgern der Niederlande erlaubt, Siedlungen (patroonships) zu gründen, innerhalb derer sie juristisch und ökonomisch weitgehend autonom handeln können.23 1639 wird das Handelsmonopol dann vollständig aufgehoben24 und 1653 verrechtlicht die Gründung autonomer Gerichtsbarkeit in Neu-Amsterdam die zuvor lediglich moralisch abgesicherte Erwartbarkeit pünktlicher Erfüllung von Kreditbeziehung und erleichtert so die Planbarkeit ökonomischer Beziehungen.25 Die Annahme, dass die ökonomische Liberalisierung Druck auf die Ausgestaltung der geldpolitischen Verfassung ausübte, wird durch mehrere Beobachtungen gestützt. So kämpfen die Autoritäten seit 1641, also kurz nach der Auflösung des Handelsmonopols, mit dem Problem der Qualitätssicherung des Zahlungsmittels Wampum. Die zunehmende

22 In den Jahren 1615-1618 besitzt die Nieuw-Nederland Compagnie eine Charter für Nordamerika. Die Charter der West-Indischen Kompanie findet sich in Van Laer, A.J.F. (Hg.) (1908): Van Rensselaer Bowier Manuscripts. Being the Letters of Kiliaen van Rensselaer, 1630-1643, and other Documents relating to the Colony of Rensselaerswyck, Albany: University of the State New York, hier S. 88. 23 Eine Übersetzung der Fryheden ende Exemptien voor de Patroonen findet sich in Van Laer (1908), S. 136-154. 24 Es bleibt jedoch weiterhin untersagt, außerhalb der Handelsposten Biberpelze zu erwerben, vgl. Fernow, Berthold (Hg.) (1897): The Records of New Amsterdam from 1653 to 1674 Anno Domini, New York: The Knickerbocker Press, Band I, S. 2: „Therefore for the best service and interest of the West India Company and of this district, we forbid and command, as we hereby do, that henceforth none of our inhabitants shall go inland with his cargoes or other wares, but shall carry on his trade at the usual trading places.“ 25 Vgl. hierzu Maika, D.J. (1995): Commerce and Community: Manhattan Merchants in the Seventeenth Century, New York: PhD Dissertation.

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Zirkulation von Fälschungen und mangelhaft verarbeiteten Muscheln wird zu Recht als Bedrohung des Florierens der kolonialen Wirtschaft wahrgenommen. Besonders dramatisch mutet die Anordnung vom 30. Mai 1650 an: „Wir haben […] den Untergang und die tägliche Abwertung losen Wampums beobachten müssen: Es zirkulieren viele ungelöcherte oder halb fertige Perlen, gar einige aus Stein, Knochen, Glas, Muscheln, Horn, ja auch aus Holz oder zerbrochene Perlen […].“26 Parallel dazu lassen sich im Verlauf der Zeit verstärkt interkulturelle Spannungen27 sowie interne Versuche, die Politik innerhalb der Kolonie zu demokratisieren, beobachten. In breiten Teilen der Bevölkerung artikuliert sich der Wunsch nach Intensivierung der Beteiligung an politischer Entscheidungsfindung, wie er sich schließlich in der von Van der Donck, zunächst lediglich als Verwalter des patroonships Renssellerwijk in die Neu-Niederlande beordert, nun jedoch zunehmend von der Möglichkeit einer umfassenden politischen und demographischen Umgestaltung der gesamten Kolonie fasziniert,28 mitgestalteten

26 Vgl. O`Callaghan, E.B. (Hg.) (1868): Laws and Ordinances of New Netherland, 16381674, Albany: Weed, Parsons and Company, S. 115; NYCM 4, p. 352; [„Whereas we have (…) seen the decline and daily depreciation of the loose Wampum, among which are circulating many without holes and half finished; also some of Stone, Bone, Glass, Muscle-shells, Horn, yea even of Wood and Broken beads (…).“] Siehe auch ebd. S. 80 und S. 26; New York Colonial Manuscripts (NYCM) 16, S. 21 und NYCM 4, S. 90. Die im New York State Archive, Albany, verfügbaren niederländischen Originalquellen wurden gegengelesen. Ihre bibliographischen Angaben stehen im Folgenden direkt nach denen der jeweiligen englischen Übersetzung. Ähnliche Probleme lassen sich jedoch auch in Bezug auf den neu-englischen Raum finden, vgl. zum Beispiel Trumbull (1859), S. 179: „It was further, uppon the recomendation of the Comissioners, ordered by this Courte, that no peage, white or black, bee paid or received, but what is strung, and in some measure strung suitably, and not small and great, uncomely and disorderly mixt, as formerly it hath beene“ und Bartlett (1856), S. 155: „It is ordered, that if the Indians shall offer to putt away upon exchange or barter, their false peag for good, and warrant it so to be, and it be found otherwise, it shall be confiscated to the Public Treasury.“ 27 So wird die Kolonie Swaanendael im Dezember 1632 von Indianern zerstört, am 1. September 1639 einige Männer auf Staten Island getötet, der Kieft-Krieg beginnt 1643 und endet 1645, 1655 folgt der Peach-Tree-Krieg und schließlich in den Jahren von 1659 bis 1663 der erste beziehungsweise zweite Esopus-Krieg. 28 Der Journalist Russel Shorto stilisiert Van der Donck gar zum Begründer der amerikanischen Demokratietradition und sieht in ihm gleichsam einen Vorgänger republikanischen Gedankengutes, wie es sich später bei Tocqueville zeigt. Siehe Shorto,

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und 1650 herausgegebenen Remonstrance niederschlägt.29 Deren zentrales Kapitel über die Reasons and Cause of the Great Decay of New Netherland rückt den Zusammenhang von politischer Machtzentralisation und ökonomischem Niedergang in das Zentrum der Argumentation und stellt die Instabilität des Wampumwertes als einen zentralen Grund der wirtschaftlichen Probleme dar: „Die Verwendung von Wampum, schließlich unsere Währung, wurde nie auf ein sicheres Fundament gestellt, obwohl die neun Männer danach verlangt und gezeigt haben wie es hätte erreicht werden können.“30 Die nachstehenden Ausführungen sind demnach an der Offenlegung der Zusammenhänge zwischen politischer und wirtschaftlicher Sphäre interessiert, die von Van der Donck ebenso erkannt wurden wie von seinem Widersacher Cornelius van Tienhoven – Sekretär und rechte Hand des Direktors Willem van Kieft und von 1647 an Berater des neuen Direktors Peter Stuyvesant, abgehärtet durch jahrelange Tätigkeit im tropischen Brasilien während der er sowohl einige Malariafälle überstand als auch durch eine Kanonenkugel ein Bein verlor und somit vermeintlich, so zumindest die Annahme der Verantwortlichen der Westindischen Kompanie, geeignet, Ordnung in die kriselnde neu-niederländische Kolonie zu bringen. Van Tienhoven verteidigt die geldpolitischen Maßnahmen der Kompanie in einer Antwort wie folgt: „Zu Direktor Kiefts Zeiten handelte man gutes, auf Schnüre gezogenes Wampum zu je vier Perlen, zu je sechs pro stuiver falls lose. Der Grund, warum loses Wampum nicht verboten wurde, ist schlicht, dass es keine Alternative gab, und Handwerker, Bauern ebenso wie der Rest der Gesellschaft, keine andere Währung besitzend, hätten unter einem Verbot gelitten; hätten wir loses Wampum verboten, so wären die Konsequenzen freilich Grund für weitere Vorwürfe der nun Rebellierenden gewesen.“31 Russel (2005): The Island at the Center of the World: The Epic Story of Dutch Manhattan and the forgotten Colony that shaped America, New York: Vintage. 29 Van der Donck (1856/1650); siehe Van der Donck, Adriaen (1650): Vertoogh van Nieu-Neder-Land, weghens de Gheleghentheydt, Vruchtbaerheydt, en soberen Staet desselfs, De Hague: Michiel Stael. 30 Ebd. S. 35; [„The payment in Wampum, which is the currency here, has never been placed on a sure footing, although the Select men requested it, and showed how it could be done, and added conclusive reasons in support thereof.“] Bei den „neun Männern“ handelt es sich um aus einer Liste von achtzehn vorgeschlagenen Kandidaten (je neun wurden von den burghern und dem Direktor und seinem Rat vorgeschlagen) ausgewählte Repräsentanten der Kolonie. 31 Ebd. S. 58; [„In Director Kieft's time, good Wampum passed for four, and loose beads at six, for a stiver. The reason for not prohibiting unstringed wampum was, because no money was in circulation, and mechanics, farmers and the rest of the Commonalty,

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Die im Folgenden diskutierten, wiederholt durchgeführten Entwertungen des Wampum stehen demnach in engem Zusammenhang mit den hier sichtbar werdenden Forderungen nach Intensivierung politischer Teilhabe. Dass die erhöhte Inflation, Preissteigerungen sowie der Mangel an Gütern des alltäglichen Gebrauchs,32 also ökonomische Probleme, schließlich von Stuyvesant als ein Grund der neu-niederländischen Niederlage im Jahre 1664 angeführt werden,33 zeigt, dass es sich lohnen dürfte, die neu-niederländische Geldpolitik einer Analyse zu unterziehen, die die Rolle des Wampum und seines Pendants, des Bibers, sowie die Frage nach ihrer gerechten Verteilung innerhalb der neu-niederländischen Gesellschaft ins Zentrum rückt. Im Gegensatz zu den bisherigen Erklärungen zum Geldsystem der Neu-Niederlande, welche die Aneignung von Wampum als Zahlungsmittel als eine ökonomische Reaktion auf die Nichtverfügbarkeit alternativer Zahlungsmittel, wie zum Beispiel Silbermünzen, verstehen,34 möchte ich im Folgenden also für die politische Bedeutung des monetären Systems argumentieren.

having no other currency, would suffer serious loss; and had it been cried down, doubtless the Remonstrants would have booked the circumstance among the rest of their grievances.“] Ein die Maßnahmen der Kompanie stark verteidigendes Dokument stellt auch N.N. (1909/1647): Journal of New Netherland, 1647, described in the Years 1641, 1642, 1643, 1644, 1645 and 1646. In: Jameson, John Franklin (Hg.): Narratives of New Netherland, 1609-1664, New York: Charles Scribner’s Sons, S. 265284 dar. 32 Siehe exemplarisch aus einem Brief des Kolonisten Janneken Melyn vom 17. Dezember 1649: „[…] we, who have come to New Netherland, are unfortunate men, for it grows from bad to worse. But the trumpet sounds so loud, that poor people have scarcely enough to eat, for no supplies of bread, butter, beef and pork can now be had, except for beaver or silver coin.“ Siehe Brodhead, John Romeyn/O’Callaghan, E.B./Fernow, Berthold (Hg.) (1856-1887): Documents Relative to the Colonial History of the State of New York. 15 Bände, New York/Albany: Weed, Parsons and Company, Band I, S. 386. 33 Vgl. O`Callaghan, E.B. (Hg.) (1858): Documents relative to the Colonial History of the State of New York, procured in Holland, England and France, Band II, Albany: Weed, Parsons and Company, hier S. 366: „In consequence of the want of the abovementioned necessaries, and many other minor articles, a general discontent and unwillingness to assist in defending the place became manifest among the people.“ 34 Siehe u.a. Peña (1990), Ceci (1980) und Schnurmann, Claudia (2008): Wampum as a Cultural Broker in Northeastern America. In: Chaudhury, Sushil (Hg.): Cashless payments and transactions from the antiquity to 1914, Stuttgart: Steiner; S. 107-130.

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Nachdem ich gezeigt habe, dass das monetäre System die politische Situation zwischen Westindischer Kompanie, Händlern, Kolonisten und Indigenen zunächst stabilisieren konnte, werde ich aufweisen, dass das System nichtsdestotrotz inhärente Widersprüche enthielt, die jedoch erst durch die Liberalisierungsschübe innerhalb der Wirtschaftspolitik sichtbar wurden. In dem Moment, als der Wert des indigenen Wampum Marktmechanismen unterworfen wurde, verkehrte sich sein vermeintlich ‚natürlicher‘ Wert in Wertlosigkeit, mit anderen Worten: Der Charakter seines Wertes als primär durch politische Entscheidungen etabliert tritt genau dann hervor als es seine Rolle als „Ursprung und Mutter des Biberpelzhandels“35 verliert. Ökonomisch gesprochen: Es war weder allein ein Anstieg des Wampumangebots noch ein Rückgang des Biberangebots,36 sondern ebenso die fluktuierende indigene Nachfrage nach Wampum sowie der Rückgang der Bibernachfrage auf den europäischen Märkten,37 die die ökonomischen Probleme während der 1650er Jahre hervorgerufen haben.38 Den empirischen Kern der folgenden Auseinandersetzung werden die verschiedenen geldpolitischen Maßnahmen darstellen, die zwischen Peter Stuyvesant und den Direktoren der West-Indischen Kompanie in den 1650ern und 1660ern in einem transatlantischen Briefwechsel diskutiert wurden. Die 35 Fernow, Berthold (Hg.) (1883): Documents relating to the History of the early Colonial Settlements principally on Long Island, Albany: Weed, Parsons and Company, hier S. 470; NYCM 13, S. 96; [„source and mother of the beaver trade“]. 36 Für eine Dekonstruktion des immer noch weit verbreiteten Glaubens an eine Ausrottung des Bibers im 17. Jahrhundert siehe Brandão, José António (1997): „Your fyre shall burn no more“. Iroquois policy toward New France and its native allies to 1701, Lincoln: University of Nebraska Press, passim sowie Starna, William A./Brandão, José António (2004): From the Mohawk-Mahican War to the Beaver Wars: Questioning the Pattern. In: Ethnohistory 51, S. 725-750. Siehe für eine biogeographische Untersuchung, die Brandãos Analyse unterstützt: Foster, David R./Motzkin,Glenn/Bernardos, Debra/Cardoza, James (2002): Wildlife Dynamics in the Changing New England Landscape. In: Journal of Biogeography 29, S. 1337-1357. 37 Vgl. u.a. van Laer (1932), S. 73: „The beaver market is very poor and they are not easily sold, so that merchantable beavers are sold at fl. 6. The New Netherland trade, therefore, becomes worse every day, as more beavers arrive than can be sold in Muscovy so that it would be a good thing if the trade stood still for a year.“ 38 Für die These, dass dieses Problem einer irrationalen Fetischisierung des Bibers entstammt, wird weiter unten ausführlich argumentiert. Vgl. dazu auch Schmidt, Mario (2012): Zur Heterologie kolonialer Ökonomien: Der Biber und sein Fell als Fetisch in den nordamerikanischen Kolonien des 17. Jahrhunderts. In: Ilinx – Berliner Beiträge zur Kulturwissenschaft 3 – Ökonomische Praktiken, S. 25-38.

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Analyse dieser Dokumente wird zeigen, dass die internen Widersprüche nicht aufgelöst werden konnten. Weder eine Demonetarisierung, das heißt Kommodifizierung des Wampum, noch eine stetige Reduktion seines Wertes stellten geeignete Maßnahmen zur Lösung des im Kern politischen Problems dar. Insoweit liegt Johan de Deckere, Finanzbeauftragter der Kolonie, richtig, wenn er die Situation in einem bisher nicht übersetzten Dokument, welches eine der geldpolitischen Anordnungen diskutiert, als eine beurteilt, in der die politischen Manöver der Beteiligten sich „von Skylla zu Charybdis“39 und wieder zurück bewegten. Eine derartige Analyse schließt Lücken innerhalb der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Kolonialgeschichte der Neu-Niederlande, in der die Untersuchung des monetären Systems bisher nur eine randständige Position eingenommen hat.

D IE M ONETARISIERTEN MONETARISIEREN : D IE E INFÜHRUNG VON W AMPUM ALS G ELD IN DEN N EU -N IEDERLANDEN L’argent n’a pas de patrie40 MARCEL MAUSS

Während die meisten alltäglichen ökonomischen Transaktionen in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts auf gegenseitigem Vertrauen beruhten41 und die Sicherstellung einer Mindestreserve in der 1609 gegründeten Amsterdamer Wech-

39 De Deckere (1658), hier S. 1027; [„van Schyllam tot Charybdim“]. Johan de Deckeres Diskussion einiger der hier analysierten Probleme stellt eine der interessantesten zeitgenössischen Quellen dar, die sich mit der ökonomischen Situation in den NeuNiederlanden beschäftigen. Es ist auf den 11. November 1658 datiert und wurde somit in der gleichen Zeit geschrieben wie ein Großteil des Briefwechsels zwischen Stuyvesant und den Direktoren in Amsterdam. 40 Mauss, Marcel (1924): Les changes. Deux fautes de M. de Lasteyrie. In: Le Populaire, 23. Februar 1924, S. 1-2, hier S. 1; [„Das Geld besitzt kein Vaterland.“] 41 Siehe zu Vertrauen und Kredit im 17. Jahrhundert in England die vorzüglichen Arbeiten von Craig Muldrew, u.a. Muldrew, Craig (1998): The economy of obligation. The culture of credit and social relations in early modern England, Basingstoke: Macmillan, siehe zu analogen Konzeptionen in Neu-England Vickers, David (2010): Errors Expected: The Culture of Credit in Rural New England, 1683-1763. In: Economic History Review 63, S. 1032-1057.

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selbank (Amsterdamsche Wisselbank)42 bei größeren Handelsunternehmen den Beteiligten ein Grundmaß an Stabilität garantierte, waren die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den niederländischen Kolonisten und den Indigenen von Beginn an durch Ambivalenz gekennzeichnet. Eine Möglichkeit, diesen Zustand aufzulösen und sowohl friedliche und stabile Beziehungen zwischen Indigenen und Kolonisten43 als auch letzteren eine ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln und weiteren für den alltäglichen Lebensunterhalt notwendigen Gütern zu garantieren, stellte nun die Einführung eines interkulturell akzeptierten und geschätzten Austauschmediums dar. So dürfte es kaum überraschen, dass Isaack de Rasiere in einem Brief44 an die Amsterdam Kammer der WIC vom 23. September 1626 den folgenden Zwischenfall erwähnt, der das Bedürfnis nach einer Ware verdeutlicht, die es den Kolonisten ermöglicht mit den Indianern zu tauschen. Aufbauend auf Erfahrungen, die niederländische Kolonisten und Entdecker in anderen Erdteilen gemacht haben, verkauft de Rasiere zu einem Gulden je Pfund Perlen an die Kolonisten, da diese sich „[…] so sehr über ihre Verpflegung beschweren, im Tausch gegen die Perlen von den Indianern jedoch Mais, Fisch und andere Dinge erwerben können“. Dass er sich über die möglichen Konsequenzen, die dieser Schritt für die Kontrolle der Kompanie über den Pelzhandel haben wird, bewusst ist, zeigt sich daran, dass er direkt mit folgender 42 Für einen Überblick siehe De Vries, J./van der Woude, A. (1997); The First Modern Economy. Success, Failure, and Perseverance of the Dutch Economy, 1500-1815, Cambridge: Cambridge University Press. 43 Die Notwendigkeit von stabilen Beziehungen in Anbetracht des Mächteungleichgewichts zwischen Neu-Niederländern und Indigenen wird bereits von den Verfassern der Provisional Regulations for the Colonists adopted by the Assembly of the Nineteen of the West India Company im Jahr 1624 anerkannt: „They shall take especial care, whether in trading or in other matters, faithfully to fulfill their promises to the Indians or other neighbors and not to give them any offense without cause as regards their persons, wives, or property, on pain of being rigorously punished therefor.“ Siehe Van Laer, A.J.F. (Hg.) (1924): Documents relating to New Netherland 16241626, San Marino: Henry E. Huntington library and art gallery, S. 1-18. Vgl. auch den frühen Brief von Jonas Michaëlius, in dem die Abhängigkeit der Neu-Niederländer von den Indigenen deutlich wird, siehe Michaëlius, Jonas (1904/1628): Manhattan in 1628, New York: Dodd, Mead. 44 De Rasiere, Isaack (1924/1626): Letter from Isaack de Rasiere to the Directors of the Amsterdam Chamber of the West India Company, Fort Amsterdam on Manhattan Island, September 23, 1626. In: Van Laer, A.J.F. (Hg.): Documents relating to New Netherland 1624-1626, San Marino: Henry E. Huntington library and art gallery, S. 171-254.

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Bemerkung fortfährt: „Sollten euer Ehren damit nicht einverstanden sein, teilen sie mir dies bitte mit und es wird nicht erneut vorkommen.“45 Er diskutiert dieses – das Wohlbefinden der Kolonie in seinen Augen bedrohende – Ineinanderfließen von den durch Wampum vermittelten Austauschsphären später erneut und stellt fest, dass die „[…] Kolonisten ab und an Wampum erhalten, welches wir ihnen bisher für fünf Gulden je fathom abkauften, damit sie nicht am Biberpelzhandel teilnehmen. Sollten euer Ehren damit nicht einverstanden sein, werden wir damit nicht fortfahren“46. Sein Vorschlag, Perlen von außerhalb der Kolonie einschiffen zu lassen, um die politische Kontrolle über die Geldmenge nicht zu verlieren, zeugt von einem Bewusstsein über die Gefahren einer nicht zentral kontrollierten Geldschöpfung: „Ich sende euer Ehren mit diesem Schiff als Muster zwei Korallen- oder Perlenschnüre, eine schwarze und eine weiße. Euer Ehren wird so nett sein und mir je zwei- oder dreihundert Pfund, gleich groß und auf gleich lange Schnüre gezogen, zukommen lassen, denn diese sind hier äußerst gefragt und sehr knapp.“47

Diese Zitate enthüllen in nuce das Problem der neu-niederländischen Ökonomie aus der Perspektive der West-Indischen Kompanie: Die Kolonisten und insbesondere die eigenen Angestellten müssen mit einem Tauschmedium ausgestattet werden, dass weder den Profit der Kompanie noch ihre politische Souveränität, in diesem Falle die Kontrolle über die Geldmenge, gefährdet. Wie wir später sehen werden, ist ein gründliches Verständnis des aus dieser Aufgabe entspringenden Dilemmas fundamental für eine Analyse der Diskussionen zwischen Stuyvesant und den Kompaniedirektoren in Amsterdam. Bevor ich jedoch die 45 Ebd., S. 232; [„ (…) complain so much of the victuals, and can buy for them from the Indians maize, fish, and various other things. […] Should your Honors not approve of this, you will be pleased to advise me of it and it shall not occur again.“] 46 Ebd., S. 251; [„The colonists sometimes receive wampum, which hitherto we have purchased for 5 guilders the fathom, in order to take the fur trade away from them. Should your Honors not be pleased to approve this, we shall discontinue doing so.“] 47 Ebd., S. 232; [„I send your Honors by this vessel two strings of coral or beads, one black and the other white, as a sample. Your Honors will kindly send me of each sort 200 or 300 pounds, strung to the same length and of the same size, as these are much sought after and there are no more here.“] Dass diese Maßnahme wiederholt angedacht wurde und nie wirklich von der politischen Agenda verschwand, legen die fortwährende Erwähnung von „barrels of conch“ nahe, die von Curacao in die NeuNiederlande gebracht wurden, siehe Gehring, Charles T. (Hg.) (1987): Curacao papers. 1640-1665, Interlaken: Heart of the Lakes Publishers, passim.

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Frage beantworten kann, aus welchen Gründen die Kolonie es nicht geschafft hat, ihre monetären Probleme zu lösen, muss das monetäre System der NeuNiederlande seiner Form nach näher skizziert werden, da sich in diesem bereits der Keim des sich durch weitere Faktoren nur entfaltenden und verschärfenden Problems versteckt.

D IE E TABLIERUNG MONETÄRER S OUVERÄNITÄT – S KIZZE DES BIMEDIALEN G ELDSYSTEMS DER N EU -N IEDERLANDE Wie bereits erwähnt, kann das monetäre System der Neu-Niederlande als ein solches beschrieben werden, in dem die drei Geldfunktionen (1) Recheneinheit, (2) Zahlungsmedium und (3) Wertaufbewahrung durch drei verschiedene Objekte realisiert wurden. Während in der auch in den Niederlanden genutzten guldenstuiver-penning Einteilung gerechnet wurde, in der einem gulden zwanzig stuiver und einem stuiver sechzehn penning entsprachen, fungierte Wampum als Hauptzahlungsmittel für interethnische sowie einige intraethnische Transaktionen und stellte auch die primäre Entlohnungsform für die Beschäftigten der West-Indischen Kompanie dar. Der Wert von Wampum sowie ebenfalls zirkulierenden Schuldscheinen wurde vor allem durch die anhaltende Nachfrage nach Biberpelzen auf dem europäischen Markt sowie Sicherstellung eines korrespondierenden Angebots durch die Indianer gewährleistet. Biberpelze wurden zudem für Transaktionen mit höherem Nennwert sowie zum Begleichen angehäufter Schulden verwendet. Die Materialität von Wampum ermöglichte dabei ein hohes Maß an Haltbarkeit, Teilbarkeit und Portabilität – Eigenschaften, die die Transaktionskosten gering halten. Genau dieses System gestattete erst die Implementierung geldpolitischer Maßnahmen. Durch ein Anpassen des Wechselkurses zwischen idealem Geld (gulden-stuiver-penning) und Wampum sowie idealem Geld und Biber, konnte die politische Autorität Einfluss auf den Zirkulationsgrad beider Währungsformen nehmen. Wie Fantaccis klare Analyse des monetären Systems der Renaissance zeigt, kann ein derartiges bimediales Währungssystem sein Hauptziel, in seinen Worten „to keep coins circulating as a medium of exchange, rather than accumulating as a store of wealth, providing domestic trade with a sufficient medium of exchange, without altering international commitments“ nur durch das Aufrechterhalten einer „more radical complementarity between money and goods“48 erreichen. Überträgt man diese Einsichten auf die Si-

48 Fantacci, Luca (2008): The dual currency system of Renaissance Europe. In: Financial History Review 15, S. 55-72, hier S. 72.

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tuation in den Neu-Niederlanden, bedeutet das Folgendes: Beide Zahlungsmittel sollten (1) eine ihnen korrespondierende Klasse an Objekten besitzen, mit denen sie primär getauscht werden und die beiden Zahlungsmittel sollten (2) in unterschiedlichen ökonomischen Kreisläufen verwendet werden, das heißt: Eines zirkuliert ‚extern‘, das andere ‚intern‘. Das externe Zahlungsmittel ermöglicht durch seinen beständigen Wert die Aufrechterhaltung des so bedeutsamen Vertrauens zwischen Händlern in Europa und Nordamerika; der Wert des internen Zahlungsmittels kann sich dann an je spezifische Gegebenheiten anpassen, sodass der interne Handel nicht externen Einflüssen unterliegt. Ist dies nicht der Fall, können Fluktuationen im Wert des internen Zahlungsmittels, aus diesem Grund von Fantacci mit dem mittelalterlichen Begriff ‚black money‘ bezeichnet, ökonomisch dazu genutzt werden, Störungen des Wertes des externen Zahlungsmittels, Fantaccis ‚white money‘, hervorzurufen.49 Es ist offensichtlich, dass sich die Situation in der Renaissance drastisch von der in den Neu-Niederlanden unterscheidet. In Neu-Amsterdam und Fort Orange wurden beide Zahlungsmittel als Waren gegeneinander getauscht und Wampum zirkulierte zugleich als internes wie externes Zahlungsmittel.50 Nichtsdestotrotz ermöglichten das rigorose Vorgehen gegen Schmuggel und Piraterie, die strenge Regulierung des Pelzhandels sowie das Handelsmonopol einen recht reibungslosen Ablauf interner wie externer Austauschprozesse. Der politische Souverän, sei es die West-Indische Kompanie selbst oder nach der Etablierung von patroonships reiche Bürger der Niederlande wie Kilian van Rensselaer,51 war durch seine Machtfülle in der Lage, interne von externen Geldkreisläufen abzukoppeln und so einen weitestgehend ungehinderten Ablauf der Wirtschaft sicherzustel-

49 ‚White‘ und ‚black‘ sind die von Fantacci verwendeten Adjektive. Sie gehen zurück auf im Mittelalter verwendete Begriffe, siehe u.a. Oresme, Nicolas von (1999): De mutatione monetarum. Traktat über Geldabwertungen, Berlin: Kulturverlag Kadmos. Hier sei nur auf ähnliche bereits erwähnte semantische Einkleidungen verschiedener Geldformen, zum Beispiel bei den Luo, verwiesen. Prinzipiell haben wir es hier mit einem System zweier Tauschsphären zu tun. 50 Siehe Van der Donck (2008/1655), hier S. 95: „Among our people, too, it is in general use for buying everything one needs“, sowie Fernow (1897), hier Band II, S. 6: „[…] the rather as no money circulates in this country among the common people but zeewan, being beads that must be traded with the Indians, and a year and a day can expire before beavers are bartered therefore […].“ 51 Siehe die exemplarische Biografie Venema, Janny (2010): Kiliaen van Rensselaer (1586-1643). Designing a New World, Hilversum: Verloren.

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len.52 Besonders aufschlussreich sind dabei innerhalb des patroonships aufgehängte Plakate, die, sollten private Händler in das Gebiet vordringen, mit erheblichen Konsequenzen drohen: „[…] keiner der Einwohner der Kolonie sollte sich erdreisten, unter welchen Voraussetzungen auch immer, irgendetwas an irgendeinen ausländischen Bewohner oder privaten Händler zu verkaufen oder von ihnen zu kaufen, noch sie allererst in ihr Haus einlassen, sie ohne vorherige Genehmigung dort aufnehmen oder ihnen gar in irgendeiner Form Hilfe anbieten. Falls jemand konträr zu diesen Anweisungen handelt, werden zunächst, ohne Ermöglichung einer Verteidigung, zweihundert Gulden beschlagnahmt. Kommt das Vergehen ein weiteres Mal vor, wird der Schuldige exekutiert.“53

Jede Erhöhung der Menge an zirkulierendem Wampum konnte aufgrund der rigorosen Trennung der beiden Austauschsphären das reale Preislevel nicht beeinflussen und wurde daher einfach akzeptiert: Inflation war unmöglich und die Tauschraten zwischen Indianern und Niederländern konnten permanent nur durch Angebote anderer Marktteilnehmer, die bessere Preise boten, gestört werden.54 Ein langsamer Anstieg des nominalen Wertes einzelner Güter würde die Kolonisten gar von einem Einstieg in den Tausch mit Indianern abhalten und so die interne Wertzirkulation sicherstellen. Zusammengefasst: Ein bimediales Währungssystem ist auf eine politische Kraft angewiesen, die beide Geldkreisläufe separat hält, um so Konfusion zu vermeiden. Die West-Indische Kompanie 52 Vgl. exemplarisch die Anordnung im patroonship Kiliaen van Rensselaers vom 20. Juli 1932 in Van Laer (1908), S. 208: „The seawan, pearls, minerals, crystals or similar things which any one of them may find or obtain he must deliver into the hands of the officer, who shall keep the same in safety and at the first opportunity have report thereof made to the patroon in order that he may take proper measures in regard to the same.“ 53 Ebd., S. 627; [„(…) none of the inhabitants of the said colony, shall presume, under any pretense whatsoever, to buy, sell, exchange, barter, or trade anything from, to or with any of the foreign residents and private traders, not to take them into their houses or lodge them without previous consent, much less to render them any assistance, wholly or in part, directly or indirectly, on forfeiture (if any one should act contrary hereto) of 200 guilders Dutch, and, the second time, of life and property, everything subject to immediate execution, without defense or contradiction.“] 54 Ein frühes Beispiel dieses Problems stellt die Reise van den Bogaerts (1991) in das Gebiet der Mohawk dar. Sie wurde hauptsächlich unternommen, um den französischen Einfluss auf den Biberpelzhandel zu untersuchen. Für ein weiteres Beispiel siehe De Rasieres bereits mehrfach zitierten Brief.

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war aufgrund ihrer politischen Macht demnach in der Lage, Wampum innerhalb der eigenen politischen Sphäre als Zahlungsmittel zu verwenden, außerhalb als Ware. Eine Möglichkeit, die aus der inhärenten Instabilität des Systems folgenden Probleme vermeintlich elegant zu umgehen, ist die Reduktion des bimedialen monetären Systems in ein monomediales, mit anderen Worten: Politisch zu agieren, bevor Marktmechanismen die Gegebenheiten neu ordnen.55 Eine Loslösung des Wampum- und Biberwertes von der Werteinheit würde den Wert beider in direkte Kausalität zu Marktkräften bringen, beiden so den Geldcharakter absprechen und die Kontrolle ihres Wertes jenseits politischer Entscheidungen verorten; ein Prozess der sich, wie wir im Folgenden sehen werden, jedoch autonom vollziehen sollte.

55 Die Bemerkung vom 26. März 1658 zeigt, dass derartige Maßnahmen ernsthaft diskutiert und in Erwägung gezogen wurden: „Send inventory of the goods arrived in the little ship, named de Hey, shipped for the account of the Swedes to the South River. Raise objections against keeping the books in Holland money, on account of the fluctuations in the value of the Seawant and Beavers.“ Siehe Shattuck, Martha Dickinson (Hg.) (2011): New Netherland Papers, c. 1650-1660. From the Collected Papers of Hand Bontemantel, Director of the Amsterdam Chamber of the West India Company, Held by the New York Public Library, Albany: New Netherland Research Center and the New Netherland Institute, hier S. 51. Vergleiche mit einer Bemerkung der Kompaniedirektoren in einem Brief an Stuyvesant, 20. Mai 1658 in Fernow (1883), S. 417: „[…] nor have we any objection to the keeping of two cash accounts in these two values, if they are finally reduced to Holland currency pursuant to the above mentioned instructions, which we recommend you to observe and follow in every part and point.“

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D ER K AMPF

UM EINE L ÖSUNG DES MONETÄRER I NSTABILITÄT

P ROBLEMS

Ein gutes altes Gesetz ist nicht um eines neuen, möglicherweise besseren Gesetzes abzuschaffen, außer es liege ein großer Unterschied in ihrer Güte vor. Denn solche Veränderungen lassen die Ehrfurcht und Autorität vor den Gesetzen in hohem Maße schwinden […]56 NICOLAS VON ORESME ÜBER GESETZLICH ANGEORDNETE

VERÄNDERUNGEN DES GELDWER-

TES

Durch fortschreitende Liberalisierung der Ökonomie, das heißt beginnender Entkoppelung von politischer und ökonomischer Macht konnte das bimediale Währungssystem nicht mehr länger aufrechterhalten werden. Nach der Öffnung des Pelzhandels für burghers der Neu-Niederlande 1639 und der Etablierung einer autonomen Gerichtsbarkeit in Neu-Amsterdam 1653 schwindet die politische Einflussnahme auf die verschiedenen Geldkreisläufe. Die ineinander verschränkten Prozesse der Auflösung monetärer Stabilität und des Verlustes politischer Souveränität werden in Gang gesetzt: Wampum wird zugleich politisch kontrolliertes und akzeptiertes Zahlungsmittel sowie von allen Bürgern getauschte Ware. Der Versuch, in Analogie zu dem Pequot-Krieg 1634-36 und den sich daran anschließenden Tributforderungen an die Indianer, die durchaus auch als gelungener Versuch des Wiedergewinnens monetärer Souveränität gesehen werden können,57 fordert auch der 1638 als Direktor eingesetzte Willem van Kieft am 15. September 1639 erstmalig in großen Mengen Wampum von indianischen Gruppierungen: „Da die Kompanie große Ausgaben für den Bau von Forts und die Versorgung der Soldaten tragen muss, hat sie sich dazu entschlossen, von den Indianern Pelze, Mais oder Wampum zu verlangen, da wir sie bisher gegen ihre Feinde verteidigt haben. Falls es einen

56 Oresme (1999), S. 19. 57 Diese Argumentation findet sich in Ceci, Lynn (1990b): The Effect of European Contact and Trade on the Settlement Pattern of Indians in Coastal New York, 1524-1665, New York: PhD Dissertation.

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Stamm geben sollte, der nicht einwilligt, werden wir ihn mit den nötigen Mitteln dazu anleiten.“58

Dass sich diese Forderungen zeitlich direkt an die Öffnung des Pelzhandels anschließen, verdeutlicht den Zusammenhang von Liberalisierung und politischem Kontrollverlust. Eine weitere mögliche und weniger kriegerische Reaktion auf eine derartige Situation wäre die Einführung eines Zirkulationsmediums, das erneut einen externen und einen internen Geldkreislauf etabliert und beide getrennt hält. Vor diesem Hintergrund wird auch die stetig wiederkehrende Nachfrage nach Silbermünzen verständlich, die in den Dokumenten erstmals nach der Handelsliberalisierung 1639, dann jedoch regelmäßig, auftaucht.59 Bezüglich derartiger Nachfragen sind sich die Direktoren der Kompanie – nicht zuletzt durch ihr immer noch merkantilistisch geprägtes Wirtschaftsverständnis – über die Notwendigkeit bewusst, die Silbermünzen nicht an Indianer oder Engländer zu verlieren, mit anderen Worten: Die beiden Geldsphären getrennt zu halten. So hinterfragen sie in einem Brief an Stuyvesant vom 13. Februar 1659 mit Hilfe des schon damals bekannten Gresham’s Law60 scharfsinnig die Möglichkeit, Silbermünzen innerhalb der neu-niederländischen Wirtschaft zu halten: „Auch wenn Direktor Stuyvesant in seinem Brief schreibt, dass es sehr erstrebenswert sei, Münzen in die Neu-Niederlande zu bringen, sehen wir keine Möglichkeit hierzu, denn es gibt in der Welt jede Menge Orte, an denen man keine Münzen findet, so zum Beispiel entlang der Goldküste Afrikas, wo sie aufgrund des Verlangens nach einer Währung Stof58 Fernow, Berthold (Hg.) (1881): Documents relating to the History and Settlements of the Towns along the Hudson and Mohawk Rivers (with the Exception of Albany) from 1630 to 1684, Albany: Weed, Parsons and Company, hier S. 6; NYCM 4, S. 49; [„Whereas the Company has to bear heavy expenses both for the erection of fortification and the maintenance of soldiers and sailors, therefore we have resolved to levy some contributions either in peltries, maize or wampum from the Indians residing hereabout, whom we have hitherto protected against their enemies and if there be any tribe, who will not willingly consent to contribute, we shall endeavor to induce them to do so by the most suitable means.“] 59 Eine Sitzung im Gericht von Neu-Amsterdam am 12. Oktober 1661 setzt sich dezidiert mit diesem Problem auseinander. In: Fernow (1897), Band III, S. 382 f. 60 Das nach Thomas Gresham benannte Gesetz beschreibt den folgenden Mechanismus: Existieren zwei, von ihrem Materialwert unterschiedliche Zahlungsmittel mit gleichem Nominalwert wird dasjenige Zahlungsmittel, das über den höherem Materialwert verfügt, der Zirkulation entzogen und gehortet.

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fe, kleine Muscheln oder andere Objekte mit kleinem Wert […], denn alles wird als Währung akzeptiert solange man ihm einen Wert zuschreibt und ein Nutzen aus ihm gezogen wird. Selbst wenn wir eine Möglichkeit sähen und die Kapazitäten besäßen, Münzen in die Neu-Niederlande zu bringen, scheint es uns nicht erreichbar, dass sie dort bleiben […]. In Brasilien machten wir die gleiche Erfahrung, denn obwohl der Gold- und Silbergehalt der Münzen um fünfundzwanzig bis dreißig Prozent reduziert wurde, exportierte man die Münzen wieder.“61

Dass auch Stuyvesant – auf der anderen Seite des Atlantiks mit dem ersten Esopuskrieg beschäftigt und eventuell darauf spekulierend, seine politische Position innerhalb der Kolonie zu stärken – sich der ökonomischen Notwendigkeit, eingeführte Silbermünzen innerhalb der niederländischen Ökonomie zu halten, bewusst ist, zeigt ein Brief vom 21. April 1660, in dem er die Etablierung eines geschützten Marktes nahelegt.62 Es ist jedoch eine ökonomische Binsenweisheit, dass ein solcher Schachzug einhergehen muss mit politischen Kontrollmaßnahmen. Hier, wie in vielen anderen politischen Entscheidungen, überschätzt Stuyvesant das Maß seiner Kontrolle über die Kolonie, die zu diesem Zeitpunkt noch immer größtenteils unerkundet ist und deren Florieren mehr als wahrgenommen auf einem Sammelsurium von indigenen Übersetzern,63 Gönnern, Pira61 Fernow (1883), S. 428; NYCM 13, S. 1; [„Although Director Stuyvesant says in his private letter, that it would be very desirable, if coin could be brought to New Netherland, we see as yet no chance for it, there being many more places in the world, where this kind of currency is not to be found, as for instance among the people along the Gold Coast of Africa, where for want of it they make shift with some kinds of dress goods or small shells or other objects of little value, which for all that has quite as good a circulation, for anything will pass as currency in trade, as long as a value is placed upon and benefit derived from it. Even if we saw any chance and had the means to bring coin into the country, we see no way of keeping it there (…). The experience in Brazil has taught us the same lesson, for notwithstanding that the gold and silver coins were made 25 to 30 p. ct. lighter, specie could not be held there, but was exported.“] Das Zitat ist auch bemerkenswert, da die Direktoren, entgegen dem Zeitgeist, den Ursprung des Wertes einer Währung weniger im Objekt als in der Zuschreibung durch Subjekte zu verorten suchen. 62 Ebd., S. 471; NYCM 13, S. 96; Stuyvesant behauptet, „[…] that the importation of no other small currency, than silver, should be allowed here, which we believe can be done when beavers, tobacco and other things are brought and kept here under the Dutch market.“ 63 Siehe beispielhaft Jennings, Francis (1981): Jacob Young: Indian Trader and Interpreter. In: Sweet, David G./Nash, Gary B. (Hg.): Struggle and Survival in Colonial Ame-

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ten sowie wohlhabenden Handelsfamilien beruht.64 Die beiden anderen, bereits erwähnten Möglichkeiten sind einerseits die Demonetarisierung des Wampum, das heißt in anderen Worten die vollständige Kommodifizierung, einhergehend mit der Etablierung eines allein auf Kredit und Biberpelzen beruhenden Systems, andererseits ein ständiges Anpassen des Tauschverhältnisses an die ökonomische Situation.65 Die Lösungsvorschläge, die in den Briefen Stuyvesants und den Direktoren in Amsterdam ausgetauscht werden, schwanken zwischen diesen beiden Maßnahmen. Versuche, die Tauschverhältnisse an die ökonomische Situation anzupassen, stellen die Anordnungen vom 18. April 1641 und 30. Mai 1650 dar.66 Die Anordnungen vom 3. Januar 1657, 29. November 1657, 11. November 1658 und 28. Dezember 166267 hingegen sind in ihren Formulierungen und Zielsetzungen eigenartig ambivalent. In der von De Deckere kritisierten Anordnung vom 11. November 1658 wird sowohl der Wert von Wampum reduziert als auch – für Transaktionen mit Werten über 24 gulden – Wampum demonetarisiert. Eine derartige Regelung ruft zum einen enorme Konfusion hervor, zum anderen ist ihre politische Aufrechterhaltung äußerst problematisch. Wie De Deckere bemerkt, führt dies zu der „[…] Absurdität und zum Widerspruch, zu wissen, dass Wampum an einer Stelle zur Ware deklariert und an der anderen Stelle in seinem

rica, Berkeley: University of California Press, S. 347-361 sowie Meuwese, Marcus P. (2003): „For the peace and well-being of the country“: Intercultural Mediator and Dutch-Indian Relation in New Netherland and Dutch Brazil, 1600-1664, Notre Dame, Indiana: PhD Dissertation. 64 Vgl. dazu Rink, Oliver A. (1991): New Netherland and the Amsterdam Merchants: Unraveling a Secret Colonialism. In: McClure Zeller, Nancy Anne (Hg.): A Beautiful and Fruitful Place. Selected Rensselaerwijck Seminar Papers, Albany: New Netherland Publishing, S. 269-282. 65 Dass zentral festgelegten Reduktionen zugleich Reduktionen in den patroonships folgten, wird im folgenden Zitat deutlich: „In regard to the proposal made the honorable director about the ordinance concerning the depreciation of loose seawan, issued and communicated to us by the honorable general and council of New Netherland, we report that we are forced to follow it, for the reason that otherwise we should draw all the unstrung seawan from the Manhatans to the colony, to the considerable loss and damage of the honorable patroon and the inhabitants.“ Siehe Van Laer (1922), S. 155 f. 66 O`Callaghan. (1868), S. 26, S. 115; NYCM 4, S. 90, S. 352. 67 Ebd., S. 289, S. 317, S. 357 und S. 433; NYCM 16, S. 98, S. 119, NYCM 8, S. 1023 und NYCM 10 S. 299

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Geldwert reduziert wird […]“68. De Deckere ist sich zudem der Tatsache bewusst, dass nach einer Reduktion des Geldwertes von Wampum für gewöhnliche Güter „nicht weniger Gulden als vor der Reduktion bezahlt“69 würden. Drastischer formuliert er dann abschließend, dass eine Wertreduktion des Wampum „sinnlos und ohne Akzeptanz“70 bliebe. Solange der politisch gesetzte Wert höher liege als der auf dem Markt verhandelte, sei zu erwarten, dass er sich in alltäglichen Kaufprozessen schlicht an den Marktwert anpasse.71 Es sei gar damit zu rechnen, dass ihr Informationsvorsprung bezüglich geplanter Angleichungen des Wampumwertes regierungsnahen Händlern einen ungerechtfertigten Vorteil verschaffe.72 Der Vorschlag der Direktoren in Amsterdam, mit einer weiteren Reduktion des Wertes fortzufahren, stellt also nichts weiter dar als eine Überschätzung der Reichweite der politischen Kontrolle Stuyvesants bis in marktwirtschaftliche Anpassungsprozesse, die sich im Schatten der Alltäglichkeit fern von Neu-Amsterdam und dem Einfluss des Direktors ereigneten: „[…] eine Reduktion des Wampumwertes wird den Preis aller Waren und Güter drücken und der Arbeiter ebenso wie die Menschen allgemein werden mehr von ihr profitieren als die Indianer. So oder so ist eine Reduktion notwendig, sodass sich der Wert des Wampum nicht noch weiter verringere, denn momentan fungiert es anstelle von Silber und Gold als Tauschmedium zwischen Individuen. […]. Wie wir bereits sagten scheint uns kein ange68 De Deckere (1658), S. 1027; [„(…) absurditeyt of contradictie, te weeten, datmen ter eender plaetse het zeewandt is verclarende voor een commoditeyt ende ter andere plaetse als gelt is reducerende (…).“] Für ein ähnliches Urteil siehe die Schlussfolgerung einer Gruppe von Händlern nach einem Treffen in Neu-Amsterdam am 8. Januar 1657 in Fernow (1897), Band II, S. 260: „Maintaining that changing the rate of the zeewan will not make any thing cheaper nor afford any person better accomodation, but create considerable confusion.“ 69 De Deckere (1658), S. 1028; [„nu niet minder guldens, als voor desen betaelt“]. 70 Ebd.; [„ijdel ende sonder gevolch“]. 71 Neben den auf quantitativen Verhältnissen beruhenden Wertanpassungen lassen sich auch solche beobachten, in denen bei Wampumzahlungen die Qualität der Perlen unterschieden wurde, siehe zum Beispiel de Hooges, Anthony (1647): Promissory Note of De Hooges to the Deacons of Rensselaerswijck. In: New York State Library. Van Rensselaer Manor Papers. De Hooghes Memorandum Book. SC7079 Box 31, S. A68, wo „ordinaris Sewan“ [„alltägliches“] von jenem unterschieden wird, welches qualitativ „boven“ [„darüber“] ist. 72 Siehe zur Bedeutung von Informationsassymmetrien auf Basaren Geertz, Clifford (1978): The Bazaar Economy: Information and Search in Peasant Marketing. In: The American Economic Review 68, S. 28-32.

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messener Weg zu existieren als eine weitere Reduktion. Wir weisen euch an, diese ohne Verzögerung in die Tat umzusetzen, denn ihr werdet sehen, dass das Wampum an Wert gewinnen wird und Händler wie Bauer dadurch zufriedener sein werden.“73

Diese Überschätzung wurde durch den merkantilistischen Glauben an den inhärenten Zusammenhang von politischer und ökonomischer Macht unterfüttert74 und durch die Struktur der Westindischen Kompanie sicherlich noch verstärkt, die, ebenso wie die Ostindische Kompanie, zumindest in Teilen einem militärisch-ökonomisch-politischen Bürokratiemonster glich. Des Weiteren unterschätzt Stuyvesant die Fähigkeit der Indianer, sich schnell und effizient an neue Wechselkurse zu gewöhnen. Eine Gruppe von Händlern gibt der Angst vor derartigen Anpassungen bei einem Treffen in Neu-Amsterdam betreffs der Reduktion des Wampumwertes am 8. Januar 1657 Ausdruck: „Die Indianer werden auf der Stelle davon Wind bekommen und für alles mehr verlangen. Sie werden dadurch reicher werden und man kann, aufgrund von Erfahrungen, davon ausgehen, dass man von ihnen zukünftig nichts zu einer geringeren Rate erwerben kann.“75

73 Fernow (1883), S. 428; NYCM 13, S. 1; [„(…) a general reduction will cheapen all commodities and goods and therefore the laborer and the people generally will profit more by it, than the natives. Anyway the general reduction is necessary, so that it cannot be cried down still more, for at present it has yet to serve in the place of silver and gold coin as change between individuals (…). As we said before, we see therefore no other nor better way, than to prevent a further crying down of wampum by a general reduction of it. We have resolved to direct you to do this there without delay, for you will undoubtedly discover, that the wampum is held at a higher value and therefore the tradesman and the farm-laborer will be better satisfied and encouraged thereby.“] Siehe für eine Argumentation, die ganz ähnlich die Wirkungslosigkeit politischer Maßnahmen während der schwedischen Währungskrise zu Beginn der 1990er Jahre postuliert Peebles, Gustav (2004): The Crown Capitulates: National Currency and Golbal Capital in the Swedish Currency Crisis. In: Garsten, Christina/Lindh de Montoya, Monica (Hg.): Market Matters. Exploring Cultural Processes in the Global Marketplace, Basingstoke: Palgrave, S. 180-206 74 Eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Idee findet sich in Viner, Jacob (1948): Power versus Plenty as Objectives of Foreign Policy in the Seventeenth and Eighteenth Centuries. In: World Politics 1, S. 1-29. 75 Fernow (1897), S. 260 f.; [„The Indians, who will know it immediately, will charge more for everything and will enrich themselves, and consequently can never be brought to the previous rate, of which there are examples.“]

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Eine derartige Situation ökonomischer Unplanbarkeit erhöht nun die Gefahr interner Auseinandersetzungen über die Tilgung eingegangener Schulden. Dies erklärt die steigende Anzahl an Versuchen, ausstehende Schulden mit dem ‚unsicheren‘ Wampum anstelle von Biberfellen abzugleichen.76 Selbst wenn der Marktwert des Wampum dem des Bibers entsprechen würde, lassen die Kosten der Werttransformation von Wampum in Biber, mit dem ausstehende Schulden in Europa bezahlt werden konnten, derartige Versuche wie sie im folgenden Zitat, einer Nachricht des Bruders von Jeremias van Rensselaer an diesen, deutlich werden, nachvollziehbar erscheinen: „[…] treib die Schulden all meiner Gläubiger ein und versuch irgendwie an Biber heranzukommen, sodass wir aus der Kolonie Profit schlagen.“77 In einer Situation, in der der Wert des Wampum zunehmend unsicherer wird, Wampum also seine Rolle als „Magnet“78 der Kapitalakkumulation verliert und „schurkisch“79 wird; in dem Moment also, wo sich das ‚Gold der Indianer‘ als schlechtes Imitat erweist, verliert es seine Fähigkeit, das Vertrauen in fortlaufende Kreditbeziehungen weiter zu tragen. So kommt es keinesfalls einem Zufall gleich, dass die gerichtlich eingeforderten Schuldrückzahlungen in Fort Orange von 18 im Jahre 1652 auf 156 im Jahre 1658 ansteigen. Dass diese jedoch häufig schlicht und ergreifend aufgrund ökonomischer Krisen nicht zurückbezahlt werden konnten, illustriert die Antwort von Jeremias 76 Ebd., passim. Es wäre sicherlich gewinnbringend, die Probleme in den NeuNiederlanden mit dem Wechsel von bimedialen Silber-Gold- zu monomedialen GoldGeldsystemen Ende des 19. Jahrhunderts zu vergleichen. Flandreau argumentiert für eine Grundstabilität jedes bimedialen Systems, da Schulden in diesem zumeist im weniger wertvollen Geldmediums abgeglichen würden, was die Nachfrage nach und somit den Wert des weniger wertvollen Geldes sukzessive erhöhe. Das Problem einer Übertragung dieser Argumentation auf die Verhältnisse in den Neu-Niederlande besteht darin, dass die Abgleichung der Schulden im ‚schlechteren‘ Geld gesetzlich eingefordert werden können muss. In den politisch relativ unkontrollierbaren NeuNiederlanden sicherlich eine Herausforderung. Siehe Flandreau, Marc (1996): The French Crime of 1873: An Essay on the Emergence of the International Gold Standard, 1870-1880. In: The Journal of Economic History 56, S. 862-897. Es verwundert kaum, dass die Vorteile eines bimedialen Systems vor allem von jenen Ökonomen betont werden, die den Einfluss a-ökonomischer Faktoren generell vernachlässigen, siehe u.a. Friedman, Milton (1990): Bimetallism Revisited. In: Journal of Economic Perspectives 4, S. 85-104. 77 Van Laer (1932), S. 201; [„ (…) but you must collect all that is outstanding and try to convert it into beavers, in order that we may get some returns from the colony.“] 78 Weeden (1884), S. 15; [„magnet“]. 79 Fernow (1883), S. 451; NYCM 13, S. 56; [„villainous“].

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van Rensselaer auf die oben zitierte Bitte seines Bruders Jan: „Es ist noch immer schwierig, ausstehende Schulden einzutreiben, denn es gibt keine Biber, egal, wie oft ich zu den Leuten gehe oder mit welchen Konsequenzen ich ihnen drohe.“80 In dieser Zeit, so könnte man sagen, veränderte sich die hierarchische Struktur des monetären Systems grundlegend. Die Recheneinheit – hier auch verstanden als die Einheit, in und auf welche die an der Wirtschaft teilnehmende Individuen zählen, in und mit der sie rechnen – wechselte von gulden zu Biberpelzen, die zum ‚idealen‘ Geld wurden. Die exponentiell zunehmenden Rückzahlungsforderungen eingegangener Kredite in Form des relativ wertstabilen Bibers führen wiederum zu erneuten Investitionen in den pelzigen Hoffnungsträger. Wir beobachten hier den Mechanismus den Aglietta und Orléan als Homogenisierung beschreiben und auf den wir bereits weiter oben anhand der Diskussion des Fetischcharakters des Bibers zu sprechen gekommen sind. Während wir dort die Gründe der Entstehung des Biberfetisches analysiert haben, soll es im Folgenden darum gehen, die Auswirkungen desselben in seiner Rolle als heterologes, durch affektive Prozesse verklärtes Element innerhalb der Ökonomie der Neu-Niederlande auf diese selbst näher zu untersuchen. Es wird sich zeigen, dass innerhalb der neu-niederländischen Kolonie eine Verschiebung der Souveränität von dem politischen Akteur (West-Indische Kompanie) zum apolitischen Objekt (dem Biber) stattfand. Eine historische Entwicklung, die die bereits bestehende politische Legitimationskrise verstärkte.

80 Van Laer (1932), S. 237. Das Zitat entstammt einem Brief vom 14. September 1660; [„The situation as regards the collection of your outstanding accounts and those of the other friends remains as bad as before, for there are no beaver to be had, no matter how often I go to see the people or how I threaten them.“]

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D ER B IBER ALS F ETISCH ODER DIE HETEROLOGE K ONSTITUTION DER K OLONIALÖKONOMIE Det Doktor- und Apothekerjeld, det jeb ick doch lieber für Pelzwerk aus. Da hebb ich ooch noch’n Vernjüjen all81 GERHART HAUPTMANN, DER BIBERPELZ. EINE DIEBESKOMÖDIE

Die bereits erwähnten Liberalisierungsprozesse führten in den Hauptzentren des Bibertausches – vor allem in Fort Orange, Rensselaerwijk und im erst 1651 zur Hochzeit der Bibermanie gegründete Beverwijk82 – zu einer erhöhten Konkurrenz zwischen den einzelnen Händlern. Jeder Einwohner mochte vom Biberhandel profitieren; die Handelszeit (handelstijd) zwischen Mai und November wurde in den strategisch günstig liegenden Siedlungen zum totalen sozialen Phänomen,83 die Reproduktion der neu-niederländischen Kolonie in ihrer Gesamtheit ruhte allein auf den Schultern des Bibers, „sans rêve et sans merci“ 84. Alle rationalen Erwägungen beiseitegeschoben, diente er als Hoffnungsstifter in der alternierenden Phase der doppelten sozialen Morphologie85: In einem Moloch aus Eis und Frost, abgeschnitten von der Außenwelt, von den letzten Resten zehrend, die der castor sacer im vergangenen Jahr eingebracht hatte, wartete man zitternd auf den Beginn der handelstijd. Mitte Juni strömten dann Menschen aus den entferntesten Ecken der Neu-Niederlande nach Beverwijck, Rensselaerwijck und Fort

81 Hauptmann, Gerhart (1962): Der Biberpelz. Eine Diebeskomödie. In: Ders.: Ausgewählte Werke, Band II, Berlin: Aufbau, S. 5-70, hier S. 17. 82 Siehe zur Geschichte Beverwijks Venema, Janny (2003): Beverwijck. A Dutch village on the American frontier, 1652-1664, Hilversum: Verloren. Bereits 1660 ist Beverwijk mit über 1000 permanenten Einwohnern die zweitgrößte Stadt der NeuNiederlande. 83 Vgl. Merwick, Donna (1991): The Rituals of Handelstijd: Beverwijck, 1652-1664. In: McClure Zeller, Nancy Anne (Hg.): A Beautiful and Fruitful Place. Selected Rensselaerwijck Seminar Papers, Albany: New Netherland Publishing, S. 317-326. 84 Benjamin (1991), S. 101. 85 Siehe zur doppelten sozialen Morphologie der Eskimo Mauss, Marcel (1974): Über den jahreszeitlichen Wandel der Eskimogesellschaften. Eine Studie zur Sozialen Morphologie. In: Ders.: Soziologie und Anthropologie I, München/Wien: Hanser, S. 181278.

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Orange. Häufig nicht um Gewinn zu machen, sondern um ihre Schulden zu begleichen, die sich im Laufe des letzten Jahres summiert hatten. Die zunehmende Liberalisierung des Handels ließe sich vor diesem Hintergrund ebenso gut als eine zunehmende Souveränitätsverschiebung weg vom politischen Subjekt (der Westindischen-Kompanie) hin zum apolitischen Objekt (dem Biber) lesen und das durchaus im Sinne Carl Schmitts: Der Biber entscheidet über den Ausnahmezustand.86 So führten in den 1650er Jahren weder die Ausschöpfung des Bibervorkommens noch die durch die Aufgabe von Wampum in den neuenglischen Kolonien verursachte Überflutung des neu-niederländischen Wirtschaftsraumes mit Wampum zu inflationären Prozessen,87 sondern einerseits der Rückgang des Biberpelzpreises in den Niederlanden beziehungsweise die Abhängigkeit des Biberwertes von den ökonomischen Verhältnissen in patria und andererseits die Geldpolitik der Irokesen und die erhöhte Konkurrenz in den Neu-Niederlanden, die die Menge an Wampum ruckartig und unkontrolliert in die Höhe schießen ließ. Die durch die Liberalisierungsschübe ausgelösten Hoffnungen erwiesen sich als bloße Chimären und die in höchstem Maße verschuldeten Kleinhändler sind Zeichen einer Verschärfung der Unterschiede zwischen reichen und armen Neu-Niederländern. Die Gerichtsakten Fort Oranges berichten von Auseinandersetzungen über die Zulassung von bis dato verbotenen indigenen Zwischenhändlern, die von den liquideren Händlern (‚principaelste handelaers‘) angestrebt wurde. Da nur sie die notwendigen Mittel zur Bezahlung der Indianer besaßen, hätte eine derartige Maßnahme den ‚kleinen Mann‘ (‚geemene handelaers‘) vom Biberhandel ausgeschlossen, es ihm unmöglich gemacht, seinen ‚Biber zu verdienen‘.88

86 Siehe auch Mbembe (2001), S. 111: „By exercising raw power, the fetish, […] takes on an autonomous existence. It becomes unaccountable […].“ Die als ‚Hutmachersyndrom‘ bekannt gewordene und durch psychotische Episoden, Zittern und Gedächtnisverlust gekennzeichnete Quecksilbervergiftung, Berufsrisiko der Hutmacher des 18. Jahrhunderts, illustriert, dass der Biber auch in Europa seine Opfer forderte. 87 Vgl. zu diesem Problem u.a. den Versuch einer Preisfestsetzung Ende des Jahres 1653, siehe Gehring, Charles T. (Hg.) (1991): Laws and Writs of Appeal 1647-1663, Syracuse: Syracuse University Press, hier S. 35 ff. 88 Gehring, Charles T. (Hg.) (1990): Fort Orange court minutes, 1652-1660, Syracuse: Syracuse University Press, hier S. 501, siehe auch die Betonung in einem Brief Jeremias van Rensselaers: „He replied that he did not want wheat and again sang the old song about beavers, which presently will do duty again“, siehe Van Laer (1932), hier S. 219.

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Abbildung 7: Das Siegel der Provinz Nieuw-Nederland

Quelle: Museum of the City of New York, Print Archives

Diese Formulierung impliziert eine Erwartungshaltung, die anschaulich illustriert, inwieweit der Biber nicht nur zum Index persönlicher, sondern gesamtgesellschaftlicher Integrität geworden war, mit anderen Worten: zum ‚objet social total‘. So finden wir in einer Petition der geemenen handelaers vom 17. Juni 1660, die eine Ausweitung des Biberpelzhandels auf alle Einwohner fordert, die Gleichsetzung von Bürgerpflicht (‚civic duty‘) und Sicherstellung des Biberzuflusses für alle: „Aber da einige der armen Leute auf diese Weise ebenfalls ihren Biber verdienen könnten und damit der gesamten Gemeinschaft geholfen wäre, scheint es den Antragsstellern, die eine Mehrzahl der Leute repräsentieren, dass es, nur als Vorsichtsmaßnahme, Sinn mache, euer Ehren das förmlich mitzuteilen, was eigentlich allen Einwohnern schon bekannt ist. Die Antragsteller hoffen, dass euer Ehren gemäß ihrer Bürgerpflicht und den Begünsti-

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gungen, die ihnen durch das verehrte Vaterland zukommen, nicht tolerieren werden, dass die Gemeinschaft unterdrückt wird, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass der unwichtigste Bürger die gleichen Ansprüche besitzt wie der bedeutendste.“89

Auch Berichte von Gewalt gegenüber indigenen Händlern, die bereits außerhalb des Forts abgefangen und ihrer Felle beraubt worden waren, häufen sich.90 Die Gewalt gipfelt schließlich in den Esopus-Kriegen 1659 und 1663,91 deren Ursprung somit weniger in kulturellen Missverständnissen zwischen der indianischen und niederländischen Kultur liegen dürfte – bietet diese Idee aufgrund der Tatsache, dass die Mitglieder beider bereits seit frühester Jugend einander kennenlernten ohnehin wenig explanative Kraft –, sondern in intraethnischen Spannungen der Siedlergemeinschaft, welche sich auch in der exponentiell ansteigenden Anzahl gerichtlicher Sitzungen spiegeln, die sich mit der Einlösung von Krediten beschäftigen92 und im Kern aus der Verkennung der eigenen Situation entspringen, die gleichsam sublimierend Einbrüche des Realen außerhalb zur Aufrechterhaltung der eigenen Verblendung produzieren muss. Diese These wird durch Jeremias van Rensselaers Unklarheit über die Gründe interethnischer Spannungen nur noch unterstrichen: „[…] es gibt massive Auseinandersetzungen zwischen Christen als auch zwischen diesen und den Indianern, aber ich kann dir keinen Grund dafür nennen, denn die Indianer verhal-

89 Ebd., Herv. M.S.; [„But considering that many a poor person could earn a beaver and the community would be better served, it has seemed to the petitioners, representing a majority of the people, that as an extra precaution it would be well to submit to your honors in proper form what is well known to all the inhabitants, for the petitioners hope that your honors in accordance with your civic duty and the privileges of the praiseworthy fatherland will not tolerate that the community be oppressed, considering that the least (of the citizens) has as much right as the most (important one).“] Siehe zu ähnlichen Überlegungen Peebles, Gustav (2008): Inverting the Panopticon: Money and the Nationalization of the Future. In: Public Culture 20, S. 233-266. 90 Gehring (1990), u.a. S. 511 ff. und S. 515 ff. 91 Siehe Krieger, Capt. Martin (1851/1663): Journal of the Second Esopus War. In: O’Callaghan, E.B. (Hg.): The Documentary History of the State of New York, Albany: Charles van Benthuysen, S. 37-98. 92 Deren Zahl steigt in Fort Orange von 18 im Jahr 1652 auf 156 im Jahr 1658. Siehe auch Shattuck, Martha Dickinson (1994): A Civil Society: Court and Community in Beverwijck, New Netherland, 1652-1664, Boston: PhD Dissertation.

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ten sich äußerst angemessen, man kann, selbst jetzt wo über vierhundert von ihnen […] seit sieben Tagen hier verweilen, nichts gegen sie einwenden.“93

Das unhinterfragte Vertrauen in den Wert des Bibers hat demnach die ökonomischen Probleme der Neu-Niederlande intensiviert.94 Nicht nur, wie es der wissenschaftlich abgesicherte Konsens propagiert, die Indianer, sondern auch die niederländischen Siedler stürzten sich blind in die Hoffnung schnellen Reichtums. Während der handelstijd buken sie süßes Weißbrot und Kuchen anstelle nahrhaften Brotes,95 verkauften Alkohol an die Indianer und reparierten deren Gewehre, wobei sie es versäumten, durch Konzentration auf Produktionszweige, die unabhängig vom Pelzhandel Wert schöpfen, dauerhafte wirtschaftliche Stabilität zu etablieren.96 In einer bis in den Kern auf gegenseitigem Vertrauen und Kredit aufgebauten Gesellschaft wie der neu-niederländischen des 17. Jahrhunderts konnte dies nur zu ökonomischen und sozialen Spannungen führen.97 Die Bemerkung der Direktoren der Amsterdamer Kammer in einem Brief an Stuyvesant vom 22. Dezember 1659, die Abwertung des Wampum sei sowohl einfach durchzuführen als auch aufrecht zu erhalten, „[…] da die Kompanie mit ihren Löhnen ein Exempel statuiert und so den Preis und Wert von Wampum

93 Van Laer (1932), S. 381; [„(…) there is great trouble here both among the Christians and the Indians, but I can not give any reason why, for the Indians are behaving very well, so that not much can be said against them, even though nearly four hundred of them have been here (…) now for seven days.“] 94 Die Geschwindigkeit, mit der eine für damalige Zeiten recht gut vernetzte Familie wie die van Rensselaers Informationen über den Rückgang des Biberpreises in den Niederlanden übermitteln konnte, kann nicht als Standard für den gemeinen NeuNiederländer gelten. Gerüchte über vermeintliche Absatzschwierigkeiten dürften sich demnach recht schnell verflüchtigt haben. 95 Siehe zu diesem Problem Gehring (1990), S. 43 f., S. 46 und S. 109 f. 96 Vgl. Jacobs (2005), S. 233: „No form of industry that produced a surplus for export ever developed.“ 97 Dass dies unbewusst bereits geahnt wurde, kann nur vermutet werden. Jedoch legt die Ablehnung eines möglichen Stadtwappens für Neu-Amsterdam im Jahre 1630 dies nahe: Zwei aggressive Biber wirken als griffen sie das Emblem der Stadt an anstatt es zu schützen. Das später akzeptierte Wappen zeigt schließlich zwei Löwen, die das Emblem Amsterdams bewachen und einen verängstigt wirkenden Biber, der auf eben jenem hockt, vgl. New York Public Library, Bontemantel Collection, New Netherland Papers, box 3 (28 Dezember 1630; Guide, no. 544).

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festsetzt […]“98, kann vor diesem Hintergrund als ein weiteres Beispiel ihres irrationalen Glaubens an Stuyvesants Kontrollfähigkeit einerseits und das Vorhandensein von staatsbürgerlicher Treue andererseits gesehen werden. Eine derartige Blindheit für die eigentlichen Ursachen der misslichen Situation verschärfte wiederum die politische Legitimationskrise der neu-niederländischen Kolonie. Da der Direktor General seine Angestellten in Wampum bezahlte und so mit einem Geld ausstattete, dessen nominaler Wert seinen realen stark unterschritt – ein Biber wird im Jahre 1657 für Wampum im Wert von zwölf Gulden gehandelt99 –, drohte die Situation vielmehr zu eskalieren. Dies scheint der Grund zu sein, der schließlich dazu führt, dass Stuyvesant einlenkt und seine Machtlosigkeit bezüglich der Kontrolle alltäglicher Transaktionen anerkennt. Im Brief vom 21. April 1660, in dem er erneut um die Einführung von Silbermünzen bittet, führt er bedauernd an, dass „[…] es überhaupt keine Rolle spielt, ob nun acht oder zehn Perlen ein stuiver wert sind, denn der Händler richtet seine Preise nach der zirkulierenden Wampummenge und der Anzahl an Wampumperlen, die er für einen Biber berappen muss. Es wäre daher erstrebenswert, wie wir ihnen wiederholt versucht haben deutlich zu machen, sowohl Wampum als auch Biber, ebenso wie Tabak, zu demonetarisieren.“100 98 Fernow (1883), S. 450; [„(…) because the Company sets an example by the mode of paying their employes and thereby fixing the price and value of wampum (…).“] Dass viele Gehälter in Wampum bezahlt und Steuern in Wampum abgeleistet wurden, zeigen Gehalts- sowie Besteuerungstabellen in Fernow (1897), Band V, S. 220 ff. 99 O’Callaghan (1868), S. 317; NYCM 16, S. 119. 100 Fernow (1883), S. 471; NYCM 13, S. 96; [„ (…) it matters little, whether 8 or 10 pieces are counted for a stuiver, because the dealer marks, holds or sells, his goods, according to the abundance of wampum and the price, he has to give for beavers. It would be desirable therefore, as we have repeatedly stated to you, that wampum and beavers, as well as tobacco, should be declared an absolute commodity or merchandise.“] Die anhaltende und immer wieder auftretende Generalverdacht gegenüber englischen Händlern, die durch Einfuhr von Wampum dessen Wertlosigkeit forcieren würden, ist eher den andauernden Spannungen zwischen den Niederlanden und dem englischen Königreich in Europa geschuldet als der ökonomischen Realität in der Kolonie. So verbietet der 1651 angeordnete Navigation Acts der Engländer allen nicht-englischen Schiffen das Anlaufen neu-englischer Häfen. Diese Spannungen gipfeln schließlich in dem ersten Englisch-Niederländischen Seekrieg 1652-1654. Siehe ebd. S. 450; NYCM 13, S. 56: „This special reduction of wampum must necessarily be followed by a second, more general one, if we desire to prevent its complete debasement, caused by the abundant importation of wampum by the people of

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Das Hauptproblem der Ökonomie der Neu-Niederlande lässt sich demnach wie folgt darstellen: Die zwischen Stuyvesant und den Direktoren in Amsterdam diskutierten Ansätze zur Lösung des Geldproblems schwanken zwischen einer Wertreduktion des Wampum sowie seiner kompletten Demonetarisierung, das heißt Kommodifizierung. Dabei ignorieren die meisten dieser Entscheidungen die Notwendigkeit der politischen Anerkennung der ökonomischen Realität und den Zusammenhang zwischen geldpolitischen Maßnahmen und politischer Struktur. Wertreduktionen sind, heute wie damals, angewiesen, den durch sie geschaffenen Vertrauensverlust durch nicht-wirtschaftliche und/oder wirtschaftliche Maßnahmen sogleich wieder aufzufangen. Beide Argumentationen treffen demnach einen wunden Punkt des ökonomischen System, anerkennen jedoch nicht, dass sie politische Implikationen mit sich führen. Während die Reduktion des Wampum, um zünden zu können, einer Wiedereinführung des starken politischen Interventionismus der ersten Jahrzehnte bedürft hätte, mündete die Kommodifizierung des Wampum in einer Übervorteilung der mächtigen Händler, denen wiederum hätte Einhalt geboten werden müssen.101 Es wird hier der Gegensatz von ökonomischer Freiheit und dem primären Ziel republikanischer Politik, alle Bürgern am Gemeinwohl teilhaben zu lassen, ausgehandelt, den Pieter de la Court in den 1660er Jahren in seinem antimerkantilistischen Hauptwerk Interest van Holland, ofte gronden van Hollands-welvaren theoretisch aufzulösen versuchte.102 Ein ‚close reading‘ des Tex-

New England, who make their payments with it and take out of the country not only the best goods sent from here, but also many beavers and other furs to the detriment of the Company's revenues […].“ Was eine derartige Argumentation unhaltbar macht, ist ihre Widersprüchlichkeit: Warum sollte ein Einwohner der NeuNiederlande nutzloses Wampum eines neu-englischen Händlers annehmen, jedoch keines von seinem Nachbar und so zugleich hochwertige Güter nach Neu-England ‚verschenken‘, die dort dann gegen Biber getauscht werden? 101 Vgl. dazu den Kommentar Appadurais (1988), S. 33: „The very close historical links between rulers and traders (whether of complicity or antagonism) might partly stem from both parties being claimants for the key role in the social regulation of demand. The politics of demand frequently lies at the root of the tension between merchants and political elites; whereas merchants tend to be the social representatives of unfettered equivalence, new commodities, and strange tastes, political elites tend to be the custodians of restricted exchange, fixed commodity systems, and established tastes and sumptuary customs.“ 102 De la Court, Pieter (1662): Interest van Holland, ofte gronden van Hollandswelvaren, Amsterdam: Joan Cyprianus vander Gracht. Siehe hierzu auch Weststeijn,

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tes legt jedoch nahe, dass auch hier die Gleichsetzung von Bürgern und Händlern einem substantielleren Begriff des Bürgers nur selten Platz macht: Selbst in diesem vermeintlich progressiven Ansatz bleibt die Gefahr einer Opferung des allgemeinen Interesses zugunsten monetären Gewinns einiger übervorteilter Händler unterschwellig bestehen. Um ökonomische Stabilität zu erreichen, wäre es nötig gewesen, Wampum innerhalb des externen Handels zu kommodifizieren, innerhalb des internen Handels als Geldmedium weiter zirkulieren zu lassen, das heißt – übertragen auf die konkrete politische Lage: Erneut Handelsbarrieren sowie ein striktes Monopol auf den Pelzhandel einzuführen103 – vermeintlich merkantilistische Maßnahmen, die in diesem Fall jedoch vor allem dem ‚einfachen‘ Kolonisten zugutegekommen wären. Eine in den zeitgenössischen Dokumenten nicht diskutierte Option wäre gewesen, zu einem Herausgeber von Fiatgeld avant la lettre zu werden und damit zu beginnen, die eigenen Angestellten mit Schuldscheinen zu bezahlen, die einzig und allein durch Vertrauen in die Regierung gestützt werden. Das bereits angesprochene Problem der politischen Legitimationskrisen für diesen Moment beiseitegelassen, scheint ein derartiger Schritt aufgrund des vom Merkantilismus geerbten Glaubens an die Notwendigkeit eines intrinsischen, ‚natürlichen‘ Wertes des Geldmediums,104 der bereits in einigen Zitaten greifbar geworden sein sollte, überhaupt nicht in der Diskussion gestanden zu haben. Der Wampumkomplex kann demnach als perfektes Beispiel für den von Foucault attestierten Übergang der Episteme der Ähnlichkeit zu der der Repräsentation gesehen werden, die er in seiner Diskussion des Übergangs von prä-merkantilistischen zu klassischen ökonomischen Theorien ausmacht105: Der Wert des Wampum leitete Arthur (2012): Commercial republicanism in the Dutch Golden Age. The political thought of Johan & Pieter de la Court, Leiden: Brill. 103 Zu einem ganz ähnlichen Schluss bezüglich des Kaurihandels in Dahomey kommt Polanyi, Karl (1968): Archaic Economic Institutions: Cowrie Money. In: Dalton, George (Hg.): Primitive, Archaic and Modern Economies. Essays of Karl Polanyi, Boston: Beacon, S. 280-305, hier S. 300: „Only under early state conditions, as in Dahomey, or in the caravans connecting state and state could the cowrie shell’s excessive fluidity be neutralized.“ 104 Peebles (2008), S. 257 bemerkt über den Zusammenhang von Nationalstaaten und Nationalgeld: „Thus, in order to control the subjects […], the public authority must create new signs, but they must be radically separated from any ‚natural signs’ that might be recognized by foreigners.“ 105 Siehe dazu auch Foucault, Michel (1974): Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt am Main: Suhrkamp, hier S. 220 f.: „Bei den ‚Ökonomen‘ der Renaissance […] beruhten die Fähigkeit des Geldes, die Waren zu

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sich de facto allein aus dem Vertrauen in seine Tauschbarkeit ab, während die Neu-Niederländer nicht aufhörten, daran zu glauben, er stamme aus seinen intrinsischen Eigenschaften.

I NDIANER ALS GELDPOLITISCHE AKTEURE – Ü BER DIE E XISTENZ EINER F ISKALPOLITIK BEI DEN I ROKESEN Die inhärenten Widersprüche der neu-niederländischen Ökonomie wurden durch die – noch heute weit verbreitete – Überbetonung der Bedeutung des Wampum im Pelzhandel und den Irrglaube, Wampum sei für die Indianer primär Ware und weniger ein auf die politische Realität einwirkendes Zirkulationsmedium gewesen, noch verstärkt.106 So finden sich in der zeitgenössischen Literatur sowohl Passagen, die die Annahme stützen, dass den indianischen Gruppierungen durchaus der Unterschied zwischen Werteinheit und Zirkulationsmedium bekannt war als auch solche, die zeigen, dass Wampum auch von Indianern dazu genutzt wurde, Neu-Niederländer für ihre Dienste oder Waren zu bezahlen. In einem Brief von Kiliaen van Rensselaer an Jacob Albertsz Planck vom 3. Oktober 1636 findet sich zum Beispiel die folgende Bemerkung bezüglich der Errichtung einer Mühle: „[…] die Wilden werden froh sein, Wampum oder andere Waren, zumindest einen Teil ihres eigenen Korns, für das Mahlen des Getreides

messen, und seine Austauschbarkeit auf seinem immanenten Wert […], wenn sie [Edelmetalle, Anm. M.S.] im Warentausch benutzt wurden […], dann weil in der natürlichen Ordnung […] einen absoluten, fundamentalen und höheren als jeden anderen Preis hatten, auf den man den Wert jeder Ware beziehen konnte. Das schöne Metall war in sich Merkmal des Reichtums. […]. Aus diesem Grunde hatte es seinen Preis. Aus diesem Grunde maß es auch alle Preise. […]. Während die Renaissance die beiden Funktionen des gemünzten Metalls (Maß und Ersatz) auf der Verdoppelung seines immanenten Merkmals (die Tatsache, daß es wertvoll war) beruhen ließ, erschüttert das siebzehnte Jahrhundert diese Analyse. Es ist die Tauschfunktion, die als Grundlage für die beiden anderen Merkmale dient.“ 106 Eine der wenigen Ausnahmen stellt Ray, Arthur J./Freeman, Donald B. (1978): „Give us good measure“. An economic analysis of relations between the Indians and the Hudson's Bay Company before 1763, Toronto: University of Toronto Press dar. Ray und Freeman betonen die ökonomische Expertise der Indianer.

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herzugeben.“107 Die von Kees Waterman übersetzten Geschäftsbücher der Händlerfamilie Wendell zeigen zudem, dass ein Großteil der Transaktionen in der Form von Krediten ausgegeben wurde, und beweisen so, dass sich die Indianer der Bedeutung der Recheneinheitfunktion des Geldes durchaus bewusst waren. Außerdem lässt sich anhand dieser Geschäftsbücher nachweisen – findet sich Wampum doch nur in einigen wenigen Fällen 108 –, dass die interkulturell ausgetauschten Güter weitaus vielfältiger waren als bisher angenommen. Dass diese Annahmen die Situation angemessen beschreiben, wird auch deutlich, wenn man verschiedene weitere Passagen der Primärliteratur erneut betrachtet. Roger Williams berichtet in einem Brief an John Winthrop vom 17. August 1650, dass eine Gruppe von Küstenalgonkin offensichtlich in der Lage ist, zwischen dem vereinbarten Preis, in diesem Fall „drei hundert fathoms zur Abgleichung der Schuld und zwei hundert für diese Expedition“, und der tatsächlich bezahlten Anzahl an Wampumperlen, hier „einhundertundvierzig“ fathoms, zu unterscheiden. Die Indianer rechtfertigen diese Differenz, indem sie hinzufügen, diese sei „durch das Maß“109 zustande gekommen. Der eigentliche Wert des gezahlten Objektes konnte sich demnach vom nominalen Preis unterscheiden und war verhandelbar. Er wurde in einem abstrakten Begriff ausgedrückt (‚fathom‘), über den es ernsthafte Interpretationskonflikte geben konnte. Die Schilderung eines Landkaufes von Roger Williams aus dem Jahre 1638 soll hier ausführlich zitiert werden, um die Komplexität realer Austauschprozesse zu verdeutlichen: „[…] wir unternahmen eine Reise zu Ousamequins Haus und boten ihm fünfzehn fathoms weißen Wampums (zu einer Zeit als nur weißes Wampum geläufig war; wir wussten, er würde nur Weißes akzeptieren). Er aber verlangte verschiedene Waren und Wampum, zuletzt einigten wir uns auf zehn fathoms weißen Wampums, vier Mäntel englischen Stoffes, sechs der guten englischen Hacken und Äxte, zwölf große Messer; er erwartete von uns schnelle Bezahlung, sodass wir gezwungen waren, nach Portsmouth zu eilen, um die besagten Waren und Wampum zu erwerben; hierfür stattete er uns mit einem Kanu und einem Eingeborenen aus, da auch einige von uns ihm als Helfer in Konversationen mit Engländern dienten. Wir brachten ihm das Wampum, welches er akzeptierte, ebenso die Män107 Van Laer (1908), hier S. 328, Herv. M.S.; [„(…) the savages will be glad to give seawan or other things for the grinding of their corn or at least a good part of their corn.“] 108 Waterman (2008), S. 22 spricht von 1,2 % der Transaktionen, siehe ebd. S. 22. 109 Bartlett (1874), hier S. 203; [„three hundred and eight fathom for the debt, and two hundred for this expedition“; „one hundred and forty“; „made by the measure“], siehe auch S. 171.

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tel, von den zwölf Messern gefielen ihm jedoch nur acht; von den sechs Hacken nur eine einzige, sodass wir ihm versprachen, Messer ebenso wie Hacken und Äxte zu erwerben, die ihm besser gefallen würden. Als er im Begriffe war, schlafen zu gehen, bettelte er um zwei Mäntel, wir versprachen, sie ihm zu geben; am Morgen jedoch weigerten sich einige von uns ihm nun auch noch Schießpulver zu geben, außerdem sahen wir es nicht ein, ihm vier weitere Mäntel zu geben, sodass er uns all die von uns an ihn übergebenen Güter zurückgeben wollte, was wir nicht akzeptierten, nicht willens eine derartig barbarische Form des Handels zu tolerieren; nun lagen also vor ihm all unsere Waren sowie noch ein Mantel, den sein Berater von uns verlangte, und einige weitere kleine Geschenke, insgesamt ein Wert von vierzig fathoms Wampum und wir waren nicht bereit unsere Nation zu betrügen, indem wir ihm seinen Wunsch nach vier weiteren Mänteln erfüllten; da wir es also als unvernünftig betrachtetem, einen derartigen Preis für ein paar Acker barbarischer Wildnis zu verlangen, erklärten wir, dass das erwähnte Land gemäß eines fairen und gerechten Handels nun zu Providence gehöre, durch die Bezahlung Ousamequins durch die Stadt Providence.“110

110 Bartlett, John Russel (Hg.) (1856): Records of the Colony of Rhode Island and Providence Plantations, Band I, Providence: A. Craword Greene and Brother, State Printers, hier S. 33 f., Herv. M.S.: [„(…) making a journey to Ousamequins house, offered him but fifteen fathom of white wampum (it being a time when white wampum only was current; and which we knew he only would accept). But he desired to have commodities and wampum, and at last we agreed upon ten fathom of white wampum, four coates of English cloth, six of the best Englisch howes and English axes, and twelve great knives; which wampum and commodities he desireing speedie pay of, we went, all of us over to Portsmouth to procure ye said wampum and commodities; he furnishing us with a canew and a native, where some of us performed good service for him in some controversies between the English and him. We brought him ye wampum which he accepted of, ye coates allso, which he accepted of and received the cloth, choosing out of two parcells, but of twelve knives he choose eight; out of six howes, he chose one, we promising to procure ye rest of the howes and hatchets and knives to his liking, which he was fully content. Afterward going to sleepe he begged two coats of us, which we promised to give him; yet in the morning, some of us refusing to sell him shott, as also our all refusing to give him foure coats more, he took forth our monie and goods againe to us, which we refused, not being willing to countenance such dealing in ye barbarians; and having before in their payments and a coate to his councellour which he desired, and some other small gifts unto them layed out, ye valew of about forty fathom of wampum, we were not willing to wrong our country in granting his desire of foure coats, and so unreasonably to raise ye price of such parcells of land in this barbarous wilderness; and

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Die im Zitat geschilderten Ereignisse stellen paradigmatische Beispiele für die Verwebung von Wirtschaft und Politik dar: Das Herauszögern, die Ablehnung bestimmter Waren, schließlich die unilaterale Verkaufserklärung sind ohne ein Verständnis der fragilen politischen Machtstrukturen nur schwerlich fassbar. Letzen Endes sind sie jedoch im ökonomischen Feld ausagierte Taxierungen der eigenen politischen Position. Zudem verweist das Zitat auf mehrere bereits angesprochene Probleme, die sich einem Interpreten des Wampumkomplexes in seiner ökonomischen Dimension stellen. So scheint es, dass weder die in Quellen häufig als überzeitlich und überregional präsentierte Wertrelation zwischen weißen und schwarzen Wampumperlen (1:2) immer und allerorts Gültigkeit besaß noch Wampum in jeder Transaktion Haupttauschmedium gewesen ist. Eine Situation, die ähnliche Schlussfolgerungen nahelegt, ereignete sich bei einem Treffen zwischen Stuyvesant und einer Gruppe Senecaindianer am 25. Juni 1660 in Fort Orange.111 Nach einer Beschwerde über die bereits angesprochene Zunahme von Gewalt gegenüber Indianer, die im Wald von Kolonisten abgefangen und geschlagen wurden, um ihnen so Wampum und andere Waren zu stehlen, fordern die Seneca eine Erhöhung des für einen Biber bezahlten Preis: „Sie verlangten, dass der Preis für ein Biberfell von nun an auf dreißig Hände schwarzen Wampums festgesetzt werde und überreichten uns daraufhin zwei Biber.“112 Berücksichtigt man nun die Tatsache, dass im Warenaustausch zwischen NeuNiederländern und Indigenen eine Vielzahl von Objekten ausgetauscht wurden, erscheint die Hypothese plausibel, dass „dreißig Hände schwarzen Wampums“ keineswegs einer bestimmten Anzahl an Perlen entsprachen, sondern jener Menge an nicht näher spezifizierten Gütern, deren Wert äquivalent zu dem Wert von dreißig Händen schwarzen Wampums war. Zieht man nun zusätzlich jene bereits erwähnten Quellen in Betracht, die über Transaktionen berichten, in denen Wampum von Indigenen an Europäer getauscht wird, scheint es zumindest fragwürdig, die indigene Nachfrage nach Wampum als konstant hoch zu betrachten beziehungsweise aus der Erwähnung einzelner Zahlen auf die Anzahl tatsächlich zirkulierender Wampumperlen zu schließen.113 therefore, we declare ye ye said land according to a faire and righteous bargaine belongs to the Towne of Providence, the Towne paying to Ousamequin, as aforesaid.“] 111 Gehring (1990), S. 515 ff. 112 Fernow (1881), S. 185; NYCM 9, S. 351; [„They say, they ask, that henceforth it shall be fixed, that they shall receive 30 hands full of black wampum for one beaver; they give thereupon 2 beavers.“] 113 Die einzige zeitgenössische Quelle, die die ewige Stabilität des Wampumwertes hinterfragt, stellt eine Vorwegnahme des bereits besprochenen akademischen Mythos über die Freude der Indianer an farbenfrohen Perlen dar, siehe Fernow (1883),

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Es scheint demnach weitaus angebrachter, den indigenen Bedarf an Wampum, das letzten Endes hauptsächlich zu dem Zwecke verwendet wurde, interne und externe Auseinandersetzungen beizulegen, als einerseits primär durch die interne Kohärenz der Irokesen-Konföderation sowie die außenpolitische Stabilität ihrer Beziehungen mit potentiellen Feinden beeinflusst zu interpretieren und andererseits von einer gewissen Sättigungsgrenze innerhalb des Systems auszugehen. Derartige Annahmen können die Fluktuationen der Wampummenge in den Neu-Niederlanden angemessener interpretieren als die Unterstellung eines unstillbaren Verlangens nach Wampum wie es das Modell des Dreieckshandels suggeriert. Die häufig unvorhersehbaren und aus diesem Grund selten in die ökonomischen Überlegungen der einzelnen den Hudsonriver entlang und ihrem langhaarigen Heilsbringer entgegen pilgernden Händler eingearbeiteten Veränderungen der internen und externen politischen Kohärenz verursachten unvorhersehbare Fluktuationen der Wampumnachfrage. Dies, nicht die weitere Reduktion des Wampumwertes,114 erklärt, warum die „Überfülle an Wampum“115 sich so schnell zu einer Knappheit entwickeln konnte. Zu einer Verschärfung dieser Schwankungen dürften sicherlich die damaligen Transportbedingungen zwischen Neu-Amsterdam und Fort Orange geführt haben, die eine rasche Weiterleitung von Informationen über ein sich abzeichnendes Über- oder Unterangebot an Wampum verunmöglicht haben.116 Wir lesen in einem Brief Jeremias van Rensselaers vom 7. September 1659, dass er „[…] zur Zeit nicht gut mir Wampum versorgt“117 sei und im Juni 1660 berichtet er schließlich, dass es ihm nun vollkommen unmöglich sei, Wampum zu erhalten:

S. 450; NYCM 13, S. 56: „Some merchants here, with whom we have consulted, fear, that the natives may change their minds in this respect, and state, that the tribes begin to incline towards another kind of beads, which they mix with the wampum for the sake of ornament, so that it will have less value and finally be entirely depreciated, unless its over-abundant importation be stopped by a general reduction of it in New Netherland to the Holland standard.“ 114 Das ist Stuyvesants Erklärung. Siehe Fernow (1883), S. 471; NYCM 13, S. 96: „[…] the reduction from 6 to 8, made last year, has been such an obstacle to its overabundant importation, that wampum is somewhat scarce now […].“ 115 O’Callaghan (1868), S. 289; NYCM 16, S. 98; [„great abundance of Wampum“]. 116 Vgl. zum Problem der Informationsweiterleitung in diesem Gebiet auch Cohen, Matt (2010): The networked wilderness. Communicating in early New England, Minneapolis: University of Minnesota Press. 117 Van Laer (1932), S. 178; [„(…) at present not well supplied with seawan (…)“].

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„Betreffs deiner Empfehlung, deine Schulden einzutreiben, werde ich mein Bestes tun und dort, wo ich keine Biberpelze bekomme, werde ich Wampum, Holzbretter oder was immer ich bekommen kann, denn die Situation verschlechtert sich jeden Tag. Bis jetzt war es zumindest möglich, Wampum zu bekommen, jetzt nicht mehr. Das zu deiner Information.“118

Während der Ursprung der Wertschätzung Wampums generell in seinem sakralen Charakter oder in der Fähigkeit, den politischen Zusammenhalt und die Integrität der Irokesenliga durch Zirkulation als Gabe zu sichern, gesucht wird,119 möchte ich an dieser Stelle die Vermutung äußern, dass die autonome Beeinflussung, das heißt die gezielte Steuerung der Nachfrage nach Wampum den Indianern ermöglichte, eine einflussreiche politische Stellung im interethnischen Austausch zu bewahren. In anderen Worten: Durch Manipulation der Wampumnachfrage versicherten sich die Irokesen ihrer Einflussnahme auf die koloniale Binnenökonomie und die Weitergabe von Wampum in Friedensverhandlungen

118 Ebd. S. 218; [„As to your recommendation to collect your debts, I shall do my best and where there are no beavers to be had accept in payment seawan, boards or whatever else there may be, for I see clearly that it is getting worse every year. Where heretofore it was still possible to get seawan, now nothing is to be had. This by way of information.“] Vgl. auch Fernow (1883), S. 679 für einen Bericht aus dem Jahre 1673: „Whereas ye great Scarcity of Wampum throughout these […] Territoryes hath been taken into consideration, great quantityes thereof being yearely transported & carryed away by the Indyans, & little or none brought in as formerly, which is conceived to bee occasioned by ye low Value putt thereupon; And for that there is noe certaine Coyne in ye Government but in lien thereof Wampum is esteemed & received as currant payment for Goods & Merchandize as well as otherwise betwixt man & man, To the end there may bee an Encouragement for the bringing in of ye said Commodity of Wampum into Government, and that those who have it by them may bee Induced to deliver out ye same […].“ 119 Siehe u.a. Foster, Michael K. (1985): Another Look at the Function of Wampum in Iroquois-White Councils. In: Jennings, Francis/Fenton, William Nelson/Druke, Mary A./Miller, David R. (Hg.): The History and Culture of Iroquois Diplomacy. An Interdisciplinary Guide to the Treaties of the Six Nations and Their League, New York: Syracuse University Press, S. 99-114 und Fenton, William Nelson (1998): The Great Law and the Longhouse. A political history of the Iroquois Confederacy, Norman: University of Oklahoma Press.

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muss vielmehr als Zeichen politischer Überlegenheit denn als Symbol reziproker Anerkennung verstanden werden.120 Warum sollten Ethnologen also Lafitaus Beobachtung, die Irokesen besäßen einen „Fiskus oder öffentlichem Schatz“121 an Wampum nicht wörtlich verstehen?122 Warum sollte die im folgenden Zitat des Paters Gabriel Sagard anklingende interne geldpolitische Steuerung – die ‚huronische Fiskalpolitik‘ – nicht auch in außenpolitischen Erwägungen eine Rolle gespielt haben?123 „In allen Städten, Dörfern und Vierteln der Huronen gibt es einen Vorrat an Wampum Halsbändern, Glasperlen, Äxten, Messern und allem, was sie für die Gemeinschaft erhalten oder erwerben […]. All diese Dinge werden nun einem der Häuptlinge des Ortes übergeben, der speziell hierfür bestimmt ist und die Funktion eines Schatzmeisters der Republik einnimmt […], wenn dessen Finanzen versiegen, bezahlt jedes Mitglied der Gesell-

120 Dass die indigene Nachfrage nach Wampum von Europäern durchaus nicht erfüllt werden und somit reale Konsequenzen zeitigen konnte, zeigt eine Stelle aus den Berichten des neu-schwedischen Gouverneurs Johan Printz: „[…] I also spoke about the zewandt trade in North England, and said that a trusty man ought to be sent to purchase zewandt for us there, because it can be had cheap in that country, while here we are obliged to pay to the English and Hollanders a double price in good beavers, and yet we cannot always get it. It is not possible to keep up the Indian trade by means of cargoes only, because the savages always want zewandt besides, this being their money.“ Siehe Printz, Johan (1912/1647): Report of Governor Johan Printz. In: Myers, Albert Cook (Hg.): Narratives of Early Pennsylvania, West New Jersey and Delaware 1630-1707, New York: Charles Scribner’s Sons, S. 117-130, S. 127. 121 Lafitau (1987/1724), hier S. 232. Im französischen Original findet sich das noch passendere „le fisc“, siehe Lafitau, Joseph-François (1724): Mœurs des sauvages américains comparées aux mœurs des premiers temps, Paris: Saugrain l'aîné/Hochereau. 122 Vergleiche auch Morgans Beschreibung eines Onondaga Sachem als „hereditary keeper of the Wampum“, siehe Morgan (1993), S. 65. 123 Siehe hierzu auch Stites, Sara Henry (1905): Economics of the Iroquois, Lancaster: Press of New Era Print. Zur Einführung in die Ethnographie der Huronen siehe Trigger, Bruce G. (1987): The children of Aataentsic. A history of the Huron People to 1660, Kingston: McGill-Queen's University Press. Wieder ist es Gerloff, der eine interdisziplinäre Betrachtung der Problematik entschieden voranzutreiben versucht, siehe Gerloff, Wilhelm (1948): Die Entstehung der öffentlichen Finanzwirtschaft, Frankfurt am Main: Klostermann.

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schaft nach seinen Möglichkeiten und ohne Zwang, vielmehr nur mit Wohlwollen, seinen Beitrag […].“124

Hier wird erneut der radikale Unterschied der Bedeutungen Wampums innerhalb der Kultur der Küstenalgonkin und derjenigen der Irokesen und Huronen nachvollziehbar. Während Wampum innerhalb der Küstenalgonkinkultur primär Zeichen individueller Distinktion war, fungierte es in der irokesisch-huronischen als Vehikel und Symbol gesellschaftlicher Reproduktion. So unterschiedlich der Gebrauch im ersten Moment erscheint, stellt er doch jeweils eine Möglichkeit dar, mit der veränderten geopolitischen Lage und dem Eindringen der Europäer umzugehen und die eigene politische Handlungsfähigkeit nicht zu verlieren. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die verantwortlichen Personen in den Neu-Niederlanden und die Führungskräfte der Westindien-Kompanie den Einflussbereich ihrer politischen Kontrolle ebenso überschätzten wie sie die ökonomische Expertise der Indigenen sowie das Maß der Durchdringung vermeintlich ökonomisch kalkulierter Entscheidungen mit irrationalen Motiven unterschätzten. Den Indianern bot sich auf der anderen Seite die Möglichkeit, die Fetischisierung des Bibers durch die Europäer auszunutzen und so das inhärent

124 Siehe Sagard, Gabriel (1865/1632): Le Grand Voyage du Pays des Hurons situé en l’Amérique vers la Mer douce, ès derniers confins de la Nouvelle France dite Canada avec un Dictionnaire de la Langue Huronne, Paris: Librairie Tross, hier Band II, S. 261 f.; [„En toutes les villes, bourgs et villages de nos Hurons, ils font un certain amas de coliers de pourselaine, rassades, haches, cousteaux et generallement de tout ce qu’ils gaignent ou obtiennent pour le commun, (…). Or est-il que toutes ces choses sont mises et deposées entre les mains et en la garde de l’un des Captaines du lieu, à ce destiné, comme Thresorier de la Republique (…) et s’il se trouve espuisé de finances, pour lors chacun se cottise librement de ce qu’il peut, et sans violence aucune donne de ses moyens selon sa commodité et bonne volonté (…).“] Ganz ähnlich Dablon, R.P. Claude (1861): Relation de ce qui s’est passé de plus remarquable aux Missions des Peres de la Compahnie de Jesus en la Nouvelle France les annés 1672 et 1673, New York: De la Presse Cramoisy de Jean-Marie Shea, hier S. 19: „Ce discours attendrit toute l’assemblée, et eut dant d'effect sur l'esprit de tous les anciens qu’on remit dans le bourg cette pauvre famille exilée méme sans vouloir accepter pour le fisque publiq les colliers de pourcellaine qu’avoient pour cet effect offert les Iroquoises: aux quelles on rendit leurs presente. Depuis ce temps la le mary et la femme sont fort bien leur devoir de Chrestians“; siehe die Übersetzung in Thwaites (1896-1901), Band LVII, S. 58 f.

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fragile politisch-ökonomische System der Kolonie weiter zu schwächen. Die Ausführungen dieses Kapitels rechtfertigen demnach die folgenden Annahmen: (1) Die fehlende Kontrolle über die Regulierung des Wampumangebots und die fluktuierende Nachfrage sowohl der Irokesen als auch der Bewohner der geographisch weit voneinander entfernten neu-niederländischen Siedlungen Neu-Amsterdam und Fort Orange führen zu geldpolitischen Krisen innerhalb der Neu-Niederlande, die die inhärente Instabilität des bimedialen Währungssystems der Kolonie noch verstärkten. (2) Wampum fungierte nicht als primäres Tauschmittel zwischen Indigenen und Europäern. Das irokesische Verlangen nach Wampum war – im Gegensatz zu dem der Europäer nach Biberfellen – keineswegs unstillbar, sondern abhängig vom Grad innen- sowie außenpolitischer Stabilität. Nur unter dieser Voraussetzung lässt sich annehmen, dass ein durch die Irokesen in Gang gesetztes gezieltes Steuern ihrer Wampumnachfrage geldpolitische Auswirkungen zeitigte. (3) Aufgrund dieser beiden Faktoren pendeln die Versuche der Rückgewinnung monetärer Souveränität zwischen den beiden wirkungslosen Alternativen der Kommodifizierung Wampums einerseits und seiner Re-Monetarisierung andererseits

Geleugnete Symmetrien: Gabe und Geld als ‚objets sociaux totaux‘ […] le don entraine nécessairement la notion de crédit1 MARCEL MAUSS

Ein Ziel der Arbeit war es, anhand einer dem Leser sicherlich häufig sprunghaft erscheinenden Diskussion einer Vielzahl zentraler wirtschaftsethnologischer Begriffe, zu plausibilisieren, dass eine Aktualisierung der mausschen Gabentheorie entlang der Voraussetzung, es handele sich bei ihr um eine an der Freischälung von sich in Krisensituationen etablierenden nicht-modernen Totalisierungsprozesse interessierte Gesellschaftstheorie, zentrale Impulse für die Analyse indigener sowie moderner Austauschsysteme liefern kann. Die Mechanismen, mit Hilfe derer sowohl das ‚moderne' Geld wie auch Wampumperlen und Biber gesellschaftliche Widersprüche verdecken, setzen nach dieser Argumentation das voraus, was sie durch ihre Affirmation der Widersprüchlichkeit des Systems negieren: Autonome Individuen. Sie teilen, auf unterschiedliche Weise, die Eigenschaft, immer für alle und zugleich für keinen erreichbar zu sein. Sie sind obligatorisch und ihre Transaktion erscheint freiwillig. Allen diesen Zirkulationssystemen ist ebenfalls gemein, dass sie durch heterologe Imaginationen zugewuchert werden – seien es die Ängste der Börsenmakler, die Hoffnungen des Trobrianders, bei der Rückkehr seines Häuptlings auch in den Besitz eines ‚vaygu’a‘Objektes zu kommen oder die Fetischisierung des Bibers in den NeuNiederlanden und Neu-England.2 Die in diesen Systemen ausgetauschten Objek1 2

Mauss (2007), S. 139; Mauss (1990), S. 84. Der Soziologe Urs Stäheli verwendet den passenden Begriff „spektakuläre Spekulationen“, siehe Stäheli, Urs (2007b): Spektakuläre Spekulation. Das Populäre der Ökonomie, Frankfurt am Main: Suhrkamp.

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te sind dazu in der Lage, Widersprüche innerhalb der Strukturierung von Wertdistribution zu verdecken, indem sie zwischen verschiedenen Wertregistern zirkulieren, deren Unterschiede sie so aufweichen. Sie sind demnach das, was wir in Auseinandersetzung mit dem mausschen Konzept des ‚fait social total‘ ‚totale soziale Objekte‘ genannt haben. Wenn Hénaff, sicherlich einer die Debatte um die Gabe als Vehikel der Anerkennung am stärksten mitprägenden Denker, die Gabe mit dem ‚symbolon‘ gleichsetzt,3 das ursprünglich ein in zwei Teile zerbrochenes Objekt, welches als Erinnerung an eine getroffene Abmachung fungiert, bezeichnete, gilt es ebenso, den Ähnlichkeiten und semantischen Verknüpfungen, die sich zwischen Geld und ‚sphragis‘ (Siegel; allgemein: Verschluss) ergeben, näher nachzugehen.4 So trugen die ersten Münzen die Siegelmarkierungen (‚sphragis‘ bezeichnet sowohl den Siegel wie den Siegelabdruck) von Städten oder Kaufleuten und in der Literaturwissenschaft bezeichnet man mit ‚sphragis‘ verschlüsselte Hinweise auf den Autor, zum Beispiel in der Form von ‚Akrosticha‘. ‚Akrosticha‘, Wortfolgen bei denen die Anfangsbuchstaben einen autonomen Sinn ergeben, häufig den Namen des Autors, sind chiffrierte Verweise, die auf etwas hindeuten und dieses etwas zugleich verschleiern. Während die ideale Gabe eine reziproke Rückgabe voraussetzt, besiegelt jeder einzelne Geldaustausch die mit seiner Hilfe durchgeführte Transaktion. Die materiellen Metamorphosen und die Zirkulation des Geldes hingegen versiegeln gesellschaftliche Widersprüche und schützen diese so vor ihrer Entdeckung. Dies gelingt ihnen jedoch nur zum Preis der Inkorporation jener Widersprüche in ihre eigene Struktur oder Materialität. Sichtbar wurden diese Merkmale bei all den in dieser Arbeit besprochenen Wirtschaftssystemen und den in ihnen zirkulierenden Wertträgern, den jeweiligen Geldobjekten.5 So gelingt es den Autoritäten der Neu-Niederlande durch die Aufteilung der Geldfunktionen auf verschiedene Träger, den inhärenten Widerspruch zwischen ihnen zunächst zu verschleiern. Die Maßnahmen zur Rückgewinnung der durch die Handelsliberalisierung verlorenen Kontrolle über das Zirkulationsmedium Wampum pendeln jedoch zwischen seiner Kommodifizierung und Remonetarisierung. Beide Strategien dienen der Befriedigung des Konflikts zwischen zwei wirtschaftlichen Klassen: Den autonomen Händlern und den Angestellten der Westindischen Kompanie. Der Biber verkörpert dabei ebenso wie einzelne Wampumperlen bei den Küstenalgonkin den Glauben an die Möglichkeit einer 3

Hénaff, Marcel (2009): Der Preis der Wahrheit. Gabe, Geld und Philosophie, Frank-

4

Siehe hierzu rudimentär Leenhardt (1937), passim.

5

Oder im Falle der Tauschsphären der Tiv in den die Bewegungen der Güter zwischen

furt am Main: Suhrkamp, passim.

diesen organisierenden normativen Regeln.

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gerechten Verteilung von Wert zwischen diesen beiden Gruppen. Seine Fetischisierung verdeckt den gesellschaftlichen Widerspruch zwischen der Abhängigkeit von indianischen Gruppierungen und dem Glauben an die eigene Überlegenheit ebenso wie die, ohne Aufgabe merkantilistischer Grundannahmen unauflösbaren Antagonismen zwischen Händlern und Angestellten. Diese Widersprüche werden durch den Biberfetisch imaginär nur verschoben, keineswegs jedoch aufgehoben. Wampum hingegen gelingt es, den Mitgliedern der Küstenalgonkin durch seine umfassende und einverleibende Zirkulation sowie seine zentrale Rolle in der Vermittlung des Hypergutes zu suggerieren, dass es keinen Widerspruch zwischen den beiden skizzierten Werteregistern (autonom erarbeiteter und hereditär zugewiesener Wert) gibt. Wampum ist zugleich objektgewordenes Versprechen zukünftigen Prestiges, Verkörperung vergangener Leistung wie verdinglichte Vergewisserung der zeitlosen Gültigkeit des Hypergutes.6 Aufgrund dieser Ambiguität kann Wampum den durch den Kontakt mit Europäern und die Epidemien verstärkten Widerspruch zwischen Individuum und Gesellschaft auflösen und die hierarchische Gesellschaftsordnung der Küstenalgonkin zunächst aufrechterhalten. Die Zirkulation von Wampum etabliert durch die Einebnung eines Wertesystems mit kontradiktorischen Momenten in ein widerspruchfreies eine Äquivalenzbeziehung zwischen verschiedenen Personengruppen, die realiter nicht vergleichbar sind. Dies führt jedoch ebenfalls nur zu einer Verschiebung des Widerspruches und mündet schließlich in der Intensivierung außenpolitischer Konflikte. Der oben skizzierte Widerspruch des kapitalistischen Geldgebrauches zwischen Zirkulationsmedium und Wertmaßstab wiederum äußert sich in der – sich notwendigerweise unendlich wiederholenden – Oszillation des Geldes zwischen spekulativer Vaporisierung („x macht mich wertvoll“) und autoritativer Kondensation („ich bin wertvoll“); zwischen Sphären, in denen es Vertrauen schöpft und solchen, in denen es Vertrauen stiftet. Diese Schwankungen verhärten sich schließlich in spekulativen Blasen (spekulative Vaporisierung) beziehungsweise in Kapitalhortung trotz nicht ausgereizter Grenznutzenleistung (autoritative Kondensation). Der Widerspruch wäre demnach, das erkennt mit üblicher essayistischer Brillanz Walter Benjamin, endgültig tatsächlich nur durch einen nietzscheanischen Übermenschen aufzulösen:

6

Mauss (2007), S. 234, Mauss (1990), S. 169, schreibt treffend: „[…] les wampun [sic!] […] sont à la fois des richesses, des signes de richesse, des moyens d’échange et de paiement, et aussi des choses qu’il faut donner […].“

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„Der Typus des kapitalistischen religiösen Denkens findet sich großartig in der Philosophie Nietzsches ausgesprochen. Der Gedanke des Übermenschen verlegt den apokalyptischen ‚Sprung‘ nicht in die Umkehr, Sühne, Reinigung, Buße, sondern in die scheinbar stetige, in der letzten Spanne aber sprengende, diskontinuierliche Steigerung. Daher sind Steigerung und Entwicklung im Sinne des ‚non facit saltum‘ unvereinbar. Der Übermensch ist der ohne Umkehr angelangte, der durch den Himmel durchgewachsne, historische Mensch.“7

Dieser, von Nietzsche auch als „Thier […], welches versprechen darf“8 bezeichnet, wäre in der Lage, die Probleme, die aus der intertemporalen Struktur der kapitalistischen Geldwirtschaft erwachsen, durch Akte der Gewalt auszuschalten. Die Forderung, die Abkehr des nietzscheanischen Übermenschen von den weltreligiösen Paradigmen der Sühne, Reinigung und Buße als eine Rückkehr zu ‚primitiven‘ Formen des Erfüllungsaufschubes zu interpretieren, könnte der vorliegenden Arbeit demnach als programmatische Orientierung vorangestellt werden. Jedwede institutionelle Reintegrierung des der Gabe attestierten Überlegenheitsgestus in die Steuerpolitik moderner Staaten, wie sie zum Beispiel Sloterdijk nahelegt,9 wird demzufolge zu Recht als naiv, atavistisch und potentiell gemeinschaftszersetzend kritisiert.10 Potlatschnamen und –rängen, vaygu’a, Geld, Biber und Wampum ist demnach gemein, dass sie durch ihre Materialität und Zirkulation eine Fähigkeit, nämlich diejenige, eine gerechte oder zumindest die gerechteste Wertverteilung sicherzustellen, suggerieren, die jedoch an der Wirklichkeit bricht. Sie eint eine 7 8

Benjamin (1991), S. 101 f. Nietzsche, Friedrich (2005): Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift. Stuttgart: Reclam, hier S. 47.

9

Siehe Sloterdijk, Peter (2010): Die nehmende Hand und die gebende Seite. Beiträge zu einer Debatte über die demokratische Neubegründung von Steuern, Berlin: Suhrkamp.

10 Siehe zur Kritik an Sloterdijk exemplarisch: Honneth, Axel (2009): Fataler Tiefsinn aus Karlsruhe. Zum neuesten Schrifttum des Peter Sloterdijk. In: ZEIT 40, 24. September 2009. Nicht umsonst und sich der Gefahren einer unreflektierten Rückkehr zum totalen Charakter der Gabe bewusst, spricht Mauss von der notwendigen Vermittlung und Steuerung eines derartigen Schrittes: „Des études de ce genre permettent en effet d’entrevoir, de mesurer, de balancer les divers mobiles esthétiques, moraux, religieux, économiques, les divers facteurs matériels et démographiques dont l’ensemble fonde la société et constitue la vie en commun, et dont la direction consciente est l’art suprême, la Politique, au sens socratique du mot.“ Siehe Mauss (2007), S. 248 f., Herv. M.S.; Mauss (1990), S. 183.

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Unverhältnismäßigkeit zwischen der Erwartung, die sie auslösen, und dem, was sie letzten Endes ermöglichen. Die Enttotalisierung entpuppt sich in allen in dieser Arbeit besprochenen Fällen als eine Form der ‚différance‘, des Aufschubs oder der Verschiebung. Aglietta und Orlèan schreiben treffend und ihre Analyse des modernen Geldes zusammenfassend: „L’analyse des relations monétaires révèle que la monnaie masque une hétérogénéité radicale entre ceux qui ont l’initiative des opérations et ceux qui ne l’ont pas.“11 Eine derartige Interpretation stellt jedoch auch das Analysewerkzeug bereit, um Probleme der kapitalistischen Gesellschaft gründlicher zu verstehen, indem es einen nicht-ideologischen Zwischenraum aufblitzen lässt, der es nahelegt, durch radikale Anerkennung mit den Paradoxien des Geldes zu leben und ordnend in die durch sie verursachten Ungerechtigkeiten einzugreifen, anstatt verzweifelt zu versuchen, ihnen zu entrinnen. Die Tatsache, dass Mauss den kommunistischen Vorschlag, radikal Schluss zu machen mit Geld und Individualismus, keineswegs teilte, wird vor diesem Hintergrund in ein neues Licht gerückt. Es kann nach einer Lektüre seiner noch kaum außerhalb des französisch-sprachigen Raumes rezipierten politischen Schriften12 zwar noch immer zweifelsfrei behauptet werden, dass es Mauss daran gelegen war, die beiden kontradiktorischen Momente des Zwangs und der Freiheit in der Gesellschaft seiner Zeit miteinander zu vereinbaren. Er schlägt jedoch dezidiert nicht vor, die marktwirtschaftlichen Steuerungsprozesse der modernen Gesellschaft durch mit Hilfe der Gabe gesteuerte Allokationsmechanismen zu 11 Aglietta, Michel/Orléan, André (1998), S. 18; [„Die Analyse der monetären Beziehungen hat enthüllt, dass das Geld eine radikale Heterogenität zwischen denen, die Handlungsfähigkeit besitzen und denen, die diese nicht besitzen, verschleiert.“] Auch sehr treffend Marx (1983), S. 86: „Wir sehen also, wie es dem Geld immanent ist, seine Zwecke zu erfüllen, indem es sie zugleich negiert; sich zu verselbständigen gegen die Waren; aus einem Mittel zum Zweck zu werden; den Tauschwert der Waren zu realisieren, indem es sie von ihm lostrennt; den Austausch zu erleichtern, indem es ihn spaltet; die Schwierigkeiten des unmittelbaren Warenaustauschs zu überwinden, indem es sie verallgemeinert; in demselben Grad, wie die Produzenten vom Austausch abhängig werden, den Austausch gegen die Produzenten zu verselbständigen.“ 12 Mauss (1997). Siehe zu einer Kritik an der Rezeptionslinie, die Mauss’ politische Schriften ignoriert, Mallard, Grégoire (2011): The Gift Revisted: Marcel Mauss on War, Debt, and the Politics of Reparations. In: Sociological Theory 29, S. 225-247 und zu einem Vergleich mit Keynes Tellman, Ute (2013): Verschulden. Die moralische Ökonomie der Schulden. In: Ilinx – Berliner Beiträge zur Kulturwissenschaft 3 – Ökonomische Praktiken, S. 3-24. Eine politisch recht einseitige Besprechung dieser Texte findet sich in Graeber (2001).

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ersetzen; ihr gleichsam eine Gabenwirtschaft überzustülpen. Mehr als deutlich wird dies in den Schlussfolgerungen seiner Appréciation sociologique du bolchevisme. Als Beispiele seien hier nur die folgenden, besonders drastischen Zitate angeführt: „Mais ce qui fut plus absurde encore, c’est que, pour l’établir, il a fallu détruire ce qui constitue l’économie elle-même, à savoir: le marché. […] c’est dans l’organisation et non dans la suppression du marché qu’il faut que le socialisme – le communisme – cherche sa voie.“13 „La plupart des doctrines socialistes prévoient, de façon plutôt brève et peu nette, que la société future pourra se passer d’argent, de monnaie. L‘expérience communiste aura prouvé le contraire.“14

Der Versuch, die essentielle Irrationalität des Geldes aufzulösen, könne demnach nun gerade nicht programmatische Maßnahme einer progressiven Geldpolitik sein. Mauss verweist in diesem Kontext beinahe rastlos auf die Bedeutung des Fetischs für eine Kritik der ‚prä-monetären‘ wie modernen Wirtschaft. Er schreibt unter anderem: „Pour les Iroquois, la monnaie s’appelé ‚orenda‘ ou, pour les Algonkins, du ‚manitou‘ […]“ und „[J]e finissais en disant: c’est entendu, c’est un fétiche, mais est-ce autre chose qu’un fétiche pour nous?“15 Der Glaube an die Wirkungsmacht des Geldes ist für Mauss demnach verwoben mit Irrationalität, Verblendung und Fantasie, die von ihm jedoch als notwendig angesehen werden: „Pourquoi voudrait-on que le domaine de l’économie, celui des 13 Mauss, Marcel (1997): Appréciation sociologique du bolchevisme. In: Mauss, Marcel/Fournier, Marcel (Hg.): Écrits politiques, Paris: Fayard, S. 537-566, hier S. 541 f.; [„Was jedoch noch absurder war, ist die Annahme, um ihn [den Sozialismus, Anm. M.S.] herbeizuführen, sei es nötig, dasjenige zu zerstören, was eine Ökonomie überhaupt erst konstituiert, nämlich den Markt. […], die Organisation des Marktes, nicht seine Unterdrückung ist es, wo der Sozialismus – der Kommunismus – seinen Weg suchen muss.“] 14 Ebd. S. 542; [„Die Mehrzahl der sozialistischen Theorien haben, auf eine eher kurze und unklare Weise, vorhergesagt, dass die zukünftige Gesellschaft in der Lage sein wird, auf das Geld zu verzichten. Die kommunistische Erfahrung hat jedoch das Gegenteil bewiesen.“] 15 Mauss (1969a), S. 116; [„Bei den Irokesen heißt das Geld ‚orenda‘, bei den Algonkin ‚manitou“; „Ich beendete meine Ausführung indem ich sagte: ja, das ist verstanden, das ist ein Fetisch, aber ist es (das Geld, Anm. M.S.) für uns etwas anderes als ein Fetisch?“]

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besoins et de gouts, soit celui de la raison pure?“16 Man müsse sich nach Einsicht in die und folgender Akzeptanz der Irrationalität des Geldes also notwendigerweise damit zufrieden geben, lediglich „ordonner, limiter, supprimer“ 17 zu können. Als wirtschaftspolitische Maßnahmen empfiehlt Mauss vor allem eine Restrukturierung der Verteilung von Kapital und eine Demokratisierung jener Prozesse, die über seine Wiederverwendung entscheiden. Zum einen verlangt er also eine Mitbeteiligung der Arbeiter an der Redistribution des Gewinns. Zum anderen fordert er jedoch in Anlehnung an die Arbeiten seines Onkels zur Berufsmoral18 eine erneute Verdichtung und Durchdringung wirtschaftlicher Interessengruppen mit einem ihnen eigenen Ethos und Verpflichtungsgefühl. Dieses Verpflichtungsgefühl solle jedoch keiner äußeren, entfremdend wirkenden Macht, sondern einem Netz an verinnerlichten und durch die geteilte Lebenszeit gefestigten kollektiven Repräsentationen entspringen. So sind beispielsweise die in Frankreich erst 1901 legalisierten Konsumgesellschaften für Mauss keineswegs a-marktliche Organisationsprinzipien, sie sind vielmehr durch ihre Nähe zum Verbraucher in der Lage, dessen realen Bedarf besser einzuschätzen und durch konzentriertere Kapitalbildung und höhere Liquidität zügiger und exakter die reale Nachfrage auf dem Markt anzuzeigen. Mauss steht mit seiner Theorie somit ganz in der Tradition der Historischen Schule der Nationalökonomie in Deutschland.19 Als ein Beispiel soll hier Bruno 16 Mauss (1997), S. 542. Dies wird wiederholt deutlich, wenn er den Goldstandard bespricht, der, wenn auch irrational, den Menschen Vertrauen zurückgeben könne. 17 Ebd. S. 543; [„ordnen, beschränken, beseitigen“]. 18 Durkheim, Émile (1999): Physik der Sitten und des Rechts. Vorlesungen zur Soziologie der Moral, Frankfurt am Main: Suhrkamp. Siehe auch Mauss’ Einführung in die französische Originalausgabe Mauss, Marcel (1969b): Introduction à la ‚Morale professionnelle‘ de É. Durkheim. In: Karady,Victor (Hg.): Œuvres III, Paris: Minuit, S. 500-505. 19 Versteht man Mauss’ Buch allein als eine Auseinandersetzung mit zwei verschiedenen Wirtschaftstypen, wird man seinem Ansatz nicht gerecht. Wäre es nämlich eine solche, könnte man Mauss in Anbetracht der Abarbeitung am Thema Gabenökonomie innerhalb der Historischen Schule wohl kaum wissenschaftliche Innovation zusprechen. Im Gegenteil: Er wäre ein halbes Jahrhundert zu spät oder, schlimmer, schlicht ein Plagiarist der Werke solcher Denker wie eben Hildebrand, Karl Bücher oder Gustav von Schmoller. Siehe z.B. Bücher, Karl (1917): Die Entstehung der Volkswirtschaft, Tübingen: Verlag der Laupp’ichen Buchhandlung, hier z.B. S. 62: „Der ankommende Fremdling erhält ein Geschenk, das er nach einiger Zeit durch eine Gegengabe erwidert, worauf ihm beim Abschied noch ein zweites Geschenk gereicht wird.“ Betreffs Durkheims und Mauss’ Nähe zu den „Kathedersozialisten“, siehe

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Hildebrand dienen, dessen Theorie der stufenhaften Entwicklung der Wirtschaft einige Parallelen zu Mauss’ Standpunkt aufweist. Hildebrand geht davon aus, dass sich die höchste Form wirtschaftlicher Organisation, die „Kreditwirtschaft“, erst dann entwickeln kann, wenn die Menschheit die beiden Stufen der „Natural“- und „Geldwirtschaft“ bereits überwunden hat: „Die Kreditwirtschaft kann dagegen erst entstehen, wenn ein geregelter Geldverkehr vollkommen ausgebildet, aber die Schwerfälligkeit des Geldumsatzes bereits empfunden und das Bedürfnis nach Vereinfachung der Zahlungsmittel geweckt ist.“20 Der Unterschied zu Marx scheint demnach weder in der Annahme einer evolutionistischen Entwicklung noch in deren genauer Ausgestaltung, sondern in der moralischen Bewertung zu liegen. Hildebrand erwartet, ebenso wie Mauss, dass die vollkommene Durchdringung der Gesellschaft mit dem Kredit zu ihrer moralischen Verfeinerung führen wird. Während die Menschen innerhalb der „Naturalwirtschaft“ nur „durch äußerliche, sinnliche Bande aneinander gefesselt“21 gewesen seien, würden sie innerhalb der Geldwirtschaft zu atomisierten Individuen, die sich gegenseitig – wann immer möglich – ausnutzen. Der Kreditökonomie könne es hingegen gelingen, die Vorteile beider vorhergegangenen Stufen zu vereinen. Sie könne die systemische Notwendigkeit von Liquidität an die reziproke Anerkennung der beidseitigen Tugendhaftigkeit binden und so das ganze Register wirtschaftlichen Handelns mit Moralität durchziehen. Moralität und ökonomischer Fortschritt seien in ihr in der Lage, gemeinsam die Entwicklung der Menschheit voranzutreiben. Nichtsdestotrotz: Nach der Lektüre von Hildebrands Arbeit Natural-, Geld- und Kreditwirtschaft kann man sich kaum des Eindruckes erwehren, einer fragwürdig zirkulären Argumentation gefolgt zu sein. Das wird noch deutlicher, wenn er gar schreibt, dass „Börsenspiel, Differenzgeschäfte und ähnliche unmoralische Spekulationen“ „Auswüchse der Geldwirtschaft“ seien und den Kredit „vernichten“.22 Das Dilemma kurz zusammengefasst: Die Gesellschaft muss bereits einen hohen Level moralischer Standards erreicht haben, beLukes, Steven (1973): Émile Durkheim. His Life and Work. A Historical and Critical Study, New York: Penguin, hier S. 322 ff. So stand Mauss, für diesen Hinweis danke ich Felix Brandl, spätestens seit dem Jahr 1927 in Kontakt mit Bernhard Laum. In einem Brief vom 12. Juli 1927 schreibt Mauss, dass er es sehr bedauere, die Arbeiten Laums nicht schon vor Publikation der Gabe gekannt zu haben. Siehe Mauss, Marcel (1927a): Brief an Bernhard Laum. 12. Juli 1927, privater Nachlass Bernhard Laums. 20 Hildebrand, Bruno (1922): Natural-, Geld- und Kreditwirtschaft. In: Ders.: Die Nationalökonomie der Gegenwart und Zukunft und andere gesammelte Schriften I, Jena: Gustav Fischer, S. 325-357, hier S. 330. 21 Ebd., S. 355. 22 Ebd., S. 356.

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vor sie die Früchte der „Kreditwirtschaft“ ernten kann. Mauss’ Argumentation scheint ähnlich zirkulär: Wie sollen die Vorteile der Gabengesellschaften in eine auf kapitalistischer Produktion beruhende Wirtschaft eingebettet werden, ohne die Vorteile letzterer, unter anderem Emanzipation von familiären Bindungen und ähnliches, aufzugeben? Mauss scheint nahezulegen, die Gabe selbst zu einem erfahrenen und reflektierten Fundament marktwirtschaftlichen Handelns zu machen, mit anderen Worten: Den Kapitalismus als ‚totales soziales Phänomen‘ durch die Gabe zu ersetzen, dabei jedoch nicht, den Markt oder das Geld abzuschaffen oder Oasen der Gabe inmitten einer von Warenproduktion gekennzeichneten Wirtschaft zu etablieren.23 Die Gabe wird losgelöst von einem lediglich Austauschverhältnisse organisierenden Mechanismus zu einem die Gesellschaft in ihrer Ganzheit bestimmenden Ethos: Mauss fordert in Anlehnung an die ‚primitivsten‘ Formen gesamtgesellschaftlichen Austausches bei den australischen Aborigines,24 die Rekonstitution aus autonomen Gliedern zusammengesetzter korporativer Einheiten, in denen das Verständnis herrscht, intersubjektive Tausch- oder Redistributionsprozesse seien letztlich intrasubjektiv: Ich gebe einem anderen Teil meiner selbst einen anderen Teil meiner Selbst, ‚gehe aus mir heraus in mich hinein‘.25 Diese Charakterzug der Gabe ist es, der Mauss dazu veranlasste zu glauben, er habe das Problem der „deux ‚moments du temps‘ que le contrat unifie“26 gelöst. Ich stehe meinem Vertragspartner zwar innerhalb des Vertrages als autonome Person gegenüber, der Abschluss des Vertrages beruht jedoch auf einer prä-kontraktuellen und korporativen Übereinkunft, die a23 Wie bereits erwähnt, sind diese eher Begleiterscheinung denn Widerstandssymptom. Siehe konträr dazu Hahn, Hans-Peter (2012): Warum Tauschringe durch Geld nicht obsolet werden. In: Forschung Frankfurt 2012 2, S. 90-93. 24 Siehe Mauss (1947), S. 129, Herv. M.S.: „A l’origine était un système que j’appellerai le système des prestations totales. Lorsqu’un Kurnai australien se trouve dans le même camp que ses beaux-parents, il n’a le droit de manger aucune des pièces du gibier qu’il rapporte, ses beaux-parents prennent tout, leur droit est absolu. La réciprocité est totale, c’est ce que nous appelons le communisme, mais cela se pratique entre individus. Dès l’origine, le commercium va de pair avec le connubium, le mariage suit le commerce et le commerce suit le mariage. Présent obligatoire, don fictif, ce que l'on appelle le vol légal est en réalité un communisme à base individuelle, sociale et familiale. L’erreur fondamentale consiste à opposer communisme et individualisme.“ 25 Mauss (2007) spricht von „solidarité corporative“, hier S. 226; Mauss (1990), S. 163, beziehungsweise der Notwendigkeit, „sortir de soi“, Mauss (2007), S. 229; Mauss (1990), S. 165. 26 Mauss (2007), S. 139, bzw. Mauss (1990), S. 84, vgl. Davy (1922), S. 109: „La difficulté de faire la synthèse entre le moment de la formation et celui de l’échéance […].“

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temporal ist. Man könnte in diesem Sinne davon sprechen, dass Mauss’ Gabetheorie davon ausgeht, dass ich nicht nur mich, sondern immer auch mir selbst gebe. Auch wenn sich an dieser Stelle nicht zuletzt aufgrund der veränderten globalen Bedingungen nicht vollständig klären lässt, ob Mauss’ Vorschläge pragmatische Lösungen für heutige Probleme enthalten, gilt es festzuhalten, dass eine fruchtbare Interpretation des mausschen Textes notwendigerweise von der Annahme der Möglichkeit einer Integration des Gabeethos in marktwirtschaftliche Prozesse auszugehen hat und das skizzierte Paradox auflösen muss. Apologeten eines Entweder-Oder von Gabe und Ware binden ähnlich wie viele Wirtschaftsethnologen, die verantwortlichen Autoritäten der Neu-Niederlande und sich mit der Entwicklung Neu-Englands auseinandersetzende Wirtschaftshistoriker wie der besprochene William Weeden die Existenz von Geld an das Vorhandensein von Märkten und negieren so a priori die Möglichkeit der Universalität einer Mischform zwischen Sahlins’ geldlosen „original affluent societies“27 beziehungsweise vermeintlich maussianischen Gabengesellschaften und einem auf Gier aufgebauten kapitalistischem System, in dem Geld als universeller Leveller fungiert.28 In allen wirtschaftlichen Systemen lassen sich jedoch ähnliche Prozesse beobachten: Durch Öffnung und Blockierung, Aufhebung und Erschaffung von Flüssen eines oder mehrerer akzeptierter Zirkulationsmedien (‚Geld‘) zwischen und innerhalb kultureller und politischer Wertgrenzen werden Modifikationen, Verschleierungen und Offenbarungen von inter- und intrakulturellen Schuldbeziehungen und politischen Hierarchien in Gang gesetzt.29 Für Mauss ist die Sichtbarmachung dieser Flüsse das notwendige Fundament einer gerechteren Umlenkung. Im Grunde genommen ähneln derartige Systeme denjenigen wirtschaftlichen Verfassungen, die von Polanyi als „archaische Ökonomien“ be27 Sahlins (1972), S. 1-40. 28 Siehe zur Kritik an diesem Paradigma auch Trenk, Marin (2005): ‚Der radikale Leveller‘, fliegende Bankiers und die afrikanische Alchemie. Ein Streifzug durch Westafrikas indigene Finanzlandschaft. In: Geisenhainer, Katja/Lange, Katharina (Hg.): Bewegliche Horizonte. Festschrift zum 60. Geburtstag von Bernhard Streck, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, S. 209-223. 29 Ganz ähnlich argumentiert Douglas, Mary (1967): Primitive Rationing: A Study in Controlled Exchange. In: Firth, Raymond (Hg.): Themes in Economic Anthropology, London: Tavistock Publications, S. 119-148 sowie Bell, Stephanie/Henry, John F. (2001): Hospitality versus Exchange: the Limits of Monetary Economies. In: Review of Social Economy 59, S. 203-226. Letztere gehen jedoch, offenbar einer unreflektierten Ethnoromantik verfallend, von einer in ‚tribal societies‘ vorherrschenden und alle Gesellschaftsbereiche durchdringenden, herrschaftsfreien Gastfreundschaft aus.

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zeichnet wurden. Die vorliegende Arbeit nimmt jedoch an, dass politisch zentralisierte Ökonomien wie Dahomey oder mesopotamische Tempelökonomien universell vorhandene Prozesse nur ungeschminkter darstellen.30 Mithilfe des im Kern ambivalenten Wertbegriffs lassen sich dabei individuelle Begierden als von kulturellen Werten (im Plural) überformt sowie ökonomisch und/oder politisch ungerechte Wertdistribution reproduzierende Bestrebungen verstehen, die nicht selten durch die Aneignung von einigen wenigen, mit Wert (im Singular) aufgeladenen Entitäten (Geld) ‚befriedigt‘ werden.31 Eine derartige Perspektive löst nicht nur eingefahrene Dichotomien innerhalb der Debatte um koloniale Wirtschaftsordnungen wie jene zwischen reagierender prä-kapitalistischer Peripherie und agierendem proto-kapitalistischen Kern auf. Sie verhilft auch dazu, Parallelen zwischen uns und den anderen wieder mehr ins Zentrum ethnologischer Begriffsbildung zu rücken, um dem Ziel einer wahrhaft symmetrischen und im Kern kritischen Anthropologie näher zu kommen, deren Universalismus in der formalen Annahme liegt, jede Kultur habe die Distribution von Wert in einer Weise zu organisieren, die ihr eine minimale Kohärenz und Stabilität verleiht. Bei der jeweiligen praktischen Umsetzung dieser Aufgabe sollten, so die politische Forderung Mauss’, die Mitglieder der Gesellschaft jedoch bemüht sein, die folgende Frage stets verneinen zu können: „Ist es nicht, als ob die Hände eines

30 Siehe vor allem Polanyi, Karl/Arensberg, Conrad M./Pearson, Harry W. (1957): Trade and Market in the Early Empires, Glencoe: Free Press und Polanyi, Karl/Rotstein, Abraham (1966): Dahomey and the Slave Trade. An Analysis of an Archaic Economy, Seattle/London: University of Washington Press. 31 Der Begriff Entität ist hier mit Absicht gewählt, um eine einseitige Beschränkung auf Dinge zu vermeiden. Wie Rortys luzide Analyse des Zusammenhangs zwischen Genese der Identitätspolitik und Verkümmerung der an Redistribution orientierten Kapitalismuskritik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gezeigt hat, könnte man in Anbetracht rezenter Entwicklung von einer Fetischisierung der Anerkennung „abweichender“, „subalterner“ Identitäten selbst sprechen, siehe u.a. Rorty, Richard (1999): Achieving our country. Leftist thought in twentieth-century America, Cambridge: Harvard University Press, hier S. 77: „This cultural left thinks more about stigma than about money, more about deep and hidden psychosexual motivations than about shallow and evident greed.“ In Anbetracht der hier verwendeten Terminologie wäre in diesem Falle von einer Negation der Bedeutung eines zentralen Wertzirkulationsmediums (kapitalistischem Geld) zugunsten der einseitigen Betonung eines anderen (Markern der Identitätsanerkennung) zu sprechen.

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Körpers, oder die Zähne eines Mundes gegen einander wüten wollten, weil das eine Glied nicht geschaffen ist, wie das andere?“32

32 Kleist, Heinrich von (1993): Die Verlobung in St. Domingo. In: Ders.: Sämtliche Werke und Briefe, Band II, München/Wien: Hanser, S. 160-195, hier S. 165.

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Kultur und soziale Praxis Jens Adam, Asta Vonderau (Hg.) Formationen des Politischen Anthropologie politischer Felder April 2014, 388 Seiten, kart., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2263-8

Jonas Bens, Susanne Kleinfeld, Karoline Noack (Hg.) Fußball. Macht. Politik. Interdisziplinäre Perspektiven auf Fußball und Gesellschaft Februar 2014, ca. 200 Seiten, kart., ca. 27,99 €, ISBN 978-3-8376-2558-5

Gesine Drews-Sylla, Renata Makarska (Hg.) Neue alte Rassismen? Differenz und Exklusion in Europa nach 1989 Juli 2014, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2364-2

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Kultur und soziale Praxis Heidrun Friese Grenzen der Gastfreundschaft Die Bootsflüchtlinge von Lampedusa und die europäische Frage April 2014, ca. 200 Seiten, kart., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-2447-2

Jörg Gertel, Rachid Ouaissa (Hg.) Urbane Jugendbewegungen Widerstand und Umbrüche in der arabischen Welt März 2014, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 19,80 €, ISBN 978-3-8376-2130-3

Tatjana Thelen Care/Sorge Konstruktion, Reproduktion und Auflösung bedeutsamer Bindungen April 2014, ca. 330 Seiten, kart., ca. 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2562-2

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Kultur und soziale Praxis Sonja Buckel »Welcome to Europe« – Die Grenzen des europäischen Migrationsrechts Juridische Auseinandersetzungen um das »Staatsprojekt Europa«

Hannes Schammann Ethnomarketing und Integration Eine kulturwirtschaftliche Perspektive. Fallstudien aus Deutschland, den USA und Großbritannien

September 2013, 372 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-2486-1

April 2013, 300 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2428-1

Naime Cakir Islamfeindlichkeit Anatomie eines Feindbildes in Deutschland

Anett Schmitz Transnational leben Bildungserfolgreiche (Spät-)Aussiedler zwischen Deutschland und Russland

Februar 2014, ca. 400 Seiten, kart., ca. 36,99 €, ISBN 978-3-8376-2661-2

Oktober 2013, 294 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2328-4

Forschungsgruppe »Staatsprojekt Europa« (Hg.) Kämpfe um Migrationspolitik Theorie, Methode und Analysen kritischer Europaforschung

Burkhard Schnepel, Felix Girke, Eva-Maria Knoll (Hg.) Kultur all inclusive Identität, Tradition und Kulturerbe im Zeitalter des Massentourismus

Januar 2014, 304 Seiten, kart., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-2402-1

August 2013, 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,90 €, ISBN 978-3-8376-2089-4

Ayla Güler Saied Rap in Deutschland Musik als Interaktionsmedium zwischen Partykultur und urbanen Anerkennungskämpfen Januar 2013, 310 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2251-5

Christa Markom Rassismus aus der Mitte Die soziale Konstruktion der »Anderen« in Österreich Januar 2014, 230 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2634-6

Simon Reitmeier Warum wir mögen, was wir essen Eine Studie zur Sozialisation der Ernährung

Frank Sowa Indigene Völker in der Weltgesellschaft Die kulturelle Identität der grönländischen Inuit im Spannungsfeld von Natur und Kultur Mai 2014, ca. 450 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 39,99 €, ISBN 978-3-8376-2678-0

Henrike Terhart Körper und Migration Eine Studie zu Körperinszenierungen junger Frauen in Text und Bild Januar 2014, 460 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2618-6

Mai 2013, 392 Seiten, kart., 36,80 €, ISBN 978-3-8376-2335-2

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