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German Pages 282 Year 2018
Viktorija Ratković Postmigrantische Medien
Critical Studies in Media and Communication | Band 20
Editorial Die Reihe Critical Studies in Media and Communication (bis September 2015: »Critical Media Studies«) versammelt Arbeiten, die sich mit der Funktion und Bedeutung von Medien, Kommunikation und Öffentlichkeit in ihrer Relevanz für gesellschaftliche (Macht-)Verhältnisse, deren Produktion, Reproduktion und Veränderung beschäftigen. Die Herausgeberinnen orientieren sich dabei an einer kritischen Gesellschaftsanalyse, die danach fragt, in welcher Weise symbolische und materielle Ressourcen zur Verfügung gestellt bzw. vorenthalten werden und wie soziale und kulturelle Einschluss- und Ausschlussprozesse gestaltet sind. Dies schließt die Analyse von sozialen Praktiken, von Kommunikations- und Alltagskulturen ein und nimmt insbesondere gender, race und class, aber auch andere Zuschreibungen sowie deren Intersektionalität als relevante Dimensionen gesellschaftlicher Ungleichheit und sozialer Positionierung in den Blick. Grundsätzlich sind Autor*innen angesprochen, die danach fragen, wie gesellschaftliche Dominanzverhältnisse in Medienkulturen reproduziert, aber auch verschoben und unterlaufen werden können. Medien und Medienpraktiken werden gegenwärtig im Spannungsfeld von Handlungsermächtigung und Handlungsbeschränkung diskutiert – etwa durch neue Formen der (transkulturellen) Artikulation und Teilhabe, aber auch der Überwachung und Kontrolle. In Bezug auf Medienkulturen finden die Konsequenzen transnationalen Wirtschaftens und Regierens beispielsweise in der Mediatisierung von Protest, in der (medial vermittelten) alltäglichen Begegnung von Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungshintergründen und in der Konfrontation mit dem Leiden auch in entfernten Regionen ihren Ausdruck. Die Beispiele verdeutlichen, dass Digitalisierung und Medienkonvergenz stets verbunden sind mit der neoliberalen Globalisierung des Kapitalismus. Die Reihe will ausdrücklich auch solchen Studien einen Publikationsort bieten, die transkulturelle kommunikative Praktiken und Öffentlichkeiten auf Basis kritischer Gesellschaftsanalyse untersuchen. Das Spektrum der Reihe umfasst aktuelle wie historische Perspektiven, die theoretisch angelegt oder durch eine empirische Herangehensweise fundiert sind. Dies kann sowohl aus sozial- wie kulturwissenschaftlicher Perspektive erfolgen, wobei sich deren Verbindung als besonders inspirierend erweist. Die Reihe wird herausgegeben von Elke Grittmann, Elisabeth Klaus, Margreth Lünenborg, Jutta Röser, Tanja Thomas und Ulla Wischermann. Viktorija Ratković (Dr. phil.) ist als Senior Scientist am Zentrum für Friedensforschung und Friedensbildung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt tätig. Ihre Dissertation wurde von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften mit dem Dissertationspreis für Migrationsforschung ausgezeichnet.
Viktorija RatkoviĆ
Postmigrantische Medien Die Magazine »biber« und »migrazine« zwischen Anpassung, Kritik und Transformation
Das vorliegende Buch basiert auf der Dissertation der Autorin an der AlpenAdria-Universität Klagenfurt. Veröffentlicht mit der Unterstützung der Fakultät für Kulturwissenschaften der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.
Veröffentlicht mit Unterstützung des Landes Kärnten.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2018 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Lektorat: Dr. Wolfgang Delseit, Köln Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4279-7 PDF-ISBN 978-3-8394-4279-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
Danksagung | 7 Einleitung | 9 Theoretische Verortungen | 13
Dominante Diskurse um Migration | 14 Identitätsforschung | 30 Migration und Medien | 49 Von ›ethnic media‹ zu Postmigrantischen Medien | 56 Methodologische Überlegungen | 70 Postmigrantische Erfahrungen | 79
Strategien gegen Othering | 79 Spiel mit Zuschreibungen | 101 Geschlecht(-erverhältnisse) aus postmigrantischer Perspektive | 121
Geschlecht aus intersektionaler Perspektive | 121 Geschlechterrollen im Wandel | 126 Wege aus der Prekarität | 147
Kritik und Bündnispolitiken | 148 Erfolg, (Aus-)Bildung und Karriere | 180 Fazit | 241
Vergleichende Diskussion | 242 Implikationen und offene Fragen | 249 Literatur | 255 Verzeichnis der analysierten Beiträge | 275 Abbildungsverzeichnis | 279
Danksagung
Mein Dank gebührt zahlreichen Personen, die auf unterschiedlichsten Wegen zur Entstehung dieser Arbeit beigetragen haben: Kolleg_innen, Freund_innen und Familienmitglieder haben jahrelang und unermüdlich Fragen gestellt, mich bestärkt, verunsichert, ermuntert, herausgefordert, abgelenkt, Literaturtipps gegeben, ergänzt, zur Eile angetrieben – und manchmal klugerweise so getan, als gäbe es die Arbeit gar nicht. Das Wort ›Betreuung‹ umfasst zudem nicht annähernd das Ausmaß der Hilfestellungen und Unterstützungen, die Brigitte Hipfl mir jahrelang zukommen hat lassen. Sie hat dabei nicht nur wesentliches inhaltliches Feedback klug, umsichtig und freundlich formuliert, sondern auch zahlreiche Gutachten, Stellungnahmen und Empfehlungsschreiben verfasst. Diese haben mir u.a. zum Dissertationsstipendium der Fakultät der Kulturwissenschaften der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt verholfen, das die Fertigstellung dieser Arbeit um Einiges erleichtert hat. Danken möchte ich insbesondere meiner Familie, meinen Kolleginnen am Zentrum für Friedensforschung und Friedensbildung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt sowie vor allem Claudia Brunner, Utta Isop, Hajnalka Nagy und Martina Reiter.
Einleitung Who, me confused? Ambivalent? Not so. Only your labels split me. (Anzaldúa 2015: 205)
So alltäglich Migration ist, so heiß wird sie debattiert: Obwohl immer mehr Menschen vielfältigste Migrationserfahrungen haben und laufend machen, werden Migrationsbewegungen in der Öffentlichkeit zumeist als Problem wahrgenommen. Dabei ist auch das Phänomen zu beobachten, dass in entsprechenden Diskussionen zwar unterschiedliche Forscher_innen, Politiker_innen und Vertreter_innen der Zivilgesellschaft zu Wort kommen, allerdings kaum jemals jene Expert_innen, die aus eigener Migrationserfahrung berichten können: jene Menschen, die heute häufig als Menschen mit ›Migrationshintergrund‹ bezeichnet werden und früher als Flüchtlinge, ›Gastarbeiter_innen‹ oder Ausländer_innen, in Deutschland als Aussiedler_innen und in der Schweiz (nach wie vor) als Secondas/Secondos tituliert wurden/werden. Jeder dieser Begriffe trägt problematische Konnotationen in sich, jeder ist widersprüchlich, vereinfachend und ungenau. Die größte Problematik liegt allerdings in der zugrundeliegenden Aufteilung der Bevölkerung bestimmter Regionen (Staaten/Nationen) in Zugehörige und Nichtzugehörige, die auch als Folge der Erfindung der Nation (Anderson 1988) gesehen werden kann und sich in den oben genannten Begriffen widerspiegelt. Alle diese Begriffe machen zudem deutlich, dass die Aufteilung entlang von (vermeintlicher) Herkunft verläuft, wobei ein einziges Merkmal eines Menschen herangezogen wird, um diesen in eine bestimmte Position zu verweisen. Unterschiede werden so einerseits erst konstruiert und andererseits verstärkt betont, z.B., indem bestimmte Handlungsweisen als kulturelle Unterschiede gedeutet werden, um ökonomische und strukturelle Unterschiede zu verschleiern (vgl. Holzwarth 2008: 24). Menschen mit ›Migrationshintergrund‹ wird dadurch eine
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marginale Position zugewiesen, und ihre Probleme werden individualisiert, indem sie ihnen selbst zugeschrieben werden (vgl. ebd.: 33).1 Die Problematik bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Migration besteht gleichzeitig darin, dass die hierbei verwendeten Bezeichnungen nicht nur analytische Kategorien sind, sondern gleichzeitig auch Kategorien z.B. sozialer, politischer und religiöser Praktiken. So führt Roger Brubaker anhand der Kategorie »Muslim« aus, dass Wissenschaftler_innen Gefahr laufen, diese Bedeutungen zu vermischen, sie »risk using pre-constructed categories of journalistic, political or religious common sense as our categories of analysis« (2013: 2). Er führt in der Folge aus, wie Identitätskategorien als Selbst- und Fremdidentifikationen fungieren, d.h., er betont, dass bestimmte Begriffe sowohl für jene, auf die diese angewendet werden, als auch für jene, die diese selbst verwenden, bedeutsam sind. Auch finden Verschiebungen der Bedeutung statt, was Brubaker anhand der ›Verwandlung‹ von ›Gastarbeiter_innen‹ zu Muslim_innen in Europa nachzeichnet (vgl. ebd.). Nichtsdestotrotz ist gerade in wissenschaftlichen Arbeiten die Notwendigkeit vorhanden, Begriffe zu verwenden – und sich gleichzeitig deren Problematiken bewusst zu sein. In dieser Arbeit werden entsprechend jene Begriffe, die die ›Anderen‹ bezeichnen und als problematisch beurteilt werden, in einfache Anführungs- und Abführungszeichen gesetzt. Gleichzeitig – und gleichsam als paradoxe Intervention – wird als Bezeichnung für jene, die allgemein unmarkiert sind, der Begriff ›(N)Ur-Österreicher_innen‹ verwendet. Die Absicht ist dabei, die Leser_innen über diesen Begriff ›stolpern‹ zu lassen, wie sie sonst über jene Begriffe stolpern, die Prä- oder Suffixe haben (z.B. ›Afro-Deutsche‹ oder ›Österreicherin mit türkischen Wurzeln‹). Nicht zuletzt wird die Perspektive ironisch umgedreht: Bezeichnen doch die Prä- und Suffixe an sich einen Makel (es handelt sich um keine ›reinen‹/›richtigen‹ Deutschen oder Österreicher_innen), sind nun jene, denen kein Prä- oder Suffix zugeschrieben werden kann, leider ›nur‹ Österreicher_innen. Die Herausforderungen der Begriffsverwendung zeigt sich auch beim konkreten Gegenstand dieser Arbeit: So hat sich etwa die Bezeichnung des Gegenstandes im Laufe der Arbeit verändert. Standen am Beginn des Forschungsprozesses ›Medien von und für Migrant_innen‹ im Fokus, habe ich mich später für die Bezeichnung Postmigrantische Medien und Diversity Media entschieden, um deutlich zu machen, dass es sich bei diesen um eine neue Art von Medien mit einem neuen Selbstverständnis handelt. Wodurch der Wandel bedingt ist, wird weiter unten ausführlich thematisiert. An dieser Stelle sei nur festgehalten, dass 1
Auf den Prozess der Kulturalisierung bzw. auf die Problematik der Verwendung von Kultur statt ›Rasse‹ wird weiter unter ausführlicher eingegangen.
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die beiden Medien, migrazine und biber, die hier einer Analyse unterzogen werden, insofern Postmigrantische Medien sind, als sie Migration als ›Normalität‹ darstellen und sämtliche Lebensbereiche ›migrantisieren‹, etwa indem sie aufzeigen, dass Migration in unterschiedlichsten Bereichen eine Rolle spielt. Sie sind zudem bemüht, der eingangs geschilderten Problematik entgegenzuwirken, indem sie vor allem jene mit ›Migrationshintergrund‹ in die Produktion einbeziehen. Diese Arbeit ist in der Tradition der Kritischen Migrationsforschung verortet, wobei Perspektiven der Cultural Studies, der Frauen- und Geschlechterforschung und auch der Postcolonial Studies einfließen. In deutlicher Abgrenzung zu hegemonialen Diskursen wird der Fokus nicht auf ›Integration‹ gelegt, sondern es werden vielmehr Fragen der Identität in den Mittelpunkt gerückt. Diverse Problematiken der Beschäftigung mit Identität werden dabei auch thematisiert – etwa, dass damit unterstellt wird, Identität ein exklusives Problem der ›Anderen‹ sei. Gleichzeitig wird hier explizit politisch argumentiert, dass gerade angesichts der Tatsache, dass rechte Bewegungen identitär argumentieren und handeln, das Feld der Identität diesen nicht überlassen werden darf. Konkret geht es in dieser Arbeit darum, nachzuzeichnen, welche Identifikationsangebote und Anrufungen an die Leser_innen von migrazine und biber gerichtet werden. Den Leser_innen wird in beiden Medien laufend nahegelegt, welche Wünsche, Bedürfnisse, Handlungsweisen und (Berufs-)Ziele legitim sind und auch, welche Subjektpositionen als erstrebenswert gesehen werden sollten. Dies geschieht vor dem Hintergrund zahlreicher Transformationsprozesse: So wird heute nicht nur (öffentlich) ausgehandelt, welchen Stellenwert Migration hat bzw. haben sollte, sondern auch, wie beispielsweise mit Prekarität und dem Aufbrechen traditioneller Geschlechterrollen umgegangen werden sollte. Die Analyse zeigt, dass biber und migrazine den Leser_innen jeweils z.T. ähnliche und z.T. sehr unterschiedliche Wege des Umgangs mit bestehenden Herausforderungen nahelegen. Besonders interessant ist dabei die Frage, inwiefern die Inhalte dieser Medien in hegemoniale Diskurse eingebunden sind bzw. ob und wenn ja, welche Spuren alternativer diskursiver Verhandlungen zu finden sind. Während beide Medien postmigrantische Erfahrungen zum Ausgangspunkt ihrer Auseinandersetzungen machen, wird Migration als ein Aspekt unter vielen deutlich, d.h., deren Bedeutung wird – und das zum Teil auch explizit – relativiert. Eine Strategie, die dabei zum Einsatz kommt, nenne ich Postmigrantische Disidentifikation und argumentiere, dass die Medienmacher_innen (problematische) kulturelle Formationen strategisch verwenden, um sie zu verändern. Die Ambivalenz, die dieser Strategie inhärent ist, zeigt sich indes in der Mehrheit der analysierten Beiträge. Entsprechend sind die Leser_innen von biber und migrazine
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laufend angehalten, sich eine eigene (kritische) Meinung zu bilden, Position zu beziehen und aktiv zu werden. Im Folgenden werden zunächst die theoretischen Verortungen dieser Arbeit beschrieben. Einen wichtigen Ausgangspunkt bilden dabei die Verstrickungen von öffentlichen Debatten, Politik und Forschung, die jegliche Migrationsforschung zu einem »Drahtseilakt« (Nieswand/Drotbohm 2014: 21) machen, der u.a. Gefahr läuft, Otheringprozesse zu tradieren. Debatten um die Bedeutung von Migration spiegeln sich ebenfalls in der Auseinandersetzung mit Fragen der Identität wieder. Eingegangen wird hier vor allem auf vorherrschende Vorstellungen vom ›dezentrierten Selbst‹, grundsätzliche Überlegungen zu Diskursen, Prozessen der Subjektwerdung und (Dis-)Identifikation sowie auf Fragen der Identitätspolitik, ›neue‹ Identitätskonzepte und die Rolle von Medien. Einen zentralen Stellenwert nimmt dabei auch die bestehende Forschung zu Migration und Medien ein, wobei insbesondere auf die Entstehung von und Perspektiven auf Medien eingegangen wird, die von Migrant_innen produziert wurden und werden. Anschließend werden die Ergebnisse der Analyse beschrieben, wobei drei Schwerpunktsetzungen vorgenommen werden: Erstens wird der Frage nachgegangen, was aus Sicht der beiden Medien postmigrantische Erfahrungen ausmacht. Welchen Stellenwert Migration eingeräumt werden sollte und welche Konsequenzen sich aus unterschiedlichen Perspektiven und Zugängen ergeben, wird dabei ebenfalls diskutiert. Zweitens wird beschrieben, wie die Kategorie Geschlecht in migrazine verhandelt wird bzw. wie der (drohende) Wandel von Geschlechterverhältnissen in biber thematisiert wird. Auch hier stellt die postmigrantische Perspektive einen zentralen Bezugspunkt dar. Drittens wird dargestellt, welche Handlungsweisen und Positionierungen die beiden Magazine den Leser_innen angesichts der zunehmenden Prekarisierung von Arbeits- und Lebensverhältnissen nahelegen. Während biber vor allem das Streben nach persönlichem Erfolg in den Vorgrund rückt, betont migrazine die Notwendigkeit, aber auch die Herausforderungen von Bündnissen. Die vergleichende Diskussion der Ergebnisse und die Formulierung von Implikationen für Mainstream-Medien und die (kommunikationswissenschaftliche) Forschung bilden schließtlich den Abschluss dieser Arbeit.
Theoretische Verortungen In terms of theoretical practice, I would recommend that we do not rush forward to hasty resolutions of complexities we can hardly account for. Let us instead linger a little longer within complexities and paradoxes, resisting fear of the immanent catastrophe. Let us take the time to go through with these processes. (Braidotti 2011: 54)
Dieses Kapitel dient der Kontextualisierung der nachfolgenden Analyse. Entsprechend wird ausgeführt, welche Diskurse die Debatten um jene Themen prägen, die im Fokus dieser Arbeit stehen. Zunächst wird verdeutlicht, dass sich die einzelnen Bereiche schwer bzw. nur analytisch voneinander trennen lassen: Beschrieben werden der Ruf nach der ›Integration‹ jener, die als ›Andere‹ definiert werden und das dabei inhärente Othering, das wahrgenommene oder auch nur angenommene (kulturelle) Unterschiede verstärkt. Ebenso wird der Fokus auf Kultur aber auch die immer lauter werdenden kritischen Stimmen betrachtet. Anschließend wird der Themenkomplex Identität behandelt, d.h. nicht nur Konzepte der Subjektwerdung, (Dis-)Identifikation, Anrufung und Performativität vorgestellt, sondern Identität auch im Kontext von Migration und politischen Kämpfen verortet. Ausführungen zur Rolle der Medien bei Fragen der Identität bilden dann den Übergang zum Themengebiet Medien und Migration, wo das Integrationsparadigma im Kontext der deutschsprachigen Medien- und Kommunikationswissenschaften kritisch beleuchtet wird, bevor dann u.a. auf Darstellungen von ›Migrant_innen‹ in Mainstream-Medien eingegangen wird. Ein eigenes Kapitel widmet sich dann jenen Medien, die ich als Postmigrantische Medien bezeichne, wobei unterschiedliche Aspekte dieser Medien bzw. der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit ihnen beleuchtet werden, bevor jene zwei Beispiele vorgestellt werden, die in dieser Arbeit analysiert werden: biber. Ma-
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gazin für neue Österreicher und migrazine. Abschließend finden sich methodologische Überlegungen, bevor, bezugnehmend auf alle diese Ausführungen, die Forschungsfrage für die nachfolgende Analyse formuliert wird.
DOMINANTE DISKURSE UM MIGRATION IN DER DEUTSCHSPRACHIGEN FORSCHUNG UND IN ÖFFENTLICHEN DEBATTEN Obwohl die Migrationsforschung an sich keine einheitliche Disziplin ist, lassen sich doch dominante Diskurse und Paradigmen erkennen, auf die im Folgenden näher eingegangen wird, wobei der Fokus auf den deutschsprachigen Raum gelegt wird. Erstens wird beschrieben, wie sehr sich bei der Beschäftigung mit Migration mehrere Faktoren überschneiden: So müssen nicht nur die wirtschaftlichen und rechtlichen Bedingungen in den Blick genommen werden (wird Migration heute doch vor allem unter dem Aspekt der Regulierung gesehen), sondern auch die öffentlichen Debatten zur Migration sowie die wissenschaftliche Beschäftigung mit Migration. Die Ausdifferenzierung dieser drei Aspekte ist ein schwieriges Unterfangen, stehen sie doch in enger Verbindung zueinander und beeinflussen sich gegenseitig – so werden beispielsweise Gesetze geschaffen, die nicht nur öffentliche Diskurse prägen, sondern auch von diesen geleitet sind. Boris Nieswand und Heike Drotbohm sprechen im Bereich der Migrationsforschung deswegen vom »Drahtseilakt zwischen wissenschaftlicher Beschreibung und politischer Verstrickung der verwendeten Begrifflichkeiten« (Nieswand/Drotbohm 2014: 21). Zweitens wird ›Integration‹ als jenes Paradigma herausgearbeitet, das die öffentlichen Debatten um Migration prägt und gleichzeitig auch in der Forschung einen wichtigen Stellenwert einnimmt, wobei hier auch Praktiken des Otherings deutlich werden. Drittens wird auf Kultur bzw. die Kulturalisierung eingegangen, bevor viertens jene Perspektiven diskutiert werden, die aktuell gerade in der Kritischen Migrationsforschung viel Beachtung finden: Dabei handelt es sich um das Migrationsmanagement, die Kritische Migrationsund Grenzregimeforschung sowie die Überlegungen zu Transnationalismus und Postmigrantischen Gesellschaften.
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Verstrickungen von öffentlichen Debatten, Politik und Forschung Der Versuch, den Beginn der Beschäftigung mit Migration zu datieren, scheint ein sinnloses Unterfangen zu sein, ist doch die Menschheit ohne Migrationsbewegungen nicht vorstellbar. Obwohl Menschen zu allen Zeiten ihren Geburtsort hinter sich gelassen haben, wird in der Literatur zu Migration in deutschsprachigen Ländern der Beginn der Migration häufig mit dem Anfang des 20. Jahrhunderts datiert. Dies ist mitnichten ein willkürlich gewählter Zeitpunkt: So wurde beispielsweise in Österreich im Jahre 1925 das Inlandarbeiterschutzgesetz etabliert, welches gewährleisten sollte, dass österreichische Staatsangehörige am Arbeitsmarkt Vorrang vor ausländischen Staatsangehörigen erhalten (vgl. Gächter et al. 2004: 31). Allerdings scheint sowohl in öffentlichen Diskursen als auch in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Migration ein späterer Zeitpunkt sozusagen als ›Startschuss‹ der Migration nach Österreich zu gelten: die 1960er-Jahre und mit ihnen der Beginn der Anwerbung von sogenannten ›Gastarbeiter_innen‹.1 Durch den Wirtschaftsaufschwung in Deutschland und Österreich herrschte in diesen Ländern2 ein Mangel an Arbeitskräften, dem mit der Anwerbung von ›Gastarbeiter_innen‹ zu begegnen gesucht wurde. Es wurden Anwerbebüros in Ländern wie Jugoslawien, der Türkei, Griechenland, Italien etc. eröffnet, und immer mehr Menschen machten sich auf den Weg in den Norden. Geplant war ein Rotationssystem, d.h., die Arbeiter_innen sollten eine gewisse Zeit lang in bestimmten Betrieben arbeiten und dann wieder in ihre Heimatländer zurückkehren. In der Realität stieß das System auf zwei Widerstände: Die Angeworbenen hatten den Wunsch, über längere Zeit zu bleiben und zu arbeiten, was wohl weniger Einfluss auf die Verlängerung ihres Aufenthaltes gehabt hätte als der Hinweis ihrer Arbeitgeber_innen, dass das laufende Einschulen von neu-
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Der Begriff ›Gastarbeiter_in‹ wird hier unter Anführungszeichen geführt, um zu signalisieren, dass er durchaus umstritten ist. So hat etwa Dilek Çınar darauf hingewiesen, dass Gastsein und Arbeiten einander im Grunde ausschließen (vgl. Çınar 2004: 47). Zwar hatte es bereits 1939 ein Anwerbeabkommen zwischen der damaligen ›Ostmark‹ und der damaligen Tschecheslowakei, dem damaligen Jugoslawien und Italien gegeben (vgl. Gächter et al. 2004: 31), dieser Tatsache wird allerdings in öffentlichen Diskursen kaum Rechnung getragen.
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Auch in anderen Ländern Nordeuropas fanden ähnliche Prozesse statt. In den Niederlanden leben z.B. heute viele Menschen, die ab den 1960er-Jahren als ›Gastarbeiter_innen‹ aus Marokko angeworben wurden (und auch ihre Nachkommen; vgl. Leurs/Midden/Ponzanesi 2012).
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en Arbeiter_innen einen zusätzlichen, unwirtschaftlichen, Kostenfaktor darstellt. Sowohl in der Migrationsforschung als auch in den Alltagsdiskursen hatte die Tatsache, dass die ›Migrant_innen‹ als Arbeitnehmer_innen nach Österreich/Deutschland kamen, zur Folge, dass Migration zunächst unter dem Gesichtspunkt der Ökonomie gesehen wurde. ›Gastarbeiter_innen‹ wurden weniger (oder gar nicht) als Individuen gesehen, sondern als anonyme Arbeitsmasse. So wurden beispielsweise bis in die 1970er-Jahre vor allem Anpassungsprobleme von ›Gastarbeiter_innen‹ im Arbeitsprozess thematisiert. Ihre Lebensbedingungen wurden nur vereinzelt in den Blick genommen (vgl. Huth-Hildebrandt 2002: 23). Die anfänglich starke Verbindung zwischen der Migrationsforschung und der Migrationspolitik in Deutschland hat beispielsweise Annette Treibel (1988) herausgearbeitet: Die Forscher_innen orientierten sich bei der Auswahl ihrer Themen eng an den Schwerpunktsetzungen der staatlichen Migrationspolitik. Während in der Migrationspolitik die Jahre 1955 bis 1973 von Treibel als eine Phase der Anwerbung und Rotation bezeichnet wird, sind für sie die Jahre bis 1969 die Vorlauf- und jene von 1970 bis 1973 die Frühphase der Migrationsforschung. Mit der Erkenntnis, dass ›Gastarbeiter_innen‹ nicht nur entschlossen waren, länger als geplant in den Aufnahmeländern zu bleiben, sondern auch ihre Familien nachzuholen, wandelte sich sowohl die Migrationspolitik als auch die -forschung. So werden die Jahre 1973 bis 1979 als die Phase der Konsolidierung und jene von 1979 bis 1980 als Phase der ›Integration‹ in der Migrationspolitik bezeichnet, jene von 1974 bis 1983 in der Migrationsforschung laut Treibel (ebd.: 31) als deren Hauptphase. Die Lebenssituation von ›Gastarbeiter_innen‹ und deren Familien rückte in den Mittelpunkt des Interesses. In Deutschland wurden insbesondere Wohlfahrtsverbände auf diese Menschen aufmerksam. So wurde für die Immigrierten ein eigener Sonderbereich geschaffen, der nicht – wie sonst üblich – alters- oder geschlechtsspezifisch ausdifferenziert war. ›Gastarbeiter_innen‹ und ihre Familien wurden folglich »als eine betreuungsbedürftige Gruppe definiert und als solche homogenisiert und ausgegrenzt« (HuthHildebrandt 2002: 131). Mit der damit erfolgten »Sonderklientelisierung« war auch eine Ethnisierung der ›Migrant_innen‹ verbunden, wobei der Berufsgruppe der »Ausländersozialberater_innen« eine besondere Rolle zukam: Diese dienten als Vermittler_innen zwischen den Behörden und ihren Klient_innen und damit auch zwischen der Aufnahmegesellschaft und den immigrierten Bevölkerungsteilen. Zwar hatten sie berufsbedingt gerade mit als hilfsbedürftig definierten Personen zu tun, ihre Berichte über diese wurden aber häufig als repräsenta-
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tiv für alle ›Migrant_innen‹ herangezogen (vgl. ebd.: 131 ff.).3 Nicht zuletzt rückten aufgrund der Konzentration auf Familien auch insbesondere weibliche ›Migrant_innen‹ in den Fokus der Aufmerksamkeit – und das, obwohl sie ebenfalls zu den ›Gastarbeiter_innen‹ gezählt hatten, die z.T. alleine nach Österreich und Deutschland gekommen waren. Auch weil in den Anfängen der Migrationsdebatte kaum nach Geschlecht differenziert wurde, besteht noch heute – entgegen den Tatsachen – vor allem die Vorstellung vom männlichen ›Gastarbeiter‹.4 Migrantinnen wurden von ihren Beratern (und anfangs waren es vor allem männliche Sozialarbeiter) als doppelt fremd beschrieben bzw. auch als doppelte Opfer: So herrschte das Bild vor, Migrantinnen hätten einerseits unter ihrem Fremdsein im Aufnahmeland und andererseits unter ihrem Leben in einer von der Männerwelt separierten Frauenwelt zu leiden (vgl. Huth-Hildebrandt 2002: 136). Auch die Frauenforschung der 1970er-Jahre sahen Migrantinnen als ohnmächtig gefangen in hierarchischen Geschlechterbeziehungen, aus denen sie ohne Hilfe der (weiblichen) Angehörigen des Aufnahmelandes nicht entkommen konnten (vgl. ebd.: 141). Neben Frauen wurden auch insbesondere die Kinder von ›Migrant_innen‹ zum zentralen Thema der Forschung und Politik, wobei auch hier ›Migrantinnen‹ als Müttern eine wichtige Rolle zugeschrieben wurde. Sie wurden nicht nur als Ansprechpartnerin, sondern auch als »Schlüsselfigur im anvisierten Modernisierungsprozeß« (ebd.: 159) gesehen, mit deren Hilfe es gelingen konnte, die Kinder in die Aufnahmegesellschaft zu ›integrieren‹. Die Erkenntnis, dass ›Gastarbeiter_innen‹ und ihre Nachkommen vorhatten, in den ursprünglichen ›Gastländern‹ zu bleiben, führte entsprechend zu einer Konzentration auf deren ›Integration‹. Wie sehr das Paradigma der ›Integration‹ auch heute noch im deutschsprachigen Raum die Debatten um Migration prägt, wird im Folgenden ausgeführt.
›Integration‹ und Othering ›Integration‹ stellt noch heute nicht nur eines der zentralsten Paradigmen in Bezug zu Migration dar, auch können an diesem Begriff die Überschneidungen und Beeinflussungen von Diskursen in der Politik, der Wissenschaft und der Zivilge3
Auf die Problematik der Repräsentation einer Gruppe durch einige wenige/ausgewählte wird weiter unten eingegangen.
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Der Versuch, auch weibliche ›Gastarbeiter_innen‹ im kulturellen Gedächtnis (Österreichs) zu verankern, wurde etwa in dem von mir geleiteten Forschungsprojekt ›Gastarbeiter_innen‹ in Kärnten – auf der Spurensuche der weiblichen Arbeitsmigration unternommen (vgl. Koch et al. 2013).
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sellschaft aufgezeigt werden. So nimmt gerade in öffentlichen Debatten um Migration die Forderung an ›Migrant_innen‹, sich zu ›integrieren‹, viel Raum ein – vielfach ohne dass definiert wird, was damit eigentlich gemeint ist. Oder anders gesagt: Vordergründig wird zwar betont, dass sich die ›Neuen‹ lediglich an die Gegebenheiten der Aufnahmegesellschaft anpassen sollen, ohne dabei ihre eigene Kultur zu verlieren, im Grunde geht es aber eigentlich darum, dass sie sich so weit assimilieren sollen, dass eine Unterscheidung zwischen ›Neuen‹ und ›Alten‹ nicht mehr möglich ist. Auch die Mainstream-Migrationsforschung sah – ohne es zum überwiegenden Teil explizit so zu formulieren – die Assimilation der ›Migrant_innen‹ als das Ziel oder das Ende der Migration an: Verschiedene Phasen der Assimilation, der Einfluss der Person des Einwanderers/der Einwanderin als auch der Einwanderungsgesellschaft auf das Gelingen der Assimilation etc. wurden etwa im Rahmen verschiedener Eingliederungstheorien beschrieben (vgl. Keim 2003). Diese Ansicht, die auch mit dem Begriff des ›Melting Pot‹ (Verschmelzung der einzelnen Gruppen) umschrieben werden kann, wurde mit der Metapher der ›Salad Bowl‹ (Pluralismus bleibt bestehen) und der Vorstellung einer multikulturellen Gesellschaft aufgeweicht, gleichzeitig sehen manche aber gerade in multikulturellen Gesellschaften vor allem die Gefahr von ›Parallelgesellschaften‹. Bukow et al. (2007: 16) haben dagegen festgestellt, dass sich Parallelgesellschaften in der Realität kaum finden lassen, und sprechen deswegen von »›gefühlten‹ Parallelgesellschaften«. Sie weisen zudem darauf hin, dass »sich die Rede von der Parallelgesellschaft als Teil eines heute an vielen Orten gegenwärtigen fundamentalistischen Diskurses [erweist] und […] den Blick für eine adäquate Beobachtung dessen, was in der globalisierten Weltgesellschaft geschieht, [verstellt]«. (Ebd.) An der Diskussion um angebliche ›Parallelgesellschaften‹ wird zudem deutlich, wie unterschiedlich ähnliche Phänomene beurteilt werden und dass jene, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, leicht in Generalverdacht geraten. So wird nicht die Bildung von Netzwerken per se als problematisch beurteilt, vielmehr kommt es darauf an, wer sich warum mit wem vernetzt. Berufstätigen Frauen oder Wissenschaftler_innen wird etwa laufend nahegelegt, sich zu vernetzen, während ›Migrant_innen‹, die sich mit Personen aus ihrem Herkunftsland vernetzen, schnell vorgeworfen wird, eine ›Parallelgesellschaft‹ zu bilden. Dabei zeigen Studien, dass gerade die sozialen Bindungen in einer (›migrantischen‹) Community den Aufstieg forcieren, indem sich die Mitglieder gegenseitig unterstützen. Es sind also häufig jene Strukturen, die von ›außen‹ als höchst problematisch beurteilt werden, die für Absicherung sorgen (vgl. Reinprecht/Weiss 2012: 25).
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Obwohl ›Integration‹ in der Forschung einen prominenten Rang einnimmt, existiert keine einheitliche Begriffsdefinition. Nichtsdestotrotz sind es die Werke des Soziologen Hartmut Esser, die als prägend für die deutschsprachige Forschung in diesem Bereich gelten. Er definiert ›Integration‹ als »die Entstehung von gleichgewichtigen Interdependenzen zwischen Personen und Gruppen« (Esser 2010: 9), ›Migrant_innen‹ sind für ihn dann integriert, »wenn sie aufgrund von Interaktionen mit den Einheimischen soziale Beziehungen entwickelt haben und daraus gleichgewichtige Verflechtungen hervorgehen« (Esser 1980: 314). Allerdings stellt Esser (2004) auch fest, dass Assimilation an sich unausweichlich, d.h. alternativlos ist, was er damit begründet, dass die gesellschaftlichen Strukturen den ›Migrant_innen‹ keine andere Wahl lassen, als sich zu assimilieren. Zu Recht werfen Mecheril et al. (2013: 41) Esser vor, dass er mit dieser Sichtweise, »die strukturellen Erfordernisse des Arbeits- und Wohnungsmarktes, der Bildungsinstitutionen, Gesundheits- und Pflegesysteme affimiert.« Die Problematik der Integrationsdebatten wird auch am Widerspruch zwischen wissenschaftlichen Definitionen und politischen Forderungen deutlich. So formulieren Christoph Reinprecht und Hilde Weiss (2012: 24) als Kriterium für gelungene ›Integration‹ »das Verschwinden von Diskriminierung, die Abflachung von sozialen Ungleichheiten, die Ermöglichung von sozialer Aufwärtsmobilität, die Vermeidung von Exklusion«, während (nicht nur) der österreichische Staat von »Integration durch Leistung« spricht. Während Reinprecht und Weiss also gesellschaftliche Dimensionen und Aufgabenbereiche definieren, die nicht in der Verantwortung von Einzelnen liegen, sieht der Staat das (marginalisierte) Individuum gefordert. Die (zynische) Frage, die sich dabei stellt, ist folglich, wie die Leistung einer einzelnen Person aussehen muss, die dafür sorgen kann, dass etwa Diskriminierung an sich verschwindet. Problematisch ist vor allem, dass das Konzept der ›Integration‹ als dermaßen wichtig beurteilt wird, dass es beim Nachdenken über Migration fast zwangsläufig mitgedacht werden muss. So ist der Begriff im Titel zahlreicher Bücher und Studien zu finden (nicht zuletzt im Bereich der Medien- und Migrationsforschung, auf die weiter unten eingegangen wird) – selbst dann, wenn sich die Notwendigkeit, das diskutierte Thema gerade unter diesem Aspekt zu betrachten, nicht immer – oder auch nur – auf den ersten Blick erschließt. Ein Beispiel dafür ist die Publikation Ethnomarketing und Integration von Hannes Schammann (2013), die unterschiedliche Fallstudien aus Deutschland, den USA und Großbritannien in sich vereint. Der Autor geht in dieser u.a. der Frage nach, ob jene, die befürchten, dass diese Art von Marketing (die von manchen gar als »GhettoMarketing« [Nickel 2009: 4, zit. n. Schammann 2013: 244] bezeichnet wird), d.h. Marketing, das sich explizit an bestimmte, ethnisch definierte Gruppen rich-
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tet, zu gesellschaftlichen Spaltungen führt. Er stellt fest, dass die empirischen Ergebnisse diese Befürchtungen nicht bestätigen. Der Autor plädiert in der Folge für die weitere Entwicklung eines Forschungsprogramms zu Ethnomarketing und ›Integration‹ (vgl. Schammann 2013: 247) und sieht seine Arbeit auch als Hilfestellung für »Akteure der Integrationsarbeit«, wie sie »Ethnomarketing für Integrationsprozesse« (ebd.: 248) nutzen können. Irritierend ist dabei diese starke Verknüpfung einer wirtschaftlichen Strategie, die eingesetzt wird, um (neue) Kund_innen-Segmente gezielt(-er) anzusprechen, mit politischen Forderungen bzw. Sichtweisen.
Kritik an ›Integration‹ Die Problematik der Forderung nach ›Integration‹, die im Grunde vor allem an ›Migrant_innen‹ und jene mit ›Migrationshintergrund‹ gestellt wird, wurde vereinzelt immer wieder erhoben (vgl. Göttlich 2000). Von über 400 Erstunterzeichner_innen, darunter viele namhafte (Migrations-)Forscher_innen, beispielsweise Margarete Jäger, Kien Nghi Ha, Siegfried Jäger, Wolf-Dietrich Bukow, Erol Yildiz oder Encarnación Gutiérrez Rodríguez wurde sie in der Stellungnahme des Netzwerks Kritische Migrations- und Grenzregimeforschung Demokratie statt Integration zusammengefasst und am 1. Oktober 2010 veröffentlich. Darin wird festgehalten: »Integration heißt, dass man Menschen, die in diesem Land arbeiten, Kinder bekommen, alt werden und sterben, einen Verhaltenskodex aufnötigt, bevor sie gleichberechtigt dazugehören.«5 Auch hier wird deutlich, dass die Unterzeichner_innen mit der geforderten ›Integration‹ eher Assimilation verbinden – eben weil Assimilation und ›Integration‹ synonym verwendet werden, wenn gefordert wird, dass ›Integration‹ »nach dem vorgegebenen Muster politischer, ökonomischer und sozialer Erfordernisse der Mehrheitsgesellschaft erfolgen soll« (Lepperhoff/Manske/Schneider 2008: 10). In dieser Arbeit wird der Problematisierung des Integrationsparadigmas von Paul Mecheril (2011) gefolgt, der von einem »Integrationsdispositiv«6 spricht und mit diesem Ausdruck Folgendes versteht: »das Bündel von Vorkehrungen, Maßnahmen und Interpretationsformen, mit dem es in öffentlichen Debatten gelingt, die Unterscheidung zwischen natio-ethno-kulturellem ›Wir‹ und ›NichtWir‹ plausibel, akzeptabel, selbstverständlich und legitim zu machen. Das Integ5
Vgl. http://nonazisdessau.blogsport.de/kramkiste/wissenswertes/stellungsnahme-desnetzwerks-kritische-migrations-und-grenzregimeforschung (Stand: 15.3.2018).
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Er bezieht sich dabei auf Michel Foucaults Konzeption von Dispositiven als Netz zwischen Diskursen, Praktiken, Institutionen etc., die auf einen urgence/einen Notstand antworten (vgl. Foucault 1978: 120 ff.).
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rationsdispositiv antwortet einem strategischen Regelungsbedarf, der dadurch entsteht, dass die imaginierte Einheit ›Nation‹ in eine Krise gerät.« Das Sprechen über ›Integration‹ kann folglich nicht ›neutral‹ sein, d.h., es ist immer in einem Bündel problematischer Konnotationen zu sehen, was auch mit der hohen Bedeutungsoffenheit des Begriffs zusammenhängt. Entsprechend wird in dieser Arbeit der Begriff der ›Integration‹ nicht verwendet bzw. als problematischer Begriff kenntlich gemacht. Auch Mark Terkessidis (2010: 7) steht der ›Integration‹ als Begriff sehr kritisch gegenüber: So ist dieser in Deutschland schon in den 1970er-Jahren modern gewesen und mittlerweile wieder in Mode geraten, ohne sinnvoll zu sein. Problematisch, so Terkessidis, ist, dass mit dem Begriff viele unausgesprochene Vorstellungen verknüpft sind, etwa was ›Deutschsein‹ eigentlich ausmacht. Auch wird ›Integration‹ seiner Ansicht nach immer als Abstand zu diesem – an sich undefinierten und undefinierbaren – ›Deutschsein‹ gemessen, wobei die Integrationsleistung immer eine Sache der ›Neuen‹ ist. Dabei wird versucht, eine an sich nie bestandene Einigkeit wiederherzustellen (vgl. ebd.: 43) und auch gleichzeitig das ›Fremde‹ als Folie zur Definition des »Deutschseins« zu nutzen (vgl. ebd.: 61). Dabei geschieht Othering, d.h., ›anders‹ oder ›fremd‹ zu sein, ist keine ›natürliche‹ Eigenschaft, vielmehr erfolgen laufend Konstruktionen der Andersheit, des Otherings. Die wohl prominenteste Arbeit, die diese Praktik beschreibt, ist Edward Saids (1991) Studie zum Orientalismus. Darin führt Said etwa aus: »The Orient has helped to define Europe (and the West) as its constrasting image, idea, personality, experience« (ebd.: 1 f.), indem europäische Reisende bzw. Forscher_innen dem geografischen Gebiet, das als »Orient« bezeichnet wird – und auch gerade den dort lebenden Menschen – bestimmte Eigenschaften und Vorstellungen zugeschrieben haben. Die Bedeutung dieser Konstruktion der ›Anderen‹ für die okzidentale Selbstvergewisserung beschreiben zudem etwa die Beiträge in der von Gabriele Dietze, Claudia Brunner und Edith Wenzel (2009) herausgegebenen Anthologie Kritik des Okzidentalismus. Wichtig ist es aber auch zu betonen, dass Othering sehr wohl auch Einfluss auf die Selbstwahrnehmung jener hat, die als ›Andere‹ definiert werden, wie es etwa Stuart Hall (1994: 29 f.; Hervorh. im Orig.) anschaulich auf den Punkt bringt: »Die verschiedenen Weisen, mit denen schwarze Menschen und schwarze Erfahrungen in den dominanten Repräsentationsregimes positioniert und unterworfen wurden, waren Effekte einer gezielten Ausübung von kultureller Macht und Normalisierung. Wir wurden durch jene Regimes nicht nur im Sinne von Saids ›Orientalismus‹ innerhalb der Wissens-
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kategorien des Westens als unterschiedene und andere konstruiert. Vielmehr hatten sie die Macht, uns dazu zu bringen, daß wir uns selbst als ›Andere‹ wahrnahmen und erfuhren.«
Die Unterscheidungen zwischen bestimmten Menschen(-gruppen) beruhen schließlich auf eingeübten und kulturell tief verankerten »Wahrnehmungs- und Zuschreibungspraktiken« und sind nicht biologische Tatsachen, »sondern soziale Konstruktionen, hinter denen sich machtvolle politische Interessen verbergen« (Eickelpasch/Rademacher 2010: 79). So setzen sich jene, die über Definitionsmacht verfügen, selbst als die Norm fest und definieren ›Andere‹ als ›anders‹, wodurch diese an den Rand gedrängt, d.h. marginalisiert werden (vgl. ebd.: 81). Gleichzeitig erscheinen Angehörige der dominanten Gruppe als die Norm, die nicht nur nicht hinterfragt, sondern gleichzeitig auch nicht wahrgenommen wird. So erscheint beispielsweise ›weiß‹ nicht als Hautfarbe oder Ethnie, wie die Vertreter_innen der Critical Whitness Studies aufgezeigt haben (vgl. Wollrad 2005). Erst jene, die der Norm nicht entsprechen (oder von denen angenommen wird, dass sie dies nicht tun), fallen auf, stören. Während diese Praxis zunächst als Rassismus beschrieben wurde, hat inzwischen ein Paradigmenwechsel stattgefunden: Statt von ›Rasse‹ zu sprechen, wird nun von »kulturellen Differenzen« gesprochen, die allerdings ebenso wie ›Rasse‹ als absolut und wesenhaft beschrieben werden (vgl. Eickelpasch/Rademacher 2010: 88 f.). Auf dieses Paradigma bzw. die Bedeutung der Kultur bei der Diskussion von Migration wird im Folgenden eingegangen.
Kultur(-alisierung) Auch wenn in der Wissenschaft laufend neue Turns proklamiert werden (etwa der Linguistic Turn oder der Spatial Turn), ist es doch gerade in der Migrationsforschung der Cultural Turn, der nach wie vor einigen Einfluss ausübt. Mit diesem Begriff wird ausgedrückt, dass die Beschäftigung mit kulturellen Phänomenen heute auch in ursprünglich den Kulturwissenschaften fern stehenden Disziplinen immer zentraler wird (vgl. Bachmann-Medick 2009). In der Migrationsforschung ist Kultur ein zentraler Begriff, Multi-, Inter- oder die Transkulturalität, hybride Kulturen etc. stehen im Fokus. Gleichzeitig sind die Diskussionen darüber, was Kultur bedeutet, vielfältig und komplex. In öffentlichen Debatten, in denen laufend von der ›Kultur der Migrant_innen‹ die Rede ist, ist nach wie vor das Bild von Kultur, wie es schon Herder (1989) beschrieben hat, dominant.
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Herder geht von Kultur als einer Kugel aus, d.h. davon, dass ein Volk jeweils über eine eigene, homogene Kultur verfügt.7 Gerade das Konzept des Multikulturalismus, das in Migrationsdebatten lange Zeit zentral war, stellt ein essenzialistisches Kulturverständnis ins Zentrum. So beschreibt Charles Taylor, einer der Mitbegründer_innen des Multikulturalismusgedankens, in seinem Buch Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung (1993) am Beispiel der Situation in Kanada, d.h. der Regelungen, die den Erhalt der französischen Sprache gewährleisten sollen, unterschiedliche Ansichten zur Priorität bestimmter Rechte. So steht etwa die Pflicht, französischsprachige Kinder in französischsprachige Schulen zu schicken, dem Recht zur freien Wahl entgegen. Taylor verwendet dabei ein essenzialistisches Bild von Kulturen. Es sind hier unterschiedliche Kulturen, die unterschiedliche Forderungen stellen. Gerade diese (z.T. implizite) Vorstellung, dass im Rahmen des Multikulturalismus unterschiedliche, homogene Kulturen um Anerkennung ringen und diese auch verdienen, d.h. die Essenzialisierung von Gruppenunterschieden, rief und ruft Kritiker_innen auf den Plan. Der Multikulturalismus wird aber auch von anderer Seite angegriffen bzw. als problematisch deklariert: Während der Multikulturalismus in manchen Ländern bis in die 1990er-Jahre hinein zum dominanten Paradigma der Migrationsgesellschaft wurde, führten die Ereignisse um bzw. nach 9/11 vielerorts zum lautstarken Verkünden des Endes des Multikulturalismus. Islamistische Anschläge wurden als Zeichen dafür gewertet, dass jene, die im Zuge des Multikulturalismus Anerkennung erfahren, trotzdem nach wie vor ›Fremde‹ oder ›Eindringlinge‹ sind, die sich mit der Kultur der Mehrheit nicht nur nicht anfreunden können, sondern diese auch gezielt (und z.T. gewaltvoll) angreifen. Am Beispiel Australiens, das neben Kanada und den Niederlanden als ein Paradebeispiel des Multikulturalismus gilt – gerade weil sich dieses Paradigma dort schon in den 1970er-Jahren als »staatstragende[s] nationale[s] Identitätskonzept« (Baringhorst 2008: 93) etablierten konnte – zeigt Sigrid Baringhorst auf, wie sich die öffentlichen Debatten und staatlichen Maßnahmen wandelten. So führt sie aus, dass mittlerweile nicht mehr »soziale und kulturelle Rechte, sondern nationale Harmonie und Zusammenhalt« (ebd.: 102) als wichtig beurteilt werden. Der noch in den 1980er-Jahren dominante Diskurs um Anerkennung und Tolerierung kultureller Differenz ist, so die Autorin, mittlerweile der »Skandalisierung unerwünschter und unkontrollierter Zuwanderung sowie der Dramatisierung der Bedrohung der nationalen Sicherheit durch Zuwanderer gewichen« (ebd.).
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Analog dazu kann auch vom Container-Modell gesprochen werden (vgl. Hess/Moser 2009).
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Ein weiterer Begriff, der bei der Diskussion von Kultur und Migration ebenfalls laufend ins Spiel gebracht wird, ist jener der Interkulturalität, der im Grunde das Paradigma der Multikulturalität ergänzt bzw. auch davon ausgeht, dass unterschiedliche, jeweils homogene Kulturen bestehen, die aber nun verstärkt in einen gemeinsamen Dialog treten sollten. Wolfgang Welsch (2005) hat dagegen den Begriff »Transkulturalität« ins Gespräch gebracht und darauf hingewiesen, dass Kulturen per se nicht homogen, sondern vielmehr durch Mischungen gekennzeichnet sind. Er beschreibt fünf Aspekte von Transkulturalität: So sind Kulturen erstens u.a. aufgrund von Migrationsbewegungen immer mehr miteinander vernetzt, zweitens sind Kulturen durch Hybridität gekennzeichnet, drittens werden ›Fremdes‹ und ›Eigenes‹ immer ununterscheidbarer, viertens sind Individuen heute immer mehr transkulturell geprägt und fünftens werden nationale und kulturelle Identität immer mehr entkoppelt. Er führt auch aus, dass Vielfalt in dieser Sichtweise »nicht mehr in einem (mosaikartigen) Nebeneinander von Monokulturen besteht, sondern sich aus dem Kontrast transkultureller Identitätsnetze (von Gruppen und Individuen) ergibt, die nicht mehr durch nationale oder geographische Vorgaben definiert sind« (ebd.: 337). In dieser Arbeit wird Kultur in der Tradition der Cultural Studies als ein Feld angesehen, in dem Macht produziert und um Macht gerungen wird, »wobei Macht nicht notwendigerweise als Form der Herrschaft verstanden wird, sondern immer als ungleiches Verhältnis von Kräften im Interesse bestimmter Fraktionen der Bevölkerung« (Grossberg 1999: 48). Als eines der zentralen Merkmale von Kultur wird hier angesehen, dass Kultur ein Prozess sozialer Ungleichheit ist und folglich keineswegs »stabil, homogen und festgefügt, sondern durch Offenheit, Widersprüche, Aushandlung, Konflikt, Innovation und Widerstand gekennzeichnet« ist (Winter/Hörnig 1999: 9). Zentral bei der Beschäftigung mit Kultur ist auch der Kontext, d.h., die Cultural Studies reduzieren Realität nicht allein auf Kultur. Es wird vielmehr davon ausgegangen, dass Kultur nicht alleine durch kulturelle Ausdrücke erklärt werden kann, sondern nur in Beziehung zu allem, was nicht Kultur ist. Erst die komplexen und vielfältigen Interaktionen zwischen verschiedenen Instanzen (Kunstwerken, Texten, Institutionen etc.) machen in einem spezifischen Kontext Kultur aus (vgl. ebd.). Ein wichtiger Aspekt bei der Beschäftigung mit Kultur ist auch der Kulturalismus, wie ihn Etienne Balibar (1990) beschrieben hat. Für ihn hat sich rund um den »Komplex der Immigration« ein »Rassismus ohne Rassen« entwickelt, ein »Rassismus, dessen vorherrschendes Thema nicht mehr die biologische Vererbung, sondern die Unaufhebbarkeit der kulturellen Differenzen ist; eines Rassismus, der – jedenfalls auf den ersten Blick – nicht mehr die Überlegenheit bestimmter Gruppen oder Völker über
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andere postuliert, sondern sich darauf ›beschränkt‹, die Schädlichkeit jeder Grenzverwischung und die Unvereinbarkeit der Lebensweisen und Traditionen zu behaupten.« (Ebd.: 28)
Kulturalismus operiert dabei ebenfalls mit der Annahme, das Kulturen homogen sind bzw. sich nicht ändern. Gleichzeitig wird Kultur naturalisiert, und jene Kulturen, die nicht jener der ›Mehrheit‹ entsprechen, werden als minderwertig angesehen.
Aktuelle (Forschungs-)Perspektiven Verstärkt in die Diskussion einbezogen werden derzeit vier (Forschungs-) Perspektiven, auf die im Folgenden näher eingegangen wird: erstens das Migrationsmanagement, zweitens die (Kritische) Migrations- und Grenzregimeforschung, drittens das Konzept des Transnationalismus und viertens jenes der Postmigrantischen Gesellschaften. Diese sind zwar dabei, sich in wissenschaftlicher Forschung und z.T. auf EU-Ebene zu etablieren, in öffentlichen Debatten – vor allem in Österreich – spielen sie aber (abgesehen von einigen Prämissen des Migrationsmanagements) noch keine dominante Rolle. Als Ausgangspunkt des Migrationsmanagementsansatzes beschreibt Fabian Georgi (2009) die Weltwirtschaftskrise in den 1970er-Jahren, in deren Folge einerseits westeuropäische Staaten die aktive Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte (der ›Gastarbeiter_innen‹) beendeten und andererseits die klassischen Einwanderungsländer (z.B. die USA) restriktivere Einreisebestimmungen einführten. Gleichzeitig förderte – so Georgi – der ökonomische Globalisierungsschub die internationale Mobilität von Arbeitskräften, während Bürgerkriege, soziale und politische Krisen weltweit Flucht- und Migrationsbewegungen auslösten. Nicht zuletzt setzte sich seit den 1990er-Jahren ›Management‹ als wirkungsmächtiges Konzept für unterschiedlichste gesellschaftliche Bereiche durch – angefangen vom ›Selbstmanagement‹ bis hin zum ›Bildungsmanagement‹. Beim Migrationsmanagement ist auch ein Diskurs darüber zu sehen, wie Migration an sich beurteilt werden sollte und welche Maßnahmen als Antwort auf Migrationsbewegungen angemessen sind. Dabei steht die Sichtweise im Vordergrund, dass Migration mittlerweile eine Normalität darstellt, mit der pragmatisch umgegangen werden sollte, wobei gleichzeitig die Kontrolle von Migrationsbewegungen modernisiert werden sollte. Zentral ist auch die Perspektive, dass das ›richtige‹ Management von Migration zu einem dreifachen Gewinn führt: Erstens würden die Herkunfts-, zweitens die Aufnahmeländer und drittens
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die ›Migrant_innen‹ selbst profitieren (vgl. Geiger/Pécoud 2010). Entsprechend wird Migration in dieser Sichtweise nicht primär als eine potenzielle Bedrohung der (nationalen) Sicherheit, Identität oder des Wohlstands gesehen, sondern als ›natürlicher‹ Prozess und potenzielle Bereicherung – wobei Migration dann als positiv betrachtet wird, »weil und insofern sie ökonomisch nützlich ist« (Georgi 2009). Kritiker_innen dieses Ansatzes sehen in diesem nicht nur den Versuch der Entpolitisierung, sondern z.T. auch eine rein semantische ›Umfärbung‹ von Maßnahmen und Denkweisen, durch die sich die Lebensumstände gerade von (prekarisierten) ›Migrant_innen‹ nicht grundlegend ändern. So stellen Ilker Ataç und Albert Kraler (2006) fest, dass in Österreich der Paradigmenwechsel hin zu einem Migrationsmanagementansatz bereits mit der Verabschiedung eines neuen Aufenthaltsgesetzes im Jahre 1992 erfolgt ist, das ein Klassifikations- und Selektionsprinzip eingeführt hat. Die späteren Reformen des Gesetzes »verfeinerten die Klassifikation von Aufenthaltstiteln in unterschiedliche Aufenthaltszwecke und die daran geknüpften Bündel an Rechten« (ebd.). Ziel dieser Gesetze, so die Autor_innen, ist nicht nur die Verunmöglichung einer langfristigen Perspektive für ›Migrant_innen‹ (indem unqualifizierte Nicht-EU-Bürger_innen entweder gar nicht zuwandern können oder nur in solchen Arbeitsverhältnissen tätig sein dürfen, die zu keinen langfristigen Aufenthaltserlaubnissen führen), sondern auch die Selektion von gewünschten und unerwünschten Personen mittels unterschiedlicher Ausstattung von Rechten. Gleichzeitig suggeriert der Diskurs des Migrationsmanagements, »dass über das Öffnen von regulären Zuwanderungskanälen und der gezielten Selektion von MigrantInnen spontane Migrationsbewegungen in den Griff zu bekommen seien. In der Praxis bewirkt das Selektionsprinzip freilich eine Entrechtung von MigrantInnen und eine soziale Selektion derer, die dazugehören dürfen.« (Ebd.)
Nicht zuletzt greift das Migrationsmanagement die an sich kritischen Forderungen von ›Migrant_innen‹ und kritischen Migrationsforscher_innen nach Anerkennung der Leistungen und Ressourcen von Migrierenden auf und verwendet nun Leistung, um zwischen ›guten‹ (jenen, die zum Wohlstand eines Staates beitragen) und ›schlechten‹ (jenen, die Ressourcen in Anspruch nehmen [könnten]) ›Migrant_innen‹ zu unterscheiden. Die Konsequenz dieser Sichtweise bringen Mecheril et al. (2013: 31) auf den Punkt: »Die Instrumentalisierung von MigrantInnen unter ökonomischer Verwertungsperspektive bewirkt, dass sie ihre Anwesenheit durch gesellschaftliche Erträge legitimieren müssen.«
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Das Transnationalisierungsparadigma, das in der US-amerikanischen Forschung nun seit gut 20 Jahren diskutiert wird und das mitunter gar zu einem »transnational turn« (Pries 1997) geführt haben soll, »verweist darauf, dass im Zuge von Migrationsprozessen soziale Räume entstehen, die sich von traditionellen nationalen Lebenskontexten unterscheiden und in denen Variationen der Möglichkeit von Verbundenheit und Zugehörigkeit zu mehreren nationalkulturellen Kontexten die Normalform darstellen« (Mecheril et al. 2013: 9, in Bezug auf Pries 2010). Transnationalisierung wird dabei als neuer »Modus der sozialen Reproduktion unter den Bedingungen globaler Restrukturierung, die die Communites zwingt, Besitz und Bevölkerungen zwischen zwei unterschiedlichen örtlichen Existenzen auszubalancieren« gesehen (Davis 1999: 121). Forscher_innen, die diese Perspektive einbeziehen, legen den Fokus auf transnationale Praktiken und Netzwerke von Migrierenden, wobei diese als widerständige Antwort auf restriktive Migrationspolitik gesehen werden (vgl. Rogers 2001: 15). Auch herrscht nicht mehr die Vorstellung, dass Migration ein einmaliger, abgeschlossener Vorgang ist, vielmehr greifen die »neuen MigrantInnen auf sehr mobile und multidirektionale Strategien« (Hess/Tsianos 2007: 24) zurück. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass Transnationalismus nach wie vor auf das Modell des Nationalstaates Bezug nimmt, weswegen Kritiker_innen jenen Forscher_innen, die das Konzept der Nation unreflektiert als Analysekategorie verwenden, »methodologischen Nationalismus« vorwerfen, als sie damit die nationale Ordnung als quasi ›natürlich‹ festschreiben und gleichzeitig den Nationalstaat mit der Gesellschaft gleichsetzen (vgl. Glick Schiller 2010; Nieswand/Drotbohm 2014: 5). Gleichzeitig muss betont werden, dass nicht alle ›Migrant_innen‹ in transnationale Praktiken involviert sind, wie etwa Janine Dahinden (2010: 394) beschreibt: »Häufig ist nur ein kleiner Teil der Einwanderer in dauerhafte transnationale Praktiken im ökonomischen und politischen Bereich involviert, in der Regel gar die am besten gebildeten, eingebürgerten und schon seit längerem angesiedelten Eingewanderten.« Gleichzeitig können aber auch Personen ohne Migrationserfahrung transnational sein – entscheidend sind, so Dahinden, historisch gewachsene politische und soziökonomische Faktoren. Mittlerweile hat auch der Begriff des Regimes in der Migrationsforschung einige Bedeutung erlangt. Häufig ist die Rede von Migrations- und/oder Grenzregimen. Diese werden als Komplexe von Praktiken, Wissen und Macht verstanden und umfassen Diskurse, Subjekte und staatliche Praktiken (vgl. Karakyali/ Tsianos 2007: 14). Dabei werden insbesondere Mechanismen der Regulation und Steuerung sowie die Praktiken jener, deren Migrationsbewegungen reguliert werden sollen, betrachtet (vgl. Mecheril et al. 2013: 20 f.). Gerade die Vertre-
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ter_innen der Kritischen Migrations- und Grenzregimeforschung sehen auch die Rolle der Wissensproduktion um Migration kritisch, da sie »ihren Gegenstand nicht schlicht abbildet, sondern selbst als soziale Praxis und insbesondere als Normalisierungspraxis betrachtet werden muss, die Migration als das Außergewöhnliche hervorbringt« (ebd.: 7). Besonderen Auftrieb bekommt diese Perspektive aktuell aufgrund der Fluchtbewegungen nach und in Europa, wobei die Vertreter_innen dieser Perspektive den staatlichen Akteur_innen dezidiert widersprechen, die die Verantwortung für das Sterben an EUropäischen Außengrenzen den Schlepper_innen zusprechen. So stellen Sabine Hess et al. fest: Die »Reaktionen der staatlichen Institutionen verkennen […] wissentlich und willentlich die eigentlichen Ursachen für den tausendfachen Tod im Mittelmeer. Sie verkennen […], dass es politische Entscheidungen waren, die sichere und legale Wege nach Europa versperrten.« (Hess et al. 2015: 1) Einige Prominenz hat inzwischen auch der Begriff des Postmigrantischen erlangt, der im deutschsprachigen Raum zunächst von der Theatermacherin Shermin Langhoff (im Rückgriff auf den Autor Feridun Zaimoglu) in Umlauf gebracht wurde.8 Mit der Übernahme der künstlerischen Leitung des Berliner Theaters Ballhaus Naunynstraße etablierte sie dort das »postmigrantische Theater«, in dem sie zwei zentrale Zugänge der postmigrantischen Perspektive auf den Punkt brachte: Es geht »um Geschichten und Perspektiven derer, die selbst nicht mehr migriert sind, diesen Migrationshintergrund aber als persönliches Wissen und kollektive Erinnerung mitbringen. Darüber hinaus steht ›postmigrantisch‹«, so Langhoff,9 »in unserem globalisierten, vor allem urbanen Leben für den gesamten gemeinsamen Raum der Diversität jenseits von Herkunft.« Es geht also erstens sowohl um die Neuerzählung der Migrationsgeschichte der ›Gastarbeiter_innen‹ der 1960er- und 1970er-Jahre als auch um die Praktiken von widerständigen Verortungen und der Transkodierung10 von Bezeichnungen jener Menschen, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugesprochen wird (vgl. Yildiz 2015). Zweitens wird Migration nicht länger als ›Angelegenheit‹ der migrierten Personen (oder jener, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird) gesehen, sondern als gesamtgesellschaftliche Erfahrung und unumkehrbare 8
Erstmals genannt wurde der Begriff von Gerd Baumann und Thijl Sunnier (1995, vgl. auch Yildiz 2015: 19).
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Vgl. www.bpb.de/gesellschaft/kultur/kulturelle-bildung/60135/interview-mit-sherminlanghoff?p=all (Stand: 15.3.2018).
10 Stuart Hall beschreibt gezieltes Unterlaufen hegemonialer Zuschreibungen als Transkodierung – etwa die Aneignung an sich verletzend gemeinter Bezeichnungen (vgl. Hall 2004a).
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Normalität (vgl. Römhild 2014). Das ›Post‹ in postmigrantisch ist jedoch keinesfalls als Zeichen dafür zu sehen, dass die postmigrantische Perspektive Migration als etwas ›Erledigtes‹ sieht.11 Vielmehr betont die postmigrantische Perspektive den prozesshaften Charakter gesellschaftlicher Aushandlungen, die – und das ist neu – Migration als deren Ausgangspunkt begreifen (vgl. Foroutan et al. 2014: 16). Postmigrantische Gesellschaften sind folglich Gesellschaften, die, wie Riem Spielhaus (2012: 97) es formuliert, mit Migrationsbewegungen und ihren Folgen hadern und geradezu »eine Obsession für Migrations- und Integrationsthemen entwickelt« haben. Das Postmigrantische ist folglich erstens als eine Analyseperspektive zu sehen, die »sich mit Konflikten, Identitätsbildungsprozessen, sozialen und politischen Transformationen auseinandersetzt, die nach erfolgter Migration einsetzen« (Foroutan et al. 2014: 16; Hervorh. im Orig.). Zweitens ist das Postmigrantische auch eine politische Perspektive, »die auch subversive, ironische Praktiken einschließt und in ihrer Umkehrung provokant auf hegemoniale Verhältnisse wirkt« (Yildiz 2015: 23). Nicht zuletzt formuliert etwa Regina Römhild (2015: 255) die Forderung nach einer reflexiven Neuausrichtung der Migrationsforschung an sich, »die die engen Grenzen des ›Sonderforschungsbereichs‹ Migration durchbricht zugunsten einer ›postmigrantischen‹ Querschnittsperspektive auf Kultur und Gesellschaft.« Migrationsforschung sollte laut Römhild nun »entmigrantisiert« werden, während jegliche Forschung über Kultur und Gesellschaft »migrantisiert« werden sollte (vgl. ebd.: 263) – analog zur Genderforschung, die inzwischen keine reine »Frauenforschung« mehr ist. Allen hier beschriebenen Perspektiven ist eigen, dass (auch) die Perspektive der Migrierenden selbst eine wichtige Rolle spielt. Abgesehen vom Migrationsmanagement handelt es sich dabei um explizit politische Ansätze, die als Teil der Kritischen Migrationsforschung gesehen werden können. In diesem Kontext ist auch diese Arbeit verortet, wobei hier jenen Zielen gefolgt wird, die von Mecheril et al. (2013: 48 f.) formuliert wurden: Erstens geht es hier um die Analyse migrationsgesellschaftlicher Herrschaftsstrukturen, als deren Ausdruck die dominanten Diskurse um Migration verstanden werden und denen im Rahmen der Arbeit nachgespürt wird. Zweitens werden Subjektivierungsprozesse unter den Bedingungen dieser Strukturen in den Blick genommen, indem analysiert wird, welche Subjektpositionen, Anrufungen und Identifikationsangebote den Leser_innen von migrazine und biber angeboten werden). Drittens wird betrachtet, welche Möglichkeiten und Formen des Widerstands gegen Herrschaftsstrukturen bestehen, indem herausgearbeitet wird, inwiefern in den beiden analysierten Medien Praktiken des Widerstands beschrieben werden. 11 Analog zu Begriffen/Konzepten wie ›Postkolonial‹ oder ›Postmoderne‹.
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IDENTITÄTSFORSCHUNG Die Beschäftigung mit Identität hat (nicht nur) in der Migrationsforschung Hochkonjunktur, gleichzeitig ist aber auch eine gewisse Ermüdung mit dem Thema spürbar, und nicht zuletzt werden immer wieder Stimmen laut, die zur Vorsicht beim Umgang mit Identität aufrufen. So haben bereits vor 15 Jahren Rogers Brubaker und Frederick Cooper (2000) in ihrem vielzitierten Aufsatz Beyond Identity darauf hingewiesen, dass Identität mittlerweile ein dermaßen offener Begriff ist, dass er in der Forschung kaum als eine sinnvolle Analysekategorie angesehen werden kann: »›Identity‹ is too ambigous, too torn between ›hard‹ and ›soft‹ meanings, essentialist connotations and constructivist qualifiers, to serve well the demands of social analysis« (ebd.: 2). Sabine Hark (2013) beschreibt allerdings eindrücklich, dass Wissenschaftler_innen und emanzipatorische Bewegungen nach wie vor angehalten sind, sich mit Identitäten zu beschäftigen und diese immer wieder zum kritischen Projekt zu machen – gerade weil fundamentalistische und antidemokratische Kräfte heute identitätspolitisch agieren. Auch führt sie aus, dass wir heute von Identität regiert werden: »›Im Namen‹ von Identität werden soziale und kulturelle, ökonomische und nationale Grenzen gezogen, werden Rechte gefordert und verweigert, soziale Normen und Praktiken formuliert. Kurzum: Es wird politisch gehandelt.« (Ebd.: 30) Der Versuch, nachzuzeichnen, wie Identität in der Migrationsforschung erfasst wird, offenbart die Komplexität sowohl der bestehenden Konzeptionen von Identität als auch der Migrationsforschung. So wurde und wird die Frage, was Identität bedeutet, von zahlreichen Disziplinen zu beantworten gesucht, und ähnlich interdisziplinär sind auch die entsprechenden Überlegungen in der Migrationsforschung. Alle Konzeptionen zu beschreiben, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, weswegen hier lediglich auf jene Konzepte eingegangen wird, die die Diskussion in der Migrationsforschung prägen, bzw. auch auf jene, die für die Auseinandersetzung mit dem Thema der Arbeit als fruchtbar erscheinen. Zentral sind dabei Werke von Stuart Hall, Judith Butler und Michel Foucault, wobei auf heute vorherrschende Vorstellungen vom ›dezentrierten Selbst‹, auf grundsätzliche Überlegungen zu Diskursen, auf Prozesse der Subjektwerdung und (Dis-)Identifikation sowie auf Fragen der Identitätspolitik, ›neue‹ Identitätskonzepte und die Rolle von Medien eingegangen wird. Wichtig ist hier zu betonen, dass in dieser Arbeit mit Bedacht auf die Warnung von Brubaker und Cooper zwischen Identität als Kategorie der Praxis und Identifikation als Kategorie der Analyse unterschieden wird.
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Vom zentrierten Selbst zu Prozessen der Subjektwerdung Heute scheint Einigkeit darüber zu herrschen, dass Identität wenn schon nicht ein Problem- dann doch zumindest ein Arbeitsfeld für jede_n ist, werden Identitäten doch heute insgesamt als »›dezentriert‹, ›zerstreut‹ und fragmentiert« (Hall 1999b: 393) beschrieben. Den Beginn des Nachdenkens über Identität datieren zu wollen, scheint aussichtslos, haben sich doch Menschen wohl zu allen Zeiten die Frage »Wer bin ich?« bzw. »Wer sind wir?« gestellt. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Fragen datiert zum einen bis zur Antike zurück, zum anderen wird die Aufklärung als zentral für die Frage der Identität beschrieben. In der Aufklärung wurde nämlich die Auffassung formuliert, dass jeder Mensch gleichsam über einen inneren Kern verfügt, der sich nicht verändert und dazu führt, dass der Mensch sein Leben lang gleich bleibt und damit identisch mit sich selbst: »Das essentielle Zentrum des Ichs war die Identität einer Person« (ebd.: 395). René Descartes (1596–1650) konzipierte das rationale, individuelle und bewusste Subjekt als Zentrum des Wissens (ebd.: 403), John Locke (1632– 1704) wiederum bestimmte das Individuum als »Identität des rationalen Seins«, »eine Identität, die dieselbe und kontinuierlich mit ihrem Subjekt verbunden bleibt« (ebd.). Das Ideal der gleichbleibenden und fixen Identität erfuhr allerdings im Laufe der Zeit einige Dezentrierungen, die etwa von Stuart Hall (1990b) beschrieben wurden. Dem Paradigma von dezentrierten Identitäten wird auch in dieser Arbeit gefolgt, die in der Folge beschriebenen Überlegungen sind prägend für die Analyse. Stuart Hall führt aus, inwiefern die Zerstreuung des Subjekts mit Brüchen in den Diskursen des modernen Wissens erklärt werden kann, angefangen mit Karl Marx’ Werken. Dieser hielt fest, dass »Individuen auf keine wirkliche Weise ›Autoren‹ oder Agenten der Geschichte sein können, da sie nur auf der Grundlage historischer Bedingungen handeln können, die von anderen gemacht und in die sie hineingeboren worden seien« (ebd.: 407). Sigmund Freuds Konzept des Unbewussten wirkte laut Hall ebenfalls vernichtend auf die Sicht, das Subjekt sei wissend, vernünftig und mit einer gesicherten und vereinheitlichten Identität ausgestattet, indem Freud festhielt, dass auch unsere Identitäten »auf der Grundlage der psychischen und symbolischen Prozesse des Unbewußten gebildet werden, die nach einer anderen ›Logik‹ als der der Vernunft funktionieren« (ebd.: 409). Jacques Lacan beschrieb im Anschluss an Freud, dass wir die Vorstellung des Ichs als einem ›Ganzen‹ erst – als Kleinkinder – lernen müssen, wobei diese Vorstellung erstens unter großen Schwierigkeiten gelernt wird und zweitens erst in Beziehung zu anderen entstehen kann. Das Kind tritt also in vielfältige Systeme der symbolischen Repräsentationen. Dieser Eintritt wird von
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widersprüchlichen und ungelösten Gefühlen begleitet. Das Ich wird dadurch in verschiedene Bestandteile gespalten, das Subjekt ist also an sich immer gespalten, erlebt aber die eigene Identität als Resultat der Fantasien über sich selbst, als einheitliche Person. Identität ist folglich etwas, das »in andauernd wirksamen unbewußten Prozessen über die Zeit hinweg gebildet wird [und] befindet sich immer im Prozeß, im ›Gebildet-Werden‹« (ebd.: 410). Eine weitere Dezentrierung erfolgte mit der Feststellung von Ferdinand de Saussure, dass wir, um Bedeutungen zu produzieren, immer darauf angewiesen sind, auf Sprache zurückzugreifen. Diese ist wiederum kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches System, nach dessen Regeln wir uns positionieren müssen. Folglich kann ein einzelner Sprecher/eine einzelne Sprecherin niemals eine Bedeutung endgültig fixieren, was auch auf die Identität zutrifft (ebd.: 410 f.). Michel Foucaults Konzeption der ›Disziplinarmacht‹ hält wiederum fest, dass diese durch die »Regulierung, Überwachung und Kontrolle sowohl der Menschheit oder ganzer Bevölkerungen als auch des Individuums und des Körpers« (ebd.: 412) den Menschen erst als Subjekt schafft, um dieses wiederum kontrollieren zu können. Das Subjekt bedeutet wiederum, »vermittels Kontrolle und Abhängigkeit jemanden unterworfen zu sein und durch Bewußtsein und Selbsterkenntnis seiner eigenen Identität verhaftet sein. Beide Bedeutungen unterstellen eine Form von Macht, die einen unterwirft und uns zu jemandes Subjekt macht.« (Foucault 1987: 246 f.)12 Mit dem Feminismus als theoretischer Kritik und sozialer Bewegung wurde schließlich Identitätspolitik zentral, soziale Bewegungen appellierten an die soziale Identität ihrer Unterstützer_innen, wobei der Feminismus auch beispielsweise die grundlegende Trennung zwischen einem ›Innen‹ und einem ›Außen‹ bzw. zwischen öffentlich und privat infrage stellte. Zudem politisierte der Feminismus die Frage der Formung von Subjekten, indem er Subjektivität, Identität und Prozesse der Identifikation zur politischen und sozialen Frage machte (Hall 1999b: 413 f.).13 Stuart Hall beschreibt auch, dass das nun postmoderne Subjekt in der Folge nicht mehr über einen einheitlichen Kern verfügt, sondern sich vielmehr aus »mehreren, sich manchmal widersprechenden oder ungelösten Identitäten« zusammensetzt (ebd.: 396). Die Folge ist, dass jedes Subjekt zu verschiedenen Zeitpunkten über verschiedene Identitäten verfügt und seine Identifikationen ständig wechselt. Diese Fragmentierung der Identität ist als eine Folge der Moderne beschrieben worden, die selbst für Wandel steht. Die wissenschaftliche 12 Auf Foucaults Theorien wird im nachfolgenden Kapitel näher eingegangen. 13 Auf Identitätspolitik wird im Kapitel »Identität als Schauplatz von Kämpfen« näher eingegangen.
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Auseinandersetzung mit Fragen der Identität versucht in der Folge also nicht, die Identität von Personen zu finden oder zu analysieren, sondern interessiert sich vor allem für die Identität als Prozess und stellt die Frage, wie dieser Prozess zu verstehen ist. Die Traditionen der Cultural Studies, Postcolonial Studies und der Frauen- und Geschlechterforschung, in denen auch diese Arbeit verortet ist, konzentrieren sich auf Praktiken der Subjektivierung, auf Anrufungen, Performativität sowie Identifikation und sehen vor allem Diskurse bzw. die diskursive Vermittlung von Identität als bestimmend an. Subjektivation wird auch in dieser Arbeit im Anschluss an diese Überlegungen als diskursive Identitätserzeugung verstanden: Es sind Diskurse, die Identitäten ›produzieren‹, indem sie Reglementierungsprinzipien bereitstellen und durchsetzen, die die Individuen durchdringen (vgl. Butler 2001: 83). Im Folgenden wird auf diese Überlegungen näher eingegangen und vor allem auf Michel Foucault, Judith Butler und Stuart Hall Bezug genommen, die jeweils von ähnlichen bzw. gleichen Grundprämissen ausgehen.
Ausgangspunkte: Überlegungen zu Diskursen und Subjekten Diskursforschung versteht Diskurse als Versuche, »Bedeutungszuschreibungen und Sinn-Ordnungen zumindest auf Zeit zu stabilisieren und dadurch eine kollektiv verbindliche Wissensordnung in einem sozialen Ensemble zu institutionalisieren« (Keller 2011: 8). Während in der Diskursforschung zunächst linguistisch ausgerichtete Diskurskonzepte überwogen (und etwa die grammatikalische Struktur von Narrationen untersucht wurde), wurde »in der Tradition des französischen Strukturalismus und insbesondere Poststrukturalismus [der Diskursbegriff] als Tiefenstruktur menschlicher Rede- und damit auch Denk-/Wahrnehmungsweisen bestimmt« (Bührmann/Scheider 2008: 24). Michel Foucault ist es schließlich auch, der die Auseinandersetzung mit Diskursen prägt, als er sich sowohl mit den theoretischen als auch methodologischen Aspekten sowie mit materialen Analysen von Diskursen auseinandergesetzt hat. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass sein Werk durch ein »vagabundierende[s] Denken« (Ewald 1978: 8) gekennzeichnet ist, also dadurch, dass er im Laufe seines Schaffens unterschiedliche Begriffe und Methoden eingeführt hat, die sich insgesamt nicht auf eine – um Teun van Dijks (1997) Worte zu benutzen – »handy definition« reduzieren lassen. Im Fokus seines Interesses stehen wissenschaftliche Disziplinen als Orte, an denen Diskurse zwar entstehen und verankert sind, von denen aus sie sich aber auch vermitteln. Wissen und gesellschaftliche Praktiken sind für Foucault verknüpft und müssen in ihren historischen Dimensionen betrachtet werden (Keller 2011: 44).
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Diskurse sind für Foucault »Ordnungen des Denkbaren und Sagbaren« und »Praktiken […], die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen« (Foucault 1981). Dabei bestehen sie aus unterschiedlichen Aussagen (diskursiven Formationen/Diskursformationen), die nach den selben Regeln gebildet werden. Diese (Formations-)Regeln bestimmen einerseits, was zu einem bestimmten Zeitpunkt überhaupt gesagt werden kann, andererseits – so Foucault – »bestehen diese Diskurse aus Zeichen; aber sie benutzen dieses Zeichen für mehr als nur zur Bezeichnung der Sachen. Dieses mehr macht sie irreduzibel auf das Sprechen und die Sprache. Dieses mehr muß man ans Licht bringen und beschreiben.« (Ebd. 74; Hervorh. im Orig.) Mit anderen Worten: Foucault geht es vorrangig nicht darum zu analysieren, was gesagt wird, sondern vielmehr darum zu klären, warum zu einem bestimmten Zeitpunkt was in welcher Weise von wem gesagt werden kann – oder eben auch nicht gesagt werden kann. Das »komplexe Bündel von Beziehungen« wird von Foucault auch als Formationssystem bezeichnet, als vielfältige Beziehungen zwischen heterogenen Elementen (Institutionen, Techniken, Gruppen etc.), die durch diskursive Praktiken gebildet werden und die selbst wiederum die »Gesamtheit von Regeln für eine diskursive Praxis« (ebd.: 108) darstellen. Foucault geht es »nicht nur um die Analyse von Aussagezusammenhängen, sondern gerade eben [um] die gesellschaftliche Herstellung von Ordnung und Praktiken, Objekten, Menschen, Ideen, kurz, von Realitätszusammenhängen insgesamt« (Keller 2011: 48). Zu einem bestimmten Zeitpunkt sind also nicht alle erdenklichen Subjektpositionen, Aussagen, diskursiven Strategien etc. möglich, sondern nur jene, »die durch die vorhergehenden Ebenen autorisiert werden« (Foucault 1981: 106). Für Foucault sind Diskurse untrennbar mit Ermächtigungs- und Ausschlusskriterien verbunden, in ständigen Machtkämpfen entstehen laufend legitime und nicht legitime Subjektpositionen (Keller 2011: 51). Macht wird von einzelnen Institutionen oder Individuen nur punktuell und kurzfristig besessen, sie kann prinzipiell jederzeit von allen beansprucht, aber auch verloren werden. Gleichzeitig ist Macht für Foucault eine produktive Kraft, da sie reale Wirkungen entfaltet, indem sie beispielsweise das Verhalten von Individuen bestimmt – das Individuum ist folglich »nicht das Gegenüber der Macht, sondern eine seiner ersten Wirkungen, sie geht durch das Individuum hindurch« (Thomas 2009: 65). Das Subjektverständnis von Michel Foucault ist nicht nur für diese Arbeit zentral, sondern auch allgemein für heutige Überlegungen zu Subjekt und Identität. Subjekte zeichnen sich für Foucault dadurch aus, dass sie erst dann zu einer Instanz der Autonomie und der Selbsterkenntnis werden, wenn sie sich bestimmten Kriterien oder Normen unterwerfen (vgl. Foucault 1987: 246 f.). In dieser Sichtweise stehen nun Subjektivierungsweisen im Fokus, also die Frage, wie
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Subjekte zu Subjekten werden, bzw. auch die Frage, wie bestimmte Subjektformen und -positionen hervorgebracht werden und Legitimität erlangen. Foucault geht auch der Frage nach, wie Subjekte zu Subjekten und Objekten der Regierung werden. Er versteht Subjekte als sich selbst steuernd, wobei diese Überlegungen heute unter dem Begriff der Gouvernementalität diskutiert werden. Dabei wird den Subjekten nicht – quasi von außen – ein gewisses Verhalten vorgeschrieben oder sie gezwungen, sich in einer gewissen Art und Weise zu verhalten, statt einer Disziplinierungsmacht ist vielmehr ein flexibles Regime des Normalismus (vgl. Link 1999) am Werk. Auch Technologien des Selbst spielen eine entscheidende Rolle, »die es dem Einzelnen ermöglichen, aus eigener Kraft oder mit Hilfe anderer eine Reihe von Operationen an seinem Körper oder seiner Seele, seinem Denken, seinem Verhalten und seiner Existenzweise vorzunehmen, mit dem Ziel, sich so zu verändern, daß er einen gewissen Zustand des Glücks, der Reinheit, der Weisheit, der Vollkommenheit oder der Unsterblichkeit erlangt.« (Foucault 1993: 26)
Diese sind wiederum in einem System von Wissensordnungen und Machttechnologien verortet, die den Subjekten nahelegen, in welcher Art und Weise sie sich selbst wahrnehmen und steuern sollten. Gerade diese Überlegungen sind auch für diese Arbeit interessant, wird hier doch analysiert, welche Subjektpositionen den Leser_innen von biber und migrazine nahegelegt werden, wobei gleichzeitig zu erklären versucht wird, warum diese möglich sind bzw. aktuell transportiert werden (können) bzw. wie sie mit dominanten Diskursen zusammenhängen.
Wie Subjekte zu Subjekten werden: Überlegungen zu Anrufungen, Performativität und (Dis-)Identifikation Während Michel Foucaults Überlegungen zu erklären helfen, welche Subjektpositionen den einzelnen Menschen zur Verfügung gestellt werden bzw. zur Verfügung stehen, beschreibt Louis Althusser in seinem Essay Ideologie und ideologische Staatsapparate (Althusser 1977), wie Individuen durch die Anrufung durch andere bzw. auch durch ideologische Staatsapparate (etwa Kirchen, Schulen, Familien – im Unterschied zu repressiven Staatsapparaten wie der Polizei oder dem Militär) erst als Subjekte konstituiert werden. Althusser geht es darum zu zeigen, wie sich einzelne Menschen mit bestimmten Subjektpositionen identifizieren und sich quasi freiwillig in diese fügen. Berühmt ist die Szene, die Althusser schildert, um seine Überlegungen zu illustrieren: Indem sich eine Person
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umdreht, wenn ein Polizist ihr »He, Sie da!« zuruft, akzeptiert sie die Adressierung und die Autorität des Polizisten. Sprache dient dabei als Werkzeug, um (Staats-)Subjekte zu konstituieren: Subjekte werden als diejenigen angerufen, »die sie im Rahmen dieser Institutionen zu werden bestimmt sind« (Rose/Koller 2012: 76). Gleichzeitig – und hier klingt wiederum Foucaults Sichtweise an – werden Subjekte erst dadurch handlungsfähig, indem sie sich der Anrufung fügen, sich unterwerfen. Althussers Konzept der Anrufung (Interpellation) wurde von Judith Butler aufgenommen, die wiederum selbst darüber nachgedacht hat, warum Individuen überhaupt dazu bereit sind, sich anrufen zu lassen. Sie erklärt diese Bereitschaft damit, dass Individuen immer auch nach Anerkennung (etwa durch den Staat, vgl. Butler 2001: 106) streben: »Die Subjektivation beutet das Begehren nach Existenz dort aus, wo das Dasein immer von anderswo gewährt wird; sie markiert eine ursprüngliche Verletzlichkeit gegenüber dem Anderen als Preis, der für das Dasein zu zahlen ist.« (Butler 2001: 25) Diese Verletzlichkeit bzw. die damit verbundene Abhängigkeit von der Anerkennung durch andere beschreibt Butler aber gleichzeitig auch als »eine zu schmerzhafte Kränkung, um dauerhaft präsent gehalten zu werden« (ebd.: 13). Gleichzeitig, so Butler (wobei sie hier wiederum Bezug auf Foucault nimmt), ist die Anerkennung aber nicht an alle Subjekte gleichermaßen ›verteilt‹. Vielmehr sind Praktiken der Subjektivierung in politischen Kontexten zu sehen. In diesen werden »hochbrisante politische, juristische und ökonomische Fragen, […] dramatische Kämpfe um Ressourcen, Zugangsrechte und Aufmerksamkeit« (Rieger-Ladich 2012: 67) deutlich. Mit anderen Worten: Subjektivierung ist für Butler mit gewaltförmigen Praktiken verknüpft bzw. kann mit diesen verknüpft sein. Zentral in Butlers Arbeit ist dabei auch das Konzept der Performativität (wobei sie auf Jacques Derrida und John L. Austin Bezug nimmt), d.h. »die ständig wiederholende und zitierende Praxis, durch die der Diskurs die Wirkung erzeugt, die er benennt« (Butler 1997: 22). Subjekte sind in dieser Sichtweise Produkte der Zitation und Wiederholung diskursiver Normen (ebd.: 37 ff.). Die Normen sind wiederum durch Wiederholung verdichtete performative Äußerungen. Normen sind entsprechend auf Wiederholungen angewiesen, um auch weiterhin Macht entfalten zu können. Gleichzeitig birgt jede Wiederholung das Potenzial der Subversion bzw. Momente der Nichtübereinstimmung, der nichtidentischen Reproduktion, Verschiebung und Veränderung, in sich. So hält Butler (2001: 90) fest: »Das Foucaultsche Subjekt wird nie vollständig in der Unterwerfung konstituiert; es wird wiederholt in der Unterwerfung konstituiert, und es ist diese Möglichkeit einer gegen ihren Ursprung gewendeten Wiederholung, aus der die Unterwerfung so verstanden ihre unbeabsichtigte Macht bezieht.« Der Diskurs
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ist also nicht nur der Rahmen für den Prozess der Subjektivation, sondern auch gleichzeitig die Instanz, die die »Möglichkeit zum Widerstand gegen diese Unterwerfung eröffnet« (Rose/Koller 2012: 86). Basierend auf diesen Ausführungen, wird Identität in dieser Arbeit als komplexer und ambivalenter Prozess der Identifikation verstanden, wie auch Stuart Hall (vgl. Hall 2004b: 168) ihn – zusammenfassend – beschreibt. Wichtig ist dabei der Zusammenhang von Identität und Diskurs, d.h., Identifikation wird als Prozess der Subjektivation durch diskursive Praktiken verstanden. Zentral ist in Halls Sichtweise auch das Vernähen (to sature), das er auch als Artikulation bezeichnet: »zwischen Diskursen und Praktiken auf der einen Seite – eine Anrufung, uns als diskursiv bestimmtes gesellschaftliches Wesen zu verorten – und Prozessen, die Subjektivitäten produzieren auf der anderen Seite – die uns als Subjekte konstruieren, die sich ›sprechen‹ lassen, die verständlich sind. Identitäten sind solche Produkte temporärer Verbindungen mit Subjektpositionen, die aus diskursiven Praktiken hervorgehen […]. Sie sind das Ergebnis einer erfolgreichen Artikulation oder ›Verkettung‹ des Subjekts in den Lauf der Diskurse […].« (Ebd.: 173)
Hall beschreibt zudem, dass der Prozess der »Identifikation selbst, in dem wir uns in unseren kulturellen Identitäten entwerfen, […] offener, variabler und problematischer geworden« ist (1999b: 396). Er plädiert entsprechend dafür, statt »von Identität als einer abgeschlossenen Entität zu sprechen, […] von Identifikation [zu] sprechen und dies als einen andauernden Prozeß« zu sehen (ebd.: 410). Identität ist ein Effekt von Identifizierungen, weswegen es unmöglich ist, jemals zu ihrer Essenz zu gelangen (vgl. Hark 1999b: 59). Wichtig dabei ist, nicht statt der Vorstellung eines einheitlichen Subjekts lediglich von einer Fragmentierung auszugehen, bei der jedes Fragment über eine einheitliche und geschlossene Identität verfügt – weil auch diese Vorstellung einer problematischen, nämlich essenzialistischen, Denkweise entsprechen würde (vgl. Laclau/Mouffe 1991: 143). Gleichzeitig, so Homi Bhabha »handelt es sich bei der Frage der Identifikation nie um die Bestätigung einer von vornherein gegebenen Identität, nie um eine ›self-fulfilling prophecy‹ –, sondern immer um die Produktion eines Bildes der Identität und die Transformation, die das Subjekt durchläuft, indem es sich dieses Bild zu eigen macht.« (Bhabha 2000: 66; Hervorh. im Orig.)
So wie Judith Butler mit dem Konzept der Performativität die Möglichkeit der subversiven Unterlaufung von Subjektivationen aufzeigt, beschreibt José Este-
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ban Muñoz (1999) in seiner gerade in der Queer Theory breit rezipierten Studie zu den Performances von »Queers of Color« die Prozesse der Disidentifikation als Strategie der Veränderung dominanter kultureller Logiken.14 Muñoz bezieht sich in seiner Arbeit auf Überlegungen des französischen Linguisten Michel Pêcheux, der selbst wiederum von Althussers Konzeption von Anrufung ausgeht. Pêcheux (1982) beschreibt drei mögliche Formen der Reaktion auf Anrufungen: ›Gute Subjekte‹ identifizieren sich mit der Anrufung und fügen sich in diese. ›Schlechte Subjekte‹ weisen die Anrufung zurück und rebellieren in einem Akt der »Gegenidentifikation« gegen diese und damit gegen dominante Normen. Disidentifikation stellt schließlich einen Mittelweg zwischen diesen beiden Formen dar – angebotene Subjektformen werden weder gänzlich angenommen noch abgelehnt, vielmehr werden kulturelle Formationen strategisch verwendet, um sie zu verändern. Anrufungen werden strategisch missverstanden, die dominante Kultur angeeignet und für eigene Zwecke verwendet. Die Disidentifikation ist ein »verschiebender Eingriff in die Repräsentation« (Lorenz 2009: 46), eine Strategie der Identifizierung mit der Differenz, die gerade von jenen Individuen angewandt wird, denen »eine Identifikation mit den dominanten Bedeutungen und Bildern der Gesellschaft nur begrenzt offen [steht]« (ebd.). So formuliert Muñoz etwa zunächst: »To disidentify is to read oneself and one's own life narrative in a moment, object, or subject that is not culturally coded to ›connect‹ with the disidentifying subject.« (Muñoz 1999: 12) An anderer Stelle führt er dann aus: »Disidentification is about recycling and rethinking encoded meaning. The process of disidentification scrambles and reconstructs the encoded message of a cultural text in a fashion that both exposes the encoded message's universalizing and exclusionary machinations and recircuits its workings to account for, include, and empower minority identities and identifications. Thus, disidentification is a step further than cracking open the code of the majority; it proceeds to use this code as raw material for representing a disempowered politics or personality that has been rendered unthinkable by the dominant culture.« (Ebd.: 31)
Aspekte der dominanten Kultur werden hier also strategisch eingesetzt, wobei Muñoz jene Subjekte interessieren, deren Identitätserfahrung (»experience of identity«, ebd.) fragmentiert und gespalten ist – und zwar über die postmoderne Erfahrung von Identität als dezentriert hinaus. Auch wenn Muñoz in seiner Studie vor allem Beispiele von »Queers of Color« beschreibt und dabei nicht unbedingt jeweils Migration in den Vordergrund stellt, sind seine Überlegungen aber 14 Auch Butler hat zu Disidentifikation gearbeitet (vgl. Butler 1997).
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für diese Arbeit gerade deswegen interessant, weil er sehr wohl den Stellenwert der Migration (»migrancy«, ebd.: 32) betont. Migration bezieht sich bei Muñoz allerdings auf die Erfahrung von »Queers of Color«, deren »identity components occupy adjacent spaces and are not comfortably situated in any one discourse of minority subjectivity. These hybridized identificatory positions are always in transit, shuttling between different identity vectors. […] A theory of migrancy can potentially help one better understand the negotiation of these fragmentary existences.« (Ebd.)
Auch Sabine Hark (1999) formuliert ähnliche Überlegungen: In Anschluss an Lacans Konzeptionen die Nichtfixiertheit von Identitäten, die auch dadurch entsteht, dass jedes Subjekt durch Mangel geprägt ist, »den es durch permanente Akte der Identifikation mit andren/anderem zu verdecken sucht« (ebd.: 60), spricht sie in der Folge von »devianten Subjekten«. Das sind Subjekte, »deren Identität niemals abgeschlossen ist, auch wenn ihre Bedeutung temporär geschlossen wird. deviante [sic] Subjekte sind nicht über Zeit und Raum identisch, und ihr Ausgangspunkt ist die Differenz innerhalb von Identität, der konstitutive Mangel an der Wurzel jeglicher Identität.« (Ebd.: 181)
Zwar führt Hark ihre Überlegungen anhand der Identitätskategorie »lesbisch« aus, die von ihr gestellten Fragen sind dennoch auch für jene Menschen relevant, die im Fokus dieser Arbeit stehen, so führt sie beispielsweise aus: »Die zu bewerkstelligende Aufgabe besteht daher darin, eine Vorstellung von Subjekt zu artikulieren, das seine Handlungsfähigkeit nicht aus der gewaltsamen Transformation von Heterogenem in Homogenes erlangt, sondern mit den kontigenten Möglichkeiten reflexiv verfährt. […] deviante [sic!] Subjektivität schließt daher die prekäre Arbeit ein, die Handlungsfähigkeit der Mächte, die uns konstituieren, zu übernehmen und gleichzeitig in Frage zu stellen. […] Die Frage also, ›wer bin ich‹, zu verweigern oder abweichend, deviant zu antworten, ja sie sogar zu zitieren, aber gegen den Strich.« (Ebd.: 182 f.)
Von der Rolle der ›Anderen‹ zu ›anderen‹ Identitätskonzepten Die_der_das ›Andere‹ spielt – wie schon oben deutlich wurde – bei Fragen der Identität eine wichtige Rolle: So sorgen diese nicht nur für die Anerkennung, auf die alle Subjekte angewiesen sind, sondern auch für die notwendige Abgrenzung zu einem_einer selbst. Auch Stuart Hall (1994: 29) beschreibt Differenz und
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damit die Tatsache, dass gerade Brüche und Diskontinuitäten die Einzigartigkeit einer jeden Identität ausmachen, als zentral. Identifikation ist für ihn ein komplexer und ambivalenter Prozess, »der besagt, daß dieses hier dasselbe ist wie jenes dort, oder daß wir, in dieser Hinsicht, einander gleich seien. [Die] Struktur der Identifikation [ist] immer durch Ambivalenzen konstruiert […], immer durch die Spaltung zwischen dem, was der Eine, und dem, was der Andere ist. Der Versuch, den Anderen auf die andere Seite des Universums zu verbannen, ist immer auch mit den Beziehungen der Liebe und des Begehrens vermengt. Dies ist eine andere Sprechweise als die frühere, in der die Anderen immer vollständig vom eigenen Ich verschieden waren.« (Ebd.: 72 f.)
Als »Paradox der Bedeutung« bezeichnet Hall (ebd.: 77) wiederum die Tatsache, dass Identitäten in der Abgrenzung von Anderen bestimmt sind – so sind Aspekte von Identität nur dann bedeutungsvoll, wenn sie differenzstiftend sind (vgl. Hepp/Thomas/Winter 2003: 11). Gerade die Postcolonial Studies betonen die »Abhängigkeit der Selbstformung westlicher Subjektivität von ihrer Repräsentation eines nichtwestlichen – schwarzen, orientalischen, asiatischen etc. – Anderen« (Reckwitz 2008: 96). Dabei fragen die Vertreter_innen der Postcolonial Studies, wie die_der_das ›Andere‹ jeweils dargestellt wird und welche Differenzen zum Tragen kommen. In der (deutschsprachigen) Migrationsforschung stehen allerdings auch bei Fragen der Identität die ›Anderen‹ im Fokus und damit eben nicht die Frage, wie die Prozesse des Otherings zur okzidentalen Selbstvergewisserung beitragen (d.h., wie die ›Anderen‹ dazu beitragen/eingesetzt werden, die ›eigene‹ Identität zu sichern, siehe weiter oben, vgl. auch Dietze/Brunner/Wenzel 2009), sondern vielmehr, über welche Identität die ›Anderen‹ verfügen. Migrationsforscher_innen gehen zumeist der Frage nach, über welche Identität ›Migrant_innen‹ verfügen, oder zugespitzt formuliert, wie ›Migrant_innen‹ sind. Dies erscheint oberflächlich betrachtet als logisch, wird doch häufig davon ausgegangen, dass Migration vor allem eine Angelegenheit der ›Migrant_innen‹ sei. Allerdings kann argumentiert werden, dass sich Migrationsforschung durchaus auch mit Nichtmigrant_innen beschäftigen könnte und sollte, wie schon weiter oben beschrieben wurde. Die Frage danach, welche Identität die ›Anderen‹ haben, wird häufig von drei Motiven geführt: Erstens von der Prämisse, dass diese ›Anderen‹ ein Problem mit ihrer Identität haben oder zumindest – zweitens – dass sie ob ihrer Migrationserfahrung über eine ›neue‹ Identität verfügen. Drittens werden die ›Anderen‹ mancherorts gleichermaßen als Bot_innen einer Zukunft beschrieben, die
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auf alle Menschen zukommt. Die erste Prämisse ist von den dominanten Paradigmen, die weiter oben diskutiert wurden, geprägt. Weil von homogenen Kulturen ausgegangen wird, wird etwa gerade Jugendlichen, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, unterstellt, sie seien zerrissen und würden unter diesem ›Zustand‹ leiden. Die zweite und dritte Prämisse betrachten die Identität der ›Anderen‹ bzw. die Zukunft aller Identitäten unter einer kompetenz- und ressourcenorientierten Perspektive, wobei sich hier Hybridität als Leitbegriff durchgesetzt hat. Während Hybridität ursprünglich für nicht gewünschte, abgelehnte Vermischung und Verunreinigung stand, wurde der Begriff mittlerweile positiv umgedeutet. Als hybrid wird dabei alles definiert, »was sich einer Vermischung von Traditionslinien oder Signifikantenketten verdankt, was unterschiedliche Diskurse und Technologien verknüpft, was durch Techniken der collage, des samplings, des Bastelns zustandegekommen ist« (Bronfen/Marius 1997: 14; Hervorh. im Orig.). Die ursprünglich negative Konnotation wird allerdings durchaus als ein positiver Umstand gedeutet, trägt der Begriff so doch auch das Wissen in sich, dass Vermischung in der Kolonialzeit negativ bewertet wurde. Als einer der Väter der Umdeutung gilt Homi K. Bhabha, der festgestellt hat, dass durch Globalisierung und Migration ein »dritter Raum« oder ein »Raum des Dazwischen« (»in-between-space«) im Entstehen ist, der hybride Identitäten im Sinne von »Grenz-Existenzen« (»boarderline exsistences«) hervorbringt (Bhabha 1994). In diesem Konzept wird vor allem das kreative und widerständige Potenzial von hybriden Identitäten betont und insbesondere die Übersetzungsleistung von Menschen, die in und zwischen mehreren, als verschieden angenommen, Kulturen stehen. Kulturelle Vermischung wird als »›third space‹, als unerforschter ›dritter Raum‹ gedacht, in der hybride Existenzweisen fruchtbare Ressourcen, Kreativität und andere Formen der kulturellen Bereicherung hervorbringen« (Ha 2005: 14). »Es geht heute nicht darum«, so Bronfen und Marius (1997: 18), »ob wir kulturelle Hybridität für erstrebenswert halten oder nicht, sondern einzig und allein darum, wie wir mit ihr umgehen.« Wichtig ist auch festzuhalten, dass Bhabhas Ausführungen nicht auf etwas Neues in dem Sinne hinweisen, dass nun hybride Kulturen entstehen werden oder dass ›Migrant_innen‹ hybride Kulturen mitbringen – vielmehr geht es Bhabha darum zu zeigen, dass jede Kultur per se schon hybrid ist. Gleichzeitig kann kritisiert werden, dass Bhabhas Hybriditätsmodell ›Migrant_innen‹ und ›People of Color‹ als ›kulturell different‹ markiert und damit nicht nur zu einer ethnisierten Grenzziehung zwischen dem ›Eigenen‹ und dem ›Fremden‹ beiträgt, sondern auch in einer binären Identitätslogik verhaftet bleibt (vgl. Gutiérrez Rodríguez 2001: 45 f.). Fatima El-Tayeb (2005) wiederum ver-
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weist darauf, dass essenzialistische und hybride Sichtweisen sehr wohl nebeneinander bestehen bleiben (können), wobei das Hybride nach wie vor als zweifelhaft und gefährlich erscheint: »Dass das fundamental Andere nicht mehr unbedingt am exotischen Äußeren, der fremden Sprache und separatistischen Kultur erkennbar ist, sondern sich hinter einer unauffälligen, angepassten, scheinbar normalen, d.h. westlichen Fassade verbirgt, nur um sich dann als fanatischer, fundamentalistischer, mindestens potentieller Massenmörder zu entpuppen, ist ja gerade der Rechtfertigungsdiskurs der neuen Paranoia.« (El-Tayeb et al. 2005: 229)
Konzepte, in denen Differenz und Identität nicht als abgeschlossene Einheiten, sondern als vielschichtig und von herrschenden Machtverhältnissen beeinflusst begriffen werden, werden heute vermehrt in die Wissensproduktion mit einbezogen. Zwei Autorinnen, die Prozesse des Dazwischenseins betonen und in der queerfeministischen Wissensproduktion breit rezipiert werden, sind Gloria E. Anzaldúa und Rosi Braidotti. Zentral in Anzaldúas Werken (die u.a. zwischen Spanisch und Englisch wechseln) ist das Bild der Grenzen, die etwa in ihrem wohl berühmtesten Buch Borderlands/La Frontera: The New Mestiza (1999) thematisiert werden. In Gedichten und semiautobiografischen Essays beschreibt Anzaldúa psychologische, historische und soziale Grenzen und wie sich diese auf Individuen auswirken. Sie spricht sich deutlich gegen binäre Zugänge zu Subjektivität aus und betont die Ambivalenz, auch wenn diese z.T. durchaus nicht leicht zu ertragen ist Zwei Konzepte stehen in Anzaldúas Fokus: Zum einen beschreibt Anzaldúa die »mestiza consciousness« als »Consciousness of the Boarderlands« (ebd.: 99) als Bewusstsein, das die Widersprüche und Ambiguitäten zu leben imstande ist und die Unterscheidung zwischen Objekten und Subjekten ablehnt. Zum anderen führt sie das Konzept des »Nepantla« ein, wobei es sich bei diesem Begriff um ein Nahuatlwort15 handelt, mit dem ein »in-between« bzw. »transiton space« benannt wird. So führt Anzaldúa aus: »In the transition space of nepatla you reflect critically […]. As you make your way through life, nepatla itself becomes the place you live in most of the time – home. Nepatla is the site of transformation, the place where different perspectives come into conflict and where you question the basic ideas, tenets, and identities inherited from your family, your education, and your different cultures.« (Anzaldúa 2002: 548)
15 Nahuatl ist eine Sprache der mexikanischen Ureinwohner_innen.
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Beide Konzepte betonen also alternative und selbstgewählte Subjektivitäten sowie die Momente des Übergangs bzw. des Lebens im Übergang (vgl. KoegelerAbdi 2013). Ähnlich wie Anzaldúa beschreibt Rosi Braidotti mit ihrer Nomadic Theory (2011) die »Nomadic Subjects« (1994), die sie ebenfalls als nicht einheitlich betrachtet (»nonunitary«, Braidotti 2011: 3). Sie spricht davon, dass wir uns alle in Prozessen des Übergangs, der Hybridisierung und der Nomadisierung (»processes of transition, hybridization, and nomadization«, ebd.: 14) befinden, weswegen es notwendig ist, weniger über Konzepte als über Prozesse nachzudenken. Veränderung und Bewegung sind für sie zentral, wobei es vor allem um ermächtigende Prozesse des Werdens geht (»processes of becoming«, ebd.: 29 f.), die einerseits Minoritäten (Frauen, Kinder, aber auch Tiere und Pflanzen) als Ausgangspunkt nehmen und andererseits darauf zielen, Dualismen hinter sich zu lassen (ebd.: 39). So führt sie aus: »My emphasis falls on the potential of becoming, the opening out – the transformative power of all the exploited, marginalized, oppressed minorities. Just being a minority, however, is not enough: it is only a starting point. Crucial to becoming-nomad is the undoing of the oppositional dualism majority/minority and arousing an affirmative passion for the transformative flows that destabilize all identities. Becoming-minority is a task also for the minorities, who too often tend to be caught in the paralyzing gaze of the master – hating and envying him at the same time. […] Becoming nomadic means that one learns to reinvent oneself, and one desires the self as a process of transformation.« (Ebd.: 41)
Das »Nomadic Subject« möchte Braidotti allerdings keineswegs als Metapher verstanden wissen, sondern vielmehr als Figuration, wobei sie erklärt: »A figuration is a living map, a transformative account of the self.« (Ebd.: 14) Es geht darum, unterschiedliche sozioökonomische, symbolische, historische und geopolitische Verortungen zu beschreiben: »Situated locations draw a cartographic map of power relations and thus can also help identify possible sites and strategies of resistance« (ebd.). Ähnlich wie Anzaldúa, die Nepatla als einen Ort der Gemeinschaft mit Gleichgesinnten beschreibt,16 betont auch Braidotti die Gemeinschaft, wobei sie sich deutlich gegen die Sicht ausspricht, das Subjekt wäre durch einen Mangel oder Melancholie geprägt. Sie stellt fest: »A community not bound together by the guilt of shared violence or by unpayable ontological debts,
16 »By compartiendo [durch das Teilen von] historias, ideas, las nepantleras forge bonds across race, gender, and other lines, thus creating a new tribalism.« (Anzaldúa 2002: 574)
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but rather by the compassionate acknowledgment of our shared need to negotiate processes of sustainable transformations with multiple others.« (Ebd.: 53) Im Unterschied zu Bhabhas Hybriditätskonzept sind diese Konzeptionen allerdings sowohl im akademischen Mainstream als auch in öffentlichen Diskursen nicht prominent vertreten. Dies könnte auch daran liegen, dass Hybridität leichter für eine wirtschaftliche Nutzbarmachung vereinnahmt werden kann/konnte. So hat Kien Nghi Ha darauf hingewiesen, dass mit der »Orientierung auf Hybrides […] nicht zuletzt […] neue Anwendungs- und Wachstumsmöglichkeiten erschlossen werden« können (Ha 2005: 62), wobei Hybridität lediglich als Verkaufsargument verwendet wird. Ähnlich argumentiert auch Mark Terkessidis (1999: 240), indem er feststellt, dass sich »die Begeisterung für Differenz und Ethnizität als effizientes Schmiermittel des Marktes [erweist], der ja im neuen Kapitalismus zu einer gigantischen ›Differenzkonsummaschine‹ geworden ist.« Gleichzeitig kann Hybridität als Konzept leicht auf nahezu alle Menschen angewendet werden, sind wir doch alle in der einen oder anderen Weise aus verschiedenen Elementen zusammengesetzt. Encarnación Gutiérrez Rodríguez (2003b) spricht gar von einem harmonisierenden »Postkolonialismus-Hype«, der die Ausschlüsse von jenen, die als ›Andere‹ gesehen werden, nicht benennt, sondern vielmehr über diese hinwegtäuscht. Auch kann argumentiert werden, dass sich hinter der Begeisterung für Hybrides »nicht zuletzt das Bemühen verbirgt, das Eigene durch die Einverleibung des Fremden vor der Auflösung und Auszehrung zu bewahren. Die Andersartigkeit marginalisierter Gruppen und Lebensstile könnte dazu dienen, eine dominante nationale und kulturelle Identität, die im Zuge der Globalisierung selbst ihre Konturen mehr und mehr verliert, sozusagen von den Rändern her zu markieren.« (Mayer/Terkessidis 1998: 16)
Identität als Schauplatz von Kämpfen Auch wenn die oben beschriebenen wissenschaftlichen Konzepte das Werden und die Uneindeutigkeit von Identitäten in den Vordergrund stellen, argumentiert etwa Rosi Braidotti, dass es gerade für minorisierte Gruppen notwendig sein kann, durch die Phase der Identitätspolitik zu gehen: »This is both inevitable and necessary because, as I have often argued, you cannot give up something you have never had.« (Braidotti 2011: 42) Stuart Hall (1999b) beschreibt wiederum zwei Phasen von identitätspolitischen Kämpfen: Die erste (erklärt anhand der antirassistischen Kämpfe in Großbritannien der 1970er-Jahre) war zum einen von der Suche nach Wurzeln und von der Formierung einer defensiven kollektiven
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Gegenidentität, die rassistische Stigmatisierungen ins Positive zu kehren versuchte, bestimmt (vgl. Hall 1994: 80). Die Berufung auf eine wesenhafte Kollektividentität bildete dabei eine wichtige Mobilisierungsfunktion. So beschreibt Hall, dass für die schwarze Diaspora »solche Bilder einen Weg eröffnen, der Erfahrung von Zerstreutheit und Fragmentierung, die allen Geschichten der aufgezwungenen Diaspora gemeinsam ist, einen imaginären Zusammenhang zu verleihen« (ebd.: 28). In der zweiten Phase tritt das »Spiel der Differenzen« (Hall 1999a: 95) sowie die Erkenntnis auf, dass neben einer bestimmten gemeinsamen Kategorie auch viele andere bestehen, die nicht geteilt werden. Die Entdeckung der Differenz bedeutet demnach zu erkennen, dass wir alle aus verschiedenen sozialen Identitäten zusammengesetzt sind, sodass die Frage der Identifikation immer neu gestellt werden muss. Statt davon auszugehen, dass Kategorien (›weiß‹, ›weiblich‹ etc.) natürlich sind, wird nunmehr anerkannt, dass sie jeweils politisch und kulturell konstruiert sind, sodass in der Folge »Verschiedenheit von Identifikation zur Quelle der Mobilisierung [wird]« (Eickelpasch/Rademacher 2010: 94). Gleichzeitig haben, wie Judith Butler (1993: 49) festgestellt hat, »Identitätskategorien […] niemals nur einen deskriptiven, sondern immer auch einen normativen und damit ausschließenden Charakter.« Dies zeigt sich beispielsweise an den teilweise sehr heftig geführten Debatten im Rahmen von Women-onlyVeranstaltungen über die Frage, ob Transfrauen auch teilnehmen dürfen oder nicht. Die Erkenntnis, dass ein Mensch nicht auf eine bestimmte Kategorie – etwa ›Frau‹ – reduziert werden kann, ist dabei keine neue. So haben Feminist_innen of Color in den USA bereits in den 1970er-/80er-Jahren lautstark darauf verwiesen, dass ihre Erfahrungen von weißen Feministinnen nicht beachtet werden. Unter dem Begriff ›Frau‹, so ihre Kritik, wurden häufig – und fälschlicherweise – nur weiße Frauen verstanden. Auch stellten sie fest, dass Gender nicht notwendigerweise als die wichtigste Kategorie im Leben einer Frau gesehen werden sollte. Illustriert werden diese Forderungen etwa mit den Gedichten und Essays sowie dem »Combahee River Collective Statement« der gleichnamigen Gruppe afroamerikanischer lesbischer Frauen in der Anthologie This Bridge Called my Back. Writings of Radical Women of Color (herausgegeben von Cherríe Moraga und Gloria E. Anzaldúa, 1981). Die Tatsache, dass gerade bei Diskriminierung unterschiedliche Kategorien zusammenwirken, wird heute vor allem unter dem Begriff der Intersektionalität diskutiert, der 1989 erstmals von Kimberlé Crenshaw verwendet wurde. Diese Debatten haben auch im deutschsprachigen Raum ihre Spuren hinterlassen. So beschreibt etwa Katharina Walgenbach (2007) die Standpunkte verschiedener Frauenbewegungen im Deutschland der
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1980er-Jahre (Frauen mit Behinderungen, ›Migrant_innen‹-Bewegung, jüdische Frauenbewegung, schwarze Frauenbewegung) als auch theoretische Konzepte, die die Debatte im deutschsprachigen Raum prägen (etwa Doppeldiskriminierung /dreifache Benachteiligung/Mehrfachdiskriminierung, Intersectionality von Kimberlé Crenshaw [1989], Doing Difference von Fenstermaker/West [2007] und Achsen der Ungleichheit von Cornelia Klinger [2003]). Entsprechend führt auch sie aus, dass Gender nicht als unabhängige Kategorie gedacht werden kann – und plädiert dafür, von interdependenten Kategorien auszugehen sowie Kategorien als in sich heterogen zu verstehen (Walgenbach 2007: 61). Im Bewusstsein dieser Problematik stellt wiederum Gayatri C. Spivak (1988) mit ihrem Konzept des strategischen Essenzialismus quasi einen Ausweg zur Verfügung: So kann es politisch notwendig sein, sich auf bestimmte (marginalisierte) Identitäten zu berufen – wenn auch nur zeitweise und aus strategischen Gründen – etwa, um diese Identitäten als notwendig falsch zu entlarven. Dennoch besteht nach wie vor die Problematik, dass aus strategischem leicht ›echter‹ Essenzialismus werden kann, weswegen sich Spivak selbst laufend kritisch zu diesem äußert. Ebenso wichtig ist die Feststellung, dass »alle identitätspolitischen Strategien einerseits notwendig bereits auf hegemonial gewordene Sinnbestände zurückgreifen« müssen (Hark 1999: 25). So sind etwa Frauen bei dem Versuch, sich als Frau zu definieren, gezwungen, auf jene Diskurse zurückzugreifen, die definieren, was eine Frau ausmacht. So hat auch Judith Butler festgestellt, dass Feminismus, so er als Identitätspolitik betrieben wird, gerade jene Subjekte »voraussetzt, fixiert und einschränkt, die er zu repräsentieren und zu befreien wünscht« (Butler 1991: 218). Es stellt sich also die Frage, »wie eine Identität, die zugleich Instrument und Effekt normalisierender und disziplinierender Machttechniken ist, dennoch politisch reklamiert, affirmiert und gegen diese Machttechniken in Anschlag gebracht werden kann« (Hark 1999: 18). Sabine Hark (2013: 33) argumentiert zudem, dass es bei der Diskussion um Identität im Grunde um die Frage der individuellen und kollektiven Handlungsmächtigkeit von Menschen geht: »in der Tat [geht es] um mehr und anderes als darum, wer wir sind, sondern um die Frage, wie wir tun. Es geht, mit anderen Worten, um die Bedingung der Möglichkeit von Handeln, ja um Handlungsfähigkeit selbst. Die Rede über Identität wäre dann in der Tat eher Signal einer Krise als eines der Krisenüberwindung.« (Ebd.; Hervorh. im Orig.) Im Rückgriff auf Judith Butler (2010) und Bernice Johnson Reagon (2000) beschreibt sie, dass Koalitionen nicht »dazu da sind, der ungleichen Verteilung von Verletzung und Prekarität auszuweichen, sondern genau das zum Gegenstand der Analyse und Politik zu machen« (Hark 2013: 42). Und sie führt weiter aus:
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»Nicht Komfort, Selbst-Bestätigung, Heimat und die Stabilisierung von Identität [sind der Inhalt von Koalitionen], sondern harte Arbeit, von anderen in Frage gestellt werden und sich dennoch um diese anderen sorgen, sei deren Überleben doch die Voraussetzung für das eigene Überleben. Die Aufgabe von Allianzen, mit anderen Worten, ist die Analyse und Adressierung, von differenziell ungleich verteilter Prekarität als politisch induzierter Bedingung während zugleich alle Anstrengungen auf eine gerechte Umverteilung von Verletzbarkeit gerichtet sein müssen.« (Ebd.)
Die Rolle von Medien bei Fragen der Identität Medien spielen heute im Leben der meisten Menschen der nordwestlichen Hemisphäre eine wichtige Rolle. Entsprechend lassen sich zahlreiche Forschungsarbeiten finden, die die Frage stellen, welche Rolle Medien bei der ›Identitätsarbeit‹ spielen. In den Medien- und Kommunikationswissenschaften befasst sich vor allem die Mediensozialisationsforschung mit der Bedeutung von Medien im Prozess der Persönlichkeitsentwicklung, wobei aktuell Identität eine wichtige Bezugsgröße bildet (vgl. Krämer 2013: 22). Entgegen der Tatsache, dass Menschen ihr Leben lang mithilfe von Medien an ihrer Persönlichkeit bzw. Identität ›arbeiten‹, standen und stehen in der Forschung vor allem Kinder und Jugendliche im Fokus der Aufmerksamkeit (vgl. etwa Paus-Hasebrink/Bichler 2008). Ältere Altersgruppen werden dagegen eher (bzw. erst langsam) in den Blick genommen, etwa wenn es um Fragen der Medienkompetenz geht (vgl. von Hippel 2007). Insgesamt werden Medien in der Mediensozialisationsforschung als symbolische Ressourcen gesehen, die Identifikationen und Geschichten zur Verfügung stellen, die Individuen als Basis für ihr je eigenes reflexives Projekt der IchIdentität dienen können. Medien sind als wichtige Orientierungshilfe, indem sie Medienfiguren präsentieren, die als Vorbilder herangezogen werden können und entsprechend Identifikationsangebote bereitstellen. In aktuellen Arbeiten wird gerade das Internet als ein Ort gesehen, an dem eigene und neue Identitätsentwürfe präsentiert und aktiv ausprobiert werden können (vgl. Döring 2003). Gleichzeitig muss aber auch betont werden, dass Medien sehr wohl in Prozesse der Disziplinierung und Normalisierung eingebunden sind und etwa bestimmte soziale Rollen festlegen und Stereotype konstruieren, nicht zuletzt in Bezug auf Frauen und Männer (vgl. Hipfl/Klaus/Scheer 2004). Während aber traditionelle und alltagsweltliche Sichtweisen davon ausgehen, dass Medien ein besonderes – kausales, unmittelbares – und häufig negatives Wirkungspotenzial haben (klassisch steht dabei etwa Gewalt im Fokus), sehen
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aktuelle Ansätze die Menschen als aktive und medienkompetente Nutzer_innen (vgl. Aufenanger 2008: 91). Die Cultural Studies, in deren Denktraditionen diese Arbeit u.a. verortet ist, betonen ebenso die prinzipielle Offenheit von Medieninhalten. So führt Stuart Hall (1987a) in seinem berühmten Encoding-Decoding Modell aus, dass Personen zumindest drei unterschiedliche Positionen bei der Rezeption von Medieninhalten einnehmen können: Die »dominant-hegemonic position«, die »negotiated« und die »oppositional position«. Medienproduktion wie -konsumption werden in diesem Modell als aufeinander bezogene soziale Prozesse betrachtet, die in bestehende gesellschaftliche Machtverhältnisse eingebettet sind. Mit anderen Worten: Auch wenn Medien den Leser_innen bzw. Zuschauer_innen bestimmte Subjektpositionen und Identifikationsangebote/Anrufungen nahelegen, ist noch lange nicht gesagt, dass diese auch auf/eingenommen werden. Gerade empirische Studien zeigen zudem, dass die identitätsprägende Kraft der Medien nicht überschätzt werden sollte (vgl. Mikos et al. 2007). So sind Kinder und Jugendliche durchaus in der Lage, mediale Inhalte zu reflektieren und entsprechend nicht unkritisch zu übernehmen, wie zahlreiche Studien zum Medienhandeln von Kindern und Jugendlichen deutlich machen (vgl. Theunert/Scheorb 2004 oder Götz 2006). Und auch bei Jugendlichen, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, kommen die Forscher_innen zu ähnlichen Ergebnissen: Bonfadelli et al. (2008) kommen in ihrer Studie zur Bedeutung von Medien bei der Identitätsentwicklung von Schweizer Jugendlichen mit und ohne ›Migrationshintergrund‹ zu dem Schluss, dass »Prozesse der Identitätsfindung in einem komplexen Spannungsfeld verschiedener Identifikationsangebote« verlaufe] (ebd.: 260; Hervorh. im Orig.). Weder die Migrationserfahrung noch die Medien – so die Forscher_innen – sind alleine entscheidend. KaiUwe Hugger und Mareike Strotmann (2008) sowie Hepp (2010) thematisieren zudem die Rolle globaler Medienkommunikation und betonen, dass »mediale Transmigrant_innen« (vgl. Hugger/Strotmann 2008: 434) mittlerweile vielfältige Medien der globalen Medienkultur für die eigenen (hybriden) Identitätskonstruktionen heranziehen. Bei den angeführten Forschungsarbeiten stehen zwar vor allem jene im Fokus, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, die entsprechenden Prozesse gewinnen jedoch für immer mehr Menschen an Bedeutung. Die globale Medienkultur hält, so (nicht nur) mein Argument, für all jene Menschen, die zu ihr Zugang haben, identitätsstiftende Elemente bereit. Entsprechend können auch jene, die ihren Geburtsort physisch nicht verlassen (haben), Transmigrant_innen werden – wenn auch ›nur‹ mediale. Inwiefern diese Sicht in den deutschsprachigen Medien- und Kommunikationswissenschaften (k)eine Rolle spielt, wird im nachfolgenden Kapitel beleuchtet.
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MIGRATION UND MEDIEN Am Anfang dieses Jahrhunderts stellten Russel King und Nancy Wood (2001) fest, dass die Migrationsforschung und die Medienwissenschaften als interdisziplinäre Forschungsfelder zwar über vielfältige Überlappungen verfügen, dass diese aber kaum Beachtung finden. Im deutschsprachigen Raum wurden erste Forschungsarbeiten zu diesem Themenkomplex zwar bereits in den 1960er-Jahren publiziert, in der von Daniel Müller (2005a) erstellen Bibliografie der deutschen Forschungsliteratur zum Themengebiet Medien und Migration wird aber deutlich, dass erst ab Mitte der 1990er-Jahre verstärkt dazu geforscht wird. Mittlerweile erfreut sich das Thema Migration in den (deutschsprachigen) Medien- und Kommunikationswissenschaften allerdings zunehmender Beliebtheit und ist geradezu zu einem Modethema geworden (vgl. Geißler/Pöttker 2009c: 7). So lassen sich Sammelbände, Artikel und Journale finden, die sich mit vielfältigen Aspekten des Themas befassen. Bei Tagungen, die Migration zum Hauptfokus gemacht haben, sind auch jeweils Vorträge zu Medien vorhanden. Offensichtlich wird dabei, dass sich die Forschungsfelder Medien und Migration kaum voneinander trennen lassen; auch sind viele Diskurse, die in der Migrationsforschung lange Zeit vorherrschend waren und sind, heute z.T. nach wie vor in der Medienforschung zu finden. So steht auch in der deutschsprachigen Medienforschung vor allem ›Integration‹ im Fokus, so sehr, dass etwa Hepp et al. (2010: 320 f.) sowie Kai-Uwe Hugger und Mareike Strotmann (2008: 432) gar davon sprechen, dass es sich im deutschsprachigen Raum um »Medien- und Integrationsforschung« handelt. Im Folgenden wird zunächst exemplarisch auf die problematischen Seiten der Betonung von ›Integration‹ in der Medienforschung eingegangen, bevor dann auf jene Aspekte der Medienforschung im Bereich der Migration eingegangen wird, die für diese Arbeit zentral sind. Dabei handelt es sich erstens um die Darstellung von ›Migrant_innen‹ in deutschsprachigen Medien. Zweitens wird (im nachfolgenden Kapitel) auf die Geschichte von und auch die Forschung über die Medien, die in dieser Arbeit im Fokus stehen, eingegangen. Diese werden in Abgrenzung zu dem Begriff der ›ethnic media‹ als Diversity Media und Postmigrantische Medien bezeichnet. Wie diese Begriffe zu verstehen sind, wird in diesem Kapitel ebenfalls erklärt.
Die humane ›Integration‹ in den Medien Die Konzentration auf ›Integration‹ in der deutschsprachigen Medien- und Migrationsforschung lässt sich am Forschungsprojekt »Mediale ›Integration‹ von
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ethnischen Minderheiten« (2002–2009) von Rainer Geißler und Horst Pöttker verdeutlichen, in dessen Rahmen fünf Sammelbände erschienen sind, die Forschungsbefunde zu Medien und Migration enthalten.17 Diese zählen zu den Hauptbezugspunkten bzw. Standardwerken der deutschsprachigen Forschung zu Medien und Migration. So lässt sich mittlerweile kaum ein aktueller Beitrag finden, der diese unerwähnt lässt. Auffallend ist dabei, dass nicht nur das Projekt, sondern auch jeder dazu publizierte Band den Begriff ›Integration‹ im Titel trägt. Zudem stellt ›Integration‹ gleichsam die Brille dar, durch die das Thema beleuchtet wird, wobei von problematischen Grundprämissen ausgegangen wird. So erfolgen im ersten Band des Projekts Versuche, ›Integration‹ zu definieren, ohne dass grundsätzlich infrage gestellt wird, inwiefern dieser Begriff überhaupt angemessen ist, um die Realität einer postmigrantischen Gesellschaft zu erfassen. Horst Pöttker (2005) beschreibt zunächst »Soziale Integration« als Schlüsselbegriff für die Forschung über Medien und ethnische Minderheiten. Er stellt fest, dass im Projekt »Integration« nichts wertneutral aufgefasst wird, sondern durchaus als wünschbar und »provokant gesagt [als] ›normativ‹« (Pöttker 2005: 29). Wünschbar ist ›Integration‹ laut Pöttker insofern, als das Projekt voraussetzt, dass in Deutschland (sowie den USA und Kanada, die ebenfalls betrachtet werden) ein »relative[r] Mangel an Verbindung oder Vereinigung zwischen den ethnischen Minderheiten und der Aufnahmegesellschaft [besteht und die Fragestellung darauf abzielt] herauszufinden, was Massenmedien und Journalismus dazu beitragen können, diesen Mangel zu beheben« (ebd.: 29). Damit wird analog zu dominanten Diskursen davon ausgegangen, dass der ›Migrationsbereich‹ von einem Mangel gekennzeichnet und entsprechend per se problematisch ist Im Anschluss an Émile Durkheim betont der Autor anschließend das Wissen über alle Teile der Gesellschaft sowie Bewusstsein über das »Aufeinanderangewiesen-sein« (ebd.: 35 f.). Den Medien kommt dabei folglich die Rolle der Wissensvermittler zu, wobei sie gleichzeitig den gesellschaftlichen Nutzen nicht übergehen dürfen, den die einzelnen Gruppen haben (können), über die sie berichten (ebd.: 36). Damit wird diese Sichtweise deutlich anschlussfähig an die Perspektive des Migrationsmanagements bzw. an die Versuche, Migration als verwertbar zu beschreiben und entsprechende Maßnahmen zu setzen, um zwischen jenen Menschen zu unterscheiden, die für die Aufnahmegesellschaft nütz17 Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. Problemaufriss, Forschungsstand, Bibliographie (2005), Integration durch Massenmedien/Mass Media-Integration (2006), Media, Migration, Integration. European and North American Perspectives (2009), Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. Forschungsbefunde (2009), Medien und Integration in Nordamerika. Erfahrungen aus den Einwanderungsländern Kanada und USA (2010).
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lich, und jenen, die nicht nützlich sind (wobei festgehalten werden muss, dass Pöttker nicht zwischen nützlichen und nichtnützlichen ›Migrant_innen‹ trennt, sondern Migration insgesamt als – allerdings auch ökonomisch – nützlich definiert). Im gleichen Band beschreibt Rainer Geißler »Interkulturelle Integration« als »humanen Mittelweg« zwischen Assimilation und Segregation. Damit wird unterstellt, dass ›Migrant_innen‹ prinzipiell nur drei Wege beschreiten können, d.h. prinzipiell assimiliert, integriert oder segregiert sind. Vollkommen ausgeklammert wird, dass je nach Zusammenhang und Situation durchaus unterschiedliche Varianten dieser ›Zustände‹ bestehen können (und zwar nicht nur bei jenen, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird). »Inter« soll dabei das Miteinander, den Austausch und das Gemeinschaftliche betonen, statt wie »multikulturell« eher »bloßes Nebeneinander« zu suggerieren (Geißler 2005a: 63), wobei wiederum Kultur als zentral betont wird. Im Unterschied zu Integrationskonzepten, die gleichsam den Mangel aufseiten der ›Migrant_innen‹ orten, wird aber auch festgestellt, dass ›Integration‹ ein wechselseitiger Prozess mit Anforderungen an alle Beteiligten sein sollte, weswegen Geißler auch die Notwendigkeit von »aktiver Akzeptanz« betont. Diese hat drei Dimensionen: 1. »Die Akzeptanz des Faktums der notwendigen Einwanderung«, die insbesondere auf die ökonomische, demografische und humanitäre Notwendigkeit der Migration betont, 2. »Die Akzeptanz der Notwendigkeit, die Migranten soziokulturell und interkulturell zu integrieren«, die dem Prinzip der ›EinheitinVerschiedenheit‹ verpflichtet ist, 3. »Die Einsicht in die Notwendigkeit kollektiver aktiver Förderung der Integration«, die beispielsweise die »Ethnisierung der Ungleichheitsstruktur« verhindern soll (vgl. ebd.: 65 f.). Gleichzeitig signalisiert die Wortwahl – etwa die paternalistische Rede vom »humanen Mittelweg« –, dass hier trotz der vordergründigen Behauptung von symmetrischen Beziehungen (wenn etwa gemeinsam an der ›Integration‹ gearbeitet werden soll, obwohl nur ein Teil des »gemeinsam« etwa unter rechtlichem Druck steht, sich zu integrieren) ganz klar ist, wer hier über deutlich mehr Macht verfügt. Zugespitzt formuliert: Es ist wohl kaum vorstellbar, dass Häftlinge aufgefordert werden, ihre Wärter_innen human zu behandeln – es sind vielmehr jene, die Macht ausüben (können), die angehalten sind, sich human zu verhalten. »Mediale Integration von ethnischen Minderheiten«, der Hauptfokus des Projekts, wiederum umfasst laut Geißler folgende drei Aspekte: 1. Den »Beitrag der Massenmedien zur interkulturellen Integration der ethnischen Minderheiten in die deutsche Gesellschaft«. 2. Die »Integration der ethnischen Minderheiten in die medial hergestellte Öffentlichkeit« sowie 3. Die »Integration der ethnischen Minderheiten in das Mediensystem« (Geißler 2005b: 71). Statt medialer Segre-
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gation oder assimilativen medialen ›Integration‹ spricht sich Geißler in der Folge für »Interkulturelle mediale Integration« aus, die sowohl die Produktion, die Inhalte als auch die Nutzung der Medien berücksichtigt. So sollten ethnische Minderheiten angemessen (»möglichst proportional«) an deutschen Mehrheitsmedien teilnehmen, wobei die Vertreter_innen der ethnischen Minderheiten »soziokulturell nicht assimiliert [sein sollten], sondern [die] ethnische Gruppe mit teilweise spezifischen Problemen, Wahrnehmungen, Befindlichkeiten und Interessen« vertreten (ebd.: 74) und dabei als deren Repräsentant_innen auftreten sollten. Die Forderung bzw. Sichtweise, dass ausgewählte (und dabei vor allem privilegierte) Personen für eine Gruppe sprechen sollten, ist allerdings eine, die schon seit Langem problematisiert wird. So wurde bereits weiter oben beschrieben, wie dieses System zu einer »Sonderklientelisierung« von ›Migrant_innen‹ geführt hat. Zudem hat Gayatri C. Spivak (vgl. Castro Varela/Dhawan 2005: 67 f.) darauf verwiesen, dass eine solche Praxis erstens fälschlicherweise davon ausgeht, dass es eine einheitliche Gruppe gibt, aus der heraus die Repräsentant_innen sprechen, und dass es sehr leicht passieren kann, dass nur jenen Repräsentant_innen Raum gewährt wird, die ohnehin das sagen, was von der ›Mehrheit‹ gehört/verstanden wird.18 Dem Projekt und den Publikationen von Rainer Geßler und Horst Pöttker muss unbedingt zugutegehalten werden, dass in diesen erstens die Verantwortung für ›Integration‹ keineswegs – wie (bis dahin) durchaus üblich – nur den ›Migrant_innen‹ zugesprochen wird und zweitens auch die Inhalte der Medien von ›Migrant_innen‹ nicht im Generalverdacht stehen, »mediale Ghettos« (siehe weiter unten) zu befördern. Ein genauerer Blick auf die vertretenen Konzepte und Perspektiven offenbart jedoch, dass durchaus Vorsicht bei der Rezeption der Ergebnisse geboten ist. Entsprechend ist es lohnend, vermehrt jene Arbeiten, die ›Integration‹ nicht als zentralen Bezugspunkt definieren, sondern vielmehr Mehrfachzugehörigkeiten anerkennen, in die Wissensproduktion einzubeziehen. Beispiele dafür sind etwa das Konzept der medialen Transmigration (vgl. etwa Hepp 2004), d.h. der Rezeption globaler Medienkultur, oder die Beschreibung von »Transkultur-Nutzer_innen« (Hafez 2005), die in der Lage sind, unterschiedliche Sinnbezüge zu vereinen.
18 Analog zu Spivaks (1996: 292) Feststellung, dass subalterne Subjekte zwar sprechen können, aber nicht gehört werden.
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›Migrant_innen‹ in Medien Der Hauptfokus vieler deutschsprachiger Arbeiten auf dem Themengebiet Medien und Migration liegt auf der Darstellung von ›Migrant_innen‹ in Medien. Eine detaillierte Beschreibung der relevantesten (historischen) Studien bietet beispielsweise Daniel Müller (2005b). In dieser wird u.a. deutlich, dass sich die Darstellung von ›Migrant_innen‹ seit der ersten systematischen Untersuchung (Delgado 1972) bis in die Mitte der 2000er-Jahre erstaunlich wenig geändert hat. Zahlreiche Forscher_innen konnten aufzeigen, dass ›Migrant_innen‹ einerseits selten in Medien vorkommen und wenn, dann meist in negativen Zusammenhängen. Auch wurden häufig geschlechtsspezifische Diskursstränge beobachtet: Während Migranten häufig mit Kriminalität, Gewalt, Asyl und Drogenhandel in Verbindung gebracht werden, sind es bei ›Migrant_innen‹ eher ›Opferthemen‹ (etwa Menschenhandel und Prostitution), die im Vordergrund stehen. Berichte über muslimische Frauen nehmen häufig Bezug auf die Geschlechterverhältnisse im Islam, thematisieren die Kopftuchdebatte, wobei die vorhandenen Zuspitzungen implizieren, »dass alle Musliminnen tendenziell fanatisch und ideologisch verblendet sind« (Farrokhzad 2006: 75). Wichtig ist auch die Feststellung, dass im öffentlichen Medienbild von ›Migrant_innen‹ inzwischen auch ein »Islamic Turn« stattgefunden hat: Gerade Muslime stehen im Fokus der Aufmerksamkeit und werden als ›die Anderen‹ beschrieben (vgl. Hafez/Richter 2007). Die Wahrnehmung von ›Migrant_innen‹ ist durch Skandalisierung gekennzeichnet, wobei »Sensationslust und die Erregung über Spektakuläres, wie etwa die sogenannten Ehrenmorde, den Blick für unauffällige Biografien und Integrationsprozesse von Migrant_innen verstellen« (Treibel 2008: 141). Vor allem die Emanzipation von weiblichen ›Migrant_innen‹ (wie sie von der Mehrheitsgesellschaft definiert wird) wird nach wie vor als Messlatte für den Integrationsfortschritt (vor allem der muslimischen Bevölkerung) herangezogen (vgl. HuthHilderbrandt 2002: 163).19 Der Lebensalltag von ›Migrant_innen‹ wird in deutschsprachigen Medien kaum thematisiert. Diese treten »meist nur als passives Objekt der Berichterstattung [auf] und kommen selber nicht zu Wort« (Bonfadelli 2007: 104). 19 In einer 2007 von mir durchgeführten Studie über die Darstellung von ›Migrantinnen‹ in Kärntner Medien zeigte sich ein ähnliches Bild: ›Migrantinnen‹ wurden häufig als Täterinnen oder als Opfer dargestellt. Als Täterinnen erschienen die Frauen als besonders gefährlich, etwa indem ihr Verhalten mit ihrer Ethnie erklärt wurde und ihnen damit unterstellt wurde, sie hätten keine Kontrolle über sich. Als Opfer wurden die Frauen häufig in ihrer Rolle als Mütter dargestellt, die beispielsweise von der Abschiebung aus Österreich bedroht sind (vgl. Ratković 2007).
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Gleichzeitig scheint allerdings auch ein Wandel in der Berichterstattung zu erfolgen. So haben Michael Krüger und Erk Simon (2005) in ihrer Untersuchung des deutschen Fernsehsenders WDR festgestellt, dass Migration dort in vielfältigen Zusammenhängen vorkommt und nicht auf Problembereiche beschränkt ist. Vor allem das Alltagsleben der ›Migrant_innen‹ wird thematisiert, wodurch diese als »Durchschnittsbürger« (Krüger/Simon 2005: 110) erscheinen, die »überwiegend sachlich neutral oder positiv« gezeigt werden, »ohne [dass] umgekehrt auf kritische Berichterstattung« verzichtet wird (ebd.: 114). Auch Patrick Ficks (2009) Analyse zweier Siegener Lokalmedien bezüglich des Wandels der Berichterstattung über ›Migrant_innen‹ zwischen 1996 und 2006 zeigt, dass diese 1996 negativer dargestellt wurden als 2006. So wurde 1996 in 42 Prozent aller Artikel über ›Migrant_innen‹ in einem kriminellen Zusammenhang berichtet, zehn Jahre später war dies in 30 Prozent der Artikel feststellbar. Gleichzeitig konnten der Kategorie »Migranten als Teil der Gesellschaft, Nachbar oder Mitbürger« zunächst 19 Prozent, 2006 dann aber 41 Prozent der Artikel zugeordnet werden (vgl. ebd.: 264 f.). Auffallend ist auch, dass 2006 im Lokalteil der Zeitungen häufig positiv über ›Migrant_innen‹ berichtet wird, wogegen in den anderen Bereichen häufig negative Berichte zu finden sind – wobei sich Letztere häufig auf Agenturmeldungen beziehen (vgl. ebd.: 256). Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Margreth Lünenborg, Katharina Fritsche und Annika Bach (2011) in ihrer groß angelegten Studie zur Darstellung von ›Migrantinnen‹ in fünf deutschen Tageszeitungen. So stellen die Forscherinnen fest, dass das Bild des hilfsbedürftigen, weiblichen Opfers zwar quantitativ dominiert, dass aber gleichzeitig auch »vielfältige andere Rollenkontexte und Lebensentwürfe sichtbar« werden (Lünenborg et. al 2011: 144). Migrantinnen als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft kommen vor allem in den Lokalteilen der Zeitungen vor, in der »alltagsweltliche Bezüge eine[r] differenzierte[n] und vielfältige[n] Berichterstattung« (ebd.) zu finden sind, während die Politikberichterstattung »auffällig negativ und konfliktzentriert« ist. Hier erscheinen ›Migrantinnen‹ häufig als anonyme Gruppe und kommen selbst kaum zu Wort (ebd.: 145). Fraglich ist, ob diese »Beispiele gelungener Integration in unmittelbarer Nachbarschaft, in direkter Nähe« wirklich wirkungsvoller sind – wie Fick es vermutet – als »negative Berichte über eine unbekannte Masse im überregionalen Teil« (Fick 2009: 266). So kann auch vermutet werden, dass hier eher jenes Phänomen auftreten könnte, das Mark Terkessidis beschrieben hat: Dass nämlich »fast all Migranten […] bei ihren einheimischen Bekannten ›Ausnahmen« sind (Terkessidis 2004: 186). Mit anderen Worten: Auch wenn den ›Einheimischen‹ durchaus ›Migrant_innen‹ (persönlich) bekannt sind, die nicht den
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gängigen Stereotypen entsprechen, werden eher diese Personen als Ausnahmen interpretiert, als dass die Stereotype hinterfragt werden. Auffällig bei der Beschäftigung ist auch, dass lange Zeit vor allem Printmedien analysiert wurden, seltener bis gar nicht dagegen Fernsehinhalte, Filme, Werbung und PR – und das, obwohl Migration gerade in zahlreichen Spielfilmen und Dokumentationen thematisiert wird. Dies kann zum einen damit erklärt werden, dass sich Printmedien leichter auswerten lassen, zum anderen damit, dass wie Daniel Müller (2005b: 111) es formuliert, »politische Inhalte der Presse […] möglicherweise als besonders relevant empfunden [werden].« Eine Ausnahme bildet hier beispielsweise Christina Ortners (2007) Untersuchung der Darstellung von Migration in der Krimireihe Tatort. In dieser stellt die Forscherin fest, dass in der Tatort-Reihe Migration zwar facettenreich beschrieben wird, dass aber klischeebehaftete und negative Figurenzeichnungen dennoch (zumindest am Rande) zu finden sind und dass fast durchweg eine klare Einteilung der Charaktere entlang ihrer Herkunft festgestellt werden kann. Abschließend stellt sie fest, dass das inhaltliche Angebot der Reihe »nur bedingt geeignet [ist], stereotype Vorstellungen zu durchbrechen, Vorurteilen entgegenzuwirken oder die Wahrnehmung von Migranten als Teil der Gesellschaft zu fördern« (ebd.: 20). Andere Studien zeigen zudem, dass auch in anderen Fernsehinhalten deutlich negative Konnotationen zu ›Migrant_innen‹ verbreitet werden (vgl. Hafez/Richter 2007). Repräsentation von ›Migrant_innen‹ in Medien ist einerseits deswegen wichtig, weil wir heute die Welt vor allem über die Medien vermittelt bekommen: Wir formen unsere Meinung über bestimmte Phänomene, Personen und Dinge auf Basis der Informationen, die wir über die Medien beziehen. Folglich kann argumentiert werden, dass sich das Wissen von Menschen ohne ›Migrationshintergrund‹ über Migration primär daraus zusammensetzt, was sie aus den Medien erfahren. Andererseits prägt die Darstellung von ›Migrant_innen‹ in Mehrheitsmedien auch die Beziehung von ›Migrant_innen‹ zur Mehrheitsgesellschaft. So spricht etwa Erol Yildiz (2006: 40) davon, dass Medien »als Transportmittel für Deutungen und Bilder fungieren, die in der Gesellschaft bereits vorhanden sind. Massenmedien greifen bestimmte Normalitätsvorstellungen auf, die in anderen gesellschaftlichen Kontexten, z.B. in politischen oder wissenschaftlichen, entstanden sind.« So wird etwa der Ghettodiskurs zwar im wissenschaftlichen und politischen Diskurs geformt, aber erst durch die mediale Inszenierung salonfähig gemacht. Butterwegge (2006: 188) bezeichnet Massenmedien wiederum als »Katalysatoren der Ethnisierung sozioökonomischer Konflikte«. Nicht zuletzt gerät bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Darstellung von ›Migrant_innen‹ in den Mainstream-Medien jeweils in den Blick, dass in den Mainstream-Medien Menschen, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrie-
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ben wird, nach wie vor deutlich unterrepräsentiert sind. So führen Heinz Bonfadelli und Heinz Moser (2007: 12) die Negativdarstellung von ethnischen Minderheiten unter anderem auch darauf zurück, dass diese selten in Medien tätig sind. In Deutschland hatten etwa 2005 lediglich 1,2 Prozent der hauptberuflichen Journalist_innen einen ›Migrationshintergrund‹ (vgl. Geißler et al. 2009). In Österreich sind es laut einer Studie von 2010 lediglich 0,49 Prozent (vgl. Herczeg 2012: 185). Einmal abgesehen von diesen ernüchternden Zahlen, machen diese Studien aber auch ein zentrales Problem aus: So wurde den Forscher_innen auf ihre Anfragen an die Redaktionen z.T. mitgeteilt, dass die jeweilige Redaktion von der Thematik »Journalist_innen mit ›Migrationshintergrund‹« gar nicht betroffen ist (vgl. Geißler et al. 2009: 88). Das Bewusstsein, dass dies überhaupt ein Thema ist, fehlt bei manchen Redaktionen also vollkommen. Gleichzeitig berichten Journalist_innen mit ›Migrationshintergrund‹, dass sie durchaus die Erfahrung machen, auf ihre Herkunft reduziert zu werden – entsprechend werden sie laufend eingeteilt, (nur) über Migration zu berichten, unabhängig davon, ob diese sie überhaupt interessiert (vgl. Oulios 2009: 131).
VON ›ETHNIC MEDIA‹ ZU POSTMIGRANTISCHEN MEDIEN Bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit jenen Medien, die in dieser Arbeit im Fokus stehen, besteht eine Reihe von Problematiken, auf die in der Folge eingegangen wird. Deutlich werden die Schwierigkeiten schon bei der Bezeichnungspraxis. So existiert allein in der englischsprachigen Literatur zu diesen Medien eine Vielzahl an Begriffen: »Minority media, immigrant media, diasporic media, and community media are terms often used along with or instead of the term ethnic media« (Matsaganis et al. 2011: 8, Hervorh. im Orig.). Matsaganis et al. führen die Vor- und Nachteile der jeweiligen Bezeichnungen an. So ist aus ihrer Sicht die Verwendung des Begriffs »ethnic minority media« u.a. deswegen problematisch, weil bestimmte Gruppen, die in diesem Zusammenhang als Minderheit bezeichnet werden, durchaus die Mehrheit der Bevölkerung an dem Ort stellen können, an dem das entsprechende Medium produziert wird.20 Sie plädieren für die Verwendung des Begriffes »ethnic media«, weil un-
20 So erscheint beispielsweise biber in Wien, d.h. in einer Stadt, in der mittlerweile rund der Hälfte der Bevölkerung ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird (vgl. wien.orf.at/news/stories/2679050 [Stand: 15.3.2018]).
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ter diesen eine größere Bandbreite an Medien subsumiert werden kann als unter die anderen angeführten Begriffe. Sie definieren diese Medien folgendermaßen: »Ethnic media are media that are produced by and for (a) immigrants, (b) racial, ethnic, and linguistic minorities, as well as (c) indigenous populations living across different countries.« (Ebd.: 6) Weiter unterscheiden die Autor_innen zwischen »ethnic media« und »mainstream media«, die sie als Medien definieren, die von und für den Mainstream der Gesellschaft produziert werden (ebd.: 11). Im deutschsprachigen Raum sind derzeit unterschiedliche Bezeichnungen in Verwendung, wobei mit diesen z.T. jeweils unterschiedliche Medien benannt werden. In den oben genannten Publikationen von Geißler und Pöttker wird etwa der Begriff »Ethnomedien« verwendet und darunter werden sowohl jene Medien (Zeitungen, Rundfunksendungen, Internetseiten) verstanden, die in den Ursprungsländern der Einwander_innen produziert und in den Aufnahmeländern verkauft/ausgestrahlt werden (z.T. werden einzelne Abschnitte in den Aufnahmeländern erstellt und beigefügt), als auch jene, die speziell für ›Migrant_innen‹ in den Aufnahmeländern produziert werden (vgl. Weber-Menges 2005: 241 f.). Brantner/Herczeg (2013) beschreiben biber explizit als ein Beispiel für »transcultural ethnic media« (ebd.: 230), wobei sie diese folgendermaßen definieren: »They target different minority communities and the majority society (if at least partly written in the majority language), they cover inter- and transcultural content and provide critical and semi-professional journalism.« (Ebd.: 230 f.) Unter dem Begriff »Alternative Medien« oder »Bürger_innen-Medien« werden wiederum z.T. jene Medien diskutiert, die Bürger_innen – und auch explizit ›Migrant_innen‹ – die Möglichkeit bieten, selbst Medien zu gestalten. »Alternativ« ist dabei im Sinne eines Gegenmodells zu Mainstream-Medien gemeint, und es geht vor allem darum, Inhalte verbreiten zu können, die in MainstreamMedien kaum zu finden sind (vgl. Bailey et al. 2008). Unter dem Begriff der »Alternativen Medien« werden wiederum auch die Community Media subsumiert, die von einer bestimmten Community für eine bestimmte Community produziert werden und bei denen ebenso die Medienpartizipation im Zentrum steht, wobei diese ebenfalls nichtkommerziell sind und häufig in den Herkunftssprachen der Medienmacher_innen produziert werden. Immer mehr Beachtung findet schließlich der Begriff der »Diaspora-Medien«, die an das Verständnis von »Diaspora« als kreativ, kulturell flexibel und kosmopolitisch anknüpfen (vgl. Clifford 1994). So beschreiben etwa Hepp et al. (2011) drei Aneignungstypen von Nutzer_innen der »Diaspora-Medien«: Die Herkunftsorientierten hängen noch am ehesten den klassischen Vorstellungen von Herkunftsländern an, die Ethnorientierten entfernen sich schon mehr von diesen, die Weltorientierten
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haben schließlich bereits eine transnationale Kommunikationsweise für sich entdeckt. Allen diesen Bezeichnungen ist gemein, dass sie versuchen, jene Medien zu bezeichnen, die ›anders‹ sind und deren Andersartigkeit im Unterschied zu Mainstream-Medien betont werden muss. Dieses Vorgehen ist gleichermaßen problematisch als auch notwendig. So ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung nur dann sinnvoll und möglich, wenn klar ist, wovon die Rede ist. In dieser Arbeit werden die angeführten Begriffe jeweils dann genannt, wenn Bezug auf Forschungsliteratur genommen wird, in der diese verwendet werden, dann aber auch z.T. Anführungszeichen, um auf die problematischen Konnotationen zu verweisen. So wird etwa mit dem Begriff ›ethnic media‹ implizit vermittelt, dass Ethnie etwas sei, was nur ›Andere‹ hätten, der Begriff »Diasporamedien« läuft Gefahr, Menschen mit Migrationserfahrung prinzipiell als in der Diaspora lebend zu sehen. Nicht zuletzt bleibt mit diesen Bezeichnungen nach wie vor die Sichtweise bestehen, diese Medien seien für die ›Anderen‹ gedacht – ganz so, als wäre Migration eine Angelegenheit der ›Anderen‹. In dieser Arbeit wird dagegen argumentiert, dass ›diese‹ Medien für alle Mitglieder einer Gesellschaft von Interesse sind, weil sie eben nicht ›Partikularinteressen‹ abbilden, sondern vielmehr die Realität postmigrantischer Gesellschaften. Entsprechend werden hier zwei neue Begriffe eingeführt und zur Diskussion gestellt: erstens der Begriff der »Postmigrantischen Medien« und zweitens der Begriff der »Diversity Media«. An dieser Stelle wird auf die Diskussion der problematischen Seiten des Begriffs der Diversität bzw. Diversity verwiesen, ohne näher auf diese einzugehen (vgl. etwa Ahmed 2012; Römhild 2014). Festgestellt wird aber, dass sich die Verwendung in dieser Arbeit deutlich von den Diskursen abgrenzt, die ›Diversity‹ als Mittel zur Gewinnsteigerung sehen. Postmigrantische Medien bezeichnen jene Medien, die Migration als eine postmigrantische Querschnittsperspektive auf Kultur und Gesellschaft ansehen. Sie bewerten einerseits Migration als Normalfall und ›migrantisieren‹ andererseits jegliche Berichterstattung über Kultur und Gesellschaft (vgl. Römhild 2014, Yildiz 2015 und die Ausführungen weiter oben). Diese Medien erzählen andererseits Migrationsgeschichten neu und anders als die dominanten Diskurse und bedienen sich Praktiken widerständiger Verortungen und Transkodierungen. Diversity Media sind wiederum jene Medien, bei denen das Bemühen deutlich wird, sensibel mit jenen Kategorien umzugehen, die etwa in den Intersektionalitätstheorien benannt werden. Darunter fällt sowohl das explizite Bemühen der Produzent_innen, vornehmlich Redakteur_innen zu Wort kommen zu lassen, deren ›Migrationshintergrund‹, Alter, Ausbildung, Sprachkenntnisse etc. dazu führen, dass sie in Mainstream-Medien nicht tätig sind/sein können, als auch die
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Ausrichtung der Inhalte der Medien auf verschiedene (Communityübergreifende) Zielgruppen hin, wobei zudem ein kritischer Umgang mit Diskriminierungs- und Ausschlussmechanismen deutlich sein muss. Als Diversity Media und Postmigrantische Medien wären damit also nicht nur jene Medien zu bezeichnen, die von bestimmten ›Minderheiten‹ für bestimmte ›Minderheiten‹ gemacht werden, sondern es wäre jeweils zu prüfen, inwiefern bestimmte Medienangebote explizit darauf ausgerichtet sind, gesellschaftliche Diversität abzubilden und/oder eine postmigrantische Sichtweise zu betonen. Während Diversity Media notwendigerweise gleichzeitig auch Postmigrantische Medien sind, ist es umgekehrt nicht unbedingt der Fall: So kann sehr wohl eine postmigrantische Perspektive eingenommen werden, ohne dass etwa auf sexuelle Orientierung oder Ableismus eingegangen wird.21 Gleichzeitig sind Medien, die mehrheitlich von Menschen, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, produziert werden, nicht unbedingt Postmigrantische Medien bzw. vor allem dann nicht, wenn sie ausschließlich jene Diskurse zu Migration transportieren, die (derzeit) schon in den Mainstream-Medien zu finden sind. Ein Beispiel, das zeigt, dass es sich bei Postmigrantischen Medien und Diversity Media nicht notwendigerweise um Zukunftsmusik handelt, ist das Handbuch Medien und Diversität (Akinyosoye/INOU 2013), welches neben der Auflistung jener Medien, die klassisch als ›ethnic media‹ bezeichnet werden würden, auch bemüht ist, die Diversität der österreichischen Gesellschaft abzubilden, indem »Zahlen und Fakten zu Medien von und für Menschen mit besonderen Bedürfnissen, Medien, die sich mit Homosexualität und Transgender beschäftigen, sowie Medien, die sich an Menschen im höheren Alter richten« (ebd.: 5), angeführt werden. Inwiefern die hier angeführten 110 Medien jeweils als Diversity Media bezeichnet werden können, wäre zu prüfen. Allerdings ist davon auszugehen, dass diese Bezeichnung am ehesten für jene 23 dieser 110 Medien gelten könnte, die explizit als »Communityübergreifende Medien« (ebd.: 75) benannt werden (zwei von diesen sind migrazine und biber).
Geschichtliche Entwicklung Im Widerspruch zu der nur spärlich vorhandenen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit ›ethnic media‹ (und den Diversity Media und Postmigrantischen Medien, die in dieser Tradition stehen) steht die Tatsache, dass diese Medien 21 Es ist dabei wichtig zu betonen, dass sich LGBTQ- und postmigrantische Lebensweisen keineswegs gegenseitig ausschließen – die Gefahren einer solchen – falschen – Sichtweise hat etwa Jasbir Puar (2007) anschaulich beschrieben.
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über eine lange Tradition verfügen. So stellen Matsaganis et al. (2011: 28) fest, dass die Ursprünge von ›ethnic media‹ bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen – bis zu dem Zeitpunkt, als aus Frankreich geflüchtete Hugenotten eigene Zeitungen gründeten. Sie beschreiben auch die Entwicklung und Verbreitung von ›ethnic media‹ in diversen europäischen Staaten, wodurch deutlich wird, dass es sich bei diesen Medien um keine singulären oder exotischen Phänomene handelt. Weber-Menges (2006) beschreibt wiederum die Entwicklung von ›Ethnomedien‹ in Deutschland: Im Unterschied zu den USA und Kanada, so stellt sie fest, werden diese Medien allerdings nicht hauptsächlich von Minderheitenangehörigen für Minderheitenangehörige produziert. So bestehen auch Angebote, die von Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft für ›Migrant_innen‹ produziert werden (vgl. ebd.: 123). Insgesamt sechs Phasen der Entwicklung von ›Ethnomedien‹ in Deutschland macht Weber-Menges aus, beginnend mit der Anwerbung der ›Gastarbeiter_innen‹ in den 1960er-Jahren. Dieser Gruppe standen Zeitungen (die in ihren Heimatländern hergestellt wurden) und Radiosendungen (die zum Teil speziell für sie in Deutschland produziert wurden) zur Verfügung und sollten insbesondere als Hilfe und Informationsquelle für ihren vorübergehenden Aufenthalt dienen. Anfang der 1970er-Jahre fanden »Gastarbeitersendungen« auch im deutschen Fernsehen Eingang und waren zunächst als Brücke zur Heimat und Orientierungshilfe in Deutschland gedacht. Etwa ab dem Ende der 1970er -Jahre sollten sie dann auch zur ›Integration‹ der ›Migrant_innen‹ in der Aufnahmegesellschaft beitragen. Gleichzeitig erschienen eigene DeutschlandAusgaben, etwa türkischer Tageszeitungen. In den 1980er-Jahren setzten sich immer mehr Videokassetten aus den Heimatländern der ›Migrant_innen‹ durch, wodurch »das bis dahin größtenteils unter deutscher Regie stehende Medienangebot für ethnische Minderheiten eine weitere ernsthafte Konkurrenz« (ebd.: 129) erhielt. Mit der Verbreitung der Satellitentechnologie in den 1990er-Jahren entstand auch ein vielfältiges Medienangebot in den jeweiligen Landessprachen der ›Migrant_innen‹. Die bestehenden Sendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen versuchten nun, eine breitere Palette der Bevölkerung anzusprechen: neben ehemaligen ›Gastarbeiter_innen‹ auch die Mehrheitsbevölkerung, Asylsuchende etc. Multikulturelle Radio- und Fernsehsendungen, die wachsende Bedeutung des Internets und Versuche der zweiten und dritten Generation von ›Migrant_innen‹, eigene Medien zu produzieren, kennzeichnen schließlich die heutige Situation.
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Wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit ›ethnic media‹ Die Analyse von ›ethnic media‹ stellte im deutschsprachigen Raum lange Zeit einen blinden Fleck in der Forschung dar (vgl. Geißler/Pöttker 2006: 29). Diese Medien wurden »in der Wissenschaft nur als Kuriosum oder Exotik abgehandelt« (Becker 2007: 44). So eine Auseinandersetzung erfolgt (ist), befasst sich diese häufig mit dem Aspekt der ›Integration‹ und stellt die Frage in den Vordergrund, inwieweit diese Medien zur ›Integration‹ der ›Migrant_innen‹ beitragen oder sie gar gefährden können, indem sie segregative Inhalte transportieren: »Befürchtet wird, daß [die Hinwendung zu speziell muttersprachlichen Medien] insbesondere zu einem allmählichen bzw. einem endgültigen Rückzug der ausländischen Wohnbevölkerung führen wird.« (Goldberg 2000: 420) Entsprechend steht die Mediennutzung von Menschen mit ›Migrationshintergrund‹ im Fokus des wissenschaftlichen Interesses, wobei erste Umfragen zur Mediennutzung von ›Gastarbeiter_innen‹ schon in den 1960er-Jahren erstellt wurden (vgl. Müller 2005d). Zentral war und ist vor allem die Frage, inwiefern die Mediennutzung der ›Migrant_innen‹ etwas über ihren ›Integrationsgrad‹ verrät. Der Fokus wurde zudem meist auf die türkischstämmige Bevölkerung gelegt. Bei den Umfragen wurde auch immer die Frage danach gestellt, in welchem Ausmaß die Befragten Medien in ihrer Herkunftssprache nutzen. Im Hintergrund steht die Befürchtung, die Konzentration auf diese Medienangebote würde zu »Medialen Ghettos« bzw. »medialer Ghettoisierung« (vgl. Goldberg 2000: 434) und zur Bildung von »Parallelwelten« führen. So wird von einigen Forscher_innen befürchtet, dass die Hinwendung zu speziell muttersprachlichen Medien »insbesondere zu einem allmählichen bzw. einem endgültigen Rückzug der ausländischen Wohnbevölkerung führen wird« (ebd.: 420). Insbesondere die Rezeption türkischer Medien in Deutschland – so etwa Hartmut Esser (2000) – könne zu einer »Verharrung in binnenethnischen Beziehungen bei gleichzeitiger Vermeidung interethnischer Kommunikation« führen. Die Befürchtungen stehen im Widerspruch zu vorhandenen Untersuchungen zum Nutzungsverhalten von ›Migrant_innen‹: Diese zeigen zumeist auf, dass deutschsprachige Medien komplementär zu jenen in den Herkunftssprachen der Befragten genutzt werden. Es lassen sich keine Massen von ›Migrant_innen‹ finden, von denen vermutet werden kann, sie hätten sich in ein »mediales Ghetto« zurückgezogen (vgl. Müller 2005c oder auch Trebbe/Weiß 2007). Entsprechend kann auch hier argumentiert werden, dass »mediale Ghettos« ebenso wie »Parallelwelten« eher gefühlt werden, als dass sie tatsächlich existieren (vgl. Bukow et al. 2007, siehe weiter oben). Eine in Deutschland durchgeführte, repräsentative Studie kommt ebenfalls zum Schluss, dass es »keine ausgeprägte mediale Parallelgesellschaft gibt« (Simon 2007: 434). Alle
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Migrantengruppen würden von deutschen Medien gut erreicht; insofern sei die mediale Integration der Zuwanderer gut (vgl. ARD/ZDF-Medienkommission 2007). Christian Körber und Andrea Schaffnar (2002) weisen wiederum darauf hin, dass die parallele Rezeption von Mainstream-Medien und ›Ethnomedien‹ durchaus dazu führen kann, dass etwa Jugendliche eine insgesamt eher kritische Haltung gegenüber allen Medien einzunehmen lernen – gerade weil Informationen aus unterschiedlichen Quellen verglichen werden (können). ›Ethnomedien‹ werden auch ausführlich im schon oben beschriebenen Forschungsprojekt »Mediale Integration von ethnischen Minderheiten« (2002– 2009) von Rainer Geißler und Horst Pöttker in den Blick genommen. Wenig überraschend geht es dabei wiederum um Fragen der ›Integration‹. So plädiert Geißler (2005b) dafür, dass in ›Ethnomedien‹ ›Migrant_innen‹ mit Kenntnissen über die Aufnahmegesellschaft beteiligt sein sollten, damit gewährleistet ist, dass deren Inhalte »interkulturell integrativ« gestaltet werden. Während die Darstellung von ethnischen Minderheiten in Mehrheitsmedien zur Herstellung aktiver Akzeptanz der Migration beitragen, sollte die Berichterstattung der ›Ethnomedien‹ wiederum auf segregative Inhalte verzichten (»z.B. die ausschließliche Konzentration auf die Herkunftskultur oder die Konfrontation der ›überlegenen‹ Herkunftskultur mit einer einseitignegativ präsentierten Kultur der Aufnahmegesellschaft« [Geißler 2005b: 76]). Schließlich sollten ethnische Minderheiten Mehrheitsmedien und ›Ethnomedien‹ simultan nutzen, da Mehrheitsmedien z.B. notwendiges Wissen über die Aufnahmegesellschaft vermitteln, während ›Ethnomedien‹ Informationen bieten, die sich in Ersteren nicht finden lassen. Auch hier wird wiederum deutlich, dass die Perspektive keine symmetrische ist: So ist keineswegs die Rede davon, dass Mehrheitsmedien auf segregative Inhalte verzichten sollten, womit signalisiert wird, dass Segregation ein Problem der ›Migrant_innen‹ ist. Die Umkehrung dieser Perspektive führt etwa das Video Weißes Ghetto22 von Kanak Attak23 vor, in dem auf ironische Weise darauf aufmerksam gemacht wird, dass die deutsche, weiße, nichtmigrantische Bevölkerung im Kölner Stadtteil Lindenthal praktisch unter sich ist und damit (freiwillig bzw. absichtlich) in einem Ghetto lebt. Man könnte durchaus behaupten, dass es die ›Mehrheitsbevölkerung‹ ist, die – problematischerweise – Segregation und den Rückzug in Parallelwelten lebt. Umgekehrt lautet eine Forderung dieser Arbeit entsprechend, dass die Angehörigen der ›Mehrheitsbevölkerung‹ angehalten werden sollten, Mehrheitsmedien und ›ethnic media‹ zu nutzen, eben weil ›ethnic media‹ Informationen bieten, die sich in Ersteren nicht finden lassen. Zugespitzt formuliert: Postmigrantische Medien und/oder Diversity Media könnten 22 Vgl. www.youtube.com/watch?v=Gwdy_GAPBJQ (Stand: 15.3.2018). 23 Vgl. www.kanak-attak.de/ka/kanaktv.html (Stand: 15.3.2018).
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bzw. sollten zur ›Integration‹ der ›Mehrheitsbevölkerung‹ in die postmigrantische Gesellschaft beitragen, während den Mainstream-Medien eher vorsichtig begegnet werden sollte, da diese die ›Integration‹ der ›Mehrheitsbevölkerung‹ in die postmigrantische Gesellschaft eher gefährden.24
Die Situation in Österreich Wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit ›ethnic media‹ in Österreich sind Mangelware (siehe Brantner/Herczeg 2013). In den seltenen Fällen, in denen diese Medien thematisiert werden, werden sowohl jene Medien, die explizit für/von ›Migrant_innen‹, als auch jene, die für/von autochthonen Minderheiten produziert werden, betrachtet.25 Die ausführlichste Beschäftigung fand im Rahmen des von der EU geförderten Projektes Mapping Minorities and their Media statt, welches insbesondere die Frage in den Vordergrund stellte, welchen Einfluss ›ethnic media‹ auf die ›Integration‹ von Minderheiten haben (vgl. Matsaganis et al. 2011). Der Bericht zur Situation in Österreich stammt von Martina Böse, Regina Haberfellner und Ayhan Koldes (2001). In diesem beschreiben sie die Situation und die Umstände in Österreich, legen aber keine inhaltliche Analyse von Medien vor und verorten ihre Erkenntnisse auch nicht primär in Integrationsdiskursen. Sie listen bestehende Medien auf und unterscheiden zwischen »Media catering for more than one specific migrant or minority group«, »Media by ethnic group and/or language and kind of medium« und »Media technology, language and group«. In der ersten Kategorie werden Periodika, Magazine für die ›zweite Generation‹, Radioprogramme von/für Minderheiten und unabhängige Radiostationen genannt. In der zweiten Kategorie unterscheiden die Autorinnen zwischen offiziell anerkannten Volksgruppen (und nennen dabei Medien von Slowen_innen in Kärnten und Kroat_innen im Burgenland) und »new minorities« (hier wird zwischen bosnischen, kurdischen, serbischen und türkischen Medien unterschieden, die von Wochenmagazinen bis zu Fernsehkanälen reichen). In der dritten Kategorie werden wiederum analoges Radio, digitales Ra24 In einem Beitrag habe ich ausgeführt, dass Medien wie migrazine und biber zu einer Kultur des Friedens beitragen, d.h. im Sinne eines Friedensjournalismus als Early Learning System gesehen werden können, da sie Migration nicht skandalisieren (vgl. Ratković 2010). 25 Insgesamt sind in Österreich sechs Gruppen als autochthone Minderheit anerkannt: slowenischsprachige Kärntner_innen und kroatischsprachige Burgenländer_innen (seit 1955), Tschech_innen, Slowak_innen und Ungar_innen (seit 1976) sowie Roma und Sinti (seit 1993; vgl. Herczeg 2009: 72 f.).
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dio, digitale Fernsehkanäle und Printmedien unterschieden. Insgesamt ist die Liste verwirrend; auch verwundert, dass strikt zwischen serbischen und bosnischen Medien unterschieden wird und gleichzeitig kroatischsprachige Medien nur zur Volksgruppe im Burgendland zugerechnet werden – sind doch viele Kroat_innen erst im Zuge der Jugoslawienkriege oder als ›Gastarbeiter_innen‹ nach Österreich gekommen. Die Autorinnen betonen auch, dass einige der Medien in den Herkunftsländern der ›Migrant_innen‹ produziert werden und beispielsweise per Satellit empfangen werden. Das ist etwa beim kroatischen Sender HRT-TV 1 der Fall, bei dem es sich analog zum ORF 1 um einen staatlichen Sender handelt. Brantner/Herczeg (2013: 217) klassifizieren solche Medien wiederum als »foreign media, as long as they do not integrate additional content for the host country« (ebd.). Böse et al. (2001) stellen auch fest, dass es keine Printmedien der »neuen Minderheiten« in den jeweiligen Herkunftssprachen gibt – das hat sich inzwischen geändert. Die Einleitung des schon oben erwähnten Handbuchs Medien und Diversität (2013)26 hält fest: Das Handbuch bietet »einen Überblick über 127 Medien, interkulturelle Agenturen, Markt- und Meinungsforschungsinstitute, Branchenbücher und Werbeplattformen. Insgesamt sind es 110 Medien im klassischen Sinne. 87 davon aus spezifischen Communities, etwa aus ethnischen, religiösen oder der LGBT Community. 23 Medien berichten communityübergreifend. Es gibt insgesamt 96 interkulturell Medien bzw. Medien, die einen Schwerpunkt auf Integrationsund Migrationsthemen gelegt haben.« (Akinyosoye/INOU 2013: 5)
In dieser Auflistung bzw. im Vorwort selbst wird deutlich, dass hier nicht lediglich ›ethnic media‹ in den Blick genommen werden, sondern dass vielmehr versucht wird, die Diversität der österreichischen Gesellschaft abzubilden, indem »Zahlen und Fakten zu Medien von und für Menschen mit besonderen Bedürfnissen, Medien, die sich mit Homosexualität und Transgender beschäftigen, sowie Medien, die sich an Menschen im höheren Alter richten«, in den Blick genommen werden (ebd.). Weiterhin werden sowohl Medien der jüdischen als auch der muslimischen Community einbezogen. Insgesamt finden sich im Handbuch 16 Kategorien/Kapitel: afrikanische Medien, arabische/muslimische Medien, bosnische/kroatische/serbische Medien, bulgarische Medien, chinesische 26 Das Handbuch selbst wird von M-Media, einem Verein, dessen grundlegende Richtung laut Selbstbeschreibung folgende ist, herausgegeben: »Unser Ziel ist es, die Bilder von Migrantinnen und Migranten und den sie betreffenden Themenfeldern durch aktive Teilnahme der Betroffenen am Kommunikationsprozess der Mainstream Medien umfassend und zunehmend mitzugestalten.« (Stand: 15.3.2018)
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Medien, Generationen – Menschen im Höheren Alter, jüdische Medien, lateinamerikanische Medien, LGBT Communitymedien, Medien von Menschen mit besonderen Bedürfnissen, pakistanische Medien, persische Medien, polnische Medien, Sinti- und Roma-Medien, türkische Medien. Sowohl migrazine als auch biber werden hier in der Rubrik »Communities übergreifende Medien« geführt. In einer der bereits erwähnten, von Reiner Geißler und Horst Pöttker herausgegebenen Publikation beschreibt Petra Herczeg (2009) ebenfalls die Situation in Österreich, wobei auch sie sowohl ›Minderheiten‹ als auch ›Migrant_innen‹ einbezieht. Ihre Prämisse ist, dass beide Gruppen mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind, auch wenn sie die »semi-autonomous minorities« (ebd.: 71) als im Gegenteil zu den ›Migrant_innen‹ als »well-integrated into Austrian society« (ebd.) betrachtet. Sie beschreibt die Situation in Österreich und führt die problematischen Seiten der gesamtgesellschaftlichen Bedingungen aus, analysiert allerdings keine Medien inhaltlich, sondern beschreibt eher deren Gestaltung. Cornelia Brantner und Herczeg (2013) bieten wiederum einen Überblick über Wiener ›ethnic media‹, um sich dann auf biber zu konzentrieren. Ihr Fokus richtet sich auf die Frage, inwiefern biber als »bridging media« fungieren kann, »as media that ›brings differences together‹» (ebd.: 220). In ihrer Studie haben die Autorinnen neben einer Inhaltsanalyse ausgewählter Ausgaben von biber (insgesamt sechs Ausgaben zwischen 2007 und 2009) sowohl Interviews mit einzelnen Redakteur_innen von biber geführt als auch die Berichterstattung über biber in Mainstream-Medien analysiert. Sie bezeichnen biber weiterhin als »transcultural ethnic media« (ebd.: 230) und definieren diese Medien so: »They target different minority communities and the majority society (if at least partly written in the majority language), they cover inter- and transcultural content and provide critical and semi-professional journalism« (ebd.: 230 f.). Sie führen auch aus, dass biber sehr wohl eine Brückenfunktion innehat, da es ›Migrant_innen‹ die Möglichkeit bietet, Eingang in öffentliche Sphären zu bekommen und gleichzeitig eine Plattform darstellt, in der Diversität verhandelt werden kann. Auch wenn den Ausführungen der Autor_innen weitgehend gefolgt wird, wird ihre Begrifflichkeit in dieser Arbeit dennoch nicht übernommen. So wird erstens aufgrund der oben ausgeführten Argumente der Begriff »ethnic media« abgelehnt, zweitens wird als problematisch angesehen, dass mit dem Begriff der »Transkulturalität« Kultur nach wie vor als zentrale Bezugsgröße in den Mittelpunkt gestellt wird, und drittens wird argumentiert, dass mit dem Begriff der Postmigrantischen Medien der Blick auf biber und ähnliche Medien grundlegend verändert wird, da sie als ›Normalfall‹ postmigrantischer Gesellschaften gesehen werden.
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Im Fokus dieser Arbeit: biber und migrazine In dieser Forschungsarbeit wird auf zwei Medien eingegangen: biber und migrazine. Grund für die Auswahl dieser beiden Magazine ist erstens, dass beide von jenen Gruppen von ›Migrant_innen‹ produziert werden, denen sowohl in öffentlichen Diskursen als auch in der Mainstream-Migrationsforschung nach wie vor unterstellt wird, gerade sie hätten Probleme mit ihrem ›Status‹ als ›Migrant_innen‹. So erscheinen ›Migrant_innen‹ häufig als Opfer und dabei vor allem als Opfer ihrer als rückständig beschriebenen Herkunftskulturen. Jugendlichen ›Migrant_innen‹ wiederum wird u.a. im Schulalltag noch immer unterstellt, sie wären zwischen ihrer ›Herkunftskultur‹ und der Kultur des Aufnahmelandes hin und her gerissen und würden an dieser Situation leiden. Entsprechend »bemühen sich auch heute noch viele SozialarbeiterInnen, LehrerInnen und andere PädgogInnen, den migrantischen Jugendlichen aus dieser angeblich pathologischen Situation herauszuhelfen und ihnen eine neue kulturelle Orientierung zu ermöglichen« (Yildiz 2010: 325). Zweitens verwenden beide mehrheitlich bzw. ausschließlich die deutsche Sprache, können also nicht nur von Angehörigen der ›Mehrheitsgesellschaft‹ konsumiert werden, sondern richten sich auch an jene Menschen, die nicht Teil der ›eigenen‹ Community sind – auch gehören die Macher_innen jeweils nicht einer Community an, sondern verfügen über unterschiedliche ›Migrationshintergründe‹. Drittens ermöglicht die Tatsache, dass beide Magazine zwar zentral Migration thematisieren, gleichzeitig aber über unterschiedliche Selbstverständnisse, Zielgruppen und Erscheinungsformen verfügen, eine Aussage darüber zu treffen, inwiefern Migration als bestimmend für die vorhandenen Identifikationsangebote an die Leser_innen ist bzw. ob nicht vielmehr andere Aspekte eine wichtigere Rolle spielen. Nicht zuletzt beanspruchen beide Magazine eine gewisse Expertise im Bereich Migration, weswegen es sich hier gut beobachten lässt, wie jene, die in Mainstream-Medien (und häufig auch in der Forschung) als die ›Anderen‹ beschrieben werden, über sich selbst sprechen.
migrazine Das Webzine migrazine ging 2006 online und erscheint seit 2009 etwa zwei- bis dreimal pro Jahr. Als mehrsprachiges Onlinemagazin »von Migrant_innen für alle« (also für »Migrant_innen und Mehrheitsangehörige, Kulturarbeiter_innen, Haushaltsfrauen, Deutschkursfrauen, Studierende, Queeraktivist_innen, Interes-
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sierte am Themenbereich Migration und Antirassismus«27) wird es von der autonomen ›Migrant_innen‹-Selbstorganisation maiz28 in Linz herausgegeben. Ziel ist es, »kritische migrantische Stimmen in der medialen Öffentlichkeit hörbarer zu machen und gegen die klischeehafte Darstellung von Migrant_innen aufzutreten« sowie »selbstorganisiertes Partizipieren an der Medienlandschaft, Einmischen in den herrschenden Diskurs, Demokratisierung der Information« zu thematisieren. Das Redaktionsteam besteht aus Migrantinnen der ersten und zweiten Generation, die am gesamten Entstehungsprozess beteiligt sind (»von der Gestaltung der Webseite bis hin zur redaktionellen Betreuung der Beiträge«). Zum Redaktionsteam gehören Assimina Gouma, Cristiane Tasinato, Radostina Patulova und Vina Yun, dazu kommen aber auch zahlreiche (teils ehrenamtliche) Mitarbeiterinnen und Autorinnen. migrazine ist explizit feministisch, antirassistisch und parteilich, wobei die Redakteurinnen feststellen, dass sie die Kategorie »Migrantin« in Anschluss an FeMigra (bzw. Yurtsever-Kneer 2004) als politische Identität verstehen, als »Bezeichnung eines oppositionellen Standorts« und im Sinne einer »feministischen und antirassistischen Parteilichkeit«. Die analysierten Ausgaben29 von migrazine sind jeweils in drei Bereiche gegliedert: In den Bereichen Fokus und Pixel widmen sich jeweils fünf bis sieben einzelne Beiträge einem Schwerpunktthema. Den Fokus der ersten analysierten Ausgabe bildet Literatur in Bewegung (m1: 1),30 der zweiten Zweite Generation und Postmigration (m2: 1). Im Pixel wird einerseits auf 100 Jahre Frauentag (A Single Issue?, m1: 7) bzw. Sprache als »Schlüsselwerkzeug für gesellschaftliche Veränderungen« (Sprache handelt, m2–3: 8) eingegangen. Der Bereich Crossover vereint jeweils vier Beiträge, die über keinen inhaltlichen Zusammenhang verfügen.
biber. Magazin für neue Österreicher biber wurde 2007 gegründet und erscheint seitdem regelmäßig (d.h. annähernd jeden Monat). Herausgeberin ist die Wiener BIBER Verlagsgesellschaft mbH. Chefredakteur ist Simon Kravagna, der zusammen mit Wilfried Wiesinger auch als Geschäftsführer tätig ist. Auf der Website von biber werden für den Bereich 27 Diese und alle weiteren direkten Zitate in diesem Unterkapitel siehe online unter www.migrazine.at/content/ber-uns (Stand: 15.3.2018). 28 Siehe www.maiz.at (Stand: 15.3.2018). 29 Ausführungen zur Festlegung des Korpus finden sich weiter unten. 30 Das Kürzel »m1« bezeichnet die erste analysierte Ausgabe von migrazine.at, »m2–3« die zweite. Die Zahlen beziehen sich auf einzelne Beiträge. Die entsprechende Liste befindet sich am Ende dieser Publikation.
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Redaktion und Online Simon Kravagna, Amar Rajković (stellvertretender Chefredakteur), Delna Antia (stellvertretende Chefredakteurin) und Marko Mestrovic (Fotochef) genannt. Zudem sind unter dem Bereich Sales, Marketing und Vertrieb Gizem Yazgan (schülerbiber und Mitarbeiterin des Herausgebers) sowie Adam Bezeczky (Projektmanagement, Anzeigenverkauf und Vertrieb) genannt.31 In der Aufstellung der Mediadaten von 2015,32 die sich primär an Wirtschaftsunternehmen richtet und diese animieren soll, in biber Anzeigen zu schalten, ist festgehalten, dass die Auflage 65000 Stück beträgt. Die Zielgruppe sind die »Neuen Österreicher« im Alter zwischen 15 und 40 Jahren, wobei 61 Prozent der Leser_innen weiblich, 39 Prozent männlich sind. Unter »Vertrieb«33 werden McDonalds, Billa, Eurospar und Anker genannt. Dort liegt biber zur Gratismitnahme auf. Angeführt werden auch die Erscheinungstermine sowie die jeweiligen Schwerpunkte, die einiges über die Ausrichtung von biber verraten: Die Schwerpunkte sind Lehre und Karriere/Unternehmerspezial (Februar), Biberica: Frauenspezial/Auto I – City Flitzer/CareerFAIR (März), Innovation und Forschung/Frauen und Technik (April), Start up und Gründerszene/Sommer-Beauty und Style (Mai), schülerbiber (Juni sowie Dezember/Januar 2016), AbsolventenExtra: Karriere nach der Uni/Beste Arbeitgeber (Juli/August), Greenbiber/Nachhaltigkeit (September), Lehre II/Geld, Finanzierung, Vorsorge/Games (Oktober), Wohnen und Einrichten/Männerspezial/Auto II (November). Der Preis für eine Einzelseite in der regulären Ausgabe beträgt 6200 Euro. Interessant ist, dass für die schülerbiber-Ausgaben34 eine eigene Information verfügbar ist. Die Auflage für diese beträgt 85000 Stück. Zusätzlich zu den genannten Unternehmen wird die Ausgabe zudem auch in Schulen verteilt (allgemeinbildende, berufsbildende und Neue Mittelschulen werden genannt). Die Zielgruppe bilden hier Schüler_innen zwischen 14 und 19 Jahren. Das Bildungsministerium und der Wiener Landesschulrat werden als Partner genannt. Der Preis für die Einzelseite beträgt hier stolze 8900 Euro.35 Werbung kann zu-
31 Vgl. www.dasbiber.at/kontakt (Stand: 15.3.2018). 32 Diese und weitere Informationen zu den Mediadaten/Preisen/Zielgruppen siehe online unter www.dasbiber.at/werbung-bei-biber (Stand: 15.3.2018). 33 Ein Abo ist ebenfalls möglich, wobei die Abonnent_innen selbst entscheiden können, wie viel sie zahlen wollen. 34 In die Analyse wurde ebenfalls eine schülerbiber-Ausgabe einbezogen. Nähere Informationen dazu finden sich weiter unten. 35 Zum Vergleich: In der Kronen Zeitung, die laut eigener Darstellung über zwei Millionen Leser_innen und damit 29,5 Prozent der in Österreich lebenden Bevölkerung erreicht, kostet eine ganze Seite rund 32000 Euro (im Anzeigenteil der Gesamtausgabe
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dem auch für die biber-Website gekauft werden. Hier ist die Zielgruppe zwischen 19 und 45 Jahren alt, wobei als Durchschnittsalter 28 Jahre genannt werden. Die Erstellung von Advertorials für die Startseite kostet 300 Euro. Dazu fallen dann tägliche Kosten von 45 Euro an. Dabei ist wichtig festzuhalten, dass biber zwar keine staatliche Presseförderung bekommt, aber laufende Kooperationen mit staatlichen Institutionen und Unternehmen eingeht. Insbesondere kann biber mit Werbeeinnahmen vonseiten der Stadt Wien rechnen, weil diese einerseits über ein hohes Werbebudget verfügt und andererseits bereit ist, in vielfältigen Medien Werbung zu schalten. In der Aufstellung der Mediadaten 2013 ist zudem festgehalten: »biber ist das einzige österreichische Magazin, das direkt aus den multiethnischen Communitys berichtet. biber ist intelligent, kritisch und stylish, aber vor allem einzigartig im deutschsprachigen Raum. Seit fünf Jahren zeigt unser Magazin die scharfen Facetten der neuen Österreicher. Thematisieren statt tabuisieren steht bei der Redaktion an oberster Stelle. Das biber reflektiert das Lebensgefühl einer neuen Generation, schwingt dabei aber nicht die moralische Integrationskeule!«36
In den analysierten Ausgaben sind die Bereiche Politika und Rambazamba immer vertreten. Im Ersteren werden eher ernste Themen verhandelt (etwa die Kriege im ehemaligen Jugoslawien [b3: 18–7]37 oder Auseinandersetzungen um Sexualität und Islam [b1: 18–25]). Die Beiträge in Rambazamba sind dagegen eher humorvoll gestaltet. So werden etwa »Balkanfrauen« (b4: 28–32) oder das Schönheitshandeln junger Männer (b1: 30–35) auf den Prüfstand gestellt. Der Bereich Ekonomya ist in vier der fünf analysierten Ausgaben zu finden, wobei hier wirtschaftliche Themen (etwa österreichische Manager, b5: 54 f.), aber auch widerständige Journalist_innen (b1: 62–68) im Fokus stehen. Neben dem schülerbiber (b1) finden sich in drei der vier anderen Ausgaben noch weitere Spezialthemen. So wird im März 2011 ausführlich auf Wohnen (b2: 53–71), im April 2011 auf Karriere (b3: 52–77), im Mai 2011 auf Gesundheit (b4: 54–67) und im Juni 2011 auf den »Osten« (54–71) eingegangen.
von Montag bis Mittwoch; vgl. www.kroneanzeigen.at/download/24/12 [Stand 15.3.2018]). 36 Vgl. www.dasbiber.at/files/Mediadaten_2013_rz_low3.pdf (Stand: Stand 15.3.2018) 37 Die Kürzel »b1« bis »b5« stehen für die biber-Ausgaben vom Februar bis Juni 2011.
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METHODOLOGISCHE ÜBERLEGUNGEN Wie bereits weiter oben ausgeführt, stehen in dieser Arbeit jene Menschen, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, als Produzent_innen von Wissen über sich selbst im Mittelpunkt des Interesses. Insbesondere wird der Frage nachgegangen, wie sie sich selbst sehen bzw. wie sie über sich selbst schreiben und sprechen. Das ›Selbst‹ kann jedoch niemals als unabhängig von einem ›Außen‹ gedacht werden, folglich müssen auch die Inhalte der analysierten Medien im Zusammenhang mit der Umgebung, in denen sie erscheinen, in den Blick genommen werden. Zugleich werden die Inhalte dieser Medien hier als Interventionen verstanden, als Beiträge, die beispielsweise bewusst zur Veränderung der Wahrnehmung von Migrationserfahrungen eingesetzt werden. Ein Ansatz, der alle drei Aspekte – das bereits vorhandene, das neu produzierte Wissen und Wissen als Intervention – in sich vereint und der Analyse zugänglich macht, ist jener der Diskursforschung. Es geht hier also darum, »Prozesse der Erzeugung, Stabilisierung und auch Transformation gesellschaftlicher Wissensordnungen« (Keller 2011: 10) zu untersuchen. Dabei wird die »konstruktivistische Ausgangsposition [vieler Forscher_innen geteilt], die den performativen, weltkonstituierenden Charakter der Sprache bzw. des Sprachgebrauchs in diskursiven Praktiken bzw. Diskursen betont« (Keller et al. 2004: 10).
Kritische Diskursanalyse Diskursforschung entstand laut van Dijk (1997: 25 ff.) Mitte der 1960er-Jahre in mehreren Disziplinen gleichzeitig, wobei Texte und Sprache schon zuvor Analysen unterzogen worden waren. Die Ethnografie wies darauf hin, dass Sprecher_innen nicht nur die Regeln der Grammatik befolgen, sondern auch jeweils als Mitglieder einer Kultur auch deren Kommunikationsregeln beachten (z.B. wie eine Geschichte erzählt wird). Strukturalismus wiederum stellte einen breiteren Rahmen zur Analyse von Erzählungen, Mythen, Literatur, Filmen etc. bereit, während die Diskursgrammatik sowohl die semantischen und funktionalen Beziehungen zwischen einzelnen Sätzen als auch die Verteilung von Informationen in Texten untersuchte. Soziolinguist_innen betonten wiederum die Wichtigkeit der Analyse des Sprachgebrauchs in verschiedenen sozialen und kulturellen Kontexten. Seit den 1970er- und 1980er-Jahren führen schließlich verschiedene Zweige der Kommunikationswissenschaften Diskursanalysen sowohl von massenmedialen als auch von interpersonalen und interkulturellen (und vielen anderen) Inhalten durch.
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In dieser Arbeit wird an Ansätze der Critical Discourse Analysis (CDA) bzw. der Kritischen Diskursanalyse (KDA) angeknüpft, da in diesen »neben den wissenschaftlichen Interessen gleichwertig das Ziel einer emanzipatorischen Aufklärung durch Praxiskritik und daran anschließende Verbesserungsvorschläge« stehen (Keller 2011: 27). Als Grundannahmen der CDA bezeichnet Keller (ebd.: 30) im Anschluss an Titscher et al. (1998: 181) unter anderem: Die Beschäftigung mit sozialen Problemen ist zentral, d.h. der linguistische Charakter sozialer und kultureller Prozesse und Strukturen, wobei davon ausgegangen wird, dass Machtbeziehungen diskursiv sind (»Macht im Diskurs« als auch »Macht über den Diskurs« werden analysiert). Gerade weil im Rahmen der CDA/KDA Machtverhältnisse, Herrschaft und Ungleichheitsrelationen in den Blick genommen werden, stellt van Dijk fest, dass Diskursanalytiker_innen »may also become more actively involved in the topics and phenomena they study […]. The critical scholars make their social and political position explicit; they take sides, and actively participate in order to uncover, demystify or otherwise challenge dominance with their discourse analysis.« (van Dijk 1997: 22)
Als wichtige Vertreter_innen der CDA werden von Reiner Keller Norman Fairclough, Ruth Wodak und Teun van Dijk genannt. Die Trennung unterschiedlicher Ansätze ist schwierig: Keller (2011: 30) beschreibt in seiner Darstellung den »Ansatz der CDA von Norman Fairclough und Ruth Wodak« als einen Ansatz. In einem 1998 publizierten Leitfaden zu Methoden der Textanalyse (Titscher/Wodak/Meyer/Vetter) werden die »Kritische Diskursanalyse in der von Norman Fairclough ausgearbeiteten Form und die diskurs-historische Methode von Ruth Wodak« (Titscher et al. 1998: 178) separat vorgestellt, wobei zunächst der gemeinsame theoretische Rahmen vorgestellt wird – u.a. unter Bezugnahme auf Teun van Dijk. Die Unterschiede beziehen sich dabei etwa auf verschiedene theoretische Rahmen. So bezieht sich Fairclough u.a. auf die multifunktionale Theorie der Sprache von Halliday (1978), während Wodak und van Dijk mit kognitiven Textplanungsmodellen arbeiten (vgl. Titscher et al. 1998: 179). Im deutschsprachigen Raum, so stellt Keller fest, hat Siegfried Jäger wiederum einen eigenen, spezifischen Ansatz der Kritischen Diskursanalyse entwickelt (vgl. Keller 2011: 32), der auch in dieser Arbeit Verwendung findet.
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Kollektivsymbole, Diskursfragmente, -stränge und -ebenen Der Ansatz von Siegfried Jäger und den Mitarbeiter_innen des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS), der in dieser Arbeit den Rahmen der Analyse bildet, knüpft vor allem an die Arbeiten von Michel Foucault, Jürgen Link und A. N. Leontjew an. Diskurse sind für Jäger – ebenso wie für Foucault – nicht als »Ausdruck gesellschaftlicher Praxis von Interesse […], sondern weil sie bestimmten Zwecken dienen: Machtwirkungen auszuüben« (Jäger 2001: 82; Hervorh. im Orig.). Diskurse werden von Jäger als »eine artikulatorische Praxis begriffen […], die soziale Verhältnisse nicht passiv repräsentiert, sondern diese als Fluß von sozialen Wissensvorräten durch die Zeit aktiv konstituiert und organisiert« (Jäger 2009: 23; Hervorh. im Orig.). Er bezieht sich in seinen Arbeiten auf den Ansatz von Jürgen Link (der wiederum explizit an Foucault anknüpft), wobei es Link vor allem »um die Analyse aktueller Diskurse und ihrer Macht-Wirkung, um das Sichtbarmachen ihrer (sprachlichen und ikonographischen) Wirkungsmittel, insbesondere um die Kollektivsymbolik, die zur Vernetzung verschiedener Diskursstränge beiträgt, und insgesamt um die Funktion von Diskursen als herrschaftslegitimierenden und -sichernden Techniken [geht].« (Ebd.: 127)
Kollektivsymbole und damit jene Bilder/Metaphern/Allegorien etc., die alle Mitglieder einer Gesellschaft kennen, nehmen hierbei eine besondere Stellung ein, da Link davon ausgeht, dass der »gesamtgesellschaftliche Diskurs von einem synchronen System kollektiver Symbole zusammengehalten wird« (ebd.: 133 f.; Hervorh. im Orig.). Kollektivsymbole prägen nicht nur die Wahrnehmung und Deutung der Wirklichkeit, sie tragen auch dazu bei, dass sich Individuen als Mitglieder einer Gesellschaft fühlen, deren Kollektivsymbole sie kennen (ebd.: 138 f.). Welche Bedeutung welchem Symbol zugewiesen wird, ist für Jäger keineswegs eine »unverbindliche symbolische Handlung, sondern bedeutet Belebung des Vorgefundenen, Neu-Gestaltung und Veränderung. Betrachtet man unter dieser Voraussetzung etwa die mit der Darstellung von Einwanderern gern verwendete Kollektivsymbolik, dann wird man einsehen: die Ausländer werden von vielen Menschen, die gelernt haben, entsprechende Bedeutungszuweisungen vorzunehmen, wirklich als Fluten empfunden, die man abwehren muß, gegen die man Dämme errichten muß, oder gar als Läuse und Schweine; die man zerquetschen oder schlachten darf.« (Jäger 2001: 94)
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Um die Struktur eines Diskurses nachvollziehen zu können, unterscheidet Jäger zwischen dem gesellschaftlichen Gesamtdiskurs, Spezialdiskursen, Interdiskursen, einzelnen Diskursfragmenten, Diskurssträngen und -ebenen. Spezialdiskurse sind Diskurse der Wissenschaft(en), während Interdiskurse »›die Gesamtheit aller Diskurselemente […], die nicht speziell, sondern mehreren Einzeldiskursen gemeinsam sind‹« (Keller 2011: 33 unter Bezugnahme auf Link 1988: 48). Elemente der Spezialdiskurse fließen laufend in die Interdiskurse ein. Der gesellschaftliche Gesamtdiskurs vereint wiederum die Spezial- und Interdiskurse. Die verschiedenen Themen des gesellschaftlichen Gesamtdiskurses werden – so sie als thematisch einheitliche Diskursverläufe gesehen werden können – als Diskursstränge bezeichnet. Diskursstränge setzen sich wiederum aus verschiedenen Diskursfragmenten zusammen bzw. auch aus verschiedenen Texten, die jedoch selbst verschiedene Diskursfragmente enthalten und verschiedene Themen behandeln können. In diesem Fall liegen Diskursverschränkungen vor bzw. auch diskursive Knoten, wenn z.B. in einem Text auf verschiedene Diskursstränge verwiesen wird. Die jeweiligen Diskursstränge sind auch auf verschiedenen diskursiven Ebenen verortet bzw. werden jeweils von verschiedenen diskursiven Ebenen aus »gesprochen« (Medien, Politik, Wissenschaft etc.). Jäger stellt fest, dass es durchaus zulässig ist, von dem Mediendiskurs zu sprechen, »der insgesamt, insbesondere was die in einer Gesellschaft dominierenden Medien betrifft, in wesentlichen Aspekten als einheitlich betrachtet werden kann, was nicht ausschließt, daß dabei unterschiedliche Diskurspositionen mehr oder minder stark zur Geltung kommen.« (Jäger 2001: 99)
Mit dem Begriff Diskurspositionen bezeichnet Jäger im Anschluss an Margret Jäger spezifische ideologische Standorte einer Person oder eines Mediums, die als Resultat von Diskursanalysen ermittelt werden können. Dass Diskurspositionen innerhalb eines hegemonialen Diskurses als homogen beschrieben werden können, sieht Jäger als Wirkung des jeweils hegemonialen Diskurses. Davon abweichende Diskurspositionen lassen sich wiederum für Jäger »mehr oder minder in sich geschlossenen Gegendiskursen zuordnen« (ebd.: 100). Für Siegfried Jäger sind Texte einerseits »niemals etwas nur Individuelles, sondern immer auch sozial und historisch rückgebunden« (Jäger 2009: 117). Andererseits sind sie insofern Produkte, als die das Resultat von geistigen Arbeits- bzw. Tätigkeitsprozessen sind (ebd.: 116). Jäger knüpft dabei an die Tätigkeitstheorie von A.N. Leontjew an, weil er in dieser die Möglichkeit sieht, die Kluft zwischen dem Subjekt und dem Diskurs zu überwinden. So betont Leontjew einerseits die individuellen Aspekte von Tätigkeit (Denken, Sprechen etc.),
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stellt andererseits aber auch fest, dass die Voraussetzungen von Tätigkeiten nur mit Blick auf ihren soziohistorischen Hintergrund zu verstehen sind. Für die Diskursanalyse ist dieser Ansatz insofern produktiv, als er jeden Text sowohl von der Subjekt- als auch von der Diskursseite zu fassen vermag. So werden Texte zwar als Produkte menschlicher Arbeit gesehen (die erst entstehen können, wenn ein über Wissen verfügender denkend-tätiger Mensch beteiligt ist), gleichzeitig setzen sie sich aber aus Diskursfragmenten zusammen, die überindividuell sind – eben weil in Texten das von Menschen erworbene Wissen artikuliert wird (vgl. ebd.: 21 f.).
Konkretes Vorgehen: KDA nach Siegfried Jäger Der Vorteil von Siegfried Jägers Ansatz ist die große Klarheit der Unterteilung einzelner Bestandteile eines Diskurses, wodurch die Analyse in prinzipiell klar strukturierbaren und nachvollziehbaren Schritten erfolgen kann. Statt dem ›überwältigenden‹ Diskurs-Konzept stehen dem/der Analysierenden also einzelne Diskursstränge, -ebenen, -fragmente, -positionen etc. gegenüber. Es geht hier eben nicht darum, ›den‹ Diskurs zu analysieren, sondern einen Diskursstrang – der wiederum potenziell Tausende Diskursfragmente enthalten kann, die jeweils einer Feinanalyse unterzogen werden müssten. So muss sich die Analyse nach Jäger auf einzelne Diskursfragmente beschränken, angefangen mit der Materialaufbereitung, die zentral ist. Dabei kann »filigran herausgearbeitet werden […], wie ein Diskurs inhaltlich und formal gestaltet ist, welche Wirkungsmittel er enthält, welche Argumentationsstrategien verwendet werden, welche Widersprüche und Fluchtlinien er enthält etc.« (Jäger 2009: 172). Jäger beschreibt das mögliche Vorgehen einer KDA, wobei er feststellt, dass es sich bei dieser um eine »offene« Methode handelt, die je nach Untersuchungsgegenstand auch unterschiedliche Instrumentarien zulässt. Insgesamt beschreibt Jäger sowohl Methoden der Materialaufbearbeitung und Beschreibung als auch das Vorgehen bei der Feinanalyse von Diskursfragmenten sowie den Versuch, den gesamtgesellschaftlichen Diskurs zu beschreiben (ebd.: 25). Kritisch ist Diskursanalyse für Jäger auf (mindestens) zwei Ebenen: einerseits als sie verdeckte Strukturen sichtbar macht und andererseits »wenn sie mit begründeten moralisch-ethnischen Überlegungen gekoppelt wird« (ebd.). Jäger schlägt vor, zunächst den diskursiven Kontext zu erfassen, in dem ein bestimmtes Thema auftaucht und dabei insbesondere die diskursiven Ereignisse zu diesem Thema. Dies erlaubt es, die analysierten Texte in den entsprechenden diskursiv-historischen Entwicklungen zu verorten, wodurch die Interpretation
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der Inhalte erleichtert wird. Für das Thema dieser Arbeit ist dies mit den Ausführungen zu dominanten Diskursen um Migration erfolgt (siehe oben). Bei der Analyse selbst wird auf diese laufend Bezug genommen (siehe folgende Kapitel). Anschließend soll Material zu diesem Thema gesammelt werden (»Corpus«). Dies ist mit der Festlegung auf die beiden weiter oben beschriebenen Medien erfolgt. Zur Analyse herangezogen werden dabei fünf Ausgaben von biber (Februar–Juni 2011) und zwei Ausgaben von migrazine von 2011 (bei diesen Ausgaben handelte es sich zu Beginn der Arbeit an dieser Dissertation jeweils um die aktuellsten Ausgaben). Anschließend wird das Material einer Strukturanalyse unterzogen: das Material aufmerksam gelesen/betrachtet, Schlagwörter und Themen erfasst, jeder Artikel einer Voranalyse unterzogen. Auf deren Grundlage wird der gesamte Diskursstrang erfasst, »inhaltlich genau beschrieben und in seiner Grundstruktur analysiert. Es liegt damit die Strukturanalyse des gesamten betreffenden Diskursstrangs vor« (ebd.: 191; Hervorh. im Orig.). Die inhaltliche Erfassung des Diskursstrangs offenbart zudem, welche Themen mehrmals in einem Medium auftauchen, wobei diese Doppelungen getilgt werden sollen, um ein Dossier erstellen zu können, das die qualitative Bandbreite erfassen soll, in der ein Thema behandelt wird. Gleichzeitig verweisen gerade die Häufungen zu einem bestimmten Bereich auf bestehende Aufmerksamkeitsschwerpunkte bzw. Trends in einem bestimmten Diskursstrang. Ziel der Strukturanalyse ist es schließlich zu erfassen, welche inhaltlichen, formalen und ideologischen Schwerpunkte in einem Medium gesetzt werden und welche Artikel als typisch beurteilt werden können und einer Feinanalyse unterzogen werden sollten. Jäger nennt insgesamt sieben Kriterien, die bei der Festlegung von typischen Artikeln berücksichtigt werden sollten: die Diskursposition des Mediums, der thematische Schwerpunkt des Diskusstrangs, die Verteilung der Unterthemen (die sich in der Strukturanalyse ergeben hat), Verschränkungen mit anderen Diskurssträngen, Berichtsstil, formale Besonderheiten und quantitativer Umfang/Bebilderung. Auf die Feinanalyse folgt die Gesamtanalyse des Diskursstrangs im betreffenden Medium, bei der sowohl die Feinanalyse als auch die Strukturanalyse reflektiert werden sollen (vgl. Jäger 2009: 190 ff.). Die Feinanalyse untergliedert Jäger (vgl. ebd.: 175 ff.) wiederum in fünf Analyseschritte: institutioneller Rahmen, Text-»Oberfläche«, sprachlich-rhetorische Mittel, inhaltlich-ideologische Aussagen, Interpretation. Im Folgenden werden diese Schritte näher vorgestellt.
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Institutioneller Rahmen Insgesamt geht es in diesem Schritt um den Kontext der einzelnen Artikel. So soll beschrieben werden, in welchem Medium sie erschienen sind bzw. genauer um welches Medium es sich handelt (An wen richtet es sich, welchen Umfang hat es, was sind die Themen etc.?). Der Text selbst soll im Zusammenhang mit den Inhalten des Mediums beschrieben werden (welcher Textsorte kann er zugeordnet werden, kommt das Thema des Textes noch wo anders vor etc.). Ebenso soll die_der Autor_in insofern in den Blick genommen werden, als seine_ihre Diskursposition klar werden sollte (Über welche Themen schreibt sie_er sonst, ist sie_er bekannt etc.?). Ebenso soll die Redaktion beschrieben werden (welche Autor_innen schreiben hier, welche Organisationen stehen hinter dem Medium, welche Berufe üben die Autor_innen eventuell noch aus etc.?).
Text-»Oberfläche« Hierbei soll der Inhalt des Textes sowie Bezüge zu anderen Diskursfragmenten beschrieben werden, wobei klar werden sollte, welche inhaltich-argumentativen (Tätigkeits-)Ziele die_der Autor_in verfolgt. Weiterhin werden hier die grafische Form des Artikels und verwendete Bilder beschrieben.
Sprachlich-rhetorische Mittel Betrachtet werden die einzelnen Sprachhandlungen, d.h., wie Übergänge zwischen einzelnen Textteilen gestaltet sind, wie der Text gegliedert ist, welche Funktion die einzelnen Teile ausüben. Auch wird festgestellt, ob und welche Kollektivsymbole vorhanden sind, welche Metaphern bzw. auch welches Vorwissen vorausgesetzt wird und welche Gruppen damit angesprochen werden sollen. Zudem schlägt Jäger vor, alle Substantive und Pronomen zu sammeln und sie bestimmten Bedeutungsfeldern bzw. Akteur_innen zuzuordnen, um u.a. die Charakterisierung der Sprache der_des Autor_in erfassen zu können. Schließlich sollen auch die Argumentationsstrategien, syntaktische Mittel sowie sprachliche Besonderheiten in den Blick genommen werden.
Inhaltlich-ideologische Aussagen Hier sollen Anhaltspunkte für ideologische Einschätzungen erfasst werden: z.B. welches Gesellschaftsverständnis, welches allgemeine Menschenbild etc. enthalten sind.
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Interpretation Diese wird von Jäger als die »eigentliche Diskursanalyse von Diskursfragmenten« (Jäger 2009: 184) bezeichnet. Die bis zu diesem Zeitpunkt geleisteten Arbeiten sind als Vorarbeiten zu sehen, die der Aufarbeitung des Diskursfragments dienen und im Rahmen der Interpretation im Zusammenhang gesehen werden müssen. Dabei soll u.a. auf folgende Aspekte eingegangen werden: Welche Botschaften sind enthalten? Welche Mittel kommen zum Einsatz? Welche Zielgruppen sollen angesprochen werden? Welche Wirksamkeit auf bestehende Diskurse ist beabsichtigt? Wie sieht der diskursive Kontext aus (z.B. Verhältnis zu hegemonialem Diskurs)? Die Vollständigkeit der Analyse ist für Jäger dann erreicht, »wenn die Analyse keine inhaltlich und formal neuen Erkenntnisse zutage fördert. Diese Vollständigkeit ergibt sich […] meist erstaunlich bald, denn der Diskursanalyse geht es um die Erfassung jeweiliger Sagbarkeitsfelder« (Jäger 2001: 102).
Vorgehen in dieser Arbeit Konkret wurde in dieser Arbeit zunächst das gesamte Material aufmerksam gelesen, erste Ideen und Eindrücke gesammelt, wobei die Bilder beschrieben und die Texte exzerpiert wurden (Strukturanalyse). Anschließend wurde ein Dossier jener Texte erstellt, die als typisch für die Schwerpunktsetzungen beider Medien beurteilt wurden und diese Texte einer Feinanalyse unterzogen. Die Ergebnisse dieser Feinanalysen sowie die Reflexion der Strukturanalyse werden in den nachfolgenden Kapiteln beschrieben, wobei die Schritte der Feinanalyse nicht einzeln ausgeführt, sondern die Schlüsse vielmehr – u.a. aus Gründen der leichteren Lesbarkeit – verdichtet dargestellt werden.
Zusammenfassendes Zwischenfazit und Forschungsfrage vor dem Hintergrund der theoretischen Verortungen In diesem Kapitel ging es darum, nachzuzeichnen, welche Diskurse und Konzepte die Debatten um jene Themen prägen, die im Fokus dieser Arbeit stehen. Gerade weil diese Arbeit in den Traditionen der Frauen- und Geschlechterforschung, der Postcolonial Studies und der Cultural Studies verortet ist, wurde kritischen Perspektiven einiger Raum gegeben. Entsprechend wurde und wird jenen Forscher_innen gefolgt, die nicht nur ›Integrationsanforderungen‹ an ›Migrant_innen‹ ablehnen, sondern auch die grundsätzliche und kritische Neubewertung von Migrationsphänomenen fordern. Zunächst standen hier die Verstri-
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ckungen von Forschung und öffentlichen Debatten im Bereich der Migration im Vordergrund, wobei Prozesse des Otherings und der Fokus auf Kultur problematisiert wurden. Anschließend wurde Identität behandelt, also nicht nur Konzepte der Subjektwerdung, (Dis-)Identifikation, Anrufung und Performativität vorgestellt, sondern Identität auch im Kontext von Migration und politischen Kämpfen verortet. Ein Augenmerk wurde auf den Themenkomplex Medien und Migration gelegt, wobei neben allgemeinen Rahmenbedingungen (etwa der Darstellung von ›Migrant_innen‹ in Mainstream-Medien) insbesondere auf jene Medien eingegangen wurde, die im nachfolgenden Kapitel der Analyse unterzogen werden. Für diese wurden die Begriffe der Postmigrantischen Medien bzw. der Diversity Media eingeführt, die für einen grundsätzlichen Perspektivenwechsel in der Betrachtung der angeblich ›fremden‹ Medien stehen. Den Fokus der nachfolgenden Analyse bildet entsprechend nicht die klassische Frage der deutschsprachigen Medien- und Kommunikationswissenschaften, inwiefern ›diese Medien‹ zur ›Integration‹ ihrer Leser_innen in die ›Mehrheitsgesellschaft‹ beitragen (bzw. ob sie diese gefährden). Vielmehr wird in den Blick genommen, welche Identifikationsangebote bzw. Subjektpositionen den Leser_innen angeboten werden und welche Anrufungen an die Leser_innen zu finden sind. Es geht hier nicht darum herauszufinden, wer bzw. wie die Produzent_innen oder Leser_innen sind, sondern darum, zu beschreiben, auf welche Diskurse/Diskursfragmente sich die Autor_innen beziehen bzw. in welche Diskurse sie zu intervenieren versuchen. Zusammenfassend lautet die Forschungsfrage also: »Welche Identifikationsangebote und Anrufungen sind in biber und migrazine zu finden?«
Postmigrantische Erfahrungen Thinking about my own sense of identity, I realise that it has always depended on the fact of being a migrant, on the difference from the rest of you. So one of the fascinating things about this discussion is to find myself centered at last. Now that, in the postmodern age, you all feel so dispersed, I become centered. (Hall 1987b: 44)
Sowohl in biber als auch in migrazine steht die Rolle der Migrationserfahrung laufend im Fokus der Aufmerksamkeit. Im Einklang mit Konzeptionen postmigrantischer Gesellschaften, die gerade die Aushandlung der Bedeutung von Migration in der Gesellschaft betonen, wird dabei ausgelotet, welchen Stellenwert der Migration eingeräumt werden sollte. Wichtig ist dabei allerdings, dass Migration in beiden Medien zwar eine wichtige Rolle spielt, gleichzeitig aber durchweg als ein Aspekt unter vielen vorkommt, d.h., deren Bedeutung wird damit – und das zum Teil auch explizit – relativiert. Im Folgenden wird anhand ausgewählter Beiträge verdeutlicht, wie in biber und in migrazine versucht wird, den Leser_innen zu verdeutlichen, was postmigrantische Erfahrungen ausmacht und welche Bedeutung ihnen zugemessen werden soll.
STRATEGIEN GEGEN OTHERING Auch in migrazine wird Migration eine wichtige Rolle zugesprochen. Eine wichtige Unterscheidung zwischen hegemonialen Diskursen, den Beiträgen in biber und den Ausführungen in migrazine ist allerdings, dass bei migrazine durchweg betont wird, dass Migration im Leben von jenen, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, nicht per se eine wichtige Rolle zukommt, sondern
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dass dies eher eine Reaktion auf die Zuschreibungen von ›außen‹ ist. Entsprechend werden Prozesse des Otherings beschrieben und explizit zurückgewiesen. Dabei werden drei Strategien deutlich, die im Folgenden anhand ausgewählter Beiträge vorgestellt und diskutiert werden: Erstens werden als problematisch definierte Prozesse identifiziert und es wird verdeutlicht, wie und warum diese wirken. Zweitens werden Möglichkeiten ausgelotet, alternative (Selbst)Definitionen zu finden, und geprüft, inwiefern diese hilfreich sind bzw. auch welche problematischen Komponenten sie enthalten. Drittens werden Praktiken beschrieben, wie strategisch mit problematischen Zuschreibungen umgegangen werden kann.
Sichtbarmachung und Problematisierung von Anrufungen Migrationserfahrungen werden in migrazine in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt, wobei aber explizit thematisiert wird, dass diese nicht per se entscheidend sind, sondern vielmehr aufgrund hegemonialer Diskurse. Entsprechend wird etwa Identität nicht per se als Problem jener, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugewiesen wird, definiert, sondern es wird gerade im Unterschied zu hegemonialen Diskursen laufend betont, dass ›Identitätsprobleme‹ erst von ›außen‹, d.h. von den Angehörigen der angeblichen Mehrheitsgesellschaft an jene, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, herangetragen werden. Dominante Anrufungen werden in migrazine laufend ›enthüllt‹, kontextualisiert und verweigert. Gleichzeitig werden Möglichkeiten eines alternativen Umgangs mit als problematisch beurteilten Anrufungen ausgelotet. Deutlich werden diese Praktiken von migrazine etwa in der Einführung in das Thema des Fokus, Zweite Generation oder Postmigration, in der zweiten analysierten Ausgabe: »Bezeichnungen wie ›Zweite Generation‹ oder ›Secondo‹/›Seconda‹ verweisen auf die Lebensrealitäten von Menschen, die keine ›Migrant_innen‹ sind und dennoch von der Mehrheitsgesellschaft als ›Andere‹ konstruiert werden. Tatsächlich ist die Generation der ›Postmigration‹ jedoch durch ein Selbstverständnis charakterisiert, das traditionelle Identitätsentwürfe infrage stellt und stattdessen ein neues Vokabular von Zugehörigkeit entwickelt.« (m2–3: 1)
Deutlich wird, dass hier die Sicht vertreten wird, dass bestimmte Menschen von der ›Mehrheit‹ als ›Andere‹ definiert werden, obwohl sie nicht wirklich anders sind. Diese Definition konstituiert allerdings trotzdem die Lebensrealität dieser
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Menschen, wobei die gewählte Formulierung auch vermittelt, dass die Konstruktion von ›außen‹ erfolgt und jenen, die als ›Migrant_innen‹ identifiziert werden, aufgezwungen wird. Betont wird aber auch, dass die neue Generation auch eigene Definitionen entwickelt und damit den Meinungen der ›Mehrheitsgesellschaft‹ keineswegs passiv ausgeliefert ist. Im Fokus stehen hier auch nicht alle Menschen, die als ›Migrant_innen‹ gesehen werden, sondern die ›neue‹ Generation, d.h. Jugendliche und junge Erwachsene, was auch insofern den Debatten in Mainstream-Medien entspricht, als auch diese häufig die »Zweite« und »Dritte Generation« in den Blick nehmen. Die Einleitung übernimmt allerdings nicht nur diese – durchaus zu hinterfragende – Generationenzählung, sondern auch die klassische Einteilung in ›Mehrheitsgesellschaft‹ und ›Andere‹, auch wenn vordergründig gerade die Konstruktion dieser ›Anderen‹ hinterfragt wird. Nicht zuletzt wird der Fokus von »Identitätsentwürfen« zu »Zugehörigkeiten« verschoben, was durchaus der Position in migrazine entspricht: Nicht die als problematisch konnotierte Identität steht im Fokus, sondern mögliche Bündnisse.
Identität als Problem der ›Anderen‹ Im ersten Beitrag des Schwerpunkts Zweite Generation oder Postmigration erstellt Vina Yun einen F.A.Q. ›Zweite Generation‹ (m2–3: 2). Die Perspektiven, die sie beschreibt, sind dabei typisch für die analysierten Ausgaben. Yun stellt vor allem ihre eigenen Erfahrungen in den Mittelpunkt, ist aber auch offensichtlich mit den entsprechenden wissenschaftlichen und politischen Diskursen vertraut – so beschreibt sie laufend wissenschaftliche Konzepte und zitiert wichtige Quellen und Wissenschaftler_innen. Zunächst bezieht sie sich auf einen Artikel von Fatima El-Tayeb, der sich mit HipHop in Deutschland Anfang der 1990erJahre befasst: »Das Stück ›Fremd im eigenen Land‹ ist nur eines von mehreren Beispielen aus der Anfangszeit von HipHop made in Germany, in dem zum einen Rassismus skandalisiert und zum anderen ›eine alternative deutsche Identität entworfen wird, ›die nicht auf ethnischen Kriterien beruht, es aber gleichzeitig erlaubt, die gemeinsame Erfahrung ethnisierender Ausgrenzung zu benennen.‹« (El-Tayeb 2004, m2–3: 2)
Hier wird also nicht identitätspolitisch argumentiert, sondern die Zusammengehörigkeit beruht auf der gemeinsamen Erfahrung der Ausgrenzung. Nicht die eigene Identität ist entscheidend, sondern die Reaktion der Umwelt auf die angebliche bzw. zugeschriebene Ethnie – entsprechend ist es auch nicht möglich bzw.
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sinnvoll, diese Kategorisierung zu ignorieren, gerade weil sie handfeste Folgen hat. In ihrem Beitrag stellt Vina Yun die verwendeten Begriffe laufend in Anführungszeichen – »Zweite Generation« und auch »Mehrheitsgesellschaft« werden damit als Konstruktionen markiert, von denen sich die Autorin auch distanziert. Sie beschreibt auch, dass sie selbst den Begriff »Zweite Generation« erstmals von einer wohlwollenden Lehrerin gehört hat, die versuchte, Yuns »angeblichen ›Identitätskonflikt‹ in Worte zu fassen« (ebd.). Anschließend führt sie aus: »Ich selbst konnte mit dem Etikett zunächst nicht viel anfangen – es bot nichts, womit ich mich hätte identifizieren können. Vor allem benannte der Begriff für mich nicht den permanenten Deklarationszwang, durch den meine Biografie überhaupt erst zum ›Problem‹ wurde: Im Alltag plagten mich die ständigen Fragen meiner österreichischen Mitschüler_innen und deren Eltern über meine ›Wurzeln‹ und wo ich denn nun hingehöre.« (Ebd.)
Die Identität der Autorin wird also erst von außen infrage gestellt und problematisiert. Die eigentlich ›Betroffenen‹ werden nicht von sich aus auf diese aufmerksam. Erst durch die ständigen Aufforderungen von außen, sich zu definieren und für Österreich oder Südkorea zu entscheiden, geriet sie, so Yun, in eine Krise. Ihre eigene Erfahrung stellt sie in der Folge einerseits in den Zusammenhang mit anderen, ähnlichen Erfahrungen von People of Color, wodurch deutlich wird, dass es keine singuläre Erfahrung der Autorin ist, sondern ein Phänomen, das viele Menschen betrifft. Andererseits verortet sie diese in wissenschaftlichen Kontexten und führt damit eine weitere Reflexionsebene ein. Sie bezieht sich explizit auf Mark Terkissidis’ (2004, zit. n. ebd.) Konzept der Verweisung als Praxis, die ›Anderen‹ durch ständige Fragen zu ihrer Herkunft auf ihr Anderssein zu verweisen, wobei auch Othering eine Rolle spielt. Nicht explizit angesprochen wird von Yun das Konzept der Anrufung. Es wird aber deutlich, dass dieses hier durchaus auch eine Rolle spielt: Durch die Fragen werden die Subjekte auch dazu aufgerufen, sich selbst als ›fremd‹ wahrzunehmen und zu definieren. Yun enthüllt diese Prozesse und legt den Leser_innen dadurch implizit nahe, sich diesen nicht zu fügen. Als Begriff bringt »Verweisung« dabei deutlich als »Anrufung« auf den Punkt, dass bei diesem Prozess ein Machtgefälle vorhanden ist – jene, die mehr Macht haben, sind eher in der Position, jene, die über weniger Macht verfügen, an ihren Platz zu verweisen. Als problematisch beurteilt Yun, dass es nicht möglich ist, sich nicht zu positionieren, weil das von den Mehrheitsangehörigen nicht akzeptiert wird. Entsprechend, so ihre Erfahrung, ist es nicht möglich, hybrid, uneindeutig zu sein, eben weil dies im Alltag von jenen, die sich selbst als eindeutig sehen, nicht ak-
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zeptiert wird. Damit wird den Leser_innen vermittelt, dass wissenschaftliche Konzepte zwar helfen können, die eigenen Erfahrungen zu kontextualisieren und zu erklären, dass sie aber im Alltag z.T. nur wenig greifen. Gleichzeitig wird deutlich, dass die ›Betroffenen‹ in der Gesellschaft keineswegs mit der Macht ausgestattet sind, sich selbst zu definieren. Das Beharren auf einer uneindeutigen Position wird von der ›Mehrheitsgesellschaft‹ nicht anerkannt und ist nur bedingt umsetzbar: Gerade für jene, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, stehen nicht all jene Subjektpositionen offen, die sie sich wünschen (könnten). Vielmehr, so Yun, sind für Angehörige der »Zweiten Generation« nur zwei Repräsentationsfiguren vorgesehen: einerseits jene des zerrissenen Wesens, das im Dazwischen leidet, andererseits jene der_des Kulturbotschafter_in, wobei gerade die letztgenannte Figur jenen Ansätzen entspricht, die interkulturelle Verständigung in den Fokus zu rücken bzw. zu vermitteln, dass bestimmte Menschen als Expert_innen ihrer ›eigenen Kultur‹ gesehen werden können. Yun wehrt sich dezidiert gegen diese Sichtweise und beschreibt den mit dieser einhergehenden Beschämungs- und Definitionsdruck: »Besonders unangenehm wird es, wenn mich Unbekannte unverhofft zu ›Expertin‹ adeln und mein Wissen zu Korea abrufen wollen (Was meist dazu dient, ihre eigene ›Weltoffenheit‹ zur Schau zu stellen) – allen Beteuerungen, dass mein Info-Stand zur koreanischen Politik niedrig und meine Koreanisch-Kenntnisse vernachlässigbar sind, zum Trotz. Sich nicht an der Rolle der kulturellen Botschafterin zu erfreuen, wird mit Mitleid oder Verachtung gestraft.« (m2–3: 2; Hervorh. im Orig.)
Yun weist die Forderung, der interkulturellen Verständigung dienlich zu sein, explizit zurück – auch, weil sie die Fragen zu ihrer angeblichen Kultur u. a. als Versuch sieht, die Fragenden selbst ins positive Licht zu rücken. Den Leser_innen wird damit nahegelegt, dass sie sich nicht gezwungen sehen sollen, Expert_innen ihrer angeblichen Kultur zu sein, sondern zu erkennen, dass dies eine unangemessene Anforderung ist. Als möglichen Ausweg aus den beschriebenen Problematiken führt sie dann die Begriffe »Postmigration« und »Belonging« ein, wobei sie feststellt, dass es sich bei diesen weniger um selbstgewählte Begriffe jener handelt, die mit diesen in Zusammenhang gebracht werden, als wiederum um wissenschaftliche bzw. kulturpolitische Konzepte. Damit wird betont, dass zwischen wissenschaftlichen Definitionen und Alltagserfahrungen und -praktiken durchaus Unterschiede bestehen. Zunächst wird Erol Yildiz zitiert, der folgende Definition für das »Postmigrantische« anführt:
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»›Das Leben zwischen Welten‹, das bisher als Problem wahrgenommen wurde, wird zur passenden Metapher für kosmopolitisch performative, ja sogar subversive. In diesem Sinne stellen postmigrantische Lebensentwürfe Grenzbiographien dar. Grenzen, die nicht als Barrieren, sondern Schwellen, Orte des Übergangs, der Bewegung verstanden werden.« (Yildiz 2010, zit. n. m2–3: 2)
Nicht explizit angesprochen wird dagegen Gloria Anzaldúas (1999) Borderlands-Konzept, das bei diesen Überlegungen aber dennoch als Hintergrundfolie dienen kann: So werden auch bei Anzaldúa Grenzregionen als wichtig beschrieben und positiv bewertet. Anzaldúa geht in ihren Werken allerdings auch ausführlich auf Gewalterfahrungen Marginalisierter ein und sieht Grenzen durchaus kritisch. Gewalt wird von Yun an einer anderen Stelle ebenfalls thematisiert. So beschreibt sie, dass sie trotz der rassistischen Erfahrungen, die sie laufend macht, dennoch zu den priviligierten ›Anderen‹ gehört, weil sie z.B. über bestimmte Rechte verfügt, die mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus zusammenhängen. So hält sie auch fest (auf Gayatri C. Spivak Bezug nehmend), dass sie keineswegs für andere ›Migrant_innen‹ spricht, sondern sich vielmehr auf diese bezieht. Bei der Beschreibung des Belonging-Konzepts bezieht sich Yun auf Sabine Strasser, die betont, dass Belonging zwar soziale und emotionale Verbindungen beinhaltet, dass Identitäten dabei allerdings nicht unbedingt angerufen werden. Vielmehr werden identitäre Positionen zwar manchmal herangezogen, um strategische Ziele zu erreichen, aber der Fokus liegt eher auf Prozessen des Verhandelns. So meint Strasser: »Prozesse von Identitäten können dabei zentral werden, müssen aber nicht die Grundlage für den Tausch von Wissen, Informationen oder für gemeinsame Strategien bilden. Differenzen werden in diesem Kontext als Forderung nach Gleichheit oder Kritik an der Ungleichheit verstanden, nicht als Kehrseite von fixierten oder fixierenden Identitäten. Belonging zielt in diesem Sinne auf die durch Interaktionen verbundenen Personen.« (Strasser 2003, zit. n. m2–3: 2)
Gerade diese Ausführungen beschreiben eine zentrale Perspektive in migrazine, auf die weiter unten ausführlich eingegangen wird: die (Un-)Möglichkeit von Bündnissen, die nicht identitär begründet sind. Mit diesem Konzept wird auch die Bedeutung der Migrationserfahrung wieder relativiert, d.h., sie kann zwar als Ausgangspunkt für Prozesse der Vergemeinschaftung dienen, es können aber auch andere Aspekte wichtig(-er) sein.
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Abschließend spricht sich Yun dafür aus, dass sich jene mit ›Migrationshintergrund‹ den Begriff »Zweite Generation« aneignen sollten, um damit eine positive Selbstdefinition zu erlangen. Sie stellt auch in den Raum, dass dieser Begriff auch als politische Identität funktionieren könnte, wobei sie lediglich darauf verweist, dass dies für den Begriff »Migrant_in« diskutiert wurde, ohne näher auszuführen, was genau gemeint ist. Der Begriff »Migrant_in« ist allerdings verlinkt. Leser_innen, die mehr erfahren möchten, können diesem Link folgen und gelangen zum Text Strategien feministischer Migrantinnenpolitik von Selcuk Yurtsever-Kneer (2004).1 Dabei handelt es sich um den gleichen Text, der auch in der Selbstdarstellung von migrazine verlinkt ist, die Beschreibung von FeMigra, die die politische Identität ›Migrantin‹ als Bezeichnung eines oppositionellen Standorts definieren. Insgesamt ist in Yuns Beitrag das Bemühen deutlich, die eigenen Erfahrungen zu kontextualisieren und explizit zu machen, welche Prozesse welche Ursachen und Folgen haben. Migration erscheint als eine wichtige Bezugsgröße, wobei dies aber nicht als einfache Tatsache beschrieben wird, sondern als Folge der hegemonialen Diskurse und Versuche der ›Mehrheitsangehörigen‹, die ›Anderen‹ an eine untergeordnete Position zu verweisen. Es wird auch deutlich, dass die Autorin über weitreichende Kenntnisse der wissenschaftlichen Debatten verfügt und bemüht ist, so umsichtig wie möglich zu argumentieren. Den Leser_innen wird vorgeführt, wie Prozesse des Otherings funktionieren, und sie werden angehalten, diese ebenso kritisch wie die Autorin zu sehen. Den Leser_innen wird allerdings auch vermittelt, dass wissenschaftliche Konzepte und Definitionen zum Teil wenig alltagspraktisch sind – so stammen diese nicht unbedingt von den ›Betroffenen‹ selbst, auch werden Positionen, die nicht den Anforderungen an jene mit ›Migrationshintergrund‹ gestellt werden, von der ›Mehrheitsgesellschaft‹ zum Teil schlicht ignoriert. Ebenso stellt sich die Frage, welche praktischen Auswirkungen die Selbstpositionierung hat, wenn diese von jenen Subjekten vorgenommen wird, die nicht über die Macht verfügen, sich selbst zu definieren. Dennoch werden den Leser_innen Alternativen vorgestellt, wobei diese in anderen analysierten Beiträgen noch mehr Platz eingeräumt bekommen. Auf diese wird im Folgenden ausführlich eingegangen.
Alternative Positionierungen Auch wenn in migrazine die Kritik an hegemonialen Diskursen im Fokus steht, werden von den Autor_innen allerdings laufend alternative Definitionen, Kon1
Vgl. www.trend.infopartisan.net/trd0104/t110104.html (Stand: 15.3.2018).
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zepte und Strategien diskutiert. Insgesamt – und damit der Postmigrantischen Perspektive entsprechend – wird Migration nicht skandalisiert, sondern als alltäglich und normal beschrieben, indem etwa historische Perspektiven aufgezeigt werden. Gleichzeitig wird aber auch festgestellt, dass die Sichtweisen, die in migrazine beschrieben werden, nicht etabliert sind und dass viele Widerstände bestehen, Migration im positiven Licht zu sehen. Dies ist die Position, die migrazine explizit vertritt, und die Leser_innen werden angehalten, sich diesem Kampf anzuschließen. Jedenfalls wird den Leser_innen in migrazine die Breite aktueller Diskussionen um alternative Konzepte vermittelt, am deutlichsten ist dies im Fokus der zweiten analysierten Ausgabe, der sich mit der Zweiten Generation und Postmigration (m2–3: 1) befasst. In diesem sind neben dem oben diskutierten Beitrag von Vina Yun (F.A.Q. »Zweite Generation«, ebd.: 2) fünf weitere Beiträge zu finden. Auf zwei davon wird in der Folge näher eingegangen, da sie typisch für die Diskussion in migrazine sind. Der Beitrag Räume der ›Zweiten Generation‹ (ebd.: 3) verdeutlicht die schwierige Suche nach ›richtigen‹ Begriffen, während das Interview mit dem Wissenschaftler Erol Yildiz unter dem Titel Nationale Mythen irritieren (ebd.: 5) die postmigrantische Perspektive betont. Der Fokus der ersten analysierten Ausgabe, Literatur in Bewegung (m1: 1), stellt wiederum – und das entsprechend der Ausrichtung von migrazine – vor allem die Perspektive jener, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, in den Vordergrund. In fünf Beiträgen werden diverse Aspekte von Literatur, die ›Menschen mit Migrationshintergrund‹ zugerechnet wird, diskutiert. Laut der Einführung (ebd.) steht dabei vor allem folgende Frage im Zentrum: »Wie könnte eine selbstbestimmte Neuverortung literarischer Identitäten – jenseits herkömmlicher Repräsentationspolitiken – aussehen?« Auch wenn es hier explizit um »literarische Identitäten« geht (ohne dass definiert wird, was damit gemeint ist), könnte man die Frage – so man »literarisch« mit »migrantisch« ersetzt – als Leitfrage nicht nur dieser Arbeit, sondern auch von migrazine und biber verstehen. So wird die selbstbestimmte Neuverortung betont – es geht also darum, dass jene, die über diese Identitäten verfügen, diese auch selbst bestimmen und damit eine Neuverortung vornehmen. Mit dem Begriff der »Repräsentationspolitiken« wird wiederum deutlich, dass den Schreibenden die Debatten um angemessene Repräsentation bekannt sind. Auch wird diese wiederum mit Politik in Verbindung gebracht. Gerade der Verweis, dass es um ein ›Jenseits‹ der herkömmlichen Repräsentationspolitiken geht, macht deutlich, dass diese als nicht richtig eingestuft werden und es gleichzeitig darum geht, diese zu überwinden. Anhand zweier typischer Beiträge des Schwerpunkts werden diese Strategien näher vorgestellt.
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Die schwierige Suche nach ›richtigen‹ Begriffen »Natio-ethno-kulturelle Mehrfachzugehörigkeiten« stehen im Fokus des Beitrags von Urmila Goel, der den Titel Räume der ›Zweiten Generation‹ (m2–3: 3) trägt. Die Autorin beschreibt zunächst ihre persönlichen Erfahrungen, die sie als Kind einer deutschen Mutter und eines indischen Vaters gemacht hat. Sie stellt fest, dass sie nicht weiß, wann sie den Begriff »Zweite Generation Inder_in« »als Identitätskategorie kennengelernt und wahrgenommen [hat]. Irgendwann aber gehörte er selbstverständlich zu mir, und auch heute noch – wo ich mich von ihm theoretisch abgewandt habe – fühle ich mich ihm verbunden.« (Ebd.) Auch in der Folge unterscheidet sie in ihrem Text zwischen Begriffen als analytischen Kategorien und gelebter Realität. So lehnt die Autorin den Begriff »Zweite Generation Inder_in« aus Gründen, die sie in der Folge ausführlich darlegt, ab. Emotional – so stellt sie fest – ist sie mit diesem jedoch nach wie vor verbunden. Die Wissenschaft erscheint dabei als der rationale Teil, der vom emotionalen abgetrennt ist – obwohl Wissenschaft und Erfahrung allerdings als sich gegenseitig beeinflussend beschrieben werden. Die Kritik am Begriff der »Zweiten Generation« ist differenziert, etwa wenn die Verfasserin erklärt, warum sie davon abgekommen ist, diesen zu verwenden: »Problematisch finde ich ihn, da er den Bezug zu Indien hervorhebt und festschreibt (und damit essenzialisierend wirkt). Zudem impliziert das Generationen-Motiv, dass natioethno-kulturelle Zugehörigkeit eine biologische Tatsache ist, die von einer Altersklasse zur nächsten weitergegeben wird. Es unterstellt des Weiteren die heteronormative Familie als Tatsache, in der die biologischen Eltern auch die sozialen sind und ihre Kinder als Mitglieder ihres natio-ethno-kulturellen Herkunftskontextes erziehen. Darüber hinaus wird damit nahegelegt, dass sich die so Kategorisierten in erster Linie als Kinder von ›Migrant_innen‹ erfahren. Auf diese Weise wird das Anderssein nicht nur am Aussehen festgemacht, sondern auch in die Gene gelegt und so biologistisch determiniert.« (Ebd.)
An den Ausführungen wird deutlich, dass die Autorin sehr umsichtig und reflektiert vorgeht, wobei die Breite der Diskussionen um den verwendeten Begriff vermittelt wird. Sie ist dabei nicht nur in Debatten der Kritischen Migrationsforschung, sondern auch der Frauen- und Geschlechterforschung bewandert. Die Verfasserin führt in der Folge aus, dass sie mit dem Begriff trotz der beschriebenen Problematiken wissenschaftlich bzw. in aktivistischen Kontexten gearbeitet hat. So hat sie Jugendseminare mit anderen »Zweite-GenerationAngehörigen« durchgeführt. In deren Rahmen hat sie allerdings auch versucht, andere Begriffe einzuführen – etwa in Anlehnung an »Afro-Deutschen« von
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»Indo-Deutschen« zu sprechen, ist damit aber gescheitert. Deutlich wird hier das Ringen um angemessene Begriffe, dem sie zu entgehen versucht, indem sie zwischen analytischen Kategorien und selbstgewählten Bezeichnungen unterscheidet. Dennoch wird dabei die Unzulänglichkeit wissenschaftlicher Perspektiven deutlich – sie sind nicht in der Lage, ›richtige‹ Begriffe zu finden. Gleichzeitig kommen kritische Diskurse offenbar nicht in der Praxis an. Die Verfasserin positioniert sich allerdings nicht nur als Wissenschaftlerin, sondern auch als Aktivistin, die versucht, ihre (politischen) Sichtweisen in die Praxis zu vermitteln. Goel bezieht sich auf ihre eigene wissenschaftliche Arbeit zu »Räumen der Zweiten Generation« und berichtet, dass sie im Rahmen ihrer Forschung festgestellt hat, dass unterschiedliche Menschen »Zweite Generation« jeweils anders verwenden, d.h. auch anders als sie selbst: »Für mich reichte es aus, nur einen aus Indien migrierten Elternteil zu haben, um mich der ›Zweiten Generation‹ zugehörig zu fühlen. Einige andere, deren beide Elternteile aus Indien kommen, sahen das hingegen nicht so. Für mich gehörte die Anwesenheit des migrierten Elternteils im eigenen Leben dazu. Es gab aber auch Personen, die sich ›indisch‹ fühlten, obwohl sie keinen Kontakt zum indischen Elternteil hatten. Auch Adoptierte, die zur Gänze in Familien der Dominanzgesellschaft aufgewachsen waren, fühlten sich den ›Räumen der Zweiten Generation‹ verbunden.« (m2–3: 3)
Dass sich diese Menschen der Zweiten Generation angehörig fühlen, obwohl sie jeweils Unterschiedliches darunter verstehen, erklärt sie damit, dass es sich um eine »symbolische Gemeinschaft« handelt, die solange funktioniert, wie »sie unscharf und individuell interpretierbar bleibt und Ausgrenzungen nicht thematisiert werden, da sich alle zugehörig fühlen und sich mit den anderen als gleich imaginieren können.« Den Leser_innen wird vermittelt, dass es nichts genuin Wesenhaftes ist, was diese Menschen miteinander verbindet, vielmehr scheinen sie sich die Zusammengehörigkeit im Grunde ›nur‹ einzubilden. Nicht angesprochen aber relevant ist Benedict Andersons (1988) Beschreibung vorgestellter Gemeinschaften, die deutlich macht, dass auch Nationen ähnlich funktionieren. Gleichzeitig wiederholt sich hier die Erfahrung der Verfasserin – die Menschen fühlen sich zugehörig, es ist weniger eine rationale als eine emotionale Angelegenheit –, Teil dieser Gemeinschaft zu sein bzw. sich selbst als solchen wahrzunehmen. Als das eigentlich Verbindende der Menschen, die sie interviewt hat, stellt die Autorin abschließend nicht den gemeinsamen Ursprung, Indien, fest, sondern die gemeinsame Erfahrung des »Auf-Indien-verwiesen-Werdens in Deutschland«. Auch hier spielen Verweisungen bzw. Anrufungen folglich eine
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wichtige Rolle, womit allerdings wiederum jenes, was an die ›Betroffenen‹ herangetragen wird, als das Identitätsstiftende bleibt. Sie plädiert abschließend dafür, analytische Konzepte zu verwenden, und wählt für ihre Arbeit u. a. die umständliche Formulierung »in Deutschland (oder in deutschsprachigen Ländern) aufgewachsen und dort als Inder_innen wahrgenommen«, um auf Zuschreibungsprozesse aufmerksam zu machen. Damit wird deutlich, dass es hier nicht darum geht, einen Begriff zu finden, mit dem sich bestimmte Menschen identifizieren können und sollen, sondern eher darum, umsichtig mit Zuweisungen umzugehen. So stellt die Autorin explizit fest, dass es wichtig ist, zwischen analytischen Konzepten und Selbstbezeichnungen zu unterscheiden, wobei Zweitere häufig durch dominante Diskurse geprägt sind: »So deuten Selbstbezeichnungen wie ›Deutsch-Inder_innen‹, ›Zweite Generation Inder_innen‹ und ›Halbinder_innen‹ darauf hin, dass die Zuordnungen ›Deutsch‹ und ›Indisch‹ grundsätzlich anerkannt werden und innerhalb dieser Logik ein Platz gesucht wird.« (Ebd.) Den Leser_innen wird die Bandbreite der Diskussion verdeutlicht, Vor- und Nachteile von Begriffen und Konzepten präsentiert, wobei aber das Plädoyer von Goel für die Verwendung analytischer Konzepte ein Hinweis darauf ist, dass sie sich mit ihren Ausführungen vor allem an Wissenschaftler_innen richtet. So geht es weniger darum, einen Begriff zu finden bzw. vorzustellen, mit dem sich die Leser_innen identifizieren können und sollen, als sie anzuhalten, kritisch und umsichtig zu sein und für ihre (wissenschaftliche) Arbeit möglichst angemessene Konzepte zu verwenden. Nicht zuletzt richtet sich der Text – wie auch migrazine an sich – auch an nichtmigrantische Leser_innen und verdeutlicht (auch) ihnen, wie sie sich verhalten sollten. Interessant ist dabei vor allem, dass die Autorin laufend zwischen der emotionalen und der rationalen Ebene unterscheidet: So wird deutlich, dass manche Begriffe zwar problematisch sind, dass es aber auch zulässig ist, wenn diese von den ›Betroffenen‹ aber dennoch verwendet werden.
Die postmigrantische Perspektive In einem Interview mit dem Wissenschaftler Erol Yildiz wird unter dem Titel Nationale Mythen irritieren der Begriff des Postmigrantischen ausführlich diskutiert (m2–3: 5) und diesem Konzept entsprechend ein prominenter Platz eingeräumt. Yildiz betont ebenso wie Goel, dass in öffentlichen Debatten und wissenschaftlichen Kontexten zwar unterschiedliche Begriffe verwendet werden, dass diese aber meist nicht der Lebensrealität der Jugendlichen entsprechen. Weder die Wissenschaft noch die Öffentlichkeit scheinen also Zugang zum oder auch
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Relevanz im Leben der Jugendlichen selbst zu haben. Die Begriffe entsprechen nicht der Realität der Jugendlichen. In der Folge geht es dann trotzdem darum, ›richtige‹ Begriffe zu finden, gerade weil, wie im Beitrag betont wird, diese Begriffe die Realität oftmals prägen. Den Leser_innen wird dadurch wiederum nachdrücklich vermittelt, dass Begriffen eine zentrale Bedeutung zukommt: Es ist keine rein wissenschaftliche Übung um der Übung willen, vielmehr wird hier explizit versucht, mit den ›richtigen‹ Begriffen jene Wirklichkeit herzustellen, die die_der Autor_in als wünschenswert beschreibt. Gleichzeitig ist es so, dass auch den Jugendlichen selbst eine wichtige Rolle eingeräumt wird, wenn Yildiz feststellt, dass bislang kaum Versuche bestehen, die Jugendlichen selbst als Expert_innen zu sehen. Yildiz, so wird hier deutlich, vertritt dagegen die Sichtweise, dass die Jugendlichen sehr wohl selbst Expert_innen sind, d.h., auch wenn weder die Öffentlichkeit noch die Wissenschaft mit Begriffen arbeiten, die der Lebensrealität der Jugendlichen entsprechen, sind es nicht die Jugendlichen, die diese Begriffe für sich adoptieren sollten, sondern die Jugendlichen sollten jene Instanz sein, die ›richtige‹ Begriffe definiert. Die Interviewerin Radostina Patulova führt aus, dass im englischsprachigen Raum der Begriff der Transmigrant_innen verwendet wird (für »jene, die im frühen Alter migriert sind und Verbindungen zum Herkunftsland pflegen«), während im deutschsprachigen Raum »Postmigration« Konjunktur hat. Entsprechend wird deutlich, dass auch die Interviewerin Expertin ist, die über die (internationalen) Diskussionen informiert ist. Yildiz kommt dann allerdings die Rolle zu, auszuführen, was er unter diesem Begriff versteht, womit er wiederum als Experte auftritt: »Mit ›postmigrantisch‹ meine ich die neuen Perspektiven auf die Gesellschaft, die die betroffenen Jugendlichen in der Auseinandersetzung mit den hegemonialen Verhältnissen entwerfen. Das Postmigrantische verweist auf das neue Verständnis, das die Zweite und Dritte Generation vor Ort entwickelt. Es sind Jugendliche, die selbst nicht eingewandert sind, die aber von außen als ›Migrant_innen‹ oder als Menschen mit Migrationshintergrund wahrgenommen werden. Sie beginnen, ihre eigenen Geschichten zu erfinden und neu zu erzählen, in denen sie unterschiedliche und scheinbar widersprüchliche Elemente zu Lebensentwürfen zusammenfügen, die mit traditionellen nationalen Kategorien nicht zu fassen sind. In dieser Rekonstruktionsarbeit betreiben sie eine Art ›Erinnerungsarchäologie‹ und versuchen andere Geschichten, die bisher ausgelassen oder ignoriert wurden, in das öffentliche Gedächtnis zu bringen, Geschichten, die eine völlig andere Sicht auf die Migrationsgesellschaft eröffnen.« (Ebd.)
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Wiederum wird deutlich, dass Yildiz den Praktiken der Jugendlichen eine wichtige Rolle zuweist – sie sind jene, die etwas Neues entwickeln, aktiv und kreativ sind. Dieses Bild steht dabei im klaren Widerspruch zu hegemonialen Diskursen, die Jugendliche, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, häufig als Problem definieren. Gleichzeitig wird den Praktiken der Jugendlichen implizit eine politische Dimension zugeschrieben. Die Jugendlichen handeln im Grunde aufgrund der Anrufungen, die an sie bestehen, fügen sich allerdings nicht vollständig in diese, sondern spielen mit diesen. Auch hier wird folglich jenes deutlich, was weiter unten als Postmigrantische Disidentifikation beschrieben wird. Yildiz betont auch, dass das Postmigrantische »das Leben zwischen den Welten« nicht verwirft, sondern anders konnotiert, indem diese Sichtweise als »Metapher für kreative, ja subversive Lebensentwürfe« dient. Gleichzeitig versteht Yildiz migrantische Lebensentwürfe als Grenzräume, in denen Grenzen nicht als Barrieren, sondern als Schwellen, Orte des Übergangs, der Bewegung verstanden werden können. Dies ist laut Yildiz gerade dann deutlich, wenn sich Jugendliche mit stigmatisierten Stadtvierteln identifizieren und damit verorten. Entsprechend steht wiederum die Agency der Jugendlichen deutlich im Fokus. Sie sind aktiv, kreativ und schaffen Neues. Gleichzeitig wird hier wiederum auf Grenzen Bezug genommen, ohne Anzaldúas (1999) Arbeiten explizit einzubeziehen – vielleicht auch, weil Anzaldúa Grenzen nicht lediglich positiv sieht, sondern auch die mit diesen einhergehenden Gewalterfahrungen thematisiert. Yildiz beschreibt dagegen vor allem die positiven Aspekte, wobei er sich auch auf Stuart Hall und Homi Bhabha bezieht. Zum einen beschreibt Yildiz Stuart Halls Konzept der Transkodierung, zum anderen wird er auch nach Hybridität bzw. Homi Bhabha gefragt. Dazu meint er: »Das Postmigrantische markiert das neue Selbstverständnis, das die betroffenen Jugendlichen in der Auseinandersetzung mit der Dominanzgesellschaft hervorbringen. Hybridität ist das Ergebnis und zeigt, wie Jugendliche im Prozess der Auseinandersetzung mehrdeutige und vielstimmige Lebensweisen entwickeln.« (m2–3: 5)
Auch Yildiz ist, so zeigen seine Ausführungen, mit vielfältigen Diskussionen vertraut und verknüpft diese mit der Postmigrantischen Perspektive. Abschließend betont er, dass die Jugendlichen in dieser Sichtweise nicht passive Opfer sind, sondern in der Lage, »Strategien gegen hegemoniale Verhältnisse zu entwickeln«. Er stellt auch fest: »Daher ist das Postmigrantische implizit herrschaftskritisch, politisch und wirkt irritierend auf nationale Mythen.« Den Leser_innen wird die Postmigrantische Perspektive nahegelegt, und Jugendliche
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werden geradezu als Held_innen beschrieben, die gegen widrige Verhältnisse kämpfen. Dass der Fokus allerdings nicht nur in diesem Beitrag, sondern in migrazine auch sonst vor allem auf Jugendliche bzw. die ›Zweite und Dritte Generation‹ gelegt wird, widerspricht der Aussage, migrazine sei für alle da. Die älteren ›Migrant_innen‹, die Eltern- und Großelterngeneration, wird fast durchgehend ausgeklammert, so als sei ihre Erfahrung nicht (mehr) relevant. Das entspricht gleichzeitig hegemonialen Diskursen um Migration, die vor allem die Jugendlichen in den Blick rücken und die Älteren schon fast als verlorene, nicht zu thematisierende Generation behandeln. Gerade deswegen wäre es aber interessant, die älteren Menschen zu thematisieren. Da Identitäten per se niemals fixiert sind, befinden sich auch ihre im ständigen Wandel – entgegen der Darstellung in hegemonialen Diskursen. So wird bei Debatten um den Islam bzw. die Radikalisierung von muslimischen Jugendlichen deutlich, dass die Eltern häufig eher modern und moderat sind, auch wenn ihnen sonst das Festhalten an angeblich überholten Werten ihrer ›eigenen Kultur‹ vorgeworfen wird. Nicht zuletzt ergeben sich im Alter neue Herausforderungen – für jene, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, aber auch etwa für Kommunen –, wie u. a. die Arbeiten von Christoph Reinprecht eindrücklich aufzeigen (vgl. etwa Reinprecht 2006).
Vielfalt möglicher Positionen Im Rahmen des Fokusschwerpunkts Literatur in Bewegung der ersten analysierten Ausgabe geht die Autorin Karin E. Yeşilada unter der Überschrift Mittendrin und unterwegs (m1: 4) auf die »junge türkisch-deutsche Literatur – […] ›ChickLit alla turca‹, die den Minirock nicht mit dem Kopftuch, dafür mit der Küchenschürze verbindet« (ebd.) – ein. Obwohl es um aktuelle Literatur geht, nimmt die Autorin dabei laufend Bezug auf historische Fakten bzw. Phänomene. So beginnt der Text mit dem Verweis auf das ›Gastarbeiter_innen‹-Phänomen der 1960er- und 1970er-Jahre: »Heuer begehen TürkInnen in Deutschland ein besonderes Jubiläum: 1961 wurde der sogenannte Anwerbevertrag zwischen Deutschland und der Türkei geschlossen. Türkische MigrantInnen in der Bundesrepublik feiern also ein halbes Jahrhundert Einwanderung.« (Ebd.) Auffallend ist hier, dass aus Sicht der Autorin offenbar nur die Türk_innen das beschriebene Jubiläum feiern. Es wird entsprechend unterstellt bzw. angenommen, dass dies ein Thema ist, für das sich nur die Einwander_innen und nicht alle in Deutschland lebenden Menschen interessieren. Damit wird hegemonialen Diskursen entsprochen, die Migration häufig als Angelegenheit der ›Mig-
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rant_innen‹ sehen. Die Geschichte »dieser« Einwanderung ist, so die Autorin, insgesamt eine Erfolgsgeschichte, »gerade im kulturellen Bereich«. Entgegen lautende Bewertungen sind für sie »rechtsnationalistische Polemiken« – was eine durchaus problematische Wertung ist, weil damit alle, die Einwanderung nicht als reine Erfolgsgeschichte sehen, in den gleichen Topf geworfen werden. So gibt es durchaus kritische Stimmen, die die Problematiken der Einwanderung schildern, wenn auch aus sehr anderen Gründen als die – durchaus weit verbreiteten – rechtsnationalistischen Polemiken. Im Beitrag werden Trends und Tendenzen in der angesprochenen Literatur beschrieben und hinterfragt, ob die jungen Schriftsteller_innen nach wie vor dort feststecken, »wohin sie traditionell verortet werden, nämlich zwischen ›Tradition und Moderne‹« (ebd.). Die Verfasserin wendet sich ausdrücklich gegen dieses Bild, das lange Zeit die Auseinandersetzung mit Migration bestimmt hat, nämlich das Dazwischensein von Menschen, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird als »vermeintlichen Leerraum einer bipolaren Konstruktion aus zwei disperaten, kulturellen Blöcken […] am beliebtesten in der Formulierung ›zwischen Tradition und Moderne‹, häufig auch in der Variante ›Kopftuch‹ statt ›Tradition‹, meist jedoch in Kongruenz zu Samuel Huntigtons Konzeption von der Dominanz westlicher Kultur über den Osten/Orient.« (Ebd.)
Sie bezieht sich also nicht nur auf die Debatten um Orientalismus und Okzidentalismus, sondern widerspricht hegemonialen Diskursen und stützt sich dabei auch auf literarische Werke ausgewählter Autor_innen. Diese unterlaufen, so die Autorin des Beitrags, »bestehende gesellschaftliche und mediale Diskurse über ›TürkInnen‹ mit Ironie und Kreativität«. Sie beurteilt die Arbeiten der Schriftsteller_innen als sehr positiv und in deutlicher Abgrenzung zu hegemonialen Diskursen, die sie scharf verurteilt. In der Folge geht die Autorin auf Werke deutsch-türkischer Autor_innen ein und beschreibt einerseits, wie sich diese beispielsweise gegen Vorstellungen verwehren, aufgrund ihrer Biografie im »Dazwischen« verortet zu sein. So beschreibt sie anhand eines Gedichts von Nevfel Cumart, der »als Kind türkischer Gastarbeiter in Lingenfeld geboren« (m1: 5) wurde, wie dieser »nicht die gewohnten zwei, sondern gleich eine Vielzahl kultureller bzw. nationaler Bezüge [eröffnet]: ›meine frau griechin / mein trauzeuge amerikaner / meine mutter türkin / mein freund yemenit / meine patentochter deutsche / mein nachbar algerier / mein professor österreicher / mein arzt iraker‹. Die eigene Verortung, [so Yeşilada] ›und / irgendwo /
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dazwischen / ich‹, unterläuft die dichotomische Struktur des deutsch-türkischen Dazwischens, indem die primäre lokale Komponente des Adverbs (›da‹) als eine Vielzahl unterschiedlicher, sich über drei Kontinente erstreckende Topografien aufgeschlüsselt wird. Die eigentliche Pointe folgt aber mit den beiden Schlussversen: ›auf diesem staubkorn / genannt erde‹ – der Zoom aus der universalen Perspektive führt jegliche Opposition monolithischer Blöcke ad absurdum.« (Ebd.: 4)
Mit diesem und weiteren Beispielen untermauert sie ihre Sichtweisen, die Schriftsteller_innen stehen dabei quasi auf ihrer – richtigen – Seite. Ihre Erfahrungen und Arbeiten beschreiben eine Realität, die hegemonialen Diskursen deutlich widerspricht. Cumarts Gedicht beschreibt dabei eine transnationale Realität, in der vielfältige Bezüge die Norm darstellen. Gerade jenen Leser_innen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, wird damit ein Identifikationsangebot bereitgestellt, wobei im Grunde viele Menschen angesprochen sind, weil es eben nicht nur darum geht, selbst migriert zu sein, sondern vielmehr die Diversität der eigenen Umgebung angesprochen ist. Andererseits zeigt die Autorin auf, wie gerade Werke, die der »Chick-Lit alle turca« zugeordnet werden können, also Werke, die modernes deutsch-türkisches Leben »jenseits von Zwangsverheiratung und Islam« (ebd.) beschreiben, durchaus an bestehende, orientalistische Traditionen anknüpfen. Damit wird deutlich, dass eine als postmigrantisch konnotierte Position nicht notwendigerweise eine kritische sein muss. Nur weil einem_einer Schriftsteller_in ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, heißt das noch lange nicht, dass ihre/seine Werke von der Autorin als positiv beurteilt werden. So kritisiert die Autorin, dass die beschriebenen Werke den (deutschen) Leser_innen Einblick in den deutschtürkischen häuslichen Raum zu bieten scheinen und damit bekannte Stereotype bedienen: »Wenn Iris Alanyali die großmütterliche Wohnung, in der sie als Kind gespielt hat, zum ›Serail von Maichingen‹ erhebt, wenn Hatice Akyün die Leser zum Baden mit Milch und Honig und in den ›Hamam‹ mitnimmt, dann bekommt der häusliche Raum zusätzlich noch einen Touch orientalischer Exotik. Und genau hier schnappt die Exotik-Falle zu: Vor dem Hintergrund tradierter Orient-Fantasien über das Innere des Harems, über die ver- (oder ent)schleierte Orientalin entfalten solche Bilder nämlich einen ganz anderen Subtext.« (m1: 4)
Das Gewähren eines Einblicks in private Lebenswelten wird von der Autorin als Anbiedern an die nichtmigrantischen Leser_innen bezeichnet, wobei auffällt, dass die Autorin davon auszugehen scheint, dass sich die beschriebenen Werke
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ausschließlich an Leser_innen ohne ›Migrationshintergrund‹ richten. Die Sicht, dass vielleicht auch jene, deren angebliche Lebenswelt beschrieben wird, diese Bücher genießen könnten, kommt gar nicht vor – ganz so, als würde die Autorin davon ausgehen, dass alle Deutsch-Türk_innen der gleichen Ansicht wie sie selbst sind. Entgegen diesen Werken führt sie dann abschließend Filme von Fatih Akin und Werke von Zafer Şenocak, Emine Sevgi Özdamar und Yadé Kara an, die für einen »Turkish Turn« stehen, »den türkisch-deutsche Literatur in der deutschen Literatur hervorgebracht hat: Es sind neue Perspektiven, neue Geschichten, neue Lesarten, die wiederum neue Lese- und Interpretationsmodelle erforderlich machen« (ebd.). So sind ihre Figuren kosmopolitisch, eben nicht »›dazwischen‹, sondern mittendrin im transkulturellen Unterwegssein« (ebd.). Diese werden den Leser_innen entsprechend quasi als Best-Practice-Beispiele vorgeführt. So bewertet die Autorin jene Werke als besonders interessant, die historische Perspektiven einbeziehen und die Geschichten mit Geschichte verknüpfen. Sie beschreibt Zafer Şenocak als einen Autor, der laufend »die hierzulande so wenig bekannten Berührungspunkte zwischen deutscher und türkischer bzw. osmanischer Geschichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts« (ebd.) beleuchtet und damit aufzeigt, dass die deutsch-türkische Geschichte lange vor der Phase des ›Gastarbeiter_innen‹-Phänomens bestanden hat. Die Autorin beschreibt anhand der Bandbreite der literarischen Darstellungen die Vielfalt der Positionen von deutsch-türkischen Literat_innen, wodurch deutlich wird, wie vielfältig das ist, was gemeinhin unter ›türkischer Kultur‹ subsumiert wird. Ohne dass sie es so benennt, wird auch hier eine kulturkritische Position in dem Sinne eingenommen, dass eben nicht von abgegrenzten, homogenen Kulturen gesprochen werden kann. Den Leser_innen wird im Laufe des Beitrags dennoch vermittelt, welche Positionen die richtigen sind und welche Inhalte aus welchen Gründen abgelehnt werden sollten. Nicht zuletzt werden gerade jene Positionen, die eine neue, nämlich postmigrantische Realität beschreiben, als positiv bewertet.
Migration als Normalfall Ebenfalls im Schwerpunkt zu Literatur führt Karin E. Yeşilada ein Interview mit dem Publizisten und Schriftsteller Zafer Şenocak. Dieses ist mit einem Zitat des Schriftstellers – nämlich »Die klassische Migration gibt es nicht mehr« (m1: 5) – übertitelt. Die ausführlichen und reflektierten Fragen der Interviewerin lassen auch hier wieder erkennen, dass hier eine Expertin mit einem Experten spricht. Beide befinden sich auf Augenhöhe – im Unterschied zu vielen Medien, wo die Journalist_innen häufig nur rudimentäre Kenntnisse von den Fachgebieten ihrer
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Interviewpartner_innen haben – gerade wenn es um wissenschaftliche Themen geht. Auch hier werden Themen der Identität und der ›Migrationserfahrung‹ verhandelt. So fragt die Interviewerin ausdrücklich, welche Rolle das »Deutschsein oder Türkischsein« für das Schreiben des Autors spielt. Obwohl es sich um eine umsichtige Interviewerin handelt, die über differenzierte Ansichten zum Thema verfügt, ist die Frage so gestellt, dass sie konservative Ansichten spiegelt: Das ›Deutschsein‹ und das ›Türkischsein‹ werden gegenübergestellt und damit als zwei abgegrenzte Pole beschrieben. Die Antwort des Autors untergräbt diese Zuschreibung allerdings, auch wenn er sich in dieser in Widersprüche verstrickt: »Identität spielt überhaupt keine Rolle für mein Schreiben, für das Schreiben überhaupt. Ein Autor schreibt aus seiner Biografie heraus, und je nachdem, wie diese Biografie geformt ist, ist auch sein Schreiben geprägt. In meinem Fall gibt es in meiner Biografie natürlich deutsche und türkische Kindheitsspuren, die sich in meinem Schreiben reflektieren. Aber auch meine ausgedehnten USA-Aufenthalte und die Diskussionen, die ich dort hatte, haben mein Schreiben mitgeprägt. In meinem Fall ist die Sprache doppelt angelegt, denn ich schreibe sowohl auf Deutsch als auch auf Türkisch. Daher bin ich beides, ein deutschsprachiger und ein türkischsprachiger Autor.« (Ebd.)
Der Interviewte verwehrt sich also zunächst dagegen, dass Identität überhaupt einen Einfluss hat, um dann auszuführen, wie prägend die Biografie ist. Es ist im Grunde nicht nachvollziehbar, warum und wie er diese beiden trennt – ist doch die Identität von der Biografie nicht zu trennen. Als Erklärung könnte dienen, dass Identität als Begriff so negativ besetzt ist, dass er im Grunde nicht mehr verwendet werden kann. Biografie könnte dagegen neutraler erscheinen. So haftet dem Begriff der Identität die Vorstellung an, diese wäre fix und unveränderbar, während im Laufe einer Biografie von Haus aus unterschiedliche Bezugspunkte und Erfahrungen möglich sind. Interessant ist auch, dass der Autor sehr wohl beschreibt, dass türkische und deutsche Spuren in seinem Schreiben vorhanden sind, dass aber auch weitere Dinge Einfluss haben – etwa Aufenthalte in den USA. Er verwehrt sich damit wiederum gegen eine Festlegung auf Deutschoder/und Türkischsein und relativiert die Einflüsse der ›eigenen Kultur‹. Gleichzeitig versucht er, sich als kosmopolitisch und mobil zu positionieren. Er erscheint also transnational, denn er pendelt nicht (nur) zwischen der Türkei und Deutschland, sondern verfügt über unterschiedliche Bezugspunkte. In der Folge führt der Autor auch aus, dass im Grunde keine Unterschiede zwischen seinen Werken auf Deutsch und seinen Werken auf Türkisch existieren, weil sich der Stil nicht unterscheidet und die Themen die gleichen sind. Es
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werden, so der Autor, lediglich unterschiedliche Erinnerungen etc. abgehandelt, wobei jedes Werk anders ist, weil jedes Buch seinen eigenen Rhythmus etc. hat. Er verwehrt sich damit wieder gegen die Vorstellung getrennter Kulturen, in seinen Werken – so der Autor – fließt alles ineinander. Im Laufe des Interviews wird auch deutlich, dass der Schriftsteller die aktuellen Diskurse um Identität und Migration sehr gut kennt. So führt er aus, dass seine Themen »bruchstückhafte Biografien […] widerspiegeln, die aus mehreren widersprüchlichen Teilen zusammengesetzt sind« (m1: 5). Der Autor positioniert seine Arbeiten sehr selbstbewusst als Werke, die in der Lage sind, die heutige Welt richtig abzubilden. Er führt auch aus, dass seine Werke als politisch zu werten sind, weil sie sich von herrschenden Vorstellungen abgrenzen: »Einerseits ist es ja durchaus löblich, wenn die eingewanderte Literatur wahrgenommen wird, andererseits ist der Blick zu sehr verengt; Deutschland und die deutsche Kultur sind nicht nur die einzige Welt. Es gibt auch eine andere Welt, es gibt Unterschiede, Fragmente, Zersplitterungen, Diversität. Das ist eine Kernthematik meines Schreibens. Mein Schreiben richtet sich bewusst gegen die Vorstellung, alles sei konform und gleich.« (Ebd.)
Hier nimmt er Bezug auf das, was Stuart Hall (1999b; siehe oben) mit den Dezentrierungen des Subjekts beschrieben hat – es gibt keinen einzigen, wahren Kern mehr, das Selbst ist aus z.T. widersprüchlichen Teilen zusammengesetzt. Damit spricht sich der Schriftsteller deutlich gegen die Vorstellung einer einheitlichen, über alle Zeiten stabilen Identität aus. In deutlicher Abgrenzung zu hegemonialen Diskursen relativiert er die Bedeutung der ›deutschen Kultur‹, womit auch den Leser_innen nahegelegt wird, eher die transnationalen Verbindungen zu schätzen. Mehrfach erwähnt er auch die Unordnung, in die die Welt geraten ist und die für ihn interessant ist. Es geht explizit um Bruchstücke, Puzzles, Unordnung, das Auflösen von klassischen Konstanten, und er spricht sich gegen die Vorstellung aus, dass alles konform und gleich ist. Seine Arbeitsweise, so der Autor, entspricht dabei den äußeren Umständen, so führt er aus: »Entsprechend gibt es kein Hier oder Dort für mich, auch in der Sprache nicht, das wechselt je nach Umständen. Genauso wenig gibt es ein Hier oder Dort für die heutige Welt: Es gibt nicht mehr die klassische Migration, denn heute ist man hier und dort, an verschiedenen Orten, manchmal gleichzeitig, man ist in Bewegung, ist auf Achse. Und das ist nicht nur ein Jugendphänomen, nein, so leben auch die Rentner. Man denke nur an die Tausenden von Rentnern, die zwischen Deutschland und der Türkei unterwegs sind, auf Achse
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sind. Diese Bewegung zu beschreiben, ist die literarische Herausforderung für einen Autor.« (m1: 5)
Damit spricht er an, dass Mobilität eben nicht mehr/nur Kennzeichen der jüngeren Generationen ist. Entgegen hegemonialer Diskurse ist es mittlerweile ein bestimmendes Element im Leben vieler Menschen. In dieser Perspektive geht es längst nicht um das Ankommen, sondern um das Unterwegssein, um Mobilität. Damit werden transnationale Lebensweisen als ein Massenphänomen beschrieben und der Autor selbst als eine Person, die diese in seinen Werken angemessen zu beschreiben in der Lage ist. Auch auf Hybridität geht er ein. Auf die Frage, welche Bedeutung Hermaphrodismus in seinen Werken spielt (da einige seiner Figuren zwischengeschlechtlich sind), führt er aus, dass seine Figuren festgelegte Grenzen auflösen und Identitäten verschieben. Im Grunde, so der Autor, geht es um Entgrenzung, wobei er allerdings anmerkt: »Auch da geht es wieder um bruchstückhafte Identitäten, ohne das jedoch in den soziopolitischen Dimensionen zu sehen. Diese Identitäten sind nach innen versetzt, wie überhaupt Sexualität als innerbiografische Angelegenheit zu sehen ist. Man kann Migration auch entlang einer inneren Biografie deuten, entlang von Sexualität, von inneren Anschauungen, von Sehnsucht, Träumen.« (Ebd.)
Hier finden die Werke Bhabhas Eingang in das Denken, auch wenn das wiederum nicht deutlich ausgesprochen wird. Grenzen lösen sich auf, Binaritäten verschwimmen, Identitäten verschieben sich. Gleichzeitig verwehrt sich der Schriftsteller wiederum gegen eine soziopolitische Interpretation seiner Werke. Ihm geht es um »innere Biografien«, um die Empfindungen und Gedanken der Menschen, nicht um das Politische. Ihm geht es nicht um Identitätspolitik, die Gemeinsamkeit schafft, sondern um Individualität – wobei gerade die Feministische Forschung und die Queer Studies heftig gegen die Sichtweise protestieren würden, Sexualität als »innerbiographische Angelegenheit zu sehen« und wiederum nicht klar wird, warum genau er zwischen Biografie und Identität unterscheidet. Den Leser_innen wird vorgeführt, dass jegliche Identitäten zersplittert sind und dass die Position ›Migrant_in‹ durchaus abgelehnt werden bzw. als ein Aspekt unter vielen gelten kann. Der Autor kann gleichzeitig als Vorbild gesehen werden – er ist bilingual, erfolgreich, kennt die (wissenschaftlichen) Diskurse, argumentiert umsichtig und informiert. Auch wird im zugestanden, ein Experte zu sein, der in der Lage ist, die herrschenden Zustände zu erfassen und literarisch zu verarbeiten.
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Strategische Selbstverortungen Trotz der Kritik an als problematisch beurteilten Anrufungen und Subjektpositionen wird in migrazine durchaus eingeräumt, dass aus bestimmten Notwendigkeiten durchaus problematische Subjektpositionen angenommen werden können. Inwiefern strategischer Essenzialismus (vgl. Spivak 1988) zeitweise vertretbar sein kann, zeigt ein Interview mit der Schriftstellerin Julya Rabinowich unter der Überschrift Der Markt braucht Labels (m1: 3). Die Einleitung bringt das Thema des Beitrags auf den Punkt: »Das Dilemma der ›Migrationsliteratur‹ – zwischen strategischer Aufwertung und breitenwirksamer Verniedlichung« (ebd.). Die Fragen, die von Vina Yun gestellt werden, sind sehr lang, die erste sogar länger als die erste Antwort. Es handelt sich auch bei der Fragenden klar um eine Expertin, die für die Frage weit ausholen kann und detailliert sowie differenziert fragt. So führt sie zunächst aus: »Das Label ›Migrationsliteratur‹ oder ›MigrantInnen-Literatur‹ stellt einerseits Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit her, für Autor_innen, die sonst selten im Mittelpunkt stehen. Andererseits nivelliert das Etikett die unterschiedlichen literarischen Herangehensweisen, indem die scheinbare Gemeinsamkeit der ›Migrationserfahrung‹ in den Vordergrund gerückt wird.« (Ebd.) Wiederum werden also Bezeichnungen von ›außen‹ problematisiert, wobei allerdings auch eingeräumt wird, dass diese Bezeichneten durchaus Vorteile aus bestimmten Zuschreibungen ziehen können. Die Interviewte verwehrt sich allerdings zunächst gegen diese Sichtweise und meint, dass die entsprechenden Labels der Literatur eher schaden und die »kurze Aufmerksamkeit«, die sie hervorrufen, nur wenig hilfreich ist. Yun beharrt allerdings darauf, dass es sich um ein Dilemma handelt, und bezieht sich auf die Autorin Seher Ҫakir, die davon spricht, dass jene Autor_innen, die mit dem Etikett »Migrant_innen-Literatur« bezeichnet werden, vom »biografischen Voyeurismus« betroffen sind. Die Interviewerin tritt damit als Diskussionspartnerin und nicht als reine Fragende in Erscheinung, womit allerdings auch die Expertise der Interviewten hinterfragt wird. Rabinowich bleibt allerdings bei ihrer Sichtweise. So stellt sie die Situation der Autor_innen, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, in den Kontext der allgemeinen Bedingungen der Literaturproduktion. Diese fordert Label, unter denen sich die Autor_innen vermarkten lassen. Das heißt, im Grunde stehen alle möglichen Bezeichnungen gleichwertig nebeneinander. ›Migrant_innen‹, so die Botschaft an die Leser_innen, befinden sich nicht in einer besonderen Position, vielmehr betreffen die Regeln alle gleichermaßen. Gleichzeitig sieht die Interviewte diese Unterteilungen als Herabwertung, gerade weil jene, die der Norm entsprechen
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(hier: weiße Männer), nicht speziell bezeichnet werden. Dies entspricht der Kritik der Critical Whiteness Studies, dass erst jene, die der Norm nicht entsprechen, auffallen. Julya Rabinowich spricht auch über den »Alltagsrassismus des Kulturbetriebs«, der etwa die Literatur eines Nigerianers, der über Deutschland schreibt, als »Migrantenliteratur« bezeichnet, das Werk eines Deutschen, der über Nigeria schreibt, dagegen schlicht als Roman. Es ist also durchaus so, dass die Bezeichnungen notwendig und gleichzeitig herabwürdigend sein können. Einen Ausweg aus der Problematik scheint es nicht zu geben. Yun eröffnet dann allerdings mit ihrer Frage an Rabinowich, welche Erfahrungen sie als Teilnehmerin und Jurorin am Wettbewerb »schreiben zwischen den kulturen« des Verlags edition exil gemacht hat, die Möglichkeit, Formen des subversiven Umgangs mit Marktlogiken zu schildern. Rabinowich beschreibt zunächst, dass sie als Teilnehmerin sehr naiv war – sie kannte sich nicht aus, hat einfach etwas geschrieben und eingereicht. Anschließend stellt sie dann fest: »Als ich später Jurorin wurde, war das etwas völlig anderes. Ich hatte auf einmal eine Menge Verantwortung in der Hand, eine Art Kurzzeitfortunadasein, mit Füllhorn und allem drum und dran und mit harter Entscheidung, mit der Möglichkeit, etwas, das wichtig sein könnte, weitergeben zu dürfen. Und natürlich mit der Möglichkeit, am Bewerb selbst etwas gestalten zu können, durch die neue Definition, durch angeregte Zielsetzungen.« (m1: 3)
Auch wenn Rabinowich also dem Label »Migrant_innen-Literatur« sehr kritisch gegenübersteht, ist sie dennoch bereit, als Jurorin bei einem Wettbewerb zu fungieren, der ›diese‹ Art Literatur im Fokus hat – weil sie darin die Chance sieht, den Wettbewerb zu beeinflussen und andere Literat_innen zu unterstützen. Die geschilderten Zugänge sind folglich differenziert: Den Leser_innen wird zwar vermittelt, aus welchen Gründen bestimmte Begriffe problematisch sind, dass es aber zum Teil notwendig sein kann, trotzdem mit diesen zu arbeiten. Diese Praxis bringt etwa Gayatri Spivak mit ihrem Konzept des Strategischen Essenzialismus auf den Punkt, wenn sie beschreibt, dass unter Umständen essenzialistisch argumentiert werden muss, um problematische Zustände zu verändern. Die Herausforderung, die dabei dennoch bestehen bleibt, ist, dass es notwendig ist, gleichzeitig Kritik zu üben.
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SPIEL MIT ZUSCHREIBUNGEN In biber kommt Migration eine wichtige Rolle zu, wobei unterschiedliche Zugänge vorhanden sind. Eine Strategie, die in den analysierten Ausgaben von biber häufig zum Einsatz kommt, nenne ich Postmigrantische Disidentifikation und argumentiere, dass in biber die Beschreibungen einzelner Kulturen zwar auf den ersten Blick problematische Diskurse zu bedienen scheinen, tatsächlich aber häufig kulturelle Formationen strategisch verwendet werden, um sie zu verändern. So wird einerseits zwar das Besondere, Einzigartige bestimmter national definierter Kulturen hervorgehoben, andererseits – und z.T. gleichzeitig – wird Migration als das verbindende Element einer neuen Realität beschrieben. Mit dem postmigrantischen Blick ändert sich dabei auch die Wahrnehmung des ›richtigen‹ Österreichischseins. Auch dieses erscheint als erklärungsbedürftig und fremd, auch diese Subjektposition ist keine fixierte, sichere. Den (n)urösterreichischen Leser_innen wird vermittelt, dass sie ihre eigene Position in Relation zu Migration definieren sollten. Im Folgenden werden diese Strategien anhand einiger ausgewählter Beiträge aufgezeigt, die für die Diskussion in biber typisch sind. Anschließend wird allerdings auch auf ein Beispiel eingegangen, das gerade diese Strategie nicht verwendet und somit hegemonialen Diskursen verhaftet bleibt, bevor abschließend anhand eines weiteren Beispiels eine vermittelnde Position beschrieben wird.
Postmigrantische Disidentifikationen In den analysierten Ausgaben von biber finden sich laufend Beiträge, in denen die Strategie der Postmigrantischen Disidentifikation deutlich wird. Diese unterläuft die Prozesse des Otherings von Menschen, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, auf subversive Art und Weise, indem Anrufungen, sich selbst in die Subjektposition ›fremd‹ weil ›Mensch mit Migrationshintergrund‹ zu fügen, weder deutlich abgelehnt noch gänzlich angenommen werden. Vielmehr wird mit dieser Anrufung gespielt bzw. die Anrufung an sich strategisch missverstanden (vgl. Muñoz 1999 und weiter oben). Dabei wird zwar einerseits die Subjektposition ›Fremde‹ vordergründig akzeptiert und ausführlich beschrieben, was diese ›Fremden‹ ausmacht, gleichzeitig wird aber auch vermittelt, dass auch die (N)Ur-Österreicher_innen fremd sein können. Wenn es also darum geht, die Kultur einzelner Gruppen zu beschreiben, werden z.T. auch die (N)Ur-Österreicher_innen als eine (erklärungsbedürftige) Gruppe unter anderen beschrieben. Es finden sich aber auch Beiträge, die die Perspektive deutlich um-
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kehren: (N)Ur-Österreicher_innen sind hier nicht nur genauso fremd wie alle anderen, sie sind vielmehr fremder als die ›Anderen‹ – wobei jene, die nun mit der Macht ausgestattet sind, über ›Fremdheit‹ zu urteilen, nicht durch eine national definierte Kultur geeint sind, sondern durch die Erfahrung der Migration.
Fremde sind wir uns selbst Ein Beitrag, in dem die Strategie der Postmigrantischen Disidentifikation besonders deutlich wird, ist jener unter dem Titel So wohnst du richtig ethno! (b2: 54– 58)2 von Ivana Martinović und Lucia Bartl (Fotos). In diesem werden unterschiedliche Wohnungseinrichtungen beschrieben und klar Bezug auf den Einwanderungsdiskurs genommen, wo ›Ethnie‹ u. a. für Fremdheit und Exotik steht. Der Beitrag spielt allerdings laufend mit diesen Zuschreibungen und relativiert sie dadurch. So wird eingangs festgestellt: »Ethno-Wohnen ist eine Frage des Details. biber zeigt dir, wie Balkanesen, Türken und sonstige Österreicher wirklich wohnen« (ebd.: 54). Indem hier der Begriff »ethno« betont wird, wird den Leser_innen zunächst vermittelt, dass es sich um exotische Wohnstile handelt, d.h. die Wohnstile verschiedener Ethnien – der »Balkanesen« oder auch »Türken«. In der Folge werden dann diese – die in hegemonialen Diskursen eher als Fremde beschrieben werden – dann allerdings auch als Österreicher_innen konnotiert, indem die Rede von »sonstigen Österreichern« ist. Der Beitrag beginnt mit einer vordergründig klaren Unterscheidung nach Herkunft: »Slavica kauft sich eine neue Couch aus ›echt Leder‹ und haut eine fette Decke mit Pferdemotiv drüber. Willkommen bei den Jugos. In Murats Vorraum hängt das böse Auge, das Nachrede von seinem Haus fernhalten soll. Willkommen bei den Türken. Beim Franzl isst du die Wurst vom Holzbrettl und sitzt auf ana Eckbank in da Kuchl. Willkommen bei den Österreichern.« (Ebd.: 55)
Je nach Herkunft, so scheint es hier, wird unterschiedlich eingerichtet. Wie im ganzen Beitrag wird diese Unterscheidung dann allerdings gleich relativiert, indem festgestellt wird, dass alle drei Personen in österreichischen Haushalten wohnen. Damit wird den Leser_innen vermittelt, dass es möglich ist, ›kulturspezifisch‹ zu wohnen und gleichzeitig österreichisch zu sein. Gleichzeitig wird das (N)ur-österreichischsein als nur eine mögliche Variante unter vielen beschrieben. So ist (n)ur-österreichische Einrichtung ein ›Ethnostil‹ unter mehreren: Entsprechend den Critical Whiteness Studies (vgl. etwa Wollrad 2005) ist auch das 2
Die Kürzel b1 bis b5: Jeweils biber vom Februar bis Juni 2011. Die Liste der analysierten Beiträge findet sich im am Ende dieser Publikation.
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›Einheimische‹ hier also nicht unmarkiert, sondern wird ausführlich beschrieben. Während folglich erklärt wird, was denn das ›Migrant_innen‹-Sein ausmacht, wird auch die angebliche Norm vorgestellt, jene Norm also, nach der sich ›Migrant_innen‹ laut hegemonialen Diskursen zu richten haben. (N)ur-Österreichischsein wird dabei, um es mit Mayer und Terkessidis (1998: 16) zu sagen, von den Rändern her markiert. Hier stehen zwar vordergründig (N)UrÖsterreicher_innen auf der einen und jene, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, auf der anderen Seite, es sind aber auch alle in dem Maße fremd, dass sie erst beschrieben und vorgestellt werden müssen. Die Ironie, die in biber laufend eingesetzt wird, sind in diesem Beitrag auch für jene deutlich erkennbar,3 die sie sonst vielleicht nicht so gut erkennen und das Geschriebene sonst für bare Münze nehmen: Wenn es um die (n)ur-österreichische Einrichtung geht, wird deutlich, dass hier Stereotype und Überhöhungen zum Einsatz kommen. Das heißt, die wenigsten Leser_innen dürften die gleiche Einrichtung zu Hause haben. Die angeblich geltende (n)ur-österreichische Norm wird auch dadurch relativiert, indem beschrieben wird, dass es unterschiedliche Wahrnehmungen der Normalität gibt. So stellt die Einführung in den (n)ur-österreichischen Einrichtungsstil fest: »In ihrem Zuhause ist alles normal und nicht erwähnenswert, sagt Sabine zum Wohnstil ihrer Eltern. Aber was für sie normal ist, mutet manchem Migranten exotisch an. Brettljause während die Familie auf der Eckbank in der Kuchl sitzt? Der österreichische Wohnstil hat so seine Eigenheiten – mehr als es den Österreichern überhaupt bewusst ist.« (b2: 55)
Den Leser_innen wird also vermittelt, dass das, was manchen – nämlich den (N)Ur-Österreicher_innen – normal scheint, bei anderen durchaus Irritationen auslösen kann. Damit werden auch (n)ur-österreichische Kollektivsymbole quasi als eben diese ›enthüllt‹: Die »Eckbank in der Kuchl« ist eben etwas, das als typisch (N)ur-Österreichisches gilt, das in Österreich das Bild des gemütlichen Wohnens vermittelt und im Grunde keiner weiteren Erklärung zu bedürfen scheint. Indem biber genau dieses Symbol aber in den Fokus rückt, verliert das (N)ur-Österreichische an Normalität, wird als seltsam und fremd beschrieben, wobei dann aber auch mit dieser Sichtweise gebrochen wird, indem festgestellt wird, dass gerade die Eckbank auch in Serbien beliebt ist. Ganz so typisch (n)urösterreichisch ist die Eckbank also doch nicht: Der (n)ur-österreichische Stil hat 3
Eine ausführliche Analyse des Einsatzes von Ironie bei biber findet sich in Ratković 2011.
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schon vor Jahren auf ›Migrant_innen‹ abgefärbt und wird auch in der ›alten Heimat‹ verwendet. Die eingeführte Unterscheidung der Wohnstile wird damit wiederum ad absurdum geführt, die Eckbank als eben nicht (mehr) nur (n)urösterreichisches Kollektivsymbol beschrieben. Im Fokus des Beitrags steht allerdings nicht nur die Einrichtung, sondern auch das Wohnen bzw. das Verhalten der einzelnen Gruppen: »Sladjana beschwert sich über die österreichische Gastfreundschaft, weil sie jedes Mal bei ihren Ösi-Schwiegereltern hungrig bleibt. ›Zu jedem Familienfest tischen sie viel Deko auf, aber wenig Essen. Bei uns Jugos sind Obst und Süßigkeiten am Tisch alltäglich. Und bei Festen wird dann der ganze Kühlschrank aufgetischt, um die Gäste zu bewirten.« (Ebd.)
Das (n)ur-österreichische Verhalten erscheint damit deutlich als negativ, unfreundlich und auch oberflächlich – die Dekoration erscheint wichtiger als das Wohl der Gäste. Im Widerspruch zu hegemonialen Diskursen sind hier die (N)ur-Österricher_innen jene, deren Verhalten falsch ist und die quasi von außen beurteilt werden. Damit wird die Autorität der (N)ur_Österreicher_innen untergraben, d.h., sie sind es, über die geurteilt wird, und sie schneiden dabei nicht nur positiv ab. Nicht angesprochen wird dabei allerdings, dass ausgesprochene Gastfreundschaft eines jener Stereotype ist, das ›Fremden‹ gerne zugeschrieben wird. Insgesamt kommen im Beitrag laufend unterschiedliche Personen zu Wort, die ihre Erfahrungen und Sichtweisen beschreiben, wodurch nicht nur eine Multiperspektivität deutlich wird, sondern auch die Authentizität des Berichteten betont wird. Nicht zuletzt wird den Leser_innen hier Einblick nicht nur in ›fremde‹ Wohnungen geboten, sondern eben auch in (n)ur-österreichische. Damit werden okzidentale Praktiken des Hineinschauens in orientalistische Intimsphären unterlaufen – nicht nur bekommen die Mehrheitsangehörigen die Möglichkeit, in ›fremde‹ Welten zu blicken, sondern auch jene, die in hegemonialen Diskursen als ›Fremde‹ beschrieben werden, blicken zurück, d.h. auch in die Intimsphäre der Mehrheitsangehörigen. Nicht zuletzt wird jede Einrichtung als ähnlich exotisch beschrieben, womit klar wird, dass auch Exotik etwas Relatives ist, das vom Standpunkt der Betrachterin/des Betrachters abhängt. Das wird auch deutlich, wenn die Einrichtungsstile der ›Migrant_innen‹ im Fokus stehen und zunächst differenziert beschrieben werden: Einerseits gibt es die »Balkanesen«, andererseits die »Türken«. Die »Balkanesen« werden dann wiederum in Untergruppen unterteilt, die mal national, mal religiös differenziert werden: Katholik_innen haben das letzte Abendmahl als Bild, Orthodoxe Ikonen
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von Jesus und der Jungfrau Maria, »gläubige Moslems aus Ex-Jugoslawien« den Koran in der Wohnung stehen. Abschließend wird dann aber auch die Verbindung zu (N)Ur-Österreicher_innen hergestellt: So steht bei diesen, so sie in ländlichen Gegenden wohnen, Weihwasser im Haus, auch wenn Gefäße, die eigentlich für das Weihwasser vorgesehen wird, manchmal umfunktioniert werden. Die Differenzierung, die auch vermittelt, dass es sich hier um klar abgegrenzte Gruppen handelt, wird dann wiederum gebrochen, indem anschließend beschrieben wird, dass sich manche Einrichtungsgegenstände sowohl bei den »Balkanesen« als auch bei den »Türken« finden: etwa gehäkelte Tischdeckchen oder Glasvitrinen mit kostbaren Gläsern oder Kristallfiguren. Auch trinken die »Balkanesen« türkischen Kaffee. Beide Gruppen lieben Teppiche und halten viele Gästehausschuhe bereit. Laufend wird also zwischen den Grenzen oszilliert, diese laufend verwischt: Manche Dinge treffen auf alle zu, andere sind unterschiedlich. Mal unterscheiden sich die ›Migrant_innen‹ von (N)Ur-Österreicher_innen, mal die Muslime von Kroat_innen, mal sind alle gleich. Verbindendes und Trennendes wird hervorgehoben, Unterschiede werden damit nicht nur laufend betont, sondern auch relativiert. Entscheidend ist dabei, dass in der Einführung des Beitrags festgestellt wird, dass hier zwar verschiedene Typen vorgeführt werden, dass es sich aber sämtlich um österreichische Haushalte handelt, in denen die Dekoration aber jeweils anders ist. Die Unterschiede werden damit auch ad absurdum geführt. Während also vordergründig festgestellt wird, dass hier ›fremde‹ Einrichtungen zu sehen sind, werden diese gleichzeitig als ›einheimisch‹ definiert. Den Leser_innen wird damit vorgeführt, dass die Identifikation mit unterschiedlichen Aspekten je nach Situation variieren kann – ob man fremd oder heimisch ist, hängt offensichtlich von der Perspektive ab.
Die fremden (N)Ur-Österreicher_innen Auch im Beitrag Ich zahl’ Baby (b4: 35–38) von Ivana Martinović, Lucia Bartl und Philipp Tomsich (Fotos) stehen die Unterschiede zwischen (N)UrÖsterreicher_innen und Zugewanderten im Vordergrund: Es geht um die angeblich unterschiedlichen Angewohnheiten beim Rechnungsbezahlen, wobei ›Migrant_innen‹ über nationale/staatliche Grenzen und Kulturen hinweg als zusammengehörig und ähnlich, (N)Ur-Österreicher_innen hingegen durchwegs als fremd beschrieben werden. Der Beitrag ist in mehrere Bereiche gegliedert: Zunächst wird ins Thema eingeführt, dann werden drei Kulturschocks geschildert. (N)Ur-Österreicher_innen und ein Soziologe äußern sich zum Thema, und schließlich werden Kellner_innen befragt. Auf der ersten Seite sind eine junge Frau und ein junger Mann zu sehen. Sie trinkt und dreht sich von ihm weg, er
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bezahlt offenbar gerade die Rechnung. Der Bildtext hält fest: »Am Balkan sind Rechnungen Männersache« (ebd.: 35). Es ist die klare Unterscheidung zwischen dem ›Balkan‹ und Österreich angesprochen, wobei der ›Balkan‹ dabei als männlich dominiert erscheint bzw. als ein Gebiet, in dem die Geschlechterrollen noch fix und auch altmodisch sind. Gleichzeitig werden die beiden Abgebildeten im Balkan verortet, obwohl die Szene – so vermittelt es zumindest der Beitrag selbst – in Österreich spielt. Damit wird vermittelt, dass jene ›vom Balkan‹ sich zwar körperlich in Österreich befinden mögen, dass sie aber geistig nach wie vor dem ›Balkan‹ zugehörig sind. Obwohl der ›Balkan‹ in hegemonialen Diskursen allerdings eher negativ konnotiert ist, wird im Verlauf des Beitrags deutlich gemacht, dass es die Menschen vom ›Balkan‹ sind, die sich richtig verhalten. Im Einführungstext wird (N)Ur-Österreicher_innen (die als »einheimische Mitbürger« bezeichnet werden) ein verkrampfter Umgang mit Geld unterstellt, der bei ›Migrant_innen‹ zum »Kulturschock« führen kann – auch weil sie das Gefühl bekommen, in »Öster-arm gelandet« zu sein (ebd.: 35). Der Umgang der (N)Ur-Österreicher_innen mit Geld wird hier als irritierend, unangenehm und auch nicht nachvollziehbar beschrieben, wobei die Erwartungen der »Zuwanderer«, dass es sich bei Österreich um ein reiches Land handelt, offenbar enttäuscht werden. Ebenso wie in der Einleitung werden dann auch im Text klare Grenzen gezogen: Beschrieben werden zwei Szenen an der McDonald’s-Kasse: Auf der einen Seite bezahlt ein junger Mann nur widerwillig das Essen seiner Freundin, die ihr Portemonnaie vergessen hat, obwohl die beiden zuvor noch sehr verliebt Händchen gehalten haben. Folgender Wortwechsel wird geschildert: »›Markus, ich habe kein Geld mit. Kannst du bitte heute zahlen?‹ Er genervt: ›Geh, Julia, wenn es unbedingt sein muss. Aber nur den Burger, kein ganzes Menü!‹« (Ebd.) Auch wenn keine Nationalität genannt wird, deuten die Namen hier auf (n)urösterreichischen Hintergrund hin. Es wird also wiederum vermittelt, dass die (N)Ur-Österreicher_innen geizig sind. Der junge Mann weigert sich, großzügig zu sein, und auch die Bitten seiner Freundin, in die er verliebt zu sein scheint, erweichen ihn nicht. Das Geld, so scheint es, ist ihm wichtiger als die Beziehung. Bei der zweiten Szene ist dann die Rede von zwei »Jugo-Frauen mit insgesamt fünf Kindern«, die sich um die Rechnung »duellieren«: »›Ich zahle und fertig!‹ … ›Wehe dir, ich zahle.‹« (Ebd.) Im Gegensatz zu dem jungen Mann, der seiner Freundin nur auf Nachfrage eine Kleinigkeit zu bezahlen bereit ist, geraten die zwei Frauen in Streit, wer bezahlen darf. Der Beitrag vermittelt also, dass das jeweilige Verhalten mit dem ›kulturellen Hintergrund‹ erklärt werden sollte und eben nicht das Alter die Beziehung zueinander entscheidend ist. Der Kultur der handelnden Personen wird damit ein zentraler Stellenwert eingeräumt und die Kultur der (N)Ur-Österreicher_innen wiederum als negativ beschrieben.
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Der junge Mann steht dabei quasi als Stellvertreter der (N)Ur-Österreicher_innen am Pranger, weil er sich trotz der emotionalen Verbundenheit weigert, großzügig zu sein. Sein Verhalten wird dabei implizit als repräsentativ für das Verhalten aller (N)Ur-Österreicher_innen beschrieben, das Verhalten der beiden Frauen als repräsentativ für jene, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird. Im Beitrag werden auch unterschiedliche Situationen beschrieben, die zu »Kulturschocks« geführt haben. Es geht um unterschiedliche Kulturen, und das Aufeinandertreffen führt nicht lediglich zu Unverständnis, sondern gar zu einem Schock. Die Unterschiede sind groß, die Kulturen eigentlich unvereinbar. Nicht nur hier fühlt man sich an Samuel Huntingtons (1998) Thesen vom Kampf der Kulturen erinnert, die Kultur eine entscheidende Rolle zuschreiben. Unterschiede werden folglich nicht mit der Persönlichkeit oder familiärer Erziehung erklärt, sondern mit der Kultur – wobei auf der einen Seite die (n)ur-österreichische Kultur steht, auf der anderen aber eine Gruppe von Menschen, die durch ihre Migrationserfahrung verbunden sind. Zu Wort kommen eine Bulgarin, ein Türke, eine Serbin, eine Polin und eine Spanierin. Sie alle sind im Beitrag gerade nicht als ›Österreicher_innen mit Migrationshintergrund‹ konnotiert, sondern als Vertreter_innen ihrer Kultur – auch wenn sie über nationale Grenzen hinweg ähnlich vom (n)ur-österreichischen Verhalten geschockt sind. Gleichzeitig wird die Verbindung des Verhaltens mit der nicht(n)ur-österreichischen ›Herkunftskultur‹ im Grunde ad absurdum geführt, weil es eben nicht als genuin türkisch, serbisch, polnisch oder spanisch erscheint, vom (n)ur-österreichischen Umgang mit Geld irritiert zu sein, sondern eher als genuin postmigrantisch. Deutlich wird dies bei der Beschreibung des ersten »Kulturschocks«, der als Folge eines Dates zwischen dem (N)Ur-Österreicher Bernhard und der Bulgarin Elena beschrieben wird, bei dem er auf getrennte Rechnungen besteht. Anschließend bringt er sie zudem – obwohl er ein Cabrio besitzt – nur zur U-Bahnstation und nicht zu ihr nach Hause. Entsprechend sieht sie keine gemeinsame Zukunft. Er bekommt vom Türken Mert Nachhilfe: »Bevor ich einer Frau zeige, dass ich mir ihr Abendessen nicht leisten kann oder will, verschulde ich mich lieber.« (b4: 35) Es ist also kein Bulgare, der Tipps zum Umgang mit Bulgarinnen gibt, sondern es ist ein ›Migrant‹, der zum richtigen Umgang mit Frauen rät – wobei wohl eher Frauen, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, gemeint sind. Damit wird deutlich, dass es im Grunde egal ist, woher die Frauen stammen. Für alle ›Migrantinnen‹ ist es wichtig, eingeladen zu werden, alle (N)Ur-Österreicher verhalten sich falsch und brauchen (Nach-)Hilfe. Als zweiter »Kulturschock« wird der – als implizit genuin (n)ur-österreichisch beschriebene – Brauch geschildert, dass Gäste bei einer Einladung selbst Essen und Getränke mitbringen bzw. vor Ort bezahlen sollen. Das wird als grobe
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Unhöflichkeit ausgelegt, die auch dazu führt, dass die ›Migrant_innen‹ nicht mehr zu Besuch kommen. Unterschiedliches Verhalten führt dann also auch potenziell zum Abbruch des Kontaktes. Weil die (N)Ur-Österreicher_innen sich falsch verhalten, haben sie eben keine Beziehungen zu jenen mit ›Migrationshintergrund‹ – egal, ob es sich um Freundschaften oder Liebesbeziehungen handelt. Damit werden die ›Kulturunterschiede‹ als unüberwindbar geschildert. Es wird nicht über die unterschiedlichen Verhaltensweisen gesprochen, sondern der Kontakt gleich abgebrochen. Als dritter »Kulturschock« wird der – wiederum genuin als (n)ur-österreichisch erscheinende – Brauch der geteilten Rechnung beschrieben, wobei hier eine Spanierin ihre Irritation schildert: »Die Spanierin Huanita erinnert sich an die strengste Rechnung ihres Lebens. Sie kassiert bei einem Pärchen je 1,35 Euro für eine Suppe: Das Pärchen hatte die Suppe zwar gemeinsam ausgelöffelt, gezahlt wurde aber getrennt.« (Ebd.: 36) Eine andere junge Frau, Jelena, »stößt im Elternhaus ihres österreichischen Freundes an kulturelle Grenzen« (ebd.), weil sie ein Schälchen mit Gummibären fälschlicherweise als Einladung, sich etwas zu nehmen, missinterpretiert hat und auch auf diesen Fehler hingewiesen wird. Wiederum erscheint das Verhalten der (N)Ur-Österreicher_innen als falsch und geradezu bizarr: Nicht nur wird ihnen mangelnde Gastfreundschaft unterstellt, sondern es wird auch vermittelt, dass eigentlich niemals freigiebig geteilt wird – nicht einmal unter Liebespaaren. Gleichzeitig wird nicht einmal erwähnt, dass ›Migrant_innen‹ selbst ähnlich geprägt sein könnten bzw. dass sie mit ihren Freund_innen darüber reden könnten, was sie irritiert. Vielmehr werden die Grenzen als unüberwindbar und klar gezogen beschrieben. Damit werden hegemoniale Diskurse unterstützt, die die Unvereinbarkeit der angeblich ›richtig‹ österreichischen und den ›neuen‹ Kulturen betonen. Gleichzeitig wird die (n)urösterreichische Norm nicht als eine beschrieben, an die sich die ›Neuen‹ anpassen sollten, sondern im Gegenteil: Den ›Alten‹ wird nahegelegt, sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Zudem werden vor allem jene zitiert, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird. Das heißt, sie scheinen als dominante Gruppe in der Mehrheit zu sein, nach der sich die (n)ur-österreichische Minderheit zu richten hat. Abschließend kommen auch (N)Ur-Österreicher_innen zu Wort, die ihre Sicht schildern. Allerdings werden sie nur zu ihren Zahlgewohnheiten bei Dates befragt. Ihren Sichtweisen wird also insgesamt viel weniger Raum gegeben. Sie sind also eindeutig jene, über die geschrieben und geurteilt wird. Ihre Ansichten sind unterschiedlich. Hier wird eine Heterogenität der Sichtweisen verdeutlicht, die bei den ›Migrant_innen‹ nicht zu bestehen scheint. So sagt eine Frau, dass sich Männer ihre Zuneigung nicht erkaufen können, was sie als Ausdruck von
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Emanzipation definiert. Eine andere meint aber: »Wer nicht zahlt, fliegt.« (Ebd.) Ihr Verhalten wird dann aber auch mit »ganz südländisch eben« (ebd.) kommentiert. Es ist nicht so, dass die (N)Ur-Österreicher_innen auch unterschiedliche Ansichten haben, vielmehr haben manche von ihnen südländische ›Merkmale‹ angenommen und damit quasi einen ›Migrationshintergrund‹. Deutlich wird wiederum, dass klar zwischen (N)Ur-Österreicher_innen und jenen mit ›Migrationshintergrund‹ unterschieden wird, allerdings nicht zwischen den einzelnen ›Migrant_innen‹-Gruppen. Befragt werden auch vier Kellnerinnen und zwei Kellner. Bei zwei von ihnen ist nicht klar, ob sie über einen ›Migrationshintergrund‹ verfügen oder nicht. Bei den anderen deuten ihre Namen auf diesen hin. Ihre Erfahrungen stimmen im Großen und Ganzen mit dem Bericht überein. So gibt ein Kellner eines türkischen Restaurants an: »Ich persönlich finde es seltsam, wenn Leute getrennt zahlen. So etwas gibt es in unserer Kultur nicht. Bei den Österreichern ist das normal, getrennt zu zahlen.« (Ebd.: 38) Auch hier wird zwischen den Kulturen unterschieden. Es ist Teil der Kultur, wie man sich verhält – auch beim Zahlen. Nur die Kellnerin eines kroatischen Cafés differenziert: »Bei den Kroaten wird immer zusammen für die ganze Gruppe bezahlt. Außer die Teenager. Die bekommen ihr Taschengeld für eine Cola und müssen schauen, dass sie damit auskommen.« (Ebd.: 38) Hier ist also erstmals die Rede davon, dass das Getrenntbezahlen auch eventuell etwas mit den Ressourcen zu tun hat und eben nicht notwendigerweise mit der Kultur. Ähnlich könnte man dabei die Szene bei McDonald’s interpretieren, was den Leser_innen aber nicht nahegelegt wird. Der Beitrag macht vor allem deutlich, dass es die Perspektive der Menschen mit ›Migrationshintergrund‹ ist, die zählt. Es sind eindeutig die (N)ur-Österreicher_innen, die sich falsch verhalten. Entsprechend ist das Verhalten der (N)UrÖsterreicher_innen jenes, das falsch ist. Sie sind es, die das richtige Verhalten lernen müssen. Jene mit ›Migrationshintergrund‹ geben ihnen dazu Tipps, nehmen einerseits die Position der Helfenden ein, andererseits geht damit aber auch der Versuch einher, die (N)Ur-Österreicher_innen zurechtzuweisen. Damit wird wiederum postmigrantische Disidentifikation deutlich – aus der vordergründig akzeptierten Rolle als ›Fremde‹, die vom Verhalten der ›Einheimischen‹ irritiert sind, wird den ›Einheimischen‹ deutlich nahegelegt, wie sie sich ›richtig‹ zu verhalten haben. Auch ist im Grunde egal, welche Kultur die ›Migrant_innen‹ jeweils haben. Sie sind in ihren Irritationen geeint. Nicht zuletzt wird durch die Tipps, die den (N)Ur-Österreicher_innen gegeben werden, durchaus vermittelt, dass diese lernfähig sind, auch wenn aktuell die Grenzen unüberwindbar scheinen. Auffallend ist bei diesem Beitrag auch, dass an keiner Stelle auch nur angedeutet wird, dass sich die ›Migrant_innen‹ an die (n)ur-österreichischen Ge-
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wohnheiten anpassen sollten. Vielmehr werden die (n)ur-österreichischen Leser_innen mit diesem Beitrag dazu aufgefordert, sich in die postmigrantische Gemeinschaft einzufügen und sich an deren Perspektiven zu orientieren. Der Beitrag kann quasi als Integrationshilfe für die (N)Ur-Österreicher_innen in die postmigrantische Gesellschaft verstanden werden, d.h., den (n)ur-österreichischen Leser_innen wird vermittelt, wie sie sich künftig korrekt verhalten können – und sollen. Die ›Neuen‹ werden zudem angerufen, sich in der Rolle der Lehrenden zu sehen, die ihren (n)ur-österreichischen Mitbürger_innen vermitteln sollten, was richtiges Verhalten ausmacht.
Postmigrantische (N)Ur-Österreicher_innen? Inwiefern (N)Ur-Österreicher_innen bereits als Teil der postmigrantischen Gemeinschaft gesehen werden könnten, wird im Beitrag Deutschland sucht den Superarzt (b4: 55–57) von Amar Rajković und Lucia Bartl (Fotos) beschrieben. Vorgestellt werden drei Ärzte, die von Österreich aus nach Deutschland gegangen sind, um dort tätig zu sein. Der Erste von ihnen, Dr. Ashkan Noorian, wird als Wiener mit persischen Wurzeln beschrieben, der Zweite, Dr. Nino Schukro, als Wiener mit syrisch/libanesischen Eltern, der Dritte, Dr. Horacek, ist wiederum Kärntner, dem kein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird. Alle drei Ärzte werden – unabhängig von dem ihnen zugeschriebenen ›Migrationshintergrund‹ – durchweg als österreichische Ärzte bezeichnet, wodurch zunächst vermittelt wird, dass die Zuwanderungsgeschichte nicht mit dem ›richtig‹ Österreichischsein im Widerspruch steht. So wird dann auch darauf hingewiesen, dass die Ersteren in Deutschland eher als österreichisch denn als persisch bzw. syrisch/libanesisch wahrgenommen werden. Dr. Noorian beschreibt, dass er im deutschen Supermarkt aus Versehen ein österreichisches Wort verwendet hat, wodurch er sich als ›Ösi‹ geoutet hat. Dr. Schukro beschreibt, dass er trotz seines Aussehens, das ihn aufgrund seiner Hautfarbe ›fremdländisch‹ wirken lässt, nicht auf sein Aussehen, sondern auf den österreichischen Akzent angesprochen wird. Sie vereinen damit scheinbar problemlos unterschiedliche Aspekte in sich. Alle Ärzte werden zudem als kompetent beschrieben, sie sind u. a. deswegen nach Deutschland gegangen, weil sie dort wichtige Aufgaben übernehmen können. Sie wollten auch nicht auf einen Turnusplatz in Österreich warten, sind ehrgeizig und motiviert. Unterschiede bestehen allerdings in der Bereitwilligkeit bzw. Selbstverständlichkeit der Mobilität und auch der ›Integration‹. Damit wird auf Integrationsdiskurse angespielt, wobei aber auch verhandelt wird, welchen Stellenwert dieser zukommt. So stellen die beiden Ärzte, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, fest, dass sie möglicherweise in Deutschland
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bleiben werden. Dr. Noorian spricht von seinem Aufenthalt in Deutschland als zweiter ›Integration‹: »Als meine Eltern nach Wien kamen, war ich gerade mal sechs Jahre alt. Knappe 20 Jahre später musste ich mich hier noch einmal integrieren.« (Ebd.: 56) Dass seine Bemühungen auch erfolgreich sind, wird dann klar, als gefragt wird, ob er sich nach der Supermarktsituation unfreiwillig als Österreicher geoutet hat: »›Nee!‹, meint er in typischem Deutsch.« (Ebd.) So hat er nicht nur aus seinem Fehler gelernt, sondern beherrscht inzwischen auch die ›richtige‹ Sprache. In der Bildunterschrift des Fotos des Kärntner Arztes wird dann im Unterschied dazu – ironisch – festgehalten: »Kaum integriert, trotzdem gefragt. Dr. Horacek hat seinen Kärntner Dialekt auch in Deutschland nicht abgelegt.« (Ebd.: 57) Nichtsdestotrotz erscheint dieser Arzt nicht als weniger erfolgreich. Damit wird vermittelt, dass die ›Integration‹ vielleicht gar nicht so notwendig ist, wie es hegemoniale Diskurse nahelegen. Gleichzeitig wird den Leser_innen aber sehr wohl vermittelt, dass sich die Ärzte mit früherer Migrationserfahrung offenbar besser auf die neue Situation eingelassen haben als der Kärntner: Während der andere Arzt ein österreichisches Wort nur aus Versehen benutzt, hält der (N)Ur-Österreicher nach wie vor an ›seiner‹ Sprache fest. Damit kann ihm – durchaus ironisch – vorgeworfen werden, dass er sich weigert oder nicht imstande ist, sich richtig zu ›integrieren‹ und die neue Sprache zu lernen. Auch wird bei ihm nicht festgehalten, dass er sich vorstellen kann, in Deutschland zu bleiben, wodurch er wiederum am wenigsten mobil bzw. eher ›unmigrantisch‹ erscheint, was auch damit zusammenhängen könnte, dass dies seine erste Migrationserfahrung zu sein scheint. Er hat es offenbar noch nicht gelernt, richtig mobil zu sein, und ist noch am ehesten seinem Ursprungsland verbunden. Die anderen beiden Ärzte werden als transnational geübt beschrieben. Ihnen scheint die Mobilität und die ›Integration‹ leichter zu fallen. Gleichzeitig ist allerdings auch der Kärntner Arzt nun zum ›Migranten‹ geworden und kämpft mit typischen Migrationserfahrungen. So vermisst er seine Freundin und auch die österreichische Skieuphorie, da sich die Deutschen seiner Ansicht nach »zu wenig« für Skisport begeistern.
Wenn Kulturen Kulturen bleiben Ein deutlich stereotyp angelegter Beitrag, der vermittelt, dass die nationale Kultur das Verhalten von Menschen entscheidend prägt, ist jener mit dem Titel Supergau mit Balkanfrau (b4: 29–32). Dass sich die Redaktion über die problematischen Seiten des Beitrags bewusst ist, zeigt, dass dieser im Editorial der Ausgabe so thematisiert wird:
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»Zum ersten Mal liegt biber einer großen Tageszeitung bei – guckst du am 12. Mai in den Standard. Der ist ja sehr politisch korrekt, deswegen gleich ein Sorry im Vornhinein, wenn wir Sachen wie ›Jugo-Braut‹ schreiben (im biber eine von mehreren Formen für Frau aus Exjugoslawien).« (b4: 6)
In der Folge erklärt das Editorial dann, dass es im entsprechenden Beitrag darum geht, »Ösi-Männern« zu erklären, wie sie mit »Jugofrauen« umzugehen haben: »Wer das gelesen hat, weiß, worauf er sich einlässt und kann später nicht behaupten, wir hätten ihn nicht gewarnt.« (Ebd.) Der Artikel richtet sich also an (n)ur-österreichische Männer. Es geht darum, ihnen eine bestimmte Gruppe von Frauen zu erklären, die nationalstaatlich definiert wird – wobei »Exjugoslawien« mittlerweile aus mehreren Nationalstaaten besteht. Gleichzeitig vermittelt die Wortwahl die Gefahr, in die sich die (n)ur-österreichischen Männer potenziell begeben: Sie müssen vor den »Jugofrauen« gewarnt werden. In der Einleitung zum Beitrag wird auf einen Artikel von Anfang 2010 verwiesen, in dem die biber -Autorin Ivana Martinovic die Frage »Was ist dran am Schwabo-Mann?«4 zu beantworten versuchte. Dort standen (n)ur-österreichische Männer auf dem Prüfstand. Der Blick war gleichsam von den ›Anderen‹ auf einen ›Einheimischen‹ gerichtet. Verschiedene Typen des ›Schwabo-Mannes‹ (etwa »Der Normalo« oder »Der echte Wiener« [Martinovic 2009/10]) wurden vorgestellt und jeweils die Vor- und Nachteile einer Beziehung mit diesen beschrieben. Die Männer, denen in der Gesellschaft an sich mehr Macht und Deutungshoheit zugesprochen wird als den »Jugofrauen«, wurden im Artikel zu Objekten der Berichterstattung. In der Darstellung klangen laufend Erziehungsmomente an. So wurde beschrieben, dass die Männer erst lernen müssen, sich im postmigrantischen Kontext richtig zu verhalten. Nun erfolgt aber die umgekehrte Prüfung. Als Erstautor ist Clemens Wiesinger genannt, dessen Name keinen ›Migrationshintergrund‹ vermuten lässt. Neben ihm ist auch Olja Alvir5 als Autorin angeführt. Während beim Artikel zu »Schwabo-Männern« also noch argumentiert werden konnte, dass dominanten Diskursen zu Fremdheit etwas entge4
»Schwabo« ist ein Begriff, der in biber laufend Verwendung findet. Im Beitrag »Was ist dran am Schwabo-Mann« wird der Begriff folgendermaßen definiert: »Schwabo – derber Kosename für Österreicher. Gebräuchlich unter Migranten. Nicht abwertend wie umgekehrt ›Tschusch‹. Leitet sich ab von Donauschwaben: Im 17. und 18. Jahrhundert deutschsprachige Siedler am Balkan.« (Martinovic 2009/10: 30, vgl. auch Ratković 2011)
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In diesem Beitrag wird kein ›Migrationshintergrund‹ deutlich. In der dritten analysierten Ausgabe berichtet Olja Alvir allerdings von ihrer Flucht aus Bosnien nach Österreich.
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gengesetzt wurde (schließlich waren die »Schwabo-Männer« jene, die nicht wussten, wie sie sich angemessen zu verhalten haben und erst ›richtig‹ erzogen werden mussten), entspricht dieser Beitrag diesen sehr wohl (vgl. Ratković 2011). Entgegen dem Editorial und der Überschrift geht es im Beitrag dann aber nicht um die »Jugofrau« oder »Balkanfrau«, sondern es werden vier verschiedene »Typinnen« vorgestellt, wobei es darum geht, jenen Männern, die auf »Jugofrauen« stehen und bei ihnen »landen« wollen, eine »Bedienungsanleitung und Kategorisierung der Jugofrauen in die gängigsten vier Typinnen« (b4: 29) anzubieten. Obwohl mit den unterschiedlichen Kategorien vordergründig auch Diversität abgebildet wird, sind die »Jugofrauen« dennoch als eine Kategorie gedacht, die zwar in Untergruppen eingeteilt werden kann, die aber im Grunde gleich ist. In der Einführung, die sich direkt an die männlichen Leser wendet, wird Folgendes festgehalten: »Du stehst auf Jugofrauen und würdest ihre riesigen Familien, ihren maßlosen Kaffee- und Nikotinkonsum und sogar ihre Temperamentausbrüche zur unpassendsten Zeit in Kauf nehmen, um bei einer zu landen? Folgende Bedienungsanleitung und Kategorisierung der Jugofrau in die vier gängigsten Typinnen soll dir auf einer Suche helfen.« (Ebd.)
Die Frauen haben also angeblich riesige Familien, ihr Kaffee- und Nikotinkonsum ist maßlos, sie haben unpassende Temperamentsausbrüche. Gleichzeitig müssen sie richtig ›bedient‹ werden – wie Produkte, die man erst nach dem Lesen der Bedienungsanleitung ›richtig‹ nutzen kann. Diese Beschreibungen lassen an die Darstellungen der ›Orientalin‹ denken, d.h. an die Konstruktion der fremden oder exotischen Frau als sexuell verfügbar, sinnlich und maßlos (vgl. etwa von Braun/Mathes 2007). Im Beitrag werden dann folgende »Typinnen« vorgestellt: »Die SemiIntegrierte«, »Miss Vaterkomplex«, »Die Verschwaboisierte« und »Die Jugozipierte«. Zum Beitrag gehören auch drei Fotos, auf denen immer die gleiche junge Frau zu sehen, die jeweils unterschiedlich angezogen ist und andere Körperhaltungen einnimmt. Damit wird vermittelt, dass es sich bei »Jugofrauen« trotz mancher – oberflächlichen – Unterschiede um die gleiche Frau handelt. Auf zwei der drei Fotos zeigt die Frau viel Haut – beim ersten scheint sie Businessfrau zu sein, sie hält ein Handy, trägt eine weiße Bluse, wirkt modisch. Gleichzeitig ist die Bluse weit aufgeknüpft. Sie trägt Hotpants, dreht sich lasziv zur Kamera, trägt hohe Schuhe. Die dazugehörige Bildunterschrift hält fest: »Karriere, Kind, Kochen – sie will und kann alles« (ebd.). Auch wird festgehalten, dass es sich um eine »Semi-Integrierte« handelt, die »pflegeleicht« ist. Hier werden
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unterschiedliche Rollen angesprochen, die im Grunde von allen Frauen angestrebt werden (sollten), weswegen diese »Typin« vielleicht auch insofern ›semiintegriert‹ ist, als sie nach den ›richtigen‹ Dingen strebt. Die Kleidung, die das Model auf dem Foto trägt, wird dann auch als jenes beschrieben, was der ›richtigen‹ ›Integration‹ im Wege steht: Auch wenn diese »Jugofrau« »wahre Interessen und Ambitionen« (ebd.) hat, »ist ihr Eines geblieben: Der nuttige Stil« (ebd.). Mit diesem Kleidungsstil, so der Beitrag, will sie ihren Freund eifersüchtig machen, indem sie andere Männer anzieht. Es wird auch ausgeführt, dass es nichts hilft, wenn ihr (n)ur-österreichischer Partner ihr zu erklären versucht, dass sie sich anders – spricht richtig – anziehen sollte. Sie bleibt bei ihrer Kleidung, auch wenn sie damit nicht bei seinen Eltern ankommt. Das Bestehen auf dem eigenen Stil wird dabei nicht – wie postfeministisch argumentiert werden könnte – als (selbst-)bewusste Handlung konnotiert, die ihr selbst Spaß macht, sondern als Nichterreichen einer bestimmten Entwicklungsstufe, die eben damit erklärt werden kann, dass sie eine »Jugofrau« ist. Dies erklärt dann auch, dass, wie im Beitrag beschrieben, diese Frau zwar weiß, was Emanzipation heißt, dass der (n)urösterreichische Mann aber trotzdem jede Rechnung zahlen muss. Sie hat sich, so die Unterstellung, zwar Wissen angeeignet, dieses aber nicht verinnerlicht, d.h., sie verfügt nicht über den als richtig beschriebenen Habitus. Gleichzeitig kann diese Bewertung auch als klassitisch verstanden werden: So wird Frauen der unteren Schichten zugeschrieben, sie wären sexuell (zu) freizügig, wobei selbst der Aufstieg in eine höhere Schicht bzw. Klasse nicht gewährleistet, dass die ›falschen‹ Eigenschaften abgelegt werden (vgl. Skeggs 2004). Gerade in Bezug auf die Gruppe der ›Migrant_innen‹ aus dem ehemaligen Jugoslawien ist das interessant: Sind diese doch ursprünglich und häufig in den 1960er- und 1970erJahren als ›Gastarbeiter_innen‹ nach Österreich gekommen und entsprechend in den untersten Segmenten des Arbeitsmarktes tätig gewesen, so sind es heute die Kinder und Enkelkinder dieser Menschen, die immer häufiger den Weg an die Universitäten finden. Die Unterstellung des Beitrags ist dagegen, dass diese Menschen bzw. Frauen zwar Ambitionen entwickeln und eine Karriere anstreben können, im Grunde aber ihrer ›eigentlichen‹ Klasse verhaftet bleiben. Auf dem zweiten Foto scheint die Frau zu feiern. Sie trägt ein kurzes, ärmelloses und tief dekolletiertes Minikleid, hält in der einen Hand eine Zigarette, in der anderen ein Getränk, hat beide Arme über dem Kopf erhoben und lacht. Diese Frau wird als »Daddys Girl« (ebd.) vorgestellt, die in Lokalen zu finden ist. Der Text zum Bild bezeichnet diese »Typin« dann auch als »Miss Vaterkomplex«.
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Abb. 1: »Jugofrauen«
Quelle: biber Mai 2011: 29 f.
Sie wird als jemand beschrieben, von der die (n)ur-österreichischen Leser die Hände lassen sollten, wobei als ein Kennzeichen von »Jugofrauen« angegeben wird, dass sie anfällig für einen Vaterkomplex sind. Damit wird angedeutet, dass gerade bei den ›Fremden‹ der Vater wichtig ist – hegemonialen Diskursen zu ›fremden‹ Familien entsprechend, was mit dort angeblich nach wie vor herrschendem Patriarchat zu erklären ist. Diese Frau will »von dir die Bestätigung, die sie von ihrem Vater nie bekommen hat« (ebd.: 29). Der »Jugo-Vater« erscheint also als einer, der keine ›richtige‹ Beziehung zu seiner Tochter hat, sie nicht liebevoll behandelt oder ernst nimmt. Der Tochter wird entsprechend unterstellt, deswegen einen Komplex zu haben und gewissermaßen beschädigt zu sein. Diese Frau wird in der Folge – implizit wegen dieser Beschädigung durch den Vater bzw. die entsprechende rückständige Kultur – sogar als so ›beschädigt‹ beurteilt, dass sie laut biber kein »Beziehungsmaterial« ist. Dennoch ist sie, so der Autor des Beitrags, gut für verrückten Sex, der dann klappt, wenn der Mann genug Geld für Alkohol ausgibt. Damit wird nicht nur unterstellt, dass die Frau sich kaufen lässt (wie Material eben), sondern sie muss auch »abgefüllt« werden, um »willig« zu sein. Wie nah das an einer Vergewaltigung ist, wird hier nicht angesprochen. Vielmehr wird ihre »Ich-geh-nicht-mit-jedem-ins-Bett«Attitüde als etwas bezeichnet, das sie mit Alkohol ablegt, so ›ernst‹ ist sie also nicht zu nehmen. Den Lesern wird dann noch mitgegeben: Nach dem Sex wird die Frau einem zwar nachlaufen, aber das sollte man ignorieren, weil man dann sonst zu viele Probleme hat. Der einzige mögliche Weg für eine gemeinsame Zukunft ist, wenn der Mann komplett dem Vater der Frau entspricht. Es wird al-
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so vermittelt, dass für diese Frau womöglich nur ein »Jugomann« infrage kommt, der sie genauso schlecht behandelt wie der Vater. Die dritte »Typin«, »Die Verschwaboisierte« (ebd.), wird nicht bildlich dargestellt, d.h., sie wird lediglich beschrieben. Ihre Eigenschaften widersprechen laut des Beitrags sämtlichen Klischees über »Jugofrauen« – so ist sie »das südländische Äquivalent zur Schwabofrau« (ebd.) – was allerdings nicht dazu führt, dass die Klischees hinterfragt werden, sondern dazu, dass ihr abgesprochen wird, eine ›richtige‹ »Jugofrau« zu sein. Diese Kategorie wird also wiederum dazu verwendet, Stereotype zu beschreiben. So ist es für eine richtige »Balkanfrau« angeblich unvorstellbar, ihren Mann zu verwöhnen, ohne dafür eine Gegenleistung zu verlangen. Damit wird das Bestehen auf der Wechselseitigkeit von Beziehungen als etwas Problematisches gesehen, das eben nicht (n)ur-österreichisch ist. Vielmehr erscheint gerade die »Jugofrau« berechnend und eben nicht genuin liebevoll oder gar selbstlos. Die »Jugofrau« dient dabei als Folie, von der sich die (N)Ur-Österreicher_innen positiv abheben. Diesen Prozess hat etwa Gabriele Dietze (2009) mit dem Konzept der Okzidentalen Dividende auf den Punkt gebracht. Den (n)ur-österreichischen Leser_innen wird mit dem Beitrag die Möglichkeit geboten, sich gegenüber den beschrieben Frauen überlegen zu fühlen. Die »Verschwaboisierte« wird auch am ehesten als »Beziehungsmaterial« beschrieben: Sie ist brav, gehorsam und »bedient dich mit äußerster Hingabe«, auch wenn sie dabei manchmal die Augen verdreht (ebd.). Dass diese Eigenschaften weniger ›typischen‹ (N)Ur-Österreicherinnen als eher den Frauen zugeschrieben werden, die vor allem aus Osteuropa oder Asien stammen und (n)urösterreichischen Männern als ›Importbräute‹ angepriesen werden, wird von den Autor_innen komplett ausgeklammert. So könnte man argumentieren, dass die Eigenschaften, die diese »Typin« der »Jugofrau« für (n)ur-österreichische Männer angeblich attraktiv macht, weniger jene sind, die sie zu ›echten‹ (N)UrÖsterreicherinnen machen (würden), sondern eher zu stereotypen ›orientalischen‹ Frauen, deren Darstellung bzw. Konstruktion durch westliche, hegemoniale Diskurse bestimmt ist. Im letzten Satz wird die »Verschwaboisierte« dann aber doch noch als nicht wirklich perfekt beschrieben. So ist sie »meist extrem gebildet« (ebd.), weswegen die Männer, die bei ihr »landen« wollen, auch selbst »wirklich was in der Birne« (ebd.) haben sollten. Ob die »extreme« Bildung nicht einfach ›nur‹ einen Hochschulabschluss bedeutet und nur insofern extrem ist, als gerade »Jugofrauen« nicht als hoch qualifizierte Personen imaginiert werden, bleibt offen. Auf dem dritten Foto sieht die Abgebildete schließlich ernst in die Kamera. Nur ihre Arme sind nackt. Sie trägt eine Brille und einen Jutebeutel. In diesem
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ist eine Ausgabe von Der Standard zu sehen, ihre Haare sind offen und wirken unfrisiert. Sie wird als »Die Jugozipierte« bezeichnet und hat »Jugoslawien so ziemlich hinter sich gelassen« (ebd.: 31). In der Bildunterschrift ist festgehalten, dass sie davon überzeugt ist, etwas Besseres als ihre Landsfrauen zu sein. Hier wird eine angebliche Konkurrenz zwischen »Jugofrauen« beschrieben bzw. auch, dass jene, die ihre ›Wurzeln‹ hinter sich gelassen haben, sich als etwas Besseres sehen als jene, die ihrer – rückständig gedachten – Kultur nach wie vor verhaftet sind. Dass diese Sicht auch jener der des Beitrags entspricht, wird nicht erwähnt. Sie eignet sich laut Beschreibung vor allem für »SchwaBobo-Männer, weil sie sich für Kultur und Literatur interessiert«, d.h., sie ist für jene Männer interessant, die selbst eine Mischung zwischen Schwabos und Bobos sind. Ob damit auch gemeint ist, dass »Jugomänner« an sich für sie nicht infrage kommen bzw. auch nur jene, die auch – wie sie – Bobos sind, bleibt offen. Wie die »Verschwaboisierte« wird sie als gebildet (hier: »intellektuell«) beschrieben. Damit entsteht der Eindruck, dass die »Jugofrauen« sich umso mehr von ihren ›eigentlichen‹ Eigenschaften entfernen, umso mehr Bildung sie erlangen. Die Bildung erscheint dabei als der Weg, das ›richtige‹ Verhalten zu erlernen. Es ist also durchaus möglich, die ›eigene Kultur‹ hinter sich zu lassen – zumindest zum Teil. So gibt sich die »Jugozipierte« laut biber zwar freundlich und zuvorkommend, aber »hin und wieder blitzen noch ein paar Jugo-Eigenschaften durch« (ebd.) – etwa wenn im Restaurant jemand versucht, ihr ihren Sitzplatz wegzunehmen: »Dann wirft sie sich auf den Tisch und winkt wie verrückt« (ebd.). In einer Situation, in der nicht die (schulische) Bildung, sondern eher die Erziehung und Gefühle/Affekte eine Rolle spielen, kommt ihr ›eigentliches‹/›wahres‹ Wesen zum Vorschein. Nicht zuletzt vermittelt die Wortwahl bei der Beschreibung, dass sie sich freundlich und zuvorkommend gibt, dass sie in Wahrheit nur vorgibt, so zu sein, womit sie wiederum im besten Fall als nicht authentisch, im schlimmsten Fall aber als verlogen und falsch erscheint. Sie benimmt sich zudem »wie verrückt«, d.h., ist nicht schlicht leidenschaftlich oder engagiert, sondern geradezu wahnhaft. Insgesamt wird das Verhalten jeder ›Unterart‹ auf ihre nationale Kultur zurückgeführt bzw. auch auf die Abkehr von dieser, womit Kultur die entscheidende Rolle eingeräumt wird. Die als homogen beschriebene ›Jugoslawische Kultur‹ dient als Bezugspunkt der Erklärungen. Es ist vor allem die kulturelle Identität der Frauen, die entscheidend ist. Es wird auch deutlich, dass für die Autor_innen die ›(ex-)jugoslawische Kultur‹ eine fixierte, altmodische ist. Die Frauen, denen zugesprochen wird, dass sie sich nicht entsprechend dieser Kultur verhalten, werden gerade nicht als Vertreterinnen einer neuen – möglicherweise weiterentwickelten – Version oder gar einer transkulturellen, hybriden Form beschrieben,
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sondern als keine authentischen Vertreterinnen ihrer als essenzialistisch gedachten Kultur. Dennoch vereinen sie in sich Eigenschaften, die z.T. der jugoslawischen, z.T. der österreichischen Kultur zugesprochen werden und können damit auch als interkulturell gelten. So scheinen die Autor_innen des Beitrags die Sicht zu vermitteln, in der sich einzelne Kulturen unversöhnlich gegenüberstehen bzw. als einheitliche und geschlossene Fragmente in einer Person bestehen. Die Leser_innen können aber dennoch manche der beschriebenen »Typinnen« als Personen sehen, die verschiedene Aspekte gleichzeitig in sich vereinen, die nicht unbedingt nationalstaatlich zu erklären sind bzw. keiner bestimmten, essenzialistischen Kultur zugeordnet werden können. Problematisch ist dennoch, dass laufend beschrieben wird, was eine »echte Balkanfrau« ist. Auch wenn sich manche von den »Typinnen« von manchen Eigenschaften verabschiedet haben, sind sie dennoch nach wie vor »Jugofrauen« – eben weil die Vorstellung, dass sie manche Eigenschaften erst hinter sich lassen mussten, implizit vermittelt, dass sie diese Eigenschaften zumindest vor ihrer (Weiter-)Entwicklung hatten. So ist auch die »Verschwaboisierte«, die insgesamt am positivsten geschildert wird, trotz der Tatsache, dass sie nichts ›Fremdes‹ mehr an sich hat, nach wie vor in der Typologie verankert. Nicht ihr Verhalten sorgt dafür, dass sie der Gruppe der »Jugofrauen« zugerechnet wird, sondern ihre Herkunft – analog zu ›Menschen mit Migrationshintergrund‹. Nur mit dieser »Typin« sind für den (n)ur-österreichischen Partner keine Probleme zu erwarten, mit den anderen sind – aufgrund ihrer Kultur – zumindest zeitweise (Kultur)Konflikte vorprogrammiert. So bleibt auch der Beitrag hegemonialen Diskursen verhaftet, und die Grenzen zwischen (N)Ur-Österreicher_innen und den »Jugofrauen« bleiben bestehen. Die »(ex)jugoslawischen« Eigenschaften sind klar negativ konnotiert und werden als rückständig geschildert. »Miss Vaterkomplex«, die noch am meisten ihrer ›eigentlichen Kultur‹ verhaftet ist, kommt gar für (N)Ur-Österreicher nur als ›Gebrauchsmittel‹ infrage. Die Autor_innen erteilen den (n)ur-österreichischen Leser_innen damit quasi die Erlaubnis, diese Frau(en) mit Alkohol gefügig zu machen und zu benutzen – eben weil sie das aus ihrer Kultur angeblich schon gewohnt sind. Und auch der Titel des Beitrags stellt fest, dass kein Happy End zu erwarten ist: Mit »Balkanfrauen« kann es – so das Bild, das den Leser_innen unterbreitet wird – eigentlich nur zum »Supergau« kommen. Den Leser_innen wird folglich suggeriert, dass der Kultur eine entscheidende Rolle zukommt. Gleichzeitig ist gerade für jene Leser_innen, die selbst über einen exjugoslawischen ›Migrationshintergrund‹ verfügen, keine positive Identifikation möglich. Alle ›Typinnen‹ sind im Grunde negativ und es ist wenig bis gar nicht erstrebenswert, zu ihnen gerechnet zu werden. Gleichzeitig bleibt der Beitrag vollkommen der heterosexuellen Matrix verhaftet. Nicht nur
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ist ausschließlich die Rede davon, dass es hier um heterosexuelle Beziehungen geht, es ist der männliche Leser, für den ein Service geboten wird. Je nach seinen Bedürfnissen werden die Frauen beurteilt, einen eigenständigen Wert scheinen sie nicht zu haben. Dass der Beitrag aber auch einige Ironiesignale enthält (etwa die deutlich überhöhte, stereotype Darstellung der »Typinnen«), kann als Relativierung des Geschriebenen verstanden werden. Die Leser_innen können das Ganze als Ironie verstehen und eben nicht als Identifikationsangebote. Nicht zuletzt dient Ironie als ›Entschärfung‹. Auch wenn hier höchst sexistische Inhalte verbreitet werden, können sich die Autor_innen auf die Position zurückziehen, alles sei ja nur im Spaß gesagt. Den Leser_innen, denen kein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, vermittelt man in diesem Beitrag, dass sie sich in einer überlegenen Position befinden. Für sie wird ein Service bereitgestellt. Ihre Perspektive ist die entscheidende, und sie können wählen, wen sie benutzen.
Kultur im Wandel: Botschafter_innen als Lernende Ein anderer Beitrag, der zwischen beiden Sichtweisen/Strategien zu vermitteln vermag, stellt das Verstehen kultureller Codes in den Vordergrund (Die geheime Höflichkeit, b3: 44). Bei diesem wird deutlich, dass auch in biber Kultur durchaus als im Wandel gesehen wird, auch wenn vordergründig wiederum Stereotype bemüht werden. Auf zwei Seiten werden Höflichkeitsfloskeln von Iraner_innen vorgestellt, wobei in der Einleitung festgehalten wird, dass im Gespräch mit Iraner_innen Vorsicht geboten ist: »Sie könnten freundlicher erscheinen, als sie sind [und sollten] nicht unbedingt beim Wort genommen werden.« (b3: 44) Damit wird vordergründig unterstellt, dass Iraner_innen nicht authentisch sind und auch nicht vertrauenswürdig. Diese Sichtweise wird dann im Laufe des Beitrags allerdings kontextualisiert und relativiert. Der Beitrag stammt von einem jungen Mann, der auf zwei Fotos zu sehen ist und zunächst seine Erlebnisse schildert, bevor die Leser_innen dann einen Test absolvieren können, der ihre Kenntnisse der ›richtigen‹ Bedeutung iranischer Floskeln prüft. Der Autor, Toumaj Khapur, legt dar, dass er zwar selbst in der persischen Community aufgewachsen ist (ohne dass ausgeführt wird, wo genau), aber dennoch die im Text beschriebenen Codes erst lernen musste. So hat er bei einem Besuch im Iran die Höflichkeit der Menschen für bare Münze genommen und entsprechend falsch gehandelt. Er beschreibt die Höflichkeit im Iran und der persischen Community als Kunstform, die auch einen eigenen Namen trägt: Ta’rof. Interessant sind hier die Widersprüche in der Darstellung der genuinen persischen Kultur: Der Autor erörtert zwar laufend, dass sich Iraner_innen so verhalten und dass die Codes Teil ihrer Kultur
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sind, dennoch muss er – obwohl er Teil der Community ist – das angemessene Verhalten erst mühsam erlernen. Kulturelle Codes erscheinen damit gleichzeitig als etwas genuin Inhärentes und als etwas, das erst erlernt werden muss, und zwar nicht nur von ›Fremden‹. Nicht zuletzt stellt der Autor fest, dass einige Perser_innen von »versteckten Botschaften und Geheimcodes« (b3: 44) nichts mehr halten, obwohl Ta’rof »eine wichtige Errungenschaft für alle Iraner [ist], da sie die altpersische Kultur aufrecht erhält« (ebd.: 45). Es gibt also sehr wohl ein Ringen um die richtigen Verhaltensweisen und darum, was Teil der ›eigenen Kultur‹ sein sollte. Der Artikel ist insgesamt launig gehalten und auch informativ. Der Autor nimmt die Formeln zwar wichtig, beschreibt den Kontext aber auch in einer Art und Weise, die die Formeln in ihrer Bedeutung für die Community deutlich werden lässt, ohne dass behauptet wird, dass das Beschriebene für die gesamte Community zutrifft oder gar von allen Menschen verwendet werden sollte. Insgesamt wird also ein viel differenzierteres Bild von »den Iranern« und der »persischen Kultur« vermittelt, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Und es wird deutlich, dass das Verhalten im Rahmen einer Kultur nicht von allen – angeblichen – Mitgliedern dieser Kultur geteilt wird. Gerade junge Menschen und jene, die nicht im ›Ursprungsland‹ leben, müssen, so macht es der Beitrag deutlich, die entsprechenden Codes erst lernen. Sie sind keine ›natürlichen‹ Eigenschaften einer Gruppe. Damit widerspricht die Schilderung hegemonialen Diskursen, wonach migrantische Communities über genuine Kulturen verfügen, die gewissermaßen auf dem Ursprungsort fixiert und erstarrt sind. Die Leser_innen werden angeregt, die Kultur des Autors nicht essenzialistisch zu denken, indem diese als etwas darlegten, das sich im Wandel befindet und auch erst antrainiert werden muss. Dass der junge Mann seine ›eigentliche Kultur‹ auch erst lernen muss und auf dem Weg dorthin in einige Fettnäpfchen tritt, wird entgegen dominanten Diskursen, die dies als Verlust dramatisieren, als nicht besonders schlimm beschrieben. Er holt jenes Wissen, das für ihn relevant ist, einfach nach. Gleichzeitig fungiert er als Botschafter und Vermittler. Durch seine Außenperspektive eines Menschen, der erst bewusst lernt, kann er auch anderen die Dinge deutlich machen. Gerade diese Funktion wird ›Migrant_innen‹ häufig zugesprochen, wobei ihnen aber in hegemonialen Diskursen meist unterstellt wird, sie würden per se Expert_innen der ›eigenen Kultur‹ sein. Hier wird das Gegenteil deutlich: Auch sie lernen erst, können aber dennoch als Botschafter_innen fungieren.
Geschlecht(-erverhältnisse) aus postmigrantischer Perspektive So what if this new nomadic subject looks, feels, and sounds unusual? S/he is monstrous, mixed, hybrid, beautiful, and guess what…? S/he is laughing! (Braidotti 2011: 54)
Sowohl in biber als auch in migrazine steht Geschlecht laufend im Fokus der Aufmerksamkeit, wobei jeweils unter Einbeziehung einer postmigrantischen Perspektive ausgehandelt wird, welche Bedeutung Geschlecht zukommt. Während allerdings in migrazine dabei vor allem die Kategorie Geschlecht im Zusammenhang mit anderen Kategorien diskutiert wird, betrachtet biber den Komplex Körper, Geschlecht und Beziehungen. Einerseits wird dabei der z.T. als bedrohlich geschilderte Wandel von Geschlechterbeziehungen beleuchtet, andererseits ausgehandelt, welche Bedeutung dem Islam in Bezug auf Geschlecht und Feminismus zukommt.
GESCHLECHT AUS INTERSEKTIONALER PERSPEKTIVE Bei migrazine stellt Geschlecht eine Querschnittsperspektive dar, die in fast jedem der analysierten Beiträge eingenommen wird. Entsprechend wird Geschlecht als eine Kategorie unter anderen auch in vielen der Beiträge, die weiter oben näher betrachtet wurden, miteinbezogen. Daraus ergibt sich, dass die im Folgenden diskutierten Beiträge exemplarisch behandelt werden, ohne zu behaupten, dass dieser Aspekt nur in diesen eine ausgeprägte Rolle spielt. Die Tatsache, dass Geschlecht als Kategorie laufend thematisiert wird, macht deutlich, dass migrazine in den Beiträgen das einlöst, was die Selbstdarstellung des Magazins verspricht: Hier geht es darum zu zeigen, wie unterschiedliche Kategorien
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zusammenspielen. Das bedeutet, dass gerade in diesen Beiträgen die Debatten um Intersektionalität Eingang finden. Die Forderung der Autor_innen ist zumeist, dass vor allem Geschlecht und Migration zusammengedacht werden müssen, wobei gerade dann Kritik geübt wird, wenn nur Geschlecht in den Vordergrund gerückt wird. Insofern handelt es sich durchaus um eine innerfeministische Debatte und Kritik, bei der es nicht darum geht, Feminismus oder Feminist_innen abzulehnen, sondern ihnen bzw. den Leser_innen zu zeigen, dass ihr Blick breiter sein muss. Obwohl die Kritik potenziell als Schwächung der ›Feministischen Sache‹ gesehen werden könnte, ist sie eher als produktive Herausforderung zu beurteilen, die zu einer Schärfung feministischer Kritik führen kann und sollte.
Gemeinsam feiern? Der Beitrag Feminist Birthday Club (m1: 14) von Vina Yun ist Teil des Schwerpunkts zum 100-jährigen Bestehen des Internationalen Frauentages. Der Titel spielt dabei auf die Tatsache an, dass das Bestehen einerseits – und vor allem von Feminist_innen – gefeiert wird, dass allerdings andererseits jene, die feiern, als Teil eines Clubs gesehen werden können, dem längst nicht alle angehören (können). Feminismus, so das Bild hier, kann durchaus als etwas verstanden werden, das exklusiv ist und dem man erst beitreten kann, wenn man bestimmte Bedingungen erfüllt hat. Die Frage, wer bei den Feierlichkeiten dabei ist oder nicht, ist dann auch tatsächlich jene, die die Autorin im Laufe des Beitrags zu beantworten versucht. Der Fokus ist dabei auf die Jubiläumsausstellung Feste. Kämpfe. 100 Jahre Frauentag im Österreichischen Volkskundemuseum gerichtet, die von der Autorin besichtigt wurde und von ihr auf den Prüfstand gestellt wird. So weist die Autorin gleich zu Anfang darauf hin, dass am 19. März 1911 zwar 20000 Menschen, mehrheitlich Frauen, in Wien marschierten, um gleiche Rechte für Frauen zu fordern. Allerdings, so Yun, fanden ähnliche Märsche auch in anderen europäischen Städten und den USA statt. Der Verweis auf den genuin internationalen Charakter der Frauenbewegung dient hier dazu, den Leser_innen zu vermitteln, dass der Anlass zwar für Österreich wichtig sein mag, allerdings nicht nur aus einer rein (n)ur-österreichischen Perspektive betrachtet werden sollte. Vielmehr, so die Botschaft an die Leser_innen, hat bereits vor 100 Jahren eine internationale Vernetzung stattgefunden, die von migrazine laufend auch für aktuelle queerfeministische Kämpfe gefordert wird. Gleichzeitig weist die Autorin darauf hin, dass auch in Österreich bereits 1911 Frauen aus verschiedenen politischen Lagern gemeinsam für Rechte gekämpft haben und entsprechend
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schon damals Bündnisse gebildet haben, die noch heute Vorbildwirkung haben können. Während migrazine also laufend betont, dass Bündnisse notwendig sind, zeigt Yun hier auf, dass sehr wohl eine lange Tradition von Bündnispolitiken besteht und dass es sich bei den Forderungen nach Vernetzung und Solidarität um nichts Neues handelt. Vielmehr, so die Botschaft, kann auf historische Vorbilder zurückgegriffen werden. Die Ausstellung, um die im Text diskutiert wird, ist Ergebnis eines Forschungsprojekts zum Internationalen Frauentag des Wiener Kreisky/DohnalArchivs. Es wird angegeben, dass die Ausstellung noch bis zum 30. Juni 2011 zu sehen ist. Das bedeutet, dass sich jene Leser_innen, die den Beitrag zum Zeitpunkt seines Erscheinens gelesen haben, diese noch ansehen konnten. Yun zitiert die Projektbeschreibung, die feststellt, dass es sich um einen öffentlichen Festtag handle, der zur Etablierung »eines politisch handelnden Subjekts ›Frau‹« beigetragen habe. Zudem sollen, so die Projektbeschreibung, sowohl die transnationale Zusammenarbeit als auch unterschiedliche Positionierungen von beteiligten Akteur_innen thematisiert werden. Die Geschichte des Frauentags wird von Yun zusammengefasst. Das bedeutet, dass auch jene Leser_innen, die mit dieser noch nicht vertraut sind, einen Überblick bekommen: So betont Yun, dass der Frauentag stark mit kommunistischen Traditionen verknüpft ist und der 8. März erst 1975 als Weltfrauentag festgelegt wurde. Nicht zuletzt, so Yun, zeigt sich an der Geschichte des Frauentags auch der Kampf um Einordnung und Definitionsmacht. So schufen die Nationalsozialisten den Frauentag ab und führten den Muttertag ein. Je nach politischer Ausrichtung wurden also verschiedene Dinge und Tage gefeiert. Die Autorin hält fest, dass das auch in der Ausstellung sichtbar wird. Den Leser_innen wird folglich die Komplexität des Themas vermittelt und auch wiederum verdeutlicht, dass auch hier unterschiedliche Perspektiven auf die Ereignisse bestehen und es darum geht, herauszuarbeiten, wie herrschende Machtverhältnisse Sichtweisen prägen oder auch bestimmen. Nicht zuletzt zeigt sich, dass es aufgrund der vielfältigen Perspektiven auch zu Schwierigkeiten kommen kann. So stellt Yun fest, dass die Ausstellungsmacher_innen zwar sagen, dass sie auch die Brüche sichtbar machen wollen, sie wendet allerdings ein, dass ihnen das nicht gelungen ist: »weil die Heterogenität der Forderungen und Protagonist_innen, die den Frauentag als Plattform für ihre jeweiligen Agenden nutzen, kaum auf den Nenner ›Frau‹ zu bringen sind« (m1: 14). Obwohl hier also mit der Bezeichnung und Kategorie Frau gearbeitet wird, sind die Dinge kompliziert, weil diese Kategorie an sich komplex ist und auch mit anderen Kategorien in Verbindung gebracht werden muss. Als Beispiel nennt die Autorin einen Ausschnitt aus der Ausstellung, in dem es um ›Migrantinnen‹ geht: Dort wird ausdrücklich auf diese eingegangen und festgehalten, dass ›Mehr-
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heitsösterreicher_innen‹ zwar deren Gleichstellung fordern, oft aber von stereotypen Vorstellungen geleitet sind. Die Gestaltung wird von der Autorin kritisiert: Denn es kommt nur eine ›Migrantin‹ zu Wort, man hört sie allerdings aufgrund der baulichen Gegebenheiten kaum, und es wird nicht klar, ob »Migrant_innen in erster Linie Frauen [sind], die erst in zweiter Linie eine Migrationsgeschichte haben« (ebd.). Ebenso, so Yun, »bleibt jegliche Erklärung aus, welche Rolle ›Migration‹ zur ›Etablierung eines politisch handelnden Subjekts ›Frau‹ spielt«. Der kritische, postmigrantische Blick auf die Ausstellung fließt dann auch abschließend ein, wenn die Autorin feststellt, dass die Ausrufung des Internationalen Frauentages »eingebettet [war] in den historischen Kampf für politische Partizipation von Frauen und soziale Arbeiter_innenrechte« und es deswegen »bemerkenswert [ist], dass im Zusammenhang zum 100-jährigen Frauentagsjubiläum kein Wort darüber verloren wird, dass Migrant_innen in Österreich (und anderswo) kein politisches Mitspracherecht besitzen. Und so sind auch im ›Feminist Birthday Club‹ nicht alle Frauen gleich.« (Ebd.) Auch wenn die Autorin die Ausstellung und den Frauentag also an sich positiv bewertet, zeigt sie doch auf, dass die Ausstellung gerade bei der Verknüpfung der postmigrantischen mit der feministischen Perspektive scheitert. Den Leser_innen wird damit vermittelt, dass es eben nicht reicht, nur die Kategorie Geschlecht in den Fokus zu rücken. Das heißt, dass Frauen nicht lediglich auf ihr Frausein reduziert werden dürfen. Gleichzeitig kann man den Macher_innen der Ausstellung allerdings nicht den Vorwurf machen, dass sie die Migrationsperspektive gänzlich vernachlässigen. Es ist vielmehr die Art und Weise, wie diese einbezogen wird, die Yun kritisch betrachtet. Nicht zuletzt weist sie darauf hin, dass es auch notwendig ist, das Thema nicht nur rein historisch zu betrachten, sondern auch aufzuzeigen, dass die Kämpfe für manche Frauen nach wie vor nicht gewonnen sind. Dieser Beitrag ist gerade deswegen interessant, weil migrazine hier auf Ausschlüsse hinweist, die in der feministischen Bewegung vorhanden sind, gleichzeitig aber auch wiederum hoch gesteckte Erwartungen an den ›richtigen‹ Feminismus beschreibt: Wie weiter oben beschrieben, kann gerade die Sichtweise, dass man entweder dem ›richtigen‹ Feminismus folgen muss, um Teil des Clubs zu sein, wiederum Ausschlüsse produzieren. Wenn also vermittelt wird, dass das Bemühen um Einbeziehung Marginalisierter nicht reicht, um vor (teils deutlicher) Kritik geschützt zu sein, wenn das Bemühen nicht ›korrekt‹ ist, stellt sich die Frage, ob manche, die an sich bereit sind, sich zu bemühen, nicht eher abgeschreckt werden. Nichtsdestotrotz führt allerdings berechtigte Kritik durchaus dazu, dass feministische Kritik geschärft und damit auch gestärkt wird – gerade dann, wenn Feminismus nicht als Angelegenheit von Frauen verstanden wird, sondern als Grundlage für Bündnisse.
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Carearbeit aus postmigrantischer Perspektive Der Beitrag Cura-tierte Problemfelder (m2–3: 14) von Lisa Bolyos befasst sich ebenfalls mit einer Ausstellung, nämlich mit Jenseits des Helfersyndroms III in der IG Bildende Kunst. In dieser sind »künstlerische Positionierungen im arbeitskämpferischen Feld von Pflege und Betreuung« versammelt, die laut der Autorin »vor allem Erstaunen hervor[rufen]« (ebd.: 14). Im Fokus steht dabei die Auseinandersetzung um bessere Arbeitsbedingungen in der Carearbeit, wobei eine differenzierte Perspektive eingenommen wird. So beschreibt Bolyos einige der Beiträge näher und beurteilt diese nicht nur auf einer künstlerischästhetischen Ebene (etwa, wenn sie feststellt, dass ein Film das Thema Pflege »wie Schulfernsehen, das ein wenig zu realistisch geraten ist«, behandelt), sondern vor allem hinsichtlich ihres Kontextes. Interessant ist dabei vor allem, dass hier ein Thema, nämlich Pflege und Betreuung, das zumeist als ein ›Frauenthema‹ behandelt wird, von der Autorin aus einer intersektionalen Perspektive betrachtet wird. Deutlich wird das, wenn sie den Dokumentarfilm Lotería von Janina Möbius diskutiert, der laut der Autorin nicht nur als einziger Ausstellungsbeitrag »Klasse und Rassismus als zentrale Bedingungen für das beschriebene Arbeitsverhältnis« zeigt. In dem Film, so die Autorin, erzählen weiße Kulturschaffende in Mexiko und ihre »Kinderfrauen« über ihre Arbeit und ihr Verhältnis zueinander, wobei deutlich wird, dass die Angestellten Hierarchien unterworfen sind, die mit kulturalisierenden Zuschreibungen verfestigt werden, während gerade die Tatsache, dass es sich um ein intimes Arbeitsverhältnis handelt, die Abhängigkeit der Angestellten befördert. Obwohl hier auf beiden Seiten Frauen stehen, so die Botschaft an die Leser_innen, sind andere Kategorien entscheidend und wichtiger. Während dieser Beitrag von der Autorin gutgeheißen wird, beschreibt sie den »unbeholfenen« Umgang der Kurator_innen mit Kritik an der vorangegangen Ausstellung, die zuvor in Berlin gezeigt wurde. In dieser, so die Autorin, wurden die Anliegen der Pflegenden in den Fokus gerückt, d.h. schlechte Arbeitsbedingungen thematisiert. Auch wenn dies als legitimes Anliegen beurteilt wird, stieß die Art der Umsetzung auf Kritik, da behinderte Menschen als Objekte der Pflege und vor allem als Belastung dargestellt wurden. Die Kurator_innen der aktuellen Ausstellung haben dieser Kritik zwar mit einer Podiumsdiskussion und einer zusätzlichen Arbeit begegnet, dennoch stellt die Autorin fest, dass »etwas mehr Kritik- und Reflexionsfähigkeit« notwendig wäre. So begrüßt sie die zusätzliche Arbeit, Simon Rawles Bilderserie Migrant Care Workers, die Pfleger_innen mit den Menschen, die sie pflegen, thematisiert, da dieser »beide Hierarchie-Achsen sichtbar [macht]: die der migrantischen Arbeit und weißen Inanspruchnahme sowie die der Bedürftigkeit der Unterstützungs-
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leistung.« Nichtsdestotrotz stellt diese für die Autorin allerdings »kein ausreichendes Gegengewicht zur fehlenden Solidarität mit den Pflegenehmer_innen« dar. Der Beitrag verdeutlicht den Leser_innen folglich, welche Rolle Klasse, Migration und Behinderung spielen, wenn es um die Frage der Betreuung und Pflege geht. Insgesamt kritisiert die Autorin scharf, wenn nur eine eingeschränkte Perspektive eingenommen wird. Das bedeutet, auch hier wird den Leser_innen vermittelt, dass es darauf ankommt, multiperspektivisch zu denken. Es zeigt sich allerdings auch, dass dies nicht einfach ist, weil unterschiedliche Forderungen bestehen: So ist gleichzeitig legitim, dass Pfleger_innen bessere Arbeitsbedingungen fordern, und auch, dass Pflegenehmer_innen mit Respekt und Achtung behandelt werden möchten. Für die Autorin handelt es sich dabei allerdings nicht notwendigerweise um Widersprüche, sondern sie betont eher, dass die Beteiligten Solidarität miteinander üben sollten.
GESCHLECHTERROLLEN IM WANDEL Wenig verwunderlich geht es in biber als einem Magazin, das sich (auch) an Jugendliche wendet, laufend auch um den Komplex Körper, Geschlecht und Beziehungen bzw. die Beziehung zwischen Frauen und Männern. Dass an dieser Stelle von Beziehungen von Frauen und Männern die Rede ist, ist kein Zufall: Verweise auf nichtheterosexuelle Lebensweisen finden sich in den analysieren Ausgaben bis auf sehr wenige Ausnahmen keine. Entsprechend wird den Leser_innen deutlich ein heterosexueller Lebensstil nahegelegt. Explizit angesprochen werden nichtheterosexuelle Lebensweisen in nur drei Beiträgen: Erstens verwehren sich in einem Beitrag zum Schönheitshandeln von Männern die Porträtierten gegen den Vorwurf bzw. die Sichtweise, sie wären homosexuell (Too Sexy for my Brusthaare, b1: 30–35, siehe weiter unten). Zweitens werden in einem Bericht über das Buchprojekt Liebe grenzenlos (b4: 33, siehe weiter unten) auch homosexuelle Beziehungen als eine Variante von Beziehungen, die auf Probleme stoßen, thematisiert. Drittens ist ein sich küssendes, männliches Paar zu sehen, und zwar im Rahmen des Berichts über eine Straßenumfrage, die Passant_innen die Frage stellte, wen sie im Frühling küssen (b3: 78 f.). Dies ist auch das einzige Mal, dass nichtheterosexuelle Liebesbeziehungen bildlich repräsentiert werden, wobei der Kontext der Darstellung jedoch ambivalent gesehen werden kann. So sind die Antworten der Abgebildeten auf die Frage, wen sie küssen, überraschend selten auf klassische, heterosexuelle Liebesbeziehungen bezogen. Beispielsweise antwortet nur eine der fünf Frauen, die auch jeweils mit Foto, Alter und Beruf zu sehen sind, mit »Ich küsse meinen Freund – wen sonst?!«
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(ebd.: 79), während die anderen davon sprechen, die beste Freundin, die eigene Schwester oder Frühlingsblumen zu küssen. Auch bei den Männern ist es nur einer, der davon spricht, seine Freundin zu küssen – ein anderer küsst seine Kamera, einer seinen Sohn, wobei dieser Kuss auch zu sehen ist. Der einzige andere Kuss, der abgebildet ist, ist jener von zwei Männern. Als ihre Antwort steht neben dem Foto: »Wir küssen uns natürlich gegenseitig!« (Ebd.) In diesem Beitrag, in dem insgesamt die Diversität von Zärtlichkeitspartner_innen verdeutlicht wird, trägt das homosexuelle Paar offensichtlich dazu bei, Vielfalt abzubilden, wobei Homosexualität als eine von vielen Möglichkeiten erscheint. Nichtsdestotrotz wird diese gleichzeitig auch ins Lächerliche gezogen – erscheint die Liebe zwischen den Männern doch in der gleichen Reihe mit dem Mann, der seine Kamera küsst, oder der Frau, die Blumen küsst. Dennoch treten in biber insgesamt traditionelle Frauen- und Männerrollen zutage. Die Möglichkeit, zwischen den Geschlechtern zu stehen bzw. sich zu verorten, wird nicht einmal angedeutet. Auffallend ist dabei, dass analog zu den meisten Beiträgen in biber auch die Beiträge, die sich mit Geschlechterrollen bzw. Liebesbeziehungen befassen, meist mit dem Thema Migration verknüpft sind. Das bedeutet, der ›Migrationshintergrund‹ ist jeweils ein Aspekt, der Erwähnung findet bzw. mitspielt. Im Folgenden werden exemplarisch einige Beiträge, die rund um die Themen Geschlechterbeziehungen bzw. Geschlechterrollen kreisen, diskutiert. Zunächst geht es um Heteronormativität bzw. darum aufzuzeigen, wie Leser_innen aufgerufen werden, sich in diese zu fügen, wobei allerdings auch jeweils ausgehandelt wird, welche Rolle Migration dabei spielt. Anschließend wird aufgezeigt, dass der (mögliche) Wandel von Geschlechterrollen einige Verunsicherung hervorruft. Nicht zuletzt wird auch darauf eingangen, wie in biber die Zusammenhänge von Islam und Geschlecht (-erbeziehungen) thematisiert werden.
Geschlechterbeziehungen In der Ausgabe vom März 2011 werden Singlemänner vorgestellt (b2: 32–35). Im April 2011 sind es dann zwei Frauen (b3: 80), die alle als heterosexuell präsentiert werden. biber fungiert hier als Vermittler bzw. Partnerbörse. In der Ausgabe vom März 2011 – auf derselben Seite wie der Beitrag – ist auch eine halbseitige Werbung für eine Firma zu sehen, die Partner_innen-Tests mit dem Slogan »Ist dein Partner der Richtige für dich?« anbietet (b2: 35). Die biberLeser_innen können den Test laut der Werbung für 6,90 Euro statt der 19,90 Euro absolvieren. Dabei handelt sich um eine Kooperation, die durchaus in der
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Tradition von biber steht. Dass die Werbung in den nachfolgenden Ausgaben nicht mehr erscheint, könnte auch die Erklärung dafür sein, dass das Thema Partner_innen-Vermittlung in biber bis auf eine Ausgabe keine weitere Erwähnung mehr findet. Eben weil kein Werbepartner die Beiträge mitfinanziert, wird über das Thema nicht mehr weiter berichtet. In der Ausgabe vom März 2011 werden zunächst acht junge Männer vorgestellt. Sie sind zwischen 18 und 32 Jahren alt. Die Männer sind abgebildet, ihr Beruf ist angegeben, und es gibt eine kurze Beschreibung und ein Kommentar der Expartnerin. In der Beschreibung wird auch angeführt, was die Männer »mit scharf« (sprich gut) und was »mit schaas« (sprich schlecht) finden. Dazu wird noch erwähnt, wie Interessierte in Kontakt mit den Männern treten können und wo sich jene bewerben können, die auch mitmachen wollen – wobei auch Frauen dabei sein können. Der erste Mann wird als 29-jähriger Wiener mit persischen Wurzeln vorgestellt, der laut biber weiß, wie man Frauen gut behandelt und auch über einen großen Freundeskreis verfügt. Der Zweite wird als Wiener mit böhmisch-mährischen Wurzeln beschrieben, was eine eher exotische Aussage ist und das Bemühen deutlich werden lässt, den Mann als jemanden mit ›Migrationshintergrund‹ erscheinen zu lassen. Er hat in Brasilien gelebt, wird als gebildet und weltoffen präsentiert. Der dritte Mann, ein »Youngster […] aus Sri Lanka« (b2: 33), ist Schülervertreter, wird als fesch bezeichnet und möchte später studieren. Auch der vierte Mann, ein Tunesier, der Arabisch spricht und Eventmanager werden möchte, ist Schülervertreter. Der Fünfte stammt wiederum aus Serbien, seine Zukünftige »muss aber nicht unbedingt eine Jugobraut sein« (ebd.: 34). Auch er wird bald studieren, und zwar Wirtschaft. Der Sechste wird als »sportlicher Mödlinger« beschrieben, der über keinen ›Migrationshintergrund‹ zu verfügen scheint. Er arbeitet als Behindertenbetreuer. Der Siebente spricht Serbisch, Rumänisch, Englisch, Russisch und Griechisch. Allerdings wird nicht klar, woher genau er stammt. Er wünscht sich eine »rassige« und temperamentvolle Frau, »so wie unsere Frauen« (ebd.). Die Nationalität der Frau ist ihm allerdings egal. Auch beim letzten Mann ist der ›Migrationshintergrund‹ nicht klar. Er hat einen türkisch-kurdisch anmutenden Namen, möchte Lehrer werden und träumt davon, nach Japan zu reisen. Alle Männer wirken sympathisch, wenn auch eher durchschnittlich. Sie sind eindeutig keine Models, sondern eher leger gekleidet. Die Kommentare der Expartnerinnen sind insgesamt eher freundlich gehalten. Sie sind Männer von nebenan, wie man sie laufend und überall treffen könnte, werden allerdings durchwegs als ehrgeizig, gebildet, engagiert und mehrsprachig beschrieben. Dazu verfügen sie über jene Eigenschaften, die weiter unten als erfolgversprechend beschrieben wurden. Dass gerade sie als geeignete Partner präsentiert werden,
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spricht dafür, dass sie als Menschen gesehen werden sollen, die für die Leserinnen infrage kommen bzw. dem nahekommen, was sich die Leserinnen von einem Partner wünschen könnten bzw. sollten. Sie werden als die Norm präsentiert, die gilt. So ist auch jenes, was sie sich an einer Partnerin wünschen, als Norm zu sehen. Sie alle beschreiben sehr ähnliche Vorlieben bzw. Abneigungen, die dem entsprechen, was die ideale Partnerin mitbringen sollte und wie die Interessierten sein sollten, um infrage zu kommen. So wünschen sie sich eine Partnerin, die Humor hat, locker und fröhlich ist. Auch körperliche Attribute spielen eine Rolle: Einer wünscht sich eine Frau mit dunklen Augen, ein anderer bevorzugt ein gepflegtes Äußeres. Als schlecht wird Beth Ditto beschrieben, wobei der junge Mann, von dem die Aussage stammt, diese nicht begründet. Es könnte aber sein, dass es um ihr – dickes – Äußeres geht. Ebenso unerwünscht sind »Zicken«, »Tussis« oder auch »Acryl-Nägel«. In der nachfolgenden Ausgabe, jener vom April 2011, werden dann zwei junge Frauen vorgestellt, die ebenso auf Partnersuche sind. Auch diese sind jeweils mit Foto zu sehen, wobei von ihrem Körper mehr zu sehen ist, als das bei den Männern der Fall war. So sind die Frauen bis zum Oberschenkel zu sehen. Ihre Figur kann also um einiges besser begutachtet werden. Auch bei ihnen findet sich eine kurze Beschreibung, was sie gut, was sie schlecht finden und ein Kommentar des Exfreundes. Jelena ist 24 Jahre alt und Krankenschwester. Sie wird als gebürtige Bosnierin vorgestellt, die ein »Feuerwerk« ist. Sie wird als sportlich und vielgereist beschrieben, sammelt High Heels und steht auf »richtige« Männer. Der Ex fasst sie mit dem Satz »Eine richtige Jugofrau« (b3: 80) zusammen. Die zweite Frau, die 23-jährige Gabriela, ist Studentin, arbeitet aber auch. Auch sie ist sportlich, vielgereist und auf Party aus. Zudem ist sie immer gut gelaunt und konsequent. Sie ist blond, hat lange Haare, ist eher sportlich gekleidet und sieht die Leser_innen selbstbewusst an. Beide Frauen entsprechen herrschenden Schönheitsidealen. Beide sind sportlich, jung, selbstbewusst. Bei einer wird explizit auf den ›Migrationshintergrund‹ verwiesen, bei der anderen ist er nicht klar bzw. kann es sein, dass sie über keinen solchen verfügt. Die aus Bosnien stammende Frau scheint zudem den Stereotypen zu entsprechen, die schon weiter oben für »Jugofrauen« beschrieben wurden. So wird etwa auch ihr Selbstbewusstsein mit ihrer Herkunft erklärt. Auffallend ist ebenso, dass hier nur zwei Frauen zu sehen sind. Es könnte also sein, dass Frauen sich eher nicht als Suchende präsentieren wollen. Auch sie beschreiben, was sie suchen, wobei die eine Jason Statham anführt, einen Schauspieler. Sie scheint also konkrete und hoch gesteckte Vorstellungen zu haben. Insgesamt erscheint sie als sehr anspruchsvoll und sie hat eine klare Vorstellung von ihrem Partner, wobei auch körperliche Attribute eine Rolle spielen. Zum
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Beispiel darf er nicht zu viele Brusthaare haben. Gleichzeitig ist ihr auch die Persönlichkeit ihrer Partner wichtig, die keine »Muttersöhnchen« sein dürfen. Insgesamt werden vor allem Singles mit ›Migrationshintergrund‹ präsentiert. Einerseits werden diese den Leser_innen also als ›richtige‹ Partner_innen vorgeführt, andererseits wird nicht explizit festgehalten, dass diese unbedingt Partner_innen mit ›Migrationshintergrund‹ suchen. Wenn das zum Thema wird, wird ›Migrationshintergrund‹ eher umschrieben. So wünscht sich Jelena jemanden, der die selben Werte wie sie hat, ohne deutlich zu formulieren, was diese ausmacht. Ein Mann wünscht sich wiederum eine »rassige« Partnerin, die so ist wie »unsere Frauen« – auch hier wird nicht deutlich ausgesprochen, was gemeint ist. Alle Vorgestellten sind sich jeweils recht ähnlich. Sie werden als die Norm vorgeführt, entsprechen klassischen Schönheitsidealen, erscheinen heterosexuell. Nachdem allerdings der Mehrheit von ihnen auch ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, erscheint das ebenfalls als Norm. Das bedeutet, es ist keine Ausnahme, dass man zugewandert ist, sondern die Norm. Wiederum wird also das Postmigrantische als die ›eigentliche‹ Realität beschrieben, in die sich allerdings auch (N)Ur-Österreicher_innen einfinden können. Während in diesem Beitrag allerdings auch Beziehungen mit Personen, die unterschiedlichen Kategorien zugerechnet werden, durchaus infrage kommen und nicht weiter thematisiert werden, zeigt eine Reihe von Beiträgen, auf die im Folgenden eingegangen wird, dass diese Sichtweise in biber auch hinterfragt wird. In drei der fünf analysierten Ausgaben wird ein Buchprojekt thematisiert, das sich unter dem Titel Liebe grenzenlos mit Liebesbeziehungen befasst. Im April 2011 wird zunächst ein Liebespaar vorgestellt (b3: 8 f.). In einer Infobox werden die Leser_innen aufgefordert, sich bei einem Buchprojekt zu melden und zu erzählen, »wie aus Leid Liebe wurde, was euch verbindet und wie eure Liebe über Religion, Nation und Konvention gesiegt hat!« (ebd.: 9). Diese Geschichten werden gesammelt und veröffentlicht. Jene, die ins Buch aufgenommen werden, bekommen ein »professionelles Top-Fotoshooting, das eure Liebe im besten Licht festhält« (ebd.). Gesucht werden zudem »herzzerreißende Geschichten«. Es stehen Dramen im Vordergrund, Probleme sollen geschildert werden, womit betont wird, dass diese Beziehungen Probleme verursachen. Es wird also davon ausgegangen, dass unterschiedliche Religionen, Nationen etc. überwunden werden müssen. Auch wenn das Projekt zeigen möchte, dass das gelingen kann, sind die Probleme zentral und bestätigt damit eher Huntingtons (1998) These vom Kampf der Kulturen. Den Leser_innen wird zwar vermittelt, dass Beziehungen zwischen Menschen, die als sehr gegensätzlich beschrieben werden, zwar schön sein können, aber im Grunde problematisch sind und offensichtlich zu Proble-
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men führen. Damit wird den Leser_innen suggeriert, dass sie sich in solche Beziehungen nur einlassen sollten, wenn sie bereit sind, Kämpfe auszustehen und sich Kritik auszusetzen. Damit erscheinen diese Beziehungen als wenig erstrebenswert. Unter der Überschrift Ghana und Serbia in Love (b3: 8 f.) wird die Geschichte eines Paares erzählt, das zusammen mit dem gemeinsamen Sohn abgebildet ist. Die Frau stammt aus Ghana, der Mann aus Serbien. Sie haben sich in Österreich kennen und lieben gelernt und beschreiben nun die Probleme, denen sie als Paar begegnet sind. Deutlich wird, dass es dabei vor allem um die unterschiedlichen Hautfarben bzw. ›Migrationshintergründe‹ geht. So unterstellte seine Familie ihr, nur sein Geld zu wollen. Ihre Familie war überhaupt dagegen, dass sie einen Freund hatte – und schon gar nicht einen weißen. Die bald beschlossene Heirat wurde dann noch durch die Langsamkeit der Behörden verzögert, sodass sie erst nach drei Jahren heiraten konnten. Außer der Beschreibung, dass die beiden sich bei McDonald’s kennengelernt haben, wo sie gearbeitet hat, erfahren die Leser_innen nichts über die beiden. Nur Herkunft und Liebesgeschichte werden geschildert. Es ist nicht klar, wie ihre Beziehung heute aussieht, was und wo sie arbeiten. Der gemeinsame Sohn verkörpert dann gleichsam das Happy End – er ist es auch, der die Familien vereint, indem er die Sprachen der Großeltern lernt. Deutlich wird, dass Vorurteile gegen Menschen mit dunkler Hautfarbe nicht nur bei (N)Ur-Österreicher_innen herrschen. Damit wird Rassismus einerseits legitimiert, d.h. als universell dargestellt und andererseits allerdings auch als gesellschaftliche Herausforderung beschrieben, an der viele Menschen arbeiten müssen. In der Ausgabe vom Mai 2011 findet sich unter dem Titel Liebe ohne Grenzen (b4: 33) eine Anzeige, die auf den ersten Blick nicht als solche zu erkennen ist. Lediglich am linken oberen Rand ist klein »bezahlte Anzeige« zu sehen. Zu sehen ist das Paar, das bereits in der Ausgabe vom April vorgestellt wurde. Einführend wird festgehalten: »Liebe kennt keine Grenzen, keinen Altersunterschied, keine Religionszugehörigkeit und keine sexuelle Orientierung. Liebe darf auch nicht behindert werden. Darum sucht das Buchprojekt ›Liebe grenzenlos‹ Liebesgeschichten, in denen trotz aller Hindernisse die Liebe gesiegt hat.« (Ebd.) Den Leser_innen werden in der Folge drei Fragen gestellt, die sie beantworten können: »Hast du jemals eine Urlaubsbekanntschaft gemacht?«, »Kannst du dir vorstellen, mit jemanden zusammen zu sein, der deine Sprache nicht spricht, eine andere Hautfarbe hat oder nicht hier lebt?« und »Du kommst mit deinem neuen Partner/deiner neuen Partnerin in dein Stammlokal. Ihr seid aus irgendeinem Grund anders. Dein Bekanntenkreis ist aus irgendeinem Grund reserviert. Was tust du dagegen?« (Ebd.) Den Antworten (etwa »Ja, klar, dazu sind Urlaube da«
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bei der ersten Frage oder »Ich bin mit so jemanden zusammen« bei der zweiten) sind Punkte zugeordnet. Die Leser_innen mit 20 bis 30 Punkten werden angehalten, ihre Geschichte an die Macher_innen des Buches zu schicken und ihre Geschichte zu veröffentlichen. Wiederum wird betont, dass eine Beziehung »über Grenzen hinweg« schwierig ist. So müssen Hindernisse und Grenzen überwunden werden. Der Bekanntenkreis könnte skeptisch sein, und es ist keine Selbstverständlichkeit und keine Normalität, wenn Menschen mit z.B. unterschiedlichen Hautfarben zusammenkommen. Auch wenn in der Einleitung auch von Homosexualität die Rede ist, machen die Fragen doch deutlich, dass hier vor allem unterschiedliche Herkünfte von Interesse sind. Nicht zuletzt wird gerade mit der Frage »Was tust du dagegen?« suggeriert, dass die Verantwortung bei jenen liegt, die der Kritik und den Angriffen ausgesetzt sind. Auch im Juni 2011 wird nicht gleich klar, dass es sich bei dem Beitrag Liebespanne (b5: 45) um eine Werbung handelt. Beschrieben wird die Geschichte eines aus der Türkei stammenden Mannes und einer (N)Ur-Österreicherin, die sich kennengelernt haben, als er ihr Auto repariert hat. Beide Familien leisteten wiederum Widerstand gegen die Beziehung, wobei seine Eltern gegen die religiösen und kulturellen, ihre Eltern dagegen ›nur‹ gegen die Klassen- bzw. Bildungsunterschiede argumentierten. Mittlerweile sind die beiden verheiratet und planen Nachwuchs, wobei sie annehmen, dass dieser die Großeltern wohl gänzlich versöhnen wird. Zum Schluss sind also wieder alle Widerstände überwunden. Das Paar ist glücklich und hat eine gemeinsame Zukunft vor sich – es ist das klassische Happy End, wiederum mit einem Kind, das die Familien vereint, als Krönung. Insgesamt stehen hier vor allem Probleme und Widerstände im Vordergrund. Es wird vermittelt, dass Liebe über Grenzen hinweg vor allem mit Problemen verknüpft ist. Damit werden diese Beziehungen als an sich nicht erstrebenswert dargestellt – auch wenn das Happy End beschrieben wird und die Widerstände von außen durchaus für eine romantische Komponente sorgen. Die Beziehungen erscheinen nicht als Normalität, sondern sind so außergewöhnlich, dass sie gar in einem Buch veröffentlicht werden. Interessant ist dabei, dass bei beiden Paaren die Eltern als das Hauptproblem beschrieben werden, nicht die Gesellschaft an sich – die etwa rassistisch ist –, sondern es sind die Älteren, die sich gegen die Lebensgestaltung ihrer Kinder auflehnen, während die Jungen bereit sind, Beziehungen über Grenzen hinweg zu leben. Damit erscheinen die Eltern wiederum als traditionell und konservativ, denn von vier Elternpaaren ist nur eines (n)urösterreichisch, und diese haben als Einzige angeblich kein Problem mit der Herkunft des Partners, sondern mit seinem Klassenhintergrund. Sie erscheinen damit nicht als rassistisch oder fremdenfeindlich, sondern ›nur‹ als klassistisch. Wäre
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der junge Mann z.B. Anwalt, hätten die Eltern – so die implizite Botschaft – gar kein Problem mit der Beziehung.
Geschlechterrollen im (bedrohlichen) Wandel Geschlechterrollen und Schönheitshandeln werden in biber insgesamt eher aus einer traditionellen Perspektive beleuchtet. Dabei ist auffallend, dass in den Beiträgen, in denen es um Mode geht, d.h. um das ›richtige‹ Aussehen, fast ausschließlich Kleidung bzw. Schuhe und Accessoires für Frauen Thema sind. Die einzigen Ausnahmen bilden eine Modestrecke im schülerbiber, wo anlässlich der Ballsaison auch ein junger Mann zusammen mit zwei jungen Frauen angemessene Ballkleidung vorführt (Abschlussklasse 2011 [b1: 36–40]), und ein Beitrag über osteuropäische Modemacher_innen, in dessen Rahmen eines von insgesamt zwölf Models männlich ist (Made in Eastern Europe [b2: 48 f.]). In der Ausgabe vom März 2011 führt die zum damaligen Zeitpunkt gerade zum Austria’s Next Topmodel gewählte Lydia Obute (die im März auch das Covermodel ist [b2: 1]) auf acht Seiten Kleidung vor (Farbe bekennen [ebd.: 40–47]). Im April werden Heiße Treter [b3: 42] gezeigt, die allesamt hohe Schuhe sind, im Mai (ausschließlich weiblich konnotierte) Sommermode (Oh, Rio mio! [b4: 43–51], Summer, we love you! [b4: 52]). Im Juni sind dann schließlich Bikinis mit passendem Nagellack und Accessoires zu sehen (Mix’n’match it, Baby! [b5: 44]). Die weiblichen Models entsprechen herrschenden Schönheitsidealen: Sie sind schlank, schön und fast ausschließlich weiß, einzig die Hautfarbe von Lydia Obute stellt eine Ausnahme dar. Die Kleidung, die vorgestellt wird, ist durchweg körperbetont, wobei die (weiblichen) Models auch laufend sehr viel Haut zeigen – im Unterschied zu den wenigen männlichen Models. Mit diesen Darstellungen wird den Leser_innen nicht nur suggeriert, dass Aussehen und Mode eine ›Frauensache‹ sind, vielmehr wird ihnen auch vorgeführt, wie die (körperliche) Norm aussieht. In Anbetracht der Tatsache, dass in biber gerade an Mädchen appelliert wird, einen Beruf zu ergreifen bzw. eine Ausbildung zu absolvieren – und das häufig nicht in traditionell weiblichen Sparten –, irritiert die Auswahl der gezeigten Kleidung: So ist etwa bei den hohen Schuhen kaum einer dabei, der etwa für einen Bürojob angemessen scheint – einmal abgesehen davon, dass für biber offenbar nur hohe Frauenschuhe infrage kommen. Dass sich aber weiblicher (beruflicher) Aufstieg und die Betonung der Einhaltung klassischer Schönheitsnormen nicht ausschließen, sondern dass sie Hand in Hand gehen bzw. sich gegenseitig bedingen, bringt etwa Angela McRobbie (2010: 97) auf den Punkt:
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»Angesichts der Perspektive, dass Frauen im Zuge ihrer Partizipation auf dem Arbeitsmarkt weniger abhängig von Männern werden, und angesichts der damit einhergehenden möglichen Destabilisierung der Geschlechterhierarchie wird es [umso] wichtiger, die Matrix des heterosexuellen Begehrens erneut abzusichern.«
Abb. 2: Schönheitsideale für (junge) Frauen
Quellen: biber Mai 2011: 43 und biber Februar 2011: 1
Dass der (mögliche) Wandel von Geschlechterrollen bzw. der Wandel des Verhaltens von Burschen und Mädchen mit einiger Verunsicherung einhergeht und auch als bedrohlich beurteilt wird, macht insbesondere ein Beitrag über das Schönheitshandeln junger Männer deutlich. Auf fünf Seiten der ersten analysierten Ausgabe von biber wird unter der Überschrift Too Sexy for my Brusthaare (b1: 30–34) das Schönheitshandeln von jungen Männern auf den Prüfstand gestellt. Der Text stammt von Schülerinnen, d.h. von jenen, die im selben Alter wie die Jungen sind und die als Instanz auftreten, die ein Urteil fällen kann und darf. Zunächst sind drei junge Männer und drei junge Frauen abgebildet. Die jungen Männer sehen selbstbewusst in die Kamera, wirken gestylt und lächeln. Über ihnen steht die Überschrift des Artikels, Sprechblasen halten fest: »Moderne Burschen von heute stehen auf Puder, Crémes und Abdeckstift«. Der Junge in der Mitte scheint zu sagen: »Hab’ den ur Nachwuchs, Oida! MonobraueAlarm!« (Ebd.: 30) Sie sind also modern, mögen Kosmetik und legen Wert darauf, gepflegt auszusehen. Auch haben sie offensichtlich kein Problem damit,
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sich in den Medien zu präsentieren und als Models aufzutreten. Die drei jungen Frauen sehen die Burschen dagegen skeptisch von der Seite an. Eine lächelt sie eher mitleidig an. Die Frauen sind körperbetont angezogen, geschminkt und sehen ebenfalls gestylt aus. Als Text ist angegeben: »Jennifer, Cindy und Diren sind genervt vom Herumgetusse mancher Jungs: ›Das ist doch nicht männlich.‹« (Ebd.: 31) Die Mädchen verurteilen das Verhalten der Burschen. Es ist ihnen nicht recht, dass sie (zu) viel Zeit mit Schönheitspflege verbringen. Die Kritik besteht darin, dass sich die Burschen nicht männlich genug verhalten. Den Burschen wiederum scheint die Kritik egal zu sein. Sie lassen sich nicht vorschreiben, wie sie sich zu verhalten haben, und scheinen eher darauf Wert zu legen, sich selbst zu gefallen. Abb. 3: Schönheitsideale für (junge) Männer
Quelle: biber Februar 2011: 30 f.
Der Beitrag ist in mehrere Teile gegliedert: Zunächst schreiben die Mädchen aus ihrer Perspektive, wobei sie aber auch die Ansichten junger Männer zitieren. Anschließend berichten zwei Mädchen von dem Fotoshooting. Sie beschreiben also das Verhalten der männlichen Models, bevor dann diese selbst auf einige Fragen antworten. Abschließend kommt dann ein Vertreter des Instituts für Jugendkulturforschung zu Wort. Zentrales Thema des Beitrags ist dabei das Phänomen der Metrosexualität. So ist etwa der Fußballspieler Ronaldo abgebildet, der auf dem Foto ähnlich gestylt ist wie die jungen Männer und als »metrosexueller Super-
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star« (b1: 32) bezeichnet wird. Er wird dann auch im Text als einer der Vorbilder der Burschen genannt, wobei aber auch betont wird, dass mediale »Rolemodels« (ebd.) schon immer eine Rolle gespielt haben. Der Experte meint dann wiederum, dass der Begriff der Metrosexualität von Marketingexperten erfunden wurde, »um einen bestimmten Typus Mann zu beschreiben, der einen Zugang zu Schönheit hat wie Frauen. Beispiel: schlank, fit, muskulös, rasiert, Augenbrauen gezupft, manchmal geschminkt.« (Ebd.: 35) Explizit angesprochen wird dann auch die angebliche Nähe von Metrosexualität und Homosexualität. So erwähnen die Mädchen, dass bei den Burschen, die sich so sehr der Körperpflege widmen, alle sehen, dass sie metrosexuell sind. Darauf angesprochen, reagieren die Burschen aber abwehrend. So »bekommt man zu hören: Sicher ned! Bist deppat?!?! Ich bin ja nicht schwul.« (Ebd. 32) Von den drei männlichen Models werden dann auch zwei gefragt, ob sie metrosexuell sind. Einer antwortet offensichtlich entrüstet: »NEIN! SICHER NICHT!«, während der andere allerdings selbstbewusst zu Protokoll gibt: »Ja, ich halte mich für metrosexuell und schäme mich überhaupt nicht dafür.« (Ebd.: 34) Der Begriff »Metrosexualität« wird von den Burschen folglich eher negativ gesehen, ebenso wie Homosexualität. Die Abwertung führt aber nicht dazu, dass sich die Männer von diesem Lebensstil distanzieren. Das bedeutet, sie nehmen sehr wohl negative Konsequenzen hin, um dem Ideal zu entsprechen, das sie anstreben. Gleichzeitig wird beschrieben, dass der Grund für die – aus Sicht der Autorinnen – übertriebene Körperpflege der Burschen der Wunsch ist, bei Mädchen gut anzukommen. Es geht also sehr wohl darum, auch dem anderen Geschlecht zu gefallen. Die Autorinnen geben den jungen Männern Hinweise darauf, was gewünscht ist. Eigene Wünsche und Vorstellungen spielen zwar auch eine Rolle, es ist aber auch notwendig, sich dem Ideal anzupassen, von dem man glaubt, dass die ›Zielgruppe‹ es hat. Manche der Mädchen wiederum finden das Aussehen der Burschen gut, andere lehnen es aber auch ab. Lediglich die Feststellung, dass Körperpflege an sich wichtig ist, eint alle. Es steht allerdings auch das Aussehen der Mädchen im Fokus: Die Freundin muss jeweils auch gepflegt sein, darf aber auch nicht zu stark geschminkt sein. Es wird ausgehandelt, was das richtige Verhalten ist, was zu viel und was zu wenig des Guten ist. Damit stellt sich die Frage, wessen Meinung wichtig ist bzw. wer das Recht hat, zu bestimmen, was richtig ist. Die Autorinnen des Beitrags führen abschließend aus, dass die Befürchtung besteht, dass Männer künftig nicht wie Männer aussehen werden, und es wird an die Männer appelliert, das Badezimmer den Frauen zu überlassen. Im Gegenzug wird zugesagt, dass die Frauen den Männern ihre Playboysammlung nicht stehlen werden. Solange Männer als heterosexuell zu erkennen sind, sind die Frauen auch bereit, heterosexuell zu sein. Es gibt Vorgaben, an die
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sich beide Seiten zu halten haben. Der Vertrag kann nicht von einer Seite aufgekündigt werden. Dass die Burschen sich der Beurteilung entziehen, führt offenbar dazu, dass sie von biber gewissermaßen gemaßregelt werden. Den Leser_innen werden unterschiedliche Ansichten zum ›richtigen‹ Schönheitshandeln vorgeführt. Eine abschließende Beurteilung gibt es nicht. Daraus ergibt sich, dass die Leser_innen angehalten sind, sich eine eigene Meinung zu bilden. Eindeutig ist dagegen, dass es hier darum geht, den heterosexuellen Geschlechterpakt aufrechtzuhalten – auch unter sich ändernden Bedingungen und Anforderungen. Auffallend ist auch, dass in diesem Beitrag Migration nicht explizit thematisiert wird. Allerdings lassen die Namen und z.T. auch das Aussehen der Abgebildeten vermuten, dass ihnen gemeinhin jeweils ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird. Entsprechend wird für die Leser_innen durchaus deutlich, dass hier eine postmigrantische Perspektive vermittelt wird.
Islam und Geschlecht Für ein Jugendmagazin überraschend, wird Religion in biber laufend thematisiert. Es geht fast ausschließlich um den Islam.1 In den entsprechenden Beiträgen werden kontroverse Themen verhandelt, wobei aber radikaler Islam fast keine,2 islamistischer Terrorismus gar keine Rolle spielen – im deutlichen Unterschied zu den Darstellungen in Mainstream-Medien. Im Fokus stehen dagegen – und damit den hegemonialen Diskursen entsprechend – Frauen bzw. die Stellung von Frauen im Islam. Am deutlichsten im Einklang mit dominanten Diskursen steht ein im März 2011 erschienenes Interview mit der französischen Philosophin und Feministin Élisabeth Badinter (b2: 50 f.). Mehrheitlich werden allerdings Positionen vertreten, die den hegemonialen Diskursen widersprechen und den Leser_innen – gerade wenn sie selbst Muslime sind – positive Identifikationsangebote zur Verfügung stellen. Ihnen wird vorgeführt, dass bzw. wie sie gleichzeitig muslimisch und selbstbestimmt sein können, wenn nicht sogar feministisch. Im Folgenden werden ausgewählte Beiträge, in denen explizit auf diese Aspekte eingegangen wird, diskutiert. 1
Eine Ausnahme bildet z.B. der Beitrag zu unterschiedlichen Einrichtungsstilen, siehe weiter oben.
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Eine Ausnahme bildet ein Interview mit einem jungen (n)ur-österreichischen Mann, der zum Islam konvertiert ist und der u.a. explizit nach seinen Ansichten zur Vereinbarkeit von Demokratie und Islam sowie zum »radikalen Islam-Prediger Pierre Vogel« befragt wird (Wie aus Bernd Mohammed wurde, b2: 16–18).
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Sexualität im Islam In der Ausgabe vom Februar 2011 wird unter der Überschrift Ist es ein Problem für biber, wenn es Jungfrauen gibt? (b1: 22–25) auf Reaktionen eingegangen, die ein Artikel der vorigen Ausgabe (Sure der Leidenschaft, biber vom Dezember/Januar 2010) ausgelöst hat. In diesem ging es um die »Einstellung von jungen, in Österreich lebenden Muslimen zur Sexualität« (ebd.: 23), wobei am Beitrag »eine Fülle an Punkten, die am Text über die ›Gratwanderung zwischen frommer Tradition und dem Bedürfnis nach Lust‹ bemängelt« wurde (ebd.). Die Einführung in den Artikel bilden vier Sätze, in denen festgestellt wird, dass die Redaktion (»wir«, als Autorin des Beitrags ist Olja Alvir angegeben) davon ausgegangen ist, dass der Artikel für Diskussionen sorgen wird, sich also bewusst dafür entschieden hat, das Thema aufzugreifen, obwohl es heikel ist und Kontroversen auslöst. Das spricht dafür, dass die Redaktion auch schwierigen Themen nicht aus dem Weg geht, sondern bewusst provoziert. Sichtweisen der Leser_innen werden eingeführt: Viele haben den Artikel gut gefunden. Viele haben sich verletzt gefühlt. Festgestellt wird, dass biber gut austeilen, aber auch gut einstecken kann – damit wird angedeutet, dass hier keine neutrale Berichterstattung erfolgt, sondern auch bewusst ›ausgeteilt‹ wird – d.h. Position bezogen und kritisiert wird. Abb. 4: Islam umd Sexualität
Quelle: biber Februar 2011: 22 f.
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Im Artikel selbst werden die wichtigsten Kritikpunkte von Leser_innen wiedergegeben, und es wird auch ausgeführt, was Redakteur_innen und User_innen sagen. Einerseits wird also Kritiker_innen Raum gegeben, andererseits stellt das nicht den Endpunkt der Diskussion dar. Vielmehr wird den Kritiker_innen auch geantwortet – damit wird ihre Position zwar wiedergegeben, gleichzeitig aber auch abgeschwächt. Es wird deutlich, dass hier um Deutungsmacht gerungen wird und biber nicht dazu bereit ist, die eigene Deutungsmacht gänzlich abzugeben. Der Text hat laut der Einführung heftige Reaktionen ausgelöst – so ist die Rede von »Telefonate[n] mit aufgebrachten Lesern, E-Mails und schrecklich lange[n] Kommentarkriege[n] auf der biber-Homepage« (b1: 23). Dass es hier aber nicht nur um eine Auseinandersetzung zwischen Redaktion und Leser_innen geht, wird dadurch deutlich, dass auch über Diskussionen in der Redaktion berichtet wird: »Manchmal mit der Devise: Wer lauter schreit, hat recht« (ebd.), wobei sich die Frage stellt, ob die Diskussion nicht schon bei der Erstellung der vorangegangen Ausgabe stattgefunden hat. Auch wird festgestellt: »Wir von biber wollen unsere Leser ernst nehmen und möchten auch Raum für Kritik bieten.« (Ebd.) Trotz dieser Einführung wird noch festgehalten, dass es durchaus auch viele positive Rückmeldungen gegeben hat und insgesamt als gut bewertet wurde, dass das Thema Islam und Sexualität behandelt wurde. Interessant ist auch, dass Kritik fast ausnahmslos von Männern, Lob eher von Frauen kam – weil sich Letztere »mehr mit den Akteuren der Geschichte identifizieren konnten« (ebd.). Damit wird wiederum das Bild vermittelt, dass es die Männer sind, die im Islam Grenzen setzen und die Frauen eher offen und bereit sind, ›auszubrechen‹. Es werden drei Kritikpunkte genannt und auf diese jeweils geantwortet. Die Kritik und die Antworten werden nicht personalisiert. Statt des Namens der Autorin/des Autors der biber-Antwort wird nur »biber« angeführt. Damit wird wiederum suggeriert, dass die ganze Redaktion hinter der Antwort steht. Es wird also Einigkeit beschrieben, die allerdings eingangs nicht zu herrschen schien. Die erste Kritik bezieht sich auf das Bild des Paares, das in der vorangegangen Ausgabe den Beitrag begleitet hat und auch auf der Titelseite zu finden war. Dieses Bild ist auch in der analysierten Ausgabe zu sehen, wobei das Bild aber auch in einer neuen Version betrachtet werden kann: So ist dasselbe Paares in der gleichen Umgebung zu erkennen, dieses Mal allerdings bekleidet und lesend. Die Kritik bezieht sich vor allem auf die Kombination einer Koransure mit dem halbnackten Paar, die als Verletzung der Gefühle »von Menschen, die die islamische Religion ernsthaft ausüben« (ebd.: 24), benannt wird. Unterstellt wird, dass jene, die den Islam nicht ernst nehmen, auch kein Problem mit dem
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Bild haben. Entsprechend ist auch die Antwort darauf ausgerichtet: Es handle sich um ein sehr ästhetisches Bild, das insbesondere die Verbindung zwischen Islam und Erotik darstellen sollte. Die Bildsprache von biber werde aber »kulturell und/oder religiös bedingt von vielen unserer Leser anders verstanden« (ebd.). Es wird also vermittelt, dass es unterschiedliche Sichtweisen auf das Bild gibt und dieses auch jeweils anders gedeutet wird. Die Deutung von biber wird aber insofern als die ›richtige‹ gewertet, als festgestellt wird, dass das Bild sehr ästhetisch ist. Nicht eingegangen wird auf die sexistische Komponente des Bildes – es ist fast nur die fast nackte Frau zu sehen. Abschließend wird aber auch festgehalten, dass es nicht die Absicht der Redaktion war, zu verletzen. Anerkannt wird also sehr wohl, dass es unterschiedliche Wahrnehmungen gibt und manche die Darstellung tatsächlich als verletzend empfinden. Ebenso scheint die Kritik in die Wahl des Bildes geflossen zu sein: Das Paar ist nun deutlich züchtiger und bedeckter zu sehen, auch wenn das kritisierte Bild wiederum zu sehen ist. Die zweite Kritik bezieht sich darauf, dass nur über jene Muslime berichtet wird, die Sex vor der Ehe haben. Damit ist, so der Vorwurf mancher Leser_innen, die Berichterstattung auf eine Stufe mit ›Schundblättern‹ zu stellen. Von der Autorin wird zwar eingeräumt, dass die Position jener, die enthaltsam leben, zwar eine Bereicherung für den Artikel dargestellt hätte, dass es aber im Artikel explizit darum ging, zu zeigen, dass es sehr wohl Muslime gibt, die sich nicht an die Regeln ihrer Religion halten. Sie verwehrt sich auch dagegen, diese als »Negativbeispiele« zu bezeichnen, weil ihre Entscheidungen »Teile der sozialen Realität« (ebd.) sind. Auch haben die Reaktionen gezeigt, dass die Dargestellten nicht die Einzigen sind, die so fühlen und handeln, und dass ihnen so die Möglichkeit eingeräumt wird, zu Wort zu kommen: »Das findet biber interessant, wichtig und lesenswert – nicht mehr, nicht weniger.« (Ebd.) Es geht hier also ausdrücklich darum, jene Erfahrungen in den Fokus zu stellen, die sonst wenig Beachtung finden. Damit wird nicht nur in dominante Diskurse eingegriffen, die Muslime als streng religiös darstellen, sondern auch in die Diskussion der muslimischen Community. Es wird vonseiten der Redaktion keine Bewertung vorgenommen, was richtig und was falsch ist, sondern es geht darum, Interessantes zu bearbeiten. Die dritte Kritik bezieht sich auf den Eindruck, der durch den Artikel vermittelt wird, dass biber es fördert, wenn junge Musliminnen Sex haben. Der zweite Teil der Kritik ist auch die Überschrift des Artikels: »Ist das etwa ein Problem für biber, wenn es Jungfrauen gibt?« (Ebd.: 23) Erwidert wird, dass es für biber selbstverständlich kein Problem ist, wenn junge Frauen keinen Sex vor der Ehe haben. Damit wird nicht explizit auf Musliminnen eingegangen – der Kontext ist
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aber klar. Vielmehr wollte der Artikel darauf hinweisen, welche Probleme für jene Frauen entstehen, die sich nicht an die Regeln halten. Explizit wird auch die Notwendigkeit von Aufklärung genannt, biber sieht sich also sehr wohl auch als Medium der Aufklärung. Damit leistet es – ähnlich wie andere Jugendmagazine – Lebenshilfe für junge Menschen. Vermittelt wird, dass biber nicht nur die Probleme der Jugendlichen kennt, sondern ihnen auch Hilfestellungen bietet. Welche Meinung sie sich aufgrund der Informationen bilden, wird den Leser_innen überlassen. Es gibt aber Raum für unterschiedliche Positionen. Abgebildet ist auch der Imam Tarafa Baghajatis, der in der ersten Ausgabe die »islamischen Regeln für das Liebesspiel« (ebd.) erklärt hat. In der Bildunterschrift ist festgehalten: »Imam Tarafa Baghajatis’ Fachwissen wurde von den Lesern begrüßt.« (Ebd.) Damit wird deutlich, dass Fachwissen nicht hinterfragt wird und möglicherweise auch nicht gewagt wird, einen Imam öffentlich zu kritisieren. Seine Aussagen stehen gleichsam unter einem doppelten Schutz – dagegen werden die Aussagen der Autorin heftig kritisiert. Es wird auch festgestellt, dass die »traditionellen Werte aus den verschiedenen Herkunftsländern nicht mit dem Islam verwechselt werden« dürfen (ebd.: 24). Dem Aspekt des Patriarchats, der für die gezeigten Missstände (mit-)verantwortlich ist, wurde – so wird eingeräumt – nicht genug Beachtung geschenkt. Damit wird eine Differenzierung vorgenommen, die so explizit höchstens in Qualitätsmedien zu finden ist. Gleichzeitig muss dies klargestellt werden. Das heißt, man kann davon ausgehen, dass im ersten Artikel noch nicht so klar differenziert wurde. Die Trennung zwischen Kultur und Religion ist eine wichtige, die in dieser Form nur selten benannt wird. Als weiterer Punkt wird festgehalten, dass das Ziel des Artikels nicht darin gelegen ist, Vorurteile zu schüren, sondern die »öffentliche Thematisierung dieses Bereiches (wie es sich in einer demokratischen Gesellschaft gehört)« zu ermöglichen (ebd.). Damit wird die Trennung zwischen öffentlich und privat angesprochen, wobei der Öffentlichkeit mehr Bedeutung zugemessen wird. Inwiefern die Sexualität von muslimischen Frauen in der Öffentlichkeit diskutiert werden muss bzw. diese Diskussion zu demokratischen Gesellschaften gehört, bleibt offen. Es stellt sich die Frage, ob damit nicht vielmehr wiederum bestehende Diskurse unterstützt und genährt werden – indem die Sexualität von ›fremden Frauen‹ ans Licht gezerrt und beleuchtet wird. biber nimmt auch explizit in Kauf, dass sich einige von diesem Vorgehen »auf den Bart getreten fühlen« (ebd.). Obwohl das ein bekanntes Sprichwort ist, kann es auch als Verweis auf die Bärte muslimischer Männer verstanden werden – es sind die streng religiösen Männer – die Fundamentalisten? –, die das Gefühl haben, sie wären verletzt worden. Damit wird angedeutet, dass diese nicht ernst zu nehmen sind – auch weil abschließend festgestellt wird, dass die Redaktion »sehr froh und stolz darauf« ist
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(ebd.), dass es zu regen Diskussionen gekommen ist. Erreicht wurde also, dass das Thema breit wahrgenommen wurde – auch wenn die Reaktionen nicht durchweg positiv waren. In einem eigenen Kästchen wird noch der Text einer Internetuserin wiedergegeben. Die Überschrift lautet: »Danke biber. Es war Zeit, darüber zu sprechen« (ebd.). Aus der Fülle von Kommentaren wurde also einer ausgewählt, der biber dankt. Die Userin »nefize« verbleibt anonym, ihre Meinung wird von biber insofern zusammengefasst wiedergegeben, als festgestellt wird, dass sie von der »Scheinheiligkeit der Kritik« (ebd.) genervt ist und unter familiärem Druck zu leiden hat. Von biber fühlt sie sich dagegen verstanden. Im Text selbst führt sie mehrmals an, dass sie das Beschriebene aus persönlicher Erfahrung kennt bzw. auch ihre Freundinnen zu leiden haben. Der Druck auf Frauen ist, so die Leserin, insofern höher als auf Männer, weil bei ihnen auch festgestellt werden kann, ob sie vorehelichen Geschlechtsverkehr hatten. Obwohl viele Muslime nichts davon hören wollen, lobt sie biber dafür, dass es das Thema behandelt. Sie wünscht sich, dass der Islam die Realität erkennt. Wiederum wird biber als Aufklärer beschrieben, der Islam an sich als lernbedürftig. Die Diskussion um die notwendige Aufklärung »muslimischer Kultur« spiegelt sich hier wider, auch die Feststellung, dass gerade muslimische Frauen zu leiden haben. Durch die Betonung, dass es vielen so geht, werden auch Authentizität und Wahrheit des Beitrags suggeriert. Abschließend ist ein Foto des biber-Redakteurs Erkan Yıldiran zu finden, ebenso wie ein Text von ihm, der mit »Dieser Bericht wird dem Islam nicht gerecht« (ebd.: 25) übertitelt ist. Der junge Mann scheint sympathisch und modern. Er trägt ein aufgeknüpftes weißes Hemd, eine Kette um den Hals, an dem der Buchstabe E befestigt ist. Er erscheint keineswegs als streng gläubiger Muslim oder Fundamentalist. Auch wenn er im Folgenden Kritik an der Darstellung des Islams durch biber übt, wirkt er dabei sympathisch. Da die Überschrift auf den Islam an sich Bezug nimmt, wird deutlich, dass er für sich reklamiert, für den Islam an sich zu sprechen. Er hält fest, dass er die Idee des Artikels positiv gesehen hat und sich gefreut hat, diesen zu lesen. Nach dem Lesen war er allerdings »etwas enttäuscht«, da er sich eine umfassendere Darstellung gewünscht hätte. Er stellt fest, dass sein Islam viel komplizierter, viel feinkörniger, viel feinfühliger ist, als das im biber deutlich wurde. Er verlangt folglich nach einer differenzierteren Darstellung. Da es sich um ein heikles Thema handelt, hat er zudem eine »ernste, professionelle und seriöse Berichterstattung erwartet« (ebd.). Auch das Bild beurteilt er als kindisch und plakativ. Statt der Schilderung von Einzelschicksalen hat er sich eine Auseinandersetzung mit dem Koran gewünscht. Auch wurde – so seine Meinung – auf jene Menschen, »die den Sinn und die
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Bedeutung der Beziehung des Islams zum Sex wirklich verstanden haben und auch gerne danach leben« (ebd.), keine Rücksicht genommen. Er unterstellt also, dass die Porträtierten diese Bedeutung nicht verstanden haben. Die Redaktion räumt einem Kollegen die Möglichkeit ein, sich zu äußern und die Arbeit der eigenen Kolleg_innen als nicht seriös zu kritisieren. Damit wird öffentlich gemacht, welche Positionen es innerhalb der Redaktion gibt und da dieser Text als letzter positioniert ist, hat der Redakteur das letzte Wort zum Thema.
Kopftuch aus feministischer Perspektive Noch am ehesten den dominanten Diskursen, die den Islam als für Frauen negativ beschreiben, entspricht ein Interview mit der französischen Philosophin Élisabeth Badinter vom März 2011. Die Aufmachung und die Themen sind für biber unüblich, abgesehen vom reißerischen Titel Früher wollten Musliminnen die Pille, heute das Kopftuch (ebd.), das ein Zitat der Interviewten ist. Bei dieser handelt es sich laut Beschreibung um eine der bekanntesten Philosophinnen und Feministinnen, die gerade ein vieldiskutiertes Buch über Mutterschaft geschrieben hat. Islam ist also nicht ihr primäres Thema, obwohl die Aufmachung des Artikels das nahelegt. Es ist wohl so, dass Mutterschaft keine gute Schlagzeile hergibt bzw. die Leser_innen von biber von diesem Thema nicht zum Lesen des Beitrags animiert werden dürften. Bandinters Ausführungen wirken insgesamt sehr polemisch. Sie lehnt den 8. März komplett ab, weil sie Frauen nicht als Opfer sieht. Und sie verbindet den Tag nur mit dem Opferstatus von Frauen. Bandinter spricht sich zwar nicht dezidiert für ein Verbot des Kopftuchs aus, schildert aber den Rahmen des Kopftuchs so, dass es sehr negativ gesehen werden muss. So meint sie etwa auf die Frage, ob man einer Muslimin denn nicht glauben kann, dass sie das Kopftuch freiwillig trägt, dass das durchaus möglich ist. Sie stellt allerdings auch fest, dass Frauen das Kopftuch tragen, weil ihr Haar sonst als Objekt der Begierde wahrgenommen wird. Ohne Kopftuch, so Bandinter, machen sich die Frauen also schuldig, was aus ihrer Sicht »unerträglich« ist. Sie führt anschließend aus: »Wir wissen, dass es vor 20, 30 Jahren noch kein Kopftuch in Europa gegeben hat. Dann kamen Khamenei und die Salafisten an die Macht, überzeugten die Frauen davon, dass sie nur dann gute Musliminnen sein können, wenn sie ein Kopftuch tragen, und gaben ihnen den Status Bürger zweiter Klasse. Man kann also nicht so tun, als wäre das Kopftuch vom Himmel gefallen. Da steckt eine ganze Geisteshaltung dahinter, die die Frauen umdefiniert.« (Ebd.: 51) Obwohl die Frauen zwar prinzipiell selbst entscheiden, dass sie das Kopftuch tragen wollen, praktizieren sie das aufgrund der Zwänge und des Drucks, der auf
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sie ausgeübt wird, bzw. aufgrund einer falschen Ideologie. So sieht Bandinter heutige Musliminnen als weniger emanzipiert als noch vor 20 Jahren an, was sie eben daran festmacht, dass sie ein Kopftuch tragen – wobei sie früher die Besten in der Schule waren und die Pille wollten. Es wird nicht klar, woher sie das alles weiß, warum Emanzipation nur mit dem Kopftuch verknüpft wird. Sie verortet ihre Kritik allerdings auch in größeren Kontexten. So sind ihrer Ansicht nach heute alle Frauen weniger emanzipiert, weil sie nicht mehr persönliche Unabhängigkeit anstreben, sondern lieber Mutter sind. Ihre Aussagen bleiben so stehen, werden von der Redaktion nicht kommentiert, wodurch der Eindruck entsteht, dass ihre Sichtweise den Tatsachen entspricht. Gleichzeitig spricht hier eine Nichtmuslimin über Muslime. Die Kritik stammt also von einer Person, die nicht selbst betroffen ist. Auch wenn sie nicht den Islam prinzipiell kritisiert und die aus ihrer Sicht bestehende Problematik nicht mit kulturellen, sondern mit politischen Aspekten erklärt, bestätigt der Beitrag eher hegemoniale Diskurse um den Islam. Dass sich Kopftuch und Emanzipation nicht unbedingt widersprechen, wird in einem Beitrag vom April 2011 gleich in der Überschrift thematisiert, die aus einem Zitat besteht: »Emanzipation heißt für mich nicht, mein Kopftuch wegzulegen.« (b4: 24) Dieses stammt aus dem Interview mit einer Delegierten der Islamischen Glaubensgemeinschaft, Nadire Mustafi. Die junge Frau ist auch zu sehen. Sie trägt ein Kopftuch, blickt direkt in die Kamera und scheint zu lächeln. Das Interview dreht sich dann auch um das Thema Islam und Emanzipation. Gleich zu Anfang wird erläutert, dass sich die Interviewte selbst als islamische Feministin bezeichnet. Sie vereint zwei Positionen, die in dominanten Diskursen als unvereinbar gelten. Die Frau wird als 30-Jährige vorgestellt, die »erfolgreich bei den Wahlen der Islamischen Glaubensgemeinschaft kandidiert« hat (ebd.). Sie ist jung, erfolgreich, engagiert – und trägt dazu ein Kopftuch. Sie führt zudem einen Verein, ist Albanerin aus Mazedonien und ihre Leidenschaft ist das Unterrichten in Schulen. Sie wird zudem als etwas Besonderes beschrieben, weil es nur wenige weibliche Delegierte gibt, die eine so ungewöhnliche Arbeit durchführen. Sie schildert, wie sie Feminismus versteht, und führt aus: »Feminismus heißt für mich, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind – und zwar in allen Lebenslagen. Zum Feminismus gehört für mich auch das gemeinsame Auftreten von Musliminnen und Nicht-Musliminnen, um zu zeigen, dass gewisse Themen für uns alle wichtig sind. So sollten Frauen – unabhängig von ihrer Religion – etwa gemeinsam gegen Diskriminierungen und ungleiche Bezahlung am Arbeitsmarkt kämpfen.« (Ebd.)
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Auch verwehrt sie sich gegen die Behauptung, Männer würden den Islam dominieren, indem sie betont, dass Männer die ganze Welt beherrschen. Sie fordert andere Musliminnen explizit auf, sich ebenfalls zu engagieren und zu zeigen, wie sie leben, wobei sie auch feststellt: »Es gibt immer mehr Musliminnen, die ein Kopftuch tragen und trotzdem nicht nur still in der Ecke sitzen, sondern selbstsicher und mutig auftreten.« (Ebd.) Sie verweigert sich auch der Vorstellung, dass das Tragen des Kopftuches und Emanzipation sich ausschließen. Darauf geht sie gleich in der ersten Antwort ein. Sie kennt die Diskurse um dieses Thema und bringt ihren Standpunkt selbstbewusst vor – sie ist Expertin und tritt auch als solche auf. Nicht zuletzt fordert sie auch Nichtmusliminnen auf, Bündnisse mit Musliminnen zu schließen – im Grunde ganz im Sinne von migrazine.
Wege aus der Prekarität Without community, there is no liberation, only the most vulnerable and temporary armistice between an individual and her oppression. But community must not mean a shedding of our differences, nor the pathetic pretense that these differences do not exist. (Lorde 2015: 95)
Sowohl migrazine als auch biber vermitteln den Leser_innen laufend, dass wir – wie Oliver Marchart es nennt – in einer Prekarisierungsgesellschaft leben, in der »das soziale Gefüge einem Prozess der Verunsicherung tendenziell aller Arbeitsund Lebensverhältnisse ausgesetzt [ist], d.h. der Diffusion von Prekarität in den gesamten Raum des Sozialen« (Marchart 2013: 7). Beide Medien zeigen den Leser_innen Wege auf, mit dieser umzugehen und sich zu positionieren, wobei an die Leser_innen aber deutlich unterschiedliche Anrufungen gerichtet werden. Die Autor_innen von migrazine betonen laufend die Notwendigkeit und Bedeutung von Bündnissen und zeigen auch gelungene Beispiele für diese auf. Dabei werden, um es mit Isabell Lorey zu sagen, die »subjektiven Erfahrungen von Prekarisierung zum Ausgangspunkt für politische Kämpfe gemacht« (Lorey 2012: 19). Der Blick ist auch transnational ausgerichtet. So berichten etwa Initiativen aus aller Welt über ihre Arbeit, wodurch Ähnlichkeiten deutlich werden und gemeinsames Handlungspotenzial betont wird. Im Unterschied zu biber werden nicht jene, die Schwierigkeiten oder Unzulänglichkeiten haben, angehalten, an diesen zu arbeiten, um doch noch erfolgreich sein zu können, sondern es wird vielmehr an jene, die privilegiert sind, appelliert, etwa eigene Texte so zu gestalten, dass sie von allen Menschen unabhängig von ihren Voraussetzungen verstanden werden können. In biber liegt der Fokus dagegen auf der Leistung von Individuen. Mit anderen Worten, den Leser_innen wird laufend verdeutlicht, dass Leistung, (Aus-)
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Bildung und beruflicher Aufstieg wichtig sind. Die Leser_innen werden angehalten, zu unternehmerischen Subjekten zu werden und sich rechtzeitig für die Zukunft zu rüsten, wobei Praxen, die Michel Foucault (1993) als Technologien des Selbst beschrieben hat, betont werden. Gerade wenn Jugendliche mit ›Migrationshintergrund‹ – im Unterschied zu dominanten Diskursen – als leistungsbereite und -fähige Subjekte angesprochen werden, kann dies von ihnen allerdings sehr wohl als ermächtigend wahrgenommen werden. Nicht zuletzt beschreiben einige Beiträge in biber auch widerständige Positionen, wobei Leser_innen z.T. auch angehalten werden, selbst aktiv zu werden und Solidarität mit Prekarisierten zu üben. Im Folgenden wird zunächst auf exemplarische Beiträge in migrazine eingegangen, bevor dann jene in biber im Fokus stehen.
KRITIK UND BÜNDNISPOLITIKEN Den Leser_innen von migrazine werden laufend und deutlich sowohl konkrete Handlungsweisen als auch die Notwendigkeit einer kritischen Haltung nahegelegt bzw. verdeutlicht. Im Sinne von Best-Practice-Beispielen werden diverse Bündnisversuche beschrieben und die an diesen beteiligten Personen z.T. auch interviewt. Den Leser_innen wird dadurch nicht nur nahegelegt, ähnlich zu handeln, sondern ihnen werden auch konkrete Handlungsweisen mit auf den Weg gegeben. Dabei ist vor allem zentral, möglichst vielen – marginalisierten – Menschen die Möglichkeit zu geben, sich zu beteiligen, Macht zu erlangen, sich zu artikulieren. Gleichzeitig wird allerdings auch immer kritisch hinterfragt, wie Bündnisse überhaupt gelingen können, gerade weil in migrazine ein hohes Bewusstsein um die Problematik identitärer Positionen vorhanden ist und entsprechend die Frage im Raum steht, worauf Bündnisse gründen können. Im Folgenden wird auf zwei Themengebiete, die in migrazine besondere Aufmerksamkeit erfahren, näher eingegangen: Erstens wird am Beispiel der Auseinandersetzung mit der richtigen Verwendung von Sprache als Schlüsselwerkzeug für gesellschaftliche Veränderung diskutiert, wie wichtig Kritischsein und -handeln ist, und zweitens verdeutlich, inwiefern migrazine (feministische) Bündnisversuche als notwendig und zugleich (un-)möglich beschreibt.
Grundsatzhaltung: kritisch sein Sprache bzw. Begriffe werden in migrazine laufend als zentraler Gegenstand behandelt. Am deutlichsten wird das im Pixel-Schwerpunkt in der zweiten Ausga-
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be von 2011 (m2–3: 8–15). Unter der Überschrift Sprache handelt (ebd: 8) wird zunächst kurz ins Thema eingeführt, bevor sich dann insgesamt sieben Beiträge mit unterschiedlichen Aspekten auseinandersetzen. Grundlegend ist bei allen Beiträgen jene Sichtweise, die schon in der Einleitung im Schwerpunkt beschrieben wird: »Sprache reflektiert nicht nur soziale Beziehungen, sondern konstruiert diese auch mit. Dabei ist Sprache selbst wandelbar und flexibel – und gilt damit als Schlüsselwerkzeug für gesellschaftliche Veränderung, mit dem bestehende Normen und Verhältnisse beeinflusst werden können. Im vorliegenden Schwerpunkt stellt migrazine mögliche Interventionen und Strategien eines antidiskriminatorischen Sprachgebrauchs vor.« (Ebd.)
Hier geht es einerseits darum, aufzuzeigen, dass Sprache ein mächtiges Werkzeug ist, das soziale Beziehungen (mit-)konstruiert, andererseits darum, den Leser_innen zu zeigen, wie sie dieses ›richtig‹ einsetzen können. ›Richtig‹ ist ein »antidiskriminatorischer Sprachgebrauch«, d.h., es ist eindeutig, dass die Leser_innen die vorgestellten Interventionen und Strategien nicht etwa für den persönlichen, individuellen Vorteil einsetzen sollen, sondern dafür, gegen Diskriminierung(-en) vorzugehen. migrazine ist dabei die Instanz, die sowohl die Bedingungen für den (möglichen) Einsatz erklärt als auch praktische Handlungsweisen aufzeigt. In den zum Schwerpunkt gehörenden Beiträgen werden dann auch unterschiedliche Aspekte beleuchtet, wobei das Spektrum von eher einführenden bzw. theorielastigen Texten, die den Leser_innen sozusagen das Feld erklären (Sprachliches Handeln und Diskriminierung [ebd.: 9], Kolonialismus, Rassismus und Sprache [ebd.: 14] und Political Correctness im Diskurs [ebd.: 15]) bis hin zur Vorstellung konkreter Initiativen (Sprache, Macht, Geschlecht [ebd.: 10] und Un/Sicherheit für alle! [ebd.: 13]) bzw. Praktiken (Was ist leichte Sprache? [ebd.: 11] und Communiqué of Communication [ebd.: 12]) reichen. Im Folgenden wird auf einige ausgewählte – weil typische – Beiträge näher eingegangen.
Sprachtheorien Als ausführliche Einführung in den Schwerpunkt fungiert der Text unter der Überschrift Sprachliches Handeln und Diskriminierung (ebd.: 9). Dieser stammt vom Verein][diskursiv. Es schreibt also nicht eine Person, sondern ein Kollektiv. Dabei steht respektvoller Sprachgebrauch im Fokus, der »die ständige und kritische Auseinandersetzung mit Diskriminierung [braucht und] dabei weit über die Ebenen von Wort bzw. Gebärde, Satz und Grammatik hinaus [geht]« (ebd.). Zu
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Beginn wird einerseits die Verbindung zum Hauptfokus von migrazine, Migration, hergestellt, andererseits wiederum Sprache als Machtinstrument beschrieben: »Wenn hierzulande von ›Sprache‹ die Rede ist, geht es meist um die Defizite der Sprechenden – bevorzugterweise von ›Migrant_innen‹. Schon diese Umdeutung offenbart, was sie zu verschleiern versucht: Dass es sich bei Sprache um eines der wichtigsten gesellschaftlichen Machtinstrumente handelt, um ein Medium, durch das hierarchische und diskriminierende Strukturen aufrecht erhalten werden, aber auch Widerstand gegen diese Strukturen gestaltet wird. Sprache ist aber mehr als bloßes Medium – mit ihr setzen wir auch Handlungen und schaffen Realität.« (Ebd.)
Sprache wird hier klar als politisches Instrument verstanden, das gerade gegen marginalisierte Personen – eben etwa ›Migrant_innen‹ – eingesetzt wird, wobei die Handelnden allerdings versuchen, das zu verschleiern. migrazine ist damit die Instanz, die diese Verschleierung aufdeckt und gleichzeitig deutlich macht, dass das Instrument auch dazu eingesetzt werden kann, Widerstand zu leisten. Migrant_innen sind aus Sicht der Autor_innen zwar »bevorzugterweise« betroffen, aber nicht ausschließlich. Im Fokus stehen gleichzeitig die Strukturen, d.h., die Kritik richtet sich nicht an einzelne, ausgewählte Personen, sondern setzt breiter an. Im Text wird in der Folge auch argumentiert, dass Sprache eingesetzt wird, um Wirklichkeiten zu konstruieren, wobei dies anhand einiger Beispiele beschrieben wird: Die zweigeschlechtliche Ordnung wird, so die Autor_innen, durch das Ansprechen einer Person mit »Guten Tag, Frau Erfina!« (m2–3: 9) bestätigt. Interessant ist dabei, dass einerseits von Wirklichkeiten und nicht von Wirklichkeit die Rede ist. Dabei wird deutlich, dass es aus Sicht der Autor_innen nicht eine Wirklichkeit gibt, sondern unterschiedliche Perspektiven. Augenscheinlich wird an diesem Beispiel auch, dass der Text entsprechend der Ausrichtung von migrazine nicht nur Bezüge zu ›Migrationsthemen‹ herstellt, sondern auch zu (queer-)feministischen Diskursen. Nichtsdestotrotz wird in diesem Kontext auch hier kritisch argumentiert, indem etwa die Verwendung des Unterstrichs (»_«) hinterfragt wird: »Wenn in schriftlichen Texten der ›_‹ verwendet wird, der Text selbst aber nur von Männern und Frauen handelt, sind vielleicht ästhetisch-politische Ansprüche erfüllt, die binäre Geschlechterordnung wird damit jedoch nur scheinbar hinterfragt, wenn nicht sogar weiter verfestigt.« (Ebd.) Den Leser_innen wird also zu verdeutlichen versucht, dass ein oberflächliches Befolgen kritischer Vorgaben nicht ausreicht, sondern dass eine kritische Haltung vonnöten ist. Die falsche weil nur oberflächliche bzw. nicht aus einer
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richtigen Haltung heraus verwendete ›korrekte‹ Sprache kann, so das Argument der Autor_innen, gar dazu beitragen, Problematisches zu bestätigen, statt zu hinterfragen. Nur weil man den Unterstrich verwendet, so die implizite Botschaft, handelt man noch lange nicht richtig, wenn man nicht gleichzeitig anstrebt, herrschende Machtverhältnisse zu verändern. Der ›richtige‹ Sprachgebrauch wird entsprechend in Machtstrukturen eingebettet und in der Folge den Leser_innen auch erklärt, was Diskurse sind. In Fußnoten wird auf Publikationen von Diskurstheoretiker_innen verwiesen (etwa Ruth Wodak und Norman Fairclough). Die Theorie wird anhand des Migrationsdiskurses verdeutlicht, indem festgestellt wird, dass sich dieser »nicht ausschließlich auf den Akt der Migration [bezieht], sondern […] in Diskurse zu Bildungs- und Gesundheitspolitiken, Arbeitsmarktpolitik und viele anderen« eingebettet ist (m2–3: 9). Auch auf den Aspekt von Sprache als Handlung bzw. auf performative Sprachakte wird (mit Bezug auf Judith Butler) ausführlich eingegangen, wobei ausgeführt wird, dass mit diesen sowohl soziale Kontrolle ausgeübt (etwa indem Personen vorgeworfen wird, keine ›richtigen‹ Frauen zu sein, oder darauf beharrt wird, dass nur ›Migrantinnen‹ für ›Migrantinnen‹ sprechen dürfen) als auch Machtverhältnisse hergestellt und bestätigt werden können. Entsprechend entwickeln diskriminierende Sprachhandlungen vielfältige Effekte, gerade wenn sie von Personen gesetzt werden, die mit Macht ausgestattet sind. Der Text selbst richtet sich nicht an Expert_innen, sondern eher an Interessierte: Die Zusammenhänge werden in relativ verständlicher Art und Weise beschrieben, Quellen und weiterführende Literatur angeführt. Der Beitrag ist damit auch in wissenschaftlichen Debatten verortet, ohne dass die Leser_innen mit diesen schon vertraut sein müssten. Ungeachtet dessen behandelt der Beitrag komplexe Themen und setzt durchaus voraus, dass Leser_innen theoretischen Ausführungen folgen können. Abschließend wird festgehalten, dass es nicht darum geht, einen Sprachkodex zu erstellen, wie ›richtig‹ kommuniziert werden sollte: »Stattdessen sollten die eigenen Privilegien und Diskriminierungsmuster – samt ihrer geschichtlichen, räumlichen und diskursiven Zusammenhänge – in den Mittelpunkt gerückt werden, um sie zu reflektieren und gegebenenfalls zu verändern.« (Ebd.) Den Leser_innen wird folglich nahegelegt, sich sowohl in der Rolle von diskriminierten als auch von privilegierten Personen zu sehen und über die eigenen »Zusammenhänge« zu reflektieren. Es geht hier also weniger um konkrete Handlungsanweisungen als darum, eine kritische und informierte Haltung einzunehmen und antidiskriminierend zu handeln. Konkreter wird es dann in drei Beiträgen, auf die im Folgenden eingegangen wird.
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Sprache als Werkzeug Drei Beiträge gehen deutlich darauf ein, wie mit Sprache umgegangen werden sollte, um die Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen von möglichst vielen Menschen und dabei insbesondere von marginalisierten Personen zu gewährleisten. So wird erstens die Verwendung Leichter Sprache (ebd.: 11) als ein Weg beschrieben, um Informationen so aufzuarbeiten, dass sie leicht verständlich sind. Zweitens wird erörtert, wie eine hierarchiefreie Diskussionskultur aussehen kann (Communiqué of Communication [ebd.: 12]), und drittes wird ein Projekt vorgestellt, in dem Asylwerbende sich mit Sprache auseinandersetzen (UnSicherheit für alle! [ebd.: 13]). Wiederum wird betont, dass eine kritische Haltung allein nicht genügt. Vielmehr müssen auch Aktionen gesetzt werden und die Haltung auch in Praktiken deutlich werden. Am deutlichsten wird das bei der Vorstellung der sogenannten Leichten Sprache.
Leichte Sprache In ihrem Text zur Leichten Sprache beschreibt dessen Autorin, Kerstin Matausch, die Ursprünge dieser Sprache, die Gründe, warum sie eingesetzt werden sollte, und die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die die Inklusion von behinderten Personen gewährleisten soll. Der Text selbst ist in Leichter Sprache verfasst, so wird eingangs festgehalten: »Leichte Sprache ist keine Sprache für Kinder. Sie ist eine Sprache für erwachsene Menschen. Für die Leichte Sprache gibt es Regeln. Jeder Mensch kann Texte in Leichter Sprache besser verstehen.« (Ebd.: 11)
Im Beitrag geht es also nicht nur darum, auf diese Sprache aufmerksam zu machen, sie wird auch konkret umgesetzt, wodurch der Text auch für jene Personen zugänglich ist, an die sich Leichte Sprache vor allem wendet. Dies ist allerdings eine absolute Ausnahme in migrazine – die Mehrheit der Texte ist so geschrieben, dass sie eben nicht von Menschen verstanden werden kann, die Probleme mit dem Lesen haben. Einige Texte setzen zudem auch im Grunde ein Hochschulstudium voraus (etwa, wenn auf bestimmte theoretische Konzepte Bezug genommen wird, ohne dass sie näher vorgestellt werden). Trotz allem kommt migrazine mit diesem Beitrag der Erfüllung des eigenen Mottos, für alle zu sein, näher: Es geht hier nicht nur um jene Menschen, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, sondern eben auch um Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen Probleme mit dem Lesen haben. Es ist also im Grunde
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egal, aus welchem Grund das Problem besteht. Im Vordergrund steht der Weg, wie es behoben werden kann, wobei davon unterschiedlichste Menschen profitieren können. Der Ursprung der Leichten Sprache wird mit der Behindertenbewegung verknüpft, und damit wird neben Geschlecht und Herkunft noch eine weitere Diskriminierungsdimension angesprochen. Es wird allerdings wiederum festgestellt, dass diese Sprache sich dennoch nicht nur an Menschen mit Behinderungen richtet, sondern auch an jene, die nicht gut Deutsch sprechen und/oder nicht gut lesen können: »Alle Menschen können die Gesellschaft mit gestalten. Sie können bei der Politik mitbestimmen. Sie können wählen. Damit alle Menschen die Gesellschaft mit gestalten können, müssen Menschen wissen, was man mit gestalten darf. Dafür brauchen alle Menschen eine Sprache, die sie gut verstehen können.« (m2–3: 11)
Zentral bei Leichter Sprache ist also die Forderung, dass Informationen so verfasst werden sollen, dass sie von allen verstanden werden können, wobei die Motivation darin besteht, dass allen Menschen mit dem Zugang zu Informationen auch die Möglichkeit geboten werden soll, ihre Umgebung mitgestalten zu können. Indem die Rede von ›allen‹ ist, wird eben nicht nach verschiedenen Rechten oder Voraussetzungen zur Teilhabe unterschieden und damit vermittelt, dass es keine Rolle spielt, wer mitgestaltet, solange es eben ›alle‹ sind. Mit dem Text wird zudem an die Leser_innen appelliert, an jene zu denken, die Schwierigkeiten damit haben (könnten), Informationen in einer Art und Weise zu erhalten, die sie verstehen können. Damit wird Lesekompetenz nicht als Voraussetzung für die Teilhabe an der Gesellschaft definiert, und es werden nicht jene, die Schwierigkeiten oder Unzulänglichkeiten haben, angehalten, an diesen zu arbeiten, diese ›auszubügeln‹, sondern es wird vielmehr an jene, die privilegiert sind, appelliert, die eigenen Texte so zu gestalten, dass alle Menschen unabhängig von ihren Voraussetzungen verstanden werden können. Damit wird die Verantwortung für die Übersetzungsleistung an jene delegiert, die diese im Grunde gar nicht brauchen. Dies steht im genauen Gegensatz zu dominanten Diskursen um Partizipation: Diese sehen die Bringschuld bei jenen, die teilhaben wollen, d.h., Migrant_innen müssen beweisen, dass sie Deutsch beherrschen, um teilhaben zu können.
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Diskussionskultur Unter der Überschrift Communiqué of Communication (ebd.: 12) beschreibt die Autorin Nan C. Kerosiç diverse Versuche alternativer Gesprächskulturen. Dabei nimmt sie Bezug auf soziale Bewegungen und deren Bemühen, »hierarchiefreies Diskutieren in der Gruppe« (ebd.) zu ermöglichen, wobei vor allem die Erfahrungen im Rahmen der österreichischen Bildungsproteste aus den Jahren 2009/10 im Mittelpunkt stehen. So führt sie zunächst aus, dass gerade bei großen Versammlungen Redner_innenlisten geführt werden können und vereinbart werden kann, dass beispielsweise Frauen oder auch Personen, die noch nicht zu Wort gekommen sind, vorgezogen werden können, um sicherzustellen, dass Hierarchiegefälle ausgeglichen werden. Der Fokus des Beitrags liegt allerdings auf Diskussionshandzeichen, die vor allem dazu dienen, dass »jede anwesende Person zu jeder Zeit einen Kommentar machen, einen Vorschlag einbringen oder ihr Missfallen ausdrücken kann, ohne den Redefluss der sprechenden Person zu unterbrechen« (ebd.). Wiederum geht es also darum, mit einer ›richtigen‹ Verwendung von Kommunikation die Teilhabe von möglichst vielen Menschen zu ermöglichen. Basis ist auch hier die Sicht, dass bestimmte Personen marginalisiert sind oder werden und dass es notwendig ist, diesem Problem entgegenzuwirken. Hierarchien werden dabei offensichtlich als problematisch gesehen. Ziel ist im Grunde Hierarchiefreiheit, d.h. eine egalitäre Form von Auseinandersetzungen. Von der Autorin werden neun Handzeichen beschrieben, vier davon auch mit Piktogrammen abgebildet, wobei angeführt wird: »Mit dem Zeigefinger wie auf einen imaginären Punkt in der Luft zeigen: Ad-hocMeldung. Was eine_r sagen möchte, bezieht sich direkt auf das, worüber gerade gesprochen wird und sollte deswegen möglichst gleich angehört werden. […] Mit den Fingern ein ›T‹ zeigen und aufstehen: Time-out. Die Person braucht eine Pause. Sie muss sich dafür nicht rechtfertigen. Die Diskussion wird für zehn Minuten unterbrochen. Mit den Fingern ein kleines ›X‹ machen: ›Das kleine Veto‹. Die Person hat Einwände gegen die gerade verwendete Sprache. Sei es, dass ausschließlich die männliche Form verwendet wird oder dass rassistische, sexistische, homophobe, antisemitische, transphobe etc. Begriffe und Äußerungen fallen.« (Ebd.)
Bei den Handzeichen wird deutlich, dass diese die Diskussion einerseits inhaltlich beeinflussen können/sollen (etwa, indem spontan auf einen Punkt eingegangen wird), dass aber gleichzeitig auch die Gestaltung der Diskussion im Fokus steht. Die Bedürfnisse einzelner Personen werden wahr- und ernst genommen, im Unterschied zu den meisten Diskussionszusammenhängen, in denen es im Grunde undenkbar ist, eine Pause einzufordern, ohne sie weiter erklären zu müs-
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sen. Die Einführung eines eigenen Handzeichens gegen die Verwendung problematischer Begriffe zeigt, dass ein hohes Bewusstsein über diese besteht. Die Verwendung der rein männlichen Form wird in den Ausführungen auf eine Stufe, d.h. als gleich problematisch wie rassistische oder auch antisemitische Begriffe gestellt, gegen die die Zuhörenden entsprechenden Protest einlegen können und wohl auch sollen. Den Leser_innen wird damit vermittelt, dass es eben nicht nur um das Gesagte geht, sondern auch darum, welche Sprache verwendet werden darf, um bestimmte Dinge überhaupt zu diskutieren. Es könnte also durchaus sein, dass man mit den Ausführungen der Sprechenden einverstanden ist, die Form allerdings unangemessen findet und auch angehalten ist bzw. die Möglichkeit hat, das zum Ausdruck zu bringen. Insgesamt erscheinen die Handzeichen als sehr umsichtig, auf Fairness und Miteinander ausgerichtet und darauf bedacht, dass keine Person dominiert bzw. dass alle Anwesenden ihre Bedürfnisse zum Ausdruck bringen können. So führt die Autorin die Vorteile der Handzeichen aus, etwa, dass auch Personen, die selbst nicht vor anderen Menschen sprechen möchten, ihre Zustimmung zum Ausdruck bringen können (indem sie »mit den Händen wackeln wie beim Einschrauben einer Glühbirne« [ebd.]). Anhand der Uni-Besetzungsplena zeigt die Autorin allerdings auch einige problematische Seiten der Handzeichen auf, etwa dass einzelne Personen Entscheidungsprozesse blockieren können, indem sie laufend ihr Veto einlegen können, ohne dieses begründen zu müssen. Die größte Schwierigkeit liegt, so die Autorin, aber darin, dass bestimmte Menschen von Haus aus mit mehr Macht, symbolischem Kapital oder schlicht Selbstbewusstsein ausgestattet sind und so entsprechend die Handzeichen nutzen können, um weiterhin ihre Argumente durchzusetzen. So beschreibt die Autorin eine Situation an der Akademie der Bildenden Künste, in der deren Vizerektor selbst die Handzeichen verwendete, was die Autorin als problematische »Aneignung eines Zeichens, das in diesem Fall eben die Zugehörigkeit zu herrschaftskritischen Positionen repräsentieren sollte – mit dem Resultat, dass auf beiden Seiten die Konfliktgrenzen nicht mehr so scharf gezogen werden konnten« (ebd.), wertet. An diesem Beispiel zeigt sich auch die Ambivalenz des ›korrekten‹ Sprachgebrauchs, wie er in migrazine den Leser_innen nahegelegt wird: Einerseits sollten alle Menschen umsichtig mit Sprache umgehen und bestimmte Begriffe (nicht) verwenden, andererseits reicht die ›richtige‹ Verwendung alleine nicht aus, um auf der ›richtigen‹ Seite zu stehen. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob der Vorwurf, der Vizerektor habe sich das Zeichen unrechtmäßig angeeignet, nicht der Forderung entgegensteht, dass alle Menschen einbezogen werden sollten. Anders gesagt: Wer darf eigentlich entscheiden, aus welchen Gründen wer tatsächlich mitmachen darf und wer, weil sie_er auf der falschen Seite steht, ausgeschlossen werden sollte?
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Tatsächlich geht die Autorin auf mögliche Ausschließungsszenarien ein, der Fokus liegt aber wiederum auf marginalisierten Personen: etwa sehbehinderten Menschen oder jenen, die Probleme mit ihren Händen haben. Auch führt die Autorin aus, dass bezweifelt werden kann, dass die Anwendung der Handzeichen allein gleichzeitig einen reflektierten Umgang mit dem Redeverhalten bedeutet, weswegen ihrer Meinung nach eher »Fragen nach einem respektvollen Umgang, nach Gruppenkonstellationen und ihren versteckten Hierarchien, nach Sensibilität und Vertrauen, die noch immer schwer zu vermitteln sind«, wichtig sind. So meint sie abschließend: »Auf jeden Fall sollte jedoch immer wieder von neuem die ›herrschende‹ Dominanzstruktur einer Diskussionskonstellation sichtbar gemacht und infrage gestellt werden. Mit oder ohne Handzeichen.« (Ebd.) Den Leser_innen wird die Möglichkeit geboten, sich eine eigene Meinung zu bilden, inwiefern sie die Handzeichen für sinnvoll halten – es werden Pros und Kontras angeführt und Beispiele für das Gelingen und für das potenzielle Scheitern angeführt. Dabei wird allerdings nicht infrage gestellt, dass eine alternative Diskussionskultur notwendig ist, und betont, dass alle Menschen zu Wort kommen bzw. in Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden sollten. Gleichzeitig ist der Text so anschaulich gehalten, dass jene, die die beschriebenen Handzeichen gerne verwenden wollen, genug Informationen haben, um diese gleich anwenden zu können. Es handelt sich entsprechend sehr wohl um eine Handlungsanleitung, auch wenn die Leser_innen angehalten sind, selbst zu urteilen, ob sie dieser folgen wollen. Allerdings kann auch dieser Beitrag gerade auf jene, die erst dabei sind, sich in der feministischen Debatte einzufinden, einschüchternd wirken, weil wiederum deutlich wird, dass auch jene, die sich bemühen, ›korrekt‹ zu handeln, dem Vorwurf ausgesetzt werden können, sich falsch zu verhalten, wenn sie nicht alles bedenken, was es zu bedenken gilt.
Sprache als Kampfmittel In dem Beitrag Un/Sicherheit für alle! (m2–3: 13) berichtet die Autorin Rubia Salgado über ein »Gemeinschaftsprojekt von maiz, Klub Zwei und einer Gruppe von Asylwerber_innen« (ebd.). Das Gemeinschaftsprojekt unter dem Titel »Wir gehen nicht!« (ebd.) knüpfte laut der Autorin an ein Projekt aus dem Jahr 2007 an, das ebenfalls von maiz mitorganisiert wurde und in dessen Rahmen u. a. auf die Frage »Wer genießt Sicherheit?« (ebd.) mit dem gemeinsam erstellen Dokument Allgemeine Erklärung der Ent-Sicherung (ebd.) geantwortet wurde. Die Projektgruppe, die sich aus ›Migrant_innen‹ und Asylwerber_innen zusammensetzte, ging der Frage nach,
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»wie sich fremdenpolizeiliche ›Sicherheitsmaßnahmen‹ auf eben diese Gruppen auswirkt. Zusammen wurde nach Bildern für die prekäre Sicherheitslage – oder vielmehr: Verunsicherungslage – von Asylwerber_innen gesucht und Textbotschaften bzw. visuelle Darstellungen erarbeitet, die die Definitionsmacht der vorherrschenden Sicherheitsdiskurse in Frage stellen.« (Ebd.)
Es geht also explizit um die Perspektive jener Menschen, die sich in prekären Lagen befinden, die eben keine Sicherheit genießen und eher ›Sicherheitsmaßnahmen‹ ausgesetzt sind. Sicherheitsmaßnahmen erscheinen dabei als ambivalent. So befinden sich bestimmte Menschen gerade deswegen in einer »Verunsicherungslage«, weil sie Ziel von »Sicherheitsmaßnahmen« sind. So ging es dem Projekt darum zu formulieren, was ›Migrant_innen‹ und Asylwerber_innen brauchen, um sich sicher zu fühlen, und eben nicht die ›Mehrheitsangehörigen‹. Damit thematisierten die Beteiligten jene Entwicklungen, die etwa von Susanne Reitmair als »Versicherheitlichung und Migration« beschrieben werden: So wird im medialen Diskurs ein quasi natürlicher Zusammenhang zwischen Sicherheitspolitik und Migration (samt Integration und Asyl) konstruiert, und bestimmte Themen werden erst zu einem Sicherheitsthema gemacht – mit dem Ziel, in der Bevölkerung Zustimmung für Maßnahmen für die Bekämpfung des (angeblichen) Sicherheitsrisikos zu erwirken (2014: 112). Im Projekt von maiz fand die Auseinandersetzung mit diesen Phänomenen statt. Zudem war ein weiteres zentrales Element die kritische Aneignung der deutschen Sprache. Textanalysen wurden gemacht, Sprache als Material verwendet, neue Formen und Bedeutungen wurden gebildet und eigene Texte formuliert. Das Projekt wird mit der Arbeit von maiz in Kontext gestellt und betont, dass bei maiz eine »scharfe Ablehnung von staatlich verordneten Integrationskonzepten, die u. a. den Erwerb der hegemonialen Sprache mit Zwang verbindet« (m2–3: 13), herrscht. Hier sind sowohl ›Integration‹ als auch Staat klar negativ konnotiert, und die Arbeit von maiz ist deutlich als Intervention gegen diese Instanzen definiert. Kritisiert wird auch das restriktive Fremdengesetz in Österreich, also wiederum der Staat und seine Akteur_innen. Obwohl aber der Zwang zum Spracherwerb kritisiert wird, stellt Sprache in der Arbeit von maiz einen wichtigen Fokus dar, auch wenn die Sichtweise eine deutlich andere ist: »Bei maiz betrachten wir Sprache in ihrem dialektischen Verhältnis zur Realität, das heißt sowohl als normative Instanz, die konstitutiv für den Erhalt von gegebenen Machtverhältnissen ist, als auch als Handlung und somit als realitätskonstituierend. Neben ihrem Zweck als technisches Kommunikationsmittel und als Medium zur Herstellung und Arti-
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kulation gesellschaftlicher Anerkennung heben wir daher die Funktion von Sprache als Mittel zur Mutmaßung einer veränderten Realität hervor.« (Ebd.)
Deutlich wird wiederum, dass es um die korrekte Sprachverwendung geht, wobei die Sicht darüber, was korrekt ist, deutlich anders ist als in hegemonialen Diskursen: Nicht die Forderung, dass Zugewanderte lernen, sich richtig auszudrücken und damit anzupassen, steht im Fokus, sondern der Einsatz von Sprache mit dem Ziel der Veränderung problematischer Verhältnisse. Sprache wird von maiz und der Projektgruppe im Grunde als Waffe verstanden, die von den Herrschenden gegen die Marginalisierten eingesetzt, aber gleichzeitig auch von den Marginalisierten in die Hand genommen werden kann. Diese Aneignung der Sprache wird allerdings auch als schwierig beschrieben, wenn die Autorin feststellt, dass es zwar auch »dreiste, ungezwungene«, aber auch »zugleich fragile und vorsichtige, weil von gelernter Unsicherheit gegenüber dem hegemonial Etablierten beeinflusste« (ebd.) Weisen des Arbeitens mit der Sprache gab. Dieses Arbeiten mit Sprache hat im ursprünglichen Projekt im Jahre 2007 in eine »Erklärung der Ent-Sicherung« gemündet, die Rechte einfordert. Mit dieser wird auch die selbstbewusste Aneignung der Sprache und der Forderung nach eigener Sicherheit deutlich: Es handelt sich eben nicht um einen offenen Brief oder Ähnliches, sondern um etwas, das gemeinhin Seriosität und Autorität ausstrahlt – es braucht Einiges an Selbstbewusstsein, einen eigenen Text als Erklärung zu bezeichnen. Gleichzeitig werden mit dieser Rechte eingefordert. Das heißt, die Schreibenden treten als jene auf, die in der Position sind, Forderungen zu stellen, und verweigern sich damit der Position als Bittsteller_innen, die ihnen in hegemonialen Diskursen zugewiesen wird. An dieser Erklärung wurde weiter gearbeitet bzw. wurden bestimmte Postulate umformuliert, bevor dann ausgewählte Forderungen in verschiedene Sprachen übersetzt, gedruckt und in öffentlichen Räumen verteilt wurden. Neben der Aneignung der deutschen Sprache wurden also auch weitere Sprachen einbezogen, womit auch diesen ein größerer Stellenwert eingeräumt wurde und gleichzeitig jene Menschen angesprochen werden konnten, die nicht Deutsch sprechen. Das Projekt sollte entsprechend nicht nur jenen Menschen zugutekommen, die an diesem beteiligt waren, sondern in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Den Leser_innen wird das Projekt als Best -Practice -Beispiel präsentiert, wie mit Sprache gearbeitet werden kann und soll, wobei auch vermittelt wird, wie in hegemoniale Diskurse interveniert werden kann. Dabei werden allerdings keine unterschiedlichen Positionen zum Thema präsentiert, sondern vielmehr die Ansichten der Autorin bzw. von maiz und der Projektgruppe als die einzig legitimen dargestellt. Den Leser_innen wird entsprechend keine Möglichkeit präsentiert, sich eine eigene
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Meinung zum Thema zu bilden, sondern vielmehr wird ihnen vermittelt, dass die Perspektive, die geschildert wird, die richtige ist.
Ausweg: (Un-)Mögliche Bündnisse Die Autor_innen von migrazine beschreiben zwar laufend Missstände und Probleme, vermitteln den Leser_innen allerdings auch, wie sie diesen mithilfe von Kollektiven und Bündnissen entgegenwirken können. Dabei werden die Leser_innen weniger als Individuen angesprochen, sondern als politische Personen, die sich mit anderen verbünden sollten, um bestimmte Ziele zu erreichen. Hervorgehoben wird allerdings laufend, dass es wichtig ist, sich mit jenen zu solidarisieren, die weniger privilegiert sind als man selbst. Es besteht keine Forderung, sich Vorbilder von ›oben‹ zu suchen, sondern mit jenen zu arbeiten, die potenziell in einer noch prekäreren Lage sind als die_der Leser_in. Die Orientierung ist dabei klar politisch. Es geht beispielsweise nicht darum, wirtschaftlichen Erfolg zu erreichen, sondern um die Veränderung der politischen Bedingungen und Strukturen. Diese Veränderungen, so die Botschaft an die Leser_in, wird nicht von engagierten Einzelkämpfer_innen erreicht, sondern von Menschen, die sich anlassbezogen zusammenfinden und dabei umsichtig und selbstreflexiv agieren. Besonders deutlich wird das in einem Beitrag, der den »Transnationalen Migrant_innenstreik«, der in Österreich erstmals am 1. März 2011 stattgefunden hat, thematisiert (Die Normalität bestreiken [m1: 14]). Auf diesen wird im Folgenden näher eingegangen, bevor dann anhand der anlässlich von »100 Jahren Frauentag« erschienenen Beiträge aufgezeigt wird, welche Probleme die migrazineAutor_innen bei (feministischen) Bündnissen sehen. Auch wenn Bündnisse als die Lösung vieler Probleme gesehen werden, sind die Autor_innen in migrazine diesen gegenüber durchaus kritisch: Es gibt, so die implizite Botschaft, richtige und falsche Bündnisse bzw. Bündnisversuche.
Postmigrantische Bündnisse In einem Beitrag der ersten analysierten Ausgabe wird unter dem Titel Die Normalität bestreiken (ebd.) die Organisation des Transnationalen Migrant_innenstreiks thematisiert. Im Rahmen eines Interviews kommen vier Mitorganisator_innen zu Wort (Can Gülcü, Petja Dimitrova, Radostina Patulova, Zoraida Nieto). In der Einleitung ist festgehalten, dass dieser in Österreich erstmals am 1. März 2011 stattgefunden hat. Im Fokus des Interviews steht der Prozess der Or-
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ganisation, d.h., es wird implizit diskutiert, inwiefern dieser als Best -Practice Beispiel dienen kann. Beim Streik selbst ging es darum, »die derzeitige gesellschaftliche Debatte neu zu definieren: Weg von der Inszenierung von Migration als Problem hin zur Denunzierung des politischen Systems als Feld rassistischer Praxen, das Ausschlüsse produziert. Unter dem Motto: ›Wir sind hier. Ausschluss Basta!‹ fanden dezentrale Aktionen wie etwa Betriebsversammlungen statt, am Wiener ViktorAdler-Markt wurde gemeinsam Präsenz gezeigt und der Tag gefeiert. Die Aufrufe verschiedener politischer Kontexte wie migrantischer Selbstorganisationen und antirassistischer Zusammenhänge zum 1. März stellten dabei unter anderem den Versuch dar, einen symbolischen, politischen und möglicherweise historischen Tag für gleiche Rechte und gegen Rassismus zu etablieren.« (Ebd.)
Hier wird klar, dass es beim Streik darum geht, in dominante Diskurse einzugreifen und bestehende Sichtweisen zu verändern. Ziel ist es zu zeigen, dass nicht Migration das Problem ist, sondern das politische System an sich. Dieses soll gar denunziert werden. Es wird also ein sehr kämpferischer Begriff gewählt, der mit Kriegsverhältnissen konnotiert ist. Es ist die Rede von dezentralen Aktionen und verschiedenen politischen Kontexten und es ist nicht eine Organisation oder Person, die das Wort hat und alles bestimmt, vielmehr sind verschiedene Bündnisse am Werk, alle reden mit und organisieren, was sie für gut halten. Dabei soll ein symbolischer Tag etabliert werden, der für gleiche Rechte und gegen Rassismus steht. Die Forderungen sprechen unterschiedliche Problemlagen an. Es geht nicht lediglich um ›Migrant_innen‹, sondern darum, Rassismus zu bekämpfen und gleiche Rechte für alle zu etablieren. Insgesamt werden sieben kurze Fragen gestellt. Die Interviewten antworten ausführlich, wobei auch meist alle vier zu jeder Frage zu Wort kommen. Zunächst wird nach wichtigen politischen Momenten in der Vorbereitung gefragt, d.h., nicht erst die Aktion wird als politisch verstanden, sondern explizit auch die Vorbereitung, und es wird davon ausgegangen, dass die Interviewten verstehen, was mit der Frage gemeint ist. Mit der Frage wird auch gleich deutlich gemacht, dass für migrazine der Prozess der Organisation von Interesse ist und nicht unbedingt (nur) die Ergebnisse. Die erste Antwort, die von Petja Dimitrova stammt, gibt zu verstehen, dass es die gemeinsame Überzeugung aller Beteiligten war, dass es notwendig ist, »mindestens einen Tag im Jahr für die emanzipatorische Bedeutung von Migration und die Sichtbarkeit von ›Migrant_innen‹ zu etablieren und gemeinsam zu tragen« (ebd.). Sie stellt dann auch fest, dass es darum ging, »dem ganzen Mist, der über uns geredet wird, ein Ende zu setzen«
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(ebd.). Die radikale Wortwahl deutet auf bestehende Wut über die herrschenden Berichte hin – die Person hat genug, es soll Schluss sein und Zeichen sollen gesetzt werden. Auch ist die Rede davon, dass ›Migrant_innen‹ davon abgehalten werden, »eine eigene Meinung zu den derzeitigen Verhältnissen zu äußern« (ebd.), wobei gerade die menschenunwürdigen Entscheidungen, die in der Migrations- und Asylpolitik getroffen werden, im Mainstream kaum Aufmerksamkeit erfahren. Später wird auch davon gesprochen, dass es gezielte Medienarbeit gegeben hat, die zu starker Medienpräsenz geführt hat – was als Erfolg gewertet wird: »Es konnten viele Menschen erreicht, Themen aus unserer Perspektive angesprochen und Kämpfe sichtbar gemacht werden.« (Ebd.) Und es wurde auch festgestellt, dass es »einen Bedarf an Sichtbarkeit einer starken kritischen Stimme von ›Migrant_innen‹« (ebd.) gibt. Das macht deutlich, dass es den Organisator_innen nicht schlicht darum ging und geht, für mehr Sichtbarkeit von ›Migrant_innen‹ zu sorgen, sondern um reflexive Repräsentationspraktiken (vgl. Schaffer 2008). Es geht eben nicht um mehr Sichtbarkeit, denn ›Migrant_innen‹ sind in Medien sehr wohl sichtbar, allerdings meist in negativen Kontexten. Die Organisator_innen sind sich darüber im Klaren und deutlich bemüht, diesen Bildern etwas entgegenzusetzen. Neben der problematischen Berichterstattung bzw. Sichtweise auf ›Migrant_innen‹ werden auch andere Motivationsgründe angeführt, warum der Streik stattgefunden hat bzw. warum sich die einzelnen Interviewten an der Organisation beteiligt haben. Auch hier ist die Wortwahl teils sehr drastisch. So führt Zoraida Nieto aus, dass ›Migrant_innen‹ »aufgrund der Tatsache, in Österreich zu sein und zu leben, grausam und brutal zerrissen werden, kriminalisiert und illegalisiert, gezwungen, das Land zu verlassen und den Ausschluss mit Resignation auf uns zu nehmen, als wäre er etwas Normales.« (m1: 14) Sie beschreibt aber auch explizit, dass gerade der Bereich der Arbeit einer ist, der für ›Migrant_innen‹ mit Diskriminierung verknüpft ist, womit auch die Wahl des Protests in Form eines Streiks erklärt werden kann. So meint sie: »Die Politik im Lande zwingt ›Migrant_innen‹ in untergeordnete Positionen. Einer der Bereiche, in dem dies am stärksten der Fall ist, ist jener der Arbeit. Viele Menschen mit migrantischem Hintergrund werden hier in Randbereiche und in die Abhängigkeit von Arbeitgeber_innen gedrängt, auch in die Arbeitslosigkeit, die sie marginalisiert, ausschließt und quasi trotz ihres legalen Status illegalisiert.« (Ebd.)
Indem von persönlichen Erfahrungen des Ausschlusses berichtet wird, wird klar, dass sich die Motivation für politische Arbeit aus diesen speist. Die Wut über die
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Zustände ist auch dadurch bedingt, dass die Zustände konkrete Auswirkungen auf die Beteiligten haben. Als Ausweg wird dabei gerade nicht die ›Integration‹ in bestehende Verhältnisse angestrebt, sondern die Veränderung der Verhältnisse. Dabei wird deutlich kritisiert, dass nur jene ›Migrant_innen‹ Chancen in Österreich haben, die sich assimilieren und keinen Widerstand leisten: »Die Regierung hat ›Migrant_innen‹, die sich politisch artikulieren, keinesfalls gern! […] Nur angepasste ›Migrant_innen‹ haben das Recht, in Österreich zu bleiben, also ist ›Schweigen‹ und ›Wegschauen‹ angesagt.« (Ebd.) Das eigene Selbstbewusstsein steht dieser Forderung entgegen. Es besteht Bewusstsein darüber, dass Österreich sehr wohl auf die ›Migrant_innen‹ angewiesen ist und diesen eine wichtige Rolle zukommt. Der Tag wird als ein Zeichen der Abwehr gesehen, Widerstand formiert sich, der auch sichtbar werden soll. Damit wird der Anpassung an bestehende Verhältnisse eine Absage erteilt und der ›Aufstieg‹ eben nicht um jeden Preis angestrebt. Der Streik wird gerade aus dem Bewusstsein heraus organisiert, dass Österreich sehr wohl auf die Migrant_innen angewiesen ist und Migrant_innen zwar benachteiligt sind, aber nicht machtlos. Bei den Organisator_innen existiert gleichzeitig auch ein Bewusstsein über die Problematik von identitären Positionen. So wurde etwa die Verwendung des Begriffes ›Migrant_in‹ thematisiert. Radostina Patulova führt dazu aus, dass der Tag einerseits der Artikulation von ›Migrant_innen‹ dienen sollte, gleichzeitig aber auch der Begriff ›Migrant_in‹ »auseinander genommen werden« sollte. Im Rahmen der Organisation wurden Widersprüche belassen, und es wurde versucht, diese »in die politische Arbeit konstruktiv mitaufzunehmen« (ebd.). Letztlich wurde es als wichtig angesehen, »aus der eigenen gesellschaftlichen Position zu sprechen, aber auch zu handeln« (ebd.). In den Antworten wird deutlich, dass das Ganze keine intellektuelle Übung ist, sondern politische Aktion. Eigene Standpunkte sind wichtig, gleichzeitig werden auch theoretische Fragestellungen ernst genommen. Entsprechend wird auch ausdrücklich die Idee eines »strategischen Wir« diskutiert, die bei den Aktionen transportiert wurde, d.h. der »Versuch, mit Zuschreibungen wie ›Migrant_in‹ produktiv bis subversiv umzugehen« (ebd.). Wiederum wird Identitätspolitik angesprochen. So stellt Can Gülcü fest: »Ich möchte betonen, dass es sich bei diesem ›strategischen Wir‹ eben nicht um ein identitäres ›Wir‹ handelt, noch weniger um ein Zelebrieren der Differenzen, der Vielfältigkeit und so weiter. Dass nicht manche am 1. März gegen Rassismen, andere am 8. März gegen Sexismen und wiederum andere am 1. Mai gegen Ausbeutung und Prekarisierung kämpfen und dabei diese verschiedenen Kämpfe eine Aneinanderreihung von ›Kostümfesten‹ mit sich abwechselnden Wir-Identitäten darstellen, sondern dass die jeweiligen Erfahrun-
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gen als Grundlage der unterschiedlichen Sprecher_innen-Positionen akzeptiert sowie Differenzen und Machtverhältnisse erkannt, anerkannt und permanent verhandelt werden müssen. Ein ›strategisches Wir‹ anzuwenden bedeutet für mich vor allem, dass es beim Widerstand gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse über gegenseitige Solidarität hinaus in erster Linie um das Bemühen geht, alle diese Kämpfe zu eigenen zu machen und als eigene auszufechten.« (Ebd.)
Damit wird die Idee von Bündnispolitiken auf den Punkt gebracht: Man solidarisiert sich nicht ›einfach‹ mit anderen, sondern kämpft mit ihnen, macht ihre Probleme zu den eigenen. So führt auch Radostina Patulova aus, dass es den Organisator_innen um »alle« geht, das viele Facetten hat: »Auf den ersten Blick geht es um ›Migrant_innen‹ plus Mehrheitsangehörige, um protektionistische Politiken und um die Vererbung von Privilegien oder Diskriminierungen. Aber es geht um viel mehr – um die Frage, wie gehandelt werden kann, damit gleiche Rechte – das Recht auf soziale Sicherheit, ein selbstbestimmtes Leben, gute Lebens- und Arbeitsverhältnisse für alle – im Zentrum stehen. Das ist der Spannungsbogen, der sich für uns aufmacht, wenn von einem strategischen ›Wir‹ die Rede ist.« (Ebd.)
Sie führt auch aus, dass es eben nicht um Herkunft geht, sondern um den »Widerstand gegen politische und gesellschaftliche Machtverhältnisse, die Ungleichheit und Ausschlüsse produzieren, das gemeinsame Projekt« (ebd.). Entsprechend bildet die Thematisierung von möglichen bzw. tatsächlich stattgefundenen Bündnissen rund um den Migrant_innenstreik einen Schwerpunkt des Interviews: So stellt eine der Interviewten fest, dass es zwar um einen Migrant_innenstreik geht, dass dieser aber kein »ethnischer« Streik sein sollte. So wurden verschiedenste politische Kräfte gebündelt, und das Thema scheint gut dafür geeignet zu sein, Menschen zur Zusammenarbeit zu bringen, zumal Migration vielfältige Bereiche betrifft und sich Kooperationen leicht ergeben können. Es wird als Erfolg gewertet, dass es gelungen ist, die eigenen Standpunkte zu artikulieren und den Tag als etwas zu thematisieren, das für alle relevant ist: »Das Gesetz ›rassisiert‹ auch jene, macht jene zu ›Anderen‹, die es nicht sein wollen. Nach dem Motto, Österreich sei nur für Österreicher_innen da, und so müsse es bleiben! Genau das wollen wir verändern!« (Ebd.) Vor allem die Zusammenarbeit über verschiedene Standpunkte hinweg wird als Erfolg gewertet. Trotz unterschiedlicher Ansichten ist es gelungen, immer respektvoll zu bleiben: »Die Stärke eines solchen temporären Kollektivs wird daran sichtbar, dass es darin möglich ist, Spannungen auszuhalten und sie produktiv zu machen.« (Ebd.) Konflikte werden hier also nicht als etwas Dramati-
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sches beschrieben, sondern als etwas, das eine bessere Zusammenarbeit ermöglicht. Auch werden Kollektive nicht für alle Zeit, sondern temporär gesucht. Den Leser_innen wird vorgeführt, wie Bündnisse funktionieren können, welche Schwierigkeiten und Erfolge bestehen und wie die Beteiligten das alles sehen. So wird auch die Wichtigkeit der Erfahrung, mit Uneinigkeit umzugehen, betont. Es ging nicht darum, durchwegs Konsens zu schaffen, sondern mit verschiedenen Standpunkten zurechtzukommen: »diese Differenzen nicht nur als separat zu verhandelnde Konflikte, sondern als Teil der gemeinsamen Arbeit gegen Ausschlüsse und Diskriminierungen aufzufassen und konstruktiv zu problematisieren« (ebd.). Wichtig ist auch das eigene Selbstverständnis als treibende Kraft in der Gesellschaft: ›Migrant_innen‹ sind in dieser Sichtweise keine Opfer, sondern selbstbewusste und wichtige Personen, auf die jede Gesellschaft angewiesen ist. Hier stehen sowohl Inhalte als auch der Prozess selbst im Fokus, wobei sowohl theoretischen Konzepten als auch der Praxis Bedeutung zugemessen wird. Deutlich wird dabei die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit problematischen Umständen. Bündnisse werden aber z.T. auch als an sich schwierig, aufwendig und herausfordernd beschrieben – selbst dann, wenn sie erfolgreich und befriedigend sind. Es wird auch betont, dass es notwendig ist, Ambivalenzen auszuhalten und zu thematisieren, um aktiv werden zu können.
Feministische Bündnisse Dass Bündnisse aber auch problematische Seiten haben können bzw. manchmal durchaus schwer zu erreichen sind, ist zentrales Thema beim Pixel-Schwerpunkt der ersten migrazine-Ausgabe von 2011. Unter dem Titel A Single Issue? (m1: 7) und anlässlich von 100 Jahre Frauentag finden sich insgesamt fünf Beiträge (Frauenpolitik kann erzkonservativ sein [ebd.: 8], Bascha und Brigitte [ebd.: 9], Den heterosexuellen Geschmack abschaffen [ebd.: 10], Decolonizing Postcolonial Rhetoric [ebd.: 12], Feminist Birthday Club [ebd.: 13]). Diese gehen laut der Einführung der Frage nach, »wie Debatten über Migration, (Anti-)Rassismus und Postkolonialismus die Genderdiskurse der Gegenwart beeinflussen und von welchen Subjekten die Rede ist, wenn heute über ›Emanzipation‹ gesprochen wird« (ebd.: 7). Im Folgenden wird auf Beiträge eingegangen, die um diese Fragen kreisen.
Kritische Perspektiven Beim Beitrag Frauenpolitik kann erzkonservativ sein (ebd.: 8) handelt es sich um ein Interview mit María do mar Castro Varela. Einleitend wird festgestellt,
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dass zwar gerade die Interventionen feministischer ›Migrant_innen‹ und Women of Color den Blick auf Machtverhältnisse unter Frauen freigelegt haben, dass sich nun aber die Frage stellt, wo »die Debatten um die Verknüpfung feministischer und antirassistischer Kämpfe heute« stehen (ebd.). Die Einleitung macht deutlich, dass ›Migrant_innen‹als Intervenierende gesehen werden, als Aktivisit_innen und Kritiker_innen, deren Handlungen und Forderungen durchaus Konsequenzen haben. Dabei sind es allerdings die feministisch ausgerichteten unter ihnen, die das zustande bringen, ebenso wie bei den Women of Color. Die Debatte, um die es hier geht, ist in der feministischen Bewegung eine zentrale und alte, der Beitrag geht aber davon aus, dass sie nach wie vor wichtig und nicht abgeschlossen ist. Mit dem ersten Satz wird auch klar, dass hier nicht davon ausgegangen wird, dass alle Frauen gleich sind, sondern dass durchaus Machtverhältnisse bestehen. Dies ist besonders in einem Magazin für und von ›Migrant_innen‹ sehr gut nachvollziehbar, machen doch Frauen je nach Herkunft und Hautfarbe sehr unterschiedliche Erfahrungen. In der ersten Frage werden die verschiedenen Bedeutungen des 8. März wie etwa die Forderung nach der Einführung des Frauenwahlrechtes angesprochen, und damit wird wiederum klargemacht, dass die Interviewer_innen, Radostina Patulova und Vina Yun, auch als Expert_innen zu sehen sind. Die Frage an Castro Varela lautet dann konkret, welche politischen Kämpfe dem 8. März heute seine politische Bedeutung verleihen. Der Anlass für das Interview sind die damals aktuellen Feiern von 100 Jahren Frauentag. migrazine ist aber eindeutig nicht am reinen Feiern interessiert, sondern bemüht sich um eine kritische Kontextualisierung. Die Interviewte stellt gleich klar, dass diese keine einfache Frage ist, denn für sie hat der Tag seine »politische Ausstrahlungskraft« (ebd.) verloren, da sich immer mehr Unternehmerinnen und konservative Politikerinnen zu Wort melden. Aus ihrer Sicht wurde der Tag von jenen vereinnahmt, die mit der ursprünglichen Ausrichtung wenig zu tun haben. Als Negativbeispiel nennt sie die deutsche Familienministerin Kristina Schröder, die nicht nur gegen Feminismus ist, sondern auch verantwortlich für den »gewaltvollen Diskurs um ›Deutschenfeindlichkeit‹« (ebd.). Sie ist für Castro Varela ein Beispiel dafür, wie sich antifeministische und rassistische Argumentationen vereinen. Frauenpolitik, so stellt sie klar, ist heute »klarer als in der Vergangenheit – nicht mit linker Politik und kritisch-gesellschaftlicher Intervention gleichgesetzt […]. Frauenpolitik kann erzkonservativ sein, weswegen eine gute Portion Skepsis geboten scheint« (ebd.). ›Frauenthemen‹ muss also eine gewisse Vorsicht entgegengebracht werden, da diese vereinnahmt und von jenen zu definieren versucht werden, die nicht die gemeinsame Geschichte teilen.
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Dennoch spricht Castro Varela dem 8. März die Daseinsberechtigung nicht ab – er ist vor allem als eine Art Erinnerungspolitik wichtig, die darauf verweisen kann, welche Kämpfe für die Erlangung als selbstverständlich geltender Rechte notwendig waren und sind. So führt Castro Varela aus: »Eine kleine Chance sehe ich deswegen in einer möglichen Resignifzierung des symbolischen Tages als den Tag, der uns an Kämpfe für mehr soziale Gerechtigkeit erinnert. Dann müssten sich privilegierte Frauen allerdings aktiv mit ihrer Rolle in der Zementierung sozialer Ungerechtigkeit auseinandersetzen und den politischen Einsatz nicht nur dann führen, wenn dabei bessere Konditionen für sie selbst rausspringen. Irgendwie nervt es, dass in Europa mit Frauenpolitik nur noch ›Karriere‹ und die ›Vereinbarung von Familie und Beruf‹ verstanden wird. Als sei Emanzipation nur über Familie und Karriere zu haben.« (Ebd.)
Damit stellt sie klar, dass ein breiter Blick auf die Zustände notwendig ist, d.h. auch Frauen sich nicht nur damit auseinandersetzen dürfen, was sie persönlich betrifft, sondern sehr wohl darauf achten, inwiefern sie jenen helfen können, die weniger priviligiert sind. Damit wird an Intersektionen erinnert, und es reicht für Castro Varela lange nicht, dass Frauen schlicht Karriere machen sollen/können. Sie ist vielmehr explizit genervt von den herrschenden Sichtweisen. Damit wird klar, dass sie einerseits persönlich in die Debatten involviert ist – es ist nicht etwas, das sie emotionslos kommentiert und beobachtet, sondern die Umstände und Zustände machen sie wütend. Auch sie lehnt die Reduzierung auf bestimmte Themen und neoliberale Forderungen ab. Andererseits bezieht sie ihre Kritik explizit auf Europa. Dabei wird auch klar, dass sie nicht für die gesamte Erde spricht bzw. sich offenbar auch dessen bewusst ist, was auf anderen Erdteilen passiert. Gerade als Vertreterin der Postcolonial Studies ist sie wohl mit den Texten von anderen Postkolonialen Theoretiker_innen vertraut, die feministische Forderungen aus der Perspektive subalterner Frauen formulieren. Den antirassistischen Debatten räumt Castro Varela sehr große Bedeutung zu – diese halten den Feminismus an sich noch immer relevant. Gleichzeitig beeinflussen sich aus ihrer Sicht die beiden Traditionen gegenseitig. Sie sind nicht getrennt zu denken. Diese Verknüpfung ist auch der Ausgangspunkt von migrazine. Es würde folglich gar keinen Sinn machen, einen Teil des Magazins zu feministischen, einen anderen zu antirassistischen Themen zu machen – vielmehr geht es genau um die Schnittstellen. Castro Varela bezieht sich auf Theoretiker_innen und nennt einige Namen, die Standard in der Wissenschaft sind – sie geht allerdings nicht näher auf sie ein, sodass ihre Aussagen wohl wiederum nur einem Fachpublikum verständlich sind. So führt sie aus:
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»Nicht nur haben die Kämpfe von Migrantinnen und Schwarzen Frauen die feministischen Debatten geprägt, die Auseinandersetzungen im Feld des politischen Antirassismus sind ohne feministische Theorie- und Strategiebildung ebenfalls nicht denkbar. Postkoloniale Theorie beispielsweise wurde und wird stark von feministischen Denkerinnen bestimmt, und Judith Butler hat ganz sicherlich nicht nur die inner-feministischen Diskussionen beeinflusst. Migrantinnen und Women of Color wiederum haben die Texte von Frantz Fanon, Edward Said, Stuart Hall oder Paul Gilroy einer feministischen Lesart unterzogen.« (Ebd.)
Dass es nun keine universelle Kategorie ›Frau‹ mehr gibt, macht die Sache für Castro Varela deutlich komplizierter, was sie allerdings nicht als überaus problematisch sieht. Sie setzt sich damit in einen klaren »Gegensatz zu nicht wenigen Feministinnen, [da sie selbst] die antiessenzialistische Wendung nie als depolitisierend empfunden [hat], sondern als eine Neo-Politisierung, die Selbstkritik im ›inner circle‹ nicht ausschließt« (ebd.). Der Satz ist wiederum mit einigen Begriffen gespickt, die Kenner_innen der Gender Studies gut einordnen können, die den meisten Menschen allerdings wenig sagen dürften. Es wird deutlich, dass Castro Varela sich für antiessenzialistische Politik einsetzt und diese als politisch erlebt. Die Situation an sich ist jedoch sehr komplex und herausfordernd, die Verbindung zwischen Theorie und Praxis schwierig. Das Lesen der vorhandenen Texte allein reicht nicht aus, um aktiv werden zu können. Auch ist Essenzialismus für Castro Varela gewaltvoll – es ist wiederum kein Standpunkt neben viele anderen, sondern geradezu schädlich. Seine Vertreter_innen – genannt wird Necla Kelek – werden als Dissident_innen bezeichnet, weil es sich um eine Migrantin handelt, die offenbar gegen die ›richtige‹ Meinung agiert und spricht. Die Herausforderung besteht für Castro Varela darin, eine »eigene politische Sprache jenseits des gewaltvollen Essentialismus« (m1: 8) zu finden – Politik steht deutlich im Zentrum ihrer Überlegungen. Obwohl es sich also um eine Theoretikerin handelt, ist ihr Denken auf politische Aktionen gerichtet. Ihre Suche nach der geeigneten Sprache ist auch Teil des Auftrages von migrazine, z.B. die Suche nach der Möglichkeit von Solidarität, ohne zu vereinnahmen oder vereinnahmt zu werden. Trotz der herausfordernden Situation stellt Castro Varela klar: »Ich bleibe hier optimistisch und werde sagen: Es ist eine spannende Zeit.« (Ebd.) Die nächste Frage zielt darauf ab zu verdeutlichen, dass einige feministische Forderungen (der Zweiten Frauenbewegung) durchaus in der konservativen Tagespolitik angekommen sind. Das könnte im Grunde als Erfolg gewertet werden. Allerdings geht die Frage in die Richtung weiter, ob linke Politik überhaupt noch
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diskutiert wird. Dies stellt für Castro Varela den zentralen Punkt dar. Es geht ihr darum, die »grundsätzlichen Prämissen einer feministischen Politik« (ebd.) auf theoretischer Ebene zu beleuchten. Wiederum geht es darum, wer definieren darf, was etwas ausmacht. Was macht Feminismus aus, was Emanzipation – etwa in Bezug auf Frauen, die Karriere machen, oder jene, die sich angeblich von ihrem Ehemann oder von der Religion befreien müssen. Unterschieden wird von Castro Varela zwischen ›Migrant_innen‹ und Europäer_innen – was problematisch gesehen werden kann, allerdings auch darauf verweist, dass europäische ›Migrant_innen‹ je nach Kontext durchaus als privilegiert gesehen werden können. Auch merkt sie an, dass sich die Zeichen von Emanzipation wandeln. Während es in den 1970er-Jahren kurze Haare waren, sind es heute unbedeckte Haare. Es sind also äußerliche Zeichen/Merkmale, die über den Emanzipationsgrad einer Frau Auskunft zu geben scheinen. Dabei ist – so Castro Varela – für viele nicht nachvollziehbar, dass Kopftuch tragende Frauen durchaus auch emanzipiert sein können, wie etwa schon Gabriele Dietze (2009) festgestellt hat. Trotz entsprechender Studien akzeptiert die ›Mehrheit‹ nicht, dass sich Kopftuch tragende Frauen nicht in eine Kategorie einordnen lassen. Castro Varela formuliert auch, dass das ein Erbe der Aufklärung ist, »mit dem wir uns auseinandersetzen müssen« (m1: 8). Diese Aussage ist wieder eine, die Hintergrundwissen verlangt, um verstanden werden zu können: So spielt sie darauf an, dass seit der Aufklärung zwischen Religion und allem anderen unterschieden wird, wobei die Aufklärung in westlichen Ländern meist als etwas sehr Positives konnotiert wird. Entsprechend ist es also sehr ungewohnt, dass sie feststellt, man müsste sich mit dieser auseinandersetzen. Während gerade dem Islam vorgeworfen wird, dieser müsse erst die Aufklärung durchlaufen, um modern sein zu können, ist für Castro Varela auch die Aufklärung problematisch. Auf die Frage, ob Interventionen von Aktivistinnen of Color hinsichtlich von Klasse und Whiteness in feministischen Zusammenhängen gelungen sind, erklärt Castro Varela, dass diese im deutschsprachigen Raum erst nach dem Höhepunkt der feministischen Bewegung eingesetzt hat – zu einer Zeit, als die »Akademisierung und Etablierung feministischer Theoriebildung« (ebd.) erfolgt ist. Entsprechend kann Feminismus aktuell auch als »Spiel mit Worten« gesehen werden. Sie kritisiert deutlich, wenn Feminismus nur in der Theoriebildung verbleibt. Ihre eigene Entwicklung wurde von den Schriften postkolonialer Theoretikerinnen begleitet, mit denen sie sich auseinandergesetzt hat, »lange bevor es hip war«. Sie widerspricht auch den Interviewerinnen, dass heute vermehrt eine Auseinandersetzung mit Klasse passiert – ihrer Ansicht nach gibt es zwar Interesse an (neo-)marxistischer Theorie, die aber wiederum keine Bezüge zu den Gender Studies herstellt. Zusammenfassend stellt sie fest, dass zwar einerseits
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auf die Interventionen reagiert wurde, andererseits aber Rassismus in feministischen Kreisen nach wie vor »erschreckend normal« ist. Konflikte haben allerdings – so Castro Varela – auch positive Auswirkungen auf die feministische Bewegung. Sie nennt die Auseinandersetzungen um den bewegungsinternen Rassismus und Antisemitismus sowie die queeren Interventionen. Konflikten wird also auch eine katharsische Kraft zugesprochen. Auseinandersetzungen sind für den Fortschritt notwendig. Gleichzeitig tauchen im Laufe der Zeit immer mehr Themen auf, die berücksichtigt werden müssen. Das Ergebnis der Auseinandersetzung ist die Einbeziehung der intersektionalen Perspektive, die sie sehr positiv beurteilt – auch im Hinblick darauf, dass es damit möglich ist, mit komplexen »Ungerechtigkeitsstrukturen« umzugehen. Sie selbst hat allerdings mit Nikita Dhawan darauf verwiesen, dass Intersektionen aber auch dazu genutzt werden können, um alles so zu belassen, wie es ist. Sie positioniert sich selbst als kritische Theoretikerin, die es ablehnt, dass Dinge nur der Form nach benannt werden, ohne dass etwas verändert wird. Sie spricht sich vielmehr für die »feministische postkoloniale Theorie« aus, d.h. für eine »persistente Kritik à la Spivak«. Für sie sind noch unausgeschöpfte Potenziale zwischen queeren, antirassistischen und feministischen Aktivist_innen vorhanden, wobei für sie gerade jene Personen interessant sind, die in allen drei Bereichen arbeiten. Sie spricht sich für folgendes Vorgehen aus: »Keine Bündnisse suchen, sondern Räume etablieren, die komplexe Denkstrukturen zulassen und Luft machen, um neue politische Strategien zu entwerfen.« (Ebd.) Es wird unterschiedlichen Denkarten Raum gegeben und versucht, verschiedene Ansätze miteinander in Dialog zu bringen. Bündnisse selbst sucht Castro Varela auf anderen Ebenen: international, um die internationale Arbeitsteilung anzugreifen, sowie im Bereich der Wissenschaft und Kunst. Sie sieht sich selbst also auch als Aktivistin und ist offenbar trotz fundierter theoretischer Ausbildung nicht jemand, die sich auf die Theorie allein zurückzieht. Entsprechend wird auch den Leser_innen nahegelegt, Castro Varelas Beispiel zu folgen und Feminismus mit klaren politischen Schwerpunkten zu pflegen.
Der ›richtige‹ Feminismus Deutliche Kritik am ›falschen‹ Feminismus, dem es an (feministischer) Solidarität mangelt, übt auch der Beitrag von Lea Susemichel unter dem Titel Bascha und Brigitte (m1: 9). In diesem geht es einerseits um die Zeitschrift Brigitte und andererseits um das Buch Die Feigheit der Frauen der taz-Chefredakteurin Bascha Mika. Bereits die Einleitung macht die Position der Autorin deutlich: »Bunte ›Migrantinnen-Models‹ statt partizipativer Politik, individuelle Karriere-
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planung statt Gesellschaftskritik: Feminismus als ganz persönlicher Lifestyle« (ebd.). »Migrantinnen-Models« und »individuelle Karriereplanung« sind für sie eindeutig negativ zu sehen, ebenso die Deutung von Feminismus als persönlichen Lifestyle. Auch in diesem Beitrag wird das 100-jährige Jubiläum des Internationalen Frauentages im Jahre 2011 einführend erwähnt. Zudem bezieht sich die Autorin auf zwei weitere Ereignisse aus dem Jahr 2011: Die deutsche Frauenzeitschrift Brigitte feierte ihre Initiative »Ein Jahr ohne Models«, Bascha Mika brachte das Buch mit dem Titel Die Feigheit der Frauen heraus. Den Zusammenhang zwischen diesen Ereignissen erklärt die Autorin folgendermaßen: »An ihnen zeigt sich, dass Feminismus auch heute noch eine Minderheitenposition und -politik ist. Will er mehrheitsfähig werden, muss er Abstriche machen, die ihm nicht guttun.« (Ebd.) Genannt werden einige Beispiele für diese Tendenzen, etwa Alice Schwarzers Kritik der »Islamisierung«. Diese Beispiele zeigen laut der Autorin, dass »Feministischer Populismus […] von rechtem Populismus kaum noch zu unterscheiden« ist. Wiederum geht es um den ›richtigen‹ Feminismus. Es ist ganz klar, dass die Autorin sich gegen den ›Mainstream-Feminismus‹ verwehrt. ›Richtiger‹ Feminismus erscheint wiederum als nicht für die Massen geeignet, als Elitephänomen – nur die Eingeweihten machen es ›richtig‹. Als Negativbeispiel wird wiederum genauer auf Brigitte eingegangen. Die Zeitschrift versucht gegen Rassismus und für »mehr Vielfalt in der Mode und im Leben« einzutreten. Dieser Populismus ist für die Autorin allerdings »beinahe genauso furchtbar« wie Rassismus selbst. So zeigt das Titelbild nur junge, schöne, schlanke Frauen, wobei die Migrantinnen im Heftinneren nur in der Kleidung ihrer Herkunftsländer abgebildet sind. Damit werden also wiederum Stereotype bedient, auch wenn das Blatt vorgibt, sich gegen diese einzusetzen. Antirassismus wird, so stellt sie fest, mit gutem Geschmack gleichgesetzt, Emanzipation als Element des individuellen Lifestyles gesehen. Sie lehnt beides ab und meint, dass es vielmehr um politische Forderungen und gesellschaftliche Kämpfe gehen sollte. Die Reduzierung auf gleichsam leicht verdauliche Aspekte stellt sie klar in die kapitalistische Logik, indem sie schreibt, dass Feminismus und Antirassismus auf diese Weise »verkauft« werden. Es geht darum, diese beiden für ein Massenpublikum zu verarbeiten. Im Zuge der Verarbeitung gehen allerdings wichtige Elemente verloren. So ist der Ausgangspunkt von Brigitte, verschiedene kritische Elemente zu vereinen und in den Fokus zu nehmen, an sich löblich, allerdings scheitert die Redaktion bei der Umsetzung. Auch wird Erfolg – so die Autorin – auf die Leistung einer Einzelperson reduziert, statt »die gesamtgesellschaftliche Verantwortung für die gleichberechtigte Teilhabe aller« (ebd.) zu fordern.
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Auch das zweite Negativbeispiel reduziert den fehlenden Erfolg von Frauen auf den »fehlenden weiblichen Willen«, anstatt strukturelle Diskriminierungen in den Blick zu nehmen. Auch beschäftigt sich die Autorin des Buches praktisch nur mit deutschen Frauen, die aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit die Wahl haben, zu arbeiten oder nicht. Statt über Strukturen fordert die Buchautorin auf, »über uns selbst« zu sprechen. Die Autorin des Beitrags übersetzt diese Forderung in: »Reden wir über unsere eigenen privilegierten Positionen und ignorieren wir alle anderen.« (Ebd.) Kritisiert wird also wiederum die Konzentration auf das Individuum bzw. dass nicht der Gesellschaft Verantwortung zugeschrieben wird. Populistisch sind die Forderungen der Buchautorin auch insofern, als sie Ignoranz und »kalkulierte Medienwirksamkeit des alten Motivs ›Frauen machen andere Frauen nieder‹« sowie die Reduzierung von Feminismus auf eigene Karriereplanung: »Feministin zu sein heißt dann nicht mehr, Gesellschaftskritik zu artikulieren, sondern in dieser Gesellschaft möglichst erfolgreich zu sein. Emanzipiert zu leben meint, Konkurrenzkämpfe einfach durchzufechten, statt etwa gegen die Brutalität neoliberaler Arbeitsverhältnisse zu protestieren.« (Ebd.) Damit werden »zentrale linke Überzeugungen« aufgegeben, die für die Autorin des Beitrags den Feminismus auszumachen scheinen. Im Text wird darum gerungen, wer das Recht hat, den Begriff Feminismus zu füllen, wozu er eingesetzt werden darf und wozu nicht. Deutlich wird dabei, dass ›richtiger‹ Feminismus eben nicht bei individuellem Erfolg stehen bleiben darf, sondern sowohl sexistische als auch rassistische Strukturen thematisieren muss – etwa Verschärfungen des Fremdengesetzes. Es reicht folglich nicht, sich lediglich für das Vorankommen von Frauen einzusetzen, vielmehr muss Gesellschaftskritik geübt werden. Die Leser_innen werden also angehalten, nicht nur am persönlichen Erfolg zu arbeiten, sondern vielmehr gesellschaftliche Machtstrukturen im Blick zu behalten und auch gegen diese anzukämpfen.
Internationale Perspektiven auf Bündnisse Unter der Überschrift Den heterosexuellen Geschmack abschaffen (m1: 10) wird berichtet, wie verschiedene queerfeministische Initiativen arbeiten. Der Beitrag zeigt somit auf, dass bzw. wie Bündnisse möglich sind und was unterschiedliche Gruppen gemeinsam haben. Acht Gruppen werden über ihre Kämpfe und Praktiken befragt. Dabei geht es um die Suche nach »der queerfeministischen Bewegung«, die in einer »transnationalen Collage« erfolgt. Es wird angedeutet, dass es sich um eine einheitliche Bewegung handelt, weil die Suche aber erst erfolgen muss, stellt sich die Frage, ob sie überhaupt existiert. Was queerfeministisch be-
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deutet, wird nicht erklärt – es wird davon ausgegangen, dass die Leser_innen von migrazine wissen, wovon die Rede ist. In der Einleitung wird auf die Berliner Initiative FelS bzw. auf deren AG Queerfeminismus Bezug genommen, die als Anlauf »für eine lebendige, breite, antikapitalistische queerfeministische Bewegung« (ebd.) bezeichnet wird. Es soll also tatsächlich eine Bewegung entstehen, wobei diese viele verschiedene Elemente in sich vereinen soll. Die Bewegung wird klar gegenüber Nischen und dem »braven Verharren in akademischen Zirkeln und [dem] professionalisierten Verendens in Gender Mainstreaming« (ebd.) verortet, d.h., es wird eine bekannte Debatte aufgenommen: feministische Bewegung vs. Akademisierung des Feminismus. Letztere wird sehr negativ gedeutet. Es geht um Stillstand, Ende, Bravsein, Angepasstheit – dagegen positioniert sich die AG. Inwiefern Akademiker_innen dadurch aus der Bewegung ausgeschlossen sind, ist unklar. Sie sollten aber offenbar schon auch mindestens Aktivist_innen sein, um mitreden zu können/zu dürfen. Es ist dann auch die Rede davon, dass Geschlechterverhältnisse nicht länger als »Querschnittsthema« mitgedacht werden sollen (wodurch sie »in der konkreten Auseinandersetzung […] oft hinten runterfallen«), sondern Queerfeminismus wird als »Politikfeld mit eigenen Praxen« definiert. Die Wortwahl spricht dafür, dass hier akademisch Gebildete schreiben, wobei diese aber auch offenbar negative Erfahrungen in/mit akademischen Zirkeln gemacht haben. Die AG sieht sich am Anfang und möchte vieles neu machen, ist motiviert, engagiert, neugierig. Die Collage ist ein erster Schritt, um die Umgebung zu erkunden und auch Kontakte zu knüpfen: Es wurden queere und feministische Gruppen aus verschiedenen Teilen der Welt befragt. Ziel ist es auch, »etwas über ihre Kämpfe und politischen Praktiken zu erfahren und diese mit unseren eigenen Kämpfen sowie untereinander zu vernetzen« (ebd.). Es wird also davon ausgegangen, dass alle ähnliche Themen bearbeiten, mit ähnlichen Umständen konfrontiert sind und es sinnvoll ist, zusammenzuarbeiten. Die Rede ist von Kämpfen, bei denen es nicht nur um Auseinandersetzungen und Diskussionen geht, sondern es wird um etwas, für etwas, gegen etwas gekämpft. Mittels Fragebogen wurden Gruppen in Istanbul (Amargi Women’s Solidarity Group und Lambda Istanbul), St. Petersburg (bok o bok und FNO), Jakarta (Institut Pelangi Perempuan), Belgrad (QueerBeograd), Paris (La Barbe und Les Panthères Roses) und Berlin (f.a.q./feminist.antisexist.queer) interviewt. Die Gruppen werden kurz vorgestellt. Es ist allerdings unklar, warum gerade diese ausgewählt wurden, und bis auf eine Gruppe sind keine Namen der antwortenden Personen angegeben. Es kann davon ausgegangen werden, dass hier jeweils das Kollektiv zu Wort kommt bzw. die Gruppe an sich spricht. Es besteht ein Übergewicht bei europäi-
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schen Initiativen. Amerika, Australien und Afrika sind gar nicht vertreten. Während die Leser_innen (problematischerweise) vielleicht von Haus aus davon ausgehen könnten, dass in Afrika explizit queerfeministische Gruppen schwer zu identifizieren sind, verwundert der fehlende Rückgriff auf Amerika bzw. gerade auf die USA. Dies könnte daran liegen, dass bewusst eher nach Osten geblickt wird, möglicherweise auch mit einem etwas paternalistischen Blick – es soll gleichsam Entwicklungshilfe geleistet werden, indem Verknüpfungen erstellt werden. Andererseits kann damit auch der Überhang an US-amerikanischen Ansichten und deren Dominanz geschmälert und darauf hingewiesen werden, dass Queerfeminismus nicht auf die USA beschränkt ist. In der Einleitung wird auch darauf hingewiesen, dass online auch ausführlichere und ins Englische übersetzte Varianten des Interviews zu finden sind: Es handelt sich also um den Versuch, das Erfahrene so breit wie möglich zugänglich zu machen. Das Interview ist zudem erstmals in arranca! erschienen (dieses ist verlinkt) im Dezember 2010. Weiterhin ist der Link zur AG zu finden, und in Fußnoten wird erklärt, wofür die einzelnen Buchstaben von LGBTIQ stehen. Dies verwundert eher, weil diese Bezeichnungen in der Community von migrazine sehr bekannt sein sollten und andere Begriffe, die z.T. noch unbekannter sind, nicht erklärt werden. Die erste Frage zielt auf die Wurzeln der einzelnen Initiativen, und es soll auch ausgeführt werden, an welche sozialen Kämpfe jeweils angeknüpft wird. Fast alle Antworten verweisen auf den Feminismus. Dieser ist klar der Ausgangspunkt der Organisationen bzw. auch das vereinende Element. Gleichzeitig ist aber auch eine gewisse Bandbreite der Zugänge sichtbar. So antwortet eine Verterterin der Istanbuler Initiative Amargi zunächst sehr persönlich. Sie spricht über sich selbst und erwähnt erst zum Schluss die Initiative. So hat sie selbst in der persönlichen Geschichte keine Erfahrungen mit Kämpfen gemacht – erst mit 27 ist sie »zum ersten Mal aus eigenem Willen einer feministischen Organisation beigetreten« (m1: 10). Feminismus ist also ein Ausgangspunkt, diesem schließt frau sich aus eigenem Willen an. Sie ist nach wie vor Mitglied dieser Organisation, hinterfragt das Patriarchat und versucht, sich ihre Freiheit aufzubauen. Sie verwendet klassische Vokabeln des Feminismus. Es geht um Patriarchat und die eigene Freiheit, wobei angedeutet wird, dass diese aber erst aufgebaut werden muss. Die Frau befindet sich im Versuchsstadium, unsicher ist, ob sie es schaffen wird. Les Panthères Roses aus Paris antworten dagegen eher unpersönlich. Auch scheint es, dass sie Übung darin haben, auf solche Fragen zu antworten. Die Gründung der Gruppe wird als Reaktion auf rechte Politik in Frankreich beschrieben, als Notwendigkeit und als bewusste Entscheidung, etwas an der
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Schnittstelle der »LGBT-Bewegung und sozialen Bewegungen« (ebd.) zu bewirken. Damit wird Bezug auf bestehende Initiativen und Traditionen genommen, Bündnisse werden beschrieben und auch konkrete Verortungen genannt: »Wir beziehen uns auf radikalen Lesbianismus (Monique Wittig), feministischen Materialismus, Antirassismus und Antikapitalismus.« (Ebd.) Gegen die Betonung von Wurzeln verwehren sie sich jedoch: »Wurzeln hören sich ein bisschen zu biologistisch und monokausal an.« (Ebd.) Die Sprache deutet auch darauf hin, dass hier auch Akademiker_innen mitreden, die in aktuellen wissenschaftlichen Diskursen verortet sind. Damit unterscheidet sich die Antwort sehr von der ersten, in der eine Frau ihre persönliche Erfahrung schildert. La Barbe, ebenfalls aus Paris, geben wiederum ein dreifaches Erbe an: »feministisch, lesbisch und künstlerisch« (ebd.). Die Bezeichnung Erbe signalisiert eine starke Verknüpfung zum Vorangegangenen. Es wurde etwas weitergegeben und angenommen, Verantwortung wird getragen. Sie sehen sich allerdings auch Kämpfen ausgesetzt, wobei sie nicht von Kämpfen gegen ihre Inhalte oder die Zustände sprechen, sondern von Kämpfen innerhalb der Bewegung: Sie stehen in »der Mitte des Schießplatzes, auf dem sich mitunter die ›klassischen‹ Feministinnen […] und Gruppen aus der Queer-Bewegung gegenüber stehen« (ebd.). Es wird klar, dass auch innerhalb der Bewegung scharf geschossen wird. Es ist keine Einheit über die Themen und Ansätze hinweg gegeben, die Mitglieder von La Barbe setzen sich diesen aber bewusst aus. Auch dass gerade auf die Auseinandersetzung zwischen ›klassischem‹ Feminismus und der Queerbewegung verwiesen wird, ist deswegen interessant, weil hier explizit beides zusammen gedacht werden soll. Diese Zusammenarbeit ist aber keine konfliktfreie, sondern mitunter schwierig, weil die Positionen einander zu widersprechen scheinen. Es braucht konfliktbereite Personen, die sich in die Schlacht werfen und bereit sind, beides zusammen zu bearbeiten. Bok o bok aus St. Petersburg verknüpft ihre Arbeit mit dem »Kampf für die Anerkennung der Unantastbarkeit des Menschen« (ebd.). Für sie ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass der Staat so wenig wie möglich in das Private eingreift und dieses reglementiert. Diese Ausrichtung verwundert bzw. klingt nach Forderungen konservativer Kräfte (etwa in den USA), macht aber im Kontext von Russland Sinn. Dort ist der Staat die bestimmende Instanz. Gerade im queeren Bereich werden Gesetze erlassen, die private Praktiken stark beschränken. In der Antwort von Bok o bok wird allerdings klar, dass sie sich ihres Auftrags sehr bewusst sind. Sie formulieren auch ihre Kämpfe anders, als dies z.B. in Deutschland der Fall wäre. Hier finden jedoch ebenfalls Auseinandersetzungen mit dem Staat statt, etwa bei der Ehe – dieser wird allerdings dahingehend kritisiert, dass er die Rechte Einzelner nicht genug schützt und beachtet. Es besteht also nicht
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die Furcht, dass der Staat zu sehr reglementiert, sondern eher, dass er seine Aufgaben nicht richtig wahrnimmt. Wieder eine andere Ausrichtung hat Lambda Istanbul: Sie definieren sich als Feminist_innen und Antimilitarist_innen. Damit knüpfen sie eher an Traditionen der Friedensbewegung an. Antimilitarismus ist zudem im deutschsprachigen Raum kein prominentes Thema mehr. Lambda sieht zudem starke Verbindungen zwischen der LGBT- und der feministischen Bewegung. Sie gehen nicht primär von Auseinandersetzungen zwischen diesen aus. Im Bereich des Antimilitarismus sehen sie sich in der Tradition der Bewegung von Kriegsdienstverweigerern. Sie nennen insgesamt (mindestens) drei Traditionen, denen sie folgen. Auch hier werden persönliche Erfahrungen angeführt: Ein Mitglied der Gruppe war Kriegsdienstverweigerer und ist homosexuell – die verschiedenen Arbeitsbereiche vereinen sich in einer Person. Die betreffende Person wurde ob ihrer Überzeugungen nicht nur inhaftiert, sondern auch gefoltert – ein Zustand, der z.B. für Österreich schwer vorstellbar ist. Es zeigt sich also, dass die Kämpfe bzw. die Ausrichtung der Gruppe vom Kontext bestimmt werden. Als Antwort auf Gewalt formuliert sie jedoch Gewaltlosigkeit als Prinzip. Sie sind auch insofern in politische Kämpfen involviert, als sie die kurdische Bewegung unterstützen – wobei sie feststellen, dass die kurdische Partei in der Türkei die einzige parlamentarische Partei ist, die die LGBT-Positionen unterstützt. Es werden vielfache Bündnispolitiken sichtbar, vielfache Traditionen und ein breites Verständnis der eigenen Arbeit. F.a.q. aus Berlin gibt die kürzeste und prägnanteste Antwort – es werden klassische Kämpfe genannt, die auch im akademischen Kontext Beachtung finden: »(nicht-differenz-)feministische, queere, anti-sexistische, anti-rassistische, postkoloniale, anti-rassistische Kämpfe« (m1: 10). Die Begriffe sprechen dafür, dass wiederum Akademiker_innen antworten und mitarbeiten, wobei wiederum Differenzen benannt werden, indem explizit von nichtdifferenzfeministischen Kämpfen die Rede ist. An den Antworten wird deutlich, dass zwar ähnliche Grundsätze und Ziele bestehen, dass aber die unterschiedlichen Kontexte für die konkrete Ausrichtung bestimmend sind, wobei Kämpfe und Bündnisse im Vordergrund stehen. Dabei wird eine eher akademische Sprache gerade von jenen verwendet, die keine persönlichen Bezüge zum Thema beschreiben. Auch bei der nachfolgenden Frage nach strukturellen Bedingungen der jeweiligen Arbeit bzw. den Auswirkungen des Neoliberalismus und der globalen Krisen wird deutlich, dass die einzelnen Initiativen nicht im ›luftleeren‹ Raum tätig sind, sondern massiv durch die herrschenden Strukturen beeinflusst werden. Entsprechend wird an den Antworten wieder deutlich, dass sich die Verhältnisse z.T. ähneln, dass aber auch gleichzei-
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tig deutliche Unterschiede in den Ausgangslagen und Umständen herrschen. So wird zunächst die Antwort der indonesischen Gruppe angeführt, deren Arbeit von den »aktuell aufstrebenden islamistisch-fundamentalistischen Bewegungen in Indonesien beeinflusst« (m1: 10) wird. Es wird einerseits Bezug genommen auf die global wahrgenommene Gefahr des Islamismus, gleichzeitig aber auch auf starke regionale Unterschiede verwiesen. Die Beteiligten haben aber auch unter offenen Aggressionen und Angriffen auf LGBT-Gruppen zu leiden – was wiederum ein Thema ist, das im deutschsprachigen Raum kaum eine Rolle spielt. Bedient werden die Stereotypen, dass ›hier‹ viel bessere Zustände herrschen und ›dort‹ erst etwas gemacht werden muss. Gleichzeitig werden aber auch die Kämpfe westeuropäischer Gruppen thematisiert. Es wird aber trotzdem klar, dass es überall notwendig ist, die eigenen Interessen zu vertreten. Wäre nur ein Interview zu finden, hätte allerdings die erstere Sichtweise wohl sehr viel Überhang bekommen – das ist der große Vorteil der Gegenüberstellung verschiedener Antworten, die Abhängigkeit vom Kontext wird dadurch deutlich. Die Angriffe auf die Gruppe in Indonesien haben auch insofern ganz konkrete Auswirkungen, als explizit festgehalten ist, dass sich die Mitglieder »nicht mehr sicher fühlen«. Die Arbeit an den eigenen Themen ist also mit persönlichen Risiken verbunden. Es ist keineswegs eine spaßige oder leichte Tätigkeit. Dies steht damit in Zusammenhang, dass Homosexualität in der entsprechenden Region immer mehr als Krankheit gesehen und kriminalisiert wird, homosexuelle Menschen sind real bedroht. Selbst die Thematisierung von queeren Themen wird geahndet. Die Arbeit einer Gruppe, die zu diesen Themen arbeitet, wird deutlich erschwert. Die Regierung wird auch hier als Gegnerin gesehen. Die Tendenz im Land ist eine negative – es wird nicht immer besser, sondern immer schlechter. Les Panthères Roses aus Paris betonen, dass sie als eingetragener Verein das Recht haben, Demonstrationen anzumelden – hier sorgen Strukturen dafür, dass Rechte wahrgenommen werden können. Es braucht also eine vorhandene Organisation, d.h. Regelungen und verantwortliche Personen. Es handelt sich nicht um einen losen Verband. Dennoch wird angegeben, dass es keinen Vorstand gibt und alles kollektiv entschieden wird. Das Ganze ist allerdings sehr aufwendig: Es gibt wöchentliche Vollversammlungen, in denen alles gemeinsam entschieden wird. Auch auf Unabhängigkeit wird großer Wert gelegt – Geld wird durch den Verkauf selbstgemachter Produkte sowie durch Benefizveranstaltungen beschafft. Einerseits wird dadurch Unabhängigkeit gewahrt, andererseits wird deutlich, dass die Gruppe sehr wohl Unterstützung erfährt und auf diese zählen kann. Gleichzeitig ist sie auch von neoliberalen Effekten betroffen: Die Aktivist_innen müssen immer mehr für immer weniger Geld arbeiten und haben dadurch weni-
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ger Zeit und Energie für politischen Aktivismus. Gerade der französische Neoliberalismus wird ihrer Ansicht nach von der extremen Rechten organisiert, wobei die Gegenbewegung wenig selbstbestimmte Orte hat. Die Mitglieder sehen sich also einer übermächtigen Gegner_innenschaft ausgesetzt. Die Umstände werden auch hier immer härter und es ist schwer, Widerstand zu leisten. Auch werden hier die Katholik_innen als besonders aggressiv genannt. Und auch hier sind es die Vertreter_innen organisierter Religionen, die aggressiv gegen die Themen der Gruppe arbeiten. Damit wird Religion als Problem beschrieben, und es ist im Grunde egal, um welche es sich dabei genau handelt. Entsprechend wird die Gefahr des Islamismus zwar nicht relativiert, aber doch in einen bestimmten Kontext gestellt. QueerBeograd verorten ihre Arbeit in gesamtgesellschaftlichen Verhältnissen: Wie die Mehrheit der serbischen Bevölkerung leben auch die Mitglieder der Gruppe in ökonomisch prekären Verhältnissen. Politisch aktiv sein zu können, ist für sie auch mit Geld verknüpft. Sie stellen die Frage, wer es sich überhaupt leisten kann, politisch aktiv zu sein. Damit sind auch bestimmte Schichten von politischer Arbeit ausgeschlossen. Politik ist Luxus und es ist schwierig, sich zu engagieren. Sie definieren es als feministische Perspektive, dafür zu sorgen, dass die Arbeit in der Gruppe gegen Entlohnung erfolgt, und auch jene finanziell unterstützt werden, die sich etwa die Teilnahme an den Festivals der Gruppe nicht leisten können. Damit stellen sie explizit klar, dass sie Ausschlüssen aufgrund ökonomischer Verhältnisse entgegenzuwirken versuchen. Wiederum wird Feminismus mit Kapitalismuskritik verknüpft, und es wird klar, dass die Bedingungen in einem Land viel dazu beitragen, wer sich wie engagieren kann. Sie wollen aktiv jene einbeziehen, die sonst wahrscheinlich wenig Möglichkeit haben, sich zu beteiligen. Aktivismus wird den Leser_innen folglich nicht als Privileg, sondern als Recht vorgeführt. Es wird gefragt, inwiefern die Gruppe das ›Wir‹ benutzt bzw. für wen die Gruppe jeweils spricht. Diese Frage ist in der Frauenbewegung eine zentrale. Gerade die Kritik nichtweißer Frauen hat zu entsprechenden Debatten geführt. Auch stellt sich die Frage, wer für wen sprechen darf und inwiefern es problematisch ist, von einem ›Wir‹ zu sprechen. Die Frage wird zunächst von Lambda Istanbul beantwortet. Diese verstehen den impliziten Kontext der Frage auch dahingehend richtig, als sie Identitätspolitik ansprechen und feststellen, dass dies ein komplexes Feld ist. Damit verwenden sie auch das ›richtige‹ Vokabular. Sie sprechen sich gegen »jegliche Viktimisierung von Identität« aus. Als Beispiel wird die Frage, die ihnen laufend gestellt wird, angeführt, wie es denn ist, in einem muslimischen Land schwul zu sein. Das ist eine klassische Frage in der Debatte, wird doch unterstellt, dass es für Muslime besonders schwierig ist. Ent-
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sprechend lautet die Rückfrage immer, wie es denn in einem katholischen Land ist, schwul zu sein. Lambda Istanbul verortet die Frage auch in kolonialen Verhaltensweisen, die dazu führen, zu viktimisieren und eine Hierarchie zwischen »westlichen« und muslimischen Ländern zu stabilisieren. Mit dem Bezug auf Kolonisation wird wiederum auf die Postkoloniale Theorie verwiesen. Das heißt, der_die Antwortende ist in akademischen Kontexten geschult. Die Kreation bestimmter Identitäten sieht er_sie auch als Versuch, diese als Opfer zu definieren. Gleichzeitig wird hier klar, dass es einen Austausch zwischen verschiedenen Gruppen und Kontexten gibt. Die eigene Arbeit wird in internationalen Kontexten gesehen und bewertet. Die Komplexität der Diskussion zeigt sich an der weiteren Ausführung, dass Identität durchaus wichtig sein kann: »besonders wenn dir jemand erzählt, dass deine Identität gar nicht existiert oder krank ist« (m1: 10). Je nach Kontext sind auch andere Aspekte wichtig – im Kampf um Rechte für Kurd_innen werden LGBT-Forderungen oder Gewalt in der Familie als weniger wichtig gesehen. Prekäre Identitäten müssen nach Ansicht von Lambda Istanbul sichtbar gemacht und verteidigt werden, ohne andere Identitäten auszuschließen. QueerBeograd beschreiben, dass sie queer nicht als Kategorie verstehen, sondern als Störung von Normativität. Dieser Definition folgend, reduzieren sie das von ihnen verwendete ›Wir‹ nicht auf den LGBTIQ-Kontext, sondern beziehen alle Menschen ein, »die den hegemonialen Strukturen unserer Gesellschaft sowie sie auf Hierarchien basierenden Kategorisierungen und Diskriminierungen von Minderheiten in Frage stellen« (m1: 10). Dies stellt eine sehr breite Definition dar, die möglicherweise auch jene einbezieht, die sich nicht mit QueerBeograd identifizieren würden. Gleichzeitig wird klar, dass es hier nicht nur um die Rechte von queeren Menschen geht, sondern Strukturen an sich kritisiert werden. Dies geht über Bündnispolitiken hinaus. Es werden nicht Partner_innen im Kampf gesucht, sondern der eigene Kampf soll dazu beitragen, dass alle bessergestellt werden. F.a.q. aus Berlin ist ebenfalls mit der Diskussion vertraut. Das ›Wir‹ benutzen sie für die Orga-Gruppe des Infoladens, ein kategoriales Wir finden sie dagegen schwierig, weil »dadurch Menschen, ohne gefragt zu werden, in ein kollektives ›Wir‹ […] eingeschlossen werden, andere wiederum daraus ausgeschlossen werden« (ebd.). Sie sprechen nicht paternalistisch für andere, wollen aber die gesamtgesellschaftlichen Zustände ändern. Damit versuchen sie, einen schwierigen Spagat zu schaffen und dabei verschiedene Kontexte zu berücksichtigen. Sie verstehen sich als undogmatisch und reflektiert, und sie beharren auch nicht auf fixen Standpunkten. Die Diskussion wiederum scheint für alle Befragten eine bekannte zu sein, sie verstehen, was mit der Frage gemeint ist und haben
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sich offenbar in ihren Gruppen mit diesen schon auseinandergesetzt. Inwiefern die Person, die die Fragen beantwortet, jedoch tatsächlich für die gesamte Gruppe spricht, ist offen – es kann durchaus sein, dass andere Mitglieder anders antworten würden, die Fragen richten sich aber jeweils an ein ›Ihr‹. Les Panthères Roses aus Paris selbst gehen von ihren Identitäten als Lesben, Trans und Schwule aus, sprechen aber nicht für die gesamte LGBTIQCommunity. In diesem Zusammenhang wird klargestellt, dass es auch innerhalb der Community unterschiedliche Positionen gibt. Die Gruppe wendet sich etwa gegen »eine Instrumentalisierung von Feminismus für rassistische Ziele« (ebd.). Damit wenden sie sich explizit gegen die Debatten um Burka- und Kopftuchverbot in Frankreich und die Vorstellung, dass ›Migrant_innen‹ für Sexismus und Homophobie verantwortlich seien. Sie unterstützen auch die Forderungen von Sexarbeiter_innen, wodurch sie sich von jenen Feminist_innen unterscheiden, die eine abolitionistische Position vertreten. Auch diese Gruppe hat ein breites Verständnis der eigenen Verantwortung – es geht nicht nur um die ›ur-eigenen‹ Inhalte, sondern auch um weitere und verwandte Themen. Gleichzeitig versuchen sie nicht, die ›Anderen‹ für sich selbst zu vereinnahmen. La Barbe aus Paris stellen klar, dass sie für »die Frauen« sprechen – als eine »Kategorie, die der Unterdrückung durch die Männer entsprungen ist, eine Kategorie, die so lange fortbestehen wird wie ihre Unterdrückung« (ebd.). Bis zum Verschwinden der Kategorie sprechen sie also für Frauen – allerdings »mit Bart«. Es zeigt sich, dass Platz für die Ausführung von Argumenten notwendig ist. Würde nur der erste Satz der Antwort stehen bleiben, würde ein falscher Eindruck von der Ausrichtung der Gruppe entstehen. Alle Gruppen argumentieren umsichtig und informiert, sind offensichtlich auf dem aktuellen Stand der entsprechenden Debatten, wobei auch deutlich wird, dass sie in akademischen Kontexten verortet sind. Alle sehen ihre Arbeit eher breit und nehmen Verantwortung nicht nur für spezifische Einzelinteressen wahr. Auch wenn sie z.T. unterschiedliche Ansichten vertreten und unter teils sehr verschiedenen Bedingungen tätig sind, wird doch sehr deutlich, dass sich alle nahestehen. Die Leser_innen werden auf unterschiedliche Problemlagen aufmerksam gemacht, und es werden ihnen gleichzeitig konkrete Eingreifmöglichkeiten präsentiert.
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ERFOLG, (AUS-)BILDUNG UND KARRIERE Angesichts der Prekarisierunsgesellschaft legen die Beiträge in biber den Leser_innen vor allem nahe, sich auf den eigenen Erfolg und Aufstieg zu fokussieren. Die Leser_innen werden vor allem als Individuen angesprochen und angehalten, dafür zu sorgen, jene Leistungen erbringen zu können, die notwendig sind, um am Arbeitsmarkt zu bestehen. Die Möglichkeit, dass manche aufgrund diskriminierender Rahmenbedingungen oder auch körperlicher Attribute gar nicht in der Lage sind, Leistung zu erbringen, wird dabei fast vollkommen ausgeklammert. Die Hinterfragung von Leistungs- und Erfolgsorientierung findet sich in biber kaum. Die Leser_innen sollen zumindest zu unternehmerischen Subjekten, wenn nicht sogar gleich zu Unternehmer_innen werden. Interessant ist dabei vor allem, dass gerade der österreichische Staat in biber sehr präsent ist und gleichsam als Arbeitgeber und Angstmacher auftritt.
Grundsatzhaltung: Erfolgreich sein In biber ist die deutliche Ausrichtung auf Erfolg vorhanden, d.h., den Leser_innen wird nahegelegt, zu erfolgreichen Subjekten zu werden. Dabei steht vor allem beruflicher Erfolg im Fokus. In jeder Ausgabe wird dieser thematisiert, und in einer Ausgabe findet sich ein eigenes Karrierespezial (auf dieses wird im nachfolgenden Kapitel eingegangen). Erfolg wird fast durchwegs klassisch definiert. Als besonders erfolgreich werden gerade Nichtmigrant_innen präsentiert. Im Grunde geht es um eine bestimmte Haltung bzw. auch darum, die Eigenschaften des Homo oeconomicus (vgl. Habermann 2008 und weiter unten) zu adoptieren, wobei auch die Selbstführung (vgl. Foucault 1993 und weiter oben) deutlich im Vordergrund steht. Erfolgreich sein hängt – so die Botschaft an die Leser_innen – nicht von strukturellen Rahmenbedingungen ab, sondern von der eigenen Leistung. Die Notwendigkeit, erfolgreich zu sein, wird hier auch nicht explizit mit der Gefahr des sozialen Abstiegs oder der Gefahr, den sozialen Aufstieg nicht zu schaffen, verknüpft. Dadurch wird die Orientierung auf Erfolg wiederum als grundsätzliche Haltung vermittelt, die nicht an den Beruf geknüpft ist, sondern quasi eine Lebenseinstellung sein sollte bzw. ist, die die Leser_innen für sich adoptieren sollten.
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Erfolgreiche Vorbilder Anhand einer Reihe und einem Beitrag wird hier ausgeführt, welche Eigenschaften den Leser_innen als erfolgsentscheidend vorgeführt werden. Es wird deutlich, dass es sich um klassische Werte handelt, wobei der Fokus auf der Leistung Einzelner und Selbstführung liegt. Migration spielt dabei kaum eine Rolle, und strukturelle Diskriminierungen werden weitgehend ausgeklammert.
Top-Bosse und -manager Eine Reihe, die die Leser_innen von biber offensichtlich dazu aufruft, zu erfolgreichen Subjekten zu werden, ist jene, die mit Geheimnis des Erfolgs übertitelt ist. In jeder der analysierten Ausgaben wird jeweils ein Top-Boss des Landes vorgestellt. Die Reihe wird in der ersten Ausgabe als ein Service von biber und dem Verein »Wirtschaft für Integration« vorgestellt (b1: 70). Auf den Verein, seine Ziele oder Mitglieder wird nicht eingegangen. Lediglich der zweite Interviewte, »Raiffeisenboss Christian Konrad« (b2: 23), wird als Schirmherr des Vereins genannt, was allerdings unter der Rubrik »Engagement« angeführt wird. Damit wird seine Arbeit im Verein als persönliches Hobby dargestellt, das mit dem Unternehmen, dessen Chef er ist, nichts zu tun hat – was wohl nicht den Tatsachen entspricht. Der Name des Vereins bringt das Programm allerdings schon auf den Punkt, sodass weiterführende Erklärungen wohl auch nicht notwendig sind: Wirtschaftstreibende setzen sich für ›Integration‹ ein, wobei ›Integration‹ hier deutlich positiv konnotiert ist. Traditionell – und in einer Linie mit dem Werbeslogan der Österreichischen Wirtschaftskammer »Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut« – haben wirtschaftliche Überlegungen in der Gesellschaft hohe Bedeutung. Wenn sich also ›die Wirtschaft‹ für ›Integration‹ einsetzt, gilt ›Integration‹ in der Folge als gut und wichtig. Die Verbindung zwischen Wirtschaft und Migration ist zudem historisch gesehen nicht neu: So hat in Österreich (und vielen anderen europäischen Ländern) das ›Gastarbeit‹-Phänomen nur stattfinden können, weil die Wirtschaftstreibenden Bedarf nach billigen Arbeitskräften hatten. Der Unterschied zu früher besteht allerdings darin, dass ›Integration‹ gefördert werden soll: Bei den ›Gastarbeiter_innen‹ war gerade das nicht gewünscht. Sie sollten sich nur eine Zeit lang in Österreich aufhalten und dann in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Interessant ist auch, dass der Name des Vereins im Grunde ausdrückt, dass es die Wirtschaft ist, die sich für ›Integration‹ einsetzt – betonen doch die hegemonialen Diskurse laufend, dass es die Aufgabe jener mit ›Migrationshintergrund‹ ist, sich zu integrieren.
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Die Reihe wird explizit als »Service« bezeichnet. Es geht nicht bloß darum, einen Einblick in die Vorstellungen von als erfolgreich gesehenen Menschen zu bieten, sondern es wird davon ausgegangen, dass die Leser_innen das Gebotene gleich umsetzen und anwenden können/sollen. Entsprechend hält die Beschreibung fest, dass »dir« hier gesagt wird, »wie du ganz nach oben kommst. Die Top-Bosse des Landes geben Tipps« (b2: 23; b3: 67; b4: 72; b5: 72). Es sind zwei Journalistinnen, die die Beiträge gestalten. Sie sind in jeder Ausgabe abgebildet: Zu sehen ist eine Tür. Die beiden stecken offenbar die Köpfe in einen Raum, so, als würden sie wissen wollen, was dort passiert. Signalisiert wird, dass sie neugierig sind und in etwas hineinschauen, in das sie nicht wirklich gehören. Ihre Namen (Eser Akbaba, Zwetelina Ortega) lassen auf einen ›Migrationshintergrund‹ schließen. Dieser wird aber nicht explizit angesprochen. Die beiden Journalistinnen werden ab der zweiten analysierten Ausgabe als »vom Verein Wirtschaft für Integration« vorgestellt, d.h., es ist anzunehmen, dass sie Teil dieses Vereins sind und entsprechend die Ansichten teilen, die der Verein zu unterstützen versucht. Es werden fünf Personen vorgestellt, alle sind weiß, um die 50 Jahre alt, zwei sind weiblich, eine Person wird als zweisprachig vorgestellt, mögliche ›Migrationshintergründe‹ werden nicht explizit angesprochen. Es handelt sich um den Wiener Bürgermeister Michael Häupl, den Direktor der Raiffeisenbank Christian Konrad, die Vorstandsdirektorin der Österreichischen Lotterien Bettina Glatz-Kremsner, den Geschäftsführer der Wien Holding1 Peter Hanke und die Wiener Vizebürgermeisterin Renate Brauner. Die Auswahl wird nicht begründet. Alle werden aber als Top-Bosse bezeichnet und als überaus erfolgreich präsentiert. Dass zwei Politiker_innen vorgestellt werden, irritiert zunächst, lässt sich aber wohl mit der Nähe von biber zu Wien erklären – dabei stellt sich die Frage, inwiefern eine Nähe zur SPÖ besteht, der beide Politiker_innen angehören. Auch ist es so, dass Wirtschaft und Politik untrennbar miteinander verbunden sind. So befindet sich etwa die Wien Holding, deren Geschäftsführer auch als einer der Top-Bosse vorgestellt wird, im Besitz der Stadt Wien. Gleichzeitig kann es als etwas Neues betrachtet werden, dass Politik als ein gangbarer Weg für ›Menschen mit Migrationshintergrund‹ präsentiert wird. Sind es doch nach dieser Sichtweise keine Fremden, die erst Bürger_innen werden müssen, sondern es sind Bürger_innen, die auch Politiker_innen werden können. Auch meint die Wiener Vizebürgermeisterin explizit: »Es ist wichtig, dass MigrantInnen in der Politik, in Interessensvertretungen sind.« (b5: 72)
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»die wien holding bündelt relevante wirtschaftsbetriebe und -aktivitäten der stadt unter einem dach als gemeinwirtschaftliches unternehmen«, b4: 72, sic.
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Vier der fünf Interviewten werden in einer Infobox kurz vorgestellt, wobei der Fokus inkonsistent ist. Von allen fünf findet sich auch ein Foto. Bis auf Häupl lächeln alle. Die Männer tragen jeweils Anzug und Krawatte, die Frauen sind legerer angezogen, tragen Schmuck und sind geschminkt. Auffallend ist, dass bis auf einen Mann alle zumindest leicht übergewichtig wirken und so nicht dem entsprechen, was Bourdieu bereits 1979 in seinem Buch Die feinen Unterschiede als neues Ideal des Direktors beschreibt, das einen »schlanken, sonnengebräunten und körperbewussten Vertreter der jungen Generation« (Bourdieu 1979: 490) darstellt. Dass sie diesem Ideal nicht entsprechen, heißt allerdings nicht, dass sie nicht bemüht sind, das Ideal zu erreichen: So spricht Häupl davon, ein Fitnessprogramm zu haben, das für den körperlichen Ausgleich zur Arbeit sorgen soll. Der Bankdirektor wiederum berichtet: »Leider mache ich dann [wenn er nach Hause kommt, Anm. VR] immer wieder den Fehler, zur Schokolade zu greifen. Deshalb schaue ich auch so aus, aber es beruhigt die Nerven« (b2: 23). Das wird wiederum nicht als bloße Tatsache präsentiert. So berichtet er weiter: »Dann lege ich mich mit schlechtem Gewissen ins Bett (lacht).« (b2: 23) Auch Häupl berichtet, dass er einen Trainer braucht, der ihn motiviert, seine »sportlichen Hausaufgaben« (b1: 70) zu machen. Sie bemühen sich also, den Idealen zu entsprechen, schaffen es aber nicht, fühlen sich schlecht, müssen motiviert werden. In den Augen der Leser_innen erscheinen sie dadurch als menschlich, wobei aber auch auffällt, dass ihre Disziplinlosigkeit und das Scheitern in ihrer Freizeit liegen – beruflich sind sie durchweg ›on top‹. Ihr Verhalten kann gleichzeitig als in einer Linie mit dem verstanden werden, was Foucault mit Technologien des Selbst beschreibt, als »Techniken, die es Individuen ermöglichen, mit eigenen Mitteln bestimmte Operationen mit ihren eigenen Körpern, mit ihren eigenen Seelen, mit ihrer eigenen Lebensführung zu vollziehen, und zwar so, dass sie sich selber transformieren, sich selber modifizieren und einen bestimmten Zustand von Vollkommenheit, Glück, Reinheit, übernatürlicher Kraft erlangen.« (Foucault 1993: 26)
Den Leser_innen wird damit nahegelegt, es auch so zu machen – wenn Schokolade, dann mit schlechtem Gewissen, Sport gehört dazu, Motivation ist wichtig. Auch in der Freizeit – so die Botschaft – ist Leistung zu erbringen, wenn man top sein will.
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Top-Manager In biber vom Juni 2011 werden auf zwei Seiten Top-Manager intim vorgestellt. Der Beitrag stammt von Marina Delcheva und ist Teil des »Ost-Specials«, das in den fünf analysierten Ausgaben immer zu finden ist, ohne dass genau benannt wird, was unter »Osten« gemeint ist und inwiefern es ein »Special« ist. Der Zusammenhang erklärt aber den Fokus des Beitrags auf Osteuropa. So heißt es in der Einleitung: »Sie hetzen durch Osteuropa – von einer Sitzung, Firmenübernahme oder Business-Gala zur nächsten. Doch auch Manager sind nur Menschen. Biber fragt fünf österreichische Bosse: ›Was lieben Sie an CEE?‹« (b5: 54) CEE wird in einer Fußnote erklärt: Es handelt sich um »Central and Eastern Europe«. Obwohl hier auch Mitteleuropa – und damit auch Österreich – gemeint ist, steht in biber dennoch – und laufend – der ›Osten‹ im Fokus der Aufmerksamkeit. Die Beiträge der Ost-Specials sind mit wirtschaftlichen Aspekten verknüpft, wobei der ›Osten‹ jeweils als Markt konnotiert wird. Vor allem geht es darum, österreichische Unternehmen als in Märkten des ›Ostens‹ erfolgreich darzustellen. Der ›Osten‹ verspricht Gewinne, allerdings auch unsichere Verhältnisse. Der ›Osten‹ erstreckt sich dabei zwar meist bis in die Türkei, am häufigsten sind allerdings jene Länder vertreten, die eine gemeinsame (monarchistische) Geschichte mit Österreich teilen – ohne dass diese Verbindung allerdings jemals benannt wird. Damit wird der Einsatz der österreichischen Manager in diesen Ländern und Gebieten als etwas Neues, Zukunftsgerichtetes konnotiert, obwohl die angestrebte Eroberung der »Ost-Märkte« durchaus an die Eroberung von Ländereien durch die Habsburger_innen erinnert. Gleichzeitig betont die Formulierung der Frage an die Top-Manager (»Was lieben Sie an CEE?«) durchaus die emotionale Verbindung zu diesen Ländern und Gebieten – die Manager sind nicht nur beruflich mit den Ländern verbunden, sie haben auch affektive Beziehungen zu diesen und lieben manche Aspekte sogar. Schon die Einleitung zum Beitrag vermittelt jenes Bild von Managern, das auch Raewyn Connell (u. a. 2008) ausführlich beschrieben hat: Es handelt sich um mobile, gestresste, wichtige Personen, die international unterwegs sind – und vor allem: männlich. Allerdings liegt der Fokus hier auch gleichzeitig auf dem Privatleben der Männer – sie sind »nur Menschen«. Sie sind auch alle »österreichische Bosse« und verfügen über viele Ähnlichkeiten mit den beschriebenen Top-Bossen: Es werden fünf Männer vorgestellt. Sie alle sind wiederum um die 50 bis 60 Jahre alt, weiß, tragen Anzug und Krawatte. Auch bei ihnen werden mögliche ›Migrationshintergründe‹ nicht explizit benannt, auch wenn einer von ihnen, der Vorstandssprecher der Ersten Bank Österreich, Thomas Uher, als »Angehöriger der Tschechischen Minderheit in Wien« (b5: 54) vorgestellt wird.
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Beim Vorstandsvorsitzenden der Raiffeisenbank International AG, Herbert Stepic, lässt der Nachname einen ›Migrationshintergrund‹ vermuten, allerdings ohne dass dieser benannt wird. Obwohl nicht erklärt wird, warum es sich um Top-Manager handelt, wird bei jedem der Männer ihre Funktion benannt, aus der sich schließen lässt, dass diese tatsächlich die Wirtschaftselite des Landes ausmachen: Zu finden sind, neben den beiden bereits genannten, auch der Vorstandsvorsitzende der OMV, Gerhard Roiss, der Vorsitzende der PORR AG, Karl Heinz Strauss, und der Präsident der Henkel CEE, Günther Thumser. Damit wird eindeutig vermittelt, was »top« ist: die höchste Position in der Wirtschaft. Entsprechend der Überschrift steht dann aber nicht ihr Beruf im Vordergrund, sondern ihre privaten Interessen – auch wenn wiederum klar wird, dass sich diese nicht von ihrem Beruf bzw. Einsatz in Osteuropa trennen lassen. Im Unterschied zu den Top-Bossen sind bis auf einen Top-Manager alle recht schlank, auch wenn niemand von ihnen Sport zu ihren Hobbys oder Interessen zählt.
Erfolg(-reich sein) Die Auswahl der Top-Bosse und der Topnanager macht deutlich, dass Erfolg in biber klassisch definiert wird: Beruflich hoch qualifizierte Menschen mit Führungsaufgaben sind erfolgreich und in der Lage zu verraten, wie auch die Leser_innen erfolgreich sein können. Es finden sich keine alternativen Versionen von Erfolg, und es werden offensichtlich nur jene in Betracht gezogen, die es an die ›Spitze‹ geschafft haben. Ökonomischer Erfolg ist das Entscheidende, wobei – wie bei den beiden Politiker_innen sichtbar – politischer Einfluss mit diesem gleichgesetzt wird. Gleichzeitig werden ökonomische Aspekte nicht angesprochen – es werden etwa keine Fragen nach dem Einkommen gestellt. Keine Rolle spielt zudem auch die Ausbildung oder das notwendige Fachwissen – es ist nicht die Rede davon, ob und wenn ja was die Interviewten studiert haben, ob sie Lehren absolviert haben o. Ä. Trotz ihrer Tipps bleibt also sehr offen, wie die Leser_innen es konkret angehen können, zu Top-Bossen zu werden. Auch wird nicht hinterfragt, ob es wirklich erstrebenswert ist, ›ganz nach oben‹ zu kommen. Als Eigenschaften, die zum Erfolg führen, werden von den Interviewten Top-Bossen zum einen klassische Werte genannt: »Eloquenz ist gut, Fleiß ist wichtig und zudem hilft Ehrgeiz – dadurch kommt die nötige Selbstmotivation« (Bürgermeister Häupl, b1: 70), »Verlässlichkeit, Fleiß, Wahrhaftigkeit […]. [G]rüßen, danken, pünktlich sein« (Raiffeisendirektor Konrad, B2: 23). Zum anderen werden soziale Kompetenzen betont: »Soziale Intelligenz ist der Schlüssel zum Erfolg« (Bürgermeister Häupl, b1: 70), man muss »mit Menschen umgehen
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können« (Raiffeisendirektor Konrad, b2: 23), »Es geht nur mit Herz und Hirn in einer gewissen Ausgewogenheit. Mit Herz meine ich die Sozialkompetenz, also den Umgang mit Menschen« (Vorstandsdirektorin der Öst. Lotterien GlatzKremsner, b3: 67). Deutlich wird allerdings auch die Ansicht, dass der_die Einzelne für den eigenen Erfolg verantwortlich ist – etwa wenn der Wiener Bürgermeister von »Selbstmotivation« spricht oder wenn der Raiffeisendirektor meint: »Erfolg muss in einem selbst entstehen« (b2: 23). Dies entspricht neoliberalen Anrufungen und der Subjektformation des »unternehmerischen Selbst«, die ausdrückt, dass die Menschen sich selbst und andere als Unternehmen betrachten sollten (vgl. Bührmann 2012: 145). Menschen werden dabei als unternehmerisches Selbst angerufen, wobei sich dieses dadurch auszeichnet, »dass sein Handeln, Fühlen, Denken und Wollen an ökonomischen Effizienzkriterien und unternehmerischen Kalkülen ausgerichtet ist« (ebd.: 149). Über ähnliche Eigenschaften verfügt auch der Homo oeconomicus, wie ihn etwa Friederike Habermann (2008: 14) beschreibt, als dessen Hauptmerkmal sie das »auf den eigenen Vorteil bedachte, rationale Handeln« sieht. Genauso wie den Homo oeconomicus bezeichnet Bröckling auch das unternehmerische Selbst als Realfiktion, da beide nicht bloß Diskurseffekte sind, »sondern Chiffren für ein höchst praktisches Anforderungsprofil, das angibt, wie sich Menschen als Personen zu begreifen und wie sie zu agieren haben, um am Marktgeschehen partizipieren zu können« (Bröckling 2007: 38). Die Interviews können in einer Linie mit dieser Denkweise verstanden werden, d.h., die Leser_innen sind angehalten, sich an dem zu orientieren, was ihnen präsentiert wird. Der Geschäftsführer der Wien Holding, Peter Hanke, entspricht am ehesten den Werten des unternehmerischen Selbst: Er entwickelt langfristige Strategien, ist Teamplayer und motiviert, auf die Erreichung von Zielen fixiert. Den Leser_innen empfiehlt er, den eigenen Weg zu gehen, hungrig zu bleiben und kreativ zu sein. Einzelne sollen also aus eigenem Antrieb, ohne Hilfe von außen, tätig sein. Gleichzeitig präsentiert er Erfolg als sinnliche Erfahrung, die Freude bereitet: »Erfolg und Stärke sind Lustgewinn. […] Ohne Lust geht gar nichts.« (b4: 72) Bei den Top-Managern wird deutlich, dass sie Genuss aus ihrem Erfolg ziehen und dass erst der berufliche Erfolg ihre Hobbys und Interessen möglich macht. Obwohl weder ihr Beruf noch ihr Einkommen angesprochen werden, meint etwa Karl Heinz Strauss auf die Frage, was er aus den Ländern, in denen er tätig ist, mitnimmt: »Wann immer Zeit bleibt, stöbere ich gerne in Galerien, Antiquariaten und Spezialbuchhandlungen. Auch der Platz für Jagdtrophäen aus Polen, Ungarn, Tschechien, Kroatien und der Slowakei wird knapp.« (b5: 54) Die interviewten Manager sind höchst mobil. Als Lieblingsorte werden von ihnen Prag, Bratislava, Istanbul, die kroatische Adria, das Rila-Kloster in Bulga-
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rien genannt, die persönlichen Reisebilanzen etwa mit »unzählige Monate in fast allen Ländern Osteuropas« (Karl Heinz Strauss, b5: 54) oder »27 Länder in 20 Jahren« (Günther Thumser, b5: 55) zusammengefasst. Nichtsdestotrotz sind auch alternative Definitionen und Kritik sichtbar: So berichtet die Wiener Vizebürgermeisterin, dass ihr Erfolg auch damit zusammenhängt, dass sie sehr gute Mitarbeiter_innen hat. Das entspricht zwar den als ›typisch weiblich‹ beschriebenen Aussagen von erfolgreichen Frauen, die den eigenen Erfolg häufig auf externe Faktoren und nicht auf eigene Leistungen zurückführen, gleichzeitig stellt die Aussage aber auch eine alternative Erzählung dar. Auch die Interviewerinnen sind von den Aussagen der Interviewten nicht durchweg überzeugt: Den Wiener Bürgermeister fragen sie, ob man nicht »schleimen« und/oder brutal sein muss, um nach oben zu kommen. Der Raiffeisendirektor wird gefragt, ob er so weit gekommen ist, weil er über ein Netzwerk verfügt. Beide Männer verwehren sich zwar oberflächlich gegen diese Deutungen, räumen aber in ihren Antworten im Grunde ein, dass das auch Erfolgsfaktoren sein können. So beschreibt Häupl, dass es durchaus erfolgreiche Politiker gibt, deren Weg von Leichen gepflastert wird. Konrad meint, dass Netzwerke wachsen, wenn man erfolgreich ist. Bei den Top-Managern werden dagegen keine negativen Seiten deutlich – einmal abgesehen von den Luxusproblemen von Karl Heinz Strauss, der immer weniger Platz für seine Jagdtrophäen hat, oder von Herbert Stepic, der zu viele Lieblingsorte hat. Deutlich wird auch, dass auch ihre Freizeit im Grunde wieder dem Beruf dient. Dies wird etwa bei den Ausführungen des Wien-Holding-Geschäftsführers deutlich: »Ich schätze das Familienumfeld als eine Kraftzone. Ich liebe es, in die Welt meiner Kinder einzutauchen. Und da ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass mir etwas Tolles einfällt. Das wird dann aufgeschrieben und an den engsten Kreis der Mitarbeiter weitergegeben. […] Kreativität ist für mich auch Sport. Wenn ich intensiv laufe, kommen mir die spannendsten Gedanken.« (b4: 72)
Von den Top-Bossen wird der Beruf allerdings aber auch als etwas präsentiert, das anstrengend ist und von dem man sich erholen muss. Der Beruf ist damit nicht mit Berufung gleichgesetzt. Die meisten der Interviewten freuen sich offenbar darauf, andere Dinge tun zu können, als nur zu arbeiten. Ihre Positionen erscheinen dadurch als nicht unbedingt erstrebenswert. Der Raiffeisendirektor räumt auch ein, dass er bedauert, bei der Erziehung seiner Kinder nicht involvierter gewesen zu sein: »Ich war nie da, der Beruf hat mich stark gefordert, ich
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war immer auf Zack! […] Es wäre sicher auch gegangen, hätte ich der Familie mehr Zeit gewidmet. Ich war zum Teil egoistisch.« (b2: 23) Die Top-Manager scheinen dagegen genug Zeit für ihre Hobbys und Interessen zu haben bzw. verbinden diese auch, so gut es geht. So erklärt Günther Roiss auf die Frage nach seinem Lieblingsort, dass es sich dabei um das Café im Istanbuler Museum für moderne Kunst handelt, und führt weiter aus: »Hier mache ich gerne geschäftliche Termine aus. In dieser Atmosphäre Kaffee zu trinken und dabei übers Meer zu schauen, entspannt und inspiriert mich.« (b5: 55) Der ›Einsatzort‹ wird auch von den anderen Top-Managern privat genutzt: Sie gehen gerne jagen (»Auch der Platz für Jagdtrophäen aus Polen, Ungarn, Tschechien, Kroatien und der Slowakei wird knapp«, Karl Heinz Strauss, b5: 54), sammeln Kunst (»In seinem Büro hängen Bilder aus allen Ländern Osteuropas«, Herbert Stepic, b5: 55), lesen (»Mindestens zwei Meter meiner Bibliothek sind aus Prag importiert«, Thomas Uher, b5: 54). Ihre Hobbys entsprechen durchwegs dem Habitus der Oberschicht. Niemand gibt etwa an, Reality-TV-Formate zu schauen oder einfach nur zu faulenzen, auch wenn der Raiffeisendirektor einräumt, dass er im Fernsehen gerne Krimis und Fußballspiele schaut – wenn er denn überhaupt mal frei hat: »Bei mir endet jeder Arbeitstag am Abend mit Veranstaltungen. Es gibt kaum einen Abend, wo ich zu Hause sitze und meiner Frau helfe, die Wolle abzuwickeln. Ich bin immer unterwegs.« (b2: 23)
Frauen und ›Andere‹? Auffallend ist der Unterschied beim Umgang mit geschlechtersensiblen Themen: Während bei den Top-Bossen zwei der fünf Interviewten weiblich sind, sind alle Top-Manager Männer. Die Interviewerinnen der Top-Bosse-Reihe bringen auch geschlechterkritische Fragen ein. So wird der Wiener Bürgermeister explizit gefragt, ob er sich eine Frau als Nachfolgerin vorstellen kann. Der Raiffeisendirektor wird gefragt, ob junge Männer in Väterkarenz gehen sollten. Damit werden klassische Themen der Frauenförderung angesprochen. Die Antwort des Raiffeisendirektors ist allerdings zwiespältig. So spricht er sich zwar für die Väterkarenz aus, meint aber auch, dass das eine Sache ist, die der Mann mit seiner Frau klären muss. Deutlich wird hier ein konservatives Bild: Es sind heterosexuelle Eltern, von denen er ausgeht. Es ist Sache der Familie und nicht der Firma oder gar des Staates, die Karenz zu regeln. Gleichzeitig führt er aus, dass der Mann zwar während seiner Karenzierung Chancen verpasst, die er aber nachholen kann, wenn er sich bemüht. Auch hier sorgt nicht etwa das Unternehmen dafür, dass Chancen zur Verfügung gestellt werden, es ist der Einzelne, der den beruflichen Erfolg selbstständig schaffen kann und soll.
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Bei den Interviewerinnen der Top-Bosse-Reihe besteht auch Bewusstsein darüber, dass es für Frauen schwierig ist, »nach oben« zu kommen. Hiermit wird versucht, den Leser_innen zu vermitteln, wie auch Frauen erfolgreich sein können bzw. dass Frauen trotz Hürden Top-Bosse sind. Gleichzeitig erfolgt bei den Frauen aber auch die Fokussierung auf ihr Geschlecht, was durchaus als problematisch gesehen werden kann. Bei der Vorstandsvorsitzenden der Österreichischen Lotterien, Bettina Glatz-Kremsner, wird etwa in der Infobox unter Extras »immer fesch« (b3: 67) angeführt, womit ihr Aussehen in den Vordergrund gerückt wird. Auch wird nur bei ihr das Geburtsjahr bzw. Alter genannt. Bei der Wiener Vizebürgermeistern Renate Brauner wird wiederum mit gleich zwei Fragen explizit auf ihr Frausein verwiesen: »Wie schaffen Sie es als Frau, mit mehreren Funktionen nicht den Überblick zu verlieren?« und »Wie ist es in der SPÖ, als Frau ihren Weg zu gehen?« (b5: 72) Während die zweite Frage mit den traditionell männlichen Strukturen der Politik bzw. der Partei erklärt werden kann, ist die erste im Grunde sexistisch. Lautet die Frage doch nicht allgemein, wie sie es schafft, mehrere Funktionen auszuüben, sondern explizit wie sie das als Frau schafft. Beide Frauen beweisen Souveränität im Umgang mit den Fragen, die mit ihrem Geschlecht zu tun haben. Es wird deutlich, dass sie mit diesen Fragen wohl häufig konfrontiert werden und sich mittlerweile Standardantworten zurechtgelegt haben. Brauner lacht die zweite Frage praktisch weg, indem sie mit einem bekannten Klischee antwortet: »Wir Frauen sind eben multitaskingfähig (lacht).« (b5: 72) In dieser Antwort und der Reihe insgesamt wird Erfolg auch mit jenen Fähigkeiten verknüpft, die traditionell weiblich und damit eher negativ konnotiert sind. Dass damit aber keineswegs mit den Idealen des Homo oeconomicus oder des unternehmerischen Selbst gebrochen wird, erklärt Friederike Habermann: Es »besteht eine klare Wertigkeit, welche Eigenschaften als erstrebenswert gelten: Solche, die notwendig sind, um sich den ökonomischen Anforderungen anzupassen.« (Habermann 2008: 270) Wenn also als ›typisch weiblich‹ geltende Eigenschaften notwendig sind, um Erfolg zu haben, werden diese in das Repertoire integriert, ohne dass die Ausrichtung auf ökonomischen Erfolg hinterfragt wird. Hegemoniale Leitbilder erlangen zudem für alle Identitäten Gültigkeit, was bedeutet, dass auch jene, die diesem Bild an sich nicht entsprechen (Frauen/People of Colour), angehalten sind, die entsprechenden Werte zu verinnerlichen: Auch ›andere‹ sollen unabhängig, flexibel und erfolgreich sein (vgl. ebd.: 18 f.). Auffallend sowohl bei den Top-Bossen als auch bei den Top-Managern ist auch, dass Migration im Grunde keine Rolle spielt. Lediglich beim Interview mit der Wiener Vizebürgermeisterin bringen die Interviewerinnen das Thema ein. So
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fragen sie sie zu ihrer Meinung über ›Migranten‹ in Führungspositionen. Brauner meint darauf, dass besonders in Wien »gar nicht wenige Migranten in TopPositionen« tätig sind, »aber sie werden nicht als Migranten wahrgenommen« (b5: 72). Ob sie das als positiv oder negativ wertet, bleibt offen. Allerdings meint sie auch, dass die Wiener Wirtschaft ohne die Internationalität nicht so erfolgreich wäre. Es sind also auch »interkulturelle Kompetenzen«, die zum Erfolg führen. Auch Bettina Glatz-Kremsner führt diese als wichtig an, indem sie meint, dass auch »die Fähigkeit, sich in unterschiedliche Personen verschiedenster Kulturen hineinversetzen zu können« (b3: 67), ein Erfolgsfaktor ist. Ihr selbst habe ihre zweite Muttersprache, Ungarisch, geholfen, auch war sie in Ungarn tätig. Inwiefern ihre Zweisprachigkeit auf einen ›Migrationshintergrund‹ schließen lässt, bleibt allerdings offen. Deutlich ist aber, dass die Kenntnis von Fremdsprachen eine wichtige Ressource ist. Ihr Aufstieg in die Vorstandsebene wird von den Interviewerinnen so kommentiert: »Vielleicht gelingt uns das auch eines Tages…« (Ebd.) Es ist also nicht so, dass selbstbewusst verkündet wird, dass »uns« das auch gelingen wird, wobei auch nicht klar ist, ob mit dem »uns« wir »Migrant_innen« oder »wir« Frauen gemeint ist. Bei den Top-Managern findet sich ein Angehöriger der tschechischen Minderheit. Es wird aber nicht klar, ob er selbst über einen ›Migrationshintergrund‹ verfügt. Sehr deutlich wird dagegen seine Verbundenheit mit Tschechien. So fühlt er sich auch in Prag wohl, zwei Meter seiner Bibliothek stammen von dort und er würde gerne positives Denken nach Österreich importieren: »Tschechen jammern auch, aber lösungsorientiert« (b5: 54). Insgesamt erscheint er aber so wie die anderen Top-Manager auch: weniger als ›Migrant‹ denn als mobile Person. Mobilität erscheint dabei als Habitus der Wirtschaftselite.
›Andere‹ Manager_innen Während sie in den Schwerpunkten bzw. Reihen nicht vertreten sind (bzw. nicht explizit), finden sich in biber sehr wohl Menschen, die als Manager_innen mit ›Migrationshintergrund‹ konnotiert werden. Sie sind allerdings eher verstreut zu finden und meist nicht als ›Top‹ bewertet, sondern eher dem mittleren Management angehörig. Auch bei ihnen sind allerdings große Ähnlichkeiten mit den Top-Bossen und Top-Managern vorhanden: Auch hier sind fast ausnahmslos weiße Männer in Anzug und Krawatte zu sehen. Diese sind z.T. allerdings etwas jünger als die eingangs beschriebenen, nur einer von ihnen ist schwarz, nur eine Frau wird als Managerin bezeichnet. Einer der ›Anderen‹ ist der Rewe-Chef Frank Hansel, der als Chef von Merkur und Billa vorgestellt wird (b1: 65). Sein Aussehen und seine Kleidung ent-
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sprechen wiederum jenen der schon oben beschriebenen: Er ist ein weißer Mann um die 50, trägt Anzug und Hemd, gehört im Grunde zu den Top-Managern. Zu seiner Person wird allerdings auch seine Herkunft – Deutschland – angegeben, ohne dass klar wird, ob er in Österreich wohnt oder von Deutschland aus tätig ist. Obwohl er also über einen ›Migrationshintergrund‹ verfügt, ist er auf den ersten Blick nicht von (n)ur-österreichischen Managern zu unterscheiden. Damit wird der ›Migrationshintergrund‹ als eine Eigenschaft unter anderen bewertet – die Leser_innen können ihn als ›Migranten‹ wahrnehmen. Andererseits ist er dennoch so unmarkiert, dass er im Grunde nicht als jemand mit ›Migrationshintergrund‹ wahrgenommen wird. Im Beitrag wird er auch nicht als ›Migrant‹ konnotiert. Vielmehr geht es um seinen Beruf bzw. den Markterfolg seiner Unternehmen. So werden explizit »›Ethno‹-Produkte« (ebd.) thematisiert. Dabei wird allerdings deutlich, dass der Manager als jemand angesprochen wird, dem diese fremd sind. Die biber-Redakteur_innen legen ihm einige Produkte vor, die es in den von ihm geführten Geschäften gibt, um zu prüfen, ob er diese kennt. Die kroatische Gewürzmischung Vegeta erkennt er, die slowenische Leberpastete Argeta hält er dagegen für ein französisches Produkt. Er spricht in der Folge davon, dass rund die Hälfte seiner Mitarbeiter_innen über einen ›Migrationshintergrund‹ verfügt, und erklärt: »Wir wissen daher sehr gut, was unsere Kunden wollen.« (Ebd.) Im Beitrag wird also angedeutet, dass die Mitarbeiter_innen und Kund_innen vor allem als Menschen gesehen werden, die aus dem südöstlichen Europa stammen. Der Manager weiß offenbar nicht wegen seines eigenen ›Migrationshintergrundes‹, was die Kund_innen wollen, sondern aufgrund des Wissens seiner Mitarbeiter_innen. Er selbst wird dabei nicht als einer der ›Anderen‹ konnotiert – sonst würden die Redakteur_innen wohl kaum auf die Idee kommen, sein Wissen über ›fremde‹ Produkte zu testen. In einer bezahlten Anzeige der Bank Austria wird dann wiederum ein Mann als Manager sichtbar, der nicht explizit als solcher benannt wird. Es handelt sich um den Abteilungsleiter des »CRR Underwriting« der Bank Nikolaus Linarić, der in Serbien am Aufbau des Standortes beteiligt war. Er wird als »Sohn einer Bosnierin und eines Kroaten« (b5: 67) vorgestellt, der in Wien geboren wurde. Die Überschrift und den Anfang des Beitrags bildet ein Zitat von ihm: »Sie haben sofort gemerkt, dass ich ein Schwabo bin.« (Ebd.) Das wird nicht näher erklärt, die Stammleser_innen von biber wissen aber, was gemeint ist: In Serbien wurde der ›eigentliche‹ Serbe als Österreicher erkannt und damit als kein ›echter‹ Serbe gesehen. Damit wird dem Mann einerseits Authentizität abgesprochen, gleichzeitig ist ihm offenbar der (symbolische) Aufstieg in die Kategorie der ›echten‹ Österreicher gelungen.
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Er wird (was bei einer Anzeige kaum verwundert) als erfolgreich geschildert. So sorgt er zusammen mit seinem 16-köpfigen Team dafür, die Risiken der Bank in Serbien einzuschätzen. Sieben Personen aus dem Team sind zusammen mit ihm abgebildet: Vier davon sind Frauen, eine davon mit dunkler Haut und einem Namen, der indisch klingt, drei sind weiße Männer. Auch im Text wird die Diversity des Teams betont: Die Abteilung überprüft Kreditanträge aus Osteuropa und ist entsprechend mit »zweifelhaften Geschäftspraktiken konfrontiert« (ebd.). Und weiter: »Da braucht man einen besonderen Durchblick – etwas, das die Abteilung mehr als zur Genüge hat. Nur zwei Österreicher haben sich in das ›CEE Underwriting‹-Team eingeschlichen. Der Rest ist international: Serben, Kroaten, Slowaken, Rumänen und viele andere.« (b5: 67) Die (N)Ur-Österreicher_innen werden in ungewohnter Weise als jene geschildert, die sich einschleichen, in der Minderzahl und im Grunde weniger qualifiziert sind. So verfügen sie eben nicht von Haus aus über den »besonderen Durchblick«, den offenbar erst ein ›Migrationshintergrund‹ verleiht. Gleichzeitig wird deutlich, dass diese Sichtweise zu vereinfachend ist: So meint Nikolaus Linarić: »Ich bin [in Serbien] vor allem dadurch aufgefallen, weil ich ordentlich war. Das hat wohl mit meiner österreichischen Erziehung zu tun.« (Ebd.) Er hat also das Ordentlichsein, das positiv konnotiert ist, durch seine österreichische Erziehung gelernt. Als Serbe wäre ihm das – so die Botschaft – nicht möglich gewesen. Trotz seines beruflichen Erfolges ist der Mann ›nur‹ Abteilungsleiter und wird sicherlich nicht zu den Top-Bossen gezählt. Er gehört eher zum mittleren Management. Abgesehen von seinem ›Migrationshintergrund‹ entspricht er dennoch dem Managertypus. Er ist schlank, trägt Hemd und Krawatte, ist mobil und engagiert, hat den nötigen »Durchblick«. Den einzigen potenziellen Nachteil, den er mitbringt – den ›Migrationshintergrund‹ – hat er in etwas Positives umgewandelt und produktiv gemacht. Den Leser_innen wird gleichzeitig vermittelt, dass gerade in seiner Branche ein möglicher ›Migrationshintergrund‹ eher positiv gesehen wird. So könnten auch sie – so sie über einen solchen verfügen und damit den notwendigen »Durchblick« mitbringen – ähnlich erfolgreich werden. Ebenfalls als Manager wird ein Interviewter bezeichnet, der als Abteilungsleiter und IT-Architekt der BAWAG PSK tätig ist: Samba Diallo. Der Mann stammt aus dem Senegal und ist der einzige schwarze Mensch, der in biber als Manager konnotiert ist. Auch er trägt Anzug und Krawatte. Seine Körperhaltung ist selbstbewusst und lässig zugleich – er ist es offenbar gewohnt, interviewt und fotografiert zu werden. Er wird als Computerass und internationaler Manager eingeführt, obwohl auch er im Grunde wieder ›nur‹ das mittlere Management repräsentiert. Auch er vermittelt ein positives Bild seiner Bank und bezeichnet sie
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als offenes Unternehmen. Für sich selbst gibt er an, international erfahren zu sein. So antwortet er auf die Frage, wie es für ihn ist, in Österreich zu arbeiten: »Die Arbeitswelt ist überall anders: In Frankreich beginnen die Meetings, ohne dass man merkt, dass sie schon begonnen haben. In der Schweiz spricht man Schweizer Deutsch. In Österreich sehe ich das so, dass sich die Leute vor dem Meeting absprechen und vorbereiten. Wenn man nicht Teil dieser Absprachen ist, hat man ein Problem.« (b5: 68)
Auch war in Österreich nur der Schnee ein Kulturschock, weil er laut eigener Aussage schon viel über das Land gewusst hat und Deutsch gesprochen hat. Sein ›Migrationshintergrund‹ wird im Unterschied zur oben beschriebenen Anzeige nicht explizit als Vorteil für die Karriere konnotiert. Eher versucht er, seine internationale Erfahrung zu betonen. Gleichzeitig wird er explizit gefragt, ob er schon Probleme wegen seiner Hautfarbe gehabt hat, worauf er antwortet, dass er einerseits gelernt hat, »solchen Problemen aus dem Weg zu gehen« (ebd.), andererseits schildert er eine Episode, in der zwei Polizisten mit dreckigen Schuhen seine Wohnung betreten wollten, was er verweigert hat. Auch wenn er abschließend feststellt, dass die Unhöflichkeit der Polizisten »nicht unbedingt Rassismus« gewesen ist, ist doch deutlich, dass er das schon in dieser Richtung interpretiert. Er wird im Interview durchweg auf Hautfarbe und ›Migrationshintergrund‹ verwiesen. Folglich geht es nicht um seine Expertise oder Arbeit, sondern um seine Erfahrung als ›Anderer‹. In einer Infobox wird festgehalten, dass er in Graz und Wien studiert hat, d.h., er ist offensichtlich schon lange in Österreich und nicht ›neu‹, auch wenn der Eindruck dominiert, er wäre fremd. In einem Beitrag zu Wiener Hausmeister_innen wird ein ehemaliger Hausmeister, Bogoslav Cucujkić, der mittlerweile eine Wohnanlage betreut, als »Facility Manager« (b2: 64) vorgestellt. In einer Diskussionsrunde streicht er die vielfältigen Kompetenzen und Verantwortlichkeiten hervor, die er mitbringt und übernimmt. Er bezeichnet sich selbst als »professionelle[n] Dienstleister« (b2: 65), der sich weiterbildet und gerade die »Meisterprüfung bei der Landesinnung Wien für Denkmal-, Fassaden- und Gebäudereinigung« (ebd.) ablegt. Es ist ihm wichtig, seine Kompetenzen sichtbar zu machen. Er ist nicht ›bloß‹ Hausmeister, sondern ein moderner Manager mit vielfältigem Wissen. Auch er ist auf einem Foto abgebildet und entspricht wiederum dem Managertypus: schlank, um die 40 bis 50 Jahre alt, seriös angezogen. Er führt aus, dass Hausmeister ein Beruf mit Zukunft ist, wobei er einem anderen Diskussionspartner dabei zustimmt, dass Migranten diesen Job als einen mit Entwicklungspotenzial sehen: »Als Migrant hat man die Chance, sich hier durchzusetzen und erntet auch viel Achtung. Der Hofrat und Richter aus meiner Anlage haben auch gestaunt, dass ich nicht nur
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kehren kann, sondern hier ein Unternehmen checke und etwas von Bausubstanz verstehe.« (b2: 66) In dieser Aussage wird deutlich, dass es im Grunde überraschend ist, als ›Migrant‹ über Wissen zu verfügen und dass er aus der Tatsache, dass er sich gegenüber hochgestellten Personen beweisen kann, Stolz schöpft. In zwei Anzeigen der OMV (b2: 7; b4:11) werden zwei Personen als Manager bzw. Managerin bezeichnet, die auf den ersten Blick jeweils über einen ›Migrationshintergrund‹ zu verfügen scheinen. Zunächst ist ein Mann zusehen, der ein Schild hochhält, auf dem zu lesen ist: »Was ›Mehr bewegen‹ heißt? In neuen Märkten wachsen« (b2: 7). Er wird als »Burak Üçöz, Commercial Manager, Türkei« (ebd.) bezeichnet, ist ein Mann um die 50, trägt Hemd und Krawatte und steht offenbar vor der Istanbuler Bospurusbrücke. Er ist derjenige, der zum Wachstum beiträgt. Allerdings wirkt er in diesem Szenario eher wie jemand, der Anweisungen aus Österreich ausführt – auch ist er eine Werbefigur, die nicht zu Wort kommt. Es stellt sich die Frage, ob er über einen ›Migrationshintergrund‹ verfügt oder nicht, d.h., er ist vordergründig ein Türke, der in der Türkei arbeitet, könnte aber auch jemand sein, der aus Österreich in die Türkei zurückgekehrt ist. Von den Leser_innen wird er aber wohl insgesamt als ›anders‹ wahrgenommen. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes schlicht Werbeträger und soll das internationale Image der OMV verdeutlichen. Dennoch ist hier gleichzeitig ein Türke als Manager sichtbar und eben nicht in einer jener Rollen, die türkischen bzw. ›fremden‹ Männern sonst zugeschrieben werden. Die einzige Frau, die in den analysierten Ausgaben ausdrücklich als Managerin bezeichnet wird, ist eine junge Frau, die Schutzanzug, Schutzbrille und Helm trägt. In den Händen hält sie ein Schild, auf dem »Wer gewinnt aus Gas Strom?« (b4: 11) steht. Hinter ihr sieht man Strommasten und offenbar eine Trafostation. Sie wird als »Roxana Ciobanu, OMV Petrom. Projektmanagerin Strom, Ploesti« (ebd.) vorgestellt. Dadurch, dass sie Arbeitskleidung trägt, sieht sie eher wie eine Ingenieurin denn als Managerin aus, auch wenn sie unter dem Schutzanzug eine Bluse trägt. Auch wenn die Stadt, das rumänische Ploesti, in der sie zu arbeiten/wohnen scheint, angegeben ist, dürfte diese den Leser_innen wohl so unbekannt sein, dass es ist im Grunde nicht klar ist, woher sie stammt bzw. wo sie lebt, auch wenn ihr Name vermuten lässt, dass sie keine (N)Ur-Österreicherin ist. Auch sie ist schlicht eine Werbeträgerin, kommt nicht selbst zu Wort und scheint – obwohl sie als Managerin bezeichnet wird – eher als Technikerin tätig zu sein. Bei jenen Manager_innen, die als ›Andere‹ konnotiert sind, wird im Grunde nicht deutlich, warum gerade sie ausgewählt wurden, um in biber sichtbar zu sein. Sie sind fast durchweg nicht jene, die ganz ›on top‹ sind. Entsprechend wird ihnen offensichtlich auch nicht die Kompetenz zugesprochen, die Le-
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ser_innen zu beraten. Nichtsdestotrotz werden auch sie als erfolgreich und kompetent geschildert, wobei auch hier Erfolg klassisch definiert ist. Sie sind beruflich erfolgreich, verfügen über Wissen, eigenen sich als Werbeträger_innen, sind mobil und international. Auffallend ist dabei, dass sie durchaus unter dem Druck stehen, das eigene Wissen und die Kompetenzen zu beweisen – so reicht es beispielsweise eben nicht, »Facility Manager« zu sein, um ernst genommen zu werden, vielmehr sind die ›Etablierten‹ deutlich überrascht, wenn die eigenen Kompetenzen unter Beweis gestellt werden. Entsprechend wird der Eindruck vermittelt, dass sich jene mit ›Migrationshintergrund‹ meist erst beweisen müssen – es ist nicht von Haus aus klar, dass sie qualifiziert sind. In diesem Sinne kann auch die Aussage des Facility Mangers, dass seine Branche eine ist, in der sich ›Migranten‹ beweisen können, auch so verstanden werden, dass dies in anderen Branchen eben nicht – oder wenn, schwerer – möglich ist. Ein Aspekt des Erfolges der ›anderen‹ Manager_innen scheint auch zu sein, dass sie im Großen und Ganzen jenen Stereotypen entsprechen, die von Managern erwartet werden: Sie sind fast durchweg Männer, ihre Kleidung ist seriös, sie sind mobil. Wenn sie über ›Makel‹ verfügen, werden diese in Vorteile umgewandelt oder heruntergespielt: Der Bankangestellte mit serbischem ›Migrationshintergrund‹ hat auf dem ›Balkan‹ entsprechenden Durchblick. Der schwarze IT-Experte hat gelernt, rassistisch motivierten Problemen »aus dem Weg zu gehen«. Wie weiter oben beschrieben ist es also durchaus möglich, mit ›falschen‹ Eigenschaften Homo oeconomicus zu sein, solange diese Eigenschaften ›überwunden‹ werden. Dass manche Eigenschaften trotz des Erfolges dennoch nicht gänzlich ›überwunden‹ werden können, zeigt der Vergleich der Interviews mit dem Rewe-Chef, Frank Hansel, und dem IT-Architekten der BAWAG, Samba Diallo: Während beim Ersteren sein ›Migrationshintergrund‹ gar keine Rolle zu spielen scheint, wird der Zweitere laufend auf seine Erfahrung des ›Fremdseins‹ verwiesen. Auch wenn sich Samba Diallo standhaft weigert, diese Position als seine zu akzeptieren, bleibt er den Leser_innen doch als ›Anderer‹ sichtbar.
Ausweg: (Aus-)Bildung (Aus-)Bildung und Karriere sind in zwei der fünf analysierten Ausgaben sehr prominent vertreten: zum einen in der Ausgabe vom Februar 2011, die bereits auf der Titelseite als »Schul-Special« (b1: 1) bezeichnet wird, zum anderen in der Ausgabe vom April 2011, in der ein »Karriere-Special« im Fokus steht, das insbesondere Lehrberufe thematisiert. Auch in den anderen analysierten Ausgaben finden sich Beiträge zum Thema (Aus- und Weiter-)Bildung, wobei diese
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aber meist Werbungen für diverse Bildungsinstitutionen sind (z.B. für die Volkshochschulen in b4: 25 oder b5: 31, die ESL-Sprachschule in b2: 85 oder b5: 21). Zunächst wird hier die Ausgabe vom Februar 2011, dann jene vom April 2011 in den Blick genommen bzw. dort, wo Bezüge zu anderen Ausgaben bestehen, auch auf diese eingegangen. Einige Beiträge in den beiden Ausgaben werden dagegen erst im nachfolgenden Kapitel diskutiert. Dabei handelt es sich im Februar 2011 um einen Beitrag zu Lehrer_innen mit ›Migrationshintergrund‹, im April 2011 um einen Beitrag zur Polizei bzw. auch um Werbungen diverser Ministerien. Beide Ausgaben, d.h. sowohl die vom Februar als auch die vom April 2011, zeichnen sich durch zwei Besonderheiten aus bzw. verdeutlichen diese: Erstens wird deutlich, wie sehr in den analysierten Ausgaben Werbung und redaktioneller Inhalt Hand in Hand gehen, und zweitens, wie ausgeprägt die Zusammenarbeit mit öffentlichen Stellen/Ministerien ist (dieser Punkt wird im nachfolgenden Kapitel ausführlich behandelt). Gerade im schülerbiber wird deutlich, dass Bildung nicht nur mit klassischem Schulerfolg verknüpft wird, sondern durchaus auch nichtschulische Bildung als wichtig definiert wird. In der biber-Ausgabe vom April 2011 findet sich ein 26-seitiges2 KarriereSpecial, auf das sowohl auf der Titelseite als auch im Editorial hingewiesen wird. Der Frühling wird im Editorial (b3: 6) mit der Sorge um die berufliche Zukunft verknüpft. Junge Menschen werden dezidiert angesprochen. biber bietet Hilfestellung, indem diverse Lehrberufe getestet werden, und auch Arbeitgeber_innen erklären, welche Eigenschaften jene, die für sie arbeiten wollen, mitbringen sollten. Auch hier wird beruflicher Erfolg betont, wobei aber in einem Beitrag auch deutlich wird, dass es nicht nur auf die Leistung Einzelner ankommt, sondern auch die Rahmenbedingungen stimmen müssen.
Lehre In einem Beitrag unter dem Titel Lehre statt Leere (b3: 52–57) versucht sich die Reporterin Stephanie de la Barra an sechs verschiedenen Lehrberufen. Sie berichtet, was sie erlebt hat. Es kommen aber auch jene zu Wort, die die Ausbildung tatsächlich absolvierten. Zu jedem Beruf sind die wichtigsten Informationen gegeben. Deutlich wird hervorgehoben, dass mit diesem Beitrag den Le2
Die Ausgabe selbst besteht aus 88 Seiten. Neun der 26 Seiten des Karriere-Specials sind Werbungen, die aber z.T. wiederum Kooperationen zwischen biber und den Werbetreibenden darstellen (z.B. eine Werbung für den Polizeiberuf, siehe weiter unten) bzw. auch in starkem inhaltlichem Zusammenhang mit dem Karrierespecial stehen. Auf dieses Phänomen wird weiter unten ausführlich eingegangen.
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ser_innen die Wahl leichter gemacht werden soll. Zunächst begleitet die Autorin die 17-jährige Aisha aus Brasilien bei ihrer Arbeit in einer Bücherei. Aisha berichtet, dass ihre Freunde es toll finden, dass sie was anderes macht als Friseurin – es wird suggeriert, dass klassische ›Frauenberufe‹ nicht so gut sind wie dieser. Im Fazit wird festgehalten, dass das ein Beruf für jene ist, die »lieber mit Hirnmasse statt Muskelmasse punkten« (b3: 52). Zudem suchen die Büchereien in Wien türkischsprachige Lehrlinge. Es werden also gerade jene mit ›Migrationshintergrund‹ angesprochen, und die Leser_innen werden wiederum als Menschen gesehen, die Wissen und Kompetenzen mitbringen. Bei Billa gefällt es der Reporterin weniger. Die Arbeit findet sie anstrengend und es stört sie, dass man für diese früh aufstehen muss. Zudem reden die Kolleg_innen nur wenig miteinander. Der Bericht ist insgesamt nicht positiv gehalten und wirkt entsprechend nicht so, als wäre biber von Billa engagiert worden, um den Beitrag zu schreiben. Im Fazit wird festgestellt, dass diese Lehre für jene gut ist, die gerne selbstständig arbeiten. Es wird vermittelt, dass hier keine Teamarbeit gefragt ist. »Lehrling Manu« wird nur kurz vorgestellt: Unter einem Foto von ihr wird berichtet, dass sie kein Problem damit hat, früh aufzustehen. Gleichzeitig vermittelt der Bericht, dass biber durchaus kritisch ist – obwohl auch auffällt, dass Billa in den analysierten Ausgaben kein Werbepartner von biber ist – im Unterschied zu Anker (vgl. b1: 7; b2: 14; b3: 2; b4: 26; b5: 23), wo die Verhältnisse von der Reporterin als sehr positiv geschildert werden. So müssen die Lehrlinge bei Anker nicht so früh zu arbeiten anfangen wie andere Angestellte der Bäckerei. »Lehrling Jennifer« berichtet zudem, dass ihr Job bei Anker sicher ist, während ihre Freunde schon mehrmals wechseln mussten. Auch das Bundesheer und die ÖBB werden als Arbeitgeber/-in präsentiert, wobei es hier vor allem darum geht, dass technische Berufe auch etwas für Frauen sind. So wird festgehalten, dass Frauen »ein besseres Vorstellungsvermögen bei Planung [haben] und […] beim Arbeiten genauer als ihre männlichen Kollegen« sind (b3: 55). Die Reporterin führt auch aus, dass das Bundesheer nicht nur den Dienst an der Waffe anbietet, man muss nicht unbedingt waffenaffin sein, was stereotyp gedacht eher ein an Mädchen gerichtetes Argument ist, denen damit unterstellt wird, sie würden sich nicht für Waffen begeistern. Beim Bundesheer begleitet die Reporterin den 16-jährigen Matthias, der schildert, dass es ihm wichtig ist, dass die Arbeit sicher ist.3 Bei den ÖBB trifft die Reporterin dagegen eine junge Frau, Tina, die Mechatronik lernt, d.h., hier wird ein Mädchen in einem für Frauen eher ungewöhnlichen Beruf vorgestellt. Auch hier wird das Geschlechterverhältnis deutlich angesprochen. So meint Tina: »Wir sind nur zwei Mädchen zu 28 Burschen. Die Ausbilder nehmen uns nicht ganz so hart ran wie 3 Das Heer als Arbeitgeber wird weiter unten ausführlich thematisiert.
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die Jungs. Da eifersüchteln sie schon mal.« (b3: 57) Die Reporterin relativiert diese Aussage aber, indem sie schreibt: »Aber alle müssen Gleiches leisten, also macht das Geschlecht bei der Ausbildung keinen Unterschied. So soll es ja auch sein: gleiche Chancen, faire Ausbildung.« (b3: 57) Obwohl die ›Betroffene‹ sehr wohl Unterschiede sieht, besteht die Autorin auf Gleichheit. Den Leser_innen wird entsprechend suggeriert, dass hier Mädchen und Burschen die gleichen Rahmenbedingungen vorfinden, auch wenn das in der Realität nicht der Fall zu sein scheint. Bei Baumax werden zwei Lehrlinge vorgestellt. Die junge Frau ist für Blumen zuständig, der junge Mann ist derzeit in der Wohnzone, auch wenn im Zuge der Ausbildung gewechselt wird. Der Bericht ist eher gleichgültig gehalten – viel scheint es hier nicht zu sagen zu geben bzw. ist die Autorin offensichtlich nicht bemüht, den Leser_innen diese Ausbildung nahezulegen. Die Unternehmen und Lehrberufe stehen hier auf dem Prüfstand. Es geht darum, was sie bieten und inwiefern sie infrage kommen. Die Position der künftigen Lehrlinge wird damit gestärkt: Sie sind es, die sich aussuchen, was zu ihnen passt. Sie haben die Wahl, was sie machen möchten. Dabei werden vor allem Mädchen angesprochen und ihnen wird nahegelegt, technische Berufe zu ergreifen. Die Bibliothek ist dagegen auf expliziter Suche nach Lehrlingen mit ›Migrationshintergrund‹. Diesen wird vermittelt, dass sie gefragt sind, wobei gerade ihre Sprachkenntnisse wertgeschätzt werden. Ein klassischer ›Frauenberuf‹, der Friseur_innen-Beruf, wird dagegen negativ konnotiert. Gleich im Anschluss wird allerdings auch den Arbeitgeber_innen Raum gegeben, auch ihrer Sicht Bedeutung zugemessen.
Sicht auf Lehrlinge In einem Beitrag, der direkt nach jenem zu Lehrberufen folgt, werden unter dem Titel Boss Talk: Wie tun sich unsere Lehrlinge (b3: 58) sechs Menschen befragt, was Lehrlinge mitbringen sollen und »wo vor allem Mädchen punkten können« (b3: 58). Befragt werden z.T. die Chefs jener Unternehmen, die getestet wurden, dazu aber auch die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie, Doris Bures, und die Präsidentin der Wirtschaftskammer, Brigitte Jank. Bis auf diese beiden sind alle Befragten Männer. Alle tragen eine Krawatte, nur einer keinen Anzug. Wieder soll es hier darum gehen, wie Karriere gemacht werden kann, welche Wege offenstehen, was es braucht, um erfolgreich zu sein. Die Chefs nutzen den Platz aber auch, um das eigene Unternehmen ins rechte Licht zu rücken. Jener vom Bundesheer berichtet etwa von einem Preis, den sein Unternehmen im Bereich Frauenförderung bekommen hat. Interessant ist, dass der Fokus hier auf Mädchen liegt und nicht auf dem ›Migrationshintergrund‹. Folg-
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lich wird eine Kategorie in den Fokus genommen, die auch in jedem anderen Medium angesprochen werden könnte/würde – es wird aber auch nicht berichtet, dass es insbesondere für Mädchen mit ›Migrationshintergrund‹ schwierig sein könnte. Den Leser_innen wird vermittelt, dass sie durch harte Arbeit und Begabung alles erreichen können, auch wenn die Befragten berichten, dass Lehrlinge heute auch viele Defizite haben. Indem die Arbeitgeber_innen befragt werden, wird den Leser_innen zu vermitteln versucht, was gefragt ist, d.h., was sie mitbringen müssen, um erfolgreich zu sein. Dass hier gerade junge Frauen angesprochen werden, ist in biber keine Ausnahme, sondern häufig die Regel – was vor allem weiter unten bei der Diskussion der Präsenz des österreichischen Staates in biber deutlich werden wird. Gleichzeitig entspricht der Fokus auf junge Frauen und Mädchen einem Trend, den etwa Angela McRobbie (2010) anschaulich beschrieben hat. So stellt sie etwa fest: »Das Bildungssystem verhält sich jungen Frauen gegenüber wohlwollend und belohnt sie für ihren Einsatz. Infolgedessen gelten die jungen Frauen als potenzielle Leistungsträgerinnen, als aktive und ehrgeizige Subjekte.« (Ebd.: 110) Gleichzeitig, so McRobbie, haben jene, die dieses »Angebot« nicht annehmen, mit »schmerzhaften Konsequenzen« zu rechnen – bei biber wird das immer dann deutlich, wenn Bildungs- und Erfolgschancen mit Zukunftsangst verknüpft werden. Wer die gebotenen Chancen nicht nutzt – so die Botschaft in biber –, spielt ein gefährliches Spiel mit der eigenen Zukunft.
Werbung Werbung spielt eine prominente Rolle in biber. In den Ausgaben vom Februar und April 2011 beziehen sich entsprechend den Schwerpunkten der Ausgaben jeweils mehr als die Hälfte der Werbungen auf (Aus-)Bildung. Dabei handelt es sich zumeist um Unterstützungsangebote für die Leser_innen bzw. um Hinweise auf Bildungsmöglichkeiten. In diesen Ausgaben werben auch Unternehmen/Organisationen, die sonst nicht zu den ständigen Werbekund_innen zählen.
Unterstützungsangebote In der Ausgabe vom April 2011 wird für die Berufswahl- und Weiterbildungsberatung des Arbeitsmarktservices (AMS) geworben (b3: 59).4 Als Form wurde ein Comic gewählt, der so kindlich aussieht, dass er Jugendliche wohl kaum, Erwachsene aber auf keinen Fall ansprechen dürfte. Deutlich ist das Bemühen, ver4
In der Ausgabe vom Februar 2011 wirbt das AMS unter der Überschrift »Dein Sprung ins Berufsleben. Alle Infos zur Berufswahl!« (b1: 25)
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schiedene Gruppen anzusprechen. Die Jugendlichen, die zu sehen sind, scheinen jeweils über einen ›Migrationshintergrund‹ zu verfügen. Ein Mädchen trägt Kopftuch. Damit wird vermittelt, dass es gerade diese Jugendlichen sind, die Hilfe brauchen. Der Held des Comics ist Amir, der sich frühzeitig beim AMS beraten lassen will – er hat vor, mit seinen Eltern zum AMS zu gehen, weil sein Onkel in der Moschee gehört hat, dass man frühzeitig mit der Lehrstellensuche anfangen soll. Die anderen Jugendlichen lassen sich motivieren und rufen gleich ihre Eltern an, damit diese mit ihnen zum AMS zu gehen. Interessant ist, dass hier ein junger muslimischer Mann jener ist, der umsichtig, zukunftsorientiert und entschlossen ist. Die Rolle der Moschee ist dabei auch beachtlich: Einerseits kann argumentiert werden, dass das AMS sich wohl nicht vorstellen kann, dass Muslime ihre Informationen z.B. aus dem ORF beziehen, andererseits wird die Moschee aber auch als Ort der Information beschrieben, d.h., es sind hier nicht problematische oder fundamentalistische Inhalte, die verbreitet werden, sondern relevante Informationen. Das AMS erscheint als die Instanz, die Hilfe anbietet, wobei Jugendliche in der Realität aber durchaus selbst Lehrstellen finden können – vor allem wenn die Eltern über entsprechende Kontakte und Netzwerke verfügen. Es könnte also sein, dass gerade deswegen jene mit ›Migrationshintergrund‹ angesprochen werden, weil diese schwer eine Lehrstelle finden – nicht zuletzt, weil Arbeitgeber_innen möglicherweise weniger geneigt sind, jene mit ›Migrationshintergrund‹ anzustellen. In jeder analysierten Ausgabe ist Werbung für die »Kummernummer für Lehre und Beruf« vorhanden, so auch in den Ausgaben vom Februar 2011 (b1:19) und April 2011 (b3: 13). Angesprochen werden Jugendliche, die keine Lehrstelle haben bzw. die Schule abgebrochen haben. Ihnen wird zugesichert: »Wir sind für dich da!« Zudem ist der Anruf bei der Nummer vertraulich und gratis – allerdings nur in Wien. Die Nummer sowie die Website werden angeführt. Dazu wird das Ganze als »Initiative von Vizebürgermeisterin Renate Brauner« (b1: 19) beschrieben. Die Leser_innen werden auch als Personen imaginiert, die Hilfe brauchen bzw. Probleme bei der Lehre oder in der Schule haben. Für sie ist die Stadt allerdings da. Auch sie können Hilfe bekommen und die Schule abschließen oder eine Lehrstelle finden – dem Erfolg steht also nichts im Wege. Auch die Volkshochschulen werben laufend in biber, im April 2011 unter der Überschrift Besser in der Schule (b3: 39). Geworben wird für Lernhilfeangebote der VHS, die u. a. für die Fächer Deutsch, Englisch und Mathematik vorhanden sind, nur vier Tage dauern bzw. die Osterferien zur Vorbereitung auf die Matura nutzen. Auch Lernstrategien sollen vermittelt werden. Die Angebote sind zudem auch für jene erschwinglich, die »unter der Armutsgrenze leben« (b3:
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39). Die Website und die Telefonnummer der VHS werden genannt. Die Leser_innen können Kontakt aufnehmen bzw. sich weiter informieren. Angesprochen werden jene, die sich in der Schule schwertun, aber auch jene, die eine Matura anstreben, d.h. möglicherweise sogar eine höhere Bildung. Mit der Nennung der Armutsgrenze wird zwar einerseits vermittelt, dass auch Schüler_innen mit wenig Geld geholfen wird, andererseits ist fraglich, ob den betroffenen Jugendlichen bewusst ist, dass sie »unter der Armutsgrenze« leben. Mit der Werbung wird aber deutlich, dass auch für jene, die von Haus aus nicht exzellent sind, Hilfe zur Verfügung steht. Schulischer Erfolg kann auch von ihnen erreicht werden, wenn sie bereit sind, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Wirtschaftskammer Wien (WKO) wirbt in jeder der analysierten Ausgaben. Im März stellt ein junger Mann die Frage: »Wie gründe ich mein eigenes Unternehmen?« (b2: 81) Im Mai wird die Forderung »Jetzt Wiens SchülerInnen besser aufs Wirtschaftsleben vorbereiten!« (b4: 69) gestellt, und im Juni stellt eine junge Frau die Frage: »Wie komme ich als Unternehmerin an Förderungen?« (b5: 71) Auch in der Ausgabe mit dem Karriere-Special werden explizit Unternehmer_innen angesprochen, indem folgende Frage gestellt und beantwortet wird: »Wer hilft mir, wenn ich Lehrlinge ausbilden will?« (b3: 73) Gleichzeitig wird festgehalten, dass Lehrlinge »was bringen«, Unternehmer_innen sollen auch motiviert werden, Lehrlinge auszubilden. In der Ausgabe vom Februar 2011 wirbt die WKO allerdings unter der Überschrift »Wer mehr erreichen will, setzt auf Bildung« (b1: 69). Es wird auf die Angebote der WKO verwiesen bzw. auf jene, die von der WKO vermittelt werden. Neben dem Testemonial der WKO Wien Präsidentin Brigitte Jank wird auch jenes von einem Gastronom, Mario Plachutta, angeführt. Beide bestätigen, wie wichtig Bildung ist und wie gut die Angebote der WKO sind. Interessant ist dabei, dass die WKO fast durchgehend Unternehmer_innen anspricht. Die Werbetreibenden gehen durchaus davon aus, dass unter den Leser_innen von biber auch Unternehmer_innen sind, denen von der WKO geholfen werden könnte. Nicht zuletzt sollen wohl auch die Leser_innen, die keine Unternehmer_innen sind, motiviert werden, zu Unternehmer_innen zu werden – gerade weil es eine breite Unterstützung durch die WKO gibt. (Potenzielle) Unternehmer_innen werden auch in anderen biber-Ausgaben angesprochen. So wird in der Ausgabe vom Juni 2011 für »Mingo Migrant Enterprises« (b5: 61) geworben, ein kostenloses Service der Wirtschaftsagentur Wien, das »internationale StartUps« und »migrantische UnternehmerInnen« Informationen zu Unternehmensgründung und Fördermöglichkeiten anbietet. So werden Workshops in den Bereichen »Finanzierung, Steuer und Marketing, Internationale Kommunikation, Konfliktmanagement sowie Ethnomarketing und
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Social Media« (b5: 61) angeboten. Nicht nur wird also jenen mit ›Migrationshintergrund‹ nahegelegt, ein Unternehmen zu gründen, indem explizit auch über »Ethnomarketing« (siehe oben) informiert wird, diese Unternehmer_innen werden auch angehalten, ihre Angebote (auch) an Kund_innen mit ›Migrationshintergrund‹ zu richten. Nicht zuletzt ist es im Kontext der laufenden Betonung des unternehmerischen Selbst in biber im Grunde wenig überraschend bzw. nur konsequent, die Leser_innen auch anzuhalten, früher oder später zu ›richtigen‹ Unternehmer_innen zu werden.
(Aus-)Bildungsangebote Neben den Unterstützungsangeboten finden sich im schülerbiber einige Werbungen für Bildungsangebote, die in den anderen analysierten Ausgaben nicht vorhanden sind. Es ist anzunehmen, dass diese Werbungen deswegen geschaltet wurden, weil in dieser Ausgabe gewissermaßen garantiert ist, dass sie von vielen Schüler_innen – und gerade auch von jenen ohne ›Migrationshintergrund‹, die biber sonst möglicherweise nicht wahrnehmen – gelesen werden. So wird etwa für die Vienna Business School geworben, die als »Schule der Wirtschaft mit maximaler Praxisorientierung und modernsten Lernmethoden für eine erfolgreiche Zukunft« (b1: 71) bezeichnet wird. Was da genau gelehrt wird, ist nicht klar, auch wenn der englische Name der Schule und des Begriffes »Business« Seriosität und Internationalität zu vermitteln versuchen. Angegeben sind die verschiedenen Standorte in Wien, die Telefonnummer, E-Mail-Adresse und Homepage. Der Werbetext spricht wiederum von einer erfolgreichen Zukunft. An die Leser_innen wird also wiederum appelliert, sich rechtzeitig um die eigene Zukunft zu kümmern und eine Ausbildung zu wählen, mit der man in der Lage ist, die Zukunft abzusichern. Für Sprachreisen für 8- bis 17-Jährige werben die »ESL Sprachreisen«, eine Sprachschule, deren Slogan »Intelligente Ferien« lautet (b1: 33). Zielgruppe sind »Junioren von 8 bis 17 Jahren« und damit auch Kinder, die sonst nicht die Zielgruppe von biber ausmachen. Auch werden diese Ferien als »intelligente Ferien« bezeichnet. Es geht darum, die Ferien intelligent zu gestalten. Die Ferien sind, so die Werbebotschaft, auch eine Zeit, wo man etwas lernen soll. Auch in den Ferien soll die Zeit genutzt werden, um Kompetenzen auszubauen. Auch die Fachhochschule Technikum wirbt (nur) in der Ausgabe vom Februar 2011, Tage und Uhrzeiten der »Open Days« werden genannt. Zusätzlich werden drei Argumente für die Fachhochschule angeführt: »Größte rein technische Fachhochschule in Österreich, 11 Bachelor- und 16 Masterstudiengänge, Vollzeit oder berufsbegleitend studieren« (b1: 49). Die Leser_innen sollen moti-
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viert werden, sich die Schule anzusehen. Es ist ganz klar, wann die Informationsveranstaltung stattfindet, einzelne Studienrichtungen werden aber nicht genannt. Die Leser_innen werden als Menschen angesprochen, die eine höhere Ausbildung anstreben und sich auch für technische Berufe interessieren.
Kritische Perspektiven auf Bildung (Aus-)Bildung wird in biber fast ausschließlich positiv bewertet, womit den Leser_innen uneindeutig nahegelegt wird, die eigene (Aus-)Bildung ernst zu nehmen. Als zentral wird dabei beschrieben, dass nur die richtige Bildung die eigene Zukunft sichern kann, d.h. jenen, die sich nicht um die eigene (Aus-)Bildung kümmern, drohen nicht nur schlechte Noten, sondern sie haben weitreichende Konsequenzen zu befürchten. Relativiert wird diese Haltung in nur wenigen Beiträgen. Zwei von diesen werden in der Folge näher betrachtet, wobei im ersten grundsätzlich kritisiert wird, dass jene, die mehr Bildung haben, besonders wertgeschätzt werden, während im zweiten deutlich wird, dass der Erfolg gerade nicht nur vom eigenen Bemühen abhängt.
Kritik der Elite Kritik an der Sichtweise, dass Bildung entscheidend ist bzw. dass gebildete Menschen unter Umständen besser sind als jene ohne höhere Bildung, wird in einem Beitrag vom Mai 2011 geübt. Unter der Überschrift Die Elite-Verwandte (b4: 10) berichtet Ivana Cucujkić über das Phänomen, dass in Familien mit ›Migrationshintergrund‹ der Studienabschluss der Kinder als Statussymbol gewertet wird. Das Studium wird von der Autorin dagegen als persönliche Entscheidung gesehen. Die Überbetonung des Studiums in der Familie empfindet sie als lächerlich. Sie kritisiert auch, dass der Erfolg einzelner Familienmitglieder von sämtlichen Verwandten für sich selbst verbucht wird, d.h., für sie ist er eine individuelle Leistung. Sie bezieht sich dabei auf Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien. So ist die Rede von dem »Mag. vor dem -ić« (b4: 10). Das Studium wird einerseits als Besonderheit geschildert, andererseits als etwas, das in jeder Einwanderer_innen-Familie vorkommt. Es ist im Grunde also doch wieder alltäglich. Jene, die studieren, werden von der Autorin ironisch als »Elite-Kinder« beschrieben, die »womöglich noch Medizin, Jura oder Wirtschaft« (b4: 10) studieren. Dass das Studium des Nachwuchses zur Steigerung des eigenen Ansehens verwendet wird, sieht die Autorin als Symbol eines Wertewandels: Während es früher materielle Werte waren, die den Status gehoben haben, sind es nun studierte Nachkommen. Während sich mittlerweile viele leis-
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ten können, Geld auszugeben, bzw. zumindest vorspiegeln können, Geld zu haben, ist eine »studierte Tochter, Cousine, Nichte oder Enkelin […] immer noch einer schmalen Migrantenschicht vorbehalten« (b4: 10). Neben dem höheren Status gibt es laut Autorin aber auch Nachteile. So gelten für studierte Personen angeblich höhere Standards. Sie müssen u. a. als Übersetzer_innen herhalten. Auffallend ist, dass hier durchwegs von Frauen die Rede ist. Implizit wird vermittelt, dass es eher sie sind, die den Bildungsaufstieg schaffen. Die Autorin bezieht sich auf eigene Erfahrungen, auf das, was ihr gesagt wird bzw. was von ihr erwartet wird – etwa, dass sie sich ›richtig‹ verhält und viel arbeitet. Dadurch wird klar, dass hier nicht eine schreibt, die auf die Erfolge anderer eifersüchtig ist, sondern dass sie selbst auch studiert hat. Gleichzeitig ist es der Autorin offensichtlich wichtig, nach wie vor als nicht ›abgehoben‹ wahrgenommen zu werden. Sie kann nach wie vor dabei gesehen werden, wie sie »mit zwei Spritzern in jeder Hand, barfuß auf dem Barhocker in einer Jugobruchbude zu Turbofolk abgeht« (b4: 10).
Leistung Einzelner versus strukturelle Diskriminierung Entgegen der laufenden Betonung individueller Leistung beschäftigt sich der Beitrag unter dem Titel biber Job-Service (b3: 64–66) mit diskriminierenden Rahmenbedingungen, die den Aufstieg bestimmter Personen verhindern. So werden einerseits Lebensläufe von drei zugewanderten Personen vorgestellt, anderseits wird die Situation von arbeitssuchenden Menschen mit ›Migrationshintergrund‹ beschrieben. So ist in der Einleitung festgehalten: »Sie haben eine Ausbildung, den österreichischen Pass und werden trotzdem oft vom Arbeitsmarkt ignoriert. biber besuchte drei qualifizierte Fachkräfte, die mehr können, als babysitten und beim AMS sitzen.« (b3: 64) Diese Situation wird auch explizit als strukturelles Problem benannt, wobei die Erfahrungen der drei vorgestellten Personen illustrieren, womit sie konfrontiert sind: Sie haben in ihren Herkunftsländern Ausbildungen absolviert, die in Österreich nicht anerkannt werden. Ihre interkulturellen Kompetenzen werden nicht wahrgenommen. Auffallend ist jedoch, dass die drei Vorgestellten jeweils älter sind als die biber-Zielgruppe. Eine der Frauen ist 1967 geboren, bei der Zweiten ist kein Alter angegeben. Sie ist aber 1992 nach Österreich gekommen, nachdem sie in Nigeria bereits eine Ausbildung absolviert hat. Der Mann ist 1966 geboren. Alle drei beherrschen mehrere Sprachen. Sie sprechen neben Deutsch und ihrer Muttersprache noch andere und ähneln darin der jüngeren ›Migrant_innen‹-Generation, die in biber deutlich mehr Beachtung findet. Sie haben neben ihren Ausbildungen im Herkunftsland auch einige in Österreich absolviert. Sie sind bereit, sich wei-
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terzubilden, und alle drei träumen zudem davon, in einer Nichtregierungsorganisation (NGO) zu arbeiten. Sie sind also auch sozial engagiert. Es geht ihnen nicht (nur) darum, Geld zu verdienen, sie wollen auch anderen helfen. Als Probleme werden trotzdem fehlende Deutschkenntnisse, dazu aber auch die Nichtanerkennung von Ausbildungen und fehlende Kontakte beschrieben. Abschließend wird an Personalchefs des Landes appelliert, zu sehen, dass »Migranten keine Probleme, sondern viel Know-How und wertvolle Arbeitskraft mitbringen« (b3: 66). Wenngleich also auch hier die guten Ausbildungen bzw. das, was ›Migrant_innen‹ mitbringen, im Vordergrund stehen, wird auch deutlich, dass sie den Aufstieg nicht aus eigenem Antrieb schaffen können. Die vorgestellten Personen sind auf Unterstützung und Arbeitgeber_innen angewiesen, die ihnen eine Chance geben – sie sind gut ausgebildet, ehrgeizig, motiviert. Indem aber zwei Frauen und ein Mann präsentiert werden, die alle deutlich älter als das biber-Zielpublikum sind, wird vermittelt, dass es (eher) die Älteren sind, die Probleme haben bzw. von diskriminierenden Rahmenbedingungen betroffen sind. Jüngere ›Migrant_innen‹, so der Eindruck, schaffen den Aufstieg schon aus eigener Kraft. Der Beitrag berichtet abschließend vom Ausbildungslehrgang »MigraTrain«, der ›Menschen mit Migrationshintergrund‹ zu »TrainerInnen im Bildungs- und Arbeitsmarkt« (b3: 66) ausbildet. Den Teilnehmer_innen soll dabei »mittels Praktika und Netzwerkaktivitäten der Eintritt in die Ausbildungslandschaft Österreichs erleichtert werden«, wobei das Tätigkeitsfeld alle Beratungsbereiche umfasst, »in denen interkulturelle Fragestellungen auftauchen« (b3: 66). Auch hier liegt der Fokus also wieder auf den »interkulturellen Kompetenzen«, die die ›Migrant_innen‹ mitbringen, d.h., wiederum sollen diese verwertet werden. Entgegen der Feststellung, dass es an den Arbeitgeber_innen liegt, die Kompetenzen der ›Migrant_innen‹ anzuerkennen, wird mit dem Lehrgang wiederum die Verantwortung an Letztere übertragen. So bleibt der Eindruck bestehen, dass es sehr wohl sinnvoll ist, immer mehr und mehr Kompetenzen und Ausbildungen anzuhäufen, um eine Beschäftigung zu finden.
Ausweg: Der Staat als Arbeitgeber (und Angstmacher) In den analysierten Ausgaben wird die Nähe von biber zum österreichischen Staat deutlich, der jeweils in Form von Bundesministerien bzw. Bundesminister_innen in Erscheinung tritt. So sind in den fünf analysierten Ausgaben insgesamt sechs Bundesministerien vertreten, z.T. in redaktionellen Beiträgen, meist aber in Werbungen bzw. Kooperationen. schülerbiber (b1) bzw. die Ausgabe mit
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dem Karriere-Special (b3) thematisieren die meisten Ministerien (Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie, Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur sowie Bundesministerium für Finanzen in biber vom Februar 2011, Umwelt- bzw. Lebensministerium, Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung sowie wieder das Bundesministerium für Finanzen im biber vom April 2011). biber vom Juni 2011 beschreibt das Finanz- sowie das Verteidigungs- und Sportministerium. Am präsentesten ist dabei das Ministerium für Inneres, das in unterschiedlicher Form vertreten ist. So wird in annähernd jeder Ausgabe für die Polizei als Dienstgeberin geworben, wobei allerdings meist nicht explizit angesprochen wird, dass diese an sich beim Bundesministerium für Inneres verortet ist. Im Mai 2011 ist dann sogar ein Staatssekretär des Innenministeriums, Sebastian Kurz, Coverstar. Im Heftinneren findet sich aufgrund seiner Zuständigkeit für ›Integration‹ ein Interview mit ihm. In zwei Ausgaben wird zudem im Rahmen der Werbung für die »mit scharf«-Akademie, die junge Journalist_innen mit ›Migrationshintergrund‹ ausbildet, das Bundesministerium für Inneres als Hauptsponsor genannt (b4: 73, b5: 34).5 Das ist zwar oberflächlich damit erklärbar, dass Migrationsagenden 2011 (noch) im Innenministerium angesiedelt waren, auf weitere Aspekte wird weiter unten eingegangen. Dass die Ministerien biber als Werbeplattform nutzen, lässt den Schluss zu, dass sie damit das Magazin an sich unterstützenswert finden und mit den Inhalten von biber zumindest einverstanden sind. Sie gehen auch offenbar davon aus, dass sie hier das Publikum finden, an das sie sich gerne wenden wollen. Gleichzeitig ist es so, dass staatliche Einrichtungen zwar durchaus Werbungen in Medien schalten, die ihnen gegenüber kritisch sind, Kooperationen gehen aber beide Seiten wohl nur dann ein, wenn grundsätzliche Übereinstimmungen in den Inhalten bestehen. So findet sich in den analysierten Ausgaben zwar auch Kritik an den Werbepartner_innen (etwa an der Polizei), allerdings nur marginal und nicht in direktem Zusammenhang mit der jeweiligen Werbung/dem redaktionellen Beitrag. Nach Althusser (1977) können die Ministerien als ideologische Staatsapparate verstanden werden: Die Leser_innen sollen sich mit dem Staat Österreich und dessen Einrichtungen identifizieren, sollen zu guten – weil leistungsorientierten – Bürger_innen werden. Der Staat soll zudem als modern und divers wahrgenommen werden, als nicht diskriminierend. Nicht zuletzt liegt der Fokus der Beiträge auf dem Versuch, die Leser_innen – und dabei gerade jene mit ›Migrationshintergrund‹ – für den Staatsdienst anzuwerben. Neben der Polizei werben auch das Unterrichts-, Finanz-, Verteidigungsministerium für Ausbildungsmög5
Auf die mit scharf-Akademie wird weiter unten näher eingegangen.
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lichkeiten bzw. Jobangebote, wobei die anderen Beiträge z.T. auch darauf ausgerichtet sind zu zeigen, dass das jeweilige Ministerium Jobs sichert bzw. für Chancen sorgt. Den Ministerien kommt die Rolle zu, für günstige Rahmenbedingungen zu sorgen, in denen die Individuen hervorragende Leistungen erbringen können – und vor allem: sollen. Leistungsbereitschaft soll nicht durch Androhung von Strafen, sondern durch Motivation gewährleistet werden, ganz im Sinne eines aktivierenden Sozialstaates, der seine Aufgabe darin sieht, »den Einzelnen so zu ›fördern und zu fordern‹, dass er auf dem (Arbeits-)Markt bestehen kann« (Galuske 2008: 120). Gleichzeitig zieht sich ein roter Faden durch fast alle ministerienbezogenen Beiträge: Neben der Gefahr der Arbeitslosigkeit, d.h., indem den Leser_innen die Ministerien als Arbeitgeber präsentiert werden, wird gleichzeitig immer wieder in den Fokus gerückt, dass Arbeitsstellen Mangelware sind und nur die Besten Chancen haben, diese zu ergattern. Im Folgenden wird auf die Werbungen von bzw. Beiträge zu den einzelnen Ministerien eingegangen: Zunächst stehen dabei die Polizei bzw. das Innenministerium im Fokus, bevor dann auf die Lehrer_innensuche der Unterrichtsministerin, den Wandel in den Werbeinhalten des Finanzministeriums, auf das Bundesheer sowie weitere Ministerien eingegangen wird. Abschließend wird dann ein Beitrag diskutiert, der deutliche Kritik am Staatssekretär Sebastian Kurz formuliert.
Sicherer Dienst der Elite im Sicherheitsdienst Die dominanteste Werbekooperation in biber ist jene mit der Polizei. In fast jeder analysierten Ausgabe ist entweder deutlich gekennzeichnete Werbung für die Polizei oder sind nicht als Werbung ausgewiesene Berichte über die Polizei als Arbeitgeberin vorhanden. Alle diese Beiträge zeigen die Polizei von den besten Seiten. Es finden sich keine kritischen Anmerkungen oder Perspektiven, selbst in den Beiträgen, die nicht als Werbung gekennzeichnet sind. Kritik an der Polizei ist marginal vorhanden, auf diese wird aber weiter unten ebenfalls eingegangen. In der ersten analysierten Ausgabe, jener vom Februar 2011, findet sich eine ganzseitige Werbung, die im oberen rechten Bildrand als bezahlte Anzeige ausgewiesen wird (b1: 11). Der Hinweis ist aber an sich nicht wirklich notwendig, ist die Anzeige doch deutlich anders gehalten als andere redaktionelle biber-Inhalte. Die Wiener Polizei wird als Arbeitergeberin vorgestellt. Vor allem stehen dabei die unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten und Aufstiegschancen im Vordergrund. Auch bietet die Polizei »einen sicheren Arbeitsplatz mit sicherem Einkommen« (b1: 11), wobei gerade die Sicherheit des Arbeitsplatzes und des Einkommens hier als Ar-
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gumente für den Polizeidienst betont werden. Gleichzeitig wird damit aber implizit vermittelt, dass andere Arbeitsstellen nicht so sicher sind und auch das Einkommen an sich anderenorts nicht garantiert ist. Zweimal ist groß »Die POLIZEI. Mehr als ein Beruf« (b1: 11) zu sehen. Als Sondereinheiten werden zwei genannt, die aus den Medien bekannt sind: Soko Donau und CSI. Damit wird hier an medienaffine Leser_innen appelliert, wobei die geschlechtergerechte Sprache nur bedingt durchgehend verwendet wird: »Dienstführende Beamten bis zum leitenden Beamten« (b1: 11) könnten die Polizist_innen werden. Die Darstellung der Anforderungen an die Bewerber_innen ist in grundsätzliche Bestimmungen (»Alter 18 bis 30 Jahre, österr. Staatsbürgerschaft, Mindestgröße 163 cm bei Frauen und 168 cm bei Männern, einwandfreier Leumund etc.«, b1: 11) und das Auswahlverfahren unterteilt. Nur die Besten, die dieses überstehen, so die Werbung, werden auch aufgenommen. Im Internet können sich die Interessierten informieren und die Antwort auf die Frage erarbeiten, warum gerade sie einen Ausbildungsplatz angeboten bekommen sollten. Abschließend wird aufgerufen: »Wenn Sie der Meinung sind, zu den Besten zu gehören, dann bewerben Sie sich jetzt!« (b1: 11) Gerade die Betonung der Exzellenz könnte hier allerdings kontraproduktiv sein: Während die Werbung in biber darauf hindeutet, dass aktiv ›Migrant_innen‹ abgeworben werden sollen, wird doch auch eine Zielgruppe angesprochen, der in Mainstream-Medien laufend unterstellt wird, bei Weitem nicht zu den besten zu gehören. Die Frage ist also, ob diese über das Selbstbewusstsein verfügen, sich auf so eine Anzeige hin zu melden – weil sie nicht direkt angesprochen werden. Die Anzeige könnte in jedem Printmedium gefunden werden. Es ist nichts biber-Spezifisches daran, sodass die Leser_innen mit ›Migrationshintergrund‹ im Grunde gar nicht explizit angesprochen werden und sich entsprechend vielleicht gar nicht angesprochen fühlen. In der dritten analysierten Ausgabe (April 2011) verwischen sich dann die Grenzen zwischen Werbung und biber-eigenem Inhalt: In einem Teil der Ausgabe, der als Karrierespecial übertitelt ist, findet sich ein zweiseitiger Bericht über die Polizei, der am linken oberen Rand als »in Kooperation mit dem Bundesministerium für Inneres« (b3: 62) entstanden ausgewiesen wird. Wie schon in der ersten Werbung findet sich ein Balken, der »Die POLIZEI. Mehr als ein Beruf« und »Jetzt bewerben! www.wien-polizei.at« enthält. Abgebildet ist im Unterschied zur ersten Werbung nicht ein Polizist, sondern der biber-Redakteur Teoman Tiftik, von dem der Beitrag stammt und der zu sehen ist, wie er in Polizeiuniform an einem Polizeibus lehnt. Zwar versucht dieser mit seiner Köperhaltung leger zu wirken, doch er vermittelt eher den Eindruck, dass er sich nicht wirklich wohlfühlt. Zudem ist ihm
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die Uniform deutlich zu groß. Dadurch wirkt er wie jemand, der nicht zur Polizei gehört. Es wird eher ins Lächerliche gezogen, dass jene mit ›Migrationshintergrund‹ bei der Polizei tätig sein könnten/sollten. Die Bemühung, gerade die Leser_innen mit ›Migrationshintergrund‹ anzusprechen, die im Text deutlich wird, wird folglich unterlaufen. Abb. 5: Polizeidienst
Quellen: biber Februar 2011: 11 und biber April 2011: 62
Der Text ist ausführlicher als jener in der ersten Werbung, wobei die Inhalte zunächst die gleichen sind: Grundvoraussetzungen und Auswahlverfahren werden vorgestellt. Es wird laufend betont, dass Vorbereitung wichtig ist und nur die Besten genommen werden. Explizit wird auch auf Migration eingegangen. Angebliche Mythen werden ausgeräumt – Polizist_innen mit ›Migrationshintergrund‹ haben keine eigenen Uniformen, werden auch nicht in speziellen Gebieten eingesetzt, sondern wie alle anderen Polizist_innen dort, wo Bedarf besteht. Festgehalten wird auch: »Momentan befinden sich 7% Österreicher mit migrantischem Background in der Akademie, Tendenz steigend, und man wünscht, dass diese Zahl weiter steigt« (b3: 63). Abschließend wird festgestellt, dass Mut und Ehrgeiz gute Voraussetzungen sind, um aufgenommen zu werden. Im Beitrag werden neben ›Menschen mit Migrationshintergrund‹ auch Frauen als unterrepräsentierte Gruppe angesprochen, allerdings nicht in Kombination. Es geht nicht explizit um Frauen mit ›Migrationshintergrund‹. Auffallend ist auch, dass zwar betont wird, wie gut die
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Bewerber_innen sein müssen, nicht aber, wie gut die Polizei als Arbeitgeberin ist. Es ist auch interessant, dass hier ein grundsätzlicher Perspektivenwechsel erfolgt: Während gerade die Polizei für jene mit ›Migrationshintergrund‹ oft als jene Instanz erscheint/eintritt, die Angst einflößt (etwa, indem sie den Aufenthaltsstatus kontrolliert), werden hier jene mit ›Migrationshintergrund‹ motiviert, Teil dieser Institution zu werden. Gleichzeitig wird aber deutlich, dass nur die Besten aufgenommen werden sowie grundsätzlich nur jene, die die ›richtige‹, nämlich die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. In der Ausgabe vom Mai 2011 ist wieder ein Bericht zu finden, der als bezahlte Anzeige ausgewiesen wird, wobei die Aufmachung sehr mit jener von anderen biber-Inhalten korrespondiert, d.h., leicht als ›eigener‹ Beitrag gesehen werden könnte. So lautet die Überschrift recht reißerisch: »Frau Chefinspektor gesucht!« (b4: 74) Auf den ersten Blick ist nicht klar, dass es sich um Werbung handelt. Dieses Mal steht auch wiederum das Geschlecht im Fokus. Auf der ersten Seite ist groß eine junge, hübsche, dunkelhaarige Frau zu sehen. Sie richtet ihre Waffe auf ein Ziel, trägt Schutzbrille und Ohrenschützer. Sie ist offenbar beim Training, also noch nicht im Einsatz. Sie scheint auch leicht zu lächeln. In der Bildunterschrift wird ihr Name, Ajsela Sahovic, genannt. Dieser klingt bosnisch. Sie ist nicht nur Frau, sondern verfügt offensichtlich auch über einen ›Migrationshintergrund‹, stellt dadurch erstmals die Verknüpfung dieser zwei Aspekte dar und ist gleichzeitig doppelt fremd bei der Polizei – wobei sie gerade deswegen als Werbefigur ausgewählt worden sein dürfte. In der Einleitung werden angebliche Gründe genannt, warum Frauen bislang nicht bei der Polizei tätig waren: »Zu klein, zu zart, nicht hart genug.« (b4: 74) Es wird unterstellt, dass das bislang die Ausreden der Frauen waren, und es wird nicht deutlich gemacht, dass das die gesellschaftliche Sicht auf Frauen ist, wegen der sie lange Zeit als nicht geeignet angesehen wurden. Die Leser_innen sollen mit dem Beitrag mehr über die Ausbildung erfahren, wobei speziell weibliche Leser_innen angesprochen werden – so sie sich nicht sicher sind, ob der Dienst etwas für sie ist, wird erörtert, was dabei gelernt werden kann. Die Rede ist von der Sicherheitsexekutive. Es steht also etwas im Mittelpunkt, das bei der Diskussion von Migration häufig zentral ist. Dieses Mal sollen die ›Migrant_innen‹ aber dafür sorgen, dass Sicherheit herrscht. Die Gefahr geht nicht mehr von ihnen aus, auch sie können – und sollen – Österreich beschützen. Auf einem zweiten Bild sind Polizeianwärter_innen zu sehen, die die ›Schulbank‹ drücken. Dabei sind von sechs Personen zwei weiblich. Es wird also deutlich, dass sie nach wie vor in der Unterzahl sind. Der Beitrag wird damit begonnen, dass die Polizei viele Menschen beschäftigen möchte. Es wird wiederum hervorgehoben, dass hier Arbeitsplätze geboten werden, womit auf Diskurse um
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fehlende Arbeitsplätze bzw. mangelnde Arbeitsplatzsicherheit angespielt wird. Dann wird betont, dass vorzugsweise Frauen genommen werden. Diese haben im Grunde bessere Chancen, sind begehrt, werden bevorzugt. Als Beispiel, wie gut jene mit ›Migrationshintergrund‹ in den Polizeidienst passen, wird eine Chefinspektorin mit türkischem ›Migrationshintergrund‹ vorgestellt. Es wird betont, dass gerade jene mit ›Migrationshintergrund‹ gesucht und begehrt sind, weil diese als Bindeglieder fungieren können. Sie werden gebraucht und ihre Kompetenzen stehen im Mittelpunkt. Gleichzeitig wird betont, dass es auch sein kann, dass die Kenntnisse der eigenen »Muttersprache« »im Laufe der Jahre etwas eingerostet sind« (b4: 75), weswegen sie im Rahmen der Ausbildung aufgefrischt werden können. Es besteht also Wissen darüber, dass nicht alle, die eine bestimmte »Muttersprache« haben, diese auch gut beherrschen. Die Polizei bietet Wege, die Sprachkenntnisse auszubauen, wobei sich die Frage stellt, ob auch Nicht-›Muttersprachler_innen‹ diese Kenntnisse erwerben können bzw. ob die Bindegliedfunktion auf die Menschen mit ›Migrationshintergrund‹ ausgelagert wird. Hier sind zudem zwiespältige Perspektiven am Werk: Zum einen werden ›Migrant_innen‹ wertgeschätzt, zum anderen werden sie in ihrer Funktion als ›Migrant_innen‹ wahrgenommen und möglicherweise auf diese reduziert. Beschrieben werden die Inhalte und Abläufe der Ausbildung, wobei die Verbindung zwischen Theorie und Praxis betont wird. Die Polizeischülerin, die schon im ersten Bild zu sehen war, wird nun auch vorgestellt. Für sie ist die Ausbildung ein Traum, der in Erfüllung gegangen ist. Auch ihr ›Migrationshintergrund‹ wird betont – sie stammt aus Bosnien. Polizist_innen werden als Menschen beschrieben, die über körperliche und mentale Stärke, Gerechtigkeitssinn, Kompetenzen etc. verfügen. Es steht also nicht im Vordergrund, dass sie mit viel Macht ausgestattet sind. Die vorgestellten Frauen dienen als Vorbilder. Die Leser_innen sehen, dass auch sie es schaffen können, dass auch sie angesprochen und gewürdigt werden. Dieser Beitrag unterscheidet sich von den vorangegangen, weil er persönlicher gehalten ist und weniger betont, wie herausragend die Bewerberinnen schon sein müssen, bevor sie überhaupt anfangen können. In der Ausgabe vom Juni 2011 (b5: 32 f.) findet sich dann ein zweiseitiger Bericht, der nicht als Werbung gekennzeichnet ist, der aber von dem gleichen Team stammt wie die bezahlte Anzeige zu Frau Chefinspektor gesucht!: Aleksandra Klepić und René Wallentin (Fotos). Die Aufmachung unterscheidet sich nicht von den bezahlten Anzeigen. Das bedeutet, hier wird deutlich, wie eng die Kooperation eigentlich ist – ob es biber-eigene oder bezahlte Inhalte sind, ist eigentlich egal, weil im Grunde das Gleiche drinsteht. Es geht wieder darum, die Polizei als Arbeitgeberin vorzustellen, und wieder dient eine junge Frau als Werbefigur. Nach ihrem Vornamen, Gordana, zu schließen, verfügt auch sie
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über einen ›Migrationshintergrund‹. Sie trägt Uniform, ist geschminkt und trägt auch Ohrringe. Auf der zweiten Seite ist ein junger Mann zu sehen. Er bearbeitet einen Boxsack, sieht sehr gut und trainiert aus. Er wird als Andi vorgestellt. Ihm wird kein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben. In der Einleitung wird festgestellt, dass die Polizei im Notfall gerufen wird, dass aber der Alltag von Polizist_innen unbekannt ist. biber schafft in der Folge Abhilfe: Zwei Beamt_innen werden einen Tag lang begleitet. Zunächst wird der Frau, die auf dem Foto zu sehen ist, gefolgt. Sie wird als Wienerin mit rumänischen Wurzeln vorgestellt. Sie wird allerdings offensichtlich nicht tatsächlich begleitet. Eher werden ihre Aufgaben aufgezählt. So ist sie zwar im Einsatz, oftmals aber auch im Büro. Im Vordergrund steht die Ansicht, dass es sich um abwechslungsreiche Aufgaben handelt. Es werden keine negativen Seiten angeführt. Auch wird betont, dass ihr ›Migrationshintergrund‹ ein Vorteil ist. Sie wird als Übersetzerin gebraucht und besucht weiterhin Rumänischkurse. Der Polizeidienst wird dabei als zugänglich beschrieben. Es geht darum, den Leser_innen zu vermitteln, wie ihr Alltag als Polizist_in aussehen könnte bzw. würde. Auch der junge Mann betont, wie abwechslungsreich sein Dienst ist. Mentale und körperliche Stärke werden betont, ebenso sein Weg zur Polizei beschrieben. Es wird festgestellt, dass es sich um mehr als nur einen Beruf handelt. Nähere Informationen können sich die Leser_innen auf der ebenfalls genannten Website holen. Deutlich wird laufend, dass gerade für jene Leser_innen von biber, die über einen ›Migrationshintergrund‹ verfügen und hier eindeutig aufgerufen werden, sich bei der Polizei zu bewerben, eine große Hürde beim Eintritt in den Polizeidienst besteht: Die österreichische Staatsbürgerschaft ist Voraussetzung für die Aufnahme. Dies wird in den Beiträgen klargemacht. Somit wird deutlich, dass jene, die nicht über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügen, ausgeschlossen sind und nicht in dem Sinne angesprochen werden, dass sie auch Teil der Polizei werden können. Gleichzeitig kann vermutet werden, dass diese Berichte nur deswegen so massiv in biber zu finden sind, weil sowohl die Macher_innen von biber als auch die Polizei davon ausgeht, dass die meisten Leser_innen sehr wohl über die österreichische Staatsbürgerschaft – und gleichzeitig einen ›Migrationshintergrund‹ – verfügen. Auffallend ist zudem, dass Frauen im Polizeidienst als Werbefiguren oder Testemonial dienen: Auch wenn sie Menschen sind, denen aufgrund ihres Geschlechts und des ›Migrationshintergrunds‹ der Weg in solche Positionen nicht zugetraut wird, haben sie es dennoch geschafft. Den Leser_innen wird damit vermittelt, dass dieser Weg auch ihnen offensteht – auch sie können es schaffen. Diese Strategie ist aber auch zweischneidig: Wird den Leser_innen einerseits
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vermittelt, dass es auch jene, die nicht der lange gültigen Norm entsprechen, schaffen können, wird doch deutlich, dass diese Personen nach wie vor auffallen und die Norm sich offensichtlich erst langsam wandelt. Die Leser_innen können also auch den Eindruck bekommen, dass sie im Polizeidienst etwas Besonderes wären und entsprechend auffallen würden – was nicht unbedingt nur positiv zu werten ist. Dass das Bemühen, als Teil des Ganzen gesehen zu werden, scheitern kann, verdeutlicht auch der Bericht in der dritten analysierten Ausgabe: Dieser ist nicht als Kooperation gekennzeichnet. Zu sehen ist ein biber-Redakteur in Polizeiuniform. Diese ist ihm eindeutig zu groß. Auch wenn also vermittelt werden soll, dass er in die Uniform passt oder Polizist werden kann, sehen die Leser_innen auf den ersten Blick, dass ihm die Polizeiuniform zu groß ist. Er passt eben doch nicht hinein. Die Leser_innen zum Eintritt in die Polizei zu überreden, ist allerdings nur ein Aspekt der Berichte – so geht es sehr wohl darum, das Image der Polizei aufzupolieren. So werden Polizist_innen als sehr gut ausgebildet, kompetent, zuverlässig, gerecht etc. geschildert. In den Polizeidienst werden nur die Besten aufgenommen. Jene Polizist_innen, denen die Leser_innen also auf der Straße begegnen, sind – so die Botschaft – als Elite zu sehen. Sie sind die Besten, die es in den Polizeidienst geschafft haben. Die Polizei als Arbeitgeberin wird in den schillerndsten Farben geschildert, wobei auch betont wird, dass hier für Menschen mit ›Migrationshintergrund‹ viel getan wird – nicht nur werden diese Ausbildungen in ihren Muttersprachen angeboten, der Sinn dieser Angebote ist auch, den Bürger_innen besser beistehen zu können. Nicht angesprochen wird die Dimension, dass die ›neuen‹ Polizist_innen auch mit Verdächtigen besser kommunizieren können, d.h., dass etwa ihre Sprachkenntnisse auch eingesetzt werden könnten, um Verbrecher_innen effizienter zu stellen. Gerade im Kontext der Migration kommt der Polizei allerdings traditionell eine andere Rolle zu: Es ist durchaus so, dass in einem Medium, das sich an ›Menschen mit Migrationshintergrund‹ richtet, eine Imagekorrektur notwendig ist. So kennen diese die Polizei z.T. vor allem als jene Instanz, die das österreichische Recht durchsetzt, indem sie etwa Personenkontrollen durchführt, die dazu führen können, dass die Kontrollierten des Landes verwiesen werden. Medienberichte zeigen zudem laufend, dass Polizist_innen im Umgang mit schwarzen Menschen sehr brutal vorgehen (können). Die Polizei ist in diesem Sinne nicht jene Instanz, die schützt und hilft, sondern bedroht und einschüchtert. Auffallend ist zudem, dass in einem der Berichte laufend vom Sicherheitsdienst die Rede ist. Hier wird in den Mittelpunkt gestellt, dass die Polizei für die Sicherheit der Bürger_innen sorgt. Nicht zuletzt wird wiederholt auf die Sicherheit des Arbeitsplatzes bei der Polizei verwiesen und damit implizit mit Ängsten der Le-
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ser_innen gespielt, eben keinen sicheren Arbeitsplatz zu bekommen oder auch behalten zu können.
Kritik an der Polizei Auch wenn die beschriebenen Beiträge – gerade wenn bzw. weil sie als Werbung gekennzeichnet sind – überaus positiv gehalten sind, heißt das nicht, dass sich keine kritischen Stimmen zur Polizei in biber finden. So werden in zwei Beiträgen, die an sich nichts mit der Polizei zu tun haben, negative Erfahrungen mit dieser geschildert. In einem Beitrag, in dem eine türkischstämmige österreichische Soldatin vorgestellt wird (Ein Engel in Uniform, b2: 20–22), beschreibt diese, dass sie eigentlich zur Polizei wollte und dort allerdings »von einem desinteressierten Beamten nur die Auskunft [bekam], dass man keine Migranten ausnehmen würde« (b2: 21). Hier wird die Polizei mit desinteressierten Beamten gleichgesetzt und eben nicht – wie in den Werbungen – mit exzellent ausgebildeter Elite. Der Beamte war offensichtlich nicht nur unhöflich, sondern hat auch – möglicherweise sogar aus ausländerfeindlichen Gründen – falsche Informationen vermittelt. Er steht damit für die ›alte‹ Polizei – er sieht jene mit ›Migrationshintergrund‹ eben (noch) nicht als potenziell wichtige Bindeglieder, sondern nur als ›Fremde‹, als ›Migrant_innen‹, die nicht zur Polizei gehören. Gerade die junge Frau mit ›Migrationshintergrund‹, die in den Werbungen explizit motiviert werden soll, sich zu bewerben, hat wegen ihm den Weg in die Polizei nicht geschafft, was den Leser_innen den Eindruck vermitteln kann, dass die Polizei zwar nach außen so tut, als wäre sie offen, es dann aber im Ernstfall nicht ist. In einem Interview schildert dann auch ein Abteilungsleiter und IT-Architekt der BAWAG PSK seine Erfahrung mit der Polizei (Nur der Schnee hat mich geschockt, b5: 68, siehe weiter oben) – und zwar als Antwort auf die Frage, ob er aufgrund seiner schwarzen Hautfarbe schon einmal Probleme hatte: »Einmal haben zwei Polizisten an meiner Wohnungstür geläutet. Bei mir hätte es angeblich einen Ehestreit gegeben. Ich sagte, dass ich alleine sei und dass sie reinkommen könnten. Es war damals kalt und schmutzig draußen, also habe ich sie ersucht, ihre Schuhe auszuziehen. Der eine wollte nicht und ich habe gesagt, dass er mir dann Geld für die Putzfrau geben soll. Wir haben dann lange diskutiert, bis sie einen Anruf bekommen haben, dass sie in der falschen Wohnung waren. Das war aber nicht unbedingt Rassismus.« (b5: 68)
Er verneint zwar, dass das unbedingt etwas mit Rassismus zu tun hatte, es wird aber im Kontext der Frage deutlich, dass er das durchaus in diesem Zusammen-
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hang sieht. Die Polizei erscheint auch hier ganz anders als in den Werbungen. Die Polizisten sind unhöflich, rücksichtslos und im Grunde inkompetent – schließlich haben sie sich nicht nur in der Wohnung geirrt, sondern diskutieren auch lange mit einem Mann, zu dem sie gar nicht wollten. Nicht zuletzt erscheinen die Polizisten wiederum als mindestens xenophob, wenn nicht gar rassistisch – was wiederum deutlich dem Bild widerspricht, das die Werbung zu vermitteln versucht. Insgesamt sind diese zwei kritischen Stimmen allerdings marginalisiert, sodass im Großen und Ganzen eher ein positives Bild der Polizei bestehen bleibt.
Lehrer_innen mit ›Migrationshintergrund‹ gesucht Das Verschwimmen der Grenzen zwischen bezahlten und unabhängigen Inhalten wird ebenfalls in der ersten analysierten Ausgabe von biber, dem schülerbiber, deutlich, wo auf drei Seiten darüber berichtet wird, dass mehr Lehrer_innen mit ›Migrationshintergrund‹ in Schulen tätig sein sollten bzw. gesucht werden. Die erste Seite des zweiseitigen Beitrags, die mit Lehrer mit scharf gesucht! (b1: 50) übertitelt ist, erscheint auf den ersten Blick wie ein klassischer biber-Artikel. »Mit scharf« ist ein von biber gebrauchter Begriff, der für Migration steht. Im Jargon von biber wird ausgedrückt, dass es hier darum geht, Lehrer_innen mit ›Migrationshintergrund‹ zu finden. Es dürfte den Leser_innen auch eher neu sein, dass genau diese Menschen gesucht werden. Einerseits wird ihnen signalisiert, dass künftig mehr Menschen wie sie als Autoritätspersonen zum Einsatz kommen sollen, andererseits sollen sie selbst motiviert werden, Lehrer_innen zu werden. Im Unterschied zur Polizei wird hier die österreichische Staatsbürgerschaft nicht thematisiert. Dieser Beruf scheint allen Leser_innen offenzustehen. Gleichzeitig sind hier die potenziellen Lehrer_innen nicht jene, die sich zunächst bewerben müssen und nur ausgewählt werden, wenn sie exzellent sind. Als Einleitung ist festgehalten, dass in den kommenden 15 Jahren sehr viele Lehrer_innen in Pension gehen werden und dass auch aus anderen Gründen ein erhöhter Bedarf an Lehrer_innen herrscht – etwa weil künftig mehr Ganztagsschulen etabliert und Klassenzahlen reduziert werden sollen. Damit wird wiederum auf Arbeitsplatzsicherheit verwiesen, d.h., hier besteht für die Leser_innen die Chance, einen begehrten Arbeitsplatz zu bekommen. Arbeitsplatzsicherheit steht also wiederum im Fokus des Beitrags. Zudem wird explizit festgehalten: »Österreich braucht Nachwuchs-Lehrer – und besonders jene mit MigrationsBackground sind gefragt.« (b1: 50) Einleitend wird eine junge Frau vorgestellt, die studiert, um Zeichen- und Englischlehrerin zu werden. Betont wird, dass sie auch Türkisch beherrscht und durch ihre Migrationsgeschichte auch das Lebens-
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umfeld »vieler Schüler, die ihre Wurzeln in der Türkei haben« (b1: 50), kennt. Sie bringt interkulturelle Kompetenzen mit, wobei unterstellt wird, dass alle, die aus der Türkei stammen, das gleiche Lebensumfeld haben. Die zusätzliche Sprache ist also von Vorteil, auch wenn sie nicht Türkisch unterrichten wird. Gleichzeitig schildert die junge Frau, dass sie im Studium in der Minderheit ist. Sie schätzt, dass nicht einmal zehn Prozent ihrer Kommilitoninnen über einen ›Migrationshintergrund‹ verfügen. Explizit wird festgehalten, dass Österreich ein Einwanderungsland ist. Entsprechend viele Kinder haben einen ›Migrationshintergrund‹ – weswegen es, so der Beitrag, ein Vorteil ist, wenn die Lehrkräfte mehr als eine Sprache beherrschen. Als Beispiel für diesen Vorteil wird wiederum die junge Frau herangezogen, die erklärt, dass sie etwa einschreiten kann, wenn ein Junge einem Mädchen auf Türkisch sagt, dass sie etwas nicht kann, weil sie ein Mädchen ist. Festgehalten wird, dass er diese Meinung »möglicherweise zu Hause aufgeschnappt hat« (b1: 50). Unterstellt wird also, dass türkische Jungen von ihren Eltern ein problematisches Geschlechterbild vermittelt bekommen, weil die Eltern antiquierte Vorstellungen haben. Die Lehrer_innen wiederum können das nur erkennen, wenn sie die Sprache verstehen, die die Kinder untereinander sprechen. Dass entsprechende Vorstellungen auch in Mainstream-Medien verbreitet werden, wird nicht erwähnt oder auch nur angedeutet, bestehende problematische Diskurse werden dadurch bestärkt. Auch die zuständige Bundesministerin, Claudia Schmied, kommt zu Wort und betont, dass es wichtig ist, dass Lehrer_innen mit ›Migrationshintergrund‹ als Vorbilder dienen und auch leichter mit den Eltern ins Gespräch kommen können. Sie zitiert zudem eine Studie, die festgestellt hat, dass der Großteil der Eltern mit ›Migrationshintergrund‹ ihre Kinder nicht bei den Hausaufgaben unterstützt – was die Ministerin als Problem sieht. Damit wird unterstellt, dass es nur eine Person braucht, die den Eltern quasi auf Augenhöhe erklären kann, warum es wichtig ist, die Kinder zu unterstützen, um das Problem zu lösen. Das Problem sind die Eltern, nicht etwaige Rahmenbedingungen. Unter der Überschrift Ein sicherer Job für die Zukunft (b1: 50) werden abschließend die Vorteile des Lehrer_innen-Berufs genannt, wobei hier nicht nur wiederum betont wird, dass es sich um einen sicheren Arbeitsplatz handelt, sondern auch, dass der Job auch in Zukunft sicher sein wird. In einer Factbox unter dem Titel »Wie wird man Lehrer?« (b1: 51) sind Informationen zu finden, die den Leser_innen wiederum den Weg zum Lehrer_innenberuf erklären. Vorgestellt werden die Ausbildungen zu Sonder-, Volks- und Hauptschullehrer_innen sowie zu Lehrer_innen an Allgemeinbildenden Höheren Schulen sowie Berufsbildenden Mittleren und Höheren Schulen. Beschrieben wird, wo studiert werden
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kann, wie lang die Studienzeit ist, wie die Jobchancen aussehen und inwiefern es eine Aufnahmeprüfung gibt. Vor allem die guten Jobchancen werden betont, und die Aussichten werden als sehr gut geschildert. Auch wird festgehalten, dass an einem Konzept »einer neuen PädagogInnenbildung« (b1: 51) gearbeitet wird. Nähere Informationen können auf der Unterrichtsministeriumswebseite gefunden werden. Am unteren Rand der Infobox findet sich der Hinweis »Dieser Text entstand in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur.« (b1: 51) Es ist unklar, ob mit »diesem Text« nur jener der Factbox oder auch der ersten Seite gemeint ist. Auch wird der Name der Autorin/des Autors des Artikels nicht genannt, was eher ungewöhnlich ist, sodass sich der Verdacht aufdrängt, es könnte vielleicht gar kein_e Redakteur_in von biber gewesen sein, sondern gleich jemand vom Ministerium, die_der den Text verfasst hat. Auf der nachfolgenden Seite ist unter der Überschrift Positive Vorbilder braucht das Land (b1: 52) ein Interview mit der Unterrichtsministerin Claudia Schmied zu finden, das zwei Schülerinnen, Clara Dopplinger und Diren Ayik, führen. Dadurch wird einerseits der Ministerin die Bühne geboten, eigene Anliegen publik zu machen, andererseits wird das Thema Lehrer_innen mit ›Migrationshintergrund‹ durch die Präsenz der Ministerien als ein Thema präsentiert, das dem Staat an sich wichtig ist, wodurch nochmals verdeutlicht wird, wie sehr der Staat dieses Anliegen unterstützt. Im Interview geht die Ministerin wieder auf die Notwendigkeit von Lehrer_innen mit ›Migrationshintergrund‹ ein, wobei sie neben dem bekannten Argument, die entsprechenden Lehrer_innen würden die Kommunikation mit Eltern erleichtern, auch von der Vorbildwirkung dieser Lehrer_innen spricht: »Wenn die Schülerinnen und Schüler einen Menschen vor sich haben, der seinen Weg gemacht hat, obwohl die Voraussetzungen schwer waren, dann motiviert das.« (b1: 52) Damit wird anerkannt, dass es gerade ›Menschen mit Migrationshintergrund‹ schwer haben, gleichzeitig wird aber auch suggeriert, dass es an den Schüler_innen liegt, genügend Motivation für den eigenen Erfolg aufzubringen bzw. dass der Schlüssel zum Schulerfolg die Motivation der Schüler_innen (mit ›Migrationshintergrund‹) ist. Das Ziel beider Beiträge ist offensichtlich, den Leser_innen mit ›Migrationshintergrund‹ zu zeigen, dass sie gebraucht und gesucht werden, und entsprechend zu animieren, selbst Lehrer_innen zu werden. Österreich wird dabei einerseits als Einwanderungsland beschrieben, in dem viele Menschen einen ›Migrationshintergrund‹ haben und dadurch Teil der Normalität sind, andererseits wird allerdings auch deutlich, dass es derzeit nur wenige Lehrer_innen mit ›Migrationshintergrund‹ gibt und jene Leser_innen, die sich für diesen Beruf entscheiden, entsprechend ein ›Sonderfall‹ wären. Gleichzeitig werden auch jene Schüler_innen und Eltern mit ›Migrationshintergrund‹ als so ›anders‹ und ›fremd‹ be-
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schrieben, dass es eigene ›Botschafter_innen‹ mit besonderer ›interkultureller Kompetenz‹ braucht, um mit ihnen kommunizieren zu können. Sie erscheinen damit im Einklang mit hegemonialen Diskursen um Migration als Problemfall, wobei die Probleme mit ihrer Kultur erklärt werden. Anstatt also die Frage zu stellen, wie sich Schulen durch die Diversität der Gesellschaft verändern können und könnten, geht es hier eher darum, Menschen zu finden, die den neu Zugewanderten besser vermitteln können, was die (n)ur-österreichische Norm ist. Ob die Aufnahme von Lehrer_innen mit ›Migrationshintergrund‹ in den Schuldienst also tatsächlich für einen Wandel der Wahrnehmung von Migrationserfahrungen steht, bleibt fraglich.
Das Finanzministerium als Arbeitgeber und Motivator Das Finanzministerium ist in drei der analysierten Ausgaben prominent vertreten, wobei gleich zwei Minister_innen zu sehen sind: in der ersten und dritten Ausgabe Josef Pröll, in der fünften – nach dem entsprechenden Wechsel – Maria Fekter. Mit dem Wechsel kann auch der Wandel in der Ausrichtung der Werbung erklärt werden – unter Pröll wird das Finanzministerium als Arbeitgeber im klassischen Sinne beworben. Unter Fekter steht eher die Eigenverantwortung der Individuen im Vordergrund. Das Ministerium ist lediglich dazu da, Chancen zu sichern, die die Einzelnen dann selbst ergreifen müssen. In der ersten analysierten Ausgabe – die zudem ein schülerbiber ist – findet sich unter der Überschrift Neue Perspektiven in der Lehrlingsausbildung (b1: 56) eine zweiseitige, als bezahlte Anzeige ausgewiesene Werbung für den vom Finanzministerium neu ins Leben gerufenen Lehrberuf zur/zum »Steuerassistent/in«. Groß zu sehen ist eine junge Frau, die offenbar eine Ausbildung absolviert. Sie ist blond, lächelt, hält einen Telefonhörer ans Ohr und einen Kugelschreiber in der Hand. Auf der gegenüberliegenden Seite ist der Minister zu sehen. Die Gegenüberstellung der Bilder lässt an die klassischen Rollenklischees denken, bei der die junge, hübsche Frau Assistentin ist, während der Chef – der Minister – ein älterer Mann ist. Ausführlich wird über den neuen Lehrberuf informiert, der in Kooperation mit der Kammer der Wirtschaftstreuhänder eingeführt wird. Neben dem Lehrberuf wird gleichzeitig das Finanzministerium beworben, das als modern, professionell und serviceorientiert beschrieben wird. Betont wird aber auch die wichtige Rolle des Ministeriums in der Politik. Die Mitarbeiter_innen sind zudem auch für die »Sicherstellung der finanziellen Interessen der Republik« (b1: 56) verantwortlich. Es ist also eine angesehene Beschäftigung, die dem Gemeinwohl dient und von ernsthaften und verantwortungsbewussten Menschen ausgeübt wird.
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Die Einführung des neuen Lehrberufs wird damit erklärt, dass bislang zwar Verwaltungsassistent_innen ausgebildet wurden, diese aber noch zusätzliche Kompetenzen benötigen, um im Finanzministerium arbeiten zu können. Nicht zuletzt soll mit diesem Beruf Bildung gefördert und in Österreichs Zukunft investiert werden. Hier ist es folglich der Staat, der für Österreichs Zukunft sorgt, wobei jene, die diesen Lehrberuf ergreifen, damit auch die Chance erhalten, an dieser Zukunft teilzuhaben. Kurz wird auf die Inhalte der Ausbildung eingegangen, ebenso auf die Möglichkeit, die Lehre mit der Matura zu verbinden. Angeführt wird, was das Ministerium bietet und was gefordert ist. An erster Stelle steht die österreichische Staatsbürgerschaft (oder die eines EU-Landes). Die Bewerber_innen müssen auch unbescholten sein und sich einem Auswahlverfahren stellen. Interessierte müssen also einige Hürden überwinden, um infrage zu kommen. Das Finanzministerium wirbt auch in der dritten analysierten Ausgabe (April 2011) wieder auf zwei Seiten und mit dem Verweis, dass es sich um eine bezahlte Anzeige handelt (b3: 60 f.). Es werden zwei verschiedene Ausbildungen vorgestellt: einerseits wieder jene zum/zur »Steuerassistent/in«, andererseits jene für das Masterstudium »Tax Management«. Das Masterstudium wurde von der Finanzverwaltung und dem FH Campus Wien ins Leben gerufen. Es soll Wissenschaft und Praxis vereinen. Zu sehen sind zwei Fotos. Auf dem ersten ist eine junge, hübsche, blonde Frau zu sehen, die offenbar am Lernen ist. Auf dem zweiten steht sie inmitten von sieben anderen Menschen und vor einem Hund, der vor ihren Füßen liegt. Die abgebildeten Menschen scheinen alle für das Finanzministerium zu arbeiten, wobei sie zwar alle weiß, dafür aber unterschiedlich alt sind. Zudem sind jeweils gleichviele Männer wie Frauen zu sehen. Beschrieben werden die Inhalte des Studiums, die Karriereaussichten, die Finanzverwaltung als Arbeitgeber und die Bewerbungsmodalitäten. Das Studium ist berufsbegleitend und nicht ›nur‹ auf Studierende ausgerichtet. Auf der zweiten Seite wird für die Ausbildung zur Steuerassistent_in geworben. Auch hier wird das Finanzministerium als guter Arbeitgeber präsentiert und es werden die sehr guten beruflichen Aussichten angeboten. Zitiert wird auch der Finanzminister, der die Leistung des Ministeriums betont, jungen Menschen Zukunftsperspektiven zu bieten. Die Werbungen unter Josef Pröll richten sich auch an keiner Stelle an jene mit ›Migrationshintergrund‹. Einerseits kann es also sein, dass diese sich entsprechend gar nicht angesprochen fühlen, andererseits werden jene mit ›Migrationshintergrund‹ damit auch nicht daran erinnert, dass sie ›besonders‹ oder ›anders‹ sind – was wiederum positiv gewertet werden kann. Insgesamt entsteht analog zu den Werbungen für den Polizeidienst der Eindruck, dass hier nur die Besten der Besten gesucht werden, wobei auch hier nur jene gefragt sind, die
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über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügen. Jenen Leser_innen, die die ›falsche‹ Staatsbürgerschaft haben, wird damit im Grunde verdeutlicht, dass gerade sie nicht dazugehören – für sie stehen keine Arbeitsstellen und Ausbildungen bereit, die ihre Zukunft sichern. Unter Maria Fekter ist dann die Werbung des Finanzministeriums deutlich anders: In der Ausgabe vom Juni 2011 findet sich unter dem Titel Österreichs Weg in den Aufschwung (b5: 62) eine zweiseitige Anzeige des Finanzministeriums, wobei auf der zweiten Seite unter der Überschrift Leistung zählt, nicht Herkunft (b5: 63) ein Interview mit der Finanzministerin, Maria Fekter, abgedruckt ist. Auf dem dazugehörigen Foto, das groß auf der ersten Seite zu sehen ist und das wie aus einer Diversity-Broschüre entnommen wirkt, sind Jugendliche zu sehen, die gekünstelt in die Kamera lachen. Österreich wird in der Anzeige von seinen ›besten‹ Seiten geschildert, als Erfolgsmodell, das sich in der Wirtschaftskrise bewährt hat. Hier geht es auch nicht darum, das Finanzministerium als Arbeitgeber zu präsentieren, sondern eher darum, Werbung für Österreich zu machen und zu zeigen, dass das Finanzministerium gute Arbeit leistet. Abb. 6: Finanzministerium
Quelle: biber Juni 2011: 62 f.
Interessant ist jedoch der zweite Teil der Werbung, das Interview mit der Finanzministerin, die für ihre problematischen Aussagen zu Migrationsthemen bekannt ist. Sie wird nach ihren Zielen befragt und nennt im Grunde Banalitäten,
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betont aber auch die Notwendigkeit persönlicher Leistung. So will sie für junge Menschen Leistungsanreize schaffen. Damit wird unterstellt, dass junge Menschen erst aufgrund entsprechender Anreize bereit sind, Leistung zu erbringen. Explizit wird auch ›Integration‹ angesprochen – so wird die Ministerin gefragt, ob »Leistungsanreize auch einen wichtigen Beitrag zur Integration liefern« (b5: 63), worauf sie antwortet: »Absolut. Menschen mit Migrationshintergrund, die sich in Österreich eigenverantwortlich etwas aufbauen wollen sowie beruflich und privat ihren Weg gehen, sollen Wertschätzung erfahren – durch den Staat und die Gesellschaft. Der Beitrag von Leistung zur Verbesserung der Integration ist für mich evident. Die Stellung jedes Einzelnen in der Gesellschaft soll auf Werten wie z.B. Leistungsbereitschaft basieren und nicht darauf, woher jemand kommt.« (b5: 63)
Daher kommt auch die Überschrift – jene die leisten, sollen integriert werden, durch Leistung kann ›Integration‹ erfolgen. Menschen haben in dieser Denkart keinen Wert an sich, sondern dieser leitet sich davon ab, ob sie bereit sind, Leistung zu erbringen – ganz dem Ansatz des Migrationsmanagements entsprechend. Gleichzeitig wird implizit vermittelt, dass es eben nicht nur darum geht, prinzipiell bereit zu sein, Leistung zu erbringen, sondern auch, diese auch tatsächlich zu erzielen. So liegt es auch in der Verantwortung der Individuen, ob sie den Weg in den ›Aufschwung‹, auf dem sich Österreich laut der Werbung befindet, auch mitgestalten. Diskriminierung, Behinderung und andere Hürden, die dem/der Einzelnen den ›Aufschwung‹ erschweren können, werden dabei vollkommen ausgeblendet.
Das Bundesheer als Arbeitgeber In der Ausgabe vom Juni 2011 wird schließlich für das österreichische Bundesheer geworben (b5: 77). Fast ironisch ist die Platzierung der Werbung neben einem Beitrag zu Kriegsverbrechen in Jugoslawien (Das Personal des Grauens, b5: 74–77), in dem Soldaten und Paramilitärs der Jugoslawienkriege als brutale Verbrecher dargestellt werden. Dagegen werden die Soldaten bzw. Piloten des österreichischen Bundesheeres schon im Titel der Werbung als Profis im Einsatz (b5: 77) bezeichnet. Auffallend ist, dass grundsätzlich nur die männliche Form verwendet wird. Es geht um Piloten, die »mit ihren Hochleistungsfliegern wesentlich zur Erhaltung der staatlichen Souveränität« (ebd.) beitragen. Aufmachung und Sprache wirken dabei nicht so, als wären sie extra für biber gemacht worden, d.h., die Werbung könnte auch in jedem anderen Medium erscheinen. Zu
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sehen sind ein Hubschrauber und der Vereidigungs- und Sportminister Norbert Darabos, der auch mit folgender Aussage zitiert wird: »Unsere Piloten sind durch ihre anspruchsvolle Einsatzausbildung für die sicherheitspolitischen Herausforderungen der Zukunft bestens gerüstet.« (Ebd.) Der Minister trägt Anzug und Krawatte und unterscheidet sich damit deutlich von den Verbrechern in Uniform, die im Beitrag zu den Jugoslawienkriegen zu sehen sind. Die Werbung vermittelt den Leser_innen den Eindruck, dass das österreichische Bundesheer nicht nur hoch professionell arbeitet, sondern neben den militärischen Aufgaben auch im zivilen Bereich für Österreichs Sicherheit sorgt, indem es etwa im Katastrophenfall unterstützend wirkt. Ohne das Bundesheer, so die implizite Botschaft, wäre die Sicherheit der Bevölkerung gefährdet. Auch wenn hier nicht darum geworben wird, dass sich die Leser_innen bewerben, wird das Bundesheer dennoch als Arbeitgeber sichtbar, und es wird wiederum betont, dass die Piloten des Bundesheeres durch ihre exzellente Ausbildung in der Lage sind, auch in der – wieder genannten – Zukunft hervorragende Arbeit zu leisten. Das Bundesheer als Arbeitgeber steht auch in einem anderen Beitrag im Fokus, in dem es um eine junge muslimische Soldatin des Österreichischen Bundesheeres geht, wobei der Beitrag von Anna Thalhammer und Reinhard Lang (Fotos) stammt. Unter dem Titel Ein Engel in Uniform (b2: 20–22) ist in der Ausgabe vom März 2011 Melek Yapakci, eine junge, schöne, lachende Frau, zu sehen (»Melek« bedeutet auf Türkisch »Engel«). Sie trägt eine österreichische Bundesheeruniform, die mit dem österreichischen Wappen und dem KFORSchriftzug versehen ist. Sie wirkt entspannt und natürlich, ihre Haare sind zusammengebunden, sie wirkt ungeschminkt. In der Einführung ist die Rede davon, dass sie die einzige muslimische Soldatin in Österreich ist und im Kosovo dient. Dass die Situation ungewohnt ist, stellt gleich der erste Absatz des Beitrags klar: »Irgendwie verdreht: Diese junge Türkin trägt eine Waffe und kämpft in Uniform. Beim Österreichischen Bundesheer. Junge Machos müssen für sie putzen, und zu Hause sitzt ein Mann, der darauf wartet, dass seine Frau aus dem Auslandseinsatz heimkehrt.« (b2: 21) Dass die junge Frau Stereotypen auf den Kopf stellt, ruft also offensichtliche Irritationen hervor, die im Beitrag dann auch thematisiert werden. Teilweise werden bestehende Stereotype dann auch entkräftet, manche allerdings dann auch – mehr oder weniger explizit – bestätigt. So ist zunächst auffallend, dass die junge Frau als Türkin bezeichnet wird, obwohl ja nur österreichische Staatsbürger_innen Soldatinnen werden können. Die Gleichzeitigkeit beider Zugehörigkeiten ist aber, so wird festgestellt, für die Soldatin selbst »ganz normal« (b2: 21). Es wird also deutlich, dass die Umstände für Außenstehende zwar verwirrend und ungewohnt sein mögen, dass sie für die ›Betroffene‹ selbst jedoch Normalität sind. Dass sie allerdings nicht unbedingt so
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wahrgenommen wird, macht die Szene deutlich, die schon weiter oben thematisiert wurde: An sich wollte sie Polizistin werden, weil sie dort allerdings falsch informiert und unfreundlich behandelt wurde, hat sie sich für das Bundesheer entschieden. Zudem war auch die Mutter der jungen Frau – so der Text – entsetzt, dass die Tochter zum Heer wollte. Die junge Frau hat es zudem mit »Macho-Türken« zu tun, die sich von ihr nichts sagen lassen wollen. Interessant ist dabei, dass hier davon die Rede ist, dass sie mit den Rekruten Probleme hat, die aus der Türkei stammen. Damit werden gerade Stereotype über junge muslimische Männer bestätigt, und es wird vermittelt, dass nur sie ein Problem damit haben, von einer jungen Frau kommandiert zu werden. Von den (n)urösterreichischen Kollegen werden ihr dagegen Kompetenzen zugesprochen, die wiederum männlich konnotiert sind. So wird ihr etwa bescheinigt, männlicher als die Männer und knallhart zu sein, was jeweils positiv gewertet wird. Es ist also keine Rede davon, dass sie ›typisch weibliche‹ Fähigkeiten in ein männlich geprägtes Umfeld bringt. Auch ist an keiner Stelle die Rede davon, dass ihr ›Migrationshintergrund‹ bei der Arbeit von Vorteil ist. Vielmehr erscheint sie deswegen kompetent, weil sie perfekt in das Umfeld passt und sogar »männlicher als die Männer« ist. Den Leser_innen wird also im Unterschied zu den Beiträgen über den Polizeidienst nicht vermittelt, dass sie aufgrund ihres ›Migrationshintergrundes‹ oder sonstiger Eigenschaften, die eher nicht die Norm im Bundesheer darstellen, gefragt sind, sondern dass vielmehr vollkommene Anpassung gefragt ist. Nicht zuletzt werden auch problematische Konnotationen bestätigt, wenn thematisiert wird, dass es für die Soldatin kein Problem ist, dass sie als Muslimin ein serbisch-orthodoxes Kloster zu beschützen hat. Sie gibt zwar an, dass das nicht in Widerspruch mit dem Koran steht. Allerdings wird mit der Thematisierung ihrer Religionszugehörigkeit in diesem Kontext unterstellt, dass Muslime möglicherweise ein Problem mit anderen Religionen haben. Das wird vor allem dann deutlich, wenn man bedenkt, dass einem katholischen Soldaten eine entsprechende Frage wohl kaum gestellt werden würde. Insgesamt vermittelt der Beitrag den Leser_innen ein ambivalentes Bild: Einerseits können sie sehen, dass im Österreichischen Bundesheer auch jene arbeiten können, die zugewandert sind, andererseits wird deutlich, dass sie als ›Andere‹ wahrgenommen werden und nur dann positiv auffallen, wenn sie sich der geltenden Norm unterwerfen. Jungen Männern, die aus der Türkei stammen, vermittelt der Beitrag zudem auch, dass sie im Bundesheer möglicherweise wiederum als Problemfall gesehen werden, der sich nicht richtig zu verhalten weiß.
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Weitere Ministerien Gerade im schülerbiber (b1) und in der Ausgabe, die ein Karriere-Special (b3) enthält, sind neben den genannten Ministerien auch weitere vertreten, die jeweils ebenfalls mit Bezug zu Bildung bzw. Arbeit werben. In der Ausgabe vom Februar 2011 sollen unter der Überschrift Junge Forscherinnen für Österreichs Zukunft (b1: 55) junge Frauen motiviert werden, sich für Technik zu interessieren bzw. sich für technische Jobs zu entscheiden. Explizit geht es darum, Mädchen für ein Sommerpraktikum bei »Top-Unternehmen und Forschungseinrichtungen« (b1: 55) anzuwerben. Das Gehalt wird vom Ministerium für Verkehr, Innovation und Technologie zur Verfügung gestellt. Insgesamt 1 000 Mädchen bekommen im Rahmen eines vierwöchigen Praktikums mindestens 700 Euro. Auf dem zur Werbung gehörenden Foto sind drei junge Mädchen und die Infrastrukturministerin Doris Bures zu sehen. Einerseits wird Werbung für dieses Ministerium betrieben und andererseits bekommt die Ministerin die Chance, sich ins rechte Licht zu rücken. Der Text zum Bild stellt klar, dass die Ministerin »besonderen Wert auf die Förderung von Jugendlichen im Bereich Forschung« legt (b1: 55). Auch die Schlagzeile verweist darauf, dass das Programm nicht einfach dazu da ist, den Mädchen eine schöne Zeit zu ermöglichen. Vielmehr geht es um »Österreichs Zukunft«. Dass diese Anzeige im biber erscheint, ist als Zeichen dafür zu werten, dass auch die Leser_innen von biber als Teil der österreichischen Zukunft gesehen werden, auch wenn sich die Anzeige nicht explizit an Menschen mit ›Migrationshintergrund‹ wendet. In der Ausgabe vom April 2011 bzw. im Rahmen des Karriere-Specials wirbt das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung für MINT-Fächer, d.h. für die Studienrichtungen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (b3: 65). Diese Studienrichtungen schaffen laut Werbung »Zukunft«. Die Absolvent_innen werden zudem als besonders gefragt beschrieben. So wird den Leser_innen suggeriert, dass sie mit dem entsprechenden Studium einen sicheren Arbeitsplatz haben werden, womit wieder auf die Angst angespielt wird, keinen Arbeitsplatz zu haben. Auch in dieser Werbung ist die zuständige Ministerin, Beatrix Karl, zu sehen. Es wird also sehr wohl auch wieder für ein Ministerium bzw. die zuständige Ministerin geworben. In der Ausgabe vom April 2011 wirbt dann auch das Lebens- bzw. Umweltministerium. Dabei geht es um »Green Jobs« bzw. das entsprechende Karriereportal, wo Jobangebote zu finden sind. Im dazugehörigen Interview mit dem zuständigen Minister, Niki Berlakovich, stellt dieser schon in der Überschrift Folgendes fest: »Ich möchte vor allem für Jugendliche wichtige und krisensichere Perspektiven« bieten (b3: 69). »Green Jobs«, d.h. Jobs in der Umweltwirtschaft, werden als »starkes Lebenszeichen« (b3: 68) inmitten eines angespannten Ar-
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beitsmarktes beschrieben, und es wird angeführt, dass jährlich Hunderte Millionen Euro in die Umweltbranche investiert werden, wodurch wiederum Jobs geschaffen und gesichert werden. Umwelt und Arbeitsmarkt werden dabei verknüpft, wobei das Ministerium als jene Instanz vorgestellt wird, die Arbeitsplätze schafft und sichert. Der Minister betont, dass er für Jugendliche sichere Jobs schaffen möchte. Die Orientierung ist wiederum auf die Zukunft gerichtet. Vermittelt wird aber auch, dass Arbeitsplätze gefährdet sind und dass im Grunde alle Angst haben müssen, keinen Job zu bekommen, dass die Wahl der Branche entscheidend ist. Auffallend ist, dass alle drei Ministerien nicht nur technische, sondern auch hoch qualifizierte Berufe in den Vordergrund stellen. Während sich die erste Werbung allerdings explizit an eine Gruppe richtet, die in technischen Berufen unterrepräsentiert ist, wird Migration gar nicht angesprochen. Während also weibliche Leser_innen zumindest bei der ersten Werbung vermittelt bekommen, dass sie gefragt sind, ist es bei den Leser_innen, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, fraglich, ob sie sich als Adressat_innen der Werbung wahrnehmen. Nicht zuletzt wird den Leser_innen vordergründig jeweils vermittelt, dass der Staat für sichere Arbeitsplätze sorgt. Gleichzeitig wird ihnen allerdings auch Angst gemacht, dass sie mit der falschen (Berufs-)Wahl ihre Zukunft aufs Spiel setzen.
Kritik am Staat? Auch wenn dem österreichischen Staat in biber vor allem eine Bühne geboten wird, um sich selbst und die eigenen Ansichten zu präsentieren, heißt das nicht, dass gar keine Kritik an staatlichen Akteur_innen zu finden ist. Prominent platziert wird entsprechend die Frage, inwiefern ein Vertreter des Staates Österreich von der biber-Redaktion auch als Einer von uns? gesehen werden kann (b4: 1 und 20–22). Dabei geht es um den zum Zeitpunkt des Interviews als Staatssekretär für Integration tätigen und mittlerweile zum österreichischen Bundeskanzler aufgestiegenen Sebastian Kurz, der als Coverstar fungiert und in der Ausgabe interviewt wird. Obwohl das Bundesministerium für Inneres, dem Kurz angehört, nicht explizit genannt wird, wird er im Beitrag als »kleiner Minister« (b4: 21) bezeichnet, der als Vertreter des Staates gesehen wird. Was mit »uns« gemeint ist, wird nicht ausgeführt. Es ist aber anzunehmen, dass es sich um »uns ›Migrant_innen‹« handelt. Sind es doch gleich drei Redakteur_innen (Ivana Martinović, Filiz Türkmen und Erkan Yildiran), die im Gespräch als ›Menschen mit Migrationshintergrund‹ sichtbar werden und die Antworten auf diese Frage zu finden versuchen. Dass es gleich drei Redakteur_innen sind, die mit Kurz spre-
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chen, macht deutlich, dass das Interview wichtig genommen wird. So signalisiert auch das Foto, auf dem Kurz und die Interviewer_innen zu sehen sind, dass sie Kurz ›in die Mangel‹ nehmen. Die Interviewer_innen sitzen um Kurz herum, sehen ihn also von allen Seiten an, blicken ernst. Neben der Skepsis, die der Titel formuliert, verdeutlicht auch der Einführungstext, dass biber Kurz nicht ganz ernst nimmt – er wird wie gesagt als »kleiner Minister« eingeführt. Und es wird auch geschildert, dass er laufend von Menschen auf der Straße angesprochen wird, die ihm Hilfe bei seiner Arbeit anbieten. Und auch biber, so die Einleitung, möchte ihm helfen. Deutlich wird also, dass ihm nicht zugetraut wird, dass er sich mit dem Thema ›Integration‹ auskennt. Er braucht offensichtlich Hilfe, auch wenn eine gewisse Skepsis darüber aufkommt, ob das Gespräch auch tatsächlich etwas nützen wird. Abb. 7: Kurz im Interview
Quellen: biber Mai 2011: 1 und biber Mai 2011: 21
Im Gespräch scheint (wohl auch altersbedingt) nur wenig Distanz zwischen Kurz und den Redakteur_innen zu herrschen. Er wird mit dem Vornamen angesprochen und geduzt und erscheint auch deswegen nicht als kompetente Respektperson, weil die Fragen z.T. deutlich länger und ausführlicher sind als seine Antworten. Die Fragen sind teilweise auch sehr kritisch, und die Redakteur_innen schildern ihre eigenen Erfahrungen. Ihrer Meinung nach sind nicht die ›Migrant_innen‹ Schuld an der fehlenden ›Integration‹, sondern die Tatsache, dass die (N)Ur-Österreicher_innen nicht bereit sind, sich mit Migration bzw. ›Mig-
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rant_innen‹ zu beschäftigen. Obwohl damit den Diskursen um ›Integration‹, die die Schuld an angeblich mangelnder ›Integration‹ bei den ›Migrant_innen‹ selbst entgegengehalten wird, dass die (N)Ur-Österreicher_innen das Problem sind, wird nicht insgesamt hinterfragt, ob ›Integration‹ an sich erstrebenswert ist bzw. was genau diese ausmacht. Auch widerspricht der Interviewte und schildert wiederum seine persönlichen Erfahrungen: Er selbst hatte sehr wohl Freunde mit ›Migrationshintergrund‹, und er versucht offensichtlich als jemand zu erscheinen, an dem die ›Integration‹ nicht scheitert, weil er selbst offen dafür ist. Zum Abschluss stellen die Redakteur_innen Kurz Fragen, um zu prüfen, ob er bestimmte Begriffe kennt (etwa »Schwabo«, »Danke auf Türkisch« oder die exakte Übersetzung von »Döner«, b4: 22). Kurz kennt kein einziges Mal die richtige Antwort. Entsprechend wird wiederum sein Unwissen vorgeführt. Abschließend wird ihm wiederum Hilfe angeboten und festgehalten, dass »wir« es gut finden, dass es einen Integrationsstaatsekretär gibt, worauf er sich für das Vertrauen bedankt, was ihm gar nicht ausgesprochen wurde. Im deutlichen Unterschied zu den Werbungen der Ministerien, in denen die Ministerien und die Minister_innen positiv konnotiert sind, wird Staatssekretär Kurz als unqualifiziert beschrieben. Damit wird deutlich, dass in biber durchaus kritische Inhalte zu finden sind. Auch wenn die Ministerien – und dabei gerade das Innenministerium – wichtige Werbepartner sind, wird vorgeführt, wo Schwächen bestehen bzw. welche Perspektiven der Staatssekretär, der mit Migrationsagenden beauftragt ist, einbeziehen muss.
(Gesellschafts-)Kritische Positionen Obwohl in biber vor allem die Leistung von Individuen und die Notwendigkeit von persönlichem Erfolg betont wird, finden sich sehr wohl auch Beiträge, die politisches Engagement und gesellschaftskritische Positionen als wichtig beschreiben. Auf einige dieser Beiträge wird im Folgenden eingegangen, wobei erstens Berichte beleuchtet werden, die – analog zu jenen über wirtschaftlich erfolgreichen Personen – (widerständige) Vorbilder zeigen, d.h. Personen, die sich mit ihrem Engagement gegen herrschende Zustände wehren. Zweitens wird anhand zweier Beiträge gezeigt, wie die Leser_innen angehalten werden, selbst aktiv zu werden bzw. Solidarität mit prekarisierten Personen zu üben – auch wenn diese Solidarität z.T. ambivalent gesehen wird.
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Widerständige Vorbilder Ähnlich wie erfolgreiche Manager_innen oder exzellente Polizist_innen den Leser_innen als Vorbilder und anzustrebende Ideale präsentiert werden, werden in den analysierten biber-Ausgaben auch laufend Personen vorgestellt, die aktiv gegen herrschende Zustände vorgehen. Dabei ist allerdings auffallend, dass diese Personen vor allem im Ausland aktiv sind und es sich um Menschen handelt, die sich gegen negative Dinge außerhalb von Österreich auflehnen, womit Österreich implizit als ein Land beschrieben wird, in dem die Zustände in Ordnung sind. In einem Beitrag wird allerdings auch explizite Kritik an Österreich geübt, wobei dies allerdings ebenfalls in einem Kontext präsentiert wird, der Österreich im Unterschied zu anderen Ländern als besonders positiv erscheinen lässt.
Journalist in Kroatien Unter der Überschrift Sanaders Untergang (b1: 66–68) wird in biber vom Februar 2011 über den Journalisten Hrvoje Appelt berichtet, der mit seinen Beiträgen dazu beigetragen hat, dass der frühere Kanzler Kroatiens, Ivo Sanader, wegen Korruptionsvorwürfen verhaftet wurde. Der Ton und die Aufmachung des Artikels sind für biber ungewöhnlich, weil ein ernster Ton verwendet wird. Appelt wird als preisgekrönter Journalist mit langjähriger Karriere beschrieben, der in Kroatien bekannt ist, es als Journalist allerdings schwer hat. Ihm gegenübergestellt wird der ehemalige Kanzler, der mittlerweile in einem österreichischen Gefängnis inhaftiert ist: Er hat in Innsbruck studiert und hat starke Verbindungen zu Österreich. Seit Dezember 2010 sitzt er »unter Verdacht massiver Korruption und Bildung einer kriminellen Vereinigung in Auslieferungshaft in Österreich« (b1: 68). Der Journalist wird im Beitrag selbst als hart arbeitender investigativer Journalist dargestellt, der zwar Skandale aufdeckt, allerdings keinen Job findet, weswegen er als Eislauftrainer arbeiten muss: »Erst vor Kurzem haben sich zwei Politikmagazine im kroatischen Fernsehen erbarmt und beschäftigen ihn als freien Mitarbeiter – ohne Bezahlung« (b1: 67). Dass er keinen Job findet, liegt laut biber daran, dass die Medien mit korrupten Politiker_innen zusammenarbeiten. Der Journalist befindet sich folglich in einer marginalisierten und prekären Position, ist aber dennoch in der Lage, Mächtige zu stürzen und ins Gefängnis zu bringen. Dass er bereit ist, sogar gratis zu arbeiten, ist ein Zeichen dafür, wie ernst er seine Aufgabe nimmt und dass er sich nicht von den äußeren Umständen beeinflussen lässt. Er arbeitet akribisch und investigativ. Als Beispiel werden seine Recherchen über Sanaders teure Armbanduhren hervorgehoben: So ist dem Journalisten aufgefallen, dass der Kanzler sich diese eigentlich nicht leisten kön-
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nen sollte. Sanader selbst ließ verlautbaren, dass er mit seinen Firmen Geld verdient – was Appelt wiederum mithilfe von Recherchen widerlegt hat. So gehen Sanaders Firmen in Konkurs. Appelt war es dann auch, der die Beziehungen zwischen Sanader und Kärnten bzw. Bayern aufgedeckt hat: So unterhielt der Exkanzler Kontakt zu Jörg Haider, Wolfgang Schüssel und Edmund Stoiber. Auch die Hypo-Bank taucht auf, die schon in den 1990er-Jahren bereits in illegale Geschäfte in Kroatien verwickelt gewesen ist. Sanader ist gar eine der »zentralen Figuren im HypoAlpe-Adria-Skandal« (b1: 68). Hintergründe werden geschildert und Bezüge zum Kroatienkrieg der 1990er-Jahre und zum ehemaligen Staatspräsidenten Tudjman hergestellt. Das zeigt, dass die Korruption nicht nur international, sondern auch historisch zu sehen ist. So war es Tudjman, der ein System eingerichtet hat, das dafür sorgen sollte, dass »200 ausgewählte Familien« die kroatische Wirtschaft kontrollieren, wobei der »Innsbrucker Uniabsolvent Ivo Sanader« als »Verbindungsmann zur Geldwaschmaschine Hypo« dienen sollte. Sanader selbst sieht sich laut dem Beitrag als Opfer einer Rufmordkampagne, die auch politisch motiviert ist. Dennoch lässt der Beitrag keinen Zweifel daran, dass eher dem Journalisten als dem Exkanzler geglaubt wird. Der Journalist ist klarer Held der Geschichte, gerade weil die Bedingungen für Journalist_innen in Kroatien sehr schlecht sind. So sieht ein Ranking von Reporter ohne Grenzen Kroatien auf Platz 45 der Medienfreiheit, und auch die Journalist_innen in Kroatien arbeiten teilweise gar unter Polizeischutz – »beinahe monatlich wird einer krankenhausreif geprügelt« (b1: 68). Der Herausgeber eines Politmagazins wurde gar mit einer Bombe ermordet, und auch Appelt wurde fast Opfer eines Anschlags – wobei ihn, so Appelt, der Widerstand noch mehr anspornt. Gleichzeitig wird gefragt, ob er nicht ein kroatischer Don Quijote ist und ob er nicht umsonst kämpft. Er stellt fest, dass jemand dafür sorgen muss, dass die Öffentlichkeit über die (kriminellen) Vorgänge im Land erfährt. Auch wenn in diesem Beitrag durchaus Bezug zu Österreich genommen wird, steht doch vor allem Kroatien an den Pranger – die Bedingungen für Journalismus sind schrecklich, Korruption ist stark verankert, es braucht Helden, die sich in Todesgefahr begeben, um alles aufzudecken. Der Journalist ist dabei nicht unbedingt jemand, der in biber sonst als Vorbild präsentiert werden würde: Er zeichnet sich zwar durch Kompetenz und Integrität aus, verdient aber gleichzeitig nichts mit seiner eigentlichen Profession. Auch wird die Frage gestellt, ob sein Engagement überhaupt etwas ändern kann, weil das System, das er bekämpft, so übermächtig erscheint. Damit wird er zwar als Held gefeiert, ob die Leser_innen sich durch das Geschilderte allerdings animiert fühlen, ihm nachzueifern, bleibt fraglich. Gleichzeitig wird ihnen allerdings auch keine andere, al-
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ternative Handlungsoption aufgezeigt: Das Gelesene dient scheinbar der reinen Information über die Zustände in Kroatien, die für die Leser_innen im Grunde nicht relevant sind.
Journalistin in Russland Ebenfalls in der Ausgabe vom Februar 2011 geht es unter dem Titel Die Aufklärung steht über dem Tod (b1: 78–80) um eine engagierte russische Journalistin. Sie ist abgebildet. Es handelt sich um eine ernste, junge, blonde Frau im Minirock, mit Schmuck und Handtasche. Sie wird als eine Person vorgestellt, die keine Angst hat, auch wenn sie unter sehr gefährlichen Bedingungen arbeitet. Es handelt sich um die 28-jährige Olga Bobrowa, die laut biber mit »ihren blond gefärbten Haaren, dem knielangen, engen Kleid und dem glänzenden Damentäschchen« (b1: 79) mindestens so auffallend ist wie die Wochenzeitung Nowaja Gaseta, für die sie arbeitet und die als die bekannteste Oppositionszeitung Russlands gilt. Im Gegensatz zum Beitrag über den kroatischen Journalisten steht hier das Aussehen der Frau im Fokus, wobei hier auch damit gespielt wird, dass ihr Aussehen in scheinbar deutlichem Kontrast zu ihrer gefährlichen Arbeit steht. Interessant ist jedoch, dass sie bei der Wochenzeitung nicht angefangen hat, weil sie besonders am investigativen Journalismus oder der Gefahr interessiert war, vielmehr wird geschildert, dass sie in die Redaktion »hineingestolpert« ist, weil sie als Journalismusstudentin in anderen Zeitungen des Landes nur schwer Arbeit gefunden hätte und Nowaja Gaseta auch junge Journalist_innen aufnimmt. An ihrem ersten Tag berichtete sie dann aber gleich über die Auflösung eines tschetschenischen Flüchtlingscamps in Inguschetien, in dessen Zuge Hunderte Menschen obdachlos wurden – obwohl sie zuvor nichts über die Zustände vor Ort wusste: »›Ich wusste zwar, dass es die kaukasischen Republiken gab und dass die Menschen dort leiden, aber das war es schon‹, gibt Bobrowa zu.« (b1: 79) Durch den Beitrag ist ihre Neugier geweckt worden, sodass sie bald fixer Teil der Redaktion wurde. Sie wird also als relativ naive junge Frau geschildert, die über nur wenig Wissen über die Zustände verfügt hat. Ihr Antrieb ist Neugierde gewesen, und sie ist in die Arbeit »hineingestolpert« – obwohl sie Journalismusstudentin war. Vorwiegend wird sie anfangs als Person eher negativ dargestellt, bis dann aber ihr Einsatz ausführlich umrissen und positiv bewertet wird. Die Journalistin hat u. a. Reisen in den Nordkaukasus unternommen, ebenso wie andere Journalistinnen des Magazins, die wegen diesem Engagement ermordet wurden. Dennoch meint sie, dass sie keine Angst kennt: »Angst lähmt. Sie verführt dazu, womöglich bestimmte Sachen nicht zu schreiben.« (b1: 79) Ihr
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Mut wird damit erklärt, dass sie etwa 2004 mit den Angehörigen der Ermordeten in Beslan gesprochen und dort festgestellt hat, dass auch Worte eine gewisse Sprengkraft besitzen und dass mit journalistischem Engagement Veränderungen möglich sind bzw. auch aufgedeckt werden kann, dass nicht nur die Terrorist_innen Verantwortung tragen, sondern auch die russische Regierung. So wirft sie den Menschen in Moskau vor, dass sie die Bewohner_innen des Nordkaukasus als anders als sich selbst sehen und entsprechend kein Problem damit haben, wenn diese sterben. Sie ist insbesondere Expertin für den Nordkaukasus. Dort verbringt sie viel Zeit und kennt die Gegebenheiten. Sie unterstreicht auch, dass sie sich dort gut schützen kann, indem sie sich an entsprechende Verhaltenskodizes hält, etwa ein Kopftuch trägt und ohne männliche Begleitung unterwegs ist, weil Männer eher gefährdet sind als Frauen und »weil viele Männer aus dem Nordkaukasus aufgrund ihres Glaubens gewisse Berührungsängste haben, einer Frau Gewalt anzutun« (b1: 80). Es geht ihr zwar auch darum, Missstände und Ungerechtigkeiten sichtbar zu machen, es ist aber nicht unbedingt die Rede von Solidarität. Die Argumentation lautet eher, dass die Gewalt auf dem Kaukasus auch nach Russland überschwappen kann, d.h., sie soll unterbunden werden, damit auch Russland ›sicher‹ bleibt. Auch hier geht es um Zustände im Ausland. Die Journalistin schwebt in Lebensgefahr und ist nichtsdestotrotz entschlossen, ihre Arbeit fortzuführen. Im Unterschied zum kroatischen Journalisten wird aber auch ihr Aussehen hervorgehoben und ihre Anfänge geschildert, die sie naiv wirken lassen. Nicht zuletzt wird auch hier vermittelt, dass im Ausland problematische Zustände herrschen, ohne dass hier Bezüge zu Österreich hergestellt werden.
Geflüchtete als kritische Instanzen Im Unterschied zu den beiden oben beschriebenen Beiträgen spielt Österreich in einem Beitrag, der einen Redewettbewerb thematisiert, eine zentrale Rolle. Dieser wird bereits auf der Titelseite des schülerbiber angekündigt, wobei einer der Teilnehmer des Wettbewerbs zu sehen ist: Es handelt sich um einen jungen, dunkelhäutigen Mann. Als Titel wird angegeben: Aus dem Krieg. Junge Wiener und ihre Flucht in die Freiheit (b1: 1). Ungewöhnlich ist hier die Bezeichnung des Jugendlichen als »junger Wiener« und gerade nicht als Flüchtlinge oder Asylsuchende, d.h. die gleichsame Zuerkennung der Zugehörigkeit zu Wien bzw. Österreich. Allein die Gleichsetzung von Österreich mit Freiheit passt in gewohnte Denkmuster, die Österreich als ›natürliches‹ Zielland von Fluchtbewegungen begreifen bzw. auch als Hort der Freiheit und Gerechtigkeit – gerade in Abgrenzung zu ›da unten‹. Der junge Mann trägt ein Polohemd mit aufgestell-
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tem Kragen und einen Pullunder, auf dem deutlich das Logo des teuren Markenwaredesigners Ralph Lauren zu erkennen ist. Abb. 8: Junge Wiener
Quelle: biber Februar 2011: 1
Der Abgebildete ist also einerseits wie ein typischer Sohn reicher Eltern gekleidet (oder zumindest wie jemand, der vorgibt, dies zu sein), gleichzeitig wird er mit Flucht und Krieg verknüpft. Den Leser_innen wird suggeriert: Hier handelt
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es sich um jemanden mit einer schwierigen Geschichte, der es trotzdem geschafft hat – nicht nur die Flucht nach Österreich, sondern auch auf die Titelseite von biber. Das gleiche Foto findet sich dann auch im Heftinneren und gehört zum Beitrag Wir erzählen euch vom Krieg (b1: 16–21). Anlass für den Beitrag ist der Redewettbewerb »Sag’s Multi!«. Drei der Teilnehmer werden vorgestellt, ihre Reden sind abgedruckt. Die jungen Männer sind ganzseitig abgebildet, angegeben sind ihre Namen, Geburtsdaten, Herkunftsländer, Muttersprachen, aktuelle Schulen und seit wann sie in Österreich sind. Alle drei sind mit einem Symbol ihrer Heimat abgebildet. Der junge Mann von der Titelseite, Boubacar Diallio, lässt Sand von der einen in die andere Hand rieseln. Die beiden Afghanen halten eine Flagge (Farhad Mohamdi) bzw. ein Taschentuch (Mohamas Ali Babai) aus ihrem Herkunftsland. Auffällig ist, dass hier nur junge Männer zu Wort kommen. Alle drei sind bzw. waren zudem Asylsuchende. In der Einleitung ist festgehalten, dass sich die Jugendlichen zwar nicht persönlich kennen, aber einiges gemeinsam haben: »Sie haben Krieg und Vertreibung erlebt und wollen sich in Österreich ein neues Leben aufbauen. Alle drei haben Mut und Ehrgeiz bewiesen. Auch wenn die Sprache noch nicht perfekt sitzt, trauten sie sich beim Redewettbewerb ›Sag’s Multi!‹ mitzumachen […]. biber findet ihre Leistung lobenswert und kürt sie hiermit zu den Gewinnern mit scharf!« (b1: 17) Die Betonung von Ehrgeiz und Leistungsbereitschaft passt wiederum perfekt zu den Eigenschaften, die weiter oben als erfolgsentscheidend dargestellt wurden. Mut beweisen die Jugendlichen, indem sie sich trauen, öffentlich aufzutreten, obwohl sie nicht perfekt Deutsch können. In den Beschreibungen der Jugendlichen wird ebenfalls ihr Fokus auf (Aus-)Bildung betont: Boubacar Diallo möchte später Wirtschaft studieren. Farhad Mohamdi möchte zwar Schauspieler werden, sollte das aber nicht klappen, hat er vor, Psychologie und Sportwissenschaften zu studieren. Mohamad Ali Babai verbringt seine Zeit am liebsten in der Schule, und zwar nicht nur, weil er dort seine Freunde trifft, sondern auch, weil er »viel lernen will« (b1: 21). Der Redewettbewerb richtet sich an Schüler_innen aus Wien, die keine deutsche Muttersprache haben, wobei eine Jury ihre Sprachkompetenz in Deutsch sowie in der Muttersprache bewertet. Im Wettbewerb scheint es also weniger um die Inhalte der Reden zu gehen als darum zu prüfen, wer gut Deutsch kann – wobei aber auch geprüft wird, wie gut die Teilnehmer_innen ihre ›eigene‹ Sprache sprechen. Das Ganze findet dann noch im Rahmen eines Wettbewerbs statt. Es scheint darum zu gehen, wer die beste Sprachkompetenz von allen hat. Der Wettbewerb passt damit sehr gut in die Debatten um Sprachkompetenz von jenen mit ›Migrationshintergrund‹. Hier werden Leistung und Kompetenz von ei-
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ner Jury bewertet. Einzig die Einbeziehung der Muttersprachen fällt aus dem Rahmen, d.h. die Tatsache, dass es nicht reicht, nur in Deutsch gut zu sein – womit die ›ursprüngliche‹ Sprache aufgewertet wird. Dass aber auch diese geprüft wird, zeigt, dass nicht unbedingt davon ausgegangen wird, dass die ›eigene‹ Sprache perfekt beherrscht wird. Der Kontext der Aufwertung ist im Beitrag allerdings deutlich: So wird der Wettbewerb vom Verein Wirtschaft für Integration veranstaltet. Als Unterstützer des Wettbewerbs wird der Chef der UNIQAVersicherung, Konstantin Klien, interviewt. Unter der Überschrift Eine Ostsprache ist sicher ein Vorteil (b1: 19) erklärt der Interviewte: »Der Wirtschaftsstandort Österreich braucht junge Menschen, die sprachliche und kulturelle Vielfalt nutzen – denn das wird immer stärker zum Erfolgsfaktor in Beruf und Wirtschaft.« (b1: 19) Es geht hier klar darum, die Vielfalt ökonomisch zu verwerten. Um beruflich erfolgreich sein zu können, muss man die Vielfalt nutzen. Es reicht nicht, sich in Österreich zu ›integrieren‹, vielmehr müssen jene mit ›Migrationshintergrund‹ nun auch als Brücke bzw. Vermittler fungieren, um den Wirtschaftsstandort Österreich zu unterstützen. Mit der Aufwertung der Sprachen der Leser_innen mit ›Migrationshintergrund‹ geht also auch die Forderung einher, diese Sprachen auch ökonomisch zu verwerten. Den Leser_innen wird vermittelt, dass ihre Kultur bzw. die Kenntnisse ihrer Kultur deswegen wertvoll sind, weil bzw. wenn sie ökonomisch verwertbar sind. Damit passt der Beitrag bzw. das Interview deutlich in die Debatten um den dreifachen Gewinn der Migration im Bereich des Migrationsmanagements – eben indem darauf hingewiesen wird, dass Migration ökonomisch wertvoll ist. Die drei Reden selbst sind entgegen diesem Kontext aber überraschend politisch und z.T. auch sehr kritisch. So stellen sie die Reise nach Österreich in den Fokus, ebenso den Vergleich zwischen den Heimatländern und Österreich. Boubacar Diallo und Mohamad Ali Babai scheinen zwar in Österreich das gelobte Land zu sehen, in dem die Menschen viel mehr Chancen haben, in die Schule gehen und Demokratie genießen können etc. Gleichzeitig träumen sie aber auch davon, dafür zu sorgen, dass sich die Bedingungen in ihren Heimatländern verbessern. So führt Mohamad Ali Babai aus: »Besonders wichtig finde ich, dass auch Frauen einen Beruf ergreifen und über ihr Leben selbst entscheiden dürfen.« (b1: 21) Farhad Mohamdi schätzt dann laut der Beschreibung zwar die Chancen, die er in Österreich hat und will diese auch nützen, äußert aber scharfe Kritik an der Behandlung, die er und seine Familie als Asylsuchende erfahren haben. So beschreibt er eindrücklich die Erlebnisse im Flüchtlingslager Traiskirchen:
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»Man hat uns fotografiert und Fingerabdrücke abgenommen. Dort wohnten wir etwa drei Jahre. Das war kein Leben, sondern ein Gefängnis. Das ganze Gelände war durch Gitter und Zäune abgeriegelt. Mehrere Wachleute mit Hunden waren entlang des Zauns unterwegs. Alles wurde per Video überwacht. Wenn das kein Gefängnis ist, was ist es dann?« (b1: 19)
Auch wenn die jungen Männer also im Rahmen eines Wettbewerbs zu Wort kommen, der vor allem die ökonomische Verwertbarkeit ihrer Erfahrungen und Sprachkenntnisse in den Vordergrund stellt, nutzen sie diese Plattform für politische Aussagen bzw. dafür, ihre Eindrücke öffentlich zu machen. Sie entsprechen dabei z.T. durchaus den Forderungen bzw. Anrufungen, die an jene mit ›Migrationshintergrund‹ gestellt werden – so sind sie leistungsbereit, bildungsorientiert und kompetent, gleichzeitig sind sie aber auch in der Lage, die gebotenen Chancen strategisch zu nutzen. Den Leser_innen wird entsprechend auch vermittelt, dass kritische Sichtweisen durchaus Raum haben bzw. haben sollten. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Kritik nicht erst geäußert und vor allem gehört werden kann, wenn sie von Subjekten stammt, die bewiesen haben, dass sie jene Anforderungen erfüllen, die an sie gestellt werden.
Migrationsdiskurse verändern In drei der fünf analysierten Ausgaben wirbt biber ganzseitig für die eigene »›mit scharf‹-Akademie« (b3: 16; b4: 73; b5: 34). Es handelt sich dabei immer um die gleiche Anzeige. Fast ein Drittel der Seite wird von der Überschrift Wir bringen die Neuen Österreicher in die Medien eingenommen. Darunter sind drei Fragen angeführt, die sich an die Leser_innen wenden: »Willst du Journalist/Journalistin werden? Willst du mitbestimmen, wie Medien berichten? Willst du verbessern, wie in österreichischen Medien über Migranten geschrieben wird?« Interessant ist hier die Wortwahl der Überschrift – es ist die Rede von Neuen Österreichern. Es wird also ein Begriff verwendet, der in Österreich unüblich ist und einiges Selbstbewusstsein vermittelt – auch könnte man argumentieren, dass ›neu‹ meist positiver als ›alt‹ konnotiert ist. Vielleicht handelt es sich hier sogar um bessere Österreicher? Dass diese aber erst in die Medien gebracht werden sollen, ist ein Zeichen dafür, dass sie noch unterrepräsentiert sind. Zudem ist es biber, das diese in die Medien bringt. Die Leser_innen werden direkt angesprochen. Sie sollen Journalist_innen werden und mitbestimmen, wobei hier für biber eher ungewöhnlich geschlechterbewusst geschrieben wird. Damit wird auch eine gewisse Seriosität vermittelt. Der Beitrag ist auch nicht ironisch gehalten, biber meint es ernst. Deutlich wird auch, dass es nicht nur um Mitbestim-
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mung, sondern auch um Verbesserung geht. Die derzeitige Berichterstattung wird als verbesserungswürdig beurteilt – gerade wenn es um ›Migrant_innen‹ geht. Abb. 9: Neue Österreicher_innen
Quelle: biber April 2011: 16
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In der Folge wird ausgeführt, dass im Rahmen der Akademie 20 Stipendien in Höhe von 600 Euro monatlich an »talentierte Jungjournalisten mit Migrationsbackground« vergeben werden, die biber eine »zweimonatige journalistische Grundausbildung« erhalten bevor sie dann »ein Praktikum bei einem anderen Medium oder einer Presse- oder Kommunikationsabteilung« vermittelt bekommen. Das entsprechende Ziel ist hoch gesteckt. Es geht darum, »die journalistische Elite des neuen Österreichs zu rekrutieren und auszubilden.« Gesucht werden Menschen zwischen 18 und 28 Jahren. Im Unterscheid zu den Werbungen für den Staatsdienst ist dezidiert keine österreichische Staatsbürgerschaft erforderlich: »Für uns zählen deine Motivation und deine Ideen, nicht deine Nationalität.« Für die Bewerbung muss ein Lebenslauf an biber gesickt werden, wobei die Bewerber_innen auch erklären sollen, warum sie das Stipendium bekommen sollten und welche Geschichten sie gerne schreiben würden. Finanziert wird das Ganze vom Bundesministerium für Inneres, Novomatic, der Industriellenvereinigung und der Bawag/PSK. Diese Kombination ist interessant – es geht nicht um das Unterrichtsministerium, sondern um das Ministerium für Inneres, das ja eigentlich für andere Belange zuständig ist –, auch wenn hier wiederum der Integrationsstaatssekretär verortet ist. Mit der Initiative wird also ›Integration‹ gefördert, jungen Menschen wird der Weg geebnet und die Quote der Journalist_innen mit ›Migrationshintergrund‹ wird verbessert. Zu sehen ist ein Paar, d.h. eine junge Frau und ein junger Mann, die die Leser_innen direkt und ernst anblicken. Hinter ihnen ist die österreichische Fahne zu sehen. Es wird signalisiert, dass es hier um das offizielle Österreich geht. biber tritt hier als jene Instanz auf, die nicht nur in der eigenen Arbeit wirken möchte, sondern die auch in anderen Medien zu einem Umdenken anregen möchte. Es ist auch davon auszugehen, dass die anderen »Leitmedien« mit an Bord sind. biber scheint über eine gewisse Glaubwürdigkeit bei der Vermittlung dieser Inhalte zu verfügen und ist in der Lage, für die bei ihnen ausgebildeten Menschen zu bürgen.
(Ambivalente) Solidarität Selten aber doch finden sich in biber Beiträge, die an die Leser_innen appellieren, Solidarität mit prekarisierten Personen zu üben. Dabei geht es allerdings nicht darum, aktiv zu werden oder Bündnisse zu suchen, vielmehr werden den Leser_innen Umstände vorgeführt, die kritisiert werden. Entsprechend können die Leser_innen die Personen, um die es geht, zwar bemitleiden bzw. auch ihre Sichtweise nachvollziehen, im Grunde – so der Eindruck – haben sie aber keinen Einfluss darauf, die Situation der Personen zu beeinflussen. Besonders deutlich
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wird dies im Beitrag Die falschen Augustins (b5: 29). In diesem geht es um osteuropäische Verkäufer_innen von Straßenzeitungen bzw. Bettler_innen in Wien. Die Wortwahl der Einführung lässt den Eindruck entstehen, dass biber hier fast auf dem Niveau der Kronen Zeitung argumentiert: »Längst ist es nicht mehr nur der alte Herr Josef, der Straßenzeitungen verkauft. Immer mehr Kolporteure aus Osteuropa gehen in Cafés, vor Supermärkten oder in Parks auf Kundenfang – und können dabei ordentlich nerven.« (b5: 29) Zunächst wird eine angeblich gute alte Zeit beschworen, als »Herr Josef« noch der Einzige war, der Straßenzeitungen verkauft hat – wobei hier die Wahl eines (n)ur-österreichischen Vornamens und das Präfix »Herr« durchaus eine respektable Person zu beschreiben scheinen. Die »Kolporteure« aus Osteuropa werden nicht nur »immer mehr«, sie befinden sich auch auf »Kundenfang« – fast entsteht also der Eindruck, dass nicht nur Massen von Menschen Jagd auf (N)Ur-Österreicher_innen machen, sondern dass sich Letztere nirgends sicher fühlen können – sind die »Kolporteure« doch »in Cafés, vor Supermärkten oder in Parks« unterwegs. Sie sind zumindest lästig. Selbst wenn man sich von ihnen nicht bedroht fühlt, stören sie doch zumindest. Auch im Beitrag selbst wird ausführlich erläutert, wie problematisch die Situation ist: So werden Straßenzeitungen z.T. nur als Vorwand verwendet, zu betteln. Die angeblichen Verkäufer_innen haben z.B. eine Ausgabe der Wiener Straßenzeitung Augustin bei sich, verkaufen diese aber nicht, sondern verwenden diese als »Tarnung« beim Betteln. Die Bettler_innen treten dabei z.T. auch aggressiv auf. So schildert eine Kellnerin im Museumsquartier ihre Erfahrungen mit drastischen Worten: »Manchmal umzingeln sie die Tische und reden zu zweit oder dritt auf unsere Gäste ein. Wir müssen dann eingreifen und sie bitten, das Lokal zu verlassen.« (b5: 29) Die Gäste müssen also vom Personal beschützt werden. Die Bettler_innen treten in Gruppen auf, wodurch sie noch bedrohlicher wirken. Sie ›umzingeln‹ ihre Opfer. Dass die Situation allerdings dadurch aufgelöst werden kann, dass die Bettler_innen schlicht gebeten werden, das Lokal zu verlassen, weist darauf hin, dass sie durchaus nicht so gefährlich sind, wie sie geschildert werden – Schließlich kommt es zu keinen Handgreiflichkeiten, die Polizei muss nicht eingreifen, und sie reden auch bloß auf die Menschen ein. Dennoch wird angeführt, dass die Vorspiegelung falscher Tatsachen beim Betteln eine Verwaltungsstrafe in Höhe von 100 Euro nach sich ziehen kann. Das rückt das Vorgehen der Bettler_innen in die Nähe der Illegalität bzw. Kriminalität. Im Fokus des Beitrags steht allerdings die Problematik, dass die »falschen« Verkäufer_innen den »richtigen« Augustin-Verkäufer_innen bzw. ihrem Ruf schaden. So führt auch die Kellnerin, die oben zitiert wurde, aus, dass sie schon
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lange zwei Augustin-Verkäufer kennt, mit denen es noch nie Probleme gab und die ihre Sache sehr gut machen. Zu Wort kommt auch ein Sozialarbeiter vom Augustin, der berichtet, dass die Situation bekannt ist, man aber wenig unternehmen kann. So verfügen »richtige« Augustin-Verkäufer_innen über einen entsprechenden Ausweis. Diese werden aber auch gefälscht. Neue Verkäufer_innen werden zudem nicht aufgenommen, weil es schon genug von diesen gibt und jene, die den Augustin regulär verkaufen, auch genug verdienen sollen. Den Leser_innen wird vermittelt, dass »richtige« Augustin-Verkäufer_innen quasi die guten, unterstützenswerten Personen sind, denen von den Bettler_innen geschadet wird. Die Einleitung und der Schluss des Artikels bilden allerdings die Sicht der Bettler_innen selbst. So kommen eine 40-jährige Frau und ihre zwei Söhne, die seit zwei Monaten in Wien leben und betteln, zu Wort. Sie stammen aus Rumänien, sind nach Österreich gekommen, »um endlich Geld zu verdienen« (b5: 29). Sie bestreiten »ihren Unterhalt« mit Betteln. Es handelt sich entsprechend nicht um eine ›Bettlermafia‹, die in Boulevardzeitungen gerne erwähnt wird, vielmehr wird deutlich, dass es hier um Menschen geht, die betteln, um für sich selbst und ihre Familie zu sorgen. Dass sie nun »endlich« Geld verdienen, deutet zudem darauf hin, dass sie in ihrer Heimat kein bzw. sehr wenig Geld verdient haben. Gerade die Tatsache, dass hier eine Mutter mit ihren Kindern zu Wort kommt, erleichtert die Solidarität mit ihnen, auch wenn nicht deutlich wird, wie alt die Söhne sind bzw. es so wirkt, als wären auch sie erwachsen. Obwohl der Vater mit ihnen nach Österreich gekommen ist, wird er nicht weiter erwähnt und kommt auch nicht zu Wort. Die drei erklären auch selbst, warum sie mit den Straßenzeitungen in der Hand betteln (»die Menschen geben mehr, wenn sie sehen, dass ich etwas dafür tue«, b5: 29) bzw. warum sie die Menschen ohne Umschweife um Geld bitten, auch wenn sie sie dadurch möglicherweise verschrecken (»Wer still ist und nicht immer wieder nachfragt, der verdient kein Geld.«, b5: 29). Nachdem über die Möglichkeit der Verwaltungsstrafe geschrieben wird, schildert die Mutter, dass sie 100 Euro zahlen muss. Das heißt, es wird nicht nur deutlich gemacht, dass die Möglichkeit besteht, jene zu strafen, die »nerven«, sondern auch, welche Konsequenzen das für die Betroffenen hat. So schildert die Frau: »Wie soll ich mir die 100 Euro leisten können, ohne zu betteln? […] Ich habe große Angst, weil ich nicht weiß, was mit mir passiert, wenn ich dieses Geld nicht bald zusammenhabe.« (b5: 30) Gleichzeitig kann sie nicht nachvollziehen, warum sie die Strafe überhaupt zahlen muss, denn es hat ihr niemand verboten, zu betteln, und auch ihre Söhne verstehen nicht, warum die Polizei sie nicht in Ruhe lässt bzw. warum sich die Menschen über sie aufregen: »Wenn die
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Leute in unserer erbärmlichen Lage wären, würden sie es auch nicht anders machen.« (b5: 30) Abschließend bezieht biber deutlich Position. Fettgedruckt wird unter der Überschrift »biber meint« festgehalten, dass biber gegen Bettelverbote ist, gleichzeitig aber auch zwischen Betteln und Zeitungsverkauf unterschieden werden sollte. Zum einen wird in der derzeitigen Situation die Lage der ›echten‹ Augustin-Verkäufer_innen verschlimmert, zum anderen werden auch Ausgaben von biber zum Verkauf angeboten, die aber tatsächlich gratis erhältlich sind. Der Beitrag ist bei Weitem nicht so spektakulär oder reißerisch, wie er sein könnte bzw. wie ähnliche Beiträge in Boulevardmedien sind. Auch kommen verschiedene Positionen vor und die Bettler_innen selbst zu Wort. Trotz allem bleibt der Eindruck bestehen, dass die ›echten‹ Augustin-Verkäufer_innen die ›richtigen‹ Opfer sind, mit denen am meisten Solidarität geübt werden sollte. Sie halten sich an die Regeln und haben es aufgrund der Konkurrenz, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen aggressiv auftritt, schwer, Geld zu verdienen. Die Leser_innen können folglich nachvollziehen, dass diese es zwar (auch) schwer haben, solidarisch(er) sollte man – so der Eindruck – trotzdem eher mit jenen sein, die zu den ›Einheimischen‹ bzw. ›Einheimischeren‹ gehören.
Fazit Ich habe mir vorgenommen – dieser Ausdruck ist gewiß allzu pathetisch –, den Menschen zu zeigen, daß sie weit freier sind, als sie meinen; daß sie Dinge als wahr und evident akzeptieren, die zu einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte hervorgebracht worden sind, und daß man diese sogenannte Evidenz kritisieren und zerstören kann. Etwas in den Köpfen der Menschen zu verändern – das ist die Aufgabe des Intellektuellen. (Foucault 1993: 16)
Den Ausgangspunkt dieser Arbeit bildete die Tatsache, dass Migration zwar ein alltägliches Phänomen ist, Migrationsbewegungen jedoch zugleich seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert werden. In Debatten um Migration kommen zudem nur selten jene Menschen zu Wort, die selbst über Migrations- oder gar Fluchterfahrungen verfügen und damit die eigentlichen Expert_innen sind. Somit wird sowohl in medial geführten Diskursen als auch wissenschaftlichen Arbeiten vor allem die Perspektive jener, die als Mehrheitsangehörige wahrgenommen werden, als relevant beschrieben und tradiert. Mit der Zuschreibung eines ›Migrationshintergrunds‹ an bestimmte Menschen wird wiederum nicht nur eine scheinbar homogene Gruppe der ›Anderen‹ konstruiert, sondern dieser Gruppe auch gleichzeitig eine marginalisierte Position zugewiesen. Vor diesem Hintergrund standen bei meiner Analyse zwei Magazine im Fokus, deren Macher_innen aus dieser marginalisierten Position heraus anstreben, in hegemoniale Migrationsdiskurse zu intervenieren. Sowohl biber. Magazin für neue Österreicher als auch migrazine nehmen dabei eine alternative, nämlich postmigrantische Perspektive ein. Als postmigrantische Medien für eine postmigrantische Gesellschaft sind sie bemüht, den geschilderten Problematiken entgegen zu wirken, indem sie erstens
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vor allem jene Menschen in die Produktion einbeziehen, denen traditionell ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird. Zweitens unterscheiden sie sich deutlich von jenen Medien, die oft als ›Ethnomedien‹ bezeichnet werden, weil sie sich gerade nicht an eine spezielle (migrantische) Community richten, sondern von einer diversen Redaktion für die gesamte postmigrantische Gesellschaft produziert werden. Drittens beschreiben sie Migration nicht nur als alltägliche Normalität, sondern blicken gleichzeitig mit einem postmigrantischen Blick auf vielfältige Praktiken und Diskurse. Während Migration einen zentralen Ausgangspunkt der Betrachtungen bildet, befassen sich beide Medien – trotz unterschiedlicher Selbstverständnisse, Zielgruppen und Erscheinungsformen – mit vielfältigen Transformationsprozessen, die gesellschaftlichen Wandel anzeigen und auch Verunsicherung hervorrufen. Meine Analyse ging der Frage nach, welche Identifikationsangebote und Anrufungen biber und migrazine an ihre Leser_innen richten und auf welche (hegemonialen) Diskurse sie sich dabei beziehen. Vor allem war dabei von Interesse, ob und wie sie mit ihrer Arbeit hegemoniale Diskurse unterwandern und herausfordern. Neben der Auseinandersetzung darüber, was postmigrantische Erfahrungen ausmacht, kreisen deren Texte vor allem darum, wie mit (drohender) Prekarität und der Rolle von Geschlecht bzw. mit sich wandelnden Geschlechterverhältnissen umgegangen werden soll. Im Folgenden diskutiere ich vergleichend die zentralen Ergebnisse der Analyse, bevor ich Implikationen und offene Fragen in Bezug auf Mainstream-Medien und die kommunikationswissenschaftliche Forschung skizziere.
VERGLEICHENDE DISKUSSION Obwohl die Autor_innen von migrazine und biber von einem postmigrantischen Standpunkt aus auf die Welt blicken, richten sie ihre Beiträge nicht nur an jene, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird. Vielmehr verdeutlichen sie, dass Migration ein für alle Menschen interessantes und in vielfältigen Zusammenhängen wichtiges Thema ist, das als Normalität gesehen werden sollte. Beide Medien stellen Migrationserfahrungen zwar häufig in den Mittelpunkt ihrer Beiträge, gerade die Autor_innen von migrazine betonen jedoch laufend, dass Migration im Leben von jenen, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, nicht per se eine wichtige Rolle zukommt, sondern dass dies eher Folge von Zuschreibungen von ›außen‹ ist. In migrazine herrscht ein hohes Bewusstsein über diverse Problematiken beim Umgang mit Migration, die Autor_innen sind zum Teil offensichtlich Expert_innen zu den Fragen, die sie beleuchten. So erscheinen sie in ihren Beiträgen und beim Stellen von Fragen in Interviews sehr
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umsichtig und informiert, es finden sich keine Formulierungen oder Ansichten, die klar als problematisch eingestuft werden könnten. Dominante Anrufungen an jene, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugewiesen wird, werden in migrazine laufend ›enthüllt‹, kontextualisiert und verweigert. Gleichzeitig werden Möglichkeiten eines alternativen Umgangs mit den beschriebenen Problematiken ausgelotet. Dabei befinden sich die Autor_innen aber auch in einem Dilemma. Obwohl sie die Debatte über die Identität jener, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, für überholt halten, sehen sie sich offenbar dennoch gezwungen, sich mit dieser Problematik auseinanderzusetzen. Folglich kann bei den Leser_innen trotz formulierter Kritik an problematischen Sichtweisen der Eindruck entstehen, dass es durchaus logisch ist, bei der Thematisierung von Migration auch immer die Frage nach der Identität der angeblich ›Anderen‹ zu stellen. Ein weiteres Dilemma von migrazine wird deutlich, wenn es darum geht, kritische Konzepte und Definitionen in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken. Einerseits sprechen die Autor_innen eine große Bandbreite aktueller Positionen, Begriffe und Konzeptionen an, kontextualisieren diese und stellen sie damit zur Diskussion. Auch die interviewten Personen bemühen sich, umsichtig und reflektiert zu argumentieren, warum bestimmte Konzeptionen notwendig und angemessen bzw. problematisch und unpassend sind. Andererseits wird auch deutlich, dass diese Sichtweisen und Konzepte nicht etabliert sind und viele Widerstände bestehen, Migration in einem ›neuem‹ Licht zu sehen und dass die ›Anwendung‹ wissenschaftlicher Konzepte und Sichtweisen in der gelebten Realität auf Schwierigkeiten stößt. Es sind jedoch nicht nur die Angehörigen der ›Mehrheitsgesellschaft‹, die etwa hybride und uneindeutige Lebensweisen ablehnen oder schlicht nicht wahrnehmen (wollen), sondern auch die Marginalisierten selbst verwenden Bezeichnungen wie ›Zweite Generation‹ für sich, obwohl Wissenschaftler_innen diese und ähnliche Begriffe als problematisch beurteilen. Scharfe Kritik üben die Autor_innen dabei vor allem an jenen, die es aus ihrer Sicht eigentlich besser wissen müssten, beispielsweise Autor_innen, deren Eltern und Großeltern aus der Türkei nach Deutschland eingewandert sind und die in ihren Texten orientalistische Diskurse bedienen, anstatt sich von diesen zu distanzieren. Entsprechend würden die Autor_innen von migrazine wohl auch scharfe Kritik an manchen Beiträgen in biber üben. Aus der Perspektive Kritischer Migrationsforschung können diese insofern als problematisch beurteilt werden, als sie an hegemoniale Diskurse anknüpfen, ohne sie zu kritisieren, und sie damit tradieren. So ist in biber auf den ersten Blick eine Sichtweise dominant, die man am ehesten der Definition von Multikulturalismus oder Interkulturalität zuordnen kann: Es bestehen bestimmte Gruppen, die über bestimmte national-
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kulturelle Eigenschaften verfügen, das heißt, das Verhalten von einzelnen Menschen ist durch ihre (National-)Kultur geprägt und kann mit dieser erklärt werden. Die Aufgabe von biber ist dementsprechend, die einzelnen Gruppen jeweils zu beschreiben und so die Verständigung untereinander zu erleichtern. Vordergründig werden die Leser_innen also angehalten, sich entsprechend ihrer national-homogenen Kultur zu verhalten, sich darüber bewusst zu sein, was diese ausmacht und wie diese von anderen Kulturen abgrenzbar ist bzw. abgegrenzt werden sollte. Gleichzeitig werden den Leser_innen aber auch mögliche Verwischungen von vermeintlich eindeutigen Grenzen aufgezeigt. So wird häufig mit Überhöhungen und Ironie gearbeitet, auch sind die einzelnen Beiträge zum Teil kritischer, als es die zu ihnen zugehörigen Überschriften und Einleitungen vermuten lassen. Nicht zuletzt erfolgen die Grenzziehungen meist nicht zwischen einzelnen nationalstaatlich definierten Gruppen, sondern zwischen den (N)UrÖsterreicher_innen und den ›Anderen‹. Letztere werden wiederum nicht als die ›Anderen› definiert, sondern stellen ein ›Wir‹ dar. Den Leser_innen mit Migrationserfahrungen steht damit nicht nur die Identifikation mit ihrer ›eigenen‹ Herkunftskultur offen, sondern auch mit Migrationserfahrung an sich – die eben als nicht nur national bedingt gefasst wird. Diese Strategie bezeichne ich als postmigrantische Disidentifikation, weil zwar vordergründig die Trennung in unterschiedliche Kulturen akzeptiert wird, dabei aber Unterschiede relativiert werden und den Leser_innen durchaus nahegelegt wird, diese Unterscheidungen als unsinnig zu sehen. So wird etwa vordergründig die Subjektposition ›Fremde‹ für jene, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, akzeptiert, um dann aus dieser Position heraus vorzuführen, dass Fremdheit je nach Kontext und Position durchaus unterschiedlich wahrgenommen werden kann. Ziel dieser Strategie ist es, die Deutungshoheit und Macht der (n)ur-österreichischen, nichtmigrantischen Position zu hinterfragen beziehungsweise auch zu durchbrechen, indem die Erfahrung von Migration zentral gesetzt und deutlich anders beurteilt wird, als das in dominanten Diskursen und Mainstream-Medien lange Zeit der Fall war und nach wie vor ist. Entsprechend weisen die Autor_innen von biber – ebenso wie jene von migrazine – Othering-Prozesse zurück, auch wenn sie dies nicht explizit so formulieren. Beide Medien eint zudem die selbstbewusste Haltung, dass hier jeweils Expert_innen zu Wort kommen: Die Autor_innen von biber und migrazine erscheinen dabei weniger als Expert_innen für ihre angebliche Herkunftskultur, sondern vielmehr für die postmigrantische Erfahrung an sich. Auffallend ist zudem, dass bei biber eine Fülle an Themen und Positionen zu finden ist. Auch wenn insgesamt eine Blattlinie wahrgenommen werden kann, werden durchaus unterschiedliche Ansichten zur Diskussion gestellt. Gerade bei kontroversen Themen – wie
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etwa bei der Rolle von Sexualität im Islam – kommen mehrere Personen zu Wort, die unterschiedliche Meinungen artikulieren. In migrazine kommen dagegen zwar verschiedene Personen zu Wort, diese vertreten aber jeweils recht ähnliche Positionen. Gemeinsam ist vielen Beiträgen in migrazine zudem, dass diese die Notwendigkeit der (Selbst-)Reflexion in den Vordergrund stellen, und selbst bei als richtig beurteilten Praktiken werden die Leser_innen angehalten, sich deren problematische Seiten bewusst zu machen. So reicht es aus Sicht von migrazine nicht, sich feministisch zu betätigen und zu definieren, vielmehr wird eingefordert, eine Vielfalt von Differenzkategorien mit zu bedenken. Entsprechend steht bei migrazine laufend die Frage im Fokus, wer eigentlich das ›Wir‹ konstituiert, das sich verbünden soll, beziehungsweise wird mit der Definition dieses strategischen ›Wir‹ und der Betonung des Begriffs ›Migrant_in‹ als politische Identität eine Option zur politischen Aktion bereitgestellt. Wichtig ist dabei, dass die Leser_innen keineswegs explizit als ›Migrant_innen‹ adressiert werden. Vielmehr sind entsprechend des migrazine-Mottos all jene Menschen angesprochen, die sich für die beschriebenen Themen interessieren, beziehungsweise in diesen Kontexten (wissenschaftlich) arbeiten. Grundsätzlich wird von den Leser_innen also eine kritische Position eingefordert, die allerdings nicht unbedingt als besonders begehrenswert erscheint: So gehen zahlreiche Beiträge gerade auf Umstände ein, in denen selbst jene, die bemüht sind, kritisch und umsichtig zu handeln, an ihre Grenzen gelangen, weil sie nach wie vor in Strukturen und Diskursen verstrickt sind, die von den Autor_innen als problematisch beurteilt werden. So entsteht der Eindruck, dass im Grunde nur Scheitern möglich ist, weil die in migrazine formulierten Ansprüche sehr hoch gesteckt sind. Entsprechend stellt sich die Frage, ob damit tatsächlich – so wie im migrazine-Motto »von Migrantinnen für alle« festgehalten – alle angesprochen werden (können) oder nur die (kleine) Gruppe jener, die bereits in queerfeministischen und antirassistischen Diskursen und Praktiken bewandert sind. Beide Medien vermitteln, dass sich heute alle Menschen – wie Oliver Marchart es nennt – in einer Prekarisierungsgesellschaft befinden, in der »das soziale Gefüge einem Prozess der Verunsicherung tendenziell aller Arbeits- und Lebensverhältnisse ausgesetzt [ist], d.h. der Diffusion von Prekarität in den gesamten Raum des Sozialen« (Marchart 2013: 7). Beide Medien zeigen den Leser_innen Wege auf, damit umzugehen und sich zu positionieren, richten an sie jedoch deutlich unterschiedliche Anrufungen. Die Autor_innen von migrazine betonen laufend die Notwendigkeit und Bedeutung von Bündnissen mit und zwischen prekarisierten Personen und zeigen auch gelungene Beispiele auf. Dabei werden, um es mit Isabell Lorey zu sagen, die »subjektiven Erfahrungen von
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Prekarisierung zum Ausgangspunkt für politische Kämpfe gemacht« (Lorey 2012: 19). Der Blick ist dabei auch transnational ausgerichtet. So berichten etwa Initiativen aus aller Welt über ihre Arbeit, wodurch Ähnlichkeiten deutlich werden und gemeinsames Handlungspotenzial betont wird. Im Unterschied zu biber werden nicht jene, die mit Schwierigkeiten oder Unzulänglichkeiten umgehen müssen, angehalten, an diesen zu arbeiten und sie zu kompensieren, sondern es wird vielmehr an jene appeliert, die privilegiert sind, sich für marginalisierte Personen einzusetzen. Nicht zuletzt wird in migrazine die Notwendigkeit politischer Aktionen und von Bündnissen nicht nur betont, sondern den Leser_innen werden auch Werkzeuge in die Hand gegeben, mit denen sie selbst aktiv werden können. In biber hingegen liegt der Fokus auf der Leistung von Individuen, das heißt, den Leser_innen wird laufend verdeutlicht, dass persönliche Leistung, (Aus-) Bildung und beruflicher Aufstieg wichtig sind. Sie werden angehalten, zu unternehmerischen Subjekten zu werden und sich rechtzeitig für die Zukunft zu rüsten, wobei Praktiken, die Michel Foucault (1993) als Technologien des Selbst beschrieben hat, betont werden. Jugendliche, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, werden damit also im Unterschied zu dominanten Diskursen als leistungsbereite und -fähige Subjekte angesprochen, was diese durchaus als ermächtigend wahrnehmen können. Andererseits weist Isabell Lorey zu Recht auf Folgendes hin: »Praxen der Ermächtigung wirken keineswegs automatisch emanzipatorisch, sondern sind in einer gouvernementalen Perspektive als ausgesprochen ambivalent zu verstehen. Sie können Weisen der Selbstregulierung bedeuten, die eine konforme Selbstgestaltung, eine angepasste Selbstbestimmung darstellen, die außerordentlich regierbar macht.« (Lorey 2012: 27 f.)
Besonders deutlich wird das dort, wo biber dem offiziellen Österreich und dem aktivierenden Sozialstaat eine Bühne bietet. Dieser spricht die Leser_innen, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, explizit als (potenzielle) Leistungsträger_innen an. Fast komplett wird dagegen ausgeklammert, dass manche Menschen nicht in der Lage sind, Leistung zu bringen – oder auch, dass manche gar nichts (ökonomisch Verwertbares) leisten wollen. Entsprechend werden strukturelle Hürden und Diskriminierung in biber fast niemals angesprochen. Die Beiträge in biber entsprechen der Logik, die Angela McRobbie folgendermaßen auf den Punkt bringt: »Die neue Integrationspolitik gibt sich einen zeitgenössischen (post-9/11-)Anstrich. Dabei setzt sich die Sichtbarkeit von Schwarzen und AsiatInnen einschließlich ›moderner‹ junger Frauen in einer
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Ökonomie, in der Erfolg von Talent abzuhängen scheint, idealerweise an die Stelle einer Auseinandersetzung über institutionalisierten Rassismus und die Weiterverbreitung und Reproduktion rassistischer Diskriminierung.« (McRobbie 2010: 106) Aus dieser Sichtweise heraus ist es nur konsequent, dass das österreichische Finanzministerium den Leser_innen von biber mit auf den Weg gibt, dass nicht die Herkunft, sondern die Leistung zählt. Wie zynisch diese Aussage ist, wird dann deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass für Jugendliche in Österreich gerade ein ›Migrationshintergrund‹ einen besonders großen Risikofaktor für Armut darstellt. So sind Migrant_innen und ihre Nachkommen traditionell überdurchschnittlich stark von Erwerbsarbeitslosigkeit betroffen und werden im Bildungssystem und am Arbeitsmarkt ausgegrenzt (vgl. Knapp 2008, Giesecke et al. 2017). Dennoch wird den Leser_innen von biber nahegelegt, den eigenen ›Migrationshintergrund› eben nicht als Hürde, sondern als Ressource zu sehen und zu verwerten. Etwa im Polizeidienst oder als Lehrer_innen sollen sie – so die Botschaft – ihre ›interkulturellen Kompetenzen‹ einsetzen, weil sie »als Vorbilder der Anpassung an die Herausforderungen neoliberaler Transformation [gelten] – nicht etwa aufgrund ihrer sozialen Differenz, sondern weil sie vorgeblich wissen, wie Differenz zu managen und in kulturelles Kapitel zu übersetzen ist« (Engel 2009: 56). Nicht zuletzt rücken in biber vereinzelte Werbungen und Beiträge migrantischer Unternehmer_innen in den Fokus: Nicht nur unternehmerische Subjekte, die an ihrem persönlichen Aufstieg arbeiten, sondern ›richtige‹ Unternehmer_innen sollen sie also werden – wobei auch dies an sich nicht neu ist. So hat Encarnación Gutiérrez Rodríguez bereits vor 15 Jahren festgehalten: »MigrantInnen sind in den letzten Jahren als die neuen UnternehmerInnen zelebriert worden und zählen zu einer der begehrten Zielgruppen von Programmen zur Förderung in die Selbstständigkeit. […] Die Zauberformel lautet ethnic business. Unter dieser Formel werden MigrantInnen mittels staatlicher Beschäftigungsprogramme angehalten, nicht nur als ›UnternehmerInnen ihrer Selbst‹ […] aktiv zu werden, sondern gerade ihre partikuläre Ressource, die der Ethnizität, als viel versprechende Marktanlage einzusetzen. Differenz und insbesondere Ethnizität fügen sich hier in die Mehrwertlogik des global agierenden Marktes ein.« (Gutiérrez Rodríguez 2003a: 176; Hervorh. im Orig.)
Junge Menschen, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, werden in biber jedoch nicht nur als kompetent, leistungs- und bildungsorientiert beschrieben, sondern auch als »Neue Österreicher« bezeichnet, also implizit als eine bessere Version der ›alten‹ (N)Ur-Österreicher_innen. Migrationserfahrung wird mit dieser Sichtweise aufgewertet, wobei es die ›Neuen‹ allerdings noch
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nicht in Spitzenpositionen geschafft haben. Vielmehr handelt es sich bei den in biber präsenten »Top-Manager_innen« und »Top-Bossen« nach wie vor um (N)Ur-Österreicher_innen, die den Leser_innen allerdings ihr Know-how zur Verfügung stellen. Diese werden also laufend als Personen angesprochen, die sich auf dem Weg nach oben befinden bzw. sich auf den Weg nach oben machen sollen. Vor allem junge Frauen stehen dabei im Fokus der Aufmerksamkeit: Ähnlich wie der ›Migrationshintergrund‹ wird das weibliche Geschlecht nicht als Hürde, sondern als Attribut, das zum Erfolg führen kann (und soll), vorgeführt. Gerade junge Frauen werden angehalten, Bildung und Karriere anzustreben und vor allem jene Bereiche zu erobern, die lange Zeit als männlich konnotiert galten. biber führt den Leser_innen vor, dass (junge) Frauen den beruflichen Aufstieg anstreben können – oder besser: sollen. Nicht zuletzt werden auch muslimische Frauen angehalten, ihre religiösen Ansichten mit Emanzipation zu verbinden, sich zu engagieren und sichtbar zu werden – wobei das Kopftuch als mit dieser Lebensweise vereinbar präsentiert wird. Dass alle Frauen dabei aber nach wie vor ›weibliche‹ Rollenmuster und klassische Schönheitsideale erfüllen sowie einen heterosexuellen Lebensstil pflegen sollen, wird allerdings ebenso deutlich. Junge Leserinnen werden angehalten, ›weiblich‹ zu bleiben und nach wie vor Sorge dafür zu tragen, begehrenswert zu sein und die heterosexuelle Matrix aufrechtzuerhalten. Doch auch (junge) Männer werden angehalten, sich an diese Matrix zu halten. So sie es etwa mit der Körperpflege übertreiben, werden sie nicht nur verdächtigt, homosexuell zu sein, sondern (junge) Frauen drohen Männern im Narrativ von biber bisweilen gar damit, ihr Begehren auf andere Frauen zu richten. Insgesamt wird aber durchaus kontrovers verhandelt, welche Rolle dem Geschlecht zukommt und zukommen sollte. Diese Aushandlung geschieht wiederum unter der Einbeziehung der postmigrantischen Perspektive, das heißt es kommen vor allem junge Menschen zu Wort, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird. In migrazine stellt Geschlecht wiederum ein Querschnittsthema dar, das in fast jedem der analysierten Beiträge behandelt wird. Diese Tatsache macht deutlich, dass migrazine in den Beiträgen das einlöst, was die Selbstdarstellung des Magazins verspricht: Hier geht es darum zu zeigen, wie unterschiedliche Kategorien zusammenspielen, das heißt Debatten um Intersektionalität finden ausdrücklich Eingang in die Beiträge. Die Forderung der Autor_innen ist zumeist, dass vor allem Geschlecht, Migration, Machtverhältnisse und Rassismus zusammengedacht werden müssen, und oft wird kritisiert, wenn nur Geschlecht in den Vordergrund gerückt und andere Differenzkategorien vernachlässigt werden. Entsprechend sind die Autorinnen in migrazine bemüht, einerseits die Bedeutung der Kategorie ›Frau‹ herauszuarbeiten (weil etwa gerade Frauen von Diskrimi-
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nierung betroffen sind) und andererseits deutlich zu machen, dass der Fokus auf deren Geschlecht allein nicht ausreicht. So wird etwa auch ›Frauenpolitik‹ auf den Prüfstand gestellt und argumentiert, dass es dezidiert nicht ausreicht, wenn bestimmte Frauen sich ›emanzipieren‹, sondern es müssen auch migrantische und antirassistische Perspektiven einbezogen werden. Insofern handelt es sich durchaus um eine innerfeministische Debatte und Kritik, bei der es nicht darum geht, Feminismus oder Feminist_innen abzulehnen, sondern den Leser_innen zu zeigen, dass der Blick differenzierter sein muss, um klarer zu sein. Obwohl die Kritik potenziell als Schwächung der ›feministischen Sache‹ gesehen werden kann, ist sie aus meiner Sicht eher als produktive Herausforderung zu beurteilen, die zu einer Schärfung feministischer Positionen führen kann und soll.
IMPLIKATIONEN UND OFFENE FRAGEN Die Arbeit der Macher_innen von biber und migrazine muss nicht nur vor dem Hintergrund der hegemonialen Diskurse um Migration, sondern auch vor dem Hintergrund der fehlenden Inklusion marginalisierter Gruppen in die Medienproduktion betrachtet werden. So sind Migrant_innen und ihre Nachkommen sowohl in Deutschland als auch in Österreich im Verhältnis zu ihrem Anteil in der Gesamtbevölkerung stark unterrepräsentiert. Initiativen, die an dieser Tatsache etwas verändern wollen, haben im deutschsprachigen Raum erst um die Jahrtausendwende eingesetzt, und ihre Erfolge sind nach wie vor bescheiden. In beiden Ländern beträgt der Anteil von Journalist_innen, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird (das heißt: die nicht in Deutschland/Österreich geboren wurden und/oder Eltern haben, auf die dies zutrifft und/oder die nicht die deutsche/österreichische Staatsbürgerschaft besitzen), nur rund fünf Prozent (vgl. Pöttker et al. 2017: 15; Medien-Servicestelle Neue Österreicher/innen 2012). Studien zeigen zudem, dass in Redaktionen Zugangshürden durch Grenzziehungen entlang von Ethnisierung, aber auch von Geschlecht, Religion, Klasse und Alter vorhanden sind. Gerade Migrantinnen, die trotz bestehender Hürden den Weg in die Medienproduktion geschafft haben, befinden sich im Vergleich zu ihren Kolleg_innen in prekäreren Positionen. Sie sind eher als freie Mitarbeiterinnen tätig, eher in wenig prestigeträchtigen Ressorts zu finden und bekleiden selten Leitungsfunktionen (vgl. Röben 2008, Fritsche 2009). Nicht zuletzt passen sich jene Journalistinnen, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, bezüglich ihres journalistischen Selbstverständnisses an gängige Normen, etwa bei der Themenauswahl und der Gestaltung von Beiträgen, an (vgl. Pascual Iglesias 2005: 164). Sie betrachten beruflichen Erfolg zudem als persönliche Leis-
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tung, das heißt, sie »verstehen systemische Geschlechterungleichheit bzw. mangelnde Multikulturalität als eine Hürde, welche mit individuellen, persönlichen Strategien gemeistert werden kann« (Lünenborg/Fürsich 2014: 16). Für ihre Identitätsbildung, so Lünenborg und Fürsich (ebd.), ist zudem die Zugehörigkeit zur Mittelschicht, der sie zumeist entstammen, wichtiger ist als ihre Biografie als Frau und Migrantin. Diese Befunde führen zur Frage, ob die Inklusion marginalisierter Gruppen in die Mainstream-Medien-Produktion überhaupt zur grundsätzlichen Änderung der Repräsentation von Migration auf der Ebene der Medieninhalte führen kann, wenn nicht auch Partizipation, verstanden als die Nivellierung von Machtungleichheiten in vielfältigen Entscheidungsprozessen, ermöglicht wird (vgl. Carpentier 2016: 72). Gleichzeitig muss auch bedacht werden, dass Medien nicht nur angehalten sind, Partizipation in Medien (also im Produktionsprozess) zu ermöglichen, sondern auch Partizipation durch Medien. Demokratien können nur dann wirklich existieren, wenn sich alle Menschen an demokratischen Prozessen beteiligen (können), wobei die Bereitschaft, sich zu beteiligen, grundlegend davon abhängt, ob man sich überhaupt als Teil der betreffenden Gesellschaft versteht oder nicht. Mainstream-Medien versagen jedoch dabei, jenen Menschen, denen ein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, sowohl Formen mediatisierter Partizipation in öffentlichen Debatten als auch angemessener Selbstrepräsentationen zu ermöglichen (vgl. Carpentier et al. 2013: 288). Dieses Versagen darf allerdings nicht als zufälliges und unschuldiges Übersehen bestimmter Gruppen und Perspektiven gesehen werden, sondern als Herrschaftsmodus der Hegemonie, in der Mainstream-Medien eine entscheidende Rolle zukommt. Marginalisierte können sich nicht darauf verlassen, dass ihnen ermächtigende Subjektpositionen angeboten werden, sondern müssen sich diese erkämpfen. Diesen Problematiken entgegen zu wirken, kann als mehr oder weniger explizit festgehaltenes Ziel von biber und migrazine gesehen werden. Dabei geht es nicht darum, dass sich jene, die gemeinhin als die ›Neuen‹ gelten, in das Gegebene integrieren sollen. Vielmehr wird in beiden Magazinen in Frage gestellt, was das Gegebene überhaupt ist: So sehen beide sehr wohl, dass in Österreich die (n)ur-österreichische Norm von vielen Menschen als Normalität gesehen und beurteilt wird, beide legen den Leser_innen jedoch selbstbewusst nahe, diese Norm nicht als allgemeingültig zu akzeptieren. Eher, so die Botschaft, sollte erkannt werden, dass vor allem in Bezug auf Migration ein Wandelt stattgefunden hat beziehungsweise stattfinden sollte. Gerade jene, die sich in MainstreamMedien nach wie vor nicht repräsentiert fühlen (können), werden sowohl in biber als in migrazine als selbstverständlicher Teil der postmigrantischen Gesellschaft wahrgenommen und gewürdigt. Beide Magazine halten ihre Leser_innen
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zudem explizit dazu an, an diesem Wandel mitzuarbeiten. Während in biber das entsprechende Engagement vor allem auf die eigene Person bezogen wird und für die Leser_innen angesichts der formulierten Notwendigkeit der Konzentration auf den persönlichen Aufstieg kaum Zeit und Energie für gesellschaftskritisches Engagement übrig bleiben dürfte, bietet das Magazin diesen zugleich ganz konkrete Möglichkeiten, direkt in hegemoniale Diskurse zu intervenieren. Als Teilnehmer_innen der biber-Akademie und im Rahmen von schülerbiber können sie eigene Texte verfassen und für sie wichtige Themen zur Diskussion stellen. Damit leistet biber einen Beitrag zur Ausbildung einer neuen Journalist_innen-Generation, die auf lange Sicht befähigt werden soll, postmigrantische Perspektiven nicht nur in biber, sondern letztlich auch in Mainstream-Medien einzubringen. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund der Argumentation vieler Chefredakteur_innen bedeutend, dass der geringe Anteil von Zugewanderten in Redaktionen damit erklärbar sei, dass diese nicht über notwendige journalistische Qualifikationen verfügten (vgl. Geißler/Enders/Reuter 2009; Herczeg 2012). biber und migrazine können zudem auch als Vorbilder für die Einbeziehung marginalisierter Personen auf allen Ebenen des Produktionsprozesses wirken: So ermöglichen sie gerade nicht nur die Partizipation durch Medien, sondern auch in Medien. Wie die Produktionsprozesse in beiden Medien konkret ablaufen und wie die Produktionsbedingungen und Arbeitsprozesse von den Macher_innen beider Magazine wahrgenommen werden, wäre für eine künftige Forschungsarbeit interessant. Nicht zuletzt könnten aus der Auseinandersetzung mit den Produktionsbedingungen ähnlicher Medienprodukte auch wichtige Schlüsse für die Einbeziehung der postmigrantischen Perspektive in Mainstream-Medien gezogen werden. Neben der Betrachtung der Produktionsprozesse wäre es zudem wichtig, die Rezeption von biber und migrazine in den Blick zu nehmen, stellt sich doch die Frage, wie die beschriebenen Identifikationsangebote und Anrufungen von den Leser_innen wahrgenommen werden. Die Beobachtung der Erstellung einer schülerbiber-Ausgabe wäre dabei lohnenswert, weil mit dieser auch die Aneignung von Medienkompetenz durch die beteiligten Schüler_innen analysiert werden könnte. Insbesondere die Leser_innen-Sicht auf jene Art von Beiträgen, die in dieser Arbeit als problematisch beurteilt wurden, sollte dabei von Interesse sein. Auch die Frage, ob gerade weibliche Leser_innen die an sie gerichteten Anrufungen als solche wahrnehmen und inwiefern sie bereit sind, diesen zu folgen, wäre zu klären. Die Aushandlung der Themen in der biber-onlineCommunity sollte betrachtet werden, etwa mit einer Analyse der Kommentare und Diskussionen der Web-User_innen. Nicht zuletzt ist derzeit vollkommen offen, wen migrazine tatsächlich erreicht bzw. wie viele Personen auf die einzel-
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nen Beiträge zugreifen. So stellt sich die Frage, ob migrazine den eigenen Anspruch, für alle zu sein, tatsächlich einlöst bzw. was notwendig wäre, um eine größere Reichweite zu erlangen. Besonders spannend wäre es schließlich, der Frage nachzugehen, wie jene Leser_innen, denen kein ›Migrationshintergrund‹ zugeschrieben wird, die Identifikationsangebote und Anrufungen wahrnehmen. Diese Leser_innen werden zwar von beiden Magazinen ausdrücklich angesprochen, jedoch sind gerade die ihnen angebotenen Subjektpositionen auf den ersten Blick möglicherweise nicht besonders attraktiv. Vor allem migrazine erwartet von den Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft, sich ihrer Privilegien bewusst zu werden und aktiv an der Nivellierung von Machtunterschieden zu arbeiten. Quasi als Ausgleich für den damit einhergehenden Machtverlust bietet migrazine diesen Leser_innen zwar auch die Teilhabe an Bündnissen an, die allerdings wiederum als durchaus herausfordernd und arbeitsintensiv geschildert werden. In biber finden sich dagegen auch Beiträge, die sehr wohl die Vormachtstellung der (N)Ur-Österreicher_innen affirmieren und den (n)ur-österreichischen Leser_innen damit die Möglichkeit bieten, sich nach wie vor als Machthabende zu sehen. Zumeist erklärt biber diesen Leser_innen jedoch in ironischem Tonfall, dass sie erst lernen müssen, was das richtige Verhalten ausmacht. Im Grunde leisten beide Medien Integrationshilfe für jene, die sich (noch) nicht als Teil der postmigrantischen Gesellschaft sehen und als Reaktion auf bedrohliche Transformationsprozesse die Rückbesinnung auf Nation und Homogenität beschwören. Den aktuell dominanten Großerzählungen, die homogenisierend und ausschließend wirken, setzen biber und migrazine Überlegungen entgegen, wie vor dem Hintergrund wachsender Ungleichheit und Diversität Zugehörigkeit und Identifikation für alle Mitglieder einer Gesellschaft aussehen kann (vgl. Foroutan 2015: 212). Zentral ist dabei festzustellen, dass die postmigrantische Perspektive, die in beiden Magazinen zu finden ist, gerade nicht nur von jenen eingenommen werden kann, die selbst Migrationserfahrungen haben. Ähnlich wie feministische Positionen nicht nur von Cis-Frauen vertreten werden können, kann die postmigrantische Perspektive auch von Mainstream-Medien erlernt und implementiert werden. So muss die Arbeit der Macher_innen von biber vor dem Hintergrund hegemonialer Migrationsdiskurse gewürdigt werden, es ist allerdings auch deutlich, dass es migrazine besser gelingt, neben der postmigrantischen Perspektive auch herrschafts- und dominanzkritische Positionen einzubeziehen. Während also beide Magazine Vorbilder für postmigrantische Medien sind, stellt sich die Frage, ob und wenn ja wie auch Mainstream-Medien nicht nur postmigrantisch, sondern diversitätsbewusst sein, funktionieren und wirken können. Gerade weil (Mainstream-) Medien einerseits herrschende Machtverhältnisse reproduzieren und anderer-
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seits eine zentrale Funktion in demokratischen Entscheidungsprozessen einnehmen, sollten sie angehalten werden, sensibel und kritisch mit jenen Kategorisierungen umzugehen, die etwa in den Intersektionalitätstheorien benannt werden. Medieninhaber_innen und Medienmacher_innen sind also nicht nur aufgerufen, jene Menschen zu Wort kommen zu lassen, deren ›Migrationshintergrund‹, Alter, Ausbildung, Sprachkenntnisse etc. dazu führen, dass sie in MainstreamMedien nicht tätig sind/sein können, sondern auch auf der Ebene der Inhalte einen kritischen Umgang mit Diskriminierungs- und Ausschlussmechanismen deutlich werden lassen. Die Einbeziehung marginalisierter Personen und konsequent herrschaftskritischer Perspektiven sollten nicht zuletzt auch in der kommunikationswissenschaftlichen Forschung (vermehrt) Eingang finden. Dazu gehört, neben der eingehenden Betrachtung und Analyse von Mainstream-Medien, auch die Auseinandersetzung mit alternativen Medienangeboten und -inhalten, die Veränderungsprozesse aufzeigen (können). So wird in diesen besonders deutlich, welche Leerstellen in hegemonialen Diskursen bestehen, d.h. was üblicherweise nicht sagbar ist, wer normalerweise nicht zu Wort kommt und wer dadurch von jenen, die als Angehörige der Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen werden, zumeist nicht gehört wird und auch nicht gehört werden kann. Die besondere Herausforderung besteht dabei darin – und das zeigt die Analyse von biber und migrazine deutlich – Forschungsvorhaben, die (auch) Migration zum Thema machen, so zu konzipieren und durchzuführen, dass bestehende oder auch nur angenommene Dichotomien dekonstruiert und nicht tradiert werden. Statt »Migrantologie« (Römhild 2015: 46) zu betreiben, d.h. Forschung über Migrant_innen, die u.a. methodischem Nationalismus verhaftet bleibt, sollte (kommunikationswissenschaftliche) Forschung als postmigrantische Forschung angelegt werden, die »Migration als ihre Perspektive und nicht als ihren Gegenstand versteht« (ebd.). So muss auch die (kommunikationswissenschaftliche) Forschung die eigene Rolle in hegemonialen Migrationsdiskursen reflektieren und sich der Frage stellen, wie sie zu einem dringend notwendigen und grundlegenden Wandel der Wahrnehmung von Migrationsphänomenen beitragen kann. Nichtsdestotrotz ist es wünschenswert und notwendig, dass über die von mir zur Diskussion gestellten Begriffe, Perspektiven und Forderungen kritisch nachgedacht wird. So könnte analysiert werden, inwiefern andere Medien ebenfalls in die von mir beschriebenen Kategorien fallen bzw. auch, welche Maßnahmen Mainstream-Medien setzten könnten, um selbst als Postmigrantische Medien und/oder Diversity Media gelten zu können. Die Einbeziehung marginalisierter Stimmen kann dabei ein erster Schritt in die richtige Richtung sein, wenn gleichzeitig – so wie biber und migrazine zeigen – neben Kritik auch Solidarität geübt wird.
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Verzeichnis der analysierten Beiträge
BIBER (FEBRUAR 2011 = B1) Cover, b1: 1. Akbaba, Eser/Kravagna, Simon/Spicker, Julia: Auch Akademiker sitzen bei uns an der Kassa, b1: 65. Akbaba, Eser/Ortega, Zwetlina: Mit der Brechstange geht gar nichts, b1: 70. Alvir, Olja/Bartl, Lucia: Ist es ein Problem für biber, wenn es Jungfrauen gibt?, b1: 22–25. Anonymus: biber intim, b1: 6. Anonymus: Frühstück bei Anker, b1: 7. Anonymus: Die Polizei. Mehr als ein Beruf, b1: 11. Anonymus: Dein Sprung ins Berufsleben. Alle Infos zur Berufswahl!, b1: 25. Anonymus: Lehrer mit scharf gesucht!, b1: 50 f. Anonymus: Junge Forscherinnen für Österreichs Zukunft, b1: 55. Anonymus: Neue Perspektiven in der Lehrlingsausbildung, b1: 56 f. Anonymus: Wer mehr erreichen will, setzt auf Bildung, b1: 69. Ayik, Diren/Dopplinger, Clara: Positive Vorbilder braucht das Land, b1: 52. Bacher, Marion/Bartl, Lucia: Die Aufklärung steht über dem Tod, b1: 78–80. Balkansky, Bogumil: Sanaders Untergang, b1: 66–68. Diren Ayik, Diren/Friedrich, Jennifer/Spicker, Julia: Too sexy for my Brusthaare, b1: 30–35. Martinović, Ivana/Bartl, Lucia: Wir erzählen euch vom Krieg, b1: 16–21. Okazaki, Elsa/Cucujkić, Ivana: Abschlussklasse 2011, b1: 36–40.
BIBER (MÄRZ 2011 = B2) Cover, b2: 2. Akbaba, Eser/Ortega, Zwetelina: Schokolade beruhigt die Nerven, b2: 23.
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Anonymus: Ist dein Partner der richtige für dich?, b2: 35. Anonymus: Was »Mehr bewegen« heißt? In neuen Märkten wachsen, b2: 7. Anonymus: Der Hausmeister-Talk, b2: 64–66. Anonymus: Wie gründe ich ein eigenes Unternehmen?, b2: 81. Klepić, Aleks/Bartl, Lucia/Ttitsos, Paris: Singles in the City, b2: 32–35. Martinović, Ivana/Bartl, Lucia: So wohnst du richtig ethno!, b2: 54–58. Okazaki, Elsa/Cucujkić, Ivana: Farbe bekennen, b2: 40–47. Rajković, Amar/Hochstöger, Hans: Wie aus Bernd Mohammed wurde, b2: 16– 18. Szmydke, Paulina: »Früher wollten Musliminnen die Pille, heute das Kopftuch«, b2: 50 f. Szmydke, Paulina/Bratić, Monika: »Made in Eastern Europe«, b2: 48 f. Thalhammer, Anna/Lang, Reinhard: »Ein Engel in Uniform«, b2: 20–22.
BIBER (APRIL 2011= B3) Cover, b3: 1. Akbaba, Eser/Ortega, Zwetelina/Hochstöger, Hans: Lotto für den Job und Mozart für die Freizeit, b3: 67. Anonymus: Jetzt durchstarten! Mit einer Lehrstelle bei Anker!, b3: 2. Anonymus: Boss Talk: Wie tun sich unsere Lehrlinge?, b3: 58. Anonymus: Was geht?!! 5 starten durch, b3: 59 Anonymus: Tax Management, b3: 60. Anonymus: Lehrlingsausbildung in der Finanzverwaltung. Steuerassistent/in, b3: 61. Anonymus: Studieren, was Zukunft schafft: mint.at, b3: 65. Anonymus: Mehr Jobs durch Green Jobs, b3: 68 f. Anonymus: Wer hilft mir, wenn ich Lehrlinge ausbilden will?, b3: 73. Anonymus: Und hier noch zwei Single-Bibericas!, b3: 80. De la Barra, Stephanie/Schwarz, Sonja/Tomsich, Philipp: Lehre statt Leere, b3: 52–57. Khakpour, Toumaj/Bartl Lucia: Die Geheime Höflichkeit, b3: 44 f. Klepić, Aleksandra/Tiftik, Teoman/Tomsich, Philipp: Frühlingsgefühle…, b3: 78 f. Martinović, Ivana/Bartl, Lucia: Faces of the month. Ghana and Serbia in Love, b3: 8 f. Platzer, Viktoria: Heisse Treter, b3: 42. Rajković, Amar/Tomsich, Philipp: Das biber Job-Service, b3: 64–66.
Analysierte Beiträge | 277
Tiftik, Teoman/Tomsich, Philipp: Die Formel: Bewerben * (Test + Sport) = Uniform, b3: 62 f.
BIBER (MAI 2011 = B4) Cover, b4: 1. Akbaba, Eser/Ortega, Zwetlina/Bartl, Lucia: Ohne Lust geht gar nichts, b4: 72. Aksak, Rusen Timur/Türkmen, Feliz/Schwarz, Sonja: Emanzipation heißt für mich nicht, mein Kopftuch wegzulegen, b4: 24 f. Anonymus: biber intim, b4: 6. Anonymus: Wer gewinnt aus Gas Strom?, b4: 11. Anonymus: Schoko-Therapie! Die Anker Muffins, b4: 26. Anonymus: Liebe ohne Grenzen, b4: 33. Anonymus: Jetzt Wiener SchülerInnen besser aufs Wirtschaftsleben vorbereiten!, b4: 71. Anonymus: Wir bringen die neuen Österreicher in die Medien, b4: 73. Cucujkić, Ivana: Die elite-Verwandte, b4: 10. Klepić, Aleksandra/Wallentin, René: Frau Chefinspektor gesucht!, b4: 74 f. Martinović, Ivana/Bartl, Lucia/Tomsich, Philipp: Ich zahl’, Baby, b4: 34–38. Martinović, Ivana/Türkmen, Feliz/Yildiran, Erkan/Tomsich, Philipp: Einer von uns?, b4: 20–22. Platzer, Viktoria: Summer, we love you!, b4: 52. Rajković, Amar/Bartl, Lucia: Deutschland sucht den Superarzt, b4: 54–57. Shaked, Daniel/ Santana, Jhonatas: Oh, Rio mio!, b4: 42–51. Wiesinger, Clemens/Alvir, Olja/Bartl, Lucia: Super-Gau mit Balkan-Frau, b4: 28–32.
BIBER (JUNI 2011 = B5) Cover, b5: 1. Akbaba, Eser/Ortega, Zwetelina/Tomsich, Philipp: Eine Salsera aus Leidenschaft, b5: 72. Alvir, Olja/Balkansky, Bogumil: Das Personal des Grauens. Über ›heldenhafte‹ Balkan-Verbrecher, b5: 74–77. Anonymus: Wir bringen die neuen Österreicher in die Medien, b5: 34. Anonymus: Liebespanne, b5: 45. Anonymus: Durchstarten leicht gemacht!, b5: 61.
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Anonymus: Österreichs Weg in den Aufschwung, b5: 62–63. Anonymus: »Sie haben sofort gemerkt, dass ich ein Schwabo bin«, b5: 67 f. Anonymus: Wie komme ich als Unternehmerin an Förderungen?, b5: 71. Anonymus: Profis im Einsatz!, b5: 77. Bratić, Monika/Stanić, Alexandra/Tomsich, Philipp: Die falschen Augustins, b5: 28–30. Delcheva, Marina: Top-Manager intim, b5: 54 f. Delcheva, Marina/Schwarz, Sonja: Nur der Schnee hat mich geschockt, b5: 68. Klepić, Aleksandra/Wallentin, René: 133. Hier kommt die Polizei, b5: 32 f. Platzer, Viktoria: Mix’n’match it, Baby!, b5: 44.
MIGRAZINE (1/2011 = M1) AG Queerfeminismus: Den heterosexuellen Geschmack abschaffen«, m1: 10. Anonymus: Literatur in Bewegung, m1: 1. Disoski, Meri: Im Dazwischen schreiben, m1: 2. Morawek, Katharina: Die Normalität bestreiken, m1: 14. Patulova, Radostina/Yun, Vina: Frauenpolitik kann erzkonservativ sein, m1: 8. Susemichel, Lea: Bascha und Brigitte, m1: 9. Yeşilada, Karin E.: Mittendrin und unterwegs, m1: 4. Yeşilada, Karin E.: Die klassische Migration gibt es nicht mehr, m1: 5. Yun, Vina: Der Markt braucht Labels, m1: 3.
MIGRAZINE (2–3/2011 = M2–3) Anonymus: Zweite Generation und Postmigration, m2–3: 1. Anonymus: Sprache handelt, m2–3: 8. Fischer, Beatrice: Sprache. Macht. Geschlecht, m2–3: 10. Goel, Urmilla: Räume der ›Zweiten Generation‹, m2–3: 3. Kerosiç, Nan C.: Communiqué of Communication, m2–3: 12. Matausch, Kerstin: Was ist leichte Sprache? (in Leichter Sprache), m2–3: 11. Patulova, Radostina: Nationale Mythen irritieren, m2–3: 5. Salgado, Rubia: Un/Sicherheit für alle!, m2–3: 13. Verein][diskursiv: Sprachliches Handeln und Diskriminierung, m2–3: 9. Yun, Vina: F.A.Q. »Zweite Generation«, m2–3: 2.
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: »Jugofrauen« | 115 Abb. 2: Schönheitsideale für (junge) Frauen | 134 Abb. 3: Schönheitsideale für (junge) Männer | 135 Abb. 4: Islam umd Sexualität | 138 Abb. 5: Polizeidienst | 209 Abb. 6: Finanzministerium | 220 Abb. 7: Kurz im Interview | 226 Abb. 8: Junge Wiener | 232 Abb. 9: Neue Österreicher_innen | 236
Medienwissenschaft Susan Leigh Star
Grenzobjekte und Medienforschung (hg. von Sebastian Gießmann und Nadine Taha) 2017, 536 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3126-5 E-Book kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-3126-9 EPUB: ISBN 978-3-7328-3126-5
Geert Lovink
Im Bann der Plattformen Die nächste Runde der Netzkritik (übersetzt aus dem Englischen von Andreas Kallfelz) 2017, 268 S., kart. 24,99 € (DE), 978-3-8376-3368-9 E-Book PDF: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3368-3 EPUB: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3368-9
Gundolf S. Freyermuth
Games | Game Design | Game Studies Eine Einführung 2015, 280 S., kart. 17,99 € (DE), 978-3-8376-2982-8 E-Book: 15,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2982-2
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Medienwissenschaft Ricarda Drüeke, Elisabeth Klaus, Martina Thiele, Julia Elena Goldmann (Hg.)
Kommunikationswissenschaftliche Gender Studies Zur Aktualität kritischer Gesellschaftsanalyse April 2018, 308 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3837-0 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3837-4
Ramón Reichert, Annika Richterich, Pablo Abend, Mathias Fuchs, Karin Wenz (eds.)
Digital Culture & Society (DCS) Vol. 3, Issue 2/2017 – Mobile Digital Practices January 2018, 272 p., pb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3821-9 E-Book: 29,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3821-3
Gesellschaft für Medienwissenschaft (Hg.)
Zeitschrift für Medienwissenschaft 17 Jg. 9, Heft 2/2017: Psychische Apparate 2017, 216 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 24,99 € (DE), 978-3-8376-4083-0 E-Book kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-4083-4 EPUB: ISBN 978-3-7328-4083-0
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